Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 21. Kapitel ----------- Alles war still. Atem glaubte, er könne draußen den Flügelschlag eines Kolibris hören, so still war es. Er wagte selbst nicht, sich zu rühren oder zu atmen, während sein Herz gegen seine Rippen trommelte und sein Magen sich zusammenballte.   Mana kniete auf den Kissen, ihre Miene zu Stein erstarrt. Tränen liefen über ihre Wangen. Ihre bleichen Lippen bewegten sich, doch kein Ton kam heraus. Ihre Fingernägel krallten sich in ihre Oberschenkel.   Mai hatte den Kopf nach ihrer Enthüllung gesenkt, ihr Atem ging schnell und sie schien mit der Fassung zu ringen. Oder wollte sie gerade nur nicht Mana ansehen?   „Niemand weiß, wer meine Eltern sind… Das habt ihr mir immer alle gesagt.“ Manas Stimme war dünn wie die eines entkräfteten Vogeljungen.   Mai atmete tief ein, dann hob sie den Kopf. „Wir haben gelogen, um dich zu beschützen. Um dir den Schmerz zu ersparen. Damit du glücklich aufwachsen kannst, ohne merkwürdige Blicke, Anschuldigungen und Getuschel.“   Mana schüttelte heftig den Kopf. Ihre herumspritzenden Tränen versickerten in den Kissen. „Atems Mutter sagte, ich sei aus dem Tempel der Hathor!“   „Da hat sie nicht gelogen. Nach der Verhaftung deiner Eltern wurdest du in den Tempel gebracht. Du warst gerade erst dem Säuglingsalter entwachsen. Du solltest sicher sein und in guten Händen.“ Mai lächelte. „Atems Mutter ließ dein Schicksal aber keine Ruhe. Nachdem das Urteil vollstreckt worden war, machte sie Vater den Vorschlag, dich in ihrem Haus wie ihre eigene Tochter aufzunehmen. Du seist schuldlos und es sei grausam, dich einem ungewissen Schicksal zu überlassen.“   Atem konnte sich lebhaft vorstellen, wie das abgelaufen war. Die sanfte Stimme seiner Mutter, ihre zierlichen Finger, mit denen sie seines Vaters Bart kraulte oder durch das ergrauende Haar zauste, ihr warmer Blick voller Liebe… Sein Vater hatte wenig Schwächen gehabt, aber Atems Mutter war unzweifelhaft seine größte gewesen. Aber, das wußte Atem besser als sonst jemand, seine Mutter hatte ihren Einfluß immer nur zum Guten eingesetzt. Schmuck und anderer Tand hatte sie nicht interessiert, Rache war ihr ein Graus gewesen und auch sonst waren ihr die höfischen Intrigen fremd gewesen.   „Dann war alles eine Lüge? Mein Leben?“ Mana senkte den Kopf, doch Mai zwang sie gleich darauf, diesen wieder zu heben.   „Du wußtest nie, was für Menschen deine Eltern waren. Du mußtest immer damit rechnen, daß sie keine guten Menschen gewesen sein könnten.“ Mana drehte ihren Kopf weg, doch Mai gab nicht auf. „Hör mir bitte zu! Dein Leben war nie eine Lüge.“ Sie lächelte. „Die Liebe, die dir geschenkt wurde und wird, ist echt. Die Unterstützung, die du immer hast, ist ebenso echt. Atem hat dich vom ersten Tag an geliebt. Er hat dir Geschichten erzählt, während du in deinem Körbchen lagst. Er hat mit dir gespielt, dich vor anderen verteidigt! Mahaad hat sich auch immer auf deine Seite geschlagen und dich als Lehrling angenommen. Ich mag dich, Mana, und ich weiß, Tausret mag dich auch, auch wenn sie es nicht mehr zeigen kann. Atems Mutter liebte dich wie ihre eigene Tochter und Vater fühlte ebenso. Oder hat er dich je so behandelt, als seist du nicht ebenfalls seinem göttlichen Leibe entsprungen?“   Mana starrte Mai an und schniefte. „D-das stimmt… Er gab mir Kleidung und Spielzeuge wie euch auch. Er spielte und lachte mit mir und ich sollte mit euch lernen. Nichts war anders, dabei teile ich nicht euer gesegnetes Blut.“   Atem zog Mana in seine Arme. „Du bist meine kleine Schwester. Es ist mir gleich, welche Menschen deine Eltern waren, denn du bist ein wundervoller Mensch.“   Mana lächelte unter Tränen. „Ich weiß… Ihr habt ja recht! Aber es schmerzt dennoch…“ Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen. Ihr gedämpftes Schluchzen schnitt tief in Atems Herz.   Atem wünschte sich, er könnte etwas tun oder sagen, daß diesen Schmerz auf der Stelle verschwinden lassen würde, aber er spürte, daß Mana Zeit brauchen würde. Er wußte, es würde ihm nicht anders gehen an ihrer Stelle.   ***   Es war nichts zu tun gewesen die letzten Tage. Liegen, ruhen, schlafen… Auch wenn Yugi es gewurmt hatte, zum Nichtstun verdonnert zu sein, geholfen hatte es. Seine Haut sah besser aus und fühlte sich auch so an. Sein Rücken schmerzte noch, aber er konnte sich wieder bewegen ohne daß er glaubte, etwas hätte sein Rückgrat zerschmettert. Die Heiler hatten Yugi endlich für gesund genug erklärt, daß er das Bett wieder verlassen konnte.   Während draußen Ra Geb wärmte, während Soldaten exerzierten und Zauberer Nachforschungen anstellten, saß Yugi nun auf mehreren Kissen und versuchte, die Schriftrolle zu verstehen, die er auf seinen Knien ausgebreitet hatte. Vater hatte ihn die Schrift gelehrt, doch nicht das Verstehen militärischer Berichte. Yugi rieb sich über die Augen, dann fing er erneut von vorne an.   „Wenn du weiter so verkniffen auf die Rolle starrst, fallen dir noch die Augen aus dem Kopf.“ Yugis Großvater saß an seinem Schreibtisch, vor sich vier Schriftrollen, eine Karte und einen Stapel beschrifteter Tontafeln.   Yugi starrte ihn an, dann sackte er stöhnend Kopf voran in die Kissen. „Wie schaffst du das nur?“ fragte Yugi gedämpft.   Sein Großvater lachte. „Ich mache das schon ein paar Jahrzehnte, mein Junge.“   „Verstehst du diese Berichte auch?“ Yugi kam stöhnend wieder hoch und rollte den Papyrus vorsichtig zusammen.   „Meistens.“ Großvater nahm die Rolle wieder an sich. „Das braucht alles nur Übung. Komm mal her.“   Nickend stand Yugi auf und trat neben seinen Großvater, der die Rolle erneut öffnete. Dann erklärte er Yugi, welche Truppenbewegungen verzeichnet waren und wie diese den Feind in die Zange genommen und in diesem Falle vertrieben hatten. Großvater lächelte, als Yugi danach stirnrunzelnd die Schriftzeichen betrachtete. „Jetzt kann ich mir das schon besser vorstellen…“   „Das will ich doch hoffen.“ Großvater schmunzelte. „Wir werden jetzt jeden Tag gemeinsam einen Bericht durchgehen, bis du die millitärische Sprache richtig verstehst.“   „Danke, Großvater!“ Yugi strahlte. „Ich will Atem helfen können und außerdem… Als Bestienzähmer muß ich sowas auch können, nicht wahr?“   „Allerdings.“ Großvater tätschelte zufrieden Yugis Schulter. „Es ist nie verkehrt, seinen Horizont zu erweitern.“   „Du hast recht. Es hilft auch, sich das Gelände für so einen Bericht wie ein Spielbrett vorzustellen.“ Yugis Blick wurde ernster. „Ich hätte nie gedacht, daß ich mal eine millitärische Laufbahn beginne.“   „Ich auch nicht. Aber ich hatte auch nie erwartet, daß deine Mutter dich nach Waset läßt.“ Großvater stand auf. „Na los jetzt. Deine Freunde warten sicher schon.“   Yugi nickte und nach einem Abschiedsgruß eilte er zum Tor. Heute hatte ihre kleine Gruppe es geschafft komplett frei bekommen. Das war Yugis Möglichkeit, endlich einmal Waset hautnah zu erleben. Jono und Honda wollten ihn herumführen und Mana, Mokuba und Ryou hatten sich angeschlossen. Yugi wurde in der Tat schon am Tor erwartet. Er lächelte und lief zu ihnen.   „He, wir dachten schon, du kommst nicht mehr“, grüßte Mana grinsend und knuffte ihn.   „Ja, was hat dich aufgehalten?“ Jono grinste.   „Mein Großvater übt mit mir, Berichte der Armee zu lesen und vor allem zu verstehen.“ Yugi lachte. „Aber jetzt gehöre ich ganz euch!“   „Toll!“ Mokuba strahlte. Er hatte sein schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trug einen unauffälligen Schurz, der nichts über seine tatsächliche Herkunft verriet. „Laßt uns gehen.“   „Ich hoffe, du bekommst keinen Ärger von deinem großen Bruder“, meinte Ryou als sie die Torwachen passierten und hinaus auf die Straße traten.   „Ich hab die Erlaubnis meines Vetters und ich bin ja nicht ohne Schutz.“ Mit dem Daumen deutete Mokuba grinsend auf Honda und Jono. Yugi konnte sich lebhaft vorstellen, daß diese Wächter sicher nicht Meister Sets Gefallen fanden.   „Also dann… Wir sollten eng zusammenbleiben“, verkündete Mana und nahm ganz selbstverständlich Mokubas Hand. Zu fünft gingen sie dann die Straße hinunter, vorbei an den Wohnhäusern weniger priviligierter Beamter. Schon bald schluckte sie das laute Treiben der Stadt. Überall liefen Kinder herum, ein Mann führte einen Esel voller Stoffballen Richtung Palast, ein junger Hirte scheuchte mehrere meckernde Ziegen zur nächsten Tränke. Frauen und Männer trugen Krüge und Päckchen auf den Köpfen und überall wurde getratscht, gelacht und auch geschimpft.   Yugi bestaunte alles, was er sah. Die riesigen Gebäude, die zahllosen Menschen, die Statuen der Götter und Pharaonen, die praktisch jede Straßenecke markierten. Auf jedem größeren Platz standen Stelen und neben ihnen Ausrufer, die die aktuellsten Geschichten und Neuigkeiten zum Besten gaben. Sie sprachen von fernen Ländern und verkündeten die neuesten Beschlüße aus dem Palast. Mehrfach zog Jono Yugi weiter, wenn der offenen Mundes vor dem nächsten Wunder stehengeblieben war.   „Du stammst echt aus einem Dorf“, sagte er nach einer Weile und lachte über Yugis gekränkten Gesichtsausdruck. „He, du wolltest unbedingt auf den größten Markt hier.“   „Ich will mir kandierten Ingwer kaufen“, verkündete Mokuba. Sein Gesicht zierte seit ihrem Aufbruch ein interessanter Rotschimmer.   „Ich auch!“ Mana lachte und zog Mokuba weiter. „Außerdem will ich ein Geschenk für Meister Mahaad besorgen.“   Yugi beeilte sich, aufzuholen. „Das ist eine gute Idee, Mana. Vielleicht können wir ihm ja auch eine Kleinigkeit mitbringen. Ohne ihn wäre es uns allen übel ergangen.“   Die anderen nahmen den Vorschlag mit Begeisterung an. Aber zuerst kamen sie auf den Markt und diesmal war es laut Honda der größte Markt, den das hunderttorige Waset zu bieten hatte. Yugi hatte schon ein paar Märkte gesehen, wenn er allein oder mit seinem Vater die Waren verkauft hatte. Aber keiner, keiner war auch nur ein Viertel so groß wie Wasets Hauptmarkt.   Um aufzuzählen, was es hier alles gab, hätte Yugi eine Papyrusrolle gebraucht, die mehr als doppelt so lang wie er groß gewesen wäre. Vieh stand unter großen Schattensegeln, Heiler und Ärzte boten ihre Dienste und Tinkturen an, Gewürze und Lebensmittel wurden lautstark angepriesen. Schutzamulette und Götterfigürchen standen in Reih und Glied mit Töpferwaren und Schmuck. Dort wurde ein Fisch gegen einen Hasen getauscht, da Korn gegen ein Paar geflochtener Sandalen. Über allem lag der Duft von fernen Ländern, weiten Reisen und Essen, überall wurde geschwatzt und verhandelt. Yugi wußte gar nicht, wohin er zuerst schauen sollte.   Er wurde von Jono erneut weitergezogen, bis sie einen Stand erreichten, der kandierten Ingwer verkaufte. Jeder kaufte sich eine Handvoll, außer Jono, der nahm gleich die doppelte Menge. Ihre Süßigkeiten knabbernd schlenderten die jungen Leute dann weiter über den Markt. An einer Ecke machte eine Gruppe Musikanten und Tänzer mit Kostproben Werbung für ihre Dienste. Sie blieben stehen und sahen eine Weile zu, bis ein Mann mit viel Schmuck zu dem Anführer der Gruppe trat und eine Verhandlung begann. Enttäuscht zogen sie weiter, bis sie einen Hütchenspieler entdeckten, der im Schatten einer Palme saß und jedem, der vorbeiging, eine Wette anbot. Auch hier sahen sie eine Weile zu, doch da der Hütchenspieler jedes Mal gewann, sank ihr Interesse an einem Spiel.   Nachdem sie alle sich die Hände an einem Brunnen gewaschen und Jono auch getrunken hatte, wollten sie ihre Einkäufe erledigen. Mana wollte für ihren Meister eine Figur der Sachmet kaufen, damit die Göttin auch weiter ihren heilenden Einfluß auf Meister Mahaad ausübte. Ryou hingegen wollte lieber noch ein paar gute Heilkräuter besorgen und aus diesen Medizin herstellen.   Yugi blickte zu Jono, Honda und Mokuba. „Und was wollen wir ihm schenken?“   „Ich glaub nicht, daß ein Reichsmagier wirklich viel Verwenung für Schutzamulette hat“, überlegte Honda laut, dann erhellte sein Gesicht sich. „Meister Mahaad interessiert sich doch für Sitten und Gebräuche ferner Länder. Vielleicht etwas Ausländisches?“   „Gute Idee“, befand Yugi und blickte sich um. Er winkte dann den anderen, als er einen Stand mit exotischen Gütern sah. Auch der Händler war in ungewöhnlich bunte Tücher gekleidet und trug einen Turban. Sicher ein reisender Händler… An seinem Stand gab es natürlich Schmuck und Öle, sogar einen kreischenden Affen in einem Holzkäfig, der ihnen eine Hand entgegenstreckte. Doch die jungen Männer suchten nach etwas, was ihre Dankbarkeit angemessen ausdrücken konnte.   Der Händler begrüßte sie freundlich und erklärte, er führe Waren aus dem Sudan, Syrien und sogar aus dem tiefen Afrika. Er bot ihnen seltsame Figuren aus schwarzem Holz an und Kleidung aus bunten Federn. Doch nichts paßte davon wirklich zu Meister Mahaad…   „Verkaufst du auch Schriften aus fernen Ländern?“ erkundigte Yugi sich.   „Oh, der junge Herr hat wohl einen großen Wissensdurst.“ Der Händler lachte, hob eine runde Tasche aus Leder an und öffnete sie. Darin ruhten mehrere Papyrusrollen. „Schriften aus Arabien, Griechenland, Afrika…“   Yugi blickte zu seinen Freunden. „Was meint ihr?“   „Naja, ich weiß nicht.“ Honda rieb sich das Kinn. „Sicher nichts besonderes…“   „Aber nicht doch! Junger Herr, du beleidigst mich! Medizin und Mathematik stehen auf diesen kostbaren Rollen. Beobachtungen von Tieren, von Vögeln und fremden Kulturen! Und ich würde euch einen guten Preis machen. Nur 20 Deben für dieses Wissen.“   „Ach, das gibt’s doch garantiert woanders günstiger“, mischte Jono sich ein.   Der Händler blies sich sichtlich auf, empört über diese Unverschämtheit. Yugi verbarg sein Lächeln und schon bald hatten sie den Händler auf die Hälfte des ursprünglichen Preises heruntergehandelt. Immer noch eine stattliche Summe und das, was Yugi im Monat an Sold bekam. Und er hatte es noch gut getroffen, normale Soldaten mußten mit weniger auskommen. Zu viert aber konnten sie sich dieses Geschenk für Meister Mahaad zum Glück leisten und Yugi trug vorsichtig die Tasche, flankiert von Honda und Jono. Mokuba lief voraus, zu dem Stand, an dem Mana gerade war.   Yugi lächelte. Geschenke waren wirklich eine gute Idee. Vielleicht fand er hier ja auch etwas für seinen Großvater und seine Mutter. So könnte er vielleicht seine Mutter beruhigen. Fragte sich nur, was für sie geeignet wäre. Großvater war einfacher, aber ihn mußte Yugi auch nicht davon abhalten, sich auf den Pharao zu stürzen.   Ein lauter Krach riß Yugi aus seinen Gedanken. Als er mit den Augen die Quelle des Geräuschs suchte, entdeckte er eine große Staubwolke, die am anderen Ende des Marktes aufstieg. „Was ist das?“ Jono und Honda starrten mit zusammengekniffenen Augen in dieselbe Richtung.   „Da sind die Tempel von Hathor und Horus.“ Jono biß sich auf die Lippen. „Da wird doch gerade nicht gebaut, oder?“ Es knallte erneut und lautes Geschrei gab ihnen die Antwort.   „Was auch immer es ist, es sollte nicht sein.“ Honda packte Jono und Yugi an den Armen und zerrte sie weiter in Manas Richtung.   „Sollten wir nicht was tun?“ Yugi konnte seinen Blick nicht fortreißen. Der Staub verdunkelte den Himmel wie ein Heuschreckenschwarm.   „Wir müssen uns zuerst um den Prinzen kümmern.“ Jono löste sich von Honda und drängte sich durch die Menschen, die nun alle versuchten, auf der anderen Seite den Markt zu verlassen.   Yugi umklammerte die Tasche und rannte neben Honda her. Er atmete erleichtert auf, als er Mokuba neben Mana entdeckte, die ihren Zauberstab gezückt hatte. Zu dritt erreichten sie ihre Kameraden.   „Wo ist Ryou?“ erkundigte Mana sich und drückte den protestierenden Mokuba hinter sich.   „Keine Ahnung!“ Jono blickte sich um.   „Wir haben ihn zuletzt bei dem Kräuterhändler gesehen“, antwortete Yugi und versuchte ebenfalls, in den hastig vorbeieilenden Menschenmassen einen weißen Haarschopf oder einen roten Mantel zu erspähen.   „Leute, das sieht nicht gut aus!“ Honda deutete zitternd auf den Staub.   Yugi folgte dem Fingerzeig und wurde blaß. Das war keine Wolke… Es war ein monströses Gesicht mit glühend roten Augen und einem mit glänzend weißen Zähnen bewehrten Maul. Ein wenig erinnerte es Yugi an einen mißglückten Schakal.   Das Monstrum riß sein Maul auf und ein Windstoß fegte über den Markt, riß Buden um und ließ Waren wie Unrat über den Boden tanzen. Yugi klammerte sich mit aller Macht an den Stand hinter ihm.   „Dreck!“ Jono fluchte und stellte sich vor die anderen, ebenso Honda.   „Yugi, du mußt dich um Mokuba kümmern!“ Mana lief zu Jono und Honda. „Jungs, ich versuchs mit einem Schildzauber!“   „Gut! Flammenschwertkämpfer!“   „Los, Barbar!“   Die beiden Monster erschienen, während Mana noch ihren Zauber sprach. Dann schwang sie ihren Stab und ein rosa glühendes Netz erschien vor ihnen. Der Wind ließ nach.   „Ich sollte auch kämpfen!“ Mokuba hielt nur Yugis Hand zurück.   „Nein! Überlaß das ihnen! Sie haben mehr Ahnung als wir davon. Außerdem haben wir noch ein anderes Problem.“ Yugi ließ Mokuba los und deutete auf die Tempel.   Mokuba schnappte nach Luft, als er die gigantische Hathor-Statue sah, die sich immer mehr dem Boden zuneigte. Schlimmer! Am Boden vor ihr lagen mehrere Gestalten. „Sie werden zerquetscht werden!“   „Außer wir helfen ihnen.“ Yugi hatte sich die Ledertasche umgebunden. „Leute, ihr müßt dieses Ding ablenken!“   „Was hast du vor?“ Jono konnte nur kurz zu Yugi blicken, bevor sein Flammenschwertkämpfer zur Seite sprang und ein Stück des Tempels den Boden traf, wo der gerade noch gestanden hatte. Jono fluchte und schickte einen Feuerstrahl gegen die schwarze Fratze am Himmel, die zwar aufjaulte, aber keinen Zentimeter wich. Sie spie noch mehr Steine aus und die Monster waren nur noch mit Ausweichen beschäftigt.   Yugi derweil hatte sich hinter einen umgeworfenen Stand bewegt, Mokuba immer an der Hand. Zu zweit nutzten sie umgestürzte Krüge, flatternde Stoffbahnen und Berge verstreuter Waren als Deckung, um schnellstmöglich zum Tempel zu kommen. Yugi konnte das Knirschen hören, bevor die Statue weiter nach vorn sackte. Sein Herz schlug ihm bis in den Hals und für einen Moment fragte er sich, was er hier tat. Aber dann sah er wieder die Menschen vor dem Tempel, bewußtlos und hilflos, und sein einziger Gedanke war, wie sie diese wegschaffen konnten.   „Ich glaube nicht, daß mein Monster stark genug ist, um die Statue zu stützen.“ Mokuba keuchte und preßte sich gegen ein Trümmerstück.   „Dann müssen wir die Menschen schnell wegschaffen.“ Yugi schloß die Augen und spürte das Ziehen in seiner Brust. Als er die Lider öffnete, saß Marshmallon zwischen ihnen am Boden und neben Mokuba schwebte die ätherische Gestalt der Heiligen Elfe.   „Dann los.“   Mokuba rannte voraus und Yugi folgte ihm. Ihre Bestien schwebten und sprangen neben ihnen her. Hinter ihnen ertönte ein grauenhaftes, unmenschliches Gebrüll, bei dem sich Yugis Nackenhaare aufrichteten. Aber er durfte sich nicht ablenken lassen!   Mit einem Gedanken schickte Yugi Marshmallon voraus. Der hüpfte zu einem regungslosen kleinen Jungen und zog diesen aus dem wahrscheinlichen Sturzbereich der Statue. Yugi konnte nur hoffen, daß der Kleine wieder aufwachen würde. Mokubas Elfe hatte es leichter: Sie konnte einen erwachsenen Mann mühelos anheben und mit diesem fortschweben.   Yugi und Mokuba nahmen gemeinsam eine junge Frau auf und liefen mit ihr hinter ein großes Stück Stein, das aus dem Dach eines Tempels stammen mußte. Besorgt blickte Yugi hinüber zu ihren Freunden. Noch konnten die Bestien und Manas Zauber den schwebenden Kopf beschäftigen. Yugi drehte sich um und rannte wieder zurück. Sand und kleine Steine rieselten auf ihn hinab. Die Statue knirschte bedrohlich. Yugi zitterten die Hände. Er ballte sie zu Fäusten. Ein junger Mann… Yugi schlang seine Arme von hinten um dessen Brust und zog den Bewußtlosen weiter. Die Heilige Elfe schwebte eilig mit einer weiteren Person vorbei, während Marshmallon unruhig hin- und herhoppelte.   Yugi keuchte und zog den Mann weiter. Er konnte keine Verletzung an diesem entdecken, auch bei den anderen war ihm nichts aufgefallen. Was hatte die Leute betäubt? Das Gewicht verringerte sich, Mokuba hatte die Beine des Mannes gegriffen.   „Wir schaffen das nicht… Meine Kraft ist bald aufgebraucht.“ Mokuba keuchte.   Yugi wußte, was das hieß. Wenn sie zuviel ihrer Lebenskraft verbrauchten, um ihre Bestien zu befehligen, würde ihr eigenes Leben in Gefahr geraten. Er biß die Zähne zusammen und legte den Mann zu den anderen Geretteten. Ein grausiges Heulen jagte über den leergefegten Marktplatz. „Bleib hier, Mokuba.“ Yugi sprang auf und hetzte zurück unter die Statue, Marshmallon sprang zirpend an seine Seite. Es lagen sicher noch ein gutes Dutzend Leute hier.   „Yugi!“   Der Gerufene drehte seinen Kopf und starrte in Jonos Gesicht. „Was…“ Yugi starrte hinter sie, auf die schwarze Wand mit rotglühenden Schlitzen, die sich auf sie zubewegte.   „Überlaß die Statue mir und Mana!“ Jono machte eine Handbewegung und sein Flammenschwertkämpfer rannte den Tempel hinauf, bis er ungefähr die Brusthöhe der Statue erreicht hatte. „Bereit, Mana?“   „Ja!“   Das heiße Schwert schnitt durch die Brust der Statue und Yugi schrie. War Jono wahnsinnig? Doch dann traf ein rosa Blitz den abgeschnittenen Teil… und ein Regen aus rosa Blüten senkte sich auf die Welt. Das war der Moment, als Yugi den Hufschlag zahlloser Pferde vernahm.   Marshmallon flackerte und Yugi stützte sich an der Wand ab. Die Verstärkung war gerade rechtzeitig gekommen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)