Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 19. Kapitel ----------- „Wie fühlst du dich?“   „So als ob mir diese Frage langsam zu den Ohren rauskommt, Jono.“ Yugi stöhnte und versuchte, seitlich liegend eine bequemere Position einzunehmen. Er mußte seinen Rücken entlasten… und auch seine Haut, die noch immer brannte. Wenigstens sein Kopf tat ihm den Gefallen, nicht mehr zu dröhnen wie nach fünf durchzechten Nächten in Folge.   „Tschuldige.“ Jono grinste verlegen und hob abwehrend seine Hände. „Immerhin bist du schon wieder daheim.“   „Ja, und Ryou taucht alle zwei Stunden auf, um nach mir zu sehen.“ Yugi lächelte schwach. „Gibt’s was Neues?“   „Mana ist endlich ins Bett gegangen, nachdem sie seit gestern Abend bei Meister Mahaad Wache gehalten hat. Der Pharao muß mit göttlichen Zungen auf sie eingeredet haben.“   Yugi schmunzelte, dann wurde er wieder ernst. „Und Meister Mahaad?“   „Noch nichts Neues. Er ist noch immer bewußtlos, hat mehrere Rippenbrüche und er wurde ziemlich angekokelt beim großen Kabumm“, versuchte Jono durch seinen lapidaren Ton das ernste Thema leichter zu machen.   „Ich bete, daß er wieder gesund wird. Er ist ein guter Mann und Mana hängt sehr an ihm.“ Yugi zerrte etwas an dem Kopfpolster, bis es seinen Kopf besser abstützte. „Es ist gerade erst Mittag und ich würde den Tag am liebsten schon jetzt beenden.“   „Da bist du nicht der einzige.“ Jono ruckelte auf seinem Schemel. „Wenn du schlafen willst, tus. Ich bleibe hier.“   Yugi seufzte. „Laß mich raten: Der Pharao hat es dir aufgetragen.“   „Meinst du, sonst wäre ich nicht hier? Wir sind Freunde, Yugi.“ Jono lächelte.   Yugi lächelte zurück. Er war dankbar für Jonos Fürsorge, aber nun dachte er wieder an das erleichterte Gesicht Atems gestern Abend. Nicht, daß Yugi viel mitbekommen hatte… Aber Atem war da gewesen. Er hatte nach ihm gesehen, ihm Trost und Unterstützung gespendet. Yugi fühlte ein Brennen in sich, einen immer übermächtiger werdenden Wunsch: Atem nahe zu sein. Öfter, alleine… Mit mehr Küßen und hoffentlich auch bald… Yugi war plötzlich froh, daß er krebsrot war, so fiel sein Erröten sicher nicht auf.   Die Tür ging und Yugis Großvater trat ein. Er seufzte schwer. „Das wäre erledigt“, murmelte er, dann trat er zu Yugi ans Bett. „Wie fühlst du dich?“   Yugi hatte den Anstand, nicht mit den Augen zu rollen, aber das frustrierte Schnauben konnte er nicht mehr einfangen. „Ich habe Schmerzen, meine Haut fühlt sich an, als hätte man versucht, mich zu braten und ich wünschte wirklich, ich müßte diese Frage nicht im Akkord beantworten. Ich bin nicht Meister Mahaad. Ah!“ Stöhnend betastete Yugi seinen Rücken.   Siamun strich Yugi eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. „Verzeih, aber nach allem, was geschehen ist… Ich bin einfach froh, daß du noch in einem Stück bist. Das hätte leicht anders ausgehen können.“   Yugi schämte sich. Einige andere, die näher an der Explosion gestanden waren, hatten ein Körperteil verloren. Er hatte wirklich Glück gehabt. „Entschuldige, Großvater.“ Der lächelte verzeihend und Yugi atmete auf. „Sag, was hast du denn erledigt?“   „Den Brief an deine Mutter losgesandt.“   Nur der Schmerz hielt Yugi davon ab, senkrecht im Bett zu sitzen. „Du hast was?!“ Yugis Stimme klang unangenehm schrill. „Sie wird so wütend werden…“   „Dann stell dir vor, wie wütend sie würde, würden wir ihr das verschweigen. Du hast keinen Schnupfen, Yugi, und die Geschichte wird sich schnell verbreiten. Besser, sie bekommt die Details von uns als aus vierter oder fünfter Hand.“   Yugi nickte langsam. „Sie wird sich Sorgen machen. Wahrscheinlich wird sie dann bald hier sein.“   „Hier sein?“ Großvaters Augenbrauen schnellten in die Höhe.   „Ja. Das würde sie machen! Nichts würde sie aufhalten, zu mir zu kommen, wenn ich verletzt bin.“   Großvaters Augenbrauen zogen sich zusammen. „Das könnte Probleme geben“, murmelte er.   „Wahrscheinlich…“   „Deine Mutter klingt nach ner Wahnsinnsfrau, Yugi.“ Jono, der die Unterhaltung mit einem gewissen Amüsement verfolgt hatte, grinste, die Arme in den Nacken gelegt.   „Das ist sie.“ Yugi lächelte. Es wäre wirklich schön, sie wieder zu sprechen, ihre Hand im Haar zu fühlen. Aber zuerst würde unter ihrem Zorn das Haus beben. „Sie ist Hathor und Sachmet.“   „Dann solltet ihr schon mal das rot gefärbte Bier bereit stellen“, scherzte Jono in Anlehnung an die Legende, in der Sachmet im Auftrag Ras Menschen getötet hatte, bis Ra, seinen Befehl bereuend, sie mit durch Ocker gefärbtes Bier, das sie für Blut hielt, in einen tiefen Schlummer hatte sinken lassen. Erwacht war Hathor, die danach friedfertig zu den Göttern zurückgekehrt war. Deshalb feierte Kemet Hathor und Sachmet zu Ehren auch zweimal im Jahr das schöne Fest der Trunkenheit.   „Das Fest nähert sich auch so schon schnell genug.“ Siamun schmunzelte, dann wandte er sich wieder Yugi zu. „Wenn sie kommt, dann werde ich zuerst mit ihr sprechen. Mach dir keine Sorgen.“   Yugi nickte leicht. „Ich glaube, ich sollte jetzt wirklich schlafen.“   „Ich passe auf“, versicherte Jono erneut.   „Ich würde gerne bleiben, aber leider…“ Großvater machte eine beredte Geste und seufzte.   „Ich weiß, Großvater.“ Yugi lächelte. „Auch andere brauchen dich.“   „Mein Herz wird über dich wachen, mein Enkel.“   ***   Der Geruch nach verbranntem Fleisch und Kräutern lag noch immer in der Luft. Atem rieb sich über seinen schmerzenden Kopf und unterdrückte ein Stöhnen. Mana war endlich schlafen gegangen, zwar nur nebenan auf Mahaads Liege, aber immerhin. Atem sollte sich auch so langsam Ruhe gönnen. Aber obwohl er das Gefühl hatte, bei jedem Wimpernschlag würden Sandkörner über seine Augen scheuern, seine Gedanken inzwischen nur noch wie eine Suppe aus einzelnen Wörtern und Eindrücken schienen und er sich kaum noch aufrecht halten konnte, von Mahaads Seite konnte er einfach nicht weichen.   Sein alter Freund war mit dünnen, feuchten Tüchern bedeckt, sein Atem ging schwer, aber wenigstens gleichmäßig. Dank des Kräutertranks fühlte Mahaad momentan keine Schmerzen und so war sein Gesicht entspannt.   Atem lehnte seinen Kopf gegen die Wand und sah zu, wie eine Heilerin die Tücher frisch befeuchtete und Mahaad dann etwas Wasser einflößte.   Niemand wußte, ob Mahaad aufwachen würde. Er war stark, stärker als viele, doch durch den Nebel der Erschöpfung drang wieder die Aussage einer Zauberin. „Keiner von uns spürte etwas Gefährliches oder Außergewöhnliches. Es war nur ein Fluch der Kategorie 6. Nephtys sei meine Zeugin, wir hätten sonst nie unsere Schüler oder all die anderen anwesend sein lassen, hätten wir auch nur den Hauch eines Zweifels gehabt. Es ging so schnell… Da flogen wir schon durch die Luft, kaum daß wir den Fluchbrecher begonnen hatten. Ich glaube… Ich glaube, Meister Mahaad hat einen großen Teil der Explosion willentlich auf sich gelenkt. Ich konnte seine Handgeste gerade noch sehen…“   Die Zauberin war danach endgültig in Tränen ausgebrochen und Atem hatte sie schlafen geschickt. Ja, es würde zu Mahaad passen, sich selbst dazwischen zu werfen, die Gefahr auf sich zu ziehen. Nun blieb nur die Frage: Warum war niemandem die wahre Gefahr aufgefallen? Was hatte sie verschleiert? Oder wer? Wer hatte überhaupt diesen Fluch ausgesprochen? In den Palast konnte man nicht so einfach eindringen, jeder, der hier nicht lebte, wurde streng kontrolliert, wenn er das Gelände betrat oder verließ.   Konnte es jemand gewesen sein, der hier lebte? Atem stöhnte. Ein Verräter wäre wirklich das letzte, was sie gebrauchen konnten. Aber wer würde von so einem Anschlag profitieren? Nun mußte Atem die Sicherheitsvorkehrungen erhöhen, seine ersten Befehle hatte er diesbezüglich schon gegeben. Für wen war das von Vorteil? Egal, wie sehr er sich sein Hirn zermarterte, er kam auf keine Lösung. Das einzige, was er bekommen hatte, waren Kopfschmerzen.   „Mein geliebter Bruder und Gemahl.“   Atem schrak zusammen und blickte auf. Woher kam Tausret? Er rieb sich gähnend über die Augen. „Meine geliebte Schwester und Gemahlin“, grüßte er zurück.   „Man sagte mir, du seist hier.“ Tausret blickte zuerst Atem, dann Mahaad an. Sie schüttelte langsam den Kopf. „Das kann ich einfach nicht glauben“, murmelte sie.   „Niemand kann das.“ Atem holte tief Luft. „Ist etwas passiert?“   „Den Göttern sei Dank nicht. Deine Kinder sind wohlauf, wenn auch traurig, und der Harem zeigt Stärke im Angesichts dieses tragischen Vorfalls.“ Tausrets Blick wurde nun scharf. „Ich hörte, du hast fast die ganze Nacht an Mahaads Seite verbracht?“   „In der Tat. Bist du nun auch auf ihn eifersüchtig?“ Bei Tausrets verletztem Blick hätte Atem sich gleich darauf gerne selbst geohrfeigt.   „Sei nicht albern!“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Du brauchst Ruhe. Mahaad ist nicht der einzige, der auf deine Hilfe angewiesen ist. Deine Kinder wollen dich sehen und dein Volk will sich mehr denn je deiner Stärke anvertrauen. Unausgeschlafen nützt du niemandem etwas.“   Atem mußte zugeben, daß sie recht hatte. „Dann werde ich mich in meine Gemächer begeben, Tausret.“ Er erhob sich.   „Meine sind näher. Dann kann ich dich auch sofort informieren, wenn es wichtige Neuigkeiten gibt.“   Atem zögerte, doch die Sorge, die in den Augen seiner Schwester schimmerte, gab schließlich den Ausschlag. „Danke. Das wäre sehr hilfreich.“   Tausret lächelte müde. Nicht mal die beste Schminke konnte ihre Erschöpfung dauerhaft verstecken. Sie reichte Atem die Hand und gemeinsam verließen sie Mahaads Gemächer.   ***   Was für ein Scheiß-Tag! Jono lehnte im Schutze des Säulengangs, der den Palasthof umschloß, an der Wand und beobachtete das Hin und Her der Leute: Soldaten, Diener, Zauberer, Arbeiter, Minister, Berater, Schreiber, Priester. Der Gaufürst war vor kurzem gekommen, zum Glück ohne diese frühreife, blonde Nervensäge.   Jono steckte sich das letzte Stück Brot in den Mund und kaute schmatzend. Er würde gleich wieder zu Yugi gehen, Ryou konnte ihn leider nicht lange vertreten. Es gab einfach zu viele Verletzte, so viele, daß selbst ein eigentlich noch kranker Heiler wieder früher zum Dienst zurückkehren mußte. Jono klopfte das letzte Mehl von seinen Händen, dann stieß er sich von der Wand ab. Er hätte gerne Honda gesprochen, aber der war auch heute damit beschäftigt, an der Unglücksstelle auszuhelfen. „Hoffentlich hat er sich da nicht zuviel vorgenommen. Die Nacht war echt kurz.“   Jono wollte gerade zurück gehen, da öffneten sich die großen Tore. Er blieb stehen und beobachtete, wie mehrere Truppen auf den Hof marschierten. Das war wohl die Verstärkung, die der Pharao nach Waset beordert hatte. Jono schätzte die Anzahl auf rund einhundert Mann. Eine stolze Zahl! Der General an ihrer Spitze schwang sich vom Pferd, kaum hatte er angehalten. Herbeigeilte Stalljungen übernahmen sofort, auch bei den Pferden der anderen Offiziere.   An sich nichts besonderes, aber Jono war erstaunt, daß der General trotz der hochgewachsenen Gestalt so schlank war. Sah nicht gerade wie die muskelbepackten Männer aus, die Jono bisher in diesem Rang gesehen hatte. Kurz wiegte er den Kopf, dann siegte doch die Neugier. Er würde dann eben rennen müssen, aber er wollte wissen, wer dieser General war.   Langsam näherte er sich, zum Glück nicht als einziger. Auch andere Leute, inklusive Soldaten, liefen zu den eben Angekommenen. Frauen und Kinder umarmten Soldaten, Freunde schlugen sich lachend auf die Schultern. Vielen stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.   „Männer!“   Jono zuckte bei der jungenhaften Stimme zusammen und blickte sich verwirrt um.   „Reißt euch am Riemen. Ihr werdet noch genug Gelegenheit zum Klatschen haben.“   Jono starrte den General an. Unglaublich! Der mußte jung sein! Viel war unter dem Helm nicht zu entdecken, nur ein violettes Augenpaar und ein strenges Gesicht. Jono kratzte sich im Nacken. Von so einem jungen General hatte er noch nie zuvor gehört.   Der Trubel war nun abgeklungen, aber alle wußten, daß diese Art von Ermahnung nur der Aufrechterhaltung des äußeren Scheins diente. Kein General glaubte ernsthaft, daß seine Männer im Moment der Heimkehr sich daran hielten.   Der General stiefelte nun knirschenden Leders direkt auf Jono zu. Der trat schnell zur Seite und verneigte sich, um seinen ranghöheren Ofizier durchzulassen, doch…   „Du da! Du trägst ein Diaha Diank und das Zeichen des Wesirs.“   „Äh, ja, Herr General. Ich diene dem Herrn Wesir, wenn er es wünscht.“ Jono richtete sich wieder auf. „Kann ich dir helfen?“ Warum sonst sollte ein Fremder ihn so ansprechen?   „Ganz schön vorlaut!“ Der General verzog seine vollen Lippen zu einem halben Lächeln. „Name?“   „Jono, Herr General.“ Er stand stramm.   „Bring mich zum Herrn Wesir, Jono. Sofort!“   Jono nickte. „Äh, kla… Äh, sehr wohl.“ Er drehte sich zu den Gärten und ging voraus. „Er ist sicher zuhause. Dahin muß ich jetzt auch wieder zurück, meine Pause ist vorbei.“   „Du bist also der Leibwächter des Wesirs?“   „Einer. Momentan bin ich aber eher der Beschützer seines Enkels.“ Jono seufzte. Yugi schien mit den Gedanken endlos weit weg. Vielleicht noch wegen seiner aufbrausenden Mutter… Oder es war einfach nur ein Versuch, seinen Schmerzen zu entkommen. Jono konnte wirklich den Göttern danken, in gleichem Maße aber betete er für seinen Freund. Sachmet mochte Yugi bald wieder genesen lassen.   „Seines Enkels? Da ist man mal ein halbes Jahr weg und plötzlich ist der Enkel des Wesirs am Hofe.“ Der junge General lachte.   „Darf ich nach deinem Namen fragen, Herr General? Ich kenne dich nicht.“ Jono schielte nach hinten.   Der General klopfte auf seinen Brustpanzer aus Leder. „Mai ist mein Name. Den solltest du dir besser merken, Jono.“   Der blinzelte, als er nun das Diaha Diank am Arm des Generals sah. „Du bist ja auch ein Be… Äh, einer von uns.“   „Allerdings! Berichte mir, was gestern geschehen ist.“   „So genau weiß das offenbar keiner“, erwiderte Jono und versuchte, die ihm bekannten Fakten möglichst genau wiederzugeben. Dann: „Ich glaube, der Herr Wesir Siamun weiß darüber mehr. Gerade komme ich nicht von Yugis Bett fort. Jemand muß auf ihn aufpassen.“ Er wurde langsamer, als das Haus des Wesirs vor ihm auftauchte.   „Eine weise Entscheidung.“ General Mais Gesicht verriet Anspannung. „Man kann nie vorsichtig genug sein.“   Jono nickte und führte den General in das Haus. Ein Diener erblickte sie und lief sofort los.   „Man erwartet dich offenbar, Herr General.“ Jono rieb sich den Nacken und grinste. General Mai zuckte mit den Achseln.   Nur wenige Momente später kam der Wesir aus seinem Privatgemach. Er sah müde aus, doch sein Gesicht erhellte sich, kaum daß er den General gesehen hatte. „Mai! Das ging aber schnell!“   „Wir waren sowieso schon auf dem Rückweg nach Waset, als der Bote uns erreichte. Der Gute war ganz froh, daß er nicht den gesamten Weg reiten mußte.“ General Mai faßte seinen Helm und nahm ihn ab.   Jono klappte die Kinnlade herunter, als der General eine lange, blonde Lockenmähne ausschüttelte. Dann quollen Jono fast die Augen aus den Höhlen, als unter dem Brustpanzer des Generals eine weibliche, wohlgeformte Statur zum Vorschein kam. „Wa-wa-was?“ stammelte er höchst unintelligent.   General Mai drehte sich zu ihm um, sein, nein, ihr langes Haar umspielte sie dabei. „Oh, ich liebe es, wenn sie so dreinsehen!“ feixte General Mai mit breitem Grinsen, dann wandte sie sich wieder an den Wesir. „Ich nehme an, mein Bruder ist bei den Heilern? Oder ist er vor Müdigkeit zusammengebrochen und liegt jetzt in seinem Schlafgemach auf dem Bett?“   „Er schläft, soweit ich weiß, aber das ohne Zusammenbrüche.“ Siamun kicherte. „Der Pharao befindet sich bei der Großen Herrin Tausret.“   General Mai blies sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Dann ist er doch zusammengebrochen“, stellte sie lapidar fest.   Jono versuchte inzwischen, zu verstehen, was hier vorsichging. „Warte mal… Der Pharao ist der Bruder von General Mai? Aber… dann ist General Mai doch eine Prinzessin.“ Stöhnend raufte er sich das Haar. „Ich glaub, ich hab mir gestern doch ne Macke geholt.“   „Ich bin eine Prinzessin und ein General.“ Mai lächelte wie eine Katze, die eine Schüssel fetter Sahne entdeckt hatte. „Du wirst dich daran gewöhnen.“   Der Wesir schmunzelte. „Mach dir nichts draus, Jono. Sie tut das jedes Mal, wenn sie wieder heimkehrt, mit einem neuen Soldaten. Du bist also in guter Gesellschaft.“   „Das glauben mir die anderen nie“, murmelte Jono kopfschüttelnd. Oh je! „Ryou muß ja wieder an die Arbeit!“ fiel ihm siedend heiß ein. „Ich muß los! Man sieht sich!“ Jono rannte praktisch die Treppe hinauf und war einfach froh, daß er dieser Situation entkommen war. Eine Frau als General! Und noch dazu eine so gutaussehende. Aber noch wichtiger: Eine sehr fähige. Jono wußte eines nur zu gut: Wäre sie das nicht, würde ihr kein Mann folgen.   ***   „Du hättest mich früher wecken sollen.“ Atem gähnte hinter vorgehaltener Hand, während er mit verquollenen Augen auf die Tontafel starrte. Er lag nackt auf dem Bett seiner Schwester und sonnte seinen Rücken.   Tausret neben ihm drehte sich auf dem Bett und blickte ihn an. Ra streichelte ihre festen Schenkel, ihren flachen Bauch und ihre spitzen Brüste mit seinem letzten wärmenden Licht für diesen Tag. „Es gab keinen Grund dafür. Keinen ausreichenden, zumindest. Mai wird früh genug deine Gemächer stürmen und aus sich ein Spektakel machen wie es ihre Art ist. Die Zauberer können auch nur Berichte schreiben, die zu lesen du auch später noch Zeit haben wirst.“   „Mai ist auch deine Schwester. Wir wissen nicht, woher der Fluch kam. Wenn es noch mehr geben könnte, sind wir auf jede Minute angewiesen.“ Atem setzte sich auf und rieb sich über die Augen. „Dieser Bericht jedenfalls war nicht hilfreich.“   „So wie die anderen fünf.“ Tausret deutete auf die Tontafeln auf ihrer Seite des Bettes. „Nichts, was uns hilft.“ Sie verzog die Lippen verächtlich. „Wir wissen nicht, wer das getan hat, wo er sich befindet… Ob er noch mehr plant.“   „Von letzterem müssen wir ausgehen“, murmelte Atem und ließ sich auf den Rücken fallen. Er starrte die Malereien über dem Bett an: Nut, die sich über ihren Gemahl Geb beugte, während sie wie jeden Morgen Ra gebar, den sie abends verschluckte und so in die Unterwelt leitete. Der Schmerz in seinem Herzen ließ Atem den Blick auf seine Zehen lenken. Abwesend wackelte er mit diesen. „Neuigkeiten von Mahaad?“ Er wußte, daß die Frage sinnlos war, genauso wie sie. Tausret hätte ihn sofort geweckt, wenn sie etwas gehört hätte.   Sie tat ihm dennoch den Gefallen, zu antworten. „Leider nicht. Andererseits bedeutet das, sein Zustand hat sich immerhin nicht verschlechtert.“   Atem nickte und angelte seinen Shendit vom Boden, nachdem er sich auf den Bettrand gesetzt hatte. „Ich sollte sehen, ob ich sonst noch etwas tun kann.“ Warme Arme umfingen ihn von hinten, weiche Brüste schmiegten sich keck gegen seinen Rücken.   „Ich hatte gehofft, du würdest die Nacht ebenfalls hier verbringen.“   Atem löste sanft Tausrets Hände und stand auf, damit er sich anziehen konnte. „Es ist gerade ein denkbar schlechter Zeitpunkt dafür.“   Tausret warf sich frustriert zurück auf die Matratze. „Es ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt seit drei Jahren. Ich kann an zwei Händen abzählen, wie oft du in der Zeit nachts in mein Gemach gekommen bist. Noch weniger oft hast du dich mir dann als mein Gemahl genähert.“   Nicht schon wieder! Atem widerstand der Versuchung, sein ohnehin wirres Haar zu raufen. „Dafür hab ich jetzt wirklich keine Zeit“, murmelte er, die Stirn gefurcht. „Die Gegenwart ist gerade drängender als die unabänderliche Vergangenheit.“   „Du bist herzlos!“   Atem wirbelte herum. „Nicht ich mache die gesamte Welt für mein Unglück verantwortlich“, warf er seiner Schwester aufgebracht ins Gesicht. „Ich habe wirklich alles versucht, um deinen Schmerz zu lindern, aber du hast mich jedes Mal fortgeschickt und mir nur zu gut verstehen gegeben, daß ich dir nicht helfen kann. Statt dessen überschüttest du mich mit Vorwürfen.“   „Du weißt nicht, wie sehr ich gelitten habe!“ brüllte Tausret und schleuderte eines der Kissen nach Atem, der diesem mühelos auswich.   „Jetzt gehst du entschieden zu weit“, knurrte er. „Ich habe ebenfalls gelitten! Das hat nicht nur dich alleine betroffen, auch wenn du das gerne alle Welt glauben machen willst. Ich habe mit dir gelitten, ebenso geweint wie du und der Schmerz ist noch immer da. Drei Jahre haben daran nichts geändert, aber ich weigere mich, mein ganzes Leben davon beherrschen zu lassen.“ Er drehte sich um. Er mußte sich wieder sammeln, sonst würde er als weinender Pharao kein sonderlich starkes Bild für sein Volk abgeben.   Tausrets Stimme war schrill und zittrig. „Du hast nicht annähernd soviel verloren wie ich! Und nichts und niemand, nicht mal die Götter selbst, können mir zurückgeben, was sie mir nahmen.“ Sie schluchzte. “Geh, du dummer Kerl! Verschwinde! Warum kann mir dein Anblick nicht so unerträglich sein wie dir der meine?“   „Es tut mir leid“, wisperte Atem, dann floh er fast aus den Gemächern seiner Schwester. Er brauchte einen abgeschiedenen Ort, denn einen weinenden Pharao, wer konnte den schon brauchen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)