Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 7. Kapitel ---------- Würgend mühte sich Ryou aus der Höhle. Dann brach er auf dem erdigen Weg zusammen. Er sog die klare, frische Luft in seine Lungen, schmeckte plötzlich Reinheit statt Tod. Zitternd zog er sich über den Boden weiter zur nächsten Höhle. Doch schon am Eingang lag etwas, das seinen Weg stoppte. Mühsam hob Ryou den Kopf und starrte das Etwas an. Er erkannte und Tränen fielen zu Boden. Nuri! Ihr schlanker Körper nun grotesk verdreht, die Augen auf den Boden gerichtet, die Brust aufgebrochen, die Hände zum Himmel erhoben.   Ryou kroch zurück, unwillig noch mehr zu sehen. Dabei fühlte er doch gar nichts… Nichts… Er verlor den Halt unter seinen Füßen und ließ sich einfach fallen. Er machte keinen Laut, als er in Gestrüpp und Steine fiel, auch nicht, als scharfer Schmerz durch seinen rechten Arm schoß. Blut rann über sein Gesicht.   Schließlich lag er still da, inmitten von Geröll und toten Bäumen. Er lauschte in die Nacht, aber da war kein Laut, nicht mal der Wind. Ryou atmete mühsam ein und aus, sein Herz kämpfte in seiner Brust. War es das? Das Ende?   Ein dunkler Schatten fiel über ihn, rotäugig und mit langen Zähnen. Ryou würgte trocken, als der Gestank von Verwesung und Moder in seine Lunge drang. Mit der linken Hand faßte Ryou einen scharfkantigen Stein, schnitt sich die Finger blutig. Aber er konnte sich nicht weiter bewegen! Er biß sich auf die Lippen, als der Schatten herankroch, stiller als die Wüste, stiller als ein Grab.   Ryou wollte nicht sterben! Er… er wollte leben! Er würde alles dafür geben!   In dem Moment brach ein goldener Lichtstrahl aus Ryous Brust. Der Schatten prallte zurück als hätte er sich verbrannt. Was Ryou nun erblickte, war die geisterhafte Gestalt einer Frau, die über ihm schwebte. Ihr seltsamer Gesang begleitete Ryou bis in tiefste Bewußtlosigkeit. Das letzte, was er noch sah, war sein eigenes Haar, früher schwarz wie die Nacht, das nun leuchtete wie vom Mond geküßt.   ***   Yugi zupfte an seinem neuen Schendit, dann an seinen Haaren; starrte auf sein Spiegelbild, warf die Arme in die Luft, daß die Armreifen klirrten und ließ sich dann auf sein Bett fallen.   Die Dienerin in seinem Zimmer runzelte indigniert die Stirn und legte danach einen weiteren Schurz zusammen. Ihre Lippen preßte sie so fest zusammen, daß Yugi die eigenen schmerzten.   Er stand stumm auf und verließ das Zimmer. Draußen war es nicht viel besser. Überall Diener mit Zeug und Kram, die hierhin eilten und dorthin. Yugi ging die Stiege hinunter. Auf einer Bank saßen Honda und Jono im Eingangsraum. Ihre Blicke richteten sich auf ihn und Yugi verbiß sich ein Stöhnen, so wie die Leibwächter seines Großvaters sich ein Lachen verbissen.   „Ich sehe schrecklich aus, oder?“   „Na ja, es hat wohl jeder mitbekommen, daß der Wesir für dich eine neue Garderobe, Schmuck und Öle geordert hat“, gab Honda zurück. Mitleidig musterte er Yugis Frisur. „Wies aussieht kippen sie dir das meiste Öl auf den Kopf.“   Jono kicherte. „Tja, da haste echt Pech gehabt.“   Yugi grummelte, dann wuschelte er sich durch sein Haar, bis es wieder in alle Richtungen abstand. „Das ist doch der Wahnsinn“, murmelte er. „Vor ein paar Tagen haben meine Haare niemanden gestört. Sie stören ja nicht mal den Pharao!“   „Aber seine Höflinge, Berater, Priester, Hofschranzen und Herrin Tausret, die Giftige“, konterte Jono und stöhnte auf, als Hondas Ellbogen sich in seine Seite bohrte. „Was?“   „So redet man nicht über die Große Königliche Gemahlin. Willst du die Peitsche spüren?“   Jono schnaubte. „Ist trotzdem wahr und jeder weiß es.“   „Also ich nicht. Ich kenne die ehrenwerte Herrin ja nicht mal.“   „Sei froh“, brummte Jono. Diesmal fing er Hondas Ellbogen ab und schob diesen zurück. Honda schnaufte.   Yugi blickte sich um. „Das ganze Zeug kann doch nicht für mich sein, oder? Ich brauche doch keine Möbel mehr.“ Drei Schemel, ein Bänkchen, ein Tisch und ein Kasten stapelten sich in der Mitte des Raumes.   „Wahrscheinlich denkt der Wesir, du bleibst jetzt für immer.“ Honda zuckte mit den Achseln, als Yugi ihn ungläubig anblickte.   Diesmal war Jono es, der seinen Ellenbogen einsetzte. „Hör nicht auf ihn, Yugi. Sicher richtet der Wesir sich nur etwas neu ein.“   „Na, ich weiß nicht… Ich dachte nicht, daß er so reagieren würde.“   „Du gehörst jetzt offiziell zu uns.“ Stolz deutete Jono auf das goldene Gerät an seinem Arm, das sich wie ein Flügel ausklappen ließ. „Bestienzähmer, das sind wir. Bald wirst du an unserer Seite üben und kämpfen.“   Yugi lächelte schwach. Wie sollte er es ihnen nur klarmachen, daß er auf den Kampf-Teil keinerlei Wert legte? Auch sein Großvater hatte nicht zugehört, sondern ihn nur dreimal hintereinander fest an sich gedrückt, ihn gelobt… und dann neue Kleidung für seinen Enkel bestellt. In den letzten vier Tagen war Yugi kaum dazu gekommen, sich mit seinem über die Maßen begeisterten Großvater weiter auszutauschen. Das einzige, was er von diesem erfahren hatte, war, daß auch Jono und Honda Bestienzähmer waren. So hatte er wenigstens zwei Kameraden gefunden, die ihm wenigstens teilweise zuhörten.   „Es hört sich schlimmer an als es ist.“ Honda schien Yugis Zurückhaltung aufzufallen. „Wenn du erst mal deine erste Bestie beschworen hast, wirst du sehen, daß es genau das ist, was du schon immer tun wolltest.“ Er lächelte. „Nur noch ein wenig Geduld! Morgen geht es los.“   „Es wird dir gefallen“, stimmte Jono grinsend zu und wischte sich mit dem Daumen über die Nase.   Yugi verkniff sich ein Seufzen. „Ich weiß immer noch nicht, wie ich das Ganze meiner Mutter beibringen soll. Sie wird so zornig werden, selbst noch Waset wird deshalb beben.“   Honda machte „Hm“ und Jono kratzte sich unter seinem Kopftuch. „Kann es ihr nicht der Wesir sagen?“ schlug der schließlich vor.   „Das würde mir vielleicht fünf Minuten Aufschub geben…“ Yugi nahm sich einen Schemel und setzte sich vor seine zwei neuen Freunde. „Es wäre leichter, wenn ich wüßte, was der Grund für ihre Abneigung gegen Waset und den Hof ist. Aber Großvater läßt sich nichts aus der Nase ziehen, sollte er etwas wissen.“ Frustriert rieb Yugi sich über die Stirn. „Ich habe es wirklich satt, mir deshalb den Kopf zu zerbrechen!“   „Dann hör auf damit“, empfahl Jono. „Die Götter haben dich auserwählt, Punkt. Dagegen kann nicht mal deine Mutter was ausrichten.“   „Stimmt. Arbeite hart, schicke ihr von deinem Sold und wenn du dir Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld verdient hast, wird sie stolz auf dich sein und sich beruhigen.“   „Davon läßt sich meine Mutter nicht beeindrucken. Sie glaubt, Waset ist voll von Opportunisten, Goldgräbern und Speichelleckern.“ Yugi schüttelte den Kopf. „Ich werde es ihr einfach schreiben und wenn hier alles zu wackeln anfängt…“   „Dann wissen wir wenigstens, wieso“, fügte Honda hinzu.   Yugi lachte leise. Sie hatten wahrscheinlich recht. Am besten ließ er alles auf sich zukommen.   „Ah, ihr seid ja gut gelaunt! Das freut mich.“   Yugi drehte sich zu seinem Großvater, der sie freundlich ansah, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Jono und Honda sprangen sofort auf und verneigten sich.   „Großvater! Du bist heute aber früh daheim.“ Yugi stand auf und umarmte diesen kurz. „Du hast dir etwas freie Zeit auch redlich verdient.“   Yugis Großvater schmunzelte. „Das mag sein, aber ganz frei habe ich heute Abend nicht. Und du auch nicht, mein Lieber.“ Er musterte Yugi und seufzte dann. „Was machst du immer nur mit deinen Haaren?“   „Das sollte ich ja wohl euch fragen. Aber was meinst du damit, wir beide hätten nicht frei?“ Yugi kratzte sich an der Wange.   Sein Großvater gab ihm einen Klaps auf die Schulter. „Der Pharao wird sich die Ehre geben, heute Abend mit uns zu speisen. Er bringt die Große Königliche Gemahlin und zwei seiner Ehefrauen mit.“   „W-wirklich?“ Seitdem der Pharao Yugi die Wahrheit über dessen Fähigkeiten enthüllt hatte, hatten sie sich nicht mehr gesehen. Auch nicht abends beim baden. „Gibt es einen besonderen Anlaß?“   „Politik, mein Junge, Politik. Der Pharao wollte auch dich wiedersehen. Er will sich überzeugen, daß du dich inzwischen an deine neue Stellung gewöhnt hast.“   „Nicht wirklich“, murmelte Yugi. Dennoch spürte er sein Herz schneller schlagen. Der Pharao würde hier sein! Vielleicht konnte er Yugis Sorgen doch noch zerstreuen.   „Richte dich her, in einer Stunde werden sie hier sein.“ Yugis Großvater lächelte nochmal ermutigend, dann wandte er sich der Dienerschaft zu, die innerhalb von Sekunden noch schneller durch das Haus hasteten. Aus der kleinen Küche tönte das Gefluche der Köchin.   „Na, das wird sicher ein vornehmer Abend“, meinte Jono und grinste wie ein Honigkuchenpferd. „Der Pharao scheint ja echt einen Narren an dir gefressen zu haben.“   Yugi zuckte zusammen und wandte sich um. „Das glaube ich nicht. Er ist der Lebende Horus. Wenn überhaupt interessiert ihn die Sicherheit des Reiches.“   „Also wegen uns ist er nie zum Abendessen gekommen.“ Honda grinste ebenfalls.   Yugi schüttelte den Kopf, dann ging er nach oben, sich herrichten.   ***   Saftiger Gänsebraten füllte den Raum mit seinem verführerischen Duft. Angenehme, sanfte Klänge untermalten den abendlichen Genuß. Öllampen erhellten flackernd das Zimmer. Die kleinen Tische waren aufgrund der wenigen Teilnehmer dieses Abendmahls zusammengeschoben worden. Kissen bedeckten den Boden. Diener huschten dann und wann herbei, füllten die geleerten Becher wieder auf, trugen leeres Geschirr davon und brachten frische Speisen.   Yugi lächelte, trotz bleierner Augenlider und dem Bedürfnis, seinen Kopf gleich hier auf den Tisch zu legen, ihre hochrangigen Gäste an, die Großvater und ihm selbst gegenüber saßen. Sein Großvater sprach mit dem Pharao über Truppen und Truppenbewegungen. Die Große Königliche Gemahlin Tausret saß neben ihrem Gemahl und zeigte keinerlei Regung. Würde sie nicht ab und an etwas Essen zum Munde führen, Yugi hätte sie für ein sehr lebensechtes Standbild halten können. Die beiden Königsgemahlinnen, eine Prinzessin aus Syrien und eine aus Nubien, unterhielten sich leise miteinander, kicherten ab und zu und warfen auch immer mal wieder einen Blick in Yugis Richtung. Yugi schätzte, daß sie jünger als er selbst waren.   Schließlich wandte sich die nubische Dame an ihn. „Yugi, wie kommt es, daß du, der Enkel des Wesirs, nicht hier am Hofe oder zumindest in Waset aufgewachsen bist?“ Sie spielte mit einem ihrer filigranen Ohrgehänge, das dabei leise klirrte.   Schon wieder diese Frage! Wurde das den Leuten nicht langweilig? Doch Yugi bemühte sich, ein guter Gesprächspartner zu sein. „Meine Eltern haben das Leben auf dem Dorfe vorgezogen. Sie waren keine Großstadtmenschen.“   „Ah, ich kann mir nicht vorstellen, in einer Hütte zu leben, überall Ungeziefer und Gestank!“ Die Prinzessin schüttelte den Kopf. „Hier ist es doch soviel bequemer und schöner!“   „Nicht jeder rennt beim Anblick einer Spinne schreiend davon“, meinte die syrische Dame mit einem kleinen Lächeln. „Vergib ihr, Yugi, sie wurde viel zu sehr verwöhnt. Sie trank noch mit vierzehn Milch bei ihrer Amme.“   „Ts! Mein Vater liebt mich nun mal. Du bist doch nur neidisch.“ Die nubische Gemahlin wandte ihr Gesicht zur Seite und preßte die Lippen aufeinander.   Yugi blickte auf seinen Teller und versuchte, in den Resten von Trauben und Granatäpfeln die Antwort zu finden, warum er solche Gespräche mit anhören mußte. Davon abgesehen schätzte er auch keine Beleidigungen, nur weil seine Familie nicht hier lebte und nicht den merkwürdigen Standards einiger Überverwöhnter entsprach.   „Jeder hat seinen Platz im Leben. Manchmal würde ich gerne mit einem Bauern tauschen. Er hat nur eine kleine Hütte, aber dafür muß er sich nicht die ganze Nacht den Kopf zerbrechen, wie er es allen Recht machen kann.“   Yugi hob den Kopf. Der warme Blick des Pharaos ruhte auf ihm und er erwiderte das Lächeln. Er ignorierte geflissentlich, daß die Herrin Tausret ihn derweil mit Blicken zu erdolchen schien. „Ja, während der Bauer von so einem Festschmaus träumt.“ Yugi hoffte, sein milder Ton hatte den Worten den Stachel genommen.   „Ohne jeden Zweifel“, erwiderte der Pharao, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. „Alle träumen von dem, was sie nicht kennen und ihnen deshalb begehrenswert und verlockend erscheint.“   Yugis Großvater lachte. „Also ich träume von etwas, das endlich meinen Rücken auskuriert.“   Yugi lachte ebenfalls und auch der Pharao zeigte ein verschmitztes, fast schon jungenhaftes Grinsen. „Ich schließe mich frühzeitig an. Ah, entschuldigt mich. Ich muß einen Moment allein sein.“ Damit stand der Gottkönig auf und verließ den Raum. Yugi blickte ihm nach.   Sein Großvater winkte derweil einen Diener herbei, der die Becher neu füllte. Die Königsgemahlinnen kicherten, die Herrin Tausret schob den ihren von sich. „Mein ehrenwerter Gemahl scheint sehr von den neu aufgestellten Truppen angetan zu sein, so sehr wie er dich darüber ausfragt, Siamun.“   „So scheint es mir auch, Große Herrin. Natürlich bin ich froh darüber, daß die Planungen das Wohlwollen Seiner Majestät genießen.“   Yugi hätte schwören können, daß kurzzeitig Unbehagen in den sonst so fröhlichen Augen seines Großvaters aufgeblitzt war. Aber da war es auch schon wieder fort. Er nippte an seinem kühlen Bier, doch sein Kopf wurde ihm nun, da er kein Teil der Gesprächsrunde mehr war, wieder schwer. Er verneigte sich ehrerbietig. „Ich werde mich auch kurz entfernen. Ich brauche dringend etwas frische Luft.“   „Geh nur, mein Junge.“   Mit dieser Erlaubnis erhob Yugi sich und trat aufatmend durch eine zweite Tür in den Garten hinaus. Hier war die Luft frisch und der Kopf wurde Yugi wieder leichter, als er langsam um das Haus herumschlenderte. In regelmäßigen Abständen war ein Soldat postiert. Jeder spannte sich an, sobald er einer zweiten Präsenz gewahr wurde. Nachdem sie Yugi erkannten, entspannten sie sich.   Yugi hatte das Haus fast umrundet, als er ein Rascheln und dann ein Plätschern hörte. Als er den Kopf wandte, entdeckte er den Pharao, der sich die Hände in einem bereitgestellten Eimer wusch. Anscheinend hatte er Yugi gehört, denn er hob den Kopf.   „Hast du es auch nicht mehr ausgehalten?“   „Es war sehr stickig…“   „…und zu persönlich“, beendete der Pharao den Satz und richtete sich auf. Er schüttelte seine feuchten Hände, daß die Tropfen flogen. Seine Augen waren warm, mitfühlend. Yugi wurde plötzlich die Kehle eng und er nickte nur. „Es tut mir leid. Ich hätte sie wohl besser zuhause lassen sollen, aber das hätte Tausret nicht gefallen.“   „Die Große Herrin scheint dennoch wenig Freude an diesem Mahl zu haben.“ Yugi knetete seine Hände, den Blick auf den Rasen gerichtet.   Der Pharao tippte Yugis Kinn an, bis Yugi den Blick wieder hob. „Dafür kannst du nichts. Komm, gehen wir ein Stück.“   Einer der Soldaten erschien wie aus dem Nichts, doch der Pharao machte eine ablehnende Geste und berührte die umgekehrte Pyramide, verziert mit einem Horusauge, die um seinen Hals hing. Der Soldat zog sich nach einer Verneigung wieder zurück.   Yugi starrte das seltsame Schmuckstück an. Der Pharao hatte es nicht getragen, als sie sich beim Baden getroffen hatten und soweit er sich erinnern konnte auch nicht als Yugi offiziell sein Gast gewesen war. Selbst für den Pharao wirkte es etwas groß und zu protzig.   „Yugi?“   Der schreckte auf. „Äh, ja. Gehen wir.“   Der Pharao schlug einen kleinen Pfad ein, der in Richtung der Palastmauern führte. „Hast du dich inzwischen etwas an deine Berufung gewöhnt?“   „Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Yugi, der neben dem Pharao ging. „Morgen geht es los, gleich ob es mir gefällt oder nicht.“   „Was stört dich? Außer der Reaktion deiner Mutter, meine ich. Dein Großvater war ja ganz aus dem Häuschen.“   „Ich will nicht kämpfen. Wirklich nicht. Ich will Frieden.“   Der Pharao berührte kurz Yugis Unterarm und hinterließ dabei angenehmes Kribbeln. „Glaub mir, ich liebe das Kämpfen auch nicht. Frieden ist wahrlich die beste Lösung.“   „Aber?“ Yugi warf seinem göttlichen Begleiter einen Blick aus den Augenwinkeln zu.   Der Pharao verzog das Gesicht. „Ich kann kaum beeinflußen, welchen Weg andere Herrscher bevorzugen. Wenn sie Krieg wünschen, kann ich ihnen mein Volk nicht ausliefern.“   Yugi biß sich auf die Unterlippe und nickte zögernd. „Ich fühle mich dennoch nicht wohl damit. Nicht mal mein Vater dachte an eine militärische Laufbahn für mich.“   „Er hat den Dienst hier sehr plötzlich verlassen, laut den Aufzeichnungen. Ungewöhnlich für einen Mann, der Ehrengold von meinem Vater erhielt und in mehreren Schlachten erfolgreich gekämpft hat. Er drängte zum Beispiel syrische Truppen von Waset ab in die Wüste und verteidigte Minnefer gegen einen Ansturm von Räubern und Mördern. Er hätte leicht militärischer Berater und General der Generäle werden können, dennoch entschied er sich, mit Frau und Kind aufs Land zu ziehen, um dort eine Töpferei zu eröffnen.“   Yugi lächelte. „Er sagte immer, er hätte genug Schlachtfelder für zwei Leben gesehen. Er meinte auch, ich solle mein Auskommen im Frieden finden, nicht im Krieg. Vielleicht sind meine Eltern deshalb fort: Damit ich kein Bestienzähmer werde.“   „Vielleicht.“ Der Pharao hielt inne und Yugi tat es ihm gleich.   Sie blickten einander an und Yugi hatte auf einmal Herzklopfen und feuchte Hände. Er hatte nicht vergessen, wie der Pharao beim Baden aussah und auch nicht die stille Stärke, die er ausstrahlte. Yugi schluckte mühevoll.   „Du wirst es weit bringen, Yugi.“   „Ich weiß nicht…“   „Ein wenig mehr Mut!“ Der Pharao lächelte und Yugis Wangen wurden daraufhin warm. „Ich weiß, du kannst es.“   „Weil ich aus einer Familie guter Bestienzähmer stamme?“   Der Pharao lachte, ein angenehmes Geräusch, das sich in Yugis Bauch zusammenrollte und Wärme abstrahlte. „Weil du deinen Kopf benutzt und dich nicht scheust, Fragen zu stellen, zum einen. Zum anderen… Weil ich keine blutrünstigen Krieger will, sondern Menschen, denen Frieden am Herzen liegt. Also Menschen wie dich.“   Yugi errötete, noch mehr, als der Pharao einfach seine Hände nahm und sie sanft festhielt. „L-lebender Horus…“   „Wir sind unter uns. Ich würde es vorziehen, wenn du mich bei meinem Namen nennst.“   „I-ich bin mir… nicht sicher… Wir kennen uns ja kaum. Ich will nicht unverschämt sein.“ Yugi wurde warm. Atems Hände schienen ihm wie kleine Öfen zu sein.   „Oh, wir werden uns kennenlernen. Oder glaubst du, ich muß meine Fähigkeiten nicht üben? Immer und immer wieder?“   Yugi konnte den Blick nicht von den brennenden Augen des Pharaos abwenden. Wahrlich, der Sohn des Ra, so wärmend und doch so wild. „Wahrscheinlich schon…“ Yugi lächelte.   „Dann siehst du doch ein, daß wir uns bald gut kennen werden.“   Yugi nickte und sein Körper lehnte sich nach vorne, wie ein Stück Metall angezogen von einem Magneten.   „Oh großer Pharao!“   Wie Kinder, die man bei einer dem elterlichen Auge unerwünschten Tat aufgefunden hatte, fuhren Yugi und der Pharao auseinander. Ein Soldat, die Augen zu Boden geneigt, deutete auf einen sehnigen Mann, der, ebenfalls seinen Blick nach unten gerichtet, vortrat, den linken Fuß immer nach vorne.   „Eine Botschaft aus Esna, für den Lebenden Horus höchstpersönlich. Gepriesen möge er sein! Glorreich und mächtig, Herr der zwei Länder, Bezwinger der Feinde!“   Der Pharao nahm die dargereichte Lehmtafel entgegen und studierte sie mit zusammengezogenen Brauen. Je mehr er las, desto düsterer wurde sein Blick. Yugis Magen zog sich schmerzhaft zusammen.   „Bringt den jungen Mann hierher zu mir. Ich werde mich selbst überzeugen, ob seine Worte der Wahrheit entsprechen oder einer Geisteskrankheit entsprungen sind“, befahl der Pharao schließlich.   Der Bote verneigte sich tief. „Wie du es befiehlst, Oh Göttlicher! Ich werde sofort…“   „Du kannst morgen früh aufbrechen“, unterbrach der Pharao ihn. „Soldat, sorg dafür, daß der Mann eine Unterkunft für die Nacht und Essen für seine schnelle Reise erhält.“   „Sehr wohl, großer Herr der Sonne. Mögest du ewig leben, heil und gesund.“   Der Bote wiederholte die Segensformel, dann verschwanden die Männer im Dunkel der Nacht. Der Pharao atmete mehrmals heftig ein und aus, die Augen geschlossen.   „Keine gute Nachricht?“ wagte Yugi schließlich, das Schweigen zu durchbrechen.   „Nein.“ Der Pharao blickte erneut auf die Lehmtafel, dann schüttelte er den Kopf. „Ich fürchte, auf uns kommen dunkle Zeiten zu.“   Yugi nickte kurz. Seine Hände waren inzwischen nicht mehr warm, sondern klamm und klebrig. Etwas unangenehm Kaltes lag in der Luft und legte sich über Yugis Haut wie ein Schleier. Yugi zitterte und schlang beide Arme um seinen bis auf den Halskragen bloßen Oberkörper.   Der Pharao seufzte und ließ die Botschaft sinken. „Es tut mir leid, Yugi.“   „Es ist nicht deine Schuld, Atem.“   Die Nennung seines Namens ließ den Pharao lächeln. „Ich hoffe es. Aber mein Versuch, dich aufzumuntern, hat dennoch keine Früchte getragen. Meine Anwesenheit ist wohl mehr eine Belastung für dich als eine Bereicherung, Yugi.“   Yugi trat zu Atem. „Ich bin verwirrt über meine Zukunft, das will ich nicht verhehlen. Aber du bist nicht schuld an der Botschaft, genauso wenig wie der Bote eben. Oder?“   Atem strich mit den Fingerspitzen über Yugis erglühende Wange. „Wie ich sagte: Du bist ein kluger junger Mann.“   Yugi fühlte Wärme in der Brust. In einvernehmlichem Schweigen kehrten sie dann zu dem ausgedehnten Abendmahl zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)