Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 6. Kapitel ---------- Yugi konnte sich nicht erinnern, warum er zu dem Badebecken gegangen war. Das einzige, was er wußte, war, daß er nun am Rand saß und die Beine ins Wasser hielt wie der Pharao gestern Abend. Yugi stöhnte und raufte sich seine Haare, bis diese wieder wirr und aufsässig in alle Richtungen abstanden. Argh!   Yugi ließ seinen Oberkörper auf die Bodenplatten fallen und starrte hinauf zu Nuts hellblauem Leib, der sich über ihren Gemahl Geb wölbte. Wie sollte Yugi diese Sache nur seiner Mutter erklären? Sein Großvater würde sicher hocherfreut sein, daß Yugi über solch außergewöhnlichen, Kemet dienlichen Fähigkeiten verfügte, aber Yugis Mutter war von anderer Denkweise. Sie würde ohne jeden Zweifel wie die Löwengöttin Sachmet den Kampf mit dem Pharao aufnehmen, um ihr einziges Kind zu beschützen. Und Yugi konnte ihr das nicht vorwerfen, denn er selbst wollte auch kein Krieger werden, gleich wie sehr es den Göttern gefallen mochte. Aber das konnte er ja schlecht so direkt dem Pharao ins Gesicht sagen! Der Pharao war schon mehr als nur gnädig gewesen.   „Ich stecke tief in der Tinte“, murmelte Yugi. „Große Götter, ich weiß nicht, was ihr ausgerechnet mit mir wollt! Ich bin schwach und unbedeutend und nicht dafür geschaffen, zu kämpfen. Ich wünsche mir doch einfach nur Frieden… Ist das schon zuviel verlangt?“ Er schwieg und lauschte auf den Wind, der durch die Zedern fuhr, die Zikaden, die im Gras ihre eigene Musik spielten. Die Götter waren überall, so sagte man. Sie lebten in jedem Tier, in jedem Wasser, jeder Pflanze, sogar in der Luft. Doch keiner richtete sein Wort an Yugi, keiner gab ihm ein Zeichen. Aber er war ja auch nicht der Pharao, der Vermittler zwischen Göttern und Menschen. Yugi war nur ein Töpfer. So hatte er es jedenfalls immer geglaubt. Doch nun sah es anders aus. Er war ein Bestienzähmer.   „Wieso haben sie mir das nicht gesagt?“ Yugi bewegte seine Beine und hörte es plätschern. „Mutter muß es wissen. Und Großvater weiß es auch. Warum haben sie es mir verschwiegen?“ Yugi tastete über seine Brust. Er dachte an das goldene Licht, das sich aus der Brust des Pharaos gelöst hatte wie ein Tropfen Wasser aus einem überfüllten Kelch. Was mochte wohl in seiner eigenen Brust schlummern? Gab es da überhaupt einen Unterschied? Der Pharao hatte nichts dergleichen erwähnt, aber das mußte ja nichts heißen. Er hatte Yugi ja fortgeschickt, weil diesem das Thema so unangenehm geworden war.   Wenn er nicht kämpfen sollte, dann hätte Yugi wirklich nichts dagegen, ein dermaßen freundliches und herziges Wesen als Begleiter an seiner Seite zu wissen. Doch allein der Gedanke, Kuriboh in einen Kampf zu schicken, mißfiel ihm. Dazu kam dieses Seelen reinigen, Monster in Steintafeln zu bannen und ähnliches, worunter er sich nur schwer etwas vorstellen konnte. Yugi schloß die Augen. Was sollte er nur tun? Aber eigentlich war diese Frage müßig. Der Pharao hatte ja schon zum Ausdruck gebracht, daß jeder Bestienzähmer gebraucht wurde, auch Yugi. „Das schaff ich nie“, murmelte er. „Das ist alles zuviel!“ Damit zog er die nassen Beine an seine Brust und ließ den Tränen freien Lauf. „Papa, ich brauche dich so sehr…“   ***   Der zerklüftete, rostfarbene Fels ragte wie ein brennender Turm in den sich verdunkelnden Himmel. Selbst den Kopf in den Nacken gelegt konnte Ryou die Spitze nicht erkennen. Abwesend tätschelte er den Hals seines Esels, bevor er von dessen Rücken glitt.   „Hältst du das wirklich für einen guten Rastplatz für die Nacht, Khelim?“ Menes rieb sich durch seinen dunklen Bart und musterte die Gegend voller Abneigung.   „Wir werden kaum einen besseren finden. Die nächste Oase können wir erst morgen erreichen.“ Der alte Khelim nahm ächzend auf einem Felsbrocken platz. „Ah!“   „Schmerzt dir dein Rücken wieder, Großonkel Khelim?“ erkundigte Ryou sich und eilte zu diesem.   Khelim lachte, daß sein lockiger, weißer Bart wackelte. „Es ist kein Vergnügen, alt zu werden. Aber bevor ich einer dieser elenden Hüttensitzer werde, falle ich doch lieber tot von meinem Esel und lasse mich hier in der Wüste begraben.“ Er spuckte aus, während Ryou seinen Rücken abtastete.   „Elend sind sie wohl kaum. Sie haben immer zu essen und müssen nicht jede Nacht fürchten, von Schakalen angefallen zu werden“, gab Ryou zu bedenken, dann wühlte er in dem ledernen Säckchen, das er am Gürtel trug. „Du solltest wieder die Salbe benutzen. Sie wird dich entspannen und deine Schmerzen lindern, Großonkel Khelim.“   „Faul sind sie, nutzlos und wehrlos! Die Götter haben uns nicht gemacht, um tagaus, tagein am selben Platz zu sitzen.“ Khelim ächzte wieder und blickte mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel. „Menes, wie lange, bis wir Waset erreicht haben?“   „Wenn wir die Oase am Maul der Wildnis morgen erreichen, dann insgesamt noch drei Tage. Wir werden sicher wieder gute Geschäfte mit den Hüttensitzern machen. Du kannst schimpfen auf sie, soviel du willst, Onkel, aber ihre Keramiken sind besser als unsere und Korn haben sie so gut wie immer für ein Tauschgeschäft übrig.“   „Aber wir sind es, die ihnen fremde Gewürze bringen, Edelsteine und all den anderen Tand, mit dem sie ihre Tempel ausschmücken. Diese Faulpelze alleine würden nie soweit kommen wie wir.“   Ryou hatte sich einen zweiten Felsbrocken mit vergleichsweise ebener Oberfläche ausgesucht und breitete auf diesem seine Kräuter aus. Er kannte den Disput zwischen Großonkel Khelim und Onkel Menes nur zu gut. Er gab Menes recht, aber er war zu jung, um sich deshalb mit ihrem Stammesältesten streiten zu dürfen, selbst wenn er mit diesem verwandt war. Ryou sortierte Büschel von Kräutern, Samen, getrocknete Blüten und Blätter. Dann füllte er eine Auswahl davon in einen Stein, dessen Mitte inzwischen schon poliert und tief gesunken war. Mit einem zweiten Stein zerdrückte er die Zutaten, dann spuckte er kräftig hinein, bevor er weiter machte. So bildete sich mit der Zeit eine grünliche Paste, die angenehm nach Minze roch. Die fertige Salbe gab Ryou in ein verschließbares Töpfchen, das mit dem Antlitz der Göttin Sachmet geschmückt war. Ein schönes Stück, das er vor einer Weile einem jungen Töpfer abgekauft hatte im Tausch gegen einen toten Hasen und zwei Handvoll Nüße.   „Großonkel Khelim? Ich habe die Salbe fertig“, wandte Ryou sich an diesen. „Soll ich dich gleich einreiben?“   „Das überlaß nur meiner Frau, Ryou. Hilf lieber, alles in die Höhlen zu bringen. Oder willst du hier im Freien schlafen?“   Ryou schüttelte den Kopf und übergab seinem Großonkel das Töpfchen. „Ich weiß nicht, aber ich fühle mich hier nicht wohl…“   „Die Rote Nadel ist nicht der beste Ort, aber bei einem Sandsturm sind wir in ihren Höhlen gut geschützt.“   Menes schnaubte. „Höhlensitzer sind nicht besser als Hüttensitzer“, bohrte er erneut nach. „Außerdem sagen alle inzwischen, man sollte hier nicht nächtigen, hier gingen die ruhelosen Geister um.“   „Wirklich?“ Ryou, der gerade seine Zutaten wieder einpackte, hob den Kopf. „Richtige Geister?“   „Setz deinem Neffen nicht so einen Unsinn in den Kopf, Menes. Dann kann er wieder die ganze Nacht nicht schlafen. Los, schafft die Sachen rein, ihr abergläubischen Esel!“   Ryou lächelte verhalten und nahm seinen Esel am Strick, dann führte er sein getreues Reit- und Lastentier den ausgetretenen Pfad hinauf zu den Höhlen. Die Rote Nadel! Hier gab es also Geister. Neugierig blickte er sich um. Wüste und Felsen lagen unter ihnen und wurden schnell von den hereinbrechenden Schatten wie von Schakalen verschlungen. Die Sonne warf nur noch einen letzten Schein über den Horizont, darüber färbte sich der Himmel, als hätte jemand dunkle Tinte verschüttet. Aus einer der Höhlen ertönte ein ungeduldiges Mähen und Mädchen und Frauen eilten mit Krügen und Eimern herbei, um die Ziegen von ihrer Last zu befreien. In der nächsten Höhle hatten es sich die unverheirateten Männer gemütlich gemacht, gemeinsam mit ihren Eseln oder Pferden.   Ryou zog seinen tierischen Begleiter ganz nach hinten in die Höhle und fand dort noch ein passendes Fleckchen, auf dem er sein Lager bereiten konnte. Einer seiner Vettern brachte ihm Heu und Wasser für seinen Esel.   „Reichen unsere Wasservorräte noch?“ erkundigte Ryou sich und betastete seine eigene Lederblase.   „Dank des Zaubers der alten Hexe können wir nun genug Wasser mit uns führen. Und natürlich auch Milch! Sicher kommen die Frauen gleich und dann bekommen wir heute auch noch etwas zu essen.“ Djadi lachte. „Großvater meckert immer über die Städte, aber ich wäre ehrlich froh, wenn ich in einer leben könnte.“   „Laß ihn das nur nicht hören! Aber ich fände das auch schön. Als Heiler muß sich doch auch bei den Kemetern etwas verdienen lassen.“   „Zweifellos“, antwortete Djadi und seine braunen Augen musterten die anderen Männer, dann senkte er verschwörerisch seine Lautstärke. „Und die kemetischen Mädchen… Diese schlanken Taillen und ihre dünnen Gewänder. So ein Mädchen würde ich gerne zur Frau nehmen.“   Ryou wurde rot und kicherte leise. „Aber unsere Frauen sind auch nicht gerade häßlich.“   „Naja… Die Kemeterinnen sind aber nicht so langweilig. Weißt du, daß sie dort nur nackt tanzen? Und sie duften richtig gut.“ Djadi lächelte verträumt. „Hier stinkt alles nur nach Vieh und ihrem Dreck und wegen der Sonne jeden Tag zieht sich hier auch keine mal aus.“   „Kemeter sind eben anders.“ Ryou setzte sich auf seine Decken, Djadi folgte ihm. In der Tat kamen nun die Frauen und verteilten Brot, Obst, ein wenig Dörrfleisch und Milch. Wie immer waren die Frauen von Ryous Stamm in mehrere Lagen gekleidet, um so ihre Haut vor der Sonne zu schützen. Sobald sie wieder allein waren, nahm Ryou einen Schluck Milch. „Aber schön sind ihre Städte schon. Kein Herumziehen, keine Räuber, keine schmerzenden Hintern, die ich versorgen muß.“   „Sei froh, daß du Heiler bist. Ich bin nur Hirte und darf diesen stinkenden Biestern ständig hinterherrennen.“ Djadi verdrehte die Augen. „Weißt du was? Wenn wir in Waset sind, dann sehen wir uns mal um. Es wäre doch gelacht, wenn wir dort keine Arbeit für uns finden würden.“   „Großonkel Khelim wird sehr wütend werden“, gab Ryou zu bedenken, aber er fühlte sich nicht eingeschüchtert bei dem Gedanken.   „Wir beiden werden den Stamm sowieso nie anführen dürfen. Wir haben jedes Recht, für unsere Zukunft nach eigenem Gutdünken vorzusorgen. Stell dir vor, nächstes Jahr um die Zeit könnten wir dem alten Khelim schon unsere Bräute vorstellen und im übernächsten unsere ersten Kinder in unseren eigenen Häusern.“   Ryou lächelte. „Glaubst du, wir finden so schnell passende Mädchen?“   „Du ganz bestimmt!“ Djadi deutete direkt auf Ryous Nase. „In der letzten Stadt ist dir eine ganze Horde nachgestiegen. Eine schöner als die andere. Du wirst schneller verheiratet sein als du es dir in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst.“   „Unsinn! Du bist kräftig und kannst zupacken. So einen Mann wollen Frauen, keinen Schwächling wie mich.“   „Dafür bist du klug! Heiler werden überall gebraucht, schon vergessen?“   Ryou schüttelte den Kopf. „Aber noch sind wir nicht in Waset.“   „Mhm. Vater sagte, hier würde es spuken?“   „Ja“, erlaubte Ryou erleichtert den Themenwechsel. „Meinst du, sie werden sich uns zeigen?“   Djadi verzog das Gesicht. „Du bist gruselig! Wer will sowas schon?“   „Normalerweise sind sie völlig harmlos. Ich habe schon mal einen gesehen, da war ich ein Kind und…“   „… und er hat die Schakale vertrieben, die dich fressen wollten. Ich weiß, Ryou“, beendete Djadi die Geschichte in der Kurzfassung. „Aber ich fühle mich viel wohler, wenn mir die einen wie die anderen fernbleiben.“   Damit wandte Djadi sich seinem Essen zu und auch Ryou richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Füllung seines ungeduldigen Magens. Nach einer Weile verstummten auch die letzten Gespräche und jeder Mann zog sich auf sein Lager zurück. Ryou schmiegte sich an seinen Esel und schloß die Augen. Nur noch schwach drang der Schein des Lagerfeuers durch seine Lider und schon bald wußte er nichts mehr.   Ein Schrei drang an Ryous Ohr und bohrte sich tief in seinen Schädel. Hoch, durchdringend, entsetzt, bis er plötzlich abbrach in einem grauenvollen Knacken und Gurgeln.   Ryou saß sofort aufrecht. Sein Herz klopfte ihm bis zum Halse und mit feuchten, tauben Händen krallte er sich in seine Decke. Er strengte seine Augen an, aber die Dunkelheit um ihn war undurchdringlich, er konnte nicht mal seinen Esel neben sich sehen. Er hörte aber ein leises Scharren und Kratzen als würde etwas über den Boden gezerrt. Langsam streckte Ryou die Hand aus, ertastete Fell. Und dann… Etwas warmes, flüßiges. Ryou zog verwirrt die Hand zurück und schnupperte an ihr. Der Duft von Kupfer stieg ihm in den Kopf und ließ seinen Magen sich krampfhaft zusammenziehen.   Ein Knacken ertönte aus Richtung des Höhleneinganges so als würde jemand verdorrte Äste zertreten. Ryou krabbelte vorsichtig aus seinen Decken, spürte immer wieder die warme Feuchtigkeit an seinen Händen und Beinen. Vorsichtig, ganz vorsichtig… Sein Magen fühlte sich an wie mit glühenden Kohlen gefüllt. Schließlich konnte er hinter seinem nun völlig stillen Esel hervorkrabbeln. Nun nahm Ryou einen leichten Schimmer auf dem Boden und an den Wänden war. Vorsichtig kroch er weiter, ertastete etwas Hartes mit einer Hand und schloß unwillkürlich die Finger darum. Eine Art Stab oder Ast… Ryou fragte sich, welchem seiner Vettern er gehören mochte, aber er konnte nicht sehen, wer hier schlief. Langsam kroch er zu dem nächsten Lager und stieß den Körper an, der darauf ruhte. Nichts. Noch ein Stoß, diesmal härter, erneut keine Reaktion. Ryou glaubte, alles würde sich um ihn drehen, als sich nicht mal die Brust des Körpers vor ihm hob oder senkte.   Stumm, mit großen Augen, ließ Ryou von dem Toten ab und kroch weiter zum Ausgang der Höhle, weiter auf das Mondlicht zu. Sein Herzschlag trommelte in seinem Kopf und seine Knie schmerzten. Wieder etwas Warmes, das sich an seine Haut schmiegte, stinkend und feucht. Ryou preßte die Kiefer aufeinander. Weiter, weiter! Nur immer leise und vorsichtig. Endlich konnte Ryou den Ausgang sehen. Der Mond schwebte am Himmel, geschmückt wie eine hohe Dame mit Schleiern. Ryou wünschte sich nichts mehr, als den Schleier fortzureißen, der sich über ihn selbst gelegt hatte. Ein Tuch aus Entsetzen und Schweigen.   Da rissen die Wolken auf und das Licht des Mondes ergoß sich in die Höhle. Ryou konnte nicht anders, er mußte seinen Kopf umwenden. Seine Welt stürzte unter seinen Fingern und Knien fort.   Blut hatte Boden und Wände in saftiges Rot gefärbt. Geöffnete Augen starrten blind und unbeweglich in die Nacht. Zerrissene Leiber lagen dort, wo sich vor wenigen Stunden noch Menschen zum schlafen niedergelegt hatten.   Ryou blickte auf seine Hand, starrte auf das weiße Gebein zwischen seinen Fingern. Keuchend schleuderte er es fort, dann krümmte er sich in entsetzlichem Kampf und sein Abendessen klatschte auf den Steinboden. Saurer Gestank kroch in seine Nase.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)