Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 1. Kapitel ---------- Der Pfeil schoß sirrend in den Himmel, das Licht Ras gleißte an der Spitze, daß es einen blendete. Ein entsetztes Quaken, gefolgt von dem Geräusch unkoordinierter Flügelschläge ertönte, kurz darauf platschte es und ein Diener in einem kurzen Schurz rutschte halb die Böschung hinunter in seinem Bemühen, die Ente für seinen Herrn aus dem Wasser zu ziehen. Besagter Herr schenkte dem Geschehen keinerlei Beachtung, sondern griff mit einem sehnigen Arm den dargebotenen Alabasterbecher, in dem sauberes Wasser blitzte. Das Mädchen, das den Becher gebracht hatte, tupfte mit einem Tuch den Schweiß von Stirn und Nacken, wobei es nicht wagte, seinen Herrn direkt anzusehen. Sobald es fertig war, nahm es den Becher entgegen und eilte zurück unter das schattenspendende Segel, das man für die hohe Jagdgesellschaft aufgestellt hatte.   Inzwischen hatte jeder der Jäger sich darunter zurückgezogen, um sich mit Wasser und Bier abzukühlen. Jeder, bis auf den jungen Pharao, der nun erneut den Bogen hob, den Pfeil anlegte und die Sehne bis zu seinem Ohr zurückzog. Seine violetten Augen fixierten einen kleinen Punkt am Himmel, da flog der Pfeil auch schon hinauf in luftige Höhen und brachte dieses Mal einer verirrten Nilgans den Tod.   "Großartig!" rief einer der anderen Jäger, die anderen klatschten. Die Frauen auf ihren Tüchern und Kissen gurrten und fächerten sich noch stärker Luft zu, während sie dem Pharao unter gesenkten Lidern Blicke zuwarfen, die es an Hitze mit den Strahlen Ras aufnehmen konnten.   Mahaad ließ seine eben noch verschränkten Arme sinken und nahm seinen Becher auf. Atem war ganz in seinem Element. Einer der Jäger war so dumm gewesen, zu wetten, wie viele Wasservögel wohl jeder einzelne erlegen würde und natürlich setzte Atem nun alles daran, auch diese Herausforderung zu meistern. Ein Kopftuch über die widerspenstigen Haare gezogen trotzte er nun länger als jeder andere der Sonne und die unglücklichen Vögel stapelten sich bereits.   Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, daß Tausret, die Große Königsgemahlin, ihre rot geschminkten Lippen nach unten zog. Steif wie eines ihrer Standbilder harrte sie auf ihrem Stuhl aus, eine Hand um einen Fliegenwedel gekrampft, den sie aber nicht benutzte. Statt dessen warf sie ihrer unglücklichen Fächerträgerin immer wieder einen vernichtenden Blick zu, wenn diese ihre Pflicht nicht zur Befriedigung ihrer Herrin ausführte. Also so gut wie immer. Zu ihren Füßen lagerte das restliche Weibsvolk des Pharaos, tratschend und tuschelnd, jede Bewegung ihres Gemahls und Herren beobachtend. Die Verachtung Tausrets war so spürbar wie ein Mückenstich.   Mahaad erlegte ein weiteres dieser blutsaugenden Biester mit seinem eigenen Fliegenwedel. Größeres Getier hatte er nie gejagt. Er schloß die Augen, bis er einen leichten Stoß in die Rippen verspürte. Er schlug die Augen auf und wandte sich seinem Nebenmann zu. "Werter Siamun", nahm er den Wesir zur Kenntnis.   "Mein lieber Mahaad, du bist sicher so erschöpft wie wir alle, aber noch dürfen wir nicht ruhen." Siamuns mahnender Blick wurde besorgt, als er hinüber zu Atem sah.   Mahaad verkniff sich ein Schnauben. "Ich hätte mich in meinen Studien vergraben sollen. Statt dessen sehe ich zu, wie unser allmächtiger Herr den Nil entvölkert. Und, mit Verlaub, es stinkt hier."   Siamun kicherte. "Ja, das läßt sich leider nicht ändern."   Mahaad hatte wirklich die Nase voll. Der aufgeheizte Nil roch äußerst unappetitlich, doch die tausend Öle und Salben, mit der die Gesellschaft eingerieben war, gemischt mit dem Schweißgeruch, war wie ein Schlag in die Magengrube und preßte einem das letzte bißchen guter Luft aus den Lungen. Ja, er haßte die Jagd wahrhaftig und wäre es nicht Atem zum Gefallen gewesen, er hätte es wie Mana gemacht und sich nicht aus seiner kühlen, gestanklosen Kammer gewagt. So aber mußte er hier aushalten, bis der Pharao allen seine überwältigenden Fähigkeiten als Jäger bewiesen hatte. Mahaad hatte das starke Bedürfnis, den unglückseligen Wetterfinder in eine Kröte zu verwandeln.   "Gräme dich nicht zu sehr. Wenigstens haben die Frauen etwas zu sehen." Siamun bedachte die Gruppe zu Füßen der Großen Königsgemahlin mit einem amüsierten Blick.   "Sie sind so vorhersehbar. Ich weiß nicht, was unser Pharao an ihnen findet." Mahaad ließ seinen Becher aufs Neue mit Wasser füllen.   Siamun drehte derweil sein eigenes Trinkgefäß in den Händen. "Ich weiß zumindest, was er sucht: Einen Erben."   Mahaad schüttelte den Kopf. Ein weiterer Vogel stürzte vom Himmel, begleitet vom Applaus der Jagdgesellschaft. "Fünf Töchter von fünf Frauen sind kein gutes Omen", murmelte er.   "Du bist doch nicht abergläubisch?"   "Nicht mehr als du, alter Freund. Sag, beunruhigt es dich nicht auch, wovon der Pharao letztens sprach?" Unweigerlich senkte Mahaad die Stimme, während er die Leute um sie herum taxierte.   Siamun beugte sich zu ihm. "Wen würde das nicht beunruhigen? Es..."   Eine kräftige Stimme schnitt durch ihr Gespräch wie ein Messer durch Fleisch. "Siamun, Mahaad! Kommt, begleitet mich ein Stück! Dort hinten sitzt ein ganzer Schwarm dicker Enten." Der Pharao selbst deutete vage auf den Nil hinaus. Ein Lächeln enthüllte gut gepflegte Zähne. Mahaad warf Siamun einen schicksalsergebenen Blick zu, dann erhob er sich. Siamun mußte sich von zwei Jünglingen aufhelfen lassen, Mahaad konnte das Knacken der Knochen deutlich hören. Zusammen gingen sie zum Pharao, der sie bereits ungeduldig erwartete. Mit einer kurzen Geste hieß er die Diener, zurückzubleiben, während er am Nil entlangschritt. "Ich werde euch nicht lange aufhalten", murmelte der Pharao.   "Mit Verlaub, wann willst du diese Jagd für beendet erklären? Du hast bereits deine Meisterschaft bewiesen, Atem."   "Mahaad, ich brauche deinen Rat. Wo sonst können wir wirklich ohne Zeugen sprechen?" Atem blickte mit zusammengekniffenen Augen über die glänzende Wasseroberfläche. Mahaad folgte seinem Blick. Lediglich eine Barke zog gemächlich über das Wasser, gelenkt von einem bulligen Mann. Unter einem Sonnensegel räkelte sich nackt eine junge Frau, die sich von einem Diener die Beine massieren ließ.   "Denkst du, sie würden uns belauschen?"   "Du bist der Zauberer, sag du es mir."   Mahaad hob eine Hand und murmelte ein paar Worte. Kurz erglühte ein Siegel auf seiner Hand. "Wir sind vorerst sicher. Aber das hättest du auch im Palast haben können."   Atem schüttelte den Kopf. "Zu auffällig. Hier draußen hingegen..." Verächtlich blickte er erneut zu der Barke. Die junge Adlige hatte den Diener über sich gezogen, der sich nun rhythmisch bewegte. "Die Träume sind wieder gekommen. Sie waren sogar noch stärker als damals in Ras Tempel." Er schloß die Augen. "Alles war voller Blut und Schwärze."   Mahaad tauschte einen Blick mit Siamun. "Du denkst, du siehst wahrhaftig die Zukunft?"   "Es ist Ras Wille, sie mir zu zeigen." Atem öffnete die Augen, in ihnen lag die Schärfe eines Falken. "Ich wollte Antworten von meinem göttlichen Vater und er hat sie mir erschlossen."   Mahaad erinnerte sich noch gut daran. Das Traumorakel sollte jedem die Wahrheit seines Weges zeigen. Dafür hatte sich der Pharao nach altem Brauch in einen Tempel begeben und dort allein die Nacht verbracht. Seit damals plagten ihn die Träume der Zukunft fast jede Nacht. "Bisher gab es keine Anzeichen für Krieg. Alles ist ruhig."   "Du zweifelst an meinen Worten, Mahaad?"   Siamun, der bisher geschwiegen hatte, sprach: "Ich denke, Mahaad klammert sich an die Hoffnung, daß es doch nur ein Traum war. Ich kann es ihm nicht verdenken."   Atems Stimme war schneidend. "Glaubt ihr, ich würde euch davon erzählen, wenn ich mir nicht sicher wäre?" Er machte eine irritierte Handbewegung, der Bogen zitterte. "Es ist, wie ich es sagte: Eine große Dunkelheit nähert sich uns. Etwas von Grund auf Böses. Ich spüre, daß es kein gewöhnlicher Krieg sein wird."   "Also gut. Woher kommt diese Bedrohung?" hakte Mahaad nach. Atem zuckte mit den Schultern. "Sie haben dich noch nicht erleuchtet?"   "Nein, was das betrifft, sind die Götter schweigsam." Atem fixierte den Bogen in seinen Händen mit durchdringendem Blick. "Oder ich bin nicht fähig genug, ihre Worte zu entschlüsseln."   "Das darfst du nicht sagen! Du bist..."   "Der Sohn der Götter", schnitt Atem Siamun das Wort ab, dann seufzte er schwer. "Du mußt mich wahrhaftig nicht erinnern. Wie könnte ich je mein Erbe vergessen oder die schwere Doppelkrone auf meinem Kopf?"   Mahaad trat vor und legte seinem alten Freund die Hand auf die feuchte Schulter. "Wir stehen immer an deiner Seite, Atem."   Der nickte, dann wandte er seinen Blick in den Himmel. "Schon so spät? Wir sollten zum Palast zurückkehren."   Mahaad atmete erleichtert auf. Atem entging es offenbar nicht, denn seine Mundwinkel hoben sich. "Es kann nicht jeder solchen Gefallen an der Jagd finden."   "Am meisten mag ich, daß mich meine Frauen dann nicht die ganze Zeit belagern", konterte Atem trocken, doch sein Lächeln blieb. "Gehen wir zurück."   Mahaad folgte seinem Freund und König in angemessenem Abstand zurück. Sie waren noch immer nicht weitergekommen mit diesen beunruhigenden Visionen. Aber das hieß nicht, daß Mahaad nicht seins tun konnte, um die Sicherheit des Reiches zu verbessern. Zurück unter dem Sonnensegel gab der Pharao das Zeichen zum Aufbruch.   Mahaad blieb etwas zurück, um den Dienern Platz zu lassen, von dem aufgeregten Weibsvolk des Pharaos wollte er gar nicht anfangen, das in eindeutiger Absicht seine Bewunderung für die Leistung seines Herrn und Gemahls kundtat. Bis auf Tausret, die weiterhin zu Tode beleidigt aussah.   Beinahe wäre Mahaad, so gedankenversunken wie er war, dabei in einen jungen Diener gelaufen, der völlig außer Atem vor ihm zum stehen kam. "Geht es dir gut?" Strinrunzelnd betrachtete Mahaad das krebsrote und verschwitzte Gesicht seines Gegenübers. Der Diener senkte den Kopf.   "Ja, Herr. Ich suche den Herren Wesir Siamun. Ich habe dringende Nachricht für ihn."   Erst jetzt fiel Mahaad die Papyrusrolle in den Händen des Jünglings auf. Also ein Bote. "Dort hinten. Und dann laß dir Wasser geben, bevor du umkippst." Der Bote nickte und eilte in die Richtung, die Mahaad ihm gewiesen hatte. Mahaad konnte sehen, wie Siamun die Schriftrolle überreicht wurde, dann verschwand der Bote zwischen den Dienern. Siamun trat ein paar Schritte beiseite, bevor er den Papyrus entrollte und eingehend studierte. Mahaad fühlte, wie sein Herz gegen die Rippen trommelte, als Siamuns Gesicht schlagartig aschfahl wurde. Sofort eilte Mahaad an die Seite seines Freundes.   "Es geht schon", murmelte Siamun und ließ den Papyrus sich wieder zusammenrollen.   "Du solltest dich setzen."   "Nein, Mahaad, die Sänftenträger kommen sowieso gleich." Siamuns Stimme klang, als müßte er sie mühsam aus seinem Leib preßen. "Es sind nur... schlechte Neuigkeiten. Allein für mich."   Bevor Mahaad noch etwas sagen oder tun konnte, erschienen auch schon die Sänftenträger. Er trat zurück, während Siamun ächzend auf dem Stuhl platznahm, danach wurde der von vier kräftigen Männern in die Luft gehoben und davon getragen. Mahaad schüttelte den Kopf, bevor er ebenfalls in seine Sänfte stieg. Dieser Tag wurde und wurde nicht besser. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)