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My Heavenly Soulmate

von

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Prolog

Das Ende einer jeden Geschichte hat einen neuen Anfang zur Folge. So wie das Alte abschließt, beginnt das Neue. Eine Reise ist zu Ende. Doch das heißt nicht, dass dies die Letzte war. Noch viele Abenteuer warten auf einen, ein ungeschriebenes Blatt Papier wartet darauf, beschriftet zu werden. Das erste Wort wird getippt: Prolog. Es hat nicht viel Bedeutung, aber dennoch ist es von unschätzbarem Wert. Denn dieses Wort deutet einen Neubeginn an. Eine neue Geschichte.
 

Die Reise von Wynne und Caleb hat ein Ende gefunden. Sie haben sich ihren Widersachern erfolgreich gestellt, haben ihre Höhen und Tiefen überwunden. Nun arbeiten sie gemeinsam an ihrer Zukunft und an der Schule, die noch viele Leute in den verschiedenen Generationen zusammenführen soll. Die Protagonistin ihrer eigenen Geschichte wurde zu einer Schriftstellerin und gleichzeitig Sekretärin der Insignia-Akademie. Ihr Mann, welcher vor vielen vielen Jahren nicht einmal im Traum daran geglaubt hat, einmal in diesem Sessel zu sitzen, welcher vor einiger Zeit noch seinem Vater gehörte, leitet die Akademie und ist dabei, sie zu neuem Ruhm zu führen. Die Dienerschaft wird ausgebaut. Das Zusammenleben untereinander gestärkt. Mit einem ehemaligen Menschen in der Führungsposition finden viele andere eine Verbindung. Sie fühlen sich sicherer. Das aber liegt zu guter Letzt an der Tatsache, dass Wynne die Anführerin des Widerstandes getötet hat. Doch diese Gedanken verfolgen sie noch bis heute.
Ihre Kinder besuchten ebenfalls die Schule. Drei an der Zahl, zwei gleichzeitig, denn sie waren Zwillinge. Doch trotz dessen, dass sie sich fast bis aufs Haar glichen, konnten ihre Persönlichkeiten kaum unterschiedlicher sein. Nach ihrem Abschluss gingen sie getrennte Wege, einer von ihnen trennte sich auch für einige Zeit von seiner Familie. Während nun Christopher seine eigene Firma gegründet hat und diese leitet, ist Luc erst vor wenigen Jahren wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Niemand weiß, was er getrieben hat. Vielleicht ergibt es sich ein anderes Mal, seine Geschichte zu erzählen.
Die Letzte im Bunde ist ein junges Mädchen. Sie hat erst vor einigen Jahren ihren Abschluss gemacht. Verwöhnt und beschützt von ihrem Vater weiß sie nicht, wie sie sich in der großen Welt zurecht finden soll. Das wiederrum stört ihre Mutter, doch nie hat sie es angesprochen. Doch das Mädchen weiß es einfach. Sie sieht es ihr an. Doch will sie ihre Eltern nicht enttäuschen. Ihr großer Bruder Chris ist erfolgreich geworden. Luc hat draußen überlebt, ohne sich für viele Jahre zu melden. Sie aber saß daheim, wurde gehegt und gepflegt. Das aber, so sagte sie vor nicht allzu langer Zeit, sollte ein Ende haben. Sie setzte sich in den Kopf, auf eigenen Beinen zu stehen. Und schon bald würde sie den großen Schritt wagen.
 

In ihrem Leben wird sie von mehreren Personen begleitet. Zusammen auf die Akademie ging sie mit der Tochter der besten Freunde ihrer Mutter – Kira und deren Mann Sei. Ihr Name war Alexandra und sie wurde als das komplette Gegenteil von ihr selbst angesehen. Sie waren zwar gleich alt – sie selber war nur knapp ein Monat älter als ihre beste Freundin – aber ihre Persönlichkeiten waren sehr unterschiedlich. Und das junge Mädchen beneidete dies.
Mit dem Abschluss auf der Akademie gingen sie eine Zeit lang getrennte Wege. Alexandra wollte Architektur studieren. Sie war Einzelkind und nicht erpicht darauf, irgendwann die Firma ihres Vaters zu leiten. Lieber wollte sie doch ein Geschwisterchen. Doch nach den Komplikationen mit ihr hatte ihre Mutter Angst, ein zweites Kind zu bekommen. Vielleicht ein anderes Mal. Das wäre dann wieder eine andere Geschichte.
Das Mädchen wählte einen anderen Weg. Erst einmal wollte sie von daheim fort. Dann ging sie für eine Zeit lang studieren, weil sie nicht wusste, was genau sie im Leben eigentlich erreichen wollte. Sie möchte unabhängig werden, so viel war ihr schon klar. Dafür hatte sie den ersten Schritt auch schon getan. Aber um sich allein zurecht zu finden, brauchte sie auch eine Arbeit. Und sie wusste nicht einmal, was sie bei einem Bewerbungsgespräch alles beachten sollte.
Ihr Glück, dass sie während des Studiums auf einen fröhlichen jungen Mann mit langen spitzen Ohren traf. Er stellte sich ihr während einer gemeinsamen Vorlesung als Renéfar’ho vor, kurz: Rene. Er war ein Elf, ein äußerst begabter noch dazu. Und: Er war ebenfalls in ihrem Alter. Das Mädchen verstand sich schnell mit ihm. Sie hatten viele Gemeinsamkeiten, darunter auch die vielen kleinen Flecken in ihren Gesichtern. Sie scherzten und lachten gemeinsam. Das Mädchen ging sogar so weit, ihre Freunde untereinander vorzustellen. Und das ging ziemlich gut aus.
 

Und nun, nun ist sie erwachsen und steht kurz vor einem entscheidenden Wendepunkt ihres Lebens. Gemeinsam mit Rene hat sie einige Stellenangebote durchsucht. Sie hatte Angst, allein bei einem Bewerbungsgespräch aufzutauchen und im Wartezimmer zu sitzen. Eine Anzeige kam ihnen also ganz gelegen: SW & H war zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach zwei Leuten für verschiedene Stellen. Das Mädchen steht also nun vor diesem riesigen Gebäude des Hauptsitzes, um sich als neue Sekretärin des Chefs vorzustellen. Rene möchte Programmierer werden, sich vielleicht zum Leiter der Truppe dort hinauf arbeiten. Ihren Eltern hat sie davon nichts erzählt. Sie wohnt sowieso viel zu weit weg um das überhaupt zu tun! Ihr Handy … ja, das hätte sie ja einmal nutzen können. Aber sie möchte doch nur ungern ihre Eltern bei der Arbeit stören. Nervös spielt sie nun mit ihren Fingern, mustert die große und schwer aussehende Tür, welche der Eingang zum Gebäude ist. Rene steht schon daneben, mustert das Mädchen, wie es dasteht, so ganz perplex. Er schmunzelt leicht, nimmt sie am Arm und zieht sie hinter sich hinein. Eine Dame empfängt sie. Die Haare ordentlich zusammengebunden, so wie auch das Mädchen es tat. Aber im Gegenzug zu dieser Frau trägt sie nicht so viel Schminke. Sie mag es dann doch eher dezent, obwohl Alexandra ständig meint, sie solle doch mehr aus ihrem Aussehen machen. Mürrisch blickt die Frau von ihrem Monitor auf, wo sie wohl gerade Solitär spielt. Rene hat ihr verraten, dass die meisten Leute sich bei Bürojobs langweilen und deswegen vorinstallierte Computerspiele spielen. Das Mädchen hat so etwas aber nicht vor. Wie würde sie denn dastehen, wenn ihr Chef sie erwischen würde? Oh, allein die Vorstellung macht ihr Angst und bereitet ihr Gänsehaut. Sie wird von dem Seufzen der Dame aus den Gedanken geholt. Diese stellt erneut die Frage nach dem Namen des Mädchens. Sie muss schlucken, nimmt aber den Mut zusammen, um zu antworten:


„Allendra Nara Lecrune“

„Allendra Nara Lecrune“, brachte ich nun heraus und fummelte aufgeregt an meinem Rock herum. Rene hatte mich bereits drei Mal ermahnt, es zu lassen, aber es half mir gegen meine Nervosität. Oder zumindest redete ich mir das ein. Die Frau vor uns wandte sich von mir ab und sah einen elfischen Freund an.

„Name?“, fragte sie stark genervt. Wieso arbeitete sie eigentlich hier, wenn es sie so sehr langweilte? Sie könnte sich bestimmt leicht einen anderen Job besorgen. Obwohl … wenn ich so darüber nachdachte, war es doch verdammt schwer, überhaupt auf ein Gespräch eingeladen zu werden. Wir hatten nämlich mit diesen Stellen Glück – Es wurden dringend zwei Leute gesucht, weswegen sie sich nicht viele Ablehnungen leisten konnten. Mich wunderte es aber, warum so wenige den Sekretären Platz haben wollten. Er war gut bezahlt, es gab gute Arbeitsbedingungen. Acht Stunden am Tag, so wurde zumindest geschrieben, und eine frei wählbare Pause von 30 Minuten. Rassenspezifisch hatten sie nichts angegeben.

Natürlich hatten wir uns vorab schon informiert: SW & H war eine gemischtrassige Firma mit hohen Kompetenzen und Anforderungen. Sie waren spezialisiert in verschiedene Dinge, dominierten aber in der Computer- und Programmierbranche. Angeblich hat der Chef sogar einige kleinere Hotelketten gekauft, ließ diese aber von deren ehemaligen Eigentümern noch leiten, während er gelegentlich für einen Check vorbei kam. Angeblich war er ein sehr angsteinflößender Mann. Ich hatte schon diverse Bilder im Kopf, eines schlimmer als das andere. Welcher Rasse er wohl angehörte? In der Schule hatten wir einiges über die verschiedenen Eigenarten gelernt, doch war ich mir nicht sicher, ob ich nicht ausversehen irgendjemand beleidigen würde, wenn ich tatsächlich mit jemandem sprach. Meine Mutter hatte ja das Talent, jedem recht schnell auf den Schlips zu treten, sobald sie die Wahrheit sprach. Irgendjemand musste es zwar übernehmen, aber den meisten gefiel ihre Art halt nicht. Mein Vater quittierte es meist mit einem Schmunzeln. Meine Familie war schon recht eigenartig.

„Renéfar’ho Lurva“, antwortete der Elf und lächelte die Frau charmant an. Normalerweise sprangen die meisten darauf an und gaben eines zurück, doch diese hier schaute nur unbeeindruckt drein und tippte auf ihrer Tastatur etwas in den Rechner ein.

„Nehmt den Aufzug bis in die Fünfte Etage. Setzt euch hin. Jemand wird euch empfangen“, rasselte sie herunter und fing an, uns zu ignorieren. Das klang nicht schwer zu befolgen um ehrlich zu sein. Ich nickte Rene zu, bevor wir uns gemeinsam auf den Weg machten. Inzwischen hatte ich meinen Rock immerhin losgelassen, dafür aber hielt ich meine Hände fest. Die anderen spürten meine Nervosität bereits schon. Und Chefs waren doch im Allgemeinen immer dazu in der Lage, Angst zu spüren. Das würde mir die Stelle kosten.

Der Aufzug war schnell, die Wartezeit jedoch nicht kurz. Obwohl ich niemand anderen sah, wurden wir auf die Folter gespannt. Ich hatte mich schon mehrmals in diesem riesigen Wartezimmer umgesehen, hatte die Bilder an der Wand bereits studiert und interpretiert, was ich tatsächlich nur tat, wenn mir extrem langweilig war. Bei Hausaufgaben drückte ich mich immer darum, derartige Dinge zu tun. Der Elf hingegen drehte Däumchen, fuhr sich mehrmals durchs Gesicht. Er wollte diese Stelle unbedingt, er hat ja auch nicht umsonst den Studiengang als bester Student absolviert. Leitender Programmierer, damit wollte er vorerst sein Haupt schmücken, bevor es die Karriereleiter bergauf ging.

„Lecrune“, riss mich eine weibliche Stimme aus den Gedanken und ließ mich zusammen zucken. Wie ein aufgescheuchtes Huhn blickte ich die Dame im Bleistiftrock an. Sie hatte ein Klemmbrett in der einen, einen Stift in der anderen Hand und ein einseitiges Headset im rechten Ohr. Mit gehobener Braue musterte sie mich, bevor sie etwas auf ihrem Zettel notierte. Erster Eindruck: Verhauen.

„Das wäre ich“, meinte ich kleinlaut und ging auf sie zu. Sie war um einiges größer als ich, was nicht zuletzt an den Schuhen lag, die sie trug. Ich hatte mich früh schon an hochhackige Schuhe gewöhnt, um besonders als Erwachsene nicht ständig klein zu wirken. Mit einer Größe von 1,57m Maximum war das nicht gerade leicht. Die Frau wies mich an, ihr zu folgen. Kurz sah ich noch einmal zu Rene zurück, welcher mir mit zwei Daumen nach oben ‚Viel Glück‘ wünschte. Ich hatte Angst. So … So große Angst.
 

Ich begleitete die mir fremde Dame in ein Büro auf der rechten Seite des Ganges, kurz vor der letzten Tür. Da dies nicht der letzte Stock war, schloss ich aus, dass es sich hierbei um das Büro des Chefs handelte. Noch war ich also sicher vor diesem Mann.

„Setzen Sie sich doch“, meinte die Dame, nachdem sie sich selber in ihrem Sessel niedergelassen und das Klemmbrett vor sich abgelegt hat. Ich wartete noch etwas, war verwirrt, dass sie mir nicht zur Begrüßung die Hand entgegen gehalten hat, wie es in meinem ‚Bewerbungsgespräche für Dummies‘ stand. Nachdem die Frau von ihrem Blatt auf- und mich ansah, danach mit den Augen auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch deutete, setzte ich mich endlich in Bewegung und nahm Platz. Nervös räusperte ich mich, bevor sie zu sprechen anfing.

„Eine Lecrune …“, murmelte sie, nachdem sie das Klemmbrett noch einmal aufgehoben hatte. Sie musterte die Zeilen darauf, höchstwahrscheinlich handelte es sich dabei um mein Bewerbungsschreiben. Der Name meiner Eltern reichte wirklich weit, unglaublich. „Das könnte wahrlich interessant werden. „Sag, Kindchen“ Sie legte das Brett wieder hin, genau so, dass ich es nicht sehen konnte, faltete ihre Hände und platzierte diese auf dem Schreibtisch. „Hast du schon mal als Sekretärin gearbeitet?“ Ich musste leider den Kopf schütteln, das habe ich ja auch in meinem Schreiben erwähnt. Noch suchte ich halt nach Erfahrungen.

„Ich habe manchmal meiner Mutter bei verschiedenen Dingen geholfen.“

„Ich verstehe, auch wenn das hier um einiges anstrengender für dich werden könnte“ Sie seufzte. „Wie dumm eigentlich, das so viele vor unserem Chef davon laufen. Er muss aber auch alle vergraulen“ Kurz legte sie den Kopf in den Nacken, bevor ihre Augen wieder auf mich gerichtet waren. „Das Ding ist, mir gefällt deine Persönlichkeit. Du bist eine unerwartete Kämpfernatur, gleichzeitig aber auch ängstlich und schreckhaft. Dem Chef wird das sicherlich auf die Nerven gehen und ganz ehrlich – darauf ziel‘ ich ein bisschen ab. Mit natürlich im Hinterkopf, dass wir jemand kompetenten für den Job brauchen“

Meine Persönlichkeit? War ich so leicht zu lesen? Stand mir das alles wirklich ins Gesicht geschrieben? Mein Herz rutschte mir in die Hose. Ich konnte wohl niemandem verbergen, was für ein Angsthase ich war, und das auch noch als Vampir! Sofort fing ich an, am Saum meiner Jacke zu fummeln. Mein Puls erhöhte sich, während ich nach Worten rang. Ich musste mich schön reden! Sagen, wie ambitioniert ich sein konnte, wenn ich mich auf etwas verbissen hatte! Das habe ich nämlich von meiner Mutter geerbt. Wenn ich mir etwas in den Kopf setzte, dann wurde das auch bis zum bitteren Ende durchgeführt. Doch bevor ich den Mund aufmachen konnte, lachte die Frau vor mir auf.

„Du reagierst ja wie ein verschrecktes Kätzchen. Das ist ja niedlich. Aber mach dir keinen Kopf, ich kann Persönlichkeiten lesen“, meinte sie und stützte ihren Kopf in ihre Hand, lächelte mich dabei an. Dieses Gespräch wurde mit einem Mal extrem eigenartig. Obwohl, das war es eigentlich schon von Beginn an.

„P-Persönlichkeiten lesen?“, stotterte ich und gab mir innerlich eine Schelle für meine Feigheit. Die Dame schien mein Verhalten jedoch zu amüsieren.

„Ich lese Persönlichkeiten wie andere Gedanken. Was denkst du denn, warum ich hier sitze? Wir brauchen keine leeren Bewerbungsgespräche, wo man uns etwas vorgaugelt. Eigentlich habe ich ja noch jemanden bei mir, der Gedanken liest. Zack heißt er, aber er ist momentan leider krank“ Sie seufzte auf und setzte sich wieder aufrecht hin. „Jedenfalls – Mein Job hier ist es, keine Heuchler herein zu lassen. Vor allem nicht als Sekretärin für unseren Chef. Alle ab der zweiten Etage wurden von mir eingestellt, die anderen rein nach ihren Kompetenzen gewählt.“ Sie setzte mit ihrer Erklärung fort. „Man nennt mich auch Mittlerin. Also … falls dich jemand mal anruft und nach ‚der Mittlerin‘ fragt, stell sie zu mir durch. Das wird passieren, Kätzchen, glaub mir. Mein Telefon ist auf Wahltaste 7“ Dafür, dass oft nach ihr gefragt wurde, war ihre Taste nicht gerade sehr weit oben. Sollte man ihr nicht eine höhere Priorität einräumen? Ich wollte glatt fragen, was genau ihre Aufgabe hier sei, neben diesen Gesprächen. Doch da fiel mir eher etwas anderes auf:

„Moment. Sie redeten gerade so, als ob ich die Stelle hätte“ Die Frau grinste mich breit an.

„Warum auch nicht? Ich mag dich, ich sehe, dass du Talent und Willen hast. Du brauchst vielleicht etwas Eingewöhnungszeit, da es ja deine erste Arbeit ist, aber danach … ich denke, ich werde von dir nicht enttäuscht sein. Oder?“ Das Oder betonte sie besonders. Sofort schüttelte ich den Kopf.

„Nein!“, widersprach ich etwas zu laut, woraufhin mein Gegenüber anfing zu lachen.

„Na dann ist doch alles klar! Dann würde ich dich bitten, dich wieder ins Wartezimmer zu setzen und deinen schnuckligen Freund hier rein zu beordern. Schade, dass er vom anderen Ufer ist …“ Sie säuselte. Oh, okay. Sie war also für seinen Charme gefallen. Ich nickte ihr mit einem leisen ‚Danke‘ zu, stand auf und verbeugte mich noch einmal, danach ging ich zur Tür. Bevor ich aber die Klinke in die Hand nehmen konnte, erhob die Frau noch einmal das Wort.

„Ach ja! Damit wir keine peinliche Vorstellungsrunde haben: Mein Name ist Lavender Beautique. Echt bescheuert, ich weiß, aber so ist das Leben. Also: Nenn mich einfach Lavender. Oder Lava. Machen die meisten hier“ Erneut nickte ich ihr zu, diesmal Kommentarlos. Ich wollte zu ihrem Namen nichts sagen aus Angst, sie ausversehen zu beleidigen. Lavender Beautique? Lava? Ein wirklich sehr eigenartiger Name, dass dachte sogar die Besitzerin dessen selbst!

Ich ging zurück zu Rene und überbrachte die Nachricht, gab unser Zeichen für Viel Glück und setzte mich dann wieder hin. Zeit, wieder die Bilder zu betrachten. Oder ausnahmsweise mal mein Smartphone zu checken. Aus Angst, ein schlechtes Bild zu hinterlassen, habe ich das nämlich vorher nicht gemacht. Und siehe da, Zehn Nachrichten von Alexandra. Drei von Luc, Vier von Mutter. Davon mussten Drei auch von meinem Vater sein, er schrieb mir nie unter seiner eigenen Nummer. Um die Zeit tot zu schlagen, entschloss ich mich, nach den neuesten News zu browsen. So kam mir das Warten gar nicht so lang vor.

Lavender und Rene kamen diesmal gemeinsam zurück, lachend. Das Gespräch musste auch bei ihnen gut verlaufen sein. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass zwei offene Persönlichkeiten wie sie gut miteinander klar kommen.

„Ständ‘ ich auf Frauen, wär‘ ich sicher wenigstens einmal mit dir ausgegangen!“, meinte Rene lachend und bekam einen Klaps auf den Rücken. Sie waren schon so weit, dass sie sich gegenseitig duzten? Obwohl … sie hatte mir ihren Vornamen genannt. Vielleicht durfte ich es also auch.

„Gut. Da das jetzt geklärt ist … Rene, Kätzchen, folgt mir bitte. Ihr werdet jetzt unseren Chef kennen lernen, bevor ihr an die Arbeit dürft. Was dann in etwa … morgen wäre. 8 Uhr, nicht vergessen.“ Sie hob einen Finger und schüttelte diesen spielerisch tadelnd, als wären wir kleine Kinder. So gingen der Elf und ich nebeneinander her, hinter der Dame, welche uns zum und in den Aufzug führte. Rene grinste mich dabei schelmisch an, hielt seine Frage aber noch zurück.

Im Aufzug nahm Lavender einen Schlüssel von ihrem Schlüsselbund, steckte diesen in den dafür vorgesehenen Schlitz und drehte einmal nach links, dann zweimal nach rechts. Die Aufzugstüren schlossen sich und langsam setzte sich die Gerätschaft in Bewegung. Währenddessen drehte sie sich zu uns um, sah mich an und zeigte mir den Schlüssel.

„Den hier wirst du auch brauchen. Ich lasse dir einen am Empfang zurücklegen, also meld‘ dich morgen dort und Addie sollte dir einen aushändigen. Wenn nicht, ruf mich einfach an. Ich geb‘ dir dann noch meine Nummer“ Danach machte sie den Bund wieder an ihrem Gürtel fest … und Rene rückte endlich mit seiner Frage raus.

„Also … Kätzchen, ja?“ Das stellte er einfach so in den Raum. Ich konnte mir nicht verkneifen, rot anzulaufen und zu versuchen, dies mit meiner Hand zu verdecken. Lavender hingegen lachte nur auf.

„Weil sie reagiert wie ein kleines ängstliches Kätzchen! Es ist einfach zu niedlich. Und es passt zu ihr, meiner Meinung nach“, erklärte sie und stemmte die Hände in die Hüfte. „Schau sie dir doch mal genau an! Ist dir das noch nie in den Sinn gekommen?“

„Alex nennt sie immer Grashüpfer, so wie sie zuhause manchmal rumspringt“ Das musst du doch jetzt nicht ausplappern, Rene! Beschämt drehte ich meinen Kopf weg und versuchte, die Konversation der beiden auszublenden.

„Alex?“, hakte Lavender sofort nach und das Thema schien entschärft. Das ging aber schnell.

„Alexandra. Unsere Mitbewohnerin“, antwortete Rene ihr sofort und die Frau schmollte.

„So ein Mist aber auch“ Sie stampfte einmal kurz auf. Lang blieb ihr aber nicht Zeit, denn kurz darauf öffneten sich schon die Türen des Aufzugs und gab eine Art Lobby frei. Vor der einzigen Tür in dieser Etage befand sich ein recht großer Schreibtisch. Dieser verlief zunächst parallel zum Aufzug, bevor er an der Wand angelehnt weiter ging. Einige Ordner und Stapler befanden sich darauf, sowie, wie nicht anders zu erwarten, ein Monitor und unter dem Schreibtisch dann auch der dazugehörige Rechner. Wie gut, dass ich mit den Dingern dank meines Vaters umgehen konnte. Seine Beschützerei hat also auch etwas Gutes gehabt, denn ich habe dadurch viel Zeit mit ihm verbracht. Mit einer Handbewegung deutete Lavender in das Zimmer, welches wir betraten. Sie erklärte vor allem mir, dass es sich hierbei um das Vorzimmer zum Büro des großen Chefs handelte. Es befand sich auch nicht nur der Schreibtisch und ein dazugehöriger Stuhl darin, sondern auch eine Art Lounge mit Couch und Sessel, ein Kaffeetisch, auf dem einige Zeitschriften und eine Zeitung lag.

„Die Zeitung muss täglich ausgewechselt werden. Das wird leider auch zu deiner Aufgabe gehören, tut mir leid“, erklärte Lavender. Ich zuckte lediglich mit den Schultern. Immerhin etwas, was ich wohl eher schlecht verhauen konnte. Ich musste mir nur merken, von wem die Zeitung war.

Auf der anderen Seite befanden sich einige Theken und Hängeschränke. Eingebaut war ein Waschbecken, etwas weiter weg davon stand nicht nur eine Kaffee-, sondern auch eine Teemaschine. Der Chef konnte also kein Vampir sein, da es nicht wirklich welche gab, die derartige Getränke zu sich nahmen, wenn sie nicht gerade mussten. Ein Kühlschrank war auch vorhanden, was vor allem für mich praktisch sein würde. So könnte ich die kleinen Blutkugeln, die extra für mich hergestellt wurden, darin lagern. Damit es nicht zu auffällig war, wenn ich sie transportierte, befanden diese sich natürlich noch in einer Box, also dürfte es den Chef auch nicht stören.

Je mehr ich über diesen Mann nachdachte, desto mehr wollte ich ihn treffen. Natürlich hatte ich noch Angst. Er soll angeblich angsteinflößend sein. Aber wenn man so viel über eine Person hörte und sprach, war es doch normal, diese auch einmal treffen zu wollen, oder? Als hätte jemand meine Gedanken gelesen, sprang die Tür zum Büro auf und knallt gegen die Wand. Rene und ich zuckten zusammen, während Lavender mit einem unbeeindruckten Ausdruck auf dem Gesicht zu der Person sah, die gerade aus dem Zimmer kam.

„Lavender!“, brüllte eine tiefe, aber melodische Stimme. „Ich habe dir gesagt, ich brauche keine Sekretärin!“ Oh, na ganz klasse.

„Oh doch, die brauchst du, ob du willst oder nicht. Du kannst nicht alles alleine durchziehen, nur weil du meinst, einen höheren Rang inne zu haben. Irgendwann erlischt deine Energie einfach“

„Und dann kommt jemand Neues her. Na und? Besser, als irgendeine Idiotin zu haben, die mich nur aufhält!“ …. Vielen Dank?

„Irgendein Neuer, der keinen Plan hat, wie es hier läuft! Also komm von deinem hohen Ross runter und lass mich dir Rene und Allendra vorstellen, unsere neuen Teammitglieder. Tipp: Zweitere ist deine Sekretärin“ Der Mann schnaubte. Ich hatte noch gar nicht den Mut zusammen genommen, ihn anzusehen, da sah ich auf dem Boden vor mir ein schwarzes Schuhpaar. Als hätte er mich angesprochen, hob ich langsam meinen Kopf, musterte ihn dabei unabsichtlich. Er trug wie zu erwarten einen Anzug, Schwarz. Über seine Schultern hingen zwei Strähnen weißblonden Haars, jeweils eine auf jeder Seite, die sein fast schneeweißes Gesicht umrahmten. Er hatte unglaublich langes Haar, welches er locker zusammengebunden trug. Seine eisig blauen, ebenfalls fast weißen Augen musterten mich durchdringlich und ich wollte mich einfach nur noch klein machen. Das war also mein Chef. Das war der Mann, mit dem ich zusammen arbeiten müsste. Der mir meine Aufgaben erteilen würde. Oh scheiße. Es gab ein verdammtes Problem an der Sache …

„Verdammt ist der heiß …“, murmelte ich. Seinem Blick und der Stille im Raum nach zu urteilen, war ich dabei doch noch recht laut gewesen. Mein Chef hob eine Braue.

„Auch wenn ich diese Einschätzung … recht gerne höre, würde ich Ihnen doch raten, Professionalität am Arbeitsplatz zu bewahren, Miss …“

„L-Lecrune …“, brachte ich stotternd heraus und senkte meinen Kopf wieder. Scheiße, ganz große Scheiße. Manchmal hatte ich die Angewohnheit, meine Gedanken zu schnell laut auszusprechen. Das geschah vor allem dann, wenn ich jemanden verdammt attraktiv fand. Und zur Hölle, abgesehen von seiner Persönlichkeit, war mein Chef nun mal verdammt attraktiv. Zum Glück merkte ich, wie er sich langsam von mir abwandte und sich wieder auf Lavender konzentrierte.

„Ein Angsthase also. Der Junge soll mir jetzt erstmal egal sein, der wird letztlich eh Alois‘ Problem. Aber echt jetzt, Lava? Ein ängstliches Kätzchen? Mit so jemandem kann und will ich nicht arbeiten“ Da war dieses Kätzchen schon wieder, diesmal aber aus dem Mund dieses Mannes! Es ärgerte mich so unglaublich. Ich war kein Kätzchen. Wenn schon dann eine Katze, die gerade bei der Maniküre war und deren Krallen gerade nachwachsen mussten. Oder sie hatte diese bei einem Unfall verloren. Sucht euch eine Erklärung raus.

Vorsichtig hob ich den Kopf wieder und sah zu Rene, welcher nicht weniger überrascht über unseren Chef diesen anstarrte. Tja, er musste ihn nicht jeden Tag ertragen, da konnte man schon mal länger hinsehen.

„Glaub mir, sie wird dich nicht enttäuschen. Geb‘ ihr einfach eine Chance“ Lavender räusperte sich kurz. „Jedenfalls. Rene, Kätzchen? Das ist unser Chef und Lieblingsperson: Aeneas Domenicus“ Das klang aber exotisch.

„Ihr werdet mich gefälligst mit Mister Domenicus ansprechen, sonst könnt ihr gleich eure Sachen wieder packen und verschwinden“, warnte er uns in einem scharfen Ton. Ich kam mir glatt vor wie beim Militär, so angsteinflößend war er. Ob es hier wohl Disziplinarmaßnahmen für diejenigen gab, die über die Probezeit hinaus waren und die er nicht einfach so feuern konnte? Ich schluckte schwer. Auch wenn ich hoffte, nicht während meiner Probezeit entlassen zu werden, machte es mir Angst, lange hier zu bleiben. Letztlich wäre wohl ich diejenige, die die Kündigung einreichte.
 

„Die junge Seele hat begonnen, ihren eigenen Weg zu gehen“

„Und ist einer sehr alten begegnet“

„Interessant, interessant. Es fängt an“

„Wie spinnt sich der Faden?“

„Langsam von selber“

„Und dann! Alex, ohne Mist, das musst du dir einfach geben!“ Wir waren wieder zuhause und hatten es uns auf unserem übergroßen Sofa mit ein paar Snacks (vor allem für Rene) und ein paar Videos gemütlich gemacht. Via Laptop und HDMI-Kabel übertrugen wir die auf einer Plattform gestreamten, von anderen Leuten selbstaufgenommenen Videos und unterhielten uns währenddessen. Und Rene, tja, der konnte nicht aufhören zu plappern und erzählte Alex prompt von den Geschehnissen während unserer Bewerbungsgespräche und das Treffen mit unserem Chef. „Du hättest dabei sein müssen. Weißt du, wir stehen so da. Da kommt dieser Kerl aus der Tür raus, Anzug und alles, lange Haare- Da kannst du dir ja schon vorstellen, was abgeht. Ich meine, ich fand den Typen ja schon nicht schlecht, aber Allie hier, die starrt den einfach an und bricht dann raus: Verdammt ist der heiß. Ich musste mich so zusammenreißen“ Beschämt rührte ich mein Getränk um und schmollte, ohne Rene auch nur eines Blickes zu würdigen. Stattdessen aber wandte ich mich zu Alex, welche mir einen überraschten Blick zuwarf.

„So schlimm?“, hakte sie nach und ich nickte nur.

„So schlimm“ Sie blinzelte einige Male, bevor sie sich eine Hand vor den Mund hielt, um sich ein Lachen zu verkneifen.

„Das schaffst aber auch nur du, Allie. Du siehst deinen Chef das erste Mal und nennst ihn gleich heiß. Du brauchst dringend mal ein Date“

„Das brauch ich auch“, seufzte Rene und lehnte sich auf der Couch zurück. „Die letzten Wochen waren so nervig, dass ich keine Zeit hatte, mir jemanden zu schnappen“

„Gab mir Zeit, etwas aufzuholen“ Alex grinste unseren Elf an, welcher ihr die Zunge rausstreckte. Ja, die beiden hatten eine Wette am Laufen, wer denn am ‚begehrtesten‘ war und mehr Männer zu einem Date überreden konnte. Ich konnte die meiste Zeit nur danebensitzen und mein Getränk schlürfen, während sie sich über ihren neuesten Fang unterhielten. Bislang konnte ich meine Dates an einer Hand abzählen, geschweige denn meine festen Freunde. Ich hatte zwei gehabt, beide während meiner Zeit an der Akademie und nun ja … beide wurden von meinem Vater vertrieben. Es war jetzt nicht so, dass es mich störte, niemanden zu haben. Es gab mir mehr Freiheiten, das zu tun, was ich wollte. Ich musste mich bei niemandem melden und war nicht von der Meinung eines anderen abhängig. Aber manchmal musste ich sagen, dass ich doch gerne jemanden an meiner Seite hätte. Wie meine Mutter halt. Sie hat meinen Vater, ihren Seelenpartner, ja auch auf der Akademie kennen gelernt. Da dachte ich mir, wieso ich nicht? Stellte sich heraus, dass das Ganze ordentlich nach hinten los ging und mein Vater unbedingt meinte, sich da einmischen zu müssen. Nachdem wir in ein Apartment gezogen sind, haben sich Alex und Rene vorgenommen, mir bei meinen Dates zu helfen. Oder eher wollten sie sich dem Projekt ‚Hoffnungsloser Fall‘ annehmen. Für die Bezeichnung musste ich mich bei den beiden noch bedanken.

„Jedenfalls“, fing meine beste Freundin wieder an, nahm die Fernbedienung und suchte nach einem neuen Video. Meistens schauten wir irgendwelche Video Logs, die Rene gefielen. Wenn Alex aber die Kontrolle hatte, wurden es schnell Videospiel-Walkthroughs, was mich durchaus nicht störte. Meine Affinität zu Spielen hatte ich von meiner Mutter, genauso wie meine Tendenz zum Schreiben. Ich tat es aber nur, wenn ich Dinge verarbeiten musste. Sogesehen führte ich also ein Tagebuch, auch wenn ich nicht regelmäßig schrieb und es vermutlich irgendwo in meinen noch nicht ausgepackten Kisten herumlungerte. „Ich hab jemanden für dich ausfindig gemacht, Allie“ Für mich ausfindig gemacht?

„Du machst doch jetzt Scherze, oder?“, fragte ich sofort und hob den Kopf. Um ihr nicht ausversehen das Getränk ins Gesicht zu schütten, stellte ich es auf dem Kaffeetisch vor mir ab und wandte mich zu ihr. „Ich will mich erstmal auf meinen Job konzentrieren. Du weißt, dass es mein erster ist“

„Und du wirst den Kopf klar bekommen, wenn du dich mal mit jemanden triffst. Du musst ja nicht gleich zur dritten Basis gehen, ist doch nur ein Treffen“ Sie zuckte mit den Schultern und legte die Fernbedienung wieder weg. Ich hingegen legte seufzend den Kopf in den Nacken. Manchmal konnte ich nicht glauben, in was für einer Gesellschaft ich mich eigentlich befand. Meine zwei Freunde wollten mich an irgendjemanden verkuppeln und versuchen, mein mageres Ich so gut es ging herzurichten. Das konnte doch nur schief gehen.
 

So oder so konnte ich Alexandra die Idee nicht ausreden, mir dieses Treffen zu arrangieren. Also gab ich klein bei und meinte, ich würde mich nach der Arbeit auf den Weg machen. So wurde die Zeit dafür auf 20 Uhr gesetzt, sodass ich nach meinem Werktag noch etwas Zeit hatte, mich frisch zu machen. Zum Glück konnte ich den Weg bis dorthin gemeinsam mit Rene bestreiten, sonst wäre ich vor Nervosität womöglich gar nicht erst dort aufgetaucht. Er war positiv und gut gelaunt, voller Elan und bereit, seine neue Arbeit anzugehen. Ich hingegen stand da mit eingezogenem Kopf, absolut verunsichert. Unser Chef war furchteinflößend und ich war auch noch diejenige, die mit ihm fast Seite an Seite arbeiten musste.

Die neueste Zeitung für Oben hatte ich extra noch eingesteckt, daran hab ich gedacht. Ich musste nur fix noch an der Rezeption vorbei und mir bei Addie den Schlüssel für das oberste Stockwerk abholen. Sie fing ebenfalls gerade an und richtete ihren Platz her, hing ihr Jackett über die Lehne ihres Bürostuhles, bevor sie sich mit einer bereits gelangweilten Miene zu mir umdrehte.

„Oh, du bist es schon wieder“, meinte sie nur. „Der Schlüssel, richtig?“

„Äh, ja, genau …“, nuschelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart und fing an, am Träger meiner Tasche zu zupfen. Für den Schlüssel hatte ich extra einen alten Anhänger aus meinen Kisten gekramt, damit ich diesen weder verliere noch verlege oder mit meinem Hausschlüssel verwechsle. Addie durchsuchte zunächst ihre Ablage, dann die verschiedenen Schubladen an ihrem kleinen Schreibtisch. Das gab mir etwas Zeit, die Frau unbemerkt zu betrachten. Sie trug ihre mittellangen Haare offen, eindeutig blond gefärbt, denn an ihrem Ansatz wuchs die Farbe langsam wieder heraus. Von Natur aus hatte sie anscheinend sehr hellbraune Haare. Sie schien an sich eine sehr ordentliche Person zu sein. Die Bluse hatte sie in ihren Bleistiftrock gesteckt und ordentlich gebügelt, bevor sie diese angezogen hatte. Es war kaum eine Falte zu sehen, die nicht durch ihre Bewegungen entstand. Genervt schnaubend richtete sie sich kurz auf und streckte ihren Rücken durch, wodurch ich ein leises Knacksen vernehmen konnte.

„Wo ist dieses Mistding nur …“, murmelte sie eher zu sich selber, doch ich verstand es trotzdem, da es sie wohl nicht wirklich interessierte, ob man sie hörte oder nicht. Sie durchwühlte ihre Unterlagen. Also, im Gegensatz zu ihrer äußerlichen Erscheinung war ihr Schreibtisch das reinste Chaos. Hie und da lagen Blätter verstreut, welche nun durch das Suchen verlegt werden mussten. Sollte es sich bei irgendwelchen davon um wichtige Schreiben handeln, könnten wir die nun vergessen. Wobei ich mir auch denken konnte, dass Briefe mit Anliegen von äußerster Dringlichkeit direkt an Domenicus gegeben wurden. Ich kratzte mich kurz am Nacken und warf dann einen Blick auf die Uhr. 7:50Uhr. Um 8 sollte ich an meinem Arbeitsplatz sein, sonst könnte es Ärger geben. Ob ich einfach Lavender anrufen sollte, da diese Addie den Schlüssel nicht zu finden scheint? Erneut richtete sich die Frau auf, diesmal stemmte sie beide Hände an die Hüfte und stieß ein ‚Das kann doch jetzt nicht wahr sein‘ aus. Das konnte sich wohl nur noch um Stunden handeln …

Um das Ganze abzukürzen, schnappte ich mir mein Handy und wählte die Nummer von Lavender. Es war gut, dass ich mir diese gestern noch eingespeichert habe, sollte irgendetwas sein. Und ich hatte keine Lust, wegen diesem Versäumnis zu spät an meinem Arbeitsplatz zu erscheinen. Es klingelte nicht lang, da begrüßte mich die Dame mit einem übermäßig fröhlichen ‚Guten Morgen, Kätzchen!‘. Ich schnaubte, ich war noch immer kein verdammtes Kätzchen. Aber ich ließ es gut sein.

„Hey, uhm … Lavender. Wir haben gerade ein Problem wegen dem Schlüssel“

„Addie hat ihn verrammscht, oder? Warte einen Moment, ich bin gleich da.“ Sie war noch nicht im Gebäude? Kurz hörte ich auf die Hintergrundgeräusche und es klang tatsächlich so, als wäre sie gerade auf einer Straße. Vermutlich ganz in der Nähe, da ich mir Lavender nicht als jemanden vorstellen konnte, die den ganzen Weg zur Arbeit laufen würde. Und als würde sie wissen, dass ich über ihren Aufenthaltsort nachdachte, kam sie geradewegs durch den Eingang hinein geflitzt. Rene hatte noch bis zu diesem Moment gewartet, um die Frau zu begrüßen, bevor er sich aufmachte und bei seinen neuen Kollegen vorstellen ging. Ich hingegen hing noch immer in der Lobby fest, nun zusammen mit Addie und Lavender.

„Ach Mensch! Ich hab dir gestern doch gesagt, du sollst ihn dorthin legen, wo du ihn leicht wieder findest.“ Die Frau schüttelte den Kopf. War es mir bis jetzt nicht aufgefallen, oder hatte sie über die Nacht ihre Haare gefärbt? Denn diese erschienen mir nun in einem Pastel-Violett, auf dem Kopf zusammengebunden zu zwei Knoten und von dort aus frei über ihren Rücken verlaufend. Ihr Pony war genauso schräg wie meiner, wenn auch etwas länger und welliger. Ihre Augen strahlten zwar, doch der Ausdruck darin war alles anderes als ein freudiger.

„Ich hab schon überall gesucht“, meinte die andere Frau monoton und kratzte sich am Kopf. Damit hatte sie nicht ganz Unrecht, immerhin hat sie sogar ihre Ablagen auf den Kopf gestellt. Prima, ich würde zu spät kommen und das auch noch an meinem ersten Tag. Nun begann auch Lavender mit zu suchen, während ich nur am Schreibtisch stand und mich ängstlich umblickte. Eigentlich hätte ich sogar schwören können, mein Chef wäre bereits in seinem Büro. Diese Annahme aber stellte sich als falsch heraus, als er das Gebäude betrat und sich mit gehobener Braue neben mich stellte, dabei fragend anblickte.

„Sie suchen den Schlüssel für den Aufzug“, erklärte ich ohne Umschweife, woraufhin er nickte und die beiden Frauen beobachtete.

„Sorry Aeneas, Addie muss ihn verlegt haben“, entschuldigte sich Lavender und fluchte kurz darauf hin. So einen Schlüssel anzufertigen musste einiges an Geld kosten, wenn ich so darüber nachdachte. Immerhin war es eine Spezialanfertigung und nicht gestrickt wie einer, wo man sagen konnte ‚Oh ja, die Zacken sind so, da nehmen wir eben die Blaupause‘ oder so. Keine Ahnung, wie das eigentlich mit diesen Schlüsseln und allem funktionierte.

„Das hat sie durchaus“, meldete sich der Chef zu Wort und zog kurz daraufhin einen kleinen gefalteten Briefumschlag aus seiner Brusttasche, in welchem ein ganz kleiner Abdruck zu erkennen war.

„Oh. Mein. Gott. Du hast ihn einfach mitgenommen?“ Die Violetthaarige war entsetzt und stemmte ihre Hände an die Hüfte, bevor sie dann doch eine Hand wieder wegnahm und tadelnd den Zeigefinger bewegte. „Aeneas Domenicus, ich kann es nicht glauben, dass du mich darüber nicht in Kenntnis gesetzt hast!“

„Was denkst du, warum ich so spät erst hier bin?“ Ohne ein weiteres Kommentar drückte er mir den Umschlag in die Hand und wandte sich zum Gehen. Ich verbeugte mich kurz vor Lavender und Addie, entschuldigte mich für die Umstände und eilte hinterher in den Aufzug, sodass wir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnten. Damit musste dieser nämlich nicht zwei Mal hoch und runter fahren und ich konnte den Schlüssel dann ganz in Ruhe auspacken und an den Anhänger basteln. Und Mann, war ich froh, dass mein Chef nicht der gesprächige Typ war. Die Fahrt nach oben schwiegen wir uns nur gegenseitig an und gingen dann getrennte Wege. Ich stellte sofort meine Dose in den Kühlschrank, bevor ich meinen Platz einräumte und die Zeitungen auf dem kleinen Kaffeetisch austauschte, die Alte natürlich sofort entsorgte. Danach begann ich, mich langsam einzuarbeiten.
 

Gelegentlich kam Mister Domenicus nach draußen, um sich einen Kaffee zu machen. Dementsprechend nahm ich an, dass es sich bei ihm schon einmal nicht um einen Vampir handelte. Im Allgemeinen ähnelte sein Äußeres eher den Beschreibungen von Engeln. Sie legten eine ernste und sehr kalte Art an den Tag, waren meist mit blasser Haut, eisblauen bis weißen Augen und weißblonden bis weißem Haar zu sehen. Viele von ihnen waren doch recht schlank, nur selten wirklich muskulös definiert. Und kaum einer war besonders gesprächig. Oder freundlich.

Ich versuchte, mich nicht allzu sehr von meinen Beobachtungen ablenken zu lassen. Nach den ersten Stunden hatte ich meine Dose aus dem Kühlschrank geholt, um mir ein paar der Drops zu gönnen. Mein Chef kam erneut aus seinem Büro, mit einigen Unterlagen in der Hand, welche er auf meinem Schreibtisch bugsierte und nicht nur meine kleine Mahlzeit musterte, sondern auch den Tee, den ich mir zubereitet hatte.

„Ich dachte, Vampire nehmen nur Blut zu sich?“, fragte er laut genug, sodass ich verstand, dass er auch eine Antwort wollte. Zudem verließ er mich nicht gleich wieder, was mir wiederrum Zeit gab, ihm auch eine zu geben.

„Da muss ich ehrlich sagen, dass ich etwas eigenartig bin“

„Ach“ …. Vielen Dank. Ich seufzte hoffentlich unbemerkt, beobachtete seine Hand, wie er langsam die Dose hochhob und den Inhalt musterte. „Was ist das?“

„Blutkugeln“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Inzwischen war ich es gewohnt zu beantworten, um was es sich dabei handelte. Deswegen setzte ich meine Erklärung auch gleich fort: „Blut eingeschlossen in eine sich bei Kontakt mit Wasser oder Speichel auflösende Haut. Da ich leider bei dem Geruch von Blut fast ohnmächtig werde, ganz zu schweigen davon, wenn ich es fließen sehe, gaben meine Eltern es in Auftrag. Konserven sind nichts für mich, da sie sich länger halten und meist nicht geruchsdicht verschlossen werden können“

„Ein Vampir, der kein Blut sehen kann. Und was ist mit dem Tee?“ Da war aber jemand aber fast unerhört neugierig. Ich antwortete ihm trotzdem.

„Eine Mutation hat bei mir nicht ganz gegriffen. Im Gegensatz zu vielen Vampiren habe ich meine Geschmacksknospen behalten, weswegen Menschenessen und –trinken für mich nicht wie Asche schmeckt. Oder was auch immer“ Sicherheitshalber speicherte ich das Dokument, sollte dies hier nun noch ein längeres Gespräch werden. Meine Brille, die ich normalerweise trug, weil ich kurzsichtig war und nicht weil ich schlau aussehen wollte, hatte ich in das zugehörige Etui gelegt und diesem einen sichtbaren Platz auf dem Schreibtisch eingerichtet. Es würde sich irgendwann eh erübrigen, da ich mit der Zeit meine Brille irgendwo platzieren würde, aber gerade wollte ich doch etwas professioneller erscheinen.

„Du kannst ja überraschender Weise mehrere Sätze bilden, ohne zu stottern.“, meinte Domenicus nach einer Weile Schweigen und stellte meine Dose wieder ab. Die darin enthaltenen Kugeln ähnelten Kirschdrops, weswegen ich kein Problem damit hatte, sie anzusehen und mir ab und zu eine davon zu nehmen. Ich verdrehte die Augen auf seine Aussage hin, ging aber nicht weiter darauf ein und warf stattdessen einen Blick auf die Dokumente, die er mir gebracht hat. Das Ganze sah unglaublich kompliziert aus und ich wusste ab da schon, dass ich den restlichen Tag dafür verbrauchen würde. Also machte ich mich ohne weitere Umschweife an die Arbeit, weswegen mich mein Chef auch in Ruhe ließ.
 

Mir war bewusst, dass mir bei meiner Arbeitszeit auch eine gewisse Länge an Pause zustand. Jedoch war ich nicht darauf vorbereitet, dass Lavender einfach ins Vorzimmer gestürmt kommt, um mich ‚abzuholen‘. Sie scheuchte mich auf, wies mich an, alles abzuspeichern, was ich gerade offen hatte und ihr zu folgen.

„Jetzt warte doch einen Moment“, meinte ich nur überfordert und machte mich daran, in jedem Dokument das Tastenkürzel für Speichern zu verwenden, um das Ganze etwas zu beschleunigen. Bevor mich meine Kollegin noch anherrschen konnte, schnappte ich mir meine kleine Tasche und gab noch meinem Chef Bescheid, welcher von seinem eigenen PC erst einmal aufsah und den Kopf schief legte, als würde er versuchen, zu erkennen, wer hinter mir war.

„Holt sie dich also ab“, stellte er fest und strich sich eine störende Strähne aus dem Gesicht. „45 Minuten, dass du mir das ja nicht vergisst. Danach möchte ich auch einen Statusbericht“ Ich nickte ihm zu, um das Zeichen zu geben, das ich verstanden habe. Ich war etwas überrascht, dass die Pause länger war, als in der Stellenbeschreibung angegeben. Und die Arbeit war nicht so schwer, wie ich gedacht hatte. Sich durch den Papierkram zu wühlen war zwar nicht angenehm, aber wenn man herausfand, wie man es leichter angehen konnte, fand man leicht eine routinierte Vorgehensweise. Woran ich mich noch gewöhnen musste, waren die Anrufe, die ab und an getätigt oder angenommen werden mussten. Immer mal wieder, fast im Stundentakt, klingelte das Telefon oder ich musste jemanden anrufen, um Fragen zu beantworten oder Reservierungen zu tätigen. Manchmal hing Abheben und Anrufen zusammen, da ein Businesspartner von SW & H einen Termin haben wollte. Diesen musste ich dann mit Domenicus absprechen, im Planer vermerken, dem Anrufer eine E-Mail schreiben und dann die Reservierungen für entweder Restaurant oder Meetingzimmer machen. Wir hatten bestimmte Räume, in welchen solche Treffen stattfanden, da mein Chef nur selten Leute bei sich im Büro empfing. Dabei handelte es sich auch nur um Leute, welche auf einer bestimmten Liste standen und ohne weitere Fragen durchgelassen wurden. Diese Liste musste ich mir noch unbedingt einprägen.

In meiner Pause aber nicht, in welcher Lavender es sich zur Aufgabe machte, mich den anderen Kollegen vorzustellen und mir die Mensa zu zeigen, wo sich die meisten Arbeiter trafen und austauschten.

„Im ersten Stock sind die meisten Techniker. Mit ihnen wirst du nur zu tun haben, sollte dein PC mal den Geist aufgeben oder so. Sie halten die Soft- und Hardware auf dem neuesten Stand. Manchmal wirst du Nachrichten von ihnen erhalten, sollte etwas Neues auf dem Markt erscheinen. Das musst du umgehend an Aeneas weiterleiten“ Ich war noch immer verwirrt wegen dem ganzen Duzen und Siezen. Dass Lavender mich mit Du ansprach, fand ich jetzt nicht so ungewöhnlich, immerhin hatte sie es mir auch angeboten. Bei meinem Boss war das eine andere Angelegenheit. Während er von mir verlangte, ihn zu siezen und mit ‚Mister Domenicus‘ anzusprechen, nahm er es sich selber heraus, mich nicht nur nicht bei meinem Namen zu nennen, sondern mich auch mit ‚du‘ anzusprechen. Irgendwie war das eigenartig. „Stock zwei sind die Programmierer. Sie erhalten die Aufträge, die wir rein bekommen. Sie sind auch diejenigen, die meist über die Zehn Stunden Marke hinaus arbeiten. Solltest du also mal deinen Kumpel nach Ende deines Tages mal nicht antreffen, ist er womöglich in ein sehr wichtiges Projekt verstrickt. Und das wird nicht selten vorkommen, so talentiert wie er scheint. Alois hat sich auch schon sehr positiv geäußert“ Das klang doch schon mal gut. Alois war ja angeblich der Kopf des Programmier-Departments und hatte das meiste zu sagen. Mit ihm musste ich mich aufgrund eines Projektes bereits auseinander setzen und er kam mir doch sehr sympathisch vor. Lavender setzte ihre Erklärungen mit den Stockwerken fort. In der Mitte befand sich die Mensa. Man musste also den gleichen Weg aufwärts wie abwärts nehmen, um dorthin zu gelangen. Und in der fünften Etage befanden sich die Räumlichkeiten für diejenigen, die sich mit dem Personal auseinandersetzen und es managen mussten, bevor sie Vorschläge an Domenicus weitergaben. So wie es mir scheint, überließ er viele Entscheidungen den verschiedenen Departments, setzte sich selber mit den Partnern der Firma und den Auftraggebern auseinander, kümmerte sich aber nicht darum, wer denn eigentlich eingestellt wird. Sonst hätten sie meine Bewerbung nie angenommen. Er setzte nur seine Unterschrift unter Entlassungs- und Kündigungspapiere und erschien unter den Angestellten dann, wenn es für nötig befunden wurde. Meistens kümmerte sich entweder Lavender oder ein anderer Kollege darum, welcher mir gerade einmal beim Namen genannt wurde. Ich beließ es also dabei und fragte gar nicht erst nach.
 

Meine Pause verbrachte ich also mit einem kleinen Rundgang. Mir wurden die wichtigsten Leute vorgestellt und ich erhielt einen kleinen Einblick in deren Persönlichkeiten. Um zur Ruhe zu kommen und noch etwas abzuschalten, begaben Lavender und ich uns in die Mensa und setzten uns, nachdem die Frau sich etwas zu essen und zu trinken geholt hatte.

„Also. Wie ist dein erster Tag denn bislang?“, fragte sie mich zwischen den Bissen, wenn sie gerade ihren Mund nicht voll hatte. Als ich sah, wie sie die Brötchen aß, bekam ich selber Lust auf eines, wollte mich aber nicht wieder dazu verleiten lassen, eine Erklärung abzugeben und womöglich unnötige Fragen beantworten zu müssen. Irgendwann würde ich auch ihr davon erzählen, aber das musste nicht sofort sein. Domenicus hatte es auch eher durch Zufall erfahren. Ich wusste ja nicht, dass er doch so oft aus seinem Büro kam. Vielleicht wollte er mich aber auch einfach nur überwachen.

„Anstrengend“, gab ich zu. Ich legte meine Hände auf den Tisch, die Finger ineinander verschränkt und drehte Däumchen, während ich meinen Blick durch die doch recht kleine Mensa schweifen ließ. Einige Tische und dazugehörige Stühle waren anzufinden. Die Tische konnte man an zwei Händen abzählen. Eine hintere Tür führte in eine Art Unterhaltungsraum. Da es manchmal Events gab, zu denen die Mitarbeiter eingeladen wurden (zum Beispiel Weihnachten oder Neujahr), hatte man dafür extra ein paar Räumlichkeiten eingerichtet. Diese wurden mir vorher gezeigt. Es handelte sich dabei um eine Art Spielraum mit Billard- und Pokertisch, beides Spiele, die ich kein bisschen beherrschte oder verstand. Es gab noch einen anderen, komplett freien, wo man sich vermutlich eine andere Beschäftigung aussuchen konnte. In einem Schrank befanden sich diverse Bretter und Kartensätze, darüber hatte man einen Fernseher angebracht, aus welchem jedoch kein Ton kam. An den Wänden befanden sich Lautsprecher, welche mit einer Stereoanlage verbunden waren und somit Musik wiedergaben, sobald man sie anschaltete. Noch einen Raum weiter gab es eine Art Lounge, wo man sich entspannen und quatschen konnte. In dieser befanden sich zwei Sitzecken mit kleinem Tisch. Gegenüber davon befand sich eine Bar, bei welcher man sich entweder selber bedienen konnte, oder aber es wurde ein Mixer engagiert, was öfter der Fall war. Gelegentlich wurden auch dort Treffen mit Businesspartnern abgehalten, dies fand aber meist Abends statt und dann wurden auch mehrere eingeladen. Bei diesen handelte es sich aber auch nicht um Verhandlungsgespräche, sondern lediglich um ein gesittetes beisammen Sein, welches ein paar Mal im Jahr untereinander einberufen wurde, um sich nicht aus den Augen zu verlieren.

„Es ist viel zu verarbeiten, das stimmt“ Lavender nahm einen Schluck von ihrem Getränk. „Aber ich glaub, du wirst dich schnell bei uns einleben. Du bist nicht dumm, das hab ich an deiner Arbeit bemerkt“

„Wie das denn?“ Hatte sie etwa einen Blick auf meinen Schreibtisch geworfen?

„Deine Ordnung ist schnell zu durchschauen. Du magst es, die Dinge zu deiner Rechten zu haben, die du noch bearbeiten musst. Alles links von dir ist schon vollendet und kann abgegeben werden. Ich sollte dir ein paar Ordner zukommen lassen, damit du nicht irgendwann in Papierkram untergehst“

„Um ehrlich zu sein“, fing ich an und biss mir kurz auf den Daumen. „Ich habe bereits Mister Domenicus um die verschiedenen Ordner der Klienten gebeten, um die Papiere einzuheften. Viele müssen hinzu sortiert werden, sonst könnte es zu Problemen kommen. Obwohl mir auch ein paar Neue aufgefallen sind.“ SW & H war nun mal in dieser Stadt eine sehr berühmte und beliebte Firma. Man vertraute den Mitarbeitern und ihrem Chef. An diese Standards musste ich mich anpassen.

„Huh“ Die Violetthaarige schien überrascht über meine Einsatzbereitschaft. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich so schnell einfindest. Umso besser!“ Sie klatschte in die Hände und lachte auf. „Ich wusste doch, dass es eine gute Entscheidung war, dich gleich einzustellen. Hoffentlich bleibst du uns noch länger erhalten“ Ich nickte ihr zu und lächelte. Es machte mir nichts aus, direkt unter Domenicus zu arbeiten, da ich ihn zwar momentan oft sah, aber kaum mit ihm sprach. Bislang hat er sich auch noch nicht über meine abgegebene Arbeit beschwert, weswegen ich davon ausging, dass ich alles doch zu seiner Zufriedenheit fertig stellte.

Wir plauderten noch ein wenig, bevor sich unsere Pausen dem Ende entgegen neigten. Sie erzählte mir von verschiedenen Gesprächen und Komplikationen, da ihr Kollege Zack noch immer krank war. Sie meinte zwar auch, dass er am nächsten Tag wieder zur Arbeit erscheinen sollte, aber durch seinen zweiwöchigen Ausfall hatte sich einiges angestaut, was nun abgearbeitet werden musste. Ich wünschte, ich könnte ihr helfen, aber sie benötigte die Hilfe ihres Gedankenlesers und nicht die einer Amateur-Sekretärin. Beiläufig erwähnte ich, dass ich am Abend noch ein Treffen vor mir hatte. Eine Art Blind-Date, meinte ich auf ihre Frage hin und brachte sie zum Kichern. Ich solle ihr alles erzählen, fügte sie noch hinzu. Daraufhin zuckte ich nur mit den Schultern. Ich hoffte nur, dass das nicht in die Hose gehen würde. Denn ich war zugegebener Maßen schon etwas aufgeregt.

Ich war so unglaublich froh, mir die Zeit eingeteilt zu haben. So kam ich eine Stunde, bevor ich auf mein Date musste, zu Hause an. Meine Arbeit hatte ich weitestgehend beendet und dem Chef vorgelegt, welcher es kurz beäugte und mich dann für den Tag entlassen hat. Ich wünschte ihm noch einen schönen Feierabend, unwissend, wie lang er eigentlich im Büro noch sitzen würde. Ich sollte mir darüber auch nicht den Kopf zerbrechen, sondern mich darauf konzentrieren, mich wenigstens etwas hübsch zu machen. Begabt war ich darin leider nicht. Alex bot mir zwar ihre Hilfe an, aber ich hatte das Gefühl, würde ich ihr die Kontrolle überlassen, würde ich dort einfach nur overdressed erscheinen. Ich war ganz froh, dass sich mein Date nicht für ein Restaurant, sondern ganz entspannt für eine Bar entschieden hatte. Klang seltsam, aber ich empfand es doch als recht angenehm und ungezwungen. Sollte es schiefgehen, könnte man sich immer noch irgendwie anders amüsieren. So ließ ich meine Haare frei, machte mir nicht die Mühe, meine Sommersprossen abzudecken oder mir Kontaktlinsen einzusetzen. Schlichtes Make Up musste genügen, dazu ein lässiges Top, Jeans und Stiefel. Ich putzte mich nicht besonders heraus, das wäre in einer Bar nicht von Nöten. Und außerdem hatte ich nicht unbedingt vor, den Unbekannten zu beeindrucken.

Alex hingegen war nicht sehr begeistert von meiner Auswahl an Kleidung und Make Up. Sie musterte mich mehrmals von Kopf bis Fuß und schüttelte den Kopf enttäuscht.

„Wirklich?“, hakte sie nach, deutete mit einer Handbewegung auf mich und meinte damit mein Aussehen. Ich hob nur eine Braue und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Es ist meine Sache, wie ich dort aufkreuze. Und momentan bin ich sowieso nicht scharf auf eine Beziehung“ Meine Arbeit würde noch zu meiner neuen Beziehung werden, denn das heute war vermutlich nur eine Aufwärmphase, um mich an alles zu gewöhnen. So konnte ich mir zwar eine Routine einfallen lassen, aber es war mir noch nicht klar, ob diese auch auf alles anwendbar war. Und schon war ich mit den Gedanken wieder bei meinem Arbeitsplatz. Frustriert fuhr ich mir durch die Haare, eigentlich wollte ich den Abend nutzen, um davon etwas wegzukommen. Und meine Freunde wären dabei keine große Hilfe leider, da einer von ihnen in derselben Firma angestellt war und die andere schlicht und ergreifend mich immer noch wegen meinem Sprach-Unfall aufzog. Mein Chef erwähnte es zum Glück nicht noch einmal, womöglich um ein unnötiges Gespräch zu vermeiden. Das während der Arbeit schien mir ja auch mehr wie ein Wunder.

Ohne mich großartig auf eine Diskussion mit meiner Freundin einzulassen, schnappte ich mir meine Tasche und verabschiedete mich. An der Tür begegnete ich noch Rene, welcher gerade von der Arbeit kam, nickte ihm kurz zu, bevor ich mich nach unten begab. Der Abend konnte meinetwegen beginnen.
 

Mehrmals schaute ich auf mein Handy und musste überprüfen, wo die Location denn nun war. Ganz in der Nähe hielt ein Bus, für welchen ich mir ein Ticket besorgte, um dort zeitnah anzukommen. Weit weg war es nicht und zum Glück nicht in irgendeiner heruntergekommenen Gegend. Eher ziemlich im Gegenteil. Die Bar ähnelte schon eher einem Nobelschuppen. Nachdem ich ausgestiegen war, musste ich nur wenige Meter laufen, bevor ich mich vor dem Eingang, dem ausgemachten Treffpunkt vorfand. Ich musterte die Tür, welche von einem Türsteher bewacht wurde. Über dem Eingang befand sich ein leuchtendes Schild mit dem Schriftzug ‚My Angel‘ und etwas kleiner darunter ‚Late Night Bar‘. Ich musterte den Türsteher, kein sehr gesprächiger Kerl vom Aussehen her. Ein großgewachsener Mann, welcher fast an die Körpergröße meines Vaters oder meines Chefs heran kam. Beide waren für mich unglaubliche Riesen. Dieser Mann war dazu noch muskulös und hatte einen tödlich-ernsten Blick aufgesetzt, mit welchem er mich bereits musterte. Ich zuckte zusammen und zog den Kopf ein, wollte mich glatt wieder zurückziehen, als jemand einen Arm um mich legte und mich in Richtung Bar geleitete.

„Keine Angst“, flüsterte mir der Fremde zu und ich wagte es nicht, meinen Kopf zu heben und ihn anzusehen. Ich sollte eigentlich auf meine Verabredung warten und jetzt? Ich wusste gar nicht, wie ich mich da wieder rauswinden sollte! Der Mann begrüßte den Türsteher freundlich.

„Guten Abend, Jeeves. Keine Sorge, sie ist meine Begleitung.“ Ob mich mein Date erkannt hat, bevor ich ihn sehen konnte? Ein wenig hoffte ich es, während ich langsam genügend Mut aufbaute, um den Wachhund anzusehen. Er schnaubte kurz, öffnete uns dann aber die Tür. Lachend schob mich der immer noch Fremde hinein und brachte mich gleich herüber zur Bar, wo wir uns auch setzten. Bislang waren nicht viele Leute hier, der Barkeeper machte auch gerade erst auf und musterte uns mit gehobenen Brauen, bevor er uns das breiteste Lächeln schenkte, was er nur machen konnte. Ich versuchte, ihn nicht allzu sehr anzustarren und richtete meinen Blick auf meine Begleitung, wobei mir kurz der Atem wegblieb. Nicht, weil ich ihn unangemessen attraktiv fand. Das würde sich immerhin anders äußern. Neben mir saß ein Mann mit mittellangen rabenschwarzen Haaren, dessen roten Augen zu seiner weißen Haut einen enormen Kontrast bildeten. Oh Gott, ich hatte glatt das Gefühl, ich säße neben meinem Vater! Mit dem Unterschied, dass er die Haare mit übermäßig viel Gel zurückgekämmt hatte. Meine Verabredung musterte mich kurz und grinste dann schief. Ich war also aufgefallen.

„Zu viel Gel, hm? Ist notiert“, meinte er so aus dem Blauen heraus und wickelte eine Strähne seines Haares um den Finger, um sie kurz zu mustern und dann wieder in Ruhe zu lassen. Ich wäre beinahe von meinem Hocker gefallen. Hatte ich das alles etwa laut gesagt? Mein Gegenüber schüttelte mit einem freundlichen Lächeln den Kopf.

„Ich kann Gedanken lesen“, erklärte er mir und tippte sich gegen den Kopf. „Eigentlich geb ich das nicht so offen zu, aber nachdem du meintest, ich sähe aus wie dein Vater, habe ich ja nichts mehr zu verlieren, oder?“

„Das … ich … äh … Es tut mir leid“, murmelte ich und zog den Kopf ein. Das war nicht nur peinlich, sondern auch dermaßen unangemessen und unangenehm.

„Mach dir keinen Kopf. Ich bin froh, dass das gleich über den Tisch ist. Und ganz ehrlich, ich kann dich verstehen. Ich hätte auch keine Lust, mit meiner Mutter auszugehen“, scherzte er, bevor er sich an den Barkeeper wandte. „Raven! Zwei Red Fountains bitte.“ Danach drehte er sich wieder zu mir, stützte seinen Kopf mit der Hand auf dem Tresen ab und lächelte mich an. Somit begann unsere Vorstellungsrunde: „Ich bin Zack Lockhardt. Wie du mitbekommen hast, Gedankenleser, also muss ich vor dir nicht geheim halten, dass ich ein Vampir bin. Außerdem bist du ganz offensichtlich selber einer“

„Woran …?“, brachte ich heraus, vollkommen verwirrt. Ich wusste nicht, dass ich ein Schild mit der Aufschrift ‚Ich bin ein Vampir‘ auf meinem Gesicht trug. Zack aber hob nur einen Finger und deutete damit auf seinen Mund.

„Du hast fast die ganze Zeit deinen Mund staunend offen gehabt, da konnte man deine Fangzähnchen sehen“

„Oh, das … erklärt es natürlich“ Ich kratzte mich peinlich berührt an der Wange, beobachtete diesen Raven dabei, wie er gerade drauf und dran war, die Getränke zu mixen. Red Fountain also, huh. Das klang eigenartig, ebenso wie der Name meines Dates. Wieso kam er mir so bekannt vor?

„Moment … darf ich dich mal was fragen?“, fing ich vorsichtig an.

„Klar, wenn du mir danach deinen Namen verrätst“, gab er zurück und hob den Kopf etwas an. Ups, ich hätte mich vielleicht auch vorstellen sollen. Aber das musste erstmal warten. Ich wollte diese Frage loswerden, bevor ich sie wieder vergaß.

„Arbeitest du zufällig mit einer Lavender zusammen?“ Seine Augen weiteten sich, ein Nicken folgte.

„Lavender Beautique, ja. Meine Kollegin. Sag nur …“

„Ich bin Allendra Lecrune. Eine … neue Kollegin, sozusagen“ Er lachte auf und fasste sich dabei ins Gesicht. Ich konnte nicht deuten, ob er sich gerade über mich lustig machte oder nicht, im Gegensatz zu ihm konnte ich ja keine Gedanken lesen. Im Allgemeinen hatte sich meine Gabe noch nicht offenbart.

„Oh man, das wird immer eigenartiger. Wenn Lavender das rauskriegt ..“ Er unterbrach sich selber mitten im Satz und schnellte mit den Kopf nach oben, betrachtete mich mit geweiteten Augen. „Sagtest du ‚Lecrune‘?“ Ich nickte auf seine Aussage hin, um ihm meinen Nachnamen zu bestätigen. Nachdenklich fasste er sich ans Kinn, schien zu überlegen, während seine Augen sich auf die Theke fixierten. Was war denn nun wieder los?

„Krass“, meinte er nach einer Weile und sah nun den Schrank voll Gläser und Flaschen an. „Die Lecrunes sind nicht nur ferne Verwandte von mir, sondern auch diejenigen, die ich feiere. Vor allem Adamantia’s Nachfahrin“

„Meine Mutter also“

„Mutter! Du bist also Wynne Lecrunes Tochter! Ich geh kaputt!“ Er schlug mit der Faust auf die Oberfläche und lachte auf. „Der Wahnsinn. Eine Lecrune arbeitet bei uns. Mann! Deine Familie ist eine Legende!“ Das machte die Sache mit mir nicht gerade einfacher. Mir war bewusst, was meine Eltern vollbracht hatten, vor allem meine Mutter. In meinem Alter hatte sie nicht nur schon zwei Kinder, sondern war eine Heldin unter den Vampiren. Ungewollt übte dies Druck auf uns aus, besonders auf mich, da ich mir das wirklich zu Herzen nahm. Und ich in ihrem Alter wusste nicht einmal, wie ich eine Bewerbung schreiben sollte. Zack sah mich entschuldigend an und ich zuckte lediglich mit den Schultern. Das Gespräch hatte doch jäh ein Ende gefunden und niemand von uns wusste, wie er ein neues beginne sollte. Nach und nach fanden sich immer mehr Leute in der Bar ein und es wurde recht schnell unübersichtlich. Drei weitere Angestellte zeigten sich, zwei Frauen und ein Mann, welche damit zu Gange waren, zum einen die Gäste zu bedienen und zum anderen Essen zuzubereiten.

„Weißt du was“, meinte Zack irgendwann und holte sein Handy hervor. „Ich entschärf die Situation mal. Sonst wird das hier nur noch eigenartiger“

„Inwiefern entschärfen?“, wollte ich wissen, doch anstatt mir zu antworten, legte er lediglich einen Finger auf seine Lippen, während er das Handy an sein Ohr hielt und wartete, dass sein Gesprächspartner ran ging. Verwirrt zog ich die Brauen zusammen und konnte nur abwarten. In der Zwischenzeit wurde Raven mit unseren Getränken endlich fertig und stellte diese uns hin.

„Sorry, hat etwas gedauert. Die Eismaschine war noch nicht ganz hochgefahren. Aber lasst’s euch schmecken“ Er lächelte wieder und wandte sich dann seinen anderen Gästen zu. Es fanden sich gehäuft Frauen an der Bar ein, mehr um den Mann anzuschmachten, als tatsächlich Getränke zu kaufen. Manche bestellten sich etwas, um länger sitzen bleiben zu können, ohne dabei eigenartig auszusehen. Ich entschied mich dazu, anstatt irgendwelche Fremden zu beobachten, mir den Drink zu genehmigen. Ich musterte die rote, süßlich riechende Flüssigkeit und nahm vorsichtig einen Schluck durch den Strohhalm. Der Geschmack war undefinierbar, den Alkohol konnte man rausschmecken. Aber es handelte sich eindeutig um ein Getränk, dass nur von Vampiren bestellt wurde.

„Red Fountain ist ein Blutgemisch“, beantwortete Zack meine ungestellte Frage, nachdem er sein Gespräch beendet und das Smartphone wieder weggesteckt hatte.

„Interessant, wie man den Geruch von Blut übertünchen kann“

„Muss er, sonst verscheucht er ja noch die restlichen Kunden. Dimos kam mit der Idee, er ist ein echtes Genie“ Der Vampir schmunzelte und nahm ebenfalls einen Schluck.

„Du scheinst die Leute hier gut zu kennen“, bemerkte ich nebenbei und nahm ebenfalls etwas mehr von dem Getränk zu mir. Auch wenn ich nicht ganz immun gegen Alkohol war, so hielt ich doch einiges aus, zum Glück. Das hätte das eine oder andere Mal ordentlich schief gehen können.

„Ich bin Stammgast und VIP“ Er hielt eine kleine goldene Karte mit den Buchstaben V, I und P nach oben, darunter sein Name und eine, wie ich annahm, Mitgliedschaftsnummer. „VIPler haben einen besonderen Raum, aber den hab ich heute nicht verlangt. Das ganze sollte ungezwungen sein, vor allem, da ich nicht wusste, mit wem ich mich eigentlich einlasse“

„Ja, meine Freundin hat mich mehr oder minder dazu überredet … Meint, ich solle mal öfter ausgehen, jetzt da mein Vater mich nicht mehr überwachen kann“ Erneut schmunzelte Zack auf meine Aussage hin. Wir unterhielten uns noch eine Weile, irgendwann fragte ich ihn, wen er denn angerufen habe. Er antwortete nur damit, dass ich es bald herausfinden würde und bestellte inzwischen den zweiten Red Fountain für sich, während ich noch an meinem ersten arbeitete. Obwohl es weder nach Blut roch, noch schmeckte oder aussah, fand ich es nicht gerade einfach, es zu mir zu nehmen. Das lag vermutlich am Alkohol. Er machte das Getränk schwerer als es eigentlich war und der Geschmack lungerte unnötig lang auf der Zunge und im Rachen. Immer wieder rührte ich um, bevor ich einen Schluck nahm und das nächste Gespräch anfing, damit wir nicht in einer weiteren peinlichen Schweigeminute landeten.

Nach einer gefühlten Stunde stieß eine dritte Person zu uns, die Zack mit einer Umarmung begrüßte. Ihre Kleidung war recht knapp gehalten und betonte genau die richtigen Stellen, das Pastel-Violette Haar fiel offen über ihren Rücken und machte den Sinn des rückenfreien Tops wieder zunichte. Er hatte also Lavender angerufen.

„Kätzchen!“, rief sie aus und begrüßte mich mit einem kurzen Drücker. „Moment mal. Sagt mir nicht …“ Sie sah zwischen uns her, bevor sie anfing zu lachen. „Ihr habt ein Date?“

„Blind Date“, fügte Zack hinzu.

„Dank meiner Freundin. Sie hat dabei verschwiegen, dass er meinem Vater verdammt ähnlich sieht“ Die Frau konnte sich vor Lachen kaum oben halten und stützte sich sogleich auf dem Tresen ab. Hätte sie kein wasserfestes Make Up getragen, wäre dieses definitiv verlaufen, so viele Tränen wie sie vergoss.

„Jetzt ist aber langsam mal gut“, meinte der Vampir doch recht amüsiert über ihre Reaktion.

„Na ja, ich kann mir gut vorstellen, dass er deinem Vater ähnlich sieht!“, stieß Lavender zwischen Atemzügen hervor. „Immerhin ist er ebenfalls aus der Blutlinie von Dracula“

„Grußelig“, meinte ich nur. „Aber wo du es sagst … er hat auch eine gewisse Ähnlichkeit mit meinen Brüdern. Brr“ Ich schüttelte mich. Draculas Zeiten lagen zwar weit zurück und der Genpool wurde schon zig Mal durchgemischt, aber es war dennoch eigenartig, auf einen fernen Verwandten zu treffen. Vielleicht sogar meinen Cousin sonst wie vielten Grades oder so. Keine Ahnung, wie das funktionierte. Nachdem sich unsere Kollegin beruhigt hatte, setzte sie sich endlich zu uns und hob eine Hand, um Raven auf sich aufmerksam zu machen.

„Hey, Hübscher!“, rief sie ihn herüber und der Barkeeper kam langsam und elegant, mit einem verführerischem Blick aufgelegt zu ihr herüber.

„Was darf’s sein, Lava?“, schnurrte er schon fast und putzte nebenbei ein Glas, welches er kurz daraufhin wegstellte, um sich voll und ganz ihrem Wunsch zu widmen.

„Ich hätte gern einen Tequila Sunrise, okay? Mit Schirmchen“, schnurrte sie zurück und tippte mit ihrem Zeigefinger an seine Nase. Raven lachte kurz auf.

„Kommt sofort, meine Hübsche“ Sah so flirten aus? Wenn ja, wollte ich es nicht probieren. Ich hob meine Hand, um dennoch auf mich aufmerksam zu machen.

„Für mich bitte auch“ Und damit war mir sofort klar, dass ich im Mittelpunkt stehen würde. Nicht nur Raven sah mich mit hochgezogenen Brauen an, sondern auch Lavender und Zack, welche nicht erwarteten, dass ein anderer Vampir ein Getränk erfunden von Menschen bestellen würde. Ich seufzte auf und erklärte ihnen die Situation, während wir auf unsere Drinks warteten.
 

Der Abend zog sich so dahin. Wir verließen die Bar, als es uns zu stickig im Inneren wurde und unternahmen in der Nacht und der frischen Luft noch einen kleinen Spaziergang. Lavender konnte es nicht lassen, uns wegen der Sache aufzuziehen und ich sah schon, was der nächste Tag bereithalten würde.

Sie bot sich an, um mich nach Hause zu fahren, da es für Zack ein ziemlicher Umweg werden würde und die beiden mich nicht mit dem Bus nach Hause fahren lassen wollten. Es war bereits 2 Uhr morgens und ich war heilfroh, dass Vampire nur wenig Schlaf brauchten. Mitten in der Woche auszugehen konnten auch nur wir uns erlauben, wie es bei Lavender aussah, wusste ich nicht. Ich fragte sie auch nicht mehr, dafür hing ich mit den Gedanken schon wieder zu sehr bei der Arbeit. Ich ging im Kopf durch, was mich am morgigen Tag alles erwarten würde und was für neue Aufgaben ich bekommen könnte. Mein Herz raste einwenig bei dem Gedanken daran, das Gebäude wieder zu betreten, aber das würde sich im Laufe des Tages wieder legen. Der Abend hatte mir zudem geholfen, zwei meiner Kollegen etwas besser kennen zu lernen. Ich habe herausgefunden, dass Lavender von sich aus gerne mit dem anderen Geschlecht flirtete, sich auf One-Night-Stands einließ, aber nicht an langfristigen Beziehungen interessiert war. Sie befand sich neben der Arbeit noch in einer Art Ausbildung, zu was, das wollte sie nicht verraten und meinte, ich würde es vermutlich sowieso noch herausfinden. Ihre Flirtereien mit Raven waren normal, sie unterhielten sich einfach so, da sie ungefähr auf einer Wellenlänge waren.

Zack hingegen würde sich gerne binden, wobei er die Richtige noch nicht gefunden hat. Er war schon seit längerem auf der Suche, seit knapp 100 Jahren um genau zu sein. Ich hatte nicht erwartet, einem so alten Vampir gegenüber zu sitzen. Oder mich mit einem in meiner Freizeit zu treffen. Er konnte nichts mit dominanten Frauen anfangen und fand mich aus dem Grund so interessant, weil ich seinen Beschützerinstinkt ansprach. Gleichzeitig akzeptierte er meine Entscheidung, mich nicht binden zu wollen, halbwegs. Er ließ aber die Möglichkeit offen, es irgendwann einmal wieder zu versuchen. Vielleicht, hatte ich nur gesagt und nicht ganz zugestimmt. So weit plante ich nicht voraus. Und es würde sowieso schon eigenartig genug werden, ihm am nächsten Tag wieder zu begegnen.
 

Alexandra wartete im Apartment und wollte sofort ein Status-Update und alles rund um das Date wissen. Ich erklärte ihr, wie es gelaufen war und sie lief hochrot an, weil sie sich zurückhielt, um nicht laut los zu lachen. Rene schlief bereits und sie wollte ihn nicht wecken, denn im Gegensatz zu uns brauchte er seinen Schlaf. Ich erzählte weiter, erwähnte Lavender und dass sie zu uns gestoßen war und dass Zack durchaus bereit wäre, noch einmal ein Treffen zu vereinbaren.

„Das wär doch was!“, flüsterte Alex mir zu und zeigte beide Daumen nach oben. „Da ist jemand an dir interessiert!“

„Ja, und er ist 120 Jahre älter als ich und sieht aus wie mein Vater. Verdammt, er ist älter als mein Vater. Das ist ein No-Go!“

„Ach was! Alter ist doch auch nur eine Zahl“

„Wäre ich jetzt Minderjährig, hätte ich einen Witz dazu gebracht“

Alex kicherte, beließ es aber dabei und verabschiedete sich für die Nacht. Ich machte mich im Bad noch fertig, bevor auch ich mich auf mein eigenes Zimmer zurück zog und die paar Stunden schlafen legte.
 

Die Arbeit am nächsten Tag lenkte mich ein wenig vom Abend zuvor ab. Domenicus hatte mir einige neue Dokumente hingelegt und zugeschickt, welche meine Aufmerksamkeit benötigten. Gewissenhaft kümmerte ich mich darum, tippte alles ein, was es abzuspeichern gab und sortierte die Papiere, während ich seinen Terminkalender auf den neuesten Stand brachte. Allein in diesem Monat standen noch drei verschiedene Geschäftsessen an und im nächsten gab es ein großes Treffen mit allen Partnern, welches in einer anderen Firma stattfinden würde. Er selber hielt das Treffen in seiner Firma im Dezember ab, um sich noch einmal vor Weihnachten zu treffen und das neue Jahr zu besprechen. Die meisten hatten in der Zeit zwischen dem Fest der Liebe und des Tag des Neujahrs keine Zeit, da sie diese mit ihrer Familie verbrachten. Das konnte ich sehr gut nachvollziehen, wobei ich das neue Jahr wohl eher bei meinen Freunden verbringen würde, da meine Eltern wohl eher weniger Zeit hätten. Wir schrieben und telefonierten zwar ab und an, aber dabei beließen wir es auch. Sie hatten alle Hände voll zu tun und ich war gerade dabei, mich in SW & H einzugewöhnen. So war es gut und so konnte es meiner Meinung nach auch bleiben.

Unerwartet kam Zack kurz vor meiner geplanten Mittagspause zu mir, um mich abzuholen. Er begrüßte mich mit einem Lächeln und fragte mich, wie mein Tag bislang war, während ich die letzten Schritte beendete und die Daten sicher speicherte, sodass während meiner Abwesenheit nichts verloren ging. Wir hielten etwas Smalltalk, bevor ich endlich alles abgeschlossen hatte und mich zur Pause bei meinem Chef abmeldete. Zack begleitete mich in die Mensa, in welcher wir auf Lavender stießen.

„Na sieh mal einer an!“, begrüßte sie uns und lachte. „Sag mal, Zack, willst du das Kätzchen unbedingt beeindrucken oder warum hast du auf einmal eine blonde Strähne?“

Überrascht sah ich den Mann an und tatsächlich! Auf der linken Seite bis nach hinten verlaufend befand sich eine Strähne blond gefärbten Haares. Der Vampir plusterte die Wangen auf.

„Darf ich nicht mal an mir herum experimentieren, ohne, dass es gleich für jemand anderen ist?“, stellte er empört in den Raum und verschränkte die Arme.

„Ja ne“, meinte Lavender nur und sah mich an. „Der Junge steht auf dich. Lass dir bloß nichts anderes einreden“ Oh je. Okay, Zack, wenn du meine Gedanken liest, hör bitte auf damit.

„Sorry“, kam es von dem Mann neben mir und ich verdrehte die Augen.

„Ist das eine schlechte Angewohnheit von dir oder willst du nur auf Nummer sicher gehen?“, fragte ich nach und hob den Kopf, um ihn anzusehen. Ich kam mir bei den beiden so unglaublich klein vor.

„Dummer Zufall eher. Ich wollt’s wirklich nicht“, entschuldigte er sich.

„Jaaa klaaar“, kam es diesmal von Lavender, welche ihn mit einem breiten Grinsen entgegen kam. „Zufall“

„Hey Allie!“, mischte nun eine weitere Person mit. Ich drehte mich in die Richtung, aus welcher die Stimme kam und atmete erleichtert auf, als ich Rene sah. Lachend fielen wir uns in die Arme und ich stellte dem Elfen Zack vor, denjenigen, den wir eigentlich während des Bewerbungsgespräches hätten kennenlernen sollen, er aber krank war.

„Und wie läuft’s bei dir so?“, fragte ich nach, während wir nach einem freien Tisch suchten, um uns hinzusetzen. Ich hatte meine kleine Dose mit den Blutkügelchen mitgenommen. Da sie eine kleinere Dosierung waren als Konserven, musste ich diese auch öfter zu mir nehmen. Zu viele Kügelchen an einem Tag würden meinen Magen reizen, da man noch daran arbeitete, die Haut darum so zu verfeinern, dass sie kaum noch wahrgenommen wird.

„Anstrengend ist’s, das sag ich dir“, erzählte Rene und fing an, sein Essen zu schneiden. Er hatte sich ein Steak mit Beilage gegönnt. Im Gegenzug zum allgemeinen Denken war es nämlich so, dass Elfen nicht unbedingt Vegetarier waren. Eher die anderen, die Elben, bevorzugten es, sich so zu ernähren. „Aber ich liebe es. Alois ist ein echter Schatz. Wie findet ihr nur solche Leute“ Damit wandte er sich an die beiden Zuständigen für das Einstellen von Personal. Zack zuckte mit den Schultern, während Lavender auflachte.

„Instinkt. Und unsere Gaben helfen da ordentlich nach. Sonst wären wir vermutlich so chaotisch wie Zeryas und Söhne. Oh, Allsehende bewahret uns davor“ Sie schüttelte den Kopf und diesmal war Rene es, der lachte.

„Jedenfalls“, fuhr er fort, „Wir arbeiten gerade an einem Projekt für diesen Klienten, der in den Akten als ‚Verzug‘ bezeichnet ist“ Unsere Kollegen kicherten, während der Elf seine Erzählung fortsetzte. „Alois war außer sich, nachdem er das gelesen hat. ‚Ich habe doch ausdrücklich gesagt, dass ich für diesen Wichser nichts mehr anfertigen werde. Dafür sind mir meine Arbeiter doch zu kostbar! Verdammt, Domenicus!‘ Und dann hat er eine ganze Stunde vor sich her geflucht. Köstlich!“

„Das klingt ganz nach Alois“, meinte Zack und kratzte sich am Hals. „Er ist zum einen zwar lieb und nett, aber wenn man ihn nervt, dann explodiert er einfach. Da gibt’s kein Ticken, gar nichts. Er rastet voll aus“

„Leider bringt es uns viel Geld“, warf Lavender ein und stibitzte etwas von Rene’s Wackelpudding. „Mister Verzug zahlt zwar sehr gerne sehr spät, dafür aber verdammt gut. Darüber können wir uns nicht beschweren. Die Projekte für ihn bringen sehr viel ein“

„Leider“, diesmal mischte sich derjenige ein, über den wir vor kurzem gesprochen hatten. Alois gesellte sich mit einer Suppe an unseren Tisch. Er war eher ein zierlicher Mann mit lockigen blonden Haaren und dunkelblauen Augen. Er hatte einen Schönheitsfleck unter dem rechten Auge auf seiner leicht gebräunten Haut. „Trotzdem könnte ich ihm manchmal den Kopf abschlagen. Hast du mal mit ihm am Telefon gesprochen, Lava? Der Typ könnte mit den Faultieren aus diesem einen Film da verwandt sein! Wie …. Kann …. Ich …. Ihnen …. Behilflich …. Sein“ Er ahmte die langsame Sprache der Faultiere aus dem Zeichentrickfilm nach und brachte uns damit zum Lachen. So wie er sich aufregte, konnte es wirklich nur amüsant sein, obwohl er einfach nur Dampf abließ.
 

Während ich mich mit den anderen unterhielt, verging die Zeit wie im Flug. Allgemein war es so, dass ich gar nicht mitbekam, wie sie an mir vorbeiflog. Die ersten Tage zogen dahin, immer mehr arbeitete ich mich ein und fand langsam, dass das alles gar nicht so schwer war. Auch Domenicus war über meine Leistungen positiv überrascht und gab mir einmal sogar ein Kompliment darüber. Gelegentlich hatte ich ein paar Probleme mit meinem Pc, woraufhin Alois sich beim Chef beschwerte, dass die alte Rostlaube‘ endlich mal ausgetauscht gehöre und nur, weil er keinen Wert auf Sekretärinnen läge, müsse er mir einen derartigen Zustand nicht zumuten. So wurde mein Arbeitsplatz technisch überarbeitet und ich fing wieder von vorne an. Obwohl alle Daten noch da waren, denn unsere Genies hatten alles gesichert und übertragen, war es eine ganz neue Technik, mit der ich arbeiten musste.

Hin und wieder fand ich den Chef schlafend in seinem Büro auf, wenn ich gerade einige Unterlagen abgeben oder einen Termin bestätigt haben wollte. Dann zog ich mich immer still wieder zurück und beschäftigte mich mit der nächsten Aufgabe, bis er von sich aus sein Büro verließ, um sich einen Kaffee zu machen.

„Wissen Sie, vielleicht sollten Sie daheim etwas mehr schlafen, anstatt so viel Kaffee zu trinken und sich durch den Tag zu schlagen“, meinte ich irgendwann mehr besorgt um sein Wohlergehen. Domenicus beachtete mich erst gar nicht und setzte sich einfach auf die Couch, anstatt zurück in das Zimmer zu gehen. Nervös setzte ich meine Arbeit fort und zuckte zusammen, als er zu sprechen anfing.

„Diese Müdigkeit kommt so oder so, ob ich nun gut schlafe oder nicht“, fing er an zu erklären.

„Trotzdem …“, murmelte ich. „Sie sind nicht selten die ganze Nacht im Büro und arbeiten vermutlich. Das tut nicht nur Ihnen nicht gut, sondern auch Ihre Familie vermisst Sie sicherlich“ Er hielt beim Trinken inne und schien zu überlegen, bevor er einen weiteren Schluck nahm, danach aber immer noch nicht wieder zu sprechen anfing. Stattdessen musterte er seine Hand, bevor er diese mit dem Handrücken zu mir gedreht mir zeigte.

„Sieh mal genau hin“, meinte er dazu und ich tat wie mir gesagt. „Sieht du einen Ring?“

„N-Nein …“, stotterte ich nervös. „Aber ich dachte … vielleicht haben Sie ihn abgelegt oder so … Weil es beim Schreiben so angenehmer ist“ Er schnaubte auf, als hätte ich ihn beleidigt. Verängstigt zog ich den Kopf ein und stoppte in jeglicher Handlung, um nicht irgendeinen dummen Fehler zu begehen. Er drehte sich zu mir, seine eisblauen Augen kamen mir mit einem Mal noch viel kälter als sonst vor, während sie sich in meine Seele bohrten. Oh je, ich hatte irgendwas Falsches gesagt.

„Wäre ich einen derartigen Bund eingegangen, wäre dieser heilig für mich und ich würde das Symbol dieser Beziehung nicht einfach ablegen.“

„Verzeihen Sie mir“, entschuldigte ich mich und schluckte schwer. „Ich … Ich konnte mir nur so schwer vorstellen, dass Sie niemanden haben“ Abgesehen von ihrer angsteinflößenden Art sind Sie nämlich nicht gerade von schlechten Eltern, Mister Domenicus. Als ob ich ihm das noch Mal ins Gesicht sagen würde! Er lehnte sich wieder zurück und nahm einen weiteren Schluck aus seiner Tasse.

„Bislang hat es mich nicht interessiert. Ich hatte andere Dinge zu tun, die wichtiger waren“

„Trotzdem sollten Sie mehr auf sich Acht geben. Es wäre schade, wenn Ihnen etwas zustoßen würde“ Und das meinte ich ernst. Auch wenn er sehr streng und furchteinflößend war, so war Domenicus äußerst wichtig für die Firma und deren Angestellten. Er hatte alles im Griff, ohne viel sagen zu müssen und das Vertrauen seiner Mitarbeiter, ohne es zu ahnen. Aber ich hatte es miterlebt. Während schon meiner kurzen Zeit hier, es mussten inzwischen etwa zwei Monate vergangen sein, wir hatten bereits August, war mir eines aufgefallen: Wenn der Chef an den Angestellten vorbei kam, lächelten diese ihn an und grüßten ihn, auch wenn er nur in seltenen Fällen darauf reagierte. Lavender begegnete ihm auch mit einer unglaublichen ungezwungenen Wärme, genauso wie Zack und Alois, welche manchmal einfach unangekündigt in sein Büro platzten und von mir nicht aufgehalten werden konnten. Ich sah, wie sich die Gesichtszüge meines Chefs entspannten. Der Ausdruck wurde weicher, fast sanft, während seine Mundwinkel eine Bewegung nach oben andeuteten. Lächelte er etwa? Wenn auch nur für einen klitzekleinen Moment!

„Ich … ich meine das Ernst. Nicht nur ich wüsste nicht, was ich dann tun sollte, sondern die anderen würden sich auch Sorgen um Sie machen“

„Oh, dann sollte ich vielleicht wirklich mehr auf mich aufpassen“, meinte er amüsiert und erhob sich von der Couch. Er ging an mir vorbei zu seinem Büro, legte mir eine Hand auf die Schulter und sprach mich noch einmal an.

„Du kannst für heute aufhören“

„Aber …“

„Kein Aber. Du machst Schluss für heute. Wir sehen uns morgen“

„Und Sie …“

„Ich werde die Nacht schon nicht durchmachen“ Ich zog die Brauen zusammen und sah ihn tadelnd an. Diesmal lachte er fast, tippte mit dem Rand seiner Kaffeetasse an seine Stirn. „Versprochen. Jetzt geh nach Hause. Du hast genug Überstunden angesammelt“ Damit verschwand er in seinem Büro, sodass ich ihm nicht weiter widersprechen konnte. Eher widerwillig packte ich alles zusammen, beendete noch meine angefangene Arbeit, um morgen nicht von vorn beginnen zu müssen und speicherte alles ab. Zwei Stunden früher Schluss. Gut, an manchen Tagen kam es bereits vor, dass ich bis spät in die Nacht arbeiten musste, weil wir etwas Dringendes zu beenden hatten. Da kam es auch vor, dass ich mehr mit Domenicus zusammen arbeitete, damit wir schneller voran kamen und nach Hause konnten. Einmal saßen wir bis 3 Uhr in der Früh und entschieden uns dazu, einfach in der Firma zu übernachten.
 

„Wir sollten sie langsam einweihen“ Heute Morgen war Lavender ohne mich großartig zu begrüßen und mit einem ernsten Gesicht ins Büro von Domenicus gestürmt. Ich sah ihr nur verwundert hinterher und wandte mich dann meiner Arbeit zu, welche diesmal vor allem daraus bestand, Geschäftsanrufe zu tätigen und E-Mails zu verschicken. Ich hatte nun endlich meine Probezeit hinter mir und konnte nicht mehr grundlos entlassen werden, obwohl ich sowieso das Gefühl hatte, dass meine Arbeit sehr geschätzt wurde. Ich war nun also schon sechs Monate eingestellt und hatte noch nicht jeglichen Lebenswillen verloren. Rene, Alex, Lavender und Zack unterstützen mich dabei, heiterten mich den Tag über auf. Am Wochenende unterhielt ich mich gelegentlich mit meinen Eltern oder meinen Brüdern, wenn sie Zeit hatten. „Aeneas, sie ist jetzt so lange bei uns wie alle anderen“

„Und sie ist unerfahrener als alle anderen“

„Aber anpassungsfähig! Das hast du selbst mitbekommen!“ Mir entging nicht, dass sie dabei über mich redeten. Es machte mich nervös, aber gleichzeitig wusste ich auch, dass es nicht um eine Entlassung ging. In was einweihen? Es machte mich neugierig. „Du brauchst jemanden, der dich unterstützt. Wer könnte besser geeignet sein als ein Vampir von Insignia? Noch dazu eine Lecrune!“ Ein lautes Schnauben ertönte und ich wusste, dass der Chef genervt war. Lavender schien das nicht zu interessieren, sie redete weiter auf ihn ein und ich versuchte, mich nicht mehr allzu sehr auf ihr Gespräch, sondern auf meine Werkelei zu konzentrieren.

„In Ordnung!“, hörte ich Domenicus irgendwann brüllen. „Lecrune! In mein Büro! Ich weiß sowieso, dass du alles gehört hast!“ Shit. Ich atmete tief durch, sendete noch die eine E-Mail, bevor ich mich langsam in sein Büro begab. Was würde mich dort erwarten?

Da stand ich also, die Finger ineinander verschränkt und die Hände vor mir haltend, musterte Lavender sowie unseren Chef, welcher mit einer unheimlichen Präsenz in seinem Bürostuhl saß. Er hatte sich ordentlich aufgesetzt und den Kopf gehoben. Mit den übergroßen Fenstern im Hintergrund sah er schon fast heilig aus. Es warf einen hellen Schein um ihn herum, während seine Augen kalt und dunkel waren. Ich erzitterte kurz, wandte meinen Blick von ihm ab und zu Lavender, welche versuchte, mich aufmunternd anzulächeln. Ich erwiderte es mehr schief als zuversichtlich. Was war hier los?

„Du erklärst es ihr. Es war deine Idee“ Domenicus winkte ab und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Die Frau neben mir schnaubte genervt über sein Verhalten, wandte sich dann aber an mich und begann mit ihrer Erklärung:

„Es gibt einen Grund, warum wir eigentlich sehr wählerisch sind was die Wahl der Sekretärinnen angeht. Bestenfalls hat sie eine gemischte Schule besucht und ist eingeweiht in die verschiedenen Rassen. Deswegen kam die Insignia Akademie sehr gelegen. Wenn nicht, führen wir sie normalerweise langsam heran, aber sie muss offen sein“

„Wieso eigentlich nur … sie?“, hinterfragte ich.

„Weil Männer schneller widersprechen und sich durch meine bloße Anwesenheit nicht so leicht einschüchtern lassen“, antwortete diesmal Domenicus. Einschüchtern? Ich gab ja offen zu, dass ich ein Angsthase war, aber nicht jede Frau war so schreckhaft wie ich! „Außerdem lassen sie sich auf Kompromisse ein“

„Und Aeneas ist ein Blickfang, weswegen sie meist mit den Konditionen einverstanden sind“

„Und … was, wenn es doch schief geht? Ich meine, ich bin bestimmt nicht die erste die ihr … in was auch immer einweiht“

„Die Erinnerungen von denjenigen, die wieder gegangen sind, wurden umgeändert und gelöscht. Wir … können nicht riskieren, dass unsere Geheimnisse nach draußen dringen. Deswegen hoffe ich, dass du uns etwas länger erhalten bleibst. Auch wenn du eher unauffällig bist, hast du bis lang das meiste Potential“, setzte Lavender fort und legte eine Hand auf meine Schulter.

„Eine Lecrune eben …“, murmelte ich nur. Ich hatte insgeheim die Nase voll von meinem Familiennamen. Ich wollte für mich wichtig sein, nicht wegen meinem verdammten Nachnamen. Ich war meine eigene Person, verdammt noch eins.

„Jedenfalls“, erhob die Frau erneut die Stimme. „Worum es eigentlich geht … und warum Aeneas dringend eine neue Sekretärin brauchte, verlässt diesen Raum nicht. Die einzigen, die davon wissen, sind Zack, ich und gleich du.“

„Zack?“, hinterfragte ich, woraufhin sich unser Chef wieder zu Wort meldete.

„Er ist ein Gedankenleser. Wenn wir Geheimnisse vor ihm haben, würde er es so oder so irgendwann herausfinden. Deswegen beschäftigen wir keinen zweiten mit dieser Gabe hier. Es wäre zu gefährlich.“ Das Ganze klang nicht gut. Ich hatte nicht das Gefühl, da mit hinein gezogen werden zu wollen. Lavender legte nun auch die zweite Hand auf meine andere Schulter und sah mich mit einem flehenden, fast leidendem Blick an.

„Bitte lauf nicht weg. Wir brauchen deine Dienste. Aeneas braucht deine Dienste“

„Mehr oder weniger“, gab Erwähnter hinzu und seine Angestellte warf ihm einen sauren Blick zu.

„Klappe auf den billigen Plätzen“ Der blonde hob überrascht über die Aussage eine Braue, beließ es aber dabei. „Zur Erklärung“, fing die Dame nun ein weiteres Mal an. „Du hast bestimmt schon von Engeln gehört. Zu denen gehöre ich ja auch“ Ich nickte ihr zu. Nicht nur, dass Engel in Rassenkunde behandelt wurden, meine Eltern kannten einige, auch wenn sie mit ihnen nicht gerade befreundet waren. „Es gibt so gesehen noch ein mächtigeres Wesen als Engel. Sie werden Seraphim genannt und fungieren meistens als Weltenwächter“ Weltenwächter? Es interessierte mich und jagte mir zum gleichen Teil Angst ein, darüber zu hören. Seraphim. Weltenwächter. Das klang unglaublich mächtig. „Jedenfalls. Viele von ihnen wachen schon seit Jahrtausenden über die Rassen und ihre Welten“

„Es gibt 10 für dich interessante Wächter“, mischte Domenicus wieder mit. „Mit Den Großen Drei wirst du dich auch befassen müssen“

„Da der Gute da drüben zu ihnen gehört“ Mit einer Handbewegung deutete Lavender auf unseren Chef. Moment. Er war ein Seraphim und einer der Großen Drei, von denen ich noch keinen Plan hatte, wer sie waren aber es klang verdammt mächtig? So langsam wurde mir klar, warum er so angsteinflößend war. Warum so kalt. Er musste bereits viele Jahrtausende auf dieser Welt wandeln. „Es ist so, dass jeder Wächter Buch über die Welt führen muss. Damit das erleichtert wird, gibt es Auszubildende und, in unserem Fall, Sekretärinnen, die in unser Wissen eingeweiht werden“

„Moment“, warf ich ein und unterbrach sie kurz, hob dabei eine Hand, damit sie auch wirklich still wurde. „Auszubildende? Heißt das ..?“

Mit einem Grinsen nickte sie mir zu und verschränkte nun die Arme vor der Brust.

„Ich bin eine Anwärterin für den Rang der Seraphim. Das tut aber nichts zur Sache. Als Angestellte eines solchen ist man Gefahren ausgesetzt. Es ist kein so gut gehütetes Geheimnis, dass sie existieren. Einige wenige Wissen von ihrer Existenz und ihrer Macht. Und du kannst dir sicher vorstellen, wo das hin führt“ Diesmal nickte ich ihr zu, wusste nicht, was ich sagen sollte. „Es ist jedenfalls wichtig, dass Aeneas ein bisschen Last abgenommen wird. Zu viel Stress kann zu bösen Nebenwirkungen führen und so lange ich noch Auszubildende bin, kann ich ihn nicht ablösen“

„Mich wird keiner ablösen“, knurrte Domenicus genervt. „Ich wache über diese Welt seit Jahrtausenden und mir geht es gut. Ich brauche niemanden, der mich ablöst oder unterstützt“

„Jetzt halt dein verdammtes Maul und lass dir endlich mal helfen, du dämlicher Sturkopf“ Ich zog vor Schreck den Kopf ein. Lavender wurde zwar nicht laut, aber den Ton, welchen sie gegenüber von unserem Chef einschlug, hatte schon etwas Gefährliches an sich. Sie bekriegten sich mit Blicken, während ich mit ihnen im Raum stand und hoffte, er würde nicht jeden Moment in die Luft gehen. Gleichzeitig versuchte ich, die Informationen zu verarbeiten. Seraphim waren aufgestiegene Engel, könnte man wohl so sagen. Sie waren mächtig und untereinander wohl als Weltenwächter bekannt. Wo sie wohl herkamen? Sie kannten bestimmt den Ursprung der Geschichte. Huh!

„Sagt mal …“, murmelte ich leise, während die beiden sich noch immer gegenseitig mit ihren Blicken abstachen. „Ihr habt Welten erwähnt. Was hat es damit auf sich?“ Domenicus richtete sich auf und warf den Kopf nach hinten, bevor er sich an mich wandte.

„Welten. Eigentlich sollten sie alle getrennt sein. Die Menschen unter sich, so wie die Elfen und Engel, bis auf eine ausgewählte Gruppe, welche den Seraphim unterstützt. Ich weiß nicht mehr, wann genau es war, aber es öffneten sich Portale, welche den Rassen erlaubten, sich zu mischen. Die erste verzeichnete Wandlung zwischen den Welten war von den Elfen zu den Vampiren.“ Also kannten sich diese beiden Rassen untereinander als erstes. „Ich weiß darüber nicht viel, da müssten wir Navia fragen. Wir Seraphim sind aufgrund unserer Tätigkeit die einzigen mit dem verliehenen Talent des Weltenwandelns. Wir dürfen es. Jedoch scheinen manchmal andere Rassen die Gabe des Portalöffnens zu entwickeln. Und das ist gefährlich“ Er rieb sich gestresst den Nacken, während er erzählte. Das Ganze zu verstehen würde einiges an Zeit kosten und ich hoffte nur, dass ich es hinbekam, ohne dass meine Arbeit darunter leiden würde.

„Inwiefern komm ich da ins Spiel ..?“, fragte ich sicherheitshalber noch einmal nach, in der Angst, etwas bei der Erklärung verpasst zu haben. Lavender legte eine Hand an ihre Hüfte, ich hingegen tappste von einem Fuß auf den anderen. Ich kam mir vor, als hätte ich ein weiteres Vorstellungsgespräch, obwohl ich bereits angestellt war.

„Wie gesagt, Seraphim müssen Buch führen. Es wäre durchaus hilfreich, wenn du ihn dabei unterstützen könntest, seine Gedanken zu sortieren. Außerdem wird es vorkommen, dass du ab diesem Moment öfter mit den anderen Seraphim zu tun bekommst. Keine Angst, sie sind nicht alle so griesgrämig wie Aeneas. Bis auf Ezekiel. Er ist viel schlimmer“ Wieso nur konnte ich mir das kaum vorstellen. Aus Nervosität heraus fing ich an, Däumchen zu drehen. Meine Hände hielt ich dabei unten, damit es nicht zu sehr auffiel und versuchte, Blickkontakt mit meinen Gesprächspartnern zu halten. „Außerdem tendiert er dazu, sich zu überarbeiten. Wenn du einen Blick darauf haben könntest, wann er nach Hause geht und du ihn dazu bringen könntest, sich tatsächlich auszuruhen, wäre das echt super. Sobald ich aufgestiegen bin, werde ich das übernehmen. Aber momentan arbeite ich ja nicht nur an meinem eigenen kleinen Projekt, sondern auch an meiner Prüfung, die ich hoffentlich bald ablegen werde“

„Ich überlasse dir meinen Platz trotzdem nicht“, warf Domenicus ein und verschränkte, als wäre er bockig, die Arme vor der Brust und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Lavender verdrehte nur die Augen.

„Kannst du aufhören, dich so aufzuführen, als würde man dir dein Spielzeug wegnehmen? Du wirst nicht ewig unberührt bleiben und wenn es soweit ist, wirst du einen Nachfolger brauchen! Und du weißt genau, dass ich am besten dafür geeignet bin“ Diesmal legte sich im Inneren des Chefs ein Schalter um. Er stand auf, schlug mit beiden flachen Handflächen auf seinen Schreibtisch. Ich zuckte zusammen, zog den Kopf ein und machte mich so klein und unauffällig wie möglich, während er einen halben Wutanfall hatte.

„Ich wache seit Jahrtausenden über diese Welt. Ich habe gesehen, wie sie aufgebaut wurde. Wie sie fast zugrunde gerichtet wurde. Wie die Wesen sich hier entwickelten. Wie sie anfingen, ihren Verstand zu benutzen. Ich habe diese Firma als Tarnung aufgebaut. Mich durch die Jahre gekämpft, um nicht aufzufallen. Ich werde mir jetzt nicht meinen Platz streitig machen lassen, nur weil ein dahergelaufener Engel meint, ich würde nach all den Jahren der Korruption zum Opfer fallen!“

„Korruption?“, fragte ich leise.

„Wirst du später erfahren“, antworteten die beiden wie aus einem Mund und ich trat einen Schritt zurück. Sie verfingen sich in eine hitzige Diskussion darum, dass der Chef angeblich nicht für immer immun sein würde und dass sie bereits alles wusste über die Welt, sich bestens informiert habe und er ja nichts verlieren würde blah blah blah. Während sie sich gegenseitig angingen, hielt ich es für den perfekten Moment, mich wieder aus dem Büro zurück zu ziehen und anzufangen, mir eine mentale Liste zu machen. Den Streit konnte ich draußen zwar noch hören, aber ihre Stimmen waren gedämpft genug, sodass ich sie ausblenden konnte. Also, zu meiner Zusammenfassung: Mein Chef war ein Seraphim und gehörte zu etwas, was als Die Großen Drei bezeichnet wurde. Seraphim waren Weltenwächter, welche Buch über ihre zugehörige Welt führten und Geschehnisse verzeichneten. Es gab … einige von ihnen. Ich würde mich mit ihnen befassen müssen. Ich würde Domenicus bei seiner Buchführung helfen müssen. Und gleichzeitig musste ich mir mit dem Erhalt dieser Informationen im Klaren sein, dass ich nun eine Zielscheibe auf meinem Rücken haben würde, sollte sich bei den Wissenden herausstellen, dass ich mehr als nur eine gewöhnliche Sekretärin war. Es gab zudem noch Auszubildende, Anwärter der Seraphim. Eine Gruppe unterstützte die Weltenwächter und wurde von diesen persönlich ausgewählt.

Ich versuchte, meine Stirn nicht auf meinem Schreibtisch aufzuschlagen. Ebenso wünschte ich mir, diese Informationen nie erhalten zu haben. Wieso war ich nicht einfach weggerannt, ich dumme Kuh? Ich hätte doch sicherlich die Möglichkeit dazu gehabt. Jetzt könnte ich immer noch gehen, aber der Gedanke daran, meine Erinnerungen verändert zu bekommen, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Meine Mutter hatte mir einiges davon erzählt, wie es für sie war und wie ekelhaft es sich anfühlte, eine Blockade im Kopf zu haben. Ich konnte mir zwar nicht sicher sein, dass es so ähnlich war, aber trotzdem wollte ich diese Erfahrung nicht machen. Mir blieb also nichts anderes übrig als weiterhin mein Bestes zu geben und jetzt noch 70 Prozent oben drauf zu legen.
 

Bevor ich in meinen Feierabend gehen konnte, begegnete ich noch einmal Zack, welcher sich im Laufe der Monate nicht nur die Haare hat schneiden, sondern auch blond färben lassen. Am Anfang sah es wirklich lustig aus, da er von Schwarz auf Drecksblond und irgendwann ausversehen Pink überging, weil er versucht hat, sie selber zu färben. Nachdem er zwei ganze Wochen lang von Lavender über ihren ‚Partnerlook‘ aufgezogen wurde, hatte er sich dazu entschieden, zu einem Friseur zu gehen und es von einem Profi erledigen zu lassen.

Mit einem breiten Lächeln winkte er mir zu, stoppte aber in der Bewegung, als er bemerkte, wie ich seine Geste nicht wie sonst erwiderte und eher auf ihn zugetrottet kam. Das Gespräch von vor einer Weile hing mir immer noch schwer im Magen.

„Hey“, begrüßte er mich und musterte mich besorgt. „Alles in Ordnung, Kätzchen?“ Da war es wieder, der Spitzname, der mich auf ewig verfolgen würde. Inzwischen fand ich ihn zwar nicht mehr ganz so schlimm, aber es ärgerte mich trotzdem noch etwas.

„Mehr oder minder.“ Ich seufzte und ließ den Kopf hängen. Beinahe hätte ich meine Tasche fallen lassen, hing sie mir schnell über die Schulter, um meine Hände nicht zu belasten. „Ich hab heute was erfahren, was mir echt schwer durch den Kopf geht. Ich muss das erstmal verarbeiten“

„Also haben sie dich tatsächlich eingeweiht“ Mir war klar, dass er Bescheid wissen würde. Ich hob meinen Kopf und sah ihn an, wie er mich verständnisvoll anblickte. „Das wird schon. Immerhin hast du ja auch Lavender und mich, wenn du dich mal wegen dem großen bösen Chef ausweinen willst“

„Um ehrlich zu sein“, fing ich kleinlaut an und begann damit, meine Fingerspitzen aneinander zu tippen. „Ich finde Domenicus gar nicht so schlimm oder böse. Klar, er kann ordentlich furchteinflößend sein, aber das muss er ja auch. Das versteh ich jetzt“ Und außerdem ging mir sein Lächeln nicht mehr aus dem Kopf. Es sollte verboten werden, so gut auszusehen.

„Heey!“, rief Rene hinter uns. Ich drehte mich um und empfing meinen besten Freund mit einer kleinen Umarmung. Ihm gegenüber durfte ich mir nichts anmerken lassen, durfte nicht darüber reden. Jede Müdigkeit würde ich auf die Arbeit und das Planen der Weihnachtsfeier schieben, welche bald stattfinden würde. Vor den Feiertagen und bevor einige der Angestellten in den Urlaub fuhren, hielt die Firma eine Feier ab, kurz nach dem Geschäftstreffen mit allen Partnern, welches ich ebenso managen musste. Ah, wenn ich nur daran dachte, schwirrte mir der Kopf. Alle Einladungen waren bereits verschickt zum Glück, darum musste ich mir keine Gedanken mehr machen. Jetzt musste ich nur auf Antworten warten und mir die Gäste notieren. Bei unseren Angestellten genauso.

„Alles klar bei dir, Rene?“, fragte ich nach, während wir uns auf den Weg nach draußen machten. Zack begleitete uns still, er redete meist nicht so viel, wenn andere dabei waren, vor allem meine Freunde. Inzwischen hatte ich ihm auch schon Alex vorgestellt, welche mir mit seiner Ähnlichkeit zu meinem Vater Recht gegeben hatte. Und da waren seine Haare sogar schon pink.

„Yup, haben heute einen Auftrag fertig gemacht. By the way, schreib mich auf die Liste für die Feier. Irgendwas, was ich mitbringen soll?“

„Außer dir selber fällt mir jetzt nichts ein“

„Wenn du was Besonderes trinken willst, solltest du das entweder auf die Liste in der Mensa schreiben, oder einfach selbst besorgen“, mischte sich Zack nun doch kurz in das Gespräch mit ein. „Jedenfalls, ich verabschiede mich dann Mal. Bis morgen, Kätzchen“ Er winkte uns zu, drückte mich kurz zum Abschied, bevor er zu seinem Auto ging und nach Hause fuhr. Rene und ich legten den Weg zu Fuß zurück, da wir es zum Glück nicht so weit bis zum Apartmentgebäude hatten. Alex hatte sich wirklich eine angenehme Lage für ihre Wohnung ausgesucht und wir hatten Glück, dass es noch zwei freie Zimmer gab und für sie allein die Miete zu teuer gewesen wäre, weswegen wir diese unter uns aufteilten.

„Kann dein Schnuckelchen mich eigentlich nicht leiden oder warum ist er immer so schweigsam?“, fragte Rene mich auf dem Heimweg. Als Antwort konnte ich nur mit den Schultern zucken, da mir keine Erklärung dazu einfiel.

„Hast du Alex schon wegen der Serie angerufen?“, gab ich zurück und mit einem Fluchen kramte der Elf nun ein Handy aus seiner hinteren Hosentaschen.

„Ay Scheiße! Das ist mir total entfallen. Wann fängt sie noch mal an?“

Ich sah auf die Uhr, bevor ich den Mund aufmachte.

„In etwa 45 Minuten, also haben wir eigentlich noch genug Zeit“

So lief unser Abend meistens ab: Relaxed auf der Couch mit ein paar Snacks und Getränken und unserer Lieblingsserie. So konnte man doch leben.
 

Die Nacht wälzte ich mich in meinem Bett hin und her. Ich litt nicht an einem Albtraum, sondern konnte im Generellen kein Auge zu tun. Mir schwirrte der gesamte Tag durch den Kopf und ich versuchte noch immer, alles zu verarbeiten. Manchmal starrte ich in der Dunkelheit sogar für einige Minuten einfach an die Decke, hob aus irgendwelchen Gründen manchmal einen Arm, musterte dann meine Hand, bevor ich sie wieder runter nahm und mich erst auf eine Seite, dann auf die andere drehte. Ich wurde in dem Glauben aufgezogen, neben Menschen und Vampiren gäbe es keine weiteren Rassen. Im Fünften Jahr an der Insignia erfuhr ich dann, dass es doch noch andere gab. Und nun wurde mir erzählt, dass es Wächterwesen gab, welche uns beobachteten. Oder Welcher. Keine Ahnung wie das nun war und wie es funktionieren sollte, dass sich ein Seraphim allein um eine Welt kümmern sollte. Aber vielleicht würde sich das alles noch klären. Jedenfalls der darauffolgende Tag war der erste, an dem ich mich richtig elendig fühlte. Und das merkten nicht nur meine Kollegen.

Die erste, der ich begegnete, war Addie. Wie immer natürlich. Sie stand da an ihrem Schreibtisch, kratzte sich am Kopf, während ich gerade durch die große Tür ging und das Gebäude betrat. Ihr Schreibtisch war wie immer das reinste Chaos und ich wunderte mich, wie man damit überhaupt umgehen konnte. Ihr Arbeitsplatz war aber nicht das einzige, was nicht in Ordnung war. Ich hörte, wie der Aufzug aufging und wandte meine Aufmerksamkeit dort hin, nur um zu sehen, wie Lavender angestürzt kam, gefolgt von Alois.

„Wieso hast du nichts gesagt?!“, fuhr der Engel die Frau sofort an, nachdem sie hinter dem Schreibtisch Platz gefunden hatte, nicht ohne einige Sachen beiseiteschieben zu müssen. Ich gehörte nicht zu denjenigen, die gern ihre Nasen in fremde Angelegenheiten steckten, aber es verwunderte mich dennoch, warum Lavender so aufgebracht war. Also ging ich zu ihr herüber, stützte mich vorsichtig auf der davor liegenden Theke ab und beugte mich leicht nach vorn. Alois kam nun auch zum Ort des Geschehens dazu und drückte beide Frauen zur Seite, um an den Rechner zu kommen.

„Was ist los?“, fragte ich nach. Ich konnte nur sehen, wie Köpfe geschüttelt wurden. Hoffentlich würde man mich noch aufklären, denn das würde ich sicherlich nicht vergessen können.
 

„Eine Eingeweihte also“

„Die 10. In 100 Jahren. Wie sie es aushalten wird?“

„Wird sich herausstellen“

„Wie spinnt sich der Faden?“

„Schwierig. Es stoppt manchmal“

„Wolltest du was von mir?“, kam es gelangweilt und monoton von Addie. Ich zuckte zusammen, an sich hatte sie ja Recht, ich war nicht nur aufgrund meiner Müdigkeit etwas später dran. Ich nickte ihr zu.

„Ich wollte dich persönlich wegen der Feier fragen, da ich nicht weiß, ob du … na ja. Deine E-Mails und so …“ Und jetzt wurde ihr PC ja von Alois belagert, also hatte sich das schon Mal geklärt. Meine Kollegin zuckte nur mit den Schultern und lehnte sich an die Theke.

„Weiß nicht“, antwortete sie. „Vermutlich ja, weil mich Lava mitschleppen wird“

„Und wie ich das werde“, zischte die Dame, „Aber jetzt haben wir ein größeres Problem“

„Worum geht es eigentlich?“, versuchte ich es erneut und wollte einen Blick auf den Monitor erhaschen. Alois schnaubte darüber nur, wie ich mich nach vorn beugte und mit meinem Kopf fast gegen seinen stieß.

„Komm doch einfach rum und sieh es dir an. Früher oder später würdest du es sowieso erfahren“, meinte er genervt. Ich rieb mir beschämt den Nacken, umkreiste dann den Arbeitsplatz um das Ganze besser betrachten zu können. Und kaum konnte ich es sehen, wünschte ich mir, es nicht getan zu haben. Erschrocken legte ich eine Hand über meinen Mund und sog scharf die Luft ein. Der Monitor leuchtete in einem grellen rot, übersät mit einer in schwarz geschrieben Nachricht:

Du wirst sterben.

Mein Blick ging rüber zu Addie, welche die anderen teilnahmslos ansah.

„Na und?“, kam es nur von ihr.

„Na und?!“, gab ich diesmal entsetzt zurück und nahm damit wohl Lavender die Worte aus den Mund. „Du wirst bedroht! Da gibt es kein Na Und! Wenn auch nur ein Funken Wahrheit dahinter steckt, bist du in Gefahr!“ Sie zuckte nur mit den Schultern, während ich meine fallen ließ. Wie konnte einem das Leben nur so egal sein? Ich wollte grad wieder anfangen, da legte mir Lavender wie am Vortag eine Hand auf die Schulter und gab mir zu verstehen, dass sie mit mir später noch mal darüber reden würde. Gerade war es aber wichtig, dass Alois genug Konzentration hatte, um sich um das Problem zu kümmern und die Quelle ausfindig zu machen. Deswegen entschied ich mich auch dazu, mich von den anderen vorerst zu verabschieden und mich an meine Arbeit zu machen.
 

Ich notierte mir bis zu meiner Pause mehrere Namen von Geschäftspartnern, welche an dem Treffen am kommenden Wochenende teilnehmen würden. Es war keine wirklich herausfordernde Arbeit, ich saß einfach nur da und ging die E-Mails im Posteingang durch. Meinen Chef hatte ich noch nicht gesehen, weswegen ich davon ausging, dass er mal wieder in der Firma übernachtet hat. Obwohl es wirklich seltsam war, dass er noch nicht aus dem Büro kam, um sich einen Kaffee zu machen. Ich entschloss mich einfach dazu, das für ihn zu übernehmen und ihm die Tasse ins Büro zu bringen. Es lenkte mich ein bisschen von den ganzen Zahlen und Buchstaben ab und so hätte ich auch die Möglichkeit, noch ein paar Fragen zu gestern zu stellen. Was waren denn nun Die Großen Drei zum Beispiel?

Als ich die braune Brühe so betrachtete und den Duft aufnahm, wünschte ich mir, dass das Koffein auch auf mich wirken würde und mich etwas aufweckte. Es war ja leider dem nicht so, aber der Geschmack von Kaffee gefiel mir jetzt auch nicht so sehr, weswegen ich glatt wieder froh darüber war. Ich schnappte mir die Tasse mit dem Gebräu, überlegte noch, ob er es denn mit Milch und Zucker vermischte, bis ich mich dazu entschied, alles auf einen Teller zu tun und so mitzunehmen. Höflicherweise und wie es sich gehörte klopfte ich an die Tür zum Büro, jedoch kam keine Antwort zurück. War er vielleicht daheim? Es war zwar nicht in Ordnung, einfach so rein zu gehen, aber ich wollte doch auf Nummer sicher gehen. Vorsichtig öffnete ich also die Tür, drückte sie mit dem Rücken nach hinten, um den Teller nicht mit einer Hand balancieren zu müssen und somit irgendetwas fallen zu lassen. Ich kannte mich ja inzwischen nach 27 Jahren.

„Chef, ich hab hier- …“ Ich unterbrach mich selber im Satz, als ich sah, wie Domenicus mit dem Kopf auf seinem Schreibtisch lag, die Arme darunter gelegt, um sich etwas abzustützen. Dass er nicht wach geworden ist wunderte mich. Langsam näherte ich mich dem Tisch und stellte den Teller ab, musterte dabei meinen Boss und legte verwirrt den Kopf schief. Hörte er mich nicht? Er musste wirklich sehr tief schlafen. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich eine dunkle Aura um ihn herum. Kaum fiel mir diese auf, sah ich auch, dass er sich gelegentlich verkrampfte und die Augen weiter zusammen kniff, alles während er weiter schlief. Verwirrt trat ich einen Schritt zurück und wusste nicht recht, was ich tun sollte. Ob sich so Albträume bei den Seraphim zeigten? Ich wollte gerade wieder raus, da kam mir Lavender entgegen.

„Da bist du ja“, sprach sie mich an, nachdem sie das Büro betreten hatte. „Ich hab dich nicht auf deinem Platz gesehen, da hab ich mich gewundert … Oh verdammt“ Auch sie erblickte Domenicus, hatte aber eine komplett andere Reaktion als ich. Sie war nicht verwirrt, sie wusste ganz genau, was mit ihm los war und ihrem Verdammt nach zu urteilen, war es nichts Gutes.

„Was ist los?“, fragte ich vorsichtig, während wir uns wieder näherten und Lavender versuchte, die Aura durch eine aufscheuchende Bewegung mit ihren Armen loszuwerden.

„Shoo! Weg mit dir! Weg!“, sagte sie dabei. „Schatten. Seraphim werden mit der Zeit anfällig durch die Korruption durch die Rassen. An sich sind sie ja rein, aber je mehr sie mit anderen in Kontakt kommen, desto eher können sie von Schatten heimgesucht und verdorben werden. Deswegen brauch Aeneas auch jemanden, der ihn bald ablöst! Und jetzt shoo!“ Sie blieb dabei nicht gerade leise, als wäre es tatsächlich möglich, dieses … was auch immer es war, einfach so loszuwerden. Um sie nicht allein zu lassen, versuchte ich ihr zu helfen und ahmte ihre Bewegungen nach.

„Hinfort!“, rief ich aus und sah, wie sich dieser Schatten kurz mit meiner Hand mitbewegte. Es war also tatsächlich möglich, das Zeug zu beeinflussen. Beeindruckend! Ich machte weiter, bemerkte aber auch, wie sich etwas in diesem Schwarz manifestierte und um Domenicus herum schlängelte.

„Was ..?“, brachte ich gerade noch so heraus, da schnellte es nach vorne uns biss mich in den linken Oberarm! Ich stürzte zurück, fiel dabei gegen das Regal und rutschte nach unten. Das tat höllisch weh!

„Kätzchen!“, stieß Lavender erschrocken aus und wusste nicht mehr, auf wen sie sich konzentrieren sollte. Das Wesen zog sich wieder zurück und verschwand im Schatten, ich hingegen blieb auf dem Boden sitzen und hielt mir die Bisswunde zu. Es schmerzte und pochte, ich merkte, wie mein Arm langsam taub wurde. Und mir wurde unheimlich schlecht.

„Lava …“, brachte ich ächzend heraus und versuchte, mich von Ort und Stelle zu bewegen. Statt es aber auf die Beine zu schaffen und stehen zu bleiben, fiel ich erneut gegen das Regal, räumte einige Bücher dabei aus und blieb diesmal einfach sitzen. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Ich blieb wach, merkte aber, wie mir die Kontrolle über meinen Körper langsam entglitt. Der Schmerz ließ nach, aber gleichzeitig wurde alles taub. Langsam hob ich den Kopf an, sah, wie zwei Personen sich zu mir hockten.

„Lecrune? Kannst du mich hören?“ Ich nickte leicht.

„Scheiße, Aeneas! Sie wurde von deinem Schatten angegriffen!“

„Das kann nicht möglich sein. Schatten interessieren sich nicht für andere Rassen“

„Es ist aber passiert! Schau sie dir an! Wir müssen was unternehmen!“

„In Ordnung“ Rascheln. Der Boss hob mich vom Boden auf und brachte mich aus seinem Büro hinaus auf die Couch im Vorsaal, wo ich abgelegt und zugedeckt wurde, obwohl mir gar nicht kalt war. Protestieren konnte ich nicht. Obwohl ich noch alles mitbekam, konnte ich keinen Einfluss mehr üben, nur noch beobachten. Als würde sich meine Seele langsam von meinem Körper trennen. „Ruf meinen Heiler. Er wird hoffentlich wissen, was zu tun ist“

„Wird erledigt“ Lavender setzte sich zu mir, hatte in einer Hand ihr Smartphone und tippte wie wild darauf herum. Nachdem sie die Nummer gefunden hatte und das Telefon nun an ihr Ohr hielt, wandte sie sich mir zu und strich mir über den Kopf. „Alles wird gut. Halte durch“ Sie war noch weißer als sonst und Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ich wollte mich für meine eigene Dummheit entschuldigen und ärgerte mich darüber, dass ich nichts sagen konnte. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass Domenicus meine Dose aus dem Kühlschrank holte und sich vor die Couch hockte.

„Mund auf“, befahl er mir und nahm eine Blutkugel zwischen die Finger. Das funktionierte noch so halbwegs. Ich konnte meinen Kiefer bewegen und die Blutkugel runterschlucken. Eine Art Impuls ging durch meinen Körper und ich ächzte auf.

„Was …. Ist das …?“, brachte ich heraus, bewegte mich kurz, sank dann auf die Couch zurück und blieb liegen.

„Interessant“, meinte Domenicus nur und musterte die Kugel. „Entweder bist du dermaßen unterernährt, dass es sich schneller zerfrisst oder deine Spezialmahlzeiten sind besonders stark. Noch eine, na los. Das kriegst du hin“ Ich ließ mich doch nicht gerade tatsächlich von meinem Chef füttern. Es war natürlich besser, als die ganze Zeit nur taub dazuliegen und abzuwarten. Das Blut gab mir Kraftschübe und das führte dazu, dass ich mich nach ein paar Kügelchen schon aufrichten konnte. Da stellte Domenicus die Dose weg und wandte sich Lavender zu, welche gerade mit jemandem in einem Gespräch verwickelt war. Sie war aufgeregt und versuchte, die Situation, welche sie selber nicht so recht verstand, zu erklären. Da ging es mir aber nicht anders. Irgendwas hat mich gebissen, es hat kurz höllisch geschmerzt und dann wurde alles taub. Und dann konnte ich mich nur noch dank der Einnahme meiner Nahrung etwas bewegen, wenn auch schwerfällig. Noch dazu fühlte es sich so an, als würde mein Arm langsam anschwellen …
 

Lavender unterhielt sich einwenig mit mir, während wir auf jemanden warteten. Dabei konnte ich ihr keine großartigen Antworten geben oder mitreden, manchmal mischte sich Domenicus mit ein, aber zum größten Teil war es ein einseitiges Gespräch mit einem Zuhörer. Nach einiger Zeit schnappte sich der Chef seinen Schlüssel und nahm den Aufzug nach unten. Wenn er persönlich ging, musste es sich um jemand wichtigen handeln. Vielleicht die Person, die mir helfen konnte? Hoffentlich war mir noch zu helfen, ich fühlte mich inzwischen wie ein unnötig großer Ballon, obwohl ich an Masse nicht zugenommen hatte. Zum Glück. Ich dachte schon, dass ich vielleicht eine allergische Reaktion oder so haben könnte. Ob es Vampire mit Allergien überhaupt gab?

„Roland!“, begrüßte Lavender die neue Person, stand auf und umarmte ihn stürmisch. Roland … oh, den Mann kannte ich. Ich bewegte meinen Kopf leicht um den Dazukömmling anzuschauen. Während ihm sein Gesicht fast einschlief, lächelte ich ihn schwach an.

„Wieso finde ich mich immer wieder in der Anwesenheit einer Lecrune wieder? Ihr seid überall“

„Auch schön … dich … wiederzusehen …“, ächzte ich und bewegte mich leicht, brachte es aber nicht weit. Inzwischen nutzte ich meinen linken Arm nicht mal mehr zum Aufstützen, was daran lag, da dieser bereits anfing, lila anzulaufen. Die Adern stachen in einem schwarz hervor.

„Du klingst echt scheiße“, bemerkte Roland und kam zu mir herüber, sah sich meinen Arm an. „Was ist passiert?“ Die Frage war eindeutig nicht an mich gewendet, weswegen ich es mir auch nicht zur Aufgabe machte, zu antworten. Das übernahm Lavender.

„Aeneas wurde von den Schatten heimgesucht. Sie wollte mir helfen, sie loszuwerden und wurde von irgendeiner Manifestation attackiert“

„Schatten, die attackieren?“ Der Engel hob eine Braue und fuhr mit zwei Fingern meine Adern ab. Ich spürte, wie sich unter meiner Haut etwas bewegte, obwohl mein Arm so taub war, als wäre er abgestorben.

„Ich weiß ja auch nicht! Normalerweise ist das doch nicht so, oder? Oder?“ Verzweifelt drehte sich die Frau zu unserem Chef, welcher nur mit den Schultern zucken konnte.

„Es gibt weder Aufzeichnungen noch andere ähnliche Vorkommnisse. Das ist das erste Mal, dass so etwas geschieht“

„Na dann betet mal zu den Allsehenden, dass ich etwas ausrichten kann“ Damit machte sich Roland langsam an die Arbeit. Immer wieder fuhr er mit den Fingern über meinen Arm, fing dabei beim Handgelenk an und strich bis nach oben zur Bissstelle, welche knallrot auf meiner Haut hervorstach. Noch beobachtete ich alles neugierig, wie sich langsam etwas ansammelte, mein Arm nach und nach wieder bleich wurde, anstatt ungesund lila anzulaufen. Dafür bildete sich eine Art Blase in der Nähe der Bissstelle unter meiner Haut und mir wurde nur vom Ansehen schlecht. Es war ein Wunder, dass meine Haut nicht schon längst aufgeplatzt war. Ich sträubte mich, wollte zum einen nicht hinschauen, zum anderen aber war ich dennoch neugierig und wollte meine Grenzen austesten. Ich bereute es. Roland zückte ein Skalpell und bat um eine Schüssel. Meinen Arm ließ ich nun von der Couch in einen Eimer hängen, da sie keine Schüssel einbüßen wollten. Ich war heilfroh, dass dieses Körperteil taub war, sonst hätte ich vermutlich geschrien, als der Engel, oder Heiler, wie er auch bezeichnet wurde, die Blase aufschnitt und eine schwarze dicke Flüssigkeit nun hinaus lief. Das Gefühl in meinem Körper kam langsam wieder zurück, doch konnte ich noch immer meine Augen nicht verdecken. Das aber übernahm jemand anderes für mich.

„Ich hab keine Lust, dass wir hier unnötig viel putzen müssen“, erklärte Domenicus und ich nickte schwach. Meine Finger begannen zu zucken, als das Gefühl in meinen Arm zurückkehrte. Links neben mir vernahm ich Rascheln. Gleichzeitig merkte ich, wie meine Kraft wieder abnahm. Zwar verschwand diese Taubheit in meinen Gliedern, aber ich wurde unglaublich schwach. Meinen Arm konnte ich nur hängen lassen, mit dem Kopf lag ich auf der Lehne und ließ mir die Augen zuhalten.

„Wie viel von ihren Konserven hat sie noch?“, fragte Roland nach und durchsuchte noch immer seine Tasche. Mir waren inzwischen die Augen zugefallen und das Gefühl der Flüssigkeit an meinem Arm veränderte sich. Es war nicht mehr so zäh, schlich sich nicht mehr an meiner Haut entlang in den Eimer. Aber selbst wenn ich meine Augen aufmachen könnte, würde ich nichts sehen.

„Ich glaube kaum, dass die viel helfen werden“, meinte der Chef und nahm seine Hand von meinen Augen. Der Heiler beschäftigte sich derweil mit der Schnittwunde, die er mir zugefügt hatte, um was auch immer in mir war loszuwerden. Zuerst musste er die Blutung stoppen, dann brachte er einen Verband an. Meine Heilkräfte müssten sich zwar darum kümmern können, aber dafür würde ich Kraft benötigen, die mich verlassen hat. Ich stöhnte auf, als Roland die Bandage fest zog.

„Sei keine Memme“, herrschte er mich an und befestigte den Verband, bevor er meinen Arm vorsichtig über meinen Körper legte. „Wie sieht es nun mit dem Blut aus?“ Ich öffnete langsam meine Augen wieder, nachdem ich gehört hatte, wie der Eimer weggestellt wurde. Roland musterte den Inhalt mit zusammengezogenen Brauen, Lavender legte die Decke weiter über mich und strich vorsichtig über meinen Kopf, als wäre sie meine fürsorgliche Mutter und Domenicus kam zu uns herüber, eine Tasse in der Hand. Die andere ließ er einfach hängen und hatte sie zur Faust geballt. Er hielt mir das Gefäß hin, welches ich vorsichtig nahm und dessen Inhalt ich musterte. Ich erwartete eine dunkelrote Flüssigkeit, doch stattdessen befand sich darin eine weißgolden glänzende Substanz. Verwirrt schüttelte ich die Tasse. Der Geruch war dezent süß, aber nicht übertrieben. Gerade, als ich ansetzen wollte, sah ich, wie entsetzt Lavender die Tasse musterte und dann unseren Chef ansah.

„Das hast du nicht wirklich getan“, meinte sie nur. Das verwirrte mich nur noch mehr.

„Was getan?“, wollte ich wissen, konnte aber nur sehr leise fragen und schnaubte, nahm einen Schluck von der Flüssigkeit. Ich sog tief die Luft ein, nachdem sie meine Kehle runterrann und mir sofort neue Energie gab. Mehr als meine Kügelchen mir je geben könnten!

„Etwas von meinem Blut abgegeben“, antwortete der Seraphim nun und hob die Hand, die er geballt an seiner Seite hängen gelassen hatte. Kurz drehte er sich zu Roland und fragte nach einem Restverband. Erst da erkannte ich den Schnitt in seiner Handfläche und dieselbe weißgoldene Substanz. Er hatte also sein eigenes Blut, welches keinem der mir bekannten glich, gegeben, damit ich wieder zu Kräften kam. Und natürlich, obwohl ich wusste, was es war, war mir Aussehen und Duft nicht zuwider. Seraphim waren wirklich eigenartig. Ich leerte die Tasse, welche mir von dem Engel an meiner Seite abgenommen und in die Spüle gestellt wurde. Ich kam mir vor wie auf einem Krankenbett, mehrere Leute um mich herum, ein weiterer, der kurz verarztet werden musste. Der Heiler hatte sich inzwischen ein Bild von dem gemacht, was bis vor kurzen noch in mir war. Es jagte mir einen Schauer über den Rücken auch nur daran zu denken. Ekelhaft. Den Schatten würde ich mich definitiv nicht mehr nähern.

„Das Ganze ist immer noch ziemlich kurios“ Roland kratzte sich am Kinn und warf einen erneuten Blick auf den Eimer. „Ein aggressiver Schatten, der auf andere Lebewesen losgeht, infiziert einen Vampir mit einem sich schnell ausbreitendem, aber suchenden Gift. Es wollte sie nicht töten, aber etwas in ihr ausmerzen“

„Ausmerzen? Was denn?“, hakte ich nach, doch der Engel antwortete mir nur mit einem Schulterzucken. Okay, würde er es wissen, wäre es sicherlich nicht so kurios für ihn. Ich bewegte langsam meine Finger, dann meinen ganzen Arm und musterte den Verband. Lange würde es nicht dauern, dann wäre es verheilt, aber die Erinnerung würde bleiben. Außer ich würde mich dazu entschließen, zu gehen. Obwohl …

„Wieso habe ich das Gefühl, dass ich mich aus der ganzen Situation nun gar nicht mehr rauswenden kann?“ Domenicus hob den Blick und fixierte sich auf mich. Erst sprach er nicht, umso kälter und ernster war seine Stimme, als er antwortete:

„Bis wir wissen, was das alles auf sich hat, verbiete ich dir, deinen Posten zu verlassen.“

Na ganz große Klasse.

Es gab Dinge, mit denen war ich einverstanden. Zum Beispiel, den Rest der Zeit auf dem Sofa zu verbringen, da niemand wusste, welche Nebeneffekte diese Aktion haben könnte. Lavender passte auf, dass ich genügend meiner Kugeln zu mir nahm, während Domenicus zurück in sein Büro ging – Diesmal hoffentlich nicht, um zu schlafen – und Roland den Eimer für eine Untersuchung mitnahm. Der Heiler wollte geklärt haben, womit sie es zu tun hatten. Warum dieser sogenannte ‚Schatten‘ auf einmal aggressiv geworden ist. Anscheinend konnte ich von Glück sprechen, dass er intuitiv wusste, was zu tun war. Ich musterte die Bandage an meinem Arm und mich überkam das Bedürfnis, daran zu ziehen, obwohl ich das definitiv nicht tun sollte. Die Stelle drückte und pulsierte ganz eigenartig. Einige Nachrichten nahm ich so entgegen und arbeitete trotz der Vorkommnisse noch etwas, mit der Hilfe des Engels. Nebenbei unterhielt ich mich ein wenig mit ihr, sie verbrachte ihre Pause oben, um sicher zu gehen, dass mir auch ja nichts Dummes einfiel. Es gab nur ein Problem: Irgendwann wollte ich auch nach Hause.

„Dann bring ich dich eben“, meinte der Chef und zog seinen Ärmel zurecht. Durch das Anziehen seines Jacketts hatte sich sein Hemd darunter etwas verschoben, sodass er seine Kleidung anpassen und richten musste.

„Das muss nicht sein“, erwiderte ich nur und richtete mich langsam auf. „Ich hab mich genug ausgeruht. Sie sollten lieber selber nach Hause gehen“

„Keine Widerrede, Lecrune. Ich habe keine Lust, dich morgen als vermisst zu melden, weil du irgendwo umgekippt und nicht mehr hochgekommen bist“ Ich seufzte, mit dem Dickschädel, den ich meinen Boss schimpfte, konnte ich wohl nicht reden. Es war nun wirklich nicht so, dass ich mich besonders schwach fühlte. Es ging mir sogar überraschend gut für die Umstände und angesichts dessen, dass die Blutkugeln nicht so viel Energie gaben wie eine Konserve aller paar Wochen. An der Formel mussten sie noch dringend arbeiten. Ich rieb mir kurz die bandagierte Stelle und schnaubte. Ohne weiter darauf einzugehen, schnappte ich mir meine Jacke – Denn obwohl wir Vampire Temperaturen nicht wahrnahmen, bevorzugten wir es, den anderen dies nicht zu offenbaren – und zog diese mir über. Meinen Rechner hatte Lavender, bevor sie sich entschuldigen und wieder zu ihrem Arbeitsplatz zurück musste, herunter gefahren, so dass ich mich darum nicht mehr kümmern musste. Kurz musterte ich meinen Chef, er wartete bereits am Aufzug darauf, dass ich fertig werden würde. Ich seufzte nur, nahm noch meine Tasche, packte die leere Dose hinein und folgte ihm. Es war kein weiter Weg, weswegen wir weder Auto noch Bus oder Bahn nehmen mussten. Wir liefen einfach eigenartig nebeneinander her, ohne miteinander zu reden. Um diese Uhrzeit war es natürlich schon dunkel, dennoch nicht weniger belebt auf den Straßen. Den Weg konnte man durch die Laternen am Rand gut erkennen und gestolpert war ich hier noch nie. Ich schwankte ja gerade nicht einmal. Kurz erhaschte ich einen Blick auf Domenicus, welcher starr seinen Blick nach vorn richtete, ohne auf mich zu achten. Ich hätte glatt Lust bekommen, zu testen, ob er tatsächlich aufpasste. Als ich aber genauer darüber nachdachte, wäre mir das Alles doch zu peinlich gewesen. So senkte ich meinen Blick also wieder auf den steinernen Weg vor mir und ging so stur den Pfad zum Apartmentgebäude ab.

Angekommen bestand mein Chef leider noch darauf, mich nach oben zu geleiten, da ich nicht gerade in der untersten Etage wohnte. Okay, ich konnte verstehen, dass er sich irgendwo Sorgen machte. Obwohl der Grund wohl eher darin lag, dass ich ein noch unerforschtes Mysterium in mir trug. Immerhin war etwas vorher noch nie Gesehenes mit mir passiert und er als Wächter der Menschenwelt wollte natürlich herausfinden, was es damit auf sich hatte. Konnte ich ihm nicht unbedingt verübeln, ich würde sowas auch gerne wissen wollen, bevor diese Person spurlos verschwindet oder ihr etwas zustößt. Aber bei aller Güte, ich war ein Vampir und nicht so leicht zu töten. Ein Genickbruch war für Menschen gefährlich, nicht für uns.

Er wollte mir erst von der Pelle rücken, als wir bereits vor der Wohnung standen und ich halb in Panik meinen Schlüssel aus der Tasche fischte.

„Immerhin keine Bruchbude“, bemerkte er, nachdem er die äußeren Räumlichkeiten gemustert hatte. Diese Aussage gab mir zu Denken übrig. In was für einer Umgebung er wohl wohnte? Hatte er in dieser Stadt vielleicht sogar ein Haus?

„Ich teile mir die Wohnung mit zwei Freunden, deswegen ist sie bezahlbar“, erklärte ich kurz und räusperte mich. „Nun, wenn Sie … schon einmal hier sind. Wollen Sie vielleicht noch einen Kaffee? Als … Danke … oder so …“ Bitte sag Nein Bitte sag Nein.

„Hm … wieso nicht“ Ich wollte in dem Moment meinen Kopf gegen die Tür schlagen. Leicht lächelnd blickte ich ihn an, sah, wie er mit den Schultern zuckte, ohne dass sich sein Blick veränderte. Sein Lächeln war auch nur einmalig gewesen. Und darüber war ich froh.

Ich öffnete die Tür zum Apartment und stellte meine Schuhe auf den dafür vorhergesehenen Platz. Domenicus machte es mir gleich, blieb im Vorsaal stehen, während Alex mich begrüßte.

„Hey Allie!“ Die Brünette kam auf mich zu und umarmte mich mit einem Lachen. Ich zuckte kurz zusammen, als sie ausversehen an die Bandage stieß, weswegen sie mich kurz misstrauisch musterte. Zu vielen Fragen kam sie aber nicht, denn ihr Blick driftete von mir ab herüber zu Domenicus, welcher eher teilnahmslos in der Gegend stand, die Hände in den Taschen seiner Jacke. Sofort hob ich die Arme, sah meine Freundin panisch an und wedelte mit den Gliedmaßen wild herum, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie, egal welchen Gedanken sie gerade fasste, diesen nicht äußern sollte. Einige Male sah sie zwischen uns her, hob verwirrt eine Braue, sagte aber nichts weiter dazu, sodass ich die beiden bekannt machen konnte ohne peinliche Zwischenfälle. Ich konnte nur beten, dass sie nicht das peinliche Thema wieder aufleben ließ. Oh bitte, Alex.

„Äh, ja … Mister Domenicus? Das ist eine meiner Mitbewohnerinnen, Alexandra Yarias“ Kurz drehte ich mich zu meinem Chef und deutete mit einer Handbewegung auf meine Freundin, welche sich ganz leicht vor ihm verneigte. „Und Alex, das … ist mein Boss. Aeneas Domenicus“

„Ooooh“, machte sie und ein breites Grinsen bildete sich auf ihren Lippen. Noch sagte sie nichts, aber ich konnte mich auf ein langes Gespräch gefasst machen, sobald Domenicus wieder gegangen war.

„Jedenfalls“ Ich wischte mir kurz gestresst über die Stirn. „Mister Domenicus, Sie können sich gerne in unserem Wohnzimmer hinsetzen. Ich mach‘ derweil den Kaffee“ Ich hätte ihn einfach nicht einladen sollen, das hätte mir so viel Leid erspart. Mein Chef nickte mir zu und ließ sich von Alex ins Wohnzimmer begleiten, wo die beiden alsbald ein Gespräch begannen. Oder eher, Alex textete ihn voll, während er eher knappe Antworten gab, ohne zu viel preiszugeben. So wie ich meine Freundin kannte, würde sie sich zwar nicht so einfach abspeisen lassen, aber auch mein Boss konnte extrem stur sein. Da hatten sich wohl zwei gefunden.

Während die beiden sich im Wohnzimmer mehr oder minder unterhielten, schaffte ich zuerst jedes unnötige Accessoire in mein Zimmer und machte mich dann auf den Weg in die Küche, welche nicht unweit von der Stube aufzufinden war. Um ehrlich zu sein, wenn man von der Couch aufstand, musste man nur einmal rundherum gehen und dann einige Meter gerade aus durch den Bogen hindurch und war schon da. Es gab noch einen zweiten Durchgang, welche zum Flur führte. Durch diesen bin ich vorher hindurch.

Ich durchsuchte die Schränke zunächst nach dem Kaffee, welchen ich schon so selten genug machte. Wir hatten eine praktische Maschine, in welche man lediglich Pads einlegen musste, etwas Wasser hinzu und den Rest erledigte sie. Ob es ihm nun gefiel oder nicht, etwas Besseres hatten wir nicht. Und es war praktisch, da ich so auch einfach ein Kakaopad einlegen konnte. Ich musste gerade nur aufpassen, die beiden Dinge nicht zu verwechseln. So wirklich konnte ich mir nicht vorstellen, dass mein Chef süßen Kakao mochte. Also legte ich, nachdem ich drei Mal ganz sicher gegangen war, eines dieser Kaffee-Dinger ein, holte eine Tasse, welche ich darunter stellte und drückte, nach dem Einfüllen von Wasser, auf den Knopf. Während die Maschine arbeitete, räumte ich einige Sachen vom Abwasch weg. Teller und Besteck hatten wir weiter unten, nur für die Tassen musste ich mich etwas strecken. Das alles ging auch ganz gut, bis irgendein Scherzbold meinte, mir den Boden unter den Füßen wegziehen zu müssen. Kurz verschleierte sich meine Sicht und ich sah schwarz weiße Punkte, bevor ich den Halt verlor und nach hinten umfiel. Die Tasse zersprang neben mir mit einem lauten Klirren in Einzelteile.

„Lecrune!“

„Allie!“

Die beiden waren sofort da. Alex hockte sich zu mir, räumte die Scherben weg, bevor ich mich abstützte und im schlimmsten Fall eine der Überreste der Tasse in meine Hand bekam. Domenicus hingegen schaute in unseren Kühlschrank und holte eine der bekannten Dose heraus, welche er der brünetten Vampirin aushändigte, sodass sie mir einige Blutkugeln anbieten konnte. Ich fuhr mir durch die Haare. Anscheinend war ich doch noch nicht ganz so ausgeruht, wie ich dachte. Dankend nahm ich fix eine Kugel und schluckte diese herunter.

„Was ist gerade passiert?“, fragte Alexandra, nachdem ich wieder ansprechbar aussah. Meine Sicht klarte langsam wieder auf, ich blinzelte noch einmal und nichts mehr verzerrte sich in meinem Blickfeld.

„Ich weiß nicht so recht“, gab ich ehrlich zu. Ich musste mir etwas einfallen lassen, immerhin konnte ich ihr schlecht erzählen, dass ich von einem ungewöhnlichen Schatten angegriffen wurde, der eigentlich nur Seraphim befällt. Was sind Seraphim? – Oh, so Überwesen, die über Welten wachen – Welten? – Ja, weißt du, wie unsere. – Oh, cool. So würde es definitiv nicht ablaufen.

„Lecrune hatte heute mit einem anstrengenden Kunden zu tun gehabt, der sie auf die Probe stellte“, mischte sich mein Chef ein und half mir auf die Füße. „Um uns ein Bein zu stellen, hat er versucht, ihr die Energie auszusaugen. Dank der cleveren Erfindung aber hat sich alles zum Guten gewandt“

„Echt jetzt?“, hakte Alex noch einmal nach, woraufhin ich nur nickte. Ein Wesen, das Energie absaugen kann, klang doch ganz plausibel. Die Vampirin nickte sich einige Male selber zu, überlegte, während sie die Dose zurück stellte und sich dann mit einem Grinsen an uns wandte. „Danke für das Kompliment jedenfalls! Ich werde es an meinen Vater weiterleiten!“ Ach ja, der Erfinder der Blutkugeln war kein Geringerer als Sei Kentaro Yarias, weswegen er auch in das kleine Geheimnis eingeweiht war. Dementsprechend war es auch ihre Mutter, eine enge Freundin meiner Mum und sie selber natürlich auch.

„Mach das“, meinte Domenicus ruhig und half mir rüber ins Wohnzimmer und auf das Sofa, auf welches ich mich ohne Widerrede setzte. Es fühlte sich auch besser an, nicht einfach umfallen zu können.

„Wegen dem Kaffee“, fing ich gerade an und sah, wie der Chef mit der Tasse in der Hand zurück kam und sich gemeinsam mit Alex zu mir gesellte.

„Hm? Oh. Ich hab so eine ähnliche Gerätschaft daheim. Ganz praktisch.“, meinte er nur und nahm einen Schluck.

„O- … Okay“, gab ich nur zurück und kuschelte mich in meine kleine, selbst eingerichtete Sitzecke, welche ich schon nach nur wenigen Tagen in dieser Wohnung als meinen Anspruch angesehen hatte. Kein anderes Fleckchen auf der Couch war so gemütlich wie dieses. Domenicus und Alex‘ unterhielten sich noch einwenig, wobei es mir so vorkam, als ob der Seraphim sich etwas mehr öffnete als sonst. Ich wusste schon immer, dass meine Freundin eine Begabung dafür hatte, mit anderen umgehen zu können, aber irgendwie … irgendwie wurde mir mulmig dabei, zuzusehen, wie sie mit einander plaudern konnten und ich war gerade mal in der Lage, drei Sätze mit ihm zu wechseln und keinen Schritt voran zu kommen. Verdammt, er schmunzelte sogar! Bislang hatte mich nie interessiert, mit wem Alex etwas anfing. Zum ersten Mal aber störte es mich. Ich versuchte bestmöglich, mir nichts anmerken zu lassen, während ich mich auf das Fernsehprogramm konzentrierte, welches wir uns ausgesucht hatten.

Nach dem Kaffee verabschiedete sich Domenicus, ohne weiter lange zu bleiben. Kaum war er aus der Tür raus, stolzierte Alex mit einem breiten Grinsen zu mir herüber.

„Duuu“, fing sie an und zeigte mit dem Finger auf mich.

„Mit nackten Fingern zeigt man nicht auf angezogene Leute“, entgegnete ich ihr nur, schnappte mit eines meiner Kissen und kuschelte damit.

„Schluss mit der Kinderkacke. Du stehst auf ihn“

„Tu ich nicht!“

„Oh doch, und wie du das tust. Allein als er gelächelt hat klebtest du förmlich an seinen Lippen. Und bitte … du hast ihn als heiß bezeichnet, als du ihm das erste Mal begegnet bist“

„Na und?“, erwiderte ich genervt. Was sollte das jetzt bitte? „Du konntest dich viel besser mit ihm unterhalten als ich. Wir wechseln ja kaum mehr als Drei Sätze pro Tag“

„Vielleicht liegt es daran, weil er verhindert, etwas mit einer Angestellten einzugehen. Mal daran gedacht? Er ist voll der Geschäftstyp. Und ganz ehrlich? Ganz und gar nicht mein Ding. Ich steh nicht auf Blonde, vergessen?“ Das hatte ich tatsächlich vergessen. Alex stand weder auf blonde, noch auf Männer, die viel zu dominant ihr gegenüber rüber kamen. Sie hatte nichts dagegen, wenn ein Mann mal zeigen musste, was ihm gehörte, aber einer, der so viel Respekt und Dominanz ausstrahlte wie Domenicus war definitiv nicht ihr Fall. „Babyschritte, sag ich nur. Babyschritte. Dann klappt das ja vielleicht! Und wer weiß … Ihr habt doch diese Feier anstehen, oder?“

„Ja, in zwei Wochen … dieses Wochenende ist das Treffen für die Geschäftspartner“, antwortete ich und drückte das Kissen immer mehr an meinen Körper. Das ging gerade in ungeahnte Gefilde.

„Interessiert mich nicht. Mich interessiert nur die Party. Er wird auch anwesend sein, bestimmt. Zeit, Eindruck zu schinden. Ich meine, du könntest auf Arbeit als Plain Jane durchgehen, echt jetzt.“ Damit löste sie die Halterung, welche meinen Dutt zusammen hielt und meine Haare daran hinderte, über meinen Rücken zu fallen. „Du bist hübsch, Allie. Du musst nur auch mit deinen Reizen spielen“

„Reizen“, merkte ich mit gehobener Braue an. Ich war flach wie ein Brett und meine ‚Rundungen‘ zu betonen war keine einfache Aufgabe. Ganz zu schweigen davon etwas zu finden, das mich nicht wie eine Sardine aussehen ließ. Alex schnalzte mit der Zunge und schnippte mir an die Stirn.

„Tze! Vergiss nicht, wen du hier als Freundin hast! Ich motz dich auf! Und wenn ich darf, komm ich auch mit. Und wenn nicht, schnapp dir unser Babe Rene. Wenn er auf dem Schlauch steht, was seine Sexualität angeht, könntest du vielleicht sogar testen, ob er eifersüchtig wird“ Genau bei diesem Part hörte ich, wie sich die Wohnungstür schloss. Ich zuckte zusammen und blickte an Alex vorbei in den Flur, in welchem genannter Elf sogleich auftauchte und mit den Ohren zuckte.

„Ich habe meinen Namen in Verbindung mit Eifersucht gehört? Was haben meine Mädels wieder vor, huh?“ Seine Sachen hing er an die Garderobe (er war der einzige, der sie benutzte) und gesellte sich dann zu uns. Alex wartete nicht lang, bevor sie die Situation für ihn erklärte.

„Wir beschaffen Allie einen Freund“

„Keinen Freund!“, wandte ich sofort ein und wünschte mir, dass dieses Sofa mich verschlingen würde.

„Oh doch, einen Freund. Ohne Witz? Du bist 27 und hattest noch keinen Freund, der länger als einen Monat bei dir geblieben ist. Das liegt zwar eher an deinem Vater, aber gut … dieser Domenicus aber könnte dem die Stirn bieten, locker!“

„Domenicus?!“, vergewisserte sich Rene und musterte uns mit geweiteten Augen. „Sag bloß! Reden wir hier über unseren Boss?“ Ich nickte ihm zu und er fing an zu lachen. „Irgendwann musste es ja rauskommen, was! Ich bin dabei, egal, was geplant wird. Und wenn ich dich abknutschen muss, Allie. Wir kriegen schon irgendwas hin“ Nun … und wann sollte ich erwähnen, dass sie versuchten, mich mit einem Jahrtausende alten Seraphim zu verkuppeln?
 

Das Geschäftstreffen ging gut aus. Die Herren verstanden sich untereinander und ich half einfach dabei, sie etwas zu bewirten und mit ihnen zu reden. Bei den vorherigen war ich noch nicht dabei gewesen, weil ich noch in meiner Probezeit war und noch niemand wusste, ob ich auch wirklich kompetent genug war. So gesehen war dies nun meine letzte Prüfung, da mich auch die Partner des Chefs als hilfreich und würdig erachten müssten. Bislang hatten sie nur meine E-Mails gesehen oder mal meine telefonverzerrte Stimme gehört. Gemeinsam mit Lavender und Zack, welche ebenfalls an diesem Event teilnahmen, so wie jedes Mal, begrüßte ich die Gäste und später unterhielt ich mich mit einigen von ihnen. So lernte ich nun auch die Person kennen, die hinter ‚Verzug‘ steckte, dann noch einen sehr wichtigen Partner, welcher ein doch eher simples Auftreten hatte und eine Frau aus einer Modebranche, welche dennoch die Dienste von SW & H benötigte. Anscheinend war sie im Begriff, einige Firmen zusammen zu führen und benötigte dabei Hilfe von einer speziellen Software, die nur Alois verstand.

Unter den Leuten gab es natürlich auch unausstehliche Gesellen, vor denen mich Lavender bereits gewarnt hatte. Meist endete es so, war ich ausversehen in ein Gespräch mit einen von ihnen verwickelt, stand mir sofort Zack zur Seite und holte mich aus der Klemme. Er war an dem Abend mehr als nur einmal mein Lebensretter. Aber ich lernte auch einige sehr angenehme Leute kennen, darunter Nyc Lacoy und Timothy Trent, ein recht amüsanter Name. Die beiden standen bereits am längsten mit Domenicus in Verbindung und ihre Firmen, welche ebenfalls bald 100 Jahre auf dem Buckel hatten, waren mit SW & H gleich auf.

„Ich habe das Gefühl, dass ein paar irgendwann Probleme machen werden“, meinte ich etwas abseits zu Lavender, als wir Getränke für uns und die Gäste holten. Unter den Leuten waren gemischte Rassen, von Menschen über Elfen, Vampire und Engel. Es hieß sogar, dass ein Dämon darunter sein sollte. Ein Dämon! Von denen hatte ich bislang nur gehört. Und Domenicus meinte, dass selbst das noch längst nicht alle Rassen waren, die in unserer Welt lebten. Über die Jahre hatte er noch weitere verzeichnet, aber das würde er mir wohl erst ein andermal zeigen.

„Und wer wird das sein?“, fragte der Engel und sah sich unter den Leuten um. Ich lenkte ihren Blick auf die mir auffälligste Person. Die Violetthaarige nickte und verschwand dann zu unserem Chef.
 

Ob sich meine Annahme als korrekt herausstellte, würde sich erst noch zeigen. Nach dem Treffen stand die Weihnachtsfeier an. Einige hatten zugesagt, andere konnten aufgrund von Krankheit oder anderweitigen Terminen nicht. Ich hatte mich erkundigt und herausgefunden, dass es durchaus gestattet war, jemanden einzuladen, was ich sofort an Alex weiter gab. Diese freute sich wie verrückt und überredete mich sofort dazu, mit ihr einkaufen zu gehen. So besorgten wir uns ein paar Kleidungsstücke, bevor ich mich um meine Weihnachtseinkäufe kümmerte. Geschenke für meine Eltern und Brüder würde ich verschicken. Dann besorgte ich noch etwas für Alex und Rene, Lavender, Zack, Addie, Alois und sogar Domenicus. Was mir dabei in den Sinn kam, konnte ich mir auch nicht erklären. Als ich die kleinen Päckchen einpackte, musterte ich das blaue Geschenk am längsten. Es war wie die anderen nicht besonders groß, da ich mich für Kleinigkeiten für jeden entschieden habe, um nicht arm zu werden. Die kleinen Überraschungen werde ich dann auf der Feier verteilen, um eine Ausrede zu haben, so schnell wie möglich von meinem Chef wieder wegzukommen. Obwohl ich noch nicht sicher war, ob ich ihm es überhaupt persönlich übergeben werde.

Alex überredete mich dazu, meine Haare offen zu tragen und mir Kontaktlinsen einzusetzen. Es war ein eigenartiges Gefühl, keine Brille zu tragen, aber sie meinte, es würde zum Gesamtbild beitragen. Um Make-Up und Frisur kümmerte sie sich, was bei mir schneller ging als bei ihr selber. Während sie den Tick und das Talent ihrer Mutter geerbt hatte, was Frisuren anging, so hat sie die Haare von ihrem Vater. Die nämlich zu bändigen war alles andere als einfach. Sie brauchte teilweise Stunden dafür, vor allem, nachdem sie geschlafen hat. Mein Outfit durfte ich mir immerhin selber aussuchen. Obwohl Rene und Alex darauf bestanden, dass ich mir etwas Aufreizendes nehmen sollte, entschied ich mich dagegen und nahm ein simples schwarzes Top mit einem weißen Muster, eine hautenge Jeans und schlichte Boots dazu. Beide hatten daraufhin nur die Augen verdreht, doch zuckte ich nur mit den Schultern und beließ es dabei. Ich hatte nicht unbedingt vor, bei jemanden Eindruck zu schinden, der um einiges älter als mein eigener Vater war. Und ich stand ganz sicher nicht auf ihn!
 

Einige Leute hatten es sich bereits in eine der Ecken gemütlich gemacht. Lavender, Zack und Domenicus waren natürlich schon da, weil irgendwer ja das Gebäude aufschließen musste. Den Tag zuvor hatten wir gemeinsam alles hergerichtet. Alex staunte nicht schlecht, als sie die Einrichtung betrat und noch mehr, als wir ihr zeigten, wo die Feier stattfand. Man hatte bereits die Musik angestellt und die Tanzfläche noch etwas vergrößert. Einige Kollegen unterhielten sich bereits, Rene und ich machten unsere Begrüßungsrunde. Sogar Addie war wie eigentlich erwartet erschienen. Vermutlich hat Lavender sie abgeholt, sodass sie sich vor diesem Event nicht drücken kann. Ob es jedes Jahr so aussah bei ihnen? Trotz ihrer Teilnahmslosigkeit war sie Teil einer kleinen Traube, welche sich angestrengt unterhielt.

„Wahnsinn“, meinte Alex nur, nachdem sie sich umgeschaut hat. „Ohne Mist. Ich hab schon gehört, dass das Hauptgebäude von SW & H unglaublich sein soll, aber sowas? Ihr habt sowas von den Jackpot“

„Dafür ist die Arbeit aber auch nicht leicht, Schätzchen. Vergiss das nicht“, warf Rene ein und da hatte er nicht ganz unrecht. Keine Arbeit war einfach, so viel war klar. Aber die Ansprüche hier waren noch einen Zacken schärfer und Überstunden waren nicht selten.

„Ohne Mist, wenn wir bei uns sowas hätten, wäre das Problem von Überstunden kleiner. Aber nein, mein Vorgesetzter und rechte Hand unseres Chefs muss da ja ein Wörtchen mitzureden haben. Ich hätte da längst was geändert“

„Du meinst das Arsch, der euch Steine in den Weg wirft?“, mischte ich nun mit und Alex nickte. Sie erzählte öfter von ihrem Vorgesetzten, welcher sich des Öfteren ihrer Pläne bemächtigte, mit der Ausrede, sie seien nicht gut genug. Ich könnte selber für Alex‘ Talent bürgen und sie wäre nicht angenommen wurden, hätte sie es nicht. Nur an ihren Chef scheint das nicht ranzukommen. Da war doch irgendwas faul.

„Kätzchen!“, rief Lavender über die Lautstärke der Musik und kam auf uns zu, um mich zur Begrüßung zu umarmen. Auch Rene bekam einen Drücker, genauso wie Alex, obwohl sich die beiden eher flüchtig kannten. Im Schlepptau hatte sie Zack, welcher uns ebenfalls begrüßte.

„Was geht, Allendra, Rene?“, fragte er mit einem Grinsen im Gesicht. Die wild verwuschelten Haare hingen ihm ins Gesicht, sein Casual Outfit bestand aus einer Jeanshacke, einem T-Shirt und einer einfachen Hose sowie Schuhe. Lavender hingegen hat wie immer ihre zwei Buns als Zöpfe und den Rest der Haare offen. Diesmal hat sie an die beiden Knuppel noch jeweils eine rote Schleife gemacht, um niedlicher auszusehen. Sie selber trug ein weißes Kleid mit Spitze am Saum des Rockes und an den Enden ihrer langen Ärmel. Ganz in aufreizender Manier hatte sie einen Ausschnitt, der ihre Oberweite betonte.

„Langsam müsste jeder da sein“, meinte Lavender und sah sich um. Es war eine angenehme Menge an Leuten, einige hatten einfach keine Lust, hier aufzutauchen. Noch konnte ich es nicht ganz verstehen, aber gleichzeitig doch vorstellen, dass es sich dabei um die Menschen der Firma handelte. „Danke für die Hilfe gestern, so ganz nebenbei. Ich dachte schon, wir müssten uns dumm und dämlich schleppen.“

„Keine große Sache“, meinte Rene nur und lächelte Lavender übertrieben breit an. Die beiden verstanden sich wirklich gut, der Engel beteuerte es immer wieder, dass ihr Lieblingself kein Interesse an Frauen hatte.

„Lecrune, Lurva, Yarias“ Der Boss stieß ebenfalls zu uns, nickte jedem von uns einmal zu zur Begrüßung. Kein Mann vieler Worte, der gute Domenicus, außer es ging ums Geschäft oder seine Firma. Jetzt standen wir da, bildeten unseren eigenen Kreis und redeten etwas, versuchten dabei, uns über die Musik drüber zu unterhalten, denn diese war nicht gerade leise.

Mit der Zeit verteilten sich die Leute. Meine Tasche hatte ich inzwischen auf einer der Sitzecken platziert, sodass ich sie aber auch gut im Auge behalten konnte. Einen Drink oder Zwei genehmigten wir uns auch, wobei einige unserer Kollegen auch davon absahen, etwas von den Getränken zu nehmen. Das Essen hingegen war recht beliebt und wurde nur von Wenigen ausgelassen, bei denen man davon ausgehen konnte, dass es sich bei ihnen um Vampire handelte. Der Spaß hatte sich inzwischen auf die Tanzfläche verlegt. Zusammen mit Alex, Lavender und Zack machten wir den Platz unsicher. Rene setzte sich derweil hin und unterhielt sich mit Alois, welcher etwas später dazu gestoßen ist. Anscheinend hat sich sein Bruder eine schwere Krankheit eingefangen und musste umsorgt werden, bis seine Schwester aufkreuzte und die Pflege übernahm.

Es war ein unglaublich befreiendes Gefühl, sich wild zu der Musik zu bewegen, welche bereits in unseren Ohren dröhnte und noch Tage später dort hängen würde. Ich war froh, mich nicht großartig herausgeputzt zu haben, denn obwohl ich recht klein im Gegensatz zu den anderen war, konnte ich mir nicht vorstellen, mich in meinen Absatzschuhen so zu bewegen, wie ich es in meinen Boots tat. Während ich mich eher verrückt bewegte und Lavender dazu anstiftete, es mir gleich zu tun, sah Alex eher so aus, als würde sie versuchen, jemanden mit ihrem Tanz zu verführen. Bislang aber hat sie auf keinen unserer Kollegen ein Auge geworfen, weswegen ich davon ausging, dass sie doch ohne Begleitung nach Hause gehen würde.
 

Nach einer Weile entschuldigte ich mich von den anderen und ging die Geschenke holen. An die Päckchen hatte ich Namensschilder gebastelt, um sie auseinander halten zu können. Außerdem wäre es wirklich peinlich, die Geschenke zu vertauschen. Da Rene und Alois bereits neben meiner Tasche saßen, gab ich ihnen ihre Geschenke als erstes. Verwirrt sahen sie mich an, musterten das kleine Päckchen, bevor der Elf mich umarmte.

„Danke, Süße. Das musst du doch aber nicht jedes Jahr machen“, bedankte er sich und lachte leise.

„Das sagst du mir schon seit Drei Jahren. An der kleinen Tradition wird sich aber nichts ändern“, gab ich nur zurück, verbeugte mich kurz und nahm meine Tasche mit. Für jeden hatte ich etwas Persönliches herausgesucht. Meist ein Kauf auf den ersten Blick, da mich jedes Geschenk an die Person erinnert hatte, für die es gedacht war. So bekam Rene einen keltischen Anhänger für seine Sammlung. Ich hatte mir extra einen ausgesucht, den er noch nicht hatte. Das war nicht gerade einfach! Alois hingegen bekam etwas Preisintensiveres. Er beschwerte sich seit einiger Zeit über sein Headset, weswegen ich ihm die Mühe erspart habe und ein Gutes besorgte. Für Alex hatte ich ein paar weinrote Ohrringe rausgesucht, simpel und klein und doch recht auffällig. Da sie aufgrund ihrer Frisur die meisten Ohrringe auf der rechten Seite trug, hab ich ihr noch einen passenden Clip für die Helix mitgenommen. Sie musterte ihr Geschenk ebenso verwirrt, lachte dann aber auf und umarmte mich. Zwischen uns war es eine ausgesprochene Tradition, uns etwas zu Weihnachten zu schenken. Sei es auch noch so klein oder albern. Das mochten wir auch! Diesmal aber hatte ich mich für etwas Ernsteres entschieden. Etwas zurück erwartete ich für diese kleine Geste aber nicht. Es machte mir Spaß, meinen Freunden etwas zu geben.

„Für dich!“, rief ich Lavender zu und gab ihr das violette Päckchen. Für sie hatte ich ein Parfum ausgesucht, welches mich wegen dem Duft sofort an den Engel erinnerte.

„Also echt! Du überraschst mich immer wieder, Kätzchen!“ Sie bedankte sich bei mir und ich wandte mich zu Zack.

„Auch eins für dich!“ Ich lachte auf, als er mich mit geweiteten Augen anblickte und das Geschenk entgegen nahm.

„Toll. Und ich hab nichts für dich dabei!“, gab er nur zurück.

„Ich erwarte auch nichts. Kannst du zuhause dann aufmachen!“

„Danke, Allie!“ Für ihn hatte ich mir ein silbernes Armband ausgesucht, dessen Verschluss ein Wolfkopf war. Es war leicht zu verschließen aber schwer wieder aufzubekommen. Jetzt blieb nur noch eine Person übrig. Unser Chef, welcher diesmal seine Haare zu einem Zopf gebunden trug, dabei die beiden Strähnen immer noch vom Scheitel ausgehend sein Gesicht umrundeten und dessen einfache Kleidung dennoch seine Eleganz betonte, stand etwas abseits der Masse und beobachtete seine Angestellten. Addie stand neben ihm, die beiden Schweigsamsten der Firma beisammen. Ich musterte das letzte Päckchen in meiner Hand. Mich verließ jeglicher Mut, auf diesen Mann zuzugehen, ihm es schnell in die Hand zu drücken und einfach zu verschwinden. Mit einer Bitte wandte ich mich also an Lavender.

„Hey Lava!“, rief ich über die Musik und der Engel drehte sich zu mir.

„Was gibt’s?“

„Könntest du das Domenicus geben?“ Ich hielt ihr das blaue Geschenk entgegen. Sie betrachtete es kurz, überlegte, bevor sich ein Grinsen bei ihr ausbreitete.

„Das machst du schön selber“, meinte sie nur und verschränkte die Arme.

„Lava, bitte! Ich kann das nicht“

„Sieh es als eine Prüfung an. Aeneas wird dich schon nicht auffressen. Also los! Wegrennen kannst du noch immer“ Die Frau schubste mich in die Richtung unseres Chefs. Ich schlitterte mit der Sohle über den Boden und hinterließ sicherlich eine Spur dabei, aber das war mir herzlich egal. Mir rutschte gerade das Herz in die Hose und ich konnte einfach nicht den Mut fassen, ihm das Ding in die Hand zu drücken. „Na los. Du packst das“ Lavender gab mir noch einen kleinen Ruck, bevor sie zurück zu Zack ging und weiter tanzte. Ich seufzte erst, atmete dann tief durch und ging zu ihnen herüber. Derweil holte ich noch Addies Geschenk aus der Tasche, welches ich fast vergessen hatte. Bei ihr fiel es mir nicht leicht, etwas Passendes zu besorgen. Da sie mir aber momentan in Gefahr schien, holte ich etwas für sie, was im Allgemeinen früher als Glücksbringer bekannt war. Ihr Geschenk war orange verpackt und sie nahm es mit einem recht leisen ‚Danke‘ entgegen. Es klang diesmal nicht emotionslos, was mich schon ein wenig freute. Das fiel der Frau nämlich wirklich schwer.

„Amüsierst du dich?“, fragte mich Domenicus aus heiterem Himmel und ich zuckte zusammen.

„Äh, ja. Es ist … lustig, mit den anderen mal außerhalb der Arbeitszeiten zusammen zu sein“, antwortete ich ihm und fummelte an meiner Tasche herum. Das Päckchen hatte ich wieder hinein getan, wollte nicht sofort auffallen. Zu einem weiteren Gespräch kam es nicht, ich war da nicht so gewandt wie Alex, ihn einfach wieder anzusprechen. Einen Grund hätte ich, den holte ich in diesem Moment auch aus meiner Tasche und hielt nach einem weiteren Mal tief durchatmen ihm das auch entgegen. Der Seraphim musterte das kleine Ding, sah sich kurz um, ob ich ihn wohl auch nicht verwechselte, bevor er es entgegen nahm.

„Danke ..?“, äußerte er verwirrt.

„Äh … ja … Keine große Sache. Müssen Sie auch nicht groß beachten oder so, ist nur eine Kleinigkeit. Ich hab nur so einen Tick, denjenigen, die ich etwas … na ja, leiden kann, ein kleines Geschenk zu machen. Zur Freude. Sie können’s auch weg tun oder so“, brabbelte ich vor mich her und verschwand so schnell, wie ich gekommen war. Ich wollte gar nicht daran denken, was er damit machen würde. Wahrscheinlich interessierte es ihn tatsächlich kein bisschen und ich würde es nie wieder sehen.
 

Der Abend verlief weiter, ohne dass ich Domenicus ein weiteres Mal ansprach. Manchmal sah ich zwar zu ihm, fand ihn einmal nicht, bevor er wieder auftauchte und das blaue Päckchen nicht mehr in der Hand hielt. Autsch. Ich konnte mir vorstellen, dass er nicht viel darauf gab, aber so schnell hätte er es auch nicht loswerden müssen. Ich aber wollte mich nicht länger darauf konzentrierten, amüsierte mich mit den anderen und plauderte mit Zack in einer Sitzecke, nachdem wir die Nase voll vom Tanzen hatten. Unsere Kollegen schienen gar nicht müde zu werden, das Angebot auf den Tischen nahm nach und nach ab und wenigstens hatten alle den Anstand, den Mülleimer zu benutzen, anstatt alles auf den Boden zu platzieren. Manchmal brachte ich ein paar leere Becher vom Tisch zum Eimer, aber das war auch keine große Sache.

„Sag mal“, fing Zack an, legte einen Arm auf die Lehne und beugte sich etwas zu mir, damit ich ihn besser verstehen konnte. Im weiter entfernten Sinne hatte er gerade seinen Arm um mich gelegt, aber darüber wollte ich gerade nicht nachdenken. „Hast du Neujahr was vor?“

„Neujahr?“ Ich überlegte kurz. Normalerweise verbrachte ich diese Zeit mit meinen Freunden in einer Wohnung, diesmal würde es wohl unser Apartment werden und wir zelebrierten gemeinsam. Manchmal luden wir noch ein paar Leute ein, die wir so kennen gelernt hatten. Aber sonst … ans Weggehen dachte ich nicht wirklich. „Um ehrlich zu sein, nein. Normalerweise feiere ich mit meinen Freunden“

„Hättest du Lust, was zu unternehmen?“ Ich verzog das Gesicht. Der Gedanke daran, an diesem Abend draußen rum zu laufen, gefiel mir nicht unbedingt. „Ich versteh schon“ Zack blockte sofort wieder ab, verstand aber falsch, was ich eigentlich wollte. Aus Reflex legte ich eine Hand auf seinen Arm, als er wieder etwas Abstand zwischen uns bringen wollte.

„Warte. Ich geh an Neujahr nicht gern raus. Die Betrunkenen, das Feuerwerk, das ist mir alles zu viel. Wie wäre es, wenn du zu uns kommst? Bislang haben wir noch niemanden eingeladen und genug Platz. So können wir auch was zusammen machen“ Seine Augen hellten sich auf. Es entsprach zwar nicht dem, was er sich vorstellte, aber es war besser, als ihm komplett abzusagen. Und ich hatte nichts gegen Zack, um ehrlich zu sein. Ich konnte ihn sogar sehr gut leiden, nur war es für mich schwierig, mich an den Altersunterschied zu gewöhnen. Immerhin war es für Vampire ungewöhnlich, in seinem Alter noch keinen Partner zu haben. Aber er meinte, er könne das vielleicht bald ändern. Was dahinter wohl steckte?

So zog sich der Abend noch dahin. Alex war schon früher mit jemandem gegangen und auch Rene entschied sich dazu, den Abend bei Alois zu verbringen. Ich hatte nicht unbedingt Lust, mich bei jemand mit einzuklinken, da ich nach der Lautstärke einfach nur meine Ruhe haben wollte. Als sich die Masse langsam wieder auflöste, entschied auch ich mich dazu, mich zu verabschieden. Ich schaute gar nicht erst auf die Uhr, ausschlafen könnte ich so oder so und danach würde ich meinen Rhythmus schon irgendwie wieder reinkriegen. Ich schnappte mir also meine Jacke, verabschiedete mich von Zack und Lavender, ging Domenicus gekonnt aus dem Weg, um mich nicht noch ein weiteres Mal bloß zu stellen. Draußen kam mir sofort die kalte Winterluft entgegen und jagte mir einen Schauer über den Rücken. Kurz durchgeatmet und schon befand ich mich auf dem Heimweg.

Die Straßen waren nur noch spärlich belichtet, um Strom zu sparen. In einer großen Stadt kam es zwar selten vor, dass die Laternen abgedreht wurden, aber dennoch passierte es. Oder es lag an einem Kurzschluss, aber das würde ich wohl nie herausfinden. Interessieren tat es mich auch nicht wirklich. Ich konzentrierte mich lieber auf den Weg vor mir, setzte einen Fuß vor den anderen und dachte noch einmal über den Abend nach. Während Alex es tatsächlich geschafft hatte, sich jemanden zu schnappen und sogar Rene so schien, als würde er an jemanden Interesse finden, bestand mein einziger Erfolg darin, mich vor meinem Chef lächerlich zu machen. Oh, und ich habe mich halbwegs mit Zack zu Neujahr verabredet. Halbwegs. Immerhin würde das Treffen in unserem Apartment und vermutlich unter der Anwesenheit von meinen beiden Freunden stattfinden, aber das störte mich wohl weniger als ihn. Außerdem habe ich ihn mit meinem Vorschlag nicht vollständig abgelehnt.

Zum vierten Mal versicherte ich mich bereits, alles in meiner Tasche zu haben. Währenddessen spitzte ich die Ohren, denn obwohl es selten vorkam, dass in dieser Ecke der Stadt etwas geschah, so war es um diese Uhrzeit nicht unmöglich. Normalerweise würde ich auch zu dieser Zeit das Haus nicht mehr verlassen, aber nach einer Feier in der Firma zu übernachten war eine andere Angelegenheit, als nach einigen Überstunden Arbeit.

Ich kam an der wohl gefährlichsten Passage vorbei. Eine kleine, eher unauffällige Gasse neben einem Pub, das ich bislang nicht betreten habe. Das Neon-Schild leuchtete auf, weswegen ich eine Weile lang meinen Schatten musterte, wie er über die Steine huschte, erst unter meinen Füßen war und dann immer größer wurde. Und je größer er wurde, desto lauter drang ein Geräusch in meine Ohren. Es kam aus dieser ominösen Gasse, die ich bislang immer gemieden hatte. Ich wusste nicht, was über mich kam. Vorsichtig näherte ich mich dem Geräusch, es klang, als würde man eine Klinge ins Fleisch rammen und wieder rausziehen. Immer und immer wieder. Mir stellten sich bereits die Nackenhaare auf, als ich um die Ecke blickte und eine schwarze Gestalt über einer am Boden liegenden Person stehen sah. Es atmete schwer, ein knöcherner Flügel schliff auf dem Boden. Das Gegenstück dazu türmte schwarz nach oben und blickte jegliche Sicht auf das Wesen. Ein Engel war es nicht, denn sie würden es nicht wagen, unrein zu werden. Es atmete schwer und hielt eine Waffe in der Hand. An der Bewegung des Armes konnte ich erkennen, dass es immer wieder zustach. Ein animalisches Knurren entwich dem Unbekannten und ich hielt bereits die Luft an, um nicht aufzufallen. Nicht einmal Mondlicht konnte die Gestalt erhellen. Sie drehte langsam den Kopf, doch ich konnte nicht viel erkennen. Außerdem hatte ich ganz andere Sorgen. Ob es mich bemerkt hat? Ich zog mich etwas zurück, jedoch nicht, ohne den Blick abzuwenden. Langsam stellte es sich neben die Person. Eine Frau lag am Boden, mehrere große Stichwunden waren über ihren Körper verteilt und der Geruch von Blut stieg mir in die Nase. Ich musste mich zusammen reißen, nicht einfach umzufallen. Dieser Instinkt rückte in den Hintergrund, als ich erkannte, wer dort ermordet wurde. Adeline! Mir wich jegliche Farbe aus dem Gesicht. Diese Kreatur, was auch immer sie war, musste hinter der Drohung stecken. Und nicht nur das! Es hatte sie in die Tat umgesetzt! Mir wurde mit einem Mal schlecht. Nicht von dem Geruch, sondern mehr von der Tatsache, was gerade geschehen war. Addie war tot. Und das dafür verantwortliche Wesen stand noch immer da und sah sich um. Langsam bewegte es sich in die entgegen gesetzte Richtung, weg von mir, ohne zu achten, wo es hintrat. Kaum war es aus meinem Sichtfeld verschwunden, eilte ich zu Addie’s Körper herüber und berührte sie an den Schultern. Sie war noch nicht kalt, aber dennoch leblos. Unter ihr hatte sich eine riesige Blutlache gebildet, welche anfing, meinen Kopf zum Drehen zu bringen. Nein. Ich durfte mich davon jetzt nicht unterkriegen lassen. Vorsichtig legte ich eine Hand über die größere Wunde auf ihrem Bauch. Das Biest musste mehrmals zugeschlagen haben. Ich verkrampfte meine Hand, unterdrückte die Tränen, die sich in meinen Augen bildeten. Gleichzeitig durchströmte mich eine eigenartige Energie. Ich spürte, wie sie von meinen Händen aus durch meinen Körper wanderte und meine Nervenstränge kitzelte. Instinktiv legte ich meine Hände auf ihre Wunden, als würde jemand anderes beginnen, mich zu steuern. Mich überkam eine Macht. Ohne zu wissen, was ich tat, hockte ich bei der Leiche, beide Hände auf sie gepresst und ließ die Energie mich leiten. Sie wanderte von meinem Rücken zurück in meine Hände. Diesmal konnte ich einen weißlichen Schimmer in meinen Adern erkennen. Pulsierend fuhr er immer wieder in meine Hände, bis diese anfingen zu Glühen und dieses Leuchten an Addies leblosen Körper weitergaben. Nach und nach schlossen sich die Wunden, angefangen bei der kleinsten. Mir zog es mehr und mehr Kraft, doch das kümmerte mich in dem Moment nicht. Während ich begann, nach vorn zu kippen, spürte ich, dass sich unter mir die vorher tote Frau wieder zum Leben erwachte. Ihre Wunden waren verschwunden, aber weder sie noch ich außer Gefahr. Ich hörte die schlürfenden Schritte der Kreatur, doch erkennen konnte ich nichts mehr. Meine Sicht verschwamm, ohne dass ich das Bewusstsein verlor. Ich hörte noch klar, fühlte noch alles. Auch den Luftzug der angehobenen Waffe über mir. Vor mir erkannte ich zwei knochig dünne Beine, welche die Gestalt halten mussten. Ich machte mich auf mein Ende gefasst, als mit einem mal ein gleißendes Licht das Monster zum Schreien und Taumeln brachte. Es wich zurück, ließ die Waffe fallen, welche sich in Staub auflöste. Vor mir platzierte sich nun eine neue Gestalt. Bekleidet in einem weißen Umhang mit goldener Musterung türmte ein Engel mit 6 Flügeln über Addie und mir, schlug das Biest in die Flucht. Gefallen tat dem Fremden das zwar nicht, aber es musste wohl genügen. Ich lag inzwischen über Adeline, hatte sie schützend unter mich genommen, in der Hoffnung, die Klinge hätte dann nur mich erwischt. Das hatte sich nun auch erledigt. Das Licht nahm ab, ich hörte eine Stimme, welche immer näher kam. Zwei Hände umfassten meine Arme und lösten mich langsam vom Körper meiner Kollegin. Sie atmete wieder, ich hatte es gespürt. Sie lebte. Ich wusste nicht wie, aber sie tat es.
 

„Lecrune?“, drang eine mir sehr vertraute Stimme an meine Ohren. Domenicus? Ah, das machte Sinn. Als Wächter dieser Welt musste er eine Störung mitbekommen haben. Ich wollte Antworten, doch fehlte mir dazu einfach die Kraft. Ich hatte meine Augen nur noch halb geöffnet, merkte, wie ich langsam an etwas Seidenes gelehnt wurde. Die Kleidung, die er auf einmal trug, musste sich unglaublich anfühlen. „Scheiße.“ Ein Seraphim der fluchte, eine wirklich lustige Vorstellung. Kurz zuckten meine Mundwinkel nach oben, bevor eine eigenartige Flüssigkeit meine Lippen benetzte. Ich kannte Geschmack und Geruch und sofort setzten meine Instinkte wieder ein. Ich öffnete den Mund, nahm mit der Zunge alles auf, was ich nehmen konnte. Aber meinem Körper reichte es nicht. Ich griff nach seiner Hand, umfasste mit einer meiner Hände sein Handgelenk, mit der anderen seine Finger, und biss einfach zu. Er zischte und fluchte erneut, machte aber keine Anstalten, mir sie wieder zu entreißen. Und ich, ich trank einfach, ohne darüber nachzudenken. Das erste Mal seit 18 Jahren nahm ich wie ein normaler Vampir Blut zu mir. Und das Gefühl war wirklich unglaublich. Mein gesamter Körper erhitzte sich, es kribbelte an jedem Nervenende. Atmen fiel mir schwerer, blieb mir fast weg. Umso mehr umklammerte ich sein Handgelenk, bis er versuchte, meine Zähne aus seiner Haut zu lösen. Ich gab nach, sank zurück gegen ihn. Der Seraphim legte einen Arm um mich, um mich zu stützen. Aber nichts konnte mich mehr oben halten. Obwohl ich wieder genügend Energie haben sollte, wollte mein Körper nicht mehr. Er schaltete ab.
 

Ich befand mich auf etwas weichem, fast flauschig. Etwas anderes drückte mich runter, stellte aber keine große Herausforderung zum Wegschieben dar. Als ich mich drehte, regte es sich ebenfalls und bewegte sich mit mir. Weich und warm. Eine Decke? Ein Griff bestätigte meine Annahme. Also befand ich mich wohlmöglich in einem Bett. Ächzend drehte ich mich auf die Seite und rollte mich ein. Schlaf holte mich nicht wieder, dafür verspürte ich ein unangenehmes Stechen in meiner Magengegend. Hatte ich nicht erst Blut zu mir genommen? Armut zeigte sich bei mir nach den ersten Wochen durch ein Stechen. Es war eigenartig, aber so war es nun mal. Ich versuchte es zu ignorieren, legte eine Hand auf meinen Magen, dennoch driftete ich nicht ins Land der Träume ab. Also entschloss ich mich dazu, die Augen zu öffnen. Begrüßt wurde ich von einer dunkelbraunen Farbe. Die Textur sah rau aus, stellte sich aber als doch recht weich heraus, als ich mit meiner Hand darüber fuhr. Unbekannt war es mir dennoch. Als ich mich aufrichtete, merkte ich, dass lediglich ein kleines Licht für Helligkeit im Raum sorgte. Wo war ich überhaupt? Und wie spät war es? Mein Apartment war es nicht, so viel erkannte ich heraus. Ich musste mich in einer Art Wohnzimmer befinden. Das Möbelstück, auf dem ich nun saß, war eine wohl ausgeklappte oder sehr geräumige Couch, überzogen mit einem Laken. Unter meinem Kopf hatte sich ein Kissen befunden, über mir eine Decke, beide in einem Dunkelblauen Ton und ohne nennenswerte Musterung. An sich war die Decke weich, nicht sonderlich dick, trotz dessen, dass der Raum alles andere als warm war. Genügend Wärme spendierte sie dennoch, was wohl eher daran lag, da mir als Vampir Kälte nichts ausmachte. Bei wem auch immer ich war, derjenige musste wissen, was ich war. Oder aber er oder sie hatte keine andere Decke mehr übrig.

Langsam schwang ich die Beine über die Kante und bemerkte, dass ich nicht mehr in der Kleidung war, mit der ich die Feier verlassen hatte. Meine Beine waren gar nicht mehr bedeckt, jedoch bis zu meinen Waden reichte ein langes T-Shirt. Eindeutig keines für Frauen. Also befand ich mich bei einem Mann. Bei wem? Als ich versuchte, mich zu erinnern, verschwamm alles vor mir. Ich hatte kaum noch eine Erinnerung an den vergangenen Abend und die Nacht darauf. Ein Klirren holte mich aus meinen Gedanken. Ich spitzte meine Lauscher. Das Geräusch war links von mir, weswegen ich den Kopf drehte und die Quelle des kleinen Lichtes entdeckte. Es entstammt aus einem anderen Raum, angrenzend an dieses Wohnzimmer und drang durch einen kleinen Spalt zwischen Türrahmen und dazugehöriger Tür. Nur kurze Zeit später begann ein mir nur zu bekanntes Rattern. So klang nämlich unsere kleine Wundermaschine, die Kaffee und Kakao zubereiten konnte, wenn sie arbeitete. Ich kannte doch jemanden, der die Gleiche hatte. Aber … konnte das wirklich sein? Der Gedanke beschämte mich geradewegs, noch dazu musste er mich umgezogen haben. Ich konnte mich nicht daran entsinnen, die Kleidung gewechselt zu haben. Oh Gott.

Das Stechen in meinem Magen wurde stärker. Vor Schmerz aufstöhnend beugte ich mich nach vorn, versuchte eine Art Kugel mit meinem Körper zu bilden, um etwas Wärme in die Gegend zu leiten. Es ertönten Schritte von nebenan und der kleine lichtspendende Spalt vergrößerte sich, wurde aber durch einen Schatten blockiert. Trotz dessen konnte ich ihn erkennen. Aeneas Domenicus mit seinen langen offenen Haaren, Pullover und weiten Hosen. Er sah selber noch nicht allzu munter aus, geschweige denn begeistert. Obwohl, tat er das jemals?

„Eh … Morgen“

„Morgen. Wird aber auch mal Zeit, dass du aufwachst“ Er streckte sich, hielt sich beim Gähnen eine Hand vor den Mund. Schliefen Seraphim wirklich, um Energie zurück zu gewinnen? Gutmöglich, wenn ich so darüber nachdachte. Es war ja auch nicht selten, dass er Nickerchen in seinem Büro hielt, bei denen ich ihn definitiv nicht mehr stören werde.

„Es wird mal Zeit? Wie spät ist es denn?“

„Solltest du nicht eher fragen, welcher Tag?“ Tag?

„Wollen Sie mir etwa sagen …“

„Du warst drei Tage nicht ansprechbar, Lecrune“ Drei Tage?! Während Domenicus nach dem ertönen des Pieptones der Maschine wieder in der vermutlichen Küche verschwand, musste ich mir erstmal über seine Worte klar werden. Drei Tage war ich ausgeknocked, das hatte ich nicht erwartet. Das hieß, dass ich bereits drei Tage auf diesem Sofa gelegen haben musste. Ich fasste mir in die Haare und tatsächlich. So eklig haben sie sich ewig nicht angefühlt, nicht seitdem ich meine wissenschaftlichen Arbeiten erarbeiten musste. Da gab es eine Zeit, in der habe ich mein Zimmer nicht verlassen und mich dementsprechend nur wenig um mich gekümmert. Kurz gesagt: Ich fühlte mich widerlich und viel an hatte ich auch nicht unbedingt.

„Was ist überhaupt passiert?“, fragte ich den Seraphim, nachdem er wieder in das Wohnzimmer kam. Neben der Tür zur Küche befand sich ein Lichtschalter, welchen er betätigte, um nun auch diesen Ort zu erhellen. Mit einer Tasse in der Hand setzte er sich auf den Sessel, welcher sich auf der linken Seite vor der Couch befand, vor einem kleinen Tisch, auf welchem nichts weiter als eine leere Schüssel stand. Wieso war sie überhaupt da? Das sollte mich eigentlich gar nicht interessieren, aber solche kleinen unnötigen Details fielen mir meist sehr schnell auf.

„Du erinnerst dich nicht?“ Mit gehobener Braue musterte er mich und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. Ich hingegen schüttelte nur den Kopf.

„Nein. Ich glaube, ich wollte nach Hause. Da verschwimmt aber auch alles“

„Du warst auch auf dem Weg. Aber ich erklär das später. Ich denke mal, du hast andere Probleme“

„So ziemlich“, gab ich eher kleinlaut zu, hatte bereits beide Hände auf meinem Magen. Der Seraphim erhob sich, nur, um neben mir Platz zu finden und mir seinen Arm hinzuhalten. Verwirrt musterte ich diesen erst, dann den Mann, dem er gehörte.

„Es ist nicht so, als würdest du mich das erste Mal beißen“ Erneut trank er aus der Tasse in seiner anderen Hand, stellte diese dann ab. Ich hatte ihn gebissen? So etwas habe ich vergessen! Wie nur? Sein Blut unterschied sich auf mehreren Ebenen von menschlichem Blut, da kann ich doch schlecht vergessen haben, es zu trinken. Etwas in mir wollte aber, dass ich es von ihm nahm. Es regte sich in mir, verlangte danach, und ich, schwach wie ich war, gab diesem Verlangen nach. Vorsichtig streifte ich seinen Ärmel etwas nach hinten und biss zu. Er zuckte kurz, entspannte dann aber seinen Arm, während ich immer wieder kleine Schlucke von ihm nahm. Langsam überkam mich ein bekanntes Gefühl. Mir wurde warm, beinahe heiß. Meine Nervenenden kribbelten, während ich versuchte, mich zusammen zu reißen. Mein Kopf wurde langsam leer, dieses Trinken war wirklich eigenartig. Das Stechen nahm ab und als es verschwunden war, zog ich meine Zähne zurück. Mit der Zunge fuhr ich mir über die Lippen, eher instinktiv, bevor mir auffiel, dass die Augen meines Chefs auf mir lagen. Hoffentlich hatte er das nicht falsch gesehen. Ich versuchte nur, keinen Tropfen zu verschwenden. Er hatte eine Hand vor dem Mund, sein Gesicht war leicht gerötet.

„Euer Gift wirkt wirklich eigenartig. Ich hätte nicht gedacht, dass es mich auch betrifft …“ Ah ja … Vampire verwendeten ja ein spezielles Gift, um ihren Opfern ein gutes Gefühl zu bescheren. Als ich endlich verstand, was er meinte, rückte ich ein Stück von ihm weg.

„Uhm! Tut mir leid“, brachte ich heraus und friemelte am Saum des T-Shirts herum. Das musste wohl auch ihm gehören. „Wie … uhm … komm ich überhaupt zu den Sachen?“

„Ich konnte dich ja wohl schlecht drei Tage in deiner anderen Kleidung schlafen lassen, oder?“, kam die Frage zurück.  Domenicus atmete tief durch, fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht, bevor seine Aufmerksamkeit wieder dem Kaffee galt. „Lavender hat dich umgezogen, also ganz ruhig.“ Okay, das beruhigte mich tatsächlich etwas. Ich seufzte erleichtert, ließ den Rand in Ruhe, um ihn nicht auszuleiern.

„Dürfte ich vielleicht das Bad benutzen ..?“, fragte ich vorsichtig nach. Er nickte.

„Deine Sachen sind auch dort“, fügte er nur hinzu. Als ich aufstand, folgte er mir noch, wohl um mir noch etwas zurecht zu legen, damit ich nicht selber danach suchen musste. Also stellte er die Tasse wieder ab und kam mit ins Bad. Es war schon geräumig, wenn man es betrat, befand sich auf der rechten Seite eine kleine Thekenreihe mit Waschbecken und darüber angebracht ein Spiegel. Unweit davon die Toilette. Angebracht an der Wand auf der linken Seite befand sich eine großflächige Dusche, die geradezu zum Ausrutschen einlud. Klasse. An die Scheibe der Dusche angelehnt befand sich ein Schrank, aus welchem Domenicus zwei Handtücher heraus holte und über eine Halterung in der Nähe der Dusche hing, sodass man leicht hin greifen konnte. Noch etwas weiter vorn, fast neben uns, befand sich eine Waschmaschine und darauf meine zusammengelegten Sachen von der Feier … von vor drei Tagen. Ich konnte es immer noch nicht glauben.

„Danke“ Ich verbeugte mich leicht aus Respekt vor ihm.

„Lass dir Zeit“, meinte er noch. „Wenn du fertig bist, reden wir“ Das würde ich brauchen. Klarheit über das, was passiert war. Denn bislang, egal wie viel ich darüber nachdachte, nichts wollte zu mir zurückkommen, keine einzige Erinnerung. Ich nickte ihm als Antwort nur zu und er verließ das Bad. Ich konnte mir Zeit lassen. Das würde ich auch. Ich musste mir natürlich anschauen, was ich benutzen konnte, ohne dass ich Tage lang nach ihm riechen würde. Überraschender Weise verfügte er über Damenshampoo und –haarwäsche, was das Ganze etwas einfacher machte. Ich wollte gar nicht hinterfragen, warum. Es ging mich auch nichts an. Ich entschied mich lediglich dazu, es zu meinen Gunsten zu nutzen, legte die Sachen ab und drehte das warme Wasser auf.
 

Zurück in meinen alten, frisch gewaschenen Sachen, fühlte ich mich doch gleich viel besser. Meine Haare trocknete ich so gut es ging, hing mir ein kleineres Handtuch um die Schultern, damit mein Rücken nicht zu nass wurde. So ging ich zurück ins Wohnzimmer, welches etwas den Gang entlang auf der anderen Seite lag. Domenicus war dort nicht mehr anzufinden, weswegen ich mir herausnahm, mich etwas umzusehen. Eigentlich suchte ich einfach nur nach einer Uhr. Die Sonne war inzwischen aufgegangen, also schaltete ich gleich auch die unnötigen Lichter aus. 9:23Uhr. Okay, das war annehmbar. Was wohl meine Freunde gerade dachten. Drei Tage war ich ja förmlich verschwunden! Um eine Krankmeldung musste ich mir zum Glück keine Gedanken machen – Verdammt, ich war gerade bei demjenigen, bei dem ich mich hätte abmelden müssen. Apropos, müsste er nicht längst auf der Arbeit sein? Kaum dachte ich an ihn, kam er den Gang entlang. Zuerst hörte ich seine Schritte, dann seine Stimme. Er redete mit jemanden, war also vermutlich am Telefon. Da es mich nichts anging, beachtete ich das Gespräch nicht und stand eigenartig in der Mitte des Wohnzimmers, bevor ich mich dazu entschloss, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Kaum hatte ich das getan, klingelte es an der Tür. Was für ein Timing.

„Kannst du bitte gehen?“, fragte mich Domenicus, noch immer mit dem Handy am Ohr, als er das Zimmer betrat. Verwirrt hob ich eine Braue. „Ja, du. Bitte. Ich kann grad nicht. Was? Nein, ich rede nicht mit dir. Du kannst heute immer noch vorbei kommen, ja“ Er wechselte zwischen mir als Gesprächspartner zu demjenigen am anderen Ende der Verbindung binnen weniger Sekunden. Da er das Gespräch allerdings wirklich nicht abbrechen konnte, stand ich auf und ging an die Tür. Immerhin hatte er mir vorhin die Erlaubnis erteilt.

„Mister Domenicus kann gerade nicht an die Tür-„, entgegnete ich denjenigen davor und stockte mitten im Satz, als ich meinen Kopf hob. „Mum? Dad?“

„Allendra Nara Lecrune!“ Oh je, meine Mutter war sauer. Oder irgendetwas war passiert. Sonst nutzte sie nie meinen vollen Namen. Hilfesuchend blickte ich meinen Vater an, welcher mir nur aufmunternd entgegen lächeln konnte. Keine große Hilfe!

„Heeey Mum. Wie geht’s dir denn so?“

„Mir würde es besser gehen, wenn ich nicht von irgendjemandem den Anruf bekommen hätte, dass er meine Tochter ohnmächtig aus einer Gasse auflesen musste!“ Da war immerhin schon mal ein Teil der Geschichte.

„Ich hab leider keine Ahnung, was passiert ist. Wie lange seid ihr überhaupt schon hier?“

„Drei Tage“, antwortete mein Vater und lehnte sich an den Türrahmen. Meine Mutter warf ihm einen giftigen Blick zu, als er anfing, seine lässige Haltung einzunehmen.

„Wir sind hier, weil wir ein dringendes Gespräch führen müssen, Caleb! Benimm dich entsprechend!“

„Du weißt genau, dass ich eben das nicht tun werde“

„Leider“

Ach ja, meine Eltern. Sie stritten sich gern, aber es war meist nichts gefährliches. Wie konnte es auch anders sein? Immerhin waren die beiden Seelenpartner.

„Also“, fing ich gerade an und spürte mit einem Mal eine einschüchternde Präsenz hinter mir.

„Miss Lecrune. Mister Lecrune. Wenn ihr bitte eintreten möchtet“ Domenicus schob mich vorsichtig mit einer Hand weg vom Durchgang, um meine Eltern hinein zu bitten. Meine Mutter nickte ihm zu, ohne dabei eine Regung in ihrem Gesicht zu zeigen.

„Vielen Dank, Mister Domenicus. Ich würde es zudem bevorzugen, wenn wir nicht allzu lange um den heißen Brei herum reden würden. Wir warten bereits auf Antworten“

„Natürlich. Ich wollte nur warten, bis Eure Tochter wach ist. Immerhin betrifft es sie“ Mein Chef begleitete meine Eltern ins Wohnzimmer, gefolgt von mir, wobei ich sehr verwirrt hinterher trottete. Es ging um mich. Natürlich musste es das, wenn meine Eltern hier waren. Wie viel wussten sie über ihn? Es hieß ja, dass es ein paar Eingeweihte gab.
 

Wir nahmen also wieder im Wohnzimmer Platz. Ich zwischen meinem Riesen von Vater und meiner eher schmaleren Mutter, wobei ich noch um einiges kleiner war. Mein Chef nahm seinen Platz auf dem Sofa ein, legte ein Bein auf das andere und verschränkte die Finger ineinander, während er seine Ellenbogen auf den Armlehnen abstützte. Man könnte ihn glatt für einen Superbösewicht halten. Oder einfach nur für einen angsteinflößenden Chef.

„Wollen wir uns jetzt nur eigenartig gegenseitig anstarren oder wird das auch ein Gespräch?“ Mein Vater wurde langsam ungeduldig, hatte sich bereits zurück gelehnt. Er war zwar bereits einige Jahre alt, verhielt sich aber meist immer noch wie ein junger Erwachsener. Ganz zu schweigen davon, dass er kein Jahr älter aussah wie einer. Älter als 27 würde man ihn niemals schätzen und als ich noch auf die Akademie gegangen bin, gab es einige Tuscheleien unter den Mädchen. Nur die wenigsten wussten, dass er verheiratet war. Man könnte meinen, wenn man jemanden in der eigenen Klasse mit dem Nachnamen ‚Lecrune‘ hatte, der auch noch verdächtig wie der Direktor aussah, dass man da auf Ideen kommt. Aber nein. Ich wurde auf einmal zur kleinen Schwester. Zur Hölle! Meine Mutter störte das nicht einmal ungemein. Sie wusste, wie sie meinen Vater um den Finger wickeln und von den anderen weghalten konnte. Und nur das war von ihrem Interesse.

„In Ordnung“, fing Domenicus nun an und atmete tief durch. „Ich habe euch bereits während unseres ersten Gespräches in einiges eingeweiht. Ein kleines Geheimnis, das nicht weiter gegeben wird“

„Natürlich“, meinte meine Mutter. „Ihr seid ein Seraphim. Und aus irgendeinem Grund interessiert an unserer Tochter. Wir würden nur gern wissen, warum, bevor mir die Hand ausrutscht“

Der blonde Mann hob eine Braue, sah zwischen meiner Mutter und mir her, verglich uns wohl, bevor er den Kopf schüttelte. „Jedenfalls … es ist so, dass mit euch beiden“ Damit deutete er meine Eltern an. „und eurer Verbindung eine neue Blutlinie entstanden ist. Dracula und Adamantia vereint. Man könnte meinen, es entstünde ein starker Nachwuchs“

„Und genau dem ist nicht der Fall“, gab ich genervt hinzu und verdrehte die Augen. Das hatte ich nur zu oft gehört. Deine Mutter ist so mutig, wieso du nicht? Deine Eltern haben den Widerstand aufgehalten! Warum kippst du bei Blut um? Du bist ein Vampir! Ich war es so satt.

„Ich würde doch eher das Gegenteil behaupten“ Wie bitte? Mein Chef beugte sich nach vorn, behielt mich genau im Auge und ich erwiderte perplex seinen Blick. „Neue Blutlinien ziehen in erster Linie junge und frische Seelen an. Seelen, die entweder nur sehr wenige Leben bislang hatten oder sogar gar keine. Bei dir, Lecrune, ist es tatsächlich so, dass es dein erstes Leben ist.“

„Und das hat genau was zu bedeuten?“, wollte mein Vater nun wissen und setzte sich wieder aufrecht neben mir hin. Ich hingegen bin auf meinem Platz eingefroren, die Augen geweitet. Mein erstes Leben?

„Das hat zu bedeuten, dass es unklar war, welche Art von Gabe sich entwickeln kann. Wie der Zufall es leider so wollte … gab man dieser Seele eine … gefährliche Gabe mit“

„Gefährlich inwiefern? Dass sie umkippt?“, hakte meine Mutter nach. Vielen Dank, Mum. Echt, vielen Dank.

„Ein … unangenehmer Nebeneffekt“ Mein Boss schüttelte den Kopf. „Nein. Gefährlich im Sinne von, es wäre nicht möglich, diese als ‚verboten‘ einzustufen, aber um ehrlich zu sein, um etwas anderes handelt es sich nicht. Es gibt zwei Gaben, welche man in diese Kategorie einordnen kann. Einmal gibt es da die Gabe des Todes. Ein Wesen zu erlösen oder gar vollends zu töten, wenn man mächtig genug ist. Dem entgegen gesetzt gibt es aber …“

„Die Gabe des Lebens“, murmelte ich und Bilder zeigten sich vor meinem inneren Auge. Das Monster. Addie. Blut, sehr viel Blut. Sie war tot. Meine Hände leuchteten. Addie fing wieder an zu leben.

„Genau. Und die, Lecrune, besitzt du“

 

„Eine ungewöhnliche und gefährliche Gabe“

„Sie werden sich etwas ausdenken müssen“

„Es wird interessant“

„Wie spinnt sich der Faden?“

„Es hat sich ein zweiter mit hinein verwoben“

Ich konnte meinen Ohren nicht glauben. Ich besaß die Gabe des Lebens. Hätte ich es nicht am eigenen Körper erfahren, würde ich diese Aussage nicht glauben. Überfordert fasste ich mir an den Kopf, während ich spürte, wie der Blick meiner Mutter an mir haftete. Mein Vater hingegen bewegte sich auf seinem Platz neben mir hin und her, die Arme noch immer vor der Brust verschränkt. Er war auch der erste, der nach einer sehr langen Schweigepause wieder redete.

„Die Gabe des Lebens also“, fing er an. „Beinhaltet, vermute ich jetzt mal so aus dem Blauen heraus, das Beleben von anderen“

„Beleben der Toten, ja. Es ist jedoch nicht klar, wie umfangreich die Gabe des Lebens ist, da sie noch nicht erforscht werden konnte“, erklärte mein Chef und seufzte auf. „Es ist so, dass weder die Gabe des Todes noch des Lebens normalerweise in Effekt treten. Der Schock oder der Wille ist im Endeffekt nie stark genug, um die Fähigkeit auszulösen. Und meistens sind die Wesen, die eine Tendenz dazu haben, nicht stark genug, um sie auszuführen.“

„Ich bin nicht stark“, meinte ich nur und fuhr mir mit einem bitteren Lachen durch die Haare. „Das war ich noch nie. Mir wird bei Blut schlecht. Ich komme mir nicht einmal wie ein richtiger Vampir vor“

„Das bist du aber. Und ein sehr mächtiger noch dazu. Die Kraft aufzuwenden, einen Toten zurück in die Welt der Lebenden zu holen, erfordert sehr viel Energie. Es kann sogar passieren, dass man das eigene Leben gegen das der Person eintauscht, die man retten will. Es war ein Wunder, das du lediglich für ein paar Tage ausgeschalten warst. Ein wahres Wunder“ Ich spürte regelrecht, wie meine Mutter neben mir erfror. Ich hätte mein Leben verlieren können. Durch das Trauma, welches sie während ihrer Schulzeit erlitten hat, war meine Mutter sehr schlecht auf dieses Thema anzusprechen. Sie war eine sehr strikte Frau, so viel war klar. Und ihre Erziehung war ebenso ernst und hart, wovor mich mein Vater zu beschützen versuchte. Doch war sie ebenso liebevoll und beschützerisch. Sie sah es nicht gern, wenn sich ihre Kinder verletzten oder in Gefahr begaben. Sie aus dem Nest zu lassen fiel ihr schwerer als unserem Vater. Bei Luc war der Schock besonders groß, da er noch verschwunden war. Deswegen wollte ich auch den Kontakt so gut es ging aufrecht erhalten. Diese Nachricht nun musste ein starker Schock für sie sein.

„Ihr Leben verlieren“, murmelte sie nun auch. Ich sah sie an und sie schüttelte den Kopf. „Das ist ein schlechter Witz, oder? Ein verdammt schlechter noch dazu“

„Wynne …“, wollte mein Vater sie beruhigen, doch schnellte sie mit ihrem Kopf herum und giftete ihn mit ihrem Blick an.

„Versuch es erst gar nicht, Caleb! Es geht hier um unsere Tochter, verdammt. Die, die du unbedingt wie deinen verschissenen Augapfel behüten musstest!“

„Miss Lecrune, bitte“, erhob diesmal Mister Domenicus die Stimme und hob zur Verteidigung seine Hände. „Ich weiß nicht, wie man es sonst bezeichnen soll, also sage ich es frei heraus: Dass eure Tochter bei mir gelandet ist, ist ein glücklicher Zufall. Ich werde darauf achtgeben, dass sie diese Gabe nicht anwendet. Oder anwenden muss“ Bei den letzten Worten biss er die Zähne zusammen. Ich erinnerte mich an die Gestalt, die Addie getötet hatte, konnte es aber zu keiner mir bekannten Rasse zuordnen. Und es machte Domenicus zu schaffen, zu wissen, dass sie existierte, also musste es sich um ein wirklich großes Problem handeln.
 

Meine Eltern dazu zu überreden, ruhig zu bleiben, war ein Akt, den ich uns so gar nicht zugetraut hatte. Domenicus erklärte, dass ich sicher sei, dass sie sich keine Sorgen machen müssten. Ich bejahte diese Aussagen, erklärte zudem, dass immer genügend Leute zur Stelle seien und ich meistens auch nicht allein nach Hause ging und eigentlich immer jemanden um mich hatte. Mehr oder minder zufrieden hatten sie es dann bei dem Thema belassen. Natürlich noch mit der bitteren Note, mich aus dieser Stadt abzuziehen, sollte mir irgendetwas zustoßen.

Nachdem wir sie nun verabschiedet hatten, fuhr sich mein Chef frustriert durch die Haare. Obwohl es noch nicht spät war, sah er nicht nur fertig aus, sondern auch wirklich müde. Vielleicht hatte er vergangene Nacht auch nicht richtig geschlafen, wer weiß.

„Und ich dachte, deine Mutter wäre nicht so stur, wenn es um deine Unabhängigkeit geht“, meinte er und trat zurück ins Wohnzimmer. Ich folgte ihm, eine Hand mit der anderen umfasst, den Blick nach vorn gerichtet.

„Sie hat panische Angst davor, dass ihren Kindern etwas zustößt“, erklärte ich ihm, woraufhin ich ihn auch nicken sah.

„Vom Schicksal der neuesten Lecrune-Generation habe ich gehört. Glück im Unglück. Hätte die Verwandlung nicht gegriffen, wäre deine Generation nie entstanden“ Mit zusammengezogenen Brauen blickte ich meinen Chef an. Woher …? „Seraphim-Wissen. Wir müssen wissen, was in dieser Welt geschieht. Vor allem in den wichtigsten Familien.“, erklärte er auf meine unausgesprochene Frage hin. Das war wirklich gruselig. Ob Seraphim auch Gedanken lesen konnten? Nun, den Kopf konnte ich mir darüber nicht zerbrechen. Mein Chef machte sich noch einen Kaffee, während ich nach meinen Dingen schaute.

„Wenn du möchtest“, kam es halblaut aus der Küche, als Domenicus versuchte, mit mir ein Gespräch zu führen, „Kannst du noch etwas bleiben. Meine Schwester kommt dann vorbei und würde sich auch gerne nach dir erkundigen“ Seine Schwester? Ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen und dachte nach. Mein Boss hatte eine Schwester? Davon hatte ich auch noch nicht gehört. Und wie es schien, kannte sie mich. Sie musste mich innerhalb der drei Tage kennen gelernt haben, in denen ich nicht ansprechbar war. Das ist ja auch mal schön peinlich. Jetzt hatte ich die Wahl, einmal mit ihr zu reden, doch spielte da meine Nervosität nicht ganz mit.

„Ich würde lieber nach Hause gehen“, meinte ich nur. „Außerdem machen sich meine Mitbewohner bestimmt schon Sorgen“ Das entsprach bestimmt irgendwo der Wahrheit. Drei Tage war ich nicht zu Hause gewesen. Domenicus hatte sie sicherlich benachrichtigt, aber ich würde sie doch ganz gerne wiedersehen, damit sie sich sicher sein konnten, dass ich wieder auf den Beinen war. Meine Entscheidung wurde ohne weitere Worte akzeptiert, sodass ich nach wenigen Minuten schon auf dem Heimweg war.
 

Ohne weitere Zwischenfälle kam ich an diesem Tag daheim an. Eine Nachricht befand sich auf meinem Handy, von meinem Chef, der mir befahl, noch ein paar Tage im Haus zu bleiben und mich auszuruhen. Eigentlich fühlte ich mich schon wieder ganz gut, aber wenn er darauf bestand, konnte ich nur schlecht widersprechen.

Freudig begrüßte mich Alex und erkundigte sich sofort nach mir. Dass sie schon da war, wunderte mich doch etwas. Dennoch erwiderte ich die Umarmung überglücklich und war froh, sie zu sehen. Rene musste gerade auf der Arbeit sein, denn Neujahr lag noch ein paar Tage in der Zukunft. Dementsprechend musste ich mir darüber noch nicht den Kopf zerbrechen, auch wenn Alex schon voll in den Vorbereitungen steckte. Sie hielt sich dennoch zurück, von ihren Plänen zu sprechen, während sie sich nach mir und meiner Gesundheit erkundigte. Ich konnte ihr versichern, dass es mir den Umständen entsprechend gut ging, auch wenn das Gespräch mit meinen Eltern mich etwas mitgenommen hatte.

Mit Rene folgte dasselbe nach einigen Stunden nochmal. Nur kleiner Szenenwechsel: Wir saßen am Abend mit unserer Lieblingsserie vor dem Fernseher und sprachen, alle ihr Lieblingsgetränk in der Hand. Ich fühlte mich glatt viel wohler als bei Domenicus, was nicht zuletzt an der Tatsache lag, dass seine einschüchternde Präsenz nicht vorhanden war. Und ich hatte mit den flauschigsten Pulli angezogen, den ich hatte. Dazu eine gemütliche Jogginghose, in der ich es mir die nächsten Tage schön machen würde. Das Sofa würde ich wohl vorerst nicht verlassen.
 

Die Tage verflogen, bald musste ich noch ein paar Mal wieder auf Arbeit, bevor Neujahr vor der Tür stand und Alex beinahe vollkommen durchdrehte. Als ich ihr noch erzählte, dass Zack zu uns käme, hätte sie beinahe ihren gesamten Plan über Bord geworfen und an einem Neuen gearbeitet. Mit Ach und Krach hatte ich sie daran gehindert und wir hatten gemeinsam die Einkäufe erledigt, um pünktlich zu 0 Uhr anstoßen zu können. Dazu gehörte natürlich Alkohol, unter anderem auch Sekt, ein bisschen Knabberzeug wie Salz- und Käsestangen und Filme, die wir schauen konnten, bis es soweit war. Einer von Alex‘ Lieblingsfilmen ist gerade auf DvD erschienen, weswegen wir diesen natürlich gleich in unseren Einkaufskorb verfrachteten. Wenn wir schon mal eine Hartkopie erwerben konnten, taten wir das auch. Immerhin hatten wir keine schlechte Sammlung, nur die ganzen Dinge noch online zu haben, hatte auch seine Vorteile.

Rene, der fast eifersüchtig war, dass ich ein ‚Date‘ für den Abend hatte, besorgte sich ebenso eine Begleitung. Alexandra hatte sich dagegen entschieden, da ihre letzte Verabredung ziemlich verunglückt war. Da saßen wir am nächsten Tag da, sie beschwerte sich und heulte sich aus, während ich daneben saß und Eis aß. Normalerweise bot man zwar der Freundin das Eis an, aber für sie schmeckte es leider ja nach nichts, weswegen sie es schon von Haus aus abgelehnt hatte, sich einfach nur auf der Couch platzierte und mit ihrer Beschwerde begann. Und das artete in einer wahren Schimpftirade aus.

Rene hingegen nahm alles ziemlich locker. Der Mann, der uns am 31. Gesellschaft leisten würde, hatte er an einem Abend kennen gelernt, an welchem er mit Alois und ein paar anderen Kollegen einen trinken war, um ein gelungenes Projekt zu feiern. Da es über mehrere Monate ging und für einen schwierigen Kunden angefertigt wurde, gab es allemal einen Grund zu feiern. Ich hatte mir nur wenige Tage zuvor die Akte angesehen, an was der Mann alles etwas auszusetzen hatte und wie viel er sich über die erbrachte Arbeit beschwerte, ohne Verbesserungsvorschläge zu äußern. Eine wahrlich nervige Person, aber leider wusste ich, warum das Projekt nicht einfach abgebrochen wurde – Es brachte eine Unmenge an Geld ein. Und Domenicus schaffte es sogar, ihn zum Schweigen zu bringen. Sonst wäre vermutlich auch Alois an die Decke gegangen.
 

Mit Zack und Lavender hatte ich in den letzten Tagen nur wenig zu tun gehabt. Erst am 31. traf ich den nun blonden Vampir unten an, da wir uns verabredet hatten. Immerhin wusste er ja nicht, wie er zu uns gelangte, weswegen er mich auf dem Heimweg begleitete. Wir unterhielten uns ein wenig, er beschwerte sich über die dämlichen Gedanken einiger unserer weniger intelligenten Mitarbeiter, welche wohl bald auch ihren Platz wohl verlieren würden, da selbst Lavender die Nase voll hatte. Ich dachte eigentlich, dass ihre Methode der Einstellung idiotensicher war, aber Zack meinte nur, dass sich Leute eben änderten. Und diesen Faktor könnte keiner von ihnen bestimmten. Denn in die Zukunft zu schauen war eine verbotene Gabe, die man nicht anwenden soll.

Unser Thema ging auch zurück auf Addie. Diese schien, nach den ganzen Geschehnissen, ebenfalls erst einmal daheim geblieben zu sein. Oder bei Lavender, wie ich mitbekommen hatte. An sich erinnerte sie sich an nichts, was nach ihrem Verlassen des Gebäudes geschehen war. Und sie war so teilnahmslos wie immer, also hatte sich daran nichts geändert. Ihre Aufpasserin hatte sich bei mir bedankt, ihr das Leben gerettet zu haben. Lavender sei angeblich fast das Herz stehen geblieben, als sie von dem Zwischenfall erfahren hatte. Noch immer fragte ich mich, was es mit Addie eigentlich auf sich hatte, doch sprach ich meine Kollegin nicht darauf an. Irgendwie kam es mir so vor, als würde es mich nichts angehen. Auch wenn es mich wirklich brennend interessierte.
 

Zack pfiff anerkennend, als er das Apartment-Gebäude erblickte. Allein die Eingangstür erstaunte die meisten schon, denn diese war eine filigran verzierte, gläserne Doppeltür, die in den großen Vorsaal mit Briefkästen, Empfang und Fahrstuhl führte. Einige hatten hier auch Büro-Flats gemietet, weswegen es durchaus vorkam, dass tagsüber jemand am Empfang stand und die Leute in die richtige Etage zum richtigen Zimmer führte. Niemand wollte von Leuten gestört werden, die er überhaupt nicht kannte.

Zusammen gingen wir nun durch die Empfangshalle und zum Fahrstuhl. Dieser war erst seit kurzem wieder in Betrieb, nachdem er aufgrund technischer Schwierigkeiten mehrere Monate ausgefallen war. In Anbetracht dessen, was in diesen Monaten alles geschehen war, wahrlich unpraktisch, sonst hätte ich an dem einen Abend auch meinen Chef abwimmeln können.

Apropos Chef .. in den Tagen, an denen ich wieder zur Arbeit kam, bevor wir den 31. hatten, sah ich ihn so gut wie nie aus seinem Büro kommen. Und wenn doch, dann legte er meist nur ein paar Dokumente auf meinen Schreibtisch, gab einen kurzen Kommentar ab und verschwand dann wieder hinter der schweren Tür. Ich hatte die Tage mehr als nur einmal geseufzt, aber immerhin hatte ich noch die anderen, die mir Gesellschaft leisteten.

In unserem Stockwerk angekommen holte ich die Schlüssel heraus und öffnete die Tür zu unserem Apartment. Alex hatte bereits alles dekoriert: Von den Wänden hingen Fähnchen und Ornamente, ein paar noch geschlossene Luftschlangen hatte sie auf den Kaffeetisch gelegt, zusammen mit den Snack-Schüsseln und ein paar Becher mit Getränken.

„Coole Sache“, meinte Zack nur und räumte seine Sachen dort hin, wo ich ihm zeigte. Die Schuhe stellte er am Eingang ab und begrüßte dann erst einmal Alexandra, welche uns erst gar nicht mitbekommen hatte, da sie gerade dabei war, DvDs für den Abend rauszusuchen. Ein paar hatte sie schon auf einen Stapel neben dem Tisch gelegt, ganz oben natürlich die, die wir uns vor wenigen Tagen bestellt hatten, um sie unserer Sammlung hinzufügen zu können.

„Ich hoffe, die Auswahl gefällt dann auch allen. Wenn nicht, tja, dann müsst ihr das halt ertragen“ Alex lachte auf und sortierte die Filme wieder ein, auf die sie selber nicht wirklich Lust hatte. Die meisten hatten wir wegen ihr. Sie stand auf alles, was Action beinhaltete und ebenso ein wenig auf Horror. Rene war eher der Typ für Thriller mit einem Touch Übernatürlichen, während ich am ehesten Romanzen bevorzugte, durch mein weiches Gemüt. Aber bei einer Sache waren wir uns einig: Trickfilme konnte keiner überbieten und auch wenn sie eigentlich für Kinder sein sollten, konnte man in ihnen vor allem in der heutigen Zeit eine unglaubliche Tiefe erkennen.

„Ihr habt die Sammlung von A Game of Clubs? Krass. Die neuesten Folgen sind doch gerade erst auf DvD erschienen, oder?“ Damit machte es sich Zack auf der Couch gemütlich, während ich kurz in meinem Zimmer verschwand, um alles abzulegen. Als ich zurückkam, unterhielten wir uns ein wenig über die Serie, die anscheinend sogar viele aus dem Büro kannten und sich auch fast täglich ansahen. Dass wir nun mehr als ein Jahr auf die Veröffentlichung der letzten Staffel warten müssten, störte also noch mehr Leute, was auch zu erwarten war. Immerhin hatte A Game of Clubs eine unglaublich große Fangemeinde.

Gerade als wir so in unser Gespräch verwickelt waren – Inzwischen hatte sich auch meine beste Freundin zu uns gesellt und mich auch mal begrüßt –, öffnete sich unsere Haustür wieder und Rene samt Begleitung traten ein. Und als ich sah, wen genau er mitgebracht hatte, stand nicht nur mir der Mund weit offen. Der blonde Vampir neben mir staunte ebenso nicht schlecht, als wir Nyc Lacoy erkannten, welcher uns mit einem Lächeln zuwunk.

„Bin da, Babes!“, rief der Elf aus und musterte uns nur kurz daraufhin mit einer gehobenen Braue. „Was ist denn mit euch los?“

„Mister Lacoy ist deine Verabredung?“, hakte ich sofort nach und erhob mich, um den Geschäftspartner der Firma angemessen zu begrüßen. Doch der hochgewachsene Mann lachte nur auf und schüttelte mir die Hand.

„Nennt mich ruhig Nyc, immerhin sind wir unter uns. Und ich muss mich jetzt wirklich nicht älter fühlen, als ich es ohnehin schon bin“ Genau genommen war der älteste unter uns wohl Zack, aber das sah man ihm einfach nicht an. Tatsächlich sah der Schwarzhaarige um einiges erwachsener aus. Zurückgekämmte Haare, ein Drei-Tage-Bart und aufmerksame, blaue Augen. So genau konnte ich ihn vorher nicht betrachten, als wir uns das erste Mal auf dem Geschäftstreffen begegnet waren. Aber er war mit von Anfang an ein Recht sympathischer Mann gewesen, was sich an diesem Abend nicht als eine falsche Wahrnehmung heraus stellen sollte.

Nyc war ein Mensch, welcher sich mit den Begebenheiten der Welt auseinander gesetzt hatte und die anderen Rassen durchaus kannte. Es war natürlich nicht selten für Menschen – immerhin teilten sie sich auch Schulen, in denen darüber aufgeklärt wurde -, aber es dann doch mal von einem zu hören war eigenartig. Die meisten Menschen wussten gerade Mal, dass es Vampire gab, schenkten aber ihren langohrigen Gesellen keine große Aufmerksamkeit. Ganz zu schweigen davon, dass die anderen Rassen unter uns so gut wie nicht auffielen.

Rene musste tatsächlich einen Narren an ihm gefressen haben, so sehr wie er den Abend über an dem Älteren hing. Er strahlte unglaublich, lachte viel mehr, während ich neben Zack nur nervös war und ihn gelegentlich scheu anlächelte. Er nahm es mir zum Glück nicht übel, sah die ganze Sache etwas lockerer und lehnte sich nach einer Weile auf der Couch zurück, die Arme über die Lehne. Ich konnte Alex sehen, wie sie mir fragende Blicke zuwarf und letztlich mit den Brauen wackelte. Vielleicht war es besser, sich auf den Vampir einzulassen, auch wenn er Draculas Blutlinie entsprang. Immerhin waren wir keine nahen Verwandten …
 

Wir verbrachten den Abend mit einem eher bekannteren und oft gesehenen Film im Hintergrund, während wir uns dazu entschieden, ein paar Spiele aus dem Schrank zu kramen und uns mit diesen zu beschäftigen, damit wir uns nicht die ganze Zeit über anschwiegen. Zum einen beschäftigten wir uns mit Brettspielen, dann aber auch wieder mit Karten, wobei ich diese Art von Aktivität nie verstanden hatte. So saß ich die Zeit über, als sie Skat spielten, nur neben Zack und schaute über seine Schulter. Trotz der Tatsache, dass Alex die einzige ohne Begleiter war, störte sie sich nicht sonderlich daran und nahm den Abend locker hin. Sie scherzte mit uns und wir konzentrieren uns auch nicht zu sehr auf unsere Partner. Ha, Partner. Der Gedanke klang aber auch wirklich seltsam.

Als es nur noch wenige Minuten waren, die wir hatten, bevor wir anstießen, stand ich auf und holte die Getränke aus dem Kühlschrank und stellte die Gläser ebenso auf den kleinen Tisch im Wohnzimmer. Das Öffnen der Flasche überließen wir Nyc, das Eingießen übernahm Rene, welcher alle Gläser ungefähr gleich befüllte. Bei ihnen hoffte ich nur, dass das ganze kein böses Ende nehmen würde, sonst könnte es vermutlich noch dem Geschäft der Firma schaden. Aber so wie es aussah, verstanden sie sich prächtig und ich sah einen Ausdruck in Rene, den ich vorher noch nie gesehen hatte. Auch Alex hatte mich einmal kurz zur Seite gezogen und mit mir darüber gesprochen. Es schien, als hätte sich der Elf tatsächlich verliebt. Zumindest gingen wir von seinen Blicken so aus, wussten natürlich nicht, ob er jede seiner Verabredungen so anblickte.

Was mich anging, ich war mir nicht sicher, wie ich mich irgendwem gegenüber fühlte. Mich verwirrte vieles, auch Zacks Annäherungsversuche, die mir besonders an diesem Tag nicht entgangen waren. Immer wieder, so unauffällig wie nur irgend möglich, legte er einen Arm auf die Lehne der Couch direkt hinter mir und deutete so an, diesen um mich zu legen, ohne es wirklich zu tun. Ich war doch etwas froh, als wir uns für den Countdown bis Mitternacht kurz aufteilten und uns um die Couch herum stellten, um besser anstoßen zu können. Natürlich blieb ich dabei nicht lang allein, unterhielt mich aber noch etwas mit Alex, welche sich einfach wieder hingesetzt und nach hinten gelehnt hatte, um nicht ganz so allein zu sein. An meiner Seite natürlich der blonde Vampir, welcher das Sektglas schwenkte, während wir warteten. Das Programm war bereits umgeschaltet und es dauerte nur noch wenige Minuten, bis das neue Jahr begann. Und das sollte mit einer kleinen Überraschung anfangen.

In alter Tradition zählten wir die letzten Sekunden gemeinsam mit dem digitalen Countdown herunter. Jubel, Freude und aufgeregtes Anstoßen erfolgte, Wünsche für ein Gutes Neues Jahr. Ich nahm einen Schluck aus meinem Glas und verzog wie jedes Jahr das Gesicht, doch diesmal konnte ich mich nicht lang auf den Geschmack konzentrieren.

„Hey, Kätzchen“, wurde ich von der Seite angesprochen und drehte mich zu Zack, welcher mir leicht auf die Schulter getippt hatte, um meine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Kaum hatte ich mich mit einem ‚Hm?‘ umgedreht, war mir dessen Gesicht unglaublich nah und ich spürte seine Lippen auf meinen. Perplex konnte ich mich zunächst nicht regen, ließ beinahe mein Glas fallen und riss die Augen auf. Das … nein. Das sollte nicht sein! Nicht nur, dass es wirklich unangenehm wurde und ich mich am liebsten zurück gezogen hätte – was ich nicht tat, da ich ihn nicht verletzen wollte – sondern mein gesamter Körper begann, sich gegen diese Nähe zu wehren! Was war das nur?! Warum war ich ihm so extrem abgeneigt in diesem Moment?! Sicher, es war eine Überraschung, aber … so reagierte man doch nicht normalerweise darauf, oder? Langsam löste Zack den Kuss, sah mich mit ruhigen Augen an, bevor er ein trauriges Lächeln auflegte.

„Ich habe wohl schon verloren, wie?“, meinte er leise zu mir und blickte dann auf sein Sektglas. „Ich hätte mich besser beeilen sollen … Mist“

„Z-Zu … zu spät? Was? N-Nein, ich .. ich meine …“, stotterte ich und legte die Finger an meine Lippen, versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Ich hatte eine unglaubliche Gänsehaut und mein Magen begann, zu rebellieren. Das war nicht mein erster Kuss gewesen, aber zuvor hatte ich nie derartig darauf reagiert. Vielleicht, weil er aus derselben Blutlinie stammt? „Es tut mir leid, ich wollte nicht .. Ich … Ich weiß nicht, warum …“ Der Vampir winkte nur ab und lächelte, doch berührte es seine Augen nicht. Er sah sehr traurig aus, mitgenommen durch die Abfuhr, die durch meine Reaktion entstanden war. Ich hatte ihn nicht einmal verbal abserviert. Das hatte mein Körper für mich übernommen und es tat mir wirklich unglaublich leid. Betroffen zog ich die Brauen zusammen und ging ihm erst einmal aus dem Weg …
 

„Zack hat dich geküsst?“, fragte mich Alex am nächsten Tag, als wir unsere Wohnung aufräumten und ich mich endlich dazu entschloss, mein Herz zu erleichtern. Ich seufzte und nickte auf ihre Nachfrage hin.

„So irgendwie aus dem Nichts. Ich hatte es nicht erwartet und ganz plötzlich waren einfach seine Lippen auf meinen. Noch nie zuvor hat mich etwas derartig abgeschreckt und … aus irgendeinem Grund angewidert“, erklärte ich ihr und stellte Gläser, Besteck, Schüssel und Teller in die Spülmaschine. Meine Verabredung hatte sich kurz nach Mitternacht dazu entschieden, zu gehen. Nyc hingegen war die Nacht bei uns geblieben und bis jetzt noch mit Rene in dessen Zimmer, vermutlich schliefen sie noch. Zumindest konnten wir keine Geräusche vernehmen. Und für gewöhnlich war unser Gehör doch recht sensibel.

„Also hat er es sich echt getraut. Und dich hat es angewidert? Mies, Allie. Echt mies“

„Ich wollte das nicht mal so! Das .. das war einfach eine echt unangenehme Situation und mein Körper hat sich dem Kontakt derartig widersträubt, dass ich nicht wusste, wie mir geschah. Mir wurde richtig schlecht … Dabei kann ich ihn doch ganz gut leiden! Zack ist ein super Kerl!“

„Also war es dein Unterbewusstsein, dass ihn so stark abgelehnt hat?“

„Ich glaube, ja …“ Ein erneutes Seufzen entwich meinen Lippen und ich sortierte die Deko wieder in die Kisten, sodass wir sie eventuell für nächstes Jahr aufheben konnten. Über das Schicksal des Schmuckes würde halt unsere Party-Koordinatorin entscheiden.

„Davon hab ich auch noch nie gehört. Ihr seid doch Freunde, meintest du. Und du hast auch nichts dagegen, ihn zu umarmen?“, hakte Alex weiter nach, nahm mir die Kiste ab, um sie auf einem der Schränke zu verstauen.

„Gar nicht! Gegen die Umarmungen hatte ich nie etwas.“

„Aber gegen den Kuss. Echt seltsam“ Nun zuckte sie mit den Schultern, verstaute noch den Rest der Deko, bevor wir es uns auf der Couch gemütlich machten und zur Ablenkung ein paar Videos schauten, bis Rene schließlich aus seinem Zimmer geschlichen kam. Alexandra war die erste, die sich mit einem breiten Grinsen umdrehte und den Kopf auf die Lehne legte, während sie mit ihm sprach.

„Noch ne gute Nacht gehabt?“, schnurrte sie ihn an. Auch ich drehte mich um und musterte unseren besten Freund, welcher verschlafen mit halb geöffneten Augen und verwuschelten Haaren im Wohnzimmer stand. Er kratzte sich an der Wange, bevor sich ein breites Grinsen auf seine Lippen schlich.

„Ich habe ziemlich gut geschlafen, ja.“, antwortete er und begab sich in die Küche, um sich seinen morgendlichen Kaffee zu machen. „Und nein, wir haben’s nicht getan, bevor du fragst, Schätzchen. Tatsächlich würde ich es doch anders bevorzugen“ Das waren ganz andere Worte aus seinem Mund, halleluja! Verwundert blickten wir uns gegenseitig an, bevor wir kicherten und uns etwas über ihn lustig machten. Zumindest so lang, bis Nyc aus seinem Zimmer kam, vollständig angezogen und frisch gemacht. Lediglich seine Haare hingen ihm nun zum Teil ins Gesicht, da er sie sich nicht nach hinten gekämmt hatte. Mit einem Lächeln wünschte er uns einen Guten Morgen, bevor er sich zu Rene gesellte, sein Kinn anhob und ihm doch tatsächlich einen Kuss gab! Alex und ich quietschten auf, sollten das vermutlich nicht beobachten, konnten unsere Augen aber auch nicht von den zweien lösen. Den Firmenchef schien das nicht zu stören, denn sein Blick hing nach wie vor an dem Elf, welcher ihn verträumt anlächelte.

„Danke, dass ich hier übernachten durfte. Ich muss aber leider los …“, raunte er dem anderen zu und entfernte sich langsam. Man hörte heraus, dass er gerade erst wach geworden war, denn seine Stimme war ein paar Oktaven tiefer als ich es bereits gewohnt war. Rene nickte ihm zu, geleitete ihn dann auch so zur Tür, wie er gerade angezogen war: Lediglich mit einem Shirt und seinen Boxershorts bekleidet. Wieso konnte ich mir nur allzu gut vorstellen, dass das seinem Partner gefiel, hm? Wir warteten, bis die Tür geschlossen war, bevor wir aufschrien und Rene zu uns auf die Couch zogen, damit er uns seine Geschichte erzählte.
 

Neujahr wurde nur von einem Feiertag begleitet und so mussten wir am 2. Januar wieder auf Arbeit zurück. Wir wünschten unseren Kollegen noch ein neues Jahr und unterhielten uns in der Lobby mit Addie und Lavender. Anscheinend hatte auch die Violett-Haarige über die Tage noch ein Date erhaschen können und ein aufregendes Neujahr erlebt, während Adeline noch immer Probleme damit hatte, sich im Leben zurecht zu finden. Manchmal fragte ich mich tatsächlich, ob sie eigentlich einen Partner hatte. Schlecht sah sie ja nicht aus, nur ihre Art konnte etwas anstrengend sein. Aber gab es nicht Leute, die einen Fetisch dafür hatten?

Als wir uns zu viert – oder zu dritt – so unterhielten, kam uns ein weiterer Kollege entgegen: Zack, welcher erst am Vortag noch bei uns war, aber nur mit einer kurzen Verabschiedung gegangen war. Er begrüßte Rene und Lavender mit einer Umarmung, bevor er mich hinter den beiden entdeckte. Und mit einem Mal schwand sein Lächeln. Er zögerte, das sah ich ihm an, doch dann ging er einfach an mir vorbei, ohne mich auch nur anzusprechen. Mir rutschte mein Herz in die Hose. Ich hatte ihn wirklich verletzt. Hatte ich mit der Reaktion nun unsere Freundschaft zerstört?

„Was war denn das?“, fragte Lavender sofort nach und musterte mit eindringlich. Ich hingegen ließ Schultern und Kopf hängen. Vermutlich hasste er mich nun. Ganz klasse.

„Etwas was ich vermutlich verdient habe …“, meinte ich nur, ohne mich weiter zu erklären und begab mich schließlich an meinen Arbeitsplatz, um mich abzulenken. Immerhin sprach Domenicus ausnahmsweise wieder mit mir, was mich etwas erleichterte. Aber das Stechen in meiner Brust wollte nicht verschwinden.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wenn Bewerbungsgespräche nur wirklich so leicht wären ...

Hach! Ich bin halbwegs wieder da! Tut mir leid wegen der langen Verzögerung, bei mir standen nun die Prüfungen des ersten Semesters an, aber die sind nun vorbei und ich hoffentlich wieder einsatzbereit, was das Schreiben betrifft!

Allendra ist vollkommen anders als ihre Mutter ... hoffentlich entwickelt sie sich nicht zum Fußabtreter! Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (12)
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Von:  Narudia
2020-02-20T11:34:23+00:00 20.02.2020 12:34
heyho,

schön endlich ein neues Kapitel und dann gleich ein so verwirrendes. Also so richtig Abneigung zu empfinden übel vor allem da sie ja schon freunde sind. er tut mir schon leid aber es war ja nichts bewusstes und sie war ja selbst sehr überrascht von dem ganzen. ich bin gespannt auf die Ursache und was er meinte mit zu spät als ob er mehr wüsste. freue mich schon sehr aufs nächste kapitel.

gruß
Narudia
Von:  Manulu420
2020-02-18T22:27:47+00:00 18.02.2020 23:27
Ein neues Kapitel endlich!*_*
Ich liebe den ersten Band und bin echt gespannt, wie diese Geschichte weiter geht, bitte lass sie nicht einschlafen...
Antwort von:  Thane
18.02.2020 23:28
Ich geb mein bestes xD
Von:  Narudia
2019-11-18T06:06:22+00:00 18.11.2019 07:06
Hey,

yeay endlich geht es weiter. Und dann so ein Hammer Kapitel. Zuerst dachte ich ja durch die leuchtende Kraft das es was mit domenicus zu tun hat und das sie dessen Blut in sich hatte als sie Addie geheilt oder zu den lebenden zurück geholt hat. nun wissen wir das es ihre eigene gabe ist und dazu natürlich eine gefährliche einfach irgendwen ins leben zurück zu holen wer weis ob die betroffene seele das unbeschadet übersteht. geil fand ich auch wie er sie hat das 2. mal trinken lassen das auch er von dem gift nicht verschont bleibt. hoffentlich werden die 2 keine Junkies nach einander den engelsblut ist sicherlich auch nicht ohne auf dauer.

lg narudia
Von:  Manulu420
2019-11-17T11:28:11+00:00 17.11.2019 12:28
Ein neues Kapitel *_* und ich liebe es!
Ich bin echt gespannt, wie es weiter geht.
Von:  Manulu420
2019-11-16T11:05:28+00:00 16.11.2019 12:05
Huhu,
Ich liebe deine Geschichten. Du fesselst mich jedes mal. Ich würde gerne wissen, wie es hier weitergeht. Bitte gib die Geschichte nicht auf.
LG
Antwort von:  Thane
16.11.2019 12:55
Noch ist sie nicht aufgegeben! Nennen wir es eher pausiert aufgrund diverser Gründe, haha. Ich habe aber noch einige Kapitel in der Hinterhand, eines wollte ich sogar heute hochladen
Von:  Narudia
2019-06-18T06:32:58+00:00 18.06.2019 08:32
huhu,

ah endlich geht es weiter. eine wirklich nette geste allen etwas kleines persönliches zu schenken das sie mit ihnen verbindet. und domenicus hat sicher nicht damit gerechnet das ihm seine kleine sekretärin etwas schenken würde. sicher war er weg um das geschenk ins Büro zu bringen ich kann mir wirklich nicht vorstellen das er es entsorgt hat. er macht sich ja sorgen um sie das bedeutet sie ist ihm nicht egal deswegen hat er sie nach hause begleitet um sicherzugehen das es ihr gutgeht und nur aus diesem grund ist er auf ein Kaffee geblieben um sie sicherlich noch etwas länger im auge zu behalten zum glück da sie ja tatsächlich umgekippt ist und Alex sicher nicht gewusst hätte was es damit auf sich hat. was wohl demenicus geschenk gewesen ist?

lg narudia
Von:  Narudia
2019-05-06T06:20:54+00:00 06.05.2019 08:20
huhu,

oha das klingt ja spannend. seraphin dunkle schatten und das arme Kätzchen wir attackiert. was wohl genau dahinter steckt. und ich war erstaunt das sie sein blut verträgt aber das blut wird wohl kaum mit menschlichen blut vergleichbar sein oder "normalen" blut. oder wir haben eine neue seelenverbindung? wir werden es ja herausfinden.

lg narudia
Von:  Manulu420
2019-04-18T08:27:15+00:00 18.04.2019 10:27
Ich habe mich sehr gefreut, als du einen neuen Band der Reihe angekündigt hast. Ich hoffe die neuen Kapitel kommen schnell, denn auch dieses mal hast du es geschafft mich zu fesseln. Ich mag deinen Schreibstil und die Charaktere sehr.
LG
Von:  Narudia
2019-03-29T10:08:36+00:00 29.03.2019 11:08
Huhu,

ein sehr ereignisreiches neues tolles Kapitel. Also das Date war mal wirklich klasse, er scheint ja wirklich total in Ordnung zu sein aber ich würde wirklich auch niemanden wollen der aussieht wie mein vater (wahrscheinlich deswegen auch die blonde strähne um sich ein wenig zu verändern) ich denke das alter ist ihr eigentlich egal es sind Vampire sie werden mehrere 100 jahre alt da spielen 100 jahre unterschied doch nicht wirklich eine rolle.
es ist schön zu sehen das sie sich einlebt und sie alle scheinbar sehr mögen und zu schätzen wissend das gibt ihr Selbstvertrauen und die nötige Motivation. und sie hat sich nicht vom Griesgram eines cheffes unterkriegen lassen^^
nun bin ich aber echt neugierig was Lava meinte das er sie einweihen soll. sehr mysteriös.

lg narudia
Von:  Narudia
2019-03-22T06:07:33+00:00 22.03.2019 07:07
Huhu,

ohje arme allie wer solche freunde hat brauch keine feinde mehr. wobei sie sicher nur gut meinen und ihr wirklich helfen wollen oder ich verstehe allie ich such mir meine Dates auch lieber selbst aus und wenn das bedeutet längere pausen zuhaben dann ist das eben so.
auf der arbeit scheint es ja erstmal wunderbar zu laufen das freut mich, und auch gut das sie nicht weiter von ihrem Chef drangsaliert wird sondern scheinbar wirklich eine Chance erhält. und er scheint sich ja auch für sie zu interessieren sonst würde er sie ja nicht ausfragen. bin schon gespannt welche art von wesen er eigentlich ist.
was wohl ihr Chef sagt sollte er von dem date erfahren? XD
bin wirklich gespannt wie es weitergeht.

lg narudia


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