Opposites Attract von elfogadunk ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Dort war sie. Direkt vor ihm. Genauso, wie er sie sich vorgestellt hatte. Wunderschön. Perfekt. Er musste nur seinen Arm nach ihr ausstrecken und sie würde ihm gehören. Er starrte sie an, konnte sich nicht abwenden. Seine Augen klebten an ihren perfekten Kurven. Er zitterte ein wenig, als er seine Hand hob, um nach ihr zu greifen, sie zu berühren. „‘Tschuldigung, darf ich mal?“ Seine auserkorene frittierte Banane landete auf einem fremden Tablett. Fassungslos starrte er der Frau hinterher, die ihm gerade sein Heiligstes gestohlen hatte. „Hey, ich war vor Ihnen dran! Die Banane wollte ich! Das war die letzte!“ Die junge Frau drehte sich um und zuckte mit den Schultern. „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Schockiert über diese Dreistigkeit starrte er ihr nach. Erst das unangenehme Knurren seines Magens ließ ihn seine laute Backshop-Umgebung wieder bewusst werden. Doch da verließ die Frau auch schon den Laden und ließ ihn mit seiner Wut über den Diebstahl seines Lieblingsnachtischs allein. Zwei Jahre später „Was soll das?“ Hansa knallte ihm eine Akte mit der gestempelten Aufschrift ‚nicht bewilligt‘ auf den Schreibtisch. „Ist das dein Ernst?“ Gautam schaute von seinem Computerbildschirm erst auf die Akte und dann in Hansas wütendes Gesicht. „Der Stempel ist doch eigentlich aussagekräftig genug“, erwiderte er. „Ich habe zwei Wochen an diesem Kostenvoranschlag gearbeitet und alle deine sinnlosen Bedingungen beachtet, und jetzt lehnst du ihn trotzdem ab?!“ Ihr fiel es sichtlich schwer, ihre Stimme gesenkt zu halten und nicht die ganze Agentur zusammenzuschreien. „Diese ‚sinnlosen Bedingungen‘ stammen nicht von mir, sondern vom Kunden. Und alles andere hab ich in den Bemerkungen dazu geschrieben.“ Gautam war vollkommen gelassen. Es war schließlich nicht seine Schuld, wenn seine Kollegin ihre Arbeit nicht richtig machte. Hansa öffnete den Mund, schloss ihn wieder und schnaufte widerwillig. Sie nahm die Akte und ging festen Schrittes zurück zu ihrem Schreibtisch. Gautam war froh, dass dieser sich am anderen Ende des Raumes außerhalb seines direkten Sichtfeldes befand. Den ganzen Tag Hansas wütenden Blicken und gemurmelten Verfluchungen ausgesetzt zu sein, stellte er sich anstrengend vor. Die täglichen Teeküchensticheleien zwischen ihnen und die Steine, die sie sich regelmäßig gegenseitig in den Weg legten, waren ihm mehr als genug. Natürlich achtete er darauf, dass es gerade so viel war, dass es sie ärgerte, aber nicht den Geschäftsablauf störte. Der restliche Tag verlief ohne weitere Zwischenfälle. Gautam arbeitet seine Aufgaben ab, telefonierte mit Kunden und besprach mit ihnen ihre Vorstellungen und Pläne. „Wie immer fleißig?“ Gautam schaute auf und blickte in das schmunzelnde Gesicht seiner Freundin Bhavna. Er erwiderte ihr Lächeln. Dann schrieb er den Satz zu Ende, an dem er gerade saß, und fuhr seinen Computer herunter. Seine Sachen in der einen Hand und mit Bhavna an der anderen verabschiedete er sich von seinen Kollegen in den Feierabend. Hansas Schreibtisch war der letzte vor der Tür und so waren es ihre abschätzigen Blicke, mit denen im Rücken er den Heimweg antrat. Kapitel 2: ----------- „Ich hasse diesen Kerl!“, stöhnte Hansa und ließ sich auf die Couch fallen. „... und wie immer dieselbe Leier.“ Aditi kam aus der Küche und stellte ihrer Freundin und Mitbewohnerin eine Tasse Tee hin. „Ignorier ihn doch einfach!“ „Wie denn? Ständig sabotiert der meine Arbeit. Wieso muss ausgerechnet dieser Kotzbrocken Creative Director sein?!“, jammerte Hansa und schlug mit den Handflächen auf das Sofapolster. „Dann sei eben du die Klügere und biete ihm Waffenstillstand an“, schlug Aditi vor und setzte sich neben sie auf die Couch. Hansa schnaufte verächtlich. „Der hat doch angefangen! Von Tag eins an hatte er es auf mich abgesehen. Mister Super-Korrekt gefällt wahrscheinlich einfach mein Gesicht nicht. Was soll ich dagegen denn machen? Ich hab jetzt schon oft genug versucht, nett zu ihm zu sein. Als Dank bekomme ich nur abwertende Blicke zugeworfen.“ „Dann such dir einen anderen Job. Bei uns wird demnächst eine Redaktionsstelle frei.“ „Das wäre eine Option, wenn mir meine Arbeit nicht so viel Spaß machen würde ...“ „Dann kann ich dir auch nicht weiterhelfen.“ Beide lehnten sich zurück und starrten an die Decke. „Wo ist eigentlich Surya?“, erkundigte Hansa sich nach einer Weile des einhelligen Schweigens. „Keine Ahnung. Als wir Feierabend gemacht haben, faselte er irgendwas von einem Date und ist abgezischt. Du kennst ihn ja“, entgegnete Aditi. „Der ändert sich nie.“ Hansa zuckte schmunzelnd mit den Schultern und stand auf. „Ich geh erst mal duschen und danach gibts Abendessen.“ Aditi nickte und schaltete den Fernseher ein, während Hansa ins Badezimmer ging. Sie schlüpfte aus ihren Sachen und stellte sich unter die Dusche. Das heiße Wasser half ihr, ihren Frust auf Gautam wegzuspülen. Jeden Tag aufs Neue ärgerte sie sich über ihn. Sie hatte keine Ahnung, warum er sie ständig piesackte, doch nachdem sie es sich anfangs gefallen lassen hatte, wurde es ihr nach einer Weile zu bunt und sie schoss zurück. Als sie vor zwei Jahren in ihrem Job angefangen hatte, war sie noch unsicher gewesen und hatte sich zurückgehalten, doch mittlerweile hatte sie sich einen sicheren Platz erarbeitet und sah gar nicht ein, wegen Gautam die Segel zu streichen. Erfrischt stieg sie aus der Dusche, trocknete sich ab, zog sich saubere Kleidung über und ging zurück ins Wohnzimmer. „Also, was hältst du von Biryani zum Abendess-?“Sie verstummte, als sie sah, dass Aditi eingenickt war. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging sie in die Küche und begann, das Essen zuzubereiten. Biryani war Aditis Lieblingsgericht und sie kochte gern für ihre Freundin. Sie beide und ihr gemeinsamer Freund Surya kannten sich seit ihrem Medienkommunikationsstudium, das sie in Pune absolviert hatten. Nach ihrem Abschluss beschlossen sie, zusammen nach Mumbai in eine WG zu ziehen und einen gemeinsamen Arbeitsplatz zu finden. Während Aditi und Surya allerdings in einem größeren Lokalblatt unterkamen, fand Hansa eine Anstellung in einer Marketingagentur. Alle drei liebten ihre Jobs, auch wenn sie bisweilen sehr anstrengend sein konnten. „Oooh, gibts etwa Biryani?“ Aditis Stimme riss Hansa aus ihren Gedanken. „Nur für dich, mein Herz“, scherzte sie und verteilte den Reis auf zwei Teller. „Vielen Dank, Liebste. Aber sag mal ... wer soll denn hier die Küche wieder saubermachen?“ Skeptisch verschränkte sie die Arme vor der Brust, lehnte sich an den Türrahmen und beäugte die vielen benutzten Schüsseln, Teller und Töpfe, die auf dem Herd und der Arbeitsfläche standen. Hansa schaute sich ebenfalls um. „Jetzt wird erst mal gegessen. Aufräumen können wir hinterher immer noch“, winkte sie eilig ab. Sie nahm die Teller in die Hand und schob ihre Freundin vor sich her ins Wohnzimmer an den Esstisch. Aditi setzte sich, konnte sich jedoch einen weiteren Kommentar nicht verkneifen. „Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie du es schaffst, für das bisschen Essen so viel Chaos und Abwasch zu produzieren.“ „Beschwer dich nicht“, entgegnete Hansa. „Die Hauptsache ist ja wohl, dass am Ende das Essen schmeckt.“ „Ja, schon, aber-“ „Jedenfalls!“, fuhr Hansa ihrer Freundin hastig über den Mund „hab ich beschlossen, Mister Creative Director morgen noch mal die Meinung zu geigen. Mir reichts. So kann das nicht weitergehen.“ „Das find ich wirklich gut. Sei erwachsen. Geh auf ihn zu“, bestärkte Aditi sie. „... Aber die Küche sieht immer noch aus.“ Kapitel 3: ----------- Im Vorbeigehen fiel Gautams Blick auf Hansa. Ihr Gesicht auf die Hand gestützt, fläzte sie auf ihrem Schreibtisch herum und starrte ausdruckslos ihren Computerbildschirm an. Bei dieser Haltung würde es nicht mehr lange dauern bis sie Augen- und Rückenprobleme haben würde. Aber was scherte ihn fremdes Elend? Es störte ihn viel mehr, dass es auf ihrem Schreibtisch aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Zwischen unzähligen losen Blättern und sonstigem Krimskrams stapelten sich Hefter und Ordner in unordentlichen Haufen, eine Pflanze versuchte, sich zwischen all dem Chaos ans Tageslicht zu kämpfen, schien jedoch kläglich zu scheitern. „Hast du eigentlich vor, hier irgendwann mal aufzuräumen?“ Gautam konnte sich diesen Kommentar nicht verkneifen. „Alle Kunden, die reinkommen, werden zuerst mit deinem Müllhaufen konfrontiert. Meinst du nicht, dass du dem Firmenimage schadest?“ Schleppend drehte Hansa ihren Kopf in seine Richtung; ihr Blick dabei war tödlich. „Meinst du nicht, dass du mit deiner Klugscheißerei dem Firmenimage schadest?“ Plötzlich schien ihr etwas einzufallen. Sie räusperte sich und setzte sich gerade hin. „Ich meine ... Vielen Dank für den Hinweis.“, meinte sie und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. Gautam zog die Augenbrauen hoch. Was war denn jetzt los? Irritiert nickte er und ging dann zurück zu seinem Schreibtisch. Bevor er sich setzte, warf er noch einmal einen Blick quer durch das Großraumbüro zu Hansa, die tatsächlich an ihren Ordnerhaufen herumrückte und die losen Blätter sortierte. Gautam ließ sich auf seinem Stuhl nieder und fragte sich, welches Wunder er gerade vollbracht hatte, dass Hansa auf ihn hörte. Da musste doch etwas im Busch sein. Nach der Mittagspause kam sie auf ihn zu und legte ihm den überarbeiteten Kostenvoranschlag vor. „Ich habe alle deine Hinweise beachtet“, kommentierte sie, als sie die Akte vor ihm auf den Schreibtisch legte. „Ich hoffe also, dieses Mal stimmt alles.“ Wieder lächelte sie kurz und wollte gehen, doch Gautam warf ihr einen so misstrauischen Blick zu, dass sie innehielt. „Was ist los?“ Er schwieg und musterte sie; dann sagte er: „Das sollte ich dich fragen. Seit wann tust du denn, was ich dir sage? Was soll das auf einmal?“ Sie atmete tief durch. „Ich sehe nichts Falsches daran, gute Tipps zu befolgen.“ „Ach, wirklich? Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Zwei Jahre lang hast du keinen einzigen meiner guten Tipps befolgt“, stichelte Gautam und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie mit ihrem Verhalten nichts im Schilde führte. „Nun, Menschen ändern sich und werden ... weiser. Nicht wahr?“ Es klang ein wenig gepresst und er sah, wie sie ihre Hände zu Fäusten ballte. „Ich muss jetzt zurück an die Arbeit.“ Damit drehte sie sich um und schlängelte sich zwischen den anderen Schreibtischen hindurch zu ihrem Arbeitsplatz. Gautam verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihr skeptisch nach. Sie musste sich ganz offensichtlich dazu zwingen, nett zu ihm zu sein. Wieso also veranstaltete sie dieses Theater? Ob ihr beider Chef etwas zu ihr gesagt hatte? Sie war am Morgen in seinem Büro gewesen und das sicher eine halbe Stunde lang. Konnte es sein, dass sie eine Abmahnung für ihr Verhalten und ihre Unordnung bekommen hatte? Der Gedanke daran ließ ihn unwillkürlich grinsen. Ihm gefiel die Vorstellung, dass Hansa nett zu ihm sein musste.Vor allem machte es so noch mehr Spaß, sie zu sticheln. Sie leiden zu sehen, brachte ihm einen Hauch von sadistischer Freude. Bei ihrem Temperament durfte es unter diesen Umständen nicht lange dauern bis sie explodierte. Als er den überarbeiteten Kostenvoranschlag durchging, konnte er tatsächlich keine Fehler mehr finden. Gautam ließ ihn Hansa also für die Post vorbereiten und ein Anschreiben für den Kunden verfassen. Dieses schickte sie ihm per E-Mail noch einmal zum Gegenlesen; er fand einen Rechtschreibfehler in der Anschrift und sendete es mit entsprechendem Hinweis an sie zurück. Die korrigierte Fassung kam prompt, jedoch ohne Kommentar zurück. Während der Drucker surrte, tippte er mit einem dicken Grinsen im Gesicht in den Computer, dass er es unhöflich fand, dass Hansa ihm das Anschreiben ohne weitere Anmerkung und ohne Entschuldigung für den Fehler zurückgesendet hatte. Diese übertriebene Pedanterie würde sie wahnsinnig machen; das wusste er und er freute sich darüber wie ein kleines Kind. Kapitel 4: ----------- Hansa knirschte mit den Zähnen, der Bleistift in ihrer Hand zerbrach. Sie musste sich zusammenreißen, ihre Faust nicht im Bildschirm zu versenken. War diese blödsinnige Pedanterie sein Ernst?! Dieser verfluchte Korinthenkacker machte das mit voller Absicht! Er wusste haargenau, wie sehr sie das ärgerte. Doch sie würde ihm den Triumph nicht geben. Das bekam er zurück. Sie hatte wirklich versucht, nett zu ihm zu sein, aber sein Mangel an Interesse an diesem Friedensangebot war offensichtlich. Welche Möglichkeiten hatte sie nun also? Ginge sie auf offenen Konfrontationskurs, gestände sie ein, dass sie sich ärgerte und er hätte gewonnen. Machte sie gar nichts, würde er denken, er könnte sich alles erlauben. Sie musste es ihm also auf Augenhöhe heimzahlen. So eine Aktion musste jedoch gut geplant sein. Alles, was sie brauchte, war eine günstige Gelegenheit. Bis dahin musste sie einfach warten und Gautam mit kühler Höflichkeit begegnen. „Das ist also dein neuer Plan?“, erkundigte sich Aditi zweifelnd, während sie drei Teller auf den Abendbrotstisch stellte. „Kommst du bei deinen ganzen Sticheleien und Racheaktionen überhaupt noch zum Arbeiten?“ „Worum geht’s?“ Surya kam aus seinem Zimmer und nahm am Tisch Platz. „Mister G wieder mal und immer noch“ „Also alles beim Alten“, stellte Surya fest und goss sich ein Glas Wasser ein. „Ich habe wirklich nicht das Gefühl, dass ihr mich ernst nehmt“, beschwerte sich Hansa. Sie verteilte Reis und Soße auf die Teller und setzte sich. „Ich führe diesen Krieg nicht für mich, sondern für alle Angestellten der Welt, die sich von Dummschwätzern wie Mister G alles gefallen lassen müssen.“, konstatierte sie mit entschlossener Miene. „Ich bin mir sicher, all diese unterdrückten Angestellten werden es dir persönlich danken.“ Aditis Stimme triefte vor wohlgemeintem Sarkasmus. „Gehen wir nachher in den Rosengarten?“, wechselte Surya das Thema. Hansa gefiel der Vorschlag. Der Rosengarten war ihr Lieblingsclub. Dort wurde über Oldies und aktuelle Musik bis hin zu Hindifilmsoundtracks der letzten vierzig Jahre alles gespielt. Außerdem war Freitag und somit für Frauen freier Eintritt. Da sich auch Aditi einverstanden zeigte, war die Abendplanung beschlossene Sache. Nach dem Essen und anschließendem Aufräumen der Küche, machten die drei sich fertig und nach ein-zwei Gläsern Wein auf den Weg. Der Club war wie immer gut besucht. Die vielen Feierwilligen tummelten sich auf den zwei Tanzflächen, standen an der Bar an odersaßen auf einer der vielen Couchen in der etwas erhöhten Loungeecke. Hansa, Aditi und Surya holten sich Getränke und stürzten sich ins Getümmel. Sie bewegten sich zur Melodie und zum Bass und ließen sich von der Musik tragen. Beim Tanzen waren für Hansa die Sorgen des Alltags schnell vergessen und es zählten nur noch ihre beiden besten Freunde und der Spaß, den sie mit ihnen hatten. Immer wieder umarmte sie die beiden, drückte ihnen dicke Küsse auf die Wangen und bekam diese auch zurück. Aditi war normalerweise kein besonders körperlicher und gefühlsbetonter Mensch, aber ein bisschen Wein änderte das schnell. Surya genoss selbstverständlich die weibliche Nähe und tanzte ausgiebig mit seinen beiden Begleiterinnen. Hansa fühlte sich wohl in seinen Armen. Er war wie der Bruder, den sie sich als das Einzelkind, das sie war, immer gewünscht hatte. Dass er ihre Gefühle auf derselben Ebene erwiderte, wusste sie. Gleiches galt für Aditi. Die drei tanzten bis in die frühen Morgenstunden. Als sie gegen vier Uhr positiv erschöpft in einer Motorrikscha auf dem Heimweg waren, wurde Hansa bewusst, wie lange sie schon nicht mehr tanzen gegangen waren und wie sehr ihr das gefehlt hatte. Da war es nur selbstverständlich, dass der Abend am kommenden Wochenende wiederholt werden musste. Kapitel 5: ----------- „Du bekommst die Ingenieurs-Tagung“, verkündete Vikram, Leiter der Agentur, am Montagmorgen, nachdem er Gautam in sein Büro gerufen hatte. Gautam nickte weisungsbeflissen und verbarg erfolgreich seine inneren Freudensprünge über den Auftrag. Schon lange hatte er darauf gewartet, die Leitung eines so großen und wichtigen Projektes zugeteiltzubekommen. „Ich leite dir eine Mail weiter, in der die wichtigsten Eckdaten gelistet sind. Du hast fünf Wochen Zeit; ich denke, das ist machbar.“ Wieder nickte Gautam. „Wen bekomme ich in mein Team?“, erkundigte er sich. „Nun, da stecken wir etwas in der Zwickmühle“, gestand Vikram ein.„Wir haben gerade so viele Projekte an der Hand, dass die meisten anderweitig eingespannt sind. Ich kann dir nur Hansa zuteilen; und das auch erst ab nächster Woche. Bei deinem Organisationstalent und mit dem großen Zeitpolster dürfte das aber kein Problem sein.“ Gautam traute seinen Ohren nicht. Er hielt sich in aller Bescheidenheit für absolut fähig, ein solches Event zu stemmen, aber mit Hansa? Daran war nicht mal im Traum zu denken. Doch konnte er das Vikram sagen? Er hielt es für nicht besonders clever, seinem Chef mitzuteilen, dass er in dieser Beziehung kein bisschen teamfähig war. So hielt er also seinen Mund, bedankte sich für den Auftrag und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und durchs Haar und ließ seine Gehirnwindungen rattern. Es war ausgeschlossen, dass er sich dieses wichtige Projekt durch eine Zusammenarbeit mit Hansa ruinieren ließ. Das konnte nur in einer Katastrophe enden. Entweder versuchte er also, einen seiner Kollegen von einem anderen Auftrag abzuwerben oder er kümmerte sich allein um alles und bürdete sich sechs Wochen voll Stress und endloser Überstunden auf. Variante eins zog er Variante zwei dabei deutlich vor und so verbrachte er die nächsten beiden Tage damit, seine Kollegen in ihren Mittags-, Kaffee- oder Raucherpausen abzufangen und sie zu einem Umsatteln zu überreden. Von Erfolg war seine Aktion leider nicht gekrönt. Alle waren bereits so fest eingebunden, dass niemand bereit war, für ihn sein Projekt zu wechseln. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als sich alleine um alles zu kümmern. Die grobe Basisplanung stellte dabei noch das kleinste Problem dar. Die Detailarbeit mit der Raum- und Hotelbuchung, dem Catering, den Einladungen und vor allem der Kostenkalkulation war der wirkliche Knackpunkt. Er versuchte, die Organisation so einfach wie möglich zu strukturieren und sich einen genauen Zeitplan zu erstellen, doch schon am Ende der Woche wusste er nicht mehr, wo ihm der Kopf stand; zu viel musste zeitgleich bearbeitet werden. Er hatte es unbewusst von Anfang an geahnt, doch zu seinem Grauen dämmerte es ihm Freitagmittag: Dieses Projekt war unmöglich alleine zu stemmen. Widerstrebend wanderte sein Blick durch das große Büro hinüber zu Hansa, die gerade dabei war, ihre Sachen zusammenzupacken. Seine Stirn legte sich in Falten, er stieß einen Verzweiflungsseufzer aus und fuhr sich unwillig durchs Haar. Gautam hatte keine Wahl. Kapitel 6: ----------- Hansa wollte gerade Feierabend machen und sich ins Wochenende verabschieden, als unvermittelt Gautam vor ihrem Schreibtisch stand. Sein Gesicht wirkte verbissen und sein Körper wie eine einzige geballte Faust. Sie sah ihn an und wartete darauf, dass er etwas sagte, doch sein Blick wanderte nur unruhig über ihren Schreibtisch. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, rang sie sich durch zu fragen. Er presste die Lippen aufeinander und verschränkte die Arme vor der Brust. Noch einmal zögerte er. „Vikram hat mir die Ingenieurstagung zugeteilt und du sollst mich dabei unterstützen“, presste er schließlich hervor. Das machte Hansa für einen Moment sprachlos. Die Ingenieurstagung? Mit Gautam? Die Tagung war eine willkommene Gelegenheit sich zu beweisen. Aber mit Gautam? Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Eine Zusammenarbeit konnte nur im Tod von einem von ihnen beiden enden. „Mir passt das genauso wenig wie dir“, meinte er, was bedeutete, dass ihre Abneigung ihrem Gesicht nur allzu deutlich anzusehen war. „Dann mach es doch alleine“, schnappte sie, auch wenn es ihr schwer fiel, die Tagung abzulehnen. Gautam presste erneut seine Lippen aufeinander. „Leider geht das nicht. Es ist unmöglich, das Ganze alleine zu stemmen.“ Dieses Eingeständnis fiel ihm sichtlich schwer, wie sie mit einem Anflug von Schadenfreude feststellte. „Dann such dir eben jemand anderes“, schlug sie vor. Er atmete tief durch. „Auch das wird nichts. Alle anderen sind anderweitig eingebunden.“ Da realisierte Hansa, dass sie offensichtlich seine letzte Alternative war. Er hatte keine andere Wahl mehr, als sie um Hilfe zu bitten. Ihn in dieser Situation zu sehen, eröffnete ihr ganz neue Möglichkeiten. Sie hatte ihn quasi in der Hand. „Und warum sollte ich gerade dir helfen wollen?“, erkundigte sie sich mit kokettem Unterton. Er biss die Zähne zusammen und sie sah, wie seine Kiefermuskeln arbeiteten. „Du würdest nicht nur mir helfen, sondern auch etwas für deine berufliche Reputation tun, wenn wir das Ganze erfolgreich über die Bühne bringen“, presste er mit bemühter Sachlichkeit hervor. Er hatte mit dem, was er sagte, zwar recht, aber ihm war dieses Projekt um ein Vielfaches wichtiger als ihr; das war offensichtlich. Sie genoss die Machtposition, die sich für sie daraus ergab. „Ich denke, über so eine wichtige Entscheidung sollte ich erst einmal schlafen“, tschilpte sie. „Ich sage dir dann am Montag Bescheid.“ Damit schenkte sie ihm ihr strahlendstes Lächeln und verließ das Büro. Dieser kleine Triumph versetzte sie in regelrechte Hochstimmung. Die Sonne schien heller, der Himmel war blauer, die Vögel zwitscherten fröhlicher und der überfüllte Bus war weniger beengend als sonst. Es war ihr beinahe peinlich, wie gut gelaunt sie war. Auch Aditi entging das nicht, als Hansa sich mit ihr an einem Gol Gappa-Stand zum Mittagessen traf. „Na siehst du, da hast du auch schon deine Chance, es ihm heimzuzahlen“, gratulierte sie, nachdem Hansa ihr alles erzählt hatte. „Allerdings. Jetzt muss ich mir nur noch überlegen, wie ich mir diese Chance am besten zunutze mache. Ich denke, dass ich ihn zwei Tage schmoren lasse, bis ich ihm meine Entscheidung mitteile, ist schon mal ein guter Anfang“, grinste Hansa und stopfte sich genüsslich ein Gol Gappa in den Mund. „Es ist schon ziemlich verlockend, ihn einfach hängen zu lassen. Das wäre die ultimative Vergeltung“, nuschelte sie mit vollem Mund. „Das auf alle Fälle, aber für eure sowieso schon angespannte Arbeitsatmosphäre wäre das der absolute Todesstoß“, gab Aditi zu Bedenken. Wie so oft war sie die Stimme der Vernunft, die Hansa auf den Boden zurückholte. „Und was soll ich deiner Meinung nach sonst tun?“ Aditi lächelte verschwörerisch. „Lass dich drauf ein. Aber zu deinen Bedingungen.“ Kapitel 7: ----------- Klonk „Lass deine schlechte Laune bitte nicht an den Tellern aus, Schatz“, bat Bhavna ihren Freund, während sie den Reis für das Abendbrot aus dem Topf in eine Schüssel umfüllte. Gautam grummelte eine Entschuldigung und stellte Gläser und Besteck mit mehr Vorsicht auf den Tisch. „Du wirst doch wohl nicht das ganze Wochenende über so mies drauf sein oder?“ Sie schlang ihre Arme von hinten um seine Taille und legte ihren Kopf auf seine Schulter. „Du musst wirklich lernen, ein bisschen abzuschalten.“ „Das geht nicht, wenn es um so eine wichtige Sache geht“, gab er knapp zurück. Bhavna seufzte und machte sich wieder von ihm los. „Ich verstehe dich ja, aber die ganze Zeit darüber zu brüten, bringt dich leider auch nicht weiter. Aryan hat vorhin angerufen und gefragt, ob wir heute Abend weggehen wollen. Was hältst du denn davon?“, schlug sie vor, während sie das Essen auf die Teller verteilte. „Mir ist wirklich nicht nach ausgehen zumute.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung und setzte sich auf seinen Stuhl. „Ein ruhiger Fernsehabend wäre mir lieber.“ „Jetzt hab dich nicht so. Wir waren schon ewig nicht mehr richtig weg. Da kommst du mit Sicherheit auch auf andere Gedanken.“ Sie lächelte ihn aufmunternd an und nahm ebenfalls am Tisch Platz. Er kräuselte die Lippen. Er hatte nicht die geringste Lust, heute noch irgendwohin zu gehen. Hansas Verhalten von heute Mittag ließ ihn noch immer innerlich brodeln und es fiel ihm schwer, sich auf etwas anderes als seinen Ärger darüber zu konzentrieren. Aber unter Umständen hatte Bhavna ja Recht und ein bisschen Ablenkung konnte nicht schaden. Die Abende mit Aryan, Bhavnasjüngerem Bruder, waren bisher immer sehr unterhaltsam gewesen und vielleicht war es genau das, was er heute brauchte. „Wenn‘s denn sein muss“, gab er widerwillig nach und Bhavnas Gesicht strahlte. Nach dem Essen fühlte Gautam sich voll und müde und hatte noch weniger Lust, noch einmal das Haus zu verlassen. Um Bhavna nicht zu enttäuschen, raffte er sich jedoch auf und nahm eine kurze Dusche. Danach fühlte er sich etwas frischer, doch die Motivation ließ weiterhin auf sich warten. Während Bhavna das Bad in Beschlag nahm, trank er zwei Tassen Kaffee und zog sich um. Nachdem sie beide fertig waren, bot Gautam an zu fahren, da er ohnehin keinen Alkohol trinken wollte. Sie fuhren zu Aryan, um ihn, seine Freundin Mallika und zwei seiner Kumpels abzuholen, und anschließend direkt in den Rosengarten. Gautam war nie ein großer Partygänger gewesen, doch hier hatte er vor gut zehn Monaten bei einem seiner seltenen Club-Abende Bhavna kennengelernt. Aus einem versehentlichen Anrempler hatte sich ein angenehmes Gespräch ergeben, bei dem Gautam vor allem Bhavnas offene Art und ihr strahlendes Lächeln aufgefallen waren. Einen Monat später waren sie ein Paar gewesen. Als die kleine Gruppe den größeren der beiden Floors betrat, schlug ihnen Wärme und laute Musik entgegen. Der Raum war bereits gut gefühlt und es bestand kein Zweifel, dass es in spätestens einer Stunde kaum noch ein Durchkommen geben würde. „In der Lounge oben sind zwei Couchen frei. Ich gehe mit Mallika schon mal vor. Bringst du mir bitte einen Mojito mit?“Bhavna musste schreien, um die laute Musik zu übertönen. Gautam nickte und bewegte sich mit Aryan und seinen Kumpels Richtung Bar, während die zwei Frauen sich zur Lounge durchdrängten. Alle anderen bestellten Cocktails oder Longdrinks, doch Gautam begnügte sich mit einem Ginger Ale; Alkohol trank er sehr selten und nur zu besonderen Anlässen. Nachdem sie sich zu Bhavna und Mallika gesellt hatten, verschwanden die beiden erst einmal auf die Toilette. Aryan gab eine seiner unzähligen Geschichten zum Besten und seine zwei Freunde machten ihre Späße. Gautam saß daneben, hörte – soweit es die wummernde Musik zuließ – zu und lieferte die eine oder andere Spitze ab. Als er seinen Blick über die sich tummelnde Menge wandern ließ, fiel ihm plötzlich eine bestimmte tanzende Gestalt ins Auge, die ihn sich an seinem Ginger Ale verschlucken ließ. Er hustete, klopfte sich auf die Brust und schaute noch einmal genauer hin, um sich zu vergewissern. Was zur Hölle machte Hansa hier?! „Alles ok, Kumpel?“, erkundigte sich Aryan und klopfte ihm auf den Rücken. Gautam schaute ihn an, nickte fahrig und wendete seine Aufmerksamkeit wieder Hansa zu. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein! Er kniff die Augen zusammen und beobachtete sie. Sie war offensichtlich mit ein paar Freunden hier. Wie viele genau konnte er bei dem Getümmel auf der Tanzfläche jedoch nicht ausmachen. Er streckte seinen Hals, um sie besser sehen zu können, doch in dem Moment kamen Bhavna und Mallika von der Toilette zurück und er richtete seine Aufmerksamkeit wieder ihnen zu. Gautam merkte jedoch schnell, dass ihn das Gespräch seiner Begleiter zunehmend weniger interessierte und dass sein Blick immer wieder zur Tanzfläche abrutschte. Hansa tanzte pausenlos und wirkte äußerst ausgelassen. Mit ihrem Getränk in der Hand und dem breiten Lachen im Gesicht wirkte sie ganz anders als das, was er sonst von ihr gewöhnt war. Schuld daran hatte auch ihr Outfit. Das kurze Kleid und ihre offenen Haare standen in ziemlichem Gegensatz zu ihrer Jeans-und-T-Shirt-mit-Pferdeschwanz-Aufmachung, die sie stets auf Arbeit trug. „Gautam?“ Sein Kopf schnellte herum, als er Bhavnas Stimme hörte und ihre Hand auf seinem Oberschenkel spürte. „Tut mir leid, was?!“ Er schaute verwirrt in die Gesichter seiner Freunde. „Wir wollen tanzen gehen. Kommst du mit?“ „Geht ihr ruhig. Ich halte hier die Stellung.“ Tanzen gehörte nicht gerade zu seinen Stärken und er vermied es, wenn er nicht gerade dazu gezwungen wurde. „Alles klar.“ Bhavna lächelte verständnisvoll und gab ihm einen kurzen Kuss, bevor sie sich mit den anderen in die Menge drängte. Er schaute ihnen hinterher und beobachtete sie eine Weile beim Tanzen, bevor sein Blick unwillkürlich zu Hansa zurückglitt. Sie hatte gerade den Arm um die Schultern eines jungen Mannes gelegt und rief ihm etwas ins Ohr, das beide auflachen ließ. Gautam spürte Ärger in sich aufsteigen. Während er äußerst nervös darauf wartete, dass sie sich dafür entschied, ihm bei der Tagung zu helfen, ging sie feiern, flirtete sorglos mit irgendwelchen Kerlen und schien nicht den Hauch eines schlechten Gewissens zu haben. Er beobachtete, wie sie sich von dem jungen Mann einmal um die eigene Achse wirbeln ließ, um dann in seine Arme zu fallen. Ihre Bewegungen passten nicht zur Musik, doch das schien keinen der beiden zu stören; beide lachten. Als der junge Mann Richtung Bar verschwand, bemerkte Gautam eine von Hansas Freundinnen neben ihr, die sie schon mehrere Male aus dem Büro abgeholt hatte. Alini oder Amithi. Er konnte sich nicht mehr erinnern. Die beiden tanzten unbefangen und Gautam kam nicht umhin festzustellen, dass Hansa sich überraschend gut zur Musik bewegen konnte. Sie konnte nicht nur fast jedes Lied mitsingen, auch ihr Taktgefühl war durchaus beeindruckend. Ihre flüssigen Hüftbewegungen waren beinahe elegant. Als er feststellte, dass er sie anstarrte, fluchte er leise und beschloss, sich noch ein Ginger Ale zu holen. Nachdem er beinahe zwanzig Minuten an der Bar angestanden hatte und zurück zu seinem Platz kam, konnte er Hansa nirgendwo mehr entdecken und sah sie auch den restlichen Abend nicht noch einmal. Die unerwartete Enttäuschung darüber verdrängte er. Kapitel 8: ----------- Mit zunehmender Erheiterung bemerkte Hansa Gautams stechende Blicke, die er alle paar Minuten quer durch das Büro zu ihr herüber schoss. Sie wusste, dass er auf eine Antwort von ihr brannte, doch sein Stolz verbot es ihm, zu ihr zu kommen und sie direkt zu fragen. Kurz vor der Mittagspause erbarmte sie sich schließlich und folgte ihm, als er in die Teeküche ging. „Ich hab mich entschieden“, sagte sie und musste sich ein Lachen verkneifen, als sie sah, wie er zusammenzuckte, da er offenbar nicht bemerkt hatte, dass sie ihm nachgekommen war. Er drehte sich um und musterte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Und?“ „Ich bin dabei.“ Erleichterung flackerte in seinen Augen und ihm schien eine tonnenschwere Last von den Schultern zu fallen. „Allerdings!“, warf sie ein, als sie sah, dass er etwas sagen wollte. „Damit unsere Zusammenarbeit funktioniert, wirst du dich auf ein paar Bedingungen von mir einlassen müssen.“ Seine Augen verengten sich und er musterte sie misstrauisch. „Und die wären?“ „Du wirst mich als gleichberechtigte Partnerin ansehen und ich werde mich nicht von dir herumkommandieren lassen. Wir werden alle Entscheidungen gemeinsam treffen und wenn wir uns nicht einigen können, Kompromisse finden. Ich will keine Kritik an meinem Arbeitsstil von dir hören. Und das Wichtigste: Keine dummen Sprüche. Sobald ich mich in irgendeiner Weise von dir verschaukelt fühle, bin ich raus. Verstanden?“ Sie hob herausfordernd die Augenbrauen und sah, wie seine Kiefermuskeln arbeiteten. Seine Nasenflügel zuckten und sein Körper versteifte sich. Der innere Kampf, den er gerade mit sich ausfocht, war ihm deutlich anzusehen. Nach ein paar Augenblicken sagte er schließlich: „In Ordnung. Aber dasselbe gilt selbstverständlich auch für dich. Wir sind beide erwachsen und ich nehme an, dass wir beide in der Lage sind, unsere Streitigkeiten vorübergehend beiseite zu legen und professionell zusammenzuarbeiten.“ Er klang steif und wenig begeistert, doch da ihm die Alternativen fehlten, hatte er keine Wahl. Um ihren Deal zu besiegeln, hielt er ihr die Hand hin und sie schlug ein. Das Händeschütteln dauerte kaum länger als eine Sekunde. „Ich muss noch eine Kostenkalkulation beenden und dann gehöre ich ganz dir.“ Schon beim Sprechen merkte sie, dass sie mit ihrer Wortwahl irgendwie daneben gegriffen hatte und Gautams Stirnrunzeln bestärkte sie nur in ihrer Annahme, doch sie zuckte nur kurz mit den Schultern und verließ die Teeküche. Wieder an ihrem Platz ließ Hansa sich in ihren Schreibtischstuhl fallen und lehnte sich zurück. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, worauf sie sich da eingelassen hatte und konnte sich kaum vorstellen, dass diese Zusammenarbeit tatsächlich funktionieren würde. Am Wochenende hatte sie zusammen mit Aditi und Surya alle möglichen Ausgänge dieser Geschichte durchgespielt und sie war zu dem Schluss gekommen, dass es auf den Versuch dennoch ankam. Im schlimmsten Falle musste sie sich eben einen neuen Arbeitsplatz suchen. Sie schmunzelte bei dem Gedanken daran, wie Gautam und sie sich gegenseitig so sehr auf die Palme brachten, dass sie im Eifer des Gefechts das gesamte Büro auseinander nahmen. Nachdem sie die Kalkulation abgeschlossen hatte, machte sie Mittagspause und gesellte sich anschließend zu Gautam. Er nickte ihr grimmig zu und schlug vor, in eins der kleineren Besprechungszimmer zu gehen, um ihr die Eckdaten des Projektes zu geben. Wie sie es von ihm nicht anders erwartet hatte, hatte er alles fein säuberlich sortiert in einen Ordner mit mehreren Unterkategorien geheftet. Er war einfach der Typ, der sich noch alles ausdruckte, um es in der Hand halten zu können. Ihr war Computerarbeit dagegen viel lieber, da ihr eine riesige Zettelwirtschaft einfach auf den Geist ging. Er hatte sie schnell mit sachlichen Erläuterungen ins Bilde gesetzt und schlug vor, dass sie sich bis morgen ein paar Gedanken machen sollte, wie sie das Ganze anpackten. Sie war überrascht, wie entgegenkommend er war, wenn man bedachte, dass er für sich selbst ganz offensichtlich bereits alles durchgeplant hatte. Sie konnte den ersten Streit bereits am Horizont winken sehen. Kapitel 9: ----------- „Nein.“ Mehr hatte Gautam zu Hansas Vorschlag nicht zu sagen. Sie schaute ihn verständnislos an. „Könntest du bitte wenigstens erst einmal darüber nachdenken, bevor du meinen Vorschlag ablehnst?“ „Ich brauche darüber nicht nachzudenken“, erwiderte er kühl. „Wenn wir die Tischaufstellung verändern, müssen wir auch die Sitzordnung ändern und das wäre unnötige Mehrarbeit, die viel zu viel Zeit kosten würde.“ „Aber wenn wir die Tischaufstellung ändern, gibt es mehr Platz für die Durchgänge.“ „Dreißig Zentimeter mehr für die Durchgänge rechtfertigen den Aufwand nicht.“ Hansa lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, schloss die Augen und atmete tief durch. „Du wirst über meinen Vorschlag nachdenken. Das war Teil des Deals: Ich helfe dir unter der Bedingung, dass ich vollwertiger Partner bin.“ Sie funkelte ihn herausfordernd an. Gautam presste seinen Kiefer zusammen. Ein Tag. Sie arbeiteten erst einen Tag zusammen und er hatte schon die Nase voll von ihr. Allerdings hatte er keine Wahl. „Also gut. Gib schon her.“ Er pflückte ihr den Plan aus der Hand und stopfte ihn in seinen Ordner. „Geht doch.“Hansa lächelte triumphierend. Da sie an seinen restlichen Entwürfen vorerst nichts auszusetzen hatte, machten sie sich an die Arbeitsaufteilung. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen- und Spezialgebiete ging diese überraschend schnell über die Bühne. Als Gautam anschließend an seinen Platz zurückkehrte, ließ er sich erst einmal in seinem Schreibtischstuhl zurückfallen und atmete tief durch. Er würde diese fünf Wochen durchstehen. Solange sie ihre Interaktionen auf das Mindeste reduzierten, würde er diese fünf Wochen durchstehen. Er hatte sich sehr zurückhalten müssen, als er ihre bekritzelten und zerknitterten Pläne gesehen hatte. Wie hatte sie es überhaupt geschafft, ihre Ausdrucke innerhalb eines Tages so zuzurichten? Es war unerklärlich für ihn, wie jemand so schludrig und gleichzeitig doch erfolgreich in einem Job wie ihrem sein konnte. Doch da er ihr versprochen hatte, ihre Arbeitsweise nicht zu kommentieren, verkniff er sich seine bissigen Bemerkungen und dachte sich seinen Teil. Außerdem gab es ohnehin genug zu tun, um sich nicht von solchen Kleinigkeiten ablenken zu lassen. Ende der Woche wollten die Verantwortlichen der Tagung die ersten Ablaufpläne sehen und bis dahin war noch ein beachtlicher Berg Arbeit zu erledigen. Donnerstag kam es schließlich zum ersten großen Streit. Hansa sah einfach nicht ein, dass ihr empfohlener Caterer nicht den Ansprüchen der Tagung genügte. Natürlich hatte er ihren Vorschlag wie abgemacht in Betracht gezogen, aber da Gautam wusste, dass der Caterer, den er ausgesucht hatte, der beste der Stadt war, hatte ihrer von vornherein schlechte Karten gehabt. Dass sie ihren Fehler aber nun nicht einsah und als Kompromiss vorschlug, dass sie keinen der beiden Caterer nahmen und stattdessen auf einen ganz anderen zurückgriffen, erschien ihm völlig irrational. Nur weil sie zu stur war, ihren Vorschlag als unangemessen einzugestehen, sollte die Tagung nun an Qualität verlieren? Dafür konnte er nun wirklich kein Verständnis aufbringen. „Du rückst also nicht von deiner Meinung ab?“, hakte sie nach und lehnte sich mit verschränkten Armen in ihrem Stuhl zurück. Sie hatte offensichtlich Mühe, ihre Stimme ruhig zu halten. Keiner außerhalb ihres Besprechungszimmers musste hören, dass sie sich in der Wolle hatten. „Nein.“ Er lehnte sich ebenfalls zurück und musterte sie aufmerksam. Plötzlich, ungebeten drängte sich ihr Bild, fröhlich und ausgelassen in der Menge tanzend, vor sein inneres Auge. Irritiert von sich selbst schob er es umgehend wieder beiseite. „Und du bist auch nicht zu einem Kompromiss bereit?“, bohrte sie weiter, ihren Kopf kampfeslustig senkend. „Nicht, wenn das einen Qualitätsverlust für die Tagung bedeutet“, beharrte er. Ohne Vorwarnung erhob sich Hansa, ihr Stuhl schrammte über den Boden. „Dann hat sich unsere Zusammenarbeit hiermit erledigt.“Sie kramte ihre Papiere zusammen und ordnete sie vor ihm auf einen Stapel. „Ist das dein Ernst?“ Gautam zwang sich, ruhig zu bleiben. „Deine Kompromissbereitschaft war eine meiner Bedingungen, falls du dich erinnerst. Da du dich aber offensichtlich nicht an unsere Abmachung hältst, bin ich raus.“ Sie gab dem Papierstapel einen Klaps mit der Handfläche. „Meine bisherigen Aufzeichnungen kannst du haben. Viel Erfolg noch.“ Damit drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Gautam starrte auf die geschlossene Tür. Er atmete tief durch. Das würde wohl als eine der kurzlebigsten Zusammenarbeiten in die Geschichte eingehen. Und nun? Er sah sich zweifellos im Recht und war keinesfalls gewillt, Hansa hinterherzurennen und um ihre Hilfe zu betteln. Der Menge an Aufzeichnungen nach zu urteilen, hatte sie bereits einiges an Arbeit erledigt. Vielleicht würde das schon reichen, dass er den Rest alleine stemmen konnte. Er hatte Vertrauen in seine Talente, Aufgeben kam überhaupt nicht in Frage. Kapitel 10: ------------ Grimmig ging Hansa in die Teeküche und brühte sich einen starken Kaffee. Sie war doch tatsächlich so naiv gewesen zu glauben, dass die Zusammenarbeit mit Gautam funktionieren könnte. Dass sie nun auch noch enttäuscht über das Scheitern war, stimmte sie nur noch missmutiger. Natürlich war es ihre eigene Entscheidung gewesen, doch sie sah sich vollkommen im Recht; sie wäre schließlich zu einem Kompromiss bereit gewesen. Gautam war derjenige, der sie einfach abgeschmettert hatte. Hätte sie daraufhin nachgegeben, hätte er sie mit Sicherheit überhaupt nicht mehr ernst genommen. Wenn sie sich selbst nicht an ihre Bedingungen hielt, wieso sollte er es dann tun? Seine Sturheit und Verbohrtheit waren wirklich zum aus der Haut fahren. Mit der Tasse Kaffee in der Hand ging Hansa zurück zu ihrem Schreibtisch und widmete sich anderen Aufgaben. Ab und an erwischte sie sich dabei, wie ihr Blick zu Gautam wanderte. Er war ebenfalls an seinen Platz zurückgekehrt und schien sich nun durch ihre Aufzeichnungen zu arbeiten. Mit ein wenig Genugtuung stellte sie fest, dass er durchaus hektisch dabei wirkte. Er schien in einem Wechselspiel aus Telefonaten, wildem Tastaturtippen, Wühlen in ihren Unterlagen und Anstarren seines Bildschirmes gefangen zu sein. Als sie am Nachmittag Feierabend machte, war er noch immer vertieft in seine Arbeit. Auch am nächsten Tag sah es nicht anders aus. Gautam wirkte immer, wenn sie zu ihm hinüber schaute, äußerst angespannt. Nach einer Weile fiel ihr auch ein wieso. Heute war der Tag, an dem eine erste Präsentation für die Veranstalter der Tagung anstand. Es war nur verständlich, dass Gautam deswegen wie auf heißen Kohlen saß. Sie waren mit der Planung kaum über eine grobe Übersicht hinausgekommen; es brauchte schon einiges an Redetalent, um den Kunden dieses Ergebnis nach zwei Wochen Arbeit als erfolgreiches Vorankommen zu verkaufen. Als Hansa nach ihrer Mittagspause zurück in die Agentur kam, sah sie, dass Gautam mit den beiden Kunden – zwei älteren untersetzten Anzugträgern – im gläsernen Präsentationsraum saß und sich angeregt mit ihnen unterhielt. Hansa versuchte sich einzureden, dass sie die ganze Sache nicht interessierte, doch es war ihr unmöglich nicht ständig in ihre Richtung zu starren. Sie fand es amüsant mit anzusehen, wie der sonst so von sich überzeugte Gautam vor den beiden Männern ins Schwitzen kam. Ihm war seine Anspannung sogar von über zehn Metern Entfernung deutlich anzusehen. Ebenso deutlich waren aber auch die verschränkten Arme und skeptischen Blicke der Kunden. Ihr Missfallen schien ihnen förmlich aus jeder Pore zu tropfen. Gautam versuchte anscheinend sein Bestes, sie auf seine Seite zu ziehen, doch nach einer Weile schüttelten die beiden den Kopf und standen auf. Es folgten noch ein kurzer Wortwechsel und ein Händeschütteln, bevor die beiden Männer den Glasraum verließen. Hansa beobachtete wie sie in die Richtung des Büros ihres Chefs liefen – und sie fasste einen Entschluss. Kapitel 11: ------------ Gautam stand im Präsentationsraum und konnte nur machtlos mit ansehen, wie seine beiden Kunden auf dem Weg zu seinem Chef waren, um ihren Unmut über seine bisherige Planung auszudrücken. Durch seine Anspannung hatte er die Präsentation in den Sand gesetzt. Er hatte sich seine Unsicherheit über sein eigenes Material zu sehr anmerken lassen und dadurch natürlich auch die Kunden nicht überzeugen können. Sein Körper fühlte sich taub an und das Blut rauschte in seinen Ohren. Ein solches Malheur war ihm bisher noch nicht passiert, vor allem nicht, wenn so viel für ihn auf dem Spiel gestanden hatte. Er war äußerst überrascht als er sah, wie Hansa die beiden Kunden, kurz bevor sie das Chefbüro erreichten, ansprach und in ein Gespräch verwickelte. Aufgrund der Entfernung war es ihm unmöglich zu hören, was sie zu ihnen sagte, doch ihre Mimik und Körpersprache wirkten locker und aufgeschlossen. Ihr freundliches Lächeln wirkte ehrlich und was auch immer sie sagte, schien den beiden Männern den Ärger zu nehmen; ihre gespannten Schultern lockerten sich sichtbar. Was zur Hölle machte sie da? Redete sie ihn gerade schlecht? Oder versuchte sie, sich das Projekt unter den Nagel zu reißen? Gautam hatte nicht die geringste Ahnung. Nach kurzem Zögern setzte er sich in Bewegung und hielt festen Schrittes auf die kleine Gruppe zu. In diesem Moment drehten sich die beiden Männer um und bedachten ihn mit einem kurzen Nicken und einem versöhnlichen Lächeln. Sie schüttelten erst Hansa und dann ihm die Hand, bevor sie nach einer freundlichen Verabschiedung die Agentur verließen. Ungläubig starrte Gautam ihnen nach und versuchte zu begreifen, was hier gerade passiert war. „Mach die Luke zu, sonst kommen Fliegen rein“, scherzte Hansa, woraufhin er hastig seinen Mund schloss. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er offen gestanden hatte. Er schaute sie an und bemerkte, dass sie ihn mit einem schelmischen Lächeln beobachtete. Er räusperte sich. „Kannst du mir sagen, was das gerade war?“ Hansa lachte auf. „Ich habe deinen Arsch gerettet. Wonach sah es denn aus?“ Gautam musterte sie misstrauisch. „Und warum solltest du das tun? Was hast du zu ihnen gesagt?“ Er verstand nur noch Bahnhof. „Ich habe gesehen, wie du dich da drin um Kopf und Kragen geredet hast. Ich habe nur das gerade gebogen, was du vermasselt hast. Auch wenn du es mir – wie vieles andere auch – nicht zutraust, bin ich ziemlich gut darin, Dinge an den Mann zu bringen. Bei den beiden hat es jedenfalls gut funktioniert und du kannst dein Projekt behalten.“ Sie schenkte ihm ein halb liebenswürdiges halb sarkastisches Lächeln und wollte gerade gehen, doch er hielt sie an der Schulter fest. Sie drehte sich wieder zu ihm um und schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er musterte ihr Gesicht, ihre braunen Augen mit den ausdrucksstarken Brauen, ihre Wangenknochen, ihre schmalen Lippen. Als er bemerkte, dass er starrte, räusperte er sich und senkte den Blick. „Ich- Danke“, brachte er widerwillig hervor. Hansa nickte kurz und machte erneut Anstalten zu gehen, doch Gautam ließ ihre Schulter nicht los. „Wir- Wir können einen anderen Caterer engagieren – wenn du darauf bestehst …“ Er konnte selbst kaum glauben, was er da sagte, doch nach dem, was sie gerade für ihn getan hatte, wusste er, dass er ihr das schuldig war. Sie versuchte ihr Grinsen zu unterdrücken, scheiterte jedoch kläglich. „Bist du sicher? Das wird sicher nicht unser einziger Streit bleiben.“ „Ja“, sagte er nach kurzem Zögern. „Dann lass mich mein Schreibzeug holen und wir können loslegen“, meinte sie, noch immer grinsend. Doch statt zu ihrem Schreibtisch zu gehen, blieb sie stehen und richtete ihre Augen auf ihre Schulter. Verwirrt folgte er ihrem Blick und stellte fest, dass er sie noch immer festhielt. Hastig zog er seine Hand zurück, nickte Hansa zu und wandte sich von ihr ab, um zum Präsentationszimmer zurückzugehen und seine Unterlagen zu holen. Seine Wangen fühlten sich ungewöhnlich warm an und sein Puls war erhöht. Über den Auslöser dafür wollte er lieber nicht nachdenken. Kapitel 12: ------------ Hansa schaute von ihrem Laptop auf und streckte sich. Nachdem sie sich mit Gautam vor ein paar Stunden ins Besprechungszimmer gesetzt hatte, hatte er sie auf den neusten Stand bezüglich der Tagung gebracht und seitdem kein Wort mehr gesprochen. Konzentriert starrte er in den Ordner, den er vor sich liegen hatte, und machte dabei Notizen. Als Hansas Blick auf ihre Uhr fiel, bemerkte sie, dass es bereits kurz vor vier war. Sie griff nach ihrem Handy und schrieb Surya eine Nachricht, dass sie eine halbe Stunde später zu ihrem Treffen im Eiscafé kommen würde. „Könntest du dich bitte auf unsere Arbeit konzentrieren?“ Gautams Stimme ließ sie aufblicken. „Entschuldige, aber wenn ich hier freitagnachmittags schon Überstunden für dich schiebe, dann lass mich wenigstens meinen Freunden Bescheid sagen, dass ich später zu unserem Treffen komme“, gab sie tonlos zurück. Als er sie daraufhin skeptisch beäugte, fügte sie hinzu: „Ja, ich weiß ja nicht, was du so nach der Arbeit treibst, aber ich habe Freunde und ein gesundes Sozialleben.“ „Pft, ich weiß“, murmelte er mit seltsamem Unterton, schien es aber auf der Stelle zu bereuen, als er die Augen schloss und sich auf die Unterlippe biss. „Was soll das heißen?“, hakte Hansa nach. Gautam räusperte sich. „Nichts.“ „Du sagst nie irgendwas, ohne was damit zu meinen. Los, raus damit!“, beharrte sie. „Das soll gar nichts heißen. Jetzt lass uns das hier fertig machen, damit du dein tolles Sozialleben zelebrieren kannst.“ Er richtete seinen Blick wieder auf den Ordner vor sich und schien damit das Gespräch beenden zu wollen, doch das sah Hansa gar nicht ein. Sie schnipste mit dem Finger vor seinem Gesicht herum, um seine Aufmerksamkeit wiederzuerlangen. „Du kannst hier nicht irgendwelche kryptischen Aussagen machen und sie dann wieder zurücknehmen. Sag mir jetzt bitte, was du damit meintest. Es klang gerade so, als ob du keine besonders hohe Meinung von meinem Privatleben hättest. Wieso denkst du, darüber urteilen zu können?“ Er schaute sie an und sie erwiderte bohrend seinen Blick. Für ein paar Augenblicke starrten sie sich wortlos an bis er sich schließlich nach hinten lehnte, hart ausatmete und seinen Ordner zuschlug. „Ich glaube, wir machen Schluss für heute“, verkündete er und stand auf. „Wir sehen uns am Montag. Schönes Wochenende!“ Damit verließ er mit großen Schritten den Raum und ließ Hansa völlig verdutzt sitzen. Was war denn nur mit diesem Kerl los? Beinahe schon bereute sie es, dass sie sich aus Mitleid bei den beiden Kunden für ihn eingesetzt und ihm die Tagung gerettet hatte. Sie hatte einfach ein zu weiches Herz, wenn es um Menschen in schwierigen Situationen ging. Ihr war klar gewesen, dass Gautam ihr dafür nicht überschwänglich um den Hals fallen würde, aber eine etwas herzlichere Reaktion als Beleidigungen auf persönlicher Ebene nach der kürzesten Dankbarkeitsphase der Menschheitsgeschichte hatte sie sich schon erhofft. Als sie mit ihrem Laptop unter dem Arm ebenfalls das Zimmer verließ, sah sie, dass Gautams Arbeitsplatz bereits leer war. Er musste es offensichtlich sehr eilig gehabt haben, um so blitzschnell das Feld zu räumen. Hansa verstand nicht, wieso er so panisch auf ihr Nachhaken reagiert hatte, wenn er doch derjenige gewesen war, der die unangebrachte Bemerkung hatte fallen lassen. Sein Verhalten machte wie immer nicht im Geringsten Sinn. Stalkte er sie etwa? Wie sonst käme er dazu, so eine Anspielung zu machen? Und wenn er dachte, dass sein Davoneilen etwas nützen und sie diesen Vorfall über das Wochenende vergessen würde, hatte er sich geschnitten. Kapitel 13: ------------ Sobald er in seinem Auto saß, schlug Gautam die Hände vors Gesicht. Das war der peinlichste Abgang gewesen, den er jemals hingelegt hatte. Warum hatte er Hansa nicht wie ein normaler Erwachsener sagen können, dass er sie in diesem Club gesehen hatte? Oder sich am besten gleich den überflüssigen Kommentar verkneifen können? Sie hatte Recht damit, dass es ihn absolut nichts anging, was sie in ihrer Freizeit veranstaltete. Und es interessierte ihn genau genommen ja auch gar nicht. Mit einem Stöhnen warf er seinen Kopf nach hinten gegen den Autositz und fuhr sich frustriert mit den Händen durchs Haar. Er war heilfroh, dass das Wochenende bevorstand und er Hansa die nächsten zwei Tage nicht sehen musste. So war lange genug Zeit, dass Gras über die Sache wachsen konnte – das hoffte er zumindest. Er atmete tief durch und startete den Motor, um seine Heimfahrt anzutreten. Als er eine halbe Stunde später in seiner Wohnung ankam, wartete Bhavna bereits auf ihn. Sie wohnten zwar offiziell noch nicht zusammen, aber es verging kaum ein Tag, an dem sie nicht bei ihm war. Gautam wartete eigentlich nur darauf, dass sie ihm vorschlug zusammenzuziehen. „Wie war dein Tag?“, erkundigte Bhavna sich, nachdem er ihr einen kurzen Begrüßungskuss gegeben und sich an den Küchentisch gesetzt hatte. Sie war gerade dabei, Tee zu kochen. „Gut“, log er. „Die Präsentation lief ohne Probleme und wir können mit unserem bisherigen Plan weitermachen.“ Es war ihm viel zu unangenehm, ihr von seinem beinahe katastrophalen Fehler zu erzählen. Er hatte auch nicht erwähnt, dass Hansa ihm gestern eigentlich die Zusammenarbeit gekündigt hatte. Bhavna wusste nicht, was für ein nachtragender und bissiger Mensch er sein konnte und diese Seite von ihm wollte er auch gerne weiterhin vor ihr geheim halten. „Das freut mich“, meinte sie lächelnd und stellte zwei Tassen Chai auf den Tisch, bevor sie sich auf seinen Schoß setzte. Er legte einen Arm um ihre Taille und trank einen Schluck von seinem Tee. „Sag mal, hast du Lust, dieses Wochenende zu meinen Eltern zu fahren? Ich war schon viel zu lange nicht mehr da und dich würden sie auch gern mal wieder sehen.“ Bhavna sah ihn erwartungsvoll an, doch Gautam zögerte. Ihre Eltern waren ohne Zweifel sehr nette Menschen, doch waren sie auch sehr bemutternd. Seine eigenen bereits vor Jahren verstorbenen Eltern waren zwar auch stets fürsorglich gewesen, aber auf eine eher distanziertere, pragmatischere Art. An so viel Körperkontakt und Aufmerksamkeit war er nicht gewöhnt und er mochte es auch nicht besonders. Um Bhavna nicht zu verletzen, behielt er das allerdings lieber für sich und machte gute Mine zum bösen Spiel. „Natürlich. Lass uns am besten morgen nach dem Frühstück losfahren. Um die Zeit dürfte noch nicht so viel Verkehr sein und wir sind noch vor dem Mittag bei deinen Eltern“, schlug Gautam vor, woraufhin Bhavna ihm eins ihrer strahlendsten Lächeln schenkte und einen Kuss auf die Stirn drückte. Er dagegen fühlte sich nicht einmal halb so enthusiastisch. Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob es eigentlich normal war, wie sehr er sich vor Bhavna verstellte. Doch so schnell wie der Gedanke gekommen war, war er auch wieder verschwunden, und Gautam trank seinen Tee. Kapitel 14: ------------ „Wo warst du so lange? Wolltest du dir nicht nur Kaffee holen?“ Nur Gautam konnte es fertig bringen so eine normale Frage so vorwurfsvoll klingen zu lassen. Er schaute nicht einmal von dem Ordner auf, den er vor sich liegen hatte. „Tut mir schrecklich leid, aber Ravi hat mich auf dem Weg zur Teeküche gefragt, ob ich kurz über einen seiner Kostenvoranschläge drüber schauen kann“, entgegnete sie spitz. Gautam gab einen missbilligenden Laut von sich, sagte aber nichts weiter. Hansa stellte ihren noch dampfenden Kaffee auf den Tisch und setzte sich auf ihren Platz. Als sie vor einer Dreiviertelstunde in die Agentur gekommen war, hatte Gautam bereits im Besprechungsraum gesessen und war voll in seine Arbeit vertieft gewesen. Nachdem Hansa ihren Laptop hochgefahren hatte, nahm sie einen Schluck von ihrem Kaffee und warf einen Blick in den auf dem Agenturserver liegenden Projektordner. Überrascht stellte sie fest, dass seit Freitag zwei neue Dateien hinzugekommen waren. „Hast du den Sitzplan und die Einladungen heute Morgen gemacht? Seit wann bist du denn schon da?“, wollte sie verwundert wissen. „Ich hatte gestern Abend ein bisschen Zeit übrig“, erwiderte er ohne aufzusehen. Hansa stieß einen kurzen Pfiff aus. „Du solltest dir wirklich ein bisschen mehr Freizeit gönnen, mein Lieber.“, stellte sie kopfschüttelnd fest. Sie überlegte einen kurzen Moment und fügte hinzu: „Nicht dass ich mir – wie gewisse andere Leute – ein Urteil über anderer Leute Privatleben erlauben würde.“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu und bemerkte zufrieden wie er kaum merklich zusammenzuckte. Mit einem Grinsen lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du dachtest doch nicht im Ernst, dass ich das vergesse?“ Er atmete tief durch, starrte aber weiterhin nur wortlos auf seinen Ordner. Hansa beobachtete ihn ein paar Augenblicke lang. „Jetzt sag mir doch einfach, was du meintest und wir können die Sache vergessen“, bot sie an, woraufhin er kurz die Augen schloss und Hansa dann direkt anschaute. Er wirkte seltsam irritiert. „Hör zu, ich habe absolut gar nichts damit gemeint. Ich habe dich letztes Wochenende im Rosengarten beim Tanzen gesehen. Das war‘s.“ Hansa beäugte ihn skeptisch. „Du warst auch da? Wieso hast du nicht Hallo gesagt?“ „Weil ich zu diesem Zeitpunkt noch auf deine Antwort geantwortet habe und nicht in der Stimmung war, mit dir zu sprechen. Außerdem warst du so mit Tanzen beschäftigt, dass ich dich bestimmt nur gestört hätte.“ Die Mischung aus Ablehnung und Nervosität, die er ausstrahlte, ließ Hansa die Stirn runzeln. Ein „Mhm“ war alles, was sie daraufhin von sich gab. Sie schauten sich noch einen merkwürdigen Augenblick lang in die Augen, bevor sie beide den Blick abwendeten und sich wieder ihren Aufgaben widmeten. Während des Arbeitens warf Hansa Gautam immer wieder skeptische Seitenblicke zu, allerdings war Gautam so vertieft, dass er davon nichts mitbekam. Sie fragte sich, was er eigentlich im Rosengarten gemacht hatte. Als Partygänger hätte sie ihn nicht gerade eingeschätzt. Und dass er sie anscheinend beobachtet hatte, verursachte ein merkwürdiges Gefühl in ihrem Bauch. Nach etwa einer Stunde riss Gautams Stimme sie aus ihren Gedanken. „Ich denke, es ist vorerst nicht mehr nötig, dass wir hier zusammen sitzen. Jeder weiß, welche Aufgaben er hat und die können wir auch an unseren Arbeitsplätzen erledigen.“ Dieser Vorschlag kam so aus dem Nichts, dass Hansa Gautam einen Augenblick lang nur verwirrt anschaute. Da es allerdings Sinn ergab, was er sagte, stimmte sie zu. Er nickte ihr daraufhin etwas steif zu und räumte seine Sachen zusammen, um danach den Raum zu verlassen. Kopfschüttelnd schaute sie ihm nach. Sie würde sich wohl nie an seine seltsam reservierte Art gewöhnen. Der Rest der Woche verlief ohne weitere Zwischenfälle. Beide kümmerten sich um ihre Aufgaben und liefen sich dabei kaum über den Weg. Hansa hatte ab und an das Gefühl, dass Gautam sie über die ganze Agentur hinweg beobachtete, doch jedes Mal, wenn sie in seine Richtung sah, war sein Blick starr auf seinen Computer gerichtet. Also tat sie es als Einbildung ab. „Ich gehe jetzt nach Hause. Wir sehen uns am Montag“, verabschiedete Hansa sich am frühen Freitagabend. Sie stand neben seinem Schreibtisch, ihre Tasche bereits über der Schulter. Verständnislos schaute Gautam sie an. „Ich habe dir gerade eine Mail geschickt. Es gibt ein Problem mit den Hotelreservierungen, das heute noch gelöst werden muss.“ „Heute noch? Es ist bereits kurz vor sechs. Geh lieber nach Hause und mach am Montag weiter.“ Er hob verärgert eine Augenbraue. „Oh, tut mir leid, wenn dir das zu viel Arbeit ist und deine ach-so-kostbare-Freizeit darunter leidet“, meinte er spitz. Hansa verdrehte sie Augen. „Jetzt tu bitte nicht so, als ob ich nicht bisher genauso viele Überstunden gemacht habe wie du. Und heute sind wir auch schon wieder die letzten hier. Irgendwann ist auch mal gut“, konterte sie gereizt und machte eine vage Geste in das große leere Agenturbüro hinein. „Mach doch, was du willst“, murrte er und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Rechner. Hansa schnaufte laut. „Fein. Schlaf doch am besten hier, du Arbeitsfreak!“ Damit drehte sie sich um und ging. Kapitel 15: ------------ Gautam streckte sich und schloss für einen Moment die Augen. Er saß im Park auf einer Bank und hatte einen Ordner und einen Tablet PC auf dem Schoß. Die Sonne hatte am Morgen so herrlich in seine Wohnung geschienen, dass er beschlossen hatte, draußen zu arbeiten. Als sein Magen plötzlich knurrte, warf Gautam einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass es bereits kurz nach eins war. Er packte seine Sachen zusammen und machte sich auf die Suche nach einem Imbissstand. Der Park war voller Menschen; spielende Kinder, picknickende Pärchen, Leute, die mit ihren Hunden oder einfach nur so spazieren gingen. Gautam schlenderte die Parkwege entlang bis er einen Gol Gappa-Stand entdeckte. Eine nicht unbeträchtliche Schlange hatte sich davor gebildet, doch da er es nicht eilig hatte, stellte er sich an. Während des Wartens schaute er noch einmal in seinen Ordner. Seine Augen schweiften über die Zahlen und Tabellen und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er hatte eine Lösung für das Problem mit den Hotelreservierungen gefunden. Freudig schaute er auf, doch da es niemanden gab, mit dem er seinen Durchbruch hätte teilen können, richtete er seinen Blick zurück auf das Papier. Er zog seinen Stift aus der Brusttasche seines Hemdes und kritzelte ein paar Bemerkungen neben seine Aufzeichnungen. Nachdem er sich seine Gol Gappa gekauft hatte, setzte er sich auf die nächstbeste freie Bank. Als er während des Essens in der Gegend herumschaute, stellte er anhand der Gebäude, die hinter den den Park umgebenden Bäumen aufragten, fest, dass er sich gar nicht weit von Hansas Wohnung befand. Dass er wusste, wo sie lebte, rührte aber auch nur daher, dass sie sich im letzten Jahr nach einem Betriebsausflug vom Gemeinschaftstaxi dort hatte absetzen lassen. Er aß in Ruhe auf und setzte sich dann in Bewegung. Nachdem er zehn Minuten gelaufen war, wurde ihm bewusst, dass er die Entfernung doch ziemlich unterschätzt hatte. Da der Tag so schön war, beschloss er jedoch, dass ihn das nicht weiter störte. Fünfundzwanzig Minuten waren vergangen als er schließlich endlich vor Hansas Wohnkomplex stand. Er wollte gerade klingeln, als ein Bewohner das Haus verließ und Gautam durch die offene Tür in den Hausflur treten konnte. Auf jeder Etage suchte er die Klingelschilder nach Hansas Nachnamen ab, wurde aber erst im fünften Stock fündig. Er zögerte kurz, da noch zwei weitere Namen auf dem Schild standen, doch dann drückte er auf den Klingelknopf. Ein gedämpftes „Komme!“ war zu hören, gefolgt von einem Rumpeln und Klappern, bevor Hansa kurz darauf die Tür öffnete. Ihr entglitten augenblicklich die Gesichtszüge und sie starrte ihn ungläubig an. „Was- Was machst du denn hier?!“ „Ich habe-“ Sein Blick wanderte an ihr vorbei zu ihrer Wohnung hinter ihr. Hinter dem kleinen Eingangsbereich lag auch schon das Wohnzimmer. Zumindest vermutete er, dass es sich um das Wohnzimmer handelte, denn es sah aus als hätte eine Bombe eingeschlagen; mehrere volle Müllsäcke standen herum und auf dem Fußboden, auf der Couch und auf so gut wie jedem anderen Möbelstück lagen unzählige Kleidungsstücke verteilt. „Messie …“, murmelte er fassungslos und drängte sich an Hansa vorbei in die Wohnung. Mit großen Augen betrachtete er das Chaos, das sich ihm bot. Eigentlich hätte er nicht überrascht sein dürfen, wenn man bedachte wie unordentlich allein schon Hansas Arbeitsschreibtisch immer aussah, doch das Ausmaß an Durcheinander, was sich hier vor ihm ausbreitete, übertraf alle seine Erwartungen. „Ähm, wie bitte?!“, machte sich Hansa hinter ihm bemerkbar und klang dabei überaus empört. Sein Blick haftete noch ein paar Augenblicke an den Kleiderbergen, bevor er sich zu ihr umdrehte. „Ich sagte, du bist ein Messie“, wiederholte er sich. „Nicht, dass mich das irgendwie überraschen würde …“ Hansa starrte ihn verständnislos an. „Was?! Wie kommst du- Was zur Hölle machst du hier?!“ Sie hielt noch immer die Tür offen. „Ich bitte dich! Wie sonst ist dieser Müllberg hier zu erklären?“, entgegnete Gautam und machte eine ausladende Geste Richtung Wohnzimmer. Hansa schloss kurz die Augen und atmete tief durch. „Ich muss dir überhaupt gar nichts erklären.“ Ihre Stimme war fest und ihr Blick beinahe tödlich. „Ganz im Gegensatz zu dir! Würdest du mir jetzt bitte endlich sagen, was du an einem Sonntagnachmittag in meiner Wohnung verloren hast?!“ Er hob widerwillig eine Augenbraue. „Ich war … zufällig in der Nähe und wollte dir mitteilen, dass ich eine Lösung für das Problem mit den Hotelreservierungen gefunden habe.“ Hansa kniff für einen Moment die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. „Und das hat nicht bis morgen warten können? Ob du es glaubst oder nicht, aber es gibt tatsächlich Menschen, die sonntags andere Dinge zu tun haben als sich mit ihrem Job zu beschäftigen.“ „Ach, wirklich? Zum Beispiel diesen Müllhaufen zu vergrößern?“, stichelte er und wandte sich wieder um in Richtung Wohnzimmer. Hansa stöhnte. „Meine Güte, würdest du wohl damit aufhören! Das sind nicht meine Sachen. Ich habe sie nur gesammelt, um-“ Sie unterbrach sich abrupt, als sie seinen ungläubigen Blick sah. „Ich kann dich auch einfach auf der Stelle rausschmeißen, wenn du weiter so guckst.“ Gautam räusperte sich und verschränkte die Arme vor der Brust. Den verurteilenden Ausdruck in seinem Gesicht versuchte er für einen Moment zu unterdrücken. Hansa schaute ihn noch einen Augenblick lang skeptisch an, bevor sie schließlich fortfuhr: „Wie gesagt, das sind nicht meine Sachen. Ich habe sie in der Nachbarschaft gesammelt und bringe sie später noch zu einem Projekt, das versucht, den Menschen in den Slums ein bisschen mit Hilfsgütern und Spenden unter die Arme zu greifen.“ Diese Erklärung verblüffte Gautam zugegebenermaßen sehr. „Du- Du machst Wohltätigkeitsarbeit?!“ Hansa verdrehte die Augen. „Wer hätte das gedacht, nicht wahr?! So, und würdest du jetzt bitte wieder gehen? Toll, dass du das Reservierungsproblem gelöst hast, aber ich hab heut noch einen ziemlichen Haufen Arbeit vor mir, also-“ „Ich kann dir helfen.“ Die Worte hatten seinen Mund verlassen, bevor er etwas dagegen tun konnte. Und nun war es Hansa, die ihn völlig verblüfft anschaute. „Bist du … Bist du sicher?“ Sie beäugte ihn zweifelnd. Die Blöße, nun wieder einen Rückzieher zu machen, konnte und wollte er sich nicht geben. Er straffte also seine Schultern und nickte. Hansa zuckte daraufhin mit den Achseln, schloss endlich die Wohnungstür und ging an ihm vorbei, um sich auf den einzigen freien Platz auf der Couch zu setzen. Gautam stand einen Moment unschlüssig herum, bevor er sich durch die Kleiderberge kämpfte und sich einen Platz neben Hansa frei grub. Als sie bemerkte, dass er sie erwartungsvoll anschaute, meinte sie: „Ich habe die Sachen nach Kategorien geordnet; Pullover, Hosen, Jacken und so weiter. Schnapp dir einfach einen der Säcke dort und sortier das ganze Zeug dementsprechend.“ Gautam nickte und bemerkte nun auch, dass das anscheinende Chaos durchaus eine Ordnung hatte. Er machte sich an die Arbeit und für einige Zeit saßen sie wortlos nebeneinander. Ein paar Mal ertappte er sich dabei, wie er Hansa aus dem Augenwinkel heraus beobachtete. Sie trug ein weinrotes Tanktop und eine in verschiedenen Gelbtönen gemusterte Haremshose. Ihre Haare hatte sie zu einem losen Zopf geflochten, der ihr vorne über die rechte Schulter fiel. Sie sah hübsch aus. Erschrocken über diesen Gedanken räusperte er sich, woraufhin Hansa ihn ansah und er schnell seinen Blick von ihr abwandte. „Machst du diese Sammelaktionen oft?“, fragte er, um die ihm brenzlig erscheinende Situation zu entschärfen. „Ungefähr alle sechs Monate. Öfter lohnt es sich nicht. So haben die Leute Zeit ein bisschen zu sammeln. Ich mache das jetzt schon seit ich hier wohne und dieser Rhythmus hat sich gut eingepegelt“, erklärte sie, während sie weiter Kleidungsstücke aus einem Sack holte und auf die verschiedenen Stapel verteilte. Er nickte geflissentlich und kam nicht umhin, beeindruckt zu sein. Er hätte nie gedacht, dass Hansa sich sozial engagierte. Doch, wenn er ehrlich war, wie oft hatte er denn überhaupt über sie als Privatperson nachgedacht? Schweigend ließ er seinen Blick durch die Wohnung wandern. Vom Wohnzimmer gingen eine halboffene Küchennische mit Durchreiche und ein kleiner Flur ab, in dem er vier Türen ausmachen konnte. „Und du wohnst mit Freundinnen zusammen?“, erkundigte er sich. „Mit einer Freundin und einem Freund“, berichtigte sie ihn. „Die beiden, mit denen ich im Rosengarten war, falls du dich noch erinnerst.“ Und ob Gautam sich erinnerte. Vor allem an den jungen Mann, mit dem Hansa so ausgiebig getanzt hatte. „Und die beiden sind ein Paar oder …?“ „Oh, nein, nein! Wir sind alle drei bloß Freunde. Wir haben uns am Anfang unseres Studiums kennengelernt.“ Äußerst ungebeten fühlte Gautam sich plötzlich verärgert. Er schüttelte kurz aber vehement den Kopf, um das Gefühl wieder loszuwerden. Und um sich nicht noch mehr in die Bredouille zu bringen, richtete er seine gesamte Aufmerksamkeit wieder auf das Sortieren der Altkleider. Da Hansa einen Großteil der Arbeit bereits erledigt hatte bevor Gautam dazu gestoßen war, waren sie nach nur fünfzehn Minuten auch schon fertig. Hansa stand auf und überblickte die verschiedenen Stapel, bevor sie hinter die Couch griff und mehrere zusammengefaltete Kartons hervorholte. „So, jetzt verpacken wir alles schön geordnet in diese Kartons und bringen sie dann runter in den Transporter“, erklärte sie. „Du besitzt einen Transporter?“, fragte Gautam verdutzt. „Das ist nicht meiner“, entgegnete sie lachend als sie seinen Gesichtsausdruck sah. „Der gehört dem Projekt. Sie leihen ihn mir nur immer aus, damit ich alles zu ihnen schaffen kann.“ Das Verpacken dauerte ebenfalls nur eine gute Viertelstunde. Anschließend machten sie sich daran, die über zwanzig Kartons in den vor dem Haus geparkten Transporter zu bringen. Durch das ständige Treppensteigen waren beide bald außer Atem, was den ganzen Prozess deutlich verlangsamte. Erst nach beinahe einer halben Stunde waren sie fertig und konnten sich auf den Weg zum Projekt machen. Die Fahrt ging wegen des zähen Mumbaier Verkehrs äußerst schleppend voran. Hinzu kam die drückende Wärme im klimaanlagenlosen Transporter. Dass sie die Fenster heruntergeleiert hatte, half auch nicht viel. Abwesend wedelte Gautam sich mit einer Hand Luft zu und fragte sich, was er hier eigentlich machte. Er mochte Hansa nicht. Wieso also verbrachte er gerade – auch noch ungebeten – seinen Sonntag mit ihr? „Ey, du Blindschleiche! Pass doch auf da vorne!“ Hansas Fluchen ließ Gautam aus seinen Gedanken aufschrecken. Er räusperte sich und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die Hansa mitgenommen hatte. „Sag mal, trägst du auch jemals etwas legereres als Hemden?“, erkundigte Hansa sich und warf ihm einen amüsierten Seitenblick zu. Er schaute an sich herab. Wegen der Wärme hatte er die oberen drei Knöpfe seines pastellgrünen Hemdes geöffnet und die Ärmel bis über die Ellenbogen hochgekrempelt. Im T-Shirt wäre ihm mit Sicherheit weniger heiß gewesen, aber er sah gar nicht ein, das zuzugeben. „Dir zu helfen war ja wohl kaum geplant gewesen-“, begegnete er, doch sie ließ ihn nicht ausreden. „Das ist mir schon klar. Aber heute ist Sonntag, ein ziemlich warmer noch dazu. Gibt es denn für dich keinen Tag, an dem du mal loslässt und ein bisschen lockerer bist?“ Gautam war überrascht, wie wenig anklagend und wie ehrlich interessiert sie klang. „Ich-“ Er zögerte kurz. „Ich fühle mich so nun einmal am wohlsten. Das hat mit meiner Stimmung wenig zu tun.“ „Okay“, erwiderte Hansa mit einem Lächeln und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Verkehr. Dass er sich tatsächlich am allerwohlsten fühlte, wenn er alleine zu Hause in T-Shirt und Boxershorts in seinem beinahe antiken Ohrensessel alte Shashi-Kapoor-Filme schaute, war nichts, was er mit Hansa teilen wollte. Schließlich wusste nicht einmal Bhavna von diesem kleinen Geheimnis. Als sie schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit ihr Ziel erreichten, warteten bereits zwei ältere rundliche Frauen im Sari vor dem etwas schäbig aussehenden flachen Projektgebäude auf sie. Als Gautam ausstieg und sich umsah, stellte er fest, dass er keine Ahnung hatte, wo sie gerade waren. Einzig die trostlos aussehende Gegend und der etwas säuerliche Geruch, der in der Luft lag, ließen ihn darauf schließen, dass sie sich unweit der Slums befinden mussten. Hansa begrüßte die beiden Frauen mit jeweils einer kurzen Umarmung und stellte ihnen dann Gautam vor. Ambla und Kunti – so hießen die zwei – beäugten ihn neugierig und warfen ihr dann vieldeutige Blicke zu. Hansa winkte sofort ab. „Spart euch eure schmutzigen Gedanken. Er ist nur ein Arbeitskollege.“ Als die zwei darüber kicherten, schaute Hansa Gautam an und verdrehte mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen die Augen. Er konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Ihr Lachen wurde daraufhin noch breiter. „Na sieh mal einer an! Wer hätte gedacht, dass Lachen auch zu deinem Repertoire gehört“, meinte sie freudig und legte ihm einen Arm um die Schultern. Der unerwartete Körperkontakt ließ ihn für einen Moment erstarren. Erstaunt schaute er sie an. Ihre dunklen Augen funkelten, während sie spielerisch seinen Oberarm drückte. Doch noch bevor er irgendwie reagieren konnte, hatte sie auch schon wieder von ihm abgelassen und machte sich daran, die Ladefläche des Transporters zu öffnen. Für einen Moment schloss er die Augen und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht; sein plötzliches Herzklopfen versuchte er zu ignorieren. Als er sich wieder gefangen hatte, standen auf einmal zwei dürre Jugendliche neben ihm, die Hansa halfen, die Kartons aus dem Transporter zu holen. Hansa reichte sie ihnen und sie rannten ins Gebäude, um sie dort abzustellen. Gautam reihte sich mit ein. Mit einem Lächeln hievte sie ihm einen Karton entgegen. Als er ihn annahm, berührten sich kurz ihre Hände. Eilig drehte er sich um und lief ins Gebäude. Was war denn bloß los mit ihm?! Ihm gefiel es ganz und gar nicht, wie seltsam sein Körper neuerdings auf Hansa reagierte. Das musste er ganz schnell wieder unter Kontrolle bringen. Er war 32 Jahre alt und dieses beinahe pubertäre Gebaren passte weder zu ihm noch machte es irgendeinen Sinn. Nach wenigen Minuten hatten sie den Transporter geleert und seine Fracht ordentlich im kleinen Foyer des Projektes aufgestapelt. Ambla und Kunti bedankten sich überschwänglich bei Hansa und Gautam und luden sie ein, noch auf einen Chai und ein paar Laddoos zu bleiben. Gautam hätte – sogar zu seiner eigenen Überraschung – nichts dagegen gehabt, noch ein wenig zu bleiben, doch Hansa lehnte höflich ab. „Meine Mitbewohner warten schon auf mich und ich bin sicher, Gautam hat auch noch ein paar Sachen zu erledigen“, meinte sie mit einem entschuldigenden Lächeln. Die Frauen wirkten etwas enttäuscht, doch rangen sie Hansa noch im selben Atemzug das Versprechen ab, bald wiederzukommen und ein bisschen mehr Zeit – und vor allem auch wieder Gautam – mitzubringen. „Tut mir leid, dass dein halber Sonntag draufgegangen ist“, meinte Hansa nachdem sie sich wieder auf den Heimweg gemacht hatten. Der Verkehr war noch immer unerträglich. Gautam winkte ab. „Falls du dich erinnerst, habe ich dir meine Hilfe freiwillig angeboten.“ Er zögerte kurz und fuhr dann fort: „Und wenn du irgendwann noch mal Hilfe brauchen solltest, kannst du mir ruhig Bescheid geben.“ Hansa schaute ihn überrascht an. „Versprich nichts, was du nicht halten kannst“, lachte sie. Etwas gekränkt darüber, wie wenig Vertrauen sie in ihn zu haben schien, war er versucht, auf seinem Angebot zu verharren, aber er besann sich eines Besseren. Sie waren schließlich nur Arbeitskollegen und keine Freunde. Da musste man es mit den Verbindlichkeiten und der Vertrautheit ja nicht übertreiben. Kapitel 16: ------------ Nachdem Hansa Gautam nach einer recht schweigsamen Fahrt vor seinem Apartementkomplex abgesetzt hatte, fuhr sie nach Hause und parkte den Transporter unweit ihrer Wohnung. Er würde morgen von einem Mitarbeiter des Projektes abgeholt werden. Kaum hatte sie ein paar Minuten später die Wohnungstür geöffnet, wehte ihr auch schon köstlicher Curry-Geruch entgegen. Wie auf Kommando knurrte plötzlich ihr Magen und sie stellte überrascht fest, dass es schon kurz nach halb acht war. Ihr war gar nicht aufgefallen, wie schnell die Zeit vergangen war. „Da bist du ja endlich. Du kommst genau richtig; das Essen ist gleich fertig“, begrüßte Aditi sie als sie in die Küche trat. Sie stand gerade am Herd und rührte in einem Topf, während Surya dabei war den Tisch zu decken. Erst am späten Nachmittag waren sie von einem Wochenendausflug zu ihren Eltern wiedergekommen. Als die drei sich beim Essen über ihre Unternehmungen der letzten Tage unterhielten, behielt Hansa für sich, dass Gautam plötzlich vor ihrer Tür gestanden und ihr bei der Projektarbeit geholfen hatte. Sie wollte noch keine dritte Meinung zu all dem, wo sie doch selbst nicht einmal genau wusste, was sie davon halten sollte. Überraschung war noch nicht einmal ansatzweise die korrekte Bezeichnung für das, was sie empfunden hatte als Gautam plötzlich vor ihr gestanden hatte. Sie war noch immer sauer wegen seines mal wieder extrem verstockten Verhaltens am Freitag gewesen, doch sobald er ihr seine Hilfe angeboten und sie auch durchgezogen hatte, war ihr Ärger verflogen und sie fühlte nur noch duldende Verwirrung. Er verhielt sich wirklich seltsam in letzter Zeit und sie hatte keine Ahnung warum. Ließ ihn ihre Zusammenarbeit etwa ganz langsam wahnsinnig werden? Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. Als sie am nächsten Morgen in die Agentur kam, war Gautam wie immer bereits da und saß tief in den vor ihm liegenden Ordner vertieft an seinem Schreibtisch. Nachdem Hansa ihre Sachen abgelegt, sich einen Kaffee geholt und in der Teeküche mit zwei ihrer Kollegen über ihr Wochenende ausgetauscht hatte, schlenderte sie zu Gautam hinüber. Sie wartete einige Augenblicke, bevor er sie bemerkte und endlich von seinem Papier aufblickte. „Guten Morgen“, grüßte sie ihn freundlich, was er mit einem bloßen Nicken quittierte. Sie hob eine Augenbraue, verkniff sich jedoch einen Kommentar zu seinem wie immer kühlen Verhalten. „Also, du wolltest mir doch gestern von deinem grandiosen Durchbruch mit den Hotelreservierungen erzählen?“ Sein Gesicht erhellte sich und er wies sie an, sich einen Stuhl heranzuholen und sich neben ihn zu setzen. Sie fand es beinahe drollig wie stolz er klang während er ihr seinen Lösungsvorschlag erklärte. Das erstaunte sie selbst, denn noch vor einer Woche hätte sie sich eher über seinen Übereifer aufgeregt. Durch die neue Seite, die sie gestern an ihm entdeckt hatte, schien sich ihre Überempfindlichkeit ihm gegenüber jedoch ein wenig gelegt zu haben. Zudem war seine Idee wirklich gut und konnte problemlos umgesetzt werden. Am nächsten Tag hatten sie dann gemeinsam mit einem der Tagungsverantwortlichen einen Besichtigungstermin in dem Kongresszentrum, in dem sie für die Tagung einen Saal und mehrere kleine Besprechungszimmer gebucht hatten. Vor Ort war eine bessere Übersicht möglich, was eine genauere Planung ermöglichte. Zu Hansas Überraschung hatte Gautam dieses Mal keine Probleme dem Kunden seine Ideen zu erläutern. Er wirkte – trotz der ihm eigenen Steifheit – freundlich und überzeugend. Es war kaum mehr etwas von seiner Unsicherheit im Präsentationszimmer vor anderthalb Wochen zu spüren. Er gab sich ganz offensichtlich viel Mühe, seinen doch ziemlich mangelhaften ersten Eindruck wieder glattzubügeln. Nachdem sie ihm alles ausführlich erklärt hatten, drückte der Kunde seine Zufriedenheit mit der bisherigen Zusammenarbeit mit ihnen aus und verabschiedete sich anschließend. Hansa und Gautam blieben dagegen noch da, um Notizen zu den genauen örtlichen Gegebenheiten zu machen und sich darüber abzusprechen. „Siehst du“, meinte Hansa und streckte ihre Arme nach beiden Seiten aus. Eine Hand berührte die Wand und die andere zeigte in den Saal hinein. „Wenn wir alle Durchgänge etwas breiter machen – so wie ich gesagt habe – ist es viel bequemer mit dem Durchlaufen. Genug Platz ist dafür auf jeden Fall. Dann könnten sogar die beiden dicken Verantwortlichen nebeneinander her trotten.“ Sie rechnete fest mit Widerworten, doch Gautam schaute sich nur kurz abschätzend im Saal um, atmete tief durch und antwortete: „Meinetwegen. Dann stellen wir die Tische alle weiter auseinander und ziehen die Ordnung eher in die Länge als in die Breite. Mit der guten Akustik hier wird das wohl kein Problem sein.“ Hansas Gesicht erstrahlte vor Überraschung über sein Einsehen. „Du wirst ja richtig zahm auf deine alten Tage“, triezte sie grinsend und tätschelte seine Schulter, als sie an ihm vorbei in Richtung der mit fünf Stufen höher gelegenen Bühne ging. Sie schritt sie ein paar Mal auf und ab, während sie mit Gautam die Aufstellung der Rednerpulte und der Beamerleinwand besprach und er sich Notizen machte. Als sie anschließend in die Knie ging, um vom Podium herunterzuspringen, hielt Gautam ihr zu ihrer Überraschung eine helfende Hand entgegen. Als Hansa sich auf sie stützte, starrte er auf den Block, den er in seiner anderen Hand hielt. Genauso schnell, wie er ihr die Hand hingehalten hatte, zog er sie auch wieder weg, sobald Hansa wieder auf dem Saalboden stand. Er wirkte beinahe so, als ob ihre Berührung ihn verbrannt hatte. „Hey, wenn es so schlimm ist, wenn ich dich anfasse, dann biete es mir doch gar nicht erst an“, beschwerte sie sich, was ihn noch nervöser zu machen schien. Er wandte sich ab und schien auf einmal etwas extrem Interessantes am anderen Ende des Saales entdeckt zu haben. „Ich wusste ja nicht, dass du mit mir Händchen halten willst“, erwiderte er kühl, ohne sich zu ihr umzudrehen. Hansa musterte ihn skeptisch und fragte sich, was denn nun schon wieder sein Problem war. Kaum tat oder sagte er einmal etwas Nettes, negierte er es im nächsten Moment schon wieder mit einer komplett gegensätzlichen Geste oder Aussage. Es ergab einfach keinen Sinn. Doch so leicht wollte sie ihn nicht davonkommen lassen. „Und wenn?“, wollte sie mit herausforderndem Ton wissen, während sie sich schwungvoll bei ihm einhakte. Um ihn noch ein bisschen mehr zu provozieren, drückte sie ihren Oberkörper gegen seinen Arm und stellte dabei fest, dass sich unter seinem dunkelblauen Hemd ein wohlgeformter Bizeps versteckte. Nicht dass ihr das am Sonntag während des Kartonschleppens schon aufgefallen wäre … Gautam hatte offensichtlich nicht mit ihrer Attacke gerechnet. Er starrte sie mit großen Augen an und sein Gesicht war plötzlich ganz rot. Verblüfft wich Hansa zurück und erinnerte sich in diesem Moment daran, dass Gautam eine Freundin hatte und ihr Verhalten wahrscheinlich ziemlich unpassend war. Sie räusperte sich und ließ seinen Arm los. Einen seltsamen Augenblick lang sahen sie sich noch in die Augen, bevor beide den Blick abwandten. Schweigend setzten sie sich in Richtung des Ausgangs in Bewegung. Kapitel 17: ------------ Gautam saß an seinem Schreibtisch, sein Gesicht in seinen Händen vergraben. Vor zwanzig Minuten war er von der Saalbesichtigung zurück in die Agentur gekommen. Er war heilfroh, dass Hansa beschlossen hatte, gleich anschließend Feierabend zu machen und nach Hause zu fahren. Die Erinnerung daran, wie ihre Hand sich in seiner angefühlt und wie sie seinen Arm gegriffen und ihren Oberkörper gegen ihn gedrückt hatte, war ihm unangenehmerweise noch allzu deutlich im Gedächtnis. Ihre Haut, ihre Brüste … Alles an ihr war so herrlich weich gewesen … „Alles in Ordnung, Kumpel?“ Gautam schaute irritiert auf. Neben ihm stand Ravi, der ihn mit fragender Miene musterte. Der junge Sikh war Anfang zwanzig und arbeitete gerade erst seit einem guten halben Jahr in der Agentur. Seine offene und umgängliche Art machte es einfach ihn zu mögen. „Oh, ja ja. Nur ein bisschen müde“, log Gautam. „Klar, bei den ganzen Überstunden, die du in letzter Zeit so schiebst“, zeigte Ravi sich verständnisvoll, setzte aber nach kurzer Denkpause hinzu: „Oder liegt es an Hansa?“ Das ließ Gautam stutzen. „Äh- Was?“ „Naja, ich meine, dass ihr beiden euch nicht gerade grün seid, ist ja kein großes Geheimnis. Daher dachte ich …“, bot er schnell als Erklärung an. „Achso. Also das-“ „So oder so kann ich euch aber gern noch auf den letzten Metern unter die Arme greifen, wenn du willst. Ich bin gestern mit meinem letzten Auftrag fertig geworden und hätte ein bisschen Zeit an der Hand.“ Gautam musterte Ravi einen Augenblick lang. Das war ein wirklich hilfreicher Vorschlag, den er ihm da gerade unterbreitete. „Das ist wirklich nett von dir, aber wir kommen schon klar. Das Wichtigste ist soweit erledigt und es würde kaum Sinn machen, dich für die letzten acht Tage noch einzuarbeiten. Aber trotzdem Danke für dein Angebot“, erklärte Gautam und lächelte Ravi etwas steif an. Dieser nickte daraufhin und lächelte zurück. „Alles klar. Aber falls doch irgendetwas sein sollte, sag Bescheid.“ Damit klopfte er zweimal kurz auf Gautams Tisch und ging. Kaum war die Tür hinter Ravi ins Schloss gefallen, warf Gautam – mal wieder der letzte in der Agentur – sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und stöhnte auf. Was zur Hölle war denn nur los mit ihm?! Noch vor zwei Wochen wäre er Ravi für sein Angebot um den Hals gefallen und nun lehnte er es plötzlich ab? War er noch ganz bei Trost? Es stimmte, dass die Einarbeitung recht zeitraubend gewesen wäre, doch seine Hilfe wäre dennoch eine Arbeitserleichterung gewesen. Gautam fühlte sich, als ob er langsam wahnsinnig werden würde. Ungebeten drängten sich erneut die Erinnerungen an Hansas warmer Hand in seiner, ihre vollen Brüste an seinem Oberarm in sein Bewusstsein. Den Geist ihrer Berührungen spürte er noch immer auf seiner Haut. Sie waren vollkommen allein in diesem riesigen Saal gewesen … Mit Entsetzen stellte Gautam fest, dass sich seine Jeans plötzlich im Schritt enger anfühlte. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Sein Körper schien ihm in letzter Zeit einfach nicht mehr gehorchen zu wollen. Er rutschte ein wenig auf seinem Stuhl hin und her, fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und versuchte sich wieder vollkommen auf die Tagungsplanung zu konzentrieren, denn im Gegensatz zu dem, was er Ravi erzählt hatte, waren noch nicht alle wichtigen Punkte abgehakt. Den Einladungen fehlte noch der letzte Schliff, um sie den Verantwortlichen morgen wie verabredet vorlegen zu können und die Änderungen in der Saalgestaltung, die sie heute bei der Besichtigung beschlossen hatten, mussten auch noch in den offiziellen Plan eingearbeitet werden. Gautam wollte sich gerade an die Arbeit machen, als er hörte wie die Agenturtür geöffnet wurde. Überzeugt davon, dass es Ravi war, der etwas vergessen hatte, schaute er auf. Seine Augen weiteten sich vor Schreck als er sah, dass es Hansa war, die da gerade das Großraumbüro betrat. „Was machst du denn hier?!“, platzte es aus ihm heraus. „Ich arbeite hier, falls es dir entgangen sein sollte“, erwiderte sie mit kokett hochgezogener Augenbraue, während sie auf ihn zugelaufen kam. Er hob daraufhin ebenfalls eine Augenbraue, jedoch in eher genervter Manier. „Dich die restliche Arbeit mit den Einladungen allein machen zu lassen, fand ich nicht gerecht“, erklärte sie, stellte ihre Tasche neben seinem Schreibtisch ab und zog sich einen Stuhl heran. „Also lass uns das jetzt noch fertig machen und dann ist Feierabend für heute.“ Doch das war einfacher gesagt als getan, denn sie konnten sich weder auf das endgültige Design noch auf den Text einigen. Auf zwei mögliche Fassungen hatten sie die Auswahl reduzieren können, doch weiter wollte keiner von beiden von ihrem Standpunkt abweichen. Während Gautam auf einem sehr einfachen Design mit einem stichpunkthaften Text beharrte, war Hansa der Meinung, dass für eine Ingenieurstagung eine etwas graphischere Gestaltung mit einem ausformulierten Text passender wäre. Nachdem sie beinahe anderthalb Stunden diskutiert und anschließend gute fünf Minuten schweigend und mit vor der Brust verschränkten Armen nebeneinander gesessen hatten, erhob Gautam das Wort: „Sehe ich das richtig, dass keiner von uns beiden von seiner Meinung zurücktreten wird?“ Hansa nickte grimmig und ohne ihren Blick von den beiden ausgedruckten Einladungen, die vor ihnen auf dem Schreibtisch lagen, abzuwenden. „Das heißt, wir werden beide Versionen verwerfen und eine komplett neue erstellen müssen?“ Sein Ton lag irgendwo zwischen Verärgerung und Resignation. Hansa schwieg und starrte weiter auf die beiden Blätter. „Nein“, sagte sie nach einer Weile bestimmt. Gautam wollte protestieren, doch Hansa fuhr fort: „Wir legen einfach beide Entwürfe vor und lassen die Verantwortlichen entscheiden. So müssen wir uns hier nicht weiter streiten und die Kunden bekommen ein bisschen Auswahl geboten.“ Da dieser Vorschlag tatsächlich die beste Lösung für ihr Problem war, willigte Gautam ein. „Sehr gut“, meinte Hansa und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Dann sind wir hier ja endlich fertig und können nach Hause gehen.“ Unwillkürlich wanderten seine Augen zu den Notizen aus dem Kongresssaal, die er heute eigentlich noch bearbeiten wollte. Hansa musste seinen Blick bemerkt habe, denn sie langte an ihm vorbei und klatsche die Hand auf den Block. „Das kannst du schön vergessen. Für heute ist Schluss“, ermahnte sie ihn mit strengem Blick. Eine spitze Bemerkung lag ihm schon auf der Zunge, doch die Art, wie Hansa halb auf dem Tisch lag, ihren Oberkörper zu ihm gewandt, und ihn von unten herauf anschaute, ließ ihn verstummen. Zudem konnte er es nicht vermeiden, dass sein Blick für einen Moment von ihrem Gesicht zu ihrem Busen hinab glitt. Ihr dünnes weißes Shirt spannte sich durch ihre gestreckte Position an genau den richtigen Stellen um darunter einen dunkelblauen Spitzen-BH erahnen zu lassen. Sich selbst verfluchend wandte Gautam seinen Blick ab und rutschte mit seinem Stuhl nach hinten. „Also gut“, räumte er ein, als er aufstand. „Dann lass uns gehen.“ Sie räumten ihre Sachen zusammen, schlossen die Agentur ab und fuhren schweigend mit dem Fahrstuhl vom elften Stockwerk des Bürogebäudes hinab in die Lobby. Als sie hinaus auf die Straße traten, war die warme Luft des Frühlingstages einer frischen Abendbrise gewichen. Die Sonne war bereits untergegangen und nur noch ein blasser violetter Streifen war am Horizont des sonst blauschwarzen Himmels zu sehen. Etwas unentschlossen standen Gautam und Hansa für einige Augenblicke nebeneinander; sie mussten beide in verschiedene Richtungen. Einen Moment lang überlegte Gautam, ob er Hansa in Anbetracht der Uhrzeit anbieten sollte, sie nach Hause zu begleiten oder ob er einem Impuls folgen und sie fragen sollte, ob sie noch Lust hatte, einen Absacker mit ihm trinken zu gehen. Da ihm jedoch beides irgendwie unangebracht erschien, gab er lediglich ein gemurmeltes „Bis morgen. Komm gut nach Hause.“ von sich und ging davon. Kapitel 18: ------------ Es war Donnerstagabend und Hansa saß mit ihren beiden Mitbewohnern auf der Couch und schaute Fernsehen. „Hey, du erzählst ja gar nichts mehr von deiner Zusammenarbeit mit Mister G“, bemerkte Aditi. Dass sie während des Films ein Gespräch anfing, zeigte nur wie uninteressant sie den Sci-Fi-Thriller fand, den Surya ausgesucht hatte. Für einen Moment überlegte Hansa, sie mit einem einfachen „Geht so. Wir gehen uns aus dem Weg“ abzuspeisen, doch sie wollte ihre Freunde nicht länger anflunkern, also erzählte sie ihnen von Gautam und seinen seltsamen Stimmungsschwankungen in der letzten Zeit. „Vielleicht hat er eine Midlife Crisis und kommt mit seinem Leben nicht mehr klar“, schlug Aditi als Erklärung vor und griff in die Chipstüte neben sich. Hansa winkte ab. „Er ist doch erst Anfang 30.“ „Bei manchen Menschen setzt sowas eben früher ein.“ Aditi war vor lauter Chips im Mund kaum zu verstehen. „Ich weiß nicht“, erwiderte Hansa und runzelte die Stirn. „Er scheint mir nicht der Typ zu sein, der irgendwann plötzlich feststellt, dass er sein Leben falsch gelebt hat. Dafür plant und überlegt er viel zu viel.“ „Er kann bestimmt nicht damit umgehen, dass du doch nicht so scheiße bist, wie er immer dachte“, warf Surya unvermittelt ein. Er fläzte mit der Fernbedienung in der Hand neben ihnen auf dem Sofa und hatte sich bisher aus der Unterhaltung herausgehalten. Während Hansa seine Worte erst einsinken lassen musste, pflichtete Aditi ihm augenblicklich bei: „Oh ja, das passt doch perfekt in das Bild, was du uns bisher von ihm gegeben hast. Durch eure erzwungene Zusammenarbeit sieht er überhaupt erstmal, was für ein Mensch du wirklich bist. Dass das mit seinen dummen Vorurteilen nicht zusammenpasst, ist klar. Sei in Zukunft am besten noch netter zu ihm und bring ihn damit zum Implodieren!“ Je länger Hansa an diesem Abend noch darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab Suryas Erklärung. Gautam war so ein ewig korrekter, immer schwarz-weiß sehender Typ, dass es sie absolut nicht überrascht hätte, wenn ihn die Erkenntnis, dass er sich bei etwas geirrt hatte, komplett aus der Bahn geworfen hätte. Daher gefiel ihr Aditis Vorschlag, ihm seinen Fehler noch deutlicher vor Augen zu führen, auch so gut. Hansa war für gewöhnlich kein besonders nachtragender Mensch, aber Gautams ungerechte Behandlung der letzten zwei Jahre war doch etwas, das sie nicht ganz so schnell vergessen konnte und wollte. Und es jemandem mit purer Nettigkeit heimzuzahlen, schien ihr eine recht angenehme und karmafreundliche Form der Rache zu sein. „Soll ich die noch ausstehenden Anrufe übernehmen? Dann kannst du dich weiter um die Saalgestaltung kümmern“, schlug Hansa Gautam lächelnd vor, als sie am nächsten Tag aus der Mittagspause kam. Sein Blick lag irgendwo zwischen verwundert und irritiert, doch dankbar über die Entlastung reichte er ihr seine Anruf-To-Do-Liste. Diese Aufgabe verschlang den größten Teil ihres Nachmittages und Hansa war froh, als sie endlich ein letztes Mal auflegen konnte. Sie war gut im Umgang mit Menschen und es machte ihr Spaß, aber Telefonieren war zugegebenermaßen nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung. Mit beinahe zwanzig Leuten hintereinander an der Strippe zu hängen, um sie um etwas zu bitten oder sie an die fristgerechte Erledigung ihrer Aufträge zu erinnern, war anstrengend und alles andere als spaßig. Froh, ihren Soll für diese Woche geschafft zu haben, streckte Hansa sich und warf einen Blick hinüber zu Gautam. Sie war überrascht, ihn nicht an seinem Schreibtisch sitzen zu sehen. Suchend schaute sie sich um und entdeckte ihn mit Ravi, Simran aus der Buchhaltung und Mohini, der Sekretärin ihres Chefs Vikram, am Wasserspender stehend und sich unterhalten. Unverbindlich schlenderte sie zu der kleinen Gruppe hinüber. Simran erklärte, dass sie überlegten, nach Feierabend alle zusammen essen zu gehen. Hansa entging nicht, dass niemand sie fragte, ob sie mitkommen wollte, doch da sie wusste, dass es unter ihren Kollegen kein großes Geheimnis war, dass sie und Gautam sich nicht gerade grün waren, nahm sie es ihnen nicht übel. Gautam war zuerst da gewesen und sie wollte ihre Anwesenheit niemandem aufdrängen. „Hast du Lust mitzukommen, Hansa?“ Alle Köpfe drehten sich zu Gautam um. Hansa war anscheinend nicht die Einzige, die sein Vorschlag überraschte. Für einen Moment war sie nicht sicher, ob er sie aus reiner Höflichkeit fragte, doch sein auf ihr ruhender Blick war offen und ließ nicht darauf schließen, dass er eigentlich auf eine Absage hoffte. Sie schauten sich für einen Moment in die Augen, bevor Hansa die mit einem Mal eingetretene Stille unterbrach. „Natürlich, gern“, lächelte sie und die Spannung verflog. Die fünf einigten sich auf eine Gaststätte ganz in der Nähe, holten anschließend ihre Taschen und Jacken und keine halbe Stunde später saßen sie an einem Tisch in der gut besuchten Kneipe und studierten die Speisekarte. Nachdem alle bestellt hatten, fiel die Unterhaltung auf die bevorstehende Softwareumstellung in der Agentur. Während des Essens und je länger der Abend dauerte wechselten sie zu Agenturklatsch und die Themen wurden ungezwungener. Weil Wochenende war ließ Hansa sich von Simran überreden, mit ihr und Ravi ein paar Tequila zu trinken. Während Mohini verzichtete, weil sie schwanger war, passte Gautam ohne Begründung. „Und ihr zwei kommt jetzt miteinander klar?“, traute Ravi sich nach fünf Tequila zu fragen. Er deutete, etwas fahrig mit dem Finger fuchtelnd, auf Hansa und Gautam. „Wer hätte das jemals gedacht, nicht wahr?!“, lachte Hansa, die die Wirkung ihrer vier Tequila mittlerweile spürte. Da Gautam quasi neben ihr, an der Stirnseite des Tisches, saß, warf sie einen Arm um seine Schultern, um ihre Worte noch zu verdeutlichen. Gautam warf ihr einen skeptischen Blick zu, aber ließ es geschehen. „Tiptop!“ Ravi wackelte anerkennend mit dem Kopf und hob sein Tequilaglas, um mit Hansa anzustoßen. Sie ließ sich nicht lange bitten und ihre Gläser klirrten aneinander. Beim Abstellen bemerkte sie aus dem Augenwinkel heraus, wie Gautam sie musterte. Sie wandte sich ihm zu und hatte große Lust ihn ein bisschen zu locken. Ihren Kopf etwas gesenkt, schaute sie ihn von unten hinauf an. „Gefällt dir was du siehst?“ Sie lallte ein klein wenig, doch den angestrebten verführerischen Unterton meisterte sie zu ihrer Zufriedenhaft mit Bravour. Gautam schaute kurz zur Seite, wirkte beinahe ertappt, doch er riss sich augenblicklich wieder zusammen und begegnete ihrem Blick mit Entschlossenheit. „Solltest du nicht vielleicht langsam mit dem Tequila aufhören?“, fragte er mit gesenkter Stimme. Hansa verdrehte die Augen. „Mach dich doch mal ein bisschen locker, mein Lieber. Es ist noch niemand gestorben, nur weil er ein bisschen Spaß hatte.“ Sie hielt ihm einen Tequila und eine Zitronenscheibe hin. Gautams Blick wanderte von ihrem Gesicht, zu dem kleinen Glas und wieder zurück. Ermunternd hob sie die Augenbrauen und nickte. Er schien regelrecht mit sich zu kämpfen. „Na meinetwegen“, grummelte er und nahm ihr den Shot ab. Hansa klatschte freudig während er ihn hinter stürzte und dann mit verzogenem Gesicht in die Zitrone biss. „Siehst du! War doch gar nicht so schlimm“, meinte sie grinsend und klopfte ihm anerkennend auf den Rücken. Sein darauf folgendes Knurren brachte sie zum Lachen. Hansa schaffte es noch zwei weitere Male Gautam zum Tequilatrinken zu überreden, während sie selbst am Ende bei neun stand. Auch Simran und Ravi hatten weiterhin ordentlich zugelangt. Mohini war gegen 23 Uhr schließlich diejenige, die beschloss, dass alle genug hatten und sie sich langsam auf den Heimweg machen sollten. Als alle vor der Kneipe standen, sich voneinander verabschiedeten und anschickten, den Heimweg anzutreten, war Hansa die einzige, die in eine andere Richtung musste. Simran bot an, sie nach Hause zu begleiten, da es für sie den kürzesten Umweg bedeutet hätte, doch Gautam mischte sich ein. „Ich glaube nicht, dass zwei angetrunkene junge Frauen nachts alleine herumlaufen sollten. Ihr drei nehmt euch am besten ein Taxi und ich begleite Hansa nach Hause.“ Hansa wollte erst protestieren und darauf bestehen, dass sie es nicht besonders weit hatte und es daher für sie kein Problem war, allein nach Hause zu gehen, doch Gautam wirkte so entschlossen, dass sie sich auf die Zunge biss und ihre Einwände herunterschluckte. Nachdem sie ein paar Meter gegangen waren, bemerkte Hansa, dass der Tequila ihr doch ein wenig mehr zusetzte, als sie zunächst angenommen hatte. Geradeaus zu laufen stellte für sie eine unüberwindbare Aufgabe dar, also taumelte sie kichernd in kleinen Schlangenlinien neben Gautam her. Sie stolperte ein paar Mal über ihre eigenen Füße bis es Gautam zu bunt wurde und er sie am Arm fasste. Er ließ sie sich bei sich unterhaken, sagte aber nichts weiter. Hansa schaute ihn eine Weile unter schweren Lidern hervor an, doch er hielt seinen Blick weiter stur geradeaus gerichtet. Ihre Sicht war etwas verschwommen, doch sie sah, dass sein Kiefermuskel unaufhörlich arbeitete. „Tut mir leid“, hörte sie sich mit leiser, lallender Stimme sagen. Er drehte seinen Kopf zu ihr und schaute sie fragend an. „Was tut dir leid?“ Ja, was eigentlich? Sie begegnete seinem Blick einen Moment lang, bevor sie sich abwandte und auf den Boden schaute. Aus einem Impuls heraus legte sie ihren Kopf auf seine Schulter. „Du bist sauer, weil ich betrunken bin und du mich nach Hause bringen musst“, nuschelte sie. Es dauerte mehrere Minuten bis er endlich antwortete – zumindest kam es ihr so vor. „Bin ich nicht. Jeder trinkt mal einen über den Durst“, meinte er und seine Stimme klang etwas steif. „Du nicht!“, protestierte sie und zog den Kopf zurück, um ihn anzuschauen. Die ruckartige Bewegung ließ sie ein wenig schwindeln. Gautam schaute sie überrascht an, lachte dann aber leise. „Ob du es glaubst oder nicht, ich bin auch schon das ein oder andere Mal betrunken gewesen.“ Ein Grinsen machte sich auf Hansas Gesicht breit und sie ließ ihren Kopf wieder auf seine Schulter sinken. „Ich glaube dir. Du würdest nie eine betrunkene Frau anlügen“, beschloss sie, während sie ihren zweiten Arm auch noch um Gautams Oberarm schob. Als sie schweigend weiterliefen, fiel es Hansa immer schwerer, ihre Augen offen zu halten. Sie war plötzlich hundemüde. Wärmesuchend schmiegte sie ihren Körper gegen Gautams Arm und sog tief Luft ein. „Du riechst so gut …“, murmelte sie geistesabwesend und mit halb geschlossenen Lidern. „Wir sind da!“ Gautams Stimme klang selbst in ihren Ohren unnatürlich hölzern. Als er sich aus ihren Griff befreite, stolperte sie nach hinten, woraufhin er sie mit einer Hand um ihre Hüfte auffing und stützte. „Ich bringe dich besser noch hoch bis zu deiner Wohnung“, stellte er fest und festigte seinen Griff noch etwas. Es dauerte eine Weile bis Hansa ihren Schlüssel in ihrer Tasche gefunden hatten. Um Zeit zu sparen übernahm dann Gautam das Türaufschließen. Das Hinaufsteigen in den fünften Stock dauerte geschlagene zehn Minuten, in denen Hansa mehrmals stolperte und Gautam sie die ganze Zeit stützen musste. Er hatte sich ihren Arm um die Schultern gelegt und hielt sie mit unerschütterlichem Griff um die Taille fest. Endlich an ihrer Wohnungstür angekommen, steckte Gautam wieder den Schlüssel für sie ins Schloss. „Trink am besten noch ein Glas Wasser, bevor du ins Bett gehst“, riet er ihr ohne ihr in die Augen zu schauen. Sie nickte stumm und stand ein paar Augenblicke unschlüssig herum, bevor sie sich entschloss ihm eine Abschiedsumarmung zu geben. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und legte ihm die Arme um den Nacken. „Danke fürs Nachhausebringen“, murmelte sie gegen seinen Hals. „Und entschuldige die Umstände …“ Sie meinte, seine pochende Halsschlagader unter ihren Lippen zu spüren … Und sein volles Haar fühlte sich so weich zwischen ihren Fingern an … Doch da musste sie sich irren. So nah war sie ihm doch gar nicht …? Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihre Augen geschlossen hatte. Mühevoll öffnete sie sie, aber in diesem Moment bemerkte sie Gautams Hände auf ihren Schultern, die sie sanft von ihm wegdrückten. Müde schaute sie ihn an, doch er hatte sich schon von ihr abgewandt und mit einem hastigen „Gute Nacht“ verschwand er die Treppe hinunter. Unschlüssig stand Hansa noch einen Moment lang da, bevor sie in ihre Wohnung ging, die Tür hinter sich schloss und in Richtung ihres Zimmers torkelte. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und war kaum eine Sekunde später auch schon eingeschlafen. Kapitel 19: ------------ Gautam stand unter der Dusche. Das heiße Wasser lief ihm den Rücken hinunter, während er sich mit der linken Hand an der gefliesten Wand abstützte und die rechte seinen harten Penis umschloss. Er fuhr mit dem Daumen über seine Kuppe und schloss leise stöhnend die Augen. Die Erinnerungen an den vergangenen Abend wollten ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Nachdem er Hansa nach Hause gebracht hatte, hatte ihr Duft überall an ihm geklebt – in seiner Kleidung, seinen Haaren und er hatte das Gefühl auch in jeder Pore seiner Haut. Es hatte ihn wahnsinnig gemacht, also war er sofort nachdem er seine Wohnung betreten hatte ins Badezimmer unter die Dusche gesprungen. Mit ihrem Duft hatte er gehofft auch seine aufgewühlten Gefühle wegspülen zu können, doch da hatte er sich offenbar gewaltig getäuscht. Sobald er die Augen schloss, spürte er wieder wie ihre sanften Finger über seinen Nacken strichen und in sein Haar verschwanden. Seine Kopfhaut kribbelte bei dem Gedanken daran und sein Penis wurde noch härter. Er begann seine Hand langsam seinen Schaft auf und ab gleiten zu lassen, doch statt der gewünschten Erleichterung fühlte er seine Erregung noch stärker werden. Ihr weicher Körper während der Umarmung gegen seinen gepresst, der Duft ihrer Haare in seiner Nase, ihre weichen Lippen über die unglaublich sensible Haut seines Halses wandernd … Es brauchte nur wenige kräftige Pumpzüge und er ergoss sich keuchend in die Duschwanne. Die angenehme Dunkelheit, die seinen Verstand für einige Momente umgab, verschwand langsam wieder. Er seifte sich ein, spülte sich ab und stieg aus der Dusche. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, zog er Boxershorts und T-Shirt über und ging ins Bett, die Scham, die sich plötzlich versuchte in ihm breit zu machen, geflissentlich verdrängend. Am darauffolgenden Montagmorgen war Gautam in der Agenturteeküche gerade dabei, etwas Zucker in seinen Kaffee zu geben, als hinter ihm Hansas Stimme erklang. „Hey … ähm … Können wir kurz reden?“ Als er sich zu ihr umdrehte, sah er, dass sie etwas unsicher wirkte. Sein Herz machte einen Sprung, doch er schaffte es, nach außen hin eine ruhige Fassade zu bewahren. Er nickte stumm. Zögerlich kam Hansa ein paar Schritte näher, räusperte sich und schaute auf den Boden. „Ich kann mich nicht besonders gut an Freitag erinnern, aber ich wollte mich noch mal dafür bedanken, dass du mich nach Hause gebracht hast“, sagte sie und sah endlich auf. Ihre Wangen zierte ein zarter Rosaton. „Außerdem hoffe ich, dass ich dir nicht irgendwie zu nahe getreten bin. Ich kann ziemlich anhänglich werden, wenn ich angetrunken bin …“ Gautam war überrascht, sie so peinlich berührt zu sehen. Das sah ihr alles andere als ähnlich. Ihre Nervosität ließ ihn überraschenderweise ruhiger werden. „Mach dir keine Gedanken. Du hast dich anständig benommen“, beruhigte er sie und versuchte nicht an ihre Lippen und ihren heißen Atem an seinem Hals zu denken. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee. Sie musterte ihn noch einen Moment, bevor sich ihr Körper entspannte und ein Lächeln sich auf ihrem Gesicht breit machte. „Uff, da bin ich ja beruhigt!“ Gautam räusperte sich und nickte ihr aufmunternd zu. Dann ging er kaffeeschlürfend an ihr vorbei zu seinem Arbeitsplatz. Er fühlte sich seltsam unruhig und er hatte das dumpfe Gefühl, dass das nicht daran lag, dass in einer Woche die Abschlusspräsentation stattfinden sollte. An sich hatte er genug zu tun, um sich abzulenken, doch immer wieder ertappte er sich dabei, wie er zu Hansa ging, um etwas mit ihr abzuklären, ihr Unterlagen zu geben oder welche von ihr zu holen. Als Hansa ihm etwas an ihrem Computer zeigte, lehnte er sich von hinten so dicht über sie, dass sein Oberkörper ihre Schulter berührte. Seine Hand umgriff zufällig ihre als sie beide nach der Mouse griffen. Eine Strähne ihres Haares kitzelte ihn an der Wange als sie beide peinlich berührt über diesen unbeabsichtigten Körperkontakt lachten. Wie wenig unbeabsichtigt er wirklich gewesen war, war Gautam jedoch nicht bereit sich einzugestehen. Am Dienstag mussten sie Vikram den letzten Zwischenbericht vorlegen und bis auf ein paar kleinere Anmerkungen hatte ihr Chef an ihrem Konzept glücklicherweise nichts auszusetzen. Das kam ihrem Zeitplan sehr zu Gute und verschaffte ihnen einen ganzen Tag Vorlauf, den sie vorsichtshalber für die Einarbeitung eventueller Änderungswünsche eingeplant hatten. Sie behielten trotzdem ihr Arbeitstempo bei und beendeten Aufgabe für Aufgabe. Gautam war Stress gewöhnt und vertrug ihn sonst auch sehr gut, doch er merkte missmutig, wie sein Kopf jeden Tag ein wenig mehr brummte und wie ihm abwechselnd ungewöhnlich warm und dann wieder kalt war. Am Donnerstag fingen dann seine Augen an zu brennen und schwelende Kopfschmerzen schlichen sich langsam über seinen Nacken hin zur Stirn, wo sie sich über seinen Augenbrauen festsetzten. Nichtsdestotrotz zog er den ganzen Tag durch bis er mit Hansa schließlich lange nach ihrem eigentlichen Feierabend am Boden vor dem Kopierraum saß und die verschiedenen Mappen zusammenstellte, die den Präsentationsteilnehmern ausgehändigt werden würden. Beide hatten ihre Beine nach vorne in V-Form von sich gestreckt und waren umgeben von mehreren Papierstapeln. Schweigend ordneten sie die verschiedenen Blätter in die Mappen ein. Da es sich dabei um gute 200 Stück handelte, hatten sie sich nach kurzer Zeit eingespielt und jeder machte bald automatisch seine Handgriffe. Immer wieder streifte dabei Gautams Ellenbogen Hansas Seite oder ihren Arm. Die monotone Arbeit, der Druck in seinem Kopf und die Wärme, die von Hansas Körper direkt neben ihm ausging, ließen ihn schläfrig werden. Erst Hansas Stimme weckte ihn aus seinem halb abwesenden Zustand auf. „Kann ich dich etwas fragen?“ Er spürte, dass Hansa ihn anschaute, doch er hielt seinen Blick auf die Mappe in seinen Händen gerichtet. Nach kurzem Zögern nickte er. „Schieß los.“ „Warum hast du mir in den letzten zwei Jahren das Leben so zur Hölle gemacht?“ Sein Herz begann zu pochen und sein Mund war plötzlich trocken. „Ich meine, von Tag eins an hattest du mich auf dem Kieker und ich habe mir nie erklären können warum ...“ Ihre Stimme klang warm und ruhig. Die Hände hatte sie in ihren Schoß gelegt, ihr Ellenbogen ruhte an seinem. Gautam fühlte sich wie ein kleines Kind, das beim Süßigkeitenklauen ertappt worden war. Am liebsten hätte er ihr mit einer Spitze geantwortet und die Sache abgetan oder ihr eingeredet, dass sie sich seine Sticheleien nur eingeredet hatte, doch ihm war klar, dass das nicht mehr möglich war. Krampfhaft versuchte er, sich eine plausible Ausrede einfallen zu lassen, doch das Stechen hinter seiner Stirn machte ihm das Nachdenken unmöglich. Er hatte wohl oder übel keine Wahl. Seufzend schaute er auf und ihr direkt ins Gesicht. Hansas Blick war offen und wirkte sowohl neugierig als auch gespannt. Die Intensität ihrer braunen Augen ließ ihn schlucken. „Ich ... Nun …“ Er räusperte sich. „Also ... Du ... wirst dich wahrscheinlich gar nicht daran erinnern, aber ... einen Tag, bevor du hier angefangen hast, hast du ... mir–“ Er atmetet tief durch. „– in einem Backshop die letzte gebackene Banane vor der Nase weggeschnappt.“ Er schloss sie Augen und ließ das Kinn auf die Brust sinken. Laut ausgesprochen hörte es sich sogar noch dämlicher an. Er konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie Hansa damals an ihrem ersten Tag in der Agentur der gesamten Belegschaft vorgestellt worden war. Ohne einen zweiten Blick hatte er sie sofort als die Bananendiebin identifiziert. Als sie ihn dann wiederrum nicht erkannte und sich dementsprechend natürlich auch nicht bei ihm entschuldigte, schwor er sich, sie für ihr rüpelhaftes Benehmen bluten zu lassen. Rückblickend musste er sich nun eingestehen, dass das nicht unbedingt die erwachsenste Entscheidung gewesen war. Vollkommen überraschend spürte er plötzlich Hansas Hand auf seinem Oberschenkel. Ihre Berührung schickte sofort aufregende Blitze durch seinen Körper, die vor allem in einer bestimmten und im Moment sehr unpassenden Region ankamen. Gautam schaute erneut auf und sah Hansas mitfühlend wirkendes Gesicht vor sich. „Das tut mir ja so schrecklich leid ... Hätte ich das gewusst ...! Unter diesen Umständen kann ich dein Verhalten natürlich vollkommen nachvollziehen!“ Sie nickte, um ihre Worte zu bekräftigen und ihre Hand tätschelte sanft seinen Oberschenkel. Verblüfft und mit halb offen stehendem Mund musterte Gautam sie. „Ich ... Wirklich?!“ Verständnis war nun wirklich das allerletzte gewesen, mit dem er gerechnet hätte. Hansa zog eine Augenbraue nach oben und ihr Gesicht war mit einem Mal der Inbegriff von Das-glaubst-du-doch-wohl-selber-nicht. Sie hörte auf ihn zu tätscheln und gab ihm stattdessen einen Klaps auf den Oberarm. „Natürlich nicht! Du spinnst doch. Das ist ja wohl einer der lächerlichsten Gründe auf jemanden sauer zu sein, den ich jemals gehört habe.“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf, die Augenbrauen an der Nasenwurzel zusammengezogen. Gautam wollte sich erklären, doch die richtigen Worte fehlten ihm. Dass Hansa nun – leider zu Recht, wie er sich eingestehen musste – sauer auf ihn war, musste er um jeden Preis verhindern. „Es tut mir leid ...“, brachte er schwach hervor und zu seiner erneuten Überraschung fing Hansa an zu grinsen. „Lass gut sein. Im Gegensatz zu dir bin ich nicht nachtragend. Ich bin nur froh, dass ich den Grund jetzt endlich weiß – auch wenn er unglaublich blöd ist. Ich werde mir aber für die Zukunft merken, dass beim Essen der Spaß bei dir aufhört.“ Sie lachte und stieß spielerisch seine Schulter mit ihrer an. Dann stand sie auf. „Wir haben zu wenige Kopien von der zweiten Programmseite gemacht. Ich bin gleich wieder da“, meinte sie und ging in den Kopierraum. Ein wenig wie benebelt saß Gautam da und in seinem dumpf dröhnenden Kopf ratterte es. Sein Magen fühlte sich flau an und seine Fingerspitzen kribbelten. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Dann stand auch er auf und folgte Hansa in den Kopierraum, blieb aber im Türrahmen stehen. Sie stand mit dem Rücken zu ihm am Kopierer und schien sein Eintreten nicht bemerkt zu haben. Er blieb einen Moment stehen, um sie anzusehen. Langsam wanderte sein Blick von ihrem Haar, das in dicken Wellen über ihre Schulterblätter fiel, über das dunkelgrüne Frühlingskleid, das ihren Po umspielte und bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichte, die halb durchsichtige Feinstrumpfhose, die sie darunter trug, hinab zu ihren Füßen, die in hellbraunen Stiefletten steckten. Ein Schritt und noch ein Schritt und schon stand Gautam direkt hinter Hansa. Vorsichtig legte er ihr seine linke Hand auf die Hüfte und drehte ihren Körper zu sich herum. Ein Geräusch der Überraschung entfuhr ihr dabei. Er zögerte einen Moment, studierte ihr Gesicht, doch als er sah, dass ihr Ausdruck nur fragend und nicht ablehnend war, wagte er, seine rechte Hand zu heben und sie sanft von ihrer Schulter über ihre Halsbeuge in ihren Nacken wandern zu lassen. Als er begann sie dort mit seinem Daumen zu streicheln, spürte er unter seinen Fingerspitzen wie sie eine Gänsehaut bekam. Er machte noch einen halben Schritt auf sie zu, sodass sich nun ihre Körper berührten und er seine linke Hand von ihrer Hüfte auf ihren unteren Rücken gleiten lassen konnte. Wie von selbst bewegte sich sein Gesicht auf ihres zu. Als er bemerkte, dass sie ihm dabei ganz langsam entgegen kam, vergaß er jede Zurückhaltung, schloss die letzte kleine Lücke zwischen ihren Lippen und küsste Hansa. Sie war weich und warm und feucht und schmeckte so gut wie ein Stück Schokolade nach einer Diät. Bereitwillig öffnete sich ihr Mund und ihre Zunge tastete vorsichtig nach seiner. Bei ihrer Berührung durchfuhr es ihn heiß und kalt, in seinem Bauch kribbelte es und das Blut rauschte ihm zwischen die Beine. Instinktiv drückte er sein Becken gegen ihres, woraufhin sie leise in den Kuss hinein stöhnte und die Arme um seinen Hals schlang. Er wagte es, seine Hand auf ihren Po zu schieben und ihn etwas zu kneten, was Hansa ihm damit quittierte, dass sie begann seinen Hals zu küssen und an seinem Ohrläppchen zu knabbern. Nun war er es, dem ein kleines Stöhnen entwich. Unwirsch suchte er mit seinen Lippen wieder nach ihren. Er machte noch einen Schritt nach vorn und drückte Hansa damit gegen den Kopierer hinter ihr. Sein Oberschenkel drängte zwischen ihre Beine und sein Griff um ihren Po wurde fester. Jede Faser seines Körpers wollte sie spüren. Doch der Gedanke, dass dies weder der richtige Ort noch die richtige Zeit war, schaffte es gerade noch sich durch sein vernebeltes mentales Chaos zu kämpfen. Widerwillig ließ er von ihr ab, vergrößerte den Abstand zwischen ihnen, gab ihr jedoch noch mehrere kleine Küsse. „Ich– äh ... Lass uns das hier doch morgen fertig machen, okay?“ Seine Stimme klang seltsam rau, weswegen er sich räusperte. Er schaffte es, für einen Moment den Blick zu heben und Hansa ins Gesicht zu schauen. Ihre Wangen waren gerötet und ihr Haar war durcheinander. Sie wirkte verdutzt. „Ähm ... Ja ... okay ...“, nickte sie und fuhr sich mit der Hand an der Seite ihres Gesichtes entlang. Gautam nickte fahrig zurück, machte kehrt und verließ den Kopierraum. Ihm war schwindelig und sein Körper fühlte sich beinahe unerträglich warm an. Er griff sich alle auf dem Boden liegenden Papierstapel, die er finden konnte, türmte sie auf und trug sie auf seinen Schreibtisch hinüber. Dass dieser Haufen nicht lange stehen bleiben und morgen früh ganz sicher umgefallen sein würde, war ihm gerade vollkommen egal. Gautam schnappte sich seine Jacke und seine Tasche und ohne einen weiteren Blick zu Hansa verließ er die Agentur. Kapitel 20: ------------ Hansa saß auf der Kante ihres Bettes und konnte sich nicht daran erinnern, wie sie nach Hause gekommen war. Alles war auf einmal wie verschwommen. Das Einzige, worauf sie sich konzentrieren konnte, war der Kuss. Der Kuss. Gautam hatte sie geküsst. Einfach so. Hansa spürte wie ihr Magen einen Sprung machte und wie ihr die Röte in die Wangen schoss. Lachend schlug sie sich die Hände vor das Gesicht. Sie hätte wirklich mit allem gerechnet, aber nicht damit. Und vor allem nicht damit, wie gut und richtig es sich angefühlt hatte. Ein aufregender Schauer durchfuhr sie, wenn sie an seine weichen Lippen und forschenden Hände dachte. Bei Gautams sonst so ernstem Auftreten hätte sie es nie für möglich gehalten, dass eine solche Leidenschaft in ihm stecken würde. Nur der übereilte Abgang hatte ihm dann wiederrum ähnlich gesehen. Doch was hätte sie anderes erwarten sollen? So unlocker wie Gautam war, verstand sie, dass er nach einer solchen – für seine Verhältnisse – Kamikazeaktion etwas Zeit für sich brauchte. Sie atmete einmal lange aus und ließ sich nach hinten auf ihr Bett sinken. Es war nicht zu leugnen, dass ein Glücksgefühl sie durchströmte und ihr Herz ein klein wenig höher schlug. Doch für den Moment wollte sie gar nicht so viel darüber nachzudenken. Morgen würde sich alles ergeben – da war sie sich sicher. „Gautam hat sich bis Ende nächster Woche krank gemeldet.“ Hansa starrte ihren Chef ungläubig an. „Schaffst du die Präsentation am Montag alleine?“ Hansa nickte abwesend „Ja ... Ja, das kriege ich hin.“ Vikram gab ihr einen Daumen nach oben und entließ sie aus seinem Büro. Ihre Schritte führten Hansa zu Gautams Schreibtisch, auf dem der umgefallene Stapel Blätter lag, den er dort gestern Abend so eilig deponiert hatte. Sie schob alles zusammen und trug es hinüber zu ihrem Arbeitsplatz, wo sie sich in ihren Schreibtischstuhl fallen ließ und an die Decke starrte. Die Euphorie vom gestrigen Abend war mit einem Schlag verschwunden und ein ungutes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit. Gautams Timing war wirklich bemerkenswert. Er küsste sie ohne jegliche Vorwarnung und am nächsten Tag war er zufälligerweise krank. Sie war kein misstrauischer Mensch, aber das schien selbst ihr ein wenig zu auffällig. Der Gedanke, dass er sein Handeln bereute und ihr nun aus dem Weg gehen wollte, drängte sich geradezu auf. Dem Impuls Gautam anzurufen, um Klarheit zu bekommen, kam sie jedoch nicht nach. Zum einen fiel ihr auf, dass sie seine Handynummer gar nicht hatte und sie sie sich erst von einem Kollegen hätten besorgen müssen und zum anderen war das ohnehin keine Sache, die man mal eben am Telefon klären konnte. Es war ihr wichtig, dabei in sein Gesicht sehen zu können. Ihr blieb also keine andere Wahl als sich zu gedulden bis er wieder da war. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und machte sich dann daran, den Unterlagenstapel zu sortieren, um die restlichen Mappen fertigstellen zu können. Hansa lag lustlos auf der Couch herum als Aditi am späten Nachmittag nach Hause kam. „Arre, du bist schon zuhause?!“, wunderte sie sich, während sie die Tür hinter sich schloss. Missmutig drehte Hansa ihren Kopf in Richtung ihrer Freundin und gab als Antwort nur ein Grummeln von sich. „Hai Rabba, was ist denn nun schon wieder passiert?“, erkundigte sich Aditi, nachdem sie ihre Schuhe ausgezogen hatte und sich neben sie auf die Couch fallen ließ. Hansa warf die Unterarme übers Gesicht. „Gautam und ich haben uns gestern geküsst.“ Aditi machte große Augen, doch bevor sie etwas sagen konnte, fügte Hansa hinzu: „Und heute ist er nicht auf Arbeit aufgetaucht. Krank geschrieben bis nächste Woche.“ Mit offen stehendem Mund starrte ihre Freundin sie an. Hansa errötete. „Schau mich nicht so an. Ich weiß selbst wie verrückt das klingt ...“ „Wie um alles in der Welt ist es denn dazu gekommen?!“ Aditi konnte es nicht fassen und hing wie gebannt an Hansas Lippen als diese ihr vom gestrigen Abend erzählte. „Und dass Gautam das Ganze jetzt bereuen könnte, wurmt dich?“, hakte Aditi anschließend nach. Hansa dachte kurz nach. „... Irgendwie schon ...“ „Also magst du ihn?“ „Nein, natürlich nicht!“ Die Antwort kam reflexartig. „Ich meine ... oder vielleicht doch ...?“ Aditi zuckte mit den Schultern. „Sag du es mir.“ Frustriert schlug Hansa mit den Handflächen auf die Sofapolster. „Warum ist plötzlich alles so kompliziert?!“ Verständnisvoll streichelte Aditi ihr über den Kopf. „Es ist nie einfach, sich mit einem vergebenen Typen einzulassen, Jaan.“ Hansas Kopf schnellte herum. „Was?!“ Verdutzt schaute Aditi sie an. „Er hat doch eine Freundin oder nicht? Das hattest du mir zumindest mal erzählt.“ Hansa fiel es wie Schuppen von den Augen und sie schlug die Hände vors Gesicht. „Aber natürlich, das ist es! Er hat eine Freundin!“ Plötzlich ergab alles einen Sinn. Unwirsch stand sie auf. „Gautam ist kein Typ, der während er in einer Beziehung ist mit einer anderen Frau rumknutscht. Also kann das Ganze nur eines bedeuten: Er rächt sich damit dafür, dass ich ihn vor unserer Zusammenarbeit habe zappeln lassen und dass er sich in den letzten Wochen nach meinen Regeln hat richten müssen.“ Aditi beäugte sie skeptisch. „Das glaubst du doch wohl selber nicht? Welchen Sinn soll das denn ergeben?“ „Er will mich aus dem Konzept bringen“, konstatierte Hansa zögerlich. „Er will, dass ich mich in ihn verliebe. Damit er mich manipulieren kann ...“ Mitleidig schüttelte Aditi den Kopf. Dann stand sie auf und nahm ihre Freundin wortlos in die Arme. Hansa legte ihren Kopf auf ihre Schulter und schloss seufzend die Augen. Sie wusste, dass das Unsinn war. Selbst wenn sich Gautam und ihr Verhältnis in den letzten Wochen nicht zu so etwas wie einer zarten Freundschaft gemausert hätte, wäre er nie so weit gegangen. Doch sich einzureden, dass er sie nicht impulsiv, sondern mit bösen Absichten geküsst hatte, war weniger schmerzhaft als sich einzugestehen, dass er sein Handeln ganz im Gegensatz zu ihr aller Wahrscheinlichkeit nach bereute. Fest entschlossen nicht in Selbstmitleid zu ertrinken, schob Hansa jedoch ihre Sorgen weit von sich und verbrachte das Wochenende mit Aditi, Surya und ein paar weiteren Freunden im Park und am Strand. Die Ablenkung tat ihr gut. Sie hasste es, wenn ihr Seelenfrieden von anderen Personen abhängig war. Und hätte ihr jemand vor einem halben Jahr gesagt, dass sie einmal so etwas wie Liebeskummer wegen Gautam haben würde, hätte sie ihn ohnehin für verrückt erklärt. Sie war selbst etwas erstaunt darüber, wie viel dieser Kuss in ihr ausgelöst hatte. Ihr wäre es im Traum nicht eingefallen, Gautam zu küssen, doch in dem Moment, als es passierte, hatte es sich wie die selbstverständlichste Sache der Welt angefühlt. Die sofortige Harmonie zwischen ihren Körpern war bemerkenswert gewesen. Die Bestimmtheit, mit der er sie an sich gezogen hatte, ließ sie noch immer erregt schaudern. Im Grunde war sie nun vor allen Dingen wütend darüber, dass er diese Tür aufgestoßen hatte, obwohl er nicht plante hindurchzugehen. Bei all den kleinen Blicken und Berührungen in den letzten Wochen hatte sie völlig vergessen, dass Gautam eigentlich eine Freundin hatte. Unter diesen Umständen konnte sie sogar nachvollziehen, dass er den Kuss als Fehler betrachten könnte. Doch dann sollte er wenigstens dazu stehen und sich nicht wie ein Feigling um eine Konfrontation mit ihr drücken. So viel Aufrichtigkeit, fand sie, war er ihr nach all dem schuldig. Am folgenden Montag war Hansa etwas früher in der Agentur als sonst, um noch einmal ihre Notizen für die Präsentation durchzugehen und den Sitzungsraum vorzubereiten. Normalerweise führte sie solche Vorträge eher spontan durch, doch Gautams Gründlichkeit schien ein wenig auf sie abgefärbt zu haben. Diese Tagungsplanung war ihr bislang größtes Projekt und es war ihr wichtig, dass alles reibungslos ablief. Eine halbe Stunde bevor es losgehen sollte, ging Hansa noch einmal in die Agenturküche, um ihre Kaffeetasse abzuspülen. Als sie sich anschließend wieder umdrehte, stand plötzlich Gautam im Türrahmen. Sie schreckte ein wenig zurück; nicht nur, weil sein Auftauchen so unerwartet war, sondern auch weil er fürchterlich aussah. Sein Hemd war zwar gebügelt und seine Haare waren ordentlich frisiert, doch sein Gesicht war blass, seine Nase und Augen dagegen gerötet. Seine Körperhaltung wirkte kraftlos und sein Mund stand ein wenig offen. Ihr Gehirn brauchte einen Moment, um das vor ihr stehende Elend zu verarbeiten, doch dann machte es Klick: Gautam war tatsächlich krank. Diese Erkenntnis überraschte sie über alle Maßen. „Was machst du hier?!“, wollte sie wissen. Er schniefte und als er sprach, klang seine Stimme nasal und kratzig. „Heute ist die Präsentation. Die kann ich dich doch nicht alleine machen lassen.“ Er brachte ein gezwungen aussehendes Grinsen zustande. Sie fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. „Schau dich an! Du siehst aus wie der Tod auf Latschen und trotzdem kommst du her, um zu kontrollieren, ob ich alles richtig mache?!“ Gautam schloss die Augen und atmete ein, was einen heftigen Hustenanfall auslöste. Als er sich wieder beruhigt hatte, sagte er: „Ich will dich nicht kontrollieren, Hansa. Ich möchte nur, dass wir das gemeinsam machen ...“ Er musterte sie kurz und fuhr dann fort: „Außerdem wollte ich noch mit dir reden ...“ Ihr Magen machte einen kleinen Hüpfer als Gautam weiter in den Raum hereintrat. Gerade als er weitersprechen wollte, kam Vikram hereingestürzt. Überrascht starrte er Gautam an. „Was machst du hier?! Solltest du nicht zuhause im Bett liegen? Du siehst furchtbar aus“, konstatierte er. „Ich will nicht, dass Hansa die Präsentation alleine machen muss. Wir haben alles zusammen ausgearbeitet, also sollten wir es auch zusammen präsentieren.“ Ein neuerlicher Hustenanfall schüttelte seinen Körper. Vikram musterte ihn skeptisch und wiegte abschätzend seinen Kopf hin und her. „Also gut. Als moralische Unterstützung kannst du bleiben, aber verringere deinen Sprechanteil auf ein Minimum und versuch bitte, niemanden anzustecken.“ Dann wandte er sich Hansa zu. „Kommst du bitte mit? Wir müssen den Beamer noch einstellen.“ Hansa hielt inne und schaute zu Gautam. Er erwiderte ihren Blick, doch aufgrund seiner schweren Lider und glasigen Augen war es unmöglich seinen Gesichtsausdruck zu lesen. Es interessierte sie brennend, was er zu sagen hatte, doch dafür war jetzt nicht die Zeit. Zögerlich wandte sie sich ab und folgte Vikram hinaus aus der Teeküche. Bevor die Präsentation losgehen sollte, hatten sie noch kurz Zeit, um abzusprechen, welchen Teil Gautam übernehmen konnte, ohne dass seine Stimme zwischendurch versagte. Hansa spürte ein nervöses Kribbeln in ihrer Magengegend, das rein gar nichts mit dem bevorstehenden Vortrag zu tun hatte. Verstohlen beobachtete sie Gautam, während er seine Aufzeichnungen durchsah. Er war also wirklich krank. Das hieß, dass es nicht nur eine faule Ausrede gewesen war, um ihr aus dem Weg zu gehen. Er war sogar trotz seiner Erkältung hergekommen, um die Präsentation mittragen zu können. Und er hatte gerade mit ihr reden wollen. Was sollte sie mit all dem anfangen? Ein vergebener Mann war er schließlich trotzdem. Hansa hatte allerdings keine Gelegenheit, weiter darüber nachzugrübeln, denn in diesem Moment betraten die beiden Tagungsverantwortlichen den Sitzungsraum. Sofort legte sie ihren Business-Schalter um und brachte die Präsentation und anschließende Fragerunde problemlos über die Bühne. Nach guten anderthalb Stunden war alles vorbei und Gautams Anwesenheit wurde glücklicherweise als hohes Arbeitsengagement gewertet und nicht als unverantwortliche Virenschleuder. Es wurden zufrieden Hände geschüttelt und entspannter Smalltalk ausgetauscht, bevor Vikram, Gautam und Hansa die zwei Herren nach draußen begleiteten. Kaum war die Tür hinter den beiden ins Schloss gefallen, drehte Vikram sich zu ihnen um und fixierte den neben Hansa stehenden Gautam mit strengem Blick. „In Anbetracht deines Zustands war das eben eine enorme Leistung und ich danke dir für deinen Einsatz, aber ich will, dass du sofort nach Hause gehst. Hast du verstanden?“ Gautam wirkte überrumpelt und wollte protestieren, doch Vikram ließ ihn nicht zu Wort kommen und fing an, ihn darüber zu belehren, welche Verantwortung er gegenüber den anderen Mitarbeitern trug, wenn er mit einer so schlimmen Erkältung in der Agentur aufkreuzte. Hansa dachte gerade darüber nach, dass Gautam diese Standpauke wohl ebenso übertrieben fand wie sie selbst, als sie plötzlich spürte, wie eine Hand sanft die Finger ihrer rechten Hand umfasste. Ihr Herz begann zu klopfen und sie schaute überrascht zu Gautam, doch er blickte weiter geradeaus zu Vikram als ob nichts wäre. Mit geweiteten Augen starrte sie ihn an, während er zärtlich ihre Fingerspitzen streichelte. Ein Kribbeln durchfuhr ihren gesamten Körper und sie wusste nicht, ob sie seine Hand wegschlagen oder seine Berührung erwidern wollte. Was ging bloß in seinem Kopf vor? Was wollte er ihr mit dieser Geste sagen? Und vor allem: In was für eine absurde Situation war sie hier nur hinein geraten? Sie stand heimlich Händchen haltend mit ihrem vergebenen Kollegen, den sie eigentlich nicht einmal ausstehen konnte, aber mit dem sie ziemlich leidenschaftlich rumgemacht hatte, vor ihrem Chef und musste sich dessen schwadronierende Ausführungen über Kollegialität anhören. Sie hatte sich noch nicht auf eine passende Reaktion festlegen können, als ihre Hand schon wieder losgelassen wurde. Ohne Gautams warmer Haut auf ihrer fühlten sich ihre Finger plötzlich kalt an. „Also gut, ich gehe nach Hause.“, ging Gautam auf die Aufforderung seines Chefs ein und musste husten. An Hansa gewandt fügte er hinzu. „Wir sehen uns nächste Woche, wenn ich wieder da bin, ja?“ Er hielt mit ihr Augenkontakt bis sie ihm ein knappes Nicken zur Antwort gab. Dann öffnete er die Tür und ging. „Wenn hier alle sein Pflichtgefühl hätten, bräuchten wir nur vier Mitarbeiter“, stellte Vikram kopfschüttelnd mit einer Mischung aus Bewunderung und Irritation fest. Dann klopfte er Hansa anerkennend auf die Schulter und gratulierte ihr für die erfolgreiche Präsentation, bevor er zurück in Richtung seines Büros lief. Hansa verharrte noch einen Moment an der Tür und dachte nach. Sollte sie Gautam hinterherlaufen, um ihn zur Rede zu stellen oder lieber nicht? Ein paar Sekunden des Abwägens später entschied sie sich dafür, auf ihre Vernunft zu hören und es bleiben zu lassen. In seinem Zustand war er zum einen mit Sicherheit nicht in der Lage eine ordentliche Unterhaltung zu führen und zum anderen sah sie sich nicht in der Pflicht, diejenige zu sein, die das Gespräch suchte. Gautam war schließlich derjenige, der sich und seine Aktionen zu erklären hatte. Nach kurzem Zögern ging sie, sich die rechte Hand reibend, an ihren Schreibtisch. Kapitel 21: ------------ Es war Freitagvormittag als Gautam genussvoll einen großen Schluck von seinem schwarzen Kaffee trank. Kurz nach Sonnenaufgang war er aufgewacht und zum ersten Mal seit Tagen wieder klar im Kopf gewesen. Er fühlte sich nicht mehr fiebrig und der Druck hinter seiner Stirn und in seiner Brust war so gut wie verschwunden. Auch die Gliederschmerzen ließen nach einer langen Dusche, die er sich nach dem Aufstehen gönnte, deutlich nach. Nun saß er im Bademantel am Küchentisch und war froh darüber, endlich wieder etwas anderes zu sich nehmen zu können als Tee und Suppe. Doch jetzt, da er Ruhe hatte und sein Hirn sich endlich nicht mehr anfühlte wie zerlaufener Wackelpudding, konnte er die Erinnerungen an die vergangene Woche nicht mehr länger verdrängen. Er hatte Hansa geküsst. Er hatte sich mit Grippemedikamenten vollgepumpt, um sie sehen und bei der Präsentation unterstützen zu können. Und er hatte in Vikrams Beisein heimlich ihre Hand gehalten. Er hätte mit Sicherheit nichts von alledem getan, wäre sein Verstand nicht von der Grippe vernebelt gewesen. Und doch ... Gautam schaute aus dem Fenster. Das strahlende Blau des Himmels blendete ihn und er schloss die Augen. Es hatte keinen Zweck mehr sich gegen die unvermeidliche Erkenntnis zu sperren. Er mochte sie. Gautam mochte Hansa. Und zwar sehr. Ein schleichender Prozess, dessen Anfang er nicht einmal mehr ausmachen konnte. Aber war das überhaupt von Bedeutung? Die Frage war eher, was er mit diesen Gefühlen nun anfangen sollte. Ignorieren konnte er sie nicht mehr. Dafür war das warme Gefühl in seiner Brust, das er bekam, wenn er an Hansas Körper in seinen Armen dachte, zu überwältigend. Doch konnte er mit ihr darüber sprechen? Seine unzähligen Sticheleien der letzten Jahre konnte sie ihm unmöglich so schnell verziehen haben. Aber hatte sie seinen Kuss nicht auch sehr bereitwillig erwidert? Seine verschwommenen Erinnerungen machten es ihm nicht gerade einfach zu unterscheiden, ob ihr leises Stöhnen und die dringliche Art, wie sie sich ihm entgegen gepresst hatte, real gewesen oder nur eine übertriebene Wunschvorstellung waren. Allein der Gedanke daran genügte nun jedoch schon, dass sein Penis halb hart wurde. Er stöhnte frustriert auf und bekam einen Hustenanfall. Vollständig genesen war er wohl doch noch nicht. Da er sich am Montag noch immer nicht wieder komplett auf der Höhe fühlte, ließ er sich mit Vikrams Standpauke im Hinterkopf noch zwei weitere Tage krankschreiben. Die Ruhe tat ihm gut, das Alleinsein mit seinen Gedanken jedoch nicht. Immer wieder tauchte Hansas Bild vor seinem inneren Auge auf - lachend, schimpfend, mit geröteten Wangen, in seinen Armen. Die Versuche, sich mit kurzen Spaziergängen, dem Schauen seiner Lieblingsfilme oder sogar mit Kreuzworträtseln abzulenken, scheiterten kläglich. Er war heilfroh, als er Mittwochmorgen wieder in der Agentur stand und seine Qual vermeintlich ein Ende hatte. Seine erste selbstgestellte Aufgabe war es, sein überfülltes E-Mail-Postfach durchzusehen, doch er konnte sich nur schwer konzentrieren. Unruhig schaute er immer wieder auf die Uhr. Hansa kam wie gewöhnlich erst einige Zeit nach ihm zur Arbeit. Als sie durch die Tür trat, wollte er aufstehen und zu ihr gehen, doch er besann sich eines Besseren und blieb sitzen. Auch wenn er darauf brannte mit ihr zu reden, hatte er nicht vor sich ihr übereifrig aufzudrängen. Eine halbe Stunde später lief er auf dem Weg zur Teeküche an ihrem Schreibtisch vorbei und wünschte ihr unverbindlich einen guten Morgen. Als sie die Begrüßung zwar freundlich aber durchaus reserviert und ohne aufzusehen erwiderte, blieb er entgegen seines Planes nicht stehen, sondern ging weiter. Er war sich nicht sicher, was für eine Reaktion er von ihr erwartet hatte, diese jedoch nicht. War sie sauer auf ihn? Simran und Ravi unterbrachen sein Grübeln, als sie sich an der Kaffeemaschine zu ihm gesellten. Erst erkundigten sie sich nach seinem Gesundheitszustand und informierten ihn anschließend voller Elan über alle Neuigkeiten und Vorfälle der letzten beiden Wochen. Über ihre Erzählungen vergaß Gautam die Zeit und als er nach über einer Stunde zurück zu seinem Schreibtisch ging, saß Hansa nicht mehr an ihrem Platz. Da er sie nach einem schweifenden Blick durch die Agentur auch nirgendwo anders entdecken konnte, entschied er sich, erst einmal mit Vikram eine Lagebesprechung zu halten. Dieser hatte auch gleich einige Aufträge und Anliegen parat, die er Gautam anvertraute. Seine To-do-Liste wuchs auf zwei Seiten an und allein diese nach Priorität zu ordnen, verschlang nach der Mittagspause schon über eine Stunde. Hansa bekam er an diesem Tag denn auch nicht mehr zu Gesicht. Sie musste früher gegangen sein als sonst, denn als er Feierabend machte, war ihr Computer bereits ausgeschaltet und ihre Tasche war verschwunden. Die folgenden beiden Tage verliefen nicht sehr viel anders. Gautam beantwortete E-Mails, telefonierte und delegierte einige Aufgaben an Kollegen weiter. Die Stunden flogen dahin und ehe er es sich versah, war es auch schon Freitagnachmittag. Hansas Rücken und die Tür, die hinter ihr zufiel, waren das letzte, was er von ihr sah, als er zufällig gerade von seinem Bildschirm aufschaute. Unschlüssig starrte er ihr hinterher und das ungute Gefühl im Magen, das er seit Mittwochmorgen mit sich herumtrug, wurde stärker. Kurz vor der Intermission von Satyam Shivam Sundaram konnte Gautam seine innere Unruhe nicht mehr ertragen. Er stoppte die DVD und schaute auf die Uhr. 20:48 Uhr. Es war Samstag. Was sollte er tun? Er starrte lange auf das eingefrorene Bild auf seinem Fernseher und fasste dann einen Entschluss. Eilig sprang er von der Couch und lief ins Schlafzimmer. Die Jogginghose, die er trug, wechselte er gegen eine Jeans, nahm sich aber keine Zeit dafür, sein weißes T-Shirt für ein frisches Hemd zu tauschen. Er schnappte sich seine Autoschlüssel und verließ zügigen Schrittes die Wohnung. Als er eine halbe Stunde später vor dem Wohnkomplex stand, starrte er nach oben und sah, dass Licht in der Wohnung brannte. Er sammelte sich kurz, wischte seine schweißigen Handflächen an der Hose ab und drückte auf den Klingelknopf. Es dauerte einige Augenblicke bis sich jemand meldete. „Kommt kurz hoch! Hansa trödelt noch“, meldete sich eine ausgelassen klingende, weibliche Stimme und der Summer ertönte. Etwas verunsichert stemmte er sich gegen die Tür und stieg zur fünften Etage hinauf, wo schon eine weit geöffnete Wohnungstür auf ihn wartete. Eine junge Frau schaute schwungvoll heraus. „Kommt noch ein paar Min-“ Sie unterbrach sich, als sie ihn sah. Er erkannte sie wieder. Das musste Hansas Mitbewohnerin sein. Wie war ihr Name gleich noch mal? Arti? Oder Anjali? „Du- Bist du nicht Gautam?“, wollte sie wissen und musterte ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Argwohn. Das Gefühl, gerade einen großen Fehler zu machen, überkam ihn, doch er kämpfte dagegen an. Er war extra durch die halbe Stadt gefahren und jetzt würde er das Ganze auch durchziehen. „Ja, ich- Ich wollte eigentlich zu Hansa ...“ Seine Gegenüber schien ein Grinsen unterdrücken zu müssen, bevor sie sagte: „Dann komm doch rein. Ich bin Aditi, Hansas Mitbewohnerin.“ Er schüttelte die Hand, die sie ihm entgegenstreckte. Irgendetwas sagte ihm, dass diese Aditi ganz genau wusste, worum es hier gerade ging. Er folgte ihr in die Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Da der kleine Eingangsbereich offen war und direkt in das Wohnzimmer überging, hatte Gautam freie Sicht auf das Sofa, das vor der gegenüberliegenden Fensterfront stand. Auf ihm saß ein junger Mann, der nur kurz von seinem Handy aufsah, um ihn mit einem flüchtigen Begrüßungsnicken zu bedenken. „Das ist unser zweiter Mitbewohner Surya“, hörte Gautam Aditi neben sich sagen. „Kleinen Moment, ich hole Hansa.“ Während sie kurz verschwand, nutzte er die Zeit, um sich die Schuhe auszuziehen. Gerade als er sich wieder aufgerichtet hatte, kam Aditi mit Hansa im Schlepptau zurück. Hansa war etwas stärker geschminkt als sonst, trug ein kurzes trägerloses Kleid in einem dunklen Beerenton und ihre Haare fielen ihr in großen Locken über die nackten Schultern. Sie sah sehr hübsch aus, doch aufgrund ihres ungläubigen Gesichtsausdrucks konnte er sich denken, dass Aditi ihr die Identität des Gastes vorenthalten hatte. Sie starrten sich an und eine peinliche Stille legte sich über sie bis Gautam begriff, dass er derjenige war, der etwas sagen sollte. „Ich komme wahrscheinlich ungelegen“, begann er etwas lahm. „Aber ich hatte gehofft, dass wir kurz reden können ...?“ Sie musterte ihn skeptisch, tauschte einen Blick mit Aditi aus, den er nicht deuten konnte, und sagte dann: „Ok, lass uns reden.“ Erleichterung durchflutete ihn. „Deva und Shruti sind sicher gleich hier. Surya und ich gehen mit den beiden schon mal vor, ok?“, schlug Aditi vor, was Hansa mit einem Nicken quittierte. Gautam fühlte sich wie ein Eindringling, der den dreien gerade die Abendplanung zunichtemachte, doch bevor er sich weiter in dem unwohlen Gefühl suhlen konnte, bedeutete Hansa ihm mit einer Kopfbewegung, dass er ihr folgen sollte. Er verabschiedete sich von Surya und Aditi – letztere gab sich mittlerweile keine Mühe mehr ihr wissendes Grinsen zu verstecken – und ging mit Hansa in ihr Zimmer. Sie ließ ihn eintreten und schloss dann die Tür, was Gautam einen Moment Zeit gab sich umzusehen. Der kleine Raum war erwartungsgemäß chaotisch. Das ungemachte Bett war im Zentrum und direkt vor dem großen Fenster platziert. An der linken Wand stand ein massiver Kleiderschrank mit einem Ganzkörperspiegel und einer Bananenpflanze gleich daneben. Ein mit diversen Büroartikeln und Make-up-Produkten überfüllter Schreibtisch sowie ein bequem aussehender großer Sessel mit rundem Beistelltischchen standen auf der rechten Seite des Zimmers. Noch bevor Gautam alle Eindrücke aufnehmen konnte, kam Hansa ohne Umschweife zur Sache. „Warum hast du mich geküsst?!“ Er drehte sich zu ihr um. Es hätte ihn nicht überraschen sollen, dass sie ihm diese Frage so unverblümt an den Kopf warf. „Also, ich- Ich war schon ziemlich angegriffen von der Erkältung und-“ Er schloss die Augen und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Was zur Hölle redete er da bloß?! Ein Blick in ihr ungläubiges Gesicht bestätigte ihm den Verdacht, dass er ihr gerade die dümmste Antwort überhaupt gegeben hatte. „Was willst du dann hier?“, wollte sie wissen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Findest du nicht, dass wir darüber reden sollten?“ „Das hättest du mich vor zwei Wochen fragen können.“ Ihr in seinen Augen ungerechtfertigt ablehnender Tonfall ärgerte ihn. „Ich war krank, wie du gesehen hast ... Und in den letzten Tagen war viel nachzuarbeiten. Außerdem hast du auch nicht gerade so gewirkt, als ob du großen Redebedarf hättest.“ „Wundert dich das etwa?!“ Sie nahm ihm übel, dass er sie so lange nicht angesprochen hatte – das verstand er vollkommen. Doch da war offensichtlich noch etwas anderes, das sie ihm nicht nur übel nahm, sondern das sie richtiggehend verärgerte. Er musterte ihre defensive Körperhaltung und meinte begriffen zu haben, worum es ging. „Es tut mir leid, dass ich eine Grenze überschritten habe“, gestand er niedergeschlagen ein. „Ich hätte dich nicht so überfallen dürfen. Du hattest offensichtlich keine Freude daran und-“ „Ob ich Freude daran hatte, hat doch damit überhaupt nichts zu tun“, erwiderte sie und ihre Wangen färbten sich leicht rosa. „Ich meine-“ Sie unterbrach sich und schien sich kurz sammeln zu müssen. „Die letzten Wochen haben Spaß gemacht und es war schön, dass wir uns endlich mal nicht ständig wegen jeder Kleinigkeit in den Haaren hatten. Ich habe sogar angefangen dich zu mögen, aber-“ „Ich dich auch!“, warf er hastig ein. „Hansa, ich mag dich doch auch. Wieso hätte dich sonst geküsst?“ Damit schien er sie zu seiner Verblüffung nur noch mehr vor den Kopf zu stoßen. „Wie- Wie kannst du mir das einfach so sagen?“ Er verstand die Welt nicht mehr. „Wieso sollte ich das nicht tun können?!“ „Fragst du mich das gerade wirklich?!“, rief sie aus und schaute ihn völlig entgeistert an. „Stell doch bitte einmal deiner Freundin diese Frage und sag mir, was sie dazu zu sagen hat.“ Gautam stutzte und zog die Augenbrauen zusammen. „Freundin?! Ich habe keine Freundin.“ Entnervt verdrehte Hansa die Augen. „Ach wirklich?! Und was ist mit Bhavna?“ „Bhavna? Mit ihr bin ich schon seit Wochen nicht mehr zusammen.“ „Das ist doch-“ Sie hielt inne. „Was?!“ Die beiden starrten sich an und langsam dämmerte es Gautam. „Bhavna und ich sind nicht mehr zusammen. Schon seit ein paar Wochen nicht mehr“, wiederholte er. „Weißt du noch der Sonntag, an dem ich dich hier besucht habe? Eine Woche zuvor haben wir uns getrennt.“ Kurz bevor sie zu Bhavnas Eltern hatten losfahren wollen, war ein Streit zwischen ihnen entbrannt, in dessen Verlauf Gautam einige Dinge klar geworden waren. „Und warum?“, hakte Hansa misstrauisch nach. „Es hat sich nicht mehr richtig angefühlt, denke ich.“ Er dachte kurz nach. „Ich war bei ihr nie ganz ich selbst. Das war weder ihr noch mir selbst gegenüber fair.“ Bhavna war eine tolle Frau, aber es hatte nie so wirklich zwischen ihnen gefunkt. Er war selbst erstaunt darüber, wie lange er gebraucht hatte, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Vor allem im Vergleich zu den Gefühlen, die er für Hansa entwickelt hatte, war das nun äußerst offensichtlich. Hansa musterte ihn aufmerksam. Er konnte sehen, dass ihr Hirn auf Hochtouren arbeitete. „Aber mit dir ist das anders“, ergänzte er ruhig und schauderte selbst darüber, wie kitschig seine Worte klangen – auch wenn er sie genauso meinte. „Du kennst meine gehässigsten Seiten und trotzdem ...“ Sie schauten sich einige Zeit wortlos in die Augen. „Du bist also Single?“, hakte Hansa schließlich nach. Er nickte. „Und wir beide mögen uns neuerdings ...?“ Mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen zuckte er ratlos mit den Schultern und nickte erneut. Ihre Blicke hafteten aneinander. Hansa kaute auf der Innenseite ihrer Unterlippe, während Gautam es noch nicht einmal wagte zu blinzeln, um nicht auch nur den geringsten Zweifel an seiner Aufrichtigkeit aufkommen zu lassen. Die Luft schien zu knistern und ein unsichtbarer Faden zwischen ihnen spannte sich, langsam und Stück für Stück, bis er endlich riss und Gautam sich nicht mehr zurückhalten konnte. Mit drei großen Schritten schloss er zu Hansa auf, legte eine Hand in ihren Nacken und die andere auf ihre Hüfte. Er suchte noch einmal ihren Blick, um sich zu vergewissern, dass er nicht die falschen Schlüsse gezogen hatte und drückte dann seine Lippen auf ihre. Ohne zu zögern schlang sie ihre Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuss innig. Sie drängte sich ihm so fest entgegen, dass er sich nach vorne lehnen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dabei stolperten sie ein Stück und Hansa prallte mit dem Rücken gegen die Zimmertür. Er wollte sich bei ihr entschuldigen, doch sie fasste ihn am Kragen und verhinderte, dass ihre Münder sich voneinander trennten. Von ihrem Enthusiasmus angespornt, wurde er forscher. Seine Hände fanden Hansas Pobacken und packten sie mit Gusto. Dabei drückte er ihren Unterkörper fester an seinen. Er war sich sicher, dass sie die Beule in seiner Hose spüren konnte. Hansa fuhr mit ihren Händen durch sein Haar und unterbrach den Kuss. „Wir beide sind solche Idioten. Das hier hätten wir schon so viel früher haben können“, raunte sie ihm ins Ohr und biss spielerisch in sein Ohrläppchen. Er lachte leise; es war schon fast lächerlich wie Recht sie hatte. Zärtlich küsste er die empfindliche Haut hinter ihrem Ohr, an der Seite ihres Halses und über ihrem Schlüsselbein. Ihr leises Seufzen und der feste Griff um seine Schultern veranlassten ihn dazu ihre Oberschenkel zu umfassen und Hansa hochzuheben. Sie gab einen überraschten Laut von sich, bevor sie ihre Beine um seine Hüfte schlang. Er machte ein paar Schritte rückwärts und ließ sich mit ihr auf seinem Schoß aufs Bett fallen. Seine Hände fanden sofort ihren Weg zurück zu ihrem Hintern, was Hansa zum Kichern brachte. „Wer hätte gedacht, dass du so ein Po-Liebhaber bist.“ „Ich nehme alles, was ich kriegen kann, solange es zu dir gehört“, gab er zurück und zog ihren Kopf zu sich heran, um sie erneut zu küssen. Während ihre Zunge über seine Unterlippe fuhr, drückte sie ihre Mitte gegen seinen schon fast schmerzhaft harten Penis. Obwohl mehrere Lagen Stoff sie voneinander trennten, konnte er spüren wie heiß sie war. Ein erregtes Knurren entwich ihm, als seine Hände ihre Seiten hinaufwanderten und sich um ihre Brüste legten. Sie fühlten sich voll und schwer an – genau wie er es sich vorgestellt hatte. Ungeduldig zog Gautam Hansas Kleid und BH herunter und legte seine Lippen um ihre Brustwarzen. Hansa stieß ein leises Seufzen aus. Sie vergrub ihre Hände in seinem Haar, drängte sich seinem Mund entgegen und rieb ihren Schritt gegen seinen. Während er an ihren Nippeln saugte und sie mit der Zunge umspielte, umfasste er Hansas Körper mit einem Arm an der Taille und ließ seine andere Hand langsam ihren Oberschenkel hinaufwandern. Er spielte etwas mit dem Saum ihres Kleides, bevor er mit seinen Fingern darunter schlüpfte und sich sacht vortastete bis er auf Stoff traf. Er hielt inne, als er merkte, wie Hansa sich an seinem Gürtel und seiner Hose zu schaffen machte. Sie schaute ihm in die Augen und schenkte ihm ein provozierendes Lächeln, während sie ihre Hand in seine Boxershorts schob. Als ihre Finger sich um seinen Penis schlossen, stöhnte er auf. Er platzte gleich vor Lust auf sie. Unwirsch küsste er sie und ließ seine Hand zwischen ihre Beine gleiten. Sein Penis zuckte als Gautam merkte wie klamm sich Hansas Slip bereits anfühlte. Er schob das Stückchen Stoff beiseite und versenkte seinen Mittelfinger sanft zwischen ihren Schamlippen. Mit kreisenden Bewegungen umspielte er ihren Kitzler und fand langsam seinen Weg zu ihrem Eingang. Bevor er ihn erreicht hatte, stoppte Hansa allerdings seine Hand und stand auf. Eilig entledigte sie sich ihrer Kleidung und warf sie unachtsam zur Seite. Der Anblick ihres nackten Körpers raubte Gautam für einen Moment den Atem, doch das Ziehen in seinen Lenden ließ ihn schnell wieder zu sich kommen. Er entkleidete sich ebenfalls und zog Hansa hastig wieder zu sich heran. Sie drückte ihn zurück aufs Bett, kniete sich über ihn und lehnte sich vor, um ihn zu küssen. Dabei schlüpfte ihre Hand zwischen ihre Körper und umfasste erneut seinen harten Schaft. Mit sanftem aber bestimmtem Druck rieb sie ihn, während ihre Mitte direkt darüber schwebte. Er hielt es kaum noch aus. Er wollte sie - und zwar sofort. „Kondom?“, brachte er mit heiserer Stimme hervor und musste sich zusammenreißen, nicht einfach mit seinem Becken nach oben zu stoßen. Hansa streckte sich über ihn, um an ihr Nachtschränkchen zu gelangen. Sie angelte sich ein Kondom aus der Schublade, riss die Verpackung auf und rollte es Gautam über. Als sie sich über ihm positionierte, zuckte sein Penis erwartungsvoll. Quälend langsam ließ Hansa sich auf ihm nieder und blieb still sitzen, nachdem sie ihn ganz in sich aufgenommen hatte. Sie schaute ihm in die Augen und streichelte sanft seine Brust. Wartend erwiderte Gautam ihren Blick. Sein gesamter Körper kribbelte vor Anspannung und Erwartung, sein Atem ging schwer. Während er mit aller Macht an sich halten musste, musterte sie in aller Seelenruhe sein Gesicht und zog mit ihren Fingerspitzen Kreise auf seiner Brust. „Hansa, bitte ...“ Der flehende Ton in seiner Stimme spiegelte nur allzu gut seinen Gefühlszustand wider. Zuerst versuchte Hansa es zu unterdrücken, doch dann stahl sich ein breites Grinsen auf ihr Gesicht, das ihm verriet, wie sehr sie es genoss ihn zu quälen. Gerade wollte er zu einer Beschwerde ansetzen, als sie endlich begann ihr Becken zu bewegen. Die Worte blieben ihm im Halse stecken und kamen als lautes Stöhnen heraus. Seine Finger gruben sich in ihre Hüften und er drückte ihr seine Mitte entgegen. Sowohl ihre kreisenden Bewegungen als auch ihre wippenden Brüste machten ihn beinahe wahnsinnig. Er richtete sich ruckartig auf, zog sie in eine Umarmung und küsste sie. Dann trennte er widerwillig ihre Körper und sorgte dafür, dass Hansa sich mit dem Bauch auf das Bett legte; ihre Bettdecke zog er heran und stopfte sie ihr unter den Unterleib. „Oh ja …!“, keuchte sie begierig und öffnete ihre Beine. Gautam beugte sich über sie und drang von hinten in sie hinein. Mit großer Zufriedenheit registrierte er ihr Stöhnen. „Was du kannst, kann ich schon lange“, wisperte er in ihr Ohr und begann, seine Hüften zu bewegen – erst langsam, dann immer schneller. Hansa drängte ihm ihr Hinterteil entgegen, griff hinter sich und befeuerte ihn, indem sie ihre Finger in seinen Nacken und seinen Oberschenkel grub. Er merkte, dass er nicht lange durchhalten würde, also schob er eine Hand unter Hansas Körper und fand erneut ihre feuchte Scham. Mit zwei Fingern massierte er ihren Kitzler und entlockte ihr damit ein noch lauteres Stöhnen, das allein ihn schon fast zum Kommen brachte. Um das zu verhindern, stoppte er abrupt seine Stöße und bewegte sich nur noch sehr bedacht und langsam. Er schloss die Augen. „Du fühlst dich so gut an ...“, raunte er leise und küsste ihre Schulter. Das Gefühl war tatsächlich unvergleichlich. Sie war alles, was er sich schon lange erhofft hatte. Dass er sich die letzten zwei Jahre mit seiner Verbohrtheit selbst im Weg gestanden hatte, war ein Lehrgeld, was den Genuss jetzt umso süßer machte. „Gautam ...“ Hansas Stimme war nur ein Seufzen, doch er verstand, was sie sagen wollte, denn ihm ging es nicht anders. Nach einem erneuten Kuss auf ihre Schulter erhöhte er die Geschwindigkeit seiner Stöße wieder und hörte nicht auf bis ihr Körper sich unter ihm versteifte und er spürte wie sich ihre Innenwände um ihn herum zusammenzogen. Ihre Freudenschreie stießen ihn schließlich ebenfalls über den Rand. Eine wohlige Dunkelheit umhüllte ihn für einige Sekunden, bevor er wieder zu sich kam und vorsichtig von Hansa herunterrollte. Vom Nachttisch schnappte er sich ein Taschentuch aus der dort stehenden Box, wickelte das abgezogene Kondom darin ein und warf das Knäuel in den Mülleimer neben dem Schreibtisch. Dann zog er die Decke über sich und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Kopfteil des Bettes. Als er seine Aufmerksamkeit wieder auf Hansa richtete, hatte sie sich auf die Seite gelegt, stützte ihren Kopf auf ihre Hand und schaute ihn mit einem wissenden Grinsen an. „Was war das denn bitteschön, Mister?“ Ihr Haar war durcheinander, ihr Make-up verschmiert und ihre Wangen glühten. Sie sah wunderschön aus. Räuspernd wendete er den Blick ab. Sie hatten gerade Sex gehabt und trotzdem fühlte er sich peinlich berührt?! Er konnte selbst nicht glauben, wie er sich gerade verhielt. Hansa lachte und setzte sich auf, bevor sie eine Hand an sein Kinn legte und seinen Kopf zu ihr herumdrehte. „Du bist echt ein super komischer Kerl“, konstatierte sie mit einem warmen Lächeln im Gesicht. Beim Aufsetzen war die Decke, die auch sie sich übergezogen hatte, heruntergerutscht, wodurch nun ihre Brüste nicht mehr bedeckt waren. Gautam konnte nicht verhindern, dass seine Augen für einen kurzen Moment abdrifteten. „Meinst du, du könntest es trotzdem mit mir aushalten?“, fragte er und hoffte, dass er nicht ganz so übertrieben hoffnungsvoll klang wie er sich fühlte. Hansas Lächeln wurde breiter, nicht zuletzt weil ihr sein ausgerutschter Blick natürlich nicht entgangen war. Sie tat, als ob sie einen Moment nachdenken musste. „Ich gebe uns eine Woche“, antwortete sie schließlich mit Schalk in ihren Augen. Dann beugte sie sich vor und gab ihm einen Kuss, der weitaus mehr versprach als nur eine Woche. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)