Que faire si? Oder: Was wäre, wenn ...? von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 65: Ein Stück Vergangenheit ----------------------------------- Genervt schaute Hikari auf ihr Handy. Das durfte doch nicht wahr sein. Es war gerade sechs Uhr am Morgen und sie war putzmunter. Sie kam ganz einfach nicht mit der Zeitverschiebung klar. Außerdem hatte sie Hunger immerhin ist es in Tokio dreizehn Uhr. Um diese Zeit machte sie immer ihre Mittagspause, wenn sie in der Redaktion war. Vorsichtig drehte sie sich zu Takeru um. Er schlief tief und fest. Sicher war er froh, dass ihn ab heute kein Wecker aus seinen Träumen reißen würde. Immerhin hatte sein Urlaub heute begonnen. Sie kuschelte sich noch dichter an ihren Freund. Vielleicht würde sie den Weg ins Traumland wiederfinden. Keine zehn Minuten später gab die junge Frau genervt auf. Zu allem Überfluss musste sie jetzt auch noch auf die Toilette. Hikari atmete tief durch, dann sollte es wohl so sein. Vorsichtig löste sie Takerus Arm von ihrem Bauch. Verträumt schaute sie auf seinen trainierten Unterarm. Wie oft hatten sie in diesen Armen gelegen, wie oft war sie in seinen Armen eingeschlafen und wieder aufgewacht und jedes Mal kam sie zum gleichen Ergebnis: Diese Arme waren perfekt für ihren Köper geschaffen. Hier gehörte sie hin. Hier war ihr Platz. Er war der Mann an ihrer Seite – für immer. Nichts auf der Welt konnte dies ändern, oder doch? 'Verdammt, da war noch etwas!' So schnell sie konnte flitzte sie zur Toilette. Erleichtert wusch sie sich ihre Hände, als sie von weitem hörte, wie sich eine Tür öffnete und sich Schritte des Badezimmers nährte. Erschrocken schaute Hikari an sich herunter. Dass sie nur ihre kurze roséfarbene Schlafshorts und ihr weißes Schlaftop mit Spagettiträgern trug hatte sie in der Eile völlig vergessen. Okay so peinlich wie damals die morgendliche Begegnung mit Jean würde es nicht werden. Hoffte sie jeden Falls. Das schlimmste was passieren konnte, war das Matéo ins Badezimmer wollte. Sie änderte ihre Meinung, es konnte doch noch schlimmer werden. Nichts wäre ihr unangenehmer, als wenn Takerus Stiefvater sie so bekleidet sehen würde. Jean konnte sie damals Schimpfwörter an den Kopf knallen, als sie bemerkt hatte, dass er ihr auf ihre fast nackte Brust starrte. Dies ging aber bei Matéo nicht. Sie schaute sich im Badezimmer um. Vielleicht hatte Takeru sein Oberhemd gestern hier liegen lassen, als er duschen war. Fehlanzeige! Sie seufzte, der Ordnungswahn ihres Freundes - sie korrigierte sich, der ganzen Familie - konnte manchmal nervig sein. Sie fand außer den Bademänteln von Natsuko und deren Mann nichts, womit sie ihre Blöße verstecken konnte. „Das kommt auf gar keinen Fall in Frage. Vielleicht das Badetuch? Nee, das sieht aus als würde ich aus der Dusche kommen.“ Diese Worte murmelte sie zu sich selbst. „Ach was solls.“ Selbstbewusst ging sie zur Tür und öffnete diese. Kurz schloss sie ihre Augen. ‘War ja klar, dass er es ist. Wieso müssen alle Männer nur in Boxershorts schlafen?‘ „Guten Morgen Matéo.“ Hikari versuchte ihre Stimme selbstbewusst klingen zu lassen. „Hallo Kari. Was machst du so früh schon auf den Beinen?“ Sie lächelte ihren Gesprächspartner an, als sie bemerkte, dass er nur in ihre Augen sah. „Früh ist relativ. In Tokio ist es dreizehn Uhr.“ „Das nennt man wohl einen Jetlag.“ Hikari nickte kurz. „Wieso bist du schon so früh wach?“ „Ich muss mich für die Arbeit fertig mach. Das Leben als Sportjournalist ist zurzeit anstrengend. Die Tour de France startet bald. Die Teamvorstellungen sind heute.“ „Das hört sich nach einem langen Tag an.“ „Das kann man so sagen.“ „Würdest du mich bitte durchlassen? Ich würde mich gerne umziehen.“ „Entschuldigung, dies ist auch nicht der geeignete Platz um ein Gespräch zu führen.“ Matéo lächelte sie an. Hikari erwiderte die Geste und ging wieder in Takerus Zimmer. Schnell nahm sie ihre schwarze Yoga-Hose von dem Schreibtischstuhl und schlüpfte in diese. Danach zog sich ihr hellblaues Sportshirt über. Dies war meistens ihr Outfit, wenn sie mit Ken trainierte, oder wenn sie Takeru neue Tanzschritte beibrachte. Kurz schaute sie zu ihrem Freund. Dieser schlief immer noch selig. Daher beschloss sie in die Küche zu gehen und das Frühstück vorbereiten. Sie hatte ihr Handy eingeschaltet und es lief leise Musik. Es war die Melodie von ihrem Finaltanz. Ein Cha-Cha-Cha. Hikari konnte gar nicht anders ihr Körper bewegte sich automatisch zur Musik und sie tanzte ihre Schritte von der Kür. Sie fing an den Tisch einzudecken. Später schob die Croissants in den Backofen. Bei manchen Figuren, musste die Küchenzeile als ‚Ken-Ersatz‘ herhalten, damit sie ihr Gleichgewicht halten konnte. Oder sie ersetzte die Partnerschrittfolge mit dem Grundschritt. Die Kaffeemaschine war eingeschaltet und die Milch für ihren Kakao stand auf dem Herd. Sie wollte den Kakao aus dem Schrank holen. Dazu musste sich die junge Frau umdrehen. Ein lauter Schrei verließ ihre Lippen und der Kakao schloss Bekanntschaft mit dem Boden. Gleichzeitig hob sie ihre Arme und presste ihre Hände auf ihr wild schlagendes Herz. Sie zwang sich tief ein und aus zu atmen. Der Schrei seiner Freundin hatte Takeru aus seinem Dämmerschlaf gerissen. Er hatte im Unterbewusstsein gespürt, dass sie nicht mehr bei ihm im Bett lag. Irgendwie wurde es verdammt kalt in seinem Bett. Er konnte seine Gedanken nicht ordnen, da er einen lauten Schrei vernahm. Diese Stimme erkannte er sofort. Daher sprintete er aus seinem Zimmer und hörte die Stimmen von seinem Stiefvater und seiner Freundin. „Wie lange stehst du schon da?“ Hikari zwang sich ihre Stimme normal klingen zu lassen. Matéo lächelte sie an, „Seit einer Minute.“ Er ging in die Küche und hob die Kakaoverpackung wieder auf. Hikari schoss die Röte ins Gesicht. „Du hast zugesehen, wie ich tanzend den Frühstückstisch gedeckt habe?“ „Ich wollte dich nicht stören. Es tut mir leid, wenn dir das unangenehm war. Du tanzt aber verdammt gut.“ „Danke dir.“ „Sie ist nicht umsonst bei dem Lateinturnier der Amateure angemeldet“, wandte sich Takeru an seinen Stiefvater. Er ging auf seine Freundin zu und nahm sie in seine Arme. Die Sorge um sie stand ihm ins Gesicht geschrieben „Geht es dir gut?“ Sie nickte. Erleichtert atmete Takeru aus. „Es gibt schönere Alternativen geweckt zu werden, Sonnenschein.“ Er küsste sie sanft auf den Mund. „Was machst du jetzt schon auf den Beinen?“ „Es tut mir leid mon coeur. Ich konnte einfach nicht mehr schlafen. Daher wollte ich das Frühstück vorbereiten. Du weißt, wenn ich alleine bin läuft immer Musik im Hintergrund.“ Ihr Freund musste lachen. „Du bist durch die Küche getanzt und hast wie immer nicht mitbekommen, wenn dich jemand beobachtet?“ „Richtig“, kam es verlegen von ihr. Sie wollte ihm jetzt nicht sagen, dass sie es jedes Mal merkte, wenn er ihr beim Tanzen zu sah. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihn einen Kuss. Takeru wandte sich seinem Stiefvater zu, „Guten Morgen Matéo.“ „Guten Morgen Takeru. Das hattest du erzählt. Es mit eigenen Augen zu sehen ist etwas anderes.“ Der Jüngere nickte dem Älteren zu. Er wusste wie schnell man in Hikaris Bann gezogen wurde, wenn sie tanzte. Er bewunderte jedes Mal ihre Ausstrahlung, ihr Selbstvertrauen, ihre Eleganz und die Leichtigkeit mit der sie tanzte. „Ich weiß was du meinst. Ich gehe Duschen. Hika, wenn du es möchtest können wir nach dem Frühstück nach Giverny fahren. Je früher wir da sind, desto weniger Leute sind dort.“ Takeru musste lachen, als er den freudigen Aufschrei seiner Freundin hörte. „Möchtest du einen Kaffee, Mateo?“ Hikari hatte die Kaffeekanne in der Hand und wollte sie auf den Tisch stellen. „Gerne.“ Sie goss die schwarze Flüssigkeit in eine Tasse und reichte diese Matéo. Dieser stand an der Kücheninsel und sah sich das Fotobuch aus dem Shiba Park an. Er blieb an einem Foto der Geschwister hängen. Louisa saß zwischen ihren Brüdern. Yamato hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt, während Takerus Hand auf ihrem Knie ruhte. „Eigentlich muss ich Chloé dankbar sein“, kam es gedankenverloren von Matéo. „Warum das denn?“ Hikari sah ihn verständnislos an. Er nahm ihr die Tasse aus der Hand und machte sich Milch und Zucker in den Kaffee. „Ich habe Takeru und Louisa schon lange nicht mehr so glücklich gesehen, wie jetzt. Takeru ist nach der Trennung von ihr ein anderer Mann geworden. Louisa hat das damals verunsichert, dass ihr Bruder von heute auf morgen ein anderer Mensch war. Als feststand, dass Takeru nach Tokio zieht hat sich Louisa von allen zurückgezogen. Sie hat sich praktisch in ihrem Zimmer verschanzt und viel über die Geschichte Japans gelesen. Außerdem hat sie ihre Fremdsprachenkenntnisse ausgebaut. Erst als ihre Mutter und ich ihr erlaubten Takeru in Japan zu besuchen kam sie wieder aus ihrem Zimmer heraus.“ Nachdenklich machte er eine Pause. „Hätte Chloé Takeru seiner Zeit nicht hintergangen, wer weiß, ob er nach Tokio gezogen wäre. Mir kam es damals so vor, als ob er nach Japan geflüchtet war um seinen Schmerz zu entkommen. Du hast ihn praktisch unbewusst dazu gezwungen, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Das er jetzt so glücklich ist hat er dir zu verdanken. Louisa hat eine schwere Zeit hinter sich. Sie war in einen Autounfall verwickelt und hat dabei eine ihrer Freundinnen verloren. Durch deine Begegnung mit ihr hast du ihr die Zuversicht geschenkt, die sie brauchte um dieses Ereignis zu verarbeiten. Louisa hat oft von eurer Begegnung gesprochen.“ Es entstand wieder eine Pause. Matéo sah sich ein Bild von Yamato an. Hikari betrachtete den Mann vor sich. Er war ein großgewachsener braunhaariger Mann. Seine graugrünen Augen blickten immer tiefgründig und aufmerksam. Seine Augenform erinnerte sie an Louisas und auch von den Bewegungsabläufen konnte sie gewisse Ähnlichkeiten erkennen. Nur dass diese bei Louisa feminier waren. Dabei trank sie einen Schluck von ihrer heißen Schokolade, die sie sich fertig gemacht hatte, als Matéo das Gespräch angefangen hatte. „Ich weiß von Natsuko, dass die erste Zeit in Paris für Takeru nicht einfach war. Die erste Zeit dachte er, dass die Beiden hier Urlaub machen, als er bemerkte, dass dies nicht der Fall war brach eine Welt für ihn zusammen. Er hat seinen großen Bruder und seinen Vater vermisst und kam sich entwurzelt vor. Von jetzt auf gleich musste er sich mit einer anderen Sprache, die er zwar sprechen konnte, aber nicht so schnell wie ein Einheimischer, und einer anderen Kultur auseinandersetzen. Dann trat ich, als der neue Freund im Leben seiner Mutter, in sein Leben. Anfangs war es eine schwere Zeit, Takeru hat sich nichts von mir sagen lassen. Bis seine Schwester geboren wurde, es hatte zwar gedauert, dass er sich daran gewöhnt hatte, dass er auf einmal ein großer Bruder war. Trotzdem hat er Louisa vom ersten Tag an geliebt. Das hat man in seinen Augen gesehen. Er hat immer gesagt, dass es nur einen großen Bruder gibt und der heißt Yamato. Durch diese Einstellung hat er in Louisa den Wunsch geweckt ihren anderen Bruder kennenzulernen. Ihr reichte es nicht Yamato nur zu sehen, wenn er Urlaub hier machte. Die drei jetzt so glücklich auf diesem Foto zusehen, lässt mich die schweren Zeiten vergessen und dass habe ich auch dir zu verdanken.“ Hikari hatte die ganze Zeit aufmerksam zu gehört. Sie musste lächeln, als sie hörte, das Takeru ein kleiner Trotzkopf gewesen war. Auch passte diese Erzählung zu dem Verhalten der Geschwister untereinander. Yamato, Takeru und Louisa waren in Tokio zu einer Einheit geworden. Die drei würden immer für einander einstehen. Genauso wie Taichi und sie. „Die Bilder sind einmalig. Du hast ein gutes Auge, für die Details.“ „Danke schön, aber wie du weißt, bin ich Fotografin.“ Sie trank den letzten Schluck ihrer Schokolade. „Das weiß ich und so wie ich gehört und es auch an diesen Fotos gesehen habe, bist du eine sehr gute Fotografin.“ So nach und nach kam Leben in die Wohnung der Takaishis/Boulanger. Schließlich saßen alle am Frühstückstisch und unterhielten sich. Hikari trank grade einen Schluck ihrer zweiten heißen Schokolade, als ihr übel wurde. Besorgt sah Takeru sie an, schließlich kam ihm ihrer Erklärung – dass sie wohl zu viel Schokolade zu sich genommen hatte - einleuchtend vor. Noch nie hatte er sie so viel von dieser Nascherei essen und trinken sehen. Diesen Umstand schob er auf den ganzen Stress, den sie in der letzten Zeit ausgesetzt war. Mittlerweile war es elf Uhr, als Hikari und Takeru in Giverny angekommen waren. Schon jetzt kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)