Que faire si? Oder: Was wäre, wenn ...? von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Das Vorstellungsgespräch ----------------------------------- Frankreich, Paris 2014 Nervös lief Takeru in seinem Zimmer auf und ab. Er knöpfte sein Hemd zu, wozu der Blonde bedeutend länger brauchte, als sonst. Leise fluchte er vor sich her, als er sich an seiner Krawatte zu schaffen machte. „Bekommst du Kilometergeld?“, lachte Jean auf. „Du hast leicht reden. Es geht um meine Zukunft.“ Er zupfte an seiner Krawatte herum. „Dummes Ding. Der Knoten sieht aus, als wäre ein Huhn darüber gelaufen. Matt würde mich auslachen. Ich kann diese Halswürger immer noch nicht binden. So kann ich doch nicht zum Vorstellungstermin.“ „Takeru, setzte dich erst einmal hin, atme tief durch und schalte einen Gang runter. Du bist einer der Besten in deinem Jahrgang. Mit deiner Bachelorarbeit hast du alles was bisher da gewesen war, in den Schatten gestellt.“ Der Blonde ließ von seiner Krawatte ab und setzte sich auf sein Bett. Er blickte seinen Freund mit einem schelmischen Grinsen an. Der Braunhaarige hatte sich der Krawatte seines Freundes zugewandt. „Jean, als ich die Themen gesehen habe, war mir klar, dass ich mich für den asiatischen Bereich entscheide. Ich wäre dämlich gewesen, wenn ich meine japanischen Wurzeln nicht ausgenutzt hätte. Schließlich wohnt meine halbe Familie in Tokio und ich habe lange dort gewohnt.“ „Du hast lange in Tokio gewohnt? Takeru, du bist vierundzwanzig Jahre alt. Seit deinem achten Lebensjahr wohnst du mit deiner Mutter in Paris“, amüsierte sich Jean. „Du musst mir nicht mein Leben erklären. Dieses kenne ich selber am besten“, lachte der Blonde. „Ich hatte verschiedene Sichtweisen, wie die Japaner ihr Land sehen, in meiner Arbeit. Einmal die Sichtweises eines Kindes - also meine Sicht. Die Sicht eines Teenagers und jungen Erwachsenen – die Sicht meines Bruders. Schließlich die Sicht eines Erwachsenen – die meines Vaters. Zum Schluss hatte ich ein Gesamtblick -“ „Ich habe deine Arbeit auch gelesen. Ich sage es gerne noch einmal, diese war der Hammer. So fertig.“ Jean schob die gebundene Krawatte ein wenig höher. „Jetzt sitzt sie perfekt.“ „Danke dir. Ich bin immer noch nervös. Das ist eine super Chance für mich, für diesen Verlag zu arbeiten.“ „Wird schon schief gehen.“ „Hoffe ich doch.“ „Wie geht es Chloé? Ich habe schon lange nichts von ihr gehört.“ „Ihre Nerven liegen blank. Sie hat immer noch keine Nachricht, ob sie die Praktikantenstelle im Saint Joseph Krankenhaus bekommen hat.“ Jean lachte auf: „Meine Schwester und warten? Das passt nicht zusammen.“ Ernst sah er seinen besten Freund in die Augen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ihr nach deinem Studium immer noch ein Paar seid.“ „Ehrlich gesagt: Ich auch nicht. Wir haben momentan keine leichte Zeit.“ Traurig blickte Takeru zu seinem Nachttisch. Dort stand ein Foto von Chloé. Sie saß auf dem Rand des Apollo Brunnens, ihren Kopf hatte sie leicht geneigt und sie blickte gedankenverloren über eine große Wiese in Richtung Versailles. Ihre Haare hatte sie offen gelassen und diese lagen in leichten Wellen über ihre Schulter. „Bist du immer noch sauer, weil sie mit Alain eine Lerngemeinschaft gebildet hat?“, seufzte Jean auf. „Klar, bin ich sauer“, kam es aufgebracht über die Lippen des Blonden. „Takeru, das ist drei Monate her. Meinst du nicht, dass du ihr langsam vergeben solltest?“ „Der Vogel hat ein Auge auf Chloé geworfen und sie bekommt es nicht mit. Deswegen fällt es mir schwer, ihr zu vergeben. Chloé ist zu leichtgläubig.“ „Chloé und leichtgläubig? Das glaubst du doch selber nicht, Takeru.“ Mit diesen Worten versuchte Jean seine Schwester in Schutz zu nehmen. „In der Hinsicht ist sie naiv. Sie verschließt die Augen vor der Realität“, grummelte Takeru vor sich her. „Wenn wir schon bei ihren Augen sind: Chloé hat halt nur Augen für dich. Ich an deiner Stelle würde das als Kompliment auffassen, dass sie seine Avancen nicht wahrnimmt“, erwiderte sein Freund. „Vielleicht hast du Recht“, seufzte Takeru auf. „Es ist ein blödes Gefühl, zu wissen, dass jemand meiner Freundin schöne Augen macht und ich sie selten sehe.“ „Du bist eifersüchtig“, stellte Jean fest. „Das wärst du an meiner Stelle auch“, fauchte Takeru seinen Freund an. „Sie liebt dich. Warum sollte sie eure Beziehung aufs Spiel setzen?“ „Glaube mir, das habe ich mich auch gefragt“, seufzte der Blonde auf. „Warum suchst du dir nicht einen Job in Marseille?“ „Jean, als ob es so einfach ist, in meiner Branche eine gute Stelle zu finden“, rief Takeru aufgebracht und stand vom Bett auf. „Denkst du, das habe ich nicht versucht? Ich habe gestern eine Absage bekommen“, fuhr er nachdenklich fort. „Trotzdem möchte ich die neun Jahre mit Chloé nicht einfach so wegwerfen.“ Takeru sah auf seine Uhr. „Jean, ich möchte dich nicht rauswerfen, aber ich muss los.“ Takeru ging auf seine Zimmertür zu. „Ich habe dich verstanden.“ Jean erhob sich ebenfalls und gemeinsam gingen sie zur Wohnungstür. Als die beiden Männer an der Metrohaltestelle angekommen waren, wünschte der Braunhaarige seinem Freund viel Glück bei dem Gespräch. Takeru bedankte sich höflich und machte sich auf den Weg zu seinen Vorstellungstermin. --- Sichtlich aufgeregt betrat Takeru das Verlagsgebäude. Er informierte sich, in welcher Etage Herr Fontaine, bei dem er sein Vorstellungstermin hatte, saß. Er bedankte sich bei der freundlichen Rezeptionistin für die Information und ging zum Fahrstuhl. Der Blonde holte noch einmal tief Luft, als er das gesuchte Büro gefunden hatte und klopfte an. Takeru saß vor einen älteren Mann mit Brille. Dieser blickte ihn neugierig mit seinen grauen Augen an. Das Gespräch verlief in einer angenehmen Atmosphäre und so entspannte sich der Blonde immer weiter. „Eine Frage habe ich noch an sie, Herr Takaishi“, erklang die geschäftliche Stimme von Herrn Fontaine. Neugierig sah der Blonde seinen Gesprächspartner an. Bevor er etwas sagen konnte sprach der ältere Herr weiter: „Wie ich ihrem Lebenslauf entnehmen kann, haben Sie als Kind in Tokio gelebt. Sprechen Sie fließend Japanisch?“ Verwundert blickte Takeru den Älteren an. „Ja, mein Vater und mein Bruder leben in Tokio. Daher bin ich mit dieser Sprache sehr vertraut.“ „Das ist gut. Können sie auch die japanischen Schriftzeichen lesen und schreiben?“, fragte er weiter nach. Diese Frage konnte Takeru auch positiv beantworten. Dem Blonden kam dies zwar komisch vor. Was hatten bitte seine Japanisch Kenntnisse mit dem Job bei einer französischen Zeitung zu tun? „Sehr schön“, kam es erfreut von Herr Fontaine. Als der Ältere die fragenden Augen des Jüngeren sah setzte er zu einer Erklärung an: „Unser Verlag arbeitet seit einem Jahr mit der Ishida Group in Tokio zusammen. Wir wollen unsere geschäftlichen Interessen vertiefen.“ Takeru sah den Mann vor sich sprachlos an. Ishida? Der Name kam ihm sehr bekannt vor. Er holte tief Luft. „Ist das ein Witz?“ Kaum hatten seine Worte seine Lippen verlassen, biss er sich auf diese. Verdammt! Das wollte er doch gar nicht sagen. „Herr Takaishi, ich mache keine Scherze, wenn es um die Arbeit geht.“ „Entschuldigen Sie bitte, Herr Fontaine. Ich war nur über den Namen Ishida erstaunt. Sprechen Sie von Ishida Hiroaki?“ „Sie sind ja bestens informiert. Ja, der eine Inhaber dieser Group heißt so. Kennen Sie diesen Mann?“ Takeru lachte ironisch auf. „Kennen ist gut. Er ist ein knallharter Geschäftsmann, wenn er eine Entscheidung getroffen hat, weicht er selten davon ab.“ „Wie ich sehe, kennen sie sich nicht nur in den französischen Medien aus. Sie haben Herrn Ishida bestens beschrieben. Man könnte denken, dass Sie ihn persönlich kennen.“ Takeru runzelte seine Stirn. „Hat Herr Ishida ein Mitspracherecht, wer diese Stelle bekommt?“ „Ja, das hat er. Schließlich muss er die meiste Zeit mit dieser Person zusammen arbeiten. Für unser geschäftliches Interesse wäre es von Vorteil, wenn unser Mitarbeit der japanischen Sprache und den Schriftzeichen vertraut wäre. Alles Weitere würde ich Ihnen erklären, wenn Herr Ishida sich entschieden hätte.“ Na Klasse, wenn Hiroaki meinen Namen liest, kann er eins und eins zusammenzählen. Nachdenklich lehnte der jüngere Mann sich gegen die Stuhllehen. Wollte Takeru sich das wirklich antun? Er seufzte auf und setzte sich wieder aufrecht auf den Stuhl. „Ich sollte mit offenen Karten spielen, Herr Fontaine. Mit dieser Information, die ich Ihnen jetzt geben werde möchte ich mir keinen Vorteil verschaffen. Zumal ich mich auf eine ganz andere Stelle beworben habe.“ „Herr Takaishi, Sie machen es spannend.“ Takeru holte tief Luft bevor er sprach: „Ishida Hiroaki ist mein Vater. Ich habe ihn nicht in meinen Lebenslauf erwähnt, da sein Wohnort in Japan ist.“ Jetzt war es an der Zeit, dass Herr Fontaine einen erstaunten Blick auf den jungen Mann vor sich warf. „Danke für Ihre Ehrlichkeit. Ich werde Sie morgen Nachmittag über den weiteren Verlauf informieren.“ Er erhob sich, sichtlich verwirrt, von seinem Stuhl und reichte dem Jüngeren seine Hand. „Danke für das freundliche Gespräch, Herr Fontaine.“ Takeru reichte den älteren Herren die Hand und verabschiedete sich. --- Sichtlich geschockt verließ Takeru das Verlagsgebäude. Langsam ging er auf die Metrostation zu. Er entschied sich im letzten Moment gegen die stickige und immer überfüllte Metro, und ging gedankenverloren durch die Pariser Straßen. Ihm gingen tausend Dinge durch den Kopf. Warum musste ausgerechnet sein Vater das letzte Wort bei seinem beruflichen Werdegang haben? Der Mann, der seine Mutter verlassen und ihn von seinem Bruder getrennt hatte? Der Mann, den er nur sah, wenn er Urlaub in Tokio machte. Der Mann, deren Stimme er nur einmal im Monat bei ihrem gemeinsamen Telefonat hörte? ‚Was wäre, wenn ich diese Stelle bekommen sollte? Was wäre, wenn ich mit meinem Vater zusammen arbeiten müsste? Das ist doch alles Mist. So langsam denke ich, dass mir mein Glück nicht gegönnt wird. Erst muss ich Chloé nach Marseille gehen lassen. Dann macht ein Lackaffe ihr schöne Augen. Jetzt das: Da bewirbt man sich bei einem französischen Verlag und die labbern was von Japan. Mach dich nicht verrückt Takeru, warte erst einmal ab.‘ Er blickte sich um. Erstaunt stellte er fest, dass er sich an der Treppe befand, die zum Trocadéro Platz führte. Eigentlich musste er in die entgegengesetzte Richtung nach Hause, aber irgendwie hatte es ihn unbewusst an den Platz verschlagen an den sich Chloé und er das erste Mal geküsst hatten. Ein Lächeln machte sich in seinem Gesicht breit, als er an diese Erinnerung dachte. Langsam ging er die Stufen empor und beobachtete fasziniert, wie der Eiffelturm immer größer wurde und die Grünfläche des Marsfeldes immer mehr an Größe gewann. Die Symmetrie, die Paris ausmachte, war hier gut erkennbar. Takeru folgte dieser Symmetrie bis sein Blick an der Militärakademie hängen blieb. Er schloss die Augen, während er ein paar Mal tief ein und aus atmete. Er hoffte, dass er mit der Atemübung zur Ruhe kommen würde. Dies war nicht der Fall. Takeru seufzte laut auf und machte sich auf den Heimweg. --- Takeru schloss die Wohnungstür Gedanken versunken auf. Er war zwar schon fast Mitte Zwanzig. In Anbetracht der Tatsache, dass Wohnungen in Paris schwer zu finden, geschweige denn bezahlbar waren, zog er es vor noch bei seiner Mutter zu wohnen. Weder Takeru noch seine Mutter hatten ein Problem damit. Natsuko war froh, dass ihr wenigstens ein Sohn geblieben war. Sie war dankbar, ein inniges Verhältnis zu ihrem Jüngsten zu haben. „Hallo mein Schatz. Wie war dein Vorstellungsgespräch?“, begrüßte sie ihren Sohn. Natsuko bekam keine Antwort. „Hallo? Ist jemand zu Hause?“ Die blonde Frau wedelte mit ihren Händen vor dem Gesicht ihres Sohnes. Wieder folgte keine Reaktion. „Takeru Takaishi!“, rief sie aufgebracht. Der Angesprochene zuckte zusammen. „Maman, musst du mich so erschrecken?“ „Takeru, du stehst seit geschlagenen fünf Minuten im Flur. Du hast es noch nicht einmal geschafft, die Tür zu schließen. Ich habe dich schon paarmal angesprochen, aber nichts ist geschehen. Was ist passiert?“, fragte sie besorgt nach. „Was passiert ist? Der größte Witz aller Zeiten ist passiert“, rief er aufgebracht. Leiser sprach er seufzend weiter: „Du wirst es mir nicht glauben, wenn ich es dir erzähle.“ „Ich habe Abendbrot gemacht. Lass uns beim Essen darüber reden“, schlug seine Mutter vor. Ihr Sohn nickte. „Jetzt kann ich verstehen, warum du so durch den Wind bist.“ Nachdenklich schaute sie ihren Sohn an. „Was hat die Ishida Group mit dem Pariser Verlag zu tun?“, fragte Natsuko erstaunt nach. „Keine Ahnung. Herr Fontaine hat gesagt, dass der Verlag seit einem Jahr mit dieser Group zusammen arbeitet. Sie wollen ihre geschäftlichen Interessen vertiefen und suchen jetzt jemanden, der als Verbindungsmann arbeitet.“ Natsuko legte eine Hand auf die seine und sah in die Augen ihres Sohnes. „Takeru, egal was du machst, überlege es dir ganz genau. Eine Entscheidung, egal wie klein sie sein mag, hat immer Konsequenzen.“ Takeru stand auf und stellte das Geschirr in den Geschirrspüler. Danach wandte er sich seiner Mutter wieder zu. „Das ist mir bewusst. Ich werde abwarten was morgen passiert. Sei mir bitte nicht böse, aber ich brauche Zeit zum Nachdenken.“ Mit diesen Worten schloss er den Geschirrspüler und schaltete das Gerät ein. Takeru ging auf seine Mutter zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht, Maman.“ „Gute Nacht, Schatz.“ Natsuko seufzte auf und blickte ihren Sohn nachdenklich hinterher, als dieser in seinem Zimmer verschwand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)