Messages From My Heart von Lina_Kudo (Botschaften meines Herzens) ================================================================================ Prolog: Self-Destruction ------------------------ PROLOG SELF DESTRUCTION »Mir bleibt keine andere Wahl, als dich zu verlassen.« Der Abend, vor dem ich mich schon seit Wochen insgeheim gefürchtet hatte, während Taiki und Yaten es kaum erwarten konnten, war nun gekommen: Der Abend unserer Abreise. Wir würden innerhalb der nächsten zwanzig, wenn nicht sogar zehn, Minuten die Erde verlassen. Also in ziemlich absehbarer Zeit. Mein Herz tobte allein bei der Vorstellung, die Erde und sie hinter mir zu lassen. Wir hatten so viel zusammen erlebt – bestimmt mindestens dreimal so viel wie normale Menschen. Es konnte schließlich nicht jeder behaupten, in seinem ganzen Leben schon so viele Kämpfe gegen gemeingefährliche Feinde bestritten zu haben. Dennoch war es eine wunderbare Zeit, die uns sehr eng zusammengeschweißt hatte. Und kaum als ich es mich versehen konnte, hatte ich mich Hals über Kopf in sie verliebt. Das erste Mal in meinem Leben. Wie konnte ich das nur selber erst so spät merken? War ich wirklich so blind gewesen? Und das, obwohl ich felsenfest behaupten konnte, dass ich von meiner »Clique« der Emotionalste und Taktvollste war? Mein Blick war an ihre Augen geheftet. Sie stand vor mir und gleichzeitig direkt an der Seite ihres geliebten Mamorus. So glücklich hatte ich sie noch nie gesehen. Und ich musste mir eingestehen, dass es mir einen tiefen Stich versetzte, sie so zu sehen. Nicht, weil sie so glücklich aussah, sondern vielmehr, weil er der Grund dafür war und nicht ich. So egoistisch das auch klingen mochte: Mich störte dieses Bild. Um nicht zu sagen: Ich konnte diesen Anblick kaum ertragen. Ich kramte all meinen Mut zusammen und entschied mich dazu, ihr noch etwas mitzuteilen. Sonst würde ich es wohl für immer bereuen, ihr das nicht mitgegeben zu haben, als ich noch die einmalige Chance dazu gehabt hatte. So oder so hielt meine Zukunft nicht gerade rosige Aussichten für mich bereit. Ich konnte sie eigentlich nur besser gestalten, denn schlimmer konnte sie kaum noch werden. »Schätzchen … Ich werde dich ganz bestimmt niemals vergessen.« Ich meinte es genau so, wie ich es sagte. Ich würde sie nicht vergessen können. Niemals. Ich würde sie immer lieben. »Aber sicher doch: Schließlich sind wir doch jetzt Freunde für immer!« Okay, ich war selbst schuld, weil ich es verschrien hatte: Es ging immer schlimmer. Wäre diese Situation nicht so prekär gewesen, hätte ich sogar ein Lachen dafür übriggehabt. Ihre reine, naive Art war einfach zu köstlich. Hätte sich mein Herz bei ihrem Satz nicht so schmerzhaft zusammengekrampft … hätte ich es als lustig empfunden. Daher konnte ich keinesfalls in das amüsierte Gelächter meiner mehr oder weniger treuen Kameraden einsteigen. »Sie hat dich voll verstanden!« Bitte … Genervt schlug ich meine Hand auf den Kopf. »Hört auf zu lachen!«, nörgelte ich seufzend. Doch so richtig übel nehmen könnte ich es ihnen nicht. Denn wie gesagt: Ich hätte es ja auch witzig gefunden, wenn nicht ausgerechnet ich in der misslichen Situation gewesen wäre, was ja aber leider der Fall war. An ihrer Stelle hätte ich natürlich auch herzhaft gelacht auf Kosten des Opfers. Daher war das irgendwie tatsächlich eine der seltenen Momente, wo ich mir wünschte, eine andere Person zu sein. Nicht einmal die anspielenden Neckereien der Freundinnen, die Usagi galten, konnten mich richtig aufheitern. Dabei war ich eine Person, die normalerweise über jeden Scheiß lachen konnte. Doch es gab einen Gedanken, der meine Stimmung auf den Nullpunkt sinken ließ: Mit jeder Sekunde, die verstrich, rückte unser Abschied näher. Wie gerne würde ich sie noch einmal unter vier Augen sprechen und sie vielleicht sogar fest in meine Arme schließen, wenn sie es denn zuließ. Doch gleichzeitig fürchtete ich mich auch davor, weil mir klar war, dass ich sie dann nie mehr loslassen könnte. Das war auch der Grund, warum ich sie auch am Abend kurz vor unserem Abschiedskonzert nicht umarmt hatte, obwohl sich die Gelegenheit ergeben hätte. Doch ich hätte dann wirklich für gar nichts mehr garantieren können. Früher, als mir lieb war, sprach die Prinzessin die unvermeidlichen Worte aus, die meinen persönlichen Untergang einleiteten: »Kommt jetzt; es ist Zeit zu gehen.« Abermals zogen sich meine Eingeweide zusammen. Mein Herz fühlte sich so schwer wie eine ganze Tonne an, als ich mich langsam umwandte und mit mulmigem Gefühl der Prinzessin und meinen beiden Freunden folgte. Meine Beine fühlten sich ebenfalls wie Blei an, als ich einen Schritt nach dem anderen machte. Doch kurz darauf gab ich den Kampf auf und blieb stehen. Ich hatte gar keine andere Wahl, denn es war, als ob sich meine Beine selbstständig gemacht hätten und nun ihren Dienst verweigerten. Eine letzte Sache wollte ich doch noch loswerden. Nur eine einzige Sache. Ich konnte sie nicht so einfach zwischen uns stehen lassen. Ich würde niemals meinen inneren Frieden finden, wenn ich nicht aussprechen würde, was mir am Herzen lag. Mit fast schon finsterem Blick drehte ich mich um und sah direkt in die Augen meines ärgsten Konkurrenten. »Mamoru?« Ich hätte nicht gedacht, was für eine Überwindung es mich kosten würde, ihn zum ersten Mal persönlich anzusprechen. Ja, allein schon seinen Namen auszusprechen. Viel zu oft hatte ich ihn leidvoll aus den Lippen meines Schätzchens hören müssen und hatte nicht verhindern können, dass mit jedem weiteren Mal der Groll in meinem Herzen weiter zunahm. Ausnahmsweise kannte ich die Ursache dafür genau: Meine Liebe zu ihr hatte nämlich gleichzeitig auch zugenommen – und damit leider auch die teuflische Eifersucht, die mich insgeheim immer weiter zerfressen hatte. Ebenfalls ein Gefühl, was ich bis dato nicht gekannt hatte. Ich hoffte nur inständig, dass in diesem Moment niemand mein Gefühlschaos bemerkte. Um von außen hin so ruhig und gelassen wie möglich zu wirken, kratzte ich all meine Selbstbeherrschung zusammen, die ich noch besaß. Mamoru schien überrascht darüber zu sein, dass ich ihn ansprach. Das wunderte mich nicht – ich war ja selbst erstaunt darüber, was ich gerade tat. Ich handelte einfach nur, ohne mir über die möglichen Konsequenzen im Klaren zu sein. Ohne mir Gedanken zu machen, was die anderen Anwesenden wohl darüber denken würden. Doch das war mir in diesem Moment auch ziemlich schnuppe. Ich hatte schon immer mein eigenes Ding durchgezogen. Ich hatte schon immer getan, was ich wollte, ohne mich darum zu scheren, was andere über mich denken könnten. Das war hier nicht anders. Tief atmete ich durch, um nicht doch die Kontrolle über mich zu verlieren und meiner inneren Aufgewühltheit auch äußerlich Ausdruck zu verleihen. Nur eine falsche Bewegung und meine coole Fassade würde sofort in ihre Einzelteile zerfallen. »Ich gebe dir den Rat: ›Pass sehr gut auf Usagi auf!‹« Immer noch starrte er mich unverwandt an und wusste anscheinend nicht, auf was ich hinauswollte. Innerlich konnte ich darüber nur meine Augen verdrehen. Ach herrje – sollte dieser Typ eigentlich nicht megahyperintelligent sein? Scheinbar hielt sich diese Intelligenz in Grenzen, was das Zwischenmenschliche betraf. Da war er wohl ähnlich einfach gestrickt wie Usagi. Zur selben Zeit musste ich mich jedoch selbst ermahnen. Warum war ich nur so fies zu ihm? So gehässig kannte ich mich nicht. Das war nicht ich. Da sprach wirklich nur die Eifersucht in ihrer sarkastischsten Form. Ich musste sie sofort in ihre Schranken weisen, bevor es brenzlig werden konnte. Ich entschärfte die angespannte Situation zwischen uns, indem ich ein megafalsches Lächeln aufsetzte und die ganze Sache mit einem Zwinkern herunterspielte. »Denn sonst komm ich wieder, und dann übernehme ich den Job, hast du verstanden?« »Ja, verstanden.« Ich biss mir leicht auf die Zunge, um nicht einen grimmigen Kommentar abzufeuern. Eigentlich wäre es mir sogar noch lieber gewesen, ihm wegen seiner Arroganz sofort an die Gurgel zu springen. Doch bevor ich das tun konnte, drehte ich mich schnell wieder nach vorne und winkte betont gelassen. »Bis bald, mein Schätzchen!« Ich war selbst über meine herausragenden Schauspielfähigkeiten verwundert. Na ja, ich hatte mir auf diesem Planeten schließlich unter anderem auch als Musicalstar einen Namen gemacht. Es hätte fatale Auswirkungen gehabt, wenn ich ein mieser Schauspieler wäre. Ob trotzdem irgendjemandem auffiel, wie ernst meine Ansage an Mamoru gewesen war? Denn um genau zu sein hatte ich noch nie etwas in meinem Leben so ernst gemeint wie das. Ich würde wirklich wiederkommen. Nichts würde mich daran hindern, zu meinem Schätzchen zurückzukehren, wenn sie mich brauchte. Nichts. Außer das Schicksal. Und gegen ihn war leider selbst ich machtlos. Abermals drehte ich mich schweren Herzens zu ihnen um und verwandelte mich von einer Sekunde auf die andere in Sailor Star Fighter. »Passt auf euch auf«, erklang es von Maker. »Auf Wiedersehen«, hörte ich mich selbst sagen. Zu mehr Worten war ich einfach nicht mehr fähig. »Danke für eure Hilfe. Sie war sehr wertvoll.« »Lebt wohl.« Mit jeder Sekunde fühlte sich mein Herz noch schwerer an. Nun war es wirklich an der Zeit, für immer Abschied voneinander zu nehmen. Wie ich das alles doch hasste … Verdammt. In meinem Kummer bekam ich die letzten Worte unserer Erdenfreunde gar nicht mehr so richtig mit. »Wir werden euch bestimmt niemals vergessen.« »Viel Glück euch allen.« »Ihr könnt uns jederzeit besuchen.« »Wir freuen uns darauf.« »Wiedersehen.« Anschließend setzten wir unsere Kräfte frei und begaben uns hoch empor zum Himmel. Doch im Gegensatz zu den anderen kehrte ich nicht nur meinen Freunden den Rücken. Ich ließ mein Herz auf der Erde zurück. Leb wohl, mein Schätzchen … Kapitel 1: Solitary Life ------------------------ 1 SOLITARY LIFE »Nie hätte ich gedacht, dass sich ›Einsamkeit‹ so schlimm anfühlen kann …« Ich sehe sie vor mir, wie sie mich mit vom Weinen angeschwollenen Augen anblickt. Ihrer Schönheit tun die roten Äderchen in ihnen jedoch keinen Abbruch. Nichts ist dazu fähig, sie zu entstellen. Für mich wird sie immer die Schönste von allen sein. Ihre zittrigen Schultern. Ihre zu Fäusten geballten Hände. Ihre vergebliche Mühe, die unaufhaltsamen Tränen zu unterdrücken. Noch nie habe ich sie so schwach gesehen. Und es versetzt mich in einen qualvollen Zustand, sie überhaupt so sehen zu müssen. Noch nie ist mein Drang so groß gewesen, für sie da zu sein. Sie einfach in meine Arme zu schließen und nie wieder loszulassen. Sie vor allem Unheil auf dieser Welt zu beschützen. Sie ist mein Schätzchen. Nichts und niemand darf sie verletzen oder traurig machen. Letzten Endes verliere ich den Kampf gegen meine Vernunft. Ich stelle ihr die Frage, die alles zwischen uns ein für alle Mal verändern wird: »Bin ich denn nicht gut genug für dich?« Ein lautes Klopfen schreckte mich aus meiner Trance. Doch ich machte keine Anstalten, mich aufzusetzen. Unbeeindruckt blieb ich auf meinem Bett liegen und starrte weiterhin Löcher in die Luft. »Seiya, gedenkst du vielleicht mal, aus deinem Zimmer zu kommen und dich zur Abwechslung blicken zu lassen?«, hörte ich die gereizte Stimme Healers, doch ich verschwendete keinen Gedanken daran, ihr überhaupt zu antworten. Es lief doch eh alles auf’s Selbe hinaus. Leise grummelnd drehte ich meiner Tür den Rücken zu und schloss meine Augen. Ich war schon seit längerer Zeit wach, doch ich hatte keinen Antrieb, um aufzustehen und in die Welt hinauszugehen, die hinter dieser Tür nur ungeduldig darauf wartete, mich zum Kampf herauszufordern. Einer Welt, der ich mich schon seit geraumer Zeit nicht mehr gewachsen fühlte. Das lag sicher nicht zuletzt auch daran, weil ich nachts kaum ein Auge zukriegte. Viel zu große Angst hatte ich vor dem Schlaf und den damit verbundenen Albträumen, die mich jedes Mal heimsuchten, wenn ich dann doch mal wegdämmerte. Irgendwann war auch ich dem menschlichen Bedürfnis nach Schlaf und Erholung erlegen. Wobei in meinem Fall von »Erholung« nicht die Rede sein konnte. Nicht im Geringsten. Diese furchtbaren Träume verfolgten mich sogar tagsüber. Immer wieder lief vor meinem inneren Auge ein Kopfkino ab, wie mein Schätzchen mit ihrem ach so tollen Mamoru turtelnd durch die Straßen schlenderte und beide glücklich wie eh und je zusammen waren. Selbst für mich war das irgendwann zu viel. Allein bei der Vorstellung drehte sich mir der Magen so um, dass ich auf der Stelle kotzen könnte. Das war mehr als nur egoistisch und ich sollte mich freuen, solange Usagi glücklich war. Doch ich konnte es nicht verhindern, dass es mir seelische Qualen bereitete, dass nicht ich derjenige sein durfte. Dass nicht ich sie glücklich machen durfte. Durch diesen permanenten Schlafmangel litt ich unter chronischer Müdigkeit und die Tage, wo ich nur so vor Tatendrang und Energie gestrotzt hatte, gehörten der Vergangenheit an. Daher kam es auch häufig vor, dass ich tagelang mein Zimmer nicht verließ, weil ich schwer damit beschäftigt war, mich selbst zu bemitleiden. Ich wusste, dass es erbärmlich war, und dennoch wolle ich nichts an dieser Tatsache ändern. Warum denn auch? Ich hatte einfach keine großen Erwartungen mehr von der Welt da draußen. Keinen Ansporn, deren Herausforderung anzunehmen und mich mit Gewalt durch das Leben zu schlagen. Womit würde ich denn belohnt werden, wenn ich mich meiner Existenz stellen würde? Was konnte ich mir davon versprechen? Für mich gab es keinerlei Aussicht auf Glück oder Freude. Eigentlich gab es für mich nur … meine Pflicht: die Arbeit. Mein neuer Lebensinhalt. »Du siehst richtig scheiße aus«, nahm Healer mal wieder kein Blatt vor den Mund, als wir uns am Gang begegneten, nachdem ich mich tatsächlich irgendwann doch dazu durchgerungen hatte, mich rauszuwagen. So kannte man sie: Direkt und ehrlich, ohne dabei Rücksicht auf die Gefühle anderer zu nehmen. »Wenn du meinst …« Ich wusste das auch, ohne dass sie es mir immer wieder reindrückte. Natürlich hatten sich unter meinen Augen tiefe dunkle Ringe eingegraben, sodass ich wirklich nicht mehr richtig frisch und gut aussah. Von allen Menschen hätte man bei mir am allerwenigsten damit gerechnet, dass ich mich irgendwann mal so gehen lassen würde bei meinem Ego und meiner Eitelkeit. Was die diabolische Liebe doch nur mit einem anstellen konnte. Mehr als erschreckend. Ich hatte mich auch nicht nur äußerlich verändert. Früher hätte ich gegen so eine Anpöbelei von Healer schlagfertig gekontert und hätte mich kampflustig auf ein Wortgefecht eingelassen. Doch dazu fehlten mir inzwischen die Lust, die Kraft und die Motivation. So eine unnötige Streiterei hatte gar keinen Sinn. Im Grunde genommen hatte nichts mehr einen Sinn. Wirklich deprimierend. »Vergiss sie doch endlich! Es ist nun schon ein halbes Jahr her, dass wir die Erde verlassen haben. So langsam solltest selbst du von ihr loskommen! Das kann man ja gar nicht mehr länger mitansehen!« Langsam blickte ich auf, meine Hände dabei nach wie vor lässig in den Hosentaschen vergraben. Natürlich war mir klar, wen sie genau damit meinte. Sie musste ihren Namen nicht explizit aussprechen, damit wir genau wussten, von wem wir redeten. Die Leere in meinen Augen wollte nicht in den Hintergrund rücken. Auch nicht, als ich ihr folgende Worte an den Kopf warf. »Willst du etwa zusehen, wie ich sterbe? Denn um sie zu vergessen, müsstest du mich schon umbringen.« Ein entsetzter Laut kam aus ihrer Kehle, während sie mich mit weit aufgerissenen Augen entrüstet anstarrte. »Das kann doch nicht dein Ernst sein!«, stieß sie fassungslos hervor, und doch war ihr klar, wie ernst ich das meinte. Deswegen verlangte sie auch gar nicht erst nach einer Antwort. Sie lag bereits tonnenschwer in der Luft: Und ob. Usagi war mein Herz. Es grenzte eh schon an ein Wunder, dass allein mein Gedanke an sie mich am Leben erhalten konnte. Doch wenn ich sie vergessen wollte, musste ich mein Herz erstechen. Und welcher Mensch konnte denn schon ohne Herz überleben? Eben. Das wäre Selbstmord. »Du solltest dich mal ansehen: Du bist nicht mehr wiederzuerkennen. Was ist aus dem Charmebolzen geworden? Aus dem Flirtkönig? Du könntest jede kriegen. Stattdessen trauerst du einer hinterher, die du nie gehabt hast. Komm endlich zu dir!« Unbeeindruckt sah ich sie mit einer ausdruckslosen Miene an. »Jemand wie du wird das nie verstehen«, behauptete ich und senkte den Blick. Es stimmte, dass ich früher für mein Leben gerne geflirtet hatte. Es hatte mir Spaß gemacht, den Mädchen schöne Augen zu machen und in ihren Augen zu sehen, wie sehr sie mich doch begehrten. Es imponierte mich. Doch diese Zeiten waren vorbei. Denn obwohl die Mädchen nach wie vor nur so auf mich flogen, ließ es mich total kalt. Es war die Ironie des Schicksals, dass man immer das am meisten wünschte, das man niemals haben konnte. In diesem Fall war es eine kleine, junge Frau mit zwei blonden Odangos mit dem Herz am rechten Fleck. Gelassen schloss ich meine Augen. Ich hatte nicht die geringste Lust, mich weiter mit Healer auseinanderzusetzen. Im Grunde genommen hatte ich eigentlich auf gar nichts Lust. »Du entschuldigst mich?«, gab ich kurz von mir, bevor ich an ihr vorbeiging, ohne ihr auch nur eines Blickes zu würdigen. Ich hatte wirklich keine Nerven mehr, mich weiter von ihr anzicken zu lassen. Mein Gemüt tat das schon zur Genüge, weil es nicht genügend Schlaf bekam. Bevor ich in der Ecke verschwand, hörte ich sie noch laut hinter mir rufen: »Und hör endlich auf, als Mann rumzulaufen! Schon seit unserer Kindheit leben wir als Frauen, hast du das schon vergessen? Kannst du dir vorstellen, wie komisch das für unsere Prinzessin sein muss, die uns von klein auf nur als Frauen kennt?!« Ich blieb kurz stehen und drehte mich mit neutraler Miene zu Healer um. »Du weißt ganz genau, dass wir in Wahrheit Männer sind. Findest nicht auch, dass es langsam an der Zeit ist, dieses alberne Theaterspiel endlich zu beenden und unserer Prinzessin mit der Gestalt gegenüberzustehen, mit der wir geboren worden sind? Sie wird deswegen schon nicht vor Scham umfallen. Wir sind schließlich alt genug.« Bevor Healer irgendetwas darauf erwidern konnte, schritt ich unbeirrt weiter. Ich war keine Frau. Weder geistig noch körperlich. Lange genug hatte ich meine männliche Seite unterdrücken müssen, die während der Zeit auf der Erde unwiderruflich in mir erwacht war. Meine Existenz als Frau war von nun an auf den Kampf beschränkt, wenn ich auf meine Sailorkräfte angewiesen war. Verkrampft ballte ich unbewusst meine rechte Hand abermals ganz fest zu einer Faust zusammen. Ich war eben … keine Frau. Kapitel 2: Destiny Of Predestined Future ---------------------------------------- 2 DESTINY OF PREDESTINED FUTURE »Wenigstens du sollst davon verschont bleiben.« Sie ist wunderschön, so wie sie gerade vor mir steht. Der Wind fährt durch ihre langen blonden Haare und lassen sie verspielt und zugleich elegant durch die Lüfte tanzen. Auch das weiße Kleid bleibt vom Wind nicht verschont, welches sie trägt und damit ihre unschuldige Weiblichkeit zusätzlich unterstreicht. Sie sieht aus wie ein Engel. An diesem Anblick kann ich mich gar nicht sattsehen. Mein Blick wandert ehrfürchtig über ihren perfekten Körper, bis ich mich immer weiter hocharbeite. Von ihren Beinen, hoch zu ihrem flachen Bauch, ihrer schmalen Taille, ihren wohlgeformten Brüsten bis hin zu ihrem Dekolleté, ihrem Hals, ihrem Kinn, zu ihrem wunderschönen Gesicht, bis er schließlich an ihren unsagbar klaren Augen hängen bleibt. Doch was ich da sehe, versetzt mir einen Stich ins Herz. In ihren Augen erkenne ich … Geringschätzung. Missbilligung. Ablehnung. Womöglich sogar … Abscheu? Mir gegenüber? »Egal was du auch tust, Seiya: Du wirst niemals gut genug für mich sein. Dafür bist du ein viel zu großer Versager.« Es fühlt sich an, als hätte sie mich mit ihren Worten getötet. Worte sind viel zu leicht zu unterschätzende Waffen. Waffen, die schärfer sein können als ein Samurai-Schwert. Waffen, die einem mehr Schmerzen zufügen können als jede Waffe dieses Universums. »Nein!« Ich fuhr hoch, sah mich panisch um und erkannte, dass ich kerzengerade in meinem Bett saß. Nur ein Albtraum. Mal wieder. Resigniert drückte ich meine Hand an die Schläfe, unter der es schmerzhaft pochte, als würde jemand permanent dagegen hämmern. Ich fragte mich, warum mir solche Träume immer noch so sehr zusetzten. Eigentlich müsste ich mich schon lange an sie gewöhnt haben – schließlich gab es keine Nacht, in der sie mich nicht verfolgten. Sie waren mittlerweile meine treuesten Begleiter geworden, auch wenn ich gut auf sie hätte verzichten können. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Schon viel zu oft hatte ich das vergeblich versucht, nach solch einem grauenvollen Traum wieder einzuschlafen, sodass ich den Versuch gar nicht erst startete, sondern gleich die Decke zur Seite warf, aufstand und lediglich mit Boxershorts bekleidet zum Balkon rausging. Es war Sommer, sodass auch die Nächte warm waren und ich mir nichts überziehen musste. Seufzend lehnte ich mich am grauen Geländer und hielt mein Gesicht gegen den strahlend dunkelblauen Nachthimmel. Er war diesmal besonders schön. Keine einzige Wolke trübte dieses Bild. Abermillionen von Sternen waren zu sehen und erhellten dieses prächtige Phänomen der Nacht. Nicht zuletzt erleuchtete der kugelrunde Vollmond die gesamte Umgebung. Dennoch ließ mich die Schönheit der unberührten Nacht irgendwie kalt. Wie immer kreisten meine Gedanken nur um eine einzige Person. Ob es ihr gut ging? Mit einem bitteren Nachgeschmack schüttelte ich meinen Kopf. Ich sollte vielleicht anfangen, mich um mich selbst zu kümmern. Ihr ging es bestimmt gut, denn schließlich war doch ihr geliebter Mamoru wieder bei ihr. Er war schließlich alles, was sie brauchte, um wahrhaftig glücklich zu sein. Warum war ich überhaupt so dumm und erkundigte mich in Gedanken immer wieder nach ihrem Wohlbefinden? Hatte ich überhaupt noch das Recht, mich das zu fragen? Selbst, wenn dem nicht so wäre, hätte ich garantiert nicht das Privileg, das zu ändern. Ich würde noch nicht einmal die Möglichkeit bekommen, sie glücklich zu machen. Gedankenverloren sah ich zu dem See direkt unter mir, der den Vollmond widerspiegelte. Der Mond war ihr Symbol. Er erinnerte mich zwangsläufig immer an sie – wobei es das nicht gebraucht hätte, weil ich zu meinem Leidwesen doch sowieso ständig und ununterbrochen an sie denken musste. In diesem See sah ich aber noch etwas anderes. Ich sah nicht nur sie, sondern auch ihre andere Hälfte. Die Hälfte, die leider nicht ich bildete. Usagi und Mamoru waren genau wie dieser Vollmond, der sich im Wasser spiegelte. Egal, wie viele Steine man darauf warf und versuchte, dieses Bild zu zerstören - letztendlich würde das Bild doch wieder zusammenfließen. Sie waren einfach unzertrennlich. Erst als ich spürte, wie mir jemand ein Handtuch auf die Schultern legte, schreckte ich aus meinen Gedanken. Ich hatte niemanden kommen hören, was mich ziemlich verunsicherte. Normalerweise waren meine Sinne messerscharf und ich bemerkte es sofort, wenn sich mir jemand näherte und vor allem sich von hinten anschlich. War nun nicht einmal mehr auf meine Instinkte und Fähigkeiten Verlass? Ich blickte zur Seite und sah direkt in die Augen von … »Prinzessin.« Noch ganz benommen sah ich mich kurz um und realisierte erst jetzt, dass es in der Zwischenzeit zu regnen begonnen hatte und ich inzwischen von oben bis unten pitschnass war. Dabei war der Himmel gerade eben noch so klar gewesen. Doch das war auf Euphe nichts Ungewöhnliches. Außerdem konnte ich gar nicht sagen, wie lange ich hier schon am Balkon stand, da ich jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Mir war es zwar vorgekommen wie wenige Minuten, doch es war nicht auszuschließen, dass ich schon Stunden hier draußen verbrachte. Ich hoffte inständig, dass sie mir nicht auch noch eine Predigt hielt. Auch wenn ich mir alle Mühe gab, die Fassade wenigstens bei ihr aufrechtzuerhalten, um mir keinen Ärger oder Stress einzuhandeln, war ich mir natürlich sicher, dass auch sie bemerkt haben musste, dass ich schon lange nicht mehr der Alte war. Doch sie konnte ich nicht so leicht abwimmeln wie Maker oder Healer. An ihr würde ich noch länger zu knabbern haben, wenn sie tatsächlich vorhatte, mich darauf anzusprechen. Oh je, hoffentlich kam sie jetzt nicht darauf zu sprechen. Doch ehrlich gesagt wunderte es mich bereits, dass sie mich überhaupt noch gar nicht darauf angesprochen hatte. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass du mich bitte ›Kakyuu‹ nennen sollst?«, seufzte sie und sah mit Betrübnis auf die wunderschöne Landschaft vor uns. »Ich fühle mich immer so schrecklich einsam, wenn du so förmlich bist mir gegenüber.« Entschuldigend sah ich zur Seite. »Das tut mir leid. Es ist einfach nur … reine Gewohnheit.« Doch so ganz entsprach das nicht der Wahrheit. Zerknirscht biss ich mir auf die Lippen. Ich verstand selbst nicht, warum ich mich, seit wir auf der Erde gewesen waren, ihr gegenüber so unterwürfig verhielt und somit eine gewisse Distanz zwischen uns aufbaute. Denn schon als Kinder hatte ich in ihr nicht nur die Prinzessin gesehen, sondern ein ganz normales Mädchen, das nicht anders behandelt werden musste wie jedes andere Mädchen auch. Und ich war der Einzige, der sich das erlaubt hatte, so locker mit ihr umzugehen. Vielleicht war mir erst während des Aufenthalts auf der Erde klar geworden, wie weit sie über uns stand und das zwischen uns Welten lagen. Es war mir aber auch ein Rätsel, warum die Prinzessin unbedingt darauf bestand, dass ich sie wieder wie früher behandeln sollte. Doch mir war es nicht wichtig genug, um der Sache auf den Grund zu gehen. Prinzessin Kakyuu ging jedoch gar nicht weiter darauf ein und stellte etwas völlig anderes fest: »Du scheinst dich in deiner männlichen Gestalt ja sehr wohl zu fühlen.« Überrascht sah ich zu mir runter und bemerkte, dass ich ja immer noch nur die Boxershorts trug. Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf und druckste herum: »Na ja, das liegt daran, dass …« »Du musst mir nichts erklären. Ich weiß, dass ihr alle in Wahrheit Männer seid.« Ertappt sah ich in ihre Augen, die mich an das Lodern des unbändigen Feuers erinnerten. »Ich bin kein kleines Mädchen mehr. Ich habe es schon lange gewusst, dass ihr ursprünglich als Männer auf die Welt gekommen seid und es nicht von ungefähr gekommen ist, warum ihr diese Gestalt auf der Erde angenommen habt.« Sie sah mich dabei nicht an, sondern blickte wieder hinaus in die Nacht, während sie ihre Hände elegant auf die obere Geländerstange legte. »Das ist aber auch gut so und ein Zeichen dafür, dass sich unser Schicksal erfüllen wird.« »Von welchem Schicksal sprecht Ihr?«, fragte ich sofort nach. Die Neugier in meinen Worten konnte ich nicht verbergen. Es war das Einzige, was mich überhaupt noch interessierte, nicht zuletzt, weil es mir mein Leben zur Hölle gemacht hatte beziehungsweise es immer noch tat: Dieses gottverdammte Schicksal. Es schien der Prinzessin nicht viel daran zu liegen, mir Frage und Antwort zu stehen, als sie sich von der Balustrade sanft abstieß, mir den Rücken zukehrte und mitten in der Bewegung noch verlauten ließ: »Ich … möchte dich vor dem Schicksal der vorherbestimmten Zukunft bewahren. « Sie drehte ihren Kopf leicht zu mir und schenkte mir ein sentimentales Lächeln. »Es reicht, wenn es schon einem von uns auferlegt ist.« Diese Aussage stimmte mich nachdenklich. Also hatte unsere Prinzessin mit dem gleichen Schicksal zu kämpfen wie Usagi? Musste auch sie sich ihrer vorherbestimmten Zukunft beugen, die schon seit Ewigkeiten feststand? Meine Muskeln begannen sich allmählich zu entspannen. Ja, vielleicht war es wirklich besser, dass ich nicht mehr wusste als unbedingt nötig. Da hatte Kakyuu vielleicht wirklich recht. Manchmal war es besser, nichts zu wissen. Vor allem, wenn es dabei um die eigene Zukunft ging. Das würde jeder verstehen können, denn mal ehrlich: Welcher Mensch wollte beispielsweise schon wissen, wann und auf welche Art er das Zeitliche segnen musste? Eigentlich sollte ich froh sein über meine Lage. Es gab viele, die eine noch viel schwerere Last tragen mussten und sich nicht in ihrem Selbstmitleid suhlten. Die sich einfach stumm damit abfanden. Und ich heulte schon herum wegen einer verschmähten, unerfüllten Liebe. Was war ich doch nur für ein Weichei. Wieder durchbrach Kakyuus Stimme das ruhige Prasseln des Regens. »Du solltest reingehen. Auch wenn es draußen warm ist, könntest du dir eine Erkältung einfangen.« Kapitel 3: Soledad ------------------ 3 SOLEDAD »Meine Sehnsucht nach dir ist nicht in Worte zu fassen.« Das war wieder eine der Tage, wo ich mein Zimmer gar nicht verließ. Jeder Tag verlief wie immer. Ich stand ziemlich früh auf – meistens aufgrund eines Albtraums – blieb ewig im Bett liegen, bis ich irgendwann doch mal aufwachte für einen Kaffee, der meinen seelischen Schmerz zwar auch nicht lindern, aber zumindest meine chronische Müdigkeit ein wenig aus meinem Körper vertreiben konnte. Außerdem bekam ich sonst kaum etwas runter – am Morgen beziehungsweise Vormittag erst recht nicht. Nach meinem »reichhaltigen Frühstück« erledigte ich meine Pflichten gegenüber der Prinzessin, schob Wache oder bekämpfte irgendwelche Feinde von außerhalb, bevor ich mich dann wieder in mein Zimmer oder irgendwo sonst verzog, wo ich für mich sein konnte. Kämpfen tat ich noch lieber als früher – allein schon, weil mir mein Leben völlig gleichgültig war und ich keine Angst vor dem Tod hatte. Ich glaube, so etwas nannte man auch »Lebensmüdigkeit«. Schon seit längerer Zeit schwirrte in meinem Kopf ein Text herum. Eine sehr schöne Melodie. Es war an der Zeit, sie niederzuschreiben, um endlich Ruhe vor ihr zu haben, bevor sie mich noch ewig belästigen konnte. Es war wohl überflüssig, zu erwähnen, dass dieser Text von meinem Schätzchen handelte, oder? Gedankenverloren nahm ich Platz an meinem Schreibtisch, holte Block und Kugelschreiber heraus und setzte die Mine auf das unbefleckte Papier. Es würde das allererste Lied überhaupt von mir werden. Bisher war ja immer Taiki für das Komponieren unserer Lieder zuständig gewesen. Und irgendwie war der Gedanke daran schön, dass ich mein erstes Lied meiner ersten Liebe widmen würde. Wenn du doch nur die Tränen der Welt sehen könntest, die du hinter dir gelassen hast … Wenn du doch nur mein Herz nur noch ein einziges Mal heilen könntest … Selbst wenn ich meine Augen schließe … sehe ich ein Bild deines wunderschönen Gesichts vor mir. Und wieder einmal komme ich, um zu realisieren … dass du ein Verlust bist, den ich nicht ersetzen kann. Ich hielt inne und verzog leicht mein Gesicht. Gott, klang das kitschig. Und doch entsprach jede einzelne Zeile – nein, jedes einzelne Wort – der Wahrheit. Usagi war eine einzigartige Frau. Sie gab es nur einmal. Natürlich war sie nicht zu ersetzen. Ich lächelte fast schon heiter, als ich an diese unglaubliche Frau dachte. An die wundervollste Frau, der ich je in meinem Leben begegnet war. Soledad Es ist eine Verwahrung der Einsamkeit seit dem Tag, an dem du gegangen bist. Warum hast du mich verlassen? Soledad In meinem Herzen warst du die Einzige … Und die Erinnerungen an dich leben in mir weiter. Warum hast du mich verlassen? Soledad … Auch das stimmte. Die Erinnerungen an sie lebten in mir weiter. Treffender ausgedrückt: Die Erinnerungen an sie hielten mich überhaupt noch am Leben. Aber gleichzeitig war doch irgendwie auch sie der Grund, warum ich so gefährlich nahe an der Grenze zwischen Leben und Tod wanderte. Ohne sie hätte ich niemals die Erfahrung gemacht, wie nahe sich diese beiden Extreme sein konnten. Ich schlendere durch die Straßen von Nothing Ville … Wo unsere Liebe noch jung und frei war. Kann es nicht begreifen, warum dieser Ort nun so leer geworden ist. Es musste ja so kommen. Ich würde mein Leben weggeben wenn es wieder so werden könnte wie früher. Weil ich immer noch nicht die Stimme tief in mir bändigen kann. Die Stimme, die unentwegt deinen Namen rausschreit. Diese Passage war vielmehr ein Wunschdenken. »Unsere Liebe, die noch jung und frei war« – natürlich war das nie der Fall gewesen. Ich hatte sie schließlich nie gehabt. Es war, als wäre sie die Musik in mir, die gerade durch meinen Körper floss und mir neue, ungeahnte Energie verlieh. Ich konnte kaum noch aufhören zu schreiben. Die Zeit wird niemals die Dinge ändern, die du mir erzählt hast. Trotz allem waren wir füreinander bestimmt. Die Liebe wird uns zu einem ›Du und ich‹ zurückbringen … Wenn du das doch nur sehen könntest … Seufzend las ich mir diese letzten Zeilen immer und immer wieder durch. Die Zeit ließ sich nicht ändern. Die Vergangenheit war starr und robust. Das war nichts Neues. Doch für Usagi war selbst die Zukunft sicher. Die altbekannte Zukunft würde so sicher kommen wie das Amen in der christlichen Kirche. Ich konnte tun, was ich wollte: Gegen die Zeit konnte ich nicht ankommen. Da war ich chancenlos und würde auf der Stelle unterliegen. Ich wusste, dass es arrogant klang, aber dennoch konnte man mich nicht von der Überzeugung abbringen, dass ich in Wahrheit viel besser zu ihr passte als Mamoru. Ein einziger Blick hatte ausgereicht, um zu erkennen, dass sich die beiden rein vom Charakter schon nicht miteinander harmonierten. War ich etwa der Einzige, der nicht blind war und das erkannte? Dabei war es doch so offensichtlich … Zumindest in meinen Augen. Er war ein intellektueller, vernünftiger Mensch, während sie noch ein halbes Kind war – genau wie ich. Während er sich als gestandener Mann auf dem steilen Weg einer großen Karriere als Arzt befand, lief sie irgendwelchen Träumen hinterher und hatte noch nicht einmal einen blassen Schimmer, wie sie sich später beruflich verwirklichen wollte. Aber musste sie sich darüber überhaupt Gedanken machen? Bei ihr war doch schon von Vornherein klar, dass sie in Zukunft dieses »Crystal Tokyo« regieren würde. Daher fragte ich mich auch, warum er dann überhaupt noch so eifrig weiterstudierte, obwohl auch seine Zukunft so durchschaubar war wie ein klares, sauberes Fenster: Warum noch der Traum, Arzt zu werden, obwohl er eh wusste, dass daraus nichts werden würde auf Dauer, weil für ihn ein Platz am Thron bestimmt war? Aber zurück zu meiner These, was die Inkompatibilität der beiden anbelangte. Hier trafen grundverschiedene Welten aufeinander. Wie konnte das zusammenpassen? Alles, was dem einen fehlte, besaß der Andere dafür im Überfluss. Ich weitete bei dieser Erkenntnis meine Augen. War vielleicht das das Geheimnis ihrer Liebe? Dass sie sich perfekt ergänzten? Ich schüttelte mich verärgert. Warum lynchte ich mich eigentlich selber, indem ich ihre ach so tolle Beziehung analysierte? Hatte ich denn wirklich nichts Besseres zu tun? Ich seufzte, weil ich diese Frage gleich selbst beantworten konnte: Nein, ich hatte nichts Besseres zu tun und wusste nichts anderes mit meinem wertlosen Leben anzufangen. Außer, rund um die Uhr an meine Verflossene zu denken. Einfach nur noch bedauernswert. Ich sah abermals runter zu meinem gerade geschriebenen Text. Und mal ganz abgesehen davon: Egal, wie viel Herz ich in dieses Lied auch steckte: Es würde sie niemals erreichen. Sie würde diesen Song niemals zu hören bekommen. Nicht einmal eine harmlose Botschaft konnte ich ihr damit überbringen. Was sollte sie denn dann bitte schön von mir denken? Ich würde sie damit doch nur nerven – wenn nicht sogar unfreiwillig bedrängen. Das konnte ich nicht bringen. Sie würde mich für einen liebeskranken Vollidioten halten, der ich ja auch war. Welche Frau hört denn auch gerne Liebesschwüre von einem dahergelaufenen Typen, während sie glücklich mit dem Mann ihrer Träume liiert ist? Mag sein, dass es Frauen gibt, die diese Bestätigung von allen Seiten durchaus brauchen und genießen – Usagi gehörte aber definitiv nicht zu dieser Sorte. Ich spürte vereinzelte Tränen der Verzweiflung meine Wangen hinabfließen, schmiss den Stift in eine Ecke und drückte zitternd meine Hände an beide Schläfen. Ich vermisste sie. Ich vermisste sie so entsetzlich sehr. Mein Herz verzehrte sich nach ihrem Anblick. Nach ihren Haaren. Ihren Augen. Ihrem Gesicht. Ihrem Duft. Ihrer Stimme. Ihrem Lächeln. Ihren Berührungen. Was hätte ich alles getan, nur um sie nur noch ein einziges Mal wiederzusehen? Was hätte ich alles in Kauf genommen? Viel hätte ich dafür in Kauf genommen. Zu viel. So viel, dass es nicht mehr vereinbar war mit dem beschissenen Schicksal. Ein Schluchzer verließ meine Kehle und schnürte sie mir brennend heiß zu. Meine ganze Situation war einfach hoffnungslos. Ehe ich es mich versah, würde ich untergehen. Kapitel 4: Capitulation ----------------------- 4 CAPITULATION »Es ist an der Zeit, aufzugeben.« »Seiya, wie lange willst du noch so weitermachen und uns langsam, aber sicher in den Wahnsinn treiben?!« Gelangweilt verdrehte ich nur meine Augen. Schon viel zu oft hatte ich solche und ähnliche Vorwürfe aus den Mündern meiner eigentlich besten Freunde gehört. So oft, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnerte, ob sie mir jemals etwas anderes außer Vorwürfe gemacht hatten. Und diese Tatsache ließ ich meine Freunde auch spüren. »Und was wollt ihr dagegen machen?«, fragte ich sie mit einem herausfordernden Blick. Warum konnten sie mich nicht einfach in Ruhe lassen und sich damit abfinden, dass ich nicht mehr der Alte war? Menschen veränderten sich nun einmal. Das war der natürliche Lauf des Lebens. Das Leben kam doch auch nie zum Stillstand und schritt immer weiter. Und auch ich musste das tun. Irgendwie. Doch es schien meinen Freunden nicht zu reichen, dass ich einfach nur lebte, um es hinter mich zu bringen. Gott, klang das abgedroschen. »Wie lange willst du noch so vor dich hinvegetieren?«, mischte sich nun auch Maker ein, die mich mit einem strengen Blick beäugte. »So lange es eben nötig ist«, provozierte ich sie schon mit Absicht, nahm tief Luft und lehnte mich weiter zurück an den Baumstamm. Es war ein schöner, warmer Tag. Ein herrlicher Tag, den ich schon seit Stunden hier an diesem Baum verbrachte, den Vögeln beim Singen lauschte und meine Seele baumeln ließ. Da heute mal keine Aufgabe anstand, wollte ich einfach nur noch Abstand von allem gewinnen – je mehr, desto besser. Doch Maker und Healer taten mir diesen Gefallen natürlich nicht. »Und was heißt hier bitte ›Hinvegetieren‹? Ist das seit Neuestem ein Begriff dafür, dass man einfach seine Ruhe haben möchte?« Ich spürte, wie sich Maker neben mich kniete, ihre Hand auf meine Schulter legte und sie drückte. Nun versuchte sie es wohl auf die sanfte Tour. »›Deine Ruhe‹ willst du schon, seit wir die Erde verlassen haben. Es ist nun schon über ein Jahr her. Du kannst uns nichts vormachen. Und diesmal wirst du dich nicht vor einem Gespräch drücken können. Wir haben es nun schon viel zu lange erduldet. So einfach machen wir es dir jetzt nicht mehr.« Mit leichtem Unbehagen hörte ich aus ihrer Stimme heraus, dass sie es diesmal wohl wirklich ernst meinten und nicht lockerlassen würden, bis ich mich ihnen endlich anvertraut hatte. »Gebt ihr dann endlich Ruhe, wenn ich gesprochen habe?«, stellte ich mit hochgezogener Augenbraue meine Bedingung auf. »Kommt ganz darauf an, wie sich das Gespräch entwickeln wird«, konterte Healer trocken zurück und sah mich mit ihrem typisch missbilligenden Blick an. Seufzend ging Maker dazwischen. »Wir machen uns einfach nur Sorgen und wollen doch nur das Beste für dich; das weißt du doch.« Ja, ich wusste es. Ich wusste sehr gut, dass sie nur so hartnäckig an mir klebten, weil sie meine wahren Freunde waren. Weil wir schon seit Kindesbeinen an eng miteinander befreundet waren. Ich wusste es und hatte mich ihnen trotzdem nie geöffnet, weil ich einfach nicht über meine Gefühle reden wollte aus dem Grund, weil es doch sowieso nichts an meiner verzwickten Lage änderte. Vielleicht war es an der Zeit, das zu ändern. Vielleicht würde es mir ja doch helfen, darüber zu reden. Was hatte ich denn schon großartig zu verlieren? Viel schlimmer konnte es doch gar nicht mehr werden – auch wenn ich es jetzt nicht unbedingt verschreien wollte. »Ihr wart noch nie richtig verliebt in eurem Leben. Ich sage euch: Das ist wirklich das mächtigste Gefühl, das es gibt. Also passt bloß auf, dass ihr euch ja nicht so unsterblich verliebt wie ich – ab diesem Zeitpunkt schlägt euer Herz nämlich nicht mehr länger für euch, sondern nur noch für diese eine bestimmte Person, der ihr euer Herz geschenkt habt.« Ich hörte deutlich, wie Healer verärgert schnaubte. »Sowas Kitschiges habe ich ja noch nie in meinem Leben gehört. Ich glaube, mir wird gleich schlecht. Aber mal ganz davon abgesehen: Denkst du, es ist richtig, sich wegen Liebeskummer schon seit einem Jahr so gehen zu lassen? Du vernachlässigst deine Aufgaben, ziehst dich total zurück, kapselst dich ab und redest kaum noch ein Wort. Du hängst nur noch herum wie ein Schluck Wasser in der Kurve; mehr tot als lebendig. Wem ist damit geholfen? Geht es dir denn besser damit?« Ich schwieg auf ihre Worte nur, weil mir einfach wie immer die Lust fehlte, mit ihr zu streiten. Doch trotzdem ließ ich mir ihre Worte das erste Mal richtig durch den Kopf gehen. Und ich musste zugeben, dass da tatsächlich etwas Wahres dran war. Ich wusste schon immer, dass sie Recht hatte. Es war mir nur schlicht und einfach egal gewesen. Ich hatte einfach keinen Grund gesehen, irgendetwas daran zu ändern. Aber vielleicht sollte ich allmählich damit anfangen. Vielleicht war das gar nicht mal so verkehrt. Wenigstens so tun als ob, um mir nicht ständig wieder solche Predigten von ihnen anhören zu müssen. Und das, obwohl eigentlich ich der Moralapostel von uns war, der jedem ins Gewissen redete, wenn er etwas für verwerflich hielt. Oder es zumindest die längste Zeit gewesen war. Oh ja, das wäre es mir fast wert. Natürlich – wie sollte es auch anders sein – pflichtete unsere brünette Freundin ihr bei. Hier schienen die beiden ausnahmsweise einmal einer Meinung zu sein. Es war schon früher immer so gewesen, dass ich mich immer ausgezeichnet mit beiden verstanden hatte, was wohl darauf zurückzuführen war, dass ich mit meiner unkomplizierten Art einfach mit jedem zurechtkam. Die beiden hatten sich in der frühen Vergangenheit nie großartig etwas zu sagen gehabt, weil sie völlig unterschiedliche Persönlichkeiten hatten, die sich in mancher Hinsicht dann widersprüchlicherweise doch ziemlich ähnelten. Eine hitzige Konstellation, bei der öfter mal auf verbaler Ebene die Fetzen geflogen waren. Und wer war immer der Streitschlichter gewesen? Genau: ich. Doch nun hatten sie sich zusammengetan, um mir einen Denkzettel zu verpassen. »Healer hat Recht. Keinem ist damit geholfen. Auch nicht Usagi, für die du nun anscheinend noch lebst, wie du behauptet hast. Aber gerade, weil du für sie lebst, solltest du anfangen, dich von ihr loszureißen. Das schlechte Gewissen würde sie bestimmt von innen zerfressen, wenn sie wüsste, was deine Liebe zu ihr mit dir anstellt. Das könnte sie sich nie verzeihen. Und hast du dir nicht immer gewünscht, dass sie glücklich wird? Das ist sie. Also hör bitte auf, so egoistisch zu sein und freue dich einfach für sie. Und werde glücklich – auch oder gerade ihr zuliebe.« »Das ist leichter gesagt als getan.« Hellhörig schauten die beiden auf, während ich sie eindringlich ansah. Mein Gesicht war zu einer gequälten Grimasse verzogen, darauf bedacht, mich am Riemen zu reißen und nicht vollends die Kontrolle über meine Gefühle zu verlieren. Sie schienen zu spüren, dass meine letzte Hemmschwelle gerade geplatzt war und ich ihnen nun alles an den Kopf werfen würde, was das letzte Jahr über in mir vorgegangen war. Und damit sollten sie auch recht behalten. »Natürlich weiß ich, dass sie dort glücklich ist mit ihrem Mamoru. Ich weiß auch, dass ich gar nicht das Recht besitze, deswegen überhaupt traurig zu sein. Das Schicksal geht seinen gewohnten Lauf. Es soll alles so sein, und so ist es auch richtig und anders kennen wir es alle gar nicht. Ich weiß auch, dass es furchtbar egoistisch und unfair von mir ist, dass ich mich nicht vom ganzen Herzen für sie freuen kann. Dass ein kleiner – ach, was rede ich denn da – der größte Teil meines Herzens sich wünscht, der Mann an ihrer Seite sein zu dürfen. Sie beschützen zu dürfen. Einfach nur bei ihr sein zu können; in ihrer Nähe. Aber selbst das bleibt mir ja verwehrt. Und der Gedanke, wie glücklich sie mit ihrem Kerl ist, sollte ein Trost für mich sein. Ich zwinge mich ja schon dazu, das als Trost zu sehen. Und auf eine gewisse Art und Weise tut es auch seinen erwünschten Zweck – aber leider macht es nur einen sehr kleinen Teil aus. Der andere, weitaus größere Teil foltert mich mit nächtlichen Albträumen. Ich könnte wahnsinnig vor Eifersucht werden, wenn ich nur daran denke, wie sie …« Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, geschweige denn diesen Satz zu Ende sprechen. Es bereitete mir Höllenqualen. Unwillkürlich packte ich mich an die Brust, als ich spürte, wie sich mein Herz abermals zusammenzog. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich mich dafür verachte. Ich hasse mich selbst am meisten dafür, was ich hier für ein Ding abziehe. Was ich doch für ein schlechter Verlierer bin, dass ich von ach so großer Liebe spreche, sie aber anscheinend nicht groß genug ist, um mich einfach nur für sie zu freuen, dass sie glücklich ist. Ich kann diesen Wunsch; dieses Verlangen nach ihr einfach nicht abstellen, so sehr ich das auch möchte. So sehr ich auch versuche, sie aus meinem Kopf zu verbannen und über sie hinwegzukommen – es bringt einfach alles nichts. Da fällt mir ein: Ich glaube, meine Liebe ist doch groß genug, um mich für sie zu freuen. Ihr lächelndes Gesicht ist schließlich mein einziger Lebensinhalt, der mich überhaupt noch vorantreibt. Und ich weiß ja, dass sie bestimmt ein Dauergrinsen auf den Lippen trägt, so glücklich, wie sie sein müsste. Bestimmt lächelt sie auch jetzt, in dieser Sekunde.« Im nächsten Moment war ein Klatschen zu hören, welches in alle Richtungen widerhallte. Ich hatte die Hand Healers gar nicht kommen sehen, während ich mich so in Rage geredet hatte. Nun zierte ein pochend roter Handabdruck meine linke Gesichtshälfte. Ich quittierte diese Ohrfeige lediglich mit einem gesenkten Blick. »Wie kannst du uns nur so etwas sagen? Geht es dir denn so am Arsch vorbei, was wir dabei empfinden, wenn du solche Sachen von dir gibst? Dass du nur noch für sie lebst … Sind wir dir denn völlig egal?!« Ein herzzerreißendes Schluchzen verließ ihre Kehle, bevor sie bitterlich zu weinen anfing und sich den Kopf verzweifelt hielt. Maker ging auf sie zu und nahm sie tröstend in ihre Arme. Was für ein trauriges Bild. »Es tut mir leid; so habe ich das nicht gemeint«, stammelte ich entschuldigend, während mich das schlechte Gewissen mit seinen übergroßen Händen packte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, Healer jemals zum Weinen gebracht zu haben. Auch wenn sie in Wahrheit ein Mann war, fühlte ich mich mal wieder wie der größte Fiesling aller Zeiten. Ein Mann, der eine Frau zum Weinen brachte, war kein richtiger Mann. »Natürlich seid ihr mir nicht egal, wie kannst du so etwas nur in Frage stellen?« Doch im gleichen Moment hätte ich mich für diese unnötige Frage selbst vermöbeln können: Das war schließlich die einzig logische Schlussfolgerung für mein Verhalten der letzten Monate und meine perfekt durchdachte Argumentation eben. Mir erschien wirklich nichts mehr so wichtig wie Usagi. Überfordert fuhr ich mir durch meinen rausgewachsenden Pony. »Es ist einfach nur … Ach, ich weiß es doch auch nicht, Leute. Deswegen warne ich euch ja vor der Liebe: Sie ist hinter ihrer engelhaften, süßen Fassade egoistisch, kaltblütig und teuflisch. Sie hat die Macht, Menschen zu verändern. Ich hätte auch niemals gedacht, dass ich so selbstsüchtig werden könnte, gerade euch gegenüber. Ich bin ihr perfektes Opfer gewesen.« Maker sah mich aus den Augenwinkeln an, während sie Healer immer wieder beruhigend über den Rücken strich. »Dass ich diese Worte mal ausgerechnet aus deinen Lippen höre. Du stellst dich selbst als Opfer dar und rührst nicht mal einen kleinen Finger, um diese Tatsache zu ändern? Du bist schon immer ein Kämpfer gewesen. Willst du dich jetzt ernsthaft von der gottverdammten Liebe besiegen lassen?« Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich in die tiefen, violetten Augen. Ihre Worte bewegten etwas Entscheidendes in mir: Meinen Kampfgeist. Sie hatten recht. Alle beide. »Wach endlich auf! Egal was du tust: Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, und damit auch nicht die Zukunft. Finde dich endlich damit ab, Fighter!« Obwohl ich mich in meiner männlichen Gestalt befand, hatte sie mich »Fighter« genannt. Irgendwie war das … seltsam. Und gleichzeitig war es richtig. Ich war Fighter. Ich war eine Sailorkriegerin auf dem Planeten Euphe. Und damit jemand, der nicht in Usagis Welt gehörte. Niemals gehören würde. »Wir wissen alle, was für ein schlechter Verlierer du bist. Findest du nicht, dass es für dich an der Zeit wird, gegen die Liebe zu rebellieren? Und um das zu schaffen, musst du die Liebe zu Usagi aufgeben. Und ja doch: Wir wissen auch, dass du nur ungern aufgibst. Aber manchmal ist es einfach das Beste, was man machen kann. Manchmal ist es einfach … das Einzige, was man tun kann.« Verwundert sahen mich beide mit großen Augen an, als ich mich plötzlich mit einem Ruck erhoben hatte. Ihre Gesichtszüge entgleisten, als sie eine Aussage von mir hörten, von der sie glaubten, sie niemals von mir zu hören zu bekommen. »Ihr habt recht. Ich … sollte aufgeben. Und hiermit werde ich das auch tun.« »Früher, mein Liebster … Früher saßen wir im gleichen Boot … Früher, mein Liebster … waren wir zusammen …« Erschrocken hielt ich inne. Was war das? Das war doch … Usagis Stimme? Suchend blickte ich mich um und wurde nicht fündig – wie es auch nicht anders zu erwarten war. Dass Usagi sich tatsächlich hier auf Euphe, Millionen von Lichtjahren von ihrem Heimatplaneten entfernt, befinden könnte, grenzte an hirnverbrannter Idiotie. Bestimmt spielten mir meine Sinne schon einen Streich. Healer wurde darauf aufmerksam. »Was ist mir dir?« Ich fuhr mir abermals durch das Haar und versuchte dadurch, mich zu beruhigen. »Gar nichts. Es … ist alles in Ordnung.« Betont lässig ging ich auf die beiden zu, tätschelte kurz Healers Kopf mit den Worten »Also weine nicht mehr« und ging mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend zurück zum Palast. Kapitel 5: Delusions -------------------- 5 DELUSIONS »Werde ich nun wirklich verrückt?« Ungläubig betrachtete ich mein eigenes Spiegelbild. Mein Gesicht und vereinzelte Stirnfransen waren durchnässt vom kalten Wasser, das ich mir gerade ins Gesicht geklatscht hatte, um wieder nüchtern zu werden. Mein Atem ging immer noch schwer durch den beschleunigten Herzschlag, der bis jetzt angehalten hatte. Was war das nur vorhin? Es war ja noch nicht einmal eine Rückblende, schließlich hatte sie solche Worte noch nie benutzt mir gegenüber. Alleine bei dem Gedanken daran breitete sich eine Gänsehaut auf mir aus. War das ein Hirngespinst? Warum machte es mir überhaupt so zu schaffen? Es war doch gut möglich, dass ich mir ihre Stimme einfach eingebildet hatte. Denn seien wir mal ehrlich: So abwegig war das nun auch wieder nicht. Schließlich kreisten meine Gedanken doch ständig und rund um die Uhr um sie. Und ihre liebliche Stimme stellte ich mir doch dabei auch immer vor. »Doch dann musstest du gehen … musstest mich verlassen … Zwischen uns, das ging einfach nicht. Und doch kann ich dich nicht vergessen …« Erschrocken zuckte ich zusammen. Da war es schon wieder! Warum hörte ich sie … singen? Ich hatte Usagi noch nie singen gehört. Ehrlich gesagt hatte ich noch nicht einmal gewusst, dass sie das überhaupt konnte. Bedrückt musste ich mir im gleichen Augenblick eingestehen, wie wenig ich doch eigentlich über sie wusste. »Hoffe, dass du glücklich bist und zugleich … dass du mich nicht vergessen hast … dass du mich immer noch liebst … für alle Zeiten …« Als ob sie mir jemals so etwas sagen würde. Warum sollte sie sich wünschen, dass ich sie noch liebte? Das war für sie doch nichts weiter als eine bloße Belastung. So sehr, dass ich es fast schon bedauerte, ihr damals meine wahren Gefühle gestanden zu haben. Vielleicht … wäre es besser gewesen, wenn ich schon damals dichtgehalten hätte. Dieses Geständnis war aus reinem Egoismus entstanden mit dem Vorhaben, meine dunkle Seele zu erleichtern. Doch damit hatte ich ihr verantwortungslos etwas aufgebürdet. War mir dieser Preis damals wirklich angemessen erschienen? Obwohl … sie es mittlerweile bestimmt eh schon vergessen hatte. An unserem Abschied hatte sie schließlich eher den Eindruck gemacht, von nichts einen Schimmer zu haben. Oder aber sie hatte es mir einfacher machen wollen und sich deswegen extra dumm gestellt. Doch das konnte ich mir nicht vorstellen. So durchtrieben war sie nicht. Ablenkung! Ich brauchte unbedingt Ablenkung! Mit diesem Entschluss schnappte ich mir mein himmelblaues Handtuch, trocknete mir mein Gesicht, hing es achtlos wieder an den Haken, machte kehrt und begab mich wieder auf mein Zimmer. Dort angekommen nahm ich mir Musikabspielgerät und Kopfhörer und warf mich ins Bett. Und nun hieß es: Ohrstöpsel rein – Halluzinationen raus. »Mein Liebster! Ich vermisse dich! Ich vermisse dich so sehr! Mein Herz schreit nach dir … Es wird immer nach dir schreien … Ich werde mich immer nach dir sehnen …« ›Liebster‹? Fassungslos setzte ich mich wieder auf. Okay, hiermit erklärte ich mich offiziell für verrückt. Ich konnte mich gleich morgen in einer psychiatrischen Anstalt einweisen lassen. Ich war überreif für die Klapsmühle. Wo waren die Papiere zum Unterschreiben? »Warum müssen wir so weit voneinander entfernt sein? Warum nur sehne ich mich so sehr nach dir? Ich kenne nun die Antwort … Vergiss nie, was ich dir jetzt offenbare: Du bist nun der wichtigste Mensch in meinem Leben …« Das konnte nicht sein. Ich konnte nicht der wichtigste Mensch in ihrem Leben an. Diese Rolle hatte schon seit Ewigkeiten ein anderer Mann inne. Das musste eine Täuschung sein. Es gab hierfür keine andere, sinnvollere Erklärung. Mein Herz überschlug sich beinahe, bevor es von Zweifel überschüttet und durch einen gigantischen Berg vergraben wurde. Es fühlte sich schwer an, als würden mehrere Tonnen von Misstrauen auf ihm liegen und kurz davor sein, es zu erdrücken. Warum nur … hörte sich alles so real an? So unfassbar real? »Endlich weiß ich es … Endlich kenne ich meine Gefühle für dich … Doch was bringt das, wenn du nicht mehr bei mir bist? Nur Leere, Schmerz und Hoffnungslosigkeit?« Schön wäre es. Das waren alles Worte, von denen ich mir gewünscht hatte, sie aus ihren Lippen zu hören: Von ihr zu hören, dass sie etwas für mich empfand. Allein das war schon ein Indiz dafür, dass das alles gar nicht echt sein konnte. Das alles reimte sich bestimmt mein Unterbewusstsein zusammen und bastelte daraus dieses wunderschöne Lied. Es war wahrlich wunderschön. Doch einfacher machte es mir diese neue Erkenntnis nicht. Im Gegenteil: Dadurch wurde mein Wunsch nur noch größer, solche Worte wirklich von ihr zu hören. Ich schloss meine Augen und stellte sie mir vor. So wie sie vor mir stand und mir mit einem verliebten Lächeln die Zeilen vorsang. Ganz allein für mich. Eine herrliche Vorstellung. Wie aus dem traumhaftesten Märchen. »Wegen dir, Liebster … habe ich alles aufgegeben … Wegen dir, Liebster … kenne ich den unbändigen Schmerz der Liebe …« ›Den unbändigen Schmerz der Liebe‹? Damit hatte ich in letzter Zeit leider mehr Bekanntschaft gemacht, als mir lieb gewesen war. Mehr, als ich eigentlich ertragen konnte. Ich kannte diesen Schmerz besser als jedes andere Wesen auf diesem Universum. Ich schlug meine Augen wieder auf und sah die schneeweiße Decke über mir. Was sollte es: Dann war ich eben verrückt geworden War doch völlig egal. Wen kümmerte das schon? Was änderte das? Dann lebte ich eben in meiner Traumwelt, die viel schöner war als die triste Realität. Dann bildete ich mir eben ein, dass sie nur für mich sang. Vielleicht war das ja der einzige Weg, um mit dieser Situation klarzukommen. Ich hatte Healer und Maker vorhin ja gesagt, dass ich aufgeben wollte. Und mein Wort würde ich auch halten. Natürlich war das nicht der ideale Weg, jemanden loszulassen, indem man weiter von ihr träumte und sie sich vorstellte. Doch es war ja nicht für immer. Irgendwann … würde ich soweit sein. Doch jetzt noch nicht. »Darf ich noch auf dich hoffen? Darf ich auf deine Rückkehr warten? Darf ich warten, ohne dabei ständig Angst zu haben: Du wirst doch nie wiederkommen? Doch ich trage diese leise Hoffnung noch in mir … Ich versuche auch nicht, sie zu verscheuchen … Denn diese Hoffnung ist das, was uns neben unserer Liebe … in dieser schweren Zeit der Trennung noch verbindet …« Unsere Liebe? Hatte es sie jemals gegeben? Meine Liebe gab es, definitiv. Meine unerwiderte Liebe. Aber unsere Liebe hatte es nie gegeben. Und es würde sie auch nie geben. Völlig ausgeschlossen. Ich schüttelte leicht verärgert meinen Kopf. Was träumte ich nur wieder für einen absoluten Mist zusammen? Ein beiläufiger Blick auf die Armbanduhr verriet mir, dass bald Zeit für’s Essen war. War bestimmt nicht verkehrt, mich mal wieder in die Gesellschaft zu wagen. Wenn ich noch länger in diesem Zimmer bleiben und ständig diese Liedfetzen hören würde, würde ich früher oder später wirklich noch durchdrehen. »Mein Liebster! Ich vermisse dich! Ich vermisse dich so sehr! Mein Herz schreit nach dir … Es wird immer nach dir schreien … Ich werde mich immer nach dir sehnen …« »Wie kannst du dich nach mir sehnen?«, schnaubte ich in Gedanken, während ich durch den langen Korridor entlangging. »Du hast in mir doch nie mehr gesehen als einen einfachen Freund. Glaub mir: Die Sehnsucht nach einem einfachen Freund ist nicht zu vergleichen als das qualvolle Verlangen nach der Person, die man über alles liebt.« Jetzt führte ich in meinen Gedanken schon Selbstgespräche. So tief war ich also schon gesunken. Ernüchternd. Die Hände zu Fäusten geballt und tief in meinen Hosentaschen vergraben bog ich in den Speisesaal ab und sah, wie das Essen schon angerichtet war. Ich zwang mich zu einem halbwegs ehrlichen Lächeln, als ich mich zu den anderen setzte. »Warum müssen wir so weit voneinander entfernt sein? Warum nur sehne ich mich nur so nach dir? Ich kenne nun die Antwort … Vergiss nie, was ich dir jetzt offenbare: Du bist nun der wichtigste Mensch in meinem Leben …« »Na, was steht bei euch so an?« Healer verschluckte sich an ihrem Bissen Reis. Mit einem heiteren Kopfschütteln klopfte ich ihr hilfsbereit auf den Rücken. Ich konnte mir vorstellen, wie überrascht sie über meine Worte sein musste. Seit unserem Fortgang von der Erde hatte ich mich nie nach ihnen erkundigt und auch beim Essen nie etwas gesagt, sondern nur lustlos im Gericht herumgestochert und nur ein Wort rausgebracht, wenn ich explizit dazu aufgefordert wurde. Und wenn, dann waren es nicht mehr als einsilbige Antworten. Es war also nachvollziehbar, dass mich Healer, Maker und auch Prinzessin Kakyuu nun fassungslos anstarrten, als wäre ich ein Geist. Ich lachte gekünstelt. »Was denn?«, stellte ich mich dumm. »Warum macht ihr denn jetzt solche Gesichter?« Wenn ich diese Rolle nur ansatzweise überzeugend spielte, wusste ich, dass meine Freunde mitmachen würden. Sie wünschten sich doch auch nur, dass bei mir wieder der normale Alltag einkehrte. Und wenn ihnen vor Augen geführt wurde, dass ich wirklich auf dem richtigen Weg war, würden sie auch ohne zu zögern mitspielen, selbst, wenn sie meine Fassade durchschauten. Hier zählte ja allein schon die Bemühung von meiner Seite, die sich in diesem Fall auch auszahlte: Sie standen mir lebhaft Rede und Antwort, wie ich es nicht anders erwartet hatte. »Mein Liebster! Ich vermisse dich! Ich vermisse dich so sehr! Mein Herz schreit nach dir … Es wird immer nach dir schreien … Ich werde mich immer nach dir sehnen …« Unwillkürlich knirschte ich mit den Zähnen. Wieso hörte es nicht auf? Angestrengt versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen und meinen Freunden weiter interessiert zuzuhören. Oder wenigstens so zu tun als ob. »Endlich weiß ich es … Endlich kenne ich meine Gefühle für dich … Doch was bringt das, wenn du nicht mehr bei mir bist? Nur Leere, Schmerz und Hoffnungslosigkeit?« »Bitte sei doch endlich still«, zischte ich verzweifelt und hielt mir meinen Kopf, nachdem ich mein Besteck abgelegt hatte. »Hast du was gesagt?«, hörte ich Makers besorgte Stimme. Mist – hatte ich das etwa laut gesagt? »Geht es dir nicht gut, Fighter?« Auch die Prinzessin hatte sich nun zu Wort gemeldet. »Bitte entschuldigt mich. Ich habe ein bisschen Kopfweh und muss mich mal kurz hinlegen.« »Früher, mein Liebster … Früher saßen wir im gleichen Boot … Früher, mein Liebster … waren wir zusammen …« Kraftlos ließ ich mich auf’s Bett fallen. Diese Illusionen machten mir mehr zu schaffen, als ich gedacht hatte. Aber nicht, weil ich diese Worte nicht hören wollte, sondern weil ich einfach wusste, dass sie nicht real waren. Weil mir bewusst war, dass ich sie nie hören würde. Niemals. Und genau aus diesem Grund wuchs mein Verlangen nach Usagi nun ins Unermessliche. »Halt doch bitte endlich deinen Mund …« Kapitel 6: The First Message ---------------------------- 6 THE FIRST MESSAGE »Kann das wirklich sein, dass ich nicht träume?« Nun war Schluss mit lustig. Es durfte nicht so weitergehen. Schon seit Tagen jagte mich dieses Lied und dachte offensichtlich gar nicht daran, von mir abzulassen. Ich war wirklich kurz davor, mich selbst zu verlieren in diesem Strudel aus Versen. Ich musste endlich mit Usagi abschließen. Je schneller, desto gesünder für mich und mein Umfeld. Sonst würde mein Verstand sicherlich einen bleibenden Schaden davontragen, und das konnte ich nicht riskieren. Nicht mehr. Wie in Trance las ich mir den Brief durch, den ich vorhin geschrieben hatte. Ein Brief, der meine tiefsten Gedanken beinhaltete. Mein Schätzchen würde ihn niemals zu Gesicht bekommen. Meine liebste Usagi, nun hast du mich sogar schon dazu gebracht, dir einen Brief zu schreiben. Ich dachte, dass es bereits der Gipfel war, dass ich dir ein Lied gewidmet habe. Aber nein: Es kommt noch härter. Eigentlich war ich nie der Typ gewesen, der irgendwelche Schriftstücke verfasst. Ich war immer ein Mann der Taten gewesen und habe mich mündlich besser ausdrücken können. Jemand, der lieber selbst alles angepackt hat statt sich hinter irgendwelchen Worten oder Papieren zu verstecken. Doch du hast es tatsächlich geschafft, mich dazu zu bringen, jetzt hier an meinem Schreibtisch zu sitzen und dir einen Brief zu schreiben. Was machst du bloß mit mir? Du hast mich schon vom ersten Moment an verzaubert mit deiner Ausstrahlung. Ein einziger Blick deiner wunderschönen Augen hat ausgereicht, um dir mit Haut und Haaren zu verfallen. Kannst du mir verraten, wie du das angestellt hast? Schon lange stelle ich mir immer und immer wieder diese Frage, finde jedoch keine plausible Antwort darauf. Mein Herz kennt die Antwort, kann sie jedoch nicht richtig in weltliche Worte verpacken. Denn keine Worte dieser Welt können es schaffen, meine Gefühle für dich zu beschreiben. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Genauso unmöglich, alle Sterne dieses Weltalls mit bloßem Auge abzuzählen. Deswegen gebe ich mir gar nicht erst die Mühe, auf die ewige Suche nach den richtigen Worten zu gehen. Daher nur drei simple Worte, die doch so viel aussagen: Ich liebe dich. Ich liebe dich schon, seit ich dich das erste Mal gesehen habe. Von Anfang an habe ich mich zu dir hingezogen gefühlt. Du hast mir überhaupt keine andere Wahl gelassen, als mich in dich zu vergucken. Es ist nun schon über ein Jahr her, seit ich dir den Rücken gekehrt habe, um nach Euphe zurückzukehren. Und seitdem ist keine einzige Minute vergangen, an dem ich nicht an dich gedacht habe. Nicht einmal im Schlaf verschonst du mich. Sowohl in meinen Tagträumen als auch in meinen Nachträumen spielst du die allgegenwärtige Hauptrolle. Wie du eben auch in meinem richtigen Leben die zentrale Figur bist. Ob du wohl wenigstens ab und zu auch an mich denkst? Ich weiß, dass ich niemals die Rolle in deinem Leben spielen werde wie du in meinem. Es steht mir eigentlich gar nicht zu, dich das zu fragen. Ich hoffe, dass es wenigstens dir gut geht. Dass wenigstens du glücklich bist. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass es mir so schwerfallen würde, dich loszulassen. Natürlich hat der Abschied und zu wissen, dass ich nicht mehr ständig bei dir sein kann, geschmerzt. Und doch habe ich mich mit dem Gedanken getröstet, dass wenigstens du glücklich sein müsstest. Habe versucht, mir das immer einzureden und dich irgendwann endlich hinter mir zu lassen. Doch Pustekuchen: Da habe ich die Rechnung ohne mein uneinsichtiges Herz gemacht. Jetzt geht es sogar schon los, dass ich ständig deine Stimme höre. Nun habe ich doch tatsächlich schon Halluzinationen davon, dass du für mich dieses eine Lied singst. Noch nie zuvor hatte ich so einen schlimmen und hartnäckigen Ohrwurm gehabt. Nicht falsch verstehen: Das Lied ist wunderschön, aber während es mich zart streichelt, peitscht es mich auch gnadenlos aus. Ich ertrage es kaum noch, deine Stimme zu hören mit dem Wissen, dass das niemals wahr sein kann. Dass ich mir das alles nur einbilde. Dass du diesen Text niemals für mich singen würdest. Und das ist für mich das klare Zeichen, dass ich nun damit aufhören muss. Ich muss anfangen, dich wirklich loszulassen. Sonst verliere ich irgendwann den Verstand, und ich denke, das ist auch nicht in deinem Sinne, habe ich recht? Ich darf nicht nur an mich denken. Ich habe Verpflichtungen. Freunde. Meine Prinzessin. Sie alle brauchen mich. Ich muss für sie da sein. Und um das zuverlässig tun zu können, muss ich mich endgültig von dir losreißen. Dann wird hoffentlich auch dieser Ohrwurm endlich ein Ende haben. Ich vermisse dich. Ich vermisse dich so sehr, Schätzchen. Genug, um zu sterben. Doch mein Pflichtbewusstsein verbietet es mir, jetzt schon draufzugehen. Bitte gib mir auch die Chance, wenigstens … zufrieden zu sein. Ich erwarte gar nicht, glücklich zu werden, denn von diesem Gedanken habe ich mich schon längst verabschiedet. Wirklich glücklich könnte ich nur an deiner Seite als dein Mann werden. Es reicht mir, ein solides Leben zu führen. Mehr brauche ich nicht. Ich habe mich bereits damit abgefunden. Mit diesem Brief erlaube ich mir nun, mit dir abzuschließen. Zwar werde ich es nie schaffen, dich komplett zu vergessen, aber ich werde zusehen, nun wirklich anzufangen, ohne dich zu leben. Wahrhaftig zu leben. »Hörst du mich Seiya? Ich bin‘s, Usagi …« Entsetzt ließ ich achtlos meinen Stift fallen. Das war … eine Botschaft. Eine richtige Botschaft. Da konnte mir keiner etwas vormachen. Diese Art von Botschaft kannte ich nur zu gut; hatte ich derartige Nachrichten doch lange Zeit selbst bis zum Verrecken abgeschickt. Aber … das konnte doch nicht sein. Es war ganz sicher keine Halluzination – dafür klang die Stimme viel zu echt. Mein ganzer Körper fühlte sich mit einem Mal so leicht an. Als würde ich schweben. Und plötzlich wurde um mich herum alles in ein tiefes Schwarz getaucht. Im nächsten Augenblick ein greller Blitz, der meine Hand automatisch mein Augenlicht schützen ließ. Als er allmählich abebbte, öffnete ich leicht blinzelnd meine Augen und blickte nach vorne. Ungläubig erkannte ich eine schmale Silhouette, die mir nur allzu vertraut war. Obwohl ich sie schon seit einem Jahr nicht mehr gesehen hatte, konnte ich mich an jedes einzelne Detail ihrer Erscheinung erinnern. Ich sah sie schließlich oft genug originalgetreu in meiner Fantasie. Allmählich wurde die Silhouette klarer, wandelte sich zum Bild einer perfekten Frau. Die leichte Brise spielte mit ihren unendlich langen Haaren, während ihr Kleid langsam eine erdbeerrote Farbe annahm. Nun war auch ihr Antlitz zu erkennen. Ihr wunderschönes, liebliches Gesicht, auf dem ein zärtliches Lächeln lag. Diese glasklaren, blauen Augen, die nur mich allein ansahen … Ihre widerhallende Stimme, die nur zu mir sprach … »Hoffentlich hast du mich nicht schon vergessen. Schließlich ist es schon lange her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Viel zu lange … Aber ich weiß, dass es unmöglich ist. Du bist schließlich nicht der Typ, der seine Freunde so schnell vergisst.« Fassungslos holte ich tief Luft. Nun waren alle Zweifel beseitigt: Sie sprach wirklich zu mir. Nein, das konnte ich mir einfach nicht einbilden. So eine Art von Botschaft konnte ich mir nicht bloß vorstellen. Ich konnte mich nicht so sehr täuschen. Doch wie … machte sie das? Seit wann konnte sie auch auf diesem telepathischen Wege kommunizieren? Aber lag es nicht auf der Hand? Sie war eine übermächtige Prinzessin. Was wir konnten, konnte sie schon lange. Ich dachte kurz über ihre Worte nach und schüttelte bloß schnaufend meinen Kopf. »Ich dich vergessen? Wo denkst du nur hin. Wie könnte ich dich jemals vergessen … selbst wenn ich es mir noch so sehr wünsche; selbst wenn ich mich dazu zwinge. Blöd, dass man seine Gefühle nicht kontrollieren kann, nicht wahr?« »Ich kann es kaum glauben: Ich, die kleine Usagi, stehe und singe wirklich ganz alleine vor einem riesigen Publikum. Und du wirst es wahrscheinlich auch nie glauben, bis du es nicht mit eigenen Augen gesehen hast. Kann ich dir auch nicht verübeln: Mir würde es genauso gehen.« Sie sang vor einem riesigen Publikum? Mir kam die ganze Szene vor wie aus einem unglaubwürdigen Film. Wieso sollte sie so etwas derart … Verrücktes tun? Doch die Antwort folgte auf dem Fuße … »Das hast übrigens nur du ermöglicht. Ohne dich wäre ich nie so weit gegangen. Ohne dich hätte ich nie so ehrgeizig eine Gesangskarriere angestrebt, sondern wäre nach ein paar Tagen schon von dieser Sache gelangweilt gewesen und hätte mich schnell wieder davon abgewandt. Doch es ist nicht nur irgendeine ganz normale Karriere. Ich singe nur für dich …« Ohne es mir selbst bewusst zu sein hatte ich automatisch die Luft angehalten. »Nur für mich?«, wiederholte ich wispernd und konnte das alles noch gar nicht so recht realisieren. Gespannt lauschte ich weiter ihrer Stimme, die wieder zu sprechen begann. Dabei wurde sie von dem Lied begleitet, das mir schon seit Tagen im Kopf herumgeisterte. »Ich war damals so naiv gewesen. Wieso hatte ich dich nur gehen lassen? Inzwischen bereue ich es zutiefst, denn ein großes Stück meiner Seele hat mich mit dir verlassen. Du hast es mir genommen. Und du bist der einzige Mensch auf dieser Welt, der mir dieses große Stück wieder zurückgeben kann …« »Was redest du denn da? Ist dir eigentlich klar, wovon du da sprichst?« Verwirrt schüttelte ich heftig meinen Kopf. Das konnte doch alles gar nicht wahr sein. Warum sollte ich der Einzige sein? Sie hatte doch ihren Mamoru! Da gab es keinen Platz mehr für mich. »Du gehst mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wir haben so viel zusammen erlebt … Ich vermisse unsere gemeinsame alte Zeit sehr, und natürlich ganz besonders … dich … Bitte melde dich wieder bei mir. Nur deswegen bin ich Sängerin geworden: Um dich wiederzusehen … Du fehlst mir so sehr, Seiya …« Das klang fast so, als würde sie mich … lieben. Absolut absurd. Total bescheuert. Dafür gab es keine anderen Worte. Es ergab einfach alles keinen Sinn. »Ich möchte meinen besten Freund wieder in meiner Nähe haben … Mit dem ich über alles reden kann … Bei dem ich mich geborgen und sicher fühle … Mit dem ich wieder viel Spaß haben und aus tiefstem Herzen lachen kann …« Ihre Botschaft bekam nun einen faden Beigeschmack. Als besten Freund brauchte sie mich also. Es konnte mich ruhig jeder für unersättlich halten, doch: Es genügte mir nicht. Nur ihr bester Freund zu sein, reichte mir nicht. Entweder ganz oder gar nicht. Da war ich rigoros. Doch allem Anschein nach schienen sich meine geheimsten Wünsche zu erfüllen … »Ich möchte dir noch so viel erzählen, Seiya … Es ist in der Zwischenzeit so viel passiert …« Was war nur vorgefallen, was sie dazu bewegt hatte, mir so eine Botschaft zu überbringen? Hatte sie etwa gerade Streit mit Mamoru? Lief es nicht gut? Was sollte sonst der Grund für das Ganze sein? »Ich brauche dich, Seiya!« Nun ließ sie wirklich keine Zweifel mehr offen: Sie empfand in der Tat etwas für mich. Das Unmöglich war nun tatsächlich eingetreten. Doch warum um alles in der Welt … konnte ich mich nicht darüber freuen? Warum schwebte das Damoklesschwert gefährlich nahe über meinem Kopf? Es war doch genau das, was ich mir während der ganzen Zeit insgeheim und sehnlichst gewünscht hatte: dass sie meine Gefühle anerkannte und erwiderte. Ob ich sie liebte, stand natürlich außer Frage. Daran hatte sich nie etwas geändert. Eher war der gegenteilige Effekt festzustellen: Meine Liebe zu ihr war nur noch stärker geworden. Viel stärker als jemals zuvor. Und am liebsten würde ich jetzt sofort aus dem Fenster springen und mich auf dem Weg zu ihr machen. Aber … ich konnte doch nicht meinen Heimatplaneten einfach so im Stich lassen. Nicht noch einmal. Ich konnte die Prinzessin, Maker und Healer nicht im Stich lassen. Das war mit meinem großen Pflichtbewusstsein und meiner Loyalität nicht vereinbar. Meine Güte - wie bescheuert war ich eigentlich? Schon damals auf der Erde hatte ich mich so im Zwiespalt zwischen Liebe und Pflicht befunden. Hätte sie damals auch nur eine Silbe in dieser Richtung gesagt – ich wäre auf der Stelle bei ihr geblieben. Und jetzt, wo sie mich sogar schon zu sich rief, passte es mir auch nicht. Obwohl ich mir immer gesagt hatte, dass ich sofort zu ihr stürzen würde, wenn ich auch nur einen Mucks von ihr hörte. Und jetzt, wo es tatsächlich soweit war, kriegte ich Vollpfosten den Arsch nicht hoch. Konnte man es mir überhaupt recht machen? Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals so kompliziert gewesen zu sein. Kompliziert waren immer Maker und Healer gewesen, aber ich? Ich war immer die personifizierte Unkompliziertheit gewesen. Sollte nun auch dieser Ruf von mir dahin sein? Ich erhob mich seufzend von meinem Stuhl, schritt zu meinem geliebten Bett und ließ mich vorwärts darauf fallen. Keinen Laut von mir gebend vergrub ich mein Gesicht ins große, weiche Kissen. Was sollte ich bloß tun? Was sollte ich jetzt machen? Kapitel 7: Distaction --------------------- 7 DISTACTION »Ich darf mich nicht von meinen Gefühlen leiten lassen!« Mit einem kampflustigen Grinsen stand ich den Gegnern gegenüber, die gerade dabei waren, unseren Planeten anzugreifen. Aber dafür mussten sie erst einmal an mir vorbei. Das würden sie aber niemals schaffen – das konnte ich ihnen versprechen. Sie kamen eigentlich genau zur richtigen Zeit und versprachen mir Abwechslung. Und Ablenkung. »Na kommt schon her, ich bin eh gerade in Stimmung dafür, euch die Lebenslichter auszuknipsen«, provozierte ich sie weiter mit einem spöttischen Unterton. Um noch eins draufzusetzen, winkte ich sie zu mir. Wie es zu erwarten war, ließen sie das nicht auf sich sitzen und ich sah, wie einer schon wild geworden auf mich zustürmte. Ich grinste selbstsicher, während das Adrenalin durch meine Venen schoss. Was für primitive Gestalten. Mit großer Vorfreude stürzte ich mich in den Kampf. Denn in den Momenten, wo ich kämpfte und mich an der gefährlichen Grenze zwischen Leben und Tod befand, konnte ich alles um mich herum ausblenden. Hier konnte ich meine eigentlichen Probleme vergessen. Es war wie ein Rauschzustand. Ich weiß, dass es eine Sucht war. Eine lebensgefährliche Sucht. Doch das ging mir ziemlich am Arsch vorbei. Hauptsache, ich konnte endlich … vergessen. Alles und jeden. Stöhnend vor Schmerz schritt ich zum Palast der Prinzessin. Na ja, genau genommen war mein Gehumpel nicht mehr als ein »Schreiten« zu bezeichnen. Ich war froh, dass ich mich überhaupt noch auf den Beinen halten konnte. Ich hatte es mal wieder ziemlich übertrieben mit der Kämpferei. Ich musste akribisch aufpassen, keine Blutspur innerhalb des Palastes zu hinterlassen, wenn ich nicht zu einem Verhör gerufen werden wollte. Genervt verdrehte ich meine Augen bei dieser äußerst lebhaften Vorstellung. Als ich mich leichtsinnigerweise aufrichtete, um zu sehen, in welcher körperlichen Verfassung ich mich tatsächlich befand, durchzuckte mich augenblicklich ein stechender Schmerz, der sich vom Bauchbereich über meinen gesamten Körper ausbreitete. Verdammt. Jetzt, wo der Kampf vorbei war, spürte ich nun auch die Verletzungen, die ich mir während des Gefechts zugezogen hatte. Wie auch bei einem normalen Rausch folgte danach immer das böse Erwachen. »Verdammt, tut das weh«, jammerte ich leise und taumelte auf mein Zuhause zu. Mit meinem unversehrten linken Arm hielt ich stets auf meine rechte Bauchseite gedrückt, um die Blutung so gut es ging zu stoppen. Oh je, bestimmt gab es dort ein schönes großes Loch, was ich vor den anderen bestimmt nicht lange verstecken konnte. Verärgert darüber biss ich mir leicht auf die Unterlippe. Auf Schimpftiraden von Maker oder Healer hatte ich nämlich echt keinen Bock mehr. Eigentlich wäre es am vernünftigsten, mich erst wieder blicken zu lassen, wenn meine Verletzungen einigermaßen verheilt waren. Doch so wie es aussah, würde das noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Außerdem war ich eh schon seit eineinhalb Wochen weg – am Ende würden sie noch ein Suchkommando auf mich hetzen. Das konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen. Und so musste ich nun doch in den sauren Apfel beißen und hoffen, dass sie nicht mehr bemerkten als unbedingt nötig. Ich wunderte mich selbst, wie ich es tatsächlich geschafft hatte, in mein Zimmer zu verschwinden, ohne erwischt zu werden. Glücklicherweise hatte ich ein eigenes Bad, das ich auch gleich als mein nächstes Ziel anstrebte. Der erste Blick in den Spiegel versetzte mich gleich in einen Schock. Oh mein Gott, war ich übel zugerichtet! Das Gesicht blutunterlaufen, während mein Oberkörper nur so von Prellungen, Blutergüssen und Brüchen übersät war. Auch der untere Bereich, der nicht vom Spiegel erfasst wurde, sah bestimmt nicht besser aus - den Schmerzen nach zu urteilen. Und an die inneren Verletzungen wollte ich gar nicht erst denken. Mit aller Mühe biss ich mir fest die Zähne zusammen und versuchte, mich aus meiner Kleidung zu befreien. Als ich endlich zu mir herabschaute, traf mich gleich der nächste Schlag meines Lebens. Jetzt hatte ich im guten Licht ja endlich Sicht auf alle wichtigen Teile meines Körpers – oder was davon noch übriggeblieben war. Ungläubig sah ich in das riesige Loch in meinem Bauch. Nicht nur das: Meine komplette rechte Körperhälfte war total zertrümmert. Diese einschneidenden Verletzungen hatte ich im Kampf gar nicht so richtig gespürt. Und in diesem Moment fragte ich mich ernsthaft, wie ich überhaupt noch leben geschweige denn mich bewegen konnte. Ich war wohl sogar noch zäher, als ich gedacht hatte. Angestrengt hievte ich mich zum Medizinschrank und holte eher schlecht als recht den Erste-Hilfe-Kasten heraus. So gut es ging musste ich mich selbst verarzten, bevor die anderen Wind davon bekommen konnten. Als wäre ich nicht schon mit diesen Blessuren gestraft genug – wobei: Ich hatte es ja unbedingt so gewollt. Besonders weit kam ich mit meinem Vorhaben nicht: Mir schwand die Kraft augenblicklich, als ich den Kasten in den Händen hielt, sodass er laut scheppernd vor meine Füße fiel. Na das hatte ich mal wieder toll hinbekommen. Wenn die anderen nicht spätestens jetzt nach meinem unfreiwilligen Weckruf wach waren, dann waren sie mehr als nur taub. Mir blieb jedoch keine Gelegenheit, um mich darüber zu ärgern, weil mich im nächsten Moment ein widerlicher Würgereiz überkam. Ich konnte es nicht aufhalten, hustete den Reiz raus, der sich von meinem Magen bis in die Speiseröhre hinaufgeätzt hatte. Ein metallischer Geschmack machte sich in meinem Mund breit. Ich verzog angeekelt das Gesicht. Blut, welches nun schön auf dem kalten Fließboden des Bades aus meinem Mund tropfte. Na ganz toll – jetzt durfte ich auch noch den Dreck wegschrubben und alle weiteren Indizien vertuschen. Ich verdrehte meine Augen, doch bemerkte dadurch eine weitere unangenehme Tatsache: Plötzlich sah ich doppelt. Oh je – was war nur mit mir los? »Verdammt!«, fluchte ich und versuchte, mich runterzubücken. Doch auch dieser Versuch scheiterte, als mir in diesem Moment mit einem Mal schwarz vor Augen wurde. Unsanft stieß ich mit einem Lendenwirbel gegen das Waschbecken, doch den Schmerz, der sich an dieser Stelle breitmachte, spürte ich gar nicht mehr. Ich war wie gelähmt, als ich Stück für Stück immer weiter den Halt in dieser Welt verlor und immer weiter in mich zusammensank. War es nun wirklich vorbei? Musste ich wirklich auf diese unspektakuläre Weise ins Gras beißen? Alleine und einsam im heimischen Bad, ohne dass es jemand bemerken würde? Ich hatte mir durchaus andere Vorstellungen gemacht, wie ich krepieren könnte. Zum Beispiel heldenhaft in einem Kampf fallen, um die Menschen zu beschützen, die mir wichtig waren. Oder einfach aus Altersgründen irgendwann das Zeitliche segnen. Aber der mit Abstand schönste Tod wäre gewesen, dabei in ihren Armen zu liegen. Wenn ihre strahlend blauen Augen das Letzte gewesen wären, was ich vom Diesseits gesehen hätte. Das wäre mein Traum gewesen. Ein Traum, der niemals in Erfüllung gehen konnte. Immer mehr merkte ich, wie ich die Kontrolle über meinen eigenen Körper verlor. Es war nun wirklich vorbei. Meine Tage waren gezählt. Kein Zweifel. Doch dafür hatte ich eh ziemlich lange durchgehalten bei diesem enormen Blutverlust und dem völlig malträtierten Körper. Ich schloss meine Augen, als ich dabei war, komplett das Bewusstsein zu verlieren. Ein schwaches Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Das war also mein Ende. Ich verspürte keinerlei Angst davor. Im Gegenteil: Ich blickte dem Tod schon sehnsüchtig entgegen, der mich endlich von all meinen Qualen erlösen würde. Mein allerletzter Gedanke, bevor ich diese Welt verließ, war sie. Auf diesem Wege konnte ich in meinen letzten Atemzügen doch noch in ihre kristallklaren Augen sehen. Schätzchen … Schätzchen … Schätzchen … Kapitel 8: Slow Death --------------------- 8 SLOW DEATH »Ich sterbe. Jeden Tag ein Stückchen mehr.« Ich spürte etwas um meinen Körper. Etwas Weiches. Und Warmes. Fühlte sich so der Tod an? Man sagte ja immer, dass man sich dann ziemlich leicht und unbeschwert fühlte. Einfach wohl. Also möglich, dass ich inzwischen über den Jordan gegangen war. Als ich versuchte, mich zu bewegen, durchzuckte ein unangenehmes Ziehen meinen gesamten Körper. Mit einem Mal spürte ich jeden einzelnen Muskel, den ich hatte. Sie schmerzten nicht unbedingt, fühlten sich aber unangenehm an. Okay, dafür, dass ich tot sein sollte, empfand ich viel zu viel. »Fighter, bist du wach?« Okay, ich war definitiv nicht tot. Denn die Prinzessin war es ganz bestimmt nicht – hoffte ich zumindest. Sofort schlug ich meine Augen auf, als ich ihre Stimme hörte und sah aus den Augenwinkeln ihre feuerroten Haare, die überall ein Blickfang waren. Sie wachte neben meinem Bett und hatte anscheinend nur darauf gewartet, bis ich endlich wieder das Bewusstsein erlangen würde. Langsam drehte ich mich zu ihr um. »Prinzessin …« »Hast du noch Schmerzen?«, fragte sie mich mit besorgter Stimme, die sich auch in ihren Augen in aller Deutlichkeit widerspiegelte. Wahrheitsgemäß verneinte ich ihre Frage mit einem leichten Kopfschütteln. Bestimmt hatte sie ihre Kräfte eingesetzt, um mich zu heilen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich sonst überhaupt noch am Leben sein konnte nach dem Zustand, in dem ich mich letztens noch befunden hatte. Ja, letztens. Eine genauere Zeitangabe konnte ich nicht machen, weil ich nicht den geringsten Dunst hatte, wie lange ich nicht bei Bewusstsein gewesen war. Ich brauchte ihr die Frage aber gar nicht erst zu stellen, weil sie sie mir von sich aus beantwortete. Wahrscheinlich stand mir diese Frage ins Gesicht geschrieben, sodass sie sie nur abzulesen brauchte. »Du hast drei Tage lang nur geschlafen. Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht. Ich wäre fast gestorben vor Sorge, als wir dich im Bad entdeckt haben. Dein Herz hat bereits aufgehört zu schlagen, aber zum Glück war es noch nicht zu spät. Ich konnte dich gerade noch rechtzeitig zurückholen.« Wow, ich war also tatsächlich schon tot gewesen. In diesem Moment konnte ich wirklich nicht sagen, ob ich der Prinzessin dafür dankbar sein sollte, dass sie mich wieder in die Welt der Lebenden befördert hatte. Vielleicht wäre es ganz gut gewesen, wenn ich tot geblieben wäre. Dann wäre endlich alles schnell zu Ende gewesen. Stattdessen musste ich nun doch quälend langsam den Löffel abgeben, indem ich lebte. »Es tut mir leid, dass ich Euch Sorgen bereitet habe«, entschuldigte ich mich betreten. Mehr konnte ich dazu nicht sagen. Ich hatte nicht das Bedürfnis danach, mein Verhalten zu rechtfertigen. Wie sollte ich ihr denn bitte auch erklären, dass ich ein Adrenalin-Junkie geworden war und den Kick durch das Gekloppe einfach brauchte, um ein Gefühl von Freiheit verspüren zu können? Sie würde mich doch komplett für irre halten. Sie würde das niemals nachvollziehen können, denn dafür war sie viel zu sanftmütig und verabscheute Gewalt zutiefst. Da waren sie sich vom Wesen so ähnlich; sie und Usagi. Prinzessin Kakyuu schwieg. Es sah so aus, als würde sie nach den richtigen Worten suchen. In diese Zeit entstand auch ein unangenehmes Schweigen zwischen uns. Irgendetwas lag in der Luft, doch keiner konnte seine wahren Gefühle und Absichten aussprechen. Unsere Hemmschwelle erschien mir größer als jemals zuvor. Früher hatte ich mit ihr über alles reden können – hatte sie mehr als Freundin statt als Prinzessin betrachtet. Seit ich auf der Erde gewesen war, war unser Verhältnis viel distanzierter und kühler geworden. Diese Tatsache wurde mir in diesem Moment wieder vor Augen geführt. Die Stille fand ein jähes Ende, als Healer dicht gefolgt von Maker ins Zimmer reingestürzt kam. Sie sahen ziemlich erschöpft aus – die ganze Situation machte ihnen offensichtlich auch ziemlich zu schaffen. Ein schlechtes Gewissen überkam mich reumütig. Als ob es nicht schon genug war, dass ich mich selbst ins Verderben stürzte. Warum musste ich unbedingt meine engsten Verbündeten in diese Sache mitreinziehen? Was war ich doch nur für ein Egoist. »Seiya, endlich bist du wach! Du hast wirklich nichts als Scheiße im Kopf, oder? Wir wären fast umgekommen vor Sorge!« Ich kniff mir die Augen zu bei der schrillen Stimme, obwohl meine Ohren den Schutz nötiger gehabt hätten. Prinzessin Kakyuu erhob sich in diesem Moment und sah mich mit einem ernsten Ausdruck an. »Wenn du dich erholt hast, würde ich gerne mit dir sprechen.« Es klang wie eine Bitte, doch ich wusste, dass es ein Befehl war, dem ich mich zu beugen hatte. Wenn sie in so einem resoluten Tonfall sprach, musste das etwas sehr Ernstes sein. Mir blieb also gar nichts anderes übrig, als ihr nicht zu gehorchen. Zaghaft nickte ich daher. »Ja wohl. Ich komme, sobald ich kann.« Von Ruhe konnte allerdings dennoch nicht die Rede sein, denn als Kakyuu das Zimmer verließ, ertönte abermals Healers scharfe Stimme, die den gesamten Raum erfüllte. »Das kann doch echt nicht wahr sein! Wenn du mal nicht kämpfen musst, trainierst du bis zum Umfallen. Jetzt ist es sogar so weit gekommen, dass du fast gestorben bist – wann siehst du endlich ein, was du damit anrichtest? Was du uns damit antust? Es ist ja schön und gut, dass du dich nun nicht mehr die ganze Zeit in deinem Zimmer verkriechst, aber du treibst es langsam echt auf die Spitze. Kannst du denn nichts anderes mehr als uns Sorgen zu bereiten? Macht dir das vielleicht sogar Spaß? Tust du das mit Absicht? Ich kann es mir langsam nicht mehr anders erklären!« Alles, was ich hörte, waren schwere Vorwürfe. Healer schleuderte wie gewöhnlich alles raus, was ihr in den Sinn kam. Und zugegebenermaßen konnte ich sie gut verstehen. An ihrer Stelle würde ich mich wohl nicht anders verhalten, denn auch mir mangelte es bekanntlich nicht an feurigem Temperament. Ich wusste ja, wie sie das meinte. Sie konnte ihre grenzenlose Sorge eben nur auf diese unsensible Weise zeigen. »Kommt nicht wieder vor. Könntet ihr bitte gehen? Ich würde mich gerne ausruhen.« Ich sah, wie Healer wieder ansetzen wollte, jedoch von Maker aufgehalten wurde. »Ist in Ordnung. Sag einfach, wenn du etwas brauchst.« Nach diesen Worten schob sie die lautstark protestierende Healer aus meinem Zimmer raus. »Lass mich; er hat eine Abreibung verdient!« Ich konnte nur grinsend den Kopf schütteln, bevor ich nachdenklich meine Augen schloss. Diesmal war ich wirklich haarscharf dem Tode entronnen. Es wäre wirklich vorbei gewesen, wenn Kakyuu nicht rechtzeitig gekommen wäre. Ich konnte das noch gar nicht so recht begreifen. Nun war ich bereits in dem Stadium, dass ich den Tod mit Freude begrüßen konnte. So gleichgültig war mir das Leben nun schon. Nicht zu fassen, was die Liebe in mir kaputtmachte. »Schön, dass du dich soweit erholt hast, dass du dich wieder bewegen kannst«, stellte die Prinzessin mit einem warmen Lächeln fest, als ich in ihren Saal eintrat. »Danke, dass Ihr mir das Leben gerettet habt«, begann ich etwas verlegen und sah dabei zur Seite. Ich konnte wirklich nicht sagen, ob ich das ernst meinte oder nicht. Ich hätte wirklich nichts dagegen gehabt, wenn sie mich hätte abkratzen lassen. Wahrscheinlich bedankte ich mich nur wegen meines wohlerzogenen Anstandes. Ja, das würde es wohl sein. Irgendwie fühlte ich mich ziemlich unwohl in ihrer Gegenwart. Sie hatte mich schließlich herbestellt – bestimmt wollte sie noch wegen meiner lebensgefährlichen Verletzungen ein ernstes Wörtchen mit mir sprechen. Oh je, das konnte noch heiter werden. »Möchtest du mir nicht endlich verraten, was dich belastet, Fighter?« Erstaunt blickte ich auf. Also schlug sie sogar den direkten Weg ein, was für sie wirklich nicht üblich war. Angestrengt überlegte ich, wie ich aus dieser Nummer wieder herauskommen konnte. »Ich verspreche Euch, dass es nicht mehr vorkommen wird. Ich war wirklich zu leichtsinnig. Ich habe Euch schließlich geschworen, Euch für immer mit Einsatz meines Lebens zu beschützen. Und mein Wort werde ich auch halten, verlasst euch darauf. Deshalb werde ich mein Leben garantiert nicht so leichtfertig wegschmeißen.« Kakyuu sah mich mit undurchdringlicher Miene an. Lange Zeit schwieg sie nur, was mich immer nervöser werden ließ. Was dachte sie wohl? Was wollte sie mir sagen? Unbewusst runzelte ich fragend meine Stirn vor steigender Anspannung. Ihre Stimme klang belegt, als sie erneut das Wort ergriff. »Was würde ich alles tun, um in dein Inneres blicken zu können.« Meine Pupillen weiteten sich kaum merklich. »P- Prinzessin«, hauchte ich leise. Herrje – warum war ich jetzt plötzlich so heiser geworden? Seufzend schloss sie ihre roten Rubine. »Du kannst jetzt gehen.« Wahrscheinlich war sie sich im Klaren, dass sie nichts aus mir herauskitzeln konnte. Mit ihr konnte ich einfach nicht darüber reden. Ich konnte mich ihr nicht mehr so anvertrauen so wie früher. Es ging einfach nicht mehr. Ich hätte mich nicht besser gefühlt, wenn ich ihr meine intimsten Gedanken geschildert hätte. Andererseits fühlte ich mich aber so auch nicht besser. Ich würde mich nie wieder richtig gut fühlen können. Diese Erkenntnis hatte ich doch schon lange getroffen – warum nahm sie mich gerade jetzt doch wieder so mit? Ich atmete tief aus, als ich endlich den Raum verlassen hatte. Traurig warf ich meinen Kopf zurück und starrte zur gelbgoldenen Decke des Korridors. Dann würde ich eben auf diesem Wege immer weiter sterben. Jeden Tag ein Stückchen mehr. Kapitel 9: Sorrow Of Love ------------------------- 9 SORROW OF LOVE »Für uns wird es niemals eine gemeinsame Zukunft geben!« Erschrocken fuhr ich von meinem Bett hoch, als ich abermals ihre Stimme hörte. Eine neue Botschaft. Von ihr. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, und dementsprechend unerwartet traf sie mich. Vor allem der Inhalt ihrer Botschaft. »Ich weiß, wie komisch es für dich sein muss, dass ich mich plötzlich aus heiterem Himmel auf diese Weise bei dir melde. Ich hoffe so sehr, dass du mich hören kannst. Dass ich diese große Distanz zwischen uns mit meinen Botschaften überbrücken kann. Du fragst dich bestimmt auch, warum ich das überhaupt tue. Um ehrlich zu sein, tue ich das aus reinem Eigennutz. Ich tue es, weil ich dich brauche. Du denkst dir, warum überhaupt, weil ich doch Mamoru habe? Auch da bin ich dir eine Erklärung schuldig. Du hast es verdient, die Wahrheit zu erfahren, aber du wirst es bestimmt nicht glauben können: Mamoru und ich haben uns vor einigen Monaten in Frieden getrennt.« Natürlich interessierte es mich brennend, was denn nun wirklich zwischen dem ehemaligen Traumpärchen vorgefallen war, dass sie am Ende keinen anderen Ausweg gesehen hatten. Es war in der Tat ein riesiger Schock für mich gewesen, zu erfahren, dass die beiden sich doch tatsächlich dazu entschlossen hatten, getrennte Wege zu gehen. Vor allem bei Usagi erschien es mir so unglaublich; nicht greifbar. Sie musste doch an der Trennung zerbrochen sein, so sehr, wie sie ihn geliebt hatte? Ein hässliches Gefühl breitete sich in meinem Herzen aus und drohte, die Herrschaft über ihn zu ergreifen. War es … vielleicht das? Brauchte sie mich als Trostpflaster? Als Lückenbüßer? Als zweite Wahl? Als Ersatz, um das Loch in ihrem Herzen mit meiner zugegebenermaßen überschüssigen Liebe zu füllen? War ich denn nicht mehr wert als das? Ich hatte keine andere Wahl: Ich musste es beenden, solange ich noch Herr meines Geistes war. Ihre Lieder verfolgten mich bis heute ununterbrochen. Das konnte einfach nicht so weitergehen. Bevor es wirklich zu spät werden und ich völlig den Verstand verlieren konnte, war es nun an mir, einen Schlussstrich zu ziehen. Ich durfte es nicht so weit kommen lassen. Ich hatte vor langer Zeit mein Leben der Prinzessin geschenkt. Ich musste meine Pflichten erfüllen – ihr Schutz war mein einziger Lebensinhalt. Er sollte mein einziger Lebensinhalt sein, verdammt! Ich musste Schluss machen. Schluss mit unserer Beziehung, bevor sie überhaupt beginnen konnte. Denn das durfte sie nicht. Das war meine Aufgabe; meine Mission. Koste es, was es wolle! Ich saß an einen Baum gelehnt wie ein Häufchen Elend und ohne jegliche Lebenskraft. Es würde zu meinem Besten sein – wenn das so weitergehen würde, würde ich noch darunter zu Grunde gehen. Ich holte tief Luft, schloss meine Augen und versuchte, telepathisch mit ihr Kontakt aufzunehmen. »Usagi!« Ich wartete eine Weile, doch es kam keine Antwort. Ob sie mich gehört hatte? Angespannt erhob ich mich von meiner bequemen Sitzposition und ging nervös auf und ab. Ich wollte gerade ansetzen, als ich plötzlich doch noch eine zaghafte Stimme vernahm, die mich augenblicklich erschaudern ließ. »Seiya … Wo bist du?« Allerspätestens jetzt gab es kein Zurück mehr. Zwar hatte ich ungeduldig auf ihre Antwort gewartet, doch auch jetzt, wo ich sie nun erhalten hatte, wollte sich dennoch kein Gefühl von Zufriedenheit in mir einnisten. Denn nun konnte ich wirklich keinen Rückzieher mehr machen. »Usagi, ich …« Es fiel mir allein schon unglaublich schwer, sie nicht »Schätzchen« zu nennen. Wenn ich das täte, wäre alles umsonst gewesen. Dann würde mein Plan, den ich vorhatte, jetzt zu vollziehen, nicht so aufgehen wie erhofft. »Ja? Wo bist du? Ich will dich sehen!« Mein Herz zog sich zusammen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, nach so langer Zeit wieder mehr oder weniger direkt mit ihr zu sprechen. Es war ja eigentlich mehr oder weniger auch eine richtige Unterhaltung, nur, dass wir uns nicht direkt sehen konnten. Das war in diesem Fall aber ganz gut – wäre sie leibhaftig vor mir gestanden, hätte ich ganz bestimmt nicht standhaft bleiben können. Es fiel mir doch jetzt schon unsagbar schwer, ihr nicht meine tief verborgenen Gefühle mitzuteilen. »Das geht leider nicht. Ich bin gerade nicht in deiner Nähe.« Ich setzte ein bitteres Lächeln auf und fügte korrekterweise noch etwas hinzu: »Jedenfalls nicht körperlich.« So war es ja auch. Ich war eigentlich immer bei ihr – in meinen Gedanken. »Dann komm her!« Wie gerne hätte ich das getan. Wie gerne hätte ich hier alles stehen und liegen gelassen und wäre Hals über Kopf sofort zur Erde geeilt. Umso mehr tat es mir weh, dass ich es einfach … nicht konnte. Ich verstand ja noch nicht einmal, warum sie mich überhaupt zurückwollte. Sie hatte doch Mamoru und sie hatten sich ganz bestimmt nicht endgültig getrennt. Schließlich kannte selbst ich die Geschichte der Mondprinzessin und dem Erdenprinzen, die in Zukunft über ihr ganzes Sonnensystem regieren würden. Daran würde sich niemals etwas ändern. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder zueinanderfinden würden, denn das Schicksal war auf ihrer Seite. Beneidenswert. Mich vermisste sie doch bestimmt nur … als besten Freund. Nicht mehr. Selbst, wenn sie mehr für mich empfand – es würde nichts an unserer schicksalsbehafteten Zukunft ändern. Endymion und Serenity konnten nicht getrennt werden. Ich durfte mich nicht von meinen dummen Gefühlen leiten lassen und dort aufkreuzen. Was sollte ich denn dort tun? Ihr dabei zusehen, wie glücklich sie mit ihm werden würde? Das konnte ich erst recht nicht aushalten. Bei dieser Vorstellung meldete sich selbst bei mir unerwartet der Überlebensinstinkt, den ich schon längst verloren geglaubt hatte. Ja, ich wollte nicht auf meinen Tod zurasen, indem ich den beiden bei ihrem Glück zusah. Außerdem hatte ich in allererste Linie auch meine Pflicht zu erfüllen: Ich war und blieb die oberste Leibwächterin der Prinzessin. Mir stand es nicht zu, einfach abzuhauen. »Das geht auch nicht. Usagi, es tut mir leid, aber ich kann nicht zur Erde zurückkehren. Es geht einfach nicht, versteh das bitte. Ich kann dir nicht erklären, warum. Akzeptiere bitte, dass wir uns nicht mehr wiedersehen können … dass ich nicht mehr bei dir sein kann, so weh es mir auch tut. Wir haben eine sehr schöne Zeit zusammen erlebt, und diese Zeit werden wir für immer in unseren Herzen als schöne Erinnerung tragen. Mehr … ist nicht möglich. Leb wohl Schätzchen … Ich werde dich niemals vergessen …« Ehe sie mir antworten konnte, brach ich die Verbindung zwischen uns ab. Viel zu große Angst hatte ich vor ihrer Reaktion. Ich hätte es nicht ausgehalten, wenn ich sie weinen gehört hätte. Ich konnte ja schon den Gedanken kaum ertragen, dass ich sie zutiefst verletzt hatte. Wäre es in meiner Macht gestanden … hätte ich alles getan, um sie vor jedem Leid zu bewahren - und wenn ich das nicht schaffte, dann zumindest von dem Schmerz zu erlösen. Doch diese Macht besaß ich leider nicht. Ich hatte auch nicht die geringste Chance, diese Macht eines Tages zu ergreifen. Sie würde mir für immer verwehrt bleiben. Vereinzelte Tränen fanden ihren Weg zu meinen Wangen hinab. Ich konnte und wollte sie nicht zurückhalten. Nicht mehr. Ich war dazu nicht mehr fähig. Und so ließ ich meinen Tränen freien Lauf und heulte mir schluchzend die Seele aus dem Leib. »Bitte vergib mir, dass ich so ein Feigling bin.« Kapitel 10: On The Edge Of Insanity ----------------------------------- 10 ON THE EDGE OF INSANITY »So fühlt es sich also an, zu sterben …« Niemals im Leben hätte ich gedacht, dass mich etwas noch schlimmer treffen könnte als die Zeit, bevor ich ihre erste Botschaft erhalten hatte. Aber auch die Zeit danach, als ich mit aller Macht versucht hatte, meine aufsteigenden Gefühle unter Kontrolle zu bringen, war keineswegs einfach gewesen. Doch im Vergleich zu dem Schmerz, den ich momentan durchmachte, waren all diese Leiden ein schlechter Witz. Als ich noch ihre Botschaften erhalten hatte, hatte ich nämlich wenigstens über ihren Gemütszustand Bescheid gewusst – so bescheuert das jetzt auch klingen mochte. Doch jetzt … Nicht zu wissen, wie es ihr ging, fraß mich langsam von innen auf. Diese Ungewissheit ließ mich langsam aber sicher fast komplett den Verstand verlieren. Zwar hatte ich, bevor die Botschaften losgingen, auch nichts von ihr gehört, aber ich musste zugeben, dass ich mich in diesen paar Wochen, wo ich am Ende beinahe täglich etwas von ihr gehört hatte, schon daran gewöhnt hatte, von ihr zu hören. Diese Umgewöhnung, dass von einem Tag auf den anderen nun absolute Funkstille war, war grausam und kaum zu ertragen. Ich wusste nicht, wie es ihr nach meiner zugegebenermaßen vernichtenden Antwort ging. Wie hatte sie es weggesteckt? Natürlich hatte sie die besten Freunde, die man sich vorstellen konnte – trotzdem änderten auch sie nichts an der Tatsache, dass ich mir unmenschliche Sorgen um sie machte. Sie war doch so sensibel und zerbrechlich. Sie war eine Person, die sich alles gleich zu Herzen nahm. Warum hatte ich das nicht bedacht, bevor ich diese Aktion unternommen hatte, ich Vollidiot? Mittlerweile bereute ich es zutiefst, dass ich sie auf diesem Wege so eiskalt abserviert hatte, was so gar nicht meiner Art entsprach. Ich war doch echt hirnkrank. Vor allem konnten mich nicht einmal die Kämpfe oder Trainingseinheiten ablenken, wie sie noch früher ihren Zweck erfüllen konnten. Vielleicht lag es auch daran, dass ich wegen der Prinzessin und meinen Freunden einen Gang zurückgeschaltet hatte. Ich hatte ihnen mein Wort gegeben, mich nicht unnötig in Lebensgefahr zu begeben – und ich hielt meine Versprechen. Immer. Doch es fiel mir schwer. Sehr schwer. Ich hatte nicht selten Lust, mich freiwillig in den Tod zu stürzen und allem endlich ein Ende zu bereiten. In die Freiheit. In die Freiheit, wo ich mich nicht mehr ständig mit meinen dummen Gefühlen belasten müsste. Ging es ihr gut? Was machte sie? Wie war ihre Verfassung? Lebte sie noch? Fragen, die mich ununterbrochen begleiteten. Fragen, die immer wieder penetrant in meinem Kopf dröhnten. Fragen, die dabei waren, mich langsam aber sicher in den Rand des Wahnsinns zu treiben. Ich hoffte so sehr, dass es ihr gut ging. Dass sie meine Nachricht relativ gut verkraftet hatte. Obwohl es erst eine Woche her war, seit ich den Kontakt zu ihr endgültig abgebrochen hatte, kam es mir wie eine zähflüssige Ewigkeit vor. Eine Ewigkeit, die kein erlösendes Ende für mich zuließ. So gnädig war sie leider nicht, denn hier zeigte sie sich von ihrer diabolischsten Seite. Viele verbanden mit der Ewigkeit etwas Positives. Einen Wunsch, der seit Menschengedenken existierte. Viele wünschten sich schließlich, ewig leben zu können. Ohne auch nur ahnen zu können, dass die Ewigkeit eine richtige Sadistin sein konnte. Ich musste es wissen: Ich hatte eben bisher nur die schlechteste Seite von ihr kennengelernt. Dabei war es die grausamste Strafe, die es gab: Unsterblichkeit, obwohl man sich nach dem Ende verzehrte. Als zum Leben erweckter Stern hatte ich in der Tat ein nie endendes Leben vor mir. Doch darüber freuen konnte ich mich nicht. Mein Körper würde leben, doch wirklich leben konnte ich nur, wenn ich sie bei mir hatte. Das redete ich mir nicht nur ein: Das war eine der natürlichsten Tatsachen für mich, der ich nun nüchtern direkt ins Auge blickte. Ich musste das Beste aus dieser Sache machen. Mir waren die Hände gebunden und ich hatte gar keine andere Wahl, als mein Leben nun voll und ganz dem zu widmen, wofür es auch ursprünglich bestimmt worden war: Ich war die persönliche Leibgarde der Prinzessin. Kakyuu zu beschützen hatte für mich nun alleroberste Priorität. Immer wieder trichterte mir meine Vernunft das mit erhobenem Zeigefinger ein, und ich zeigte auch Einsicht. Jedoch nur bis zu einem bestimmten Punkt. Mein Herz … konnte sie nicht überzeugen. Mein Herz schrie immer noch unermüdlich nach dieser einen Frau, die es im Sturm erobert und mit sich genommen hatte. Und diese Frau war viel zu stur und eigensinnig, um es mir wieder zurückzugeben. Auch wenn ich ihr damit unfairerweise etwas unterstellte, was gar nicht den Tatsachen entsprach. Viel eher war mein Herz zu stur und eigensinnig, um wieder zu mir zurückzukehren. Aber war es ihm auch zu verdenken? Ich war nur noch ein Wrack. Natürlich fühlte es sich bei Usagi viel wohler. Ich zauberte ein schwaches Lächeln auf meine schmalen Lippen, als ich mich langsam vom Bett erhob und mich für den Tag fertigmachte. Bald war wieder Dienstzeit. Ich konnte es mir nicht erklären, doch irgendwie hatte ich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Als ob heute etwas geschehen würde, was mein ganzes Leben für immer komplett auf den Kopf stellen würde. Als ob es nicht eh schon chaotisch genug wäre … Bereits wenige Stunden später sollte sich meine Ahnung bestätigen. Gedankenverloren schritt ich durch den endlos langen Korridor des Palastes, um Wache zu schieben. Obwohl ich vor mich hinträumte, konnte ich mich trotzdem auf meine messerscharfen Sinne verlassen, als ich plötzlich einige rennende Schritte vernahm. Waren das etwa Eindringlinge? Es gab keine andere Erklärung: Rennen war in den Räumen des Palastes strengstens untersagt. Alarmiert sprintete ich direkt auf die vermeintlichen Gegner zu. »Angst« war für mich nach wie vor ein Fremdwort. Ich hatte schon immer den direkten Nahkampf bevorzugt. Diejenigen, die es wagten, in unseren Palast einzudringen und unseren Frieden zu stören, hatten eine schöne Abreibung meinerseits verdient. Sie würden noch ihr blaues Wunder erleben, dass sie sich wirklich getraut hatten, herzukommen. Nur hatten sie nun das Pech, der stärksten Leibwächterin Kakyuus gleich am Anfang über den Weg laufen zu müssen. Mein Blut erlag jetzt schon heftigen Schwingungen bei dem alleinigen Gedanken an einen actionreichen Kampf. Nach wie vor war ich ein Adrenalin-Junkie – daran würde sich so bald auch nichts ändern. Soweit ich es nicht so übertrieb und nicht kurz vor’m Verrecken war, war alles noch im grünen Bereich - sagte ich mir zumindest immer wieder. Hinten links war die Abbiegung – die Schritte wurden immer lauter. Wir würden ganz bestimmt aufeinandertreffen. Bald würde ich den Feinden endlich ins Gesicht sehen können. Mit einem selbstsicheren Grinsen rannte ich, so schnell ich konnte, nur, um direkt um die Ecke mit voller Wucht gegen den Unruhestifter abzuprallen und äußerst schmerzhaft auf meinen zwei Buchstaben zu landen. Richtig umhauen tat es mich jedoch nicht – ich war inzwischen schon viel schlimmere Dinge gewohnt. Da war ein Sturz auf dem Hintern nicht der Rede wert. Aus diesem Grund konnte ich sofort achtsam zu dem Fremden rübersehen, der mich angerempelt hatte – oder ich ihn. Keine Sekunde später musste ich jedoch erkennen, dass es sich gar nicht um einen Fremden handelte. Schockiert riss ich meine Augen auf, als ich direkt in die gereizte Visage Harukas – nein, Uranus‘ – sah. Meine Hassfreundin. Lange konnte ich sie nur anstarren, bevor ich meinen Blick allmählich von ihr löste und zu den anderen sah, die sich direkt hinter ihr befanden. »Ihr?«, entwich es kaum hörbar aus meinen Lippen. Uranus. Neptun. Pluto. Saturn. Sie alle waren gekommen. Aber mit welcher Absicht? Warum waren sie hier? Kapitel 11: Visitation ---------------------- 11 VISITATION »Ich kann einfach nicht zurück …« Immer noch konnte ich meinen unerwarteten Besuch nur fassungslos anstarren. Ich konnte gar nicht sagen, wie lange ich schon wie angewurzelt dort stand und sie fixierte. Diese ganze Situation war einfach viel zu absurd, um wahr zu sein. Warum sollten sich ausgerechnet die vier Outers bei mir blicken lassen – tausende Lichtjahre von ihrem Heimatplaneten entfernt? Bei Mars, Merkur, Jupiter und Venus hätte es mich gar nicht so sehr gewundert – das wäre wahrscheinlicher gewesen. Aber gerade die Vier? Obwohl wir eigentlich so gut wie kaum etwas miteinander zu tun gehabt hatten, als wir damals auf der Erde gewesen waren? Und wenn doch, hatten unsere Treffen nur aus feindseligen Auseinandersetzungen bestanden. Wir hatten keinen wirklich guten Draht zueinander gehabt, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken. »Wir sind den weiten Weg hergekommen, um mit dir zu reden«, erklärte Pluto mir und beantwortete somit meine erste unausgesprochene Frage. Ein zaghaftes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, als ich ihr kurz dankbar zunickte, bevor ich wieder einen ernsten Ausdruck aufsetzte und meinem Besuch den Rücken kehrte. »Dann kommt mit.« Als die vier Erdenbewohner sich alle in meinem Zimmer versammelt hatten, schloss ich die Tür hinter mir und nahm augenblicklich wieder meine männliche Gestalt an. Nun hatte ich auch wieder eine bequeme schwarze Hose und ein weißes Leinenhemd an statt meiner Sailor-Uniform. »Warum hast du dich in einen Mann zurückverwandelt?«, fragte Saturn mich mit ihrer kindlichen Neugier, die mich etwas verlegen schmunzeln ließ. »Nun ja … Ich bin in Wahrheit ein Mann. Das ist eine lange Geschichte. Die weibliche Gestalt der Sailor Star Fighter nehme ich nur an, wenn ich im Dienst bin oder kämpfen muss.« Ich wollte nicht unnötig mit weiteren Erklärungen ausschweifen – ich ging nicht davon aus, dass meine Geschlechterfrage die restlichen Mitglieder besonders interessierte. Das war sicherlich nicht der Grund, warum sie hergekommen waren. Natürlich konnte ich schon ahnen, was der wahre Grund für ihren Besuch war: Usagi. Ansonsten verliefen unsere Lebenswege wie zwei parallele Geraden ohne jegliche Berührungspunkte. Es musste um sie handeln. Da durfte ich mich mental schon darauf vorbereiten. Bevor es ans Eingemachte ging, blickte zu den anderen drei Frauen, die mitten im Raum standen und keinerlei Anstalten machten, es sich zumindest ein wenig bequem zu machen. Vielleicht lag das auch daran, weil ich es ihnen gar nicht angeboten hatte. Oh man – wo blieben bloß meine seit meiner frühen Kindheit streng eingetrichterten Manieren? »Setzt euch doch, so lässt es sich bestimmt viel besser reden«, forderte ich sie auf und deutete mit einer einladenden Armbewegung auf meine lange schwarze Couch. Sie nickten stumm und gehorchten mir sogar. Selbst Uranus – wenn auch nur widerwillig, so wie ich sie kannte und man es ihr auch deutlich ansah. Der Gedanke, meinen Worten Folge zu leisten, gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie war wirklich nicht gut darin, ihre Gefühle zu verbergen. Dafür hatte sie viel zu viel Temperament. Eine Eigenschaft, mit der sie sich nicht unbedingt Freunde machte, die ich insgeheim dennoch wirklich an ihr schätzte. Man wusste somit immer, woran man bei ihr war. »Darf ich euch etwas zum Trinken anbieten?«, fragte ich meine Überraschungsgäste, obwohl ich wusste, dass die Frage sicher überflüssig war. Aber der Freundlichkeit halber … »Wir sind nicht zum Teetrinken hergekommen«, fauchte Uranus gleich los. Als hätte ich nicht genau auf solch einen Spruch gewartet. Ich musste mir sofort ein Grinsen verkneifen. Es war ja wirklich nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie explodierte. Zumindest sie hatte sich nicht verändert – ganz um Gegensatz zu mir. Früher hätte ich es nicht stillschweigend auf mir sitzen gelassen, wenn man mich so barsch angefahren hätte. Vor allem wenn sie diejenige gewesen war. Ich hätte sofort zum Gegenschlag ausgeholt und einen schlagfertigen Konter abgegeben. Doch mittlerweile fehlte mir die Motivation dazu. Ohne jetzt melodramatisch zu klingen: Der kindische Seiya gehörte der Vergangenheit an. »Das habe ich mir schon fast gedacht«, meinte ich seufzend und setzte sich dann auf den Sessel ihnen gegenüber. »Also, warum seid ihr hier? Worüber wollt ihr mit mir reden?« Aus den Augenwinkeln vernahm ich, wie Uranus schon kurz davor war, aufzuspringen, jedoch von Neptun gerade noch rechtzeitig zurückgehalten wurde. »Es geht um unsere Prinzessin«, gab Pluto mir wieder die Antwort. Sofort drehte ich mich mit schmerzverzerrtem Gesicht weg. Zwar hatte ich es schon geahnt gehabt, dennoch war es trotzdem ein herber Schlag, es nun definitiv zu wissen, dass wohl etwas mit ihr nicht in Ordnung war. Wollten sie mir Vorwürfe machen, dass ich sie womöglich so tief verletzt hatte mit meiner Antwort auf ihre Botschaften? Von allen Möglichkeiten wäre das für mich wohl die schonendste. Doch so, wie ich die Outers einschätzte, konnte das nicht alles gewesen sein. Sie würden doch nicht all ihre Energie verschwenden, nur, um mir eine Standpauke zu halten? Uranus könnte ich das vielleicht wirklich zutrauen, aber dem Rest? Ganz bestimmt nicht. In diesem Moment packte mich eine schlimme Befürchtung und drückte mir die Kehle zu. War es etwa im Bereich des Möglichen, dass ihr … etwas zugestoßen war? Sofort platzte ich besorgt mit der Frage heraus: »Ist ihr etwa etwas passiert?« Neptun schüttelte den Kopf. »Nein, nicht so wie du jetzt denkst. Keine Angst.« Gerade wollte sich in mir ein Gefühl von Erleichterung ausbreiten, doch Uranus setzte dieser Entwicklung ein jähes Ende. »Nein, gar nicht. Mal ganz abgesehen davon, dass sie fast an Unterkühlung gestorben wäre, ist alles in bester Ordnung.« »Was …?« Fassungslos starrte ich sie an. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Ich konnte nicht glauben, was sie mir gerade erzählt hatte. »Und dreimal darfst du raten, wessen Schuld das ist!«, fügte sie mit deutlichem Zynismus hinzu. »Es ist wirklich sehr schlimm«, kam es von Saturn. »Unsere Prinzessin leidet. Sie leidet sehr … und es tut weh, sie in einem so traurigen Zustand zu sehen.« »Mal ganz abgesehen davon, dass sie wegen einem Typen wie dir so leidet, kann ich sie sogar verstehen: Seit Monaten singt sie sich die Kehle aus dem Hals, und als der Herr sich nach Ewigkeiten endlich mal dazu aufrafft, ihr eine Antwort zu geben, ist es eine eiskalte Abfuhr. Die ganze Arbeit war also für die Katz‘ gewesen. Wem würde es da nicht absolut beschissen gehen? Vor allem, wenn man so sensibel wie Usagi ist, muss sich das ja wie der reinste Weltuntergang anfühlen.« Ich sah Uranus an, dass sie ebenfalls litt. Sie litt mit ihrer Prinzessin; ihrem Mondgesicht. Was war das nur für eine besondere Beziehung zwischen den beiden? Usagi schien sehr ihr viel wichtiger sein, als es bisher den Anschein gemacht hatte. Als wäre sie ihre kleine Schwester, die sie unter allen Umständen beschützen wollte. Während ihrer Schimpftirade hatte ich nur ausdruckslos auf den Boden gestarrt und ihre Worte stumm über mich ergehen lassen. Ich hatte es schließlich mehr als nur verdient. Sämtliche Gefühle des vergangenen Jahres, vor allem der vergangenen zwei Wochen, kamen in diesem Moment wieder in mir hoch. Keiner konnte verstehen, was in mir vorging und in was für einer undankbaren Lage ich mich befand. Sie machten es sich alle verdammt einfach. Allein bei diesem Gedanken brannten nun auch bei mir allmählich die Sicherungen durch. Gereizt funkelte ich das Mannsweib unter ihnen an. Ich öffnete meinen Mund und die Worte verließen meine Kehle, bevor ich überhaupt noch weiter darüber nachdenken konnte. »Glaubt ihr wirklich, ich bin glücklich darüber, so wie es jetzt ist? Dass ich mich nicht über ihre Botschaften gefreut habe? Dass sie mich völlig kaltgelassen haben? Dass es mir Spaß gemacht hat, Usagi zu sagen, dass wir uns nie mehr wiedersehen werden? Dann kennt ihr mich wohl wirklich nicht. Da kann ich euch aber auch nichts vorwerfen - schließlich hatten wir ja wirklich nicht viel miteinander zu tun gehabt. Wisst ihr: Am liebsten würde ich das alles hier hinschmeißen und auf die Erde zurückkehren, so wie es ihr Wunsch ist.« »Was hindert dich daran?«, ertönte die ruhige Stimme von Neptun. Sie klang in meinen Ohren beinahe ironisch, obwohl ich wusste, dass es keineswegs so gemeint war. Oder vielleicht doch? »Ich … darf meinen Planeten nicht wieder im Stich lassen. Und ich kann meine Prinzessin auch nicht verlassen. Mein ganzer Lebensinhalt besteht darin, der Prinzessin zu dienen und sie mit meinem Leben zu beschützen. Für nichts anderes lebe ich. Eigene Bedürfnisse haben da keinen Platz.« Meine Stimme begann zu zittern, ohne dass ich dies lenken konnte. »Weiß eure Prinzessin Bescheid?« Pluto musste nicht noch ausdrücklich erwähnen, dass sie damit die letzten Ereignisse zwischen Usagi und mir meinte. Ich verneinte wahrheitsgemäß mit einem Kopfschütteln. »Nein, sie weiß nichts von den Botschaften. Und so soll es auch bleiben.« »Warum? Hast du etwa Angst, dass sie dich gehen lassen könnte?« Der beißende Spott in Uranus‘ Stimme war nicht zu überhören. »Ja, das wundert mich jetzt aber auch ein bisschen. Warum weihst du deine Prinzessin nicht in die Geschichte ein? Sie sollte doch über alles in deinem Privatleben Bescheid wissen, damit sie auch weiß, wessen Leben einzig und allein für sie weggeschmissen werden könnte oder schon längst weggeschmissen worden ist - rein hypothetisch gesehen. Wenn sie dich nicht gehen lässt, ist sie es nämlich wirklich nicht würdig, eine Prinzessin zu sein. Eine wahre Prinzessin kümmert sich um das Wohl all ihrer Untergebenen, oder etwa nicht? Und ich schätze Prinzessin Kakyuu als eine gutmütige Herrscherin ein, der euer Wohlergehen sehr wohl am Herzen liegt.« Entsprechend ihrer Art analysierte Neptun diese Angelegenheit aus einem sachlichen Blickwinkel und ließ keinerlei Gefühle durchscheinen – ganz im Gegensatz zu ihrer hitzköpfigen Partnerin. Pluto pflichtete ihr bei, indem sie ohne jegliches Zögern eine Behauptung in den Raum warf, von der sie felsenfest überzeugt zu sein schien: »Und du bist hier nicht glücklich.« »Woher willst du das wissen?«, hinterfragte ich sofort. Das Beben in meiner Stimme konnte ich nicht unterdrücken. »Deine Augen verraten alles«, kam Saturn ihrer Freundin mit der Antwort zuvor, »denn sie strahlen nicht mehr so, wie sie es auf der Erde einmal getan haben. Sie sind richtig abgestumpft.« Uranus schnaubte kurz und lenkte all die Aufmerksamkeit abermals auf sich. »Wo ist also das Problem? Sie vermisst dich - ich verstehe zwar immer noch nicht warum und es wird für mich immer unbegreiflich sein, aber sie tut es - und du willst in Wahrheit auch zurück. Diese Rückkehr wird dir deine Prinzessin mit Sicherheit auch genehmigen, wenn du mal den Mumm hättest, den Mund aufzumachen und sie einfach zu fragen. Ich verstehe also nicht, warum wir noch hier herumsitzen und weiter darüber diskutieren müssen. Die Sache ist doch klar.« Verzweifelt senkte ich den Blick und ballte meine rechte Hand zu einer Faust. »Nein, das ist sie eben nicht. Ich kann meinen Heimatplaneten einfach nicht verlassen. Ich kann nicht wieder alle im Stich lassen.« Mir sicher, nun etwas gegen sie in der Hand zu haben, blickte ich entschlossen auf und stellte ihnen herausfordernd die Gegenfrage. »Ihr würdet die Erde doch auch nie verlassen wollen, oder?« »Das ist etwas völlig anderes; das kannst du nicht vergleichen. Wir haben schließlich keinen wichtigen Anlass, um die Erde zu verlassen. Aber du hast ihn. Außerdem geht es um das Wohl der Prinzessin und somit um das Wohl aller Beteiligten.« Während Pluto mich mit einer unvergleichlichen Bestimmtheit ansah, konnte ich nur mit einem Schweigen antworten. »Warum siehst du nicht endlich ein, dass du auch dein eigenes Leben hast? Das Wohl der Prinzessin steht über allen und so weiter und so fort. Schön und gut, aber das hat ihre Grenzen. Wir müssen unsere Prinzessin schließlich auch mit unserem Leben beschützen, aber wir tun es nicht nur aus reinem Pflichtbewusstsein, sondern weil wir es auch wollen. Wir wollen sie mit unserem Leben beschützen, weil sie weniger unsere Prinzessin, sondern vielmehr unsere engste Freundin und Verbündete ist. Außerdem lässt sie uns auch unser eigenes Leben und unsere eigenen Bedürfnisse. Verstehst du, Seiya? Es ist nicht falsch, neben der Pflicht, der Prinzessin zu dienen, auch ein eigenes Leben zu führen. Und wenn deine Prinzessin zugleich auch deine Freundin ist, wird sie es dir auch gewähren. Und du musst deswegen auch gar kein falsches schlechtes Gewissen haben.« Saturn sah mich mit ineinander verschränkten Fingern und bittender Miene an. Auch ihr war das Wohl der Prinzessin sehr wichtig. Ihre großen, violetten Augen drohten, mich zu durchbohren. Für ihr Alter war sie wirklich schon sehr reif – bestimmt hatte auch sie schon sehr viel durchmachen müssen. Ich ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen. So ganz sicher war ich mir bei dieser ganzen Sache immer noch nicht. Mein ganzes Leben lang war ich der loyalste Diener der Prinzessin gewesen. Ich war ihr von allen immer am nächsten gestanden. Für mich war die Prinzessin das wichtigste Wesen des ganzen Universums gewesen. Zumindest, bis ich auf Usagi traf … und mich das erste Mal in meinem Leben wahrhaftig verliebte. Usagi hatte mir gezeigt, was »Liebe« bedeutete. Sie hatte mir beigebracht, jemanden zu lieben. Und … es war ein schönes Gefühl. Auch wenn meine Gefühle lange Zeit nicht erwidert worden waren. Die Liebe selbst war unglaublich schön und hatte schlummernde Kräfte in mir freigesetzt, von deren Existenz ich bis zu dem Zeitpunkt nicht einmal den Hauch einer Ahnung gehabt hatte. Eine unfassbare Macht hatte sie, diese ominöse Liebe, von der alle sprachen, aber die wenigsten sie wirklich erklären konnten. »Sag mir jetzt bitte nicht, dass du immer noch zögerst!«, stöhnte Uranus genervt und murmelte weiter irgendetwas Unverständliches vor sich hin. »Ich fass‘ es nicht, dass du doch so ein Feigling bist! Ich frage mich echt, was Usagi überhaupt an dir findet. Was bist du schon? Ein Waschlappen, der es nicht mal auf die Reihe bringt, seine eigene Prinzessin um Erlaubnis zu fragen, ob er gehen darf! Ist doch eh schon nett und du zollst ihr mehr als genug Respekt, wenn du sie überhaupt fragst! Ich an deiner Stelle würde einfach so abhauen.« Sie warf mir noch alle möglichen Provokationen um die Ohren, jedoch nicht, ohne kurzerhand etwas herauszukramen. Anschließend warf sie die Zeitungstitelseite auf den Tisch, sodass ich ungehinderte Sicht darauf hatte. Doch im gleichen Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher als dieses Bild nie gesehen zu haben. Es war ein Bild, welches sich für immer glühend heiß in mein Herz einbrannte. Diesen Schmerz würde ich niemals vergessen. Gleich auf der Titelseite war ein riesiges Foto von Usagi. Auf einer Schneewiese liegend. Mit toten Augen lethargisch in die Kamera blickend. Darüber prangte eine gewaltige Schlagzeile in Großbuchstaben: ›Sängerin Usagi Tsukino völlig am Ende!‹ Ein schwerer Dolch durchbohrte quälend langsam mein Herz. Mit blankem Entsetzen starrte ich mit weit aufgerissenen Augen auf das Foto. Konnte mich von diesem Bild nicht losreißen, obwohl ich das Gefühl hatte, diesen Anblick keine Millisekunde länger ertragen zu können. Doch wegschauen konnte ich auch nicht. »Schätzchen«, flüsterte ich schmerzerfüllt und fuhr zaghaft über ihr Gesicht. Nach einer ganzen Weile des Schocks schaffte ich es endlich, zu den vier mir gegenüber Sitzenden aufzublicken, die mich erwartungsvoll anstarrten. »Sie braucht dich. Und zwar dringend.« Kapitel 12: Farewell -------------------- 12 FAREWELL »Ich muss nun tun, was ich tun muss.« »Willkommen auf Euphe, liebe Freunde von der Erde.« Erschrocken fuhr ich herum, als meine Tür aufging und Prinzessin Kakyuu mit Maker und Healer im Schlepptau am Türrahmen stand. Okay, nun wurde ich wirklich in die Enge getrieben. Warum musste sie auch ausgerechnet jetzt auftauchen? Unauffällig schielte ich zwischen meiner Prinzessin und Uranus. Himmel, wie sollte ich nur ungeschoren aus dieser Sache rauskommen? »Ich hoffe, euch geht es gut. Darf ich euch etwas anbieten?« Uranus war die Erste, die das Wort ergriff und mit der Tür ins Haus fiel. »Nein danke, Prinzessin. Wir sind nur aus einem ganz bestimmten Anlass hergekommen.« Ich spürte ihren brennenden Blick heiß auf meinem Nacken. Prinzessin Kakyuu legte den Kopf leicht schief, als sie mich fragend betrachtete. »Fighter?« Jetzt oder nie. Hatte ich überhaupt eine andere Wahl? Außerdem … wollte ich mich doch gar nicht mehr davor drücken. Die vier Outers hatten mit allem recht gehabt: Ich musste es endlich wagen, mein Leben zu leben. Alleine schon, weil ich all die Vorwürfe Uranus‘ nicht auf mir sitzen lassen wollte. Ich hatte auch meinen Stolz, und nun würde ich mit Taten beweisen, dass all ihre Behauptungen definitiv nicht der Wahrheit entsprachen. Ich war kein feiger Versager. Ganz bestimmt nicht. Zum Erschrecken aller Anwesenden fiel ich vor meiner Prinzessin auf die Knie; meinen Blick stets demütig gesenkt. »Bitte. Ich bitte Euch, mir die Erlaubnis zu geben, zur Erde zurückzukehren.« Eine betretene Stille folgte. Eine Stille, in der jeder Beteiligte seinen eigenen Gedanken nachging. Bis eine hohe Stimme sie heiser unterbrach: »W- Wie bitte?« Ich musste nicht extra aufsehen, um zu wissen, was für ein entsetztes Gesicht Healer gerade machen musste. Beständig blieb ich in meiner untergeordneten Position verharren, begutachtete immer noch den Boden, als wäre er das Interessante in dieser Situation. Ich traute mich gar nicht, in die roten Augen meiner Prinzessin zu blicken. Oh Gott, war ich jetzt doch ein Feigling geworden? Uranus hatte vielleicht doch recht gehabt. So ein verdammter Mist! Healer murmelte weiter schimpfend vor sich hin: »Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?« »Ich würde Euch nicht darum bitten, wenn es nicht wichtig wäre.« Es ging hier um Leben und Tod. Nicht nur um mein eigenes ziemlich jämmerliches und unwichtiges Leben, denn wenn dem so wäre, würde ich niemals so sehr darauf beharren. Es ging mir hier hauptsächlich um ihr Leben. Ich musste sie vor dem Verderben bewahren. Ich musste sie retten. Ich war der Einzige, der das konnte. Sonst wären die Outers nie hergekommen. Diese Macht zu besitzen ehrte und ärgerte mich gleichermaßen und setzte mich unter gigantischem Druck. »Ihr scheint gar nicht überrascht zu sein?«, mischte sich plötzlich auch Uranus wieder ein und holte mich aus meiner verwirrenden Gedankenwelt wieder heraus. Doch was dann von den Lippen der Prinzessin kam, ließ uns alle aus unterschiedlichen Gründen erstarren. Sowohl vor Überraschung als auch vor Fassungslosigkeit. »Hiermit entlasse ich dich von jeglichen Verpflichtungen auf Euphe und schenke dir die Freiheit.« »Aber Prinzessin …!«, kam es nun auch von Maker entsetzt. Doch diese ging nicht darauf ein, kniete sich schweigend zu mir runter, ergriff meine Hände und hielt sie fest. Die Wärme ihrer Hände übertrug sich auf mich und hatte eine sehr beruhigende Wirkung. »Es ist in meinem Sinne, dass meine Schützlinge alle glücklich sind. Und Fighter … wird sein Glück definitiv nicht auf Euphe finden. Es schmerzt mich sehr, ihn gehen zu lassen, aber dennoch ist es für mich ein Trost, weil ich auch etwas tun kann, damit es ihm endlich wieder besser geht und er wieder anfangen kann zu leben.« Schuldbewusst biss ich mir auf die Lippen. Auch für mich war es nicht leicht, meine engsten Verbündeten und die Prinzessin nun zurückzulassen. »Und Ihr … kommt auch wirklich klar?«, fragte ich sie mit deutlicher Zerknirschung. Oh man. Dabei war das echt nicht der richtige Zeitpunkt für Gewissensbisse. Aufmunternd nickte mir die rothaarige Schönheit zu. »Mach dir keine Gedanken. Unsere Nachwuchskrieger sind sehr gut ausgebildet – schließlich warst du ihr großes Vorbild. Sie werden deine Nachfolge antreten.« Wenigstens eine Sorge weniger. »Und jetzt mach dich auf den Weg. Bevor es zu spät ist.« Kakyuu ließ mich los und erhob sich. Wenige Sekunden später tat ich es ihr gleich. Mein Blick wanderte zu meinen besten Freunden. Maker lächelte nur matt, während Healer beleidigt wegschaute und ihre Arme vor der Brust verschränkt hielt. Ich lächelte, als ich direkt auf sie zuging, mich zwischen sie stellte und meine Arme um die beiden legte. Healer hatte sich keinen Zentimeter bewegt, als wäre sie in ihrer ablehnenden Haltung versteinert. »Verzeiht mir bitte, Leute. Ich habe keine andere Wahl.« »Wer hätte das gedacht«, bemerkte Maker grinsend. So wie ich sie kannte, tat sie das bestimmt auch, um ihre tiefe Berührung zu überspielen. Fragend sah ich sie an und wartete darauf, bis sie ihre kurze Aussage von sich aus näher erläuterte. »Dass du tatsächlich mal wieder aus vollem Herzen lächeln kannst.« Darauf hätte ich eigentlich auch selbst kommen können. Da das nun mit Maker so gut wie geklärt war, drehte ich meinen Kopf zu Healer runter. Nun brauchte ich noch ihren Segen. »Hey, nicht böse sein, ja?«, flüsterte ich ihr entschuldigend zu. »Ich werde das wiedergutmachen.« In diesem Augenblick drehte sie sich unerwarteterweise doch ruckartig um und funkelte mich mit ihren hellgrünen Augen an. »Ich nehme dich beim Wort!« Ich schmunzelte zärtlich und legte sanft meine Hand auf ihren Kopf. »Ich werde euch schon bald besuchen kommen. Wir werden uns bald wiedersehen, versprochen. Und passt bitte gut auf unsere Prinzessin auf.« Ich sah den Abschiedsschmerz in den Augen meiner beiden besten Freunde, und auch mich traf es hart. Doch der Gedanke, Usagi das Leben zu retten, half mir, diesen Schmerz zu ertragen. »Mir wäre es auch lieber, ihn nicht ständig an der Backe zu haben, aber … es geht um unsere Prinzessin. Ich danke Euch, dass Ihr ihn uns überlasst.« Überrascht drehte ich mich zur Kriegerin des Windes um. Hatte sie sich gerade tatsächlich so förmlich bei unserer Prinzessin bedankt? Das sah ihr so gar nicht ähnlich. Kakyuu nickte tapfer. »Seiya hat auf der Erde sein neues Zuhause gefunden. Ich vertraue ihn euch an und wünsche euch alles Gute.« »Also dann: Lasst uns aufbrechen«, fiel für mich der Startschuss in ein neues Leben. Kapitel 13: Preparations ------------------------ 13 PREPARATIONS »Unser Wiedersehen soll perfekt werden.« Tief atmete ich die säubernde, reine Luft der Erde ein und ließ sie durch meine müde gewordenen Lungen wirbeln. Es tat wahnsinnig gut, wieder hier zu sein. Für mich war es ein Gefühl, als ob ich nach einer ewig langen Reise endlich wieder zu Hause angekommen war, als ich den Boden der Erde unter meinen Füßen spürte – oder in diesem Fall eher das Flachdach der Schule, von der wir damals auch abgereist waren. Mit einem Lächeln wandte sich Neptun mir zu. »Du willst bestimmt sofort zu ihr, oder? Da wollen wir dich nicht länger aufhalten.« In Sekundenschnelle hatten wir unsere irdischen Gestalten angenommen und waren keine Sailorkrieger mehr. Und ich war endlich wieder ein Mann. Mit dem festen Vorhaben, von nun an auch für alle Zeiten einer zu bleiben. Es würde für mich hoffentlich keinen Grund mehr geben, mich in eine Frau zu verwandeln. Mit einem kindischen Strahlen im Gesicht nickte ich. »Den Weg kennst du ja noch, oder?«, wandte sich Haruka schon zum Gehen, während sie ihre Hände lässig in die Hosentaschen gleiten ließ. Auch diese Frage konnte ich bejahen. »Vielen Dank. Euch allen.« Bevor sie es sich versehen konnten, war ich nach einer verabschiedenden Handbewegung schon losgerannt und sprang mit einem jauchzenden Glücksschrei vom hohen Schuldach runter in die Freiheit. Mit immer lauter klopfendem Herzen lief ich durch die altbekannten Straßen Tokios. Obwohl viele neue Geschäfte aufgemacht hatten und sich auch sonst einiges verändert hatte, kam mir die Gegend trotzdem nach wie vor sehr vertraut vor. Doch so viel Zeit und Nerven hatte ich gar nicht, um weiter die Veränderungen und Nicht-Veränderungen der Umgebung zu begutachten. Ich war schließlich nur aus einem einzigen Grund hier: Um die Prinzessin meines Herzens zu retten. Und so rannte ich weiter, als würde ich um mein Leben rennen. Ich war so sehr vertieft, dass ich erst viel zu spät eine ziemlich bekannte Stimme vernahm. »Seiya, bist du es wirklich?« Überrascht machte ich mitten im Sprint eine Vollbremsung und drehte mich in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. »Minako!«, entfuhr es mir erstaunt. Sogleich breitete sich ein freudiges Grinsen auf meinem Gesicht aus. Welch eine schöne Überraschung. Mit offenem Mund starrte sie mich fassungslos an und fiel mir direkt in die Arme, weil sie sich anscheinend vor Schock gar nicht mehr richtig auf den Beinen halten konnte. »Bist du es wirklich? Oh mein Gott, sag mir bitte, dass ich nicht träume!« Beschwichtigend schüttelte ich meinen Kopf. »Aber nein, du träumst nicht«, redete ich auf sie ein, als mich schlgartig ein furchtbarer Verdacht überkam. Dass sie so derart aufgelöst über meine Rückkehr reagierte … Konnte das vielleicht bedeuten, dass Usagi in keinem gesunden Zustand mehr war? »Geht es Usagi gut?« Als Minako kurz zögerte, drängte ich sie förmlich zu einer Antwort - ungeduldig, wie ich war. »Sag schon!« »Es geht ihr den Umständen entsprechend. Für einige Zeit war sie mehr tot als lebendig, doch wir haben sie dazu überreden können, zumindest ein Abschiedskonzert zu geben, um einen endgültigen Schlussstrich ziehen zu können. Das scheint ihr auch ein wenig zu helfen und lenkt sie von ihrem Schmerz ab.« Bedrückt hielt ich ihrem Blick stand. Wir wussten beide nur zu gut, wer die alleinige Schuld für ihre Qualen trug, ohne dass wir es aussprechen mussten. »Das tut mir alles so leid«, seufzte ich schließlich leise mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf. Minako wäre nicht Minako, wenn sie es zugelassen hätte, dass eine peinliche Stille zwischen uns entstand. »Das ist ja egal. Hauptsache, du bist wieder da. Damit hatten wir ehrlich gesagt gar nicht mehr gerechnet nach deiner niederschmetternden Antwort.« Wenn das ein Versuch gewesen sein sollte, mich aufzuheitern, dann hatte Minako ihr Ziel knapp verfehlt. Diese Antwort, die ich ihr vor zwei Wochen gegeben hatte, hatte nicht nur sie verletzt. Schon allein der Gedanke, sie so verletzt zu haben, fühlte sich für mich wie der Tod höchstpersönlich an. Obwohl: Man hörte ja immer wieder, dass man sich leicht und schwerelos fühlte, wenn man starb. Okay: Es hatte sich definitiv schlimmer angefühlt wie der Tod. »Ich bin aber froh, dass sie solche Freunde wie euch hat, die sie jederzeit aufgefangen haben.« Minako schenkte mir ein schwaches Lächeln, bevor sie sich kurz umsah. »Möchtest du jetzt etwa zu Usagi gehen? Seit wann bist du überhaupt schon hier?« »Sicher. Ich habe schon viel zu lange darauf warten müssen und möchte keine weitere Sekunde verlieren.« Meine Antwort klang wie das Selbstverständlichste auf dieser Welt. Ja, was hatte ich denn sonst auf der Erde zu suchen? »Und ich bin gerade erst vor ungefähr einer Viertelstunde auf der Erde gelandet.« Die quirlige Blondine grübelte kurz, bevor ihr offensichtlich ein Geistesblitz kam und sie mich mit glitzernden Sternen in den Augen anleuchtete. »Ich habe die Idee! Das wäre doch viel zu langweilig, wenn du ganz unspektakulär vor ihrem Haus oder Fenster stehst. Wie wäre es, wenn du sie auf dem Abschiedskonzert übermorgen Abend überraschst?« Ich starrte sie an, als hätte sie gerade auf Hebräisch mit mir geredet. Ich verstand im ersten Moment gar nicht, was sie von mir wollte. Oh je – war ich vielleicht doch noch müder von der langen Reise durch das Weltall als ich dachte? Im Schneckentempo sickerte durch die winzigen Filter meiner Gehirnzellen ihr Vorschlag und der damit verbundene Informationsfluss durch. Ich sollte sie an ihrem Abschiedskonzert überraschen? »Wie hast du dir das vorgestellt?«, sprach ich meine Gedanken dazu gleich laut aus. Sie sah diese Szene anscheinend bereits vor sich, da sie schon wild mit den Händen fuchtelte und gestikulierte wie eine übermotivierte Drehbuchautorin. »Während sie auf der Bühne steht und das Liebesduett singt, kommst statt Daisuke Ugurashi du auf die Bühne – perfekt!« Augenblicklich spürte ich, wie die Eifersucht bedrohlich in mir aufschäume. »Wer ist Daisuke?« »Ein ziemlich angesagter Sänger zurzeit – er könnte euch glatt Konkurrenz machen«, beantwortete Minako meine Frage sichtlich amüsiert. Wenn nicht schon vorher, dann war ich allerspätestens jetzt Feuer und Flamme für ihren Plan. Ich konnte es doch nicht zulassen, dass Usagi auf der Bühne mit irgendeinem dahergelaufenen Idioten irgendeine Liebesschnulze sang. Allein bei der bloßen Vorstellung drehte sich mir der Magen um. Nein, nur über meine Leiche! »So weit kommt’s noch«, dachte ich mir mit zusammengebissenen Zähnen, ohne zu merken, dass ich diesen Gedanken mehr oder weniger auch laut gemurmelt hatte. »Gut, dann bist du dabei«, beschloss sie kurzerhand mit einem überbreiten Grinsen auf dem Gesicht. Schnell verscheuchte ich meine eifersüchtigen Gedanken, die auf dem besten Weg waren, meinen Verstand immer weiter zu vernebeln. »Und was ist mit dem Text?«, konnte ich noch einen klaren Gedanken fassen. Selbstsicher feixte die Blondine mich an. »Den Text habe ich natürlich. Sie hat es mir nämlich auch gezeigt, um eine Meinung von mir einzuholen. Für dich wird es doch ein Leichtes sein, ein Lied innerhalb von zwei Tagen einzulernen, oder?« »Gib mir zwei Stunden und es wird perfekt.« Wie in einem Rauschzustand kritzelte ich an dem ausgedruckten Liedtext herum, den Minako mir vorhin mitgegeben hatte. Um mehr als meinen eigenen Auftritt musste ich mich zum Glück nicht kümmern – das würde Minako, das Organisationstalent schlechthin, für mich erledigen. Dafür war ich ihr auch wirklich dankbar – denn meine Lust, Daisuke selbst gegenüberzutreten, um ihm zu sagen, dass er bitte den Weg freiräumen soll, hielt sich spürbar in Grenzen. Auch wenn ich mich normalerweise vor keiner Konfrontation scheute, gerne provozierte und keinem Kampf aus dem Weg ging – momentan hatte ich wirklich keinen Kopf für so etwas Albernes und vor allem Unnötiges. Es gab Wichtigeres. Viel Wichtigeres. Zum Beispiel, den perfekten Auftritt hinzulegen. Nur für sie. Für mein Schätzchen. Konzentriert las ich mir alles Wort für Wort durch, ließ jede einzelne Silbe auf mich einwirken … Weiblicher Part: Es war plötzlich und unvorhersehbar, als du in mein Leben tratst … Es war alles so banal, unscheinbar und schien so alltäglich zu sein … Und obwohl wir schnell wieder auseinandergegangen waren, hatte uns das Schicksal sehr bald wieder zusammengeführt. Ich lächelte mild. Bestimmt meinte sie damit unser erstes Treffen auf dem Filmset. Wahrscheinlich hatte sich dieses Ereignis ebenfalls für alle Zeiten in ihr Herz eingebrannt. Vor meinem Auge verschwammen alle Farben zu einem undefinierbaren Muster, ehe sich ein neues Bild zusammensetzte. Eine Szene, die zwar schon länger her war, die mir aber so vorkam, als hätte sie sich erst gestern zwischen uns abgespielt. Seiya hatte es sich auf der Parkbank in der Nähe des Filmsets gemütlich gemacht. Dieser ganze Trubel war ihm etwas zu viel geworden und da er sich ein wenig ausruhen wollte, hatte er sich für eine kleine Weile zurückgezogen. Seine Augen fest geschlossen genoss er die warmen Sonnenstrahlen, die seine Haut sanft prickeln ließen. Welch wunderbare Entspannung während dieses stressigen Alltags. Tief sog er die beruhigende, frische Luft ein, bis … seine scharfen Sinne eine Stimme wahrnahmen. Da er ganz deutlich vernehmen konnte, dass die Person mit Zehenspitzen an ihm vorbeitapsen wollte, wusste er sofort, dass sie ganz bestimmt nicht zum Set dazugehörte. Genervt verdrehte er seine Augen. Immer wieder diese aufdringlichen Fans, die sich heimlich Zutritt verschaffen wollten. Andererseits … wenn er sie hier und jetzt ansprechen würde, würde sie bestimmt zuerst ihm die Ohren vollkreischen und dann in Ohnmacht fallen. Kam ja nicht alle Tage vor, dass man einen allseits bekannten und beliebten Star wie ihn alleine abseits dieses Showtrubels vorfand und ihm so nahekommen durfte. Er war sich nämlich sicher, dass es sie dabei um ein Mädchen handelte. Männer taten so etwas nicht – auch wenn es theoretisch Fans von Alice waren. Soweit er es mitbekommen hatte, waren die meisten, die hier versammelt waren, sowieso alle Anhänger seiner Band. »Three Lights« war eben die angesagteste Gruppe zurzeit. Darauf konnten sie wirklich stolz sein. Aber sie hatten für diesen Status auch hart gekämpft. Na ja, was soll‘s. Wenn sie wirklich bewusstlos werden würde, hätte er wenigstens wieder seine wohlverdiente Ruhe. Von dieser Vorstellung konnte er sich ja gleich verabschieden, wenn es diesem Störenfried wirklich gelänge, in den Backstagebereich einzudringen. Nach dieser logischen Schlussfolgerung sprach er schließlich mit entschiedener, fester Stimme: »Der Zutritt ist dir nicht gestattet.« Sofort entschuldigte sich das ertappte Mädchen über alle Maßen peinlich berührt für ihre versuchte Tat. Seiya setzte sich etwas mürrisch auf und staunte nicht schlecht, als er erkannte, wer da eigentlich vor ihm stand. Das geheimnisvolle Mädchen vom Flughafen. Das Mädchen mit dieser unfassbaren Ausstrahlung … »Dich habe ich doch schon einmal gesehen?!«, stieß er ungläubig hervor. Verwundert blickte die Blondine auf. Gelassen sah er weg. »Erinnerst du dich nicht mehr?«, fragte er mit einer Spur von Ironie. Es war schließlich ausgeschlossen, dass sie ihn nicht erkannt haben könnte. Umso größer war der Schlag in sein Gesicht, als ihre stocknüchterne Antwort zu seinen Ohren durchdrang. »Hm, also ich hab wirklich keine Ahnung.« »Hö?« Überrascht drehte er sich wieder zu ihr um. Auf sich deutend fragte er noch einmal nach, um sicherzugehen: »Du erkennst mich nicht?« Das war doch unmöglich, dass sie ihn noch nie gesehen hatte, oder? Wenn nicht auf dem Flughafen, dann wenigstens auf irgendeiner Titelseite eines bekannten Magazins, auf einem Werbebanner oder im Fernsehen? Wo lebte sie denn bitte, dass sie noch nie etwas von ihm gesehen oder gehört haben wollte? Hinter dem Mond oder in der abgeschotteten Wildnis? Noch dazu vielleicht in der Steinzeit? Doch ein Kopfschütteln ihrerseits gab ihm die klare Antwort: Es war anscheinend doch möglich. Gespielt enttäuscht senkte er seinen Kopf und sprach seinen Gedanken seufzend aus. »Ich bin wohl offensichtlich doch nicht so berühmt, wie ich gedacht hatte.« »Aha; ich hab‘s!«, ertönte ihre siegessichere Stimme, die Seiya wieder hoffnungsvoll aufschauen ließ. »Das wurde ja auch mal Zeit«, dachte er sich, doch ihr folgender Satz lehrte ihn abermals eines Besseren. »Du willst mich anmachen, stimmt’s? Aber ich muss dir leider sagen: Ich hab schon einen Freund, den ich mal heiraten werde!« Nun konnte er sich ein Lachen wirklich nicht mehr verkneifen, sprang mit einem Satz auf sie zu und blickte von oben auf sie herab. Sie sah wirklich total niedlich und süß aus und weckte sofort den ohnehin schon von Natur aus ausgeprägten Beschützerinstinkt in ihn. Ihre Aussage ließ darauf schließen, dass sie eine hoffnungslose Romantikerin und Träumerin war. Dass es solch eine Naivität heutzutage überhaupt noch gab … Aber es war schön zu sehen. Irgendwie … erfrischend. Grinsend wandte er sich mit den Worten »Du bist wirklich lustig« von ihr ab und ging. Dies konnte er auch nur so leichtfertig tun, weil er ganz genau spürte, dass sie sich schon bald wiedersehen würden. Und insgeheim war er froh, dass sie nicht eine seiner hysterischen Fans war. Schon allein diese Tatsache hob sie von der Masse ab und ließ sie etwas ganz Besonderes sein. »Oh, wie unhöflich. He, da darfst du nicht reingehen! Der Zutritt ist verboten, kannst du nicht lesen?« Die Fremde wurde dann doch etwas temperamentvoller, was man auch deutlich auf ihrer Tonlage heraushören konnte. Seiya winkte gelassen ab und verabschiedete er sich von ihr, ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen. »Keine Angst: Ich gehöre dazu. Bis bald, mein Schätzchen!« Mein Blick wurde ganz verklärt, als ich diese Szenerie wieder vor mir sah. Wie schön und unschuldig doch alles begonnen hatte zwischen uns. Wobei: »Unschuldig« war es ja nach wie vor. Oder begingen wir bereits die größte Sünde, indem wir gegen unser Schicksal rebellierten? Schnell schüttelte ich den Gedanken ab und vermied es, diesen äußerst deprimierenden Gedankengang fortzusetzen. Die Zeit der Depressionen war nun ein für alle Mal vorbei. Eher war nun der richtige Zeitpunkt gekommen, ihnen ein tiefes Grab zu schaufeln. Männlicher Part: Und doch merkte ich sofort, dass zwischen uns etwas ganz Besonderes war … Zunächst war es Sympathie. Wir wurden sehr schnell, ohne es selbst zu bemerken und entgegen aller Erwartungen, beste Freunde … Doch meine Empfindungen entwickelten sich schon bald zu einem sehr viel stärkeren Gefühl … Da hatte sie meine Gefühle wirklich sehr gekonnt in Worte gefasst - das musste ich ihr schon lassen. An dieser Strophe hatte ich wirklich rein gar nichts zu beanstanden. Neugierig las ich weiter … Weiblicher Part: Es war augenblicklich tiefe Sympathie, doch mehr ließ ich nicht zu. Mehr durfte ich nicht zulassen, denn mein Herz … sollte einem anderen Mann gehören … So hatte das ursprüngliche Schicksal über mich entschieden … Männlicher Part: Ich war zu dumm, um das zu begreifen. Es war für mich kein Hindernis, trotzdem um deine Gunst zu kämpfen. Auch, wenn du für mich schon immer unerreichbar gewesen bist … Ich wollte es niemals wahrhaben. So schlecht war mein Teil gar nicht, aber mir fiel noch etwas Besseres ein. Kurzerhand strich ich diese Strophe und schrieb stattdessen eine neue Strophe hin, die eher meinen Gefühlen entsprach. Männlicher Part: Ich wusste davon. Ich wusste von dem Schicksal mit dir und dem anderen Mann. Und doch konnte ich mich gegen meine aufsteigenden Gefühle nicht wehren. Ich habe mir keine Hoffnungen gemacht, denn mir war bewusst, dass es aussichtslos war. Genau so war es und nicht anders. Ich hatte schon immer von diesem Schicksal gewusst und hatte mich jedes Mal selbst ermahnt, ja die Finger von ihr zu lassen. Nicht einmal in meinen Träumen sollte ich mir ausmalen, jemals etwas mit ihr anzufangen. Bis ich irgendwann begriffen habe, dass es sinnlos war, sich gegen die Liebe zu wehren. Da war es ja sogar einfacher gewesen, gegen die übermächtige Galaxia zu kämpfen. Gemeinsamer Part: Und so geschah es: Wir hatten uns ineinander verliebt. Und doch wussten wir beide, dass diese Liebe keine Zukunft haben konnte. Nicht haben durfte. Und doch konnten wir uns auf Dauer nicht gegen unsere Gefühle wehren. Tief in unserem Inneren war die unbändige Liebe da, doch sie durfte nicht aufblühen. Sie durfte nicht wachsen. Sie durfte nicht gedeihen. Unsere Liebe hatte keinen Bestand … Weiblicher Part: Und dann warst du gegangen, hattest mich verlassen. Denn auch du musstest eine wichtige Aufgabe erfüllen. Doch zuvor hattest du mir noch deine wahren Gefühle offenbart. Aber ich hatte es nicht gekonnt, viel zu spät gestand ich sie mir ein … Männlicher Part: Ja, ich verließ dich, weil ich eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatte. Und ich wollte dich auch hinter mir lassen, dich vergessen … Denn ich konnte es nicht ertragen, dich mit dem anderen Mann zu sehen … Doch ich konnte dich nicht vergessen … Auch hier fiel mir ein noch etwas besserer Vers ein zum Abschluss: Männlicher Part: Ja, ich hatte dich alleine gelassen, weil ich eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatte. Auch konnte ich es nicht länger ertragen, dich mit einem anderen Mann zu sehen. Doch wirklich verlassen hatte ich dich nie. Vergessen konnte ich dich nie … Gedankenversunken ließ ich meinen Blick weiter durch den Songtext gleiten. Weiblicher Part: Ich vermisste dich … so unendlich … Ich bereute es zutiefst, mir erst nach deinem Weggang endlich meine wahren Gefühle eingestanden zu haben. Denn du warst weg, und ich wusste nicht, wo du warst. Mein Herz schrie vor Sehnsucht nach dir, doch du hörtest mich nicht … Männlicher Part: Sehr spät habe ich dich gehört. Du warst einfach viel zu weit von mir weg. Doch auch, als ich endlich deine Rufe gehört habe … Konnte ich nicht zu dir zurück. Konnte nicht alles hinter mir lassen. Denn auch ich hatte Pflichten zu erfüllen. Nein, das ging noch genauer und tiefgründiger. Nachdenklich pinselte ich die Worte auf das Skript, die die Gefühle beschrieben, die direkt aus meinem Herzen entsprangen. Männlicher Part: Doch, ich hörte dich … Doch ich versuchte, deine Hilferufe zu ignorieren. Wollte mich nicht mehr in dein Leben drängen. Wollte deine Zukunft nicht gefährden. Wollte dich glücklich sehen, und mit mir würdest du nicht glücklich werden … So glaubte ich zumindest. Gemeinsamer Part: Und so geschah es: Wir hatten uns ineinander verliebt. Und doch wussten wir beide, dass diese Liebe keine Zukunft haben konnte. Nicht haben durfte. Und doch konnten wir uns auf Dauer nicht gegen unsere Gefühle wehren. Tief in unserem Inneren war die unbändige Liebe da, doch sie durfte nicht aufblühen. Sie durfte nicht wachsen. Sie durfte nicht gedeihen. Unsere Liebe hatte keinen Bestand … Wie soll es nun mit uns weitergehen? Werden wir endlich wieder zueinanderfinden? Werden wir endlich zusammen glücklich werden dürfen? Das Schicksal wird es entscheiden … Als ich mit meiner persönlichen Überarbeitung fertig war, sang ich den gesamten Song immer wieder vor mich hin, bis ich mich zufrieden zurücklehnte und feststellte, dass der Song bestimmt ein großer Erfolg werden würde – trotz einer leichten Abänderung von meiner Seite, die sowieso kaum ins Gewicht fiel. Kapitel 14: Reunion Of Lovers ----------------------------- 14 REUNION OF LOVERS »Endlich bin ich am Ziel meiner Träume angekommen.« Heute würde es soweit sein. Ich würde sie endlich wieder in meine Arme schließen können. Obwohl … Was hieß hier wieder? Ich hatte sie leider noch nie wirklich umarmen dürfen. Doch bevor ich deswegen Trübsal blasen konnte, versuchte ich dem heutigen Abend optimistisch entgegenzusehen, was mir auch mühelos gelang. Dann würde heute halt das erste Mal sein. Umso besser. Vorfreude war doch die schönste Freude – auch wenn ich mir sicher war, dass das in diesem Fall nicht zutraf. Das Gefühl, wenn sie dann wirklich in meinen Armen lag, war bestimmt durch nichts zu toppen. Trotzdem tat dies meiner tollen Vorfreude natürlich keinen Abbruch. Mein Gott – was reimte ich mir da wieder für einen Schwachsinn zusammen?! Ich dachte viel zu viel. Verträumt stellte ich mich vor dem Spiegel des Hotelzimmers und band mir meine sonnenblumengelbe Krawatte um. Wie schon zu vergangenen Zeiten harmonierte sie prächtig mit meinem schwarzen Hemd und der roten Hose. Gott, wie lange war das her, seit ich diesen Anzug das letzte Mal getragen hatte? Ich hatte ihn jedoch neu maßschneidern lassen müssen und dafür ein kleines Vermögen ausgegeben, damit die Schneiderin ihn mir gleich am nächsten Tag fertig übergeben konnte. Erstens hatte ich natürlich keinen blassen Schimmer mehr, wo sich unsere alten Sachen befanden, weil das Haus, das wir damals bewohnt hatten, inzwischen neu bezogen worden war, und zweitens hätte mir das Kostüm sicher nicht mehr gepasst. Seit meinem letzten Aufenthalt hier war ich nämlich noch knappe zwanzig Zentimeter gewachsen dank eines Wachstumsschubs. Zum Glück hatte ich noch Zugang auf unser gemeinsames Konto, das wir damals zu Zeiten von »Three Lights« eröffnet hatten. Darin war noch genügend Geld für mehrere Leben, sodass ich die Rechnung ohne große Mühe begleichen konnte. Selbstbewusst betrachtete ich mich und setzte mein typisches Macho-Grinsen auf. Wenn Usagi nicht sofort auf mich fliegen würde, dann wusste ich auch nicht mehr. Auf den Absatz machte ich kehrt, schnappte mir das rote Sakko und verließ mit schnellen Schritten das Zimmer. Auch wenn mein Auftritt voraussichtlich erst später am Abend stattfinden würde, wollte ich so bald wie möglich dort sein und auf gar keinen Fall das Konzert verpassen. Ich wollte auch als Zuschauer dabei sein und konnte es kaum noch erwarten, mein Schätzchen endlich wiederzusehen. Weit oberhalb der Bühne hatte ich eine perfekte Sicht auf Usagi. Und trotzdem war es unmöglich, dass sie mich entdecken könnte. Stolz klopfte ich mir in Gedanken auf die Schulter, dass ich mir den idealen Platz ausgesucht hatte. »In zehn Sekunden wird sie auf der Bühne erscheinen«, hörte ich die informative Stimme direkt neben mir. Es handelte sich um Hiro Nagari, einem jungen Mann, der für die Lichteffekte zuständig war. Gut, dass ich ihn gleich davon überzeugen konnte, mich hierher mitzunehmen, um eben den besten Blick zu haben. Doch nun gab es keine Zeit mehr, um sich über irgendwelche unwichtigen Sachen Gedanken zu machen. Gespannt starrte ich nach unten und erkannte bereits dunkle Umrisse ihrer zierlichen Gestalt. Mein Herz schlug immer hörbarer gegen meine Brust – ich musste mich zusammenreißen, um nicht sofort auf sie zuzustürmen. Ich war so sehr auf sie fixiert, dass ich den Countdown, den Hiro gerade herunterzählte, gar nicht mitbekam. »5 … 4 … 3 … 2 … 1 … Showtime!« Ein gleißendes, weißes Licht fiel auf Usagi. Ich hatte ursprünglich gedacht, dass ich auf alles gefasst sein würde, aber ihr traumhafter Anblick lehrte mich eines Besseren und es verschlug mir glatt die Sprache. Sie trug ein langes weißes Abendkleid, welches bis zu den Knien sehr figurbetont war, unten etwas weiter auseinanderging und bis zum Boden reichte. Die Träger waren durchsichtig und aus dem gleichen Material wie die zwei spaltenbreiten Stoffe im unteren, breiteren Teil des Kleides, sodass man trotz der Länge beim passenden Winkel die weißen Pumps sehen konnte. Ihre goldenen Haare wurden zu einer etwas aufwendigen Frisur hochgesteckt, die ihr hervorragend stand. Dezentes Make-Up betonte ihr Gesicht: leichtes Puder, roséfarbiger Rouge, schwarze Mascara und goldene Lidschatten passend zu dem goldenen Schmuck, den sie trug. Es handelte sich um eine glänzende Kette mit einem schönen Blumenmuster und weißen kleinen Steinchen. Dazu gab es ein passendes Armband und golden schimmernde Ohrhänger. Ich war wie geblendet von ihrer engelsgleichen Schönheit. Mit einem Mal blendete ich alles um uns herum aus, ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein. Die prall gefüllte Zuschauertribüne, unsere überbreit grinsenden Freunde, die in der ersten Reihe saßen, den jungen Mann neben mir und gar die komplette Location. Für diesen ganzen Rest hatte ich keine Augen mehr. Meine gesamte Aufmerksamkeit war einzig und allein auf den Engel unter mir gerichtet. Erst ihre hallende Stimme weckte mich aus meiner Trance. »Es freut mich, dass ihr alle wieder so zahlreich erschienen und mir treu geblieben seid trotz meiner einmonatigen, unangekündigten Pause. Es hat ja ziemlich viel Wirbel um mich in letzter Zeit gegeben, vor allem das unschöne Foto von mir ist dafür ja der Auslöser schlechthin gewesen. Ich kann dazu nur sagen, dass ich wirklich in einer persönlichen privaten Krise gesteckt habe. Es ist nicht der Druck oder der Stress des Musikbusiness gewesen, denn damit komme ich trotz meiner jungen siebzehn Jahre eigentlich ganz gut klar. Das sollte jetzt nicht eingebildet klingen; ihr sollt nur wissen: Ich fühle mich wirklich stark genug für dieses Geschäft. Also braucht ihr euch darüber wirklich keine Sorgen zu machen. Der wahre Grund für meinen Absturz liegt in meiner privaten Gefühlswelt. Näher möchte ich darauf nicht eingehen. Ich habe auch dieses Konzert in Erwägung gezogen, um mit meinen privaten Problemen hiermit endlich abzuschließen. Ich hoffe, ihr helft mir wieder tatkräftig dabei, wie ihr es bisher immer getan habt.« Nicht gerade sanft biss ich mir auf die Lippen, als mein schlechtes Gewissen, wie schon so oft in letzter Zeit, drohte, mich bestialisch aufzufressen. Bevor ich jedoch in dieses Loch meines selbst geschaffenen Selbstmitleids versinken konnte, hörte ich ihr weiter zu, wie sie etwas ankündigte. »Den ersten Song dieses Abends habe ich während dieser schwierigen Phase geschrieben. Dementsprechend ist sie auch mit viel Traurigkeit und Aussichtslosigkeit verbunden. Und im Gegensatz zu meinen anderen Liedern trägt dieses Lied keinerlei Hoffnung. ›I Have Nobody …‹« Gleich darauf ertönte das relativ schnelle Pianovorstück, gespielt von Takumi Tomoya. »An dem Tag, als du mich verlassen hast hast du auch mein mit Trauer überfülltes Herz mitgenommen. Hast unsere gemeinsame Vergangenheit, unsere Liebe und mich zurückgelassen. Und das wohl für immer … Hast mich hier in dieser einsamen Gegend allein zurückgelassen. Ich habe niemanden, der mich liebt und der sich um mich sorgt. Ich bin ganz auf mich allein gestellt, denn du, mein einziger Lebensinhalt, hast mich verlassen. Ich bin ganz alleine … Tränen der Liebe treten aus meinen Augen. Wir werden uns nie wieder so lieben wie früher …« ~ Wir werden uns nie wieder so lieben wie früher … ~ (Background) »Aber da ich für die Liebe lebe, so bin ich auch bereit, für die Liebe zu sterben …« ~ Ich lebe nur für die Liebe, aber ich habe meine Liebe verloren … ~ (Background) »Wenn das Herz vor unbändiger Sehnsucht nach der Liebe hemmungslos schreit, so gibt es keine Hoffnung mehr …« ~ So gibt es keine Hoffnung mehr … ~ (Background) »Mein Herz wird zergehen … Es wird vor Sehnsucht irgendwann sterben … Ich sitze immer noch alleine hier und warte immer noch auf deine Liebe. Es ist mir dabei egal, dass die Liebe inzwischen bitter oder sauer geworden ist … Aber es gibt keine Hoffnung mehr … Mein Herz wird irgendwann daran sterben …« ~ Es gibt keine Hoffnung mehr – Mein Herz wird irgendwann daran sterben … ~ (Background) »Die Liebe, die du mir damals geschenkt hast … Wo ist sie geblieben? Wo ist sie jetzt? Wohin hast du sie gebracht? Warte und hoffe vergebens, dass sie zurückkehrt … Tränen der Liebe treten aus meinen Augen. Wir werden uns nie wieder so lieben wie früher …« ~ Wir werden uns nie wieder so lieben wie früher … ~ (Background) »Aber da ich für die Liebe lebe, so bin ich auch bereit, für die Liebe zu sterben …« ~ Ich lebe nur für die Liebe, aber ich habe meine Liebe verloren … ~ (Background) »Wenn das Herz vor unbändiger Sehnsucht nach der Liebe hemmungslos schreit, so gibt es keine Hoffnung mehr …« ~ So gibt es keine Hoffnung mehr … ~ (Background) »Dein Herz wird zergehen … Es wird vor Sehnsucht irgendwann sterben … Ich sitze immer noch alleine hier und warte immer noch auf deine Liebe. Es ist mir dabei egal, dass die Liebe inzwischen bitter oder sauer geworden ist … Aber es gibt keine Hoffnung mehr … Mein Herz wird irgendwann daran sterben …« ~ Es gibt keine Hoffnung mehr – Mein Herz wird irgendwann daran sterben … ~ (Background) »Wenn das Herz vor unbändiger Sehnsucht nach der Liebe hemmungslos schreit, so gibt es keine Hoffnung mehr …« ~ So gibt es keine Hoffnung mehr … ~ (Background) »Es ist mir dabei egal, dass die Liebe inzwischen bitter oder sauer geworden ist … Aber es gibt keine Hoffnung mehr – Mein Herz wird irgendwann daran sterben …« ~ Es gibt keine Hoffnung mehr … Mein Herz wird irgendwann daran sterben … ~ (Background) Gequält wandte ich mich ab. Ich konnte und durfte sie nicht mehr weiter beobachten – denn dann würde ich wirklich für gar nichts garantieren können. Vor allem, dass sie mitten während des Liedes begonnen hatte, stumme Tränen zu weinen, war nicht gerade sehr hilfreich für meine Selbstbeherrschung. Vielmehr eine gigantische Herausforderung, die fast nicht zu bewältigen war. Der einzige Grund, warum ich es bisher geschafft hatte, mich zurückzuhalten und mich nicht gleich auf sie zu stürzen, war der Gedanke, dass ich es nur für sie tat. Ich wollte sie später in »Tragical Lovestory« richtig überraschen und hoffte nach wie vor sehr, dass mir das auch gelingen würde. Verschwommen nahm ich nebenbei war, wie das Publikum sie begeistert mit Standing Ovations und einem Sturm aneinander geklatschter Hände feierte. Mit einem tapferen Lächeln fuhr sie gleich im Anschluss mit anderen Liedern fort, bis sie in der späten Nacht endlich zum letzten Lied kam. Der große Abschluss stand uns nun unmittelbar bevor. »Das Konzert neigt sich langsam aber sicher dem Ende zu. Den letzten Song habe ich ebenfalls in den schwärzesten Tagen meines Lebens geschrieben, aber im Gegensatz zu ›I Have Nobody‹ ist er nicht so schwarz geprägt. Jedenfalls nicht in dem Sinne. Es beruht auf einer wahren Liebesgeschichte. Einer tragischen Liebesgeschichte, die bis zum Schluss kein Happy End gefunden hat.« Mein Auftritt! Geschickt kletterte ich unbemerkt runter und versteckte mich hinter einem großen, nachtblauen Vorhang. Mein Herz machte wieder zahllose Sätze. Angestrengt versuchte ich, es zu ignorieren. Denn mich gegen die beschleunigten Schläge zu wehren wäre damit vergleichbar gewesen, mich gegen das Atmen selbst zu wehren: Ein sicherer Misserfolg. Nervös hielt ich mein Mikrofon umklammert, den ich mir schon am Anfang des Konzerts geschnappt habe, und war schon ganz hibbelig. Das Lampenfieber kam aber nicht daher, weil ich vor dem eigentlichen Auftritt aufgeregt war. Ich war inzwischen schließlich fast schon ein alter Hase in diesem Geschäft und Lampenfieber in dem Sinne kannte ich gar nicht mehr, auch wenn mein letzter Auftritt schon ein Weilchen her war. Ich war so angespannt, weil ich jetzt gleich wirklich tatsächlich Usagi gegenüberstehen würde. Wie würde sie wohl reagieren, wen sie mich sah? Bevor ich mir alle möglichen Szenarien ausmalen konnte, erklang die glanzvolle Melodie, die mich dazu verleitete, gleich meine Augen zu schließen und die Musik auf mich einwirken zu lassen. Wortlos stimmte ich mich dadurch auf meinen großen Auftritt ein. Der Klang war wirklich wunderschön und lud augenblicklich zum Träumen ein. Es hatte etwas Beruhigendes an sich, was ich gerade ganz dringend brauchte. »Es war plötzlich und unvorhersehbar, als du in mein Leben tratst … Es war alles so banal, unscheinbar und schien so alltäglich zu sein … Und obwohl wir schnell wieder auseinandergegangen waren, hatte uns das Schicksal sehr bald wieder zusammengeführt.« Ich hörte, wie das Publikum kurz aufkreischte. Stirnrunzelnd hoffte ich sehr, dass es damit auch gewesen war, denn ich wollte weiter allein ihrer Stimme lauschen. Obwohl – jetzt war ich ja dran. Es kam mir vor, als würde mein Herz nun wirklich aus meiner Brust springen, als ich ein letztes Mal tief nach Luft schnappte, elegant hinaustrat und mir das Mikrofon leicht vor die Lippen hielt – stets bemüht, mir ja nichts anmerken zu lassen. »Und doch merkte ich sofort, dass zwischen uns etwas ganz Besonderes war … Zunächst war es Sympathie. Wir wurden sehr schnell, ohne es selbst zu bemerken, beste Freunde … Doch meine Empfindungen entwickelten sich schon bald zu einem sehr viel stärkeren Gefühl …« Diesmal hörte ich den tosenden Beifall der Zuschauer nicht, obwohl er noch lauter war als bei Usagi vorhin. Alle meine Sinne hatten sich allein für sie aufgespart. Daher erkannte ich deutlich, wie sie erstarrte, auch wenn sie noch mit dem Rücken zu mir stand. Ob sie meine Stimme gleich erkannt hatte? Im nächsten Moment drehte sie sich zu mir um und riss schockiert ihre Augen auf, als sich unsere Blicke trafen. Endlich … Ich sah ihr deutlich an, wie sie sich gerade noch am Riemen reißen konnte, um nicht ihren Einsatz zu verpassen. Doch sie starrte mich weiter gebannt an, während ihre glänzenden Lippen, die gefährlich zum Küssen verführten, den Text weitersangen. »Es war augenblicklich tiefe Sympathie, doch mehr ließ ich nicht zu. Mehr durfte ich nicht zulassen, denn mein Herz … sollte einem anderen Mann gehören … So hatte das ursprüngliche Schicksal über mich entschieden …« Wie sie mich mit ihren riesigen Kulleraugen mit einer Mischung aus Ehrfurcht, Angst, Ungläubigkeit und Faszination ansah … Herrje, war mein Beschützerinstinkt schon immer so gewaltig gewesen? So enorm hatte ich ihn gar nicht mehr in Erinnerung gehabt. Sie war so unfassbar schön. Einfach perfekt. Viel zu perfekt für diese Welt. Zu perfekt für meine Welt. Aufmunternd zauberte ich ein sanftes Lächeln auf meine Lippen und strahlte sie liebevoll an. Dabei ging ich Schritt für Schritt auf sie zu und hoffte inständig, dass sie nicht zurücktreten würde. Doch sie bewegte sich nicht. Keinen Millimeter. Ich glaubte, in ihren Augen ein tief verborgenes Gefühl aufblitzen zu sehen. Sehnsucht? Wie sehr mir doch diese warme Ausstrahlung gefehlt hatte. Wie sehr ich mich nach diesen Augen verzehrt hatte, in denen ich in diesem Moment – so unglaublich das auch schien - unendliche Liebe herauslesen konnte. Wie sehr ich sie vermisst hatte. Es war nicht in Worte zu beschreiben. Kein Wort dieser Welt konnte ausdrücken, was in dieser Sekunde in mir vorging. Langsam führte ich das Mikrofon wieder zu meinen Lippen, während ich weiterging. »Ich wusste davon. Ich wusste von dem Schicksal mit dir und dem anderen Mann. Und doch konnte ich mich gegen meine aufsteigenden Gefühle nicht wehren. Ich habe mir keine Hoffnungen gemacht, denn mir war bewusst, dass es aussichtslos war.« Inzwischen war ich endlich bei ihr angekommen. Ehrlich gesagt war ich megaerleichtert, dass ich das gepackt hatte und meine Beine mich nicht im Stich gelassen hatten, weil sie sich wirklich bedenklich weich anfühlten – vor allem der Bereich um die Knie herum. Sie war wirklich klein. Trotz hoher Schuhe war ich immer noch mindestens eineinhalb Köpfe größer als sie. Ich war eben gewachsen. Doch ihre Größe störte mich in keinster Weise. Im Gegenteil: Auf mich wirkte sie noch … anziehender. Mein Drang, sie zu beschützen, wuchs damit weiter ins Unermessliche. Mein Lächeln formte sich zu dem typischen Seiya-Grinsen, als ich ihr meine Hand anbot. Wie es zu erwarten war schien sie das zu imponieren. Etwas verlegen legte sie zaghaft ihre zarte Hand in meine. Einen Wimpernschlag lang durchzuckte mich ein angenehmer Blitz, als ich ihre Haut berührte. Ich war mir sicher, dass sie diese knisternde Spannung zwischen uns ebenfalls spürte. Dies verriet mir ihr verblüffter Gesichtsausdruck. Ganz automatisch verschränkten sich unsere Finger ineinander, als hätten sie nur auf diesen Moment gewartet. Was für unglaublich weiche Haut sie doch hatte … Wir verstanden uns auch ohne viele Worte. Das hatten wir schon immer getan, ohne uns das wirklich bewusst zu sein. Und dann geschah es. Etwas, wofür ich zweifelsohne mein Leben hergegeben hätte. Etwas, wofür ich lebte. Etwas, was mir erst den Sinn gab, überhaupt zu leben: Ihr Lächeln, dass sich vorsichtig über ihre wohlgeformten Lippen legte. Ein Lächeln voller Glückseligkeit und Liebe. Und das Allerschönste: Dieses Lächeln galt mir. Mir ganz allein. Ein aufregendes Glücksgefühl durchströmte mich siedend heiß, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Ich konnte mich jedoch nicht fallen lassen. Noch nicht. Wir hatten nämlich noch einen Song zu Ende zu singen, dessen gemeinsamer Refrain auch schon folgte. »Und so geschah es: Wir hatten uns ineinander verliebt. Und doch wussten wir beide, dass diese Liebe keine Zukunft haben konnte. Nicht haben durfte. Und doch konnten wir uns auf Dauer nicht gegen unsere Gefühle wehren. Tief in unserem Inneren war die unbändige Liebe da, doch sie durfte nicht aufblühen. Sie durfte nicht wachsen. Sie durfte nicht gedeihen. Unsere Liebe hatte keinen Bestand …« Während wir sangen, sahen wir uns mit unzähmbarer Leidenschaft tief in die Augen. Die Unsicherheit war längst im Keim erstickt. Meine altbewährte Coolness kam zurück und ich genoss es wieder richtig, auf der Bühne zu stehen. Und mit ihr zu singen; das war einfach … unbeschreiblich. Es fühlte sich an, als hätten wir nie etwas anderes gemacht. Unsere Stimmen ergänzten sich perfekt. Mit ihr zu singen … daran könnte ich mich glatt gewöhnen. »Und dann warst du gegangen, hattest mich verlassen. Denn auch du musstest eine wichtige Aufgabe erfüllen. Doch zuvor hattest du mir noch deine wahren Gefühle offenbart. Aber ich hatte es nicht gekonnt, viel zu spät gestand ich sie mir ein …« Ich brachte so viel Gefühl und Leidenschaft in dieses Lied hinein, und sie tat es ebenfalls. Doch so eine große Herausforderung war das gar nicht, denn das Lied selbst gab unsere Gefühle und Gedanken originalgetreu wieder. »Ja, ich verließ dich, weil ich eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatte. Und ich wollte dich auch hinter mir lassen, dich vergessen … Denn ich konnte es nicht ertragen, dich mit dem anderen Mann zu sehen … Doch ich konnte dich nicht vergessen …« Ob es ihr auffiel, dass ich ihren ursprünglichen Text leicht abgeändert hatte nach meinen wahren Gedanken? Aber selbst wenn: Das war doch völlig unwichtig, solange sie es mir nicht übel nahm oder Beschwerde einlegte. »Ich vermisste dich … so unendlich … Ich bereute es zutiefst, mir erst nach deinem Weggang endlich meine wahren Gefühle eingestanden zu haben. Denn du warst weg, und ich wusste nicht, wo du warst. Mein Herz schrie vor Sehnsucht nach dir, doch du hörtest mich nicht …« »Doch, ich hörte dich … Doch ich versuchte, deine Hilferufe zu ignorieren. Wollte mich nicht mehr in dein Leben drängen. Wollte deine Zukunft nicht gefährden. Wollte dich glücklich sehen, und mit mir würdest du nicht glücklich werden … So glaubte ich zumindest.« Erneut erklangen unsere beiden Stimmen in perfekter Harmonie zueinander und erfüllten die gigantische Halle mit Liebe und Freude. Jeder sollte an unserem Glück teilhaben. Ich hatte das Gefühl eines solchen Überschusses, dass ich ihn am liebsten himmelhochjauchzend rausgeschrien hätte. »Und so geschah es: Wir hatten uns ineinander verliebt. Und doch wussten wir beide, dass diese Liebe keine Zukunft haben konnte. Nicht haben durfte. Und doch konnten wir uns auf Dauer nicht gegen unsere Gefühle wehren. Tief in unserem Inneren war die unbändige Liebe da, doch sie durfte nicht aufblühen. Sie durfte nicht wachsen. Sie durfte nicht gedeihen. Unsere Liebe hatte keinen Bestand …« Und ein weiteres Mal erklang der Refrain synchron aus unseren Lippen, bis es fließend zur letzten Strophe überging. »Wie soll es nun mit uns weitergehen? Werden wir endlich wieder zueinanderfinden? Werden wir endlich zusammen glücklich werden dürfen? Das Schicksal wird es entscheiden …« Auch nachdem der letzte Ton längst abgeklungen war, starrten wir uns immer noch tief in die schimmernden Augen und bekamen den ungehemmten Applaus überhaupt nicht wahr. Unsere Hände waren immer noch ineinander verschränkt. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben und wir in einer Welt gelandet waren, wo nur wir beide existierten. Allerhöchste Zeit, endlich mal den Mund aufzumachen und sie richtig zu begrüßen, oder? Als Mann war es für mich klar, dass ich diesen Part übernehmen musste. Und das tat ich nur zu gern. Auf ein einfaches »Hallo« würde ich natürlich nicht zugreifen – wie langweilig und unkreativ wäre das denn bitte gewesen? Ich legte meinen Kopf schief und schenkte ihr mein schönstes Lächeln. »Du bist noch viel schöner als ich dich in Erinnerung hatte, Schätzchen«, wisperte ich, nachdem ich mich leicht zu ihr heruntergebeugt hatte. Es war mir egal, wie schleimig oder schnulzig das war – aber es entsprach der Wahrheit, und nur das zählte. Mit einer Spur von Genugtuung sah ich ihr genau an, wie sie merklich beim Wörtchen »Schätzchen« erschauderte. Wahrscheinlich gab es wohl sonst niemanden, der sie so nannte. Wäre ja noch schöner. »Seiya«, flüsterte sie kaum hörbar, doch ich verstand es trotzdem. Meine Coolness bekam einen leichten Dämpfer, als sich ihre Augen in Sekundenschnelle mit Tränen füllten und sie mit einem Mal wie Sturzbäche ihre Wangen hinunterflossen. Sofort breitete ich einladend meine Arme aus, um sie und ihre Emotionen aufzufangen. Sie hatte genug gelitten. Wir hatten genug gelitten. Länger als nötig, was allein auf mein Schuldenkonto ging. Doch ich würde es wiedergutmachen. Und wenn es das Letzte sein würde, was ich tat. Diese Zeit des Kummers war von nun an vorbei. Usagi zögerte keinen Augenblick, sich sofort mit ordentlicher Wucht an meine Brust zu schmeißen. Bereitwillig legte ich sofort meine Arme um sie. Endlich. Endlich waren wir am Ziel angelangt. Und ich hatte mich nicht geirrt: Dieses Gefühl, sie zum ersten Mal in meinen Leben in den Armen zu halten, war überwältigender als alles, was ich bisher erlebt hatte. Ich spürte, wie sich mein Herz aus dem tiefen schwarzen Loch in die Freiheit kämpfte. Wie es ihr spielend leicht gelang, mein Herz aus dem Loch herauszuholen. Kapitel 15: A Disclosing Conversation ------------------------------------- 15 A DISCLOSING CONVERSATION »Endlich herrscht wieder Frieden in meinem Herzen.« »Darf ich dich nach Hause bringen, Schätzchen?«, fragte ich sie direkt, nachdem das Konzert beendet war, alle Zuschauer inzwischen die Konzerthalle verlassen hatten und sich bereits auf dem Heimweg befanden. Auch unsere Freundinnen waren ziemlich schnell verduftet. Da ich nicht auf den Kopf gefallen war, konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass das nicht von ungefähr kam. Sie strahlte mich als Antwort freudig an. »Was für eine Frage …« Bevor wir losgingen, half ich ihr noch in ihren langen Mantel. Ich war schließlich schon immer ein Gentleman gewesen – bei ihr, meiner Herzensdame, selbstverständlich ganz besonders. Sie sah wahnsinnig süß aus in ihrem langen, figurbetonten Mantel in der Farbe des türkisen Meeres. Einfach traumhaft. Während des Weges redeten wir nicht viel. Das lag jedoch keinesfalls daran, dass wir zu wenig Gesprächsstoff und uns nichts zu sagen hatten. Das war bei uns noch nie vorgekommen. Der wahre Grund war, dass ich einfach nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Und ich war mir sicher, dass es ihr da nicht anders erging. Wie sollte ich ihr nur beibringen, dass ich mich zwar die ganze Zeit nach ihr gesehnt hatte, es aber trotzdem nicht auf die Reihe gebracht hatte, früher zu ihr zurückzukehren? Doch ein längeres und ernstes Gespräch war hier sowieso nicht angebracht, denn wir befanden uns mitten in der Stadt, die mit Menschen vollgestopft war. Kein Wunder, denn schließlich war es Freitagnacht – und das in Tokio, einer Weltmetropole. Aber das war mir eigentlich ganz recht, denn durch die vielen Menschenmassen, die größtenteils mit sich selbst beschäftigt waren, wurden wir nicht so schnell erkannt. Auch ich war natürlich trotz meiner längeren Abwesenheit immer noch kein ungeschriebenes Blatt, schließlich hatte sich die Band »Three Lights« auf der absoluten Spitze der Musikbranche befunden und sich sogar international einen Namen gemacht. Daher war es nicht weiter verwunderlich, dass es den einen oder anderen gab, der bei meinem Anblick kurz stutzig wurde. Doch ehe sie sich umdrehten und uns ansprechen konnten, waren wir verschwunden. Obwohl es um uns herum alles andere als leise war, blendete ich jegliche Geräuschkulisse von außen aus, indem ich tief in meine eigenen Gedanken versank, die lautstark in meinen Ohren dröhnten. Ich konnte es immer noch nicht so recht fassen, dass ich wirklich wieder hier bei ihr auf der Erde war. Es erschien mir alles zu unrealistisch. Einfach viel zu schön, um wahr zu sein. Es war auch keinesfalls so, dass wir gleich eng umschlungen durch die Straßen schlenderten, obwohl mir natürlich danach gewesen wäre – absolut keine Frage. Eine gewisse Distanz gab es immer noch zwischen uns, sowohl auf physischer Basis als auch auf emotionaler. Es würde schon eine gewisse Zeit brauchen, bis wir uns erst einmal an die Anwesenheit des anderen gewöhnen beziehungsweise überhaupt realisieren konnten. Und ich hatte es auch gar nicht eilig. Ich hatte so lange auf sie gewartet – die paar Tage oder Wochen länger würde ich auch noch überstehen, vor allem, wenn ich mich sowieso schon in ihrer unmittelbaren Nähe befand. Das war viel mehr, als ich mir erhofft hatte. Und wie sagte man immer so schön: »Was lange währt, wird richtig gut.« Als wir gemeinsam um die Ecke abbogen, wurde es deutlich ruhiger. Gleichzeitig kam ich wieder in die wirkliche Realität zurück, da es in dieser Gasse wirklich nur sie und mich gab – genau wie in meiner Fantasiewelt, die ich mir unterbewusst geschaffen hatte. Bevor eine peinliche Situation zwischen uns entstehen konnte, sah ich mich kurz und suchte fieberhaft nach etwas, womit ich ein belangloses Gespräch beginnen konnte. Hoch oben am Himmel wurde ich fündig. Ein wohliges Brummen entfuhr mir, bevor ich verträumt lächelte. »Was ist?«, fragte sie mich gleich neugierig – genau wie ich es von ihr erwartet hatte. Ich senkte meinen Blick und sah sie zärtlich an. »Es kommt mir so vor, als ob die Sterne hier von der Erde aus viel leuchtender und intensiver strahlen als von unserem Heimatplaneten. Es kann aber natürlich auch sein, dass ich mir das nur einbilde.« Wieder war es mir egal, wie schnulzig das auch klingen mochte. Außerdem konnte ich wirklich nicht mit Gewissheit sagen, ob dies nur eine Einbildung war, die von meinen Gefühlen für sie herrührte oder die Sterne hier wirklich schöner funkelten. Na ja, in Wahrheit war es wirklich auf meine Gefühle zurückzuführen – die Galaxie, aus der ich kam, war ja nicht ohne Grund auch als »Sternengalaxie« im Universum bekannt. Außerdem hatten die Sterne in unserer Welt eine viel größere Bedeutung als hier auf der Milchstraße, was ich bisher so aufgeschnappt hatte. Usagi runzelte ratlos die Stirn, was mich innerlich schmunzeln ließ. Sie hatte wohl keinen blassen Dunst, worauf ich mit dieser Aussage hinauswollte. Na ja, ein bisschen quälen wollte ich sie schon noch – aus reinem Vergnügen. Für uns beide. Inzwischen waren wir vor ihrem Haus angekommen und blieben synchron stehen. Die Frage, die sie mir im nächsten Augenblick stellte, brachte mich total aus dem Konzept, weil ich nun so gar nicht damit gerechnet hatte. »W- Willst du vielleicht noch reinkommen?« Verblüfft blinzelte ich sie an und wusste im ersten Moment gar nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ach Gott, ich verhielt mich gerade echt wie ein unbeholfener Vollidiot. »Willst du wirklich? J- Ja, a- also … ich hab nichts dagegen, aber brauchst du nicht deine Ruhe nach dem Konzert? Und deine Eltern werden bestimmt auch nicht begeistert sein, wenn du einen wildfremden Typen nachts mit zu dir nach Hause nimmst.« Ach herrje – bekam ich denn nichts Solideres als so ein hilfloses Stottern auf die Reihe? Noch dazu fühlten sich meine Wangen plötzlich so glühend heiß an – Himmel, dass ich jetzt auch noch rot wurde, war echt der Gipfel! Dass sie mich jetzt auch noch frech angrinste, förderte meine Selbstsicherheit nicht unbedingt. Im Gegenteil. Ich verzog meine Lippen zu einer dünnen Linie und warf ihr einen Blick zu, der so viel sagen sollte wie »Ja ja, mach dich nur weiter darüber lustig – meine Rache wird grausam sein!«. Wenn sie die Botschaft erhalten hatte – wovon ich ausging – ließ sie sich rein gar nichts anmerken und ignorierte sie gekonnt. »Meine Eltern werden nichts bemerken. Sie sind schon längst im Bett. Und außerdem brauche ich nicht meine Ruhe. Warum denkst du, habe ich überhaupt gesungen, hm?« Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie erstaunt ich über ihre ungewohnte, unverhohlene Offenheit war. Doch die werte Dame wartete gar nicht erst auf eine Antwort meinerseits, sondern schob mich gleich ungeduldig zum Hauseingang vor. Trotz meiner Verwunderung ließ ich mich von ihr in Richtung ihres Hauses lenken. So leise wie es nur möglich war schloss sie die Tür auf. Anschließend schlichen wir uns geräuschlos in ihr Zimmer. Dort drinnen angekommen ging sie rasch zum riesigen Kleiderschrank und holte ihre Schlafsachen heraus. In der Zwischenzeit sah ich mich in ihrem Raum um. Er hatte sich kaum verändert im Vergleich zum letzten Mal, wo ich hier gewesen war, um ihren Bodyguard zu spielen. Ein Schmunzeln schlich sich unbemerkt um meine Lippen, als ich an diese schöne Zeit zurückdachte. »Mach es dir hier schon mal bequem; ich mach mich nur schnell fertig. Willst du etwas trinken?« »Ist gut, lass dir ruhig Zeit damit. Ähm, ein Glas Wasser vielleicht, wenn es dir keine großen Umstände macht.« Ein schwaches Grinsen umspielte mein Gesicht. Nach so einem Konzert war ich immer ziemlich durstig. Als sie verschwand und die Tür hinter sich schloss, nutzte ich die Gelegenheit, um wirklich mal intensiv ihr Zimmer zu analysieren. Sonderlich lange tat ich es nicht, denn als mein Blick über diesen bestimmten Gegenstand schweifte, blieb er dort widerwillig hängen. Wie von einer unsichtbaren Macht angetrieben schritt ich darauf zu, während ich wie paralysiert das Foto anstarrte, als hätte ich gerade einen echten Schatz entdeckt. Sie hatte doch tatsächlich das einzige gemeinsame Foto von uns auf ihrem Schreibtisch stehen. Genau an dem Ort, wo sich früher noch ein Bild von ihr und Mamoru befunden hatte. Ich erinnerte mich noch sehr gut daran, wie dieses Foto damals entstanden war. An unserer ersten, richtigen Verabredung. Nur zu gerne dachte ich an diesen Tag zurück. An diese glücklichen gemeinsamen Momente, die leider so rar gewesen waren … Seiya und Usagi verbrachten einen schönen Vormittag zusammen. Auf besonderem Wunsch Usagis wurde auch sehr viel gegessen und getrunken. Dabei ging selbstverständlich alles, ganz gentlemanlike, auf Seiya. Auch wenn er sich oft wie ein ungehobelter Flegel verhielt – er verstand etwas von Anstand. Das musste Usagi ihm lassen. Und das offenbarte sie ihm kurzerhand auch, ohne sich viel dabei zu denken. »Vielen Dank für das Essen! Du scheinst ja doch nicht von so schlechten Eltern zu sein und hast sehr wohl Manieren, wie es anfangs ja so gar nicht den Anschein hatte …« Natürlich bedankte sie sich nicht, ohne ihn ein wenig aufzuziehen. »Tja, ich stecke eben voller Überraschungen«, grinste der Angesprochene sie darauf schief an mit seinem typischen Popstar-Lächeln, das die Mädchenherzen sofort höherschlagen ließ. Kurz verdrehte sie ihre Augen und wies ihn gleich zurecht: »Ja ja, kein Grund, um gleich überheblich zu werden.« Obwohl sie eigentlich empört sein müsste, war sie es nicht. Eher etwas eingeschüchtert durch sein unwiderstehliches Grinsen, doch diese Empfindung konnte sie zum damaligen Zeitpunkt noch überhaupt nicht richtig einordnen. Um ihr verräterisches Gesicht vor ihm zu verbergen, beschleunigte sie ihren Marsch etwas. Seiya konnte dank seiner längeren Beine und Sportlichkeit natürlich problemlos mit ihr Schritt halten. Zu ihrem letzten Kommentar entgegnete er ausnahmsweise mal nichts. Zwar war er wirklich kein Mensch, der sich vor Konflikten oder Streit scheute und solche Neckereien gerne auf sich sitzen ließ, aber dieser Tag verlief gerade so schön. Da wollte er keine unnötige Auseinandersetzung mit seinem Schätzchen beginnen. Ein Mann mittleren Alters steuerte mit einer Fotokamera in der Hand geradewegs auf sie zu. »Wollen Sie vielleicht gemeinsam ein Foto von sich schießen lassen?«, fragte der Mann mit hoffnungsvollem Funkeln in den Augen. »Sie sehen nämlich wahnsinnig gut zusammen aus und haben beide gleichermaßen eine unfassbare Ausstrahlung!« Darauf grinste Seiya nur verschmitzt und ließ es sich nicht nehmen, sogleich seinen Arm um Usagi zu legen. »Klar machen wir das! Ein schönes Erinnerungsfoto von unserem ersten Date! Perfekt!« Er wartete gar nicht auf die Zusage Usagis, denn was sollte sie auch großartig dagegen einzuwenden haben? »Na gut, aber nur unter einer Bedingung!«, gab sich das Mädchen mit den zwei langen Zöpfen fast geschlagen. Verwundert hob der Schwarzhaarige eine Augenbraue. »Du stellst Bedingungen auf?« Von einer Sekunde auf die andere verwandelte sich der etwas irritierte Gesichtsausdruck jedoch in ein breites, selbstgefälliges Grinsen. »Aha, also scheint dir das Foto wohl doch nicht so egal zu sein. Klar, schließlich wird es unser erstes gemeinsames Foto von unserer ersten Verabredung. In siebzig Jahren werden wir bestimmt noch als altes Ehepaar darüber lachen, wenn wir uns das Foto zusammen anschauen.« »W-« Usagi bekam vor Verlegenheit kein richtiges Wort mehr raus und schaute rasch zur Seite. Mit der verschwindend geringen Hoffnung, dass er ihre Unsicherheit nicht bemerkt haben könnte. Sowie auch ihre treulosen geröteten Wangen. Wieso verhielt sie sich nur so merkwürdig in seiner Gegenwart? Warum fühlte sie sich gleich so bedrängt – auf angenehme Art und Weise? Er war doch nur ein einfacher Freund, der ab und zu halt seine blöden Scherze machte, oder? Warum nahm sie das so ernst? »Ich mache nur ein Foto mit dir, wenn du deine Sonnenbrille absetzt!« Sie machte nicht ganz ohne Absicht einen großen Bogen um seine freche Anspielung. »Gefalle ich dir mit Sonnenbrille etwa nicht?«, fragte er ganz unschuldig und musste sich ein Grinsen verkneifen. Sehr wohl hatte er natürlich Usagis Blöße bemerkt, denn schließlich war er nicht blöd oder gar blind. Sie war einfach so leicht zu durchschauen. Wie ein offenes Buch. Einfach nur unwiderstehlich süß. Moment, was dachte er da gerade? Erwischte er sich etwa gerade selbst dabei, wie er heimlich in Gedanken von ihr schwärmte? Er, der Frauenschwarm schlechthin, schwärmte über ein einfaches, durchschnittliches Mädchen? Was lief denn hier bloß falsch? »N- Nein, das ist es nicht, die Sonnenbrille steht dir … sehr gut«, stotterte sie und schaute dabei zu Boden, weil es ihr doch peinlich war, ihm in die Augen zu sehen, während sie ihm doch tatsächlich ein Kompliment machte. Jetzt war es also raus. Sie hatte ihm wirklich offenbart, dass er einfach nur supergut aussah mit seiner coolen Sonnenbrille. Aber warum machte sie sich überhaupt so viele Gedanken? War doch eigentlich nicht wirklich mehr als nur ein harmloses Kompliment gewesen. Oder? »Ich will aber, dass man auf dem Foto das Gesicht von uns beiden gut erkennen kann. Mit Gesicht meine ich also auch die Augen, und deine Sonnenbrille würde wohl logischerweise die freie Sicht auf deine Augen verhindern. Deswegen sollst du sie gefälligst absetzen, klar?« »Seiya?« Wie von einer Wespe gestochen fuhr ich herum mit einem atemlosen »Gott, hast du mich erschreckt!«, als hätte sie mich gerade in flagranti bei irgendetwas Verbotenem erwischt. Hastig wanderte mein Blick zu ihr hinab. Sie mit offenen Haaren zu sehen war wahrlich ein Highlight. Eine wahre Augenweide, die man nicht alle Tage zu sehen bekam. So könnte sie ihre Haare ruhig öfter so tragen. Nicht weniger angetan war ich von dem niedlichen orangefarbenen Häschen-Pyjama, das ihren wohlgeformten Körper verhüllte. Oh je – ich durfte mir gar nicht vorstellen, was sich darunter verbarg. Usagi begann amüsiert zu lachen. Aus dieser Handlung zog ich den naheliegenden Schluss, dass mein Gesichtsausdruck wohl köstlich aussehen musste. Auch wenn es auf meine Kosten war, gönnte ich es ihr von Herzen. Egal was ich auch tun würde – niemals könnte ich damit meine Schuld bei ihr vollkommen begleichen. Meine Mundwinkel hoben sich leicht zu einem schwachen Lächeln. Sie schien es richtig zu genießen, aus vollem Herzen zu lachen. Als ob es schon eine Ewigkeit her war, als sie das das letzte Mal getan hatte. Traurig genug, dass es wohl wirklich den wahren Tatsachen entsprach. Trotzdem ließ ich es mir nicht nehmen, sie ein wenig zu ärgern mit der Absicht, sie weiter aufzuheitern. »Haha, sehr witzig«, meinte ich trocken, doch meine leicht eingeschnappte Miene konnte sich kaum eine Sekunde lang gegen das warme Lächeln durchsetzen. »Tut mir leid, aber du hättest dich mal sehen sollen«, entschuldigte sie sich immer noch Tränen lachend, drückte mir mein Glas Wasser in die Hand, stellte ihr eigenes auf den Nachttisch ab und setzte sich auf die innere Hälfte des Bettes. Dass sie plötzlich erwartungsvoll zu mir hochschaute, verwirrte mich nur. Wollte sie etwa wirklich, dass ich mich zu ihr auf das Bett setzte? Die Antwort auf diese Frage, die stumm zwischen uns in der Luft schwebte, folgte auf dem Fuße. »Du kannst dich ruhig neben mich setzen; ich beiße schon nicht.« Theatralisch seufzte sie tief, als hätte sie versucht, einem kleine Jungen schon zum wiederholten Mal zu erklären, dass man mit Essen nicht spielen sollte. Mir war bewusst, dass sie das nur tat, um mich aufzuziehen. Ein selbstgefälliges Grinsen umspielte daher meine Lippen, und zufrieden erkannte ich, wie ihr der Atem stockte. Es war ein wunderbares Gefühl, zu wissen, dass allein ich der Auslöser dafür war. »Selbst das würde mich nicht davon abhalten«, äußerte ich mich frech dazu und setzte mich neben sie auf das Bett. Nachdem ich einen Schluck aus meinem Glas getrunken hatte und es ebenfalls auf den Nachttisch abgestellt hatte, folgte ein ernstes, längeres Schweigen. Wie sollte ich nur am besten anfangen, ihr zu erklären, was damals in mir vorgegangen war und warum ich eine halbe Ewigkeit gebraucht hatte, um endlich ihrem Wunsch nachzugehen, obwohl ich nichts lieber getan hätte? Ich meinte: Ich konnte es mir doch selbst kaum erklären. Schließlich gab es keinen Ort auf dem Universum, wo ich lieber wäre als hier an ihrer Seite. Das galt nicht nur jetzt, sondern hatte schon immer gegolten. Schon immer und für immer. »Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich so lange auf mich habe warten lassen«, durchbrach ich die Stille entschieden. Usagi wandte sich mir zu und wollte scheinbar gerade etwas darauf erwidern, doch ich bedeutete ihr stumm mit einem bittenden Blick, dass sie mir erst einmal nur zuhören sollte. Ich drehte ihr meinen ganzen Oberkörper zu, bevor ich erneut das Wort ergriff. »Ich hörte deine Botschaft schon sehr lange. Du erreichtest mich bereits bei deinem allerersten Konzert. Sie überwältigte mich wirklich, denn ich hätte wirklich nicht im Traum damit gerechnet, dass du mich zu dir zurückrufen würdest, wo du doch so glücklich mit Mamoru zu sein schienst. Die Erkenntnis, dass du mich dringender als jeden anderen brauchtest … Dieses Gefühl war einfach …« Ich suchte nach dem richtigen Wort, bis ich es schließlich auch mit einem Glitzern in den Augen fand. »… unbeschreiblich. Mein Glück war aber auch mit einer gewissen Wehmut verbunden, denn ich konnte dir einfach nicht antworten. Zu groß war mein Pflichtbewusstsein gegenüber der Prinzessin und meinem Planeten. Ich konnte doch nicht einfach meinen Planeten ein weiteres Mal im Stich lassen. Obwohl ich mich die ganze Zeit so sehr nach dir gesehnt hatte … So egoistisch bin ich dann doch wieder nicht. Schon damals, als ich gesehen hatte, wie sehr du und die anderen euch für die Erde aufgeopfert hattet, hatte ich Reue verspürt, dass wir damals unserem eigenen Planeten einfach den Rücken gekehrt hatten. Man merkt es mir vielleicht nicht sofort an, aber ich war schon immer ein sehr loyaler und verantwortungsbewusster Diener gewesen. Mein einziger Lebensinhalt musste darin bestehen, unseren Planeten und die Prinzessin mit meinem Leben zu beschützen. Ohne sie sollte mein Leben so gut wie wertlos sein. Meinen eigenen Bedürfnissen durfte ich nicht nachgehen. Sonst wäre ich wohl damals schon hiergeblieben und hätte um deine Liebe gekämpft bis zum bitteren Ende. Auch wenn ich mich dann mit Mamoru angelegt hätte – davor hätte ich mich nicht gescheut. Es ist schlicht und einfach gegen meine Natur, zu verlieren, und daran hat sich bis heute nichts geändert: Ich hasse es, zu verlieren.« Ich grinste sie warm an während meiner letzten Aussage. Mein Lächeln nahm jedoch traurige Züge an, ehe ich wieder mit ernsterer Miene fortfuhr: »Aber wie gesagt: Eigene Bedürfnisse und Wünsche waren fehl am Platz. Und so musste ich versuchen, mein immer weiterwachsendes Verlangen nach dir zu zügeln. Es, so unmöglich es auch erscheinen mochte, im Zaum zu halten. Ich wollte sogar deine ganzen Botschaften ignorieren und sie nicht zu mir durchdringen zu lassen, aber es ging einfach nicht: Du verfolgtest mich sowieso schon Tag und Nacht in meinen Gedanken und Träumen. Da war es schier lächerlich, überhaupt den Versuch zu starten, deine realen Botschaften auszublenden. Nach einiger Zeit gab ich es auch auf, mich gegen die Nachrichten zu wehren und ließ sie zu. Obwohl ich mit größter Anstrengung versuchte, mich mit harten Trainingseinheiten und Kämpfen abzulenken, gelang es mir nicht. Der Wunsch, dich zu sehen, wuchs ins Unermessliche. Es fiel mir immer schwerer, meine immer stärker werdenden Gefühle für dich unter Kontrolle zu halten. Es wurde immer unerträglicher. Es gab sehr viele Momente, wo ich verdammt nahe dran war, mein Pflichtgefühl einfach über Bord zu schmeißen und zu dir zurückzukehren. Diese Sehnsucht nach dir wurde irgendwann so stark, dass ich dir endlich eine Antwort gab, auch wenn mir bewusst war, dass dir diese Antwort das Herz brechen würde. Aber ich durfte keine Botschaften mehr von dir erhalten. Denn wenn das so weitergegangen wäre, hätte ich wirklich für nichts garantieren können. Dann hätte früher oder später doch mein Herz die Oberhand gewonnen und ich hätte wirklich alles hingeschmissen, was ich ja nicht zulassen durfte. Aber dass sich meine Antwort wirklich so verheerend auf dich auswirken würde … Daran dachte ich Vollidiot natürlich nicht …« Als sie wieder ansetzte, mich zu unterbrechen, bedeutete ich ihr diesmal mit einem Kopfschütteln, bitte zu schweigen und weiterhin nur zuzuhören. »Wie geplant bekam ich danach auch wirklich nichts mehr von dir zu hören. Ich hätte mich freuen sollen, hätte erleichtert sein sollen – doch das war ich keinesfalls. Im Gegenteil: Es wurde noch schlimmer, als ich nichts mehr von dir hörte. Viel schlimmer. Denn als du mir noch Botschaften gesendet hattest, war ich wenigstens im Bilde gewesen über deine Verfassung. In der Zeit, in der ich gar nichts mehr von dir hörte, wusste ich logischerweise nicht genau, wie es dir ging. Die Ungewissheit, ob es dir gerade gut ging oder nicht, machte mich mindestens genauso wahnsinnig wie die Sehnsucht. Also traf es mich gleich doppelt, denn nur, weil ich keine Botschaften mehr von dir erhielt, hieß es ja noch lange nicht, dass die Sehnsucht mit den Botschaften verschwunden war. Diesmal herrschten jedoch noch erschwertere Bedingungen, weil neben der Sehnsucht, die sowieso schon schlimm genug war, jetzt auch noch die quälende Ungewissheit hinzukam. Es war also auch für mich alles andere als leicht. Diese Phase war die schlimmste Zeit meines Lebens. Doch bald darauf kamen unerwartet Uranus, Neptun, Pluto und Saturn und retteten mich vor meinem endgültigen persönlichen Absturz.« Ich hielt es für schlauer, ihr nicht auch noch unter die Nase zu reiben, dass ich kurz vor dem Verrecken gewesen war in der Zeit, als ich mich als Adrenalinjunkie auf der Durchreise befunden hatte – stets auf der Suche nach einem guten Kampf, der mich das Leben hätte kosten können. Diesmal ließ ich es zu, dass sie mich mitten in meiner Erzählung unterbrach. »Was? Haruka, Michiru, Setsuna und Hotaru waren auf deinem Planeten?« Ich nickte darauf lächelnd. »Ja, und besonders Haruka hat mich ziemlich in den Arsch getreten, aber gerade das habe ich wirklich gebraucht und bin ihr deswegen auch sehr dankbar. Aber sag ihr das bloß nicht!« Ich zwinkerte ihr vielsagend zu. »Sie haben mir die Augen geöffnet; mir geraten, endlich auf meine wahren Gefühle zu hören und ihnen eine Chance zu geben. Sie haben mir mein wahres, eigentliches Ziel vor Augen geführt: Nämlich, dich glücklich zu machen. Ja, das ist mein wahrer Lebensinhalt, ist es immer gewesen und wird es auch immer sein. Und das ist mir durch die vier endlich auch bewusst geworden. Sie haben mir den nötigen Mut gegeben, alles hinter mir zu lassen. Nur dank ihnen habe ich mich tatsächlich dazu überwunden, zurückzukehren. Den entscheidenden Stoß habe ich durch dieses … Foto bekommen. Und da wurde mir sofort klar, dass es dir nicht gut geht. Zwar hatte ich dann endlich die Gewissheit, aber das machte es mir keinesfalls leichter. Als ich dieses schreckliche Bild auf der Titelseite im ersten Moment erblickte, stand für mich sofort fest: ›Ich muss zurück!‹« Ich hielt inne und schloss gequält meine Augen. Diesen Anblick, wie sie dort auf der Schneewiese lag, würde ich nicht vergessen können. Niemals. Dieses Bild würde mich noch mein ganzes Leben lang in meinen schlimmsten Albträumen begleiten. Mich überkam selbst jetzt noch eine Gänsehaut, als ich es mir wieder ins Gedächtnis rief. Ich versuchte, es schleunigst abzuschütteln und öffnete meine Augen schlagartig wieder, um sie mit einer Mischung aus Schmerz, Besorgnis und auch Vorwurf anzusehen. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Als sich ihre Pupillen weiteten, war mir klar, dass sie das verräterische Glänzen in meinen Augen erkannt hatte. Doch ich konnte diese Flüssigkeit rechtzeitig davon abhalten, ins Äußere zu gelangen. »Was war nur in dich gefahren? Du hättest sterben können; ist dir das überhaupt bewusst?! Was glaubst du, was dann aus mir geworden wäre, wenn es dich nicht mehr geben würde? Hast du mal daran gedacht?« Meine Stimme wurde immer eindringlicher, kratziger und letztendlich sogar heiser, sodass ich Sorge hatte, dass sie mir versagen könnte. Ich musste sich mich wirklich beherrschen, um nicht lauter zu werden. Schließlich wollte ich ihr natürlich keine Angst einjagen. Mein Blick bohrte sich in sie hinein. »Und weißt du, was das Schlimmste daran ist? … Zu wissen, dass alles meine Schuld war …« Am Ende handelte es sich nur noch um ein bitteres Flüstern. »Ich …«, begann sie hauchend und räusperte sich kurz. »Daran habe ich nicht gedacht.« Schuldbewusst blickte sie zu Boden. »Davon gehe ich jetzt mal ganz stark aus, denn ich hoffe sehr, dass du es nicht getan hättest, wenn du daran gedacht hättest.« »Nein, das hätte ich dann wohl definitiv nicht«, erwiderte sie fest, und ich war mir sicher, dass sie damit auch die Wahrheit sprach. »Aber gib nicht dir die Schuld daran. Bitte …« »Da bin ich wirklich beruhigt, dass du es dann nicht getan hättest.« Sichtlich beruhigt setzte ich mein Lächeln wieder auf, als ich meinen Blick wieder hob. »Außerdem brauchst du dir nicht die Mühe zu machen: Ich allein bin schuld an deinem Leiden. Das wissen wir beide.« Meine reumütige Stimme war kaum zu hören, doch die geringe Laustärke tat der tiefen Zerknirschung keinen Abbruch. Es folgte ein betretenes Schweigen. »Nachdem ich deine Antwort damals erhalten hatte, fiel ich auch wirklich in ein tiefes Loch. Es erschien mir alles so sinnlos, so zwecklos. Es war mir plötzlich alles egal, alles gleichgültig. Schon seit du mit Taiki, Yaten und eurer Prinzessin die Erde verlassen hast, habe ich so eine schwache Leere in meinem Herzen gespürt, doch habe sie damals noch fälschlicherweise als unbedeutenden Abschiedsschmerz abgestempelt.« Erstaunt, dass sie jetzt plötzlich mit ihrer Erzählung anfing, heftete ich wie gebannt meinen Blick an sie. So öffnete sie sich mir ebenfalls und erzählte mir ihre ganze Geschichte. Dass es mit ihr und Mamoru irgendwann endgültig in die Brüche gegangen war wegen dieser unüberwindbaren Differenzen und sie erst viel zu spät erkannt hatte, dass es hauptsächlich wegen mir gewesen war, dass sie sich immer mehr und mehr von Mamoru distanziert hatte, ohne sich dessen überhaupt richtig bewusst zu sein. Auch offenbarte sie mir schüchtern, dass ich sie ebenfalls Tag und Nacht verfolgt hatte, ihre Freundinnen das natürlich mitbekommen hatten und Rei ihr dann endlich die Augen geöffnet hatte über ihre wahren Gefühle. Jedoch erwähnte sie ihre Liebe zu mir noch nicht explizit in einem Satz. Doch das störte mich nicht. Die Zeit war einfach noch nicht reif dafür. Alles mit der Ruhe. Sie erzählte mir weiter angeregt von ihrer gemeinsamen Idee mit der Gesangskarriere. Ihre Freundinnen hatten besser und vor allem früher gewusst als sie, dass sie mich zum Glücklichwerden brauchte. Sie berichtete mir auch darüber, wie es war, die Liedtexte zu schreiben. Auch gewährte sie mir Einblick in ihre Karriere und dem dazugehörigen Stress, von dem gerade ich natürlich selbst ein Lied singen konnte – im wahrsten Sinne des Wortes. Schließlich hatte ich die ganze Prozedur selbst auch schon vor gar nicht allzu langer Zeit durchgemacht. Und so unterhielten wir uns weiter. Ich fühlte mich einfach so unbeschreiblich wohl in ihrer Nähe. Es fühlte sich an, als wäre ich nach einer langen Reise endlich zurück nach Hause gekommen. Die ganze Nacht lang sprachen wir »nur« über unsere Gefühle, unsere Eindrücke und Erlebnisse der letzten achtzehn Monate. »Du, Seiya?«, fragte sie mich auf einmal, obwohl sie sich gerade mitten bei der Erzählung über einen ihrer Live-Konzerte befand. Überrascht darüber, warum sie anscheinend ein ganz anderes Thema anschneiden wollte, musterte ich sie neugierig. »Ja? Was ist denn, Schätzchen?« »Du bleibst jetzt doch endgültig auf der Erde, oder?« Mit ihren kugelrunden Augen blickte sie mich mit einem undefinierbaren Blick an. Mein Blick wurde sofort zärtlich. Ich hob meinen linken Arm hoch, nahm sanft ein paar ihrer langen blonden Haarsträhnen und ließ sie langsam durch meine Finger hindurchgleiten. Wie lange hatte ich davon geträumt, einmal mit ihren Haaren spielen zu dürfen? Und wer weiß: Vielleicht gab sie mir in Zukunft immer die Erlaubnis dafür? Zumindest hoffte ich das inständig – allein dafür hätte sich der weite Weg hierher gelohnt. Damit würde ein weiterer Traum von mir in Erfüllung gehen. Noch war ich allerdings vorsichtig im Umgang mit meiner neuen Bekanntschaft, der Frau Fortuna. Erst einmal musste ich mich ganz langsam Stück für Stück an sie herantasten, um sie kennenzulernen, bevor ich ihr auch mein Vertrauen schenken konnte. Bis dahin würde ich mich damit zufriedengeben, was ich hatte und bekam. Das war sowieso bereits an dieser Stelle schon viel mehr, als ich mir je erträumt hatte. »Solange du es wünschst … und es auch zu deinem Besten ist …« Usagi erwiderte mein zärtliches Lächeln zum wiederholten Male verlegen, aber mit der gleichen Zuneigung, die auch in meinen Augen vorzufinden war. Ich betete dafür, dass wir noch genügend Zeit haben würden. Tief sah ich in ihre Augen und las darin die Antwort auf diese Frage meines Herzens, die ich mir noch nicht einmal in meinen geheimsten Gedanken zu stellen wagte. Die Antwort auf die Frage, wie lange wir zusammen sein konnten. »Vor uns liegt die Ewigkeit.« Kapitel 16: Tenderly Badinages ------------------------------ 16 TENDERLY BADINAGES »Wie ein offenes Buch …« Verträumt beobachtete ich meine Prinzessin, die seelenruhig neben mir eingeschlafen war. Ich wusste gar nicht, wie lange ich das schon tat. Ob es Sekunden, Minuten oder gar schon Stunden waren. Doch das war mir auch total egal. So lange hatte ich darauf gewartet, endlich wieder bei ihr zu sein. Und jetzt, wo ich am Ziel meiner sehnlichsten Träume angekommen war, schien mir alles so gleichgültig zu sein. Nichts außer sie war mehr wichtig. Wirklich gar nichts. Irgendwie … erschreckend, wie das ganze Leben von jemanden nur von einer einzigen Person abhängig sein kann. Ich seufzte wohlig vor Glück; konnte es einfach immer noch nicht fassen. Wollte das Schicksal vielleicht wirklich bei mir etwas wiedergutmachen nach all den Qualen, die es mich in der Vergangenheit hatte erleiden lassen? Langsam hob ich meinen Arm, führte ihn zu ihrem Gesicht und strich ganz behutsam eine blonde Haarsträhne zur Seite. Sie sah so atemberaubend schön aus. Und wenn sie schlief, sah sie noch so viel unschuldiger aus – wenn das überhaupt möglich war. Sie hatte sich eigentlich kaum verändert. Nur ihre naiven Züge waren nicht mehr so ausgeprägt wie früher. Man sah ihr an, dass sie in ihrem jungen Leben schon sehr viel erleben musste. Diese Ereignisse hatten ihre Spuren hinterlassen. Sie war reifer geworden – sowohl innerlich als auch äußerlich. Allein ihr Blick strahlte so viel Weisheit aus. Sie war nicht mehr das naive Mädchen von damals, das nur das Gute in den Menschen gesehen hatte und nie mit der hässlichsten Seite des Lebens zu tun gehabt hatte. Und wenn, dann hatte sie solche negativen Erlebnisse längst wieder vergessen und konnte darüber hinwegsehen. Bis sie auf mich traf. Ich kniff meine Augen zusammen und hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Wieder erfuhr ich eine unerträgliche schwere Last auf meinen Schultern. Ich hatte ihr ihre Sorglosigkeit beraubt. Ihr die Freude genommen und ihre Träume zerstört. Durch mich musste sie sich mit dem harten Businessleben auseinandersetzen und konnte kein Kind mehr sein. »Ich werde dafür sorgen, dass du bald wieder genauso lächeln kannst wie früher. Ich werde dir deine kindliche Unbeschwertheit zurückgeben. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Verlass dich drauf, Schätzchen.« Ich hätte ewig so daliegen, sie fixieren und ihrem regelmäßigen Atem lauschen können, ohne mich auch nur für eine Zehntelsekunde zu langweilen. Doch irgendwann in der späten Nacht – oder eher schon in den frühen Morgenstunden – setzte sich meine Vernunft doch durch. Es war besser, wieder ins Hotel zurückzukehren. Es war für meine zukünftigen Schwiegereltern sicherlich nicht angenehm, ihre Tochter am frühen Morgen mit einem Mann im Bett zu erwischen, von dessen Existenz sie noch nicht einmal etwas ahnten. Und wenn ich meinen Plan für das gemeinsame Frühstück in die Tat umsetzen wollte, würde auch mir ein wenig Schlaf sicher nicht schaden, um für das Date fit zu sein – so schwer es mir auch fiel, mich wieder von ihr entfernen zu müssen. Schweren Herzens erhob ich mich ganz langsam aus dem Bett, hielt Ausschau nach Zettel und Stift, wurde auch schnell fündig und kritzelte eine kurze Nachricht. Guten Morgen, Schätzchen! Na, hast du gut geschlafen? :-) Ich werde um 11 Uhr im Café ›Dolce Vita‹ auf dich warten. Komm mit einem hungrigen Magen! ;-) Dein Seiya Vorsichtig legte ich ihr den Zettel auf das Kissen, strich ihr noch ein letztes Mal zärtlich über den Kopf, bevor ich durch das offene Fenster in die Dunkelheit der Nacht verschwand. An Schlaf war in dieser Nacht für mich nicht zu denken. Viel zu nervös war ich schon wegen unseres morgigen Treffens, von dem Usagi erst noch erfahren würde. Ich grinste allein bei der äußerst lebhaften Vorstellung, wie sie bestimmt erst ziemlich spät meinen Zettel entdeckte und dann Panik schob, um ja nicht zu spät zu kommen. Ich wettete, dass es auch darauf hinauslaufen würde. Ich glaubte nämlich kaum, dass sie sich in der Hinsicht verändert hatte. Manche Angewohnheiten blieben einem ein Leben lang. Und sie war schon immer eine notorische Zuspätkommerin gewesen. Sie war der ganze Stolz der Unpünktlichkeit. Mein Schätzchen eben. Um zehn Uhr entschied ich mich schließlich, wirklich allmählich in den neuen Tag zu starten, warf die Decke beiseite und sprang schwungvoll aus dem Bett. Für mich war das eine Sensation, direkt nach dem Bett schon so munter zu sein, wo ich doch ebenfalls kein Morgenmensch war. Ich konnte das Frühstück kaum noch erwarten. »Was darf es für Sie sein, junger Herr?« Kurz zuckte ich zusammen und blickte hoch zu der Bedienung, die mich gerade aus meinen Tagträumen geweckt hatte. »Noch nichts, danke. Ich warte noch auf meine Begleitung.« Gekonnt setzte ich mein freundliches Lächeln ein, was die junge Kellnerin mit einem verlegenen Lächeln quittierte, sich kurz nickend verbeugte und wieder verschwand. Zufrieden stellte ich durch diese Geste fest, dass ich in auch in dem letzten eineinhalb Jahre nichts von meinem Charme eingebüßt hatte. Auf Euphe hatte ich ja kaum den Palast verlassen – und wenn überhaupt, dann nur, um entweder zu trainieren und zu kämpfen oder einfach nur irgendwo herumzusitzen und Trübsal zu blasen. Daher konnte ich bisher gar nicht sagen, wie meine Wirkung auf Frauen gewesen war. Bis jetzt. Doch um ehrlich zu sein war es mir gar nicht mehr so wichtig wie früher, beim anderen Geschlecht gut anzukommen. Meine Prioritäten hatten sich leicht verändert. Ich wollte eigentlich nur noch bei einer einzigen Person gut ankommen. Und diese Person verspätete sich bis jetzt gerade um fünf Minuten, wie ein kurzer Blick auf die Uhr mir verriet. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und überlegte mir, wie ich sie damit aufziehen konnte. Ihr empörtes Gesicht sah ich jetzt schon vor meinem geistigen Auge. Ich schrak abermals auf – diesmal jedoch, weil mein Schätzchen nicht gerade unauffällig ins Café reingestolpert war und nun unfreiwillig alle Blicke auf sich zog. Ich grinste in mich hinein und musste ein glucksendes Lachen unterdrücken. In der Hinsicht hatte sie sich wirklich nicht verändert. Mit hochrotem Kopf murmelte sie eine unverständliche Entschuldigung vor sich hin und suchte mich mit ihren Blicken, bis sie mich schließlich fand, erleichtert ausatmete und schnurstracks auf mich zustürmte. Jeder Schritt verursachte ein hallendes Klackern durch die Absätze ihrer langen schwarzbraunen Stiefel, die ihr hervorragend standen. Mit einem leisen Seufzer ließ sie sich auf den Platz mir gegenüber nieder. Da ich bewusst einen Tisch in der hintersten Ecke ausgesucht hatte, waren außer uns im Umkreis von einigen anderen Tischen keine weiteren Gäste, sodass wir uns ungestört unterhalten konnten. »Guten Morgen, Schätzchen«, begrüßte ich sie heiter und machte mir gar nicht erst die Mühe, meine Belustigung über ihren peinlichen Auftritt zu verbergen. »Tut mir leid für die Verspätung«, entschuldigte sie sich kleinlaut und zog sich ihre Jacke aus. Zum Vorschein kam eine leuchtend rote Strickjacke und ein schwarzes Top darunter. Über ihrer Brust prangte eine lange, goldene Kette mit einer großen, glänzend goldenen Kugel als Anhänger. Sehr schick. Sie hatte schon immer Stil gehabt – auch, wenn sie sich dessen vielleicht gar nicht so bewusst war. Um sie weiter etwas zu necken, blickte ich theatralisch gelassen zu meiner silbernen Armbanduhr. »Na ja … Neun nach ist es. Das geht ja noch. Für deine Verhältnisse ist das sogar ziemlich pünktlich.« Ich verzog meine Lippen zu meinem typisch frechen Grinsen. »Aber mal im Ernst: Du hättest dich nicht so zu beeilen brauchen. Ich bin‘s doch nur. Auch wenn es natürlich schön ist, dein peinlich berührtes Gesicht zu sehen … Einfach unbezahlbar, dieser Anblick.« Usagi starrte verlegen zu Boden und hielt ihren Blick gesenkt. Was wohl in ihrem hübschen Köpfchen vorgehen mochte? Ärgerte sie sich oder gelang es meinen plumpen Worten sogar, sie womöglich zu schmeicheln? Egal was sich für Gedanken abspielten: Sie brachten sie auf jeden Fall dazu, nun noch mehr einer überreifen Tomate zu gleichen. Ich grinste verschmitzt. Sie war peinlich berührt. Immer noch wie ein offenes Buch. Es war keine große Herausforderung, sie zu durchschauen. Ich konnte mir ein leises Lachen letztendlich doch nicht verkneifen. »Was ist?«, fragte sie mich wie aus der Pistole geschossen. »Gar nichts, nur müsstest du dich jetzt mal vor einen Spiegel stellen – dich könnte man wirklich nicht von einer Tomate unterscheiden«, rieb ich ihr frech unter die Nase. »Wirklich sehr witzig«, tat sie leicht gekränkt und versuchte nebenbei verzweifelt, ihre ursprüngliche Gesichtsfarbe wiederherzustellen. Leider war das eben nicht so einfach zu kontrollieren. »Tut mir leid.« Ich räusperte mich, wenn auch immer noch sichtlich amüsiert. »Weißt du schon, was du bestellen möchtest?« »Hm … Ich glaube, ich nehme eine heiße Schokolade und ein … Wie wäre es mit einem gemeinsamen Frühstücksmenü für zwei Personen?« »Ja, an sich keine schlechte Idee, aber … reicht uns das auch?« Mein Grinsen wurde immer breiter. Wie sehr ich diese gemeinsamen Momente zwischen uns doch vermisst hatte … »Das reicht problemlos, denn inzwischen esse ich nicht mehr so viel wie früher«, antwortete sie plötzlich im ernsten Ton. »Wie kommt‘s?« Statt des Frohsinns prägte nun die Überraschung meinen Gesichtsausdruck. »Na ja, wegen des Stresses und Zeitmangels, die eine Laufbahn als Sängerin nun einmal mit sich bringt, habe ich gar nicht so viel Zeit zum Essen.« Sie lächelte schwach. »Oh …« Mein Lächeln erstarb nun völlig, bevor ich mit einer Spur von Melancholie aus dem Fenster blickte. Als ich aus den Augenwinkeln sah, wie sie dabei war, zu etwas Neuem anzusetzen, kam ich ihr zuvor. »Es tut mir sehr leid … Das ist alles meine Schuld.« Zerknirscht wandte ich mich ihr wieder zu sah ihr reumütig in die Augen. »Aber nein, mach dir jetzt bloß nicht wieder Vorwürfe! Außerdem bin ich ganz froh, jetzt weniger zu essen als früher.« Sie spielte die ganze Sache mit einer wegwerfenden Handbewegung runter. Intensiv sah ich in ihre Augen und erkannte, wie sie sichtlich nervöser wurde, meinem Blick aber dennoch nicht auswich, weil sie es nicht konnte. Ich hielt sie mit meinen Augen gefangen, ließ es gar nicht zu, dass sie wegsah. Gekonnt lenkte ich all meine Aufmerksamkeit auf mich – darin war ich inzwischen geübt. Ich wusste, wie ich andere in meinen Bann ziehen konnte. Und bei ihr fiel es mir irgendwie sogar noch leichter. Ich konnte nicht in Worte beschreiben, wie leid mir das alles tat. Wie konnte ich nur so bescheuert gewesen sein, sie auch nur eine Minute länger als nötig warten zu lassen? Hatte ich sie und ihre Liebe überhaupt verdient? »Ich hoffe, du schenkst mir die Zeit, alles wiedergutzumachen, was ich dir angetan habe … Ich befürchte aber, dass nicht einmal mein ganzes Leben dafür ausreichen wird. Meine Tat darf nicht ungesühnt bleiben.« Ich murmelte das eher zu mir selber, doch erkannte durch ihren geweiteten Blick, dass sie jedes Wort gehört und verstanden hatte. Im nächsten Augenblick platzte die Kellnerin von vorhin herein. Nachdem wir die Bestellung aufgegeben hatten, lehnte ich mich zurück und wollte ihr damit zeigen, dass ich dieses Thema erst einmal auf sich beruhen lassen wollte. Ich wollte mir unsere Stimmung nicht durch so einen deprimierenden Gedanken verderben. »Hm, es hatte durchaus positive Seiten, diese Karriere … Ich hätte es wirklich im Traum nicht für möglich gehalten, dass aus der einst so kleinen Usagi ein richtiger Star werden könnte. Du hast mich schon immer fasziniert und überrascht und tust es immer wieder auf‘s Neue. Aber dass du dann wirklich auf der Bühne vor Tausenden von Menschen singst … und dann auch noch nur für mich. Das war einfach -« Ich stockte und suchte fieberhaft nach den richtigen Worten. Ich hoffte, dass auch sie sehen konnte, wie überwältigt ich nach wie vor darüber war. »Das war einfach ein unglaubliches Gefühl … Und du hast wirklich eine wunderschön klare Engelsstimme. Ich habe ja nicht gewusst, dass du so wundervoll singen kannst. Ich bin wirklich stolz auf dich.« Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen wich sie meinem Blick plötzlich aus und blinzelte einige Male. Ob sie das tat, um sich meinem Bann zu entreißen? »D- Das ist aber auch auf dein Konto zuzuschreiben. Ohne dich und meine so … starken Gefühle für dich hätte ich das nie geschafft.« Meine Pupillen weiteten sich kurz. Es war eigenartig, solche indirekten Geständnisse aus ihrem Mund zu hören. Die ganze Situation war sehr merkwürdig. Nach all den zahlreichen Andeutungen, sowohl in ihren Liedtexten und Botschaften als auch in unserem gestrigen Gespräch letzte Nacht: Wir wussten genau, was wir gegenseitig füreinander empfanden, und doch gingen wir noch ziemlich verkrampft miteinander um. Denn das große Geständnis war uns beiden bisher noch nicht direkt über die Lippen gekommen. Aber das würde schon noch sehr bald kommen. Da war ich mir ganz sicher. Wir hatten schließlich noch Zeit. Ich war erst gestern zurückgekommen. Erst einmal musste ich wieder ankommen, mich einleben und wir mussten uns wieder aneinander gewöhnen. Wir hatten zwar noch nicht darüber gesprochen, doch ich war mir sicher, dass sie die gleiche Meinung vertrat. »Schätzchen«, fing ich leise an, wurde jedoch von der Kellnerin unterbrochen, die uns unser Frühstück brachte. »Wo hast du eigentlich geschlafen letzte Nacht? Du hättest doch ruhig bei mir schlafen können. Es wäre genug Platz da gewesen.« »Nun ja, mitten bei unserem nächtlichen Gespräch bist du ziemlich schnell eingeschlafen. Du warst wohl erschöpfter, als wir beide dachten.« Meine Augen strahlten, als ich mich an dieses wunderbare Bild meines schlafenden Engels zurückerinnerte. »Und na ja … Ich hab mich dann durch‘s Fenster rausgeschlichen. Ich glaube, es wäre keine angenehme Überraschung für deine Eltern gewesen, wenn sie morgens einen wildfremden Typen im Zimmer ihrer siebzehnjährigen Tochter auffinden würden. Da habe ich doch lieber in einem Hotel übernachtet.« Dabei griente ich verschmitzt, um damit zu überspielen, wie liebend gerne ich in Wahrheit an ihrer Seite geblieben wäre. Es gab schließlich keinen Ort auf diesem Universum, wo ich lieber wäre. »Ach so … Natürlich.« Es klang so, als wäre sie ganz überrascht, dass ihre Eltern ja auch noch in ihrem Haushalt wohnten. Erstaunlich, wie man so eine Tatsache vergessen konnte, wo man doch selbst noch im Elternhaus lebte. So schusselig konnte auch nur sie sein. Meine Usagi. Reflexartig griff sie nach ihrer Tasse Schokolade – wahrscheinlich auch, um ihre Verlegenheit wieder zu überspielen – und nahm einen kleinen Schluck davon. Im nächsten Augenblick nahm ich durch einen »Aua! Heiß!« zur Kenntnis, dass sie sich wohl prompt ihre Zunge verbrannt hatte. Jammernd bemühte sie sich mit ausgestreckter Zunge, sie irgendwie zu kühlen. Die Gesetze der Physik hinderten sie aber am Erfolg. Ich musste mich schon sehr stark zusammenreißen, um im ersten Moment nicht loszuprusten. Aber das hätte sie bestimmt nicht lustig gefunden – fand ich ja eigentlich auch nicht, weil sie ja gerade in diesem Moment unangenehme Schmerzen ertragen musste. Wenn es doch nur nicht so lustig ausgesehen hätte … Ich schaffte es, nur ein leises Seufzen loszuwerden. »Obwohl du jetzt ein großes Idol bist, steckt in dir immer noch die alte, tollpatschige Usagi.« Ich beobachtete, wie von ihrer entrüsteten Miene plötzlich nichts mehr übrig war, als meine Miene mit einem Schlag wieder zärtlich wurde. »Und das ist auch gut so.« Natürlich schoss gleich der nächste, etwas anzüglichere Gedanke durch meinen Kopf und ich hatte keine Hemmungen, ihn auch sofort laut auszusprechen. »Soll ich pusten?« Prüfend musterte sie mich skeptisch, als ob sie sich gerade überlegte, ob ich das wirklich ernst gemeint hatte. Na ja, ich konnte es ihr nicht verdenken. Sie kannte mich eben. »Und wie soll das bitte funktionieren bei der Zunge?«, fragte sie mich mit hochgezogener Augenbraue. Wieder musste ich all meine Willenskraft zusammenkratzen, um nicht lauthals loszulachen. Es war einfach schier unglaublich, wie naiv Usagi in ihrem Alter doch noch war. »Also wenn du mich so direkt fragst …« Anscheinend verriet ihr mein typisches Macho-Grinsen, worauf ich mit dieser Anspielung hinauswollte, denn augenblicklich stieg ihr die Schamesröte wieder ins Gesicht. Mit einem kurzen »Geht schon wieder« widmete sie sich wieder etwas zu sehr dem Brötchen in ihrer zarten Hand. Bevor überhaupt ein Schweigen zwischen uns entstehen konnte, schnitt sie bereits ein ganz anderes Thema an. »Sag mal Seiya … Wie kommt es eigentlich, dass du gestern den Text des Liedes beherrscht hast? Ich habe ihn dir schließlich nicht gegeben. Und überhaupt: Seit wann bist du wieder auf der Erde?« Ich nahm gemächlich einen Schluck seines Cappuccinos und stellte die Tasse danach elegant ab. Es war ja auch nur eine Frage der Zeit, bis sie mir diese Fragen stellen würde. »Ja, also das ist so: Ich bin schon vorgestern Abend zurück auf der Erde gelandet. Sofort nach der Ankunft wollte ich mich auf den Weg zu dir machen, doch da stieß ich zufällig auf Minako. Sie hielt mich davon ab, dir gleich an dem Abend einen Besuch abzustatten, denn ihr kam sofort die Iden, dass ich dich ja beim Konzert so überraschen könnte. Im nächsten Moment drückte sie mir schon das Liedblatt in die Hand und ich lernte es dann innerhalb eines Mittags. Es kam mir aber auch gelegen, denn die Ablenkung hatte ich bitter nötig. Es war schon unfassbar schwer, endlich wieder in deiner Nähe zu sein und trotzdem nicht zu dir zu können.« Während ich ihr diese Hintergründe schilderte, beschmierte ich mir mein Brot mit Butter. Usagi nickte nur verständnisvoll. Ihre Miene sagte mir so viel wie: »Da hätte ich eigentlich auch selber darauf kommen können, dass Minako da mal wieder ihre Finger im Spiel hatte.« »Und außerdem habe ich einige Verszeilen verändert, nach meinen eigenen Empfindungen. Ist dir das aufgefallen?« Hungrig biss ich in mein Brot, denn schließlich war das die erste ordentliche Mahlzeit für mich, seit ich auf der Erde gelandet war. Die Verblüffung breitete sich rasant in ihrem Gesicht aus. »Du hast deinen Teil verändert? Nein, das habe ich wirklich nicht bemerkt. In diesem Moment war ich auch viel zu überrascht über dein Erscheinen. Es fiel mir ohnehin schon schwer genug, überhaupt meinen eigenen Text richtig zu singen.« Ich schmunzelte herzerwärmend und konnte über ihre ehrliche Offenheit nur immer wieder staunen. »Ja, dass du überrascht warst, hat man gesehen.« »Ja ja, das hab ich mir fast schon gedacht«, gab sie nur kichernd zurück und aß weiter. »Wie geht es eigentlich Yaten, Taiki und eurer Prinzessin? Wie haben sie es aufgenommen, als sie erfahren haben, dass du gehen willst? Und ist euer Planet inzwischen wieder vollständig aufgebaut?« »Es geht ihnen allen sehr gut. Unser Planet ist vollständig wiederaufgebaut und ist schöner als je zuvor. Da haben wir mit gemeinsamen Kräften wirklich gute Arbeit geleistet. Und na ja, sie waren natürlich schon traurig darüber, als sie erfuhren, dass ich gehen wollte. Aber sie hätten mich sowieso nicht zurückhalten können, also haben sie es akzeptiert. Außerdem war das ja kein Abschied für immer: Ich habe versprochen, dass ich sie sicher sehr bald mal besuchen komme. Und du wirst mich begleiten. Das steht bereits fest.« Verschwörerisch zwinkerte ich ihr zu. »Natürlich werde ich dich dann begleiten! Ich bestehe sogar darauf!« Sie grinste mich abermals breit an. Ich nickte, wenn auch etwas zaghaft. »Vielleicht kommen sie uns ja besuchen. Schließlich haben sie hier auch sehr gute Freunde gefunden und fühlen sich nach wie vor ebenfalls mit der Erde verbunden, auch wenn nicht so intensiv wie ich. Wir verbinden alle sehr schöne, unbezahlbare Erinnerungen mit der Erde.« Mein Herz überschlug sich, als sie mir ein glückseliges Lächeln schenkte. Als ob sie dem Schicksal unendlich dankbar war, dass es unsere Wege gekreuzt hatte. »Da hast du recht.« Kapitel 17: New Plans --------------------- 17 NEW PLANS »Vorbereitungen für ein gemeinsames Konzert« Die Tage vergingen. Usagi und ich verbrachten sehr viel Zeit zusammen, eigentlich so gut wie jede freie Minute, wenn es uns möglich war. Zwar musste sie immer mal wieder zu einem Meeting mit ihrem Manager Takumi, doch das war auch schon alles. Ihr Terminkalender war glücklicherweise auch nicht mehr so strikt, wie er vor einiger Zeit bestimmt noch gewesen war. Die Konzerte und weitere Auftritte hatten schließlich noch genug Zeit. So eilig hatte sie es ja nun nicht mehr, nachdem sie ihr Ziel erreicht hatte. Es war einfach so unfassbar schön mit ihr. Es war, als ob ich nie weg gewesen wäre. Diese Vertrautheit zwischen uns war irgendwie von Anfang an wieder da gewesen nach anfänglichen Unsicherheiten. Wir konnten wieder ganz unbefangen miteinander umgehen, als wäre dies das Natürlichste auf der Welt. In den letzten eineinhalb Jahren hatte ich nicht annähernd so viel gelacht wie in dieser Zeit mit Usagi. Die Verbindung zwischen uns wurde mit jedem Tag, mit der Stunde und sogar mit jeder Minute immer stärker und gewann weiter an Tiefe. Es war wie ein herrlicher Traum, aus dem ich nie wieder erwachen wollte. Wir wurden auf Anhieb wieder zu besten Freunden, und auch die andere, viele stärkere Bindung zwischen uns – unsere frische, neue Liebe –langsam begann, zu wachsen. Wie eine zarte Rose. Gemeinsam pflegten wir diese Rose liebevoll, wachten über sie, gossen sie jeden Tag. Sie sollte schon bald in voller Pracht erblühen und erstrahlen … über das gesamte Universum. Wenn ich schon jetzt so glücklich war, wie sehr würde ich dann erst vor Glück platzen, wenn ich richtig mit ihr zusammen sein durfte? Ich würde sicher nicht mehr an mich halten können, mein ganzes Glück in die Welt hinauszuschreien. »Schätzchen?«, unterbrach ich die Stille der nächtlichen Natur. Wir unternahmen gerade einen nächtlichen Mondspaziergang an einem ruhigen Waldrand etwas außerhalb Tokios. Hier hatten wir unsere Ruhe und waren wirklich alleine. Heute war Vollmond – also war es trotz der späten Stunde noch gar nicht so finster. Im Gegenteil. Ich war über meinen Schatten gesprungen und hatte meinen Arm um ihre Schulter gelegt, und zu meinem großen Glück hatte sie es geschehen lassen und hatte sich nicht dagegen gewehrt. Mehr noch: Jetzt schmiegte sie sich zusätzlich noch näher an mich heran. Und ließ dabei mein Herz ganz nebenbei himmelhochjauchzende Freudensprünge machen. »Ja?« »Mir ist letzte Nacht ganz spontan eine Idee gekommen: Da du ja inzwischen nun auch schon eine aktive Musikkünstlerin geworden bist, habe ich mir gedacht, vielleicht auch wieder zu singen. Diesmal aber nicht mit dem einzigen Ziel vor Augen, die Prinzessin zu finden, sondern aus meiner Liebe zur Musik. Was hältst du davon?« Sie lächelte erfreut. »Die Idee ist genial! Weißt du: Obwohl ich auch nur gesungen habe, um Kontakt mit dir aufzunehmen … Während dieser Karriere habe auch ich meine Leidenschaft für die Musik für mich entdeckt. Auch wenn du jetzt endlich wieder da bist, will ich das Singen nicht aufgeben. Dann wären wir beide Stars und könnten ja oft gemeinsam auftreten. Wie wir ja gesehen haben, harmonieren wir auch auf der Bühne perfekt zusammen.« Mein Lächeln wurde zärtlich bei dem kleinen Wörtchen »auch«. Natürlich blieb es von mir nicht unbemerkt. Gerade bei ihr schenkte ich jeder einzelnen Silbe meine volle Aufmerksamkeit. So auch diesem kleinen unscheinbaren Wort, das für mich aber die ganze Welt bedeutete. Erst einige Sekunden später schien sie zu bemerken, was sie da eigentlich gesagt hatte, da sie mich plötzlich verlegen anlächelte. »Den gleichen Gedanken hatte ich auch.« Sofort folgte ihre ratlose Frage: »Hm, was meinst du denn genau damit?« Nachdenklich runzelte sie leicht ihre sonst so glatte Stirn. »Na die gemeinsamen Auftritte, du Dummerchen«, antwortete ich leicht lachend und wurde wieder ernster. »Ich möchte, dass du bei meinem Comeback-Konzert mit mir singst. Ein paar Duette …« Überrascht über meinen eindringlichen, ernsten Ton starrte sie mich erst einmal nur an. Leichte Verunsicherung überkam mich. Es war mir wirklich extrem wichtig, mit ihr auf der Bühne zu stehen und singen zu dürfen. Es war so ein wundervolles Gefühl gewesen, als unsere Stimmen im selben Takt das gesamte Lied geführt hatten. Ein Gefühl höchster Ekstase. Wir beide waren schon beim ersten Eintritt so wahnsinnig gut aufeinander eingespielt gewesen - als ob wir nie etwas anderes gemacht hätten. Und ich war mir sicher, dass ich nicht der Einzige war, der so empfunden hatte. »Na klar, ich bin dabei«, sagte sie schließlich ohne weiteres Zögern zu. »Alles klar!« Ich lächelte erfreut. »Jetzt brauch ich nur noch einen Manager. Dann werden wir gemeinsam ein paar Songs schreiben und schon steht einem Comeback nichts mehr im Weg.« Wir waren inzwischen schon lange stehen geblieben und standen direkt unter dem Vollmond, der mir irgendwie noch voller und strahlender erschien. »Mit dem Manager wird es wohl keine weiteren Probleme geben, denn Takumi, mein Musikmanager und auch Produzent, wird uns bestimmt beide gemeinsam managen können«, nahm sie mir gleich schon einmal eine Sorge weg. »Das ist gut.« Langsam hob ich meine rechte Hand und strich damit sanft über ihren blonden Schopf. Sie verstummte augenblicklich. »Ein perfekter Grundstein für eine wunderbare Zukunft ist also gelegt.« Verwundert schaute sie zu mir hoch und wollte wohl wieder nachhaken, doch dazu kam sie gar nicht erst. Ich beugte mich zu ihr runter und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Mein Puls verdoppelte sich spürbar, als ich ihre zarte Haut unter meinen Lippen spürte. Genussvoll sog ich ganz nebenbei ihren süßen Duft ein. In vollen Zügen kostete ich diesen magischen Moment aus, bis ich mich langsam widerwillig von ihr entfernte. Es war eher in meinem Sinne, ihr für immer so nahe zu sein und dafür zu sorgen, dass diese innigen Momente zwischen uns niemals aufhörten. Natürlich dürstete es mich nach mehr, doch … Alles zu seiner Zeit. Und so verging sie auch. Takumi war sofort damit einverstanden, auch mich zu managen. Schließlich kannte er noch die überaus erfolgreiche ehemalige Band »Three Lights« und war ganz aus dem Häuschen, dass er mich überhaupt managen durfte. Für ihn war das mehr ein Privileg als ein Job. Wie Usagi es bereits prophezeit hatte, machte das also in der Tat keine weiteren Schwierigkeiten. Wir hatten auch schon sofort einen festen Termin für mein Comeback-Konzert festgelegt: In vier Wochen würde es soweit sein. Das hörte sich zwar nach sehr viel Zeit an, aber so viel war es gar nicht, wenn man bedachte, welche Vorbereitungen solch ein größeres Konzert mit sich brachte: Zum Beispiel, dass mindestens zehn neue Lieder her mussten. Da ich ja unter anderem auch Melodien komponieren konnte, schafften wir es auch zu zweit, die Lieder komplett zu schreiben: Gemeinsam schrieben wir die Texte, während ich die passenden Melodien dazu schrieb. Früher war Usagi ja noch auf Takumi angewiesen gewesen, weil sie nur passende Liedtexte verfassen konnte, ihr aber sonst das musikalische Knowhow fehlte, um auch Melodien komponieren zu können. Bei meinen Solo-Liedern bestand ich jedoch darauf, sie alleine zu schreiben, weil ich noch eine Überraschung für sie plante: Nämlich ein neues Lied – ganz allein meinem Schätzchen gewidmet. Um das Konzert so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten, waren unsere Lieder gut durchgemischt: Einige waren gefühlvolle Balladen; andere dagegen etwas schneller und im rhythmischeren Takt, die aber trotzdem zu unseren eher sanften Stimmen passten. Es war kaum zu glauben: Selbst in der Arbeit ergänzten wir uns einfach perfekt. Neben den Liedern gab es natürlich auch dazu gehörende Choreographien. Bei den gefühlvollen Balladen war das nicht schwer. Zwar mussten wir sehr viel Gefühl rüberbringen, doch das empfanden wir als ziemlich einfach, weil sowieso so ziemlich jedes Lied unsere wahren Gefühle widerspiegelte. Um eine ganze Stufe schwieriger waren die Choreographien der schnelleren Songs, bei denen ganz klare Tanzbewegungen vorausgesetzt waren - zu einem fünfminütigen Tanzmarathon zusammengefasst. Mir machten sie zwar Spaß, doch so wie es aussah, war ich damit der Einzige von uns beiden. Usagi tat sich damit schon schwerer. Es war wegen ihrer berüchtigten Unsportlichkeit schon anstrengend genug für sie, nebenbei noch genug Luft zu bekommen, um richtig zu singen. Und sich dann auch noch die ganzen Tanzmoves einzuprägen und ja keinen falschen Schritt zu machen – das erwies sich als äußerst schwierig. Sie setzte sich auch selber viel zu sehr unter Druck, weil sie nichts falsch machen wollte. Zwar versuchte ich immer wieder, ihr etwas Druck zu nehmen, doch leider hatte ich bisher eher weniger Erfolg damit gehabt. Und doch beinhaltete das Tanztraining doch sehr schöne, atemlose Momente. Durch das Tanzen kamen wir uns auch körperlich sehr nahe und berührten uns fast ständig. Und offen gestanden machte mich das mit der Zeit wahnsinnig. Besonders, wenn ich direkt hinter ihr stand und sie an meine Brust drückte. Es war ein herrliches Gefühl, sie so nahe an mir zu spüren. Zwar war es nur eine Anweisung unserer Tanzchoreographin; und doch hatte ich irgendwie das Gefühl, dass es auch ihr mehr als nur gelegen kam. Und für mich war es natürlich zweifelsohne das höchste Gefühl. Und so verlief auch die fünfte Tanzstunde diese Woche nicht weniger anstrengend und »interessant« als die vorherigen … »Das war der falsche Fuß, Usagi! Wie oft soll ich es dir noch sagen! Der linke Fuß! Der linke!« Wieder einmal schimpfte unsere Tanzchoreographin, die zufällig auch ihre strenge Gesangslehrerin war, Usagi aus. Schwer atmend stemmte sie ihre Hände gegen die Kniescheiben. Der kalte Schweiß tropfte ihr von der Stirn. »T- Tut mir leid«, entschuldigte sie sich schon zum wiederholten Male. Es ging mir ganz gewaltig gegen den Strich, dass Frau Itsuka so barsch mit ihr umging. Usagi war eine Prinzessin – sogar im wortwörtlichen Sinne - und so sollte sie auch von jedem behandelt werden. Letzte Woche hatte ich unsere Choreographin bereits zur Rede gestellt und sie gebeten, doch bitte etwas sanfter mit ihr umzugehen. Einsicht hatte sie zwar nicht gezeigt, doch mir wurde dagegen etwas anderes klar: Sie war eben eine sehr ehrgeizige Lehrerin und erinnerte mich sehr stark an Akane damals. Sie wollte eben einfach nur das Beste aus Usagi rausholen, weil sie wusste, dass sie in Wahrheit viel mehr draufhatte. Dieses Talent wollte sie aus ihr herauskitzeln – und das tat sie eben auf ihre Weise, indem sie die überstrenge Lehrerin mimte. Nur deswegen erduldete ich es, dass sie so grob mit ihr umsprang. Trotzdem konnte ich auch nicht tatenlos dabei zusehen, wie sie Usagi vor allen anderen so demütigte. »Können wir eine Pause machen?«, schaltete ich mich schließlich ein, während ich an Usagis Seite trat und sie hilfsbereit stützte. »Schließlich haben wir jetzt schon zwei ganze Stunden ohne Unterbrechung trainiert.« Ich war nicht annähernd so ausgepowert wie sie, aber bei meiner sportlichen Ausdauer war das auch nicht weiter verwunderlich. In der Hinsicht konnte man uns nicht vergleichen –ich war wirklich kein Maßstab. Die Einzige, die sich wirklich mit mir messen könnte, war Haruka Tenoh. »Fünfzehn Minuten«, gewährte sie uns lapidar und drehte sich um. Die Backgroundtänzer verließen im selben Moment die Trainingshalle, um ihren Durst zu löschen. »Komm, wir haben eine Erfrischung auch bitter nötig«, äußerte ich mich mit einem ermutigenden Lächeln. Sie schaute etwas angestrengt hoch und nickte schließlich. »Tut mir leid, dass ich so unglaublich unsportlich bin«, entschuldigte sie sich zerknirscht und starrte schuldbewusst zu Boden, als wir uns vor den Kabinen befanden und uns inzwischen unsere Getränke geholt hatten. »Ach was. Du schlägst dich doch schon super. Du – Nein, wir werden es schon schaffen, davon bin ich ganz fest überzeugt. Gemeinsam haben wir bis jetzt doch schon viel schwierigere Dinge überwältigt. Im Vergleich dazu ist so eine harmlose Tanzeinlage doch gar nichts. Du darfst niemals aufgeben, Schätzchen … Weißt du noch?« Zu meiner großen Erleichterung formten sich ihre Lippen augenblicklich zu einem Lächeln. Ihre Augen verloren den letzten Funken an Niedergeschlagenheit. Sie schien sich noch ganz genau daran zu erinnern, wie ich ihr damals kurz vor dem Softballspiel Mut gemacht hatte. »Das ist ein Fehler! Du darfst niemals aufgeben. Sonst verlierst du immer!« »Niemals aufgeben!«, ahmte die kleine Chibi-Chibi ihrem »Vorbild« nach. Lächelnd legte Seiya seine Hand auf ihren lockigen roten Schopf. »Wenigstens du verstehst mich, Chibi-Chibi«, sagte er sanft und blickte dann eindringlich in die großen blauen Augen Usagis. »Merk dir das, Schätzchen: Man darf niemals aufgeben!« »Wie schaffst du das nur?«, holte sie mich aus unseren Erinnerungen zurück. »Was schaffe ich denn?«, kam es etwas verwirrt von mir zurück. »Mich egal, wie deprimiert ich bin, so einfach wieder aufzuheitern?« Darauf schenkte ich ihr mein schönstes Lächeln, hob meine Hand und streichelte sanft und vorsichtig über ihre weiche Wange. Dieser Moment bedarf keiner weiteren Worte – jedes überflüssige Wort hätte diese Spannung zwischen uns mit einem Mal verderben können. »Und nimm dir die Worte von Frau Itsuka nicht so zu Herzen. Ich habe mich vor ein paar Tagen mal mit ihr angelegt, weil ich nicht mehr länger mit ansehen konnte, wie grob sie dich behandelt. Aber in ihr steckt auch ein weicher Kern. Sie ist nur so streng, weil sie das Beste aus dir herausholen will. Das war ja damals bei Akane genauso.« Täuschte ich mich oder sah sie mich gerade wirklich bis über beide Ohren verliebt an? Lange starrten wir uns nur in die Augen. Die elektrische Spannung zwischen uns war greifbar und deutlich zu spüren. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben. »Es geht weiter!«, vernahmen wir die Stimme unserer Tanzchoreographin, die uns aus diesem zauberhaften Moment riss. Mit neuer positiver Energie betraten wir wieder gemeinsam die riesige Trainingshalle. Mitten beim Tanz schlug plötzlich ein Fuß einer Backgroundtänzerin hinter uns auf Usagis. Sie verlor sofort das Gleichgewicht und wäre auf den harten Boden geknallt – doch soweit ließ ich es nicht kommen. Rechtzeitig hatte ich sie aufgefangen dank meiner schnellen Reflexe. »Hoppla«, kam es mir nur grinsend über die Lippen. Sie schaute zu mir hoch, und im nächsten Moment erstarrten wir beide. Unsere Gesichter waren höchstens noch zwei Zentimeter voneinander entfernt. Unbewusst hielt ich die Luft an, da mein Herz für diesen Moment aussetzte. Gegenseitig fesselten wir uns mit unseren Blicken. »Sorry, das war keine Absicht!« Gleichzeitig sahen wir erschrocken zu unserer Tänzerin. Sie gab es ja auch noch. »Sch- Schon okay, es ist ja nichts Schlimmes passiert!«, verscheuchte Usagi ihr ihre Vorwürfe noch etwas benommen. Anschließend befreite sie sich sanft aus meiner Umarmung. Obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte, ließ ich es geschehen. Auch, weil ich mir eingestehen musste, dass die momentane Situation alles andere als günstig für solche innigen Momente war. Jedoch hielten wir dabei aber unseren intensiven Blickkontakt aufrecht; konnten uns einfach nicht von dem anderen lösen. »D- Danke, dass du mich aufgefangen hast«, bedankte sie sich stotternd. Nun fand auch ich endlich meine Sprache wieder. »Du brauchst dich doch nicht dafür zu bedanken. Das ist doch selbstverständlich. Oder denkst du, ich hätte dich wirklich fallen gelassen?« Als sie mich allerdings weiterhin unverhohlen anstarrte statt sich zum Beispiel darüber lustig zu machen, dass ich absichtlich mal wieder den großen Helden spielte, bedeutete ich ihr stumm mit einem vielsagenden Blick, dass wir nicht alleine waren. Sofort stellte sie sich etwas errötend in ihre Position und versuchte so zu tun, als ob nie etwas gewesen wäre. Die restlichen Tanzstunden verliefen trotz dieses eigentlich doch angenehmen Zwischenfalls sehr viel erfolgreicher. Usagi und ich harmonierten perfekt miteinander in unseren Bewegungen. So verbrachten wir auch trotz des Stresses sehr viel Zeit miteinander, und jeden Tag wuchs unsere Rose um ein kleines Stückchen mehr. Sie blühte, wenn auch zaghaft, immer ein kleines Stückchen weiter auf. Epilog: Together - Forever -------------------------- EPILOG TOGETHER - FOREVER »Der Geschmack von Glück« Der Abend des Comeback-Konzertes war angebrochen. Die Karten waren sofort nach den ersten Tagen ausverkauft. Sämtliche begeisterte Anhänger der ehemaligen »Three Lights« waren natürlich ziemlich begeistert darüber gewesen, dass der absolute Liebling der früheren Band eine Solo-Karriere startete. Das schmeichelte mir natürlich sehr, gar keine Frage. Da bekannt geworden war, dass auch Usagi in vielen Liedern mitsingen würde, waren auch zahlreiche Fans von ihr erschienen. Das Konzert wurde ein voller Erfolg, wie es auch nicht anders von uns zu erwarten war. Während der Auftritte war durch die Reaktionen und Jubelrufe des Publikums zu vernehmen, dass alle begeistert von unseren gesanglichen und tänzerischen Fähigkeiten waren. Mir machte jedes einzelne Duett mit ihr Spaß. Das lag nicht zuletzt auch daran, weil wir uns körperlich sehr nahekamen. Vor allem bei den gefühlvollen Balladen turtelten wir in aller Öffentlichkeit herum. Mir war nicht klar, ob das Publikum sah, dass die ganzen Auftritte keineswegs nur geschauspielert waren. Aber das war mir eigentlich auch egal: Wir waren zusammen, sangen gemeinsam auf der Bühne und ich war hilflos in ihren strahlend blauen Augen und ihrer unsagbaren Ausstrahlung gefangen. Sie sah in ihrem feuerroten Kleid einfach verboten verführerisch aus. Am Ende unseres letzten gemeinsamen Liedes, »A Tragical Lovestory«, welches wir mindestens genauso schön und vor allem sicherer sangen als beim ersten Mal, kamen sich unsere Gesichter gefährlich nahe. Unsere Lippen waren nur noch höchstens einige Millimeter voneinander entfernt. Wie verzaubert sahen wir uns tief in die Augen. Mein Herzschlag setzte für Sekunden aus. Das war eigentlich nicht geplant gewesen. In keiner Generalprobe hatten wir das ausgemacht. Und doch hatte sich einfach mein Hirn selbstständig abgeschaltet. Ich hatte meine Arme um ihren zarten Körper geschlungen und war ihrem Gesicht immer nähergekommen. Zu nahe, wie sich nun herausstellte. Sie hatte es jedoch ohne Widerworte zugelassen. Wahrscheinlich war sie auch viel zu erstarrt, um überhaupt darauf zu reagieren – es war ja alles ziemlich schnell gegangen. Obwohl die Melodie des Liedes schon seit Sekunden zu Ende und die ganze Halle von einer Totenstille umhüllt war, machte ich keine Anstalten, mich wieder von ihr zu entfernen. Ich konnte und wollte mich nicht mehr zurückhalten. Dieser Moment erschien mir so perfekt. Alles um uns blendete ich aus. Das ganze Publikum. Es ging mir so am Arsch vorbei, was die Leute über mich denken würden. Ich wollte ihr endlich nahe sein. Richtig nahe. Ich spürte bereits ihren heißen Atem an meinen Wangen. Nur noch wenige Millimeter, dann war es vollbracht … Ein tosender Applaus durchbrach die Stille und ließ mich ganz nebenbei wieder zur Vernunft kommen. Irgendwie war das ja zu erwarten gewesen. Es wäre auch viel zu einfach gewesen, wenn wir es auf Anhieb gleich hinbekommen hätten. Ich quittierte diese »Störung« lediglich mit einem schwachen Lächeln, ehe ich mein Gesicht widerwillig von ihrem entfernte. »Kommen wir zum Abschluss«, sprach ich ins Mikrofon, als ich inzwischen alleine auf der Bühne stand. Usagi saß inzwischen mit den anderen zusammen als Zuschauerin in der ersten Reihe, da sie alle ihre Auftritte bereits hinter sich gebracht hatte. »Schätzchen …« Sie zuckte zusammen, als sich unsere Blicke trafen. »Dieses Lied singe ich, wie auch alle vorherigen Lieder, nur für dich. Sie vermitteln dir alle meine wahren Gefühle für dich. Das folgende Lied soll dir verraten, wie ich die Zeit ohne dich empfunden habe. Wie es in meinem Inneren ausgesehen hat. Also, genießt ›Soledad‹!« Damit kündigte ich den letzten Song des Abends an, aber nicht, ohne Usagi dabei tief in die Augen zu sehen. Ich nahm auf dem Hocker neben mir Platz, während ein Helfer mit einer Gitarre auf mich zuging und sie mir überreichte. Ich nahm sie mit einem dankbaren Nicken an und ließ nicht lange auf mich warten, bis die ersten Töne erklangen. Während ich sang, sah ich nur sie an. Ich hoffte inständig, dass es diesem Song, der mir so viel bedeutete, gelang, sie zu berühren. »Wenn du doch nur die Tränen der Welt sehen könntest, die du hinter dir gelassen hast … Wenn du doch nur mein Herz nur noch einmal heilen könntest … Selbst wenn ich meine Augen schließe … sehe ich ein Bild deines wunderschönen Gesichts vor mir. Und wieder einmal komme ich, um zu realisieren … dass du ein Verlust bist, den ich nicht ersetzen kann. Soledad Es ist eine Verwahrung der Einsamkeit seit dem Tag, an dem du gegangen bist. Warum hast du mich verlassen? Soledad In meinem Herzen warst du die Einzige … Und die Erinnerungen an dich leben in mir weiter. Warum hast du mich verlassen? Soledad … Ich schlendere durch die Straßen von Nothing Ville … Wo unsere Liebe noch jung und frei war. Kann es nicht begreifen, warum dieser Ort nun so leer geworden ist. Es musste ja so kommen. Ich würde mein Leben weggeben wenn es wieder so werden könnte wie früher. Weil ich immer noch nicht die Stimme tief in mir bändigen kann … Die Stimme, die unentwegt deinen Namen herausschreit. Soledad Es ist eine Verwahrung der Einsamkeit seit dem Tag, an dem du gegangen bist. Warum hast du mich verlassen? Soledad In meinem Herzen warst du die Einzige … Und die Erinnerungen an dich leben in mir weiter. Warum hast du mich verlassen? Die Zeit wird niemals die Dinge ändern, die du mir erzählt hast. Trotz allem waren wir füreinander bestimmt. Die Liebe wird uns zu einem ›Du und ich‹ zurückbringen … Wenn du das doch nur sehen könntest … Soledad Es ist eine Verwahrung der Einsamkeit seit dem Tag, an dem du gegangen bist. Warum hast du mich verlassen? Soledad In meinem Herzen warst du die Einzige … Und die Erinnerungen an dich leben in mir weiter. Warum hast du mich verlassen? Soledad …« Noch bevor der Song komplett ausklang, sprang Usagi auf und rannte hoch zu mir auf die Bühne. Mit inzwischen tränenbenetztem Gesicht warf sie sich an meine Brust, während ich sie mit einem Schmunzeln auffing. »Warum weinst du denn jetzt?«, fragte ich sie sanft und strich ihr behutsam über den Kopf. »E- Es war so schön«, wimmerte sie mit tränenerstickter Stimme und hielt mir ihr Gesicht entgegen. »Das ist doch kein Grund zum Weinen«, meinte ich, klang dabei wie die Heiterkeit in Person und kam ihr erneut gefährlich nahe. »Hiermit verspreche ich dir, dass ich es von nun an nie wieder zulassen werde, dass du weinst.« Obwohl … Mein ernster Gesichtsausdruck verwandelte sich in ein verschmitztes Grinsen. »Freudentränen sind aber gerade noch so erlaubt!« Kaum als sie es sich versehen konnte, lagen meine Lippen schon auf ihren. Die Zeit blieb stehen. Alles um uns herum blendete ich wie automatisch aus. Somit war es mir auch gleichgültig, dass uns Tausende von Leuten dabei zusahen. Nur wir existierten … Mir wurde noch heißer, als sich ihre Hände um meinen Nacken legten. Sie schmeckte so süß … Das Kribbeln in mir wurde immer intensiver. Ein pures Glücksgefühl durchströmte meinen gesamten Körper. Wir verschmolzen zu einem immer leidenschaftlicher werdenden Kuss. Nur zögernd und langsam lösten wir uns voneinander. Als ich meine Augen öffnete, sah ich in ihre geschlossenen. Mit glühenden Augen wartete ich, bis sie mir einen Blick in ihr strahlendes Blau gewähren würde. Was sie wenige Sekunden später auch tat. »Ich liebe dich, Schätzchen.« Sie stockte und schien nicht zu realisieren, was ich da eben gesagt hatte. Reglos starrte sie mich nur an, während ihre Tränen sich häuften. »Ich … Ich liebe dich auch, Seiya …« Endlich. Wie lange hatte ich auf diesen einen Moment warten müssen? Nie hätte ich es jemals für möglich gehalten, dass ich mich mal so im Glück baden könnte. Dass mir das auch mal vergönnt wurde. Nun stürzten diese Wellen des Glücks schon so heftig über mich herein, dass ich es gar nicht so richtig fassen konnte und aufpassen musste, nicht fortgeschwemmt zu werden. Unsere Rose blühte nun endlich in voller Pracht und Schönheit auf. Und sie würde niemals verwelken … Ganz bestimmt nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)