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The show must go on

von

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Klappe, die Neunte

Das ganze Wochenende hatte er sich ablenken können, was er zu einem Großteil den unermüdlichen Bemühungen seines Bruders zu verdanken hatte, die ihn ziemlich effektiv vom Grübeln abgehalten hatten. Aber kaum hatte er am Montag die BLP betreten, war sein erster Gedanke der an Yukke gewesen und daran, ob er vielleicht überreagiert hatte.

Hätte er ihn zu Wort kommen lassen sollen? Womöglich hätte er ihm ohne weiteres erklären können, was genau dieses Interview zu bedeuten hatte. Ach, was machte er sich vor? Wenn Yukke wirklich genau so über ihn dachte, wie es in diesem Käseblatt stand, dann war es doch sein gutes Recht. Ihm selbst war immerhin nur zu genau bewusst, dass er anstrengend sein konnte, auch wenn man ihm derart viel Selbstreflexion nur selten zutraute. Er wusste, dass nicht jeder mit seiner Art die Dinge anzupacken zurechtkam und wenn es seinen Drehpartner nervte, dass sie durch seine Improvisationen länger am Set bleiben mussten, um in Miyas Augen verpatzte Szenen nachzudrehen, dann war es eben so. Keine große Sache, oder? Nein, wirklich nicht; und wäre es nur das gewesen, hätte sich sein Stolz zwar ziemlich angekratzt gefühlt, aber er hätte schlussendlich über diesen Mist hinwegsehen können.

 

Aber die Tatsache, dass sein Drehpartner natürlich doch – wie hätte es auch anders sein können –über den Eklat mit United Productions Bescheid wusste, schlimmer noch, dass er auch noch die Sache mit Nobu mitbekommen hatte und dennoch so getan hatte, als wäre ihm das alles vollkommen neu, war wie ein Schlag ins Gesicht. Wie hatte Yukke ihn nur so belügen können? Wie hatte er ihm nur derart kaltschnäuzig weiß machen können, dass er von nichts eine Ahnung hatte, als sie sich die Nachrichten geschrieben hatten. Als er Yukke sein Innerstes geöffnet, sich so verdammt verletzbar gemacht hatte und eigentlich nur Trost in den mitfühlenden Worten des anderen gesucht hatte? Tatsuro fühlte sich verraten, auf die schlimmste Art und Weise.

Himmel, er war so ein Idiot gewesen. Warum nur hatte er sich von dieser verflucht einfühlsamen Art seines Drehpartners nur wieder und wieder so derart einlullen lassen?

 

Innerlich seufzend rieb er sich über die brennenden Augen und versuchte zum gefühlt hundertsten Mal sich den neuen Songtext einzuprägen. Ame no orchestra hatte er in den letzten beiden Tagen bereits eingesungen und Ami sowie der Tontechniker schienen ganz zufrieden damit gewesen zu sein. Aber heute wollte einfach nichts klappen. Dieser neue Song machte ihm wirklich zu schaffen, weil er irgendwie einfach nicht in seinen Kopf wollte und zu allem Überfluss schlichen sich wieder und wieder die unpassendsten Gedanken in seine Hirnwindungen.

War es denn nicht schon schlimm genug, dass er sich von Yukke derart verraten fühlte? Dass ein irrer Stalker ihm nach dem Leben trachtete und allem Anschein nach keinerlei Skrupel hatte, wenn er mit seinen Anschlägen auch andere Menschen in seinem Umfeld verletzte?

All die Gedanken und Sorgen, die gerade in seinem Kopf umherkreisten und sich wie säure in seine Gehirnwindungen fraßen, würden gut und gerne auch für zwei Leben vollkommen ausreichen, also warum zum Teufel dachte seine Libido dann komplett anders darüber und fütterte ihn zwischendurch immer mal mit netten Bildern, die ihn nur noch mehr aus dem Konzept brachten?

Die Erinnerung an schweißfeuchte Haut, die sich nah an seine presste, ließ ihn wohlig erschaudern und das Echo lustvoll gewisperter Worte seine Augen glasig werden.

Himmelherrgott, war er denn ein Teenager, der seine Hormone nicht im Griff hatte?

 

Und dennoch … Das Gefühl von Nähe und Geborgenheit, das er so verdammt lange schon nicht mehr gespürt hatte, war so unglaublich stark gewesen in dieser Nacht, dass der Verlust nun nur noch umso mehr schmerzte. Wenn er ehrlich mit sich war, vermisste er Yukke trotz allem und allein dafür hätte er sich ohrfeigen können.

 

Seit seinem überstürzten Abgang am Samstag hatte er nichts mehr von ihm gehört und auch am Set waren sie sich bislang nicht über den Weg gelaufen, was sich jedoch bald ändern würde. Gott, allein der Gedanke Yukke nachher beim Dreh gegenüberstehen zu müssen, ließ seinen Magen schmerzhaft krampfen. Wut und Sehnsucht fochten seit Tagen nun schon einen gnadenlosen Kampf in seinem Inneren aus und ließen ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Für keine verfluchte Sekunde. Er hatte das Gefühl verrückt zu werden, würde das so weitergehen.

Sein Blick wanderte ziellos durch den mit allerlei Technik vollgestopften Aufnahmeraum, der sich hinter der dicken Scheibe seiner schallgeschützten Glaskabine erstreckte und der in den letzten Tagen seine Zuflucht geworden war. Keinen Fuß hatte er aus diesem Kämmerchen gesetzt, nicht einmal um in seiner Garderobe die Pausen zu verbringen.

 

//Und all das nur, weil ich ein verfluchter Feigling bin.//

 

Wieder musste er sich ein Seufzen verkneifen, während das Intro des neuen Songs zum gefühlt hundertsten Mal aus seinen Kopfhörern dudelte.

Ob er vielleicht doch mal die ganzen Nachrichten lesen sollte, die Yukke ihm geschrieben und die er bislang so rigoros ignoriert hatte? Vielleicht würde sich dann alles regeln. Womöglich gab es für alles eine plausible Erklärung und er machte sich hier wegen nichts und wieder nichts verrückt. Das war doch alles einfach nur noch zum Haare raufen; und hätte er nicht den ganzen Vormittag schon mit Kopfschmerzen zu kämpfen, hätte er dies vielleicht tatsächlich getan.

Wie er es hasste, wenn er nicht wusste, was er tun sollte.

 

„Machen wir Schluss für heute, Tatsuro, das hat so keinen Sinn.“ Amis ruhige Stimme ersetzte die Melodie des Songs, riss ihn zielsicher aus seinen Gedanken und führte ihm damit deutlich vor Augen, dass er erneut seinen Einsatz verpasst hatte. Großartig. Diesmal seufzte er tatsächlich abgrundtief und nahm die unbequemen Kopfhörer ab, unter denen seine Ohren unangenehm glühten. Unzufrieden mit sich und seiner miesen Performance verließ er den Glaskasten und nahm dankend die Flasche Wasser entgegen, die Ami ihm reichte. Das Wasser kühlte seine raue Kehle und für einen Moment stand er nur reglos an Ort und Stelle, hatte die Augen geschlossen und versuchte vergebens Antworten auf all die Fragen zu finden, die in seinem Kopf umherschwirrten. „Du solltest jetzt lieber in die Maske, in knapp zwei Stunden geht der Dreh los und wir wollen doch vermeiden, dass Miya Mordgelüste bekommt. Ich hänge an meinem Leben.“ Die junge Frau lächelte ihn an und er bemühte sich redlich die gutgemeinte Geste zu erwidern, scheiterte jedoch kläglich.

 

„Du hast recht“, nickte er untypisch wortkarg, packte seine Sachen zusammen und verließ mit einem flüchtigen Winken den Raum. Um ehrlich zu sein, war es ihm gerade herzlich egal, ob sein Abgang nun unhöflich war oder ob Ami sich womöglich Sorgen machen würde. Ihm war gerade einfach nicht nach Gesellschaft und seine Sozialkompetenz hatte er heute Morgen wohl im Bett zurückgelassen. Er fuhr sich durchs Haar und hätte am liebsten frustriert aufgeschrien, so sehr war er von sich selbst genervt. In Momenten wie diesen wünschte er sich, er hätte das Rauchen nicht vor Jahren schon aufgegeben, denn so eine Zigarette hätte ihn wenigstens für ein paar Minuten vom Grübeln abhalten können.

 

Derart fahrig und unkonzentriert wie er gerade war, war es also kein Wunder, dass er Kaisuke nicht bemerkte, der über und über bepackt mit allerlei Kostümen und Papierkram auf ihn zueilte. Und natürlich kam es, wie es kommen musste. Die beiden Männer stießen im vollen Lauf zusammen, was Kaisuke zielsicher von den Füßen riss und seine Last über die gesamte Breite des Flurs verteilte.

 

„Verdammt noch mal, pass doch auf, wo du hinläufst!“, fauchte Tatsuro, der sich an einer der Wände abgestützt hatte und so dem schmerzhaften Kontakt mit dem Betonboden entgangen war. Aufgebracht strich er sich einige wirre Haarsträhnen aus dem Gesicht, stieß sich von der Wand ab und war bereits drei Schritte in Richtung seiner Garderobe gegangen, bevor ihm erneut ein Seufzen über die Lippen kam und ihn innehalten ließ. Langsam drehte er sich herum und betrachtete den vollkommen bedröppelt wirkenden Assistenten, der noch immer bewegungslos in Mitten von Stoff und Papier saß und irgendwie den Eindruck erweckte, als würde er jeden Augenblick zu heulen beginnen. Tatsuro ließ ergeben die Schultern hängen, trat näher an ihn heran und reichte ihm die Hand. „Ach, was soll's schon“, nuschelte er, „hoch mit dir, bevor noch jemand über dich fällt.“

 

Kaisukes große und tatsächlich etwas wässrige Augen starrten ihn hinter den dicken Brillengläsern für einen langen Moment nur an, als wäre er eine Erscheinung, dann jedoch ging ein sichtbarer Ruck durch ihn, als er die entgegengestreckte Hand schlussendlich doch noch ergriff und sich auf die Beine ziehen ließ.

 

„D… danke, Tatsuro-san, und entschuldigen Sie bitte, ich hab Sie nicht gesehen.“

 

„Ja, ja, das hab ich bemerkt“, brummte er, während er sich nach einigen der Blätter bückte. Ein flüchtiger Blick darauf bestätigte seinen Verdacht, dass es sich dabei mal wieder um das Skript zur neuen Staffel von WORLD OF DECEPTION handelte. „Sag mal, dein Vorsprechen war doch schon, oder?“, erkundigte er sich nur halbherzig interessiert, während Kaisuke eilig die Kleidungsstücke und restlichen Zettel vom Boden aufsammelte.

 

„Ja, das war schon“, keuchte dieser nun etwas außer Atem und als er seine Aufgabe beendet hatte und Tatsuro wieder ins Gesicht sah, hatten sich auf seinen Wangen hektisch rote Flecken gebildet. „Ich habe es genau so gemacht, wie Sie es mir geraten haben und für eine der Hauptrollen vorgesprochen.“

 

„Hast du das, ja?“ Tatsuro zog ehrlich erstaunt eine Augenbraue hoch, denn klar, er hatte Kaisuke diesen Ratschlag gegeben, aber wirklich daran geglaubt, dass der eher schüchterne und introvertierte Mann ihn auch befolgen würde, hatte er ehrlich gesagt nicht. „Und?“ Er stopfte die Blätter irgendwo zwischen das dürre Ärmchen seines Gegenübers und den Stapel an Kleidung, den dieser gegen seine Brust gedrückt hielt, bevor er ihn abwartend anschaute. „Wie ist es gelaufen?“

 

„Sie haben mich nicht für die Hauptrolle genommen; natürlich nicht …“ Kaisuke grinste schief und hätte sich wohl beschämt über den Hinterkopf gerieben, wäre er nicht so beladen gewesen. „Aber ich soll morgen noch einmal den Text eines Nebencharakters vorsprechen.“ Und nun strahlte der Kleine derart atomar, dass sich selbst Tatsuros Mundwinkel hoben, bis sich auch auf seine Lippen ein zwar kleines, aber doch beinahe stolzes Lächeln legte.

 

„Na also, geht doch.“ Er klopfte dem hageren Assistenten auf die Schulter, was diesen beinahe wieder in die Knie gehen ließ und drehte sich zum Gehen. „Hals- und Beinbruch, Kai-kun.“

 

„Vielen Dank, Tatsuro-san!“, rief Kaisuke ihm noch hinterher, aber er drehte sich nicht noch einmal um, sondern verschwand mit großen Schritten hinter der nächsten Ecke.

 

 ~ *~

                              

„Hallo Yumiko“, grüßte er monoton und erneut tief in seine gänzlich sinnlosen Grübeleien versunken, als er seine Garderobe betrat und Garas Freundin dort bereits recht geschäftig umherwuseln sah. Nein, geschäftig war nicht wirklich das richtige Wort dafür, vielmehr wirkte Yumiko hektisch und ein wenig … schuldbewusst? Tatsuros Stirn legte sich in Falten, als er seinen Blick vom Gesicht der Make-up Artistin zu ihren Händen gleiten ließ, die irgendetwas auffällig unauffällig hinter ihrem Rücken versteckten. Langsam schlich sich ein kleines, wissendes Schmunzeln auf seine Lippen, als ihm klar wurde, was genau hier gerade vor sich gegangen sein musste. Übertrieben enttäuscht schüttelte er den Kopf und schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Yumiko, Yumiko, vergreifst du dich mal wieder an meinen Fan-Geschenken?“

 

„N… nein?“ Eine leichte Röte schlich sich auf die Wangen der jungen Frau, nachdem sie tatsächlich eine flache, rechteckige Schachtel hinter ihrem Rücken hervorgezogen hatte, die verdächtig nach einer Packung Pralinen aussah, und sie ihm hinhielt. „Ich wollte sie mir nur näher angucken“, murmelte sie kleinlaut, doch das verschmitzte Funkeln in ihren Augen verriet sie.

 

„Na klar, du wolltest sie dir nur angucken, wer’s glaubt.“

 

Früher, als er noch beinahe täglich mit Geschenken dieser Art überhäuft worden war, hatten sie dieses Spielchen oft gespielt, besonders wenn Yumikos feines Näschen unter geschmackvollem Geschenkpapier und üppigen Schleifen Schokolade gewittert hatte. Aber seit seine Kariere den Bach heruntergegangen war, gab es auch kaum noch Fans, die ihm etwas schenkten. Und als er nun die Schachtel entgegennahm, war es auch nicht das bittersüße Gefühl vergangenen Rums, welches ihn durchströmte, sondern die Erinnerung an das letzte vermeintliche Fan-Geschenk, welches sich als perfide Falle seines Stalkers herausgestellt hatte. Kritisch betrachtete er die schlichte, violette Box und war versucht, sie einfach in den Papierkorb zu werfen.

 

„War die nicht eingepackt?“, erkundigte er sich und hielt das doch so unschuldig wirkende Geschenk noch immer wie etwas Giftiges in Händen.

 

„Doch … ehm … es könnte rein theoretisch möglich sein, dass ein Geschenkpapier darum gewickelt war.“ Yumiko grinste ihn schelmisch an, bis sie wohl seinen Gesichtsausdruck bemerkte und mit einem Mal ernst wurde. „He, was ist denn? Okay, ich hätte ein Geschenk an dich nicht einfach aufmachen sollen, das weiß ich ja, aber …“ Wieder hielt sie inne und mit einem Mal wurde ihr Blick deutlich misstrauisch. „Meinst du, mit dem Geschenk stimmt etwas nicht?“ Sie drehte sich zur Ablage unter den großen Spiegeln und hob ein weißes Satin-Band auf, an dem eine kleine ebenso weiße Karte mit violetten Herzen darauf befestigt war. „Ich dachte, es wäre vielleicht ein verspätetes Geschenk zum Valentinstag, wegen der Grußkarte und so.“

Tatsuro streckte die Hand danach aus und klappte das Kärtchen auf, auf dem nur wenige Zeichen geschrieben standen.

 

Zur Aufmunterung.

Y.

 

„Mmmh“, brummte er, „mach dir keine Sorgen, Yukke scheint sich nur einen Scherz mit mir erlaubt zu haben.“ Angestrengt versuchte er sein Augenrollen amüsiert aussehen zu lassen, ob er damit jedoch wirklich erfolgreich war, wagte er mal zu bezweifeln. Es war nicht so, dass er zwingend ein Geheimnis daraus machen wollte, dass er noch bis vor wenigen Tagen deutliches Interesse an seinem Drehpartner gehegt hatte, aber unter den momentanen Umständen war es ihm lieber, wenn Yumiko nicht die falschen – richtigen – Schlüsse zog.

Im Augenblick wusste er ja nicht einmal, ob er erleichtert oder verärgert sein sollte. Zumindest war die Schachtel also nicht von seinem Stalker, das war doch schon mal etwas, aber mal ehrlich, wie dreist musste Yukke sein, um ihm nach allem was vorgefallen war ein Geschenk zu machen? Und dann auch noch mit so einem selten dämlichen Spruch. Mit Schwung pfefferte er das Geschenkband samt Karte in den Papierkorb und hätte auch die Schachtel dazu geworfen, hätte ihn Yumiko nicht zurückgehalten.

 

„Tatsue, nicht! Das kannst du nicht machen! Da sind lauter kleine Schokoladenherzen in der Packung und ich glaub, sie sind mit Nougat gefüllt und ich hab meine Tage und könnte gerade morden für die Dinger. Bitte, nur eines?“

 

Seine Stylistin hatte all diese Informationen binnen weniger Sekunden heruntergerattert und schaute ihn nun aus großen, feucht glänzenden Augen so derart flehend an, dass er sie wohl ausgelacht hätte, würde in ihm nicht gerade das absolute Chaos vorherrschen. Stattdessen öffnete er die Schachtel, ohne näher auf ihre Worte einzugehen, und betrachtete die hübsch eingeschichteten Schokoladenstückchen, die nicht wirklich wie selbstgemacht aussahen.

Seltsam. Ein unangenehmer Schauer rann ihm über den Rücken und wieder hatte er die wenigen Zeichen auf der Karte vor Augen. Irgendwas war hier doch faul, oder? War das wirklich Yukkes Handschrift? Und dann diese herzförmigen Pralinen hier. Das war doch etwas viel des Guten, oder? Mal ganz davon abgesehen, dass Konfekt aus dem Supermarkt immer eingeschweißt war und Handgefertigtes aus einer Manufaktur anders aussehen würde.

 

„Tatsu~! Ich bin blutleer wie ein Vampir, mein Uterus will mich ermorden und du willst mir allen Ernstes das Einzige vorenthalten, was mir Linderung verschaffen würde?“

 

„Um Himmelswillen, Frau!“ Tatsuro verzog das Gesicht, als er so rüde aus seinen Überlegungen gerissen wurde und verdrehte die Augen gen Himmel. Yumiko besaß wirklich die göttliche Gabe mit nur wenigen Worten all das zu berichten, was er niemals hätte hören wollen. Ruckartig streckte er ihr die Pralinenschachtel entgegen, alles, um sie auch ja zum Schweigen zu bringen. „Da, nimm sie schon, bevor du mir noch mehr Details deiner anatomischen Vorgänge beschreibst, die mich nachts nicht schlafen lassen.“

 

„Och, bist du heut wieder empfindlich.“

 

Von der eben noch so leiderfüllten  Miene seiner Stylistin war binnen Sekunden nichts mehr übrig, als sie ihm nun mit gierigem Glitzern in den geweiteten Augen die Süßigkeit regelrecht aus der Hand riss. Fehlte nur noch ein gezischeltes: „Mein Schatz“ und ihre Gollum-Imitation wäre perfekt gewesen. Tatsuro schnaubte und konnte sich gerade so noch eines der kleinen Herzen schnappen, welches er nun nachdenklich zwischen Daumen und Zeigefinger drehte, während das miese Gefühl in seinem Inneren einfach nicht nachlassen wollte.

 

Verflucht, wann war er nur so misstrauisch geworden?

//Vielleicht, als dein Bruder monatelang auf der Intensivstation lag? Oder nachdem dir das letzte Geschenk beinahe die Halsschlagader durchtrennt hätte?//, zischelte ihm seine innere Stimme gehässig zu und veranlasste ihn dazu über sich selbst genervt mit den Augen zu rollen. Wenn er so weiter machte, würde er bald hinter jeder Ecke eine Gefahr lauern sehen und spätestens dann hätte der Stalker gewonnen, verdammt noch mal!

 

Tatsuro straffte die Schultern und war gerade im Begriff das schlechte Gefühl so weit wie möglich von sich zu schieben, als hinter ihm die Tür aufging und Gara den Raum betrat. Unbewusst spielte er mit der Praline in seinen Fingern und drehte sich betont unbeschwert herum, einen flapsigen Spruch auf den Lippen, der die liebe Freundin seines Managers in nicht ganz so positivem Licht hätte erstrahlen lassen, da ging plötzlich ein Ruck durch ihn. Wie in Zeitlupe richtete sich seine volle Aufmerksamkeit wieder auf Yumiko und mit steigendem Entsetzen konnte er beobachten, wie sie eine der Pralinen aus der Schachtel nahm. Er glaubte beinahe die Sekunden verstreichen zu hören, während sie die kleine Schokolade zum Mund führte und spürte, wie sich seine Augen panisch zu weiten begannen. Mit einem Mal glaubte er zu wissen, warum die Süßigkeiten nicht eingeschweißt gewesen waren und auch, was diese kleine Unregelmäßigkeit auf der Unterseite der Praline zu bedeuten hatte, die ihm gerade eben erst aufgefallen war. Oh Gott, jetzt ergab das alles Sinn.

 

„Yumiko, nicht!“ Er machte einen Satz auf die verdutzte Stylistin zu und schlug ihr die Schokolade aus der Hand.

 

„Aua! Tatsue, was sollte das denn.“ Verständnislos schaute sie ihn aus erschrockenen Augen an und hielt sich ihr schmerzendes Handgelenk.

 

„Tatsuro?“ Nicht minder alarmiert war Gara auf seine Freundin zugeeilt und hatte sie schützend an sich gezogen, während Tatsuro selbst nur wie gebannt auf die Praline in seiner Hand starren konnte. „Tatsuro!“ Die Stimme seines Managers war nun deutlich lauter geworden und ein bedrohlicher Unterton schwang in ihr mit. „Was sollte der Scheiß?“ Niemand sprang so mit Garas Freundin um, das wusste er nur zu genau, aber soweit konnte er im Augenblick einfach nicht denken.

 

„Die sind nicht von Yukke … die Handschrift passt nicht.“ Die Furcht lähmte ihn beinahe, dennoch schaffte er es den Kopf zu heben und seinen beiden Vertrauten in die noch immer verständnislosen Gesichter zu sehen. „Versteht ihr denn nicht?“ Seine Stimme nahm einen schrillen Unterton an, während das plötzlich eingetretene hohe Summen in seinen Ohren immer lauter zu werden schien. „Mit den Pralinen stimmt etwas nicht“, hörte er sich wie aus weiter Ferne sagen und schüttelte sacht den Kopf, um den Nebel der Panik zu vertreiben, der sich wie ein schweres Tuch über seine Gedanken gelegt hatte. Auffordernd hielt er Gara die Schokolade unter die Nase und war tatsächlich erleichtert, als sein Manager die Süßigkeit kritisch beäugte. So mörderisch, wie er eben noch geschaut hatte, hätte es Tatsuro auch nicht gewundert, hätte er erst einmal eine saftige Ohrfeige kassiert. „Das hier … das sieht doch aus, als hätte da jemand mit einer Nadel oder so reingestochen oder spinn ich jetzt?“ Auch Yumiko beugte sich vor, um besser sehen zu können.

 

„Du hast recht“, murmelte sie und wurde blass. „Gara, oh Gott, er hat recht.“ Sie bückte sich und hob eine weitere Praline auf, die sich dank Tatsuros panischer Reaktion nun im ganzen Raum verteilt hatten. „Diese hier sieht genauso aus.“

 

Die Praline fiel aus Tatsuros zitternden Händen und angewidert wischte er sich die Schokolade, die zwischen seinen Fingern geschmolzen war, an der Hose ab. Mit tauben Gliedmaßen wankte er zum nächstbesten Stuhl und ließ sich, mit einem Mal jeglicher Kraft beraubt, darauf fallen.

 

„Tut mir leid, Yumiko, ich wollte dir nicht wehtun, aber …“ Er fuhr sich durch die Haare und verstummte, den Blick wie gebannt auf die gänzlich ungefährlich wirkenden Schokoladenherzen gerichtet.

 

Für einen langen Moment herrschte Stille im Raum, während alle Anwesenden zu verstehen versuchten, was soeben vorgefallen war.

 

„Schon gut, Tatsue“, war es schließlich Yumiko, die das Schweigen durchbrach und die aufgehobene Schokolade mit einem leichten Stirnrunzeln auf die Ablage vor den Spiegeln legte. „Wer weiß, was dieser … Einstich, wenn es denn einer ist, zu bedeuten hat. Nach allem, was in letzter Zeit passiert ist, sollten wir alle wohl wirklich etwas besser aufpassen.“ Yumikos schmale Hand legte sich wohltuend kühl in seinen Nacken, während Gara damit begonnen hatte die Sauerei wieder aufzuräumen. „Himmel, Tatsue, ich darf gar nicht dran denken, was gerade hätte passieren können, hättest du mich nicht aufgehalten.“ Ein feines Zittern ging durch den Leib der jungen Frau und Tatsuro hob für einen Moment den Blick, nur um in Yumikos Augen die gleiche Furcht zu sehen, die sich auch in sein Inneres geschlichen hatte.

 

„Ich sag es zwar nur ungern, aber Yumiko hat recht“, stimmte Gara nickend zu und suchte seinen Blick. Auch der Teint seines Managers hatte deutlich an Farbe verloren und die ganze Zeit über, in der er akribisch eine Praline nach der anderen aufgehoben hatte, hatte Tatsuro die steigende Besorgnis in seiner immer angespannteren Haltung ablesen können. „Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr sieht mir dieses Geschenk wirklich nach etwas aus, was der Stalker dir schicken würde.“ Gara erhob sich, nahm nach einem Fingerzeig Yumikos auch das Satin-Band mit der Karte an sich und kam dann langsam auf ihn zu.

 

Tatsuro nickte matt und schloss die Augen, während er sich im Stillen fragte, was schlimmer wäre. Die Gewissheit, dass er langsam aber sicher unter Verfolgungswahn litt oder, dass der Stalker ihm tatsächlich vergiftete Pralinen geschenkt hatte. Und noch eine Erkenntnis grub sich heiß wie ein glühendes Eisen in seine Gedanken. Woher hatte dieser Mistkerl gewusst, dass ein Geschenk von Yukke sein berechtigtes Misstrauen beruhigen würde? Schlimmer noch. Woher hatte er gewusst, dass Yukke die Nachricht auf dem Kassenzettel vor einigen Wochen mit Y. unterschrieben hatte? Außer Satochi hatte den Zettel doch niemand gelesen und er hatte mit keiner Menschenseele darüber gesprochen. Himmel, ihm wurde plötzlich unendlich schlecht und er hatte Mühe sich sein spärliches Frühstück nicht noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.

 

„Wie zum Teufel konnte er einfach so hier reinspazieren?“, wisperte er und suchte den Blick seines Managers, bevor er es nicht mehr aushielt und zitternd beide Hände vor sein Gesicht presste, im vergeblichen Versuch irgendwie die Angst herunterzuschlucken, die ihn zu ersticken versuchte, als er mit einem Mal wie aus weiter Ferne die verzerrte Stimme des Stalkers zu hören glaubte.  

 „Ich habe die Macht dir alles zu nehmen, was dir lieb und teuer ist.“

Sein Zittern verstärkte sich und er schluckte verkrampft, hatte er doch das Gefühl sich jeden Moment übergeben zu müssen.

„Wenn mit den Pralinen wirklich was nicht stimmt … dann hat er in Kauf genommen, dass es womöglich nicht nur mich trifft. Du hast recht, Gara, das ist seine Vorgehensweise … Scheiße Mann, genau wie bei Sato …“ Seine Stimme war hinter der Barriere seiner Finger kaum zu hören gewesen, doch Gara musste ihn verstanden haben, denn zwei erstaunlich kräftige Hände legten sich auf seine Schultern und rüttelten leicht an ihm.

 

„Tatsuro, hör zu! Solange wir nicht wissen was Sache ist, nutzt es niemandem, wenn du dich mit Spekulationen verrückt machst. Beruhige dich. Die Polizei hat bestimmt Mittel und Wege die Pralinen zu untersuchen. Ich bringe sie jetzt gleich aufs Revier und dann wissen wir mehr, okay?“

 

Er hörte Garas Stimme zwar, aber über das wilde Rauschen seines eigenen Blutes in seinen Ohren konnte er den Sinn des Gesagten kaum ausmachen. Der Tonfall war beschwörend, auf eine nachdrückliche Art ebenso erdend, wie die Hände, die noch immer seine Schultern umfasst hielten und konnte ihn doch nicht beruhigen. Angestrengt atmete er tief durch, einmal, zweimal, ohne sichtlichen Erfolg. Ein Schweißtropfen rann ihm langsam über den Rücken und ließ ihn erschauern, während sein Herz noch immer in einem ängstlichen, unregelmäßigen Rhythmus schlug. Er kniff die Augen fest zusammen, konzentrierte sich auf die kräftigen Hände Garas, die ihm Halt gaben, auf Yumikos ruhige Präsenz an seiner Seite und nickte schließlich, um den beiden zu bedeuten, dass er sich wieder ein wenig unter Kontrolle hatte.

 

„Und eines sag ich dir, Tatsuro“, knurrte sein Manager nun fast und als er ihm ins Gesicht blickte, konnte er die Entschlossenheit in den dunklen Augen leuchten sehen. „Falls sich unser Verdacht wirklich bestätigt, heuere ich noch heute einen Personenschützer für dich an.“

 

Rein aus Reflex hatte Tatsuro schon den Mund geöffnet, bevor sein Manager sein vollkommen überzogenes Vorhaben ausgesprochen hatte, um ihm wie schon so oft energisch zu widersprechen, schloss ihn jedoch mit einem resignierten Seufzen wieder.

 

„Wir werden sehen.“
 

-_-_-_-_-

Hallo ihr Lieben,

ich könnte euch jetzt wieder einmal erzählen, wie unglaublich zäh dieses Kapitel war, aber zum einen habt ihr das schon viel zu oft gehört und zum anderen glaube ich, dass ich mich einfach daran gewöhnen muss, dass die Story ihr eigenes Tempo vorgibt. ^^

Von daher bleibt mir nur, euch viel Spaß beim Lesen zu wünschen, mich bei Rowi für ihre beständigen Kommentare zu bedanken und festzustellen, dass es doch mal echt cool wäre, auch von euch anderen Lesern ein Feedback zu erhalten. ;)



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Aka_Tonbo
2019-03-24T13:47:59+00:00 24.03.2019 14:47
So, da bin ich wieder.
Ich hab die Zeit des Wartens, auf meinen Chauffeur, gleich mal genutzt, um mir dieses Kapitel durchzulesen.
Also wie gesagt, finde ich es immer noch gerechtfertigt das Tatsuro sich derart im Chaos seiner Gefühle befindet. Ich fand es gut, dass du eingebracht hast das er über einen bestimmten Teil des Vorfalls mit Yukke selbst meinte, das er darüber hätte hinwegkommen können, ihn dessen angebliche Ahnungslosigkeit zu diesem, für ihn, tiefsitzenden Erlebnis aus der Vergangenheit, jedoch ziemlich mitnahm.
Es ist eben wirklich immer so eine Sache mit dem Vertrauen, vor allem wenn man sich eh schon schwer tut welches aufbringen zu können. Und dann tut man es und ausgerechnet diese Person scheint ebenso damit nur gespielt zu haben.
Ich bin wirklich gespannt, wie sich die Sache mit dem Stalker weiterentwickeln wird, denn das dieser sich wirklich nicht darum schert wen er mit seinen Aktionen noch treffen könnte, lässt annehmen das sein Motiv, für ihn, solche Opfer durchaus rechtfertigt.
Fragt sich nur wie viel davon Tatsuro am Ende auch in der Lage ist zu verkraften, oder ob er doch noch komplett darunter zusammenbrechen wird. Aber gut, das ist ja dem lieben Autor überlassen, was er letztendlich daraus machen wird.
Ich hab derzeit auch so viele Projekte in der Warteschleife, aber so richtig voran komm ich auch nicht damit. Manchmal hab ich das Gefühl ich schreib eh immer das gleiche ^^*
Aber für was richtig Tiefsinniges fehlt mir dann auch wieder die Muse : P
Ich wünsche Dir auf jeden Fall weiterhin den Elan und Ideenreichtum denn du hierfür brauchst, denn ich möchte wirklich gern wissen, wie sich die Dinge am Ende zusammenfügen werden.

LG
Antwort von:  yamimaru
29.03.2019 13:10
Hallöchen Rowi, ^^

Oh lala, ein Chauffeur … da hoffe ich mal, dass er dich zu was Schönem gefahren hat? ;)
Und es freut mich, wenn du das Kapitel hier gleich mal als Zeitvertreib lesen konntest.
Zunächst erst mal noch lieben Dank für deinen Review, ich freu mich wirklich immer drüber. ^^

Tatsuro ist hier ein doch recht impulsiver Charakter und seien wir mal ehrlich, die Drama-Queen passt halt auch viel zu gut zu ihm, als dass ich das nicht ein bisschen hätte ausnutzen müssen. *lacht* Aber auch in seinem Frust wollte ich ihn nicht kindisch erscheinen lassen und es freut mich, dass seine teilweise Einsicht bei dir so gut ankam. ^^
Genau du sagst es. Das Thema Vertrauen ist, was Tatsuro angeht, wirklich ein sehr schwieriges und wenn dann auch noch so etwas passiert, dann sind Zweifel vermutlich auch gar nicht zu verhindern.
Die Erklärung, weshalb Yukke im Interview so über Tatsuro geredet hat, wird sich im neuen Kapitel zeigen und ich bin ehrlich gespannt, ob du sie nachvollziehbar findest. ^^

Ich finde es toll, deine Überlegungen zu den Motiven des Stalkers und zu Tatsuros Umgang mit all der Bedrohung zu lesen. Leider kann ich darauf aber wieder mal nichts sagen, immerhin will ich nichts vorwegnehmen. ^^

Das scheint gerade wohl so ein Trend zu sein, was? Ideen hätten wir genug, aber sie dann umzusetzen oder endlich mal ein Projekt abzuschließen, ist dann doch wieder schwierig.
Momentan hab ich recht viele – auch neue – Ideen, aber das wären vermutlich alles wieder so Großprujekte wie TSMGO hier und dafür reicht mir die Zeit im Moment einfach nicht. *lacht*
Also ich kann verstehen, wenn dir für tiefsinnige Projekte gerade die Muse fehlt, schreiben kann halt auch manchmal echt anstrengend sein. Und wenn man erst mal so lange schreibt und so vieles Unterschiedliches geschrieben hat, wie du, kann ich mir schon vorstellen, dass man das Gefühl bekommt, immer dasselbe zu schreiben. Aber ich denke mal, da kommt dann auch wieder die zündende Idee und dann flutscht es. ^^

Vielen Dank, ich hoffe wirklich, dass ich die Geschichte so beenden kann, wie sie in meinem Kopf ist und dass ich auch der Storyline und den Charakteren gerecht werden kann. Keine leichte Sache, aber irgendwie bekomme ich das Baby zu Ende geschrieben. XD

Lieben Dank für deinen anhaltenden Support und dein Interesse!
Lg
Yamimaru


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