[Volatile] - Inception von -Amber- (‚What if I fall?‘ ‚Oh, Darling! What if you fly?‘) ================================================================================ Prolog: -------- [[BILD=8335552.jpg]] Es ist nun 6 Monate her, seitdem Dom mit Hilfe Saitos wieder legal in die USA einreisen konnte. 6 Monate, seit Dom mit seinem Team das schier Unmögliche geschafft hatte: eine Inception. 6 Monate, seitdem das Team am Flughafen von L.A. getrennte Wege gegangen ist. Das Team, bestehend aus: Dom, dem Extraktor; Ariadne, der Architektin; Yussuf, dem Chemiker; Arthur, dem Pointman und schließlich Eames, dem Forger. Ariadne hat ihren Abschluss gemacht und ist nun seit drei Monaten in New York, wo sie mit Arthur ein Architekturbüro eröffnet hat. Yussuf versucht auch in New York Fuß zu fassen, was aber nur bedingt gelingt. Die Sehnsucht nach Mombasa ist groß. Dom genießt die Zeit bei seinen Kindern zu Hause, erholt sich von den emotionalen Strapazen der jüngsten Zeit. (https://youtu.be/RxabLA7UQ9k) Doch ihn juckt es schon wieder in den Fingern, einen Auftrag für sein Team an Land zu ziehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er als Kopf der Mannschaft wieder alle zusammentrommeln wird. Und Eames? Nun, 6 Monate sind genug Zeit, um viel Geld auszugeben und sich auf unlauteren Wegen neues zu beschaffen… Kapitel 1: Long time no see --------------------------- Arthur [[BILD=^8335419.jpg]] Die ewig gleiche Musik wehte von Playland Park hinüber, die ewig gleiche Melodie am Eingangstor des Freizeitparks, die ewig gleiche Musik, die ihn in Kindertagen durch eben diese geleitet hatte. Arthur stand auf der Terrasse seines Elternhaueses. Kindergeschrei und Stimmengewirr drang von Innen heraus zu ihm. Es wurde bereits dunkel, vielleicht würde es dann etwas kühler werden. Er hörte hinter sich die Klapptür mit dem Fliegengitter gehen. An den Schritten hörte er bereits, wer zu ihm trat. Er zog noch einmal an seiner Zigarette, inhalierte tief und drückte sie dann eilig aus, den Rauch über seine Lippen blasend, bevor er sich zu seiner Mutter umdrehte. Sie hasste es, wenn er rauchte. Aber meistens brauchte er das, wenn er hier war. Sie sah ihn mit diesem liebevollen Blick einer Mutter an, die Angst hatte, ihrem Sohn gegenüber emotional zu werden, ohne dabei zu bedenken, dass sie bereits emotional war. „Du solltest wirklich nicht rauchen“, sagte sie, wie jedes Mal, wenn er es tat. „Dein Onkel Billy…“ „Ich weiß, Mum!“, unterbrach er sie und sie blickte ihn entschuldigend an. „Es war schön, dass du hier warst!“, sagte sie und Arthur wusste, was folgen würde. Er solle öfters kommen, sich öfters melden. Vorsichtig hob sie die Hand und zupfte seinen Kragen zurecht, strich dann darüber, um vermeintlichen Schmutz wegzuwischen. „Du bist immer so ernst“, fuhr sie fort. Offenbar doch nicht – oder noch nicht – das schlechte Gewissen hinsichtlich der Abstände seiner Besuche. Sicher dann aber die Anmerkungen hinsichtlich seines Liebeslebens. „Bring doch mal eine Freundin mit. Was ist denn mit der netten Architektin, mit der du die Firma gegründet hast?“ Arthur unterdrückte einen tiefen Seufzer. „Ariadne ist nur eine Arbeitskollegin. Ich habe keine Zeit und kein Interesse an dem, was du dir wünscht. Er blickte an ihr vorbei in Richtung Haus, in dem seine ältere Schwester gerade dabei war, ihren Kindern zu erklären, dass sie nun endlich kommen sollten, da sie nach Hause müssten. „Patricia ist für die Familie zuständig, deine Enkel, - und auch Ted… Für mich ist das nichts.“ Er lächelte sie entschuldigend an und sie nickte. „Ich weiß…“, sagte sie leise, resignierend. „Aber du kommst uns bald wieder besuchen. Du kannst dich auch so mal melden, nicht erst, wenn jemand Geburtstag hat.“ Er nickte brav und trat auf sie zu, schloss sie in die Arme, was sie erleichtert erwiderte. „Danke, Mum, für den schönen Tag und das gute Essen. Es war schön, dass alle kommen konnten.“ Eigentlich wusste sie, warum er so selten kam. Er war nicht willkommen, nicht bei allen. Sie entspannte sich merklich in seinen Armen. Ob sie wusste, dass es nicht an ihr lag, dass er sich mit einer solchen Nähe nicht so leichttat? Er wusste, dass sie sich darüber Gedanken machte. Sie konnte nichts dafür. Sie war für ihn da, hinterher. Sie hatte nie gelernt, aufzubegehren und eigene Wünsche zu formulieren. Er machte ihr keinen Vorwurf. „Versprich mir, dass ihr endlich einen Elektriker holen lasst, der sich dieses Chaos, das ihr Stromleitung nennt, ansieht. Er wird die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sich wundern, dass das ganze Haus noch nicht abgebrannt ist.“ Diesmal war er es, der sie mahnend ansah, während er sich von ihr löste. Er hatte heute durch Zufall entdeckt, dass sein Vater versucht hatte, ein Stromkabel selbst im Haus so zu legen, dass er an einer bestimmten Stelle eine Steckdose hatte. Unabhängig davon, dass das hätte tödlich enden können, war es nach wie vor mehr als gefährlich, die Kinder überhaupt in die Nähe gelassen zu haben. Sie nickte. „Ich mach es – zur Not ohne sein Wissen. Er glaubt, dass man heutzutage noch immer alle alleine richten kann. Dabei sagt meine Freundin Maggy, dass dieses Internet einem viele Dinge abnimmt und man da günstig Fachkräfte findet.“ Arthur musste lächeln. „Ich bezahle das auch. Es ist egal, wie viel es kostet. Hauptsache, es wird richtig gemacht!“ Sie nickte lächelnd. „Ist gut.“ Sacht küsste er sie auf die Stirn. „Ich geh dann. Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir.“ Im Haus verabschiedete er sich von allen – nur Tricia ahm wirklich Notiz davon - und ihre Kinder. Familienfeste waren anstrengend. Er freute sich schon jetzt nachher auf die Ruhe in seinem Apartment. Erleichtert stieg er in seinen DB11 und atmete tief durch. Bevor er losfuhr, holte er seine Clock aus dem Handschuhfach und steckte sie wieder in den Holster, Dann griff er in die Innentasche seines Jacketts und zog den Würfel hinaus. Er drehte ihn in den Fingern, fühlte das Gewicht. Alles war real… Dann fuhr er in das Trainingszentrum. Er musste dringend ein wenig Energie loswerden… Die Dusche tat gut. Sein Knochen unter dem rechten Auge schmerzte etwas. Sicher war es etwas rot. Aber in den nächsten Tagen war ihm das egal. Er hatte ein wenig Freizeit. Ariadne hatte vorhin noch geschrieben. Ein „We got it!“ war via Snapchat kurz aufgeflackert, bevor sich die Nachricht schließlich wieder selbst gelöscht hatte. Ein Auftrag, der in zwei Wochen beginnen würde. Bis dahin, so hoffte er, würde er etwas Zeit haben. Er wollte Dom besuchen, wollte Mals Grab besuchen, ein wenig Zeit an der Westküste verbringen, sich ein wenig Auszeit gönnen. Ariadne hatte ihn dazu verdonnert. Sie war schlimmer als seine Mutter, viel schlimmer. Aber er war glücklich, dass er sie vor einigen Monaten dazu gewinnen konnte, das Büro zu eröffnen, von dem er immer geträumt hatte. Nicht, weil er etwa das Dream-Sharing leid war. Nein! Einfach, weil er auch gerne Architekt war und sein Büro zusätzlich eine gute Anlaufstelle für Aufträge war, so lange Dom eine Auszeit brauchte. Er konnte es verstehen, konnte nachvollziehen, dass er Zeit mit seinen Kindern brauchte, verarbeiten musste, was geschehen war, bevor Saito ihm die Einreise in die USA ermöglicht hatte. Und dennoch fehlte jetzt der, der sich bisher um die Aufträge gekümmert hatte. Sein Leben war seltsam ruhig geworden. Er war weniger unterwegs, seit 6 Monaten in New York. Jetzt musste er sich selbst um Aufträge kümmern. Und Ariadne an seiner Seite war die beste Unterstützung, die er hätte haben können. „Warum wolltest du, dass ich dich küsse?“, hatte sie ihn gegengefragt, als er ihr seine Idee unterbreitet hatte. Er hatte sie lange angesehen, mit sich gehadert, was er sagen sollte. Dann hat er sich für die Wahrheit entschieden. „Es war eine gute Möglichkeit gewesen, um abzuklären, ob zwischen uns mehr passieren könnte, als dass wir Arbeitskollegen sind. Aber da war nichts, was ich empfunden habe. Und jetzt weiß ich, dass ich keine Angst haben brauche, dass unsere Firma wegen alberner Beziehungsproblemen scheitern könnte. Sonst hätte ich dich nicht gefragt, ob wir gemeinsam ein Baby großziehen.“ Ihre Augenbrauen waren nach oben gewandert und sie hatte ihn eine Weile ungläubig angestarrt. „Das hätte ich dir auch einfacher sagen können“, war schließlich die Antwort gewesen, der ein ungläubiges Kopfschütteln gefolgt war. Seitdem arbeiteten sie zusammen, gut zusammen. Und sie hatten auch bereits ein paar kleinere Aufträge erfolgreich absolvieren können. Arthur stellte das Wasser ab, trat aus der Gemeinschaftsdusche und machte seinem Sparring-Partner Platz, der wohl etwas länger gebraucht hat, wieder auf die Beine zu kommen. Nach dem anstrengenden Geschäftstermin am Vormittag, war er schließlich ohne das Ergebnis abzuwarten, zu seiner Familie gefahren. Nicht ohne vorher seine Wohnung mal wieder zu betreten, in der er gefühlt einen Monat nicht mehr gewesen war. Er hatte sich im Büro ein Zimmer eingerichtet, in dem er schlief, wenn es stressig wurde. Doch dort, so hatte Ariadne ihm erklärt, würde sie ihn in den nächsten beiden Wochen, bis es losging, nicht mehr sehen wollen, sonst würde sie ihn in eine Hölle schicken, von der er sich nicht so bald wieder erholen könnte. Das schlimme war: er wusste, dass sie das konnte. Jetzt jedenfalls hatte das Training ihm gut getan, um all den Stress loszuwerden, der ihn die letzten Tage wenig hatte schlafen lassen. Doch so wenig er geschlafen hatte, so fit fühlte er sich gerade, weswegen er zögerte, als er sich wieder in sein Auto setzte. Er holte die beiden Handys heraus, das für die Arbeit und das, das er privat nutzte. Kurz überlegte er, ob er sie anschalten solle, um zu sehen, ob er etwas Wichtiges verpasst hätte. Er entschied sich dagegen. Die Nachrichten, die darauf waren, konnten bis morgen warten. Dann fuhr er los, um noch etwas trinken zu gehen. Was er danach machen würde, würde abzuwarten sein. Aber irgendwie war ihm der Gedanke gekommen, dass er sich eigentlich mal wieder ein wenig Abwechslung gönnen könnte. Kurz überlegte er, ob er sich dafür umziehen sollte, entschied sich aber dagegen. Bequemer und weniger förmlich bedeutete nicht, dass er sich wohl fühlte. Im ‚Terra Blues‘ versuchte eine viel zu zarte Frau sich mehr schlecht als recht an großen Stimmen des Jazz: Ella Fitzgerald, Nina Simon, Billie Holiday und andere. Dennoch ließ sich Arthur in der hellen klaren Stimme treiben, die den Raum erstaunlicherweise doch zu füllen schien. Er saß an der Bar und zückte sein Zigarettenetui. Er entzündete die Zigarette und blickte dann zu der Band. Er war schon lange nicht mehr hier gewesen. Für heute erschien es ihm zum Runterkommen der ideale Ort. Ruhe… einfach Ruhe und Entspannung. Er spürte, wie sich sein Körper neue Kraft tankte. Arthur nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Er sollte wirklich wieder aufhören. Eigentlich brauchte er sie nicht. Nicht, wenn er sich entspannen konnte, wie hier. Und doch leistete sie ihm wenigsten Gesellschaft. Seine Augen kehrten zurück zu der goldenen Flüssigkeit in dem Glas, das vor ihm stand und das er nun ergriff: Whiskey. Zumindest gab es hier irischen. Genießend trank er einen Schluck, als er hörte, dass sich das Stimmchen an „What a diffrence a day makes…“ (https://youtu.be/OmBxVfQTuvI) wagte – Dinah Washington. Seine Stirn zog sich kraus. Er würde später in jedem Fall noch einmal losziehen. Wenn das so weiterging, würde er hier nicht mehr lange bleiben. Nicht weit von hier gab es genügend Clubs, in denen er jemanden aufreißen konnte, um morgen früh nicht alleine aufzuwachen. Eames [[BILD=^8335425.jpg]] What a difference a day makes,… schwirrte in Eames Kopf umher, als er an diesem späten Samstagabend in der Business-class der Singapore Airlines erwachte. Gestern hatte er noch in Piana Grande in der Strandbar seines 5-Sterne-Hotels gesessen, mit offenem Hawaii-Hemd und ohne Hose und hatte Margaritas geschlurft, während ein wunderschönes, sizilianisches Dienstmädchen ihm den Schirm zurechtgerückt und angeboten hatte, seine Füße zu massieren. Er genoss durchaus ein Leben mit gewissen Vorzügen und der wichtigste davon war Geld. Leider entwich ihm die Kohle ständig schneller, als er sie verdienen konnte (sehr mysteriös), was Eames dazu gezwungen hatte, eine altbekannte Quelle anzupumpen. Da wo ihm die Scheinchen förmlich entgegen gepustet wurden. Er hatte im Laufe der vergangenen fünf Jahre rund die Hälfte der Spielbanken an der südlichen Küste Siziliens bestohlen. Die Systeme waren lächerlich einfach zu knacken, für jemanden mit internationalem Erfahrungsschatz auf dem Gebiet und zwei geschickten Händen. Falsche Chips, falsche Karten, versteckte Rechensysteme und das Wissen über Zugangscodes, die er eigentlich nicht haben dürfte (Dream-Sharing machts möglich), bescherten Eames regelmäßig ein herrliches Klingeln in seiner Kasse. Eine Einnahme, auf die er sich in Krisenzeiten immer verlassen konnte. Leider hatte er dieses Mal zu hoch auf sein Glück gepokert und hatte ein paar ziemlich üble Arschlöcher auf sich aufmerksam gemacht, die anscheinend schon länger daran gearbeitet hatten, das Leck in ihrem Schiff zu finden. Das kleine Loch, aus dem das Geld aus ihrem System und ihrer Sichtweite floss: Meine Damen und Herren, Thomas Eames. Verantwortlich für ihr finanzielles Desaster. Zugegeben, er hatte sein Glück reichlich überstrapaziert. Sie hatten ihm einen Pistolenlauf in den Mund gesteckt, deepthroat für Fortgeschrittene. Dann hatten sie ihm ein paar Rippen gebrochen und wieder der Pistolenlauf. Rein damit, bis es am Zäpfchen kitzelte. Dieser kahlköpfige Wichser hatte ihm damit unten links einen Zahn abgebrochen... Eames hatte schnell begriffen, dass es keinen Sinn machte, nach Ausflüchten zu suchen. Sie hatten den richtigen Mann und das war allen Beteiligten sehr bewusst. Also begegnete er ihnen mit einer seiner größten Waffen: Improvisation. Er bot an für sie zu arbeiten. Der nächsten Gedankenraub, den er begehen wollte, könnte locker zwei Millionen einbringen, ein großes Ding. Ein CEO, des MoneyGram Unternehmens, Italiener, zufälligerweise. Er versicherte ihnen, dass jeder Cent, den er dort machen würde, direkt an sie gehen würde. An Lorenzo und seine Kumpels, Ihre freundlichen Mafia-Kameraden von nebenan. Nachdem er einige Details seiner Plans offenbart hatte, waren die werten Herren gewillt gewesen, ihm diese Chance zu geben. Diese eine. Wenn er versagte würden seine Leute, Zitat: „Antipasti aus seinen Eiern machen“ und „Chinesische Böller in seinem Arsch anzünden“. Nun gut... Er hatte also gepackt, war zum Flughafen gefahren und hatte den nächsten Flug nach New York genommen, den er kriegen konnte. Zwei von Lorenzos Leuten folgten ihm und achteten genau darauf, dass er nicht irgendwo anders hinflog. Seine Familie würde auf der anderen Seite auf ihn warten… witzig. Er meinte natürlich nicht den Tod, das wäre schön. Er meinte den Nordatlantischen Ozean. Und mit Familie, meinte er weitere loyale, bezahlte Stronzos in Anzügen. Ursprünglich wollte er Emanuel Jobs in aller Ruhe angehen. Dieser war augenscheinlich charismatisch, über die Maße intelligent und hatte einen 24/7-Geleitservice und -Sicherheitsservice. Darüber hinaus würde er sich die meiste Zeit seines New York Aufenthaltes in Gebäuden mit diversen Kameras aufhalten – dieser Mann überließ selten etwas dem Zufall. Es gab Wege an ihn heran zu kommen, aber die waren rar gesät. Und nun, da er die lächerliche Frist von zehn Tagen aufgedrückt bekommen hatte, um diesen Mann zu knacken, waren diese Möglichkeiten wahrscheinlich nur noch durch extrem geschicktes Zusammenspiel mehrerer Komponenten zu erreichen. Äußerst schwierig, aber möglich, wenn er die richtigen Leute zusammen bekam. Einen Chemiker aufzutreiben, war das kleinste Problem. Yusuf war nach dem Fisher-Job nicht mehr abgereist und in den Staaten geblieben. Er hatte ein eigenes kleines Unternehmen gegründet und arbeitete hin und wieder für Saito, wie Eames gehört hatte. Einen Extractor brauchte er nicht. Diese Aufgabe würde er selber übernehmen - so wie früher immer. Wenn sie schnell und geschickt vorgingen, konnte der Forger zuhause bleiben. Und sie mussten schnell sein, da das vorgesehene Zeitfenster, in dem sie Extrahieren würden, äußerst begrenzt war, und sie vielleicht sogar auf die zweite Traumebene verzichteten mussten. Ein Architekt war notwendig und jemand, der ihm half, alles über Emanuel Jobs in kürzester Zeit herauszufinden... er brauchte einen Point Man. Und eigentlich wusste er schon bevor er sich überhaupt auf den Deal eingelassen hatte, dass er nicht irgendeinen brauchte, sondern einen ganz bestimmten. 32 Nachrichten auf verschiedenen Plattformen und vier Anrufe später sah er ein, dass er keine andere Wahl hatte, als auf sein Glück zu vertrauen. Er wusste von Cobb, dass Arthur „so was wie Urlaub“ hatte. Schwer vorzustellen, dass ein Stick-in-the-butt wie er sich überhaupt jemals so etwas wie Freizeit gönnte. Dennoch war er darauf angewiesen, dass er es irgendwann tat und zwar bald, sonst wäre er aufgeschmissen. Sollte er nicht bald über seinen Schatten springen und sich dazu herablassen ihn zurückzurufen. Kein Problem, Darling, es geht nur um mein Leben. Hatten sie in den sechs Monaten seit Fisher überhaupt gesprochen? Ja... hatten sie. Es gab ein Gespräch vor... einem Monat? Zwei? Eames hatte angerufen und einen recht genervten Arthur am Apparat gehabt; wie immer gestresst und überarbeitet. Scheinbar unfähig zur Ruhe zu kommen. Fazit des Telefonats? Sir Darling wollte nicht mit Belanglosigkeiten gestört werden, wenn er mitten in einem Projekt war. Well well. Und seither hatte er ihn auch nicht mehr mit seinen unwichtigen Angelegenheiten gestört. Dieses Mal jedoch ging es tatsächlich um seinen Allerwertesten. Er versuchte also sein Glück im Terra Blues. Auch aus nostalgischen Gründen. Vor ungefähr sechs Jahren, war er bereits einmal mit Arthur hier ausgegangen. Cobb war dabei gewesen und Mal und es war ein echt fantastischer Abend gewesen. Bis auf das Ende. Aber deswegen werden Geschichten ja auch nie wirklich bis zu Ende erzählt. Weil man sich gern den Teil erspart, in dem der Hauptcharakter völlig besoffen eine Schlägerei anfängt. Niemand will hören, dass die ganzen ausgeklügelten Annäherungsversuche gescheitert sind und am Ende nur unangenehmes Schweigen und eine dicke Lippe bleiben. Es ist keine richtige Geschichte, wenn der Held der Story schlussendlich doch nicht der Held ist, sondern am Ende des Abends allein in seinem Hotelzimmer in seiner eigenen Kotze auf dem Fußboden einschläft. Mit heruntergelassener Hose und einem Rucksack voll Bedauern und Wut und Koks. Das gute alte Terra Blues. Arthur hatte den Laden geliebt. Zumindest war dies Eames Interpretation der Dinge gewesen. Damals hatte er noch geglaubt, der junge Point Man hätte vielleicht doch so etwas wie Gefühle. Eames hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, in ein Hotel einzuchecken. Stattdessen war er mit seinem handlichen, kleinen Reisekoffer direkt ins Terra Blues gewandert und hatte es sich in einer lauschigen, versteckten Ecke mit Whiskey und Zigarren bequem gemacht. Von seinem Standpunkt aus hatte er den Eingangs- und Barbereich recht gut im Blick. Sollte Arthur tatsächlich hier aufschlagen, würde er es mitbekommen. Ansonsten musste er eben härtere Maßnahmen ergreifen, um seinen Point Man zu finden. Klassisches Stalking wäre wohl eine Möglichkeit. Die Kleine auf der Bühne gab sich wirklich alle Mühe, er wusste ihr Engagement zu schätzen, aber das half der armen Dinah Washington leider auch nicht. Er stopfte sich gerade eine Hand voll Erdnüsse in den Mund, als er aus dem Augenwinkel die die wohlbekannte, drahtige Gestalt wahrnahm. Ein Fest. Arthur hatte damals und noch immer eine beängstigende Anziehungskraft auf Eames ausgeübt. Dass er ihn abgewiesen hatte, hatte die Sache nicht besser gemacht. Eames war es gewöhnt, das zu bekommen, was er wollte. Umso verletzter war sein Stolz. Mister Perfect steht über den Dingen. Nicht einmal sein Rachefick vor fünfeinhalb Jahren mit der Rothaarigen, die Arthurs Interesse geweckt hatte, hatte schlussendlich eine Wirkung gehabt. Nichts. ‚Arthur - Mann aus Stein‘ oder so ähnlich könnte der Film über sein undreckiges Leben heißen. Seine Zunge umkreiste gedankenlos den abgebrochenen Zahn hinter verschlossenen Lippen. Er beobachtete ihn eine Weile zwischen dem weißen Qualm seiner Zigarre hinweg. Im Schutz der anderen Gäste. Mit dem pastellfarbenen Paisleymuster auf seinem Hemd und der gemütlichen Anzughose, stach er nicht wirklich aus der Masse hervor. ... Twenty-four little hours Brought the sun and the flowers Where there used to be rain Der Song begleitete ihn bereits den ganzen Tag. Flammte immer wieder auf, wenn er daran dachte, in was für eine prekären, lebensbedrohlichen Situation er steckte. Und trotzdem stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen, weil er sich insgeheim doch für unbesiegbar hielt. Nichts und niemand konnte ihn klein kriegen, auch kein Lorenzo oder die Cosa Nostra. Alle nur Fliegen, die um die offene Bierflasche herumschwirrten. What a difference a day made »Bushmills, bitte, und was auch immer der Mister hier trinkt«, bestellte er bei dem Barkeeper, der gerade gelangweilt seine Gläser polierte. Er hatte sich an Arthur herangeschlichen; eigentlich war er einfach nur gemütlich herübergeschlendert; und lehnte nun mit einem Ellbogen an der Theke neben ihm. Süffisantes Lächeln. Unbeeindruckt, aber mit dem Zugeständnis der Wiedersehensfreude. »Long time no see, Arthur.« And the difference is you! Kapitel 2: Guilty ----------------- Arthur [[BILD=^8335420.jpg]] Since that moment of bliss, that thrilling kiss... Arthurs Blick glitt zu seinem Handgelenk. Die Omega zeigte, dass um diese Uhrzeit in den Clubs schon genug los war, um hingehen zu können. Vielleicht sollte er gleich zur Christopher Street fahren. Heute wollte er nichts Kompliziertes, keine Frauen. Heute wollte er nur Sex. Als er wieder aufsah blieb sein Blick bei dem Riss im Spiegel hängen. Jener war nur klein, kaum zu sehen, geschickt hinter Gläsern versteckt. Daher war er auch nicht ausgebessert worden, weil niemand ihn wirklich registrierte. Aber er war da - seit sechs Jahren. Damals war Arthur auch hier gesessen, neben ihm Mal, gerade schwanger und wunderschön, Dom, der damals wohl glücklichste Mann der Welt, und... "Bushmills bitte und was auch immer der Mister hier trinkt." Arthur hatte gerade sein Glas angesetzt, den letzten Schluck getrunken und hätte sich fast verschluckt, als er kurz innehielt, um das nun leere Glas langsam wieder abzusetzen. Sein Herz war einen Satz nach vorne gesprungen und schlug nun spürbar gegen seine Brust. "Zwei Bushmills, kommen sofort", quittierte der Barkeeper die Bestellung. Warum kam der Teufel eigentlich wirklich immer, wenn man von ihm sprach? Wobei... Wenn dieser Mann irgendwann in der Hölle käme (und lange würde das sicher nicht mehr dauern), würde der Teufel seinen Thron für seinen Meister räumen. Er unterdrückte den Impuls, nach seinem Würfel zu fühlen. "Long time no see, Arthur." "Could have been longer...", war sein erster Gedanke, den er direkt aussprach. Letztlich war er einfach ehrlich. Als er den Kopf drehte und in die sturmgrauen Augen des Mannes neben sich blickte, war ihm eines klar: dass Eames da war, bedeutete nichts als Ärger. Es könnte kein Zufall sein, dass er hier war! Es war wie mit diesen Halbstarken in der Schule, die den schmächtigen Träumer in der Klasse, dem irischen Hurensohn, immer wieder auflauerten - zumindest bis er ihnen mit einem Schmunzeln auf den Lippen beweisen konnte, dass sie keine Chance hatten gegen jemanden, der sich lange auf den richtigen Moment vorbereitet hatte. And the difference ist you.... Applaus setzte ein, als die Sängerin den letzten Ton des Liedes viel zu schnell verklingen hatte lassen. Eines Liedes, das zu dieser Situation so gar nicht zu passen schien. Er würde dieses Lied nie wieder unbeschwert hören können! In Zukunft würde er vermutlich allein bei der Melodie Eames Gesicht immer sehen, das ihn aus einer Mischung aus Amüsement und... Freude? anblickte. Eigentlich konnte er genau dieses Gesicht in seinem Leben gut zur Seite schieben. Das war nicht immer so gewesen. Vor sechs Jahren war es nicht so einfach gewesen. Damals hatte es ihn beschäftigt. Hier im Terra Blues, auch danach noch... Doch seit dem Vorfall in Tokyo hatte er es aus seinem Leben verbannt - sofern er nicht von Dom gezwungen wurde, mit Eames zu arbeiten - oder der Kerl aus welchen Gründen auch immer meinte, ihn anrufen zu müssen. Der Lärm um sie verschaffte ihm Zeit, sein Gegenüber etwas genauer zu mustern. Braungebrannt wie immer - bei ihrem letzten Telefonat hatte er ihn in Italien lokalisiert (er hatte mittags angerufen, betrunken, und ihm gesagt, dass die Sonne in Italien so schön unterginge) - , darüber ein farblich 'gewagter', gemusterter Anzug. Der Mann hatte einen seltsamen Geschmack - oder auch keinen, wie böse Zungen sicher behaupten würden. Die Falten unter den Armen zeugten davon, dass er den Anzug schon länger anhatte. Die Straßenköter-blonden Haare waren sicher auch schon länger nicht mehr an einem Kamm vorbeigekommen. Ein Hauch von Zigarre (keine billige) und Whiskey waren mit ihm an den Tresen gekommen. War er schon länger hier? Hatte er ihn beobachtet? Hatte er auf ihn gewartet? Ihm war nichts aufgefallen. Das Gefühl, dass das Auftauchen nichts Gutes verhieß, festigte sich. Hätte er vorhin seine Handys doch anstellen sollen? Sein Blick glitt wieder zum Gesicht, während die Sängerin ankündigte, dass sie eine kurze Pause machen würde. Zum Glück! Nicht dass noch mehr Lieder mit negativen Erinnerungen behaftet wurden. Das Lächeln des anderen entblößte die leicht schiefen Schneidezähne, die fast als pars pro toto für den ganzen Mann zu sehen waren. Doch etwas war anders als noch vor 6 Monaten. Kurz huschte ein Moment der Irritation über Arthurs Gesicht, nur einen Wimpernschlag. Letztlich sollte ihn bei Eames nichts wundern. Ein Zahn schien hinter den vollen Lippen zu fehlen. Ob er ganz raus war oder nur ein Stück fehlte, war nicht zu erkennen. Arthurs Blick hob sich schneller zu den immer etwas aufgewühlt scheinenden Augen. Nein, das Erscheinen des Forgers konnte nichts Gutes bedeuten. Arthur hob die Zigarette und zog an ihr, endlich aus der Starre erwachend. Der Barkeeper hatte ihm einen neuen Whiskey hingestellt. Eigentlich hatte er losgewollt... "Dass sie dich reingelassen haben, ist verwunderlich", sagte er nun und blies den Rauch wieder hinaus. "Aber vermutlich ist es schon zu lang her, seitdem du wegen einer Lappalie den Laden auf den Kopf gestellt hast." Er übertrieb etwas - so wie Eames damals übertrieben hatte, als ihm jemand blöd gekommen war. Eames hatte zu viel getrunken und war frustriert, weil Arthur auf seine plumpen Anmach-Versuche nicht eingegangen war. Arthur drückte die Zigarette aus und drehte sich etwas mehr zu ihm. "Ich wollte gerade gehen. Sag mir also lieber gleich, was du von mir willst." Eames‘ Anliegen konnte nur etwas Persönliches sein. Dom hätte ihn nie zu ihm geschickt, wenn er einen Job hatte. Abwartend blickte er den Briten an; den Whiskey, der neben seinem auf dem Tresen aufgelegten Arm stand, ignorierte er. Eames [[BILD=^8335427.jpg]] Der sondierende Blick drang tief, während das Publikum klatschte. Vereinzelte pfiffen, ein paar jubelten – womöglich aus Höflichkeit. Er war deutlich bessere Blues-Einlagen gewöhnt. Und er meinte sich an den Act zu erinnern, der vor sechs Jahren hier gespielt hatte. War das Brother Dege gewesen, vor seinem Durchbruch? Old Angel Midnight? (https://youtu.be/Yq3x0Ytv1a0) Zumindest dachte er an diesen einen Abend, wenn er den Song hörte. "Dass sie dich reingelassen haben, ist verwunderlich" Er hatte geahnt, dass es schwer werden würde, mit Arthur zu verhandeln, aber der Point Man schien von Grund auf negativ auf ihn zu sprechen zu sein. Sollte er jetzt wirklich grübeln, was er ihm wieder getan hatte? Bei Arthur reichte es ja manchmal schon, wenn man seine Krawatte nicht richtig gebunden hatte, um einen Streit zu provozieren (er wusste selbst, dass das nicht der Wahrheit entsprach, aber es auch nicht sonderlich weit entfernt davon war - was ihn abermals zum Lächeln brachte). "...Sag mir also lieber gleich, was du von mir willst." Er schnalzte gespielt beleidigt mit der Zunge. »Arthur ~«, langgezogen, melodisch, väterlich. Bevor er weiter sprach nahm er sich die Zeit, um einen Schluck aus seinem Glas zunehmen. Lange keinen irischen Whiskey mehr getrunken und doch nicht vermisst. Nicht das edelste Gesöff seiner Meinung nach, aber was tat man nicht alles um sich einzuschleimen. »Wie kommst du darauf, dass ich was von dir will? Cobb hat mir erzählt, dass du Urlaub hast und ich war gerade zufällig in der Stadt. Ich dachte an Mal, ich dachte an dich... Terra Blues. Soweit ich weiß, waren wir nur einmal zusammen in New York unterwegs.« Und dieses eine Mal hatte Arthur vermutlich auch gereicht. Für Eames war es rückblickend nicht weniger unangenehm. Bilder flackerten vor seinem inneren Auge auf, wie Arthur ihn gestützt hatte, damit er sich nicht im Straßengraben lang machte. Wie er versucht hatte ihn mit blutender Nase zu küssen. Wie auch immer man glauben konnte, dass das eine gute Idee war... Arthur [[BILD=^8335420.jpg]] Das Lächeln des anderen wurde breiter, als Arthur ihn an jenen Abend hier vor sechs Jahren erinnerte. Eigentlich war dieser wirklich ein schöner Abend gewesen – bis zu einem gewissen Punkt. Und eigentlich hätte dieser Abend anders enden können. Aber letztlich war er an dem viel zu großen Ego des anderen gescheitert. Und es war daran gescheitert, dass Arthur nie das Gefühl gehabt hatte, dass Eames jemals wirklich ernst meinen könnte, was er alles sagte. Er hatte sich für ihn wirklich ins Zeug gelegt, hatte Komplimente gemacht, geflirtet, seinen viel zu großen aber durchaus reizvollen Charme spielen lassen... Die Hürde, die Eames hatte überwinden müssen, war groß – keine Frage. Arthur hatte seine Prinzipien was potenzielle Kollegen betraf. Die Arbeit war ihm immer wichtiger. Dennoch wäre er eingeknickt, hätte sich vielleicht eine Nacht gegönnt. Aber nicht, wenn der andere zu schnell aufgab, sich die Kante gab und ihm dann im Vollsuff versuchte klar zu machen, dass er ihn ‚anziehend‘ fand, dass er ihn wollte, dass er ihn anmache. Na herzlichen Dank! Gut, einen Abend konnte das passieren. Aber so war es ja schon oft gewesen, immer wieder. Entweder war Tom unverschämt geworden oder hatte sich jemand anderen angelacht. Nun, Arthur sah, wie Eames wirklich tickte: alles war ein Spiel, nichts war ernst gemeint und das wichtigste in dessen Leben war, dass er für sich das Maximale herausholte, unabhängig, ob er dafür über Leichen, Gefühle oder Freunde trampeln musste. Aber das hatte er erst in Tokyo begriffen. Und anstatt jemals auch nur ein Wort, ein ehrliches Wort darüber zu hören, weshalb er ihn so hintergangen hatte, warum er ihn von Anfang an nur verarscht hatte, flirtete er nach so langer Zeit mit ihm wieder und drückte ihm unterschwellig rein, dass er der herzlose, arrogante Arsch war, der ihn verkannte. Ja, Arthur war nicht sonderlich gut auf den Forger zu sprechen. Sicher, der Brite hatte ihn vor einem halben Jahr überrascht, hatte wirklich gute Arbeit geleistet, hatte gezeigt, dass man unter Umständen doch auch auf ihn zählen konnte, hatte ihnen Yusuf verschafft. Aber deswegen war Tokyo nicht vergessen. Nein, er konnte nicht vergessen, dass Eames kein Mensch war, dem man vertrauen konnte. Und gerade tat er es schon wieder: so tun, als sei er der paranoide Idiot, der seine guten Absichten verkannte. Mit jedem Wort, das Eames von sich gab, rutschte Arthurs Augenbraue weiter nach oben. Cobb habe ihm einfach so erzählt, dass er Urlaub hatte? Er war zufällig in der Stadt? Er hatte an den Abend vor so langer Zeit gedacht? Arthur rutschte auf seinem Stuhl weiter, überlegte, ob er einfach gehen sollte, als sein Blick an einem leeren Tisch hängen blieb, an dem ein Rollkoffer herrenlos angestellt war. Einen Moment schloss er die Augen. Es war so grotesk, dass er leise lachen musste, den Kopf leicht schüttelnd. „Du hattest noch nie ehrliches Interesse an mir“, sagte er unerwartet scharf, als er unvermittelt den anderen wieder ansah. Ob es wirklich so war, war zweitrangig. Aber so fühlte es sich an. „Tu nicht so, als seien wir jemals Freunde gewesen, die sich an ihren freien Tagen besuchen kommen, um sich über alte Zeiten auszutauschen. Du tust nie etwas, was nichts mit dir allein zu tun hat.“ Er streckte sich leicht, atmete tief durch. Er sollte sich nicht aufregen. So war Eames nun mal. Das wusste er doch. Dennoch hatte er das Gefühl, dass der Abend, der eigentlich entspannt hätte sein sollen, gerade sich ins Gegenteil verkehrte. „Ich bin eigentlich ganz gut, in dem was ich tue, Eames. Und mir fallen gewisse Details an deiner Erscheinung und an den Umständen hier auf, die mich wissen lassen, dass du nicht zufällig dein warmes Südeuropa verlassen hast, um in New York dich in Nostalgie zu verlieren. Also hör bitte auf mir meinen durchaus freien Abend zu verderben und mir meine Zeit zu stehlen.“ Wenn er das nächste Mal Dom sprechen würde, würde er ihm erklären, dass er Eames nie wieder Informationen über ihn weitergeben darf. Eames [[BILD=^8335427.jpg]] „Du hattest noch nie ehrliches Interesse an mir“ Nun wanderten Eames Augenbrauen in die Höhe und seine Stirn legte sich in etliche, horizontale Falten. Diese Unterstellung schmerzte so sehr, wie der Fakt, dass Arthur darauf bestand, dass sie keine Freunde waren. Eames war in beiden Fällen anderer Meinung, aber Arthur ließ ihn nicht zu Wort kommen. Mal ganz davon abgesehen, dass das Terra Blues, mit all seinen schönen-schlimmen-zwiespältigen Erinnerungen, nicht der richtige Ort war um sich zu rechtfertigen. Erst recht nicht vor der Rationalität in Person – dem Point Man par excellence. Truth Is a Beautiful Thing... (https://youtu.be/UPcPtd3k-Qg) Das Leben war sicherlich sehr einfach, wenn man die Wahrheit für sich gepachtet hatte. Er seufzte resignierend und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas. Als sie sich vor knapp einem halben Jahr verabschiedet hatten, war Arthur noch nicht so schlecht auf ihn zusprechen gewesen, oder? Vielleicht hatte die Zeit mal wieder gegen ihn gearbeitet... »Hm, durchschaut.«, gab er nüchtern zu. Er war dem Blick zu seinem Gepäck gefolgt. Er hatte es ihm wohl nicht sonderlich schwer gemacht seine Lüge aufzudecken. Eames kippe den restlichen Inhalt des Glases herunter und verzog danach schmatzend das Gesicht. »Hf, das Zeug ist wirklich scheußlich. Noch eins bitte!«, wandte er beiläufig an den Barkeeper, der seiner Bitte mangels Kundschaft schnell nachkam. Da er zumindest flüchtig Arthur Aufmerksamkeit geweckt zu haben schien, ließ er sich mit einer Pobacke auf dem Hocker neben ihm nieder. Blieb ihm zugewandt, den Ellbogen noch immer äußerst entspannt auf dem Tresen abgestützt, obwohl ihm die gebrochenen Rippen unangenehm in den Brustkorb zustechen begannen. »Pass auf. Es geht um einen Job, aber bevor du wegrennst...!« Er hob die Hände zu einer beschwichtigenden Geste. So wie ein Löwenbändiger vermutlich eins seiner wilden Tiere zu beruhigen versuchen würde. »... es ist garantiert der fetteste Fisch, den du je an Land gezogen hast.« Arthur [[BILD=^8335420.jpg]] Sah er da etwas wie Erstaunen in dem Blick des anderen? Seine Worte bekamen mit einem Mal einen herben Beigeschmack. Aber er hatte sich so lange seinen verdammten Kopf wegen diesem Menschen hier zerbrochen, hatte ihn in seinem irrationalen Verhalten versucht zu durchschauen – aber er war gescheitert. Also konnte er sich nur an den Fakten orientieren. Und die sagten ihm ganz klar, dass Eames kein Mensch war, dem man einfach so vertrauen konnte. Auch wenn er zuletzt an seinem Image gefeilt hatte. Arthur blickte zur Sängerin, die gerade wieder auf die Bühne stieg und sich bereitmachte, fortzufahren. Eigentlich hatte er da schon weg sein wollen. Aus diesem Gedanken gerissen wurde er, als Eames zugab, dass er ihn durchschaut hatte und dann den Whiskey hinunterschüttete. Kritisch musterte er den anderen. Etwas störte ihn gerade an dessen Auftreten, etwas ließ ihn stutzen. Dass er trank, gerne auch mal viel und sicher auch über den Durst, wusste er. Aber offenbar hatte er sich extra den irischen Whiskey bestellt, den er auch trank, wenn er hier war. Er trank schnell, zu schnell. Sicher war er nicht nüchtern an den Tresen gekommen. Etwas stimmte nicht. Er wirkte ein wenig… Sein Gedankengang wurde unterbrochen, als der Ältere endlich mit der Sprache herausrückte. Ein Job? In Arthur sträubte sich etwas, gleichzeitig ertappte er sich aber auch bei dem Gedanken, dass das die Lösung für diese elendigen zwei Wochen sein könnte… Aber nein! Er sollte seiner Skepsis die Vorhand lassen. Eames kam zu ihm wegen eines Jobs, nicht irgendeinem Job, wie er jetzt versicherte: der fetteste Fisch! Arthur wäre nicht Arthur, wenn er nicht wüsste, dass diese Anfrage mit vielen Risiken verbunden war. Nicht Risiken, die den Job direkt betrafen. Er machte keine Jobs, die nicht möglich waren – außer für Dom wie vor einem halben Jahr. Risiken, die mit Eames Persönlichkeit und seinem Lebensstil zusammenhingen. Die beschwichtigenden Hände hatten zumindest den Erfolg, dass er innehielt. Und da war der Gedanke kurz wieder. Eames wirkte irgendwie… Is it a sin? Is it a crime?... Arthur schloss die Augen. Nicht Guilty! Bitte nicht! Er drehte sich zu Eames. „Lass uns woanders weiterreden. Ich muss hier raus.“ Er nickte in Richtung Gepäck. „Hol deinen Koffer und lass uns woanders weiterreden!“ Er drehte sich zu seinem Glas und trank es mit einem langen Zug aus. Dann zückte er seinen Geldbeutel aus der Innentasche seines Jacketts und legte dem Barkeeper mehr hin, als ihre vier Getränke gekostet haben konnten. Wenige Augenblicke war er bei der Tür und ging durch sie hindurch, bevor ein Guilty of loving you (https://youtu.be/SjpZRVHn0aw) den Raum erfüllen konnte. Kalte Nachtluft schlug ihm entgegen und tat gerade unheimlich gut. Er streckte sich, entspannte die Schultern, als Eames ebenfalls heraustrat. „Ich muss was essen. Worauf hast du Lust?“ Kapitel 3: Flowers on the Wall ------------------------------ Eames [[BILD=8335854.jpg]] Die Wende kam dann doch überraschend schnell. Kaum hatten sie einmal die höfliche Wiedersehensfreude überwunden. Aber irgendwie bezweifelte Eames, dass das Geld ihn überzeugt hatte. Arthur wirkte eher, als flüchtete er vor etwas, und so wie er das sah, war es wahrscheinlich die nächste unterirdische Performance. »Sure!«, erwiderte er anstandslos und war bereits auf dem Weg um seinen Koffer zu holen, nachdem er gesehen hatte, dass Arthur – wie immer liquide – die Rechnung übernahm. Schmeichelhaft! Auch ihm tat die kühle Luft gut. Sein Kopf fühlte sich ganz heiß an, nach dem ganzen Whiskey und den Zigarren. Er fühlte sich gleich etwas nüchterner. Nur seine Rippen taten jetzt irgendwie mehr weh, aber er hütete sich allzu offensichtlich seine Handfläche auf die Seite zu drücken. Arthur musste nichtzwingend alles wissen, auch wenn er das gern wollte. Ein angestrengter Stöhnlaut entwich ihm lediglich, als er seinen Koffer auf Rollen die Treppen im Eingangsbereich hinab hievte. »Wie wär's mit dem Inder, wo wir vor sechs Jahren waren?«, witzelte er trocken. Bevor sie sich im Terra Blues getroffen hatten, waren sie sich beim Kabab Bites gewesen und hatten sich die Bäuche vollgeschlagen. Vier Straßen weiter, keine zehn Minuten mit dem Taxi entfernt. Aus diversen Gründen hatten sich gewisse Details dieses Abends perfekt in sein Gedächtnis eingebrannt. Andere wiederum entschwanden ihm und er war sich sicher, dass das auch gut so war. »Du verstehst heute keinen Spaß oder? Dann nehmen wir den Mexikaner in der Kanmere Street«, beschloss er und hob den Arm, um ein Taxi auf sich aufmerksam zu machen. Er war vielleicht nur einmal mit Arthur in New York ausgegangen, hatte aber selbst mal für kurze Zeit ein kleines Domizil in Manhatten bezogen. Das war ungefähr.. zwei Jahre her? Manchmal rannte die Zeit einfach, ohne dass man einmal Halt machen konnte, um nach links und rechts zu sehen. Arthur [[BILD=^8335420.jpg]] Die Irritation, die er vorhin schon verspürt hatte, kam wieder auf, als er beobachtete, wie Eames den Koffer hinabtrug. Er übersah etwas, irgendwas. Als er das Stöhnen vernahm, begriff er: Eames hatte Schmerzen, eine Verletzung oder sonst etwas. Wie sonst könnte der breitschultrige Mann stöhnen, weil er einen Koffer die Treppen hinuntertrug. Nicht dieser Mann, der gewohnt war einzustecken, der schon viel eingesteckt hat, und dessen so schön bemuskelter Nacken allein schon Arthur zeigte, dass er ein Kraftpaket war (an den schönen Rücken und den fein definiert bemuskelten Bauch dachte er lieber gar nicht erst). Einen Augenblick legte er den Kopf schief, wollte schon etwas sagen, schluckte aber die spitze Bemerkung hinunter. ‘Die Menschen wollen nicht immer die absolute Wahrheit hören. Sie wollen manchmal belogen werden. Und sie wollen nicht auf all ihre Fehler aufmerksam gemacht werden.‘ Ariadnes Worte kamen in ihm hoch. Sie konnte besser mit Menschen als er. Und vielleicht hatte sie recht. Er stieß vielen Menschen vor den Kopf, wenn er sie mit Tatsachen konfrontierte, die diese gerne unter den Tisch gekehrt hätten. Besonders wenn er es mit Idioten wie Bauleitern zu tun hatte…. Vielleicht war das bei Eames auch gerade so. Vielleicht sollte er die Dinge, die er sah, einfach mal nicht ansprechen. Vielleicht hatte jener vorhin deshalb erstaunt reagiert, als er Arthurs Sicht auf ihre ‚Beziehung‘ gehört hatte. Wobei Arthur eigentlich klar war, weshalb Tom da so reagiert hatte. Für jenen waren sie Freunde. Und er hatte ihm oft gezeigt, wie ‚wichtig‘ er ihm war. Er hatte oft gesagt, wie sehr er ihn wollte. Das war ihm alles einmal bewusst geworden. Und beinahe wäre er darauf hereingefallen. Doch er würde eines besseren belehrt. Eames kam nur zu ihm, wenn er ihm nützlich war - sei es als Point Man oder als Was auch immer er in ihm sah. Er meldete sich entweder für einen Job, oder wenn er betrunken war und sich sein Ego meldete, dass er ihn noch nicht rumgekriegt hatte. Bei der Antwort des anderen verzog Arthur keine Miene. Der Inder… Er schluckte. Es war gar nicht so einfach, friedlich zu sein, wenn der andere es nicht tat. Auch das Essen war eine eigentlich schöne Erinnerung. Eine Erinnerung an zu viele kitschige Deko, grell bunte Lichter, sehr gutes Essen und viel Gelächter. Er war schön gewesen dieser Abend. Nicht nur wegen Eames, aber hauptsächlich. Bis jener es wieder hatte übertreiben müssen. Wieso fuhr er damit auf? War das seine neue Art, ihn zu ärgern? Wollte er testen, wie er reagierte? Bei der Inception hatte der Forger es nie lassen können, zu sticheln, während sich Arthur um Professionalität bemüht hatte. Es war schließlich um Dom gegangen! Da hatte für nichts anderes Platz gehabt. Heute aber wurde das Sticheln zielgerichteter. Warum wollte er ihn ständig an die Zeit vor Tokyo erinnern? An den Abend vor sechs Jahren und die Zeit danach? Hing das auch damit zusammen, dass der Mensch gerne selektiv wahrnahm und sich nur an das Schöne erinnerte? Arthur schwieg vielsagend – offensichtlich reichte Eames das als Antwort, so dass er fortfuhr. „Nein, nicht wirklich“, entgegnete er trocken. „Mein Abend wird gerade gecrasht, der erste freie Abend seit 6 Monaten. Was erwartest du?! Aber Mexikaner klingt gut.“ Er hatte ein Bild vor Augen, das „La Esquina“. Noch war er dort nicht essen, was verwunderlich war für jemanden, der nur sehr selten (eigentlich nie) für sich kochte. Der Laden wirkte von außen eher wie ein in ein Diner gepresstes Restaurant mit Straßenverkauf – was er vermutlich auch war. Die fehlenden Buchstaben in der Werbung über der Tür wirkten nicht, als sei es dort besonders gepflegt. Aber er hatte schon von mehreren Seiten gehört, dass das Essen fantastisch sein solle. „Moment!“, sagte er nun aber schnell, als er sah, Dass Eames nach einem Taxi gewunken hatte. Er deutete dem Fahrer an, dass er weiterfahren solle. Seltsam. Immer wenn man eines brauchte, waren alle besetzt… Arthur blickte den Briten an. „Mein Wagen steht dort drüben…“, erklärte er mit einer Kopfbewegung. Dann griff er ohne etwas zu sagen Eames‘ Koffer, den dieser neben sich hingestellt hatte, und ging hinüber in Richtung seines Wagens. Im Gehen zog er den Schlüssel aus der Hosentasche und entriegelte das Auto, das sich mit dem Aufblinken der Lichter zu erkennen gab. Der Kofferraum öffnete sich und Arthur schob seine Trainingstasche zur Seite, um den Koffer einzuladen. „Steig ein“, wies er Eames ein, schloss den Kofferraum. Seinen Wagen würde er hier nicht stehen lassen, auch wenn er den Alkohol schon spürte. Noch war er klar genug. Ob es eine gute Idee war, ihn in der Nähe des Mexikaners stehen zu lassen, wusste er auch nicht. Aber er liebte sein Auto. Arthur wartete, bis er auf die Straße treten konnte, um zur Fahrertür zu kommen. In der Stadt, die niemals schlief, war der Verkehr auch um diese Uhrzeit dicht. Als er schließlich einstieg, schnallte er sich an, drehte die Zündung und ließ den Motor an. Fast augenblicklich die Musik losging – Flowers on the Wall von The Satler Brothers. Arthur hatte den Soundtrack von Pulp Fiction im CD Spieler. (https://youtu.be/Bg1di8sGxWc) Eilig drehte er die Musik leiser, dann blickte er in den Außenspiegel und reihte sich schließlich in den Verkehr ein. while you 'n' your friends are worried about me i'm havin' lots of fun Der Zahn, die Schmerzen – Eames hat Ärger gehabt, oder noch immer am Hals. Ein Job? Vermutlich hatte er sich mit den falschen Leuten angelegt. Oder sah er den anderen schon wieder zu negativ? Sie waren vielleicht keine Freunde, die sich an ihren freien Tagen besuchen kommen, um sich über alte Zeiten auszutauschen – aber sie waren doch irgendwie ‚Freunde‘ – was auch immer das bei ihnen heißen mochte. Sie hatten schon einiges zusammen erlebt und zuletzt hatten sie sich ja irgendwie doch ganz gut miteinander arrangiert. Arthur bremste an der roten Ampel ab und blickte Eames einen Moment an. „Was ist das für ein Job?“, fragte er ihn nun und klang weniger gereizt als vorhin noch im Terra Blues. Eames [[BILD=8335854.jpg]] Sein Abend wurde also gecrasht, so so. Eames musste sich regelrecht auf die Zunge beißen, um sich ein Lachen über diese Aussage zu verdrücken. Er kannte Arthur, auch wenn er selbst darüber eine gänzlich andere Meinung hatte. Der Point Man war kein Mensch, der Freizeit wirklich genießen konnte. Sein Verstand ratterte vermutlich die ganze Zeit hinter seiner intelligenten Stirn und jagte ihn automatisch von einer Aufgabe in die nächste. Wahrscheinlich war er heilfroh darüber, dass Eames ihn davor gerettet hatte, nicht jeden Zentimeter seiner Wohnung mit einer Zahnbürste zu putzen, oder anderen lächerlichen Kleinscheiß zu erledigen, damit sein getriebener Geist bloß nicht zur Ruhe kommen und sich mit sich selbst auseinander setzen konnte. Die Zeitangabe machte ihn jedoch trotzdem stutzig. Sechs Monate - seit sie den Fisher-Fall abgeschlossen hatten? Das war selbst für ihn eine lange Zeit. Es überraschte ihn, dass Arthur selbst zum Terra Blues gefahren war. Immerhin hatte er wohl eindeutig vorgehabt einen zu kippen... oder hatte er das falsch beobachtet? Er würde nun aber sicherlich nicht damit anfangen der Vernünftigere von beiden zu sein. Es reichte, dass er der Ältere war. »Schöner Wagen«, kommentierte er lediglich anerkennend und beließ es dann dabei. Der fröhliche Country-Sound, der aus den Boxen drang, als Arthur den Wagen startete, passte eindeutig nicht zur Stimmung, aber er war froh, dass er es zumindest leise weiterlaufen ließ. Eames hatte nie Probleme damit die Stille zu füllen. Auch nicht die Stille auszuhalten, aber im Augenblick musste er sich darauf konzentrieren, möglichst nicht allzu angeschlagen auszusehen. Er hatte sich auf dem Flug mit Oxycodon zugedröhnt (die leichten Sachen wirkten bei ihm nicht) und während er ruhig in der Bar gesessen hatte, war ihm nicht aufgefallen, dass die Wirkung langsam nachgelassen hatte. Arthurs Frage gewann Eames ein Lächeln ab, während er entspannt in dem komfortablen Beifahrersitz ssaß. Allerdings erwiderte er den Blick zunächst nicht, sondern starrte noch einen Augenblick weiter geradeaus auf die nassglänzende Straße, als er begann zu sprechen: »Ein krimineller Job. Wir rauben jemanden aus.« So wie eigentlich immer. Er hatte dieses füchsische, vorfreudige Lächeln aufgelegt, worauf häufig eine Pointe folgte, als er Arthurs Blick schließlich erwiderte. »Lass uns beim Essen darüber reden.« Das kleine Business-1x1: Immer beim Speisen verhandeln. Alkohol war auch nicht schlecht, aber in Maßen. Er wollte schließlich nicht, dass sich Arthurs unangenehme Gefühle ihm gegenüber noch verstärkten. Arthur [[BILD=^8335420.jpg]] Arthur investierte gerne in schöne Dinge, er konnte es sich letztlich leisten. Er wohnte in seiner eigenen Wohnung in seinem eigenen Mehrfamilienhaus nahe Harlem, dass er sich von dem Geld des Tokyo-Falls damals gekauft hatte. Er hatte keine eigene Familie, sein Einkommen war gut – und sein Nebenverdienst verdammt gut. Sein Geld verprasste er höchstens in Buchläden, im Musikladen oder für Bluerays – wobei er für all das eigentlich zu wenig Zeit hatte. Und er gab es für Klamotten aus – und die Reinigung selbiger. Das Geld, das er hatte, legte er an und machte sich die Mühe, den Wirtschaftsteil der Zeitung auch zu lesen. Seit 2008 die Börse gecrasht war, war er vorsichtig, auch wenn er nicht in Immobilien etc. investiert hatte. Dass er sich ein etwas teureres Auto leistet war sicher der Tatsache verschuldet, dass er sonst nicht wusste, was er mit dem Geld anfangen konnte - unabhängig davon, dass er schnelle und schicke Autos liebte. Seiner Familie half er natürlich. Aber auch da musste er aufpassen, damit sie keine Fragen stellten oder irgendein Schwager zum Betteln kam. Das Lächeln des anderen, als er ihn nach dem Job fragte, ließ ihn einen Moment schmunzeln. Er kannte dieses Lächeln, hatte es öfters bei Eames gesehen. Auch wenn er wusste, dass genau dieses Lächeln alle Alarmglocken schrillen lassen sollte, machte es den anderen aber auf eine Art sympathisch, der er sich nicht so leicht entziehen konnte. Die Antwort, die nun kam, war wenig befriedigend. Eher belanglos. Er war von nichts anderem ausgegangen und ein wenig Unmut regte sich wieder in ihm. Als Eames den Kopf drehte, fing er das Schmunzeln, das eben noch seine Lippen geziert hatte, wieder ein. Das Blitzen in den Augen des anderen war deutlich zu sehen, das Lächeln jetzt noch deutlicher. Vermutlich war es genau dieser Ausdruck, der alle Frauen (und auch Männer) sich Eames zu Füßen werfen ließ. Arthur jedoch nervte es, weil ihn die Antwort des anderen nervte. Sie zeigte davon, dass Eames ihn nie wirklich für voll nahm. Er hätte jetzt darauf bestehen können, dass der andere mit den Informationen herausrückte. Aber er wollte ja auch nicht zu offensichtlich zeigen, dass ein Teil in ihm erleichtert war, die nächsten zwei Wochen doch anders zu verbringen, als die Zeit abzusitzen. Daher richtet er den ungerührten Blick nach vorne, als die Ampel auch schon von Rot auf Grün sprang und der Verkehr weiterging. Es war nicht mehr weit und so sah er sich bald nach einem Parkplatz um. Erst ließ er ein Zeit Möglichkeiten vorbeiziehen, bis er sich zufriedengab und sich vor einen Juwelier stellte, der wenigstens Kameras vor der Tür hatte, die er anzapfen könnte, wenn seinem Auto etwas zustieß. Wobei das in Lower Manhattan eigentlich selten vorkam. Kapitel 4: Where is my mind? ---------------------------- *Arthur* [[BILD=^8335420.jpg]] Die kalte Luft beim Aussteigen draußen tat ihm erneut gut. Er hatte den Whiskey, den er eigentlich gar nicht hatte trinken wollen, viel zu schnell getrunken. Es war gut, wenn er gleich etwas zu Essen bekam. Seine Mutter hatte zwar nach allen Regeln der Kunst aufgefahren, aber er hatte keinen großen Hunger und das Training hatte einiges davon wieder verzehrt, so dass er wirklich dringend etwas Essen musste, wenn er zurechnungsfähig bleiben wollte. Er folgte Eames zu dem Restaurant, das - wie sich nun herausstellte - wirklich aus einem Straßenimbiss und einem Restaurant bestand. Vor dem Imbiss war einiges los. Etliche Hispanics standen um die Tische auf der Straße herum, andere saßen innen und aßen Tacos oder Burger. Eames steuerte jedoch auf den Seiteneingang zu, der in den Keller hinunterführte, wo sie einen verwinkelten Raum betraten. Es war rustikal aber sehr gemütlich eingerichtet. Ein großes Mosaik an der Wand zog die Aufmerksamkeit der Besuche gleich in seinen Bann. Darauf war ein Azteken-König zu sehen, der eine scheinbar ohnmächtige Frau auf einem Arm hielt, ein Adler flog hinunter, um eine Schlange zu packen und im Vordergrund stand, deplatziert wie Arthur fand, ein rotes Auto. Die Bar offenbarte eine große Bandbreite an Alkoholika, die Musik war spanisch – Chanchan (https://youtu.be/KODWcrncnUU), wenn er es richtig hörte - , entsprach aber keinem Klischee. Eine schwarzhaarige, zierliche Kellnerin kam auf sie zu, lächelte Eames an (offenbar kannten sie sich) und führte sie schließlich in den hinteren Bereich, wo noch zwei Plätze frei waren. Sie brachte kurz darauf die Karte, aber Arthur hatte sich bereits draußen entschieden, was er nehmen würde. Während Eames wohl die Karte studierte, blickte er sich noch etwas um, bis die Kellnerin wieder zu ihnen kommen würde. Er würde den anderen sicher nicht noch einmal wegen des Jobs fragen. Offenbar hatte der einen genauen Plan, wann er ihm Informationen dazu geben wollte – wie immer. Und sicher würde er ihm niemals alles sagen – wie immer. „Tomo un taco con pollo, ensalada de aguacate y una cerveza, por favor!”, bestellte er schließlich mit dem Schul-Spanisch, das er noch konnte. Dann blickte er zu Eames. *Eames* [[BILD=^8335427.jpg]] Sie sprachen kein Wort mehr im Auto worüber Eames im Verborgenen sehr erleichtert war. Eames, in seinem gewohnt, wiegenden Gang, der das volle Ausmaß seines immensen Egos zumindest andeutete, führte sie leichtfüßig in die Eingeweide des urigen Mexikaners. Hier hatte er bereits diverse Male seine Bedürfnisse nach saftigen Enchiladas und gierig fettigen Quesadillas gestillt. Er grüßte herzlich, aber unpersönlich. Gerade keine Kapazitäten für Smalltalk und er wollte Arthur partout nicht warten lassen. »Especialidad de la casa, por favor. Y una botella de vino. Blanco!«, damit schloss er die Karte. »Hoy eres hermosa, Candela.« Damit reichte er ihr die Karte, die sie grinsend entgegennahm. »Un momento«, antwortete sie und berührte Eames' Schulter, bevor sie sich entfernte. Sein unverschämtes Talent, sich Name und Gesichter zu merken, hatte ihn (quasi) noch nie im Stich gelassen. Äußerst praktisch in seinem Job. Wobei er mit Candela zu viel erlebt hatte, als dass er sie vergessen könnte. Die Stühle waren unbequem; er erinnerte sich daran, wieso er so selten vor Ort gegessen hatte. Höchstens an der Bar oder an der Küchentür im Stehen, wobei er die Kellnerinnen trotzdem gern mal vom Arbeiten abgehalten hatte. So was machte er zu Höchstzeiten mit links und verbundenen Augen. Er überschlug die Beine und machte es sich so bequem wie möglich. Dann erwiderte er Arthurs Blick. »Zwei Millionen. Wahrscheinlich mehr.« Candela stellte im Vorbeigehen ein Körbchen frisch geschnittenen Brots auf den Tisch, in den Eames gleich hineingriff. »MoneyGram ist dir ein Begriff?« Er teilte das Stück heller Backware und schob sich die Hälfte in den Mund. Arthur [[BILD=^8335420.jpg]] Ganz offensichtlich war Eames hier öfters schon gewesen. Die Kellnerin kannte ihn und als der Brite sie mit ihrem Vornamen ansprach, bestätigte sich der Eindruck. Die Berührung am Arm verriet noch viel mehr. Ob es in der Zeit gewesen war, als jener hier eine Zeit lang gelebt hatte? Damals hatten sie kaum Kontakt gehabt und Arthur war es ganz recht gewesen. Er war viel unterwegs gewesen, war viel an der Westküste gewesen bei Dom und Mal. Wie auch immer. Eames hatte hier offenbar viel Zeit verbracht und sicher nicht nur ins Essen investiert. Das Spanisch des anderen war flüssig und geübt, nicht so hölzern wie seines. Darauf standen diese Frauen vermutlich. Das und dieses Lächeln mit dem treudoofen Blick. Arthur wischte den Gedanken weg und blickte Eames unverwandt an. Als die Kellnerin gegangen war, schien sich sein Gegenüber endlich dazu herabzulassen, mehr zu verraten, weshalb er um die halbe Welt gereist war, um ihm seine Pläne über den Haufen zu werfen. Die Summe, die der Dunkelblonde nannte, klang hoch. Doch für wen das Geld war, sprach Eames nicht an. Zudem hörte Arthur ein ‚Wahrscheinlich‘ nie gerne, wenn es um dergleichen Jobs ging. Ein Wahrscheinlich konnte auch das Gegenteil bedeuten. Nicht, dass er das Geld so wahnsinnig dringend brauchte. Aber es war auch nicht so, dass er gar nicht wusste, was er mit diesem anfangen könnte. Abwartend sah er Eames an, Ungeduld in sich spürend, hinsichtlich dessen, dass er dem anderen wohl jedes Wort aus der Nase ziehen musste. Er wollte gerade nachfragen, als ihnen das Brot hingestellt wurde. Er ignorierte es, auch wenn sein Magen dankbar gewesen wäre - und sein Kopf sicher auch. Irritiert ob der eher überflüssigen Frage sah er Eames mit hochgehobener Augenbraue an. Moneygram war mit etwa 1,5 Billionen $ Umsatz im Jahr das zweitgrößte Geld-Transfer-Unternehmen der Welt. Natürlich kannte er es. Es ermöglichte vielen Menschen Geld von einem Land ins andere, von einer Stadt in die andere zu übermitteln. Allein in NewYork gab es gewiss über 50 Filialen. Seit 2004 war das Unternehmen unter dem Namen MGI MoneyGram International INC. an der Börse dotiert. Politiker werfen dem Unternehmen vor, den globalen Terrorismus zu unterstützen, da jeder mit einem Ausweis Geld ohne große Zeitverzögerung von A nach B schicken kann. Seit 2001 versuchte sich das Unternehmen mit zahlreichen Charity-Projekten ein besseres Image zu verschaffen. Katrina hatte 2005 ganz gut dafür hergehalten… Die Filialen gab es vor allem in Kanada, den USA und in Lateinamerika. Besonders auf den Inseln des Geldsegens war viel davon zu holen, weshalb dort investiert wurde. Aber auch in Europa, Asien und Afrika gab es Filialen. Gerade in Asien investierte das Unternehmen gerade massiv. „Willst du auf die Frage wirklich eine Antwort?“, war das einzige, was Arthur dazu zu sagen hatte. Nun griff er doch zum Brot. Er musste etwas essen, bevor das schwimmende Gefühl in seinem Kopf stärker wurde. *Eames* [[BILD=^8335427.jpg]] ‚Willst du auf die Frage wirklich eine Antwort?‘ Eames Kopf neigte sich zur Seite und er entgegnete ihm mit einem spitzen Lächeln. »Entschuldigung, meine Intention war nicht deinen Bildungsstand in Frage zu stellen, Arthur.« Provokant, aber längst nicht abwertend. Schließlich versuchte er noch immer Arthur zu überzeugen, bei seiner Sache mit zumachen. Am besten ohne ihm die schmutzigen Details drum herum verraten zu müssen. Also erzählte er ihm von Emanuel Jobs. US-Amerikaner mit italienischer Abstammung, zur Zeit im „Urlaub“ in New York. CEO von MoneyGram Inc. und zwar nicht irgendeiner. Er war zur Zeit der erfolgreichste Mitarbeiter und höchstwahrscheinlich auch Nachfolger des amtierenden Unternehmenschefs. Eine Flasche Weißwein und Bier wurden serviert, Candela schenkte ihnen ein. Eames trank, ohne anzustoßen und ohne besonderes Interesse an der Qualität des Weins, dann fuhr er fort: Trotz Freizeit (wahrscheinlich sah seine Definition davon so ähnlich aus, wie die von Arthur) hatte Jobs mindestens zwei Geschäftsessen in New York, von denen Eames wusste. Des Weiteren bekannt: Aufenthaltsort, Handynummer, Erkrankungen (Hypertonie und Diabetes Typ I) und einiges mehr. Eames behielt sich vor Arthurs Rückfragen, auf das Ende seines Vortrags zu verlegen. Salat und Tacos für beide. Mehr Informationen folgten nach den ersten paar Bissen. Das war bitter nötig gewesen. Die Gratis-Erdnüsse im Terra Blues hatten nicht wirklich satt gemacht. Eames hatte einen Mann bei der ‚fsociety‘, einer Hackergruppe, die selbst daran interessiert war MoneyGram zu Fall zu bringen. Sie wollten Chaos, das Geld interessierte sie nicht, so Eames. Leider hatte MoneyGram eins der am besten geschütztesten Computer-Systeme der Welt; sie hatten auch genug Geld, um in diese Sicherheit zu investieren. Sein Mann »Jesse«, brauchte einen Chip, den Jobs immer irgendwo in seiner Nähe hatte, vermutlich in seinem Hotelzimmer, oder bei einem seiner Sicherheitsmänner, aber sie hatten keine Zeit um das auf wachem Level herauszufinden. Ein paar Passwörter zu ergaunern schadeten auch nicht. Mit diesen beiden Kleinigkeiten; dem Wissen über den Standort des Chips und den Passwörtern; würde Jesse sie in zwei Minuten zu Millionären machen und nebenbei auch noch eins der korruptesten Unternehmen der Welt in den Boden stampfen. »Und nun der spannendste Teil...«, er wischte sich den Mundwinkel mit einer Serviette ab. Sein Blick war selbstsicher, er war vollkommen überzeugt davon, was er gesagt hatte. »Deine Ersteinschätzung.« *Arthur* [[BILD=^8335420.jpg]] Ja, Arthur mochte es nicht, wenn man ihn hinsichtlich seines Wissens und seines Jobs in Frage stellte. Er war Perfektionist und tat sich schwer, Abstand von seiner Arbeit zu gewinnen. Daher füllte er die freie Zeit, die er auch an normalen Arbeitstagen hatte, mit dem Lesen von Büchern, Zeitungen und Online-Nachrichten. Er hatte ein Auge auf die großen Firmen, die Branchenführer, die Unternehmen, die das Sagen hatten. Schließlich waren das diejenigen, die in den Fokus des Dream-Sharings rückten, wenn sie einen Auftrag erhielten. Dass Eames darüber nicht nachdachte, war ihm klar. Er machte sich scheinbargenerell wenig aus den anderen Menschen um sich, bis er sie brauchte oder hintergehen musste. Den leicht sarkastischen Unterton bei seiner Entschuldigung stieß Arthur auf, aber das gehörte zu Eames einfach dazu. Daher schwieg er, wartete ab, dass jener ENDLICH mal mit der Sprache herausrückte. Und während jener sprach, pinnte Arthur bereits in seinem Kopf die Wand voll, die er für sich zu Haues in seinem Arbeitszimmer mit allen wesentlichen Informationen bestückte, die er brauchte, um als Point Man seinen Job gut zu erledigen. Emanuel Jobs sagte ihm vom Namen her nichts. Aber sein Fokus lag im Normalfall ja auch nicht in Europa, so dass ein italienischer CEO ihm nicht unterkam. Dass er den Platz von Alexander Holmes einnehmen würde, klang plausibel, denn seitdem herausgekommen war, dass MoneyGram bei einem versuchten Anschlag auf den Time Square die Gelder dafür hatte fließen lassen, war er in starke Kritik geraten. CEO und für das Unternehmen so wichtig, dass er entsprechende Zukunftsaussichten hatte, bedeutete, dass jener sicher keine Freizeit hier hatte. Arthur vermerkte sich in seinem Kopf, dass er recherchieren musste, woher er in Amerika wirklich kam, welche Kontakte er noch pflegte. Vielleicht würde sich da etwas auftun. Diese Menschen wurden zwar immer mehr abgeschirmt und bewacht, aber viele waren so freundlich, über soziale Medien viele Informationen über sich preis zu geben. Das war meist sehr hilfreich. Als die Getränke kamen, ließ Arthur sein Corona (traditionell mit einem Stück Limette im Flaschenhals) erst einmal stehen. Noch mehr Alkohol vertrug er jetzt nicht. Er musste sich konzentrieren. Daher blieb er zurückgelehnt in seinem Stuhl sitzen, kaute auf dem Brot herum und wartete ab, bis Eames seinen Wein getrunken hatte. Die nächsten Worte bestätigten, dass Jobs nicht wirklich Urlaub im schönen New York machte. Geschäftsessen waren meistens Termine, die für ein Sharing selbst eher schlecht geeignet waren, außer man passte die Hin- oder Rückfahrt ab. Das Sicherheitsaufkommen war zudem meist höher, als wenn derjenige wirklich einer Freizeittätigkeit nachging und alte Freunde, oder besonders Freundinnen traf, bei denen sie ungestörter sein wollten. Dass Eames wusste, in welchem Hotel erlebte und wie seine Handynummer war, war erstaunlich aber gut. Wenn Eames einen Auftraggeber hatte, der ihn schon mit Informationen gefüttert hatte, dann zeugte das hin und wieder von etwas Persönlichem. Arthur runzelte kurz die Stirn. Sogar Erkrankungen waren bekannt? Diese normalerweise unbekannten Informationen waren Gold wert. Mit Bluthochdruck oder einem Abfall des Blutzuckers konnte man Menschen unvorsichtig werden lassen, um die perfekte Illusion zu schaffen. Doch eigentlich wusste so etwas nur jemand, der nah genug an Jobs dran war. Arthur notierte sich auf seiner imaginären Pinnwand, dass er die Kontakte in Italien hinterfragen musste. Wer hatte Interesse daran, dass Emanuel Jobs diffamiert war? Denn dass Eames allein darauf gekommen war, dass dieser Mann hier in New York gut zu knacken wäre und man dadurch an Kohle kommen könnte, wagte er etwas zu bezweifeln. Irgendwer wird ihn zumindest auf Jobs aufmerksam gemacht haben. Ihr Essen kam. Arthur atmete tief durch und ließ das Essen auf sich wirken. „Lass es dir schmecken..“; sagte er aus Gewohnheit. Es sah gut aus, es roch fantastisch und er hatte mittlerweile wirklich Hunger. Daher griff er nach einem der Tacos und biss hinein, während auch Eames erst einmal aß. Und mit jedem Bissen bedankte sich sein Magen und letztlich würde sich auch bald sein Kopf dafür bedanken. Als Eames schließlich fortfuhr, schärfte sich das Bild, wie der Forger auf ihr potentielles ‚Opfer‘ aufmerksam geworden sein könnte. Eine Hackergruppe erklärte einiges und fsociety sagte ihm etwas. Es klang plausibel, dass eine solche Gruppe Interesse an Turbulenzen eines solchen Unternehmens hatte. Nicht nur, um Chaos im Finanzwesen auszulösen und unter Umständen sich auch selbst daran zu bereichern, sondern weil ein Sicherheitssystem, wie es MoneyGram hatte Nervenkitzel und Herausforderung für diese Menschen bedeutete. Zudem würde es ihnen selbst vermutlich einiges erleichtern, Hacker bei der Hand zu haben, wenn sie sich denn aktiv an dem Diebstahl beteiligen wollten. Arthur hielt einen Moment inne, bevor er wieder in seinen Taco biss, als Eames schwammig wurde. Ein Chip? Nun, das war noch irgendwie plausibel. Aber noch „ein paar Passwörter“? Passwörter in falschen Händen fand Arthur eine weniger schöne Vorstellung. Und wieso wollte ‚Jesse‘ nur den Standort des Chips wissen, nicht den Chip selbst kopiert haben? Arthurs Blick wurde nachdenklicher, besonders beim Nachsatz. Dieses Unternehmen etwas der Kohle zu nehmen, die sie sicher auf verbrecherische Weise Jahr für Jahr erbeuteten, war eine Sache. Eine andere, es ‚in den Boden zu stampfen‘. Es gab genügend Menschen, die auf solche Dienstleistungen angewiesen waren, um ihren Familien beispielsweise Geld zu schicken, damit diese sich etwas zu Essen kaufen konnten. Arthur war kein großer Moral-Apostel – wie könnte er?! Aber alles hatte seine Grenzen. Eames endete ungewöhnlich. Seine Einschätzung wäre der spannendste Teil? Wieso so viel Honig? Arthur hatte angefangen seinen Salat zu essen und stach mit der Gabel ein Stück Avocado auf, das er sich in Gedanken versunken in den Mund steckte. „Four Seasons oder Ritz?“, fragte er schließlich und blickte Eames kurz an. Als jener ersteres bestätigte, nickte er nachdenklich. Sie hatten dort schon operiert. Er hatte sogar bereits Material, auf das er würde zurückgreifen können, auch einen Weg, das Gebäude noch einmal inspizieren zu können. Erneut wanderte sein Blick über seine Pinnwand. Einige Lücken klafften natürlich. Aber das würde sein Job sein, sie zu füllen. Der letzte Bissen wanderte in seinen Mund, dann legt er die Gabel weg. „Machbar“, sagte er knapp. „Wenn das wirklich alles ist, klingt es gut. Eine Traumebene sollte reichen, wenn das Setting on point ist. Mein oder dein Traum; eine Situation, in der er gezwungen ist, diese Dinge in Sicherheit zu bringen und aus der Passivität herauszutreten...“ Er zuckte mit den Schultern und sah Eames an, während er überlegte, wie er die nächsten Fragen formulieren wollte. Er griff zu seinem Bier und trank nun endlich einen Schluck aus der Flasche. In Gedanken hatte dieser Job bereits Formen angenommen, die Pinnwand füllte sich mit Fragen, denen er nachgehen müsste, um alles perfekt vorzubereiten. „Drei Fragen“, sagte er schließlich. „Erstens: Das Geld, das abgezwackt werden soll: stammt das aus einer bestimmten Transaktion oder wird es allgemein vom Firmenvermögen entwendet? Zweitens: Warum Jobs? Wie kommst du drauf? Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Hackergruppe auf dich damit zukommt. Wer ist der wahre Auftraggeber? Und schließlich drittens: Wieviel Zeit bleibt dir – bevor noch andere Körperteile von dir in Mitleidenschaft gezogen werden?“ Nicht, dass ihn das wirklich berührte. Aber der Zeitrahmen war wichtig. Zudem war da diese Stimme in ihm, die ihm flüsterte, dass er Eames nicht über den Weg trauen konnte. Nicht seit er ihn in Tokyo belogen hatte, den ganze Auftrag und sein Leben riskiert hatte, um sich selbst auf andere Weise zu bereichern, als abgesprochen gewesen war. War er nachtragend? Ja, vielleicht. Sollte es ihm gleichgültig sein, was damals passiert ist? Vermutlich. Aber zusammen mit dem Gedanken, dass er Eames hatte vertrauen wollen, dass er ihn als einen der wenigen Menschen an sich herankommen hatte lassen wollen, konnte er es nicht. Seitdem war ihm niemand mehr nahegekommen. Er hatte das bis heute nicht verwunden. Es ärgerte ihn sicher selbst am meisten, dass er nicht weiterkam. Seine Hand strich über sein Jackett, fühlte den Würfel in der Innentasche neben seinem iPhone. Er hatte noch keinen Weg gefunden, seinen Frieden mit damals zu finden. *Eames* [[BILD=^8335427.jpg]] ‘Machbar.‘ Allein diese Aussage war für Eames Bestätigung genug, dass Arthur an Bord gekommen war. Er war bereits jetzt so involviert, dass sämtliche Gedanken um die Informationsbeschaffung rund um Jobs kreisten. Das fleißige Uhrwerk drehte sich weiter und es war so präzise wie eh und je. Er kannte diesen Ausdruck auf seinem Gesicht; hatte ihn häufig beobachten dürfen, wenn Arthur scharf darauf war, das zu tun, was er am besten konnte: Informationen beschaffen, kategorisieren, zuordnen. Struktur, Spezifität; wahrscheinlich bekam er davon abends einen hoch. Und nun kamen wir zum Kreuzverhör, darauf war Eames bereits vorbereitet gewesen. Er tupfte sich erneut den Mund ab und ließ die Serviette auf dem leeren Teller liegen. Dann griff er zu seinem Weinglas (die Flasche war nun halbleer) und nahm einen genüsslichen Schluck, während die unangenehmen Fragen auf ihn einregneten. Vor allem die letzte, verpasste ihm einen Schlag. Er verzog das Gesicht, als wäre der letzte Schluck Wein in seinem Glas ungewöhnlich bitter gewesen und dachte kurz nach. Natürlich hatte Arthur mitbekommen, dass er angeschlagen war. Er war ein verfickter Point Man und er war gut indem was er tat. Einer seiner Mundwinkel zog sich nach oben, während er einen kurzen Moment nachdenklich auf die brennende Kerze auf dem Tisch zwischen ihnen starrte. Auch wenn er sich gern einbildete Arthur überlegen zu sein (das war nach wie vor sein verletzter Stolz), musste er sich eingestehen, dass es keinen Sinn machte dieses Spiel bis zu Ende zu spielen. Nicht, wenn er ihn bei der Stange halten wollte. Und dieses Mal ging es nicht nur um die Piepen. Es ging wahrscheinlich um sein Leben. »Jesse ist der Robin Hood der fsociety. Das Geld wird direkt von den Gehältern der hohen Tiere des Unternehmens abgezwackt, beziehungsweise von Jobs selbst. Deswegen die persönlichen Passwörter.« So viel um Arthurs Gerechtigkeitssinn zu beruhigen. »Jesse und ich sind gemeinsam auf Jobs gestoßen. Es gibt keinen anderen Auftraggeber. Alles was ich weiß kommt von ihm, oder von mir. Was deine letzte Frage betrifft...« Er sah sich um, als befürchtete er beobachtete zu werden. ».. du hast doch heute Nacht eine Couch frei, oder? Der Flug war echt hart. Wir können uns gern bei dir darüber unterhalten.« *Arthur* [[BILD=^8335420.jpg]] Die Reaktion des anderen schien ehrlich zu sein: er hatte einen Nerv getroffen, besonders mit der letzten Frage. Eames steckte in irgendwelchen Schwierigkeiten. Würde er ihm darüber die Wahrheit sagen? Oder würde er ihn anlügen? Arthur würde beides annehmen – oder eine Mischung daraus. Vermutlich würde er nur die Hälfte davon hören, was richtig war. Und er durfte nicht enttäuscht sein, wenn gar nichts richtig war und er wieder einmal auf das perfekte schauspielerische Talent des anderen hereingefallen war. Ja, verdammt, er hatte Lust auf einen Job. Er wollte gerne die nächsten beiden Wochen in etwas anderes Investieren, als Zeit tot zu schlagen. Aber er wusste um das Risiko, das ein Job mit Eames mit sich brachte. Geduldig wartete er ab, während sein Gegenüber in die Kerze blickte und vermutlich abwägte, was er ihm sagen wollte. Den Anflug eines Lächelns wusste er nicht richtig zu deuten. Vielleicht galt es sogar ihm und seiner Beobachtung – who knows. Wirklich schlau würde er aus diesem Mann ohnehin nie werden. Dafür waren sie zu verschieden. Die Antwort, die er letztlich bekam, wirkte ehrlich. Jesse war also ein Wohltäter? Er verteilte das Geld an die Armen? Na hoffentlich profitierten dann wirklich noch ein paar mehr, als nur sie beide davon. Ob Eames das Geld von Saito für den Fischer-Fall schon auf den Kopf gehauen hatte? Egal – interessierte ihn nicht. Aber vermutlich schon. Alle Informationen also von Eames und einem Hacker, der sich hinter einem seltsamen Pseudonym verbarg. Arthur biss sich auf die Unterlippe und spielte mit seiner Gabel. Er machte eigentlich nur Jobs, wenn er dem Auftraggeber in gewisser Weise vertrauen konnte. Oder jemand über den Auftrag entschied, der ehrlich war zu ihm – wie Dom. Seine Augen ruhten auf einem unbestimmten Punkt, während in ihm seine Dämonen aus der Vergangenheit kämpften – nun zumindest, bis Eames die letzte Frage beantwortet. Oder eben nicht beantwortete. Hatte sich der andere gerade umgesehen, ob sie beobachtet wurden? Irritiert sah er auf, als er eine Frage hörte, auf die er nicht wirklich vorbereitet war und für die er so schnell keine Antwort finden würde: …du hast doch heute Nacht eine Couch frei, oder? Eames? In seiner Wohnung? Seinem Heiligtum? Dem Ort, an den niemand kam, den er nicht wirklich mochte, oder nur für eine Nacht benutzte? Dieser ungehobelte Mensch sollte in seine Privatsphäre, die kaum jemand sehen durfte, so weit vordringen. Er hob überrascht die Augenbrauen und sah den anderen an, unwissend, was er erwidern sollte. Er schluckte, seine Gedanken überschlugen sich und irgendwie konnte er keinen klaren mehr fassen. Eigentlich war die Antwort klar: NEIN! NEVER EVER! Aber er brachte es auch nicht über die Lippen. „Wenn ich dir bei dem Job helfe, verlange ich eine Sache von dir!“, sagte er stattdessen. „Absolute Ehrlichkeit. Wenn sich hinterher irgendwie herausstellen sollte, dass du mich mal wieder verarscht hast, dann schwöre ich dir, dass ich dich töte, wenn du mich danach nur noch einmal ansprichst.“ Er sah den anderen eindringlich an, seine Augen hatten sich verengt. Zumindest würde das dann das letzte Mal gewesen, sein, dass er sich von dem Briten verarschen hat lassen. „Für eine Nacht“, hörte er sich dann noch sagen. „Und wenn du dich nicht benehmen kannst, schicke ich dich über die Feuerleiter direkt wieder nach unten!“ Hatte er das wirklich gesagt? Er musste von allen guten Geistern verlassen sein. Your head will collapse But there's nothing in it And you'll ask yourself Where is my mind (https://youtu.be/UYfh9YhUVdE) *Eames* [[BILD=^8335427.jpg]] Eigentlich war das keine Sache auf die man stolz sein sollte, aber es gab Eames immer ein triumphierendes Gefühl, wenn er Arthur aus der Fassung brachte. Selbst in dieser eigenartigen Lage und trotz der fiesen, stechenden Schmerzen, die sich gerade wie heiße Metallspitzen in seine Seite bohrten. Rechts, genau unterhalb seiner Brust. Er atmete schwer und konzentriert, als er Arthur zuhörte, wie er seine albernen Bedingungen aufstellte. Sein Gesichtsausdruck sagte nicht viel aus, er hatte eine Art indifferentes Stadium erreicht, indem er einfach nur abwartete und überlegte. Solange bis Arthur ausgesprochen hatte. Und er musste wirklich stark überlegen. Schließlich ging es nicht um irgendjemanden. Nicht irgendeinen Larry, den er nach diesem Job einfach verabschieden und wieder vergessen würde. Danke, dass sie für Thomas Eames Inc. gearbeitet haben. Für Ihre Mühen erhalten Sie: Einen Arschtritt weniger. – nein, es ging um Arthur und er drückte ihm gerade eine geladene Pistole auf die Brust. Ehrlichkeit... - ein weiteres Lächeln zog sich über Eames Gesicht. Diesmal ein sanftes; irgendwie verletzliches. Was Arthur wollte, war keine Ehrlichkeit. Er wollte nicht die „Wahrheit“. Er wollte Transparenz, Sicherheit, Kontrolle. Wahrheit war etwas wovor man Arthur beschützen musste; siehe Tokyo. Aber dieses Gespräch würden sie vermutlich nie führen, weil der Point Man seine eigene Sicht der Dinge hatte und überhaupt kein Interesse daran, wie es von Eames Seite des Ufers aussah. Could you take my place and stand here? I do not think you'd take this pain You'll be on your knees and struggle under the weight Oh, the truth would be a beautiful thing »Eine Nacht.«, wiederholte er. Die leeren Drohungen, bezüglich der Feuertreppe ignorierte er geflissentlich. Er hatte so gut wie nichts getrunken und er war längst darüber hinweg Arthur den Hof zu machen. Nichts Ernstes mehr. Das hieß nicht, dass er ihn nicht immer wollen würde, aber er hatte aufgehört es zu versuchen. »Wenn ich geduscht habe, sag ich dir alles, was du wissen willst.« Er winkte Candela herbei und zahlte für beide. Um die halbe Flasche Weißwein, die übrigblieb, war es nicht allzu schade. Kapitel 5: Tessellate --------------------- [[BILD=8336424.jpg]] *Arthur* “Und dein mildes Lächeln kannst du dir sonst wohin stecken! Ich meine das ernst!“, dachte Arthur, als er tief durchatmete. Dieses beschissene Lächeln zeigte ihm nur zu gut, dass Eames ihn dahingegen nie ernst nahm. Er hasste es! Sein ganzer Abend war den Bach runtergelaufen. Vermutlich der einzige, den er sich auch ohne Eames Erscheinen wirklich frei genommen hatte. Er hatte abschalten wollen, hatte Sex haben wollen! Und jetzt? Jetzt ließ er einen Straßenköter in seine Wohnung. Er hatte schon immer eine Schwäche für diese armen verwahrlosten Tiere gehabt, die einen so perfekt mit großen Knopfaugen ansehen konnten. Wie oft hatte seine Mutter ihn geschimpft, wenn er wieder mit einem ankam. Er sollte vielleicht mal eine größere Summe an den Tierschutzbund überweisen, um danach besseren Gewissens „NEIN!“ sagen zu können. Scheiß Mitgefühl! Scheiß Mitleid! Während Eames zahlte, ohne dass es Arthur wirklich mitbekam, weil seine Gedanken immer noch derangiert waren, lauschte Arthur in sich. Würde er fahren können? Vorhin hatte es sich nicht so angefühlt. Aber das Auto stehen lassen? Letztlich musste er nur die Madison Avenue hochfahren. Das würde schon gehen. Dafür würde er morgen nicht noch erst sein Auto aufgabeln müssen. Und er hatte auch gerade keine große Lust in die U-Bahn zu steigen. Das beschlossen, hob er den Blick und konnte gar nicht mehr protestieren, dass Eames für ihn mitgezahlt hatte. „Danke“, sagte er knapp. Er hatte immerhin eine Erziehung genossen, was manch andere offenbar nicht hatte. Zumal das Essen zu bezahlen das Mindeste für eine Nacht in seiner Wohnung war. Er stand auf, lockerte die Schultern und richtete sein Jackett, dann griff er in die Innentasche und holte sein Zigarettenetui heraus, während er dem Ausgang zusteuerte, um sich eine Fluppe in den Mundwinkel zu stecken. Er brauchte dringend eine Zigarette. Kurz bevor er die Stufen hinauf zum Ausgang steigen konnte, hielt ihn jemand am Arm fest und er drehte sich überrascht um. Vor ihm stand ein Gesicht, an das er sich zu erinnern glaubte. Mark? Mike? Irgendwie so… Jemand, mit dem er mal was hatte. Sie begrüßten sich kurz, bis sein Gegenüber sich zu ihm beugte und ihm erklärte, dass er gerne wiederholen würde, was sie einmal geteilt hatten. Wieso musste das ausgerechnet jetzt sein?! Arthur griff zu dem Bierfilz auf dem Tresen, zückte einen Stift und schrieb irgendeine Nummer auf. „Meld dich einfach mal…“, sagte er, nickte und setzte seinen Weg fort. Er ging nie mit ein und demselben Typen zweimal ins Bett. Draußen zündete er die Zigarette an und inhalierte den Rauch. Wortlos hielt er Eames das Etui hin. Sicher würde der auch eine wollen… Der kurze Weg zum Auto erfrischte ihn wie schon zuvor nach dem Terra Blues. Es war Februar, nass, kalt. Zumindest regnete es gerade nicht. Bevor er den Wagen öffnete, rauchte er noch in Ruhe zu Ende. „Hast du deine Wohnung in Mombasa noch? Wieso Kenia?“, fragte er, bevor sie einstiegen. Dann würde er zumindest zuhören können, während sie fuhren – sofern Eames darüber reden wollte. – sofern jener überhaupt mal was von sich preisgab. Er stellte seinen Wagen in der Tiefgarage ab, in der er einen Platz gemietet hatte. Aus dem Kofferraum holten er den Koffer und seine Sporttasche. Dann wechselten sie die Straßenseite und er öffnete die Tür eines fünfstöckigen Backsteinhauses, an dem so typisch die Feuerleiter hinunterführte. Er hatte das Haus an der Grenze zwischen Harlem und der Upper Eastside gekauft und kernsanieren lassen. Das hatte den Vorteil, dass er sich seine Nachbarn und die Hausverwaltung selbst aussuchen durfte. Im Grund war das Haus die Folge von Tokyo, er hatte es danach gekauft und viel Zeit darin investiert, um den Kopf frei zu bekommen. Der Fahrstuhl brachte sie nach ganz oben, wo auf dem Flur nur eine Wohnungstür und ein Zugang zu dem recht kleinen Dachboden zu finden war. Arthur öffnete seine Wohnung, schaltete das Flurlicht ein und hatte das Gefühl gerade einen dummen Fehler zu begehen. Aber vielleicht würde es nicht so schlimm werden. Schließlich hatte er Eames gewarnt. Dennoch wusste er zu viele Dinge, die ihn stören würden. Arthur hatte in seiner Wohnung eine ganz eigene Ordnung. Er mochte es nicht, wenn Dinge verräumt oder verschoben wurden... und überhaupt… Es gab auch einfach Dinge, die er nicht jedem (oder eben Eames) zeigte. Angefangen von seinem Nachnamen am Klingelschild, über Fotos bis hin zu seinem Arbeitszimmer. Sie betraten einen langen, durchaus breiten Flur. Eine antike Kommode stand neben der Tür auf dem Holzboden, den Arthur erhalten und erneuert hatte. Es knarzte leise, als sie eintraten. Bücherregale schossen an die Kommode die ganze Wand hinunter an. Hinter der Eingangstür befand sich eine Garderobe und ein Schuhschrank, die so üppig wirkten, als müssten hier mehr als nur eine Person leben. An der Garderobe hingen noch die Anzüge, die er am Vortag aus der Reinigung geholt hatte, aber noch nicht in seinen Kleiderschrank eingeordnet hatte. Arthur schloss die Tür hinter ihnen und drehte den Sicherheitsriegel um. Er zog sein Jackett aus, entledigte sich seiner Schuhe und knöpfte das Hemd an den Ärmeln und am Hals auf. Seine Clock am Gürtel würde er in den Waffenschrank räumen. Vom Flur weg gingen nur drei Türen. Eine führte in ein großes, sehr modernes Bad mit einer wirklich komfortablen Dusche und Fußbodenheizung; eine führte in das Wohnzimmer und eine in sein Schlafzimmer. Sein Arbeitszimmer konnte man nur durch das Schlafzimmer betreten. Die Tür zum Flur war hinter der Garderobe verschwunden. Arthur ging in Richtung Wohnzimmer, deutete auf die Badtür. „Da kannst du duschen..“, erklärte er knapp, setzte selbst aber den Weg fort ins Wohnzimmer. Der Raum war groß, annähernd quadratisch und an einer Seite mit einem großen offenen Zugang zu einer Wohnküche. Die Wände waren mit Bücherregalen bestückt, die nur durch ein CD-Regal inklusive Anlage, einen Ofen, ein Fenster und eine Tür unterbrochen waren. In einer Vitrine befanden sich verschiedene Gläser, daneben standen Alkoholika. Auf einem Regalbrett standen Fotos seiner Familie, die er im Laufe der Zeit geschenkt bekommen hatte. Nur eines hatte er selbst gewählt: zwei Kinder, etwa 4 Jahre alt; ein Mädchen, ein Junge – und doch unverkennbar Zwillinge; sitzend auf einer Wiese und in ihrer eigenen Welt versunken. Das recht große Sofa in der Mitte des Raumes stand auf einem großen Teppich und war auf den Ofen ausgerichtet. Die Wohnung wirkte geordnet, aber nicht steril, sie fühlte sich bewohnt an, gemütlich und durch den Holzboden auch warm – zumindest empfand es Arthur so. In den Bücherregalen selbst schienen die Bücher ohne Ordnung hineingestellt, aufeinandergestapelt und zwischengeschoben zu sein. Für Arthur hatten sie aber eine Ordnung. Zwischen den Bücherregalen befand sich noch eine Tür zu seinem Schlafzimmer, in dem er eine Wand hat einziehen lassen, um Platz für einen begehbaren Kleiderschrank zu haben. „Du kannst hier schlafen“, sagte er und deutete auf das Sofa. „Ich bau es dir nachher um…“ Er selbst ging in die Küche und machte auch dort Licht. In der Küche hatte er zum kleinen Balkon hin bodentiefe Fenster einbauen lassen, so dass es tagsüber wirklich hell hier war und der Blick auf den Centralpark gewährleistet war. Der Esstisch, an dem er gerne ausführlich frühstückte stand ebenfalls dort in der hellen Ecke. Die Küche selbst lag hinter einem Tresen auf der anderen Seite. „Du willst vermutlich gleich duschen. Handtücher liegen im Schrank. Nimm dir, was du brauchst!“ Er ging für sich zum Kühlschrank und holte eine Cola heraus, die er öffnete und daraus trank. Irgendwie fühlte er sich gerade wie gefangen in seiner eigenen Wohnung. Innerlich schüttelte er den Kopf über sich. Er würde das noch bitterlich bereuen. Da war er sich sicher. Auf die ein oder andere Art, vielleicht auf viele Arten. Aber: es ist nur eine Nacht. Irgendwie würde das schon gehen. Während Eames im Bad war, räumte er seine Waffe auf, schaltete schließlich den Fernseher in der Küche ein und schaute sich Nachrichten an. Dann musste er dem anderen zumindest nicht beim Duschen zuhören. Dass Eames noch immer Schmerzen hatte und offenbar die Wirkung der Medikamente nachließ, war offenkundig. Er hatte es beim Laufen gemerkt, im Auto, auf dem Weg zur Wohnung, im Fahrstuhl, beim Ausziehen der Jacke. Mittlerweile war er sich sicher, dass es die Rippen waren. Vielleicht sollte er sich das nachher mal ansehen. Scheiß Mitgefühl! *Eames* Da Eames noch ein kurzes Pläuschchen auf Spanisch mit Candela hielt (sie hatte eine Abtreibung gehabt und eine neuen Freund), bekam er nur am Rande mit, wie Arthur sich mit einem anderen Kerl unterhielt. Dennoch reichte es, um seine Eifersucht zu entfachen. Er schrieb ihm seine Nummer auf? Wtf – so lief das also? Eames schluckte und es fühlte sich an, als steckte ein wütender Klumpen in seinem Hals. Konnte schon sein, dass seine Antwort bezüglich Mombasa deswegen etwas flacher ausfiel. »Nun, es ist warm und die Polizei ist bestechlich...« Wenn er seinem ersten Impuls nachgegangen wäre, hätte er Arthur vielleicht noch reingedrückt, dass kenianische Prinzen eine durchschnittliche Schwanzlänge von 20 Zentimeter hatten und dass auch die Frauen dort unten nicht zu verachten waren. Bestünde bei beiden nicht das lästige HIV-Problem (nicht jeder, aber es war ein einfacher Fakt, dass die Krankheit dort unten weiterverbreitet war, als in nordamerikanischen Breiten) ... Aber er hielt sich zurück, das war der alte Eames. Der neue, reifere von beiden, brauchte sich nicht auf solcherlei Spielchen einlassen. Er hatte andere Wege und vor allem andere Sorgen... Die Wohnung war das, was Eames erwartet hatte: Stilvoll, ordentlich, edel und vollgestopft mit Wissen und Kultur. Ein perfektes, kleines Resort voll eigenbrötlerischer Perfektion. Dieser Ort war nicht dazu bestimmt von jemand anderem, als dem Lord persönlich betreten und genutzt zu werden. Aber das Problem hatte Eames früh bei Arthur erkannte... der Kerl war eine Insel. Und er hatte vergeblich versucht an Land zu kommen. Versuchte es unbewusst wahrscheinlich noch heute. (https://youtu.be/lX44CAz-JhU) Aber das simple Eintreten in seine Wohnung – vor allem unter diesen Umständen – würde ihm dabei keinen Fortschritt bringen. Ein Helm macht keinen Bergsteiger. »Komfortabel«, kommentierte er anerkennend und folgte seinem Gastgeber ins Wohnzimmer. Tatsächlich wollte er gerade nichts sehnlicher als Duschen und eine weitere Oxy einschmeißen. Diese hatte er geschickt versteckt in seinem Gepäck mitgeschmuggelt. Er verschwand also im Bad, samt all seinem Gepäck. Die Stelle unter seiner Brust sah furchtbar aus. Blau, grün, violett, zogen sich die Hämatome wie ein geschicktes Aquarellgemälde über die gebrochenen Rippen hinweg. An einer Stelle sah es sogar fast schwarz aus. Die hatten ihm ordentlich gegeben. Und dann sein Zahn... sein Eckzahn, links unten. Abgebrochen, fies und spitz. Sein Mund sah von innen schon immer typisch englisch aus. Die obere Zahnreihe war ok, aber die untere stand nahezu kreuz und quer, deswegen zeigte er beim Grinsen so selten Zähne. Trotzdem ärgerte er sich über das verlorene Stück und er nahm sich vor, diesem Bastard Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Er nahm eine Kapsel seines Zaubermittels; der süß-saure Nachgeschmack von Opioiden am Abend. Er würde nachher schlafen wie ein Baby. Dann stellte er sich unter die Dusche und genoss das herrlich warme Wasser dieser Luxusanlage. Arthur wusste schon, wie man es sich gut gehen ließ. Als er wieder aus dem Bad kam, war er in eine legere Jogginghose und einem weißen Shirt gekleidet. Der Holzboden knarzte auch unter seinen nackten Füßen wohlig heimisch, als er Arthur in der Küche Gesellschaft leistete. Mit nassem Haar und rasiertem Gesicht. »Die Geschäfte scheinen ja zu laufen.« Er schlenderte zu den immensen Fenstern herüber und bewunderte die Nachtansicht des Central Parks, der sich unter ihnen erstreckte und um diese Zeit in dimmriges Laternenlicht gehüllt war. Märchenwald. Die Hände hatte er in den weiten, bequemen Hosentaschen versenkt. »Wunderschön hier«, kam es, ein bisschen sehnsüchtig, dennoch anerkennend. Irgendwie fühlte er sich in dieser Wohnung wie in dem Zuhause, dass er nie gehabt hatte... falsch; in dem Zuhause, das er mit Absicht hinter sich gelassen hatte. Und er erinnerte sich plötzlich wieder daran, wieso… . *Arthur* Der Geruch von Duschgel, kombiniert mit Rasierschaum und Aftershave kam noch vor dem Eintreffen des anderen in der Küche an. Das vertraute Knarzen des Fußbodens ließ ihn wissen, dass Eames zu ihm in die Küche kam. Er schaltete den Fernseher aus und trank von seiner Cola, stellte die leere Dose auf den Tresen, an den gelehnt er dagestanden hatte. Dann beobachtete er, wie sein Gast ungewohnt bescheiden durch den Raum schritt. Etwas in Arthur entspannte sich, ließ ihn zur Ruhe kommen, durchatmen. Die Worte des anderen nickte er ab. "Kann nicht klagen", sagte er und seine Stimme klang etwas dumpf. Er stieß sich vom Tresen ab und folgte dem Briten zu dem Glasfenster, an dem er auch oft stand und seinen Gedanken nachhing. Einen Moment sahen sie beide hinaus und die Stille tat gut. Als Eames sein zu Hause als 'wunderschön' bezeichnete, drehte er den Kopf, blickte in das Spiegelbild an der Scheibe Eames einen Moment an. Da war nichts von Spott oder Ironie in dessen Blick, eher etwas wie Wehmut zu sehen. 'Wer bist du? Und was hast du mit dem Elefanten im Porzellanladen gemacht?', dachte Arthur bei sich, verwundert über so viel... Sanftheit. Daran könnte man sich gewöhnen. "Es ist mein Anker, mein Refugium, das ich brauche, um zu entspannen und zur Ruhe zu kommen", sagte er leise. Egal wie schnell sich die Welt drehte, egal wie anstrengend und aufwühlend sein Alltag war, egal wie riskant er lebte - er betrat die Wohnung und fühlte sich entspannt. Arthur drehte sich etwas mehr, um Eames nun direkt anzusehen. Der Blick schien in weiter Ferne. Woran er wohl dachte? Er würde ihn nicht fragen. Die Antwort hinsichtlich Kenia hatte ihm gezeigt, dass Eames offenbar keine Lust auf 'persönliche' Gespräche hatte. Und letztlich konnte ihm das nur recht sein. Diese schier vertrauensvolle Situation hier war ohnehin unerwartet. Sie sollten zum Wesentlichen zurückkehren und das war die Erklärung für die Umstände ihres Jobs. "Wie ich sehe, konnte dir die Dusche wieder Lebensgeister zurückgeben." Er lächelte leicht. Tatsächlich fiel ihm erst jetzt auf, wie abgekämpft jener vorhin im Vergleich zu jetzt ausgesehen hatte. "Sofa?", fragte er nun, um diesen Moment der unerwarteten Harmonie zu durchbrechen. "Was darf ich dir zu trinken geben? Möchtest du sonst noch etwas? Du hast insofern Glück, als dass ich anlässlich meiner freien Tage mal eingekauft habe..." Er hatte nie viel, und wenn vor allem lang haltbare Lebensmittel im Haus. Gestern - nein, mittlerweile vorgestern hatte er seit langem mal wieder auch frischere wie Obst gekauft. *Eames* Tatsächlich war seine Aussage (Wunderschön hier) in diesem Augenblick eher auf die Aussicht bezogen, die sich ihm von Arthurs (wahrscheinlich sauteurer) Wohnung aus bot. New York bei Nacht; diese atemberaubende Stadt, die niemals schlief und der Central Park. Aber er war froh, dass der Point Man es anders verstand; schließlich kamen solche harmonischen Augenblicke doch erschreckend selten bei ihnen vor. Und wenn er jetzt so darüber nachdachte, stimmte es ja auch. Es war einfach wunderschön hier, weil Arthur es erschaffen hatte. Das einzige was ihm zu schaffen machte, war sein erbärmlicher, verletzter Stolz. Wie immer. Die Lebensgeister, die Arthur ansprach, holten ihn aus seinen Gedanken an Zuhause und seine verflossene Liebe zurück. Sie waren sich merkwürdig nah, als er sich zu ihm umdrehte, was Arthur jedoch schnell wieder unterband, wie es schien, indem er einen Wechsel der Location und etwas zu trinken anbot. »Americano bitte, mit Zucker.« Er war nun eine ganze Weile in Italien gewesen und sein Gaumen war äußerst verwöhnt was Kaffee betraf, aber er hatte die edle Maschine in Arthurs Küche gesehen. Die sollten in der Lage dazu sein, seinen hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Er ließ sich im Wohnzimmer auf der Couch nieder. Es war schrecklich gemütlich und er spürte die Müdigkeit sogleich schwer in Kopf und Knochen. Allerdings musste er noch ein Weilchen durchhalten, dachte er. Arthur würde eine Erklärung von ihm verlangen und er war gewillt mit der Sprache herauszurücken... zumindest zum größten Teil. Er saß entspannt, breitbeinig in einer der Ecke des Sofas und hatte sich eine der Architektur-Zeitschriften geschnappt, die auf dem praktischen, kleinen Beistelltisch neben ihm gelegen hatte, als Arthur ihm sein Getränk servierte. »Bene, grazie«, entgegnete er charmant und wartete bis Arthur seine Position gefunden hatte, um ein Gespräch zu führen. Allein der Geruch des Kaffees machte ihn wieder etwas munterer und er fühlte sich etwas mehr in der Lage zu ein bisschen deep-talk am Abend. Er nippte einen ersten, heißen Schluck und stellte seine Tasse dann beiseite. ».. ich wär dann bereit für unangenehme Fragen.« Das Magazin ruhte zugeklappt, entspannt auf seinem Schoß, aber sein Blick war nun mit ungeteilter Aufmerksamkeit auf Arthur gerichtet. Abgearbeitet sah er aus, aber das konnte seiner Makellosigkeit keinen Abbruch geben, fand Eames. Bloody bastard... *Arthur* Mit einem Nicken ging Arthur in die Küche und schaltete die DeLonghi ein. Das Leben war zu kurz für schlechten Kaffee. Die typischen Geräusche erfüllten den Raum, während er zwei Tassen aus dem Schrank holte. Die Cola war erfrischend gewesen, aber nachdem er diese Nacht vermutlich ohnehin nicht wirklich zur Ruhe kommen würde, war Koffein sinnvoller. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, stutzte er kurz. Eames saß in all seiner Pracht auf seinem angestammten Platz, dem Platz, an dem er am liebsten saß, wenn er denn mal zu Sitzen kam. Dort, wo er vorgestern versucht hatte, eben diese Zeitschrift zu lesen, aber unterbrochen worden war. Die Art, wie jener dort saß, stieß ihm mindestens genauso auf. Eames vermittelte ihm einfach immer den Eindruck, als ginge er davon aus, als gehöre ihm die Welt mit allem was dazugehört. Er atmete tief durch. „Nur eine Nacht…“, betete er sich in Gedanken vor. „Nur eine beschissene Nacht…“ Er reichte seinem ‚Gast‘ den gewünschten Cafe Americano, überging den Dank und ließ sich an der anderen Seite des Sofas nieder, drehte sich seitlich, so dass er Eames ansehen konnte, lehnte sich an, zog die Beine an und aufs Sofa. Dann stellte er seinen Cappuccino auf seinem Knie ab, ohne die Tasse loszulassen. Weit saßen sie nicht auseinander. Er war normalerweise allein und viel Platz für eine Sofalandschaft hatte er nicht. Er konnte es zu einem Gästebett umbauen und es war einfach gemütlich. Nicht selten schlief er auf dem Sofa ein. Der Geruch von Kaffee war angenehm, das Sofa hatte die Wirkung auf ihn, die er eigentlich gerade nicht brauchte: Entspannung. Eine Entspannung, die unweigerlich zu Müdigkeit führte. Er war erschöpft, daran gab es nichts zu rütteln. Es war ein langer Tag gewesen, und in den letzten Wochen zu viel Arbeit. Gut, dass er sich einen Kaffee gemacht hatte. „Unangenehme Fragen“, echote Arthur schnaubend. „Sind sie wirklich so unangenehm, wenn ich einfach nur gerne wissen würde, warum du in deinem Zustand um die halbe Welt fliegst, nicht einmal in ein Hotel eincheckst, sondern dich gleich auf die Suche nach mir machst, um mich zu bitten, dir dabei zu helfen, an zwei Millionen zu kommen?“ Er musterte den anderen ruhig. „Du hast dir doch bestimmt schon eine nette Geschichte überlegt, warum deine Rippen gebrochen sind." Er deutete mit dem Arm, den er auf die Sofalehne gelegt hatte auf Eames Seite. Er streckte eben jene Hand etwas aus, rutschte so näher an Eames heran und zupfte kurz am Shirt. „Darf ich mal sehen?“ *Eames* Sein aufmerksamer Blick wich keine Sekunde von Arthur, genauso wenig wie sein selbstsicheres Lächeln. Als er nun jedoch seine Rippen ansprach, knickte Eames Kontenance ein wenig ein. Er hustete ein müdes, trockenes Lachen. Hin und wieder redete er sich Arthur klein. Ab und zu, wenn er sich von ihm angegriffen fühlte, klappte das auch ganz gut, aber es war nicht zu verleugnen, dass der junge Mann ein verdammt angsteinflößendes Talent besaß Details zu erkennen. Er hatte nicht geraten, so etwas widersprach seinem Naturell (das war eher sein Ding, dachte er – in Kombination mit unverschämtem Glück). Er hatte ihn studiert, abgewartet und war nun punktgenau gelandet. 1:0 für den Mann in der blauen Ecke, dachte er. Wortlos, rutschte er etwas vor und zog sich dann vorsichtig das weiße Shirt hoch, bis zur Brust. Die Schmerzmittel hatten bereits zu wirken bekommen, aber wenn man den Schmerz erwartete war man extra vorsichtig. Wieder sah er sich mit den bunten Farben des Hämatoms auf seinem Brustkorb konfrontiert. Die Größe entsprach etwas der eines DIN A5 Blattes und die Stelle wirkte eigenartig angeschwollen. Das waren nicht die ersten paar Rippen, die er sich gebrochen hatte. Neben dem Schlüsselbein waren dies die Knochen, die er sich in seinem turbulenten Leben bisher am meisten zerdeppert hatte. Daher meinte er einschätzen zu können, ob es ernst war, oder nicht. Solange er problemlos atmen konnte, dürfte alles i.O. sein, so viel stand fest. Rippen konnte man ohnehin nicht gipsten... sie mussten von allein zusammenheilen. Der Rest seines Oberkörpers sah halbwegs in Ordnung aus. Hier und da eine frische Schramme von seiner Auseinandersetzung mit Lorenzos Affen. Ein paar kleine, alte Narben, zwei recht prominente Narben von Einschusslöchern links unterhalb seines Bauchnabels und eben seine erblassenden Tätowierungen, die Arthur bereits kannte. »Diese Arschlöcher sind der Meinung ich schulde ihnen Geld.«, begann er schrecklich unbeeindruckt von seiner eigenen Story. »Aber der Grund wieso ich nicht in ein Hotel eingecheckt bin, sondern erst nach dir gesucht habe, ist ein anderer. Jobs reist in 11 Tagen wieder ab. Wir haben einfach keine Zeit zu verlieren.« Bite chunks out of me You're a shark and I'm swimming My heart still thumps as I bleed And all your friends come sniffing. Triangles are my favorite shape Three points where two lines meet. Toe to toe, back to back, let's go My love it's very late. 'Til morning comes, let's tessellate. (https://youtu.be/Qg6BwvDcANg) *Arthur* Als das immerwährende Lächeln erstarb, wusste Arthur, dass seine Schlüsse richtig gewesen waren. Im Grunde war Eames für ihn selten greifbar. Er handelte oft so irrational, so unkoordiniert, unvorhersehbar und sprunghaft, dass Arthur nie wirklich sicher war, woran er bei ihm war. Er konnte oft nicht nachvollziehen, was echt war und was gespielt, ein Witz oder sonst etwas. Zu ergründen, warum jener so handelte, wie er es tat, war rational betrachtet kaum nachvollziehbar – zumindest nicht, wenn man sich normalerweise auf Tatsachen, berechnete Wahrscheinlichkeiten oder rationale Schlüsse verließ. Letzteres allerdings konnte Arthur gut. Die gebrochenen Rippen waren der Konsens seiner Beobachtungen. Als Eames nach vorne rutschte und das Hemd hochzog, folgte sein Blick der Bewegung, die seinem Wunsch nachkam. Er schluckte und betrachtete das Gemälde aus Dunkellila, Schwarz, Blau und Grün, teilweise konnte man erahnen, wie der Gegenstand ausgesehen haben musste, mit dem er getroffen worden war. War das ein Schuhabsatz? Eames hatte versucht die Schmerzen zu kaschieren. Jetzt, da er es ohnehin wusste, sah man an der vorsichtigen Bewegung, dass die Schmerzen heftig sein mussten. Arthur pfiff leise durch die Zähne. „Da hat jemand ganze Arbeit geleistet…“, sagte er leise. ‚Das zeugt von Wut‘, fügte er in Gedanken hinzu. Dass man ziemlich einfach wütend auf Eames werden konnte, konnte er sehr gut nachvollziehen. Es gab mal eine Zeit, da hätte er nur zu gerne ganz ähnliche Dinge mit jenem getan. Gewiss hatte er jemanden belogen oder betrogen, über den Tisch gezogen oder beraubt – vielleicht auch alles zusammen. Wem auch immer der Forger auf die Füße getreten war, hatte ihn seine Wut spüren lassen. Ob Eames überhaupt so einsatzbereit war, wie er das sein musste? Sicher würden die Rippen mindestens vier Wochen brauchen, um wieder stabiler zu sein. Wenn die Schmerzen so heftig waren und er unter Schmerzmittel operieren musste, bedeutete das unter Umständen Risiken mit der Nebenwirkung hinsichtlich des Somnacins. Wieder ein Zettel an der imaginären Pinwand: er musste mit Yusuf besprechen, inwiefern das ein Risiko war. Als sein Gegenüber erklärte, was dahintersteckte, blickte er wieder auf. Geldschulden also… Seine Vermutung von vorhin war also richtig. Er wollte gerade eine spitze Bemerkung hinzufügen, als der andere nun den Zeitrahmen bekannt gab. Arthur sah ihn einen Moment irritiert an. 11 Tage bis zur Abreise? Also maximal 10 Tage zur Durchführung – besser 8? Das hieße, dass alle Recherchen in bestenfalls fünf Tagen abgeschlossen sein mussten, damit sie anschließend den Plan verfeinern konnten – den sie noch gar nicht hatten. Na das waren ja beste Bedingungen für ein Gelingen! Wortlos stand Arthur auf und stellte seine Tasse auf den Tisch, ging ins Bad und holte aus dem Arzneischrank eine Salbe. Dann kehrte er zum Sofa zurück und deutete Eames mit einer Kopfbewegung an, das Hemd wieder zu lupfen, während er sich bereits die Salbe auf die Finger drückte. Dann kniete er sich hin und begann die Hämatome mit einer abschwellenden und die Durchblutung fördernden Salbe einzuschmieren. Wenn Eames nicht fit war, würde die Operation riskant sein. „Ich hätte ja gute Lust dir zu sagen, dass du dich selbst aus der Scheiße reiten sollst, mein lieber Thomas!“, sagte er leise und man merkte, dass er genervt war, ziemlich genervt. Seine Augen folgten seinen Fingern, die vorsichtig die kühle Salbe auf die warme Haut des anderen verteilte. Nur kurz blickte er nun auf und sah den anderen an. „Aber ich habe schon zugesagt.“ Und er hielt sein Wort. „Sieh also zu, dass du bis dahin so fit bist, dass du nicht zur Gefahr wirst.“ Schwere Rippenbrüche hatten nicht selten Lungenentzündungen zur Folge. Einen Moment schwieg er wieder. In 8 Tagen alles vorbereitet und dann durchführen. Für einen Einbruch in den Geist eines Menschen, der mehr als gut bewacht wird. Arthur schüttelte den Kopf. „Du bist wirklich ein unverbesserlicher Idiot!“ Er drückte noch etwas mehr der Salbe auf seine Finger und fuhr fort, die Stelle einzureiben. Dabei glitt seinen Blick auch über die Narben, den Bauch des anderen, die Tätowierungen, deren Geschichte er gerne einmal hinterfragt hätte. Dann blickte er auf. „Bleiben uns nur fünf Tage Recherche, drei Tage Feinplanung und die Konstruktion zweier Träume, dann müssen wir Jobs schon knacken. Weiß Yusuf schon bescheid, dass wir ihn brauchen?“ *Eames* Diese Art von Zuwendung und Aufmerksamkeit war eine Seltenheit für Eames. Er war eben ganz und gar nicht der familiäre Typ. Das bedeutete jedoch nicht, dass er sich nicht danach sehnte umsorgt zu werden. Gerade, wenn er Arthur so ansah, wie er sich kümmernd vor ihm auf den Boden kniete und ihm die verletzte Stelle vorsichtig einschmierte, sehnte er sich sogar sehr danach. Der Fakt, dass es eben Arthur war und nicht einfach irgendjemand, verstärkte sein Verlangen natürlich und er genoss es, trotz des unangenehmen Drucks auf seinem Brustkorb, den die vorsichtigen Berührungen auslösten. „Ich hätte ja gute Lust dir zu sagen, dass du dich selbst aus der Scheiße reiten sollst, mein lieber Thomas!“ Eames sah ihn abwartend an. Wissend, dass Arthur noch nicht zu Ende gesprochen hatte. Diese Aussage war vielleicht eine Maßregelung, aber konnte keine Absage mehr werden. Er hatte Arthur bereits vor gut einer Stunde an Land gezogen und musste jetzt wahrscheinlich (hoffentlich) nicht mehr bangen, dass er ihm noch einmal absprang. Jetzt konnte er nach und nach mit den unangenehmen Details herausrücken. Auch Eames schwieg, als Arthur schwieg. Sein Blick folgte müde fasziniert den fürsorglichen, langen Fingern, die seine Rippen mit heilender Salbe bestrichen. Er wollte sich gern einbilden, dass sie gerade einen Moment hatten. „Du bist wirklich ein unverbesserlicher Idiot!“ - sie hatten definitiv einen Moment! Wenn der Point Man ihn beleidigen wollte, dann zielte er auf seinen Stolz ab. Gern auch unter die Gürtellinie. Aber diese Aussage war schon fast so etwas wie "Ich mache mir Sorgen um dich". Und Eames begegnete diesem neuen Beweis untrüglicher Fürsorge mit einem weiteren Lächeln aus dem eine gewisse Selbstironie sprach. »Ich habe mit Yusuf telefoniert, als ich gelandet bin. Er sagt Oxycodon verstärkt die Wirkung von Somnacin. Aber er kann mich auf dem richtigen Level halten. Wenn nicht... falle ich ins Koma, oder so. Dafür gibt's Adrenalinspritzen... Es wird mich nicht umbringen. Was Jobs angeht...« Er verzog das Gesicht, als Arthur eine besonders empfindliche Stelle berührte. Zum Glück war er so gut wie fertig. »... komm schon. Du beschwerst dich doch nicht ernsthaft wegen des Zeitdrucks. Du stehst doch auf die stressigen Fälle. Sonst ist dein Mastermind doch nur halb beansprucht.« Natürlich lag Arthurs Stärke in der Planung, aber Eames kannte den kleinen Narzissten, der in dem Point Man wohnte. Es gab ihm ganz schön viel den Tag für seine Kollegen zu retten. *Arthur* Yusuf war also schon an Board. Das beruhigte Arthur ungemein. Er hatte den Mann, den Eames damals aus Mombasa mitgebracht hatte, sehr schätzen gelernt. Der Chemiker verstand mehr von seinem Handwerk, als jeder andere, den er in der Branche bisher kennengelernt hatte. Wenn er schon mit diesem einen Chaoten hier vor sich arbeiten musste, dann beruhigte es ihn, dass er zumindest jemanden kompetenten hatte, der sie zur Not würde zurückholen können. Eames hatte offenbar dieselben Gedanken hinsichtlich Somnacin und Schmerzmittel gehabt, wie er. …falle ich ins Koma, oder so. Dafür gibt's Adrenalinspritzen... Es wird mich nicht umbringen. Seine Augen ruhten auf seinen Fingern, die die letzten Stellen eincremten, die Eames vermutlich nicht alleine erreichen würde, ohne dabei Schmerzen zu haben. Nur deshalb hatte er sich ja überhaupt dazu hinreißen lassen, ihn einzuschmieren. Zum Glück war er so gut wie fertig. Du beschwerst dich doch nicht ernsthaft wegen des Zeitdrucks. Du stehst doch auf die stressigen Fälle. Sonst ist dein Mastermind doch nur halb beansprucht. Arthur biss sich auf die Unterlippe, um das kurze Grinsen zu unterdrücken, das die leider teilweise wahren Worte des anderen verursacht hatten. „Es ist wenig Zeit“, sagte er nachdrücklich. „Ich habe nicht gesagt, dass es unmöglich ist.“ Ungerührt schraubte er den Deckel auf die Tube und blickte Eames erst jetzt wieder an. „Passt mir ohnehin ganz gut. Dann habe ich wenigstens anschließend noch ein paar freie Tage, an denen ich mich von dir erholen kann.“ Seine Augen blieben an dem Lächeln des anderen hängen, während er sich wieder aufrichtete und nun auf den anderen hinunterblickte. „In Zukunft kannst du dich alleine einschmieren“, knurrte er unvermittelt und warf die Creme dem anderen in den Schoß. „Hör auf zu Grinsen, als hättest du Geburtstag!“ Damit wandte er sich ab und ging in Richtung Küche, um sich die Hände zu waschen. „Wenn du nach dem Job nicht aufwachst, werde ich mir schwer überlegen, ob ich dir eine Adrenalinspritze verpasse. Ich glaube schlafend gefällst du mir am besten“, fügte er noch beim Hinausgehen hinzu. Das war das zweite Mal an diesem Abend, dass er einem verträglichen Eames begegnet war. Irgendwie gruselig. Würde der Kerl auf seine alten Tage noch irgendwie erwachsen werden?! Oxycodon – ein heftiges Schmerzmittel, aber mit ganz praktischen Nebenwirkungen, wie es schien. Einen Moment blieb er am Waschbecken stehen, betrachtete wie das Wasser abfloss, während er sich seine Hände abtrocknete. In elf Tagen wird der Spuk vorbei sein. Kapitel 6: Paradise Circus -------------------------- [[BILD=8336859.jpg]] *Arthur* Zurück am Sofa nahm er wieder seinen Cappuccino in die Hand und setzte sich wie zuvor hin. „Was musst du mir noch mitteilen, damit ich hinterher nicht beende, was diese Typen begonnen haben?“, fragte er nun. „Wer sind diese Arschlöcher – um bei deiner Wortwahl zu bleiben – eigentlich?“ *Eames* Anscheinend grinste Eames tatsächlich, als hätte er Geburtstag. Er fühlte sich wohl in Arthurs Bude und sie hatten einen Lauf. Kleine Sticheleien hier und da, waren ja nichts Ungewöhnliches bei ihnen. Eher im Gegenteil. »Deine mütterliche Fürsorge ist höchst wertgeschätzt.«, seufzte er ihm müde hinterher, als er einen Augenblick in die Küche verschwand. Solange legte er die Creme, die ziemlich ungünstig seinem Schritt gelandet war, samt Zeitschrift auf den Beistelltisch neben dem Sofa und schlürfte an seinem Americano. Die Creme musste noch einziehen, daher blieb sein geschundener Oberkörper weiterhin entblößt, als Arthur sich wieder zu ihm gesellte. „Was musst du mir noch mitteilen, damit ich hinterher nicht beende, was diese Typen begonnen haben?“ Seine Augenbrauen hoben sich amüsiert. Dies war definitiv nicht die erste Morddrohung, die er von Arthur gehört hatte (es war nicht einmal die erste an diesem Abend!). Sollten die irgendwann aufhören, würde Eames wissen, dass er verkackt hatte. Der Bequemlichkeit halber, zog er nun sein Shirt wieder runter und überschlug erneut seine Beine in gewohnter Weise. Ein feines Räuspern war von ihm zuhören, wie von einem wahren englischen Edelmann, der über eine prekäre Angelegenheit bei einer Ratssitzung sprechen wollte. »Ich habe ein paar Spielbanken... erleichtert. Und diese Jungs sind der Meinung, dass die Kohle ihnen gehört. Tz!« Wieder dieses trockene, sarkastische Lachen. Er teilte die Meinung der besagten Arschlöcher natürlich nicht. »Sie haben mich in meinem Hotel überrascht und verprügelt.« Als wäre das eine kleine, unangenehme Nebensächlichkeit. War tatsächlich ja auch nicht das erste Mal, dass ihm so etwas passierte. »Zum Glück haben sie nicht ins Gesicht geschlagen... Ich hab beschlossen sie zu bezahlen, damit ich weiterhin Urlaub auf Sizilien machen kann.« Er winkte ab. »Tut aber auch eigentlich nichts zur Sache, oder?« *Arthur* Konnte der Kerl sich nicht anziehen? Der Film der Salbe glänzte noch auf der braungebrannten Haut. Die Bauchmuskeln waren angespannt, was vermutlich an der Position, sicher aber auch an der Schmerzvermeidung lag. Irgendwer wollte ihn bestrafen. Arthur zwang sich den anderen ins Gesicht zu blicken. Hatte er schon erwähnt, dass er an diesem Abend eigentlich andere Pläne gehabt hatte? Offenbar bewirkten seine Worte wenigstens, dass jener endlich wieder das Hemd hinunterschob. Was hatte ihn nur geritten?! mütterliche Fürsorge – gut, dass er so weit weg gewesen war. War Eames wirklich so naiv? Dank der Streicheleinheit wusste Arthur jetzt, dass Eames nicht gelogen hatte und die Brüche nicht lebensbedrohlich gesplittert waren oder irgendwelche querstehenden Knochen in Organe stechen konnten. Es hatte sich so angefühlt, als seien die Rippen einigermaßen gerade durchgebrochen und alles war am richtigen Ort und musste ‚nur‘ wieder zusammenwachsen. Auch wenn er kein Fachmann für so etwas war. Letztlich wollte er doch nur sichergehen, dass Eames wirklich einsatzfähig war und blieb. Nur deshalb hatte er diese Aktion überhaupt gemacht! Die Umstände für die Rippenbrüche offenbarte ihm der Brite nun. Das vermutlich übliche Geschäft für einen Mann wie Eames, der perfekt täuschen konnte, der geschickte Finger hatte, der sich darin wohlfühlte, auf Risiko zu gehen – stets natürlich darauf bedacht, dass er gewann. Schließlich verfügte er über die Kenntnisse, wie man die perfekte Illusion einer perfekten Täuschung heraufbeschwor. Das musste Arthur leider neidlos anerkennen. In gewisser Weise war es beeindruckend, wie Eames agierte, wie er sich bei Jobs einbrachte. In gewisser Weise war er fasziniert davon. Im Grunde war es ihm auch völlig egal, dass Eames sich bei Spielbanken auf der ganzen Welt bediente und sicher schon einige Städte hatte, in denen er sich besser nicht mehr blicken ließ. Jeder hatte seine Stärken und jeder musste mit diesen das tun, was er konnte. Er stahl auch – Informationen. Man durfte sich nur nicht erwischen lassen. Umso schlimmer, wenn man es doch tat, denn die Frage war dann, was es nach sich zog und wen man damit hineinzog – in diesem Fall hier: ihn. Sizilien, Spielbanken, irgendwelche Handlanger, die jemanden verprügeln? Klang ganz nach altehrwürdiger Mafia-Arbeit. Auf seiner Pinwand heftete er die Frage an, ob Jobs bereits von Dream-Sharing wusste und Abwehrstrategien kannte. Noch einmal würde ihm so etwas wie damals bei Fischer nicht passieren – wobei das nur teilweise seine Schuld gewesen war. Der Schwarzhaarige trank einen Schluck seines Cappuccinos, als er sich fast verschluckte. Eames schätzte sich glücklich, nicht ins Gesicht getroffen worden zu sein? Arthur blickte von seiner inneren Pinwand auf und sah den anderen an. „Ja, welch ein Glück!“, stellte er trocken fest. „Der Typ scheint dich ja in sein Herz geschlossen zu haben. Vermutlich hast du dich vorhin so umgesehen, weil er dir zum Kuscheln Begleitpersonal mitgegeben hat?“ Wobei? Etwas könnte an Eames Aussage nicht passen - die Spitze des einen unteren Zahns fehlte, das wusste er mittlerweile. Er schüttelte leicht ungläubig den Kopf. „Nein, tut es wirklich nicht“, schloss er nun doch das Thema.Auch wenn er wusste, dass das nicht stimmte.Vermutlich war das der Knackpunkt. Seine dunklen Augen betrachteten das Gesicht seines Gegenübers. Urlaub auf Sizilien Das ganze Leben dieses Mannes war auf ‚Urlaub‘ ausgerichtet, oder? Seine Arbeit diente nur diesem einen Ziel: der immerwährende Urlaub in einem warmen Land auf Kosten anderer. Alkohol, Komfort, Sex, Ruhe, Essen, … Dekadenz und Luxus genießen, ohne sich auch nur um irgendwen und irgendwas zu scheren. Es war ja nicht so, dass er nicht auch gerne mal Urlaub auf Sizilien machen würde... Aber der sähe sicher anders aus, als der, den Eames meinte. Arthur schüttelte den Gedanken bei Seite und trank noch einen Schluck. Er wurde müde. Aber damit war er nicht allein. Auch Eames wirkte wieder müde. Vielleicht sollten sie schlafen gehen. „Ist das dann wirklich alles, was ich wissen muss? Zum Beispiel das mit deinem Zahn?“, fragte er daher. „Ansonsten würde ich vorschlagen, wir gehen schlafen. Etwas Schönheitsschlaf wird dir nicht schaden. Ich muss dir noch dein Bettzeug holen…“ *Eames* Die Frage, ob diese Jungs ihm „Begleitpersonal“ zum „Kuscheln“ mitgeschickt hatte, beantwortete Arthur sich anschließend selbst: Es spielte keine Rolle - vorerst nicht. Eames verharrte wortlos, zuckte die Schultern, schürzte die Lippen. Er wusste, dass die Mafiosi irgendwo in New York sein mussten (irgendwo in seiner Nähe), aber tatsächlich hatte er bislang nicht das Gefühl gehabt, verfolgt worden zu sein. Arthur hatte eventuell etwas mitbekommen, was seiner Aufmerksamkeit seither entglitten war... Scheiß Spiel. Dennoch behielt sich Eames vor, die Sache anzusprechen, sollte sie seiner Meinung nach gefährlich werden. Er würde Arthur beschützen, wenn nötig, aber er war sich ziemlich sicher, dass dies nicht nötig sein würde. Er winkte ab. »Mein Mund ist so wie so voll mit Scherben«, schmetterte er die Bedenken bezüglich seines abgebrochenen Zahns ab. Sogar das hatte Arthur bemerkt. Gott wusste, was sonst noch alles... die drei Kilo, die er seit ihrer letzten Begegnung zugenommen hatte? Dass er den Frisör gewechselt hatte? Gruseliger, kleiner Wunderknabe. Er hasste und liebte ihn dafür. »Lass uns einfach schlafen. Wenn mir noch was einfällt, erzähl ich's dir beim Frühstück.« *Arthur* Arthur nickte und stand vom Sofa auf. "Geh ins Bad, ich mach dein Bett", sagte er noch. 'Sein Mund - ein Scherbenhaufen. Wie wahr... Und vermutlich machte das zusammen mit den viel zu schön geschwungenen Lippen das Lächeln des anderen so attraktiv - für Frauen', dachte der Schwarzhaarige während er ins Schlafzimmer ging, um aus dem Schrank Decke und Kissen zu holen, beides zu beziehen, um schließlich mit diesen und einem Leintuch zurück ins Wohnzimmer zu kommen. Er legte die Sachen auf einem Sessel ab und machte sich daran, das Sofa so umzubauen, dass eine größere Liegefläche entstand. Dann bezog er es mit dem Leintuch und legte Decke und Kissen drauf. Er war müde, das merkte er. Die Kaffeetassen stellte er in die Geschirrspülmaschine und trank noch ein Glas Wasser. Er hörte, dass Eames gerade aus dem Bad kam und ging ihm entgegen. Dort schloss er die Tür hinter sich. Der Geruch nach Duschgel, der so fremd und vertraut gleichermaßen war, erfüllte den Raum. Es war ein ungewohntes Gefühl, Eames hier in seiner Wohnung zu haben. Immerhin benahm jener sich einigermaßen. Keine dummen Kommentare, keine großen Sticheleien. Arthur ging zum Waschbecken. Er sah es nicht gleich, aber etwas irritierte ihn. Er wusch sich das Gesicht, blickte in den Spiegel und griff zu seiner Zahnbürste, als er stutzte. Sein Mund verzog sich verärgert, seine Stirn zog sich zusammen. Dann nahm er die Zahnbürste des anderen aus SEINEM Zahnputzbecher und legte sie daneben. Was fiel diesem Tölpel eigentlich ein!? Arthur nahm seine Zahnbürste, setzte die allabendliche Prozedur fort und hielt dann wieder kurz inne, trat ein paar Schritte zur Seite und blickte in die Dusche. Das Duschgel des anderen stand neben seinem, geöffnet und vermutlich roch es daher so intensiv danach. Das Gefühl, dass hier gerade was schief lief, breitete sich genüsslich in Arthurs Magen aus. Und der Gedanke, dass Eames nicht vorhatte, morgen hier wirklich wieder das Feld zu räumen, war präsenter denn je. Arthur schloss den Deckel und versuchte sich wieder etwas zu beruhigen, während er fortfuhr. Seine Bemühungen erhielten jedoch einen herben Dämpfer, als er in den Flur trat und sah, dass an der Garderobe mehr als nur eine Jacke seines Gastes hing. Mit etwas verkniffenem Gesicht betrat er das Wohnzimmer und baute sich vor Eames, dem das Gästebett offenbar sehr taugte, auf. "Nur, damit wir uns wirklich verstehen", sagte er und kämpfte mit seiner Beherrschung. "Morgen suchst du dir etwas anderes. Es gibt folglich keinen Grund dich überall so auszubreiten, als seist du hier eingezogen." Damit wandte er sich ab und ging in sein Schlafzimmer. Bevor er die Tür schloss, rang er sich noch ein "Gute Nacht!" ab. It's unfortunate that when we feel a storm We can roll ourselves over when we're uncomfortable Oh well, the devil makes us sin But we like it when we're spinning in his grip (https://youtu.be/jEgX64n3T7g) *Eames* Abstrakt diese strikten Abläufe, dachte Eames, ging aber wie geheißen ins Bad, um sich schlaffertig zu machen – ein bisschen Kuschen, für allgemeinen Seelenfrieden. Bei den meisten anderen alten Bekannten, hätten sie vielleicht noch eine Flasche Whiskey aufgemacht (Arthur war bestens ausgerüstet was Alkoholika anbelangte, das hatte er gesehen) und die halbe Nacht gequatscht. Vielleicht ein bisschen rumgemacht. Nicht jedoch mit Arthur. Obwohl es hin und wieder mal besser (oder weniger schlecht) bei ihnen lief, waren sie seit Tokyo nie wieder so zusammengewachsen, wie davor. Und das war das, was noch viel abstrakter war, als diese ganzen routinemäßigen Abläufe hier. Eames war bis zum Kragen emotional involviert und Arthur... eben nicht. Beziehungsweise: er stand sich selbst zu sehr im Weg. Vertrauen, bedeutete Risiko; Kontrollverlust! Das war nichts für ihn und seine fein strukturierte Welt, in der jedes Zahnrad in das nächste griff. Eames fühlte sich kurz wie ein schwitziger Teenager, den man am Abschlussball sitzen gelassen hatte. Vielleicht würde er sich selbst nochmal an Arthurs Whiskey-Sammlung bedienen, wenn die Lichter aus waren. Irgendwie erwartete Arthur doch, dass er etwas Dummes tat, also was sollte es schon? Die frisch bezogene Schlafstätte war eine Wohltat für seine gejetlaggten und geschundenen Knochen. Er würde schlafen, wie ein Baby. Nicht jedoch ohne sich den Wecker zu stellen... "Nur, damit wir uns wirklich verstehen".... Eames zog die Stirn kraus und sah schläfrig verwirrt zu ihm auf. Verkniff sich auch nicht den obligatorischen Blick auf sein wütend wackelndes Hinterteil, als er sich umdrehte und ins Schlafzimmer stampfte. Wie zwanghaft konnte man denn sein?, dachte er und lachte leise in sich hinein, nachdem er den Nachtgruß erwidert hatte. Arthur hatte bislang nicht erlebt, wie es war, wenn Eames sich wirklich irgendwo heimisch ausbreitete. Der Gedanke an Arthurs vermeintlich komplett entgleistes Gesicht bei jedem Anblick war grandios. Kapitel 7: Can't sleep ---------------------- *Arthur* [[BILD=^8335421.jpg]] Endlich schlafen! Der Tag war anstrengend gewesen, er war lang gewesen, er hatte seine Nerven strapaziert – besonders die letzten Stunden. Aber jetzt war alles gut, er lag in seinem Bett unter der schönen warmen Decke. Alles war wie gewohnt, das Licht im Raum, die Geräusche der Straße, die trotz der Fenster zu ihm drangen, der Geruch seines Bettes,… Es dauerte einige Minuten, bis er merkte, dass sich seine Augen wie von allein wieder geöffnet hatten und er in die Dunkelheit starrte, die letztlich keine war. Er hatte es noch nie gemocht in absoluter Dunkelheit zu schlafen. Und während er als Kind sogar bei Licht hatte schlafen müssen, reichte es ihm mittlerweile, einfach nur nicht die Rollläden herunterzulassen. Das Licht der Straßenlaternen und der Laternen des Central Parks reichten ihm eigentlich, dass er alles sehen konnte, was er sehen wollte. Und doch hatte er gerade das Gefühl, dass das nicht reichte. Erneut zwang er sich die Augen zu schließen, sich zu entspannen. Er musste schlafen, dringend! Er hätte keinen Cappuccino trinken sollen. Das war ein Fehler gewesen. Ein dummer Fehler. Scheiß Koffein! Sicher nur der Cappuccino. Das ging vorbei… Er lag nach rechts gedrehte, so wie er immer einschlief, so wie er am besten schlief. Doch schon bald starrte er wieder auf die Wand, hinter der etwas lag, was nicht gewohnt war – oder besser jemand. Arthur atmete tief durch, spürte, wie er begann, sich über sich selbst zu ärgern. Wieso konnte er diesen Menschen nicht einfach ausblenden? Er war doch müde – gewesen. Im Moment spürte er gar nichts mehr von dieser Müdigkeit, die ihn vorhin noch vom Sofa getrieben hatte. Oder war er geflohen? Er spürte die warme Haut immer noch unter seinen Fingern, sah den geschundenen Oberkörper vor sich, den flachen Bauch mit den Tätowierungen, den Einschusslöchern. Er sah diese Augen vor sich, die ihn so seltsam angesehen hatten, als sie gemeinsam in der Küche gestanden hatten. Er sah den Mund des anderen, den ein sanftes Lächeln geziert hatte, während er ihm drohte, ihn umzubringen, wenn er ihn wieder einmal an der Nase herumführte. Und das tat dieser Bastard sicher! Daran bestand kein Zweifel. Zwei Millionen, um Schulden zu bezahlen? Nun, angeblich wäre es nur eine Million abzüglich der Nebenkosten – und dennoch. Das stank bis zum Himmel und noch weiter. Das große ‚Aber‘ würde erst noch kommen. Wieso hatte er nicht abgelehnt?! Arthur war sich klar darüber, dass allein die Aussicht auf Arbeit ihn schon weich hatte werden lassen. Wenn er nicht zwei Wochen Zwangsurlaub aufgedrückt bekommen hätte, hätte er leichter Nein sagen können. Ob Ariadne vorher wusste, dass Eames kommen wollte? Nein, das war nicht wirklich möglich. Schließlich hatte sie schon vor einer Woche angefangen, auf ihn einzureden, nach dem Abschluss des Vertrages sich etwas Zeit zu gönnen. Und wenn Eames Geschichte wahr wäre, dann wäre es da noch nicht zur Eskalation gekommen. Arthur drehte sich in seinem Bett auf den Rücken, bettete seinen Kopf auf seine Hände und starrte zur Decke. Von Müdigkeit keine Spur! And I know that it's not much to say but I swear that I'd like to change I can't sleep, I hope I stay awake Cause I've been running, running, running all day Long nights, no peace, I feel like everybody's eyes on me (https://youtu.be/zfwFGQM4D1E) Eine halbe Stunde schaffte er es. Eine ganze halbe Stunde lag er da und wälzte seine Gedanken - bevor er aufstand und ins Nebenzimmer schlich. Sein Arbeitszimmer war aufgeräumt und ordentlich. In der einen Ecke beim Fenster standen die beiden ledernen Liegesessel, in denen er sich vernetzte, um seine Konstruktionen zu testen. Eine große Pinnwand zierte die andere Seite – momentan leergeräumt, weil kein Fall anstand. Dann folgte ein Regal mit Ordnern, feinsäuberlich beschriftet mit Informationen zu allen möglichen Firmen, Hotels, Politiker, etc. Zudem befanden sich seine Notizbücher in dem Regal in Kartons, sortiert nach Jahren. Dann folgte ein langer Schreibtisch, über dem teilweise auch eine Pinnwand hing, teilweise eine große Weltkarte, auf der etliche Nadeln seine Einsatzorte markierten. Irgendwann wollte er die ganze Welt bereist haben… Die Pinnwand über dem Schreibtisch schien der einzige Ort mit Chaos zu sein. Dort hingen vor allem Zeichnungen von Ideen, die er noch umsetzen wollte, oder von Konstrukten, die er bereits einmal umgesetzte hatte und auf die er in gewisser Weise stolz war. Zeichnungen von Paradoxons und Labyrinthe, die er in ruhigeren Minuten aufs Papier brachte. Zeichnungen von Gegenständen, Orten, die eine Erinnerung für ihn bedeuteten – meist ein gut abgeschlossener Fall. Und dann hingen da noch seine Kritzeleien: meist Gesichter von den Menschen, mit denen er als Point Man zu tun hatte – zumindest die, die ihm etwas bedeuteten: Dom, Mal, Ariadne, Yusuf, Michael (ein deutscher Forger), Ethan (ein Chemiker aus L.A.) hingen dort; und auch Eames – warum auch immer. Zudem hingen da noch die Zeichnungen, die er aus der Erinnerung an seine Schwester angefertigt hatte. So, wie er sich an sie erinnerte, aber auch so, wie er glaubte, dass sie mittlerweile aussehen würde – wenn sie noch lebte. Arthur war durch den Raum geschritten, hatte sich Papier genommen und begonnen all die Gedanken, die er sich an diesem Abend bereits zu dem Fall gemacht hatte, auf einzelne Zettel zu schreiben. Alle von Eames gebotenen Fakten, alle Fragen, denen er noch nachgehen wollte, eine erste Idee, wie man vorgehen könnte. Manche Fragen notierte er nicht. Fragen, die Eames Glaubwürdigkeit betrafen. Er konnte momentan nicht garantieren, dass jener nicht den Weg hierhinein finden würde. Daher war es besser, diese Fragen nur in seinem Kopf zu pinnen. Klar war, dass sie die Gewohnheiten ihres Ziels studieren mussten. Arthur füllte die leere Wand, notierte sich weitere Fragen und trat schließlich zurück, um seine Darstellung zu betrachten. Noch waren es mehr Fragen, als Fakten, aber das würden sie in den nächsten Tagen ändern. Sein Blick wanderte zu seinem MacBook, das auf seinem Schreibtisch lag. Kurz überlegte er, ob er nicht gleich beginnen sollte, mehr Informationen zu sammeln, als sein Blick auf die Uhr fiel, die an der Wand hing und neben der Uhrzeit in New York noch die von Los Angeles und Mombasa zeigte. Es war mittlerweile vier Uhr. Arthur seufzte und beschloss, doch lieber schlafen zu gehen. Wenn sein Handy in vier Stunden klingelte, sollte er wenigstens etwas geschlafen haben. Apropos Handy… Leise schlich sich Arthur durch das Wohnzimmer in den Flur und zog sein iPhone aus der Jackettasche, nachdem er Eames Jackett erst einmal auf einen Kleiderbügel gehängt hatte. Dieser Kerl… als ob er hier wohnen würde. Das dumpfe Gefühl von Ärger, das er vorhin schon im Bad gespürt hatte, regte sich wieder in seinem Magen. Während er noch einmal ins Bad ging, schaltete er sein iPhone wieder ein. Es surrte mehrmals und verriet ihm, dass Mails eingetroffen waren, Anrufe verpasst wurden und verschiedene Nachrichten darauf warteten, gelesen zu werden. Verwirrt starrte er auf sein Handy, das ihm letztlich klar machte, dass Eames ihn im Vorfeld über dreißig Mal auf verschiedene Arten versucht hatte, zu kontaktieren. Während er zurück in sein Schlafzimmer tigerte, blickte er auf diesen Mann, der so friedlich dalag, dass man kaum glauben mochte, wie er es schaffte, sein Leben immer wieder in seinen Grundfesten zu erschüttern. Hatten ihm diese Männer wirklich so viel Angst gemacht? Oder war da noch etwas anderes im Spiel? Über diese Frage grübelnd schlief er letztlich doch noch ein. Kapitel 8: Ain't no rest for the wicked --------------------------------------- [[BILD=8337504.jpg]] *Eames* Pünktlich um 6:30 a.m. weckten ihn die Schmerzen. Er hatte keinerlei Schwierigkeiten gehabt einzuschlafen (ein Hoch auf verschreibungspflichtige Betäubungsmittel in Kombination mit Alkohol), aber leider wirkten Oxycodon "akut" nicht lange genug, um ihn seine gewohnten sieben Stunden durchschlafen zu lassen. Der Schmerz zog sich wie ein brennender Draht durch seinen Brustkorb, runter bis zum Hüftgelenk und hoch zur Schulter und zum ehemals gerochenen Schlüsselbein. Ain’t no rest for the wicked, dachte er und stemmte sich schließlich vom Sofa hoch. (https://youtu.be/wBgp5aDH23g) Ein paar Spritzer Wasser in sein Gesicht in Kombination mit einem mehr oder weniger harmlosen Cocktail aus Medikamenten, brachten den schweren Mann schließlich vollends in die Senkrechte. Er brauchte nicht lang, um sich in Arthurs Küche zurechtzufinden, und so begann er langsam und leise, mit nachlassenden Schmerzen ein beachtliches Frühstück für sie beide zu zaubern (mit den spärlichen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen). Liebe geht ja durch den Magen, oder so ähnlich, ging es Eames durch den Kopf, während er wiedermal "What a difference a day makes" summte, ohne es selbst zu realisieren. Ein Teil von ihm würde immer an der Hoffnung hängen, Arthur für sich zu gewinnen, egal wie schlecht es stand. Schließlich waren sie nicht nur Almost-Lovers, sondern Freunde darüber hinaus. *Arthur* Als sein Handy ihm erklärte, dass es an der Zeit war, aufzustehen, fühlte er sich wie erschlagen. Es hatte gut getan, seinen Kopf von all den Dingen zu befreien, die nun drüben an der Pinnwand hingen. Dennoch hatte er deutlich zu wenig Schlaf bekommen. Müde blieb er liegen, noch nicht wirklich bereit, aufzustehen. Dass er es musste, war ihm klar. Schließlich mussten sie die wenige Zeit, die sie hatten sinnvoll nutzen. Allerdings hatte er gerade noch das Gefühl, als habe nur sein Kopf begriffen, dass es Zeit war auszustehen, während sein gesamter Körper noch schlief. Arthur richtete sich etwas auf, als er Geräusche hörte. Das konnte nicht sein, oder? Neben den Geräuschen drang auch noch der unverkennbare Geruch von Kaffee bis zu ihm vor. Er schlug die Bettdecke zurück und stand auf. Als er die Tür zum Wohnzimmer öffnete, war das Sofa leer und die Geräusche von klapperndem Geschirr kamen aus der Küche. Arthur trat leise näher, den in seinen Gedanken versunkenen Eames beobachtend, der vor sich hinsummte und den Tisch deckte, während auf dem Herd Spiegeleier brutzelten. Wer war das?! Und wieso ausgerechnet dieses Lied?! Es war eingemeißelt, dass dieses Lied ihn wirklich IMMER in Zukunft an Thomas Eames erinnern würde. „Guten Morgen“, sagte er halblaut, um den anderen nicht zu erschrecken. Er hatte seine Hände in die Hosentasche seines Pyjamas gesteckt und betrachtete fasziniert den Frühstückstisch. „Wenn du noch eine Schürze anhättest, würde ich Angst bekommen.“ Ein leises Grinsen konnte er nicht unterdrücken. „Ich geh schnell duschen. Brauche nicht lange…“ Und so war es auch. Er fühlte sich schon wesentlich besser, als er schließlich in die Küche kam. Daran könnte man sich tatsächlich gewöhnen. Und doch ließ es auch die Alarmglocken schrillen. Eames machte nichts ohne Grund, oder? Entweder war also sein schlechtes Gewissen, ihn in etwas hineinzuziehen, so groß oder er tat es, weil … warum auch immer. Er setzte sich zu Eames und griff nach der Kaffeetasse. Das wichtigste zuerst. „Hast du einigermaßen schlafen können?“ *Eames* 6 Uhr in der Früh war einfach keine Uhrzeit. Dennoch war Eames nicht wirklich überrascht, als Arthur zu ungefähr dieser Zeit im Küchentürrahmen stand und ihm leicht zerknautscht, guten Morgen grüßte. »Ebenfalls, guten Morgen«, erwiderte er und ersparte sich das „darling“ vorerst, das ihm auf der Zunge brannte. Diese Geste hatte schon etwas „Pärchenhaftes“, darüber war sich Eames natürlich sehr bewusst. Er wartete geduldig bis sein Point Man aus dem Bad kam, sauber und frisch duftend. Ein Abbild griechischer Götter am frühen Sonntagmorgen. Ganz seiner Erfahrung als Kellner folgend, servierte er ihm ein paar Spiegeleier (leider hatte er keine Würstchen für ein echtes English breakfast gefunden, dafür ein paar Tomaten). »Exzellent!«, log er heiter strahlend, auf Arthurs Frage hin. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sicherlich noch ein paar Stunden mehr geschlafen. Eingemümmelt in weiche Decken und Kissen und Arthurs herrlichem Eigengeruch. Er setzte sich ihm gegenüber. Der grandiose Anblick des Central Parks am frühen Morgen erstreckte sich unter ihnen und die Harmonie und der Frieden waren intensiv, beinahe ekelerregend. »Du siehst ein bisschen gerädert aus. Was hat dich wachgehalten, darling?« Wie war die Arbeit und wie wird das Wetter heute? Das Leben könnte so schön sein. So strukturiert und eintönig und schön. *Arthur* Es war mehr als gruselig, die Spiegeleier serviert zu bekommen. Hatte er das seit er zu Hause ausgezogen war, jemals wieder gehabt? Nicht, dass er wüsste. Wenn, hätte er denjenigen vermutlich einfach vor die Tür gesetzt. Das hier war schon… irgendwie, sehr befremdlich. Nicht, dass es nicht auch schön war. Aber es machte Arthur nervös – das mochte er nicht. Arthurs Alarmglocken schrillten noch lauter, als Eames ihm ein Exzellent! trällerte, das er ihm nicht abkaufte. Vermutlich hatten die Schmerzen ihn geweckt. Die Tasse an den Lippen, betrachtete er den andren, der ihm gerade Spiegelei und gebratene Tomate hingestellt hatte. Er wollte gerade trinken, als sich ihre Blicke trafen. »Du siehst ein bisschen gerädert aus. Was hat dich wachgehalten, darling?« Arthur erstarrte in der Bewegung, musterte das Gesicht des anderen. Da war es wieder – das Wort, mit dem er ihn schon so oft bedacht hatte. Erneut wusste er nicht, wie er dieses zu nehmen hatte. Meist ignorierte er es. Dom hatte er einmal gefragt, ob er Eames seinen Nachnamen verraten habe. Der hatte jedoch verneint. Nun, er nannte Eames auch meist beim Nachnamen. Alle taten das – er stellte sich auch so vor. Wenn er ihn Thomas nannte, dann… Er erinnerte sich an den vergangenen Abend, als er ihn eingecremt hatte. Da hatte er ihn beim Vornamen genannt. „Ich mag es nicht, wenn du mich so nennst“, sagte er. „Niemand nennt mich so.“ Er hatte diesen Nachnamen zwar nie offiziell abgelegt. Aber in der Arbeit verwendete er einen anderen. *Eames* »Natürlich nicht...«, ein harter Kerl, wie Arthur würde nie einen zulassen, dass sein eigener süßlicher Nachname ihm in die Quere kam. Dennoch hatte Eames ihn bereits so genannt, bevor er überhaupt wusste, dass Arthur tatsächlich so hieß. Er nahm ebenfalls einen Schluck Kaffee. Heiß, dampfend, wohltuend. Dabei behielt er Arthur milde amüsiert im Blick. »Also, was hat dich abgehalten? Ich, oder Jobs?«, locker flockig; dann schob er eine mit der Gabel aufgespießte Tomate in seinen Mund und kaute genüsslich. *Arthur* Noch immer die Tasse Kaffee vor den Lippen und noch immer nicht getrunken habend ruhte sein Blick auf dem Gesicht des anderen. Das gefiel ihm hier gerade so gar nicht. Eames war das einfach vollkommen egal, dass er es nicht mochte, wenn er ihn beim Nachnamen – bei diesem Nachnamen nannte. Denn tat er das wirklich? Oder verwendete er das Wort eigentlich ganz anders… Er biss sich auf die Unterlippe, schürzte die Lippen etwas, die spitze Bemerkung, die sich auf seine Zunge legte, tat gut. Bevor er etwas sagen konnte, schob Eames jedoch die nächste Frechheit hinterher. Da war er wieder, der Eames wie er ihn gewohnt war. Er atmete langsam, aber sehr tief ein. „Das warst natürlich du, Mrs. Darling“, antwortete er mit einem Seufzen in der Stimme. „Wie könnte ich auch schlafen, wenn der Alptraum meiner schlaflosen Nächte im Nebenzimmer liegt!“ Er schnaubte und trank endlich seinen Schluck Kaffee und – so hoffte er – auch den Ärger etwas hinunter, den er empfand. „Ich habe meine Gedanken sortiert“, sagte er dann und stellte die Tasse ab, um das Essen nicht noch kalt werden zu lassen. Nur nicht provozieren lassen. *Eames* Mrs Darling! Eames begrüßte die neue Betitelung mit heiterem Lächeln. Als Frau bezeichnet zu werden störte ihn nicht im Geringsten, vor allem nicht, wenn es ihn zu Arthurs „Eheweib“ machte. Ein Flashback ereilte ihn unverhofft; hatte er Arthur nicht mal versprochen, zu seinem Geburtstag in Natalie Portman zu forgen? Wäre sicherlich mal passiert, hätte er ihn denn noch mal eingeladen... »Alptraum«, wiederholte er, wie ein Fremdwort. Kaute, trank, schnaufte und ein kleines Lachen. »Du hast gleich noch eine Weile dich zu sortieren. Ich muss für ein bis zwei Stunden weg.« Ein paar Besorgungen machen. Dinge regeln. Nichts, was er Arthur wissen lassen wollte - wirklich nicht. »Dann können wir gern damit anfangen, alles in Form zu bringen.« *Arthur* Es gab tatsächlich mal Zeiten, in denen dieser Mann ihn bis in seine Träume verfolgt hatte. Und diese Träume hatten einen herben Beigeschmack hinterlassen, hatten ihn gequält und ihm den Schlaf geraubt. Dem war mittlerweile nicht mehr so. Dass er heute Nacht nicht hatte schlafen können, lag einfach nur am Cappuccino, an diesem Job und daran, dass sie so wenig Zeit hatten. Er hatte das Zeug zu Papier bringen müssen. Arthur nahm ein Toastbrot und aß lustlos ein Stück des Eis. Irgendwie verging ihm gerade der Appetit. Das Lachen, mit dem Eames seinen kleinen Gegenangriff wegwischte, überging er. Doch als ihm offenbart wurde, dass der Forger gedachte „Besorgungen“ zu machen, blickte er diesen wieder an. Zwei Stunden Ruhe – die sicher vier werden würden – klangen verlockend. Doch das Wort Besorgungen klang nur nach noch mehr Ärger. Er drehte den Blick wieder auf seinen Teller. Wo sollten sie sich anschließend treffen? Ins Büro konnten sie nicht gehen. Ob Eames seine Sachen mitnehmen würde? Vermutlich würde er auf etwas anderes spekulieren. „WO gedenkst du, dass wir uns nachher treffen?“, fragte er mürrisch – obwohl er die Antwort bereits ahnte - und nahm einen Bissen vom Toastbrot. Leider war es rein rational betrachtet vermutlich aber auch wirklich das Sinnvollste, wenn Eames wieder hierher zurückkam. Vorausgesetzt, er würde seine Kuschelfreunde aus Italien – von denen Arthur schwer ausging - nicht hierher lotsen. *Eames* Wie sehr er doch gehofft hatte, diese Frage zu umgehen. Leider erfolglos. Er musste wirklich um jeden Zentimeter kämpfen. Er kaute in Ruhe zu Ende und schluckte, bevor er auf die unbegeisterte Frage reagierte: »Wir wollen es nicht umständlicher machen, als es ist. In dein Büro zu Ariadne möchtest du sicherlich nicht gehen, oder? Meine Wohnung im East Village gibt’s nicht mehr.«, abgebrannt, traurige Geschichte. »Bleibt nicht allzu viel Auswahl um Informationen vernünftig zusammenzutragen.« Schade, da hatten sie wohl keine Wahl, als sich wieder bei Arthur zu Hause zu treffen. Na so was! »Keine Sorge, Arthur. Ich bring bestimmt keinen Dreck mit. Wir wollen doch nicht den schönen Holzboden zerkratzen.« So oder so. Sinnvoll war es, dass sie blieben, wo sie waren. Und bequem für Eames war es obendrein. *Arthur* In Gedanken ging er alle möglichen Locations durch, die sie hier in New York bereits mal als 'Zentrale' verwendet hatten. Aber im Grunde war das viel zu aufwändig, auf einen dieser Orte zurückzugreifen (sofern sie noch existierten) oder gar einen neuen aufzutun. Die Worte des anderen nahm er nur am Rande war. Aber wohl hörte er diesen leicht ironischen Unterton, der mitschwang. Lustlos stocherte er in seinem Essen herum. Sein Appetit war ihm gründlich vergangen. Würde er Eames jetzt acht Tage bei sich in der Wohnung haben? Nicht, wenn er gut arbeitete und sie schneller fertig werden würden... Ansonsten lautete die Wahrheit wohl: ja, vermutlich. Bis sie alle Informationen hatten, mussten sie jedoch nicht 24Stunden aufeinandersitzen. Als der andere endete, schwieg er und schob den Teller von sich. Kaffee würde reichen. Er trank einen Schluck, blickte aus dem Fenster über den eingefrorenen Central Park – es war Februar. Sein Arbeitszimmer - bevor Eames einen Fuß hineinsetzen würde, würde er ein paar Dinge verändern müssen. Vier Stunden (mindestens), bis jener wieder zurück war. Er musste aber auch noch einmal losziehen. „Ich brauche nachher von dir den Kontakt zu deinem Hacker. Er kommt sicher an manche Informationen schneller als ich“, sagte er nun, ohne auf das Gesagte des anderen einzugehen. Was sollte er auch noch dazu sagen?! „Und du solltest bald damit anfangen, den Bodyguard zu studieren. Ich denke, er ist der Schlüssel zu den Codes. Ich schau, was ich über Jobs Tagesabläufe in den nächsten Tagen herausfinde. Vielleicht wird es aber nötig sein, sein Handy in einem unbeobachteten Moment anzuzapfen. Am einfachsten wird es sein, ihn im Hotel direkt anzugehen. Aber darüber können wir nach deinen Besorgungen sprechen.“ Irgendwie fühlte er sich müde. Sollte er Eames einen Schlüssel geben? Eames die Möglichkeit geben, sich hier allein aufzuhalten? Auf eines hatte er noch weniger Lust, als auf Eames rund um die Uhr in seiner Wohnung: darauf warten zu müssen, dass jener zurückkehrte – ohne sicher sein zu können, ob er überhaupt wieder auftauchte. Auch wenn es ihm natürlich eigentlich egal sein könnte, wenn der Brite auf ihn irgendwo würde warten müssen. *Eames* Las er da etwas wie Resignation in Arthur? Hatte er es nun doch auf die Spitze getrieben? Eigentlich war doch bislang alles recht harmlos zwischen ihnen verlaufen, oder? Eames hatte ihn mal wieder überrumpelt und Arthur hatte sich gewunden und gewehrt und war am Ende doch eingeknickt; hatte nachgegeben, weil er „der Klügere“ war. So war es doch eigentlich immer, oder? »Oh, das ist Bestandteil meines Ausflugs. Ich weiß, wo Jobs' Bodyguard in einer Stunde ins Fitnessstudio geht. Und rate mal, wer ihm nach der Dusche das Handtuch reichen wird...« Wahrscheinlich waren zwei Stunden wirklich unrealistisch, aber Eames rechnete gern großzügig zu seinen Gunsten. Blöde Angewohnheit. »Jesses Daten lasse ich dir natürlich hier. Am besten rufst du ihn an. Das Code-Wort für den Fall lautet „Barrakuda“. Damit bekommst du alle Infos, die du brauchst... aber wunder dich nicht. Der Typ ist ein Freak.« Und das war im Grunde keine Beleidigung. Jesse war ein verrücktes Huhn, mit äußerst fragwürdigen Prioritäten, aber er hatte bislang hervorragende Arbeit geleistet. Dieses kleine Drogenproblem stand ihm nur selten im Weg. *Arthur* "Du? In deinem Zustand ins Fitnessstudio?", fragte Arthur nun doch etwas überrascht. "Sehr glaubwürdig." Wobei der Nachsatz nach anderen Interessen klang, als wirklich zu trainieren. Es klang eher nach Training in der Horizontalen. Und selbst dafür wäre Eames vermutlich nicht fit genug. War das eigentlich auch eine Art der Recherche, durch die Eames das Forgen perfektionierte? Indem er mit den Leuten ins Bett ging? Er dachte an die Blondine, die jener bei der Inveption in seinem Traum gemimt hatte. Das war gewiss ein Körper, den jener in mehrfacher Hinsicht 'studiert' hatte. "Übernimm dich lieber nicht." Der Gedanke daran ließ ihn erstaunlicher Weise schmunzeln. Wobei? Vermutlich war Eames Kunstwerk in Blau auf seiner Brust auch ein perfektes Lockmittel für fürsorgliche Frauen... er seufzte. Eigentlich könnte es ihm völlig egal sein. Er nickte hinsichtlich des Hackers. Dass die alle einen Sprung in der Schüssel hatten, wusste er nur zu gut. Solange man einigermaßen kommunizieren könnte, war alles gut. "Ruf an, wenn du fertig bist - auf welche Art auch immer" Er schmunzelte leicht. Seine Stimmung hatte sich im Hinblick darauf, dass Eames definitiv einige Zeit unterwegs sein würde, deutlich gehoben. "Ich bin nachher auch noch weg. Aber gegenüber ist ein guter Afghane." Nein, einen Schlüssel würde er ihm nicht geben. Der war mit dem Handtuch gestorben. Am Ende kam er nach Hause und Eames war nicht allein. Darauf konnte er gut und gerne verzichten. *Eames* Er lachte knapp und rau mit dem typisch überlegenen Unterton. Wenn er sich übernahm, hatte er mit Sicherheit die passende Pille parat, um sich wieder in die Senkrechte zu katapultieren – sein Körper war eine Ruine und solcherlei Behandlungen gewöhnt. Aber es beruhigte ihn, dass er so etwas wie einen sorgenvollen Unterton in Arthurs Kommentar wahrnahm. Vielleicht war es Einbildung, aber das war in Ordnung. Es war eine schöne Illusion. »Du willst den Schlüssel bei dem Afghanen gegenüber für mich hinterlegen?«, fragte er irritiert, dennoch amüsiert. Dabei kaute er auf seinem Toast herum. Eames ahnte, dass es auf das alte Thema hinauslaufen würde „Wie soll ich dir vertrauen?“ - Zeter; Drama. Aber das war OK. Er hatte einen Fuß in der Tür und so leicht würde er ihn sicher nicht zurückziehen. *Arthur* "Ich hinterlasse niemandem und nirgendwo einen Schlüssel", fuhr er direkt auf. Das stimmte nur zum Teil. Dom hatte einen, sogar seine Mutter. "Und noch weniger habe ich Lust, nachher nach Hause zu kommen und dir hier bei der Handtuchübergabe zuzusehen!" Arthur biss sich auf die Zunge. Das wiederum war ihm dummerweise herausgerutscht. Er griff zu seinem Kaffee und trank, ohne den anderen anzuschauen. Fuck! Was dachte der Kerl eigentlich! Er hatte nur eine Nacht hierbleiben wollen. Er konnte froh sein, dass er noch nicht vor die Tür gesetzt worden war. Arthur knurrte innerlich. Jetzt schmeckte ihm auch der Kaffee nicht mehr. Eine Zigarette täte jetzt gut. I just wanna be left alone! (https://youtu.be/h9tfiB-yX7M) *Eames* Eames schmatzte, schluckte, blinzelte. Dann breitete sich ein breites Lächeln auf seinem Gesicht aus. So bitter, Arthur. »Kein Grund zur Eifersucht, darling. Der Kerl ist stockhetero und wirklich nicht mein Typ.« Er selbst schlurfte seinen Kaffee voller Genuss. Es war ihm eine sadistische Freude Arthur beim Mauerbau zu zusehen. Das alles passte ihm wirklich gar nicht in den Kram und er drehte und wandte sich so arg er konnte, aber es gelang ihm nicht den Reiter abzuwerfen. Eames nannte es Zwangstherapie. Das würde sie beide wahrscheinlich nur enger zusammenbringen. »Aber wie du meinst, Boss. Ich warte brav beim Afghanen gegenüber«, gestand er schließlich zu. Vermutlich hatte er nachher sowieso Kohldampf. Und zwingen konnte er Arthur ohnehin nicht - so gern er auch würde. *Arthur* Arthur wusste nicht, was ihn mehr ärgerte. Dass Eames ihm unterstellte, eifersüchtig zu sein. Das "darling", von dem er immer noch nicht wusste, wie Eames das meinte. Oder dass er ihm noch unterbreitete, weshalb er NICHT mit dem Typen etwas anfangen konnte und wollte. Es knirschte leicht, als sich seine Kiefer aufeinanderpressten und er mühsam diesen Ärger herunterschluckte. Herrlich auf Eames projizierter Ärger, der eigentlich sich selbst galt. Aber immerhin schien jener nun zu begreifen, dass er ihm keinen Schlüssel geben würde. Tief atmete er durch und blickte Eames dann mit einem nachsichtigen Lächeln an. "Brav", sagte er dann und stand auf. Er brauchte eine Zigarette. Die kalte Luft auf dem kleinen Balkon erfrischte ihn und schien ihm wieder mehr Luft zum Atmen zu geben. Sein Gesicht fühlte sich in der Kälte seltsam warm an. Tief inhalierte er den Rauch und blickte über den Central Park, der bereits voll Leben war. Er fror, aber das störte ihn nicht. Diese ganzen Gedanken, die er so gut verschloss, wenn er nicht an Eames denken musste - wieso brachen sie immer so schnell hervor, wenn er ihn sah? Wieso hatte er das nicht besser im Griff? Er sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren: Jobs Arthur trat an die Tür und öffnete sie ein Stück. "Hat Jobs eigentlich ein mentales Training absolviert?", fragte er hinein. *Eames* Jaja, leck mich brav am Arsch, dachte Eames und lächelte unvermittelt. Sollte er glauben, was er wollte. Hauptsache er ließ ihn wieder in die Bude und sie machten den Job und dann mal sehen... Die Hoffnung war mal wiedererwacht, das zu verbessern, was Tokyo damals zerstört hatte. Wie immer, wenn er mehr als einen Augenblick mit Arthur verbrachte. Gottverdammte Reue; ekelerregend. Er sah Arthur hinterher, als er aufstand, um sich eine Zigarette auf dem Balkon zu gönnen, blieb jedoch sitzen, um sein Frühstück in aller Ruhe zu beenden. Die Versuchung war groß, auch noch Arthurs Reste zu verdrücken; diese Tranquilizer machten echt Appetit! Aber er beherrschte sich und vertröstete sich auf eine zweite Tasse Kaffee aus der raffinierten Maschine seines Gastgebers. Rücklinks an die Küchentheke gelehnt, sah er zu seinem Point Man herüber, der ein unverschämt attraktives Bild mit der Zigarette abgab. Da könnte er glatt wieder selbst zum Glimmstängel greifen. Ironischerweise war er nach so ziemlich jedem erdenklichen Stoff mal süchtig gewesen, außer nach Nikotin. Es schmeckte, das war aber auch alles. »Wahrscheinlich nicht. In Italien ist Dream-Sharing nicht besonders in«, antwortete er lapidar. Wahrscheinlich hatte Arthur aus dem Fisher-Job gelernt. Offen gestanden war dieser Vorfall nicht einmal eine Seltenheit, wenn er da an seine Arbeit mit anderen Point Men dachte. Es gehörte wohl zur Berufskrankheit dieser Gesellen, sich in Kleinigkeiten zu verrennen und das große Ganze aus dem Auge zu verlieren. Trotzdem ein Fauxpas für einen Typen wie Arthur. Perfektion war schließlich sein zweiter Vorname. *Arthur* Arthur nickte nachdenklich. War dem so? Vermutlich. Die Südeuropäer hatten eine andere Mentalität. Sie waren direkter und weniger heimtückisch, intrigant. Dream Sharing wurde sicher für andere Dinge verwendet, als sich damit zu bereichern. Damit war Südeuropa vermutlich ein idealer Ort für Eames, sich und sein Leben zu finanzieren. Dieser Information musste er vertrauen. Eames war im Grunde der Experte und er hatte wenig Möglichkeiten, das nachzuprüfen. Dass Fisher damals trainiert war, hatte ihn ordentlich gewurmt und vieles unnötig schwergemacht. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher auf dem kleinen Tisch aus und ging wieder hinein, schloss die Tür hinter sich. „Weißt du die Zimmernummer von Jobs?“, fragte er dann. „Wenn ich sie weiß, können wir spätestens heute Nachmittag uns die Räumlichkeiten im Hotel ansehen. Ich habe Material, auf das ich zurückgreifen kann. Inwiefern sich seitdem etwas geändert hat, muss ich noch überprüfen.“ Er sollte seinen Kopf auf den Fall konzentrieren und auf nichts anderes. „Hat Jobs einen eigenen Arzt dabei? Wegen der Diabetes und dem Bluthochdruck meine ich…“ Arthur war wieder an den Tisch getreten, legte den Rest des Spiegeleis auf sein angebissenes Toastbrot und aß es nun doch noch im Stehen, während er anfing, den Tisch abzuräumen. Dass das Frühstück, das eigentlich auch hätte gemütlich verlaufen können, vermutlich wegen ihm gepatzt war, war ihm bewusst. So etwas lag ihm nicht. Und schon gar nicht, wenn es unvorbereitet kam. Das hier alles war unvorbereitet und es überforderte ihn. *Eames* Arthurs gestresste Attitüde war kein gutes Zeichen. Am Abend zuvor hatte Eames noch geglaubt er würde alles irgendwie gut verkraften. Er hatte ihm freiwillig die Brust eingecremt! Allein diese intime Geste musste doch irgendwie für sich sprechen. Offensichtlich hatte er die Lage überschätzt. Mit verschlossener Miene, beobachtete er, wie Arthur begann die Teller zu stapeln und sich nebenbei den Toast reinzuzerren. »Kein Arzt, soweit ich weiß«, murmelte er in deine Tasse und nippte. Er zog die Stirn kraus und versuchte sich zu erinnern, was er gelesen hatte. »Zimmernummer... Können wir einen Gang runterschalten? Ich hatte bisher noch keine Zeit, alles auswendig zu lernen. Ich hab einen Stick, lass mich an deinen Rechner, dann zieh ich dir alles rüber, bevor ich gehe.« *Arthur* Er spürte den Blick des anderen förmlich in seinem Nacken. Was machte er denn jetzt schon wieder falsch? Eames wollte weg; Arthur musste anfangen zu arbeiten (auch wenn er erst vor wenigen Stunden damit aufgehört hatte); sie hatten beide wenig Zeit; sie wollten den Auftrag möglichst schnell und gut über die Bühne bringen. Warum also dieser bohrende Blick, während er das Frühstück wegräumte und nach Informationen fragte? Können wir einen Gang runterschalten? Arthur wollte sich gerade umdrehen und die Teller rüber tragen, als er kurz in der Bewegung innehielt und Eames ansah. Einen Gang runterschalten? Ging es nun darum, hier erfolgreich zu sein, oder nicht? Die folgenden Worte klangen zumindest etwas besser. Ein Stick - ein Stick mit Daten! Das klang vielversprechend! Sehr vielversprechend! Er brauchte diese Daten, um gut arbeiten zu können, so viel stand fest – hatte nur einen Haken: sein MacBook stand verkabelt in seinem Arbeitszimmer. "Haben wir überhaupt schon einen Gang hochgeschaltet?", fragte er zunächst gegen, während seine Gedanken kreisten. "Ich dachte, es geht darum, deinen Arsch zu retten." Er brauchte diese Daten, damit er die Pinnwand mit Fakten bestücken konnte. Eames schien sich ja nicht einmal die Zimmernummer gemerkt zu haben! Er schüttelte innerlich den Kopf. Bei der Inception war jener mitunter vorbereiteter gewesen. Wie auch immer: Daten auf einem Stick waren gut – aber wie sollte er die Daten einlesen, ohne Eames in sein Arbeitszimmer mitzunehmen? Darin gab es im Moment einfach noch zu viele Dinge, die dieser Chaot und vor allem Trampel lieber nicht sehen sollte. Dinge, die ihm nur irgendwie blöd ausgelegt werden würden, die jenen nur so dazu einladen würden, dämliche Kommentare abzugeben. Sei es der Flyer von der Karaoke-Bar in Tokyo gewesen, in der er eigentlich einmal beschlossen hatte, Eames doch tiefer zu sich vordringen zu lassen, und den er an der Weltkarte zu Tokyo gepinnt hatte. Oder sei es die Zeichnungen an der Wand, zwischen denen vielleicht etwas öfters dieses blöde Gesicht auftauchte. Ganz zu schweigen von der Uhr und all der anderen Kleinigkeiten, die er in dem Raum hatte und die Eames einfach nichts angingen und die er eigentlich in Ruhe verschwinden hatte lassen wollen! „Ich hol schnell mein MacBook!“, murmelte er möglichst unauffällig und stellte die Teller auf die Anrichte. „Daten klingen gut. Bin gleich wieder da.“ Er hatte den Briten nicht angesehen, während er durch die Küche in Richtung Wohnzimmer ging, dieses durchschritt, um durch sein Schlafzimmer in das Arbeitszimmer zu gehen. Er sollte sich beeilen, das MacBook von den Kabeln zu befreien. Kapitel 9: Kryptonite --------------------- [[BILD=8336424.jpg]] *Eames* Es ging durchaus darum, seinen Arsch zu retten, aber Arthurs Anspruch war mal wieder unnötig hoch. Dementsprechend gelassen belächelte er eben jene Bemerkung und wartete ab, wie er auf besagte Daten reagieren würde. Er wollte sein Macbook holen, na fein. Sollte er, aber wieso plötzlich so über die Maße angespannt? Pulsierte dort eine Ader auf seiner Stirn…? Er kam es vor, als hätte er einen wunden Punkt erwischt. Eames nahm noch einen Schluck seines Heißgetränks; wartete, horchte, da Arthur in seinen heiligen Hallen, dem Schlafzimmer, verschwunden war. „Schnell holen“, war irgendwie was anderes, dachte er und widerstand schließlich nicht mehr dem Drang nachzusehen, was er da trieb. Arthur hatte ihm immerhin keinerlei Verbot ausgesprochen (zumindest nicht verbal). »Was zur Hölle treibst du da?«, sagte er amüsiert. Eames stand im Schlafzimmer seines Point Man und linste in das vermeintliche Arbeitszimmer dahinter; die Tasse noch immer gelassen in der Rechten, während die Linke in seiner Hosentasche verschwunden war. Er war ganz schön überrascht, dass von seinem Schlafzimmer ein weiteres Zimmer abging; es war so geräumig hier! Er hörte nur, wie Arthur sich einen abmühte, war jedoch für den Augenblick zu fasziniert von der Ordnung und der langweiligen Symmetrie der Einrichtung, um gleich zu ihm zu stoßen. Ein bisschen Gucken ist ja nicht verboten, oder? Außerdem musste er sich unweigerlich die Frage stellen, wie wohl Arthurs Sexleben aussah, als er sein Bett betrachtete. Bei dieser feinen, dunkelblauen Bettwäsche (Ikea?) durfte ja nichts danebengehen! *Arthur* Es gab ja wirklich ziemlich dumme Zufälle. Einer davon war, dass er vorgestern beim Putzen ausgerechnet die Steckdose verwendet hatte, an der er normalerweise die Steckerleiste hängen hatte, die für seine ganzen Geräte auf dem Schreibtisch zuständig war. Dementsprechend klappte Arthur ein totes MacBook auf. Er sollte endlich einen neuen Akku kaufen - oder ein ganz neues Gerät. Aber irgendwie hing er an diesem, das ihm so hervorragende Dienste leistete. Leise fluchend krabbelte er unter den Tisch, um die Steckerleiste wieder einzustecken. Sogleich meldeten sich Drucker, Scanner und Telefon, die ebenfalls damit verkabelt waren. Nun hieß es warten, bis sich der Akku soweit wieder aufgeladen hatte, dass der Datentransfer funktionieren konnte. Sollte er das Ladekabel einfach mit rausnehmen? Arthur zuckte erschrocken zusammen, als er die Stimme des anderen in seinem Schlafzimmer hörte. „Autsch!“, fluchte er, als er sich dabei den Kopf anschlug. Was um alles in der Welt machte Eames in seinem Schlafzimmer! Konnte der Kerl nicht mal zwei Minuten warten? Arthur zog sich mühsam unter seinem Schreibtisch hervor. Das Training gestern hatte seine Spuren im Schulterbereich hinterlassen, wie er eben merken durfte. „Ich muss den Akku laden…“, schindete er Zeit. Kurz überlegte er, ob er Eames direkt des Schlafzimmers verweisen sollte. Aber wenn jener damit zufrieden war, zu begutachten, wo er wie schlief, konnte ihm das letztlich ja egal sein. Er würde sich schon nicht auf sein Bett schmeißen und die Schubladen nach Dingen absuchen, die man halt so in seinem Schlafzimmer hatte. Solange Eames nur im Schlafzimmer war, bewahrte ihn das vielleicht davor, dass der Forger hier hereinkam. Wenn er jetzt ein Verbot aussprechen würde, wenn er jetzt sagen würde „Komm ja nicht hier herein!“ – dann wäre das ziemlich auffällig. Die Tür zuschlagen - er war kein idiotischer Teenager mehr! Also lieber einfach so tun, als ob alles völlig normal war. Vielleicht würde Eames es ja auch gar nicht bemerken. Schließlich hatte er ja nicht einmal ein Auge dafür, sich die Zimmernummer seines nächsten Opfers zu merken. So auffällig sind diese Dinge ja gar nicht... Sie sollten sich auf den Fall konzentrieren und auf sonst nichts. Der weiße Apfel erschien nun endlich auf dem Bildschirm und verkündete, dass sein MacBook langsam wieder zum Leben erwachte. Wieso hielt dieser blöde Akku nicht länger als zwei Tage?! „Bin gleich so weit…“, verkündete er in der Hoffnung, dass Eames damit zufrieden war. „Du kannst den Stick ja schon mal holen. Bin gleich da.“ Vielleicht hatte er ihn ja im Wohnzimmer im Koffer oder in seiner Jackentasche oder irgendwo… nur bitte nicht in der Hosentasche! *Eames* Die Schubladen des Nachttisches neben Arthurs Bett sahen wirklich verführerisch aus. Nahezu einladend, für einen Mann, der unter anderem mit Geheimnissen sein Geld verdiente. Es war ihm in Fleisch und Blut übergegangen: immer den sichersten Ort zu finden und das Innerste nach Außen zu kehren, um zu bekommen, was er brauchte. Das war der Job. Extractor oder Forger - ganz egal. Er war ganz nah, das fühlte er. Arthurs Nervosität sprach Bände. Er ließ von den Schubladen und dem Bett ab. Dieses Bett, das nicht nach Unschuld aussah, sondern nach abgeklärten Geschäften. Sollte er jemals selbst das Privileg haben, würde er sich fühlen, als verunreinigte er einen Tempel... genau das, was er am liebsten machte! Lächelnd schlenderte er durch den Raum und lehnte sich, von Arthur unbemerkt, in den Türrahmen zum Arbeitszimmer. „Bin gleich so weit…“ Eames antwortete nicht, war er doch zu fasziniert von dem Anblick, der sich ihm bot. Und zwar nicht nur Arthurs durchtrainiertem Hintern, der unter dem Schreibtisch hervorblickte. Das, was als erstes seine Aufmerksamkeit auf sich zog, waren die Uhren. Mombasa. „Du kannst den Stick ja schon mal holen. Bin gleich da.“ Er spürte, wie sein Kiefer spannte und eine kühle Hand nach seinem Herz griff. Er durfte sich nichts darauf einbilden. Tat er aber. War aber nicht die beste Empfindung in Anbetracht dessen, wie es um ihre Beziehung stand. Er ahnte schon, wieso Arthur ihn nicht hier haben wollte. Wäre dies eine klassische Extraktion hätte er den Save-Place somit gefunden. Gratulation! Darauf trinken wir... Er wandte sich ab, so schnell und leise er konnte auf blanken Füßen. Schlenderte ins Wohnzimmer, stellte dort seine Tasse extra laut auf dem Tisch ab, um Arthur deutlich zu machen, dass er weit, weit weg von all den Geheimnissen war, die er so dringend hüten wollte. Er hatte einen kleinen Blick darauf werfen dürfen und ahnte nun, was unter der Oberfläche schmorte. Unausgesprochene Kleinigkeiten, die ausgewachsene Katastrophen nach sich ziehen konnten, auch wenn der winzige Hoffnungsschimmer bestand, dass es alles so viel besser zwischen ihnen machen würden. Oder eher nicht, wenn er daran dachte, was für eine wandelnde Katastrophe er selbst war. Er neigte dazu, alles schlimmer zu machen und nichts besser und zwar für alle Beteiligten, einschließlich sich selbst. »Hab ihn!«, rief er und wartete bis Arthur zu ihm ins Wohnzimmer kam. Er hatte die Schlafsachen halbwegs ordentlich zusammengerauft, damit sie beide Platz hatten. Dann hatte er sich auf seine Seite gesetzt und angefangen seine Rippen mit Arthurs Heilcreme einzuschmieren, bloß damit es aussah, als wäre er perfekt beschäftigt. Didn't see a thing – at all. »Ich mach schon. Sonst ziehst du dir noch heimlich meinen Peanut-butter-porn runter.« *Arthur* ‚Nun komm schon! Lade noch ein wenig..', sprach er in Gedanken auf das MacBook ein. Er spürte, wie angespannt er war, wie nervös. Er lauschte, konnte aber nichts hören. Nicht, ob Eames noch im Schlafzimmer war, oder irgendwo anders. Ruckartig drehte er sich um, als er dachte, hinter sich etwas gehört zu haben. Aber da war nichts. Als er kurz darauf Geräusche aus dem Wohnzimmer hörte, ließ Arthur die Stirn auf die Tischplatte sinken. Zitternd atmete er aus. Dieser Mann! Wieso ausgerechnet er?! Thomas Eames – sein persönliches Kryptonite. (https://youtu.be/xPU8OAjjS4k) Je weiter weg er war, desto besser ging es ihm in seiner geordneten Welt. Aber wehe er kam ihm zu nahe – und dann auch noch unangekündigt und auch noch mit einem Auftrag... Er würde es schon überleben. Wenn Eames wieder weg war, wenn er wieder weit, sehr weit weg war, würde sich wieder alles normalisieren. Und bis dahin musste er einfach gelassen bleiben. Das Aufbrausen der Lüftung verriet ihm, dass das MacBook hochgefahren war. Gleichzeitig verkündete Eames, dass er seinen Stick gefunden habe. Das Passwort wurde eingetippt, die externe Festplatte getrennt, das LAN-Kabel abgezogen. Arthur ließ sich erneut hinunter auf den Boden, zog den Stecker aus der Leiste und stand auf. Tief atmete er noch einmal durch, zog sein Hemd gerade, strich sich durch die Haare. Kryptonit Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, saß Eames da und schmierte sich brav seine gebrochenen Rippen ein – fast zu brav. Arthur konnte das nur recht sein. Sollte er das Schlafzimmer noch einmal zum Thema machen? Allerdings würden sie spätestens heute Nachmittag da ohnehin durchmüssen. War also sinnlos ihm zu erklären, dass er da nicht reindurfte. Heute Nachmittag würde er aber vorbereiteter sein, würde sich darauf vorbereitet haben, dass Eames in sein Arbeitszimmer kommen würde. Er war gestern wirklich zu kurzsichtig gewesen, als er zugestimmt hatte. Dumm und naiv. „Peanutbutter-Porn?“, fragte er zweifelnd. Wofür Eames alles Zeit hatte!?! „Sag nicht, du twitterst auch so einen Mist?“ Er stellte das MacBook vor Eames auf. Zugegeben war das durchaus manchmal sehr erheiternd da durchzuklicken. Aber… Egal. Der Desktophintergrund zeigte das Logo seiner und Ariadnes Firma, ein von ihm gezeichnetes Penrose Dreieck in einem Kreis. Das Dreieck entsprach einfach gut ihrer beider ‚A‘. Er stellte den Laptop ab und steckte den Stecker in die Steckdose. Dann setzte er sich neben Eames hin und öffnete den Finder. „Na dann mach mal!“, sagte er. Später würde er im Central Park ein wenig rennen gehen. Irgendwie musste er die Anspannung loswerden. *Eames* Als kleiner Junge schon hatte Eames Schauspielunterricht genossen und wusste recht genau, wie man die Unschuld vom Lande spielte, wenn man gerade etwas ausgefressen hatte. Trotzdem brachte er es nicht übers Herz Arthur anzusehen, als er sich zu ihm auf das Sofa setzte. Was er gesehen hatte, musste erst einmal in ihm arbeiten. Es musste zerkaut, verdaut und gut verstaut werden und das könnte dauern. Ein paar Wochen und ein paar Flaschen Whiskey, mindestens. Smile now, cry later - so stand es auf seiner Brust und so wurde es gemacht. »Twitter? Bitte, Arthur...« Er schnalzte abschätzig mit der Zunge. »Mittlerweile sind doch alle auf Instagram oder Snapchat.« Er hatte erst vor kurzem auf besagten Plattformen nach Arthur gesucht. Rein aus Interesse, aber leider erfolglos. Hin und wieder überkam ihm so eine Art Sehnsucht. Natürlich antwortete er nicht direkt auf Arthurs Frage. Er fand es viel amüsanter zu beobachten, was Arthur für Schlüsse über ihn zog. Er drehte die Kappe der Creme wieder zu und legte sie ab. Sein Hemd knotete er oberhalb der verletzten Stelle zusammen, so dass er aufwandslos bauchfrei dasitzen konnte, bis die Heilsalbe eingezogen war. Zum Glück war es bei Arthur angenehm warm. Aus der Hosentasche seiner Jogginghose kramte er einen recht gammelig aussehenden, schwarzen Stick ohne Schutzkappe hervor. Er pustete in die Öffnung des USB-Anschlusses und steckte ihn anschließend in das MacBook. Kein Wunder, dass Arthur und er so oft Diskrepanzen hatten. Arthur war nun mal ein klassischer Mac-User und Eames... eben nicht. Es gab tatsächlich einen Ordner, der sich Peanut-butter nannte, dieser war geschützt. Ein weiterer nannte sich London 2001 und einer hieß „Barrakuda“. Der Code-Name war Jesses Idee gewesen. Nachdem er die Datei kopiert hatte, zog er den Stick wieder heraus. »Na dann, viel Spaß damit.« Er stand auf. »Wenn du sonst keine Fragen hast, bin ich mal im Bad.« *Arthur* Social Media war für ihn eine Quelle für Informationen, eine wahre Fundgrube für Details, die die Menschen über sich ausplauderten, ohne auch nur im geringsten zu begreifen, wie unfassbar durschaubar und berechenbar sie dadurch werden. Es gab mittlerweile Anwaltskanzleien, die ihre Geschworenen allein danach aussuchten, wie sie sich in gewissen Netzwerken darstellten, was sie posteten und mit einem Like versahen. Dadurch konnte man fantastisch Rückschlüsse ziehen, wie sie gewisse Situationen beurteilten. Was das dann teilweise noch mit Rechtsprechung und nicht mit Manipulation zu tun hatte, war kaum noch zu rechtfertigen! Wie auch immer. Arthur nutzte diese ganzen Medien, gerne und ausgiebig, um für Kunden und Jobs sich zu informieren. Er selbst hatte letztlich nur tote Accounts, die man nicht wirklich mit ihm in Verbindung bringen konnte. Snapchat und Telegramm waren die einzigen Apps, die er wirklich für sich nutzte. Seit Facebook WhatsApp gekauft hatte, war er auch da ausgestiegen. Nicht wirklich „up to date“ zu sein, war ihm letztlich also völlig egal. Er beobachtete, wie Eames die Creme zuschraubte und wieder einmal so sitzen blieb, dass sein Oberkörper automatisch zum Blickfang wurde. Till we die s(ome)w(here) - Arthur war froh, dass Eames nun endlich den Stick herausrückte. Irritiert sah er das Etwas an, das jener doch aus seiner Hosentasche zog, etwas in ihm schrie auf; Nein: zwei Stimmen schrien in ihm auf. Eine, die ihm erklärte, dass es seltsam war, dass jener so getan hatte, als habe er ihn gar nicht am Körper getragen; eine, die ihm erklärte, dass dieser dreckige und ungeschützte USB-Stick gleich sein MacBook infiltrieren würde. Arthurs Blick wurde eisig. Was war so schwer daran, einen Stick mit einem Deckel zu versehen und diesen auch zu behalten? Und pusten? Er schluckte, während er zusah, wie der Kerl sein Heiligtum misshandelte. Missmutig beobachtete er, wie Eames seine Daten öffnete. Über den Missmut geriet die erste Stimme in den Hintergrund, dafür meldete sich nun eine neue: London 2001 Was war das wohl für ein Ordner? Er hatte Eames erst danach kennengelernt. Er wusste, dass er aus London kam. War er seitdem überhaupt jemals dort gewesen? Er konnte sich nicht erinnern, auch wenn sie nach ihrem Desaster in Tokyo kaum Kontakt hatten. Arthur überflog den Rest. Es gab tatsächlich einen Ordner mit dem Namen Peanutbutter – Arthur glaubte nicht, dass da wirklich drin war, was draußen draufstand. Zumindest nicht das, was er persönlich mit Peanut-Butter-Porn verband. Ob dafür andere pornografische Dinge drauf waren? Lieber nicht darüber nachdenken… Barrakuda war dann also wirklich der Name ihres Auftrags. Eames zog den Stick ab, nachdem er die Sachen auf den Desktop kopiert hatte, dann stand jener auf. Arthur drehte derweil schon das MacBook in seine Richtung, begann den Ordner zu öffnen. „Ja, ja“, murmelte er nur als Antwort. „Mach du nur…“ Er rutschte auf dem Sofa zurück, zog die Beine an und verschwand in den Daten, die er begann feinsäuberlich auseinander zu nehmen. Alles was von Interesse sein konnte, wurde aufgearbeitet und ausgewertet und seine Pinnwand füllte sich mehr und mehr. Als Eames später sich verabschiedete, bekam er das gar nicht richtig mit. „Ist gut“, sagte er nur halblaut, vollkommen in GEdanken versunken. „Der Schlüssel liegt auf der Kommode im Flur.“ Erst später begriff er, was er da gesagt hatte. Aber da war Eames schon lange aus dem Haus. *Eames* Das war doch mal ein Triumph, dachte Eames und angelte sich den Schlüssel von der Kommode, völlig selbstverständlich, nachdem Arthur ihm das OK dazu gegeben hatte. Dabei hatte er sich am Frühstückstisch noch vehement dagegen gewehrt... tja so leicht konnte es gehen. Als allererstes machte er ein paar Besorgungen; er brauchte dringend Schmerzmittel und Somnacin, also besuchte er seinen Dealer des Vertrauens und seinen alten Kumpel: Yusuf Hadad Kapitel 10: Wait ---------------- a*Arthur* Etwa eine Stunde saß er auf dem Sofa und recherchierte online, dann ging er ins Arbeitszimmer. Als er dieses betrat und nun das Licht gänzlich anschaltete, kehrte die Situation vom Sofa wieder zurück. Eames, der so brav dasaß und sich einschmierte, der USB-Stick aus der Hosentasche, der darin offenbar die ganze Zeit geruht hatte. Das Gefühl, beobachtet worden zu sein. Ob jener doch geschaut hatte? Unbemerkt? Ob er gesehen hatte, was er lieber nicht hätte sehen sollen? Arthur wurde flau im Magen. Noch bevor er sich daranmachte, die Pinwand mit Fakten zu befüllen und die offenen Fragen weiter abzuarbeiten, begann er seine Pinnwand der Erinnerungen danach zu durchsuchen, was ihm seltsam ausgelegt werden könnte. Irgendwie schaffte er es nicht, alle verfänglichen Zeichnungen abzuhängen, aber er hängte sie zumindest so, dass man sie nicht gleich sah. Dann entfernte er die Eintrittskarte der Karaoke-Nacht und stellte die Uhr auf die Uhrzeit in Belfast ein. Erst danach bearbeitete er die Job-Pinwand, an der sie sicher nachher noch arbeiten würden. Das seltsame Gefühl in seinem Magen blieb, und als er später noch in den Central Park ging, um zu rennen (darin endete immer sein Joggen), versuchte er all seine Gedanken wieder in die Spur zu bringen. Der Eames, den er kannte, hätte es sich nicht nehmen lasse, ihn für seine dämlichen Sentimentalitäten aufzuziehen. Er wäre hineingeplatzt und hätte sich darüber lustig gemacht. Aber am vergangenen Abend war ihm nicht nur dieser Eames über den Weg gelaufen. Seltsamerweise hatte er auch einen anderen gesehen. Genau das machte das seltsame Gefühl nicht besser. Erschöpft, aber entspannter, kehrte er schließlich zurück und ging direkt duschen. Dann rief er Jesse an. Es war wirklich ein seltsames Gespräch. „Wie kann man einen Barrakuda gut fangen?“, wurde ihm unvorbereiteter Weise und ohne Begrüßung gegengefragt. Irritiert antwortete er: „Er schnappt nach allem, was glitzert und blinkt?“ Der Mann, der klang, als sei er gerade aus dem Bett geholt wurden, begann zufrieden zu lachen. „Das passt ja wunderbar! Tom sagte schon, dass du ein schlauer Kerl bist. Moment… ich bin noch nicht ganz fit für heute. War `ne lange Nacht… Ich fahr die Systeme hoch.“ Arthur hörte zwar auch die Geräusche von Rechnern im Hintergrund, was er aber viel deutlicher hörte, war die Line, die sich der Junge reinzog und mit einem „Das tut gut.“ Und weiterem Schniefen kommentierte. „So, jetzt bin ich für dich da.“ Der Rest des Gesprächs verlief eigentlich ganz gut. Jesse klang wirklich sehr einsatzfreudig, was Unterstützung betraf. Und für die Idee, die sich in den vergangenen drei Stunden entwickelt hatte, würde er vermutlich ziemlich hilfreich sein können. Besonders, weil er an die aktuellen Baupläne des Four Seasons herankommen konnte. Arthur musste jedoch so oder so noch einen Blick in das Zimmer selbst werfen. Aber dafür musste er sich mit Eames absprechen. Während er also an der Pinnwand herumdokterte, verbesserte sich seine Laune merklich: Musik (eine CD von Ariadne) aufgedreht, Kaffee in der Hand, zwischen MacBook und Pinwand pendelnd, in seiner Welt versunken. (https://youtu.be/vNQdAV4p9OI) *Eames* »As-salam alaykom.«, grüßte er den alten Kollegen, der sich mittlerweile in einem Keller in der South Bronx niedergelassen hatte. Er hatte nur darauf gewartet, dass der Forger vorbeikam, um mit ihm den Plan durchzusprechen und ein paar Anekdoten der vergangenen sechs Jahre ihrer Bekanntschaft heraus zu kramen. Die Geschäfte liefen ganz passabel, aber Mombasa fehlte Yusuf mindestens genauso sehr wie Eames, und sie waren sich einig, dass sie bald zurückkehren mussten. Die Kriminalitätsrate könnte sinken, wenn sie zu lange abwesend bleiben würden und das wäre wohl für beide unvorteilhaft – für Eames noch mehr, als für den Chemiker. Nachdem er sich nun für die kommenden Tage versorgt hatte, machte er sich daran, seine Zielperson aufzuspüren. Seine Schicht begann um 12 und er ging vorher immer ins Studio, das wusste er von Jesse, der den liebenswerten Mr. Foster (laut Jesse „Mister Fister“) vor der Schicht immer ins Planet of Fitness in Harlem ging. Er kannte den Geschäftsführer persönlich und bekam deswegen Rabatt-... Dass man noch auf Kohle achten musste, wenn man für den CEO einer der schwersten Geldunternehmen der Welt arbeitete! Alter Geizhals. Und der Typ war eigenartig. Grobschlächtig, grimmiger Blick, sah älter aus, als er war, wenig Haar, fleischiger Nacken, erinnerte an Jason Statham in schlechten Zeiten – alles in allem: keine Herausforderung für Eames. Leicht zu durchschauen. Er kannte genug solcher Typen. Es folgte eine wunderbare heiße Dusche (obwohl er so gut wie nicht trainiert hatte), in der er Mister Foster noch etwas genauer abcheckte – natürlich mit Sicherheitsabstand. Danach folgte er dem Grobian noch bis zum Four Seasons, wo er seinen Klienten abholen und seinen Kollegen ablösen würde. Irgendwo da oben, in diesem imposanten Luxus-Steinklotz. So ziemlich genau vier Stunden nachdem er von Arthur zuhause abgedampft war, tauchte er wieder dort auf. Heiter pfeifend kam er zur Wohnungstür herein. »Jemand zuhause?«, rief er in waschechtem Sit-com-Ton und ließ Arthurs Schlüssel wieder in die Hosentasche sinken. Er trug einen P.A.S.I.V.-Koffer in der einen, eine Sporttasche und eine weiße Plastiktüte in der anderen Hand. Damit steuerte er auf die Couch zu – seine vorläufige Bleibe – um alles abzustellen. »Ich hab Tagliatelle mitgebracht! Aspargus, mushroom, chicken, whatever you desire, my love.« Schmerzen hatte er dank Yusufs Versorgung keine, daher die schrecklich gute Laune. *Arthur* Eines der Dinge, die Arthur gerne vergaß, während er arbeitete, war: essen. Er war ohnehin nie der große Esser (allein machte es wenig Spaß) und wenn er andere Dinge zu tun hatte, dann konnte es vorkommen, dass er irgendwann Schwierigkeiten mit dem Kreislauf bekam. Er saß mittlerweile wieder an seinem MacBook und versuchte sich schon vorab ein Bild davon zu machen, wie das Zimmer von Jobs wohl aussehen konnte, als er die Tür hörte, die Schritte des anderen. Die CD, die er vorhin angemacht hatte, war mittlerweile verstummt, ohne dass er es gemerkt hatte. Arthur riss sich von seinen Gedanken los. Im Moment kam er kaum weiter, wenn er nicht selbst raus ging, um Dinge zu recherchieren. Aber vorher mussten sie sich besprechen. Daher verließ er sein Arbeitszimmer, hörte bereits im Schlafzimmer Eames erschreckend gute Laune und atmete tief durch. Das flaue Gefühl im Magen regte sich bei den letzten beiden Worten. Aber das war Eames einfach. Das hatte nichts zu bedeuten, es gehörte einfach dazu, wenn man mit ihm zu tun hatte. Vermutlich betitelte er so ohnehin alle. Das hatte er gelernt über die Jahre. Ihm selbst würden solche Worte vermutlich niemals über die Lippen kommen… In diesem Fall überging er sie einfach, hatte viel zu gute Laune ob der Arbeit. „Essen kling gut!“, sagte er und fügte ein My Kryptonite in Gedanken hinzu. Dann betrachtete er mit einem etwas kritischen Blick den Koffer und die Sporttasche, die der andere so selbstverständlich auf dem Sofa abgestellt hatte. Tatsächlich hatte er das Bettzeug des anderen zur Seite geräumt und das Sofa wieder eingefahren. Eigentlich hatten sie eine Abmachung, die – wie es schien – aber vermutlich nicht eingehalten werden würde. Ob Eames den Schlüssel wieder zurückgelegt hatte? Er ärgerte sich noch immer über sich selbst. Als er vorhin Laufen war, hatte er gemerkt, was geschehen war. Leise fluchend war er die Treppe hinuntergestampft und hatte Mrs. Norris, eine sehr ‚aufmerksame‘ Nachbarin etwas verschreckt. Die weiße Tüte war sicher das Essen. Er spürte, dass er verdammt großen Hunger hatte. Gerne hätte er gefragt, warum Eames den Koffer besorgt hatte – und von wem - , aber der Hunger war stärker als seine Neugierde. Er ging an Eames vorbei in die Küche, die er auch noch aufgeräumt hatte, holte zwei Teller und Besteck heraus und stellte sie auf die Theke. „Alles besorgt, was du haben wolltest?“, fragte er nun. „Ich nehme Huhn!“ *Eames* Wie es schien hatte Arthur die Couch und alles drum herum wieder in seinen Urzustand gebracht. Nicht sonderlich einladend und ein klares „Ich stehe zu meinem Wort, du Penner, also stehe auch zu deinem!“ Well, dann hatte er wohl keine Wahl, als sich doch noch ein Zimmer zu nehmen. Vielleicht nahm Yusuf ihn ja auf. Der hatte sicherlich eine Liege frei. Eames folgte seinem Point Man in die Küche und hatte sofort das Bedürfnis, ihm einen Kuss in den Nacken zu drücken. Diese häusliche Geste, die Teller für sie beide aus dem Schrank zu holen, während er das Futter für sie beide besorgt hatte, mochte banal sein, aber hatte etwas Erwärmendes, das ihn an klassische 50er Jahre Schwarzweißfilme erinnerte. … oder es lag einfach an den geilen Pillen. War aber auch egal, da er widerstand und sich stattdessen mit der Tüte an den Tisch setzte. »Alles besorgt. Und du? Irgendwelche neuen Erkenntnisse?« *Arthur* Arthur stellte Teller und Besteck auf den Tisch und ging zurück zum Kühlschrank, um eine Flasche Wasser noch zu holen und zwei Gläser. "Ich habe mit Jesse telefoniert", antwortete er schließlich, als er wieder am Tisch saß und Eames etwas einschenkte. "Interessanter Kerl und bereit, uns bei allem zu unterstützen. Ich denke, er wird uns hilfreich sein." Er kippte sein Essen aus der Plastikschüssel auf seinen Teller. "Danke", sagte er leise und begann die breiten Nudeln aufzudrehen. "Ich zeig dir alles, was ich zusammengetragen habe, nach dem Essen. Ich denke, ich hab ein paar Ideen." Er nahm einen Bissen und kaute. Sehr gutes Essen! Sein Magen dankte es ihm gerade sehr. Kaffee und Zigaretten sind halt doch ein bisschen wenig, vor allem, wenn man sich nicht nur geistig, sondern auch körperlich beanspruchte. "Ich würde gerne nachher ins Four Seasons. Ich muss sein Zimmer sehen. Ich denke, wir sollten das Hotel als Szenerie nehmen. Das hab ich schon einmal konstruiert. Aber ich muss das aktualisieren. Hast du Zeit, mir zu helfen?" Er blickte Eames fragend an. Vieles wäre einfacher, wenn dieser dabei wäre. "Du hast in den Daten einen Kontakt erwähnt, der uns Zugang verschaffen könnte..." *Eames* Eames bediente sich genauso und begann zu Essen. Etwas wehmütig, da die Pasta in Sizilien natürlich weitaus besser schmeckten als vom Straßenimbiss in New York. »Sure«, bestätigte er. Das würde ihm ganz gut in den Kram passen. Sein Kontakt arbeitete im Wellness-Bereich des Hotels und war für ein Bild von Benjamin Franklin immer bereit, etwas für ihn zu tun. »Ich habe einen Koffer besorgt und würde gern danach ein paar Sachen auf Traum-Level mit dir durchgehen.« Er nahm einen Schluck Wasser und beobachtete Arthurs Reaktion über den gläsernen Rand hinweg. Damals hatten sie viel Zeit gemeinsam im Traum verbracht. Abwechselnde Rollen, verschiedene Szenarien. Sie hatten viel zusammen entdeckt. Natürlich hatte er noch mehr durch Cobb erfahren... aber das schmälerte das Erlebnis für Eames nicht. *Arthur* Na das klappte doch ganz gut. Das Rennen hatte ihm gutgetan. Er war gestern unvorbereitet gewesen, als Eames plötzlich neben ihm aufgetaucht und danach nicht wieder gegangen war. So etwas stresste ihn – vor allem, weil es Eames war. Die Zeit, in der Eames weg war, hatte ihm gutgetan, sich mit der neuen Situation besser abzufinden. Eames war da, sie arbeiteten miteinander, er half einem Freund und danach gingen sie wieder getrennte Wege. Nichts, was einen beunruhigen musste. Dass er das Bettzeug zur Seite geräumt hatte, bedeutete auch nicht, dass er ihn wirklich wieder rausschmeißen würde. Er wollte sein Wohnzimmer einfach nur ordentlich haben. Es war nicht böse gemeint… Und jetzt würde er sich darauf konzentrieren, mit Eames so umzugehen, wie man mit ihm vermutlich einfach umgehen musste: nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Nichts zu nah an sich heranlassen. Arthur nickte zufrieden, als ihm zugesichert wurde, dass er ihn begleiten würde. Gerade wenn es um persönliche Räume ging war ein Ortsbesuch verpflichtend. Er aß genüsslich seine Tagliatelle und spürte, dass auch mit Eames Anwesenheit seine gute Laune nicht abriss. Ein gutes Zeichen… Ich habe einen Koffer besorgt und würde gern danach ein paar Sachen auf Traum-Level mit dir durchgehen. Arthur hatte gerade die Gabel in den Mund gesteckt und ließ sich Zeit, sie wieder herauszuziehen. Auch damit hatte er rechnen müssen. Dennoch löste dieser Aspekt gemischte Gefühle in ihm aus. Als sie sich kennengelernt hatten und auch als sie sich auf Tokyo vorbereitet hatten, waren sie viel auf der Traumebene unterwegs gewesen. So konnte man Zeit einsparen, so konnte er am besten konstruieren, so konnte man kreativ werden. Sie hatten zusammen trainiert. Damals war er völlig neu in das Metier gekommen. Er hatte viel experimentiert, hatte tausende Ideen gehabt und ausprobieren müssen. Eames hatte ihn oft begleitet und ihm Feedback gegeben. Denn was Kreativität betraf, war der Brite einfach unschlagbar. Viele Aspekte der Traumkonzeption baute Arthur noch immer auf ihrem Austausch von damals auf. Sie hatten sich inspiriert und sie hatten sich vor allem gut verstanden. Damals hatte er begonnen, dem anderen eine Chance zu geben, auch wenn er lange gezögert hatte, auch wenn er es nie wirklich deutlich gezeigt hatte... Letztlich war er zu lange oder zurecht zu zögernd gewesen – je nachdem, wie man es betrachtete. Arthur hatte im Nachhinein viele „Wenns“ in seinem Kopf herumgewälzt. Doch sie hatten ihn nie weitergebracht. „Können wir machen“, sagte er nun, auch wenn sein Blick noch in einer anderen Ferne war. Damals war es meist Arthurs Unterbewusstsein gewesen, das sie aufgesucht hatten. Damals war es entweder sein Traum gewesen, oder der von Dom oder auch Ariadne. Er war noch nie in Eames Traum gewesen, hatte nie das gesehen, wie jener das architektonische Konstrukt mit Leben füllte. “Grau und kalt!“ – hatte Ariadne geantwortet, als er sie gefragt hatte, wie es war, als sie in jenem Bunker waren, den sie als Krankenstation für Fishers Vater konstruiert hatten. Arthur hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Es hatte ihn verwirrt. Mit Eames verband er Wärme, sonnengebräunte Haut und turbulentes, buntes Leben – wieso füllte sein Unterbewusstsein einen Traum mit Kälte, Schnee und Grau? War es das Szenario, in dem er sich als Soldat am besten zurechtfand? Oder hatte es eine andere Bewandtnis? Oder interpretierte er viel zu viel hinein? Vermutlich letzteres. Aber Dom zog ihn auch immer damit auf, dass seine Träume seine Note trugen. Es lief die Musik, die er gerne hörte, es hingen die Bilder, die er gerne mochte, das Erscheinungsbild war geordnet und klar strukturiert, trug dezente Farben und geometrische Formen. Alles war klar definiert - so wie er eben war, bzw. sich wohlfühlte. Arthur schüttelte den Gedanken ab und blickte nun endlich Eames an. „Können wir machen. Macht vermutlich Sinn, das zu tun, bevor wir dann dem Four Seasons einen Besuch abstatten.“ Er lächelte leicht. „Und es klärt vielleicht Fragen, die ich noch habe.“ Er sah wieder auf den Teller und aß weiter. Dennoch war es lange her, dass sie nur zu zweit sich an den P.A.S.I.V-Koffer angeschlossen haben. Gerade beim letzten Fall war Ariadne oder Dom eigentlich (zum Glück) immer dabei gewesen. *Eames* Irgendwie hatte Eames mit mehr Widerstand gerechnet. Stattdessen bekam er eine recht abwesende, gedanklich ferne Antwort von Arthur. Verdächtig... da arbeitete etwas, das Arthur ganz gern loswerden wollte, aber nicht konnte. Dass es irgendetwas mit ihm zu tun hatte, war leider offensichtlich. »Davor?«, fragte er überrascht, nachdem er großzügig darauf gewartete hatte, dass Arthur seine Aussage zu Ende brachte. Wo auch immer er gerade gewesen war... »Wie du meinst. Wir müssen so wie so öfter rein. Planen, Aufbauen und so.« Er stocherte in seinen Tagliatellen herum. So richtig Appetit hatte er gerade keinen. »Dein, oder mein Traum?« Set your dreams where nobody hides (https://youtu.be/lAwYodrBr2Q) *Arthur* Im Gegensatz zu Eames hatte er richtig Hunger. Sein Teller war fast leer, als er die Frage des anderen vernahm und erstaunt aufblickte. Dass Eames es ihm zur Wahl stellte, war ungewohnt. Aber irgendwie fühlte sich das gut an. Wie schon am vergangenen Abend hatte er das Gefühl, als käme er in den Genuss, eine wesentlich sanftere Seite von Eames sehen zu dürfen. Fast wie damals in manchen Momenten. Einen Augenblick sah er ihn an, wog ab. Wollte er in Eames' Traum? Er schluckte den Bissen hinunter. Er war definitiv neugierig. Aber er hatte auch ein wenig Angst, dass es ihn zu sehr anschließend beschäftigen könnte, was er sehen würde. Wollte er sehen, wie das Unterbewusstsein des anderen Räume füllte? Ja, aber... "Das kommt darauf an, was du mit mir besprechen möchtest", antwortete er. "Wenn du gleich ins Hotel willst, dann lass uns in meinem gehen. Ich habe ein bereits recht konkretes Bild davon. Wenn du mir etwas anderes zeigen willst, dann nehmen wir deinen." Das Sturmgrau, in das er blickte, wirkte irgendwie seltsam verletzlich. Oder bildete er sich das ein? "Alles ok mit dir?", fragte er und blickte kurz auf den noch fast vollen Teller des anderen, dann wieder in seine Augen. *Eames* Es gab tatsächlich Dinge, die er Arthur in seinen Träumen zeigen musste, aber Arthur würde der Träumer des ersten Levels ihrer Mission sein. So viel hatten sie unausgesprochen wohl schon beschlossen. Arthur war der bessere Architekt; detailverliebt und sauber in seinen Strukturen. Wenn sie das Zimmer des Four Seasons nachbauen wollten, war er eindeutig die bessere Wahl. Eames haderte jedoch noch mit sich selbst, ob es wirklich das Hotel sein musste. Es gab ein bis zwei Punkte, die dagegensprachen, aber das würde er mit Arthur noch in Ruhe klären. »Ja, ja, das sind nur Yusufs Pillen«, wehrte er ab und legte schließlich die Gabel ab. Es hatte keinen Zweck. Schade um die Nudeln! »Wir nehmen deinen. Wie ich dich kenne, hast du bereits das Labyrinth vervollständigt.« Dieser alte Streber! »Danach zeig ich dir was in meinem. Wenn du dich traust.« *Arthur* Yusufs Pillen – Arthur hob eine Augenbraue. Der Chemiker war genial, aber die Sachen waren auch heftig. Vermutlich war Eames vor dem Fitnessstudio zu ihm gegangen, um sich aufzuputschen. Wunderbar! Hoffentlich ging das nicht nach hinten los. "Übertreib es nicht mit seiner Hexenküche!", mahnte er und betrachtete noch einen Moment den anderen. Er sollte schauen, dass sich Eames nicht übernahm. Das Gefühl von Fürsorge, das er gestern schon gespürt aber abgetan hatte, meldete sich wieder. Arthur nickte auf den Plan ihres Vorgehens hin und aß seine letzten Bissen. Es war das Vernünftigste. Ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen. Gerade wollte er antworten, als Eames noch was nachschob, was ihn leicht lachen ließ. Mit einem Grinsen im Gesicht blickte er Eames an. "Ich mich traue?", fragte er ungläubig nach. Ob Eames Gedanken lesen konnte?! "Zur Not schicke ich dir die Rechnung meines Psychiaters", lachte er und schüttelte den Kopf. "Wird ein netter Kontrast. Meine Hausaufgaben habe ich freilich gemacht. Mal sehen, in welchem Chaos ich bei dir versinke." Tatsächlich hatte er mehr Angst davor zu sehen, welche Art Menschen den anderen beschäftigten, welche Schönheiten den Raum füllten, wem sie begegnen würden - und, ob er sich wirklich warm anziehen musste. *Eames* Er winkte ab mit einem Gesichtsausdruck, der so viel sagte wie "Ich hab alles unter Kontrolle". Soweit er das abschätzte, hatte er das auch. Immerhin waren es nur ein paar starke Schmerzmittel; das Zeug gab‘s sogar in der Apotheke, hatte Yusuf ihm versichert. Arthurs Lachen brachte ihn zum Staunen. Er hatte eigentlich nur einen dummen Witz gemacht; eine lahme Floskel, die in der Regel niemanden beeindruckte. So was wie „Probiere meinen Drink..., wenn du dich traust“ So was Albernes eben. Doch nun begann er sich wirklich Gedanken darum zu machen, was Arthur damit von sich preisgegeben hatte... ob er damit etwas preisgegeben hatte. “Zur Not schicke ich dir die Rechnung meines Psychiaters" Ein Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus, während er fasziniert in das Gesicht seines Gegenübers blickte. Man konnte den Menschen bis vor ein paar Jahren nur bis vor die Stirn blicken... dank Dream-Sharing kam man nun ein bisschen weiter. ...Aber vielleicht war Arthur auch einfach nur ein Großkotz, der sich über Eames vermeintlichen Kleingeist lustig machen wollte. Auch das war eine Möglichkeit, auch wenn er es hasste, so etwas zu denken. »Warst du schon mal auf Mardi Gras? Wenn nicht, wird es ein Schock für dich.« Dann stand er auf und begann abzuräumen. Seine Nudeln landeten postwendend im Müll. *Arthur* Arthur ließ die Versicherung so stehen. Er war nicht Eames Kindermädchen und sie hatten bereits gestern darüber geredete, dass er erwartete, dass der Forger fit war. Mardi Gras? Dieser Faschingsumzug, von dem Ariadne schwärmte und zu dem sie letzte Woche geflogen war? Fasching war so ziemlich das letzte, was Arthur mochte. An zweiter Stelle stand der St. Patricks Day und Halloween... ihm wurde erneut flau im Magen. Die Worte des anderen waren wenig beruhigend. Aber schlimmer war die Neugierde, die geweckt war. Zusammen mit dem Gefühl der ausgleichenden Gerechtigkeit. . Die Teller wurden in der Geschirrspülmaschine geräumt, dann trank er noch ein Glas Wasser. "Dann wollen wir mal", murmelte er und ging vor in sein Reich. Kapitel 11: Tokyo Sunrise ------------------------- *Arthur* Im Arbeitszimmer surrte sein iPhone, als er eintrat. Er griff danach und las die Nachricht, die er bekommen hatte. Kurz zog sich seine Stirn zusammen, dann blickte er auf den Kalender und tippte dann eine Antwort ein. Abschließend speicherte er einen neuen Termin. "Entschuldige", sagte er knapp und trat dann zu Eames und deutete auf die Pinnwand. "Ich hab alle Infos, die ich bekommen hab, versucht zu strukturieren. Die Zettel mit roter Schrift sind noch offene Punkte." Er ließ dem anderen Zeit, alles anzusehen. "Meine Idee ist, ihn im Hotel beim Gang zu einem Event abzupassen. Vielleicht kann man ihn über den Blutzucker ausschalten. Jesse überprüft, was er auf seinem Handy hat. Vielleicht haben wir Glück und er steuert sein Insulin über eine App." *Eames* Belfast. Während Arthur auf seinem Handy herumtippte, war Eames in der Mitte des Raumes stehen geblieben. Den Blick unverwandt auf die Uhren gerichtet. Es war schwer für ihn zu beurteilen, was er dabei empfand, aber er bedauerte sehr, dass Alkohol und Somnacin so schlecht zu kombinieren waren. Er entdeckte sein Gesicht. Eine schmeichelhafte Bleistiftzeichnung, er sah recht jung aus. Leider hatte sie keinen besonderen Platz zwischen den dutzend anderen Skizzen von Personen an Arthurs Wand der Inspiration und Erinnerungen. Dann erst betrachtete er Arthurs Werk, die Pinnwand. Das hatte er von Dom gelernt. Oder Dom von ihm? Schwer zu sagen, aber die Ausarbeitung war exzellent... und Arthur wunderte sich, dass er ausgerechnet zu ihm kam! »Gut.« Der unbeeindruckte Ton der Aussage schmälerte den Erfolg beinahe. Mochte an der irrationalen Wut liegen, die in ihm aufstieg. Wovor hast du Angst, Arthur? »Sehr gut. Wenn er eine Pumpe hat, sind wir nicht mal unbedingt auf eine App angewiesen. Mit der passendes Ausrüstung kann man diese Dinger auch von außen fernsteuern.« Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und starrte fachmännisch auf die Tafel. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine tiefe Furche gebildet. »Gibt es schon Infos zu Events im Four Seasons, an denen Jobs teilnimmt?« *Arthur* Die Die Körperhaltung wirkte abweisend, sein Blick kritisch. Arthur folgte diesem an die Wand, wo die Uhren hingen, von denen eine bis vor kurzem etwas anderes angezeigt hatte. Er schluckte. Ob jener doch am Vormittag zumindest... Er biss sich leicht auf die Unterlippe und sagte nichts dazu. Sie sollten sich jetzt ohnehin lieber der Pinnwand widmen. Die Begeisterung des anderen für seine Vorarbeit hielt sich in Grenzen. Na herzlichen Dank auch! Arthur wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht passte. Es machte ihn nervös, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ und so tat, als sei alles bester Ordnung. Er nickte, als Eames erklärte, dass die Insulin-Zufuhr die Schwachstelle war, die man auf die ein oder andere Art würde nutzen können. Jetzt kam es nur auf den passenden Moment an. Und auch in diese Richtung hatte er bereits recherchiert. Unter einem Foto von dem durchaus gutaussehenden Italo-Amerikaner hingen Fotos, die er in den Social Media Netzwerken gefunden hatte. Fotos von Massage-Sessions; Jobs mit einem Mann, einer Frau, mit dem aktuellen CEO in New York. Seine beiden Bodyguards; "Jobs steht auf Massagen und im Four Seasons wird er das vermutlich in Anspruch nehmen. Das können wir sicher später noch herausfinden. Wenn ich sage, dass er darauf steht, dann meine ich das auch so. Offenbar ist er mal angezeigt worden, weil er angeblich eine Masseurin namens Andrea Guerra sexuell belästigt hat. Die Anzeige wurde aber zurückgezogen.“ Die Italiener hatten ohnehin ein seltsames Rechtssystem. „Außerdem hat er einen Schulfreund, der in New York wohnt und den er bei seinem letzten Aufenthalt hier besucht hat. Der Freund hat ziemlich viele Fotos von einer Party im Cielo gepostet.“ Er deutete auf das entsprechende Foto. „Seine Schwester wohnt im ehemaligen Elternhaus in Philadelphia. Wie da die Beziehung ist, weiß ich nicht. Ich hoffe, wenn Jesse mir die Daten vom Handy schickt, dass ich dann ein besseres Bild habe. Die Eltern sind tot. Ich könnte nach Phili fahren und mir das Haus ansehen. Wir brauchen eine Möglichkeit für eine zweite Traumebene, wenn es zu Komplikationen kommt.“ Auf einem der Fotos war eine junge, eher verschlossen wirkende Frau mit einem Labrador-Welpen zu sehen. „Die beiden Geschäftsessen, die du erwähnt hast, sind zum einen mit Alexander Homes, dem hiesigen CEO, der ihm vermutlich gratulieren will, dass er in Italien den ‚Exceptional Foreign Entrepreneurs – Award‘ gewonnen hat. Der andere Termin ist in einem Golf-Club-House mit keinem geringeren als Gregor Methew, einem der Millionen mit sehr fragwürdigen Geschäften in der Immobillien-Branche gemacht hat und jetzt Gründer von ScamAwareness ist, einem wohltätigen Unternehmen für Betrugsopfer. Dem würde ich auch zu gerne mal auf die Füße treten…“ Er atmete kurz durch, blickte wieder auf die Pinnwand und überlegte, wo er fortfuhr. „Wie gesagt, wenn Jesse das Handy geknackt hat, weiß ich mehr“, sagte er wieder an Eames gewandt. Er deutete auf die eine Seite der Pinnwand, an die er alle Informationen über das Hotel festgehalten hatte. „Im Grunde wird ein Traum im Hotel das einfachste sein. Es ist ein gewohnter Ort, den ich perfekt in ein Labyrinth verwandeln kann und den er mit Leichtigkeit füllen kann. Ich würde gerne dort zuschlagen. Kommt natürlich darauf an, wie kooperativ dein Kontakt ist und wie schwierig es ein wird, sich Zutritt zu verschaffen. Jesse meinte, er würde sich auch das Sicherheitssystem vornehmen. Vermutlich kann er uns unsichtbar machen. Gut wäre es auch, wenn wir den Chip austauschen. Unter Umständen fällt Jobs das erst auf, wenn er wieder in Italien ist. Die Frage ist nur, welches Szenario du schaffen willst, damit er das Versteck verrät. Er sollte irgendwie in die Notwendigkeit kommen, an seine Daten kommen zu müssen…“ Dafür war aber Eames zuständig und letztlich auch der Profi. *Eames* „Dem würde ich auch zu gerne mal auf die Füße treten…“ Er war vielleicht schlecht drauf und sein Magen fühlte sich an, als wäre er mit großen, schweren Steinen gefüllt, aber diese Aussage brachte ihn zum Lächeln. Er schnaufte einen amüsierten Laut dabei. Rechtschaffenes Kerlchen. So war er eben. Eames bewunderte das. Nur war Gerechtigkeit nicht alles was zählte. Mit dem Zeigefinger streichelte er nachdenklich seine Unterlippe, während sein Blick nach wie vor auf der fein verzweigten Pinnwand lag. »Du hast Recht, wir sollten nach Phili fahren. Wir müssen ihn bei den Eiern haben, falls er misstrauisch wird. Vielleicht finden wir heraus, wie sein Verhältnis zu seiner Schwester ist. Das könnte nützlich sein.« Unter Umständen könnte man ein Schriftstück von ihr einbringen, um ihn emotional angreifbar zu machen. Das war ein weit verbreiteter Trick beim Dream-Sharing. »Gute Arbeit«, gab er endlich zu, als Arthur geendet hatte. Dabei verpasste er ihm einen lobenden Klaps auf den Rücken, der etwas brutaler herauskam, als geplant. Die Wut war noch nicht verflogen. Was die Extraktion anbelangte: das würde kommen, da war er sich sicher. Es kam immer. Er musste seinem lieben Mister Fister noch ein bisschen mehr nachstellen, dann würde er ihn perfekt im Traum nachstellen und so an alle wichtigen Informationen kommen. Eine weitere Person zu involvieren war nicht nötig, so weit er beurteilen konnte. Nicht, wenn sie vielleicht sogar Yusuf mit in den Traum nehmen konnten. *Arthur* Es war fast wie in der Schule. Man hatte ein Referat über Quantenphysik gehalten und blickte den Lehrer fragend an, der unverwandt versuchte zu verstehen, was man eigentlich gesagt hatte, bevor er sich dann doch zu einem halbherzigen Lob herabließ, obwohl er einen besseren Vortrag vermutlich nicht mal an der Uni gehört hätte. Er brauchte ja nicht überschwängliche Jubelrufe, weil er seinen Job gemacht hatte, aber irgendeine Reaktion?! Als Eames endlich den Mund aufbekam, war es so gar nicht das, was er hören wollte. Wir sollten nach Philli fahren.?!? Arthur hob irritiert die Augenbrauen. Der Forger hatte recht, dass Blutsverwandte meist wirklich ein gutes Druckmittel bildeten. Eine Schwester, die scheinbar entführt worden war, motivierte viele dazu, Geheimnisse schneller preis zu geben. Aber letztlich würde es vermutlich reichen, wenn ER alleine fuhr. Er legte sich gerade Worte zurecht, die nicht zu abweisend waren – Eames schien schließlich irgendwie… angesäuert zu sein, als er einen Schlag auf die Schulter verpasst bekam, dem er allein schon wegen des Muskelkaters in den Schultern gerne nachgab und leicht zur Seite stolperte. Er verzog das Gesicht und legte seine Hand auf die Schulter, diese vorsichtig kreisen lassend, bevor er sich wieder streckte. Zu dieser liebevollen Geste wurde noch ein „Gute Arbeit“ ausgespuckt, dass sich Eames auch gern sonst wohin stecken durfte. Arthur grummelte innerlich. Er verzog etwas genervt die Lippen, blickte auf die Wand, für die er seinen Schlaf geopfert hatte. Sein Kiefer knirschte, doch er schluckte den aufkommenden Ärger hinunter. Kryptonit! „Bist du mit deinem Muskelprotz denn schon so weit durch, dass du ihn forgen kannst?“, fragte er. „Ansonsten kann ich auch einfach allein nach Philadelphia fahren.“ Drei Stunden Fahrt und ein paar Stunden vor Ort alleine klangen irgendwie verlockend. Einfach vor sich hin zu arbeiten ohne ständig jemanden bei sich zu haben, hatte ihm vorhin wirklich gut getan. All I need is a little time To get behind this sun and cast my weight All I need is a peace of this mind Then I can celebrate… (https://youtu.be/mTHjFeXmnHs) *Eames* Tat weh, hu?, dachte er amüsiert und sah zu, wie Arthur durch den Schlag etwas zur Seite schwankte. Den hatte er verdient! - fand er. Eigentlich noch einen. »Nein, das mit Foster dauert noch. Ich wollte ihm heute Nacht folgen, seine Schicht endet um Mitternacht.« Er hatte wohl recht... wenn Arthur allein fuhr, sparten sie Zeit. Auch wenn er sich die Fahrt irgendwie schön vorgestellt hatte. Nur sie beide; ein kurzer Ausflug; wie Urlaub. Ein paar hitzige Diskussionen waren natürlich vorprogrammiert, aber nichts Schlimmes. Bis morgen würde er seinen Ärger bereits heruntergeschluckt haben, da war er sich sicher. Er neigte zu impulsiven Aktionen, aber er war nicht dumm. Der Job war verdammt wichtig und ihre Krise konnten sie danach immer noch austragen. »Wenn du meinst, fahr allein. Aber nimm keine Tramper mit. Das sind alles Perverse.« Er zwang sich zu einem Lächeln. Zufrieden war er nicht, aber das musste warten. *Arthur* Hm, der Plan, dass Eames dem Bodyguard folgte, passte gut in ihren Zeitplan hinein. Außer der Tatsache, dass sich Eames vermutlich die Nacht um die Ohren schlagen würde und morgen ohnehin nicht einsatzbereit sein würde. „Klingt gut“, sagte er knapp. Kurz biss er sich auf die Unterlippe. „Vergiss nicht… den Schlüssel mit zu nehmen.“ Sein Blick lag auf dem Foto des Security-Mann und rührte sich da auch nicht weg. Als Eames ihm dann aber seine Erlaubnis gab, allein nach Jobs Schwester zu schauen, musste er ihn doch anschauen. Ein amüsiertes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Ist gut, Papa“, antwortete er. „Du musst es ja wissen.“ Sein Handy surrte erneut und er blickte darauf. „Jesse scheint erfolgreich gewesen zu sein“, sagte er und überflog die kurze Nachricht, die gleich wieder verschwinden würde. „Aber das schaue ich mir später an, wenn du dem Typen nachstellst. Darf ich dir dann zeigen, was ich im Hotel eingebaut habe?“ Er nickte in Richtung der beiden Liegesessel. *Eames* Er lachte. Er war früher selbst oft getrampt. Zählte sich aber nicht zu besagten Perversen dazu... nur ein klein wenig. Arthurs wirkte entspannt, das lockerte auch Eames wieder ein wenig auf. Dass Jesse erfolgreich war, quittierte er mit einem Daumen hoch. Bester Mann. Vollkommen durchgeknallt, aber das war OK. Immerhin würde ein gesunder Mensch nicht freiwillig auf Abermillionen Dollar verzichten. »Ich bitte darum«, bestätigte er Arthurs Vorschlag. Während er durch Arthurs Schlafzimmer zurück ins Wohnzimmer ging, um den Koffer zu holen, befreite er sich bereits von seinem Jackett. Er öffnete weitere Knöpfe seines Hemdes, die Ärmel krempelte er bereits hoch für die Infusion. Alles gewohnheitsgemäß. Wenn er dalag, wollte er es bequem haben, um nicht mit unangenehmen Liegefalten oder tauben Gliedmaßen zu erwachen. Den Koffer platzierte er in der Mitte der beiden Sessel, klappte ihn auf und überprüfte den Stand des Somnacins. Dann kniete er sich neben Arthur, der bereits Platz genommen hatte und suchte nach einer Vene an seinem Arm. »Ist eine Weile her, seit wir allein da drin waren, hm?« *Arthur* Arthur antwortete Jesse kurz und versprach, sich später noch ausführlicher zu melden, während Eames den Koffer holte. Dann entledigte er sich seines Jacketts und knöpfte nur den linken Arm auf, um das Hemd hochzukrempeln. Den rechten verwendete er nie. Schließlich setzte er sich auf einen Sessel. Sein Blick war auf Eames gerichtet, der den Koffer abstellte und öffnete, alles zurechtmachte und sich schließlich ihm zuwandte. Arthur streckte ihm seinen Arm hin. „Mitte, tief“, sagte er leise und aus Gewohnheit, während er die Finger des anderen auf seiner Haut beobachtete. Als er Toms Worte hörte, blickte er auf und sah in die blauen Augen des anderen. „Da hast du recht“, sagte er leise. „Sechs Jahre, drei Monate und 24Tage.“ Er spürte, wie die Nadel seine Haut durchdrang und Eames den Zugang perfekt legte. Als das Somnacin in seine Venen fließen spürte, lehnte er sich zurück, ohne den Blick von Eames abzuwenden. *Eames* Arthurs Antwort traf ihn unvorbereitet. Seine Mimik verhärtete sich und der uralte Schmerz breitete sich wieder aus. Es gab nichts, was man darauf erwidern könnte. Nicht in ihrer Situation (und damit war nicht gemeint, dass sie gerade dabei waren, einen Traum zu teilen, sondern die Gesamtsituation). Es würde sie wieder an den einen Knackpunkt zurückbringen: Tokyo. Nüchtern betrachtet führten wahrscheinlich alle Wege zurück dorthin. Zu ihrem Tokyo. Fraglich war jedoch zweierlei: ob Eames es verkraftete, zurückzukehren und sich vielleicht für immer von Arthur zu verabschieden, oder ob Arthur ihm glauben schenken würde. Schließlich konnte er nicht beweisen, dass er damals nur versucht hatte, den Menschen zu beschützen, der ihm am wichtigsten war. Said a lot of words along the way I meant them all while we reigned But shores of love get beaten by the waves and after it was done I wish I'd saved time (…)Love is never gone away It's gonna come around some day I'll see you again (https://youtu.be/NFnIuBB9YAo) Er sah zu, wie Arthur einschlief. Atmete schwer. Dann machte er es sich ebenfalls bequem, stellte den Timer auf 5 Minuten und schloss sich ebenfalls an die Apparatur an. Kapitel 12: Let me follow ------------------------- [[BILD=8338803.jpg]] *Arthur* Ein Telefon klingelte, der Wagen auf dem Gepäck transportiert wurde, quietschte etwas, Menschen schritten durch die Empfangshalle des Luxus-Hotels. Es schien Abend zu sein. Eine Paar schritt in Smoking und Abendkleid die Stufen hinunter. Offenbar waren sie auf dem Weg in die Oper oder ins Theater. Arthur blickte an sich hinab und hatte einen graublauen Anzug an. ‘Wie die Farbe seiner Augen‘, dachte er bei sich. Dann blickte er sich nach eben jenem „er“ um. *Eames* Die Eiswürfel klimperten, als er die goldbraune Flüssigkeit im Glas schwenkte. Die Bar, an der er saß, war elegant designt. Edles Material, gedeckte, dunkle Farben, klares, aber kein blendendes Licht, Barkeeper und Kellner in Schlips und blütenweißen Hemden. Ein paar Damen in Kleidern, die an die 50er Jahre erinnerten. Er nahm einen Schluck und schmeckte den edlen Tropfen: irischer Whiskey natürlich. Wenn er sich darauf einließe, könnte er sogar betrunken davon werden. Er leerte das Glas schließlich mit seinem nächsten Zug und stellte es ab. Er nickte dem Barkeeper zum Abschied zu und schlenderte dann durch die Lobby, wo er Arthur schließlich entdeckte. Das Totem in seiner Hosentasche fühlte sich fremd an. Die typische Einkerbung an der Seite fehlte und das Gewicht stimmte nicht. Routinemäßige Überprüfung der Lage. »Du verbringst wohl zu viel Zeit in teuren Hotels, Arthur.« Sein Blick schweifte aufmerksam durch die Halle. Sein Unterbewusstsein war unruhig, das spürte er, aber noch kein Grund zur Sorge. Das Paar, das die Treppe hinab schritt, bedachte Arthur mit einem etwas längeren Blick, der wie ein Vorwurf wirkte. Doch auch sie gingen weiter an ihnen vorbei. »Schöne Details, alles nur etwas steif.« *Arthur* Als die Stimme von Eames hinter ihm erklang, drehte sich Arthur um. Er lächelte leicht. "Du ja wohl auch", entgegnete er. "Wohl aber nicht aus denselben Gründen wie ich. Ich war hier schon kurz nach der Eröffnung als Student drin und habe gezeichnet." Ja, er war schon in wirklich vielen Hotels gewesen und hatte deren Architektur studiert. Aber es kam sehr selten vor, dass er darin auch nächtigte und den Komfort genoss. Günstigere Hotels reichten ja auch normalerweise aus, wenn man nicht zu Hause übernachten konnte oder wollte. Wobei er mit Dom grundsätzlich auch in den schickeren Hotels eincheckte – da war er aber nicht die treibende Kraft. Sein Blick folgte dem von Eames' zu dem Paar und er war etwas überrascht, dass er so angesehen wurde. Wehrte sich Eames Unterbewusstsein gegen ihn? Der Forger kannte sicher alle Sicherheitsmaßnahmen und verwendete sie normalerweise auch bei seinen Aktionen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn er es nicht so einfach unterdrücken konnte. Arthur spürte den Holster an seinem Rücken und war sich sicher, eine geladene Clock dort zu finden. Sein Würfel steckte in der Hosentasche und war damit Signal genug, dass er in einem Traum war. Eigentlich trug er ihn immer in der linken Innentasche seines Jacketts. »Schöne Details, alles nur etwas steif.« Arthur sah wieder zu seinem Begleiter. Was sollte er darauf jetzt sagen? War das so schlimm? Musste man das immer und immer wieder erwähnen? "Hast du etwas anderes erwartet?", fragte er gegen. So war er nunmal. So fühlte er sich wohl und sicher. So konnte er gut arbeiten. Und letztlich war das doch genau das, das ihm bei diesem Hotel entgegenkam, oder nicht? Das Four Seasons passte hinsichtlich des Designs ja auch ganz gut zu ihm. Er ging die Stufen hinauf zur Rezeption. "Den Schlüssel zur Presidental Suite bitte“, sagte er zu der Rezeptionistin. „Einen Moment, Mr. Moore“, lächelte ihn die junge Frau an und hole die Schlüsselkarte. Gemeinsam schlenderten sie zu den Aufzügen, um zur Suite hinauf zu fahren. Es dauerte nicht lange, bis einer der Aufzüge kam, um sie nach oben zu bringen. „Das Four Seasons ist so nett, Fotos von allen Suiten ins Netz zu stellen“, sagte er im Aufzug. „Ich habe das bereits angepasst, sofern ich an den Bildern erkennen konnte, aus welchem Material was ist. Wenn ich nachher in sein Zimmer komme, müsste ich den Rest schnell anpassen können.“ Oben angelangt betraten sie die Suite, die einen kleinen Balkon und einen herrlichen Blick über Manhattan offenbarte. „Schlafen die Bodyguards mit in der Suite. Oder haben die etwas extra?“ Platz genug gäbe es in der Suite sicher. *Eames* Ehrlich gesagt hatte er genau das erwartet. Blanke Perfektion, der es an nichts fehlte, außer an der winzigen, chaotischen Komponente, die den sterilen Traum vom wahren Leben unterschied. Doch er wollte nicht urteilen, oder sich gar messen. Seine Träume hatten ganz andere Schwächen... Eames folgte Arthur, die Hände hatte er wie so oft in entspannter Haltung in den Hosentaschen versunken. Der Vorteil am Traum-Raub war, dass das Subjekt sich in der Regel nicht bewusst war, dass es träumte und deswegen nicht auf unlogische Details achtete. Eine Uhr, die rückwärtslief, oder Missachtungen der Naturgesetze. Was den Point Man betraf: er hatte seine Hausaufgaben gemacht. Ein makelloser Übergang, einwandfreie Physik und Statik. Jobs würde sich umsehen, sogar im unwahrscheinlichen Fall, dass er ein Training absolviert hatte. »Soweit ich weiß, haben die beiden eigene Zimmer auf dem Gang.« Er schlenderte zum Balkon hinüber und sah durch die Glastür nach draußen. »Bezaubernd. Wenn der Fall vorbei ist, sollten wir uns auch eine Nacht hier gönnen. Das Spa-Angebot soll unschlagbar sein.« *Arthur* Arthur blickte auf den Fluchtplan im Zimmer. Auch diesen würde er überprüfen müssen. Sicherheitskonzepte wurden gerne regelmäßig überarbeitet. Dann blickte er zu Eames, der am Fenster stand und hinausblickte. "Eigene Zimmer klingen gut." Wieder etwas, was er klären sollte. Wenn der Chip in einem dieser Zimmer wäre, müssten sie darauf vorbereitet sein. Er war auch zum Fenster gekommen, hatte die letzten Worte in Gedanken etwas hin- und hergeschoben. "Wenn der Fall vorbei ist, und es noch ein WIR gibt, dann könnte ich mich dazu überreden lassen", sagte er und wandte nun den Blick zu Eames. "Ich habe Ariadne versprochen, dass ich mich erholen werde. Wenn ich ihr ein Souvenir mitbringe, würde sie mir vielleicht sogar glauben. Vorausgesetzt, dass du dir mit mir so etwas wirklich antun willst. Ich habe das noch nie gemacht..." Er schmunzelte leicht bei dem Gedanken. Zeit totschlagen mit Nichtstun war eine seltsame Vorstellung. Dann drehte er sich. "Komm, ich zeig dir etwas", sagte er nun und trat durch den Raum zum Flur. Diesen ging er entlang bis zum Fluchtweg. Er deutete auf die Tür zum Treppenhaus. "Hier ist meine endlose Treppe eingebaut, falls er doch Wächter haben sollte." Er machte sich nicht die Mühe, ins Treppenhaus hineinzugehen. Eames kannte sie. "Und hier ist etwas Neues." Er war vor einer Tür mit der Aufschrift "Staff only" stehen geblieben. "Öffne die Tür, schau hinein, schließe sie und öffne sie wieder", wies er den anderen an. Eames würde jedes Mal in einen anderen Personalraum blicken, vier an der Zahl: die Küche, der Spa-Bereich, das Lager oder die Wäscherei. Immer im Wechsel. "Ich bin darauf gekommen, über den Fluss des Herklit. 'Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in den selben - wir sind es und wir sind es nicht.' Die Welt ist in ständiger Bewegung und unterliegt ständiger Veränderung. Warum also nicht eine Tür kreieren, hinter der sich immer etwas verändert, ohne dass wir das Gebäude und damit das Labyrinth verlassen?!" Dass er ein wenig stolz darauf war, konnte man vermutlich sehen. "Lass uns den Wellnessbereich anschauen...", deutete er Eames. *Eames* „...und es noch ein WIR gibt, dann könnte ich mich dazu überreden lassen." Eames ignorierte die Andeutung, dass sie nach dem Fall höchstwahrscheinlich wieder geschiedene Leute waren und antwortete nur mit einem gediegenen: »Great!« Als ob die kalte Schulter nicht ausreichte. Anscheinend legte Arthur es darauf an, noch eins auf die Nuss zu kriegen. Arthurs Erfindung brachte Eames zum ehrlichen Erstaunen. »Man kann nicht zweimal in den selben Fluss steigen.« Er öffnete und schloss die Tür noch einige Male. »Gute Arbeit. Das eröffnet uns ganz neue Fluchtwege.« "Lass uns den Wellnessbereich anschauen..." »Nach dir.« Während sie so durch die Gänge schlenderten, um den nächsten Fahrstuhl zu erreichen : »Erinnerst du dich an unsere Sparring-Sessions?« Er schmunzelte. Der eigentliche Grund, wieso Dream-Sharing vom Militär entwickelt wurde: die Erprobung von Kampftechniken ohne Konsequenzen. Sie hatten früher einige Einheiten damit verbracht und damals war es größtenteils Spaß gewesen. Manchmal hatte Eames es auch als Vorwand gesehen, ein bisschen körperlich mit Arthur zu werden, aber nie auf die creepy-pervert Weise. Schon auf die ‚so fühlt sich ein Kinnhaken an‘-Weise. »Lust auf eine Runde?« *Arthur* Arthur nickte. Das hatte er damit bezweckt. Musste man vor Wächtern fliehen, betrat man einen Mitarbeiterbereich und schloss die Tür hinter sich. Die Wächter würden einen anderen Raum vorfinden. Blöd war nur mitunter, dass Orte wie die Küche unter Umständen neue Wächter hervorbrachten. Und zum anderen war nicht immer günstig, dass Orte wie die Wäscherei unten in den Katakomben waren, so dass man einen langen Weg wieder zurück hatte. Es kam letztlich auf die Situation an, in der man diese Türen nutzte. Ihn freute jedenfalls, dass es funktionierte. Sicher konnte man das ein oder andere daran noch verbessern. Sie liefen die Gänge entlang in Richtung Fahrstuhl. In Gedanken pinnte er auch jetzt seine Wand voll mit Kleinigkeiten, die er noch in Erfahrung bringen musste. Die Frage, ob er sich an ihre Trainingskämpfe erinnere, ließ ihn irritiert aufsehen. Seit Eames ihm gestern über den Weg gelaufen war, erinnerte er ihn permanent an die Dinge aus ihrer Anfangszeit. Der Inder, das Terra Blues, Tokyo, ihre gemeinsamen Stunden, die sie in Traumwelten verbracht hatten. Alles Orte, die voll schöner Erinnerungen waren. Erinnerungen an Situationen, die schön waren, die ihm gefallen hatten, an die er sich heute noch gerne erinnerte, die manchmal den Schmerz vergessen ließen, den er empfunden hatte, als er feststellen hatte müssen, dass sein Vertrauen Eames gegenüber fehl am Platz gewesen war, dass er auch nur Teil eines der vielen Spiele des anderen gewesen war, dass er einfach hintergangen werden konnte, obwohl er sich hatte öffnen wolle. Er nickte leicht, um zu sagen, dass er sich natürlich erinnerte. Nun aber wanderten seine Augenbrauen etwas nach oben. Er war im ersten Moment versucht, abzulehnen und die Arbeit vorzuschieben, die sie eigentlich noch verrichten mussten. Doch warum eigentlich nicht? Hier spielte Zeit nur eine bedingte Rolle. In vierzig Minuten würde sich der Traum vermutlich bereits auflösen, weil sie aufwachen würden. Er war zufrieden mit dem ersten Besuch hier im Hotel. Es sah alles gut aus, auch wenn einiges noch vor Ort überprüft werden musste. Aber das musste nicht hier und jetzt sein. Vermutlich würden sie in den nächsten Tagen hier noch öfters sein. Warum also nicht ein wenig trainieren. Er zuckte mit den Schultern. „Wieso nicht…“, erwiderte er und pikte dem anderen ohne weiter darüber nachzudenken in die Rippen auf der linken Seite. „Hier bist du wenigstens fit und kannst meinen Ansprüchen genügen…“ Er schmunzelte leicht. Eames war ihm schon immer überlegen gewesen. Er hatte damals ordentlich einstecken müssen und heute würde es nicht anders sein – auch wenn er deutlich besser geworden war, noch schneller. Aber vielleicht wäre auch das eine Möglichkeit, Eames wieder jenes Lächeln auf die Lippen zu zaubern, das er vorhin in seinem Arbeitszimmer wegen der Uhren verloren hatte. „Willst du einen Gymnastikraum? Einen Ring? Worauf hast du Lust?“ *Eames* Eames legte sich bereits ein paar Argumente zurecht, falls Arthur verzichten wollte, aber er schien recht schnell überredet zu sein. Vielleicht hatte er selbst das Bedürfnis ein bisschen Frust abzulassen. Sollte Eames nur recht sein. »Pff!«, stieß er abschätzig aus, als Arthur seine Rippen antippte und seine abfällige Bemerkung machte. Es war irgendwie unangenehm, wenn Arthur gegen die Stelle kam, weil er einfach ein unterbewusstes Gefühl mit in den Traum genommen hatte, aber nicht die Brüche an sich. Außerdem war er sich sicher, ihn auch mit kaputten Knochen klein zu kriegen. Er musste nur treffen. Arthur war vielleicht schlanker und flexibler als er und Eames musste sich wirklich anstrengend ihn zu erwischen, aber wenn er ihn dann hatte... Er winkte ab. »Der Hinterhof des Hotels sollte genügen.« Asphalt und Dreck. Hinfallen musste schon wehtun, sonst machte es doch keinen Spaß. *Arthur* »Der Hinterhof des Hotels sollte genügen.« Das 'Bling' der Fahrstuhltür lenkte die Aufmerksamkeit von Eames ab und Arthur betrat den Fahrstuhl, drückte auf die Taste, die sie in den Bereich des Personals bringen würde. Ein Schmunzeln lag auf seinen Lippen. "Some things never change", murmelte er ‚very british‘, vergrub die Hände in den Hosentaschen und wartete geduldig darauf, dass sich die Türen wieder öffneten. Ihr Weg führte sie kurz darauf durch die Personalräume zum Lieferanteneingang. Die Menschen, denen sie begegneten, schienen ihnen wenig Aufmerksamkeit zu schenken, zumindest fiel Arthur nichts Ungewöhnliches auf. Eine nicht ganz so kalte Luft wie in der Realität schlug ihnen entgegen, als sie den Hinterhof betraten. Das riesige Gebäude ragte weit in den Himmel und ließ den Hinterhof mit den Mülltonnen, ein paar Fahrrädern und einem abgestellten Lieferwagen ziemlich düster wirken. Dass Eames sich das hier aussuchte, war mehr als typisch für ihn - fand Arthur. Doch es störte ihn nicht so, wie er im ersten Moment gedacht hätte. Arthur ließ den Kopf kreisen und streckte sein Kreuz leicht. Nun, dann würde er sich wohl ein wenig Prügel abholen. Aber leicht würde er es Eames nicht machen. Definitiv nicht! War ja nicht so, dass er nicht regelmäßig ins Training ging und das schon seit geraumer Zeit. Vielleicht gerade deswegen... Er drehte sich Eames zu, lockerte seine Arme und verlagerte sein Gewicht gleichmäßig auf beide Beine. "Du hast zugenommen, seit du dich vor einem halben Jahr am Flughafen in L.A. nicht verabschiedet hast", sagte er unvermittelt und hob die Hände, während sich automatisch die Bauchmuskeln anspannten. "Kommt mir sicher entgegen." Nur leicht hatte er den linken Fuß nach vorne genommen. Seine Stärke war die Beweglichkeit und Schnelligkeit. Daher stand er frontaler zu seinem Gegenüber, als die Distanzkämpfer das normalerweise taten. Nun wartete er ab. *Eames* Eames hatte keine Ahnung wie der Hinterhof des Four Seasons aussah, aber dieser Ort hier entsprach seiner Vorstellung. Es war vermutlich der dreckigste Ort des Nobelhotels und auch der dreckigste Ort in Arthurs Traum – passender konnten sie es also nicht treffen. Übertragenermaßen ging es ja auch um schmutzige Angelegenheiten. In aller Seelenruhe befreite er sich aus dem khakifarbenen Jackett und legte es über eine der geschlossenen Mülltonnen. Dann krempelte er die Ärmel seines Hemdes hoch und legte die schwere, goldfarbene Armbanduhr ab. "Du hast zugenommen, seit du dich vor einem halben Jahr am Flughafen in L.A. nicht verabschiedet hast" Er schmunzelte und diesmal hatte es etwas Bösartiges. Im Gegensatz zu Arthur machte er keine Anstalten, sich zu dehnen oder seine Beweglichkeit zu erproben. Er legte lediglich den Kopf leicht zur Seite, damit seine Nackenwirbel durchknackten. "Kommt mir sicher entgegen." »Oh darling, wenn du einen Abschiedskuss gewollt hättest, hättest du nur was sagen müssen.« Er hob die Fäuste klassischer Boxer-Stellung; eine Hand zum Schutz unterhalb des Kinns, die Linke für den Gegner. Natürlich improvisierte man viel, wenn man sich spontan verteidigen musste, aber klassisches Boxen war im Grunde das, was Eames als Basis diente. So hatte es für ihn angefangen. Sein Blick fixierte sein Gegenüber mit etwas wie garstiger Vorfreude. Ohne Arthur weiter überlegen zu lassen, machte er einen schnellen Schritt nach vorn und zielte dabei mit der Faust geradewegs auf sein perfektes Gesicht. Dem offensichtlichen Schlag konnte Arthur problemlos ausweichen und teilte im Gegenzug ein paar Fäuste gegen seinen Oberkörper aus, was Eames mit der breiten Außenfläche seines Oberarms abfangen konnte. Als recht unorthodoxen Konter stieß sich Eames direkt mit der Schulter voran mit dem ganzen Körper gegen ihn, um ihn nach hinten zu stoßen. Sein Blut kam in Wallung, genau das, was er sich erhofft hatte. *Arthur* Vielleicht hätte er sich auch seines Jacketts entledigen sollen. Vielleicht hätte er die Knöpfe seines Hemdes öffnen sollen. Aber das mochte Arthur nicht. Letztlich war es hier auch einfach völlig egal, ob etwas schmutzig wurde oder kaputtging. Das schier gruselige Schmunzeln des anderen auf seine Worte hin, war die erhoffte Reaktion. Eames belastete etwas. Besser, wenn er hier Dampf abließ. Wenn er ihn triezte und er wütend würde, hatte er vielleicht eine Chance, doch den ein oder anderen Treffer zu landen. "Hätte ich wohl - wenn es so gewesen wäre", seufzte er. Tatsächlich war es ihm wie immer komisch vorgekommen. Tatsächlich hatte es ihn gewurmt. Tatsächlich hoffte er jedes Mal auf eine Verabschiedung, ein Zeichen, dass er ihm nicht gänzlich gleichgültig war. Tatsächlich hasste er es jedes Mal wieder, das zu denken. Tatsächlich hatte Eames zudem recht: er hätte sich selbst auch verabschieden können. Seine Mutter sagte zurecht immer, dass er sich wie eine Diva verhielt, die erwartete, dass man sich bei ihr meldete. Dass Eames direkt anfing, kam ihm nur gelegen. Er mochte dieses Rumgetänzel und vorsichtige Herantasten nicht wirklich. Arthur duckte sich mit Leichtigkeit weg, setzte gegen, wurde jedoch abgeblockt. Immerhin bewegte sich sein Gegenüber hier im Traum tatsächlich frei. Als er ihn vorhin gepikst hatte, schien die Psyche die Rippenbrüche mitgenommen zu haben. Dass Eames ihm nun körperlich konterte, kannte er schon. Jener hatte letztlich mehr Masse und damit Gewicht, dem er nicht standhalten konnte. War also klar, dass jener das einsetze. Arthur taumelte zwei Schritte nach hinten, bevor er wieder stand und nun versuchte seine Schnelligkeit über zwei linke Gerade auszunutzen, was Eames jedoch mit seiner Schlaghand abfing. Arthur deutete einen weiteren Jab an, drehte sich jedoch dann, um einen Cross Punch zu setzen. Er verfehlte das seitliche Kinn jedoch und spürte recht deutlich den Ellenbogen des anderen in seiner Seite. Schnell drehte er sich weg, um dem Schmerz zu entgehen, duckte sich unter einer nachsetzenden Faust weg, trat nach dem Schienbein des anderen und musste sich dann abrollen, um mit etwas Abstand zwischen ihnen wieder aufzustehen. Schade für den schönen Anzug. *Eames* Es war wie früher, bloß dass Arthur noch viel schneller war, als damals. Verflucht viel schneller und stärker. In ihren Anfängen war Eames dem „Kleinen“ (er war ihm nur klein vorgekommen, weil er so viel schmächtiger gewesen war) wie ein Lehrer entgegengetreten. Durch seinen Dienst bei der British Army hatte er von vornherein mehr Erfahrung und ein dickeres Fell mitgebracht. In wenigen Monaten hatte der Jüngere diesen Nachteil jedoch perfekt ausgeglichen. So wie Prinz Arthur immer alles perfekt machte. Schlussendlich kein Wunder. Ihr Job war hart und erforderte, dass man immer auf Höchstleistung gehen konnte - körperliche Auseinandersetzungen mit inbegriffen. Er hielt die Luft an, als die Faust an seinem Kinn vorbeiflog. Das war knapp gewesen. Er setzte einen Ellbogen nach und traf. Spürte, wie Arthurs Körper, sehnig, hart den Schlag auszubalancieren versuchte. Der Tritt gegen das Schienbein traf ihn unvorbereitet und ihm entkam ein überraschter, schmerzlicher Laut. »Son of a...«, knirschte er und richtete sich humpelnd wieder auf. Er setzte ihm nach, keine Chance lassend, sich zu kalkulieren oder zu sammeln. Eames hörte das Blut in seinen Ohren rauschen – jetzt wurde es persönlich. Er versuchte ihn am Kragen zu fassen zu kriegen, doch Arthur entwich ihm mit Leichtigkeit. Jedes Ausweichen war wie Spott. Er setzte ihm weiter nach, deutete an und bekam ihn dann doch zu fassen. Beide Hände krallten sich wie Schraubstöcke in den Stoff seines Hemdes und des Jacketts; er steckte ein paar üble Tritte und Schläge von Arthur ein, doch Eames steckte sie weg; er schnaufte lediglich vor Anstrengung. Mit einem heftigen Schwung wuchtete er Arthur herum, so dass er rücklinks gegen eine der Mülltonnen landete. Sein Blick glühend direkt das Gesicht seines Gegenübers gerichtet. *Arthur* Ein Schmunzeln huschte ihm über die Lippen, als er sah, dass sein Tritt gut platziert war. Doch wirklich Zeit hatte er nicht, das zu genießen. Eames kam ihm entgegen, suchte kaum die Defensive, sondern suchte seltsamerweise eher die Nähe. Dabei wäre ein Schlag ins Gesicht aus einer gewissen Distanz gegen ihn vermutlich ziemlich effektiv. Wobei seine Schnelligkeit erst einmal ausgetrickst werden müsste. Die half ihm tatsächlich, ein- zweimal den Händen des andren zu entkommen, bevor er auf eine Finte hineinfiel und sich nun am Kragen gepackt wiederfand. Ohne zu zögern versuchte er sich mit Schlägen und Tritten aus dem Klammergriff zu befreien, aber vergebens. Eames zog ihn hoch, wuchtete ihn herum und ziemlich heftig knallte er gegen die Mülltonne. Ein stechender Schmerz fuhr ihm durch den Körper, als ihm die Luft hinausgepresst wurde und er unsanft auf dem Boden landete. Einen Moment brauchte er, dann richtete er sich auf. Hm, wäre zu schön gewesen, wenn er wirklich etwas gegen ihn hätte ausrichten können. Doch so leicht gab er sich nicht geschlagen. Scheiß Muskelprotz! Den Schmerz ignorierend richtete er sich auf, und seine Augen glühten vermutlich nicht minder als die des anderen. Mit einem kräftigen Antritt ging er auf Eames los, doch diesmal setzte er den Fakt ein, dass er der Architekt war. Ein Mauervorsprung errichtete sich aus dem Nichts, den er als Trittbrett nahm, hochsprang und mit einem Kick gegen die Schulter des anderen, diesen zur Seite abdrängte. Den Schwung balancierte er aus, als er landete, wobei der Schmerz in seinem Rücken ihn einen Moment zischend Luft einsaugen ließ, bevor er sich drehte und Eames heftig in die Seite schlug. Vielleicht nicht die feine englische Art, aber er war Ire, verdammt! *Eames* Eames tastete nach seiner Unterlippe und stellte fest, dass diese aufgeplatzt war. Vollkommen egal im Traum, aber der Schmerz blieb unangenehm. Der nächste Move war unvorhergesehen und ein klares Zeichen, dass sie jetzt beide wirklich ins Spiel eingestiegen waren. Arthur drehte an der Realität des Traumes, erschuf sich einen unfairen Vorteil und verpasste ihm dadurch einen heftigen Tritt, gefolgt von einem Schlag in die Seite, der ungefiltert auf seine kurzen Rippen ging. Er hasste dieses Gefühl... immer wieder dieselbe Scheiße. Er hielt sich die getroffene Stelle und taumelte zur Seite, nach Luft schnappend. Er fing sich einen weiteren Tritt; erst den folgenden konnte er mit dem Unterarm abwehren, während die freie Hand sich zur Faust ballte und kräftig auf Arthurs Brustbein niederschlug. Es musste einfach wehtun. Beide mussten leiden, aus unterschiedlichen Gründen, daran führte kein Weg vorbei. Er atmete schwer, schnaufte eher. Der Schweiß glänzte ihm auf der Stirn. Er spukte Blut und Speichel zur Seite aus. »Komm her!«, brüllte er ihn an, während er zusah, wie Arthur rückwärts schwankte. »Mach schon, du Miststück, trau dich mal was!« *Arthur* Dass Eames sich sammeln musste, musste er ausnutzen und so trat er erneut auf den anderen ein. Dann wurde er unvorsichtig. Der Schlag gegen sein Brustbein trieb ihm erneut die Luft aus den Lungen. Er japste, kurz wurde ihm schwarz vor Augen. Die Worte des anderen hallte in ihm wieder. Er versuchte sich zu sammeln. Langsam kehrte die Luft zurück, langsam fing er sich wieder, wie aus einer Zeitlupe erwachend. Der Solarplexus war also zum Glück nicht getroffen. Er atmete schwer ein, richtete sich langsam auf, der Schmerz in der Brust war ätzend! Ein Knurren löste sich aus seiner Kehle. Dann eben mit Gewalt. Er atmete tief durch, dann ging er auf Eames los. "Dir geb ich Miststück!", fauchte er, während er versuchte, den anderen mit schnellen Kombinationen zu treffen. In jedem Schlag legte er seine ganze Kraft. Einfach nur weh tun! Alles andere war egal! Einfach nur Schmerzen zufügen! Mehr wollte er nicht. Aber gerade das war langfristig zu kurzsichtig. War es nicht das, was Eames provozieren wollte? Ja, das war es, merkte er, als sein Kopf herumflog, sich der metallische Geschmack von Blut in seinem Mund ausbreitete und er das Gefühl hatte, sein Kopf müsse zerspringen. Der Boden kam ihm schneller entgegen, als er reagieren konnte. Scheiße! Er schloss die Augen und blieb einen Moment liegen. Hoffentlich war es das wert! *Eames* Endlich hatte er ihn da, wo er ihn haben wollte. Auch wenn Eames längst nicht mehr klar darüber nachdachte, was er eigentlich wollte, wusste er, dass es genau das war, was er erreichen wollte, als Arthur auf ihn losging. Er steckte ein paar ein, Blut spritzte aus seiner Nase; er gab ein paar aus, traf ihn hart, versenkte seine Faust in dem Gesicht, das ihn ständig in seinen Träumen verfolgte. Arthur wehzutun war genauso quälend, wie erlösend für Eames. Die Schmerzen durch Arthurs Schläge seine gerechte Strafe. Er hatte all das verdient, nichts anderes, als das. Als Arthur auf dem harten Boden aufschlug und Eames keuchend und schwitzend über ihm stand, fühlte er all das Elend wieder über sich hereinbrechen. Es war heilsam und zerstörerisch zugleich. Er kniete sich zu ihm und zog ihn am Kragen hoch in eine halbwegs sitzende Position. Sein Gesicht hatte ein Mosaik aus dunkelroten Blutflecken auf dem dreckigen Asphalt hinterlassen. »Komm schon, Arthur. Tu das nicht.« Dass es immer eskalieren musste. Er wischte ihm ein paar losgelöste, schwarze Strähnen von der Stirn. Sie waren feucht von Schweiß und Blut. Seine Hand zitterte. Dass es nie einfach gut sein konnte. Er hasste sich, während er das malträtierte Gesicht vor sich sah; sein Werk; Arthur der zwischen Ohnmacht und Bewusstsein hin und her glitt. Das Blut ließ seine Haut fast weiß wirken. *Arthur* Seine Augen flackerten, seine Gedanken schwirrten, sein Körper bebte vor Schmerz, vor Adrenalin. Er versuchte, sich wieder aufzurichten, versuchte wieder klar zu denken, versuchte wieder die Augen zu öffnen, aber so recht wollte ihm das nicht gelingen. Sein Gesicht schien ein einziger Schmerz zu sein. Das hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Dass sich Eames neben ihn kniete, bekam er nicht wirklich mit. Er fühlte sich am Kragen gepackt, zuckte zusammen und versuchte die Hände zu heben, als erwarte er weitere Schläge. Doch sie blieben aus. In weiter Ferne eine Stimme, die Worte machten keinen Sinn. Er spürte Finger auf seinem Gesicht, die zärtlicher waren, als erwartet. Erneut versuchte er seine Augen zu öffnen und blickte nun in ein Gesicht, das von ihm in Mitleidenschaft gezogen worden war, ja, doch vor allem verletzlich wirkte. In den Augen des anderen lag eine Mischung aus Sorge und Erleichterung. Ein Lächeln huschte ihm über die aufgeplatzten Lippen. "Geht es dir jetzt wieder besser, du elender Scheißkerl?!", fragte er und schloss die Augen für einen Moment. Es war nicht böse gemeint. Im Gegenteil. Arthur konnte sich durchaus reflektieren. Eames war abhängig von ihm, das wusste er seit er die zahllosen Nachrichten und Kontaktversuche gesehen hatte. Und er genoss diese Abhängigkeit weidlich. Vermutlich würde er sich auch verprügeln, wenn er Eames wäre. Er hatte all das verdient, nichts anderes als das. Ihre verkorkste Situation machte zudem nicht nur Eames aggressiv. Lieber hier den Frust abbauen, der sich zwischen ihnen jedes Mal ansammelte. Lieber hier in einem Traum. Auch wenn ihm andere Träume durchaus lieber wären. Seine Hand, die ihn vorhin vor noch mehr Schlägen hatte schützen wollen, legte sich auf Eames' Wange, glitt über die leicht rauen Bartstoppeln nach hinten in das viel zu weiche Haar des anderen. So zog er sich näher an ihn und in diese 'Umarmung'. Nur einen Moment ausruhen. Nur einen kleinen Moment... Erste Steine flogen neben ihnen zu Boden, während sich der Traum langsam begann aufzulösen. *Eames* Ob es ihm besser ging, fragte er. Eames war hin und her gerissen zwischen Wut und Zweifel und Frustration – offensichtlich hatte Arthur ihn durchschaut und hatte sich so leicht zu einem Match überreden lassen, weil er ahnte, dass Eames wütend auf ihn war. Ob er auch wusste wieso? Ob er auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, was in ihm vorging? Eames knirschte die Zähne vor Verzweiflung. Er strich ihm weitere Strähnen aus dem Gesicht, allein des Kümmerns willen, als könnte es irgendwie dafür sorgen Arthurs Schmerzen zu lindern. Er hätte alles getan. Die Hand an seiner Wange machte alles schlimmer. Nun fühlte er sich erst recht elend. Wie ein dummer Idiot – Arthur hatte wohl Recht was ihn betraf. Und gleichzeitig hasste er Arthur noch mehr dafür, dass er anscheinend wusste, was los war. Dass er es die ganze Zeit gewusst hatte; vielleicht sogar vor Eames selbst. Warum quälst du mich so, wenn du so viel weißt?, dachte er und ließ die Umarmung zu. Eins von Arthurs Paradoxen. Das laute Krachen um sie herum, das elende Biegen und Brechen von massiven Stahlträgern, das jämmerliche Ächzen, als ein Trümmerstück in der Mülltonne neben ihnen einschlug und Eames schlag seine Arme fest um Arthur und atmete zitternd ein und aus. Für einen winzigen Augenblick hatte er eine Idee davon, wie perfekt alles hätte sein können. Alles hätte gut werden können und er wäre jetzt nicht so verdammt einsam und aufgeschmissen. Scherben prasselten auf sie nieder und zerschnitten seinen Rücken, während sich der Himmel über ihnen verdunkelte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich der riesige Gebäudekomplex laut und schwer stöhnend über sie beugte. We can run, forget ourselves Leave them behind, we can make believe Tell our story, live another life And so reappear Take me with you, take me with you Or let me follow (https://youtu.be/Xv0M-5RUFQM) *Arthur* Er war schon auf so viele Arten gestorben, verdammt viele. Er war explodiert, war zerquetscht worden, war in den Tod gesprungen, war erstochen worden, war erschossen worden, hatte sich selbst eine Kugel durch den Kopf gejagt. Dieses Mal war es das erste Mal, dass er sich wünschte, der Tod hätte noch etwas auf sich warten lassen. Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, Dann will ich gern zugrunde gehn! Eames' Arme hielten ihn fest und sie fühlten sich gut an, diese Nähe, die er nie zuließ, fühlte sich so gut an. So gut, dass sich eine unbekannte Verzweiflung in sein Herz schlich und auch nicht verschwand, als er die Augen aufschlug und in seinem Arbeitszimmer erwachte. Sein Herz schlug heftig gegen seine Brust, sein Körper fühlte sich verkrampft an. Der Schmerz, der eben noch so präsent gewesen war, war verschwunden. Ein anderer geblieben. Wirklich unbekannt war dieses Gefühl allerdings nicht, nur sehr sehr gut weggesperrt gewesen. Seine Hand legte sich auf sein Herz, tastete nach dem Würfel in der Brusttasche, der ihn auch daran erinnerte, weshalb er diese Verzweiflung so gut wegsperrte. Sie würde ihn sonst zerfressen. Kapitel 13: With you -------------------- *Eames* Etwas Schweres traf ihn am Kopf und er wachte auf, bevor er von dem Monstrum zerquetscht werden konnte. Er sog die Luft scharf ein, riss die Augen auf. Die Hand glitt in seine Hosentasche, wo der sein Totem fand – er war wach. Sein Herz pochte wild, aber beruhigte sich bald wieder. Er hörte, dass auch Arthur aus ihrem Alptraum erwachte. »So war das nicht geplant«, murmelte er in den stillen Raum, ohne zu seinem Point Man zu sehen. Er brauchte dringend eine Zigarette. *Arthur* »So war das nicht geplant.« Er musste matt lächeln. Nein, war es nicht. "Aber hat sich so ergeben." Es war seine Schuld gewesen, dass es irgendwann eskalieren musste. Seine Schuld, weil er Angst hatte. Angst vor diesem Mann, der ihn schon immer angezogen hat. Angst vor den Gefühlen, die ihn verletzlich machten. Angst davor, immer wieder hintergangen zu werden. Und vor allem Angst, immer wieder und wieder jemanden zu verlieren, den er liebte. So, wie er seine Schwester, wie er Mal geliebt hatte. Sie hatten ihm die Sonne ins Leben gezaubert - jetzt waren sie tot. Und er würde Eames immer und immer wieder loslassen müssen. Einfach weil jener war, wie er war. Sie waren so verschieden, so verdammt verschieden. Eames würde eingehen, wenn er hier mit ihm lebte. Das ginge nur für eine geraume Weile gut. Genauso wie er nur eine geraume Weile aushalten würde, wie Eames lebte. Auf Dauer ging das nicht gut. Auf Dauer würden sie nicht einen Traum aufsuchen, um sich zu prügeln. Daher würde er ihn immer und immer wieder gehen lassen müssen, ohne zu wissen, ob sie sich noch einmal wiedersahen. Er wusste nicht, ob er das könnte. Wake up Run for your life with me In another perfect life (https://youtu.be/ifwc5xgI3QM) Und dann war da noch der Graben, der sich seit Tokyo unaufhörlich zwischen ihnen auftat. Wie zwei Erdplatten, die mehr und mehr voneinander weg drifteten. Vielleicht war es nicht einfacher, ihn immer wieder von sich zu stoßen. Aber es war weniger schmerzhaft, als wenn er ihn kosten würde, wenn er der Sehnsucht und der Versuchung nicht widerstehen würde. Im Alltag konnte er ihn gut vergessen, konnte verdrängen, genügten ihm die Gedanken, die Bilder - ja sogar die Uhr. Aber nun war er hier, hier in seiner Wohnung, in seinem Reich, an dem Ort, der zu persönlich war. Damit kam er nur bedingt zurecht. Er löste das Kabel von seinem Arm. Eames hatte ihm ja noch etwas zeigen wollen. Dann drehte er sich und stand auf. "Ich hätte mich an deiner Stelle auch verprügelt", sprach er seinen Gedanken von vorhin aus. "Es war nicht so geplant. Aber es war gut, dass es passiert ist. Es war längst überfällig. Und jetzt können wir den Job gut erledigen und wieder normal miteinander umgehen." So seine Hoffnung. Es war ja auch nicht so, dass er Eames nicht auch wehgetan hatte. Er hatte auch diese unfassbare Wut in sich gespürt. Diesen Zorn, das Verlangen ihm weh zu tun, um sich für alles zu rächen, was er ihm angetan hatte. Und auch das hatte gut getan. "Ich brauch ein Bier... und ne Zigarette", sagte er und blickte Eames nun endlich an. "Balkon?" *Eames* Das hatte Arthur also bezweckt? Dass sie „normal“ miteinander umgingen? Für normal war er definitiv nicht hergekommen. Tja, warum dann? Weil alle Wege in Eames Leben irgendwann zu Arthur führten. Traurige Wahrheit. Soon I'll come around Lost and never found Waiting for my words Seen but never heard Buried underground But I'll keep coming (https://youtu.be/KnrGMHhnqrw) »Hm«, erwiderte er matt, doch leise zustimmend. Dabei löste auch er sich von der Apparatur und setzte sich auf. Arthur anzusehen war nicht leicht. Wenn man es auf das Wesentliche reduzierte, war er ja doch wieder der Idiot, der von Mister Oh-so-clever belehrt wurde. Schön, dass er so einen genauen Plan davon hatte, was Eames brauchte und wollte. Auch dieses Eingeständnis, dass er sich selbst auch verprügelt hätte, wenn er an seiner Stelle gewesen wäre, half Eames nur beding, die Sache grün zu sehen. "Ich brauch ein Bier... und ne Zigarette. Balkon?" Ihre Blicke trafen sich und irgendwo tief in ihm formte sich ein Schrei. Er wollte ihm klarmachen, dass nichts gut war; dass diese Prügelei erst der Anfang von etwas Furchtbarem gewesen war, wenn sie weiter ignorant und stolz durchs Leben gingen. Auf der Flucht voreinander. Aber er lächelte nur. Müde. »Ich sehe dich dann da.« Mit diesen Worten verschwand er ins Bad. Es war die Zeit, in der er wieder ein paar Oxy einschmeißen musste, damit er nachher keine Schmerzen hatte, und er nahm vorsorglich zwei, um ganz sicher zu gehen. Er spritzte sich einen halben Liter Wasser ins Gesicht, um wieder ganz wach zu werden. Fokus! Als er Arthur fünf Minuten später auf dem Balkon antraf, war er schon weitaus entspannter. Bereit die Sache wie Erwachsene zu klären. Er nahm das Bier entgegen und zündete sich eine Zigarette an. Dann stützte er sich auf das Geländer und genoss die Aussicht mit Arthur. Der Lärm der Stadt drang sogar bis nach oben zu ihnen, aber es war erträglich – es hatte sogar etwas von Meeresrauschen aus der Ferne. *Arthur* Dass seine Hoffnung erneut eine Lüge war, wurde ihm bewusst, als er das müde Lächeln sah. Das war schlimmer, als jeder Faustschlag in ihrem Traum eben. Arthur schluckte und senkte den Blick. So konnte es nicht weitergehen. Das Schlimme war: es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder verbannte er ihn komplett aus seinem Leben. Oder er würde einen Schritt auf ihn zugehen müssen. Ein Schritt, der den Ansatz von einer Brücke über den Graben bedeutete. Der Gedanke an ersteres ließ ihn übel werden. »Ich sehe dich dann da.« Ein Blick folgte dem breiten Rücken. Einen Moment atmete er tief durch. War es nicht klar gewesen, dass er sich irgendwann entscheiden musste? War es nicht klar gewesen, dass dieser Moment irgendwann kam? Arthur trat zu seinem Schreibtisch und verstellte die Uhr. Mombasa Dann holte er aus dem Kühlschrank zwei Bier, öffnete sie und ging mit diesen hinaus auf den Balkon. Die kalte Luft tat gut. Es roch nach Regen. Er zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief seufzend und lehnte sich an das Geländer, blickte hinab in die Tiefe. Als er die Tür hörte, reichte er Eames wortlos das Bier, die Zigaretten. Sie blickten über den Park, lauschten in das rege Treiben der Stadt, das immer surrende Brummen reger Geschäftigkeit, seiner Stadt. Das Schweigen war seine gerechte Strafe. "Du hast heute früh in mein Arbeitszimmer gesehen", sagte er schließlich leise. Kurz sah er Eames an, dann blickte er wieder in die Ferne. "Du bist jeden Tag bei mir." Eigentlich wusste er immer, was er sagen musste, was er sagen wollte. Aber im Moment wusste er gar nichts. "Irgendwie zumindest." Er zog an seiner Zigarette und merkte, dass er nervös war. I hit you and you hit me back We fall to the floor, the rest of the day stands still Fine line between this and that When things go wrong I pretend that the past isn't real Now I'm trapped in this memory And I'm left in the wake of the mistake, slow to react So, even though you're close to me You're still so distant, and I can't bring you back It's true The way I feel Was promised by your face The sound of your voice Painted on my memories Even if you're not with me I'm with you (https://youtu.be/M8UTS2iFXOo) "Wenn du dann wirklich da bist, weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll." Jetzt war es er, der müde lächelte. "Wie Kryptonit", murmelte er leise. Er könnte noch so viel sagen. So viele Dinge, über die er sooo verdammt oft nachgedacht hat. Was ihn beschäftigte, was er fühlte, was er dachte. Er trank einen Schluck Bier und schwieg. Er konnte es nicht. *Eames* Als Arthur zu Sprechen begann, war Eames davon überzeugt, irgendwelche Ausreden zu hören zu bekommen. Du hast in mein Zimmer gesehen, aber was du gesehen hast ist nicht das, wonach es aussieht... - und mehr von diesem gehaltlosen Blödsinn. Er wollte bereits Veto einlegen, doch Arthur fuhr unbekümmert fort. Und es war weit von dem entfernt, was Eames erwartet hätte. ‘Du bist jeden Tag bei mir.‘ Eames erstarrte förmlich. Den Blick in die Ferne gerichtet. An diese Worte würde er sich sein Leben lang erinnern, das spürte er. Egal was passieren würde. Das Ausmaß dieses Zugeständnisses wuchs mit jeder Sekunde. Er atmete schwer von der Last. Er hatte sein Pokerface wirklich gut im Griff. Er war ein verfickter Berufsspieler, aber dieses Mal konnte sein Gesicht den Schmerz nicht verbergen. Wieso tat er ihm das an? Kryptonit. Das war es also, was er war, hm? Eigentlich kein Kompliment, aber mehr Zugeständnis, als er von Arthur je erwartet hätte. Er schmunzelte bitter und zog an seiner Zigarette. Blies den weißen Rauch weit in den grauen New Yorker Himmel. »Wie hast du mich bemerkt?« Spider-sense? Intuition? »Heute Morgen, meine ich.« Es gab eine Million andere Frage, die in ihm brannten. Dinge, die er sagen wollte, aber das schien das erste zu sein, was sich klar manifestierte. Er brauchte diese Antwort nicht, aber er wollte sie. Vielleicht löste sich dann endlich der Knoten in seinem Magen und ließ ihn denken und handeln. *Arthur* ‘Wie hast du mich bemerkt? Heute Morgen, meine ich.‘ Arthur war erstaunt, dass das das einzige war, was Eames erwiderte. Er widerstand der Versuchung einfach zu gehen. Er hatte gerade Dinge gesagt, die er nie hatte sagen wollen. Nur aus Angst, sonst zu viel kaputt zu machen. Und Eames stand regungslos neben ihm und wollte wissen, wie er bemerkt hatte, dass er ihn bemerkt hatte. Er schluckte und nun war er es, der erstarrte - um sich zu schützen. "Eigentlich gar nicht. Es war ein Gefühl, das ich dann aber verworfen habe - eher eine Sorge, weil du im Schlafzimmer zu sein schienst. Aber als du auf die Uhr geblickt hast und danach so wütend warst, habe ich geraten, dass es miteinander zusammenhängt." Er zuckte mit den Schultern und drückte die Zigarette aus, drehte sich und blickte zur Tür. Er sollte hineingehen. Sie sollten weitermachen mit dem, was wirklich wichtig war. Er wollte noch an den Details arbeiten. Er trank aus seiner Flasche, um das seltsam flaue Gefühl des Ausgeliefert-Seins hinunterzuschlucken. Dann ging er in Richtung Tür. *Eames* Seine Zunge kreiste unentwegt um den abgebrochenen Zahn, seine Stirn lag in angestrengten Falten. Es könnte wohl kaum abstrakter sein. Arthurs rein logische Erklärungen machten die ganze Sache nicht besser. Und überhaupt, war es rein gar nicht das, was Eames hören wollte. Dieser abgeklärte, halbgare Mist. Er spürte deutlich, dass sich sein Point Man verkrampfte – er hatte wohl eine andere Antwort erwartet – Unschönes Gefühl, hu? Er fühlte sich ausgeliefert oder doch in seinem Stolz verletzt? Eames Lippen umspielte ein zaghaftes Lächeln. Arthurs Fluchtversuch unterband Eames dieses Mal, indem er sich schnell umdrehte und ihn am Ellbogen packte. »Warte!« Er zog ihn zu sich und schlag seine Arme um ihm; von hinten um seine Mitte; während er einen von Arthurs Armen einklemmte und den anderen frei ließ. Ihre Körper passten erstaunlich gut zueinander, stellte er fest. Aber das hatte er nicht anders erwartet. Es war sofort warm zwischen ihnen, trotz der merkwürdig eindringlichen Kühle in der Luft. Sie waren gleich groß, so dass Eames Nase automatisch die dünne Haut hinter Arthurs Ohr traf. »Danke, Arthur. Das werd‘ ich nicht vergessen.«, flüsterte er, dann küsste er seinen Nacken. I won’t let you fall apart… (https://youtu.be/ytH7SLznGzE) *Arthur* So langsam kehrte sein Verstand zurück und schalt ihn einen Idioten. Er hatte sich so verdammt angreifbar gemacht. Und er konnte doch bei Eames nie wissen, was jener damit machte. Er konnte ihm nicht vertrauen – oder? Er hatte ihm vertrauen wollen, aber war betrogen worden… Das würde er doch sicher wieder tun! Leider verschwand dieses unerträgliche Gefühl in seinem Magen gar nicht, schien sich eher auszubreiten und sich um sein Herz zu schließen, um es zu zerquetschen. Als er sich mit einem Mal am Arm gepackt fühlte, verkrampfte sich sein gesamter Körper, doch er ließ es zu. Vielleicht auch, weil das Warte! ihn dazu veranlasste. Er drehte sich nicht um, wusste, dass er nicht in dieses Gesicht sehen konnte. Er blieb einfach stehen und wartete auf harsche Worte, belustigte Kommentare oder gar noch eine weitere dämliche Frage. Stattdessen wurde er zu Eames gezogen, in eine Umarmung, die ihn erst sich noch mehr versteifen ließ. Doch das hielt nicht lange. Die Starre wich einem Gefühl von Wärme und Sehnsucht. Ganz deutlich spürte er wieder die Verzweiflung, die er aus dem Traum ins Hier und Jetzt mitgenommen hatte. Er spürte die festen Arme, die ihn nicht einfach loslassen würden, spürte das Gesicht des anderen in seinem Nacken, den Atem, der ihm über die Halsbeuge rieselte. »Danke, Arthur. Das werd‘ ich nicht vergessen.« Die geraunten Worte, dann der sanfte Kuss… Gänsehaut breitete sich den Nacken hinab über den Rücken bis zu seinen Armen aus, Gänsehaut und ein Kribbeln, das sich in seinem Magen fortsetzte – und zugegebenermaßen auch noch tiefer. Langsam entspannte er sich, ließ es ein Stück weit zu, das zu genießen. Seine freie Hand legte sich auf den Unterarm des anderen, streichelte unbewusst sacht darüber. Unmerklich lehnte er sich an und merkte, dass sich seine Augen ganz automatisch geschlossen hatten. Wenigstens einen Moment, einen kleinen Moment. „Das möchte ich doch wohl hoffen“, sagte er schließlich und seine Stimme klang seltsam belegt, so dass er sich leicht räusperte. Es kostete ihn ungeheure Kraft, sich wieder von diesem warmen Körper zu lösen, das Gewicht wieder von diesem weg zu bewegen und zu versuchen, sich aus der Umarmung zu befreien. Noch mehr Kraft kostete es, sich in dieser abreißenden Umarmung umzudrehen, Eames anzusehen und nicht auf die Lippen zu blicken, die ihm eben für einen Moment alles vergessen hatte lassen. „Du wolltest mir noch etwas zeigen…“ *Eames* Eames spürte keinen Widerstand, im Gegenteil. Arthur schien jede Sekunde zu genießen und das war schier belebend. Er hatte gewusst, dass da etwas war, aber anscheinend war da noch eine ganze Menge mehr! Das leichte Streicheln seines Arms ermunterte Eames noch mehr zu tun, als nur seinen Nacken zu küssen. Er seufzte lautlos, wohlig und genoss den warmen Körper, der sich gegen ihn lehnte. Allerdings verstrich der Moment schneller, als Eames ihn tatsächlich genießen (und nutzen) konnte. Den Abstand, den Arthur zwischen ihnen schuf, war schwer zu ertragen. Aber er hatte wohl keine Wahl, wenn er das Fass nicht wieder zum Überlaufen bringen wollte. Ruhig, Brauner,ermahnte er sich strickt. Jetzt nichts überstürzen! Er stellte sich vor, wie sie den Deal abschlossen. Wie sie sich dann gemeinsam im Four Seasons ein Zimmer mieteten, den Spa-Bereich verkosteten (Whiskey und Zigarren würde er dann mit einem Lächeln spendieren) und dann den Rest der Nacht durchfickten, bis er mit seinen gebrochenen Rippen vom Bett fiel und keinen Meter mehr laufen konnte. Diese Vision schien nun lebendiger als je zuvor. Für normale Verhältnisse standen sie noch immer zu nah beieinander, aber immerhin konnte Eames seinem Gegenüber nun wieder in die Augen sehen, ohne Gefahr zu laufen, vor Schmerz zu zerspringen. Er lächelte, sich selbst treu, mit dem üblichen leicht blasierten Touch. »Ich will dir so einiges zeigen, darling...« Einen kleinen Flirt konnte er sich nicht verkneifen. »Aber ich befürchte du meinst den Traum.« *Arthur* Zufrieden registrierte er, dass Eames ihn aus der Umarmung entließ. Es entspannte ihn enorm, gab ihm wieder ein Stück weit die Sicherheit wieder, die er eben verloren hatte. Das hier war nicht einfach für ihn, und war eigentlich genau das Gegenteil von dem, was er sich vorhin noch so schlau überlegt hatte. Aber der Gedanke allein, Eames mit seinem abgeklärten Rationalismus vorhin endgültig in die Flucht geschlagen zu haben, ließ ihn so handeln. War das wieder narzisstisch von ihm? Benutzte er Eames gerade nur für seine Befindlichkeiten? Benutzte er ihn, um diese Sehnsucht in wenig zu stillen? Weil er ihn zu sich zog, obwohl er wusste, wie schwer das werden würde? Obwohl er wusste, dass es in einer Katastrophe enden könnte . nein würde! Weil er es nicht beendete, bevor es kein Zurück mehr gab? Aber: Wusste er das überhaupt wirklich? Und war es narzisstisch, wenn er selbst nicht wusste, ob er sich damit nicht gerade am meisten verletzte? Arthur zwang sich die Gedanken von sich zu schieben und diese Situation einfach für sich stehen zu lassen. Letztlich war er gerade gar nicht wirklich fähig, klar zu denken. Und das Gefühl, das diese Umarmung, diese Zärtlichkeit gerade bei ihm ausgelöst hatte, wärmte ihn auf ungekannte Weise. Eigentlich hatten sie so gar keine Zeit dafür. Ihr Zeitfenster war so klein und die ungeklärten Fragen noch so viele! Arbeit war immer sein rettender Anker. Vielleicht sollte er wirklich einmal zum Psychologen gehen… Als er sich drehte und das Lächeln sah, das Eames in seinem Arbeitszimmer verloren hatte, musste er auch kurz lächeln. Zumindest war das wieder in Ordnung. Zumindest ging es ihm wieder besser. Die anschließenden Worte waren die Quittung dafür. Arthur seufzte theatralisch, legte den Kopf leicht schief und hob die Augenbraue. „Nichts anderes…“, sagte er trocken und trat nun endgültig aus der Umarmung, um sich umzudrehen und nun wirklich zurück in die Küche zu gehen. Dass er schmunzeln musste, konnte Eames zum Glück nicht sehen. Wenn dieser Job wirklich gut ging, wenn sich nichts weiter dahinter verbarg und Eames wirklich ehrlich zu ihm war… Vielleicht würde er sich dann noch einiges zeigen lassen - und Eames einiges zeigen. Kapitel 14: Affection --------------------- *Arthur* Er stellte sein Bier in der Küche ab. Als er sich in seinem Schlafzimmer im Spiegel einen Blick zuwarf, war das Schmunzeln nicht verschwunden. Der Brückenbau hatte begonnen. Aber ob die Statik richtig berechnet war oder ob das alles in einer einzigen Katastrophe enden würde, war nicht abzusehen. Das würden die nächsten Tage zeigen. Jetzt würde er erst einmal sehen, was Eames ihm in seinem Traum zeigen wollte. Arthur war gespannt, ob Karneval oder die Eishölle auf ihn wartete. *Eames* Ein eisiger Windhauch kam ihnen entgegen, der Vorbote von Schnee. Die dicken weißen Wolken über ihnen sahen schwer und schwanger aus. Das eigentlich dunkelgraue Kopfsteinpflaster glänzte nass, fast schwarz. Anscheinend hatte es vor kurzem noch geregnet. Vielleicht Überbleibsel seiner emotionalen Ergüsse... Eames trug einen langen, dunkelgrauen Filzmantel und eine Wintermütze mit Webpelz, die seine Ohren mit bedeckte. Die feinen Steinchen, die man aufgrund der Rutschgefahr verstreut hatte, knirschten unter ihren Schuhen. Covent Garden Market lag vor Ihnen; es schien ein gediegener Sonntagvormittag zu sein. Es waren viele Leute auf den Straßen, aber es herrschte keine Hektik. Die Läden hatten geschlossen. Nur Restaurants, Brasserien, Cafés und Sondergleichen hatten geöffnet. Ein Food-Truck stand direkt vor der Halle und verkaufte Mexikanische Spezialitäten. »Hier durch.« Er führte Arthur durch seinen Traum, durch ein kühles, frühwinterliches London; so wie er es in Erinnerung hatte, als er das letzte mal dort gewesen war. Sie durchquerten die Markthalle. Eine Frau auf der untersten Ebene, eine unter ihnen, sang „Affection“ von Cigarettes After Sex, begleitet von einem Kerl mit Cajon und umringt von einer faszinierten Menge. (https://youtu.be/5soixb2U6xM) Das Café dort unten machte immer mächtig Umsatz durch Musiker, die die gute Akustik der Halle nutzten. Die italienische Bäckerei, die er ansteuerte, lag auf der anderen Seite der Markthalle. Sie gehörte eigentlich nicht hier her. Viniero's Pastry stand im East Village, aber Eames hatte den Laden hierher verfrachtet. »Nach dir«, bot er an und wartete bis Arthur vorgegangen war. *Arthur* Mardi Gras? Elender Lügner! Arthur tauchte seine in Handschuhe verpackten Hände unweigerlich in die Taschen des zwar eleganten, vielleicht aber etwas zu wenig warmen Mantels, während er sich überrascht umsah. Kalt und Grau – so hatte es Ariadne beschrieben. Sie hatte nicht übertrieben. Arthur wusste nicht, wo er war, wusste nicht, wie er das verstehen musste. Es war seltsam für ihn und die leichte Angst, die er verspürt hatte, als er Eames in den Schlaf geschickt hatte und die ihn veranlasst hatte, nach der Hand des anderen zu greifen, seinen kleinen Finger mit dem des anderen zu verhaken, bevor er ihm anschließend gefolgt war, wich nicht. Arthur blickte sich unverhohlen um, um mehr Indizien zu erhalten, wo er sich eigentlich befand. Die Straßenschilder, die Signalstriche am Bürgersteig, dass man zuerst rechts schauen solle, letztlich das Underground-Schild ließen ihn ahnen, dass er in London war. London – Eames Heimat. Arthur fiel einmal mehr auf, dass er so gut wie nichts darüber wusste – generellso gut wie nichts von Eames wusste. Immer wenn es um hinging, blockte jener ab, wechselte das Thema oder machte ihm klar, dass es ihn nichts anging. Vermutlich lag es daran, dass er es genauso handhabte, wenn jener mehr über ihn wissen wollte. Schließlich steuerten sie den „Covent Garden Market“ an, ein beliebtes Touristenziel in London. Arthur war einmal in London gewesen, hatte sich dort vor allem mit Architektur beschäftigt. Aber richtig wohl hatte er sich nur bedingt gefühlt. Auch jetzt ging es ihm nicht anders, obwohl er nicht wusste, warum das so war. Vielleicht die Kälte. Die geschlossenen Läden sahen wenig einladend aus, obwohl ansonsten vieles belebt war. Viele Menschen, die ihm guttaten, weil er nicht alleine hier war in diesem Traum - nachdem der letzte so bittersüß geendet hatte. Der Foodtruck mit mexikanischem Essen erinnerte ihn an den vergangenen Abend. Er nickte, als Eames ihm den Weg deutete und folgte ihm durch die untere Markthalle. Arthur fing die Musik ein, die ihn hier an Ort und Stelle erstaunte. Die ruhige, in gewisser Weise hypnotisierende Musik wirkte befremdlich und anziehend zugleich, so dass er sich im Laufen drehte und der Sängerin einen Moment länger zuhörte. Das war Eames‘ Unterbewusstsein, genau das hier. Die Sängerin schien ihn einen Moment anzusehen, während ihre Worte sich in seinen Kopf einnisteten: You're gonna see it someday My attention's on you Even if it's not what you need I think of you I want you too I'd fall for you Arthur zwang sich, sich umzudrehen – gerade rechtzeitig, um nicht gegen Eames zu rennen, der vor einem Café? Einer Bäckerei? stehengeblieben war, um die Tür zu öffnen. Stirnrunzelnd blickte er auf zum Schild, das ihm erklärte, dass es sich um Viniero's Pastry handelte. London oder New York? Arthur dämmerte, dass sich Eames für seinen Traum gerne Rosinen zusammensuchte und alles in einem vermischte. Das passte. Er betrat den Laden, der wirkte, als sei er wirklich im vorletzten Jahrhundert gegründet und seitdem nie verändert worden. Es sah nicht etwa schäbig oder heruntergekommen aus, sondern einfach wie aus einer anderen Zeit. ‚extraordinary ‘ – besser konnte es kein Wort in einer anderen Sprache beschreiben. Die Auslagen, die alle möglichen Leckereien anboten und das breite Repertoire der italienischen Backkunst offenbarten, ließen Arthur den Wunsch nach einem guten Cappuccino und etwas Süßem verspüren, obwohl er eigentlich so gar nicht süß war – also was das Essen betraf. Und auch sonst… Wie auch immer. Er blieb etwas unschlüssig im Raum stehen und wartete, dass Eames zu ihm aufschloss. Wollte er sich hinsetzen oder ging es weiter? Er hatte ihm etwas zeigen wollen. Vielleicht war die Deplatzierung dieses Ortes in Eames‘ London-Traum gar nicht ein „Rosinen-Picken“, sondern vielmehr ein Hilfsmittel, um ihm genau hier etwas zu ihrem Fall zu zeigen. Schließlich war es ja auch die italienische Mafia, mit der er sich angelegt hatte. Es wäre seltsam, wenn die Gruppe, der der Brite auf die Füße getreten war, nicht in New York einen zweiten Familiensitz errichtet hätte. Fragend blickte er Eames an. „Ich vermute, wir sind nicht hier, um Kaffee zu trinken?“ *Eames* Der atemberaubende Duft, der ihnen in der Bäckerei entgegenschlug, übertraf die Realität um Längen. Die Ausstattung, das Mobiliar war durchaus akkurat, aber die Eindrücke schienen gefiltert zu sein, irgendwie romantisiert. »Eigentlich schon«, antwortete Eames und deutete auf einen freien Platz an den hohen, alten Fenstern. Das Glas war dünn und dezent bemalt, wie es vor knapp einem Jahrhundert üblich gewesen war. Er bot Arthur an, auch seinen Mantel mitzunehmen, als er zur Garderobe ging, um sich selbst zu entkleiden. Unter dem Mantel trug er einen dunkelroten Strickpullover mit elegantem Umschlagkragen. So wirkte er wie ein typischer, londoner Snob. Ein Kind aus reichem Hause; ein Doktors-Sohn und Mitglied in irgendeinem Herren-Club. Er besorgte ein paar heiße Getränke für sie und ließ sich schließlich Arthur gegenüber auf den Holzstuhl sinken. »Warst du schon mal im Viniero's?«, begann er in gelassener Small-talk-Laune und rührte sich Zucker in seinen Cappuccino. *Arthur* Arthur zögerte und blickte Eames mit einer Mischung aus Skepsis und Misstrauen an. Er hatte ihn in seinen Traum geladen. Das erste mal überhaupt. Er hatte ihm gesagt, er müsse ihm etwas zeigen. Und jetzt waren sie nur zum Kaffeetrinken hier? Sollte das ein Date sein? Nur weil er ihm ein wenig angedeutet hatte, dass er ihm nicht ganz gleichgültig war? Na das konnte ja heiter werden! Er zog die Handschuhe aus und schob den Mantel von den Schultern. Reichte ihn Eames, der die Sachen aufhängte, während er sich an den Tisch setzte und umblickte. Es war schön hier, keine Frage. Aber er konnte nicht glauben, dass er umsonst hier war. Unruhig glitten seine Augen durch den Raum. Erst als seine Begleitung zurückkehrte, bemerkte er, dass sich Eames in Schale geworfen hatte. Edel sah er aus, gut sowieso. Und doch störte es ihn etwas. Es war so... angepasst. Er sagte nichts dazu. 'Anders gefällst du mir besser', wäre das Ehrlichste gewesen. Nach Lügen war ihm nicht. Wieso kleidete sich Eames so, wie es ihm eigentlich gefallen müsste? Oder war das sein Unterbewusstsein, das den Raum füllte? Aber nicht die Klamotten. Arthur merkte, dass sich seine Gedanken wieder viel zu viel im Kreis drehten. "Danke", sagte er und nahm sich etwas Zucker in den Cappuccino, dessen Milchschaum perfekt war - bis auf das Herz aus Kakaopulver darauf. Es lief leise Paolo Conte ’Via con me‘ im Hintergrund. Er trank einen Schluck und ließ den Blick über die Theke gleiten. Irgendwie kam er nicht zur Ruhe. Er schüttelte den Kopf, auf die Frage, ob er schon einmal hier war. Und endlich schaffte er es, Eames wieder ins Gesicht zu sehen. "Dafür habe ich keine Zeit", erklärte er. Arthur hob die Tasse und trank, nur um etwas zu tun zu haben und Eames nicht mehr ansehen zu müssen. *Eames* Natürlich war Arthur nicht zufrieden. Ein wenig die Atmosphäre genießen, die Eames teils bewusst, teils unbewusst für ihn erschaffen hatte, war halt einfach nicht sein Ding. Das hätte er kommen sehen müssen. Dieser verdammte Stock in seinem Arsch... »Verstehe«, bemerkte er unbeeindruckt und nahm ebenfalls einen Schluck. Die Beine hatte er wie immer übereinander geschlagen. Zwischen den Menschen, die draußen die Straße passierten, entdeckte Eames plötzlich einen Soldaten. British Army in Schutzweste, bewaffnet. Aber er schritt völlig gelassen zwischen den Zivilisten, in Richtung Market Lane. Er musste sich bemühen den Blick von ihm abzuwenden. »Excuse me...«, sprach er eine der Angestellten an. Sie sah aus, wie Candela aus dem mexikanischen Restaurant, in dem sie gemeinsam gespeist hatten. »Könnten Sie mir bitte den Chip bringen?« »Natürlich, sir.« Sein Blick traf wieder Arthur. »Keine Sorge, my dear. Wir kommen kommen gleich zum Geschäftlichen. Lass mich nur einmal den Moment genießen.« Er hatte den Chip gesehen und extra für Arthur eine mentale Kopie davon angefertigt, damit er ihn sich ansehen konnte. Das war noch nicht alles, aber man musste ja nicht gleich alles offen legen. Wann hatte er sonst schon mal die Chance auf ein halbgares Date mit Arthur? *Arthur* Arthur saß mit dem Rücken zum Fenster, weswegen er den Soldaten nicht sehen konnte, wohl aber merkte er, dass Eames etwas draußen entdeckt hatte. Ob Eames doch auf jemanden wartete? Oder etwas? Arthur drehte sich, blickte hinaus, konnte aber durch das bunte Glas nur normale Passanten sehen. Noch bevor er etwas sagen konnte, hörte er das »Excuse me...« , das an die Kellnerin gerichtet wurde. Als er sich drehte, um sie anzublicken, hob er etwas überrascht die Augenbrauen. Er schluckte, wohl erkennend, wen Eames Unterbewusstsein hierher zauberte. Die hübsche kleine Mexikanerin, mit der er gestern so nett geflirtet und nach dem Essen noch gesprochen hatte? Sie schien ihn ja sehr zu beschäftigen. Ein seltsam nagendes Gefühl machte sich in ihm breit. Oder war es gar sein Unterbewusstsein? Seine Mine versteinerte sich etwas, während er noch einen Schluck trank. Sie sollte einen Chip bringen? DEN Chip etwa? Den, den sie suchen und finden mussten? Eine mentale Kopie hatte er hier hinterlegt? Offenbar war dieser Traum Eames Tresor für Gedanken. Was hier wohl sonst noch versteckt war? Deutlich spürte er die Neugierde in sich aufsteigen, aber er ließ es sich nicht anmerken. »Keine Sorge, my dear. Wir kommen gleich zum Geschäftlichen. Lass mich nur einmal den Moment genießen.« Arthur wusste nicht, was es mit ihm zu genießen gab. Er wusste nicht, was sich Eames erwartete und… überhaupt war so etwas so gar nicht sein Ding. Er nickte leicht. War es so schwer, sich zu entspannen? Er dachte an die Hand, die er außerhalb des Traums hielt. Provozierte das etwa diese Situation hier? Er hatte sich fest vorgenommen, zuerst aufzuwachen, damit Eames es nicht merken würde. „Welchen Moment meinst du?“, fragte er. Konnte man das mit ihm genießen? So wie er war? Wohl kaum. Er war hierfür einfach nicht der Typ. Besonders nicht, wenn man von jemandem bedient wurde, der bestimmt das Bett mit seiner Begleitung geteilt hatte. *Eames* ‘Welchen Moment meinst du?‘ Eames Augenbrauen hoben sich und sein Blick sprach deutlich, so was wie „Ist das eine ernst gemeinte Frage?“ - Ja... es war immer noch Arthur mit dem er sich hier unterhielt... Wie konnte ein Traum auch ein Rückzugsort sein? Ein Ort, der vielleicht sogar besser war als die Realität? So etwas war ja noch niemandem passiert, den sie kannten....... (Dom und Mal) Candela schritt unterdes in aller Ruhe hinter die Theke und verschwand erst einmal. »Na das hier.«, er machte eine ausschweifende Bewegung und lächelte, behelfsweise. »Das Café, der Cappuccino, die nette Bedienung.« Er führte seine Tasse zum Mund. »Oder liegt es an mir? Ich dachte, wir hätten uns vertragen.« Er sah schmunzelnd über den Rand der Tasse zu ihm herüber. Und wieder an ihm vorbei, da ein weiterer Soldat die Straße hinab marschierte. Nein... es waren zwei. Irgendwie hatte er gewusst, dass London eine beschissene Idee gewesen war, aber trotz allem, war es noch immer sein Lieblingsort. Und sie würden nicht ewig für die Besprechung brauchen, selbst wenn sie etwas Spaß dazwischen schoben. Letzterer würde ohnehin von Arthur radikal dezimiert. *Arthur* Na das hier – Aber was war das hier? Arthur lauschte den weiteren Worten. Erst bei den letzten sah er auf. Dieser Blick nahm ihm wenig von seiner Unruhe. Sein Problem war, dass er auf das hier nicht vorbereitet war. "Wenn du das so nennst." Er atmete tief durch. "Dann versuche ich das hier zu genießen. Mit dem Café, dem Cappuccino und natürlich der netten Bedienung mit dem süßen Grübchen, wenn sie lächelt." Er drehte sich um, um zu schauen, ob 'Candela' wieder zurückkam. "Bist du in deiner Zeit in New York öfters hier..." Er stutze, als er den Kopf wieder drehte und Eames nach draußen blickte. "...gewesen?" Er musterte ihn kritisch, gleichzeitig fühlte er nach der Waffe. "Geister der Vergangenheit? Oder Wächter?" *Eames* Das war ein Anfang. Mit ein wenig Hilfe würde Arthur schon noch das Laufen lernen, da war sich Eames sicher. Nun hatten sie immerhin einen Zugang zueinander. Er hatte bei Arthur einen Fuß in der Tür. Er winkte ab, auf die Frage hin. »Nichts Beunruhigendes«, log er. »Habe ich mal erwähnt, dass ich nicht zurück nach London kann? Ab und zu erlaube ich mir in meinen Träumen scheinbar selbst nicht hier zu sein.« Doch das war nur die halbe Wahrheit. Für die ganze Story hatten sie einfach keine Zeit. Mal ganz davon abgesehen, dass Eames einen Teufel tun und sich spontan von innen nach außen krempeln würde. Bevor er dazu zurückkommen konnte, wie oft er bereits in dieser bezaubernden Bäckerei gewesen war, kehrte Candela zu ihnen zurück. Sie entblößte besagte Grübchen mit einem höflichen Lächeln. »Der Chip, sir.« Die Mexikanerin servierte eine Art externe Festplatte auf einem Silbertablett. Sie war etwas kleiner, als ein iPhone, flach, schwarz, matt mit zwei verschiedenen Anschlüssen ausgestattet. »Da haben wir's. Das ist das Teil, das wir suchen«, führte er unbekümmert fort und versenkte einen Keks in seinem Cappuccino. *Arthur* Er konnte nicht zurück nach London? Was hatte er angestellt? Nun, er war Thomas Eames. Nichts sollte ihn wundern. Und doch war er neugierig. Gerade, weil Eames es sich selbst verbot. War das nicht ein Zeichen für ein tiefgreifendes Ereignis? Über solche Dinge hatten sie noch nie geredet. Eames redete nie über seine Herkunft, seine Vergangenheit. Jedes Mal, wenn es thematisiert werden könnte, lenkt er geschickt ab oder macht deutlich, dass es niemanden etwas anging. Aber vermutlich war das auch etwas, was er - Arthur - verbockte. Solche persönlichen Gespräche bedeuteten, dass man im Gegenzug auch etwas preisgab. Im Grunde machte er es ja nicht anders. Dieses Stadium des Vertrauens hatten sie nie endgültig erreicht - nur beinahe einmal. Was aber auch an ihm lag – vielleicht. Arthur biss sich auf die Zunge. Nein, er würde jetzt nicht nachbohren. Jetzt noch nicht. Doch nun konnte er ohnehin nicht mehr nachfragen. Die Strahlende kehrte zurück und brachte den 'Chip'. Arthur pfiff durch die Zähne - nicht wegen des Grübchens, sondern zunächst wegen des Chips. So etwas gefiel ihm. Dann besann er sich und lächelte die Kellnerin zuckersüß an. "Vielen herzlichen Dank!", raunte er und blickte sie ein wenig länger an, als es nötig wäre. Das strahlende Lächeln, das er erntete, gefiel ihm. Er griff nach der Festplatte, ohne den Blick von ihr abzulenken. "Könnten Sie mir noch etwas zu essen bringen? Etwas, das mich genauso in den Himmel 'hochzieht' wie Sie?" Die Bedienung stutzte einen Moment, bevor sie begriff und lachte. "Sehr gerne!", erwiderte sie und legte ihm ihre Hand kurz auf die Schulter, bevor sie sich daran machte, ein Tiramisu zu holen. Arthur blickte ihr schmunzelnd hinterher. Dann betrachtete er die Festplatte in Ruhe. Es würde nicht einfach werden, eine exakte Kopie zu bekommen. Das sah nach Spezialanfertigung aus. Aber er wusste schon, zu wem er gehen würde. Er prägte sich alles ein, was er sah. Eine exakte Zeichnung würde seinem Bastler helfen. "Ich denke, wir werden die Schatztruhe einfach austauschen können", sagte er nun. Er würde später nach dem Hotelbesuch gleich Kontakt aufnehmen. Morgen war schlecht. Er konnte nicht abschätzen, wie lange er in Philadelphia sein würde. Als er aufblickte, lächelte er. Jetzt war er schon viel entspannter. "Bei welcher Gelegenheit hast du das Schmuckstück gesehen?" *Eames* Sollte ihn das etwa eifersüchtig machen? Eames schmälerte die Augen, als er Arthur dabei zusah, wie er mit der Bedienung flirtete. Und wie er sich ins Zeug legte! Dann diese Geste... die Hand auf seiner Schulter – exakt gleich, wie aus einem Film. Aus wessen Unterbewusstsein das wohl kam... schwer zu sagen. Der anfängliche Missmut über Arthurs Flirterei wich jedoch schnell einer spitzbübischen Eingebung. Wenn Arthur wüsste, was er damit losgetreten hatte, hätte er es sich vielleicht zweimal überlegt die Mexikanerin so genau anzusehen. Auch er sah Candelas wiegenden Hüften hinterher und wandte sich dann, spitz lächelnd, wieder an Arthur. »Das ist der Knackpunkt«, antwortete er auf Arthurs Frage. Er hielt ihm die offene Hand hin, als Aufforderung den Chip auszuhändigen. »Ich habe das Ding bisher nur auf Fotos gesehen. Was bedeutet, dass das Gewicht und die Oberflächenbeschaffenheit in diesem Fall von mir ergänzt wird.« Dabei fuhr er mit dem Daumen über die matte Oberseite und die abgerundeten Kanten. »Wir wissen, dass der Chip zwischen 1.000 und 5.000GB Datenspeicher enthält. Der Aufbau könnte der einer externen Toshiba Festplatte ähneln, aber das sind nur Jesse's Spekulationen.« Sie mussten irgendwie darauf schließen, wie schwer das Ding war und wie es sich anfühlte. Wenn sie keine exakte Kopie hatten, würden sie vielleicht schneller auffliegen, als sie sich aus dem Staub machen konnten, nachdem sie das Teil entwendet hatten. Er legte das schwarze kleine Gedankenstück zurück auf das Silbertablett und sah Arthur abwartend an. *Arthur* Was er da in einem Anflug von Trotz getan hatte, wurde ihm erst so richtig bewusst, als er Eames Lächeln sah. Er war froh, dass sie über etwas reden konnten, dass sie ein Thema hatten, in das er sich einbringen konnte. Letztlich war er es nur leid mit Eames immer irgendwo zu sein, aber nie wirklich allein mit ihm zu sein... Oder verarbeitete sein Unterbewusstsein hier ihr Essen gestern beim Mexikaner? Candela hatte Eames gestern genau so an der Schulter berührt. Es war verwirrend für ihn. Er legte Eames den Chip in die Hand und sah ihm in die Augen. Es ging um den Job, nicht um ihr fragiles Irgendwas in einem Traum, vor dem er Angst hatte. Dass Eames nur Fotos gesehen hatte, machte die Sache kompliziert. Arthur lauschte den Erklärungen und nickte nachdenklich, folgte Eames' Ablegen des Chips mit den Augen. Als jemand das Tiramisu hinstellte, war er mit dem Kopf nicht wirklich anwesend, sondern bedankte sich nur nebenbei. "Ich kenne jemanden, der mir so eines bastelt. Und als Grundmuster hätte ich auch Toshiba vermutet. Letztlich ist es in dem Moment egal, ob es 100% identisch ist, wenn wir die Daten überspielen können. Aber das wird zeitlich knapp, vermutlich zu knapp sein." Er nahm einen Löffel des Tiramisus und behielt den Löffel im Mund, ließ den Geschmack auf seiner Zunge zergehen, während er weiter nachdachte. Schließlich zog er den Löffel hinaus. "Wenn wir einen Traum kreieren, in dem er lange genug an einem Ort gebunden ist, klappt eine Kopie. Und es wäre gut, wenn der Ort des Geschehens möglichst weit von seinem Zimmer weg ist. Beispielsweise im Wellnessbereich. Er wird massiert und schläft ein. Du extrahierst die Information. Und während er aufwacht und die Massage oder was auch immer beendet, holst du den Chip. Dann hast du genug Zeit, abzuhauen und Jobs wird den Tausch erst merken, wenn es zu spät ist. Wenn dir Zeit für die Kopie nicht reicht, muss ein Austauschen reichen." Erneut nahm er sich einen Löffel von dem wirklich leckeren Dessert. *Eames* Ausgeklügelt und stets auf einen Plan B bedacht, so gefiel ihm sein Point Man. »Der Spa-Bereich des Four Seasons wird mir immer sympathischer.«, antwortete er auf Arthurs Ausführungen hin, nachdem er immer wieder zustimmen genickt hatte. Der schemenhafte Plan, nahm nun bereits klare Züge an, Arthur sei dank. Er trank an seinem Cappuccino, der noch immer angenehm heiß war, wie zu Beginn. Dann warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. Sie hatten noch ein wenig Zeit, bevor der Timer ablief. »So weit so gut. Willst du dann noch ein wenig mit Candela flirten oder wie sieht deine Abendplanung aus?«, fragte er amüsiert. Die folgende Reaktion war entscheidend für Eames. Natürlich arbeiteten sie gerade, aber das Spielen lag ihm leider im Blut. Das konnte man nicht einfach abstellen, wenn man wollte. *Arthur* Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Mir durchaus auch", sagte er. "Nachher sollten wir sehen, wann er dort etwas gebucht hat. Dann haben wir einen Zeitpunkt. Das Zeitfenster von einer Stunde sollte für eine Extraktion und eine Kopie reichen. Stellt sich noch die Frage, wie wir ihn im Traum dazu bekommen, unvorsichtig zu werden." Er war zufrieden. Langsam schlossen sich die Lücken. Eames Blick auf die Uhr ließ ihn auch wieder daran denken, wo sie waren. Die Worte des anderen trafen ihn unvermittelt. Er schob den Teller zur Seite, auf dem noch das halbe Tiramisu lag. Insgeheim hatte er gehofft, Eames würde seine Anwandlung vergessen. "Eigentlich nicht", sagte er leichthin und blickte Eames herausfordernd an. "Ich hatte gehofft, dass du mir etwas zeigst, wo ich niemandem begegne, mit dem du schon im Bett warst - wo wir schon mal hier sind. Aber ich fürchte, dass es kaum einen Ort gibt, an dem das möglich ist." ‘Take me somwhere nice‘ (https://youtu.be/luM6oeCM7Yw) *Eames* Mit der Antwort, die Arthur ihm auf die Job-Belange gab, war Eames durchaus d'accord. Er nickte zufrieden. Natürlich konnten sie zu ihrem Zeitpunkt noch keine Antwort auf jede Frage haben... zum Beispiel, was die eigentliche Extraktion anbelangte. Wenn er mit Henry Foster fertig war, würde er sich allerdings gleich um einen konkreten Plan kümmern, nahm er sich vor. Oder auch nicht. Improvisation war ohnehin seine Stärke und wenn man mal ehrlich war... Extraktionen liefe alle irgendwie gleich ab. Dass es noch kein Handbuch dazu gab, war auch alles. "Ich hatte gehofft, dass du mir etwas zeigst, wo ich niemandem begegne, mit dem du schon im Bett warst - " Nun, das war interessant. Seine Augenbraue hob sich verwundert, leicht verärgert. Dass Arthur ihm im Anschluss noch Hurerei vorwarf, traf ihn tatsächlich ein bisschen – auch wenn er natürlich wusste, wo der Ruf herkam. »Vielleicht ist Traum-Candela kein Auswuchs meiner Libido, sondern eher ein Ausdruck deiner Eifersucht«, konterte er gelassen. Dass er nie mit Candela im Bett war, sondern ihr nur den einen Gefallen getan hatte, als er in New York gelebt hatte, sparte er sich an dieser Stelle. Sollte er ruhig glauben und brodeln. Da war er wieder: der ewige Zwang zu provozieren, der in seine Schläfe pochte. »Ach und was ich noch fragen wollte... Wer war der Kerl nochmal, dem du gestern deine Nummer aufgeschrieben hast?« Natürlich wollte er nicht wirklich eine Antwort auf die Frage. Dann würde er nämlich unter Umständen schrecklich eifersüchtig werden und die üble Laune hatte er gerade erst abgeschüttelt. *Arthur* Da waren sie schon wieder! Back again! Auf dem besten Weg, sich wieder zu prügeln… Arthurs Ärger wuchs mit jedem Wort, das Eames ihm sagte – nun zumindest bis er nach dem Typen fragte, der ihn gestern angesprochen hatte. Sein Mund hatte sich unwillig verzogen, nun musste er amüsiert lächeln. Ihm lagen so viele Bemerkungen auf der Zunge. Bemerkungen, die Eames vermutlich treffen würden. Das Problem war gerade nur: wollte er das wirklich? Wollte er, dass sie wieder so endeten, wie im letzten Traum? Er zögerte mit einer Antwort, während er Eames ansah und auch das kurze triumphierende Lächeln verschwand. Was geschah, wenn er sich nicht immer provozieren ließ?! Es dauerte etwas, bis er seine Wut soweit hinuntergeschluckt hatte. „Um ehrlich zu sein, habe ich darüber auch schon nachgedacht“, sagte er dann absolut ehrlich. Ja, verdammt, es hatte ihn gestern genervt und gerade eben noch viel mehr. Er hatte nichts, was er einer so hübschen und wirklich weiblichen Frau entgegensetzen konnte. Und es war das, was ihn schon immer belastet hatte, was ihn vor sechs Jahren unter anderem auch hatte zögern lassen. Das Gefühl, nur einer von vielen zu sein, nichts Besonderes. Gott, das klang so eingebildet, so dämlich und unreif, aber irgendwie… Er atmete durch. „Der Kerl war ein Namenloser, der vermutlich erst nach fünfmal anrufen begreift, dass ich mit Namenlosen nur einmal ins Bett gehe und ihnen gewiss nicht meine Nummer aufschreibe…“ Er spürte doch wieder Groll aufkommen. Es war so schwierig, einfach normal miteinander umzugehen. Schwierig, weil das hier nicht normal für Arthur war; Schwierig, weil er nie wusste, woran er bei Eames war. Manchmal wurde er dessen sehr müde. Besonders, wenn er dachte, dass es besser werden könnte zwischen ihnen. Wenn er sogar irgendwie das Bedürfnis verspürte, dass es besser wurde. Er stand auf und blickte Eames an. „Lass uns spazieren gehen. Ich war schon lange nicht mehr in London.“ ‚Und ich bin neugierig, was ich hier noch zu sehen bekomme‘, fügte er in Gedanken hinzu. Eames* War das ein Eingeständnis? Hatte er tatsächlich zugegeben, dass er unter Umständen eifersüchtig war?! Eames konnte es kaum fassen und verharrte, ohne Antwort. Was nicht bedeutete, dass Arthur nie eine Antwort darauf kriegen würde... sie musste nur erst in Eames arbeiten, bevor er sie klar formulieren konnte. »Du hast Recht... wir sollten uns bewegen«, stimmte er Arthurs Vorschlag zu und holte ihrer beider Jacken. Kapitel 15: Mountains --------------------- *Eames* Draußen war es kalt, nach wie vor, aber die Sonne schien, immerhin. Ein paar Kinder jagten sich gegenseitig mit Spielzeugpistolen. Seine Traumkarte hatte nicht wirklich etwas mit der Realität zu tun; er war durchaus ein ‚Rosinenpicker‘; Deswegen steuerten sie vom Covent Garden geradewegs auf den Regent's Park zu. »Also, diese Namenlosen... Kommt das öfter vor?«, fragte er, frei heraus und ehrlich interessiert. Natürlich war er eifersüchtig, aber das war er seit sie sich das erste mal vor fast acht Jahren begegnet waren. Es hatte sogar Zeiten gegeben, wo er auf Cobb eifersüchtig gewesen war! Das musste man sich mal vorstellen… *Arthur* Raus zu kommen, tat gut. Es tat verdammt gut. Dass die Sonne schien, freute ihn. Doch nicht so kalt? Einen Moment huschte ein Gedanke durch seinen immer beschäftigten Kopf. Doch er war so absurd, dass er ihn verwarf. Der Park war bald erreicht, als Eames doch noch den Mund aufbekam. Offenbar hatte ihn seine Ehrlichkeit auf angenehme Art und Weise zum Schweigen gebracht. Das sollte er sich merken. Arthur bekam gute Laune. Ob es öfter vorkam? Hm, vermutlich viel zu selten. Aber doch hin und wieder. "Auch ich habe gewisse Bedürfnisse!?", stellte er in den Raum. Glaubte Eames, dass er ohne Sex auskam? Oder war es so abwegig, dass er jemanden für eine Nacht aufriss? "Jeder muss sich mal entspannen. Auch ich...", antwortete er achselzuckend. "Gestern wollte ich eigentlich losziehen. Und dann kommst ausgerechnet du um die Ecke." Das war ihm eher zu schnell herausgerutscht. "Du lebst doch sicher auch nicht wie ein Mönch", versuchte er auf ein anderes Thema zu lenken. *Eames* "Auch ich habe gewisse Bedürfnisse?" Wenn Arthur das so sagte, klang es überhaupt nicht nach dem was es eigentlich bedeutete. Und irgendwie wollte dieses Bild auch nicht in seinen Kopf! Es ging immerhin um Arthur. Arthur-stick-in-the-butt Ein Mensch, der so strukturiert und pingelig war, dass er wahrscheinlich seine Unterwäsche und Socken bügelte und faltete und nach Farben sortierte. Dieser Mensch ging aus um jemanden zu finden mit dem er belanglosen Sex haben konnte? Er wusste, dass es so war und er unterschätzte nicht Arthurs Sex-Appeal. Er war ihm ja selbst verfallen. Wahrscheinlich musste er seiner Zielperson nur lang genug mit seinen Bambi-Augen hypnotisieren und – Bingo! »Naja, dann sorry, dass ich dir die Tour vermasselt hab'«, es klang ehrlich und war auch größtenteils so gemeint. Auch wenn das natürlich jede Person, die mit Arthur schlief, die nicht Eames war, irgendwie ein Dorn in seinem Auge war. Er zauberte ein paar Pistazien aus seiner Manteltasche und begann diese zu knabbern. Eine Gewohnheit, die er aus Mombasa mitgebracht hatte. Alles Yusufs Schuld. »Ich hätte „Namenlos“ ersetzt, wenn du mich gelassen hättest«, ließ er ganz galant einfließen. »Aber du entscheidest dich ja immer aus irgendeinem Grund sauer auf mich zu sein.« *Arthur* Die Entschuldigung des anderen ließ ihn schmunzeln. Er war ihm nur in den Momenten böse gewesen, an denen er an Sex erinnert worden war... nackte Haut unter seinen Fingern beispielsweise. Die nun folgenden Worte ließen ihn kurz lachen und er sah Eames an. "Als ob du in deinem Zustand mir gerecht hättest werden können...", frotzelte er und stieß ihm in die Seite. Er schüttelte den Kopf leicht und blickte sich im Park um. Es tat gut, einfach mal zu reden, ohne sich zu streiten. "Das Problem, Thomas, ist, dass du nicht namenlos bist." Er kaute auf seiner Unterlippe herum, wog seine Worte ab. "Und ich denke, du weißt, dass ich nicht grundlos sauer auf dich bin", fügte er dann hinzu. "Mir fällt es nicht leicht, Menschen mit Namen an mich heran zu lassen." Er blickte über einen See, an dessen Ufer eine Weide stand. Sehr idyllisch..Gefährlich idyllisch, frei, natürlich.. "Du hast mich in dem Moment hintergangen, in dem ich mich dir öffnen wollte." Er wollte noch etwas hinzufügen, rang nach den richtigen Worten. Aber er schloss den Mund wieder. Eames konnte sich das vermutlich selbst denken. Sein Vertrauen war zerstört worden. Vertrauen, das er brauchte. Er hatte sich so verraten gefühlt, schier gedemütigt. "Und ich weiß bis heute nicht, warum", fügte er leise hinzu. *Eames* Na gut, den hatte er wohl verdient. Er schnaufte auf den Seitenhieb, war aber nicht eingeschnappt, sondern eher zugestehend amüsiert. Natürlich wäre er nicht in Höchstform gewesen, aber für Arthur hätte er da sicherlich was drehen können. Gebrochene Rippen, hin oder her – aber wahrscheinlich war auch das einfach nur eine eitle Lüge. Und dann folgten wieder Worte, mit denen Eames überhaupt nicht gerechnet hätte. So sah er das also? Er hatte ihn hintergangen, als er sich ihm öffnen wollte... Es war das alte Lied, bloß dass es bisher niemand ausgesprochen hatte. Alle Wege führen nach Tokyo. Seine Gedanken rasten, während er weiter langsam neben Arthur herging und den Park genoss. In der Ferne sah man zwei Teams junger Burschen Fußball spielen. Arthur wirkte verletzlich, aber gleichzeitig so ruhig, dass es Eames schwer, viel Fuß zu fassen und eine passende Antwort zu formulieren. »Wie sollte ich wissen, dass du dich „öffnen“ wolltest? Du hast mir die kalte Schulter gezeigt, mein Freund. Und ich hab' wirklich viel versucht.« Eine ganze Menge! Über Drinks spendieren, eindeutig, zweideutige, dreideutige Angebote, Privat-Lehr-Stunden auf Traum-Ebene, aber Jesus, nichts, keine Reaktion! Cold as ice. Dann dachte er gründlich über die allerletzte Frage nach. Dieses „warum“... wenn Arthur das Gewicht dieser Antwort nur im mindesten abschätzen könnte, wüsste er, wieso sich Eames genauso schwer damit tat, über Tokyo zu sprechen. *Arthur* Solange Eames schwieg, versuchte auch Arthur seine Gedanken zu ordnen. In dem Moment, als er Thomas‘ Gesichtsausdruck in seinem Arbeitszimmer gesehen hatte, war ihm letztlich klar geworden, dass sich seit vor über 6 Jahren zwischen ihnen nichts verändert hat. Und seit diesem Moment hatte er das dringende Bedürfnis an dieser beschissenen Situation etwas zu ändern. Vielleicht war es aber auch schon seit dem Moment, an dem er die Verletzung in seinen Augen gesehen hatte, als er ihm vorgeworfen hatte, nie ehrliches Interesse an ihm gehabt zu haben. Hatte er das nicht gesagt, um genau diese Reaktion zu überprüfen. Weil er wissen wollte, dass es eine Lüge war? Ja, die Prügel waren so dermaßen gerechtfertigt. Jetzt liefen sie durch den Park und Arthur erhaschte Einblicke in Thomas‘ Jugend: Räuber und Gendarm, Fußball, unbesorgtes Leben – zumindest deutete er es so. In seinem Unterbewusstsein spielte weder Fußball noch das Spiel mit Pistolen eine Rolle. Der Gedanke daran, wie Tom wohl als Kind, als Jugendlicher ausgesehen haben mag, beschäftigte ihn einen Moment. Und natürlich die Frage, warum er nicht mehr hierher kommen durfte. Aber eigentlich gehörte das alles nicht hierher. Eigentlich reflektierten sie das, was zwischen ihnen den Graben verursacht hatte. Ein Gespräch, das Arthur sich seit Jahren erhoffte und gleichzeitig fürchtete. Aber wenn sie es nicht irgendwann führten, würde es immer schwerer und schwerer werden, es zu führen, bis es nicht mehr ging und sie mit dem Gefühl starben, etwas Wichtiges, etwas Entscheidendes versäumt zu haben. Arthur war überrascht, dass sie es wirklich begonnen hatten, dieses Gespräch, das sicher nur auf Etappen zu schaffen war. »Wie sollte ich wissen, dass du dich „öffnen“ wolltest? Du hast mir die kalte Schulter gezeigt, mein Freund. Und ich hab' wirklich viel versucht.« Arthur schluckte, spürte ein seltsames Gefühl im Magen. Diva – Ja, wie sollten die Menschen wissen, was er dachte, wenn er nicht darüber sprach. Aber alle stellten sich das immer so einfach vor, dieses darüber Sprechen. Ihm war das schon seit er denken konnte schwergefallen. Er hatte eine Übersetzerin für seine Gedanken gehabt, vor nunmehr fast 28 Jahren. Eames hatte damals wirklich viel versucht, zu viel. Es war ein schlechter Moment gewesen, dass sie sich getroffen hatten. Der ungünstigste Moment. Arthur hatte später sich damit getröstet, dass es deswegen nicht hatte sein sollen, weil es von vornherein einfach doch nicht gepasst hat. Zumindest hatte er versucht, sich damit zu trösten. So, wie er sich viele Dinge eingeredet hatte, damit er weiter funktionieren konnte. Es hat nicht sollen sein! Er kaute auf seiner Unterlippe herum, versuchte diese beschissene Mischung aus unterschiedlichsten Gefühlen in seinem Magen zu verdrängen und hoffte auf mehr, aber es kam nichts mehr. Das „Warum?“, das er in den Raum geworfen hatte, blieb unbeantwortet. Auch das schmerzte, wieder und wieder und wieder und … Aber vielleicht müsste er beginnen. Wie Eames gesagt hatte: jener hatte bereits viel getan – Arthur nicht. „Damals hatte ich eine wirklich beschissene Zeit“, sagte er und verstummte wieder. Damals hatte er sich in die Arbeit geflüchtet, diese neue Arbeit, die ihn so fesselte, die ihm so viel gab, die seinen Ehrgeiz, seinen Verstand herausforderte und in die er sich in seinem Perfektionismus verrennen konnte. Es hatte gut getan, etwas zu haben, was seinen Verstand komplett einnahm, um über nichts anderes nachdenken zu müssen. „Du hast viel gemacht – und es hat mich berührt. Aber ich…“ Er war nicht frei gewesen, nicht im Kopf und nicht im Herzen. Ja, er war „kaltherzig“ gewesen und konnte nicht aus seiner Haut. „Never ment to be so cold…“ Damals war er mit seinen Eltern zerstritten gewesen. Seine Welt war einmal mehr zusammengebrochen, als er mit deutlich zu viel Alkohol intus von seinem Vater gefordert hatte, ihm endlich die Wahrheit darüber zu sagen, weshalb seine Schwester vor damals siebzehn Jahren hatte sterben müssen. Doch die einzige Antwort, die er bekommen hatte war ein. „Damals ist das falsche Kind gestorben!“ gewesen. Ihm graute schon jetzt vor dem Termin, den er vorhin in seinem Handy eingetragen hatte. Bald wurde er 33, ein neuer Geburtstag, ein 28.Todestag. „Ich denke, es hat mich in dem Moment erdrückt. Ich hatte mich in den Job gestürzt, um vieles vergessen zu können.“ Er hatte den Job beenden wollen, hatte wenigstens eine Sache in seinem Leben geordnet haben wollen, bevor er sich auf etwas einlassen wollte, das sich unkontrollierbar anfühlte. Und er hatte den Job als Sicherheit gesehen. Er hatte gedacht, dass er – wenn der Job gut funktionierte – auch damit klarkäme, dass Eames sicher kein stabilisierender Faktor in seinem Leben war. Er hatte vertrauen wollen. Eine junge Frau kam ihnen entgegen, eine junge Frau, die ihm ähnlich sah. Nur dass sie immer unbekümmert lachen konnte. Arthur erstarrte, spürte einen heftigen Schmerz. Scheiße, das ging hier zu tief. Viel zu tief. „Ich glaube, wir sollten zurück“, sagte er tonlos. Er konnte nicht mehr. *Eames* Eine beschissene Zeit, hm? Natürlich konnte Eames sich damit identifizieren. Jeder konnte das, vermutlich. Der Unterschied lag darin, was man daraus machte. Arthur hatte sich dazu entschlossen, dass Ablenkung und Abschottung die beste Lösung war. Es kränkte Eames, um das Mindeste zu sagen. Er hatte sich ihm auf dem Silbertablett serviert; das Komplettpaket. Es ging nicht nur um Sex. Eames hatte auf sämtlichen Ebenen versucht ein Teil von Arthurs Leben zu sein. Aber vermutlich verstand er die Andeutung richtig: es war vielleicht zu viel gewesen. Zu viel des Guten, so zu sagen, in Kombination mit.. nun ja Arthur. Unfähig aus seinem Eis-Palast herauszukommen. ‘Ich denke, es hat mich in dem Moment erdrückt. Ich hatte mich in den Job gestürzt, um vieles vergessen zu können.‘ Erdrückt. Der Ausdruck lag schwer in Eames' Magen. Es war nicht leicht zu akzeptieren, dass er mit seiner offensiven Art vielleicht einen Fehler begannen hatte. Trotzdem musste er sich irgendwie damit auseinander setzen, was damals schief gelaufen war und musste die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es nicht allein Arthurs Schuld war. Er suchte nach Worten. Auch wenn Worte vielleicht gar nicht mal das wichtigste in ihrer Situation waren. Vielleicht sollt er eher handeln. Doch dann betrat ein neuer Charakter die Bühne und gefühlt hundert neue Fragen taten sich auf, in ihrer ohnehin schon komplizierten Situation. Dieses Gesicht... Eames ging unbehelligt weiter, steuerte auf die junge Frau zu, die seiner Begleitung unverfälscht ähnlich sah. In seinem Kopf versuchte er so schnell wie möglich alle Varianten durchzugehen, die zu der Erscheinung einer solchen Person geführt haben könnten. Ein Abbild von Arthur selbst, bloß in weiblicher Form (was viele weitere Gründe haben könnte), oder aber ein Familienmitglied... Er erinnerte sich wage an ein Bild. Hatte da nicht etwas auf Arthurs Kommode gestanden? Dieses Lächeln.. so einprägsam. »Warte...«, wandte er an Arthur und schnitt der Lady den Weg ab, damit sie nicht an ihnen vorbeigehen konnte. Er wusste, dass Arthur wieder dicht machen wollte – es war dasselbe Spiel, wie immer. Irgendetwas Belastendes lag direkt vor ihnen und das einzige was dem Point Man einfiel war die Flucht. Aber daraus wird heute nichts. »Hello, young lady. Who are you?« Alles was Tokyo betraf, würde sich klären, vielleicht noch an diesem Abend. Das nahm sich Eames felsenfest vor. Sie würden über alles reden und Eames würde so ehrlich sein, wie er konnte, ohne Arthur in Gefahr zu bringen. Aber zuerst mussten sie diese Sache hier aus der Welt schaffen. Let's take a ride, we'll take a ride, I wouldn't leave here without you. I am a mountain. I am the sea. You can't take that away from me... I am a mountain. I am the sea. You can't take that away from me... 'Cause you tear us apart, with all the things you don't like, You can't understand that I won't leave 'til we're finished here, and then you'll find out Where it all went wrong... (https://youtu.be/j7RfB0Y673o) *Arthur* Arthur erstarrte, als er das Warte! hörte und zusehen musste, wie Eames zu seiner Zwillingsschwester hinüber ging und sie ansprach. Ihre schwarzen langen Haare lockten sich leicht über ihre Schultern, so wie es bei seiner Mutter gewesen war, als sie in diesem Alter war. Sie sah überrascht auf, lächelte aber offenherzig und verbarg ihr Erstaunen darin, eine Strähne zwischen ihren Fingern zu drehen. Sie musterte Eames kurz. "Ich bin Enya, Enya Darling", lächelte sie dann. Arthur spürte, dass er sich verkrampfte. Ihre Stimme war nicht gealtert. Sie klang wie ein kleines unschuldiges Mädchen. Er wagte nie mit ihr zu reden. Vielleicht auch weil sie sich ohnehin ohne Worte verstanden. Als Enya zu ihm blickte, spürte er den Klos in seinem Hals. Wieso hatte er sich nur hierauf eingelassen?! "Bist du ein Freund von Arthur?", fragte sie unbekümmert. "Er hat mir gar nichts davon erzählt, dass er einen so starken Freund hat. Beschützt du ihn jetzt? Ich kann es nicht mehr tun." Es war seltsam diese Mischung aus junger Frau und kleinem Kind. Arthur trat vor und spürte wie sehr er zitterte. "Er ist mein Freund", erklärte er und sie strahlte ihn an und fiel ihm um den Hals, wie sie das so oft getan hatte. "Das ist schön." Als sie sich löste, blickte sie Eames an. "Und wie heißt du?" *Eames* What. On. Earth. Eames starrte die junge Dame in Unglauben an - „Enya Darling“. So langsam schloss sich der Kreis. Das Bild, Arthurs Reaktion... ihre kindliche Stimme. „Beschützt du ihn jetzt?" Er entblößte ein verzweifeltes Lächeln, während sein Gesicht allmählich den Schmerz wiederspiegelte, den er allmählich zu begreifen begann, während er die beiden – Zwillinge – Arm in Arm vor sich sah. »Eames. Thomas Eames.«, stellte er sich vor. »Ich kümmere mich jetzt um Arthur. Ich passe auf ihn auf.«, erklärte er dem kleinen Mädchen in der Gestalt einer jungen Frau. Ich kümmere mich um ihm... wenn er mich lässt, fügte er in Gedanken hinzu. »Du kannst dich zurücklehnen. Er ist in guten Händen.« *Arthur* Ich kümmere mich jetzt um Arthur. Ich passe auf ihn auf. Du kannst dich zurücklehnen. Er ist in guten Händen. Enyas Lächeln wurde zu einem erleichterten Lachen, als Eames ihr versicherte, dass Arthur in guten Händen sei. "Das ist aber schön!", strahlte sie Eames an. Dann umarmte sie auch ihn zögernd und flüsterte ihm etwas zu ('Er ist so einsam, gefangen in seiner eigenen Welt.'), küsste ihn auf die Wange. Arthur hatte das Gefühl, dass gerade eine unbarmherzige Hand seine Eingeweide zerquetschte. Er hatte seinen Blick auf Eames gerichtet, starrte ihn in gewisser Weise fassungslos an. Er würde sich jetzt um ihn kümmern? Er passe auf ihn auf? Er war in guten Händen? Er schluckte. Er wusste nicht wirklich, was er fühlte. Eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. Es lag ihm ein "Ach ist das so?" auf den Lippen, während er gleichzeitig den Wunsch verspürte, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen, um aus diesem Alptraum zu erwachen. Es hatte nur einen Menschen bisher gegeben, dem er Enya gezeigt hatte: Mal. Sie war damals zu einer Art Schwester geworden. Sie hatte ihn aufgefangen, als er seiner Familie den Rücken gekehrt hatte. Eines war Arthur nun klar: Eames hatte gerade einen Einblick in sein Innerstes erhalten. Er würde ihn nie wieder mit den gleichen Augen ansehen, wie zuvor. Arthur wusste nicht, ob das gut war. Auch wenn Eames seiner Schwester gerade ein Versprechen gegeben hatte... noch weniger wusste er, wie er ihm je wieder in die Augen blicken sollte. Er wollte nichts sehen, das aussah wie Mitleid!!! Er blinzelte die Anspannung weg, als Enya sich ihm wieder zuwandte. "Besuch mich bald wieder", sagte sie. "Lasst es euch gut gehen!" Sie blickte Eames noch einmal an, nickte ihm zu. Dann setzte sie ihren Weg fort. Arthur blickte ihr nach und schwieg. Langsam knöpfte er sich seinen Mantel auf. Als er sie nicht mehr sah, griff er nach seinem Revolver, entsicherte ihn und ließ sich aus dem Traum erwachen. Zurück in seinem Arbeitszimmer richtete er sich ruckartig auf. Er blickte zu seinem Arm, wollte den Zugang aus seiner Vene lösen, als er spürte, dass er die ganze Hand des anderen umschlossen hatte. Eilig ließ er los und stand auf, eilte in die Küche, um etwas zu trinken. Ihm schwindelte, er zitterte. Und er hatte nichts, wohin er fliehen konnte. Der Würfel rollte sich durch seine nervöse Hand. *Eames* Völlig gebannt von der Erscheinung sah Eames ihr hinterher. Dieser Blick, dieses Nicken in seine Richtung. Was er gerade erlebt hatte, war weit mehr, als er je von Arthur erwartet hatte. Es war echt und tief und äußerst zerbrechlich. Gerade wollte er das Gespräch wieder aufnehmen; ganz sacht und einfühlsam. Er war bereit dazu. Dann sah er, wie Arthurs Hand in seinen Mantel glitt und eine Waffe entblößte- »Arthur – nicht!« Er versuchte noch ihn aufzuhalten, aber es war zu spät. Es knallte und Arthur sackte in sich zusammen. Da lag er und Eames war allein mit den Überresten seiner Flucht. Der Himmel hatte sich zugezogen, es war schrecklich dunkel und die ersten Schneeflocken begannen zu rieseln. Eames berührte das friedliche Gesicht des Toten. Dann griff er nach der Waffe in seiner Hand und gönnte sich ebenfalls eine Kugel. Als er erwachte, war Arthur fort. Seine Hand fühlte sich seltsam an. So warm. Dafür hatte er nun jedoch keine Zeit... »Arthur!«, rief er, ein Ton tief auf seiner Kehle. Er sprang auf, zog sich achtlos den Anschluss aus der Armvene. Selbige klemmte er einfach ab, indem er den Arm einen Augenblick angewinkelt ließ. So wichtig war ihm das Hemd auch nicht... Schlussendlich fand er ihn in der Küche über das Waschbecken gebeugt. Eames blieb kurz im Türrahmen stehen, ehrfürchtig abwartend. »Es ist Ok, Arthur..«, seine Stimme war rau und leise. Er kam langsam auf ihn zu, legte eine Hand auf seinen Rücken und strich sacht hinunter. »Alles in Ordnung...« I‘m your mountain I’m you sea Kapitel 16: Je te pardonne -------------------------- *Arthur* Arthur hatte ein Glas Wasser heruntergestürzt, blickte nun in die Spüle, das Gefühl habend, sich gleich übergeben zu müssen. Seine Gedanken rasten ohne Struktur. Nur eines war ihm klar: er hatte seit langem das erste Mal wieder die Kontrolle über sein Unterbewusstsein verloren. Es hatte sich auf eine so intensive Weise selbstständig gemacht, dass es ihn ängstigte. Er hatte das eigentlich so gut im Griff, hatte immer die Kontrolle. Und jetzt? Eames hatte es geschafft, ihn unvorsichtig werden zu lassen. Er hatte ihn an Dinge erinnert, die zurecht in Vergessenheit geraten waren. Und ausgerechnet diese Erinnerungen brachen nun hervor. Viele Erinnerungen an die Zeit vor Tokyo, alles, was so schrecklich schief gelaufen war - zwischen ihm und seiner Familie; zwischen ihm und Eames. Hatte er vorhin noch gedacht, dass er etwas ändern wollte? Dass er das Gespräch führen wollte? Dass es längst überfällig war? Wenn er jetzt sah, was es nach sich zog, wusste er nicht, ob er das wirklich wollte. Es gab einfach Bereiche in seinem Leben, die Eames nichts angingen! Nicht unter diesen Umständen! Er zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte, hörte die schweren Schritte in seiner Wohnung, spürte, wie Eames den Raum einnahm, obwohl er in der Tür stehen geblieben war. Arthur spürte mit einem Mal eine ungeheure Wut in sich aufsteigen. Er schloss die Augen, seine Kiefer pressten sich aufeinander, seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er spürte den Würfel, der sich in die Innenfläche seiner Hand bohrte. »Es ist Ok, Arthur..« Er sollte sich beherrschen, sollte ruhig bleiben, sollte gelassen bleiben und Eames einfach rausschmeißen. Nur ein Moment noch Luft holen. Nur kurz Kraft schöpfen, sich sammeln. Er schaffte das! Und dann spürte er die Hand auf seinem Rücken. Sein Körper bebte, erzitterte - aber erschreckender Weise nicht vor Wut. »Alles in Ordnung...« Er öffnete die Augen und drehte sich um. Zusammengekniffene Augen funkelten Eames wütend an. "Alles in Ordnung?", fragte er höhnisch. "Alles ist in Ordnung? Es ist OK?" Er trat einen Schritt auf Eames zu. "Was meinst du mit alles, hm? Dein Ego? Dein Bild von mir? Deine so noble Hilfsbereitschaft? Dein Beschützerinstinkt, der jetzt endlich die Berechtigung gefunden hat, die er braucht?" Er hatte die Hand gehoben und Eames bei jedem dein auf die Brust getippt. "Ich kümmere mich jetzt um Arthur. Ich passe auf ihn auf. Du kannst dich zurücklehnen. Er ist in guten Händen.", äffte er ihn nach und er spürte, wie seine Augen brannten. "Du hattest kein Recht, Thomas Eames, sie anzusprechen! KEIN Recht!!!!", würgte er hervor und merkte, wie ihm die Beherrschung entglitt. Das war nicht gut, gar nicht gut. Aber er schaffte es nicht mehr zurück. "Und noch weniger hattest du das Recht, so etwas zu ihr zu sagen!!!!" Er war laut geworden. Er sollte wieder ruhiger werden. "Du kommst in mein verfluchtes Leben gestolpert, krempelst alles um und stürzt mich ins Chaos!", presste er hervor und seine Hände hatten begonnen gegen die Brust zu trommeln, zu boxen, zu schlagen. "Du trampelst durch alles, haust es in Scherben und bist mit einem Mal verschwunden. Wie kannst DU es wagen, ihr solche Versprechen zu geben? Wie kannst du das einfach so sagen? Ist das auch eines deiner Spiele?" Er bebte vor Wut. Oder war es Verzweiflung? "Warum tust du das? Du Mistkerl! Du Lügner! Du Betrüger!" Arthur schwindelte. Was hatte er getan?! Er hatte doch nicht die Beherrschung verlieren wollen... er hatte doch ruhig bleiben wollen, abgeklärt wie immer. Panik schlich sich in seinen Blick, der seltsam verschwommen war. Wenn er jetzt noch weinen würde, konnte er sich auch gleich vom Balkon stürzen. Er sollte sich beruhigen. *Eames* Der Ausbruch kam abrupt, aber nicht völlig unerwartet. Er hatte Arthur gepusht, bis an die Grenze des Erträglichen. Diese Tatsache war ihm sehr bewusst, genauso wie der Fakt, dass dies hier – alles – nötig war, damit er Arthurs Mauern niederreißen konnten. Der Finger auf seiner Brust war schon unangenehm, die Schläge kaum erträglich, aber er rührte sich nicht, hielt den Wutanfall aus. Dieses letzte Aufbäumen von Frust und Verzweiflung über den unweigerlichen Kontrollverlust. Das schmerzliche Schnaufen konnte er nicht unterdrücken, während Arthur ihn mit Fäusten traf. ‘Warum tust du das?‘ Eames sagte nichts. Ließ alle Fragen, alle Anschuldigungen unbeantwortet im Raum stehen. Seine Lippen waren aufeinander gepresst, die Kiefer arbeiteten, sein Blick andauernd und trübe auf Arthur gerichtet. Er packte Arthurs Handgelenke, um weitere Faustschlänge zu unterbinden. Dann schlang er seine Arme erneut um den schlanken, festen Körper und drückte ihn eng an sich. So dass es wehtat. Eine seiner Hände hatte sich um Arthurs Nacken gelegt und drückte dessen Kopf in seine Halsbeuge. Sein Daumen streichelte energisch über Ansatz des schwarzen Haares im Nacken. »Schhh... ist Ok«, raunte er. Da er vorsorglich genug Oxy eingeschmissen hatte, war er bestens betäubt, aber unangenehm war es dennoch, ihn so fest zu halten. Erst recht, weil Arthur sich gegen ihn wehrte. Aber er ließ nicht los; wich keinen Zentimeter von ihm ab, eher im Gegenteil. »Dein Verlust tut mir leid und ich wünschte ich hätte damals für dich da sein können.« Er hielt ihn. Atmete tief und schwer. Sein Daumen bewegte sich unablässig und streichelte Arthurs Nacken, während der Körper in seinen Armen bebte. »Ich weiß, du hasst es, die Kontrolle zu verlieren. Aber du wirst nicht sterben, glaub mir. Gib mir eine Chance.« *Arthur* Arthur zuckte zusammen, als Eames seine Handgelenke packte und ihn festhielt. Er war rasend vor Wut gewesen, hatte auf den anderen eingeschlagen, obwohl er schon recht bald gemerkt hatte, dass er Eames damit wirklich weh tat. Nun schnaubte er, versuchte sich aus dem erbarmungslosen Griff zu winden, was nun schmerzhaft für ihn war. Doch anstatt, dass Eames ihn losließ, zog er ihn in eine Umarmung, die ihn zunächst wie ein wildes Tier knurren ließ, ihn sich wehren ließ. »Schhh... ist Ok.«, hörte er die Worte des anderen und die Stimmlage berührte ihn, ließ ihn erschaudern. Was sollte das?! Arthur versuchte sich zu wehren, sich zu befreien, merkte aber schnell, dass er es nicht konnte. Eames war ihm trotz der gebrochenen Rippen hoffnungslos überlegen. Er spürte die Hand in seinem Nacken, die ihn gleichermaßen nervös wie zärtlich streichelte, während sie seinen Kopf an jene Halsbeuge drückte, deren Kontur er so oft betrachtet hatte. Er schluckte, spürte den warmen Körper an seinem eigenen kalten, während er tief den so vertrauten wie fremden Geruch inhalierte. Seine Hände, die sich auf Eames' Brust gelegt hatten, um sich von ihm weg zu schieben, verkrallten sich in das Hemd, das der andere trug, hielten seinen müden Körper aufrecht. »Dein Verlust tut mir leid und ich wünschte ich hätte damals für dich da sein können.« Arthurs Kräfte schwanden, die Kräfte, die ihn rebellieren lassen wollten, die ihn fliehen lassen wollten, die versuchten zu verhindern, dass er schwach wurde. Dein Verlust... Wie hätte er damals für ihn da sein können? Er war ein Kind gewesen, Eames unwesentlich älter... Er hätte niemals für ihn da sein können. Und doch klangen diese Worte so ehrlich, dass er eine tiefe Verzweiflung in sich spürte, zusammen mit dem tiefen Wunsch, Eames wäre wirklich damals bei ihm gewesen... Dass er stumm zu weinen begonnen hatte, merkte er erst, als er die Augen schloss und spürte, wie die Anspannung aus ihm wich, die Kraft aus ihm wich. Er resignierte bis er schließlich all diesen Emotionen freien Lauf ließ, die er so gut weggesperrt geglaubt hatte. Ein Schluchzen löste sich aus seiner Kehle, während er den Kopf drehte und noch tiefer in die Halsbeuge kroch. Er spürte, wie er weinte - seit so langer Zeit das erste Mal wieder. Seine Finger klammerten sich an Eames, sein Körper fiel in den des anderen, wissend, dass er gehalten wurde. »Ich weiß, du hasst es die Kontrolle zu verlieren. Aber du wirst nicht sterben, glaub mir. Gib mir eine Chance.« Er hatte Enyas Bild vor Augen, wie sie Eames umarmt hatte, ihn geküsst hatte, ihn angelacht hatte - so wie er das nur allzu gerne tun würde. Ich kümmere mich jetzt um Arthur...", hallten die Worte in ihm wieder. War dem so? Würde Eames auf ihn aufpassen? Gib mir eine Chance Er schluckte, löste eine Hand aus dem Stoff und ließ diese Hand nach oben gleiten, den Hals hinauf, in den Nacken, um sich noch näher an den anderen zu ziehen - sofern das überhaupt möglich war. Er wusste nicht, wie lange sie so dastanden. Es dauerte, bis er sich wieder beruhigte, bis die Tränen versiegten und seine Gedanken wieder klarer zu fassen waren. Es tat gut, gehalten zu werden. Es tat so unfassbar gut. Arthur spürte, wie sie im Einklang atmeten. Eames streichelte noch immer seinen Nacken, nun aber ruhiger, entspannter. Er öffnete die brennenden Augen, drehte den Kopf leicht. Er hatte Angst, Eames in die Augen zu sehen, daher löst er sich nicht. "Es tut mir leid... dass ich dich verletzt habe", sagte er schließlich leise gegen die Haut, die er nun sanft küsste. *Eames* Es war ein selbstsüchtiges Gefühl, aber Eames genoss es Arthur in dieser schwierigen Lage halten zu können. Er brauchte es, gebraucht zu werden, auch wenn das längst nicht alles war, worum es es hier ging. Er streichelte noch immer seinen Nacken und als er sicher war, dass Arthur den Kampf aufgab und bei ihm verweilte, lockerte er seine Umarmung nur so sehr, dass er ihn nicht erstickte (und seine Rippen sich nicht doch noch in seine Organe spießten). Er schmiegte sich an ihn, nach Wärme und Nähe suchend, Halt gebend, Frieden stiftend. ‘Es tut mir leid... dass ich dich verletzt habe‘ Ein Schauer durchfuhr ihn und Eames hatte zum ersten Mal nach so langer Zeit nicht mehr das Gefühl schrecklich allein zu sein. Er schloss die Augen, genoss die sachte Berührung an seinem Nacken. Es gab keine Worte, die beschreiben konnte, wie er sich fühlte. Aber er wusste, wären sie in diesem Augenblick noch immer in seinem Traum gewesen, hätten die Kirschbäume geblüht und es wäre Frühling gewesen. Zum ersten Mal seit er London verlassen hatte. Er löste sich nur ein Stück von ihm, so dass er Arthur gerade eben ins Gesicht sehen konnte. Blicke wichen sich gegenseitig aus. Der Daumen, der zuvor noch seinen Nacken gestreichelt hatte, war auf seine Wange gerutscht und liebkoste dort die tränenfeuchte Haut. Dann drückte er ihm einen innigen Kuss auf die Lippen. ‚J'donnerai tout pour être dans tes bras, dans tes bras Et j'ai tenté d'te haïr mais la colère est partie Les bons souvenirs l'emportent sur la haine et la rancœur […]Je pense qu'il est temps de se retrouver, retrouver‘ (https://youtu.be/MkKhktVb2yU) *Arthur* Arthur schluckte, als Eames den Kopf drehte und ihn ansah. Nun könnte er sich nicht mehr verstecken, so dass auch er den Kopf drehte. Er schmiegte sich an die streichelnde Hand und wich dem Blick des anderen so aus. Die Nähe, die so unerwartet zwischen ihnen bestand, fühlte sich vermisst an, die Zärtlichkeit, mit der sie sich bedachten, ersehnt, der Kuss, der nun folgte, wie ein nach Hause kommen. Zitternd atmete Arthur ein, erwiderte den Kuss ebenso innig. Seine Finger glitten in das Haar des anderen, während er den Kuss intensivierte. Es war erstaunlich wie sein Körper reagierte auf diesen Kuss, von dem er seit fast acht Jahren träumte. Tief in ihm schien sich etwas zu lösen, ein Verlangen, das ihn schier überwältigte. Gott, wieso hatte das so unendlich lange gedauert?! Sein Kopf wusste es. Aber den schaltete er jetzt lieber nicht ein. *Eames* Ein kleiner Teil von Eames rechnete noch damit, von Arthur weggestoßen zu werden; allerdings verflogen sämtliche Zweifel, als er spürte, wie sein Point Man den Kuss erwiderte. Genauso innig und liebevoll, wie er selbst. So wie er es sich immer vorgestellt hatte. Er spürte wie Arthur sich ergab und ihn hereinließ. Dies mochte ein Moment der Schwäche sein, aber es war auch ein Moment von uralten Sehnsüchten. Erst zaghaft, dann gieriger werdend, erforschte er Arthurs Mund mit Lippen und Zunge und Zähnen. Seine Hände wanderten abwärts, griffen beherzt in sein Hinterteil und hoben ihn schließlich hoch auf die Theke, direkt neben die Spüle. Er drängelte sich zwischen Arthurs Beine, wollte keinen Zentimeter zwischen ihnen und schlang erneut seine Arme um ihm. Viel zu lange hatte er darauf gewartet, als dass er jetzt einen Gang runter schrauben konnte. Sex war vielleicht nicht das Allheilmittel, aber es war immerhin ein Mittel. Nicht immer, aber manchmal ein wahres Wundermittel – für alles andere gab es Drogen und Alkohol. Und vielleicht war es ja genau das, was ihnen fehlte um diesen unausgesprochenen Schwur zu besiegeln. Vielleicht musste etwas Schreckliches offen gelegt werden, damit sie etwas Wunderbares entdecken konnten und vielleicht mussten Arthur ihn erst verletzten, damit er ihn lieben konnte und anders herum. *Arthur* "Ngh", keuchte Arthur in den Kuss, als Eames' Hände zupackten. Tadelnd biss er ihm in die Unterlippe, bevor ihre Zungen ein Spiel begannen. Als er schließlich hochgehoben wurde, schlang er automatisch seine Beine um die Hüfte des anderen, zog ihn damit näher an ihn. Nähe! Ganz viel Nähe! Sein Würfel fiel auf den Boden, ohne dass er es recht merkte. Er würfelte die Zahl Sechs. Seine Arme legten sich um die Schultern des anderen, glitten über den Stoff des Hemdes, bevor eine begann dieses aufzuknöpfen, die andere ungeduldig darunter glitt, um mehr Haut, mehr von diesem Körper zu spüren. Seine Hüfte drängte gegen die des anderen. Mehr, schrie sein Körper, viel mehr! Das Surren eines auf stumm gestellten Handys drang wie aus sehr weiter Ferne an sein Ohr - er ignorierte es. Viel zu gut, viel zu vermisst, viel zu ersehnt und erhofft war das hier, dieses Verlangen, diese Gier, diese Zärtlichkeit. Ein weiteres Klingeln, ein ihm unbekannter Klingelton gesellte sich hinzu. Arthur stutzte, der Kuss wurde einen kurzen Moment zögernder. Als er das typische Signal von Skype hörte, war sein Verstand bedauerlicherweise wieder hellwach. Er öffnete die Augen. Als auch noch sein Festnetz zu klingeln begann, löste er mit einiger Kraftanstrengung den Kuss. Heißer Atem rann über seine Lippen. Ihre Blicke trafen sich. Die Emotionen, die er darin las, ließen das Kribbeln in seinem Innersten, dieses Feuerwerk nicht abbrechen, verstärkten es nur noch mehr. Noch einmal küsste er Eames, sanft, entschuldigend, als würde er ihm damit ein Versprechen geben, dass sie das hier ein anderes Mal fortsetzen würden. Seine Beine öffneten sich und er entließ den anderen aus seiner Umklammerung. Schier in Zeitlupe lösten sie sich. Ihre Augen schienen ein stummes Gespräch zu führen. Als er von der Theke hinabglitt fühlten sich seine Knie weich an. Er brauchte einen kurzen Augenblick, um sich zu sammeln. Dann verstummte alles mit einem Mal, nur sein Handy surrte wieder. "Ist wohl für mich", raunte er unbekannt dunkel. "Dein Hacker ist gruselig." Der Weg ins Arbeitszimmer kam ihm seltsam wackelig vor - unabhängig davon, dass die Hose sich eng anfühlte. Arthur versuchte sich zu sammeln, was gar nicht so einfach war. Als er ans Telefon ging, bestätigte sich sein Verdacht: Jesse. Er sollte unbedingt alle Mikrophone und Kameras in seiner Wohnung verkleben oder ausschalten. Er setzte sich an sein MacBook und es dauerte nicht lang, bis er mit seinen Gedanken wieder in seiner Pinnwand wanderte. Jesses Kommentar, sie sollten sich auf die Arbeit konzentrieren, ignorierte er. *Eames* Wie es sich anfühlte Arthur zu küssen, ihn bei sich zu spüren, nah und echt, übertraf alles, was er je erträumt hatte. Und er hatte nicht selten an ihn gedacht, wenn er sich selbst geholfen hatte, oder bedeutungslosen Sex mit Fremden gehabt hatte. Schlank und dunkle Haare waren sein Eye-catcher – Arthur hatte diesen Status erst gesetzt. Und dann zerplatzte die Traumblase. Eames hatte nicht einmal Zeit gehabt alle Eindrücke in sich aufzunehmen; er hatte nicht einmal verstanden, was gerade zwischen ihnen passierte, als es schon wieder vorbei war. Die Arbeit rief. Das Telefon klingelte. Die Realität traf ihn, wie ein Vorschlaghammer. Der letzte Kuss war eine bittersüße Entschuldigung und Eames fühlte sich, als würde er nie wieder in der Lage sein, so viel Leidenschaft zu empfinden. Er musste alle Überwindung aufbringen, um Arthur gehen zu lassen. Er kannte diesen Blick... nichts hätte ihn vom Gegenteil überzeugen können. Dieser Kuss, der so sehr anders war, als die davor... Eames wusste, dass es ihr letzter sein würde. Nicht für immer (dafür würde er schon sorgen), aber für diesen wunderschön zerstörerischen Augenblick. Es fühlte sich an, als starb ein kleiner Teil von ihm, als ihm Arthur langsam durch die Finger glitt und sich von ihm abwandte. Auf die Aussage bezüglich Jesse reagierte er nicht. Er hatte einen Kloß im Hals, der ihm drohte die Luft abzudrücken. Er sah Arthur hinterher, als dieser aus der Küche verschwand; betäubt. Was für eine Katastrophe... Er fuhr sich durchs Gesicht. Nun war er es, der rücklings an der Theke lehnte, weil er befürchtete sonst den Halt zu verlieren. Mit offenem Hemd und bleichem Gesicht und einer ausgewachsenen Erektion in der Hose. Was hatte er sich dabei gedacht? Er fühlte sich mal wieder wie das letzte Arschloch auf Erden. Wem versuchte er hier eigentlich zu helfen? Arthur oder sich selbst? Nun... ihnen beiden, wahrscheinlich. Er fand jedoch zu wenig Argumente um seine Theorie zu stützen. Kapitel 17: Father figure ------------------------- *Arthur* "...damit können wir definitiv arbeiten. Ich melde mich, sobald der Plan steht oder ich Fragen habe. Wäre gut, wenn wir noch rausfänden, was an dem Sonntag geplant ist. Vielleicht weiß ich morgen mehr." Arthur notierte bereits auf Zetteln die neuesten Informationen, um nach dem Telefonat die Pinnwand zu füllen. Jesse hatte das Handy geknackt, so dass sie unter anderem Zugang zum Terminkalender hatten. "Immer schön fokussiert bleiben!", hörte er das Grinsen im Gesicht des Hackers. Arthur legte wortlos auf. Sein Aktionismus stoppte abrupt, als er das Handy hinlegte. Einen Moment sah er noch auf die Files, die er übermittelt bekommen hatte. Dann legte er den Kopf auf die Tischplatte. Das kühle Holz auf seiner zu warmen Stirn tat gut. Arthur schloss die Augen und versuchte dem Chaos in seinem Innersten Herr zu werden. Er spürte, wie Müdigkeit in seine Glieder kroch. Und doch war er so aufgekratzt, dass er sicher nicht zur Ruhe kommen würde, wenn er sich hinlegen könnte. Mal sehen, wie lange er durchhielt. Jetzt war erst einmal eine andere Frage wichtig: Was um alles in der Welt war gerade passiert?! Allein der Gedanke an das, was gerade in seiner Küche geschehen war, wühlte in ihm Gefühle hoch, die einen klaren Gedanken kaum zuließen. Daher schob er die Stimme, die ihm flüsterte, er solle zurückgehen und fortfahren sich zu holen, was er dringend begehrte, beiseite. Es gab zu viele andere Dinge, die geschehen waren, und die nicht einfach so aus der Welt waren. Ein Teil von ihm war froh, ja dankbar, dass Jesse angerufen hatte. Und doch fühlte es sich schrecklich an. Sein Blick ging weiter zurück. Zurück bis zu jener Umarmung, in der er in seinem Traum gestorben war. Dann will ich gern zugrunde gehen Ja, er richtete sich gerade zugrunde, wissentlich hatte er sich angreifbar gemacht. Was hatte er getan!? Er hatte in Eames' Traum tatsächlich zugegeben, dass er Eifersucht empfand, wenn er ihn mit anderen sah. Er hatte ihm erklärt, dass Eames nicht niemand für ihn war, hatte ihm gesagt, dass er jeden Tag an ihn dachte. Er hatte für sich begriffen, dass er etwas an ihrer Situation ändern wollte. Er hatte angefangen ihm zu erklären, warum er damals vor knapp acht Jahren sich nicht einfach so auf ihn hatte einlassen können. Dass es ihm damals zu viel gewesen war. Dass sein Kopf woanders gewesen war. Und ab da hatte sich alles verselbstständigt: Enya war aufgetaucht. Arthurs Hand verkrampfte sich bei dem Gedanken. Was hatte sie Eames gesagt? Warum war es überhaupt so weit gekommen? Arthur wusste die Antwort, aber wagte sie nicht noch einmal zu denken. Gib mir eine Chance! Eames wollte auf ihn aufpassen, wollte für ihn da sein. Wollte er das wirklich? Könnte er das überhaupt? Sicher nicht im klassischen Sinne. Aber das würde er auch nicht erwarten. Diese Worte hatten ihn genauso geschmerzt, wie gutgetan. Und noch eine andere Frage gab es dazu: Woller er, Arthur, überhaupt, dass Tom auf ihn aufpasste? Eigentlich wollte er genau das ja nicht mehr, dieses aufpassen und verschweigen, was vielleicht zu viel für ihn sein könnte… Letztlich war er aber unfassbar wütend gewesen, dass er Enya angesprochen hatte. Wut, die er eigentlich für sich empfinden sollte! Schließlich hatte er die Situation provoziert, auch wenn er nicht gedacht hatte, dass das passieren könnte. In seiner Wut hatte er Eames so viel an den Kopf geworfen, hatte ihm viele Vorwürfe gemacht, er war so furchtbar wütend gewesen, dass er alle Kontrolle verloren hatte - und dann diese Umarmung. Er war so am Ende gewesen, war so kraftlos gewesen. Sein Kopf schmerzte noch immer vom Weinen. Sein Kopf hatte vollkommen die Kontrolle verloren, hatte seinen Körper entscheiden lassen, sich in diesen Kuss fallen zu lassen. Sein Körper war ein elendiger Verräter! Dieser Kuss... Arthur schluckte bei dem Gedanken. Der Kuss hatte sich so unfassbar angefühlt, so unglaublich.... es war erschreckend. Erschreckend, weil er für sich zugeben musste, dass er das wollte. Das und noch viel mehr. Erschreckend, weil er Eames nie wieder würde weißmachen können, dass er ihm egal war. Der Gedanke, dass Eames ihn nur in einem schwachen Moment erwischt hatte und seine Situation weidlich ausgenutzt hatte, fühlte sich zwar in gewisser Weise gut an. Aber sich selbst zu belügen würde nicht mehr sehr lange funktionieren. Er hatte es zu lange gemacht. Dinge haben sich geändert. Zudem gab es da noch so viele Dinge, die zwischen ihnen standen, die ihr ‚Irgendwas‘ belasteten. Eames hatte zum Beispiel noch nie ein „Warum?“ beantwortet. Das Erschreckendste war in der Tat, dass Arthur nicht wusste, wie er mit all dem umgehen sollte. Was bedeutete das nun? Was zog das alles nach sich? Da war es, das Chaos, das mit Eames einherging. Diesmal konnte er aber nicht einfach abreisen und im Chaos Afrikas oder sonstwo verschwinden. Vorhin erst hatte er es ihm noch vorgeworfen. Wie sollte er normal mit ihm umgehen? Unabhängig davon, dass er noch immer viele Fragen hatte… Nach dem Erlebnis mit Enya wird auch Eames viele Fragen haben. Aber konnte er sie beantworten? *Eames* Nachdem er selbst ein paar Schlucke Wasser heruntergewürgt, sein Hemd wieder zugeknöpft und sich ausgiebig Gedanken gemacht hatte (ohne klares Ergebnis), folgte er Arthur ins Arbeitszimmer. Dort saß er. An seinem Schreibtisch, vor seinem Macbook. Es war eine unangenehme Stille zwischen ihnen, die man mit Professionalität nicht mehr fixen konnte. Sein Blick fiel erneut auf die Uhr-Wand und sein Herz setzte einen weiteren Schritt aus. Mombasa – Ein kleines Lächeln schlich sich auf Eames Züge. Schon Scheiße, verkorkst zu sein – dachte und wusste, dass es auf beide zutraf. Umso wertvoller der Subtext. Die Zeit spielte ein übles Spiel mit ihnen und es würden nie wirklich gut mit ihnen werden, aber vielleicht wurde es wenigstens irgendwann besser. »Gibt's was Neues an der Front?«, fragte er und blieb nach wie vor im Türrahmen stehen. Die Hände waren in den Hosentaschen versunken. Den Blick noch eine genüssliche Weile auf die Uhr gerichtet. Der unumstößliche Beweis. Sie mussten diesen verdammten Job abschließen. Er war sowohl Hindernis als auch Katalysator. Er würde über Tokyo reden. Auch über Budapest und London und irgendwann auch über Ramadi. Und am Ende stand nichts mehr zwischen ihnen und sie konnten endlich anfangen, den Rest ihres Lebens zu genießen. *Arthur* Er hörte Schritt durch sein Schlafzimmer kommen und richtete sich schnell wieder auf. Eilig krempelte er den Ärmel seines Hemdes hinunter und knöpfte es wieder zu. Unkoordiniert klickte er in den Dateien herum, ohne wirklich wahrzunehmen, was er da alles las. Das hatte letztlich auch noch Zeit, wenn Eames später sich an die Fersen des Bodyguards heftete. Andere Informationen waren ohnehin erst einmal wichtiger. Er spürte Eames Anwesenheit in seinem Arbeitszimmer schwer auf sich lasten. Das Schweigen war erdrückend. Aber was sollte er sagen? »Gibt's was Neues an der Front?« Die Arbeit – dankbarer Fluchtpunkt. Er atmete tief ein. „Ja, gibt es“, sagte er und stand auf, mied den Blick des anderen und trat an die Pinnwand, um die neuesten Informationen anzuheften. „Jesse hat den Terminkalender geknackt. Er hat die Massage-Termine eingetragen, die er im Four Seasons wahrnehmen will.“ Er pinnte fünf Termine hin, wobei nur zwei realistisch waren. „Unklar ist, was er am nächsten Sonntag macht. Der Tag ist blockiert, aber wir wissen nicht, warum. Vielleicht weiß ich morgen mehr, wenn ich die Schwester besucht habe.“ Er dachte kurz darüber nach, dann drehte er sich zu Eames, blickte ihn endlich wieder an. „Das Beste ist, dass Jobs seine Insulinzufuhr tatsächlich über eine App steuert. Er hat zweierlei Insulin, eines, das langfristig wirkt, eines das kurzfristig wirkt. Ich bin kein Fachmann, aber da lässt sich bestimmt etwas drehen. Vielleicht weiß Yusuf da mehr.“ Seine Hand war in seine Hosentasche gerutscht. „Massage und Insulin scheinen die Knackpunkte zu sein, die uns helfen werden. Wenn wir nachher im Hotel sind, können wir unseren Plan konkretisieren.“ Er lächelte zaghaft. Dann blickte er irritiert auf, zog die Hand aus der Hosentasche und legte sie sich auf seine Brusttasche. Wo war der Würfel? Seine Gedanken rasten. Zuletzt hatte er ihn in der Küche gehabt… Er schritt zur Tür, in der Eames noch immer stand. Einen Moment sahen sie sich an. Arthur spürte eine unfassbare Unruhe in sich. „Ich bin gleich wieder da…“, sage er, dann schob er sich an Eames vorbei, um in die Küche zu eilen. Am Boden lag der Würfel, zeigte die 6. Sein Herz schlug hart gegen dir Brust. Er hob ihn auf, würfelte erneut. Wieder und wieder. Immer wieder verschiedene Zahlen. Alles war real. Nicht unbedingt leichter, aber real. *Eames* Eames konnte förmlich dabei zusehen, wie sich Arthur eine neue Mauer baute. Was gerade passiert war – eigentlich alles was seit den letzten 24h passiert war – hatte sie an einen Punkt getrieben, der sie unweigerlich dazu zwang, ihre Altlast aufzuarbeiten. Es gab kein Zurück mehr; nicht nach all den hart erarbeiteten Zugeständnissen (und dazu mussten sie nur einmal einen Tag allein miteinander verbringen). Auch wenn Eames eigentlich immer gewusst hatte, dass er einen Einfluss auf Arthurs Leben gehabt hatte, war es ein gänzlich anderes Gefühl, es aus seinem Mund zu hören (im übertragenen Sinne) und es bedeutete mehr als die Welt. Bevor er Arthur um Hilfe gebeten hatte, war er auf einem gesunden Ignoranzlevel mit ihm gewesen. Eine Spur verletzter Stolz, gepaart mit „liebevollen“ Sticheleien; Flirtereien und Sarkasmus, um zu überspielen, was in ihm vor sich ging. Doch jetzt war etwas passiert, dass ihre komplette Geschichte umkrempeln könnte und es lag schwer im Raum, obwohl es etwas Wunderbares sein sollte. Weitere Paradoxa taten sich auf. Die Informationen waren gut; das würde sie weiterbringen. Auch wenn sie im Vergleich zu vorangegangenen Ereignissen hohl und bedeutungslos wirkten. Vielleicht war er auch einfach nur zu sehr betäubt... »Gute Arbeit. Ihr beide«, lobte er tonlos und betrachtete die Pinnwand mit mildem Interesse. Es würde wohl der Sonntag werden, dachte er. Bis dahin hatte er Henry Foster geknackt. Leider drängten sich ihm noch mehr Fragen auf, die nichts mit dem Fall zu tun hatten. Konnte man so eine Sache wie vorhin in der Küche einfach wegschweigen? Sie ignorieren, bis man sich selbst nicht mehr sicher war, ob sie überhaupt passiert war? Eames fühlte sich, als entglitt ihm der Moment und er musste etwas tun, um den Stein im Rollen zu halten. Er ließ Arthur gewähren, wartete einen Augenblick und entschied sich dann, ihm erneut hinterher zu rennen – ein äußerst verwundendes Gefühl. Er traf seinen Point Man erneut in der Küche an, mit dem Rücken zu ihm gewandt. »Arthur...«, er klang sanft, auch ein wenig aus der Fassung gebracht. Er rannte Leuten normalerweise nicht hinterher, aber er unterdrückte den Kommentar dazu. »Werden wir darüber reden, was gerade passiert ist?« Es war eine stille Hoffnung, obwohl Arthur ihn in dieser Hinsicht schon oft enttäuscht hatte und noch oft enttäuschen würde. So war er einfach nicht. Und so sehr ihm das auch auf den Zeiger ging und er diesen verschlossenen, selbstgerechten Bastard auch deswegen verprügeln wollte, gehörte es doch zu ihm und erschuf in Eames Augen das perfekte Gesamtbild, für das es sich immer und immer wieder zu kämpfen lohnte. *Arthur* Seltsam, wie schwer es ihm fiel, zurück in sein Arbeitszimmer zu kehren. Es war letztlich albern. Aber er brauchte vermutlich noch Zeit, das alles zu begreifen. Einfach ein wenig Zeit, um sich mit Tatsachen abzufinden, die nicht mehr zu leugnen waren. Als er klein war, hatte ihn alles überfordert, was plötzlich gekommen war. Spontanität hatte er gehasst. Er brauchte seine Zeit, um mit Dingen klar zu kommen. Das fatale war nur, wie er die Zeit nutzte. Er hatte es immerhin auch geschafft, sechs Jahre diese Gefühle in ihm zu leugnen und totzuschweigen. Als Eames in die Küche kam, blickte er auf und sah ihn an. »Werden wir darüber reden, was gerade passiert ist?« darüber reden - da war es wieder. War ja sooooo super einfach!!! Er schwieg einen Moment. Ihm war so gar nicht nach Reden. Nein, eigentlich wollte er nie wieder darüber reden! Aber: Er hatte sich bei ihm entschuldigt, dass er ihn verletzt hatte - auf so viele Arten. Aber: Er wollte ihm damit die Chance gegeben, die jener gefordert hatte. Daher: Weiter zu lügen würde endgültig alles zerstören. "Werden wir", sagte er schließlich ruhiger als erwartet. Er trat auf ihn zu. "Wir werden darüber reden, aber über alles. Auch die Dinge, die du totschweigst." Er hob zögernd die Hand, einem inneren Bedürfnis folgend strich er Eames über die Wange. "Aber gib mir noch ein wenig Zeit." *Eames* „Werden wir.“ Eames hatte wirklich mit mehr Gegenwehr gerechnet. Er liebte es, wenn Gefühle hochkochten; Provokation – Reaktion; und würde Zeit seines Lebens nie darauf verzichten können – Feuer musste brennen. Aber es erleichterte ihn dennoch, dass Arthur einlenkte. Nicht nur das, er kam auf ihn zu und berührte ihn so zärtlich, dass es ihn innerlich verletzte. Das hatte er nicht verdient – auf so vielen Ebenen. Für einen ungeduldigen Menschen war ‚Zeit geben‘, eine sehr unbefriedigende Bedingung. Aber wie konnte er diesem Blick widerstehen? Dieser zärtlichen Berührung, die ihn dazu einlud in seinen Armen zu versinken. Er umschloss die Hand mit seiner eigenen und küsste die Innenfläche mit zärtlichem Druck. Sein Blick ruhte dabei sanft auf Arthur. Er konnte warten. Er hatte schon so lange gewartet und würde wahrscheinlich immer auf Arthur warten, wenn er es von ihm verlangte. Wenn er ihn ehrlich darum bat. ‚Wenn du wüsstest wie oft ich an dich denke Ich würd' dir leid tun, verzeih mir meine Gier sie Treibt mich immer noch zu dir Ich bin doch bloß ein Tier, die Schuld liegt nicht bei mir‘ (https://youtu.be/K84_nzeMBuk) Natürlich wusste er genauso gut, dass er den Spieler und den Egoisten in sich nicht abschalten konnte und er immer und immer wieder Grenzen überschreiten würde – seine Natur konnte man nicht verleugnen. So würde jede symbolische Enya auch in Zukunft immer und immer wieder von Eames angesprochen werden; egal welches „Recht“ er dazu hatte, oder nicht. »Na schön. Wann immer du bereit bist«, antwortete er und zog einen Mundwinkel nach oben zu einem verständnisvollen, aber nur halb zufriedenen Lächeln. Die Aussicht, dass auch er sich offen legen sollte war beängstigend, aber er hatte so viele, so lange verdrängt, dass es ihm auch in diesem Augenblick nicht schwer viel, alles weiterhin beiseite zu schieben. Er führte Arthurs Hand zu seinem Nacken und legte sie sanft dort ab; unwillig die Berührung bereits verebben zu lassen, auch wenn er wusste, dass es in diesem Moment das beste für sie war. Was er gekostet hatte, war viel zu süß gewesen... Er strich den Arm des anderen bis zum Ellbogen herab, streichelte ihn sanft mit dem Daumen; zupfte zärtlich an den unüblichen Falten; so knittrig zeigte sich Arthur sonst nicht. Dazu musste erst jemand kommen und sein Leben ins Chaos stürzen. Ein unübliches, aber erfrischendes Bild, das ihn abermals zum Lächeln brachte. »Dann konzentrieren wir uns wohl jetzt besser auf die Arbeit, hm?«, kam der sehr vernünftige Vorschlag von ihm. *Arthur* »Na schön. Wann immer du bereit bist.« Wenn er es jemals wäre… Mit Erleichterung stellte er fest, dass Eames auf seine Bitte einging. Das verschaffte ihm Zeit, kostbare Zeit, um erst einmal zu verdrängen, was er gerade nicht hinbekam. Es hatte sich etwas geändert, etwas Entscheidendes. Er hatte gekostet - das, was er sich so lange verwehrt hatte. Wie der Apfel im Paradies, dessen Versuchung Eva nicht widerstehen hatte können. Und die Erkenntnis, die er dabei gewonnen hatte, war beängstigend. Im Moment war er sich unschlüssig, ob er aus dem Paradies vertrieben wurde... oder dorthin gelangte. Wie Eames seine Hand küsste, sie in seinen Nacken führte, sie streichelte, seinen Arm hinunter streichelte, das Lächeln, das folgte - das war pure Versuchung. Das war die Schlange, die leise Worte in sein einsames Herz wisperte. So könnte es sein, wenn er den Glaspalast aufsperrte. Zumindest in ein paar Momenten. »Dann konzentrieren wir uns wohl jetzt besser auf die Arbeit, hm?« Er nickte mechanisch, löste die Hand, die sacht angefangen hatte, den Nacken zu graulen. konzentrieren - seeehr einfach! "Wann sollen wir los?", fragte er und löste sich nun auch aus dem Moment, ging zur Kaffeemaschine, um sich einen Espresso zu machen. "Wann ist dein Kontakt im Hotel?" Er war müde, zwei Stunden Schlaf waren zu wenig, um emotionalen Stress verarbeiten zu können. "Magst du auch einen?" Arbeit war gut. Genau das Richtige. "Ich muss noch ein paar Sachen durchgehen, die Jesse mir geschickt hat." *Eames* »Er hat gerade Schicht. Wir sollten uns aber beeilen.«, beantwortete er Arthurs Frage, nach einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr. Den Kaffee, der ihm daraufhin angeboten wurde, winkte er höflich ab. Während er Arthur so beobachtete, traf ihn George Michael und er musste ein weiteres mal schmunzeln. 'Sometimes I think that you'll never Understand me But something tells me together We'd be happy' (https://youtu.be/udtByWgt1Mk) Die Bedeutung lag schwer, aber er genoss den bittersüßen Gedanken. *Arthur* »Er hat gerade Schicht. Wir sollten uns aber beeilen.« Arthur hob erstaunt die Augenbrauen und Unmut schlich sich ein. Der Kontaktmann arbeitete jetzt gerade? Und warum um alles in der Welt waren sie dann vorhin nicht gleich dorthin gefahren, so dass sie sich eben jetzt NICHT beeilen mussten? Sie hätten die ganze Träumerei doch wunderbar verschieben können!!!!! Und vielleicht wäre es dann gar nicht so weit gekommen, wie es nun gekommen war. Wenn sie zuerst ins Hotel gefahren wären, dann... Er brach den Gedanken ab, schnaubte etwas. "Gut zu wissen", knurrte er, trank zügig den Espresso. "Wäre nett gewesen, wenn du vorher gesagt hättest, wann er da ist." Der Mann hatte ein miserables Zeitmanagement! Damit verschwand er ins Bad, um sich Beta-Blocker einzuschmeißen. Keine Zeit auszuruhen. Dabei hatte er noch überlegt, ob er sich ein wenig aufs Sofa setzen würde - mit Eames, dem Vollidiot! Kapitel 18: Momma sed --------------------- *Eames* Wenig später waren sie in Arthurs Wagen zum Four Seasons gefahren. Der Pulp Fiction Soundtrack wirkte ein wenig belebend auf Eames scheinbar gedämpftes Gemüt. Die Tabletten bewirkten ein ganz schönes Auf und Ab bei ihm; wahrscheinlich wegen der Kombination mit Somnacin. Er sollte das Spiel nicht überreizen, aber dank Arthurs Ausraster war er gezwungen, noch etwas einzuschmeissen... frisch gebrochene Rippen waren eben scheiß undankbar. Im Auto hatte er kurz mit seinem Kontaktmann im Hotel gesprochen: Ross Matthews, schwul, klein (nicht wesentlich kleiner, als Eames selbst), kräftig, Masseur und Wellnessberater im Four Seasons. Lange genug dort tätig, um gewisse Befugnisse zu haben, aber nicht weit genug die Karriereleiter aufgestiegen, um allein mit seinem vergleichbar mickrigem Gehalt zufrieden zu sein. Sie hatten einen Treffpunkt im Hinterhof gewählt, der in Wahrheit noch etwas weitläufiger war als in Arthurs Traum. Es gab nämlich einen Zugang zu einem der Kellergewölbe und von dort aus einen versteckten Weg (nur für Personal natürlich), hinter dem Veranstaltungssaal, bis zum Spabereich. Alles ohne Kameras. Ross hatte sofort seine Bezahlung eingefordert, woraufhin Eames bereitwillig gezahlt hatte. »Ihr habt 15 Minuten«, erklärte Ross ihnen, als sie die Umkleiden erreichten, die der erste Zugang zum Wellnessbereich des Four Seasons darstellten. Solange konnte er garantieren, dass sie sich alleine und unbeobachtet umsehen konnten. Dann schloss er die Tür hinter ihnen und stand Schmiere. »Schade, ich dachte wir hätten Zeit, den Whirlpool zu testen«, kommentierte Eames gespielt enttäuscht und holte sein Handy heraus, um ein paar Fotos zu machen. *Arthur* Arthurs Blick glitt umher, scannte alle Details, die er finden konnte. Tatsächlich war seine Vorstellung des Hinterhofs zahlreicher schrottiger Crime-Serien entsprungen, als der Realität. Den Menschen, die sie bestahlen, kam es vermutlich nie in den Sinn, über den Hinterausgang ein Hotel zu verlassen. Und selbst wenn sie es im Traum täten, hätten sie keinen Vergleich zur Realität. So aber konnte er all diese Informationen später ergänzen. Dass sie ungesehen den Wellness- Bereich erreichen konnten, war Gold wert. Der Mann, der sie die Wege geleitete, passte gut, ähnliche Größe, ähnliche Statur wie Eames. Sicher war es auch einen Gedanken wert, ihn zu kopieren. Die Idee, Jobs bei einer Massageeinheit für eine kurze Zeit auszuschalten, festigte sich ja momentan sehr. Arthur blickte sich in der Umkleide um, fuhr mit den Fingern über die Fliesen, die Schränke, prägte sich Namen ein. Offenbar bekamen die Gäste, die hier länger waren und das Angebt häufiger Nutzten, gleich ihre eigene Kabine. Auch Jobs hatte eine. Die Zimmerkarte würde ausreichen, um dort hineinzukommen. Vielleicht einmal die Woche an einem der anderen Termine die Gelegenheit, in sein Zimmer zu kommen… Als sie schließlich in den Wellness und Spa-Bereich kamen, schlug Arthur jener Geruch entgegen, den er wenig leiden mochte. Kosmetika und Chlor zu einer undefinierbaren Menge vermischt. Dass da überhaupt jemand entspannen konnte, war seiner Meinung nach fraglich. Nun, er musste das ja auch nicht machen. Der Pool, die Whirlpools, ein Zugang zur Sauna, der Gang zu den Massage-Räumen und natürlich auch der Bereich, in dem sich die ausgebrannten High-Society-Damen (und vermutlich auch einige Herren) noch schnell vor einer Gala oder einemBroadway-Besuch liften ließen oder mit Botox aushalfen. Der Bereich Kosmetik schloss vermutlich auch daran an. ‚Schade, ich dachte wir hätten Zeit den Whirlpool zu testen. Arthur ging umher, fasste die Materialien an und sprach leise in sein Handy, während er filmte, um später das perfekte Abbild zu schaffen. Nun schaltete er die Kamera kurz aus. „Vielleicht solltest du an deinem Zeitmanagement arbeiten, wenn du so ‚grandiose‘ Pläne verfolgst“, antwortete er und ging zu dem Bereich Massage hinüber. „Ich für meinen Teil bin heute definitiv schon genug durchge’wirbelt‘ worden…“, fügte er halblaut hinzu und öffnete die Tür. Es war ein Wunder, dass momentan niemand da war und sie das alles ansehen konnten. Reichen würde das vielleicht aber nicht. Vielleicht sollte er diesen Ross fragen, ob er ihn einen Tag irgendwie einschleusen kann. Sofern die Sicherheitsrichtlinien das so schnell möglich machen würden. Das war das fatale, an so knappen Zeitfenstern. Er sagte ja: Zeitmanagement war manchmal nicht verkehrt. Seine Finger glitten über die Liege, über die Handtücher, er roch an den Massageölen (auch wenn er das nicht mochte), filmte alles. Dann kehrte er zu Eames zurück. „Jobs erhält falsche Informationen von seiner App und spritzt sich das falsche Zeug oder zu viel oder zu wenig – das muss ich noch klären. Er kommt runter, sein Kreislauf kippt bereits leicht. Er lässt sich eine Massage geben – oder besser wäre es, wenn er zuerst eine Fango-Packung erhält. Hitze, eingemummelt in irgendwelche Tücher, der Kreislauf kippt, er schläft ein. Wir haben mindestens 30 Minuten, bevor die Packung geöffnet wird und er zur Massage weitergeht. Oder er wird 45 Minuten massiert und wir helfen nach, wenn er nicht von alleine umkippt. Hätte das größere Zeitfenster als Vorteil. Wir gehen 10 Minuten rein, suggerieren ihm eine Situation, in der er an seinen Chip muss. Wir holen ihn raus und er bleibt im Wellnessbereich, bis du oben den Chip kopiert oder ausgetauscht hast.“ In Gedanken ging er die Szenerie durch. Yusuf würde sich zunächst im Hintergrund halten. Eames und er würden Jobs zur Massage geleiten. „Kannst du gut massieren?“, fragte er. Wobei jemand, der in dem Bereich sicher schon einiges an eigener Erfahrung gesammelt hatte, sicher damit kein Problem haben würde… „Überflüssige Frage! Ich ziehe sie zurück.“ Vielleicht wollte er die Antwort auch lieber gar nicht hören. *Eames* Eames „half“. Er sah sich um, machte Fotos, durchwühlte Handtücher, fotografierte Kosmetika und andere Pflegeprodukte. Überzeugte sich von der Temperatur im Whirlpool. Grandios... sehr ärgerlich. Aber das würden sie nachholen. Vielleicht hatte Arthur heute keine Lust mehr "herumgewirbelt" zu werden, aber das würde wiederkommen. Die stichelnde Bemerkung bezüglich seines Zeitmanagements ignorierte er geflissentlich. Die anderen Sachen waren genauso wichtig gewesen und ob sie nun eine Stunde früher, oder später reinkamen, war ja wohl egal. Ross war ja noch da, also wozu der Stress. Aber so kannte er Arthur; jeder falsche Furz stresste ihn. Wenn er darüber nachdachte, was bisher so passiert war, seit er in New York gelandet war, musste man aber zugeben, dass es langsam ein Level annahm, bei dem selbst Eames nicht unberührt blieb. Und er bezeichnete sich gern als vollkommen stressresitent. Er verfolgte den Plan, den Arthur laut aussprach. Nickte, leicht abwesend, machte sich seine eigenen Gedanken. Es lastete viel Verantwortung auf seinen Schultern. Er hatte seit Jahren keine eigene Extraktion mehr durchgeführt, sondern hatte sich immer schön entspannt anheuern lassen, um ein bisschen zu Forgen. Das was er noch immer am liebsten tat. Er sah der Sache trotzdem entspannt entgegen. Der Plan war gut und nahezu sicher. Sie würden kaum Probleme kriegen. ‘Kannst du massieren?‘ Er drehte sich zu Arthur um, zwischen den Augenbrauen hatten sich ein paar Furchen gebildet und er wirkte ehrlich beleidigt. ‘Überflüssige Frage! Ich ziehe sie zurück.‘ Darauf grinste er, lachte trocken im hallenden Höhlenraum des Spa-Bereichs. »Reichlich überflüssig«, ergänzte er nur und folgte schließlich Arthur bei seinem Rundgang. »Wir schicken ihn mit ein paar Extra-Einheiten Insulin auf Reisen, während er massiert wird – das sollte gehen. Yusufu besorgt uns Glucagon als Gegenmittel, damit er uns nicht abschmiert, wenn wir ihn ans Somnacin anschließen.« Er griff sich eine Flasche Massageöl, roch daran – angenehm – steckte sie in die Innentasche seines Jacketts. Für später. Arthur hatte eine Frage gestellt, die er gern non-verbal beantwortete. Er setzte sich mit dem halben Hintern auf die Massageliege, während Arthur weiter arbeitete. »Mister Jobs, ich habe unautorisiertes Eindringen in ihr Hotelzimmer registriert.«, ahmte er die leicht nuschelnde Sprechweise Henry Fosters nach. Er räusperte sich, klopfte sich mit den Fingerspitzen gegen den Kehlkopf. »Mister Jobs..«, begann er erneut. »Wir brauchen noch die Technik zum Kopieren des Chips. Eventuell kriegen wir die von Jesse«, dachte er laut. *Arthur* Das Gerüst eines Plans stand also, wenn er den unbestimmten Ausdruck auf Eames‘ Gesicht richtig deutete. Auch wenn viele Informationen noch geklärt werden mussten. Und einen echten Plan B für ein zweites Traumlevel hatten sie noch nicht. Er spürte die übliche Ungeduld. Aber angesichts der Tatsache, dass sie eigentlich erst seit ca. 18 Stunden wirklich planten, war das schon ok. Dass Eames sich persönlich angegriffen fühlte, weil er es gewagt hatte, seine Massage-Kompetenzen zu hinterfragen, sah er deutlich. Nun, ja. War wirklich voreilig gewesen. Dass jener sogar lachen musste, ertrug er stoisch. Während er fortfuhr sich umzusehen, reflektierte Eames nun endlich sein Gerüst. „damit er uns nicht abschmiert“, echote er und sah Eames skeptisch an, wobei seine Augenbrauen noch höher wanderten, als er sah, wie dieser sich gerade am Inventar bereicherte. Er verkniff sich einen Kommentar – zunächst. „Ich denke, da sollten wir kein Risiko eingehen! Auch nicht das Risiko, dass Ross uns hier nicht mehr reinlässt.“ Er nickte in Richtung der eingesteckten Flasche. Ersteres war das letzte, was man gebrauchen konnte, bei einem Job: das Opfer starb! Super Sache! Arthur schüttelte leicht den Kopf. „Der Kerl sollte sich noch einigermaßen fühlen hinterher.“ Er drehte sich wieder um, betrachtete die Bilder an den Wänden, die für eine entspannte Stimmung sorgen sollten. Er fotografierte sie, als er mit einem Mal eine fremde Stimme hinter sich hörte. Erstaunt drehte er sich um und sah, dass Eames sich vermutlich an der Stimme des Security-Typen versuchte. Ein Dieb… Gute Idee. Er trat näher an Eames heran. „Gute Idee“, murmelte er, während sich seine Gedanken kreisten. „Ihm ging es vorher nicht gut… Dann wacht er auf und wir vermitteln ihm, dass du ihn – also sein Bodyguard ihn hoch ins Zimmer gebracht hat und er dort deswegen gerade aufwacht.“ Er nickte leicht, dann sah er Eames an. „Manchmal bist du doch zu etwas zu gebrauchen.“ Ein Schmunzeln umspielte seine Lippen. „Das mit der Technik kläre ich nachher mit dem, der mir die Festplatte kopiert. Mal sehen, was er mir ermöglicht.“ Kurz sah er Eames an, wog einen Moment ab. „Was meinst du!“, fragte er schließlich. „Heute noch in Jobs Zimmer – Jesse hat uns die Suite nebenan gebucht - , oder die Woche mal, wenn er bei der Massage ist, die Schlüsselkarte entwenden.“ *Eames* Eames winkte ab und lächelte selbstgefällig. Diese Flasche Massageöl war seine gerechte Bezahlung. Normalerweise tat ihm der Hunni nicht weh, um hier reinzukommen, aber im Augenblick war er quasi blank. Nur „quasi“, weil er eigentlich immer einen Weg fand irgendwie an Bargeld zu kommen. Aber er musste zusehen. Die Zeit bis zu seinen Millionen musste er sich etwas strecken. ‘Manchmal bist du doch zu etwas zu gebrauchen.‘ »Charming«, erwiderte er trocken. Er liebte es ja, wenn man auf ihn herabsah. Arthurs Vorschlag klang interessant. Noch interessanter war jedoch, dass Arthur ihn nach seiner Meinung fragte! Gerade noch hatte er ihn runtergespielt und dann wollte er plötzlich eine Einschätzung von ihm? Angestrengten Blickes, kaute er an seine Daumennagel und dachte kurz nach. »Wenn wir heute schon reinkommen, können wir ihn eventuell von nebenan abhören. Vielleicht kriegen wir dadurch weitere Hinweise, wie er den Chip versteckt – vielleicht verwendet er einen Safe, beispielsweise. Oder einen Aktenkoffer.« Er gestikulierte mit der angeknabberten Hand, während er laut nachdachte. »Worauf solange warten? Tun wir es heute«, kam er zu seinem Schluss. Er würde nicht wirklich schlafen heute, weil er Henry Foster nach Schichtende observieren musste, aber das war machbar. Dann nahm er er eben noch ein paar Pillen ein... momentan funktionierte er ohnehin nicht, ohne synthetische Drogen. *Arthur* Es tat gut, ungezwungener mit Eames umzugehen. Langsam fühlte er sich wieder wohl in seiner Haut, hatte gut verdrängt, was geschehen war, als sie in den Träumen unterwegs waren. Und zu sticheln gehörte definitiv zu seinem Wohlfühl-Programm. Ein Schmunzeln zierte daher seine Lippen, als er „Aber immer doch“, erwiderte und schließlich dabei zusah, wie Eames überlegte, wie sie es hinsichtlich des Zimmers machen wollten. Er musste irgendwann rein – je früher desto lieber. Dass sie von Nebenan auch anderweitig Möglichkeiten hatten, an Informationen heranzukommen, war ein guter Grund, es wirklich nicht weiter zu verschieben. Arthur zog sein iPhone aus der Hosentasche und entsperrte es. Dann ging er in sein Mail-Programm. „Laut seinem Kalender erwartet er in einer knappen Stunde einen Anruf von einem Francesco Frattini.“ Da er noch keine Zeit hatte, alle Daten von Jesse zu sichten, wusste er nicht, wer das war. Aber er hatte vorhin sein MacBook mit ins Auto genommen, genauso wie seinen Koffer, in dem er allerlei nützlicher Dinge hatte. Es stand ja von Anfang an zur Debatte, ob er heute noch ins Zimmer kommt. „Dann lass uns mal das Hotel auf normalem Wege betreten. Ich habe im Kofferraum die passenden Dokumente.“ Als sie wenig später das Nobel-Hotel durch den eigentlichen Eingang betraten, war es ein wenig wie ein Déjà-vu. Ob ihr jetziger Besuch auch in einer Prügelei enden würde? Arthur seufzte innerlich. Im Moment lief es gut. Lieber nicht an das von vorhin denken. Sie checkten unter seinem falschen Namen ein. Eames behandelte er als Freund, der ihm später noch etwas von New York zeigen wollte. Durch eine geschickte Frage, entlockten sie der Rezeptionistin die Information, dass Mr. Jobs tatsächlich vor Ort war und im Zimmer nebenan. So ein ganz schlechter Schauspieler war er nicht – solange er nicht spontan sein musste. Schließlich fuhren sie in die Suite hinauf. Arthur betrachtete wehmütig das Bett, trat dann aber direkt auf den Balkon, um zu sehen, wie weit ein Fenster oder gar der Balkon der anderen Suite entfernt war. Der Balkon war leider sehr klein, der Nachbarbalkon war tief eingelassen, so dass es schwierig war, dorthin zu gelangen. Blöd. Er kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum. Irgendwie musste er dort hinein. * Eames* Traumhaft mit einem funktionierenden Point Man zusammen zu arbeiten, dachte er, als er neben ihm die verkleideten Gänge des Nobelschuppens entlang flanierte. Ihre kleine Schauspieleinlage, die sie der Rezeptionistin geliefert hatten, war grandios gewesen. Eigentlich sollten sie als Trickbetrüger gemeinsam auf Tour gehen, dachte Eames. Dann könnten sie auch ohne einen Emanuel Jobs Millionen machen... Bonnie und Clyde nur mit weniger Toten. Auch Eames warf einen sehnsüchtigen Blick auf‘s Bett. Vielleicht könnte er sich ja hier eine Stunde hinlegen, bevor er die ganze Nacht unterwegs sein würde. Wenn sie nachher sowieso auf Jobs warten mussten, könnten sie ja vorher auch noch ein bisschen Rummachen, wo sie schon mal hier waren, dachte er, als er Arthur beobachtete... einfach da weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Klang doch nach einem ganz fantastischen Plan. Leider wusste er, dass sie sich nur wieder die Finger verbrennen würde... seine Libido musste wohl warten, bis sie Jobs endgültig abgearbeitet hatten. Als Arthur den Balkon auskundschaftete, sah sich Eames provisorisch im Bad um. Sowohl das Bad, als auch die Wand am Kopfende des Bettes lagen Jobs Suit zugewandt. Von dort aus hatten sie vermutlich die beste Akustik. »Wir sollten Jesse fragen, ob er unsere Karte auf die Suit nebenan umschreiben kann. Dann kämen wir problemlos rein.« Er setzte sich mit etwas mehr Schwung als nötig aufs Bett und testete die Wippkraft der Matratze. Na, hier konnte man ordentlich Spaß haben. King-Size-Spaß, so zusagen. »Oder du kletterst durch den Lüftungsschacht, wie in einem guten, alten James Bond Film und schließt mir dann die Tür auf.« Sein Kreuz war nämlich unter aller Garantie zu breit dazu. Arthur hatte immerhin eine Chance. *Arthur* Wenn man gewohnt war, alles im Leben alleine zu regeln, dann fiel es einem auch schwer, daran zu denken, dass man unter Umständen jemanden um Hilfe bitten könnte. Eames hatte natürlich völlig recht. Jemanden wie Jesse zu haben, vereinfachte vieles – solange er wirklich loyal war. Arthur war von Natur aus misstrauisch, was das betraf. Letztlich hatte er aber auch keine andere Wahl, als Eames‘ Urteil über den Hacker zu vertrauen. Und da es nicht um seinen Arsch ging, würde er dieses Vertrauen auch nicht weiter in Frage stellen. Eames hatte vermutlich selbst das größte Interesse daran, dass Jesse ihnen wirklich half und nicht irgendwann in den Rücken fiel, als sonst jemand. Er stieß sich vom Geländer des Balkons ab und kam zurück ins Zimmer, schloss die Tür hinter sich. Es war noch immer trüb und kalt. Hoffentlich kam der Frühling bald. Arthur war ohnehin leicht kalt und eigentlich mochte er eine angenehme Wärme ganz gerne. Er beobachtete über das Spiegelbild, wie Eames das Bett „testete“. Eigentlich müsste der sich auch noch ein wenig ausruhen… Schließlich hatte er vor, eine Nachtschicht einzulegen. Und da sie bereits seit 6 Uhr wach waren, würde das anstrengend werden. Arthur zog das MacBook aus der Tasche, verkabelte sich mit dem LAN-Anschluss und setzte sich auf das Bett, am Kopfende, das Kissen im Rücken als Stütze. Den Kommentar hinsichtlich der James Bond Action ignorierte er zunächst, auch wenn er sich ertappte, wirklich nach dem Lüftungsschacht zu schauen. Sie mussten ohnehin erst einmal warten, bis der Kerl nebenan zu Ende gearbeitet hatte, sein Telefonat erledigt hatte und dann hoffentlich beschloss, dass es Zeit war, Essen zu gehen. Er schlug die Beine übereinander und klappte das MacBook auf, blickte nun Eames an. „Honeybunny, was sollte ich ohne Dich anfangen!?“, zitierte er etwas abgewandelt aus „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ gemischt mit der Anfangsszene von „Pulp Fiction“ (Der Soundtrack war noch in seinem Ohr). Dann klopfte Arthur neben sich auf das Bett. „Komm her, ruh dich aus. Von uns beiden hast du die anstrengendere Nacht vor dir. Wenn drüben was passiert, wecke ich dich auf. In der Zwischenzeit verschaffe ich mir mit Jesses Hilfe Zugang.“ Er hatte ohnehin noch die andren Informationen des Hackers auszuwerten. Gleichzeitig musste es leise sein, damit sie hörten, wenn drüben gesprochen wurde. Er gab sein Passwort ein und schaltete die Sicherheitsmaßnahmen hoch, weil er sich in öffentlichem Netz befand. Dann schrieb er Jesse an, ob er da was drehen konnte. *Eames* Der einzige Grund, der Eames gerade einfiel wieder aus dem Bett aufzustehen, war die Minibar zu plündern. Aber selbst dazu konnte er sich nicht richtig begeistern. Erst recht nicht, als Arthur ihm mit seinem Macbook Gesellschaft leistete. ‘Honeybunny, was sollte ich ohne Dich anfangen!?‘ Er gab einen abfälligen Laut. ‚Ein scheiß langweiliges Leben führen‘, dachte er, aber behielt diese Aussage lieber für sich. Er war tatsächlich nicht in der Laune sich zu streiten und das kam äußerst selten vor. Arthurs Vorschlag war wirklich sehr einladend. Und irgendwie auch vernünftig. Er war zugedröhnt und irgendwie ausgelaugt und musste noch die ganze Nacht ackern. Er machte sich nicht einmal die Mühe, das Jackett oder die Schuhe auszuziehen; schließlich könnte es sein, dass er sofort einsatzbereit sein musste. Stattdessen rutschte er höher und bettete seinen Kopf neben Arthur. Auch wenn sie sich nicht berührten, spürte er die wärmende Präsenz des Anderen, vor allem mit geschlossenen Augen. Ein befremdliches, aber wohltuendes Gefühl, nicht allein einzuschlafen. »Bitte weck mich, wenn ich aufhöre zu atmen...«, murmelte er und verschränkte die Hände auf dem Bauch ineinander. Bei der Menge an Opioden konnte das schon mal passieren, aber da er schon mehr genommen hatte, wusste er eigentlich, dass nichts Schlimmes passieren würde. Alles eine Frage der Toleranzen. »Danke..«, entkam ein letztes Flüstern, da war er jedoch schon fast weggetreten. Einschlafen war seine Spezialität, auch ohne Somnacin, kein Problem für ihn. Immer und überall und in unter zwei Minuten. *Arthur* Arthur registrierte mit Zufriedenheit, dass Eames seinem Vorschlag nachkam. Seit er die Beta-Blocker eingeschmissen hat, fühlte er sich wieder ausgeglichener und konzentrierter. Sein Bett würde später einfach auf ihn warten und dann konnte er sich hinlegen. Und solange sie hier warteten, konnte er ja auch wunderbar arbeiten. Nur einen kurzen Moment blickte er zu Eames, der sich neben ihn hinlegte und brav die Augen schloss. Dann wurde er davon abgelenkt, dass Jesse bereits antwortete und versprach, zu schauen, was er hinbekam. Arthur schilderte die Situation und bat ihn, auch zu überprüfen, ob die GPS-Ortung des Handys möglich war. Wenn Emanuel Jobs später essen gehen würde, könnte man so überprüfen, wann er zurückkam. ‚Bitte weck mich, wenn ich aufhöre zu atmen…‘ So richtig registrierte er gar nicht, was Eames da sagte. Seine Gedanken waren bereits dabei, genau zu überlegen, wie sie nachher vorgehen mussten. Erst als das ‚Danke..‘ kam, blickte er auf und begriff was Eames da gesagt hatte. Offenbar sollte er sich doch mehr Sorgen machen. Aber das führte bei Eames meist nur dazu, dass er bockig wurde und ihn aufzog. Arthur seufzte. Er sah auf ihn hinab, das schöne Gesicht, das sich binnen der wenigen Augenblicke merklich entspannte. War Eames schon eingeschlafen? Dass jener das ziemlich schnell konnte, wusste er noch von ihrer Anfangszeit. Es war faszinierend gewesen, wie jener mal eben zwischendurch seine Power-Naps nahm. Arthur war da ganz anders. Bis er seinen Prozessor runtergefahren hatte, vergingen manchmal auch Stunden. Arthur hob die Hand und strich Eames sanft über die Stirn, das Haar, streichelte ebendieses. „Untersteh dich, einfach das Atmen aufzuhören“, sagte er leise. „Wir haben noch einige Dinge zu klären... und nachzuholen.“ Sich selbst diesen Gedanken aussprechen zu hören, war seltsam. Aber er war ehrlich und wahr. Dinge ändern sich. Und er wusste gerade nicht, ob es gut oder schlecht war. ‚With your pride, son Take it like a man Hang on, son of mine A storm is blowing up your horizon Changes come Keep your dignity‘ (https://youtu.be/gXvRr9M6O0c) Kapitel 19: Breathe you in my dreams ------------------------------------ *Arthur* Schließlich fuhr er fort, sich die Dateien von Jesse durchzusehen. Interessant waren vor allem die Termine, die er zu dem Zeitpunkt fand, als die Eltern des CEO gestorben waren. Offenbar ging es um das Erbe, denn es gab erstaunlich viele Anwaltstermine in Philadelphia, schließlich auch Termine mit einem Pflegeheim. Arthurs Neugierde, was ihn dort erwarten würde, wuchs. Und für einen Plan B eigneten sich Familiendramen immer ganz hervorragend. Von Jobs hörte er nicht viel. Einmal schien er mit jemandem zu diskutieren. Es wurde lauter drüben, aber an der Art der Gesprächsführung merkte man, dass es auf Italienisch war und sich vor allem wirklich nur um ein Telefonat handelte. Dann wurde es wieder ruhig. Arthur war mittlerweile durch die Informationen durch. Jesse hatte ihm grünes Licht gegeben, dass er die Karten manipulieren konnte und überwachen würde, wann Jobs das Zimmer verließ. Arthur stand auf, packte das MacBook ein und ging kurz ins Bad. Er hatte Jesse angewiesen, ihn am Handy zu kontaktieren, wenn es etwas gab. Als er zurück in den so stillen Raum kehrte, blickte er auf Eames. Vielleicht sollte er sich auch ein wenig ausstrecken, nur ein paar Minuten. Er stellte seinen Timer auf 30 Minuten, dann legte er sich neben den anderen, drehte sich zu ihm und blickte ihn an. Die Gedanken an seine Küche kehrten zurück, an das, was zwischen ihnen passiert war. Dass es so schnell so intensiv wurde, wenn sie mal alleine waren, hätte er nicht gedacht. Hätte er sich mehr wehren sollen, als er ihn um den Schlafplatz gebeten hatte? Vielleicht. Das hätte ihm vermutlich einiges erspart. Und doch bereute er es nicht in dem Maße, wie er es angenommen hätte, wenn er vorher hätte absehen können, was auf ihn zukam. Thomas Eames – sein Kryptonit. Und eigentlich wusste er bis heute nicht, warum das seit der ersten Sekunde so gewesen war. Er ließ ihn schwach werden – nicht nur im negativen Sinne. Nur früher hatte er der Versuchung wiederstehen können. Jetzt hatte er von ihr gekostet. Er legte seine Hand auf die Schulter des anderen, kuschelte sich etwas an eben diese, dann schloss er die Augen. Nur ein wenig ausschnaufen… Beta-Blocker fuhren nur leider auch den Kreislauf hinunter, senkten die Herzfrequenz. Es war schön, so neben dem anderen zu liegen, es fühlte sich beruhigend an. Müdigkeit befiel ihn, ließ ihn einschlafen. Der Klingelton seines iPhones drang aus sehr weiter Ferne zu ihm, riss ihn aus ungeahnten Tiefen. Verschlafen tastete er nach diesem und merkte, dass es nicht der Timer war, der ging, sondern dass Jesse anrief. Er ging verschlafen hin. „Zeit aufzustehen, ihr Schlafmützen! Er ist gerade aus dem Zimmer gegangen. Ich melde mich, wenn ich sehe, dass er das Hotel verlässt oder sich sonstwo niederlässt.“ *Eames* Es war heiß in Mombasa; Arthur war auch da. Er hatte es sich auf dem klapprigen Holzstuhl seiner Dachterrasse gemütlich gemacht und schlurfte einen Margarita. Eine süße Schwarzhaarige, die genauso aussah wie Arthur – ihr Name war Enya – lehnte an dem hölzernen Geländer und genoss die bunte Aussicht. Sie trug ein leichtes, hellrotes Sommerkleid und strahlte. Er lebte in einem der äußeren Randbezirke – eins der Ghettos. Hier regierte das Gesetz der Straße, nicht die Polizei. Trotzdem fühlte sich Eames hier wohl in seiner Haut; wie ein Fisch im Wasser. Lebendiger, als er sich je in London gefühlt hatte; geschweige denn in den USA, in Italien, Bangkok, Tokyo, oder sonstwo, wo er länger als eine Woche geblieben war. Deswegen kehrte er immer wieder ins heiße Kenia zurück, selbst im Traum. Er wusste, dass er träumte. Das Bild war zu schön um wahr zu sein und das Gefühl von Familie zu surreal. Trotzdem setzte er sich zu seinem Lover, klaute ihm die Kirsche aus dem Drink und einen Kuss und genoss dann ebenfalls die frühabendliche Sommerbrise. Gemütlich und warm, so warm. Rotorange umrandet von der untergehenden Sonne. I breathe you in my dreams… (https://youtu.be/1nEnenji0PI) Ein eindringlicher Ton ließ ihn abrupt erwachen. Er zuckte merklich zusammen und blinzelte irritiert. Das Gesicht im eindeutigen Missgefallen eines Morgenmuffels verzogen. Arthur lag neben ihm und fummelte an seinem Telefon herum. Jesses dumpfe Stimme am Apparat. Er verstand nur die Hälfte... ‚.... Schlafmützen! … gerade aus dem...immer gegangen.... … ich melde mich, wenn ich sehe... Hotel verlässt...‘ Arthur neben ihm, war ein weitere Faktor, der ihn von Jesses Gelaber ablenkte. Wann war das denn passiert? Vielleicht hatte sein Ausflug ins warme Mombasa einen Auslöser gehabt. »Er meldet sich, wenn er etwas mitbekommt, richtig?«, murmelte er und griff nach Arthur, wie nach einem übergroßen Stofftief. »Wir haben also noch Zeit...« Zog ihn eng an sich – kleiner Löffel zu großem Löffel – und blieb einfach liegen. Wenn er wach werden musste, konnte er. Aber er redete sich gerade gern ein, dass das nicht nötig war... kaum zu Ende gedacht, war er schon fast wieder eingeschlafen. *Arthur* Arthur hatte sich zum Telefonieren zur Seite gedreht. Es war mit einem Mal viel kühler um ihn. An Eames gekuschelt war es wärmer gewesen. Jesse hatte aufgelegt, bevor er noch etwas sagen konnte. Er fühlte sich, als habe ihm jemand mit dem Vorschlaghammer eine verpasst. Der Anruf hatte ihn wirklich aus ungewohnten Tiefen geholt. Wann hatte er das letzte Mal so tief geschlafen? Er konnte sich nicht erinnern, es muss Jahre her gewesen sein. Arthur versuchte sich zu strecken, versuchte, wieder in Schwung zu kommen, aber so recht wollte ihm das nicht glücken. »Er meldet sich, wenn er etwas mitbekommt, richtig?«, hörte er das sonore Brummen des offenbar genauso Verschlafenen hinter sich. Dann spürte er, wie dieser ihn umarmte und zu sich zog. »Wir haben also noch Zeit...« Arthur verspannte sich, zum einen, weil sie sich bereithalten mussten und jetzt wirklich keine Zeit war, hier im Bett weiter zu kuscheln. Zum anderen aber auch aus Prinzip, wenn Eames ihn mit einem Mal so nahe kam. „Wir sollten aufstehen“, protestierte er, weil er protestieren musste. Der schwere Arm, der ihn hielt, der viel breitere Körper, der ihn umschloss, der Atem in seinem Nacken, die Wärme – wirklich nachhaltig war sein Widerstand nicht. Die Ruhe, die ihn gerade so tief hatte schlafen lassen, kehrte zurück, eroberte die ohnehin wenigen Bereiche seines Körpers zurück, die willig gewesen wären, aufzustehen. Seine Augen hatten sich geschlossen, ohne dass er es wirklich gemerkt hatte. Tief ausatmend rutschte er tiefer in die Umarmung und legte seinen Arm auf den des anderen, ließ seine Finger zwischen die des anderen gleiten, hielt ihn so. Sein Timer begann zu klingeln, er stoppte das Signal mit der Hand, die das iPhone noch immer hielt. Nur ein paar Minuten, bis Jesse anrief, wollte er diese ungewohnte Ruhe genießen. Die Kraft, die er daraus schöpfte, würde er brauchen können. Es dauerte tatsächlich etwa, bis sich der Hacker wieder meldete. Diesmal war Arthur jedoch schneller wach und auch wirklich fitter. „Und?“, meldete er sich nicht mehr ganz so verschlafen, aber noch immer mit geschlossenen Augen. „Er sitzt bei einem Italiener in der Innenstadt. Ich denke, ihr habt jetzt genug Zeit, das Zimmer in Augenschein zu nehmen. In 5 Minuten schalte ich eine Schleife für die Kameras im Flur, ich schicke eine Nachricht“, berichtete Jesse. „Aye!“ Arthur ließ die Hand sinken, öffnete die Augen. Er lauschte hinter sich. War Eames fit? Er könnte auch allein rübergehen. Aber der Forger kannte sich in manchen Dingen besser aus als er, wenn es darum ging, geheime Verstecke zu finden. Er entließ die Hand des anderen aus seiner. Vorsichtig drehte er sich und blickte Eames an. „Können wir?“, fragte er. „Ich kann auch alleine rüber.“ *Eames* Der Schatten im Zimmer war ein wenig gewandert. Das war das erste, dass Eames auffiel, als er die Augen wieder öffnete. Jesse hatte schon wieder angerufen und sie hatten keine Zeit mehr zu verlieren. Als Arthur sich zu ihm umdrehte verspürte er schon wieder den Drang einfach mit ihm liegen zu bleiben, aber etwas in seinem Hinterkopf begann allmählich Alarm zu schlagen. Friendly reminder: es geht noch immer um deinen Arsch! Er verlor sich noch eine unendlich lange Sekunde in den glasigen, dunklen Augen, ehe er sich wieder aufraffte. »Nein, nein«, murmelte er müde und stemmte sich mit dem Arm in eine sitzende Position. Sein Anzug war nur leicht zerknittert von seinem steinartigen, unbeweglichen Schlaf. Eine weitere Eigenschaft, die er aus seiner Zeit im Dienst hatte. »Ich mach mich nur schnell frisch, dann können wir.« Etwas steif stand er vom Bett auf und verschwand im Bad, wo er sich ein wenig Wasser ins Gesicht spritzte. Er war ein wenig bleich um die Nase, sein Kreislauf musste erst wieder ins Rollen kommen. Danach stieß er wieder zu seinem Partner. »Dann mal auf ins Gefecht.« *Arthur* Arthur setzte sich seufzend auf, nachdem Eames im Bad verschwunden war. Einen Moment fuhr er sich mit den Händen über das Gesicht. Hatte er gestern nicht noch sich ins Gewissen geredet, dass er Eames nicht trauen sollte? Und jetzt waren sie sich so seltsam nah. Oder vielleicht genau deshalb? Eames wusste mittlerweile Dinge von ihm, die ihn angreifbar machten. Vermutlich suchte er die Nähe, um Sicherheit zu erlangen. Dennoch sollte er in Zukunft solche Situationen meiden. Die Fallhöhe war zu groß und wurde so nur immer größer. Er blickte auf die Uhr. Es war 19:30Uhr, noch keine 24Stunden mit Eames unterwegs und nichts war so wie vorher. …and the difference is you Dinah Washingtons Song gestern schien prophetische Ausmaße anzunehmen. Er stand auf, ging zu seinem Koffer und holte einen Verstärker heraus, den er am Balkon anbrachte. Dann koppelte er ihn mit seinem Handy und einer Wanze, die er in der Suite nebenan versuchen würde anzubringen. Vermutlich hatte Jobs einen Störsender, aber sie konnten es ja mal versuchen. Kapitel 20: Howl ---------------- *Eames* Jobs Zimmer hatte den identischen Schnitt zu ihrem Zimmer, nur gespiegelt. Es war groß, hell, luxuriös und unverschämt teuer eingerichtet. Four Seasons eben... Wie drüben gab es einen Balkon und eine Art Wohnzimmer, das durch zwei breite Flügeltüren vom Schlafzimmer getrennt war. »Verdammt, Arthur..«, entkam es ihm schockiert, als er sich umsah. ».. der Kerl ist ordentlicher als du. Jetzt sollten wir uns Sorgen machen...« Nichts lag unnötig herum. Seine Armbanduhren waren mit penibel genaue Abstand zueinander auf einem hölzernen Uhrenhalter aufgereiht; die sechs Paar Schuhe glänzten alle und waren alle perfekt aufgereiht nebeneinander aufgestellt. Der Laptop lag in genau rechtem Winkel zur Tischkante, das Zubehör war peinlich gerade und parallel dazu angeordnet. Irgendeine Art von Zwangsstörung musste wohl dahinter liegen. War nur fraglich, ob sich das eher vor-, oder nachteilig auf ihren Job auswirken würde. *Arthur* »Verdammt, Arthur..« Arthur hatte Jesse gerade das Ok gegeben, die Kameras im Flur wieder zu aktivieren, als er erschrocken zusammenfuhr und sich Eames zuwandte. Sein Herz hatte einen spürbaren Sprung gemacht. in Erwartung an etwas … Schlimmes? ».. der Kerl ist ordentlicher als du. Jetzt sollten wir uns Sorgen machen...« Genervt knirschte er mit den Zähnen, erwiderte zunächst aber nichts, sondern blickte sich um. „So ordentlich bin ich gar nicht“, knurrte er schließlich. Sicher mochte er eine gewisse Ordnung. Aber es gab durchaus auch Orte in seiner Wohnung, die weniger ordentlich, vielmehr als geordnetes Chaos beschreiben würde – seine Pinnwand zum Beispiel, oder seine Bücherregale, oder…. Wie auch immer. Was Emanuel Jobs betraf, musste er Eames recht geben. Diese pedantische Ordnung war auffallend und in gewisser Weise unangenehm. Solche Neurosen entwickelten sich durch ein krasses Elternhaus, entweder überbehütet oder fehlende Zuwendung wie es bei ihm der Fall gewesen war. Er hatte ein seltsames Gefühl hier durch seine Psyche zu laufen. Aber für den Fall war das vielleicht hilfreich. Er dachte an die Schwester, die so verschlossen wirkte. Der Ausflug morgen wurde spannender und spannender. Er ging weiter in den Raum, die Kamera seines Handys gezückt und blickte sich um. „Verändere ja nichts, sonst weiß er sofort, dass hier jemand drin war“, murmelte er und prägte sich genau ein, wie alles hingerichtet war. Sie würden hier nicht ein Staubkörnchen verändert hinterlassen dürfen, wenn sie unbemerkt bleiben wollten. „Das wird schwierig“, dachte er laut nach. „Menschen, die zu einem so krassen Ordnungszwang neigen, sind absolute Machtmenschen. Sie überlassen nichts dem Zufall und planen alles mehr als präzise. Sie folgen strengen Regeln und Ritualen. Ich könnte mir vorstellen, dass auch das Versteck des Chips und der Zugang zu diesem Chip genau einem solchen Prozess untergeordnet ist. Vermutlich funktioniert auch die Verschlüsselung genau einem klaren Schema, das bei Nichteinhaltung zum Supergau führt, vermutlich dem absoluten Verlust der Daten.“ One Chance – Heaven or Hell! Er spürte ein flaues Gefühl im Magen. Sie hatten definitiv zu wenig Zeit. „Wir müssen im Traum in jedem Fall mehr darüber in Erfahrung bringen. Und vielleicht hilft seine Zwangsstörung da auch. Angenommen wir suggerieren ihm, dass wir ihn aus dem Wellnessbereich hochbringen, weil er Kreislaufschwierigkeiten hat und er findet das Zimmer im Chaos vor, weil der Dieb bereits auf dem Stockwerk unterwegs ist, könnte es bewirken, dass er unkontrolliert handelt und den Chip überprüft. Das wäre eine Chance zu sehen, wie das Ritual funktioniert.“ Er drehte sich zu Eames. „Das bedeutet aber vermutlich auch, dass Mister Foster perfekt funktionieren muss.“ *Eames* „Verändere ja nichts, sonst weiß er sofort, dass hier jemand drin war“ Er hob eine leicht angenervte Augenbraue und sah zu seinem Mister Perfect. Sein Blick sprach so etwas wie: Bitch please, ich bin Profi. Er steckte trotzdem die Hände symbolisch in die Hosentaschen und schritt bedächtig durch die heiligen Hallen. Alles sah so unberührt aus, nahezu steril. So sauber, dass es schon fast verdächtig wirkte; als wäre Jobs kein Mensch. Mister Foster musste perfekt funktionieren. Da waren sie sich wohl einig. »Richtig. Ich kümmere mich darum«, bestätigte er bloß, war jedoch viel zu beschäftigt damit sich umzusehen. Arthurs Konzept war simpel und gut. Das was ein guter Point Man eben tat: Informationen sammeln, Strategieren entwickeln, alles vorbereiten, Möglichkeiten abwägen und dann zurücklehnen, während der Extractor sich mit der Durchführung abmühte. So wie es schien könnte diese Geschichte zu einem regelrechten Spaziergang werden. Sofern sie Jobs dahin bekamen, wo sie ihn brauchten... Eames schlenderte zum Bett herüber, kein Haar auf dem Kissen. Wahrscheinlich gehörte frische Bettwäsche jeden Tag hier zum allgemeinen Service. Er berührte den kleinen Beistelltisch mit den Fingerspitzen, ertastete das glatte Holz. Dann bückte er sich noch ein Stückchen tiefer, öffnete die kleine Tür und entblößte einen Tresor in der Größe eines Schuhkartons, der eine Einheit mit der Wand hinter der hölzernen Ummantelung bot. Bingo; sein Glück hatte ihn noch nicht verlassen! »Was haben wir denn da?«, dachte er laut und betrachtete das massive Teil eindringlich. Das Schloss war altmodisch; keine Elektronik. So ein Schloss ohne Code zu knacken war machbar, aber er war ungeübt (wozu denn auch, wenn man in Träumen nach den passenden Zahlenkombinationen suchen konnte). Dieses Risiko konnten sie nicht eingehen. Er holte sein Handy raus, machte ein Foto und schickte es an Jesse und Arthur. »Könnte was sein.« *Arthur* Eames vorwurfsvollen Blick ignorierte er gekonnt. Eames traute er durchaus auch zu, dass er auch Jobs‘ Massageöl aus dem Badezimmer mitnahm. Sein Blick glitt über die Einrichtung, er strich über die Möbel, sprach leise ins Handy, was er für Beobachtungen machte, um später alles perfekt rekonstruieren zu können. Das wird noch viel Arbeit bedeuten, ein wirklicher Spaziergang war das sicher nicht. Nicht, wenn Jobs‘ Zwang mit Misstrauen gepaart war, der ihn zum methodischen Zweifler werden ließ. Eames lapidares „Ich kümmere mich darum“ wirkte nicht sehr beruhigend auf ihn. Wie Jobs wohl mit seinem Sicherheitschef umging? Warum er wohl zu ihm das größte Vertrauen hatte? Es gab noch do viele Fragen, auf die sie in der kurzen Zeit hoffentlich noch Antwort bekämen. Er war gerade im Bad, als er Eames hörte, der offenbar etwas gefunden hatte. Die Nachricht, die wenig später bei ihm aufleuchtete, verriet ihm, was es war. Genau deshalb war es wichtig gewesen, dass der Forger dabei war. Für so etwas hatte er keinerlei Talent. Es war dieses Gespür für alles Geheime, das er bei ihrer Arbeit an Eames bewunderte – bei sich zu Hause jedoch verfluchte. Arthur machte Fotos von den Medikamenten, die akkurat im Badezimmer aufgereiht waren. Es war zweierlei. Wie sie funktionieren würden, war noch ein großes Fragezeichen auf der Pinnwand, aber elementarer Bestandteil ihres rudimentären Plans. Er kehrte aus dem Bad zurück ins Wohnzimmer, sich umsehend, wo er eine Wanze anbringen könnte. So recht gefiel ihm keine Option. Dann ging er hinüber zu Eames ins Schlafzimmer. „Ob er wirklich den hauseigenen Tresor für die Lagerung des Chips verwendet?“, fragte er Eames, während er sich auch hier umsah und das Interieur begutachtete. „Ich glaube, er wird kein Vertrauen in das Personal haben. Hat er einen Aktenkoffer dabei? Ich habe hier keinen gefunden.“ Er drehte sich Eames zu. „Ich hätte eine Wanze“, fügte er noch hinzu. „Hast du einen passenden Ort dafür, oder ist es zu heikel?“ *Eames* Er kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe, während er den Safe betrachtete. Er wagte es kau, ihn zu berühren. Er fuhr nur einmal mit den Fingern die Kanten ab, um sicher zu gehen, dass er wirklich so massiv war, wie er wirkte. Das Teil war locker 25 Jahre alt, aber ein extrem standhaftes Model. Sollte das Hotel heute in die Luft fliegen und in eine Einzelteile zerlegt werden, würde wahrscheinlich nur dieser Safe übrigbleiben. »Wenn er ihn nicht benutzt, können wir ihn vielleicht dazu kriegen, ihn zu benutzen. Wenn seine aktiven Sicherheitssysteme versagen – seine Bodyguards, sein Aktenkoffer... «, sofern er eben einen solchen besaß. »...– dann entscheidet sein Unterbewusstsein was der sicherste Ort ist.« Der Vorteil daran wäre, dass sie schon wussten, wo der Tresor war, falls es dazu kommen sollte. Eames fiel es schwer, sich wieder aufzurichten. Er spürte diesen untrüglichen Drang hinter das Geheimnis dieses kleinen, massiven Dings zu kommen. Diese unbestreitbare Lust in etwas Verborgenes vorzudringen. Besonders viel Respekt vor privaten Dingen hatte er wirklich nicht. Eine Wanze also. Dieser kleine, ausgefuchste Scheißer und seine fantastischen Ideen, mal wieder. Er stand auf, sah sich zwei, vielleicht drei Sekunden um, steuerte dann auf den Temperaturregler zu. Die Temperatur war auf 18 Grad eingestellt. Keine besonders warme Persönlichkeit, wie es schien. Er frickelte ein bisschen grob an der Plastikabdeckung herum. Es knackte, dann hob er sie vorsichtig an. Sie war wegen des Displays mit ein paar Kabeln verbunden, aber die Öffnung war eine halbe Hand breit und der Innenraum war für eine moderne Wanze locker groß genug. »Dank mir später«, ließ er noch fallen, in seiner englischsten Arroganz. *Arthur * Arthur nickte nachdenklich, als Eames seine Gedanken hinsichtlich des Safes mitteilte. Es war eine gute Idee und passte zu ihrem bisherigen Plan. Wenn er gezwungen wäre, seine bisherigen „sicheren Orte“ zu wechseln, würden sie die Rituale sehen können, bevor er den Chip in den Safe legen würde. „Klingt gut“, kommentierte er und wendete den Blick von Eames ab, den er eben dabei beobachtet hatte, wie er den Safe begutachtet hatte – fast zärtlich. Auch er sah sich um, folgte dem anderen dann aber mit seinem Blick, als er zum Thermostat ging. Er nickte und trat näher, während Eames das Gehäuse abmontierte. Er holte die kleine Dose hervor und öffnete sie. »Dank mir später.« Arthur nickte bedächtig, während er das Gefühl von ‚genervt Sein‘ zügelte. Er reichte ihm die Wanze. „Erinner mich bei Gelegenheit daran“, sagte er mit einem eher abfälligen Blick. „Vielleicht hab ich dann Zeit dazu.“ Dann wendete er sich ab und ging noch einmal zum Schreibtisch hinüber. Selbst der Sessel war akkurat hingeschoben, nichts war einfach abgelegt, es war drapiert. Die Stifte gespitzt, feinsäuberlich nebeneinander, parallel zur Tischunterlage. Sein Blick fiel auf den einzigen Gegenstand, der so gar nicht dazu passte: eine Schneekugel. Arthur merkte sich genau den Ort, an dem sie gestanden hatte und hob sie hoch. Zwei Kinder im Schnee – sehr seltsam. Das Chaos, das die Bewegung auslöste schien so gar nicht zum Rest zu passen. Er stellte es wieder hin. „Das hier sollten wir im Traum auftauchen lassen…“, sagte er. „Ich glaube, das könnte von Bedeutung sein. Langsam bin ich wirklich neugierig, was sich hinter diesem Menschen verbirgt.“ Ob er die Schubladen aufmachen konnte? Wenn sich dabei etwas verschob, wäre das schlecht. Dennoch machte er sie vorsichtig, sehr langsam auf. Auch hier herrschte Ordnung, zumindest in der einen Schublade, die gefüllt war. Drei Akten, zwei zu den Menschen, die ihm in NewYork begegnen würden: Alexander Holmes, Gregor Methew Die letzte war nicht beschriftet, Arthur hob sie vorsichtig heraus, blätterte vorsichtig auf. Es waren Dokumente zum Nachlass seiner Eltern. Er zückte sein Handy und fotografierte. Zumindest schienen diese Unterlagen nicht so bedeutsam zu sein, dass er sie sicherer verwahrte. Arthur erschrak, als sein Handy klingelte - Jesse. „Hm?“, fragte er und versuchte sich so viel wie möglich durchzulesen. „Bernard Marx ist im Anmarsch. Ihr solltet verschwinden…“ *Eames* Er würde ihn sicher nicht noch einmal daran erinnern, wie dankbar er sein sollte, dass er spontan dieses geniale Versteck gefunden hatte. Denn wenn man das große Ganze im Blick behielt, war noch immer er derjenige, der dankbar sein sollte, dass Arthur sich in seiner Freizeit damit beschäftigte, ihm den Karren aus der Scheiße zu ziehen. Natürlich ein äußerst unangenehmer Gedanke, aber er war nicht arrogant genug, um diesen Fakt zu verkennen. Eames sah sich seinerseits um, als Arthur jedoch den Schreibtisch in Augenschein nahm, folgte er ihm. „Das hier sollten wir im Traum auftauchen lassen…“ Er nickte. Diese Schneekugel wirkte in dieser sterilen Ordnung vollkommen absurd. Es musste einen emotionalen Wert für Jobs haben. Auch Eames' Neugier war geweckt. Er war sich sicher, dass es kein Kinderspiel werden würde, aber die Erfahrung zeigte, dass sich die meisten Probleme einfach von selbst lösten. Also keine wertvolle Energie damit verschwenden sich unnötig verrückt zu machen. Jesses Anruf versetzte Eames direkt in Alarmbereitschaft. Den Beistellschrank mit dem Tresor hatte er wieder geschlossen, aber die Kappe des Temperaturreglers guckte noch etwas schief zur Seite. Er drückte ihn auf so gut er konnte, aber... »Bloody hell...« Er hatte es echt geschafft den Verschluss der Kappe zu schrotten. Ein winziges Plastickstückchen war abgebrochen. Er spürte wie sein Herz in die Hose rutschte. Er drückte die Kappe auf, so dass sie gerade eben hielt, aber wenn Jobs auf die Idee kommen sollte die Temperatur zu erhöhen, könnten sie auffliegen. Musste nicht, aber könnte sein. »Bin so weit!«, bestätigte er und machte sich mit Arthur aus dem Staub. Raus aus Jobs Zimmer, nochmal rein ins Nebenzimmer und Abwarten. »Guter Mann, dieser Jesse.« Er atmete erleichtert auf. »Jetzt könnte ich wirklich einen Drink vertragen...«, und ein paar Schmerzmittel. Es war mal wieder seine Zeit und Arthurs Schläge am Nachmittag hatten ganz schön gesessen. *Arthur* „Aye, schalt die Kameras in Schleife“, entgegnete er Jesse, dann drückte er das Handy wieder aus. Sehr bedacht schloss er die Akte wieder, schob sie sachte wieder hinein und kontrollierte auf dem Handy, ob das Bild, das er vorher aufgenommen hatte, stimmte. »Bloody hell...« Arthur blickte auf, sah, dass Eames mit dem Regler kämpfte. Seine Stirn zog sich einen Moment kraus. Er hatte vorhin schon bei dem Klicken ein seltsames Gefühl gehabt. War etwas kaputt? Oder bekam der Grobian es nur mal wieder nicht hin, das Gehäuse einzusetzen? „Mit Feingefühl hast du es nicht so…“, kommentierte er, hörte dann aber Eames »Bin so weit!« Offenbar saß wieder alles am rechten Fleck. Arthur betrat das Zimmer nebenan und schickte Jesse ein „Back again“. „Das kann man wohl sagen“, nickte er und sah Eames an. Ein Drink… Es war gerade mal 20Uhr durch. Eames hatte noch 4 Stunden, bis er sich an Fosters Versen heften würde. Arthur ging zu seinem Koffer hinüber und schaltete die Wanze an, legte ein Tablet auf den Nachttisch. Das Zimmer war noch die ganze Woche gemietet. Die Daten wurden auf das Tablet übertragen, auf das er online würde zugreifen können. „Ne Stunde könnte ich dir noch Gesellschaft leisten. Wollen wir runtergehen? Oder irgendwo anders etwas essen?“ Er hatte noch etwas Zeit, bevor er bei seinem Bastler auflaufen konnte. „Wie bist du auf ihn gekommen?“, fragte er dann ehrlich interessiert nach, während er seine Sachen nahm. Dass sich „Durchgeknallt“ und „Chaos“ gut verstanden, war nicht immer unbedingt gegeben. *Eames* »Jesse?«, er grinste, als er die rhetorische Frage stellte. Dabei schlenderte er zur Minibar herüber und holte eine kleine Flasche Vodka heraus. »Wir haben mal zusammen gearbeitet. Das war vor sechs...«, er schraubte die Flasche auf, während er laut nachdachte »... oder sieben Jahren.«, er war sich nicht sicher, ob es klug war noch mehr zu offenbaren. Schließlich konnte er nicht riskieren, dass Arthur ihm oder dem Hacker misstraute. Er fummelte eine kleine Tablette aus der schier unerschöpflichen Innentasche seines Jacketts und spülte sie mit einem großen Schluck aus der 70-Dollar-Flasche aus dem Kühlschrank herunter. Nur ein Schlückchen für die Nerven. Er verzog das Gesicht, schüttelte sich kurz. Der Schmerz wurde stärker. Seine letzte Einnahme lag nun schon ein Weilchen zurück. »Was deinen Termin angeht... ich komm schon zurecht. Geh ruhig, ich esse später.«, ihm war gerade wirklich nicht nach fester Nahrung und wenn Arthur schon von „Gesellschaft leisten“ sprach, fühlte sich Eames als würde er Almosen bekommen. Darauf konnte er gut und gern verzichten. »Ich bleib einfach hier.«, ein unfreundliches Lächeln flog über seine Züge. »Du wolltest mich doch heute Abend so wie so rauswerfen, oder?« Schmerz machte ihn unhöflich, aber er war sich ziemlich sicher, dass es nicht nur das war. Irgendwie war das auch einfach er. Lately it's hard to let you know that I'll never learn I am explosive and volatile, I'm on the turn… (https://youtu.be/f6WB_3sEq64) *Arthur* Doch schon so lange?! Arthur war überrascht. Aber gut, ihm konnte es recht sein. Dann wussten die beiden offenbar, worauf sie sich miteinander einließen und es funktionierte. Mit einem etwas missbilligenden Blick sah er dem Briten dabei zu, wie er seine Medikamente nahm. Er biss sich auf die Unterlippe, bevor ihm etwas herausrutschte, was jener sicher falsch verstand. Dass Eames sich damit kaputtmachte, war ihm sicher klar. Aber es ging ihn letztlich nichts an – außer es betraf die Arbeit. Und da es hier um Eames Wohlergehen ging, musste jener selbst verantworten, wenn er irgendwann kollabierte. Noch etwas stieß ihm auf: er bot ihm an, was mit ihm zu trinken, aber offenbar war die Minibar verlockender. Nun, ihm konnte es recht sein. Musste er die Visage nicht den ganzen Abend ertragen, Idiot! Die nächsten Worte bestätigten das Desinteresse an seiner Gesellschaft. So what… Er ging in Richtung Tür. »Ich bleib einfach hier.« Arthur stutzte. Dieses Lächeln… was sollte das denn jetzt wieder bedeuten?! »Du wolltest mich doch heute Abend so wie so rauswerfen, oder?« Seine Mine verfinsterte sich. Wenn Eames nichts gesagt hätte, wäre es ihm doch letztlich egal gewesen. Besser jener schlief bei ihm, als sonst wo… Wobei er zugegebenermaßen nicht darüber nachgedacht hatte, dass jener hier bleiben könnte. Wieso auch? Und doch wurmte es ihn, dass er das Thema anschnitt. „Ganz recht!“, sagte er zuckersüß. „Das Problem ist ja nur, dass meine ganze Wohnung mit deinem Zeug zugemüllt ist.“ Gelassen zog er sich seinen Mantel an. „Und um an meinen Ersatzschlüssel zu kommen, müsste ich dir vermutlich an die Wäsche. Also hatte ich mich eigentlich damit abgefunden, dass du morgen irgendwann bei mir aufschlägst. Allerdings kann ich dir gerne deine Sachen noch vorbeischicken. Vielleicht hast du ja noch mehr von Yusufs Wunderpillen in deinem Koffer, die du dringend brauchst. Möchte dir ja nicht im Weg stehen, wenn du dich langsam aber sicher kaputt machst.“ Er richtete sich den Kragen des Mantels und griff nach seinem Koffer. Zeit hier zu gehen! Definitiv! *Eames* Da spielte es wieder; das alte Lied. Er hatte ein furchterregendes Talent, schöne Dinge in Scheiße zu verwandeln. „Ganz recht!“ Oh, dieser Ton konnte nichts gutes bedeuten, das war Eames sofort klar. Er spürte bereits, wie es sich zwischen ihnen abkühlte. So schnell kam man von Wut über Leidenschaft über echte Intimität zu Eiseskälte. So in der Art sah wahrscheinlich seine persönliche Hölle aus; Arthur hatte sich anscheinend einen grotesken Platz darin erspielt. Er wollte nicht im Weg stehen, während er sich kaputt machte? War da doch so etwas wie Sorge, hinter dem verletzten Stolz? Erschreckend wie leicht sie aufeinander losgingen... wie fragil ein bisschen Frieden sein konnte. Und doch sah Eames nicht schwarz, trotz des unangenehmen Ziehens, dass sich durch seine rechte Körperhälfte zog wie ein heißer Draht. »Wenn ich mich richtig erinnere, warst du der Letzte, der auf mich eingeschlagen hat, darling.« Ein unnötiger Kommentar. Dieses Spielchen könnten sie ewig weiter spielen, schließlich war nicht ganz auszuschließen, dass er ein paar der Schläge verdient hatte. Außerdem rechtfertigte das sicher nicht seinen unvorsichtigen Mischkonsum. »Tz«, ein abfälliges Zischen. Wenn er „sich selbst kaputt machte“ - er war vielleicht hier und da unvorsichtig, aber er würde sicherlich nicht sang- und klanglos den Löffel abgeben. Immerhin war er nicht irgendein Typ... »Mach dir keine Sorgen. Kümmern wir uns lieber um den Job.« War er jetzt übermütig, arrogant oder dramatisch? Wahrscheinlich ein bisschen von allem. »Wir sehen uns morgen bei dir.« Natürlich würde er den Schlüssel behalten, auch wenn er Arthur in diesem Augenblick gern aus einem Affekt heraus das bescheuerte Ding um die Ohren geschmissen hätte. Allein wegen diesem ungerechtfertigten Vorwurfs. Aber er brauchte diese Brücke... er brauchte die Verbindung zu Arthur, bevor sie wieder einriss und er nie wieder eine Chance bekommen würde. *Arthur* »Wenn ich mich richtig erinnere, warst du der Letzte, der auf mich eingeschlagen hast, darling.« Arthur blickte einen Moment Eames erstaunt an. Das konnte jetzt nicht sein Ernst sein, oder?! Er hatte in der Tat ein schlechtes Gewissen deswegen, aber er hatte auch allen Grund dazu gehabt, seine Wut an ihm auszulassen. Der Moment des Erstaunens schwand jedoch schnell wieder, bis er den Mund schloss und seine Miene sich versteinerte. Die nun folgenden Worte plätscherten dahin. keine Sorgen bla bla blubb Job bla bla bla morgen bei dir Andere Worte drängten sich ihm viel präsenter auf: “Gib mir eine Chance!“ ‚Wozu? Um mich immer wieder demütigen zu lassen? Damit du dein Ego immer wieder auf meine Kosten aufwerten kannst? Damit du auf mir herumtrampeln kannst, wie es dir passt?‘ Arthur griff nach der Türklinke und wollte gehen, dann verharrte er noch kurz. „Für die Schläge habe ich mich bereits entschuldigt.“ Nichts anderes hatte das „Es tut mir leid,… dass ich dich verletzt habe!“ bedeutet – das und nichts Anderes. „Ich weiß nicht, wie lange ich morgen unterwegs bin. Ich melde mich, dann treffen wir uns – oder auch erst übermorgen.“ Damit verließ er das Zimmer. Er hatte an diesem Tag, in diesen beschissenen 24Stunden einen entscheidenden Fehler begangen, einen riesigen Fehler. Wie hatte er nur so emotional werden können?! Wie hatte er nur so angreifbar werden können?! Eames würde sich nie ändern und durch das Leben trampeln wie KingKong. Das ist ja das faszinierende an Kakerlaken: egal wie oft man sie das Klo runter spült, sie schaffen es immer wieder die Schüssel hochzuklettern. Ja, er war ungerecht, aber im Moment fühlte er das genau so. *Eames* Eames sah schweigend zu, wie Arthur verschwand. Die Pulle noch immer in der Hand, den Verschluss hatte er nur lose zugedreht. Morgen, übermorgen... wie auch immer. Es spielte keine große Rolle mehr. The damage was done. Die Leere, die mit Arthurs unschönem Abgang einherging, war erdrückend und schmerzte mehr als er gedacht hätte. Mehr als seine gebrochenen Rippen. Leider hatte er gegen so einen Schmerz keine passende Medizin (jedenfalls nicht, wenn er in vier Stunden fit sein musste). Er zog sein Handy aus der Hosentasche und überlegte angestrengt, ob er Arthur eine Nachricht schreiben sollte. Ob es irgendetwas gab, das die Sache zwischen ihnen wieder besser machen könnte. Aber so verfahren, wie sie waren; so stur und stolz; gab es im Augenblick wahrscheinlich nichts, was sie wieder vereinen könnte. Erst recht nicht, wenn noch so viel zwischen ihnen ungeklärt war. Also konzentrierte sich Eames auf den Job. Er ließ sich den Zimmerservice kommen, aß zu Abend, schlief noch ein paar Stunden und machte sich dann daran Henry Foster nachzustellen. Nach dem Powernap fühlte er sich tatsächlich nicht mehr ganz so fertig; der Schmerz hielt sich auch in Grenzen. Hätten sie sich in diesem Augenblick verabschiedet wäre die Situation wahrscheinlich gänzlich anders ausgegangen. Er erinnerte sich nur zu gern an die müden, sanften Blicke, als Arthur neben ihm auf dem Bett gelegen hatte. Frieden fanden sie wohl nur im Schlaf... Er ließ sich ein paar Hygieneartikel von den Servicekräften besorgen, Dusche, machte sich so schick er konnte, schrubbte die verdammten, schiefen Zähne und verließ das Hotel, um sich noch eine Verkleidung für den Abend zu besorgen. Sein Plan war natürlich nicht mit Arthur abgesprochen, weil er befürchtete, dass es eher weniger Zustimmung dafür gegeben hätte. Aber für andere Ideen hatte er leider keine Zeit. Falsche Zähne, Hut, Brille und eine Ammi-Schnauze pflegen, et voila. Was sollte schief gehen? Der Abend verlief schlussendlich nicht, wie erwartet, aber das konnte Eames nicht aus der Bahn werfen. Es brachte ihn sogar nach vorn und schlussendlich saß er mit Henry Foster an einem Tisch, trank Bier und sinnierte über Football und die scheiß Demokraten und noch einiges mehr... Kapitel 21: Let it die ---------------------- *Arthur* Seine Wohnung fühlte sich ungewohnt leer an. Der Point Man ging in die Küche, holte sich ein Bier, rauchte auf dem Balkon eine Zigarette. Bleierne Schwere lag auf ihm, eine ungewohnte Antriebslosigkeit. Die Zeichnung, die er für Sebastian angefertigt hatte, war detailgetreu gewesen und der Bastler hatte viele Fragen gestellt. Er war zuversichtlich, dass er etwas Vergleichbares hinbekommen würde, es würde aber ein paar Tage dauern. Sie hatten noch 6Tage für diesen Job. Dann musste alles passen. Doch die Zweifel daran, dass es funktionieren würde, wichen kaum. Zumal er sich vorhin bei dem Gedanken erwischt hatte, dass es ihm auch wirklich egal sein könnte, ob der Job klappte, oder eben nicht. Es war nur ein kurzer Moment gewesen, aber er war da. Genauso kurz, wie der Gedanke mittags dagewesen war, dass er Eames wirklich eine Chance geben sollte. Sein Magen meldete sich vehement, als er zurück in die Küche kam. Er holte sich einen Joghurt, blickte zur Theke. Die Bilder des Mittags kamen in ihm hoch, Bilder, die er lieber vergessen sollte, Gefühle, die er besser vergessen sollte, Gedanken, die er besser vergessen sollte. Mit seinem Bier und dem Joghurt kehrte er der Küche den Rücken, ging zu seiner Anlage und legte „Let it die“ von Leslie Feist in Dauerschleife ein. Nicht ganz passend, aber doch annähernd. Don't you wish that we could forget that kiss? And see this for what it is That we're not in love (https://youtu.be/2D-BL62dreo) Die klare Stimme der Sängerin erfüllte die Wohnung, während Arthur ins Arbeitszimmer ging. Wie hatte er gesagt: Kümmern wir uns um den Job! Er arbeitete noch eine geraume Weile daran, alle Informationen zu verwerten, die er an diesem Tag gesammelt hatte. Auch die Architektur des Traums glich er an alle Ergebnisse an. Er würde den Job so gut machen, wie es in der kurzen Zeit möglich war. Dann war er Eames wieder los. Als er später noch duschen ging, fiel sein Blick auf das Duschgel, die Zahnbürste. Eigentlich hatte er beim Verlassen des Hotelzimmers den Plan gefasst, all das wirklich einzupacken Unding vor die Tür zu stellen. Aber es wäre albern in gewisser Weise. Er würde schon damit klarkommen, wenn Eames hier war. Er sollte nur alle Situationen vermeiden, in denen jener ihm wieder zu nah auf die Pelle rücken könnte. Müde kehrte er ins Wohnzimmer zurück. Das Bettzeug lag noch auf einem Sessel und erinnerte ihn an die Ruhe, die er vorhin gespürt hatte, als er für die paar Minuten eingenickt war. Eames würde erst morgen wieder hier sein, vielleicht erst übermorgen. Er löschte die Lichter, machte die Anlage aus und nahm sich Decke und Kissen mit in sein Bett. Der unverkennbare Geruch nach dem anderen umarmte ihn und ließ ihn binnen weniger Minuten einschlafen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Mit gemischten Gefühlen setzte er sich in den Wagen. Er wusste nicht so genau, ob ihn das nun weitergebracht hatte, oder nicht. Es war ein durchaus interessanter Tag gewesen, der eine unerwartet heftige Vermutung hinsichtlich der Hintergründe von Emanuel Jobs bewirkte. Aber wie sie das benutzen konnten, war ihm nicht klar. Er war schon um 7Uhr aufgewacht, nachdem er das Gefühl hatte, alles dafür tun zu wollen, Eames auf keinem Fall zu begegnen. Und was wusste er schon, wie lange er wegen diesem Foster unterwegs sein würde. Letztlich zog er sich eilig an, packte Laptop und Notiz-/Skizzenbuch (er hatte für jeden Job ein eigenes) ein und fuhr bereits um 8:30 auf der Interstate 95 in Richtung Philadelphia. Das Anwesen war schnell gefunden, es war herrschaftlich, sicher aus einer Zeit stammend, in der soziale Gerechtigkeit deutlich kleiner geschrieben wurde als heute. Das Haus war von einem großen Garten umgeben und einer hohen Mauer, einem eisernen Tor, das videoüberwacht wurde. Arthur war in der Siedlung spazieren gegangen. Warum es immer ältere Damen waren, die ihn ansprachen, lag vermutlich an seinem Auftreten. Es störte ihn nicht, schließlich hatte er damit genau die, die alles beobachteten und gerne redeten. Mrs. Brown war eine solche Ausgabe von „Nachbarin“, die ihm freundlich Auskunft über das schöne Haus mit der schrecklichen Familiengeschichte gab. Arthur erfuhr so immerhin, dass die Eltern bei einem tragischen Autounfall während eines Blizzards gestorben waren. Der Wagen war bei heftigem Schneefall von der spiegelglatten Fahrbahn abgekommen und hatte sich mehrmals überschlagen. Nur die Kinder hatten überlebt, damals war Emanuel aber bereits 18 gewesen und hatte sein Abschlussjahr, um danach ans College zu gehen. Giulia Jobs war damals erst 15 gewesen, eine Schönheit, beliebt – nach dem Unfall ein Schatten ihrer selbst. Sie ist nie wieder aus der Starre erwacht, obwohl ihr Bruder sie ja gerettet hatte und mit ihr aus dem Auto gekrochen war. Arthur war sich sicher, dass die Schneekugel als Erinnerung an eben dieses Ereignis fungierte. Aber was hatte es damit auf sich? Antworten würde er nur bekommen, wenn er mit Leuten direkt aus der Familie sprach. Er verabschiedete sich und fuhr zu der High School, an der laut der Nachbarin die Kinder gewesen waren. In der Bibliothek fand er die entsprechenden Jahrbücher mit den entsprechenden Namen, auch ein Artikel über das tragische Ereignis. Arthur blätterte zu Giulias Klasse später auch zum Abschlussjahrgang, prägte sich die Gesichter ein, suchte bei Facebook nach Informationen und wurde schließlich fündig. Vielleicht würden Namen von Klassenkameraden von Emanuel noch irgendwie hilfreich sein können. Dann las er die Zeitungsartikel durch, die über den Unfall in den Archiven zu finden waren. Offenbar hatte es Ermittlungen gegeben, weil es zu Unklarheiten gekommen war. Zum einen, weil es so wirkte, als seien beide Elternteile nicht angeschnallt gewesen, zum anderen, weil die Obduktion nicht klären konnte, ob der Unfall tödlich gewesen war oder die Kälte. Im Falle letzteren Szenarios hätte der Sohn also Hilfestellung bei den eigenen Eltern unterlassen. Arthur ging die Akte durch, die er gestern angefangen hatte zu lesen. Ein Pflegeheim wurde darin erwähnt, ein Anwalt, der im Interesse von Emanuel das Erbe vollzogen hatte. Offenbar lebte die Schwester in dem Haus, das ohne Kosten und Mühe zu sparen auf Vordermann gehalten wurde, auch wenn er selbst nie oder nur selten da war. Sie wurde von eben jenem Heim psychologisch betreut und sie hatte eigene Angestellte. Über die Schwester im Speziellen fand er im Netz nichts, nicht die leiseste Information – kein Twitter, kein Facebook, nichts. So als existiere sie nur auf dem Papier. Tatsächlich gelang es ihm, ins Haus zu kommen. Er gab sich als Architekt aus, der für eine Doktorarbeit nach passenden Anschauungsbeispielen für Herrenhäuser aus dem 19. Jahrhundert suche. Er wurde eingelassen und sogar herumgeführt. Er durfte sogar fotografieren – allein Giulia sah er nur einmal aus weiter Ferne. Sie wirkte vollkommen isoliert und unnahbar. Was auch immer damals geschehen war, es saß tief in ihr. Das Personal blockte ab, wenn er Fragen über die Eigentümer stellte. Kapitel 22: Spiel mir das Lied vom Tod -------------------------------------- *Eames* Nach einem Frühstück beim Mexikaner und einem Besuch bei Yusuf, kehrte Eames endlich wieder zurück zu Arthurs Wohnung. Zugegebenermaßen hatte er es etwas herausgezögert, da er Arthur nicht noch am Morgen begegnen wollte. Nicht nach ihrer schrecklichen Verabschiedung. Wenn er jetzt betrunken und stinkend bei ihm auftaucht, hatten sie sicherlich kein gutes Gespräch. Er duschte ausgiebig, machte sich nicht die Mühe, sich großartig anzuziehen (Shorts und Shirt) und wollte dann einfach nur auf der Couch liegen und schlafen für die nächsten sechs Stunden. Auf der Suche nach einer Decke, schlenderte er in Arthurs Schlafzimmer. Kurz überlegte er sich in das große, gemütliche Bett zu legen und dort den Schlaf der Gerechten zu schlafen. Aber das war zu früh. Irgendwo mussten sie ja wieder anknüpfen und er wusste, dass es Arthur sauer machen würde, wenn er einfach so in seinen heiligen Kissen lag. Es stresste ihn ja schon, dass er in seiner Wohnung war. Er warf noch einen Blick auf die Uhr im Arbeitszimmer, die noch immer seine Uhrzeit anzeigte. Immerhin das. Er schnappte sich „seine“ Decke aus Arthurs Bett und eins von Arthurs gemütlichen, großen Kissen, um sich damit auf der Couch auszustrecken. Mit den Restpromille im Blut vergaß er jedoch sich einen Wecker zu stellen... dumm gelaufen. *Arthur* Als Arthur seine Wohnung betrat merkte er schon daran, dass das Sicherheitsschloss nicht geschlossen war, dass Eames da gewesen sein musste oder noch da war. Es war früher Abend, aber es war bereits dunkel draußen. Auch in der Wohnung brannte kein Licht, erst im Wohnzimmer die kleine Lampe neben dem Sofa - das Sofa, auf dem Eames lag und schlief, halbnackt offenbar, denn ein Bein schaute unter der Decke hervor. Na da fühlte sich wohl jemand wohl! Nett! So sah also „um den Job kümmern" bei ihm aus… Arthur spürte Unmut aufkommen. Nun, vermutlich hatte Eames die Nacht durchgemacht, verständlich, dass er müde war. Und doch ärgerte es ihn irgendwie. Zumindest bis er einen Moment stutze und die Decke wirklich wahrnahm. Er spürte Nervosität in sich aufsteigen. Hatte er die Sachen wieder aufgeräumt? Oder hatte er das heute Morgen gar vergessen? Er wusste es nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen. Nun, offenbar hatte sich der andere bedient und sich zurückgeholt, was ihm gehörte – bis auf das Kissen, das farblich ja gar nicht dazu passte. Aber so etwas fiel Eames sicher nicht auf. Einen Moment blieb er unschlüssig stehen, was er machen sollte. Ein wenig Ruhe würde eigentlich noch gut tun. Letztlich hatten sie aber wenig Zeit. Er ging zu seiner Anlage hinüber, legte eine CD ein: Ennio Morricone „Spiel mir das Lied vom Tod“ Dann ging er in sein Arbeitszimmer und begann seine Sachen zu sortieren. Lange würde Eames sicher nicht mehr schlafen. Und vielleicht fand er dann ja den Weg zu ihm. *Eames* Ein schriller Klang holte ihn aus der tiefen Schwärze zurück. Das Licht brannte im Wohnzimmer, aber draußen schien es bereits dunkel zu sein. Er richtete sich auf, sein Rücken schmerzte und seine Rippen gaben auch Laut... er würde sich noch freiwillig die Kugel geben, wenn das so weiter ging. Das Lied vom Tod – na herzlichen Dank. Er achtete nicht sonderlich auf sich, aber im Innersten war Eames ehrlich davon überzeugt, unzerstörbar zu sein. Also keine große Sache. Bevor er wieder gemein wurde, schluckte er schnell eine Tablette, diesmal mit Wasser. Arthur war nicht in der Küche. Das bedeutete dann wohl, dass er bereits (oder wieder) am Arbeiten war. Er zog sich eine Hose an und schlich durch das dimmrig beleuchtete Schlafzimmer. Ihm war schlecht vom langen Schlafen, aber wahrscheinlich würde sein Körper es ihm später danken, dass er sich diese Auszeit genommen hatte. Er musste schnell regenerieren. »Hello stranger«, begrüßte er ihn und blieb (wie die letzten Male) erst einmal in der Tür stehen. Mit der Schulter an den Türrahmen gelehnt und die Hände in den Hosentaschen versunken. Noch einmal huschte sein Blick zur Uhr herüber, als wollte er sich vergewissern, dass sie noch nicht geschiedene Leute waren. Sie stand noch immer bei Mombasa. »Wie war dein Ausflug?«, fragte er schließlich vorsichtig, dann räusperte er sich. Seine Stimme war noch immer rau und belegt vom Schlaf und dem ganzen Whiskey. (https://youtu.be/Y4Y9TO3X5WM) *Arthur* Vermutlich könnte Eames gerade sagen, was er wollte, Arthur würde es in den falschen Hals bekommen. Das wurde ihm bereits bei der Begrüßung bewusst. Fremder? War er das? Oder hatte das nur mit seiner Musikauswahl zu tun? Er blickte kurz hinüber zur Tür und war überrascht, dass Eames sich nicht zu trauen schien, hereinzukommen. Immerhin schien ihm bewusst zu sein, dass er von seinem Verhalten nicht begeistert war. Und: immerhin hatte er eine Hose angezogen. Noch schlimmer wurde es bei dem Wort ‚Ausflug‘. Er atmete tief ein. Als ob er mit dem Kindergarten im Zoo gewesen wäre...! Und dann war da noch diese Stimme, die auf ähnliche Weise gestern in seinen Nacken geraunt hatte. Arthur schwieg einen Moment, wog sein Verhalten ab. Einfach nur arbeiten, einfach nur an den Job denken… Professionalität wahren! „Komm rein“, sagte er dann mürrisch. Er zog einen Hocker unter dem Schreibtisch hervor und deutete Eames, sich zu setzen. Dann drehte er das MacBook, auf dem die Fotos hochgeladen waren. „Seine Schwester scheint sich aus dem normalen Leben zurückgezogen zu haben“, begann er die Informationen mit Eames zu teilen, während er ihm die Bilder zeigte. „Aber ich bin unschlüssig wieso.“ Er begann die Geschichte darzulegen, sofern er sie kannte. „Entweder sie ist psychisch instabil wegen des Todes ihrer Eltern - oder weil sie weiß, dass ihr Bruder ein Mörder ist“, schloss er schließlich und blickte Eames nun musternd an. „Und bei dir? Was hat dir Foster verraten?“ *Eames* Jeder Vollidiot hätte verstanden, dass Arthur noch immer sauer auf ihn war. Ein kleines, sadistischen Teufelchen saß auf Eames Schulter und ermunterte ihn dazu, ihn noch ein wenig zu provozieren. Einfach nur um zu zusehen, wie er an die Decke ging. Nicht jetzt, ermahnte er sich jedoch. Frieden... einfach nur Frieden für heute Abend. Wie schwer konnte das schon sein?! Er setzte sich zu ihm und schaute sich die Bilder an. Er pfiff beeindruckt wegen des schicken Anwesens, aber auch wegen Arthurs penibler Kleinarbeit. Er kam jedoch nicht ganz umhin, immer wieder Arthurs Profil zu betrachten, während er ihm ein paar Sachen zeigte und erzählte. Die angestrengten Kiefer, der gestraffte Hals... er war wirklich wütend und Eames war irgendwie schockiert, dass ihn bei so einem Anblick kaum ein schlechtes Gewissen befiel. Er schob es mal auf die Tabletten. Morgen konnte er sich immer noch schlecht fühlen. »Ein Killer mit verstörter Schwester, hm?«, kommentierte er und sah nachdenklich auf den Bildschirm vor sich. »Darüber würde ich nachher gern mehr hören. Bei mir und Foster war es... wir hatten eine Menge Spaß«, begann er nun über seine Arbeit zu sprechen. »Aber ich will dich nicht mit langweiligen Details über sein Leben nerven. Wichtig ist: ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Chip nicht hat. Dass Marx ihn hat, ist noch unwahrscheinlicher, da Jobs ihn noch weniger kennt und vertraut, als Foster. Er trägt ihn also entweder selbst mit sich herum oder hat ihn irgendwo versteckt.« Womit wir wieder beim Aktenkoffer wären. Die Theorie wurde immer einleuchtender. »Ich habe einen Blick in seine Chatverläufe werfen können; ein paar Sachen könnten vielleicht auf Traumlevel nützlich werden. Und ich habe einen Sender an seinen Handyakku anbringen können. Und ihn um 200 Dollar erleichtert. Eigenartig, dass so ein Prolet, nicht mehr dabei hat, tz!« * Arthur* Arthurs Laune hob sich kein bisschen, während Eames ihm von Spaß, Details über sein Leben und 200$ erzählte. Er sah die beiden quasi vor sich, wie sie sich in der Kneipe betranken und Eames - nachdem er ihm das Handy entwendet und manipuliert hatte - noch die Dreistigkeit besaß, ihm den letzten Knopf abzunehmen. Als ob das nicht ein ungeheures Risiko bedeuten könnte, wenn dieser Foster Eames so deutlich auf dem Schirm hatte!! Etwas ungläubig blickte er ihn einen Moment an, als Eames endete. Nun, immerhin wussten sie nun, dass es ein Versteck geben musste. Die Wanze würde er später anzapfen. Vielleicht erhielten sie darüber noch mehr Informationen. „Klingt ja total toll“, sagte er schließlich langgezogen, sarkastisch. „Easy going - sozusagen.“ Er blickte wieder auf den Bildschirm. Sein Tag kam ihm gerade wie verschwendete Zeit vor. „Der Vater hatte eine Firma für Export und Import. Ich vermute der Sohn sollte die Firma übernehmen“, begann er seinen Bericht fortzusetzen. Irgendwie musste er sich ja ablenken. „Die Firma ist ein Jahr nach dem Tod lukrativ verkauft worden. Jobs hat dann internationale BWL studiert. Mir fehlt der Grund, warum er seine Eltern hätte umbringen sollen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich denke der Tag in Philadelphia war für die Katz. Ich bräuchte länger, um ein Szenario in der Richtung zu kreieren. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir haben.“ Er deutete auf die Pinnwand. *Eames* Der ganze Sarkasmus war schon fast unterhaltsam, aber er hütete sich allzu sehr auf den Zug aufzuspringen. Noch einen Streit überlebte ihr zerbrechliches Verhältnis heute Abend vielleicht nicht. »Hmm«, machte er nachdenklich, als Arthur weiteres berichtete. Ja, warum sollte dieser stronzo seine Eltern ermorden? Vielleicht wollte er unter keinen Umständen in die Fußstapfen seines Vaters treten und sah keinen anderen Ausweg? Sein Blick blieb am Bildschirm heften, seine Stirn lag in nachdenklichen Falten. »Vielleicht ist es zu wenig, um ein ganzes Szenario zu erschaffen. Aber wir wollen hier keine Inception starten. Jobs ist ein über die Maße strukturierter Mann«, begann er und setzte sich etwas gemütlicher auf den Hocker - so gemütlich es eben ging. Er merkte, wie sein Geist wacher wurde und die Schmerztabletten zu wirken begannen. Auch der kleine Teufel auf seiner Schulter beruhigte sich und forderte nur noch leise nach Provokation. Arbeitsmodus eingeschaltet. »Laut Foster ist er gruselig genau, flexibel und kaum aus der Ruhe zu bringen. Wir müssen ihn aus seiner Comfort-Zone locken. Vielleicht reichen dazu ein oder zwei prekäre Informationen. Wie heißt die Schwester?« *Arthur* Offenbar schien Eames wieder seinen Verstand eingeschaltet zu haben. Und offenbar war es ihm wichtig, dass sie zusammenarbeiten würden, denn er ging auf Arthurs Sticheleien nicht ein. Schade eigentlich - so bekam er keinen Grund, ihn vor die Tür zu setzen. Andererseits konnte es ihm aber ja auch nur recht sein, dass sie sich auf den Job konzentrierten. Half ja nix! Als Eames seine Gedanken aussprach, nickte Arthur nachdenklich. Für ein Szenario war es zu wenig, nicht aber um jemanden zu irritieren. Schließlich war ein Vorwurf des Mordes grundsätzlich etwas, was jemanden aus der Ruhe bringen konnte. „Sie heißt Giulia.“ Er klickte zu einem Bild, das sie aus der Ferne zeigte. Darauf sitzt sie auf der Terrasse und streichelt einen Hund auf ihrem Schoß, während sie in die Ferne starrt. „Vielleicht sollten wir aus dem Einbrecher jemanden machen, der ihn des Mordes überführen will. Zumindest dann, wenn er sonst nichts unternimmt, um die Festplatte in Sicherheit zu bringen“, griff er Eames‘ Gedanken auf. „Oder Foster erhält auf Traumebeneinen Anruf, dass seine Schwester gefangen gehalten werde und eine entsprechende Summe gefordert wird. Dann muss er auf seine Codes zugreifen. Man könnte da auch andeuten, dass man Informationen habe, die den Unfall beträfen.“ Arthur hatte sich zurückgelehnt und blickte Eames nachdenklich an. „Meinst du, er hat auch persönliche Daten auf dem Chip?“ *Eames* Armes Ding – dachte er, als er Giulia im Rollstuhl betrachtete und schalt sich eine Sekunde später selbst für die Heuchelei. An schweren Schicksalen hatte er bereits zu viel gesehen, um dabei noch irgendetwas zu empfinden. Er nickte. Erstaunlich, dass der Plan bereits weitesgehend stand. Ein bisschen Improvisation für den Ernstfall wollte er sich nicht nehmen lassen, aber je mehr feststand, umso besser für die Durchführung. Erst recht, wenn Arthur involviert war. »Persönliche Daten? Zum Beispiel?«, er lächelte irritiert. Interessierte Arthur sich etwas wirklich für diesen Kerl und seine ach so bemitleidenswerte Schwester? Vielleicht dachte er dabei an Enya, aber selbst das wirkte irgendwie unrealistisch auf Eames. »Nun ja, undenkbar ist es nicht«, gestand er zu. »Aber was willst du mit den Daten?« *Arthur* Keine klare Aussage zu bekommen, für welche Variante Eames war, irritierte Arthur einen Moment. Aber vermutlich würde sich dieser ohnehin nicht komplett entscheiden, vermutlich musste er seinen Kopf für diese Entscheidungen hinhalten. Nun, letztlich hatten sie Arbeitshypothesen und damit könnten sie erstmal weitermachen. Eames‘ Irritation konnte Arthur zunächst nicht verstehen. Als jener fragte, was er mit den Daten wolle, runzelte er kurz die Stirn. Dann musste er schmunzeln. „Heiraten“, antwortete er dann lapidar und rief das Foto von Emanuel Jobs auf, das er von Eames bekommen hatte. „Ist ja ne gute Partie, sieht gut aus, hat viel Kohle und du hast ja selbst festgestellt, dass unsere Neigung zur Ordnung sicher gut harmoniert.“ Er nickte nachdenklich. „Blöd nur, dass er vielleicht ein Mörder ist. Und bald keinen Job mehr hat.“ Arthur verdrehte die Augen, beugte sich vor und klickte wieder durch die Bilder des Tages. Dann erklärte er seinen Gedankengang: „Wenn er persönliche Daten zur Erbschaft oder sonst irgendwelche Sachen bezüglich seiner Schwester oder so drauf hat, wäre das Szenario, in dem die Schwester in den Fokus rückt, sicher noch besser geeignet.“ Er sah Eames einen Moment an, dann blickte er irritiert wieder zu den Bildern. Erneut klickte er sich durch die Fotos aus dem Haus. „Mir ist grad aufgefallen, dass im ganzen Haus kein einziges Familienfoto hängt“, murmelte er. „Hängt oder stellt man von Verstorbenen nicht etwas auf? Eine Erinnerung? Ein Foto? Irgendetwas?“ *Eames* Heiraten – sicher. Er lächelte zynisch und sah zu wie Arthur seine Ausführungen zu Ende brachte. Ein kleines, fieses Ziehen im Hinterkopf erinnerte ihn daran, wieso er eigentlich nie, niemals, Beziehungen einging. Für solche Albernheiten war er viel zu eifersüchtig. »Klar, ganz toller Plan. Behalten wir im Hinterkopf«, kommentierte er tonlos, nachdem Arthur seine Idee bezüglich des Schwestern-Szenarios beendet hatte und tippte sich dabei sinnbildlich gegen die Schläfe. „Hängt oder stellt man von Verstorbenen nicht etwas auf? Eine Erinnerung? Ein Foto? Irgendetwas?“ Wo Arthur es so erwähnte... Eames war wirklich kein Familienmensch und misste dementsprechend ein paar Erfahrungen. Aber was sein Point Man da äußerte klang logisch. »Anscheinend vermisst dort niemand Mommy und Daddy«, äußerte er nachdenklich. »Welche Art von Behinderung hat sie? Wäre sie in der Lage dazu Bilder aufzustellen, wenn sie wollte? Oder kommt das von ihrem Bruder?« Er griff nach der Maus und klickte selbst ein bisschen durch die Fotos. Suchte nach mehr Bildern mit Giulia. So langsam kam er auch auf den Zweig, dass das Verhältnis zu seiner Schwester extrem wichtig für eine gelungene Extraktion werden könnte. »Gibt es Daten darüber, wie oft er in Philadelphia ist?« *Arthur* Arthur musste nun doch schmunzeln, widmete sich dann aber den Bildern. Offenbar schienen die Eltern in diesem Haus nicht präsent zu sein. „Ich weiß es nicht“, erklärte er und überließ Eames etwas zögernd die Maus. „Ich war nicht nahe an ihr dran. Sie wirkt einfach nur völlig teilnahmslos. Vielleicht findet man Krankenhausakten oder irgendwas... Ich werde da noch versuchen, mehr herauszufinden.“ Er griff zu seinem Notizbuch und machte sich einen Vermerk. Dann blickte er wieder auf. „Laut dem Kalender ist er nie dort. Zumindest scheint es kein Termin zu sein, den er im Handy einträgt, obwohl er private Termine wie Zahnarzt etc. durchaus dort aufnimmt.“ Er blickte zur Pinnwand. „Ich werde noch mal schauen, aber ich glaube er hat manche Tage gesperrt für Termine, ohne klare Auskunft, wieso. Am Sonntag ist das auch der Fall. Ich könnte mir vorstellen, dass das die Fahrten nach Hause sind.“ Er blätterte in seinem Buch, in dem er neben den Notizen auch seine Zeichnungen machte. „Offenbar war er vor zwei Monaten zuletzt in New York. Ich werd dann mal überprüfen, ob die Termine hier immer auch mit blockierten zusammenfallen.“ Er streckte sich leicht. Vom Autofahren bekam er oft so verspannte Schultern. Und er brauchte was zu trinken. Bei dem Gedanken meldete sich auch sein Magen. Viel hatte er noch nicht zu sich genommen. Aber so richtig Hunger hatte er seit gestern eh nicht. *Eames* »Very well«, entgegnete er auf Arthurs Vorhaben. Irgendwie bewirkte das Gestrecke des Anderen auch, dass Eames in Pausen-Laune kam. Ausgetauscht hatten sie sich ja jetzt. Nun galt es weiter zu recherchieren, bevor der Plan endgültig stand. Er ließ die Maus los und betrachtete Arthur einen kurzen Moment nachdenklich. Versuchte abzuschätzen, ob er es wagen konnte, etwas zu sagen, ohne sich die Finger zu verbrennen. »Wo wir das jetzt geklärt haben...«, begann er und befeuchtete seine Unterlippe, wartete kurz ab. »... Dinner? Ich koche und du kümmerst dich um bessere Musik? Enio Morricone gehört nicht gerade zu meinem Entspannungsprogramm.« *Arthur* Für Krankenhausakten und Medikamente-Verordnungen müsste er Jesse anhauen, weswegen er zum Handy griff, um diesem eine Nachricht zu schreiben. Wenn die Schwester das Trauma durchlitten hatte, dass nicht nur ihre Eltern gestorben waren, sondern auch der Bruder der Mörder eben dieser war, dann konnte das schon zu massiven Störungen führen. Aber Passivität? War man da nicht wütend oder aufgebracht? War man nicht sehr, sehr wütend, wenn man auch nur das Gefühl hatte, dass jemand am Tod eines geliebten Menschen Schuld trug? Er starrte einen Moment sein iPhone an, ohne sich zu rühren. Er hatte damals auch lange geschwiegen, fast ein ganzes Jahr. Die Wut brach erst viel später aus, als er mehr begriffen hatte, als er mehr hinterfragen konnte. Der Unfall der Familie Jobs war nun auch schon einige Jahre her und die Geschwister waren damals wesentlich älter gewesen, als er es gewesen war. Irgendwas war komisch an der ganzen Geschichte. Irgendwas…. Er schrieb die Nachricht an Jesse zu Ende. Sicher könnte das mehr Klarheit schaffen. Nach dem Absenden fiel sein Blick auf eine andere Nachricht. Er hatte seiner Mutter noch nicht geantwortet, ob er am 20. März. zu ihnen kommen würde. Für ihn war dieses Thema noch immer schwierig. Eames‘ Worte drangen zu ihm durch. „Ich koche und du kümmerst dich um bessere Musik? Ennio Morricone gehört nicht gerade zu meinem Entspannungsprogramm.“ Entspannungsprogramm? Aus den Gedanken gerissen blickte er Eames fragend an. Eames wollte für ihn kochen, wollte, dass sie sich entspannten? War das seine Art, sich zu entschuldigen? Und wenn ja, wollte er diese Entschuldigung annehmen? Er wusste es nicht. Dass jener wirklich ein schlechtes Gewissen hatte, war nicht vorstellbar. Aber zumindest schien er seine Wut wahrzunehmen. Der Abstand heute hatte ihm gut getan, von dieser ein wenig abzubauen. Vielleicht hatte er auf die Worte des anderen überreagiert. Eigentlich wusste er ja, dass Eames sprach, ohne wirklich nachzudenken, wie das bei anderen ankommen könnte. Aber das war auch genau das, wovor er Angst hatte. Jener hatte es geschafft, Dinge von ihm in Erfahrung zu bringen, die er niemandem anvertraute und mit denen er selbst nur bedingt umgehen konnte. War es da zu viel verlangt, ein gewisses Maß an Sensibilität zu verlangen? Bei Eames vermutlich schon. Das würde sich nie ändern. Und gleichzeitig waren da diese Gefühle, die dieser Idiot unbegreiflicher Weise in ihm auslöste. Leider wanderten seine Gedanken viel zu oft zu der Situation in der Küche. Und leider lösten genau diese Gedanken immer wieder diese seltsamen Gefühle in ihm aus. Arthur rieb sich über das Gesicht, atmete tief ein und merkte, dass sein Schweigen begann unangenehm zu werden. „Ich habe keinen besonders großen Hunger“, sagte er schließlich. „Und ich weiß auch nicht genau, ob ich etwas im Haus habe, mit dem du wirklich etwas Gutes kochen kannst. Aber diverse Telefonnummern von Lieferservices liegen draußen in der Kommode.“ Er stand auf und klappte das MacBook zu. Ein wenig Pause von der Arbeit war nicht verkehrt. Er fühlte sich erschöpft. „Ich kümmere mich um Musik und gehe dann noch duschen.“ Damit ließ er seinen Worten Taten folgen und ging ins Wohnzimmer zu seiner Anlage. Sein Blick glitt über die Reihen an CDs, die sich angesammelt hatten. Eigentlich bräuchte er ein neues Regal, aber er hatte keinen Platz dafür. Daher lagen vor den geordneten Reihen noch Stapel mit neuer erworbenen CDs. Entspannung… Hm. Er entschied sich für leichten Jazz. Nils Landgren und Joe Sample „Creole Love Call“ – ob es eine CD gab, auf der das Wort ‚Love‘ und alles, was dazu gehörte, nicht existierte? Er würde sie „Eames‘ CD“ taufen. Vielleicht sollte er sich selbst mal eine zusammenstellen. „Poison“ von Alice Cooper wäre passend, irgendwie… Mist, wieder ein Liebeslied. Er legte die CD ein und während er ins Schlafzimmer ging, begann der erste Song. „Get out of my life, woman You don't love me no more…“ Er mochte die CD, sie bereitete ihm eigentlich immer gute Laune, daher hörte er sie gern beim Arbeiten. Mit ein paar Klamotten, die bequemer waren, ging er ins Bad. Schon als er die Tür aufmachte, nahm ihn der Geruch nach Eames‘ Duschgel ein. Der würde hier vermutlich lange hängenbleiben, auch wenn Eames schon wieder in der Weltgeschichte unterwegs sein würde. Immerhin hatte er das Duschgel diesmal zu gemacht. Es war seltsamer den je, ihn so nah bei sich zu haben. Kapitel 23: With you in mind ---------------------------- *Eames* Get out of my life, woman – das war durchaus ein Statement. Er grinste, schüttelte den Kopf, als er den Lyrics zuhörte, während Arthur im Bad verschwand. Was für eine Diva. Sicher, sein Vorschlag sollte tatsächlich eine Art Wiedergutmachung sein; ein weiterer Versuch zu beweisen, dass er nicht nur ein ignorantes Arschloch war. Vor allem, da Arthur scheinbar angezweifelt hatte, dass er je ernstes Interesse an ihm gehabt hatte – das tat immer noch weh, wenn er ehrlich war. Auch wenn er sich gern einredete, dass ihn nichts aus der Bahn werfen konnte. Allerdings war alles was Arthur betraf irgendwie anders und das musste er sich irgendwann einfach eingestehen. Er durchblätterte ein paar der Lieferservice-Kataloge und entschied sich für den Äthiopier. Eins der wenigen Restaurants bei dem er noch nie gegessen hatte, aber wenn Arthur die Speisekarte des Ladens aufbewahrte, müsste wohl was Anständiges dabei sein. Außerdem hatte er Sehnsucht nach Kenia und die beiden Länder teilten ein paar Esstraditionen. Sicherheitshalber bestellte er eine Portion extra, nur für den Fall. Dann räumte er die Couch leer von Bettzeug, legte es halbwegs ordentlich zurück in Arthurs Bett. Die Whiskey-Auswahl bei Arthur war bescheiden, er mochte dieses Bushmills und Tullamore-Zeugs einfach nicht. Höchstens als Absacker. Also genehmigte er sich ein Bier aus dem Kühlschrank und ließ sich auf der Couch nieder. Die Creme zur Versorgung seiner gebrochenen Rippen hatte Arthur ihm gnädigerweise liegen gelassen. Das Zeug war gut, die Schwellung ging bereits zurück. In herrschaftlicher Altmännerpose hatte er sich mit einem Magazin in der Ecke der Couch niedergelassen und las eins der schrecklich langweiligen Architekturmagazine, die auf dem Beistelltisch lagen. »Wusstest du, dass es einen Architekten namens Charles Eames gab?« Er sah nicht auf, als Arthur aus dem Bad kam. Die unausgesprochenen Dinge standen wie ein fetter Elefant im Raum; kaum zu übersehen! Aber er ahnte, dass er bei Arthur gerade nicht weit kam, wenn er einfach los schoss. Ein wenig noch zügeln, vielleicht ein bis zwei Bier trinken (vielleicht bediente sich Arthur ja am Whiskey) und dann ganz langsam anklingen lassen, ob sie neben dem Job nochmal ihren persönlichen Scheiß regeln wollten. Soweit die Theorie. *Arthur* Wesentlich munterer kehrte er aus dem Bad zurück ins Wohnzimmer. Eames saß wie schon am ersten gemeinsamen Abend in seiner Wohnung auf seiner Seite der Couch. »Wusstest du, dass es einen Architekten namens Charles Eames gab?« Er hielt in der Bewegung inne, seine Hände glitten in die Jogginghose, die er angezogen hatte. Das etwas zu große Shirt fühlte sich seltsam an, wenn er nicht alleine zu Hause war. Unschlüssig blieb er stehen. Er wusste, dass Eames gerade das Angebot machte, ihm etwas Persönliches von ihm zu erzählen. Die Brücke kam ihm in den Sinn - aus zwei Richtungen gebaut. Er kaute auf seiner Unterlippe, betrachtete die Szene, die sich ihm bot. Hatte er zuvor lieber übersehen, dass das Sofa ein Chaos war, fiel ihm nun umso mehr auf, dass Eames die Sachen aufgeräumt hatte. Sein Blick glitt zum Sessel, auf dem die Sachen jedoch nicht angekommen waren. Also hatte er sie tatsächlich heute Morgen vergessen, aus seinem Bett heraus zu räumen. Aber das wurde wenigstens nicht thematisiert. Offenbar bemühte sich Eames wirklich, die Wogen glatt zu bügeln. So viel guter Wille ließ ihn fast schmunzeln. Doch dieses Schmunzeln ließ er lieber verschwinden, bevor er das Sofa umrundete und sich nun neben Eames setzte, so dass er ihm zugewandt war, einen Arm auf der Lehne des Sofas auflegen. "Nein, wusste ich nicht", log er. "Erzähl mir von ihm!" Es interessierte ihn, definitiv. – wenn es denn wirklich etwas mit Tom persönlich zu tun hatte. Seitdem sie in Eames' Traum in London waren noch viel mehr. "Wenn du möchtest...", fügte er dann aber dennoch hinzu. *Eames* Vielleicht war es die Jazz-Musik, die so eine stimmungsaufhellende Wirkung auf Arthur hatte. Vielleicht die Dusche... vielleicht die Kombination aus beidem. Tatsache war, dass er ein wenig Kratzbürstigkeit abgelegt hatte zu Gunsten eines sanften, leger gekleideten jungen Mannes. »Er hat mit seiner Frau den Lounge Chair erfunden. Dieses Genie!«, er hasste gehaltlose Gespräche mit vertrauten Personen. Diesen Bullshit hob er sich in der Regel für all die austauschbaren, manipulierbaren Fremden auf, die sein Leben tangierten. Er blätterte um und betrachtete beeindruckt die Abbildungen, die er Arthur anschließend zeigte. »Ein sogenanntes „Eames' House“« »So ein Häuschen, irgendwo in Norwegen... wo einen niemand findet...«, sinnierte er. Er war nicht der Typ, der sesshaft wurde, aber die Sehnsucht nach einer echten Familie, nach einem echten Ort – einem Zuhause – außerhalb seiner Träume, zu dem er zurückkehren konnte, schlich sich seit ein paar Jahren langsam bei ihm ein. Und Arthur war die Sonne in diesem System. »Was meinst du?« *Arthur* Der Schwarzhaarige nickte verstehend. Hm, wenn man so etwas ‚erfand‘ hatte man vermutlich für den Rest seines Lebens ausgesorgt. Dennoch war die Information nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nonsens letztlich, wenn man bedachte, dass er gehofft hatte, irgendwelche Informationen zu erhalten, die ihm Einblick geben würden, welche Geschichte sich hinter diesem Mann hier neben sich verbarg, der ihn sein Leben lang vermutlich immer beschäftigen würde. Aber vielleicht musste er geduldiger sein, so wie er es von Eames ja auch verlangt hatte. Dass er gerade dabei war, alle gestern von ihm aufgestellten Prinzipien über den Haufen zu schmeißen, merkte er gar nicht. Kryptonit ließ ihn eben immer wieder schwach werden, immer und immer wieder. Egal, was vorher geschehen war. Überrascht betrachtete er das Haus, das der andre ihm zeigte. Das Eames‘ Haus. Wunderschön, symmetrisch, in die Umgebung eingepasst, behaglich, waren wohl die Worte, die ihm dazu in den Sinn kamen – und sündhaft teuer. Aber definitiv wünschenswert. Vor seinem Inneren Auge könnte er durch die Räume wandeln und sah sie genau vor sich. »So ein Häuschen, irgendwo in Norwegen... wo einen niemand findet...« Arthur blickte auf und sah Thomas an. Hm, vielleicht war es gar nicht so sehr das, was dieser ihm mitteilte, sondern das, was er zwischen den Zeilen zu lesen glaubte zu können. Denn dass jener sich ganz offenbar nach einem Zuhause sehnte, an einem Ort, an dem ihn niemand finden konnte, sagte viel aus, ungewohnt viel und Überraschendes. Dem Bild, so wie er Eames vor 8Jahren kennengelernt hatte, als unruhigen Geist, der überall und nirgendwo war, schien das hier völlig zu widersprechen. Aber dennoch passte es zu den wenigen Momenten der vergangenen Tage, in denen er das Gefühl gehabt hatte, dass sich etwas bei Thomas veränderte. Der Blick auf den Central Park, die Kleidung, die er in seinem Traum getragen hatte - waren nur wenige Beispiele für diese Momente. »Was meinst du?« Ihre Blicke trafen sich und das Blau, das ihm so oft so undefiniert schien, war so klar, dass es ihn umso mehr in seinen Bann zog. Er schluckte, dachte über die Frage nach. „So ein Haus ist ein Traum“, sagte er leise. „Auch wenn ich nicht genau weiß, ob mir Norwegen nicht zu dunkel wäre…“ Er ließ den Blick sinken, er spürte, dass es ihn unsicher machte. Und doch brannte eine Frage noch auf seinen Lippen. „Wenn du sagst niemand…“, begann er zögerlich. „… schließt das mich mit ein?“ Er sah einen Moment wieder auf, wollte die Antwort sehen, auch wenn er keine ehrliche vermutlich zu hören bekommen würde. *Eames* Norwegen wäre ihm also zu dunkel. Und da hatte er durchaus einen Punkt. Eames erwischte sich wieder dabei, wie er sich eingestand, dass er selbst es nie im Leben in so einem Versteck im dunklen Wald aushalten würde – nicht ohne Sonne. So bezaubernd und friedlich es auch sein mochte. Es war einfach nicht das, was sein unruhiger Geist von ihm verlangte. Arthur konnte ihm Frieden geben, nicht für immer, aber immer wieder. Sie brauchten so einen Ort, aber noch mehr als das. Die Frage war so unerwartet, wie der direkte, schonungslose Blickkontakt. Letzterem hielt Eames stand, erwiderte ihn schließlich müde lächelnd. Arthur konnte nicht ernsthaft befürchten von ihm ausgeschlossen zu werden. Hatte er ihm nicht allzu deutlich gemacht, dass er ihm die Welt bedeutete? Sicher, er hatte seine eigene verkorkste Art und Weise, aber Mr Know-it-all war doch nicht auf den Kopf gefallen... »Natürlich nicht... Du bist der einzige Mensch, der mich wirklich kennt.« Der mich kennt und trotzdem nicht für immer vor die Tür setzt. Auch wenn Arthur es versucht hatte. Es war ihm nicht gelungen und das lag nicht allein an Eames Beharrlichkeit, sondern auch daran, dass Arthur ihn gar nicht wirklich loswerden wollte. Worte waren immerhin nicht alles was man deuten konnte. *Arthur* Arthur wusste in dem Moment, in dem er die Frage ausgesprochen hatte, dass es sein Verlangen nach Sicherheit war, das ihn veranlasste, eine solche Frage zu stellen. Er brauchte Sicherheit über all die Dinge, die so in seinem Kopf herumspukten und die er sich zwar erschließen konnte, aber nicht mit Bestimmtheit wusste. Bei Thomas wusste er diese Dinge eben nie mit 100%iger Sicherheit. So, wie er andere Dinge in seinem Leben nie mit Sicherheit würde wissen können. Vermutlich hoffte er deshalb auf eine Antwort. Und weil er tief in sich einfach diese Brücke wollte. »Natürlich nicht... Du bist der einzige Mensch, der mich wirklich kennt.« Diese Antwort überraschte ihn dann jedoch ziemlich, auch wenn er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. War das so? War er der einzige Mensch, der ihn wirklich kannte? Das würde bedeuten, dass er der Einzige wäre, dem er nichts vorspielen würde und könnte. Arthur war sich nicht sicher, ob er das so glauben konnte. Dennoch schlich sich der Gedanke ein, dass es vielleicht wirklich so war. Egal wie verworren die Situationen oft waren, wie unterschiedlich sie waren. Eames war so oft ehrlich zu ihm gewesen, hatte sich ihm ehrlich gezeigt, so oft. Aber er hatte es nicht wahrhaben wollen. Vermutlich aus Angst – aber das waren Ausreden. Im Grunde erkannte er ihn immer. Deswegen hatte er diese Wirkung auf ihn, deswegen kam er auch nie los von ihm. Deswegen ließ er ihn sein Kryptonit sein. Arthur ließ den Blick sinken. Er schluckte, betrachtete seine Hand, ohne sie wahrzunehmen. Ihm wurde bewusst, dass er diese Antwort hatte haben wollen, weil er der war, der nie wirklich ehrlich gewesen war. Zu sich, zu Thomas, zu vielen anderen Menschen. Es tut mir leid,… dass ich dich verletzt habe! Ob diese Worte schmerzhaft gewesen waren? Vermutlich – ihn hätten sie verletzt. Er atmete ein, blickte wieder auf das Haus. „Wie wäre es in Tennessee?“, fragte er ohne recht nachzudenken, um etwas zu sagen, und deutete auf das Bild. Ein Bundesstaat, der sie am ehesten an ihre Heimat erinnerte und wo es Orte gab, an denen sie auch niemand finden konnte. „Und du kommst mich immer mal wieder besuchen, während du in der Welt unterwegs bist?“ *Eames* Ihr Schweigen war diesmal nicht unangenehm, eher bedächtig, nahezu ehrfürchtig. Wahrscheinlich musste Arthur erst einmal verarbeiten, was er da von von sich gegeben hatte. Eames wurde sich selbst nur langsam über das Ausmaß seines Aussage klar, aber er bereute sie nicht. Er meinte jedes Wort so. »Tennessee?«, er grinste. Country-Musik und Republikaner waren das erste was ihm zu diesem Staat einfiel, aber Eames ahnte worauf Arthur hinaus wollte. In Tennessee würde sie auch niemand finden. „Und du kommst mich immer mal wieder besuchen, während du in der Welt unterwegs bist?“ Die Frage schmerzte ihn ein wenig. Eames meinte einen stillen Vorwurf mitschwingen zu hören und war sofort geplagt von Selbstzweifeln. Konnte er Arthur überhaupt ein Leben bieten, das sie beide glücklich machen würde? Von seinem krankhaften Egoismus abgesehen... schwer zu beantworten. »Du könntest einfach mitkommen«, begann er. Leider wurde er von der Türklingel unterbrochen. Arthur stand auf, als hätte er nur darauf gewartet von der Couch runter zu kommen. Eames war eher versucht gewesen das Klingeln zu ignorieren, damit sie ihr Gespräch ungestört weiter führen konnten... Er ließ Arthur zahlen, es gab noch genug Möglichkeiten sich zu revanchieren. Also ging er in die Küche und besorgte Arthur eine Flasche Bier und sich eine neue. »Die Hälfte ist für dich. Falls du nicht mehr zu wütend für Hunger bist.« *Arthur* „Oder wo auch immer...“, gestand er zu und musste lächeln. Es gab viele Orte, die man zu seiner Heimat machen könnte, an denen man untertauchen konnte. Dann, wenn alles andere passte. Letztlich sprachen sie von einem Wir, in das sich ihr fragiles ‚Etwas‘ nach und nach zu verwandeln schien. Ein Wir, das nur mit großen Abstrichen möglich wäre. Aber vielleicht gab es das dennoch irgendwann. Dann nämlich, wenn nichts mehr zwischen ihnen stand. Wenn aufgearbeitet war, was sie entzweit hatte. Dann, wenn sie ehrlich zueinander waren und sie sich einfach so akzeptieren konnten, wie sie waren. Ohne jedes Mal beleidigt zu sein, wenn der jeweils andere über die Strenge schlug. Nur dann würden sie das verzeihen können und den anderen bei der Hand nehmen können, um ihn aus dem Tief herauszuführen. Er hatte sich gefragt, ob er es könnte: Eames immer wieder ziehen zu lassen. Vermutlich konnte er das, wenn sie sich nicht mehr ständig gegenseitig und selbst belogen. »Du könntest einfach mitkommen.« Er sah auf und Thomas an. Noch bevor er etwas erwidern konnte, klingelte es und er stand auf, um den Lieferanten hochzulassen und zu bezahlen. Er könnte einfach mitkommen... Eine Zeit lang gewiss. So wie Thomas auch nur eine Zeit lang bei ihm sein könnte. Bis sie sich gestritten hätten wegen einer Kleinigkeit. Bis er wieder mehr Ordnung bräuchte und sie eine Auszeit voneinander. So seltsam das klang, so wahr war es. Und damit war es doch ok. Die Frage war nur, ob sie es schaffen würde, diesen Punkt zu erreichen. Diesen Punkt, an dem sie sich voreinander ausziehen würden - psychisch. Und danach endlich auch physisch. »Die Hälfte ist für dich. Falls du nicht mehr zu wütend für Hunger bist.« Arthurs Lächeln war vermutlich Antwort genug. Wenn er der war, der Thomas am besten kannte, dann war dieser es, der ihn am besten kannte. Der einzige, der ihn kannte. Der einzige, der ihn kennen wollte. Der einzige, der ihn kennen durfte. „Der Hunger kehrt langsam zurück“, entgegnete er und holte noch Besteck, bevor er ins Wohnzimmer zurückkehrte. Er hatte gar nicht nachgesehen, was es überhaupt gab, auch gar nicht recht darauf geachtet, wie der Lieferant ausgesehen hatte und woher er kam. Seine Gedanken waren an anderen Orten gewesen. Er stellte die Tüte auf den Couchtisch, legte das Besteck ab und holte das Essen heraus. Äthiopier hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Er bestellte da gerne, wenn er an Mombasa denken musste. Er breitete das Essen auf dem Tisch aus und betrachtete die Köstlichkeiten. Sambusa als Vorspeise, Rindfleisch mit Gemüse, Hähnchen, Lamm dazu den so typischen Frischkäse und das Fladenbrot. „Die Hälfte von allem und du bekommst mich heute nicht mehr vom Sofa.“ Er lächelte Eames an. „Aber probieren möchte ich gern von allem...“ Er zögerte kurz. Ihr Gespräch eben hatte gut getan, es war blöd gewesen, dass sie unterbrochen worden waren. „Muss ja wissen, was es so zu essen gibt, wenn ich dich mal begleite.“ Er griff zum Bier und trank einen Schluck. Auf der CD begann soeben ein neues Lied. „With you in mind, things just ain't bad as they seem With you in mind, I can fill my wildest dreams With you in mind, I can do anything, I know I can With you in mind... *Eames* „Der Hunger kehrt langsam zurück“ In der Übersetzung hieß das so viel wie: Ich bin bereit mich zu versöhnen. Er lachte über Arthurs Kommentar, dass er nicht mehr aufstehen könnte, wenn er die Hälfte aß. Sollte Eames nur Recht sein. Sie hatten beide mehr als genug gearbeitet, wozu sollten sie denn noch irgendetwas anderes tun, als essen und saufen? Eames besorgte ein paar Teller und Besteck und ließ sich wieder auf seinen beanspruchten Platz nieder. »In Mombasa essen wir, wie Könige. Die Stadt wird dir gefallen.« With you in mind, wirkte vielleicht schrecklich kitschig, aber wenn er Arthur so ansah und dem Text mit einem Ohr folgte, fühlte er es. Natürlich wusste er nichts davon und das war gewiss nicht das Schlechteste, aber Arthur hatte ihn in vielen Entscheidungen seines Lebens gelenkt, ohne überhaupt anwesend zu sein. Er schaufelte sich von so ziemlich allem etwas auf den Teller, während er sprach: »Wie wär's wenn du Ariadne einen förmlichen Brief schreibst und dich für ein paar Wochen entschuldigst? Wenn du seit sechs Monaten keinen Urlaub hattest, wird es höchste Zeit für dich, mein Lieber.« *Arthur* Da war es, das „Wir“. Deutlich und nicht zu überhören. Die Vorstellung, die dieses Wir, die Eames Lachen und ihre Harmonie in ihm heraufbeschworen, gefiel ihm. Es war ein guter Gedanke, ein angenehmes Ziel, ein Lichtblick. Seltsam, dass sie eine Zukunft planten, bevor sie überhaupt im Hier und Jetzt aufgeräumt hatten. Woran es wohl lag? Ob es an der Angst lag, dieses Gespräch zu führen? Und wenn man mal begann - genau genommen hatten sie es in Eames‘ Traum getan - würde es bis zum bitteren Ende geführt werden? Oder würde es scheitern? Wegen Tokio? Wegen Eames‘ Ego? Wegen Arthurs Stolz? Wegen ihrer Verbohrtheit? Vielleicht malten sie deshalb jetzt eine Zukunft aus Wolken, um zu ahnen, worauf sie hinarbeiteten. Damit sie dann durchhielten? Er nahm sich etwas von allem, übersichtliche Portionen. Er war einfach kein großer Esser. Dann setzte er sich im Schneidersitz zurück und begann. Er hatte richtig Hunger - für seine Verhältnisse. Er hatte kaum etwas heruntergebracht den ganzen Tag. »Wie wär's wenn du Ariadne einen förmlichen Brief schreibst und dich für ein paar Wochen entschuldigst? Wenn du seit sechs Monaten keinen Urlaub hattest, wird es höchste Zeit für dich, mein Lieber.« Erstaunt blickte er auf. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn. Eben hatte er noch Zusagen gemacht, aber nicht weiter über die Realisierbarkeit nachgedacht. Wolkenschlösser... nun er hatte auch nicht von ‚gleich’ gesprochen. Er hatte das generell gemeint - mit etwas mehr Vorlauf. Wieso kam er sich plötzlich so blöd vor? Er aß hinunter. „Wir haben am Samstag unseren ersten großen Auftrag an Land gezogen. Es ist die Chance, der Firma einen Namen zu geben“, erklärte er zunächst neutral. Er würde Ariadne in den Rücken fallen, wenn er ihr nicht dabei helfen würde. „Du hast recht, dass ich Urlaub nötig habe. Aber so schnell geht das nicht.“ Es fühlte sich seltsam an. Ob es daran scheitern würde? Dass er nicht einfach mal sagen könnte „Ich bin dann mal weg...“ So war er nicht, das widersprach ihm. Er seufzte lautlos. „Solltest du nach dem Job nicht erstmal die Sachen in Italien regeln?“, fragte er nach. *Eames* Da war er schon: der Cock-block, den Eames irgendwie erahnt hatte, aber nicht wahrhaben wollte. Firma hier, Karriere da, Ariadne, blah blah blah... Es musste an der Assoziation mit seiner eigenen Familiengeschichte liegen, dass er eine tiefsitzende Abneigung gegen ein Leben hatte, dass in erster Linie aus Arbeit und erst in zweiter Instanz aus Quality-time bestand. Natürlich gab es auch das Spektrum in dem sich beides überschnitt, aber das zu erreichen war in den meisten Fällen eine große Ausnahme und immer mit Kompromissen verbunden. »Verstehe.«, erwiderte er mit einer Spur Enttäuschung in der Stimme, aber hütete sich allzu viel davon preiszugeben. Er wollte nicht kaputt machen, was sie gerade erst wieder aufbauten. Er nahm einen Schluck aus seiner Flasche und begann zu essen. »Sicher, als erstes kümmere ich mich um die Sache in Italien. Das erledige ich mit zwei Klicks.« Er schwang seine Gabel wie einen Dreizack. In freudiger Voraussicht diese Scheiße endlich erledigt zu haben und nicht mehr befürchten zu müssen, dass ihm irgendwelche Mafiosi auflauerten. Bislang hatten Lorenzos Männer wirklich gut die Füße still gehalten und Eames konnte nur hoffen, dass dies so blieb, bis sie den Fall erledigt hatten. »Vielleicht bleibe ich dann noch ein Weilchen in New York. Ich habe Yusuf auch seit einem halben Jahr nicht gesehen, der Zausel braucht auch ein bisschen Aufmerksamkeit.« Normalerweise hielt ihn kaum etwas in New York, aber diesmal war die Situation anders. Er spürte, wie es ihn nach Kenia trieb; er musste dringend mal wieder dort vorbeischauen. Aber Arthur war vorerst hier, also wieso sollte er dem ganzen nicht noch etwas Zeit geben? Ein oder zwei Wochen vielleicht. Das klang einigermaßen realistisch, bevor im die Decke auf den Kopf fiele und er in seine Schlecht-Wetter-Depression verfiel. *Arthur* »Verstehe.« Und da war er wieder verflogen, der Hunger, den er eben noch gespürt hatte. Das Essen schmeckte an sich gut, sehr gut sogar. Unschlüssig stocherte er im Essen herum. Sollte er wirklich ein schlechtes Gewissen haben, nur weil er jemand war, der einen ganz normalen Job und noch dazu eine eigene Firma hatte, eine, von der er sein Leben lang geträumt hatte, die noch kein ganzes halbes Jahr bestand und damit noch in den Babyschuhen steckte? Irgendwie sah er das nicht ein. Aber es zeigte ihm nur zu deutlich, dass sie einfach ihre Prioritäten anders setzten, grundlegend anders setzten. Wenn es ein WIR geben sollte – sofern es realistisch war, was sie sich da skizzierten – würde das bedeuten, das sie beide Kompromissbereit waren und nicht nur einer zurücksteckte. Der Optimismus, den der andere hinsichtlich Italien an den Tag legte, wirkte echt. So richtig bekam er ihn nicht mit. Dafür blickte er auf, als Eames weitersprach. »Vielleicht bleibe ich dann noch ein Weilchen in New York. Ich habe Yusuf auch seit einem halben Jahr nicht gesehen, der Zausel braucht auch ein bisschen Aufmerksamkeit.« Da war er, der Kompromiss. Ein Angebot, ein Zugeständnis – zwischen den Zeilen. „Das klingt gut“, sagte er lächelnd. „Und bis du ihn wieder aufgebaut hast, hab ich meinen förmlichen Brief geschrieben.“ Der vermutlich darin bestand, dass er versuchte, so viel zu arbeiten, wie nur irgendwie ging, um Ariadne dann guten Gewissens den Rest alleine machen zu lassen – zumindest für eine absehbare Zeit. Zumal er ja auch unterwegs arbeiten konnte. Sein iPhone, sein Laptop und eine Internet-Verbindung reichten aus. Klang doch nach einem praktikablen Plan – dennoch kehrte der Hunger noch nicht zurück. Denn da waren noch andere Dinge. Und sie wussten beide, dass diese Dinge geklärt werden mussten. Eames schaffte es immer, ihn über eine Hintertür zum Sprechen zu bringen – so wie vorhin diese seltsame Geschichte über Charles Eames, von dem er noch immer nicht wusste, ob er überhaupt wirklich ein Verwandter war. Und was diese Anekdote überhaupt sollte. Er kannte diese Hintertüren nicht. „Erzählst du mir, warum du nicht nach London kannst?“, fragte er vorsichtig. Kapitel 24: We‘ll never know ---------------------------- *Eames* So einfach war das? Eames versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie verblüfft er über die Tatsache war, dass Arthur mit ihm mitkommen wollte, wenn er ihm noch ein wenig Zeit ließ. Wenn er selbst noch etwas einsteckte. Realistisch betrachtet; klar wieso nicht? Wieso versuchte er ständig vor seinem Glück davonzurennen? Arthur war ‘hier‘, in dieser Gott verdammten Stadt. Und wenn er sich nicht benahm wie ein Vollarsch, durfte er sogar auf seiner Couch schlafen. Das hoffte er zumindest für den heutigen Abend. Bis er „aufgebaut“ hatte? Bis Rippen zusammengewachsen waren, dauerte es ungefähr sechs Wochen. Das war eine verdammt lange Zeit in der verdammt viel passieren konnte... er konnte nicht einmal sich selbst glaubhaft versichern, dass er in dieser Zeit nicht irgendetwas tun würde, dass Arthur wieder von ihm weg stieß. Vor allem, wenn er sich fühlte, wie ein Tiger im Zoo. ‚Füße stillhalten!‘, ermahnte er sich. Er war immerhin keine 26 mehr. Schlussendlich nickte er zustimmend mit vollem Mund. Kein ganz unrealistischer Plan. Die Frage nach London traf ihn unerwartet. Wie ein Hieb in die Leber. Er ließ die Gabel sinken, die gerade eine neue Portion Lamm in seinen Mund schaufeln wollte. »Ich kann dir davon erzählen«, begann er und sein Ton hatte sich verändert. Seine Kehle fühlte sich enger an und er wirkte irgendwie angespannt. Seine dumme Aussage im Traum hätte er sich stecken sollen. Das hätte ihm viel Mist erspart. »Aber ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob das so gut wäre. Du hast gerade erst aufgehört mich zu hassen. Danach wirst du mich wahrscheinlich in einem ganz anderen Licht sehen. Also...« Er schob sich die Gabel in den Mund, kaute energisch und vermied den Blickkontakt. »... entscheide du.« *Arthur* Hui! Da lag viel verborgen. Bereits die rein körperliche Reaktion auf seine Frage sprach Bände. Der Ton in Eames‘ Stimme komplettierte den Eindruck, dass dieses Thema wirklich heikel war, zu heikel? Vielleicht, vermutlich. Eames schloss es nicht aus, dass das Bisschen, was gerade begann zu entstehen, dadurch wieder zerstört wurde. Dass Eames ihn nicht ansah, machte nichts einfacher. Ihr Irgendwas war zu fragil – oder? ‘... entscheide du.‘ Arthur schwieg. Er wusste erschreckend wenig über den anderen, zumindest was seine Lebensgeschichte betraf. Dabei behauptete jener, er sei der einzige, der ihn kenne. Im Gegenzug wusste Eames mehr über ihn, als er jemals gewollt hatte. Er hatte das Gefühl, einen Ausgleich haben zu wollen - aber nicht um jedem Preis. Oder sagte Tom das nur, um ihn davon abzuhalten, solche Fragen zu stellen? Könnte er ihn jemals anders sehen? Er wusste es nicht genau. Unmut schwang noch immer in ihm mit. „Ich habe dich nie gehasst“, sagte er ausweichend. „Ich habe mir das nur eingeredet, weil es bequemer und einfacher war.“ Er stocherte erneut im Essen herum, schob sich dann etwas in den Mund. „Ich ziehe die Frage zurück“, sagte er dann leise und er blickte den Briten an. Es fühlte sich nicht gut an, sich einzugestehen, dass für Manches vermutlich noch nicht Zeit war. Vermutlich war das wirklich ein falscher Einstieg. Aber das hatte er vorher nicht wissen können. Vielleicht sollten sie mit harmloseren Dingen anfangen. Aber nichts in Eames‘ Leben schien einfach zu sein. Er wusste nicht, wie die Brücke weiter zu bauen wäre. Der Punkt London schien zumindest ein Etappenziel für die ferne Zukunft zu sein. Arthur nahm noch einen Bissen, dachte nach. „Ich habe das Gefühl, dass da ein riesiger Berg an Altlasten zwischen uns steht“, sagte er schließlich. „Der Gedanke, dass du noch ein wenig in New York bleibst, tut gut. Und doch wissen wir beide, dass das nur Wunschdenken ist, solange andere Dinge nicht geklärt sind.“ Er stellte den Teller weg. Vorhin war alles noch so ungezwungen. Hatte er das mit seiner Frage - und seinem Unvermögen, einfach mal zu entspannen - zunichte gemacht? Vermutlich dachte er zu viel nach, viel zu viel. Er trank einen Schluck Bier, die CD war verstummt, aber es fiel ihm erst jetzt auf. Arthur stand auf, ging erneut zum CD-Regal. Seine Wahl traf diesmal Jack Johnson „In between dreams“. Auch leichte Kost. Aber wenn nichts lief, erdrückte ihn das irgendwie. Sein Hirn brauchte Ablenkung. *Eames* Auch Eames war ein Kontrollmensch, wenn auch gänzlich anders als Arthur. In diesem Augenblick zum Beispiel hasste er es, wie er die Kontrolle über seinen Körper verlor. Die Anspannung, der Puls... Im Traum war es anders gewesen; er hatte sich einfach ablenken können und andere Themen standen im Fokus. Er war gedanklich nicht nach Ramadi zurückgekehrt. In diesem Augenblick, wo die Musik verebbte und Arthur schwieg, war er da - brütende Hitze und Trümmer - und es fühlte sich miserabel an. Er war heilfroh, dass Arthur ihm die Bestätigung gab. Er hatte auch nie wirklich geglaubt, dass er ihn hasste. Sonst wäre er nicht nach New York gekommen, um ihm ein Jobangebot zu machen. Sonst hätte er sich vor einem halben Jahr während des Fisher-Falls nicht all die Scherze erlaubt. Aber es aus Arthurs Mund zu hören, war schöner, als fliegen. ‚Ich habe das Gefühl, dass da ein riesiger Berg an Altlasten zwischen uns steht.‘ Wohl wahr. ‚Der Gedanke, dass du noch ein wenig in New York bleibst, tut gut. Und doch wissen wir beide, dass das nur Wunschdenken ist, solange andere Dinge nicht geklärt sind.‘ Es war schwer aus gewohnten Denkweisen auszubrechen, aber er wusste, dass ihm vermutlich keine Wahl blieb, wenn er endlich etwas Echtes erschaffen wollte. Etwas, das mehr Substanz hatte und dieses fiese Loch in seiner Brust füllen könnte. Auch Eames stellte seinen Teller ab und nahm noch einen kräftigen Schluck Bier. Er hätte gern etwas Härteres gehabt. Alkohol war ein wunderbarer Katalysator. ... Was für ein Krüppel er war, dass er kaum etwas aus der Tiefe holen konnte, wenn er nicht ordentlich getankt hatte. Die neue Musik tat gut. Erlöste ihn von der Stille und brachte die Zahnrädchen wieder dazu, ineinander zu greifen. Er brauchte eine Antwort... »Es tut mir leid.«, begann er gefasst. »Ich bin ein...«, Riesenhaufen wertloser Scheiße? Langsam... nicht so emotional! »... furchtbarer Mensch«, er schnaufte einen amüsierten Laut, als wäre ein Lachen in seiner Kehle gestorben. »Ich neige dazu alle um mich herum unglücklich zu machen. Also hau ich lieber ab.« Er wartete bis Arthur wieder zu ihm auf die Couch gekommen war. »Problematisch ist nur, ich kann vor dir nicht wegrennen.« Er lächelte. »Nicht wirklich. Du bist immer bei mir.« Lächerlich, dass er sich vor einem halben Jahr noch mit seinem Einfallsreichtum bei Cobb profiliert hatte; ‚Arthur, er ist der Beste, aber er hat keine Vorstellungskraft! Nicht so wie er‘ – ha ha! Und nun verwendete er Arthurs Formulierung. Tragischer Weise gab es keine besseren Worte dafür. Es war einfach wahr. Es war so etwas wie ‚Ich dich auch"!‘. »Deswegen, schlage ich vor, du gibst mir was von deinem scheußlichen Whiskey und wir reden; heute Nacht. Meinetwegen die ganze Nacht.« Er fühlte sich bereits splitterfasernackt. Gleichzeitig war er noch nie so nah dran, sich frei zu fühlen. *Arthur* Arthur wusste nicht, was er mit der Stille in seinem Rücken anfangen sollte. Er wusste nicht genau, ob sie gut war oder schlecht. Er hatte versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen, das sie schon vor langer, langer Zeit hätten führen müssen. Jetzt war es Toms Entscheidung, ob dieses Gespräch je stattfinden würde oder nicht. Denn Arthur spürte zwar auf ungeahnte Weise, wie sehr er an ihrer Situation etwas ändern wollte, aber er wusste auch, dass er die Tür, die er zu öffnen versuchte, nicht ewig würde halten können. Seine Selbstschutzmechanismen funktionierten dafür zu gut. Und er kannte sich gut genug, dass er wusste, wie wackelig das hier alles war. Der locker-flockige Sound des australischen Surfers erklang und Arthur drehte etwas leiser, damit sie würden reden können. ‚Es tut mir leid.‘ Arthur drehte sich um und blickte Eames an. Wofür entschuldigte er sich? Wollte er das Gespräch beenden? Wollte er ihm sagen, dass er daran kein Interesse hatte? ‚Ich bin ein... furchtbarer Mensch‘« Etwas in Arthur löste sich bei diesen Worten, etwas Schweres, Verkrampftes. Er musste fast lachen vor Erleichterung, beließ es aber bei einem Schmunzeln. Selbsterkenntnis war der beste Weg... - aber auch das war nicht angebracht. ‚Ich neige dazu, alle um mich herum unglücklich zu machen. Also hau ich lieber ab.‘ Arthur kehrte zum Sofa zurück, setzte sich zu Eames gewandt hin. Ob Tom noch nie der Gedanke gekommen war, dass eben dieses Abhauen das war, was die Menschen erst so richtig unglücklich machte? In seinem Fall war es genau so. Aber er war selbst ein König des Verdrängens und Fliehens. In gewisser Weise waren sie sich vermutlich ähnlicher als gedacht. ‚Problematisch ist nur, ich kann vor dir nicht wegrennen.‘ Dieses Lächeln ließ sein Herz unerwartet heftig gegen seine Brust schlagen. Worauf wollte er hinaus? ‚Nicht wirklich. Du bist immer bei mir.‘ Arthur schluckte, spürte diese süße Mischung aus Überraschung und unverhohlener Freude in seinem Bauch herumpurzeln. Dass Eames das aufgriff, was er jenem gestern zugestanden hatte, und der Dunkelblonde ihm jetzt gleichfalls zugestand, tat unheimlich gut. Das Gefühl, nur allein sich dem anderen ein Stück weit offenbart zu haben, sich ihm entblößt zu haben und sich damit angreifbar gemacht zu haben, wurde allein damit kleiner. Zu hören, dass sie eine gemeinsame Basis hatten, dass sie einander nie entkamen, fühlte sich gut an, um die Brücke zu stabilisieren. Unabhängig davon, was sie sich letztlich damit (so verkorkst wie es für sie typisch war) sagten. Die Angst, dass der Versuch aufeinander zuzugehen und sich dem zu stellen, was seit so vielen Jahren unausgesprochen war, scheitern würde, schwand und wich Zuversicht. ‚Deswegen, schlage ich vor, du gibst mir was von deinem scheußlichen Whiskey und wir reden; heute Nacht. Meinetwegen die ganze Nacht.‘ Arthur lächelte, nickte. Ein guter Plan. Die Stimme, die ihm erklärte, dass er noch arbeiten und die Wanze auswerten musste, überhörte er, schaltete sie ab. Morgen war Zeit dafür. In dieser Nacht sollten sie nicht an einen Fall denken, sondern an sich. Und seltsamerweise hatte Arthur keine Bedenken, dass sich diese Nacht negativ auf den Job auswirken könnte. Aus dem Unvermögen, Worte zu finden, und einem Gefühl, einem Bedürfnis nach Nähe heraus griff er nach Eames‘ Hand, legte sie sich an die Wange, so wie er die seine auf Eames‘ Wange gelegt hatte, als er ihm versprochen hatte, dass sie reden würden. Einen Moment genoss er die Berührung, die er sich selbst geholt hatte, schloss die Augen, atmete durch. Eigentlich hatte er noch keine Zeit gehabt, über alles nachzudenken. Gleichzeitig hatte er schon so oft darüber nachgedacht. Er küsste die Handinnenfläche und entließ diese dann wieder, stand auf. „Ich hole den Whisky“, sagte er und ging in sein Arbeitszimmer. Dort stand eine Flasche Aberlour. Seine Mutter würde ihn aus ihrem Leben verbannen, wenn sie einen schottischen Whisky bei ihm fände. Sein Blick streifte seine Pinnwand. Vorhin hatte er keinen passenden Einstieg gefunden. Vielleicht half etwas anderes als Worte. Er trat zu ihr und stellte die Flasche kurz ab, um dann die unter anderen Zeichnungen verborgenen von Eames heraus zu holen. Chronologisch sortiert, Treffen für Treffen. Auf dem ersten Bild der erste Moment, an dem Thomas damals diese Kneipe betreten hatte und es sich angefühlt hatte, als gäbe es in diesem Raum nur noch ihn - bis Dom gekommen war und klar war, dass sie miteinander arbeiten mussten. Vielleicht sollten sie nur über das reden. Nicht über all die Dinge, die sie zusätzlich belasteten. Die kämen auch so auf. Und wenn nicht, hätten sie nichts mit ihnen beiden zu tun. Im Wohnzimmer stellte er die Flasche auf den Tisch, ging zur Vitrine und holte zwei Whiskeygläser. Dann setzte er sich wieder zu Thomas. Ihre Beine berührten sich. Er hatte das Gefühl, dass er das brauchte. Er reichte ihm die Zeichnungen, wortlos. Dann griff er zur Flasche und schenkte ihnen ein, reichte ihm das Glas. „Dieser ist nicht ganz so scheußlich“, kommentierte er. Er mochte die Süße, den Hauch Frucht der Sherry-Fässer. Dann blickte er auf die Zeichnungen. Es waren viele aus der Zeit vor Tokyo, aus der unbeschwerten Anfangszeit. Aus New York, auch eine Zeichnung aus dem Terra Blues war dabei, vom Inder. Teilweise nur einzelne Studien, seine Augen, sein Mund, seine Hände, die Statur. Szenen aus Träumen, in denen sie trainiert hatten, Szenen aus Träumen, in denen sie sich inspiriert hatten. Szenen, in denen Eames ihm in sehr angetrunkenem Zustand den Hof gemacht hatte, und er unfähig gewesen war, sich darauf einzulassen. Und dann auch eine Szene aus dem Casino, in dem sich ihre Wege für so lange Zeit getrennt hatten. „Erinnerst du dich?“ Er hielt das Glas in der Hand, ließ dem Whisky noch kurz Zeit atmen. Dann streckte er sein Glas Thomas hin, auch wenn er nicht wusste, worauf sie anstießen. Er fand noch keinen Begriff dafür. Und im Grunde genommen war das auch ganz gut so. *Eames* Diese zärtliche Geste fühlte sich so surreal an, dass Eames das Verlangen spürte nach seinem Totem zu greifen. Allerdings war der Jeton noch in der Innentasche seines Jacketts, zusammen mit dem geklauten Massageöl. Alles zusammen hing an Arthurs Garderobe und damit nicht in unmittelbarer Reichweite. Er betrachtete das friedliche Gesicht, die geschwungene Linie seiner hellen Lippen und den Kuss, den sie in seine Handfläche formten. Anscheinend hatte Eames etwas Richtiges gesagt. Als Arthur seinem Wunsch nachkam und Whiskey holte, stahl sich Eames zur Garderobe, um sich seinen Spielchip zu holen. Er hatte nicht wirklich an der Realität gezweifelt, aber es fühlte sich trotzdem gut an, sein Totem in der Hosentasche zu tragen. Je nachdem wie das Gespräch verlief, war er am Ende vielleicht froh, es bei sich zu haben. ‚We're tryin' but where is this all leading We'll never know‘ (https://youtu.be/vWCOY2bgEF0) Da hatte Jack wohl recht. Er wollte Arthur gerade seinen Dank aussprechen, dass er ihm den guten, schottischen servierte, als dieser ihm ein paar Zeichnungen in die Hand drückte. Er blätterte durch, wirkte irritiert und merkte dann schnell, was er da in den Händen hielt. Zögerlich nahm er das Glas an, das Arthur ihm reichte, konnte seinen Blick jedoch nur schwerlich von dem abwenden, was er da in der anderen Hand hielt. ‚Erinnerst du dich?‘ Er lächelte, nickte, stieß an, aber gedanklich war er weit weit weg. »Hm...«, machte er zustimmend. »Anscheinend war ich damals schlanker.« Es war eigenartig sein damaliges Ich durch Arthurs Augen zusehen. So viel jünger und irgendwie... gesünder? Eames hielt sich nicht für nostalgisch, er machte keine Fotos oder Videos, weil er sich immer einredete im „Hier und Jetzt“ zu leben. Für den Moment. Was kümmerte ihn gestern oder morgen? Wie es schien kümmerte ihn gestern sehr. Und diese Zeichnungen kümmerten ihn erst recht. Er nahm einen Schluck Abelour – besser als der flüssige Torf, der Irischen Whiskeys – und starrte auf das Bild aus der Bar in Amityville, wo sie sich das erste Mal begegnet waren. Zum ersten Mal seit undenkbar langer Zeit war Eames sprachlos. Wenn Eames davon gewusst hätte... wenn er es nur geahnt hätte, wäre alles vielleicht ganz anders verlaufen. Kapitel 25: Something --------------------- Flashback 「 Amityville - New York 」 *Eames – 28 Jahre, acht Jahre zuvor* Besonders warm war es nicht und das obwohl bereits alle Bäume Knospen trugen. Als gebürtiger Londoner machte ihm die Kälte und der Regen jedoch nichts aus. Gegenwärtig genoss Eames sogar das Kontrastprogramm. Da wo er vor wenigen Monaten gewesen war, war es schrecklich heiß gewesen; unerträglich heiß. Jede Ablenkung, die er von diesem Ort bekommen konnte, war ihm herzlich willkommen. Das, was ihm dieser Cobb angeboten hatte, war eine fantastische Option ein ganz neues Leben aufzubauen. Dream-Sharing war unter den normalen Bürgern noch vollkommen unbekannt; niemand rechnete damit, im Schlaf bestohlen zu werden. Sie würden sich eine goldene Nase verdienen und irgendwann würde Eames keinen Gedanken mehr an seine ach so sehr vermisste Heimat verschwenden. Er schmiss seine Zigarette weg und betrat das Amity Ales, als es erneut zu Regnen begann. Er trug einen achtlosen Zehntage-Bart, das Haar war zerzaust und der Anzug sah aus, wie vom Second Hand Laden um die Ecke, aber stand ihm erstaunlich gut. Er hatte den lottrigen Charme eines Engländers quasi auf der Stirn geschrieben und die Amerikanerinnen liebten es. Seit er angekommen war, hatte er quasi alle naselang ein Date gehabt und es gab bislang keinen Grund, damit aufzuhören. Er ließ sich zunächst an der Bar nieder. Er war zu früh – schlechtes Zeitmanagement – und da Cobb noch nie pünktlich zu ihren Meetings erschienen war, würde er wohl noch ein ganzes Weilchen hier sitzen. Er bestellte ein Bier und schnappte sich ein paar Erdnüsse. Er ließ seinen Blick unbeeindruckt durch den Raum schweifen, als ihm ein Typ auffiel, der nur wenige Tische weiter saß. Ein hübscher Typ... Er war sich nicht sicher, ob er je einen hübscheren gesehen hatte. Schrecklich gut gekleidet, wahrscheinlich so ein Elite-Uni-Absolvent. Er hatte etwas an sich, das Eames noch nie gesehen hatte und er konnte nicht beschreiben was es war. Die tief-dunklen Augen, vielleicht..? Die hübsche Brünette neben ihm an der Bar versuchte ihn anzuquatschen; gehaltloser Unsinn; irgendetwas auf seinen Akzent bezogen. Er schnappte sich sein Bier und speiste sie mit einem lockeren „Sorry, bin beschäftigt“, ab, ehe er aufstand und zu dem Kerl herübe ging. »Ich will nicht unhöflich sein, aber ist hier noch frei? Die Barhocker sind schrecklich unbequem.« *Arthur – 26 Jahre, 8Jahre zuvor* Arthur war froh, dass er einigermaßen pünktlich erschien. Er hatte einmal quer durch die Stadt fahren dürfen – zwei Stunden U-Bahn von der Baustelle, auf der er gerade für die Uni arbeitete, zu seiner Wohnung (schnell duschen und umziehen) und dann weiter bis hierher. Warum Dom ihn ausgerechnet hierher einlud, um ihm mehr Informationen zu geben und ihm einen weiteren Extraktor vorzustellen, war ihm klar: Die Kneipe hatte zugegebenermaßen etwas sehr Angenehmes – und Bier aus aller Welt. Bier war gut. Er hatte an dem Abend nichts mehr weiter vor, außer alles dafür zu tun, seinem Hirn eine Auszeit zu gönnen, sobald sie sich darüber ausgetauscht hätten, wie es weiter ging. Arthur bestellte sich ein Deutsches – Hofbräuhaus Munich. Er hatte lange gezögert, sich nicht ein Guinness zu bestellen, oder ein Kilkenny. Aber allein der Gedanken an seine Heimat beschwor Erinnerungen herauf, die er momentan so gar nicht gebrauchen konnte. Schließlich war er auch wegen dieser Erinnerungen hier. Er hatte sehr schnell Blut geleckt. Mal hatte ihn nicht lange dazu überreden müssen, sich mit Dom zu treffen. Das Treffen hatte ihn umgehauen – also weniger Dom, der ein netter Kerl war, als vielmehr das, was er ihm gezeigt hatte. Der Traum und die damit verbundenen Möglichkeiten, sein architektonisches Wissen umzusetzen, war eine perfekte Ablenkung. Abgelenkt zu sein von den Dingen, die gerade nicht so gut liefen – um mal zu untertreiben - war gerade mehr als willkommen. Dream Sharing ließ ihn seitdem kaum mehr los. Raffiniert, eine Herausforderung, etwas Außergewöhnliches und aus wissenschaftlicher Sicht: etwas Geniales. Arthur fand es faszinierend – die Idee, dass man Menschen Informationen entlocken konnte, ohne dass sie es bewusst merkten. Informationen stehlen, ohne dass man Gewalt anwenden musste. Die Möglichkeiten, die damit einhergingen, waren enorm. Dass es vollkommen illegal war und eine ‚höfliche‘ Art des Diebstahls war letztlich für ihn zweitrangig. Moral spielte schon lange keine große Rolle mehr – zumindest redete er sich das gut ein. Erschwerend kam hinzu, dass er einfach Geld brauchte, schließlich steckte er noch im Studium und hatte nun niemanden mehr, der ihn finanziell unterstützte. Sicher, er jobbte nebenher, Aber er musste auch seine Abschlussarbeit schreiben, hatte wieder Praktika zu absolvieren und hin und wieder sollte er vielleicht auch mal schlafen können. Die Zeit war zu knapp, um noch mehr zu arbeiten. Die 500$, die er nun nicht mehr von seinem Erzeuger erhielt, mussten irgendwie dennoch verdient werden. Wenn er in den nächsten Monaten nicht seine Wohnung würde räumen wollen, brauchte er Geld. Und dass es genügend Menschen gab, die für ein paar wesentliche Informationen bereit waren, viel Geld zu investieren, war ihm mehr als bewusst. Er hatte sein Skizzenbuch dabei, zeichnete wahllos Details der Umgebung. Sein Blick glitt durch den Raum, immer wieder zur Tür, durch die hoffentlich bald Dom kommen würde. Einen Moment beobachtete er, wie ein etwa gleichaltriger Mann hereinkam, dessen Auftreten die Blicke auf sich zog - nicht nur seinen. Etwas an ihm ließ Arthurs Blick nicht direkt weiterwandern, der oft sehr unruhig durch Räume ging, um Details zu sehen, ohne wirklich stetig auf eine einzige Sache konzentriert zu sein. Warum er bei dem blonden Mann hängen blieb, wusste er gar nicht so genau zu sagen. Er wirkte in der Wahl seiner Kleidung wenig elegant, und doch umgab ihn eine Aura, die Arthur ihn sicher als faszinierend beschreiben lassen würde. Das Gesicht wirkte jung, und doch schienen seine Augen viele Geschichten erzählen zu können. Der Bart, die Haare, die offenbar nicht perfekt sitzen mussten, ließen vermuten, dass er wenig auf sein Äußeres gab – und doch wusste dieser Mann um seine Wirkung. Das sah man daran, wie er sein Bier bestellte, wie er mit der Frau neben sich kommunizierte. Arthur merkte, dass er ihn anstarrte und wendete den Blick ab, als dieser zu ihm blickte. Gott, das war ihm noch nie passiert, dass er einen anderen Mann so gemustert hatte! Er trank schnell einen Schluck Bier und versuchte diesen seltsamen Gedanken damit wegzuspülen. Sein Handy piepste, verkündete eine SMS. Er blickte kurz darauf. „Verspäte mich etwas. Trink ein Bier auf meine Kosten! Dom“ »Ich will nicht unhöflich sein, aber ist hier noch frei? Die Barhocker sind schrecklich unbequem.« Der englische Akzent war nicht zu überhören. Arthur hob erstaunt den Blick, sah in das Gesicht, das er eben noch so eingehend gemustert hatte. Er richtete sich etwas auf, überlegte, ohne zu wissen, was er überhaupt überlegen musste. „Nein“, sagte er im ersten Moment. Und wusste selbst nicht, was er damit sagen wollte. Dom kam später, er hätte Zeit und diese Augen, in die er nun schon wieder viel zu lange starrte, wirkten anziehend auf ihn. Aber… „Ich meine: Nein, es ist nicht unhöflich!“ Unverhohlen musterte er den anderen Mann. „Ich erwarte noch jemanden… Aber er kommt später“, sagte er dann und griff wieder zu seinem Bier, um sich an etwas festzuhalten. „Setz dich!“ *Eames* „Nein“ Er stand ihm gegenüber und sah irritiert über den Tisch hinweg auf den Wunderknaben herab. Wunderknabe, weil er offenbar nicht nur schön war, sondern auch talentiert; mit seinem Skizzenblock und den ganzen schicken Deteilzeichnungen, die Eames sofort aufgefallen waren, als er näher gekommen war. Außerdem schien dieser Typ ein wahres Unikat zu sein - so anders, als die anderen in dieser Kneipe. Vielleicht sogar anders, als jeder in Nordamerika und das übte eine heikle Faszination auf Eames aus. „Ich meine: Nein, es ist nicht unhöflich!“ »Great!«, ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sich ihm gegenüber niederließ. So leicht hätte er sich ohnehin nicht abspeisen lassen. Der Andere wirkte irgendwie unsicher. Ein bisschen verloren, wenn man so wollte. Bambi. »Kommst du oft her?«, fragte er unverfroren, nicht willens seinen Blick abzuwenden. Immer noch die Augen... aber auch die intelligente Stirn, die langgliedrigen Finger. Was hatte er nur an sich? Diese Frage würde ihn noch lange beschäftigen, da war er sich sicher. *Arthur* Der britische Akzent war so gar nicht zu überhören. Er regte einen gewissen Widerwillen, aber noch mehr Trotz. Etwas, das Arthur erst viel später auffallen würde. Im Moment drehten sich seine Gedanken vielmehr darum, ob der Typ zu ihm gekommen war, weil er bemerkt hatte, dass er ihn angestarrt hatte, oder wirklich nur, weil der Stuhl frei war. Letzteres verwarf er bei einem flüchtigen Blick durch die Kneipe. Es gab einige freie Plätze, auch neben wirklich attraktiven Frauen… Arthur spürte die Unruhe ob dieser Erkenntnis weiterwachsen. Nicht, dass er ein Problem damit hätte, von einem Mann… Stopp! Seine Gedanken drifteten in seine Richtung ab, die hier völlig unangebracht war. Der Brite wollte sich einfach setzen – bei ihm war Platz – alles gut… »Kommst du oft her?« … oder auch nicht. War das nicht der einfallsloseste Anmachspruch? Oder verstand er das falsch? Bestimmt. Heute das letzte Mal – lag ihm auf der Zunge. Aber diese Augen, die auf ihm ruhten ließen ihn den Kommentar herunterschlucken. „Das erste Mal“, antwortete er ehrlich. „Ist nicht so meine Gegend. Ich bin hier nur verabredet…“ Er stutzte bei den Worten. „… also rein geschäftlich, sozusagen“, hörte er sich erklären, was nicht hätte erklärt werden müssen. Er atmete langsam ein. Stellte er sich bei Frauen auch so an, die ihn ansprachen? War ihm noch nicht aufgefallen, bisher. „Und du?“, fragte er zögernd, wissend, wie dämlich das eigentlich war. Er hob die Hand. „Lass mich raten“, sagte er dann und musterte sein Gegenüber einen Moment. „Du bis braun gebrannt, also erst kürzlich im frühlingsnassen New York. Du hast, als du reingekommen bist, dich umgesehen, um dich zu orientieren. Also das erste Mal da. Du hast dir keine Zeit genommen, die Bierkarte zu studieren, also ist dir die Bar an sich egal. Und du hast die hübsche Frau, die da am Tresen steht und dir giftig hinterher gesehen hat, einfach stehen gelassen. Also hast du andere Pläne heute.“ Fragend blickte er den anderen an. * Eames* Verabredet? Seine Augenbrauen wanderten in die Höhe. „... also rein geschäftlich, sozusagen“ Praise the Lord. Das war das Gegenteil einer Abfuhr; eine regelrechte Einladung. Es war verdammt schwer ein schwuler Soldat zu sein. Nahezu unmöglich, deswegen hatte er sich von vornherein dagegen entschieden seine Sexualität nach außen zu tragen und war während seines Dienstes auf den Hetero-Zug aufgesprungen... und siehe da, er hatte sich getäuscht. Offenbar mochte er doch beides und genoss nun die freie Auswahl; komme was da wolle, sozusagen. Aber nun, da er dieses Exemplar vor sich hatte, war er sich nicht sicher, ob er je wieder eine Frau ansehen wollte. Mochte sein entfachter Jagdtrieb sein oder seine Gier nach Besitz, aber er war recht schnell, recht angetan von dem eigenartigen jungen Mann. Er holte Luft, als er die Gegenfrage gestellt bekam und wollte seinen kleinen, einstudierten Vortrag halten, als er unterbrochen wurde. „Lass mich raten“ Und zwar nicht nur irgendwie. Der Knabe nahm ihm nahezu auseinander. So durchschaut zu werden, bescherte ihm ein ungutes Gefühl. War das alles denn so offensichtlich gewesen? Er war selbst recht geübt darin, Leute einzuschätzen – als Taschendieb und Trickbetrüger brauchte man solche Eigenschaften – aber das, was der Fremde hier lieferte, hatte er eher was von Monk. Sein Blick festigte sich, verlor etwas von der federleichten, gelassenen Art und ließ etwas Provokantes mit einspielen. »Nicht schlecht, Sherlock.«, erwiderte er und hob das Glas für ein sinnbildliches Cheers, ehe er trank. Er leckte den Schaum von den Lippen ehe er weiter sprach: »Und was könnten meine anderen Pläne heute wohl sein?« Sein Mundwinkel zog sich zu einem spitzen Lächeln, als er den Blickkontakt wieder aufnahm. *Arthur* Arthur fiel es schwer, den Blick des anderen zu halten. Warum hatte er mit seinen Beobachtungen aufgewartet? Nur weil er ein Gespür für Kleinigkeiten und Nebensächlichkeiten hatte, hieß das nicht, dass die Mitmenschen das so toll fanden, wenn sie das Gefühl hatten, unter Beobachtung zu stehen. Angesichts des Gedankens, dass jener gemerkt hatte, dass er ihn angestarrt hatte, rückte seine unüberlegte Analyse noch einmal in ein ganz dämliches Licht. Die Unruhe in ihm wurde nicht weniger, als die Mimik des anderen sich änderte. »Nicht schlecht, Sherlock.« Arthur nickte möglichst selbstsicher, hob selbst das Glas und trank in tiefem Zug, froh darüber, einen Grund zu haben, woanders hinzusehen – nun bis der Mund des anderen seinen Blick wieder auf sich zog. »Und was könnten meine anderen Pläne heute wohl sein?« Arthur lehnte sich zurück, spürte die Provokation, die in ihm gemischte Gefühle heraufbeschwor. Sein zaghaftes Lächeln wurde schwächer. Arthur konnte nur Fakten analysieren und interpretieren – er hasste es zu raten. Und wie sollte er wissen, was dieser Mann hier heute noch vorhatte?! Realistisch betrachtet… Er konnte es ja unmöglich sein, oder? „Tja“, begann er ausweichend. „Wenn ich das wüsste.“ Sein Finger tippte etwas nervös gegen das Glas. Erstaunlicherweise fiel es ihm gerade leicht, den Blick einfach zu erwidern und sich von dem Lächeln nicht verunsichern zu lassen. Er musste abwägen, wohin das Gespräch gehen sollte. Wenn er ehrlich zu sich war, war dieser Mann hier für ihn unfassbar faszinierend, anziehend, reizvoll. War ja nicht so, dass er nicht von sich wusste, dass er auch Männern hinterherschaute und manch einer in seinen Träumen auftauchte. Er würde einen Flirt wagen – doch hatte er das Gefühl, diesem Mann hier nicht gewachsen zu sein. Er wirkte auf ihn, als wüsste er genau, was er wollte und was nicht. Das konnte Arthur nur hinsichtlich seines Jobs wirklich von sich behaupten. Dennoch überwog das Reizvolle. Nur gab es da auch noch die Angst, missverstanden zu werden. Wie weit konnte er sich aus dem Fenster lehnen, um nicht nachher aus einer ihm unfassbar unangenehmen Situation fliehen zu müssen? „Aber da du dich zu mir gesetzt hast, könnte ich mir vorstellen, dass es etwas mit mir zu tun hat.“ Nun war er es, der das Kinn etwas provokant hob und sein Gegenüber unverwandt ansah. *Eames* Er wich aus und dann wieder diese nervöse Geste. Wenn das nicht seiner Natur entsprach und da war sich Eames relativ sicher, dann hatte machte er mächtig Eindruck auf den Fremden. Ein Grund für gute Laune. Er schnaufte ein trockenes Lachen, als Arthur seine Vermutung kund tat. »Wow, ich wusste nicht, dass ich so leicht zu durchschauen bin.« Dieses Spiel gefiel ihm. Erst hatte er sich leicht unwohl gefühlt, aber es beruhigte ihn, dass sein Gegenüber keine Gedanken lesen konnte, sondern einfach nur eine erschreckend gute Auffassungsgabe besaß. Es wurde langsam voller in der Bar. Die Plätze um sie herum füllten sich allmählich. Mit dem Daumen wischte er spielerisch das Kondenswasser von seinem Glas. »Wäre nur fair mir auch etwas über dich zu erzählen oder? Wenn du mich schon liest wie ein offenes Buch.« *Arthur »Wow, ich wusste nicht, dass ich so leicht zu durchschauen bin.« War jener das wirklich? Wohl kaum! Es wäre zu einfach, wenn sein letzter Kommentar wirklich wahr wäre. Irgendwie widersprach das seinem ersten Gedanken, dass die Augen dieses Mannes eine unwägbare Tiefe besaßen. Aber gut. Er hatte ihm die Worte in den Mund gelegt, jener hatte sie dankbar aufgegriffen. Andersherum hätte er es vielleicht nicht anders gemacht. Jemand anderen in dem Glauben zu lassen, den er von sich aus hatte, war einfacher, als die Wahrnehmung zu korrigieren. Sofern das alles positiv für einen lief. Allerdings blieb zu bemerken, dass der Brite nicht dementierte, dass seine Abendplanung mit ihm zu tun hätte. Das zeugte zumindest davon, dass ein Flirt wirklich möglich wäre – auch wenn es vollkommen neue Terrain für Arthur war. Etwas in ihm warnte ihn, dass das letztlich auch nicht stimmen konnte – dass er zum Teil seiner Abendplanung geworden war. Wieso auch? Er hatte nichts Besonderes an sich. Doch er wusste nur zu gut, dass er von dem Zug nicht mehr herunterspringen würde, auf den ihn der andere eben hochgezogen hatte. Wieso auch? Er hatte nichts zu verlieren. »Wäre nur fair mir auch etwas über dich zu erzählen, oder? Wenn du mich schon liest wie ein offenes Buch.« Arthur lächelte leicht, trank einen Schluck, blickte den anderen amüsiert an. „Das ist zu einfach“, sagte er schließlich und schüttelte den Kopf. Erwartete er ernsthaft, dass er jetzt etwas über sich selbst erzählte? War er bei einem Vorstellungsgespräch? Nein, nein. SO einfach ging das nicht. Er zog sich nicht so einfach für jemanden aus – egal, wie interessant und attraktiv die Person war. „Du musst dich schon ein wenig anstrengen“, fuhr er fort und beugte sich etwas vor, blickte ihn an. „Ich habe nicht den Eindruck, dass ich dich einfach so lesen könnte. Eher nur den Umschlag des Buches – und der ist austauschbar.“ Ja, das Bild passte irgendwie besser – warum auch immer. Er lehnte sich wieder zurück „Woher soll ich wissen, was dich interessiert? Ich könnte dich langweilen.“ Und die Wahrscheinlichkeit war verdammt groß, wenn er davon zu reden begann, was er den ganzen Tag tat: arbeiten. „Stell mir eine Frage, dann entscheide ich, ob ich dir eine Antwort gebe.“ Lieber etwas die Kontrolle behalten. Nicht, dass es in die falsche Richtung lief. *Eames* Der Kleine war schonungslos und klar in seinen Aussagen. Resolut, tiefgründig, anspruchsvoll, intelligent.. Eames fühlte sich zum ersten mal seit seines Aufenthaltes in den USA wirklich von einer Person herausgefordert. Mal von Dom abgesehen, der ebenfalls ein ziemlich kluges Kerlchen war, den er schnell zu schätzen gelernt hatte. Aber zu ihm fühlte er sich nicht in diesem Sinne hingezogen... Und dann befürchtete er noch, er würde ihn langweilen. Eames spürte die Spannung in seinem Zwerchfell, je länger sie sprachen. Diese Sache hier war alles, aber nicht langweilig. Aber nicht zu viele Zugeständnisse gleich zu Beginn. Auch er versuchte interessant zu bleiben. »Okay.«, stimmte er galant zu. »Fangen wir mit was einfachem an. Nicht allzu persönlich.« Er nahm einen Schluck und wischte sich danach mit dem Daumen den Schaum vom Mundwinkel. »Wieso hast du mich beobachtet?« Er hatte es selbst nicht bemerkt, aber die detaillierten Beschreibungen, die er vor einer Minute vom Stapel gelassen hatte, ließen eindeutig darauf schließen. *Arthur* Immerhin ging sein Gegenüber auf den Deal ein, Fragen zu stellen. Nun, Arthur war gespannt, was kommen würde. Langsam wurde er selbstsicherer, gelassener. Sich bewusst zu machen, dass das hier etwas war, das er einfach genießen konnte, tat gut. Egal, wohin das hier führte, er konnte es einfach auf sich zukommen lassen. Er konnte es vorbehaltlos genießen und auch wenn er später mit Dom noch einige Dinge klären musste, hoffte er, dass der Dunkelblonde das Interesse an ihm nicht verlieren würde, so dass ihr Spiel noch weiter geführt werden könnte. »Fangen wir mit was Einfachem an. Nicht allzu persönlich.« Arthur nickte, blickte abwartend. Erneut dieser schöne Mund, der in den Fokus rückte, die vollen Lippen, umspielt von einem Bart, der ihm diesen gewissen Charme gab. »Wieso hast du mich beobachtet?« War er wirklich gelassen? Die Frage war ja nun doch ziemlich persönlich, irgendwie. Aber genau das sollte er sich bestenfalls nicht anmerken lassen. Dennoch spürte er, dass ihm warm wurde, auch wenn es sicher nicht auffallen würde. Er zwang sich, still sitzen zu bleiben und sich nicht zu bewegen, was seine Nervosität sicher verraten hätte. Was sollte er darauf antworten? Dass er ihn in seinem Auftreten fasziniert hatte? Dass er seitdem er hier war, alles andere auszublenden schien? Einen Moment musste er doch auf sein Skizzenbuch blicken. Ob das herhalten müsste? „Zufall“, begann er nun langsam. „Ich warte auf jemanden, daher habe ich dich bemerkt, als du reingekommen bist. Ich zeichne gerne Dinge, die ins Auge fallen und bei dir fiel mir gleich auf, dass deine… Erscheinung die Aufmerksamkeit von so vielen auf sich gezogen hat. Hin und wieder skizziere ich auch Menschen. Ich habe abgewogen, ob deine Ausstrahlung eines Bildes würdig wäre.“ Zu welchem Schluss er gekommen war, ließ er offen. Ob er es noch anfügen sollte? Er würde ohnehin nicht die Wahrheit sagen können. *Eames* Amüsiert verfolgte er das Zögern des jungen Mannes. Sah zu, wie sein Blick auf seinen Skizzenblock hinabsank. Die Antwort befriedigte sein Ego... halbwegs. Ein, zwei schmeichelnde Zugeständnisse hatte der Kerl wohl gemacht, aber allzu weit lehnte er sich nicht aus dem Fenster. Ob er vor irgendetwas Angst hatte? (Vor diesem Flirt?) Oder ob er ihm einfach nicht zu viel Honig ums Maul schmieren wollte? Dabei bekam der tollkühne, 28 jährige Eames wirklich gern Komplimente. „... Ich habe abgewogen, ob deine Ausstrahlung eines Bildes würdig wäre.“ »Verstehe.« Er nickte anerkennend und betrachtete erneut den Block, der vor Arthur lag und mit allerlei Kleinigkeiten geschmückt war, aber nichts, was nach ihm aussah. Dann nahm er den Blickkontakt wieder auf. »Und ist sie es?«, fragte er frech und grinste. Und er wollte diese Antwort wirklich, er hoffte, dass sie ihnen eine Tür öffnen würde, die zu mehr führen würde, als nur zu einem beiläufigen Flirt. Vielleicht waren sie bereits dort und Arthur war einfach nur zu unnahbar und Eames zu dämlich um zu schnallen. Dann wurde es scheinbar plötzlich laut im Laden – die Unruhe um sie herum hatte er erst gar nicht bemerkt. Die Leute pfiffen und Klatschten. Mittlerweile war jeder Tisch besetzt und in Arthurs Rücken hatte sich eine Band auf der kleinen Bühne aufgebaut, die nun ohne großes Intro zu spielen begann. Something in the way she moves Attracts me like no other lover *Arthur* »Und ist sie es?« Arthur hatte damit rechnen müssen, dass diese Frage kommen würde. Er hatte nur etwas Zeit schinden wollen, weil er die Antwort nicht wusste – also er wusste sie schon, aber er wusste nicht, ob er sie sagen wollte. Das Lächeln des anderen hatte etwas Triumphierendes. Er wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, als es laut wurde. Arthur wurde erst jetzt so richtig gewahr, dass er wirklich gar nicht mitbekommen hatte, was um sie herum geschehen war. Eine Band war auf die Bühne getreten, die Kneipe war mit einem Mal voller und offenbar war die Gruppe beliebt, denn der Fanclub war anwesend. Arthurs Blick fiel auf die Rückseite der Getränkekarte, in der „Events“ angekündigt wurden. Die Beatles würden wohl heute herhalten. Er blickte wieder zu seinem Gegenüber, als der erste Song, die ersten Verse angestimmt wurden. Something Arthur schluckte, lauschte den Worten, die er so gut kannte und die in diesem Moment die Frage des anderen zu beantworten schienen. In einer unbedachten Bewegung hob er die Hand, signalisierte seinem Gegenüber, dass das die Antwort war. Ob er es so verstehen würde, wusste er nicht. Sein Blick wurde etwas unruhiger. Etwas zu sagen, wäre kaum sinnvoll, denn dafür war es zu laut. Er blickte auf den Stuhl neben sich und zwischen ihnen, der zu ihrem Tisch gehörte und noch frei war. Ob er sich näher zu ihm setzen sollte, damit sie weiterreden konnten? Aber dann wären sie sich mit einem Mal unfassbar nah. Somewhere in her smile she knows That I don't need no other lover Er blickte wieder auf und den anderen an. Dessen Lächeln wirkte mit einem Mal anders, wissend? Es war seltsam, wie das Lied zu dieser Situation zu passen schien, ohne dass er diesen Gedanken wirklich denken wollte. Kurzerhand stand er auf, wechselte den Stuhl und lehnte sich zu ihm. „Vermutlich schon“, sagte er und sog den ihm bisher fremden Geruch ein, der sich in ihm einbrennen würde. „Aber das kommt auch darauf an, wie der Abend weiterhin verlaufen wird.“ You're asking me will my love grow I don't know, I don't know *Eames* Auch Eames Blick fiel auf die Event-Ankündigung, die sie wohl beide bis zu diesem Moment gekonnt ignoriert hatten. Nun war das Gespräch wohl vorerst beendet. Was Arthur ihm mit der unbestimmten Geste sagen wollte, war ihm nicht direkt klar, aber er ahnte es. Hoffte es zu wissen. Sein Gegenüber wirkte nicht mehr ganz so gelassen (mal von den kleinen Anflügen Nervosität abgesehen, der er mit Bravour versteckt hatte – Congratulations, er hätte es fast nicht bemerkt). Schade, wie Eames fand, denn der Song sprach ihm aus der Seele – Kitsch hin oder her; er war ein Bündel aus Emotionen, egal wie cool und unberührt er nach außen wirkte. Er sah in Bambis Augen und wünschte sich sehnlichst, dass dieses Gespräch noch nicht beendet war. Dass seine Verabredung nicht mehr kam und dass Dom sich viel Zeit ließ, bevor er auftauchte. Dann stand der Fremde auf und Eames bemerkte, dass er nicht wirklich klein war. Sie müssten ungefähr gleich groß sein. Aber im Gegensatz zu Eames besaß der Andere eine schlanke, drahtige Linie, die sich angenehm geschmeidig auf ihn zubewegte. Er lehnte sich ihm ein wenig entgegen und horchte. Es kribbelte ihm Nacken, als er ihm ins Ohr sprach. Plötzlich so nah. And all I have to do is think of her Er drehte dein Kopf halb in seine Richtung und betrachtete die außergewöhnlich blassen Muttermale unter seinem rechten Auge. Das wäre der Moment gewesen, ihm einen Kuss zu stehlen. Wäre da nicht diese Hand auf seiner Schulter gelandet. »Schön, dass du kommen konntest, Arthur!« Cobb grinste enthusiastisch. Je eine Hand auf je einer Schulter der beiden Männer. »Wie ich sehe, kennt ihr euch bereits!« Er musste sich bemühen gegen den Lärm anzukommen, aber da sie nicht auf einem Rock-Konzert, sondern bei einer Beatles Cover-Band waren, konnte man sich relativ gut verständigen. Trotzdem wäre ein Wechsel der Location wohl angebracht. Eames ließ Arthur nicht aus den Augen, genoss die Mimik auf dem jungen Gesicht. Er war nicht weniger überrascht, zugegebenermaßen. »Eames!«, er reichte Arthur die Hand. »Thomas Eames!« *Arthur* Als der Brite sich ihm zuwandte und ihn ansah, spürte Arthur nur zu deutlich, dass er wünsche, dass dieser Abend noch lange dauern würde. Sie waren sich so unerwartet nah, aber den Drang, wieder auf Abstand zu gehen, den er so oft bei anderen Menschen verspürte, fehlte. Nein, er würde keinen Rückzieher machen – komme was wolle. »Schön, dass du kommen konntest, Arthur!« Die Hand auf seiner Schulter, die Worte – wieso ausgerechnet jetzt? Er blickte hinab und sah, dass Dom auch dem anderen die Hand auf die Schulter gelegt hatte. Irritation schlich sich in seinen Blick. »Wie ich sehe, kennt ihr euch bereits!« Etwas griff nach seinem Magen und drückte erbarmungslos zu. Das konnte jetzt nicht wahr sein, oder? Das durfte jetzt nicht wahr sein! War dieser Brite tatsächlich der Mann, den Dom ihm vorstellen wollte? Der mit dem sie die nächsten Wochen und Monate, vielleicht sogar Jahre zusammenarbeiten würden? Zwei Dinge wurden ihm gerade bewusst: 1. Alle Unbefangenheit war dahin, was den Umgang mit diesem Faszinosum betraf. Denn nun hatte er etwas zu verlieren, wenn er sich auf einen Flirt oder mehr mit ihm einließe. Der Job war ihm wichtiger, als alles andere. Nichts und vor allem niemand würde diesen Job beeinträchtigen. 2. Das alles hier war mit einem Mal in Frage gestellt. Alles, was er sich zurechtgebogen hatte, damit es ihm in den Kram passte. „Aber da du dich zu mir gesetzt hast, könnte ich mir vorstellen, dass es etwas mit mir zu tun hat.“ Der andere Mann schien genau gewusst zu haben, wer er war. Vermutlich hatte Dom mit ihm darüber gesprochen. In seinem Gesicht konnte er keine Überraschung sehen. Alles, der ganze Flirt war inszeniert gewesen. Hatte er ihn testen wollen? Was hatte er damit bezweckt? „Kennen ist übertrieben“, murmelte er. Arthur schluckte, seine Miene verhärtete sich. So schnell würde er nicht mehr auf dieses Lächeln und das Funkeln in den blauen Augen hereinfallen. Etwas kräftiger als nötig ergriff er die Hand. „Arthur“, sagte er schlicht. „Auf gute Zusammenarbeit.“ Kapitel 26: The wolf -------------------- *Arthur* Arthur betrachtete mit einem seltsamen Gefühl im Magen Thomas, der noch immer das Bild betrachtete von jener ersten Begegnung. „Ich habe mich nie getraut zu fragen, ob Dom dir vorher von mir erzählt hat“, sagte er leise. Es war einfacher gewesen, sich das einzureden, um die Distanz aufzubauen, die er brauchte, um in Eames Anwesenheit arbeiten zu können. Er lernte ihn und sein Ego, seine unbedarfte Art und Weise an Dinge heranzugehen schließlich recht schnell kennen. Es passte ihm gut ins Bild, dass auch ihre erste Begegnung damals nur ein Spiel des Forgers gewesen war. „Ich hätte diesen Kuss damals gerne gehabt.“ Er lächelte leicht. „Aber es war ganz gut, dass ich ihn nicht bekommen habe.“ Damals hatte er angefangen, sich seiner Bisexualität zu stellen, hatte den Wunsch verspürt, Erfahrungen auch bei Männern zu sammeln. Dieses Gefühl, Thomas letztlich nicht gewachsen zu sein, hatte ihn dazu motiviert. Im Nachhinein betrachtet hatte er das Gefühl gehabt, zu ihm aufschließen zu müssen, was Selbstsicherheit auf diesem Gebiet betraf. Wenn er jemals doch etwas mit ihm anfangen würde, so wollte er ihm etwas bieten können. Bereits damals wusste er, dass er vermutlich niemals von diesem Mann loskommen würde- egal wie oft er es sich wirklich gewünscht hatte, egal wie sehr er es versucht hatte. *Eames* Es war ihm schwer gefallen den Blick von dem Bild abzuwenden, das Arthur damals von ihm gezeichnet hatte. Es half ihm, sich zu erinnern. Es war ein Kompliment auf besonderer Ebene, obwohl er sich dabei schrecklich entblößt fühlte. Arthur hatte ihn sehr genau ansehen müssen, um so eine Originalgetreue Zeichnung von ihm anzufertigen. “Aber es war ganz gut, dass ich ihn nicht bekommen habe.“ Eames nahm einen weiteren Schluck Whiskey, rau und süß in seiner Kehle und sah dann auf um Arthurs Blick aufzufangen. Ernst und konzentriert und natürlich unglücklich. Anscheinend war ihre komplette Beziehung auf schrecklichen Missverständnissen aufgebaut. Ihm wurde leicht schlecht. Trotzdem schlich sich ein kleines, bitteres Lächeln auf seine Züge. »Wir wären damals wohl kein gutes Paar gewesen.« Jetzt denn? Das war wohl die alles entscheidende Frage. Oder eine von den vielen. »Aber Cobb hat mir nichts von dir erzählt. Er sagte nur, er habe jemanden kennengelernt, den er mir vorstellen wollte, und ich war einverstanden, weil ich sowieso nichts zu tun hatte. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keinen Job, keine Wohnung... mir war egal, wen er da anschleppt. Ich hab mit einem Kriminellen gerechnet, der sich mit der Materie auskennt. Ein anderer Soldat vielleicht oder irgendein abgefuckter Drogen-Dealer, der als Chemist mitmischen will...«, Somnacin war damals wirklich nicht so leicht zu kriegen. Er war gefasst, der Alkohol tat seinen Teil dazu. Das war gut. »Warum hast du nie gefragt?«, stiller Vorwurf. Er hielt das Papier fest in der Hand. Anscheinend wäre ihnen viel erspart geblieben, wenn der Herr die Zähne auseinander gekriegt hätte. *Arthur* Nein, das wären sie nicht gewesen. Es wäre eine absolute Katastrophe gewesen. Nicht unter diesen Umständen. Er hatte reifen müssen, und er hatte sich neu finden müssen, nachdem sein ganzes Lebenskonstrukt kurz zuvor zusammengebrochen war. Gleichzeitig war er sich fast sicher, dass es auch für Eames besser gewesen war, nicht alles einfach zu bekommen. Er wäre seiner sicher bald überdrüssig geworden. Dass er damals letztendlich Eames‘ Verlangen, ihn zu bekommen, überstrapaziert hatte, war Arthur aber auch klar. Aber es hing damit zusammen, dass Ereignisse dazwischen gekommen waren, die so gravierend waren, dass mittlerweile sechs Jahre vergehen mussten, bis sie anfangen konnten, darüber zu reden. Ob es jetzt wohl anders laufen würde? Zumindest hatten sie eine Basis definiert, eine Basis, die seinerseits damals in der Bar begonnen hatte. Arthur sah auf und Tom an, der ihm bestätigte, dass Arthur sich selbst belogen hatte. Es war interessant zu hören, mit wem er gerechnet hatte. Es bestätigte zusätzlich, dass er ihn nicht als denjenigen erkannt hatte, mit dem er tatsächlich verabredet gewesen war. »Warum hast du nie gefragt?« Die Worte lagen ihm schwer im Magen, der Vorwurf darin noch mehr. Er schwieg eine Weile, sortierte sich, versuchte sich zu fassen. „Wenn ich gefragt hätte und erfahren hätte, dass es doch ein besonderer Moment gewesen war, der nichts mit dem Job sondern nur mit uns beiden zu tun gehabt hatte“, sagte er schließlich und merkte, wie dumm er eigentlich gewesen war, „dann wäre es mir noch schwerer gefallen, dich auf Distanz zu halten. Aber ich hatte damals nicht das Gefühl, dass ich dir das hätte bieten können, was du brauchst. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass ich dir in irgendeiner Weise gewachsen war. Ich war grün hinter den Ohren – und du warst so selbstsicher.“ Er lächelte matt. „Ich wäre Wachs in deinen Händen gewesen und du wärst meiner schnell überdrüssig geworden, weil ich dir nicht auf Augenhöhe begegnen konnte. Ich musste erst reifen, sicherer werden. Dann, so dachte ich, könnten wir etwas aufbauen, was Bestand hatte.“ Er trank einen tiefen Schluck Whisky. „Wie du sagst: wir wären damals kein gutes Paar gewesen.“ Es fühlte sich seltsam an, aber vermutlich war es einfach wahr. „So sehr ich mich nach mehr gesehnt hatte, so sehr hatte mir aber auch das Knistern gefallen, das man immer wieder gehört und gefühlt hatte. Ich schob stets den Job vor, wie wichtig er für mich, für uns war. Im Selbstbelügen bin ich einsame Spitze!“ Er blickte auf die Zeichnungen. Sie hatten sich dann richtig kennengelernt. Hatten miteinander gearbeitet, so viel konstruiert, erste Jobs gemeistert. Eames war für ihn zu einer Droge geworden: wirklich los kam er nie von ihm, aber wirklich gut tat er ihm auch nicht. Eine Hassliebe. Er bildete sich ein, nie sicher sein zu können, woran er wirklich bei ihm war – vermutlich, weil er es lieber nicht wissen wollte. Mittlerweile ahnte er, dass er ihm mehr hätte vertrauen müssen, dass er den Worten hätte glauben müssen, die so oft so ehrlich zu ihm gewesen waren. Er konnte Eames nur fragen, warum er ihm nie etwas gesagt habe, warum er nie seine Gefühle offenbart hatte. Denn das hatte er, mehr als einmal. Oft. Er hatte ihm nicht glauben wollen. Doch als er es endlich hatte schaffen wollen, auf ihn zuzugehen. als er ihnen endlich eine Chance hatte geben wollen, als er sich gefestigt hatte, sich wiedergefunden hatte, war es zu spät gewesen. Und sein Vertrauen heftig hintergangen worden. *Eames* Er war gefangen zwischen Wut und Mitgefühl. Wut, weil Arthur, bei all den Gedanken, die er sich anscheinend damals gemacht hatte, nicht einmal darüber nachgedacht hatte, was er Eames mit seinem Verhalten angetan hatte. Sicher, er konnte zuweilen schrecklich anstrengend sein und er war oh so selbstbewusst und sicher in allem was er tat. Er hatte nie Zweifel – nie! Bullshit! Wut, weil Arthurs altes Ich sich vollkommen unterschätze. Er hatte nicht einmal in Betracht gezogen, interessant genug zu sein – also stieß er ihn lieber von sich, herzlichen Dank. Und dennoch bewahrte ihn ein simpler Gedanke davor auszuflippen: Arthur hatte Recht. Sicher nicht mit allem, aber der Großteil stimmte. Natürlich hatte es ihm nicht gut getan, von Arthur abgestoßen zu werden. Aber wie gut wäre es wohl zwischen ihnen gelaufen, wenn er direkt auf die ganzen schlechten Anmachsprüche eingegangen wäre? Vielleicht hätten sie danach keine Freunde mehr werden können... vielleicht wären sie beide nach dem unwillkürlichen Desaster so zerstört gewesen, dass sie den anderen nicht mehr ertragen hätten. Vielleicht wäre Eames dann mittlerweile vollkommen allein, weil es niemanden mehr gab, der sich freiwillig in die Nähe des Unfalls wagte, den er sein Leben nannte. Eames wusste nun, dass Arthur eine verdammt schwere Zeit durchgemacht hatte und er wusste, dass er damals nie im Leben für ihn hätte da sein können. Er war zu sehr mit sich und seinem unstillbaren Ego beschäftigt gewesen. Er fühlte sich elend, weil Arthur ihm einen weiteren Beweis für seine Zuneigung geliefert hatte und er ein verdammter Esel gewesen war. »Eindeutig.«, stimmte er ihm leise zu. Er war großartig darin sich selbst zu belügen. Das kam erschwerend hinzu. Und Eames war noch nie in der Lage gewesen ihn davon abzuhalten. Die Skizzen legte er nur kurz beiseite, um sich selbst und Arthur nachzuschenken. »Ich war ein Arsch«, begann er erneut und trank. »Und du warst... na ja 'ne Pussy.« Er grinste, dann schüttelte er den Kopf. Er musste aufhören zu trinken; sein Mundwerk war lose genug und es durfte nicht außer Kontrolle geraten. »Sorry. Was ich eigentlich sagen wollte... « Er atmete schwer. Mit Zeige- und Mittelfinger rieb er sich die Schläfe, als müsste er erst herauskneten, was er sagen wollte. Er war ein fabelhafter Schauspieler und ein guter Redner, aber wenn es ums Eingemachte ging – um sein Eingemachtes – gingen die Pferde wohl mit ihm durch. Anscheinend war er die größere Pussy von ihnen. »Ich würde deiner niemals überdrüssig werden«, kam es schließlich, klar und ehrlich. »Seit ich dich damals angesprochen habe, bist du mir nie mehr aus dem Kopf gegangen... und wenn ich dich nicht mehr hätte, dann...« Er zog die Schulter hoch. Dann hob er die Hand mit Fingern geformt wie ein Pistolenlauf, den er an seine Stirn drückte und pustete sich sinnbildlich den Schädel weg. *Arthur* Jegliche Form von Kritik, die Eames ihm gegenüber bisher formuliert hatte, hatte bei Arthur stets zu Widerworten und Verbalattacken geführt. Sie hatten sich anschließend meist ziemlich gefetzt. Gerade bestätigt zu bekommen, was er sich selbst vorgeworfen hatte, ärgerte ihn gar nicht. Selbsterkenntnis… Er hielt Eames sein Glas hin, damit dieser ihm nachschenkte. Der Alkohol tat gut, er entspannte ihn nach dem recht anstrengenden Tag, der nicht so wirklich gewinnbringend gewesen war. »Ich war ein Arsch.« Offenbar war er nicht der einzige, der sich kritisierte. Er schmunzelte, hob dann aber überrascht die Augenbrauen, als Eames fortfuhr. Im Reflex stieß er Eames empört in die Seite – zum Glück nicht in die gebrochenen Rippen. Das Grinsen auf seinen Lippen verriet jedoch, dass er die Kritik richtig zuordnete. Er war damals wirklich… zickig und nervig gewesen, eine Diva... oder eben Pussy Immerhin entschuldigte sich Eames für das Wort, das doch eigentlich irgendwie treffend war. Er beobachtete, wie es Eames schwer fiel die richtigen Worte zu finden. Es war erstaunlich, aber es tat auch gut. Der sonst so eloquente Mann, der ihn in ihrer Anfangszeit wirklich leicht mundtot bekommen hatte, rang nach Worten. Das zeugte davon, dass diese ehrlich waren, wohl überlegt. »Ich würde deiner niemals überdrüssig werden.« Die Basis, die sie gemeinsam hatten. Worte, die er sich in Zukunft immer dann wieder ins Bewusstsein rufen würde müssen, wenn sie aneinandergerieten. Es ging ihm nicht anders, egal wie Scheiße sich der andere benahm, egal wie sauer er auf Eames war. Er musste nur wieder vor ihm stehen und jedes Vorhaben, nie wieder etwas mit ihm zu tun haben zu wollen, war dahin. Hatte er gestern Abend nicht noch erst sich versucht einzureden, dass er niemals etwas für ihn empfunden hatte? Wirkungslos… Arthur war versucht, die Hand zu heben und Eames Hand zu ergreifen, aber er merkte, dass er noch nicht fertig war, daher rührte er sich nicht. »Seit ich dich damals angesprochen habe, bist du mir nie mehr aus dem Kopf gegangen... und wenn ich dich nicht mehr hätte, dann...« Nun war er doch etwas überrascht. Nicht wegen Ersterem, was er letztlich ja auch seinerseits sagen konnte. Doch Zweiteres überforderte ihn gerade. Denn diese Geste und diese Worte… Es hieß nichts anderes, als dass er in gewisser Weise der letzte Sinn von Eames‘ Leben war. War das nicht etwas übertrieben? Hatte er nicht genug Freunde? Eames schien immer mit einer so großen Leichtigkeit und Unbedarftheit durchs Leben zu tanzen… Gerade Eames wusste doch genau, wie er das Leben genießen konnte! Gerade auch ohne ihn! Oder war das wirklich immer nur alles Fassade? Nun, im Grunde genommen wusste er es, auch wenn er sich gerne eingeredet hatte, dass es nicht so war. Im Grunde wusste er, dass Eames alles andere als so selbstsicher und unbeschwert war, wie er immer tat. Eigentlich sollte es ihn nicht wundern. Er erinnerte sich an dessen Traum, den er gestern das erste Mal betreten hatte. Heimat, Lieblingsorte, viele Details, die Erinnerungen bedeuteten, Empfindungen – aber der Raum war geprägt von Eiseskälte. Nun, bis Arthur auf ihn zugegangen war und es plötzlich sonnig geworden war. Er hatte diesen absurden Gedanken einen Moment gehabt, dass es mit ihm, mit ihnen beiden und dem „Something“ zu tun hatte, das sie teilten. Aber er hatte sich einen Träumer gescholten, einen hoffnungslosen Romantiker, einen Idioten. Er überlegte, ob er danach fragen sollte, aber er ließ es. Es passte gerade nicht hierher. Dass sich Eames von ihm so abhängig mache, konnte er aber zum Teil nachempfinden. Hatte er nicht selbst auch Angst davor, sich auf ihn einzulassen, weil er nie wissen könnte, ob er überhaupt zu ihm zurückkommen würde? Erwischte er sich nicht immer, wenn er ein Lebenszeichen von ihm hörte, bei dem Gefühl, erleichtert zu sein? Trug er nicht stets die Angst in sich, nie wieder etwas von ihm zu hören, wann immer er verschwand ohne sich zu verabschieden? So unbedarft er durchs Leben tanzte, so viel Ärger zog jener nun einmal auch an. Die gebrochenen Rippen waren harmlos dagegen… Arthur wusste nicht, was er sagen sollte, zu viel schwirrte ihm durch den Kopf. Die Verantwortung, die ihm soeben übertragen worden war, war enorm. Doch dass er sie stemmen konnte, bezweifelte er seltsamerweise nicht. Er stellte nicht in Frage, dass er ihr gewachsen war – mittlerweile gewachsen war. Schließlich sah er ihn an und sprach mit erstaunlich fester Stimme. „Wenn du jemals diesen Weg wählen würdest, nur weil du glauben würdest, mich verloren zu haben, ohne dessen sicher zu sein, dann schwöre ich dir, würde ich dir in die Hölle folgen, in die du dich damit katapultierst, um dich eigenhändig noch einmal umzubringen.“ Nicht gerade das, was sich ein Romantiker auf solche Worte vermutlich vorstellte. Vermutlich missverstand er die Geste ohnehin. Aber besser bekam er so etwas nicht hin. Das warme Gefühl in seinem Inneren blieb dennoch bei dem Gedanken, dass er der Sinn im Leben des anderen war. Und seltsamerweise sah er sie beide dasitzen - irgendwann in hoffentlich ferner Zukunft: gescheitert, Blut überströmt, kraftlos, sich die Kugel gebend - Arm in Arm Er trank einen Schluck, betrachtete dann die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas. Dann blickte er auf die Zeichnungen. Sie waren ehrlich zueinander, vielleicht das erste Mal in ihrem Leben wirklich. Vielleicht würden sie es wirklich schaffen, Tokyo hinter sich zu lassen und endlich sich zu gönnen, was sie sich seit ihrer ersten Begegnung wünschten. Unabhängig davon, dass es dennoch immer kompliziert sein würde - das gehörte zu ihnen beiden einfach dazu. „Ich bin an dir damals sehr gewachsen. Mit dir zu arbeiten, war teilweise echt heftig für mich. Wir sind so völlig verschieden. Du hast mich auf bittersüße Art und Weise erbarmungslos gefordert, mich stark gemacht. Es hat mir verdammt gutgetan. Ich wüsste nicht, wo ich sonst jetzt in meinem Leben stehen würde.“ Er zögerte kurz. „Ich hatte immer gehofft, dass ich dir das irgendwann zurückgeben könnte. Ich habe noch immer das Gefühl, dass ich dir so viel verdanke, ohne dir auch nur ansatzweise das gleiche zurückgegeben zu haben.“ Entlastete er gerade sein schlechtes Gewissen? Er hoffte es nicht. So meinte er es zumindest nicht. *Eames* Kein Wunder, dass für die Beleidigung gleich die Retourkutsche kam, in Form eines kleinen Seitenhiebes. Er verteidigte sich halbherzig und hoffte auf mehr Körperkontakt, aber der blieb leider aus. Ein bisschen Rangeln mit gebrochenen Rippen und alte Wunden zu heilen, vielleicht? „...würde ich dir in die Hölle folgen, in die du dich damit katapultierst, um dich eigenhändig noch einmal umzubringen.“ Arthur meinte es wirklich ernst und erst dadurch wurde Eames überhaupt erst bewusst, was er da gerade angedeutet hatte. Welche Schwere diese Geste hatte. Meinte er es denn so, wie Arthur es verstanden hatte? Tatsächlich hatte er nur aus dem Affekt einen Selbstmord angedeutet, aber wie weit würde er wirklich gehen, sollte er Arthur irgendwann verlieren..? Er kam nicht dazu sich diese Frage selbst zu beantworten. Sein Kopf fühlte sich schwer an und sein Bauch wohlig warm und Arthur fuhr fort. Es bewegte Eames diese Worte zu hören. Er hatte geahnt, dass er damals einen gewissen Einfluss auf Arthur gehabt haben musste, aber hatte sich immer viel zu sehr auf sich selbst konzentriert. Er war viel zu sehr darauf fokussiert gewesen, wie sich sein Leben durch Arthur verändert hatte und hatte nicht einen Gedanken daran verschwendet, dass er auch maßgeblichen Einfluss nahm; vor allem mit seinem unbedarften Egoismus. Er wollte ihn so sehr, dass es wehtat und ihm war egal was für Konsequenzen es gehabt hätte.. 'Cause you can run but you can’t hide I’m gonna make you mine (https://youtu.be/d5aGmIIrx7k) Es war ihm damals nicht wirklich um Arthur gegangen, sondern nur um sich selbst. Aber seither hatte sich einiges verändert. Er keuchte etwas wie ein Lachen und schüttelte den Kopf. »Glaub mir, du schuldest mir nichts...«, sagte er leiser. Er spürte den Drang ihn zu küssen und sich zu entschuldigen, aber ahnte, dass vieles nur schlimmer machte, wenn er die heilige Barriere zwischen ihnen wieder zerbracht. Wenn er jetzt körperlich wurde, würde es vielleicht mehr zerstören, als retten... oder? Vielleicht nur für einen Moment... Er sah ihm lange in die Augen und rang mit sich. Vielleicht nur ein Kuss..? Statt sich hinreißen zu lassen, sah er erneut auf die Zeichnungen in seinem Schoß und überlegte, was Arthur meinen könnte. Dann tippte er auf eine Zeichnung, die Arthur wahrscheinlich nach einem ihrer ersten Trainings angefertigt hatte (vielleicht auch währenddessen). Er war gut in Form gewesen. »Weißt du noch? Mal war auch dabei...« Kapitel 27: In the Air ---------------------- *Arthur* Der Gedanke, dass er die Geste zu ‚wortwörtlich‘ genommen hatte - so wie er viele Worte zu genau nahm - kam ihm erst, als er Eames Blick einfing, der über seine Drohung nachzudenken schien. Es war ihm unangenehm. Dinge, in die man zu viel hineininterpretiert konnte, lagen ihm gar nicht. Lyrik-Analysen im Literaturunterricht war ihm ein Grauen gewesen. Wie sollte man auf all das kommen, was der Lehrer gerne hören wollte, wenn es doch nicht so dastand? Da waren ihm Mathe und Physik deutlich lieber gewesen! Klare Formeln, klare Beweise, klare Folgen. Richtig und falsch. Gut, dass Eames nichts erwiderte, sondern sich über seine Entschuldigung amüsierte. Der eindringliche, warme Blick, mit dem er ihn nun allerdings ansah, machte ihn erneut unruhig. Es kamen Gedanken hoch, Gefühle, die ihn verunsicherten - nein, eher ablenkten. Das Bedürfnis von eben, ihn berühren zu wollen, ihm noch näher zu sein, war wieder da. Aber die Vernunft pfiff ihn zurück. Er war doch kein blöder Teenager, der sich seinen Launen hingab! - Schade, eigentlich. Er atmete aus, als Eames den Blick senkte und sie zurück zum Eigentlichen kamen: zu den Dingen, die sie besprechen mussten, über die geredet werden mussten! Was danach kam, kam danach. Oder? ‚Weißt du noch? Mal war auch dabei...‘ Er lächelte. Das Training! Nein, eher genau diese Trainingseinheit. Es war sein erster Triumph von den sehr wenigen, die er bis heute je haben durfte. „Das Training war übel für mich“, sagte er. „Und völlig unfair! Ich kam mir vor wie... wie Mogli, der von Balu Boxen lernt. Ich konnte machen, was ich wollte, aber ich hatte nie eine wirkliche Chance. Du erträgst Schmerz wie ein Stein. Egal wie oft ich dann doch mal traf. Wenn du mir jedoch nur eine verpasst hast, konnte man mich von der Wand kratzen. Du hast mich immer irgendwann erwischt.“ Er schnaubte. Letztlich war das aber ganz gut gewesen. Es hatte seinen Ehrgeiz geweckt. „Bei diesem Training hatte ich nur wegen Mal eine Chance bekommen. Und die hab ich genutzt.“ Das Szenario war toll gewesen, eine Akte Fabrikhalle. Sie hatten Freestyle gekämpft - dreckig, wie es Eames liebte. Arthur hatte keine Chance. Mal hatte damals Eames einen Moment abgelenkt. Er lächelte bei der Erinnerung. Doch etwas Trauriges schlich sich in seine Augen. Zum einen: dieser eine Abend, an den er dachte, nahm nicht das Ende, das sie sich eigentlich erhofft hatten. Ein Bruch war die Folge gewesen. Es war das erste Mal, dass Eames auf ihn hatte warten müssen – und er war nicht gekommen. Zum anderen: Mal. Er vermisste sie. Damals war sie ihm die Freundin, die er dringend gebraucht hatte. Mit ihr hatte er über die Dinge reden können, die seine Familie betrafen. Sie und Dom waren damals zu seiner Familie geworden. „Zumindest hab ich beim Waffentraining besser ausgesehen.“ Schießen konnte er - zumindest im Schießstand. Er hatte ein gutes Auge. Wobei sein Reaktionsvermögen im Gelände auch Eames Verdienst war. ~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~ *Mal* Mal trug den hellroten Lippenstift, den sie mit Arthur zusammen gekauft hatte, als Dom sie das erste mal auf ein Date eingeladen hatte. Sie lächelte mit einer allwissenden Ruhe, wie eine Mutter, die ihre Kleinen beim Spielen beobachtete, obwohl sie damals noch einige Jährchen von ihrer ersten Schwangerschaft entfernt war. Es war ihr Traum und Arthurs Unterbewusstsein in dem sie sich bewegten. Vor der alten Lagerhalle erstreckte sich ein überdimensional großes Feld von kräftigen, strahlend gelben Sonnenblumen und irgendwo in der Ferne konnte man ein kleines Farmhaus erkennen. Vereinzelte, fluffige weiße Schafwolken zogen an ihnen vorbei und es war ein grandioser Tag. »Ich denke, wir werden heiraten.« Ihre Stimme klang melodisch und ruhig, der Wind blies ihr die verspielten brünetten Locken ins Gesicht und gab ihr den typischen, verwehten Look. Sie trug ein lockeres, weißes Hemd und eine Latzhose und blickte unentwegt in die Ferne. »Das waren jetzt zwei Dates. Außerdem versteht ihr beiden euch gut, also... es gibt nichts mehr zu verlieren.« Sie lehnte ihren Kopf an Arthurs Schulter und seufzte leise. Dann stupste sie ihn mit der Nasenspitze an. »Du solltest ein bisschen mehr Zeit in der Wirklichkeit verbringen, Arthur. Nicht, dass du da draußen was verpasst.« Fürsorglich, sanft. Mal war durchaus ein extrovertierter Mensch, aber lebte diese Eigenschaft mit einer außergewöhnlichen Empathie für ihre Mitmenschen. Und seit sie Arthur vor einigen Jahren in einem Kurs in der Uni kennengelernt hatte, war sie ihm kaum mehr von der Seite gewichen. Sie hatte sofort erkannt, dass da mehr war, als er nach außen zeigte; etwas besonders Zerbrechliches, Verborgenes, das sie mit allen Mitteln beschützen wollte. Er war der Bruder, den sie nie hatte und ein neuer Mann in ihrem Leben würde die Verbindung nicht angreifen. Dafür sorgte sie schon. *Arthur* „Heiraten?“ Arthur hob erstaunt die Augenbrauen und wendete seinen Blick leicht von dem warmen Gelb ab, auf das er die letzten Minuten geblickt hatte, die Idylle genießend, dem Gefühl von Ruhe nachgehend. Er blickte Mal leicht skeptisch an. Er war überrascht. So lange kannten sich die beiden doch noch gar nicht. Wie oft waren sie aus? Zwei-, dreimal vielleicht alleine? Nun, er hatte nichts gegen Dom, er war ihm wirklich zum Freund geworden, sie schätzten sich und vertrauten einander. Niemals hatte er das Gefühl gehabt, dass jener ihm etwas wegnehmen würde, vielmehr bereicherte er sein Leben um so vieles mehr. Es war vermutlich eher das Gefühl, dass es seiner Meinung nach keinen rationalen Grund gab, wieso man überhaupt ‚heiraten‘ sollte. Außer, weil es steuerliche Vorteile brachte… Ansonsten wirkte der Ehering für ihn wie eine Fessel, auf der man sich ausruhen konnte, weil man sich ja ’gebunden‘ hatte. Wie viele Menschen… Er unterbrach seinen Gedankengang, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Diese Glückseligkeit, diese vollkommene Zufriedenheit und Freude – er musste lächeln. ‚Das waren jetzt zwei Dates. Außerdem versteht ihr beiden euch gut, also... es gibt nichts mehr zu verlieren.‘ Arthur senkte den Blick, das Lächeln hatte sich zu einem Grinsen verbreitert. Er nickte gewichtig, und versuchte das Grinsen zu unterdrücken. „Deine Argumentation ist unschlagbar!“, nickte er und lachte. Dann sah er sie mit einem sanften Lächeln an. „Spaß beiseite. Du wirst die schönste Braut sein“, sagte er dann. „Er kann sich glücklich schätzen, dich zu bekommen.“ Doch so leicht entkam er ihr nicht… Die Rache kam postwendend. ‚Du solltest ein bisschen mehr Zeit in der Wirklichkeit verbringen, Arthur. Nicht, dass du da draußen was verpasst.‘ Er schluckte, das Lächeln erstarb, dann senkte er den Blick. „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich wirklich viel verpasse. Meine Abschlussarbeit ist fertig und ich muss warten, bis ich sie verteidigen darf. Ansonsten ist da nichts und niemand“, sagte er ausweichend. „Das hier ist wichtig für mich und uns. Je besser ich werde, desto mehr Erfolg haben wir bei unseren Jobs. Ich arbeite hier. Das Training tut mir gut. Viel Zeit vergeht da draußen ja auch nicht.“ Er spürte, wie er unruhig wurde, wie er sich weniger wohl fühlte. Er wusste, dass er hier oft war. Aber so oft war es nun auch wieder nicht. Er blickte wieder hinaus in die Sonnenblumen, aber diesmal wirkten sie nicht mehr so warm. *Mal* Sie lächelte zufrieden. Dieser prüde Amerikaner war sicherlich nicht das, was sie erwartet hatte, aber er war das, was sie gebraucht hatte. Für sie war Liebe kein Spiel, sondern der Glaube an das Gute in Menschen. ‚... Je besser ich werde, desto mehr Erfolg haben wir bei unseren Jobs. Ich arbeite hier. Das Training tut mir gut. Viel Zeit vergeht da draußen ja auch nicht.‘ Sie sah ihm ins Gesicht, als suchte sie nach etwas. Die Furche zwischen ihren Augenbrauen sprach von Sorge. Als wollte sie sagen ‚Sicherlich vergeht die Zeit da draußen langsamer, aber sie vergeht. Und dann ist sie weg.‘ Aber sie blieb stumm. Bald fand sie ihr Lächeln wieder. Richtete Arthurs Kragen. Sie hatte es schon einmal gesagt; sie würde immer für ihn da sein, egal was war. Diese Geste war nur eine kleine Erinnerung daran. Als sie bemerkte, dass sich jemand näherte, sah sie an Arthur vorbei. »Danke, Mallorie! Da draußen ist ein regelrechtes Piss-Wetter«, bemerkte Eames. Er stand in nicht allzu weiter Entfernung zu den beiden Träumern und näherte sich mit Blick auf das weite Feld und das gute Wetter. Er trug ein lockeres Hemd, mit einem Muster, das an die Tapeten billiger Motels erinnerte, die Ärmel hatte er hochgekrempelt. Er war in außerordentlich guter Form. Das viele Training tat auch ihm gut. »Bereit für ein bisschen Spaß, Darling?« Sie lächelte unverfänglich, aber reagierte nicht auf Eames. Stattdessen, klopfte sie Arthur auf die linke Brust. »Ich gehe eine kleine Runde spazieren.« Mal hatte nie schlecht über Eames geredet. Aber sie hatte ihn auch nie nah an sich heran gelassen. Es mochte Eingebung sein, oder einfach nur ein Gefühl, aber sie hatte immer gewusst, dass es nicht klug war, sich auf ihn einzulassen. *Arthur* Der Blick, der ihn scheinbar durchdrang und das schlechte Gewissen in seinem Inneren weckte. Ein schlechtes Gewissen, weil er genau spürte, dass er sich belog – und jetzt gerade auch sie. Aber im Moment wollte er nicht darüber reden. Er hatte das schon im Griff. Und dass er besser werden musste, war ja wirklich so, oder etwa nicht? Er spürte ihre Hand am Kragen, hatte das Gefühl etwas sagen zu müssen, aber ihm kamen die Worte nicht über die Lippen. Er wollte doch einfach nur ein wenig vergessen. Er wollte doch nur ein wenig von der ungeahnten Wut in sich abbauen. Er wollte doch einfach nur... Als ihr Blick von ihm abwich, spürte er auch hinter sich die Schritte, der wippende Gang, den er mittlerweile so gut kannte. ‚Danke Mallorie! Da draußen ist ein regelrechtes Piss-Wetter.‘ - Eames war dazugekommen. Arthur fing Mals Blick auf. Er wusste, dass sie Eames vorsichtig gegenübertrat. Sie hatte damit ja auch vermutlich recht. Aber… ja… hm… ‚Bereit für ein bisschen Spaß, Darling?‘ Sein Blick verhärtete sich bei den Worten, die er nun hörte. Die Hand auf seinem Herzen ließ ihn kurz fragend blicken. Was sollte diese Geste? Er ahnte es, aber er wollte lieber nicht weiter darüber nachdenken. „Wir reden später weiter“, sagte er zu ihr und sie nickte. Ja, er würde später über das Thema mit ihr reden, über sein Bedürfnis davor wegzulaufen, dass seine Mutter ihn seit ein paar Tagen versuchte zu erreichen, er aber nicht ans Telefon ging. Arthur stand auf, blickte Mal kurz hinterher, öffnete sein Jackett und zog es dann aus. Dann erst blickte er Eames an. Er freute sich auf das Training mit ihm. Noch etwas, das Mal spürte, aber weniger gut hieß. Er hatte ihr von ihrer ersten Begegnung erzählt, von diesem Moment. Und sie merkte vielleicht, dass seine Mauer zu bröckeln begann, trotz der vielen Verfehlungen, die sich Eames immer wieder leistete. Vielleicht daher die Geste gerade. Er atmete tief durch. „Spaß ist relativ“, entgegnete er möglichst gleichgültig. Er hängte das Jackett über eine Brüstung, knöpfte dann die Ärmelknöpfe auf, um sich besser bewegen zu können. Vorhin hatte er sich noch hierauf gefreut, jetzt nagte etwas an ihm. Sein Körper reagierte bereits auf das Bevorstehende, er spürte eine leichte Anspannung, etwas Adrenalin der Vorfreude, körperlich gleich an seine Grenzen geführt zu werden. Und vor allem spürte er den Willen, dass es heute nur für einen Spaß gab – für ihn. Auch wenn die Chance dafür gleich Null war. Aufgeben lag ihm nicht. „Lass uns anfangen.“ *Eames* Eames sah Mal nur kurz nach, als sie zwischen den Sonnenblumen verschwand. Es war merkwürdig zwischen ihnen. Hin und wieder glaubte er, dass sie ihre Hand über Arthur hielt. Er hatte sogar schon den Gedanken, dass Mal vielleicht Arthur einredete, dass er sich bloß nicht auf ihn einlassen sollte, oder ähnliches. Auch wenn dieser Zug nicht in dem Spektrum lag, das er ihr zutraute: man konnte nie wissen! »Wir gehen rein.«, bestimmte er und entriegelte das große, verrostete Tor. »Hinfallen muss wehtun, sonst lernst du nie dich richtig abzurollen.« Er schob das Tor auf und es knarzte laut, während er sich mit dem ganzen Körpergewicht dagegen stemmte. Ein kleiner Widerstand von Mal vielleicht? Ein paar Krähen flatterten auf, als das Knarzen die friedliche Stille zerschnitt. In der Halle war es staubig und kühler, aber nicht wirklich unangenehm. Ein paar verkommene Gerätschaften standen herum, hier und da lagen verrostete Metallwerkzeuge und Schrauben auf dem Boden. Die großen Metallrohre, die an den Wänden entlang und an der Decke verliefen, verzweigte sich wie ein Gebilde statischer Innereien. Er trat ein paar Schrauben beiseite. Öffnete dann den Verschluss einer goldenen Uhr und legte sie auf einer Tonne in der Nähe ab. Dann drehte er sich um, knackte die Nackenwirbel (wie er es immer tat, bevor es losging) und kam entspannt auf Arthur zu. Das Lächeln auf den Lippen kühl und süffisant. Die Augen auf das Ziel gerichtet. »Wie sieht's aus... Dinner im Per Se, wenn ich gewinne?« *Arthur* Arthur nickte kurz, als Eames die Location bestimmte. Auf der Wiese bei Sonnenschein und warmer Luft wäre ja auch zu nett gewesen für das, was jener immer wieder mit ihm veranstaltete. ‚Hinfallen muss wehtun, sonst lernst du nie dich richtig abzurollen.‘ Lernen durch Schmerz – als ob er nicht momentan genug davon hätte. Er konnte ein Lied davon singen, in vielerlei Hinsicht. Was seine Familie betraf, was sein Sexleben (wenn man es so nennen wollte) betraf, was das hier betraf. Er wusste, dass Eames recht hatte. Er war im Grunde ein sehr guter Lehrer, wenn da nicht diese permanente Provokation schwelen würde. Arthur wusste oft nicht, wie er sie einordnen musste. Das und dieser ständige Versuch, auf Biegen und Brechen mit ihm zu flirten, ihn auf billige Art und Weise anzumachen. Anfangs dachte er, dass ihre erste Begegnung doch irgendwie besonders war. Nun, bis er gesehen hatte, wie Eames mit anderen Menschen umging. Da schien ER ja nichts Besonderes zu sein. Einer von vielen, die jener anflirtete. Einer von vielen, die jener ‚rumkriegen‘ wollte. Der britische ‚Charme‘ – wenn man ihn wirklich so nennen wollte – war gerne ausgepackt, egal um wen es sich handelte. So richtig schlau wurde er daher aus ihm nicht. Und vermutlich war das auch genau der Zweck von Eames Spiel. Arthur blickte sich einen Moment um. Sein Blick auf solche Örtlichkeiten war mittlerweile ein wenig anders. Kein „Wie ist das hier aufgebaut?“, eher ein „Wie kann ich den Raum nutzen?“. Er lockerte sich etwas, wärmte sich auf, während er beobachtete, wie sich Eames vorbereitete. Das ewig gleiche Ritual – er hasste das Geräusch von knackenden Gelenken, hatte es noch nie gemocht. Hier gehörte es dazu, ließ die Anspannung wachsen. Es war die Glocke, die den Ring einläutete. ‚Wie sieht's aus... Dinner im Per Se, wenn ich gewinne?‘ Arthur hob ungläubig eine Augenbraue. Per Se – „Für sich“? – klang ja sehr nach romantischer Zweisamkeit! Er konnte es nicht lassen, oder? Es war ja nicht so, dass er Eames nicht mochte, dass jener ihn nicht oft genug zum Lächeln brachte. Aber für ein Date hatte er so gar keinen Kopf. Und schon gar nicht, wenn man wusste, dass man nur ein Häkchen auf der Abschlepp-Liste eines Mannes mit zu großen Eg war. „Ich hab später schon was vor“, antwortete er. „Zumal du heute nicht gewinnen wirst.“ Es fiel ihm schwer, den ersten Angriff zu starten. Aber er wurde besser darin. Die Ehrfurcht vor der geballten Kraft, die der andere innehatte, schwand langsam, je schneller er wurde. Und so begann er mit einer einfachen Standart-Reihenfolge, die Eames ihm gezeigt hatte, als er noch weniger mit ihm gekämpft, als ihm vielmehr die Basics gezeigt hatte. Mittlerweile ging er noch extra zum Training – der Ehrgeiz. *Eames* Eames hob eine ungläubige Augenbraue. Er hatte also schon was vor? Arthur gehörte zu den wenigen Menschen, die sich zu schade für billige Ausreden waren. Das machte vieles leichter, aber nicht unbedingt angenehmer. ‚Zumal du heute nicht gewinnen wirst.‘ Na, wenn das so war! Eames blockte den Angriff; die Kombi war gut, aber voraussehbar, hatte er sie ihm doch selbst erst vor kurzem gezeigt. Trotzdem interessant, dass Arthur mittlerweile von sich aus startete und nicht erst darauf wartete, dass Eames den ersten Schritt tat oder ein Startsignal gab. Der kleine wurde selbstsicherer. Er duckte sich mit einem Ausfallschritt zur Seite unter einem von Arthurs niedlichen Angriffen hinweg und verpasste ihm in Retour einen Hieb in Leberregion. Kurze Klarstellung der Machtverhältnisse, dann konnte das Training wirklich beginnen. Er gewann etwas Abstand zu Arthur, schüttelte die Hände aus, hüpfte ein bisschen, als wäre das Aufwärmen nötig. »Was macht dich da so sicher? Bist du mir fremdgegangen und hast mit jemand anderem trainiert?« Auch wenn es sich dabei vielleicht nur um Nichtigkeiten handelte, machte ihn der bloße Gedanke daran, dass Arthur Zeit, die ihm gehörte, mit jemand anderem verbrachte, rasend vor Eifersucht. Da war etwas zwischen ihnen, das spürte er und es machte ihn wahnsinnig, dass es nicht endlich passierte. *Arthur* Sah er etwas wie Erstaunen in den Augen des anderen? Weil er etwas vorhatte, oder weil er ihm vormachte, siegessicher zu sein? Das nagende Gefühl, das Mal vorhin in ihm hinterlassen hatte, verschwand und wich damit dem Gefühl von Trotz, das Eames allzu oft in ihm auslöste. Er merkte, wie er sich mehr auf ihr Training einlassen konnte. Und das freute ihn, denn diese Stunden, die er mit Eames hier verbrachte, ließen ihn vergessen, was ihn sonst belastete. Sie waren kostbar für ihn. Arthur presste die Lippen aufeinander, als er den Schlag in die Seite bekam, um dem Schmerz keinen Laut zu geben. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass er leicht zur Seite taumelte und sich erst fangen musste, bevor er sich umdrehte und vorsichtig atmete. Der Dirigent hatte ihn seines Platzes verwiesen. Doch er hatte schon viel mehr eingesteckt. Langsam härtete er ab. Gleichzeitig wuchs mit jedem Schlag, den er abbekam, der Wunsch zu erfahren, wie Eames reagieren würde, wenn er ihn mal zu Boden schicken würde. Und irgendwann würde er das tun! ‚Was macht dich da so sicher? Bist du mir fremdgegangen und hast mit jemand anderem trainiert?‘ Oh! Also tatsächlich angesäuert, weil er etwas vorhatte? Arthur lächelte nachsichtig. Es war immer gruselig zu sehen, dass Eames ihn so einfach zu durchschauen schien. Sicher, er konnte Eames auch einschätzen, doch der Brite schaffte es dennoch immer wieder, ihn in die Irre zu führen, ihn zu verwirren. Ihm selbst fehlte dazu jegliches Talent. Zudem war er ohnehin lieber einfach ehrlich. „Ganz recht“, antwortete er und versuchte etwas Neues. Er ließ sich zwei Labs abblocken, zog einen Punch hinterher, den Eames ihm ohne Weiteres parierte. Diesmal jedoch nutzte er das Wegschlagen der Hand für eine Seitwärtsdrehung. Geschmeidig zog er das Knie hoch und führte einen passablen Side-Kick aus. Immerhin traf er, wenn auch sicher nicht so, wie es nötig wäre, um Eames wirklich zum Schwanken zu bringen. Wie hatte der andere Trainer gesagt? Man darf nie denken „Drauf!“, sondern „Durch!“ – aber das fiel ihm erstaunlich schwer - zumindest wenn er mit Eames kämpfte. „Es ist ganz schön frustrierend, ständig in einer anderen Gewichtsklasse zu kämpfen und kein Land zu sehen.“ War das eine Entschuldigung für das „Fremdgehen“? Tatsächlich machte es ihm Spaß mit anderen „halben Hemden“ – wie der Trainer sie nannte – zu trainieren. Dort hatte er wenigstens Erfolgserlebnisse. Dennoch würde er das Training mit Eames niemals missen wollen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass du einen alleinigen Anspruch auf mich als Schüler hast. Deine Eifersucht ist also nicht angebracht.“ Er lockerte die Beine, hüpfte auf der Stelle, abwartend, die Hände locker vor der Brust. Er kam ins Schwitzen, wurde warm. Seine rechte Hand vor ihm, leicht nach links gedreht. Er musste sich auf seine Schnelligkeit verlassen, das war sein einziger Vorteil. Das Problem war nur, dass Eames vielleicht langsamer war, aber die Wucht, die Kraft die hinter den Schlägen stand, war so viel höher, dass das Blocken nicht einfach war. Langsam bekam er aber ein Gefühl dafür, wann jener angriff. So wie jetzt. Arthur blockte den Schlag mit seinem rechten Arm nach oben, zog mit seiner hinteren Hand durch und traf die Rippen, die Bauchmuskeln des anderen. Es fühlte sich an, als würde er gegen eine Wand schlagen. Seine Faust schmerzte. (Auch ein Vorteil, wenn er in einem Dojo trainierte: Handschuhe und Kopfschutz) Von sich selbst überrascht hielt er inne. Das jedoch war ein Fehler! Der Schlag von oben gegen seine Schulter ließ ihn mit einem Stöhnen in die Knie sinken. Ja, ja. Er hatte noch viel zu lernen. *Eames* Seit er das erste mal mit Arthur im Zweikampf trainiert hatte, waren die Tritte und Schläge eindeutig sicherer geworden. Stärker vor allem und zielgenauer. Anscheinend schlug mal wieder der nicht zu leugnende Perfektionismus und Ehrgeiz durch, den Arthur scheinbar in jeder Disziplin pflegte. In gewisser Weise konnte Eames zumindest den Ehrgeiz nachvollziehen; Gewinnen war schließlich das beste am Spielen. Aber so akribisch, wie Arthur an die Sache heran ging, könnte man sich um dessen geistigen Zustand sorgen. Er selbst hatte etliche Jahre und die erschreckende Härte der Realität gebraucht, um so gut zu werden, wie er war. Arthur hingegen lernte nicht, weil er musste, sondern weil er unbedingt wollte. Und das machte ihn auf lange Sicht wohl noch gefährlicher. ‘Es ist ganz schön frustrierend, ständig in einer anderen Gewichtsklasse zu kämpfen und kein Land zu sehen.‘ Er zischte abfällig und baute etwas Abstand zwischen ihnen auf, schloss dann wieder zu Arthur auf. ‚Ich kann mich nicht erinnern, dass du einen alleinigen Anspruch auf mich als Schüler hast. Deine Eifersucht ist also nicht angebracht.‘ Und schon war es wieder persönlich. Es war wirklich nicht möglich, dass sie auch nur eine Lehrstunde in geschäftlicher Atmosphäre erledigten. Sie hatten schon immer die Tendenz gehabt, sich gegenseitig zu fordern, zu bereichern und gleichzeitig wehzutun. Einer ging durch und traf ihn in Rippenhöhe, wurde jedoch durch seine Bauchmuskulatur abgefedert. Er nutzte Arthurs schlechte Position und ließ seine Faust auf ihn niederschlagen. Dass Arthur in die Knie ging, deutete Eames, als Abschlag. Er griff an dessen Oberarme, half ihm wieder auf. Immer bereit sich zu verteidigen, falls Arthur doch nicht vorhatte, eine kurze Verschnaufpause einzulegen. »Im Einsatz interessiert keinen welche Gewichtsklasse du hast«, erklärte er ihm nüchtern und trat einen Schritt zurück. Er drehte ihm den Rücken zu und bückte sich zu einer Flasche Wasser, die neben einer der Blechtonnen im Schatten aufgetaucht war, um einen Schluck zu trinken. »Es wird dir nichts bringen, mit irgendwelchen Halbstarken zu trainieren, die nie um ihr Leben kämpfen mussten.« *Arthur* Der feste Griff an seinem Oberarm zog ihn nach oben. ‚Im Einsatz interessiert keinen welche Gewichtsklasse du hast.‘ Arthur blickte in die sturmgrauen Augen des anderen, dann nickte er zögernd. Er wusste, dass Eames recht hatte. In ihrem Metier hatten sie es nicht mit halben Hemden zu tun. Das andere Training war nur für sein angekratztes Ego. Letztlich war er froh, dass Eames sich das mit ihm antat, dass genau er ihn trainierte. Auch wenn die Momente, in denen er so nah vor ihm stand, ihn manchmal mehr zu schaffen machten, als die Momente, in denen er ihn zu Boden schickte. Arthur war fast froh, als sich Eames abwandte, dann brauchte er einen Moment, blickte zu Boden, hielt sich die Schulter. Es war kein wirklich realer Schmerz. Wieso war es so schwer im Traum dieses Schmerzempfinden abzuschalten? Sie könnten viel länger, intensiver und effektiver trainieren, wenn dem nicht so wäre. Vorsichtig kugelte er die Schulter, bewegte den Hals, um wieder ein Gefühl zu bekommen. ‚Es wird dir nichts bringen mit irgendwelchen Halbstarken zu trainieren, die nie um ihr Leben kämpfen mussten.‘ Arthur sah auf. Diese Momente waren selten. Momente, in denen Eames ihm etwas über sich verriet, etwas Wahres, nicht Gespieltes. Es waren diese Momente, in denen er einen Moment vergessen wollte, dass die Arbeit viel wichtiger war, als alles andere. Doch es waren auch Momente, die ihn überforderten, weil er nie wusste, wie er darauf reagieren sollte. Von Dom wusste er, dass Eames Soldat gewesen war. Dass die Briten mit den Amerikanern gerne im Nahen Osten herumpfuschten, war kein Staatsgeheimnis. Aber ihn direkt danach fragen? Warum er nicht mehr im Dienst war? Er folgte ihm. „Dass dein Training mit nichts zu vergleichen ist, weißt du hoffentlich“, sagte er möglichst gelassen, was ihm schwerfiel. Dann nahm er ihm die Flasche ab und trank seinerseits. Er war schon jämmerlich, dass er sich nicht direkt bedanken konnte. „Ich könnte später nochmal kommen und was zu essen mitbringen. Dann zeige ich dir, dass ich die Penrose-Treppe fertig konstruiert habe.“ Die Arbeit – natürlich. *Eames* ‚Dass dein Training mit nichts zu vergleichen ist, weißt du hoffentlich‘ Es war paradox. So sehr Eames auch von Arthur wertgeschätzt werden wollte, so unwirklich fühlte es sich an, wenn es tatsächlich passierte – und dann auch noch verbal! Umso mehr neigte Eames zu Widerstand und Misstrauen... verrücktes Spiel. Er fragte sich, ob Arthur nur auf ihn zukam, weil er mitbekommen hatte, dass Eames Stolz litt. Edle Geste, aber kein Bedarf für Mitleid... – es war wirklich schwer es ihm in irgendeiner Form Recht zu machen. »Vor oder nach deinem wichtigen Termin heute Abend?« Er wollte also nicht mit ihm Essen gehen, aber zum Arbeiten wollte er nochmal vorbeikommen? Machte er sich lustig über ihn? Er merkte, dass er sich albern benahm, gegen seinen Ärger konnte er jedoch kaum etwas tun, außer schnell abzulenken... »Erst mal musst du lernen mich da zu treffen, wo es wehtut. Dein Tritt war nicht schlecht und der Schlag, der durchging auch, aber die Stelle war unvorteilhaft.« Er griff nach Arthurs Hand und führte die locker geballte Faust sie zu seinem Solar Plexus. »Wenn du kannst, versuch hier zu treffen. Dann spielst's keine Rolle, dass ich doppelt so viel wiege, wie du.« Leicht übertrieben, aber übertragungsgemäß irgendwie angebracht. Schließlich war das Arthurs Kritikpunkt gewesen, richtig? Ein Treffer in dieser Region war so ziemlich das Schlimmste, aber es war verdammt effektiv. Im Traum fühlte sich alles schrecklich real an, aber er hatte seinen Körper schnell darauf getrimmt, dass der Schmerz kein Zeichen von Lebensgefahr, sondern nur temporär, notwendig und daher aushaltbar war. *Arthur* ‚Vor oder nach deinem wichtigen Termin heute Abend?‘ Arthurs Augenbrauen zogen sich irritiert zusammen. Nahm er ihm so übel, dass er das Essengehen ausgeschlagen hatte? Das letzte Mal, als er mit ihm Essen gehen wollte, hatte er ihn versetzt. Zugegebenermaßen war es nur ein nicht wirklich fest ausgemachtes Treffen in Arthurs Mittagspause bei einem Foodtruck gewesen, über den sie sich beiläufig unterhalten hatten. Aber dennoch hatte es ihn ziemlich gewurmt. Da sie nie wieder darüber gesprochen hatten, war Arthur klar, dass Eames das komplett vergessen hatte. So wichtig konnte er ihm dann doch wohl nicht sein, oder? Arthur spürte, wie es ihn nervte. Er wollte gerade sagen, dass er auch noch anders sein Geld verdienen musste und er einfach noch arbeiten musste, als jener schon fortfuhr. ‘Erst mal musst du lernen mich da zu treffen, wo es wehtut. Dein Tritt war nicht schlecht und der Schlag, der durchging auch, aber die Stelle war unvorteilhaft.‘ Die Berührung an seiner Hand kam unerwartet, das was folgte noch viel mehr. Nur zu deutlich spürte er den trainierten Bauch unter seiner Hand, die sanfte Welle den Rippenbogen hinauf, die leichte Vertiefung am Ende des Brustbeins. Arthur spürte, wie sich etwas in ihm regte, was er so kaum kannte. Etwas, das auch all die Versuche, Erfahrungen zu sammeln, nicht bei ihm auslösten. Wieso musste es dieser Mann sein? Warum dieser Chaot? Und warum mussten sie miteinander arbeiten?! ‚Wenn du kannst, versuch hier zu treffen. Dann spielst's keine Rolle, dass ich doppelt so viel wiege, wie du.‘ Er spürte, wie ihm wärmer wurde. „Dann sollte ich wohl lernen, das zu können“, murmelte er verwirrt und blickte nur kurz auf und in Eames Augen. Er lächelte leicht, unsicher, dann zog er die Hand zurück und gab Eames die Flasche zurück. „Wenn du keine Lust auf Streetfood hast, können wir auch noch einmal trainieren, wenn ich von meinem Job zurückkomme“, sagte er und wendete sich ab. „Lass uns weitermachen.“ Sein Gesicht schien zu glühen. Hoffentlich war er schon vorher vom Training rot ihm Gesicht gewesen. *Eames* Die Fassade bröckelte ein wenig, als Arthur dieses unerwartete Lächeln zum Besten gab. Ein kleiner, unsicherer Blick, der Eames nicht verborgen blieb und ihm mal wieder unmissverständlich bewusst machte, dass er im Grunde nichts wusste. Er war sich immer so sicher, was Menschen betraf. Entweder das, oder sie waren ihm schlichtweg egal. Nur bei Arthur tappte er ewig im Dunkeln. Die Erwähnung von Streetfood weckte eine flüchtige Erinnerung in Eames, aber es machte nicht ganz klick. War ihm da etwas entgangen? Ein kleiner hint, den er übersehen hatte? Schlussendlich spielte es keine Rolle; er würde Arthur sicherlich nicht danach fragen. Die Blöße gab er sich nicht. »Klar, schon verstanden...« War doch nicht verwunderlich, dass er sich verarscht fühlte, oder? Arthur schob ihn herum, wie es ihm passte. Er hatte Zeit, er hatte keine Zeit, er musste arbeiten, er hatte Termine, er wollte Streetfood, aber nicht mit Eames Essen gehen... ein ewiges verwirrendes hin und her und keine klare Ansage. Er stellte die Glasflasche wieder ab und machte sich bereit für eine weitere Runde. Die Fäuste hob er in lockerer, einstudierter Haltung; eine zum Schutz, die andere für den Mann. »Meinetwegen Streetfood. Erwarte nur nicht, dass ich die ganze Nacht auf dich warte.« Eames würde sich sicherlich nicht herumschieben lassen, damit er in die Lücken in Sir Arthurs Zeitplan passte; keine Chance. Entweder er wollte ihn, oder nicht. Es gab kein dazwischen. *Arthur* Zumindest schien Eames zu zögern, als er das Wort Streetfood fallen ließ. Aber wirklich darauf anspringen tat er nicht. Es wunderte Arthur nicht. Im Grunde war ihm klar, dass er solche Dinge, solche Aussagen anders wahrnahm als Herr ‚Nach mir die Sintflut‘. ‚Klar, schon verstanden...‘ Arthur seufzte innerlich, als er den Unterton nur allzu deutlich hörte. Für jemanden, der keine Verpflichtungen hatte und in den Tag lebte, wie es ihm gefiel, schien es unmöglich zu sein, dass man nicht 24/7 Zeit hatte, um mit ihm romantisch essen zu gehen. - Unabhängig davon, dass Arthur jede Situation vermied, in der es ihm schwer fallen würde, die vermeintliche Gleichgültigkeit aufrecht zu erhalten. Dom war gerade dabei, einen richtig guten Job an Land zu ziehen. Die kleineren Versuche waren bisher sehr erfolgreich gewesen. Er hatte zu viel Zeug nebenher, das ihn beschäftigte. Die Zeit hier im Training war die einzige, die er sich gönnte, um ein wenig abzuschalten. Und die genoss er, genau so, wie es war. Das Risiko, das alles in sich zusammenfiel, wenn er sich auf mehr einließ, war ihm zu groß. Er brauchte dringend ein wenig mehr Beständigkeit in seinem Leben und er hatte nicht das Gefühl, dass Eames ihm diese geben könnte. Arthur drehte sich, ein paar Schritte zwischen sie gebracht habend, und ging wieder auf Kampfstellung, darauf wartend, dass Eames fertig war. ‚Meinetwegen Streetfood. Erwarte nur nicht, dass ich die ganze Nacht auf dich warte.‘ Arthur lächelte bitter. Nein, das erwartete er nicht. „Keine Sorge, das wird nicht passieren, Honey! Bin ja nicht wie du“, sagte er halblaut und fügte ein: ‚Dafür ist mir das hier doch viel zu wichtig, du Idiot!‘ in Gedanken hinzu. „Ich hab um 22Uhr aus, hole was zu essen und komme her.“ Dann griff er ihn an, ein neues Ziel vor Augen: der Solar Plexus. ‚Can you feel it coming in the air tonight… (https://youtu.be/lgWSS7J6EMA) Manchmal kam ihm Eames wie ein verzogenes kleines Balg vor, das eingeschnappt war, wenn es nicht alles genau so bekam, wie er das wollte. Sicher hatte er sich als Kind im Supermarkt auf den Boden geschmissen und geschrien, wenn er nicht die Süßigkeiten bekam, die er wollte. Dabei war vermutlich das einzige, was er wirklich gebraucht hätte, etwas ehrliche Zuneigung gewesen. Ob er sich änderte, wenn er sie einmal bekam? Oder würde das für ihn nur bedeuten, dass er seinen Willen bekommen hatte, und sich ein neues Ziel aussuchen? — - - - - Dass er an diesem Abend Eames tatsächlich sitzen lassen würde, war definitiv nicht geplant gewesen. Seine Schwester war zu ihm in die Arbeit gekommen und hatte ihn mit ins Krankenhaus genommen, in dem sein Vater schon seit dem vergangenen Tag wegen eines Herzinfarkts lag. Mal hatte recht: das Leben fand woanders statt. Allerdings schmerzte dieses mehr, als wenn Eames ihn trainierte. Besonders wenn ER es wieder einmal war, dem man die Schuld an allem gab. Warum konnte er die Vergangenheit nicht ruhen lassen?! Kapitel 28: Zombie ------------------ *Eames* »Hm.«, machte er nachdenklich und starrte in sein Glas, nachdem Arthur ihm offenbart hatte, wieso er an diesem Abend nicht erschienen war. Er wusste noch sehr genau wie wütend er gewesen war, vor allem auf sich selbst. Niemand machte so etwas mit ihm, hatte er gedacht. Er hatte niemals zulassen wollen, dass er in so eine Situation geriet... ein Moment der Abhängigkeit. Er war stark, er war ein einsamer Wolf. Er war begehrt und erfolgreich, unbesiegbar und vor allem auf niemanden angewiesen. An diesem Abend hatte sein Ego geblutet, wie ein abgestochenes Schwein und er hatte es Arthur lange übel genommen. »An dem Abend ging's mir wirklich miserabel, wegen dir.« Nnur wenig Vorwurf in der Stimme. Details wollte er sich dennoch ersparen... zu unangenehm was er aus Frust und Trotz getan hatte, um sich irgendwie davon abzulenken, dass Arthur ihn...IHN! versetzt hatte. »Wieso hast du mir nicht geschrieben?« Er ahnte bereits, was die Antwort sein würde und er fürchtete sich davor, wenn er sich sonst auch vor kaum etwas fürchtete. Er wusste, dass es ihn verletzen würde, aber musste es aus seinem Mund hören, um Wege zu finden, damit umzugehen. *Arthur* Arthur fühlte, wie etwas in ihm heftig schmerzte. Er betrachtete Eames, der so unerwartet getroffen aussah. Das war so echt, wie er ihn erst selten gesehen hatte, und er wirkte in diesem Moment so verletzlich wie noch nie zuvor. Arthur spürte selbst deutlich, wie es ihm damals gegangen war, wie er sich gefühlt hatte - nachdem Eames ihm anschließend seine Wut hatte spüren lassen. Sein Stolz hatte ihn auf stur stellen lassen. Und sein Unvermögen, über seine Familie reden zu wollen. Dennoch hätte er sich gewünscht, dass Eames mehr Vertrauen in ihn gehabt hätte und auf ihn zugegangen wäre, anstatt auch noch von dieser Seite nur Vorwurf zu spüren. Es hatte sich richtig beschissen angefühlt. Zeitweilig hatte er geglaubt, dass er Eames Interesse an ihm, jegliche Form der Nähe gänzlich verloren hatte. ‚An dem Abend ging's mir wirklich miserabel, wegen dir.‘ Arthurs zwang sich, sich diesem berechtigten Vorwurf zu stellen. Er würde nicht ausweichen, nicht wegsehen. ‚Wieso hast du mir nicht geschrieben?‘ Arthur saß zu Eames gedreht da, ein Bein hochgezogen und angewinkelt. Etwas zögernd streckte er seinen Arm aus, strich Eames durchs Haar. „Es hatte nichts mit dir zu tun“, sagte er dann. Seine Finger kraulten leicht im Nacken, während er nachdachte, was er sagen sollte, wie er es sagen sollte. Egal was er sagen würde, es würde ihn vermutlich verletzen.„In dem Moment, in dem Tricia vor mir stand und mir gesagt hatte, was los war, habe ich alles andere vergessen.“ Es war eine krasse Nacht. So sehr er seinen Vater für seine Unaufrichtigkeit hasste, so große Angst hatte er gehabt. Aber weniger um dessen Leben, als vielmehr darum, nie die Wahrheit zu erfahren. „Ich hatte mir gewünscht, du würdest mich fragen, ob alles ok ist. Ich hatte gehofft, dass du wüsstest, dass ich dich nicht wirklich versetzen wollte. Da das nicht der Fall war, hat sich mein Sturkopf eingeschaltet.“ Letztlich war es seinem Vater bald besser gegangen - die Wahrheit kannte er bis heute nicht. Aber um Eames das alles zu erklären, müsste er weiter ausholen. Viel weiter... fast 28 Jahre weiter. Seit Mal hatte er niemandem mehr alles erzählt. „Du hast Enya kennengelernt“, sagte er zögernd. „Sollen wir nach Belfast? Dann kann ich dir zeigen, was mich seit so langer Zeit von meinem persönlichen Glück ablenkt.“ Darüber zu reden fiel ihm schwer, aber vielleicht könnte er es ihm einfach zeigen, was damals geschehen war. *Eames* Die ungewohnte, zärtliche Berührung irritierte ihn im ersten Augenblick. Doch wie erwartet konnte er Arthur nicht von sich weisen. Zu sehr sehnte er sich nach dessen Berührung; nach dem Fünkchen Zärtlichkeit, dass ihn aus der Eishölle befreien könnte. Er senkte die Lider und genoss einen Moment, wartete ab; ahnte, dass es in Arthur gerade arbeitete. Jack Johnsons Zupfen und Klimpern verhallte und für wenige Sekunden war es ganz still. Enya – Belfast – … Eames wusste, dass Arthur gerade eine Schwelle überschritt, die er vor acht Jahren wahrscheinlich nie für möglich gehalten hätte, also schwieg Eames einen Moment ehrfürchtig, ehe er antwortete. »Ich will nur, dass du eine Sache weißt.« Er griff nach Arthurs Hand, die seinen Nacken gekrault hatte und drückte sie. Diese seltene Geste, die ihm für einen kurzen Augenblick das schrecklich fremde Gefühl von Geborgenheit gewehrt hatte. »Du kannst mir alles zeigen. Meine Meinung über dich wird sich niemals ändern.« Er beugte sich zu ihm, die freie Hand, legte sich ebenfalls in Arthurs Nacken und hielt ihn; drückte intensiv, fast schmerzhaft. Er wollte diesen Kuss wirklich und nach kurzem Zögern nahm er ihn sich. Der Alkohol minderte ein wenig die Angst vor Konsequenzen. Andererseits gab es keinen besseren Weg ihm zu zeigen, was er meinte: dass er immer und vollkommen verrückt nach ihm sein würde. *Arthur* Arthur war froh, dass ihm Eames die Nähe nicht verweigerte, obwohl sie von einem Abend sprachen, an dem er ihn verletzt hatte. Er hätte es auch verstanden, wenn jener es unterbunden hätte. Umso erleichterter war er, dass es nicht so war - ja dass er sogar diese Geste zu genießen schien. So gerne würde er ihm viel mehr davon schenken, viel mehr! Wenn dieses Gespräch beendet war, wenn sie aufgearbeitet hatten, was zwischen ihnen stand. Sie waren immerhin auf einem guten Weg. Das Schweigen, die Stille Arthur spürte die Unruhe wachsen. Er hatte ein Angebot gemacht, das nicht einfach für ihn war. Aber er wusste, dass Eames ihn nur dann verstehen konnte, wenn er es wusste. Sofern jener es wirklich wissen wollte - ‚Ich will nur, dass du eine Sache weißt.‘ Arthur spürte sein Herz deutlich, spürte den Druck an seiner Hand. Der Blick des anderen war tief, ging ihm direkt ins Herz. Ehrlichkeit, pure Ehrlichkeit. Das ist das, was er brauchte, was ihm jegliches Gefühl von Unsicherheit nahm. ‚Du kannst mir alles zeigen. Meine Meinung über dich wird sich niemals ändern.‘ In ihm löste sich ein Knoten. Ein Kribbeln machte sich stattdessen breit, das durch seinen Körper zog. Die Hand in seinem Nacken hielt ihn, voll jener Verzweiflung, die er selbst so gut kannte, wenn er an sie beide dachte. Dennoch erwischte er sich auch bei dem Gedanken, dass er diese Worte vorhin, als es um London ging, auch hätte sagen können. Wo wären sie dann jetzt? Das konnte letztlich niemand sagen, aber Arthur hoffte, dass seine Entscheidung, die Frage zurückzuziehen, richtig gewesen war. Letztlich war das gerade nicht wichtig. Diese Situation, diese Worte hier waren gerade wichtig. Nothing else matters. Eigentlich war ihm klar, dass noch Vieles unausgesprochen war, dass noch Vieles geklärt werden musste. Aber sich zu vergewissern, warum man sich seelisch entblößte und nackt präsentierte, tat gut. Hätte Thomas sich den Kuss nicht geholt, wäre es Arthur gewesen, der ihn sich genommen hätte. Daher kam er ihm entgegen, erwiderte den Kuss sogleich. Er fühlte sich einfach nur echt an - und damit mehr als begehrt. Es waren viele Aspekte, die dieser Kuss aussagte - Dankbarkeit, Zuneigung, Ehrlichkeit, Vertrauen, Sicherheit Seine Finger krallten sich in den Nacken, er zog Eames näher zu sich. Nähe! Begehrte, ersehnte, vermisste Nähe. Sein Körper bebte in dem Verlangen, das er nun schon so lange verspürte - seit ihrer ersten Begegnung. Umso mehr genoss er diesen Kuss und die Zärtlichkeit, die so anders waren als zuletzt in der Küche. Ganz anders. Sanfter, aber voll Leidenschaft, bedachter, aber genauso berauschend. Es dauerte etwas, bis Arthur sich schließlich löste, es kostete ihn Kraft und Selbstbeherrschung. Heißer Atem rann ihm über die Lippen, seine glasigen Augen suchten die des anderen. Sie könnten jetzt alles vergessen und sich dem hingeben, was sie beide schon so lange wollten. Aber würden sie dann noch weiterreden? Oder einfach alles Unausgesprochene zur Seite schieben und hoffen, dass es nie wieder hochkommen würde? Es würde wiederkommen. Soviel war sicher. Und es wäre dann zerstörerisch. Gerade für ihn wäre es dennoch viel einfacher, wenn er nicht nach Belfast müsste. Er schluckte. „Die Nacht ist noch lang...“, murmelte er, ohne recht darüber nachzudenken. Vermutlich wollte er damit sagen, dass sie auch dafür noch Zeit finden würden. *Eames* Belfast rückte noch einmal in weite Ferne, so wie alles um sie herum. Die Sache im Terra Blues vor etlichen Jahren, Tokio... es war plötzlich egal, was damals war, wenn sie sich in diesem Augenblick einfach weiter mit Zärtlichkeiten überschütten könnten. Leider war Arthur schon immer der strengere von beiden gewesen. Der, der es schaffte sein Gehirn einzuschalten, obwohl alles andere zu befriedigen so viel leichter wäre. In Eames' Ausdruck lag etwas von schmerzhaftem Verlangen und Ungeduld, als sie sich voneinander lösten. Er hatte viele Prüfungen in seinem verrückten Leben bestehen müssen, aber diese hier schien eine der schwersten zu sein. Er ließ den Blick sinken, um nicht weiter in diese tiefen, dunklen Augen blicken zu müssen. Durchaus, die Nacht war noch lange nicht vorbei. Eames meinte ein verstecktes Versprechen aus Arthurs Aussage herauszuhören, das es ihm leichter machte sich von Arthur zu trennen. Er seufzte schwerfällig, sein Körper wehrte sich, aber er stand auf. Sein Stand war sicher; da brauchte es schon mehr, um ihn ins Schwanken zu bringen, aber er merkte, dass er allmählich einen sitzen hatte. Er warf einen letzten Blick auf die Zeichnungen, die sie beide noch durch viele Epochen ihrer verkorksten Liebesgeschichte führen würden. Dann griff er nach den Gläsern und der Flasche Whiskey und sah zu Arthur. »Belfast, hm? Hätte nie gedacht es mal zu sehen zu bekommen.« Und damit meinte er nicht die Stadt, sondern viel mehr das, was sich in Arthurs Erinnerung dort verbarg. *Arthur* Dass Eames den Blickkontakt abbrechen ließ, machte es Arthur einfacher. Denn es fiel auch ihm schwer, seinen Verstand eingeschaltet zu lassen. Es war erstaunlich, wie sehr sich sein Körper danach sehnte, sich einfach nur in die Arme des anderen fallen zu lassen, darauf vertrauend, dass er aufgefangen wurde. Doch sein Kopf schaffte es nicht im selben Maße. Da waren zu viele Dinge geschehen, die sein Verstand immer und immer wieder heraufholte. Wenn man sich so lange Zeit einredete, dass man kein Vertrauen haben konnte, war es schwer, wirklich loszulassen. Noch immer - trotz dieses Kusses, der einem Versprechen gleichgekommen war, trotz ihrer Ehrlichkeit und die Nähe, die greifbar war - war da eine Stimme in ihm, die ihn warnte, die ihn bat, vorsichtig zu sein, die ihn schützen wollte. Beschützt du ihn jetzt? Man konnte Enyas Frage auch ganz anders verstehen, wenn man die Betonung auf jetzt legte... Während der letzten Jahre seit Eames Abgang in Tokyo hatte er diese warnende Stimme laut sein lassen. Jetzt war er gewillt, ihr zu beweisen, dass sie zukünftig schweigen sollte. Er verwehrte sich nun schon seit so langer Zeit dem, was er sich seit ihrem ersten Treffen wünschte. So seltsam es klang: er wollte wirklich nicht mehr einsam sein. Er wollte zumindest wissen, dass es jemanden gab, dem er etwas bedeutete, und der kommen würde, wenn er das wollte. Ob Eames so jemand sein konnte? Eames war aufgestanden und nahm die Gläser. »Belfast, hm? Hätte nie gedacht es mal zu sehen zu bekommen.« Arthur atmete tief durch, sammelte sich kurz, stand dann auf. Erst jetzt spürte er, dass sein Bein eingeschlafen war, auf dem er zuletzt gesessen hatte, so dass er sich an Eames kurz festhalten musste. „Scheiße“, murmelte er. „Mein Bein ist eingeschlafen.“ Er lachte entschuldigend, während er das Bein vorsichtig abstellte und darauf wartete, dass das Kribbeln darin nachließ und die Blutzirkulation wieder funktionierte. Dass ihm schummrig im Kopf war und der Alkohol seine Wirkung zeigte, machte es nicht leichter. Schließlich sah er auf. „In letzter Zeit hätte ich auch nicht gedacht, dass ich es dir jemals zeigen würde“, sagte er dann wieder ernster. Er öffnete den Mund, wollte noch etwa hinzufügen. Etwas wie: Vielleicht verstehst du mich dann besser. Oder wie: Ich hoffe, dass du dann siehst, dass ich damals Zeit gebraucht habe. Oder vielleicht auch wie: Ich glaube, dass du diese Dinge wissen solltest. Und ich hoffe, dass ich auch von dir zu sehen bekomme, was dich geprägt hat. Doch er sagte nichts, schwieg, schloss den Mund wieder. Da er sich ohnehin schon bei Thomas am Arm festhielt, nahm er ihm eines der Gläser ab und ließ dann seine Hand in die des anderen gleiten. Warum auch immer, aber er hatte Angst, dass körperliche Distanz das zerbrechen könnte, was sie gerade aufgebaut hatten. Auf ihrem Weg hinüber ins Arbeitszimmer, spürte er, dass er unruhig war, aufgewühlt. Belfast. Er war selbst lange nicht mehr dort gewesen, weil er keine neuen Antworten hatte, die Rätsel noch immer ungelöst waren. Vielleicht würde Eames ja auch etwas wahrnehmen, was er selbst nicht bewusst in der Erinnerung hatte. Wer wusste es schon… Sie setzten sich auf die Sessel, der Koffer stand noch so da, wie sie ihn zuletzt vor zwei Tagen hatten stehen lassen. Eames legte die Zugänge, was ihm recht war. Seine Hand war nicht ruhig genug. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er wusste nur, dass er gerade einen sehr großen Schritt machte, bei dem er nicht wusste, ob er ihn zu Fall bringen würde oder nicht. Er dachte an den Kuss, das Versprechen. Es war richtig, was er tat. Aber die Angst blieb. Bevor das Somnacin sie in den Traum befördern würde, griff er erneut nach Eames‘ Hand. ~.~.~.~.~.~.~.~.~. Belfast vor 28Jahren~.~.~.~.~.~ Ein Vorort von Belfast, eine eigentlich neutrale Zone, doch politisch gesehen näher an der Falls Road gelegen als andere Viertel. Hier lebten Iren, die sich auch als solche verstanden, aber aufgrund verschiedener Umstände es nicht laut kundtaten. Zum Beispiel, weil man für den Staat arbeitete wie sein Vater. Zweistöckige Einfamilienhäuser aus rotem Backstein reihten sich in Monokultur aneinander, ein Vorgarten, der eigentliche Garten hinter dem Haus. Vereinzelt standen Autos in der Garageneinfahrt, einige Einfahrten waren leer. Es war Mittag, früher Nachmittag und noch nicht jeder von der Arbeit zurück. Der Frühling war nicht zu übersehen, die Luft relativ mild, der Wind hielt sich in Grenzen. Die Wolken ließen hin und wieder einen Blick auf den blauen Himmel zu, vereinzelt Sonnenstrahlen. Eigentlich ein schöner Tag für irische Verhältnisse. Arthur und Eames standen auf dem Gehsteig. Arthur hätte gern die Hand des anderen in seiner, doch diesmal nahm er sie nicht. Er hatte einen Anzug an, nicht mehr die Freizeitklamotten vom Sofa. Es gab ihm die Haltung, die er brauchte. Arthur blickte auf die andere Straßenseite. Ein Haus – ganz offensichtlich mit Kindern im Haushalt. Ein altes Kinderfahrrad lag auf dem ungepflegten Rasen des Vorgartens, ein Ball nicht weit weg. In der Einfahrt stand eine Polizeistreife. Der Wagen mit dem landestypischen gelb-blauen Schachbrettmuster gehörte seinem Vater, der eigentlich Dienst hatte. An diesem Tag war er mittags heimgekommen - für sein ‚Goldkind‘, wie er Enya nannte. Er wirkte nervös – schon seit ein paar Tagen. Luftballons und Luftschlangen an der Haustür zeugten von dem Kindergeburtstag, der heute dort stattfinden sollte. Noch eine Stunde, dann würden die Freunde kommen – Enyas Freunde. Neben der Haustür ein buntes Schild: “Familie Darling“ Seine Mutter war sehr stolz auf diesen Namen und lebte ihn. Arthur blickte Eames an, die Unsicherheit versuchte er zu verbergen, steckte die Hände in die Hosentasche. Es hing an ihm, wann es losging, es war sein Unterbewusstsein. Eames Blick machte ihm Mut, beruhigte ihn irgendwie. Er war da, für ihn, für sie. Arthur nickte, dann blickte er die Straße hinab. Letztlich waren es Erinnerungen, die er danach rekonstruiert hatte, woran er sich erinnern konnte. Ein Lieferwagen fuhr vor, er hatte damals nur den Motor gehört, das Quietschen des Reifens, es musste ein schwerer Wagen gewesen sein. Er versperrt ihnen die direkte Sicht, vermutlich weil es nur Geräusche waren, die er kannte, keine Bilder. Eine Schiebetür war aufgegangen, dann wurde sie wieder zugeschlagen. Man hörte hastige Schritte zur Tür gehen, etwas wird abgelegt, ein kurzes Klingeln, eine Person, dessen Gesicht man nicht wirklich wahrnehmen kann, - fast wie ein Schatten - eilt zurück zum Wagen, steigt ein, braust die friedliche Straße entlang davon. Arthur schluckte, deutete Eames, mit ihm über die Straße zu gehen. Gleich würde die Tür aufgehen und er selbst als kleiner Junge würde im Glauben, die ersten Gäste kämen, das Paket finden, hochnehmen und hineintragen. Erst jetzt konnte man gut sehen, dass das Paket schön verpackt war – wie ein Geschenk. Ein schwarzhaariger Junge öffnet die Tür, 5 Jahre alt, pausbäckig mit scheuem Blick. Er blickt sich um, nimmt überrascht und verwundert das Geschenk und kehrt ins Haus zurück. Arthur geht zügig weiter, zum Seitenfester neben dem Haus, von wo aus man ins Innere sehen kann: das Wohnzimmer, in das gerade der kleine Arthur eintrat, noch immer das bunt verpackte Geschenk betrachtend. Die Einrichtung war von dem Kitsch und Nippes geprägt, den seine Mutter liebte, mit dem sie ihr Hausfrauendasein schmückte und versuchte fröhlich zu gestalten. Er weiß noch, dass er sich darüber gewundert hatte, weshalb jemand so ein schönes Geschenk abstellte, ohne sehen zu wollen, wie sich jemand darüber freute. Ein Lachen kommt, Schritte, die verrieten, dass ein Kind gerannt kam. „Arthur?“, rief Enya und stürmte ins Wohnzimmer. „Ist schon jemand da?“ Offenbar hatte sie die Klingel auch gehört, aber sich erst jetzt auf den Weg von der Terrasse hierher gemacht. Sie hatten dort zu Mittag gegessen, die ganze Familie. Dann hatten sie im Garten gespielt. Nur Arthur nicht. Ihm war der Trubel zu viel gewesen. „Was hast du da?“, fragt sie und nimmt ihm das Paket ab. „Ist das für uns?“ Er zuckte mit den Schultern und sie stellte das vermeintliche Geschenk auf den Glastisch vor dem Sofa, begann es zu öffnen. Er sah ihr dabei zu, gespannt, was wohl darin wäre, wer sich diesen Spaß erlaubt hatte. Mit einem Mal hielt sie inne, blickte irritiert hinein, sah dann ihn an. Er fragte sich bis heute, woher sie wissen konnte, was das war, was sie da ausgepackt hatten. Ob es Intuition war? Ein Gefühl von Gefahr? Was auch immer es gewesen war - es hatte ihm das Leben gerettet. Sie stand auf, drückte ihn von dem Paket weg. „Renn weg, Arthur!“, rief sie panisch, während sie selbst hinter ihm lief, damit er wirklich ginge. „Renn!“ Er war noch nicht durch die Tür, als die Bombe detonierte. Durch die Wucht wurden sie umgerissen. Bis heute hatte er das Gefühl, dass Enya ihn von hinten umarmt hatte, so als wollte sie ihn beschützen. Letztlich war es das, was ihm das Leben gerettet hatte - und sie getötet. Arthur spürte, wie angespannt er war, wie sich jede Faser seines Körpers zusammenzog und er darum kämpfte, Haltung zu bewahren. Er hatte Thomas rechtzeitig vom Fenster weggezogen, bevor die Druckwelle das Fenster vor ihnen zum zerbersten gebracht hatte. Trotz aller Bemühungen zuckte er wie immer zusammen, spürte die Druckwelle heftig auf dem Zwerchfell. Wie immer wurde ihm schlecht vom Geruch nach Sprengstoff und Verbranntem. Wie immer versuchte er das Zittern zu unterdrücken, das er wohl nie loswurde. Diesmal hielt er sich an Eames Arm fest. Einen Moment schien alles still zu stehen - bis der Schrei seiner Mutter die Stille zerriss. Sie rief ihre Namen. An mehr konnte er sich nicht erinnern. Er war erst im Krankenhaus wieder aufgewacht. Sein Arm war eingegipst gewesen, etwas Schweres hatte ihm den Unterarm zertrümmert. Ansonsten ging es ihm gut - körperlich. Seelisch sah es anders aus. *Eames* Auch Eames trug einen Anzug in respektvoller Andacht. Hellgrau, kombiniert mit gestreiftem Hemd und gestreifter Krawatte – seine Interpretation von Eleganz und Zurückhaltung. Das Bild, das sich ihm nun bot, überraschte ihn nicht minder und machte ihm eine weitere, bittere Tatsache bewusst: im Grunde wusste er nichts über Arthur. Er kannte ihn und ‘Kennen‘ in diesem Sinne, hatte sicherlich einen ganz anderen Nährwert als bloßes Wissen über eine Person. Dennoch wurmte es ihn. Wie konnte er all die Jahre so ignorant gewesen sein? Eames beobachtete entzückt wie die fünfjährige Version von Arthur das Paket mit hineinnahm, obgleich sich direkt ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend ausbreitete. Es war leider offensichtlich, dass ein Geschenk unter diesen ominösen Umständen überbracht, kein gutes Zeichen sein konnte. Dennoch folgte er der erwachsenen Version über die Straße, sah zu wie Klein-Arthur das Paket ins Wohnzimmer trug. Das Haus, die Einrichtung, die Atmosphäre waren schrecklich befremdlich für Eames und er fühlte sich einen Augenblick wie ein Außerirdischer. Sie kamen wirklich aus gänzlich anderen Welten. Er hatte jedoch keine Chance den Gedanken weiterzuführen; plötzlich ging alles schrecklich schnell. Enya öffnete das Paket, in ihrem Blick lag blankes Entsetzen und ehe Eames wirklich realisierte was passierte, zog Eames ihn mit einem Ruck vom Fenster weg, ehe ihm die Glasscherben das Gesicht wegreißen konnten. Die Druckwelle war deutlich spürbar und in Anbetracht der unweigerlichen Folgen dieser Explosion wurde ihm sofort schlecht. Arthur hielt sich an seinem Arm fest und Eames hielt ihn, trostspendend. Das Geschrei einer Frau – Mutter Darling vermutlich – zerriss erneut die Stille der friedlichen Nachbarschaft. Eames harrte aus, bis ihre Stimme verebbte und sämtliche Farben leicht an Sättigung verloren. Die Platte war durchgelaufen. Was blieb war Stille und ein leises, monotones Pochen. »Tut mir leid, was mit deiner Schwester passiert ist«, begann er. Seine Stimme war dunkel, leise und irgendwie belegt. Die Chance Opfer eines Terroranschlags zu werden ist verschwindend gering. Solche Dinge passieren; aber niemand rechnet damit selbst betroffen zu sein. Und wenn es doch passiert, bleibt der Eindruck des Schreckens für immer. Eames wurde langsam bewusst wie schwerwiegend dieses Ereignis war; es war nicht nur der bloße Tod seiner Zwillingsschwester, es waren auch die Umstände. Und noch mehr... er spürte, dass da noch mehr war. »Ich befürchte wir sind noch nicht am Ende der Geschichte, oder?« Er drückte Arthurs Oberarm und streichelte mit dem Daumen sanft darüber. Er hoffte so sehr ein bisschen Halt geben zu können. Nur ein kleines bissen Trost und Frieden in dieser ausweglosen, unabänderlichen Situation. Vermutlich eine der schlimmsten Erkenntnisse, die Eames in seinem Leben je machen musste: Erinnerungen im Traum zu rekapitulieren machte sie nicht besser oder erträglicher. Es verhinderte, dass man vergaß und hielt den Schmerz lebendig mit der ständigen, irrationalen Hoffnung doch etwas verändern zu können. *Arthur* Er hatte diese Situation nun schon so oft durchgespielt, in seinen realen Träumen genauso wie in den Träumen, die er konstruierte. Doch es änderte nichts daran, wie er sich fühlte, wie es auf ihn wirkte. Vielleicht genau deshalb, weil er die Vergangenheit nicht ruhen lassen konnte, wie seine Geschwister und seine Mutter, vor allem aber sein Vater sich so oft gewünscht hatten. Er konnte es nicht. Nicht, bis er nicht wusste, warum sie hatte sterben müssen. Gleichzeitig hatte er aber auch Angst vor dieser Wahrheit. Angst davor, seine ganze Familie zu zerstören. Die Familie, die in dem Lügenkonstrukt sich so gut halten konnte – bis auf ihn. Es ließ ihn zögern, effektiver nach Antworten zu suchen, als sie nur von seinem Vater zu verlangen, der die Wahrheit mit ins Grab nehmen wird. Eames‘ Worte lösten ihn etwas aus der Starre, in die er gefallen war. Er nickte leicht, als er nicht das übliche überschwängliche und damit falsche Mitleid in seinen Augen las, das damals so viele der Familie und auch ihm gegenüber vorgeheuchelt hatten. ‚Ich befürchte wir sind noch nicht am Ende der Geschichte, oder?‘ Er spürte die warme Hand an seinem Arm, spürte nun den Druck, das Streicheln. Leider versagte wie stets in diesem Traum seine Stimme. Er hatte sie damals auch verloren, lange hatte er geschwiegen, fast ein Jahr. Seine Mutter war die einzige, die ihn nicht aufgegeben hatte. Arthur streckte sich etwas, versuchte durchzuatmen. Wo sollte er weitermachen? Was sollte er zeigen? Er wollte kein Mitleid für das, was er erlebt hatte. Aber manches war wichtig, damit Eames begriff, was ihn beschäftigte. Und vor allem, was ihn damals so beschäftigt hatte, dass es ihm unmöglich war, sich auf jemanden wie Eames einzulassen. Er entwand sich dem Griff und ging zur Straße zurück, in seinen Gedanken formte er ein anderes Gebäude, ein Krankenhaus, das sich wie aus dem Nichts erschuf. Es war nur rudimentär. Seitdem sie Nordirland verlassen hatten, war er nicht mehr da gewesen. Er konnte sich nur bedingt an die Räumlichkeiten erinnern. Und auch die Erinnerungen an das, was er Eames gleich zeigen würde, waren recht jung. Er hatte nur durch Zufall zu ihnen gefunden. Sie betraten das Krankenhaus quasi direkt in den Flur, in dem sein Vater saß. In Uniform, niedergeschlagen, ein gebrochener Mann, dessen Tochter einen Kampf kämpfte, den sie noch vor Mitternacht verlieren sollte, während sein Sohn nebenan lag und darauf hoffte, von ihm Unterstützung zu bekommen. Doch sie blieb aus. Aber darum ging es hier nicht. Es ging darum, was er gehört hatte. Es war wieder ein Schatten, eine unkonkrete Person, die sich zu seinem Vater gesetzt hatte. Sie trug eine Uniform. Er hatte es gesehen, als er an seinem Zimmer vorübergegangen war. Es war definitiv ein Polizist gewesen. „Du solltest nicht hier sein!“ Die Stimme seines Vaters klang drohend und besorgt gleichermaßen. „Du hast mir das alles eingebrockt! Ich hätte niemals auf dich hören sollen. Niemals!“ „Du hast das einzig Richtige getan! Besser hätte es nicht laufen können.“ Die Stimme klang schneidend, bedrohlich. „Dank dir sind wir näher an Sands dran, als jemals zu vor. Bald schnappen wir ihn und dann hat das alles hoffentlich bald ein Ende!“ Sein Vater schüttelte den Kopf, blickte den Mann neben sich fassungslos an. „Mir wurde das Wichtigste genommen. Das fällt alles auf mich zurück. Sie sind skrupellos und berechnend, sie werden erkennen, wer dahinter steckt. Sie werden meine ganze Familie…“ Doch der andere Mann schnitt ihm das Wort ab. „Ich habe dir mein Wort gegeben, dass ihr in Schutzhaft kommt, sobald Sands festsitzt. Du weißt, was du tun musst, damit das passiert. Er hat es jetzt mehr denn je verdient, dass du ihn uns auslieferst.“ Arthur wusste nicht, was sein Vater geantwortet hatte. Er konnte sich nicht erinnern. Vermutlich war er nur kurz aufgewacht. Vermutlich war er wegen der Schmerzmittel wieder eingeschlafen. Erneut verwischten die verblassenden Erinnerungen das Gesamtbild. Arthur verließ das Krankenhaus, lief ein Stück die Straße hinunter. „Bobby Sands war einer der IRA Anführer damals. Er starb ein Jahr später im Gefängnis.“ Zumindest hatte er seine Stimme wiedergefunden. „An das hier konnte ich mich erst vor acht Jahren wieder erinnern, ausgelöst durch den Namen. ‚Bobby Sands‘“ Er blickte zur Seite, wo ein anderes, nicht zu Irland, vielmehr zu den USA passendes Haus stand. Dann sah er wieder zu Thomas. „Seit meinem sechsten Geburtstag begeht mein Vater den Todestag meiner Schwester. Kurz bevor ich dich kennengelernt habe, war mir bewusst geworden, dass die Ursache dafür bei ihm zu suchen war. Damals habe ich ihn damit konfrontiert.“ Er lächelte matt. Sollte er ihm das Gespräch zeigen? Lieber nicht. „Ich weiß bis heute nicht, ob die Bombe eine Reaktion auf den Verrat meines Vaters war, oder als Mittel genutzt wurde, um ihn zum endgültigen Verräter zu machen.“ ‚Besser hätte es nicht laufen können.‘ und ‚Er hat es jetzt mehr denn je verdient, dass du ihn uns auslieferst.‘ . waren die Sätze gewesen, die ihn hatten stutzig werden lassen. Waren die Bomben von den Kollegen gelegt worden oder von Sands Leuten? „Er hat mich damals aus der Familie ausgestoßen und mir gedroht, dass ich mich nicht in Dinge einmischen solle, die ich nicht verstehen könnte und die mich nichts angehen." Er sah wieder zu dem Haus, in dem seine Familie mittlerweile lebte. Aus dem Haus kam er selbst heraus, so wie Eames ihn damals kennengelernt hatte. Er war von seinem Vater hinausgeschubst worden, fing sich gerade noch. Arthur war deutlich angetrunken, wütend und letztlich auch verzweifelt. Sein Vater schrie ihm hinterher, dass er sich hier nie wieder blicken lassen solle. Seine Mutter hielt ihn davon ab, seine Wut an Arthur direkt auszulassen. Dennoch konnte sie das „Damals ist das falsche Kind gestorben!“ nicht unterbinden, das sein Vater ihm hinterherschrie und Arthur erneut verstummen ließ. Die Worte waren heftig gewesen. *Eames* Er wusste, dass es hart werden würde. Das war klar, seit Arthur ihm gesagt hatte, dass es einen Grund für seine Zurückhaltung vor acht Jahren gegeben hatte. Dennoch hätte ihn nichts auf die Augenblicke vorbereiten können, die er nun durch Arthurs Erinnerungen miterlebte. Es war nicht nur die grausamen Auswirkungen politischer Verstrickungen. Was ihm am Ende das ganze Ausmaß des großen Ganzen spüren ließ, war die bittere Kälte seines Vaters. Niemand wusste, ob Darling Senior Schuld hatte oder doch nur ein Opfer war. Und im Grunde spielte es auch keine Rolle. Am Ende hatte man doch immer eine Wahl. Eames folgte ihm schweigend durch den Traum. Die Szenarien waren grob; äußerst untypisch für Arthur. In Anbetracht dessen was er preisgab kein Wunder. Eames hätte selbst kein großes Interesse daran solcherlei Erinnerungen bis ins letzte Detail auszuschmücken und sich der Gefahr auszusetzen, die Gefühle nicht tragen zu können. Er spürte eine deutliche Unruhe und stumpfe Kälte. ‘Damals ist das falsche Kind gestorben!‘ Die Worte hallten in seinem Kopf, wie in einem hohlen Raum. Unwillens sie anzunehmen oder gar zu verstehen. Auf absurde Weise konnte er mit Arthurs Vater mitfühlen. Er wusste nicht, was damals passiert war und wer nun Schuld an all dem Unglück hatte, das Familie Darling durchleben musste. Aber er ahnte, dass er vielleicht nur versuchte seine Liebsten zu schützen. Und er versuchte mit seinen Taten zu leben. Vielleicht auf Kosten seines Sohnes. ‘The path to hell is paved with good intentions‘ Enyas Tod musste ihn zerfressen haben und ein Loch hinterlassen haben, das Arthur nicht füllen konnte. Die Schuld bei Arthur zu suchen, wäre jedoch genauso absurd. Was dies damals in ihm ausgelöst haben musste war, retrospektiv betrachtet, zumindest etwas greifbarer als vorher. Es war noch immer eine Frage der Persönlichkeit – Eames selbst hatte nichts für seine Familie übrig und hätte so einen Spruch wahrscheinlich einfach ohne Effekt hingenommen. Aber sie beide kamen aus anderen Welten mit anderen Werten und er war in den letzten Jahren erwachsener geworden. Einfühlsamer, wenn man so wollte. Er wartete bis er sicher war, dass nichts mehr kommen würde und Eight-Years-Ealier-Arthur an ihnen vorbeigegangen und verschwunden war. »Verletzte Menschen sagen schreckliche Dinge.« Er legte eine Hand auf seinen Rücken. Versuchte ihm irgendwie Halt zu geben, auch wenn es sich gerade anfühlte, als rang etwas verzweifelt nach Luft. Eine Idee formte sich in ihm und begann langsam zu wachsen, ausgelöst durch einen tief sitzenden Beschützerinstinkt für Arthur und dem Drang, Dinge selbst anzupacken statt sich auf andere zu verlassen. Wozu überhaupt fragen? Sie waren verdammte Traumdiebe. Keine Information war vor ihnen sicher, wenn man nur lange genug bohrte. Doch dieses Vorhaben schob er weit nach unten auf seiner To-Do-Liste und erst auf der Liste der Dinge, die er noch mit Arthur besprechen wollte. »Habt ihr noch Kontakt?« *Arthur* ‚Verletzte Menschen sagen schreckliche Dinge.‘ Arthur zuckte zusammen, als er die Hand an seinem Rücken spürte. Die körperliche Nähe war in dieser Situation ungewohnt. Er blickte zu Eames. Oder war er wegen der Worte zusammengezuckt? Einen Moment musterte er sein Gegenüber kritisch. »Verletzte Menschen sagen schreckliche Dinge.« Das war wahr, das wusste er mittlerweile auch, konnte das ganze anders sehen, als er es damals gesehen hatte. Damals hatte es zu dem Gesamtbild gepasst, das er von seinem Erzeuger hatte haben wollen. Er selbst hatte sicher auch nicht nur Nettigkeiten gesagt. Er war damals dumm und naiv gewesen, hatte Wut entladen, die sich viel zu lange angestaut hatte. Dass diese Wut nur einfach nichts veränderte, war ihm heute klar. Allerdings war es nicht das, was ihn an Eames‘ Worten irritierte. Es war vielmehr der kurze Gedanke, dass diese Worte auch auf sie beide zutrafen, oft zutrafen. Sie waren grandios, sich gegenseitig zu verletzen und sich schreckliche Dinge zu sagen – besonders seit Tokyo. Doch die Hand auf seinem Rücken sagte ihm, dass Eames diesmal nicht über sie beide gesprochen hatte. Früher hätte er diese Andeutung sicher mitschwingen lassen. Vorwürfe, dass Arthur auch ihm gegenüber schreckliche Dinge sagte. Aber dann hätte er ihn einfach fallen gelassen und sich in seinem eigenen Triumph gesuhlt. Diesmal schien er wirklich betroffen zu sein von dem, was er ihm gezeigt hatte. Was er ihm gezeigt hatte… War es doch ein Fehler, ihm diese Dinge zu zeigen? Würde er ihn nicht immer ganz anders ansehen, als er es bisher getan hatte? Würde sich seine Schwäche gegen ihn wenden? Aber war das noch seine wirkliche Schwäche? Damals war lange her, sehr lang. Es war nicht so, dass seine Wut, sein Misstrauen gänzlich verschwunden waren. Aber er konnte anders damit umgehen, rationaler. Er wusste, dass die Familienstruktur komplex war und nur funktionierte, weil das, was damals geschehen war, nicht hinterfragt wurde. Er wusste, dass sein Wunsch nach Wahrheit all das zerstören könnte. Zumindest wenn sein Verdacht sich bestätigte, dass sein Vater Ursache für alle Geschehnisse war. Es war ihm klar geworden mit der Zeit. Eames hatte ihm damals im Training geholfen, seine Wut abzubauen, hatte ihn abgelenkt und ihm die Möglichkeit gegeben, Dinge anders zu sehen. Sicher wusste er nichts davon. Es jetzt zu sagen, war nicht wichtig. Wichtig war jedoch, dass er in seinem steten Wunsch nach Wahrheit und Fakten schwankte, was seinen Vater betraf. Er wusste nicht, was es bei ihm verändern würde, was es in seiner Familie verändern würde. Dass es den anderen egal war, war seine größte Angst. Dann würde dieses Wissen nur ihn zerstören, nicht die Familie. Beide Optionen wirkten wenig verlockend. Also stellte er es hinten an, mit der Option, diese Situation niemals geklärt zu wissen. Dass sein Vater und er keinerlei Beziehung zueinander hatten, hatte er nun schon lange akzeptiert. Sich den Zorn der restlichen Familie aufzuladen, wollte er nicht riskieren. Er würde gern die Wahrheit kennen, aber ob er damit würde umgehen können, stand auf einem anderen Blatt. »Habt ihr noch Kontakt?« Arthur sah aus seinen Gedanken auf. Dann zuckte er mit den Schultern, lockerte seine viel zu steife Haltung. Seine Schutzmechanismen funktionierten immer. „Patricia, meine Schwester, hatte mich in der Nacht, in der ich dich versetzt habe, mit ins Krankenhaus geschleppt. Eigentlich wollte ich nicht hin. Ich wusste genau, dass Tricia und meine Mutter die Situation nutzen wollten, um die Wogen zu glätten. Meine Mutter hält die Familie zusammen. Sie ist die gute Seele. Ich kann ihr keinen Wunsch lange verwehren. Und Tricia versucht alles, mir das Gefühl zu geben, nicht bei allen unwillkommen zu sein. Mit meinen Brüdern ist es komplizierter. Ted redet Vater nach dem Mund. Er lässt mich spüren, dass er froh ist, dass Enya ihm den Platz als Lieblingskind nicht mehr streitig macht. Collin ist mir ähnlich, aber steht unter Teds Fuchtel und kommt nicht davon los.“ Er lächelte matt. Alles nicht so einfach. Uns er redete sich vieles schön. „Mein Vater und ich haben ein Friedensabkommen. Er ignoriert mich weiterhin, ich lasse ihn in Frieden. Theoretisch bin ich jeden Sonntag zum Mittagessen eingeladen, praktisch versuche ich zu den Geburtstagen da zu sein.“ – oder dem Todestag, wenn es ihm einigermaßen gut ging. Es war nicht einfach, einen Todestag zu begehen, wenn man eigentlich Geburtstag hatte und die Tote sein besseres Ich war. Damals vor 8 Jahren war es der schlimmste Geburtstag seines Lebens gewesen. Er war in dieser Nacht noch völlig abgestürzt. Zum Großteil konnte er sich nicht mehr erinnern, was passiert war. Er sah zu dem Haus hinüber, in dem er zwölf Jahre seines Lebens gelebt hatte. Als er mit 17 ausgezogen war, hatte er sich befreiter gefühlt. Mittlerweile war er wirklich befreiter von der ganzen Situation. Er hatte es gut verdrängt – vor allem, weil er nicht wusste, was er wirklich wollte. Wenn er ehrlich zu ihm war, müsste er zugeben, dass er seinem Vater ähnlicher war, als er es wahrhaben wollte. Mit Lügen zu leben, um sich zu schützen, auch wenn man damit andere verletzte, war ihm auch selbst nicht fremd. Er atmete tief durch, sah wieder zu Eames. „Ich denke, du verstehst jetzt vielleicht ein wenig, weshalb ich mich nicht einfach so auf ein Abenteuer mit jemandem einlassen konnte, der mein Leben sicher nicht stabilisiert hätte. Ich habe dich damals nicht anrufen oder mich melden können, weil ich nicht wusste, ob du mir zuhören könntest, ob du dir das alles hättest aufhalsen wollen.“ Besonders nicht mit dem Gefühl dabei, dass er mehr als ein Abenteuer für ihn bedeutete, wenn er auf all das Werben eingegangen wäre. Und mit dem Wissen, dass Eames viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, als dass er sich mit ihm hätte ernsthaft auseinandersetzen können. Er hatte Zeit zum Verarbeiten gebraucht, Mal hatte ihm viel geholfen. Eames, ohne es zu ahnen. „Zumindest anfangs nicht.“ In den Monaten, die sie so intensiv miteinander verbracht hatten, in denen sie sich gegenseitig im Job vorangetrieben hatten, war er gewachsen – wegen Eames, für Eames. Er hatte die schönen Momente gesammelt, die Erinnerungen daran waren wesentlich wichtiger geworden, als andere Momente, negative Momente. Terra Blues – der Inder – die Vorbereitungszeit in Tokyo. Mit der Zeit ging es ihm viel besser. Er wurde selbstsicherer in vielerlei Hinsicht. „Lass uns zu den schöneren Erinnerungen zurückkehren. Ich brauch was Positives.“ Er lächelte leicht. "Welche ist deine schönste Erinnerung an unsere Zeit vor Tokyo?" Er wusste genau, woran er sich gerne erinnerte. Aber umso gespannter war er, welche Erinnerung Eames positiv belegte. *Eames* ‚Es ist wohl keine Familie, wenn es nicht kompliziert ist‘, ging es Eames durch den Kopf, als er Arthur bei seiner Schilderung über die Verhältnisse bei den Darlings zuhörte. Das alles klang wie ein Familien-Drama aus einer TV-Serie... oder war das vielleicht einfach nur das was in Familien passierte? - oder nicht passieren sollte? Es fiel ihm nicht schwer zu folgen, es haperte nur ein wenig am Verstehen. „Familie“ in Arthurs Sinne war eben doch eine ganz andere Hausnummer, als seine eigene. ... Ich habe dich damals nicht anrufen oder mich melden können, weil ich nicht wusste, ob du mir zuhören könntest...‘ Ein dicker Kloß hatte sich in Eames Hals gebildet, den er weder schlucken noch hochwürgen konnte. Arthur hatte wohl Recht mit seiner Befürchtung gehabt. Die Frage war nur, ob er noch immer der egoistische Bastard von damals war, oder ob sich mittlerweile etwas bei ihm getan hatte. Er hatte sich verändert, das stand außer Frage. Aber vielleicht war das nur die Art, wie er sein inneres Scheusal verbarg. Er nickte betroffen, den Blick nach unten. Erst als Arthur die guten Erinnerungen ansprach, sah er wieder auf. Forschte mit wachsendem Interesse in den undurchdringlichen Augen seines Gegenübers. »Die Schönste?« Er machte einen nachdenklichen Brummlaut und streichelte das stoppelige Kinn dabei. Hätte Arthur jetzt nach „einer“ schönen Erinnerung gefragt, aber seine persönliche Nummer eins, war schwer zu bestimmen, aus diversen Gründen. Erst einmal hatte er in er Zeit eine Menge erlebt; viele neue Erfahrungen hatten auf ihn eingewirkt. Er hatte ein traumatisierendes Erlebnis hinter sich, was er mit allen Mitteln mit allerlei Substanzen und Ablenkungsversuchen zu besiegen versuchte; sein Charakter war noch nicht ganz fertig und dann war da auch noch Arthur gewesen, der auf emotionaler Ebene noch ganz andere, schlimme Dinge mit ihm gemacht hatte (nicht bewusst natürlich). Er hatte ihm beigebracht was ‚Sehnsucht’ bedeutete, um nur eins der verwirrenden Dinge aufzuzählen, die ihm in dieser kurzen Zeit zwischen Amityville und Tokio das Leben auf den Kopf gestellt hatten. »Wie wär's mit dem Abend, an dem ich dir Billardspielen beigebracht habe?«, warf er schlussendlich in den Raum. Statt der gedrückten Stimmung, war er nun fast wieder der Alte, mit der leichten Arroganz in der Stimme, die hin und wieder in seinem Akzent mitschwamm. Rekapitulation (aus dem Fachjargon der Traumdiebe) hatte durchaus seine Schattenseiten. Er wusste von Leuten, die immer wieder zu Erinnerungen zurückkehrten, um sich selbst wehzutun. Allerdings hatte man auch die Möglichkeit den Verlauf der Dinge zu ändern – zumindest scheinbar. Zumindest für einen Moment. Kapitel 29: Can you feel it? ---------------------------- *Arthur* Da war sie, die Verletzung, die er vorhin am Sofa noch vermieden hatte. Aber er war sicher, dass Eames es richtig auffassen würde. Er hoffte es zumindest, auch wenn Eames ihn erst wieder ansah, als er geschickt vom Thema ablenkte. So wirklich wollte er jetzt nicht mehr über seine Eltern nachdenken. Er hatte ihm das Wesentliche gezeigt, das sollte genügen. Der forschende und zugleich nachdenkliche Blick des anderen ertrug er mit stoischer Gelassenheit. Er lenkte auch nicht ein, als er nachfragte, ob es die Schönste sein musste. Wenn schon denn schon! Eames war mal dran zu offenbaren, woran er sich gerne erinnerte. Arthur wollte sich nicht immer allein ausziehen – mit seinen Zeichnungen, mit seinen Erinnerungen, mit seiner Wohnung, seiner Musik, seinem Schlafzimmer, seinem Arbeitszimmer,… Und was wusste er von Eames? Angeblich kannte er ihn mehr als jeder andere auf dieser Welt. Na klar! Seine ungerührte Fassade bröckelte jedoch etwas, als Eames endlich damit herausrückte, woran er sich gerne erinnerte. »Wie wär's mit dem Abend, an dem ich dir Billardspielen beigebracht habe?« Nun war er doch etwas erstaunt. Hatten sie die selbe „schönste Erinnerung“? Zumindest klang Eames‘ Stimme deutlich gefestigter. Arthur merkte, dass ihm das gut tat. Eames Unbedarftheit, seine Stärke im Sinne seiner Arroganz und seines Egos waren das, was Arthur zwar oft auf die Palme brachte, ihm aber gleichzeitig signalisierte, dass alles (scheinbar) gut war. Es beruhigte ihn auf absonderliche Weise. Denn dass es nicht immer so war, wusste er eigentlich nur zu gut. Es gab ihm nur die Möglichkeit selbst zu entscheiden, ob er die Situation hinterfragen wollte oder nicht. Meist überging er es – war er nicht oft genau das gleiche ignorante Arschloch? Der Gedanke hatte jetzt keinen Platz. Und so wischte ein spöttisches Lächeln seine Überraschung sogleich wieder weg. „DU - MIR?“, fragte er belustigt. „Du neigst noch immer dazu, die Tatsachen zu verdrehen.“ Er drehte sich von Eames weg, vor allem, um das Grinsen nicht zu zeigen, das nun doch wieder durchkam. Das Thema zu wechseln war gut gewesen, er hatte wieder deutlich bessere Laune. Er blickte eine Straße hinab, in der sich nun – wesentlich genauer als zuvor – eine Straße Tokyos aufbaute. Es hatte geregnet, es war dunkel, die vielen Reklameschilder beleuchteten die Gasse, in die man als Tourist vermutlich lieber nicht gehen sollte. Die vielen Kabel, die zwischen den Häusern und an den Hauswänden hinauf zu sehen waren, zeugten von einer ärmlichen Gegend, ein Vorort Tokyos, in dem auf eigene Gefahr die Häuser in alle möglichen Richtungen (also vor allem nach oben) weitergebaut worden sind. Tokyo war überfüllt mit Menschen, die räumliche Ausdehnung ging aufgrund der Geographie letztlich nur nach oben. In den ärmlichen Vierteln illegalerweise, bis es irgendwann zum Supergau kommt und das Viertel neu aufgebaut werden muss. Wieso waren sie eigentlich damals hierher gekommen? Arthur drehte sich zu Eames um. „Ich frage mich bis heute, wieso ich dir hierher gefolgt bin…“ Sie gingen gemeinsam die Gasse hinunter. Die ohnehin schon schmale Gasse war vollgestellt mit Fahrrädern, Kisten, Werbe-Aufsteller, Mülltonnen. Die Billiard-Kneipe lag etwas die Straße hinab. Arthur blieb davor stehen. „Nach dir! Deine Erinnerung!“, sagte er und öffnete Eames die Tür. *Eames* Er musste das Grinsen auf Arthurs Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass es da war. So schwer die vorangegangene Erinnerung auch sein mochte, sie lag mittlerweile acht Jahre zurück und es war Zeit einen Strich darunter zu ziehen. Die Leuchtschrift in Tokyos Straßen war nicht exakt das, woran er sich erinnerte. Könnte auch sein, dass sie überhaupt nicht so ausgesehen hatten, wie Arthur sie rekonstruierte, vor allem, da er Eames' Wissensstand nach, wenig Japanischkenntnisse besaß. Aber am Ende spielte dieses Detail wohl kaum eine Rolle, da die Stimmung exakt das widerspiegelte, was ihm in den Sinn kam, als sie nachts die nasse Straße in Richtung des zwielichtigen Lokals entlang gegangen waren. ‚Ich frage mich bis heute, wieso ich dir hierher gefolgt bin…‘ Er lächelte, fast wie ein Gentleman, aber irgendwie eine Spur zu verschmitzt. Sie gelangten kurz darauf zum besagten Lokal. Das Gebäude darüber ragte weit in den dunkelgraue Nachthimmel. Die oberen Etagen schienen wirsch und unpassend auf das ursprüngliche Gebäude gestapelt worden zu sein. Was sie zusammenhielt schien nicht mehr zu sein, als Spucke und die etlichen, schwarzen Leitungen, die wie wirre Spinnennetze zwischen allen Häusern hingen. ‚Nach dir! Deine Erinnerung!‘ Eames richtete sich den Kragen des Jacketts, die selbe Geste wie vor etlichen Jahren, als sie das erste Mal vor dem Billard-Lokal gestanden hatten. Ein paar Nutten standen etwa zehn Meter weiter die Straße herunter und lenkten ein, in ihre Richtung, als sie die weißen Männer erblickten. Europäer und Amerikaner waren besonders beliebt in diesem Bereich. Sie versprachen Geld. »Warum du mir hier her gefolgt bist, ist einfach. Du warst verrückt nach mir. Und du dachtest, ich hab alles im Griff. Ich bin damals nur in irgendeine Richtung gerannt, ich hatte keine Ahnung, wo wir sind«, gab er halblachend zu und ging dann schnell die Treppe nach unten zum Eingang, um Arthurs vermeidlich vorwurfsvollem Blick auszuweichen. Drinnen war es stickig und roch leicht säuerlich, nach dem leichten Gesöff, das die Japaner Bier nannten. Drei Billard-Tische waren im Raum aufgebaut und um jeden Tisch standen mindestens drei Spieler. Andere Gäste hatten sich um die runden Tische an den grob verputzten Wänden oder an der Bar verteilt. Das untere Ende der Mittelschicht. Mit seinem gebrochenen Japanisch begrüßte Eames den Kellner und bestellte, genau wie damals, zwei „starke Getränke“. Am Ende hatte man ihnen Sake serviert. Genau damals waren die Blicke der Gäste irritiert und nicht unbedingt freundlich gesinnt. Touristen waren in dieser Gegend nicht allzu häufig gesehen. Dafür war die Musik einigermaßen OK (wenigstens kein Quietsch-Pop). Mit einem selbstbewussten Mischmasch aus Englisch, Japanisch und Zeichensprache, überredete er schließlich ein Pärchen ihren Billard-Tisch für sie frei zugeben. Eames hatte bis heute nicht verraten was er den beiden versprochen hatte, aber schlussendlich war es eins der Gründe, warum alles am Ende in diesem dummen Streit geendet hatte. *Arthur* Es war wieder alles in Ordnung. Die Erklärung, warum er ihn damals vor so langer Zeit versetzt hatte, war offenbar geschluckt worden. Arthurs Vorfreude auf ihren Billardabend vertrieb alle unguten Gefühle. Das Lächeln, das Eames ihm auf seine Frage hin zeigte, war vielsagend und gleichzeitig machte es diesen Mann so unfassbar anziehend, dass Arthur es gewiss schon tausend Mal in seinen Notizbüchern gezeichnet hatte - unabhängig davon, ob sie miteinander gearbeitet hatten oder nicht. Vor sechs Jahren hatte er sich gewünscht, er würde nur ihn so ansehen. Doch er hatte einsehen müssen, dass es auch dieser Blick war, dieses Lächeln, dieses Funkeln in den Augen, was den Forger so brillant werden ließ. Es nahm die Leute für ihn ein, verschaffte so unglaublich schnell Zugang zu den Menschen. Vielleicht war das der Grund, weshalb Arthur beharrlich versucht hatte, sich nicht davon beeinflussen zu lassen. Arthur zwang sich den Blick abzuwenden, sah die Straße hinab, die sich durch ihrer beider Unterbewusstsein und Erinnerungen füllte. Als Eames sich den Kragen richtete, war klar, dass die Rekapitulation begann. ‚Warum du mir hier her gefolgt bist, ist einfach. Du warst verrückt nach mir. Und du dachtest, ich hab alles im Griff. Ich bin damals nur in irgendeine Richtung gerannt, ich hatte keine Ahnung, wo wir sind.‘ Arthur war einen Moment perplex. Nicht wegen der Unterstellung ‚verrückt nach ihm‘ gewesen zu sein. Tatsächlich hatte er an diesem Abend das erste Mal spontan zugesagt, mit ihm noch mitzugehen. Der Job war nach viel Anstrengung in trockenen Tüchern. Sie mussten ihn nur noch durchführen. Arthur hatte zwar in manchen Details noch Bedenken, aber Dom hatte ihm versichert, dass alles passen würde. Wenn es vorbei war, würde er sich endlich Zeit für sich nehmen, für Eames. Nein, er war perplex, weil Eames ihn hierher mitgeschleift hatte, ohne überhaupt zu wissen, wohin er wollte?! Er musste tatsächlich den Verstand verloren haben, dass ihm das nicht aufgefallen war. Seinen kritischen Blick entzog sich Eames jedoch und Arthur blieb nur, ihm einen bohrenden Blick hinterher zu schicken, zusammen mit einem: „Pass auf, dass dein Ego nicht am Türrahmen hängen bleibt!“ Sie betraten die Kneipe. Arthur konnte sich noch gut erinnern, dass er seine Unsicherheit hinsichtlich der Location hinter Gleichgültigkeit verbarg, während Eames etwas zu trinken orderte und ihnen anschließend einen Billardtisch verschaffte. Er konnte gar kein Japanisch, Englisch reichte normalerweise ohnehin. Sprachen waren ihm schon immer ein Gräuel. Fleiß hatte ihm im Französisch- und Spanischunterricht passable Noten verschafft, wirklich gemocht hatte er es nicht. Daher war er froh, dass Eames sich in der Pflicht sah, das zu übernehmen, während er seinen Blick durch den Raum streifen ließ. Allerdings unterließ er es, als er merkte, dass sie mehr als skeptisch und fast schon lauernd beobachtet wurden. Es gab eine Hintertür, der Barkeeper hatte vermutlich eine Waffe unter dem Tresen, andere Anwesende trugen mit Gewissheit Waffen. Der Laden gehörte vermutlich einem Clan an. Symbole an der Wand, Fotos, Trophäen. Aber das alles war ihm egal. Sie waren zum Billard spielen gekommen, Eames und er. Zeit zu zweit ohne Bezug zur Arbeit. Einfach unbeschwert sein. Daher blendete er diese Eindrücke aus, als er den wenig wertigen, lauwarmen Sake zu dem Tisch hinübertrug, der ihrem Billardtisch am nächsten stand. Arthur freute sich schon wieder auf echtes Bier und echten Alkohol zu Hause. Dieses lauwarme Gesöff hing ihm zum Hals heraus. Aber Alkohol war gut, um nicht zu sehr zu grübeln. Die Anspannung wegen des Jobs merkte er zu genüge, wenn er nachts wach im Bett lag. Seine Finger glitten über den Rand des Tisches, das Holz, das Kerben und Dellen hatte. Stümper, die das Spiel nicht beherrschten, gab es genug. Das Spielmaterial war an sich ohnehin nicht wirklich gut, billig. Arthur liebte Billard. Genau sein Ding: Mathematik und Physik im normalen Leben - realer sonst kaum möglich. Er konnte dabei all seine Fähigkeiten zeigen, seine Stärken - Präzision, Auge, Ruhe. Mit Collin hatte er früher viel gespielt. Seine Finger glitten über den Queue, bevor er die Pomeranze mit Kreide einrieb. Eames positionierte die Kugeln mit dem Dreieck - schlampig, ungenau. Arthur verzog einen Moment den Mund. „Symmetrie ist nicht so deins, oder?“, stichelte er mit schmunzelndem Unterton. „Pool? Der Anstoß entscheidet über die Kugeln? Wer die 8 versenkt hat gewonnen?“, fragte er nach. „Mit oder ohne Ankündigung?“ *Eames* Was sie damals gepackt und überwältigt hatte, war die Euphorie Kleinkrimineller mit der Aussicht auf Reichtum und Macht. Die Erfolgserlebnisse des letzten Jobs, das plötzliche Klingen in den Kassen und auch das Wissen um Verborgenes, das dem Großteil der Gesellschaft verborgen blieb, wirkte erregend, vor allem auf so übermütige Opportunisten wie Eames. Zum ersten Mal in seinem schrägen Leben hatte er das Gefühl sein Potential wirklich auszuschöpfen und sich alles nehmen zu können, was er wollte. Deswegen tangierte es ihn auch nicht, dass sie in einer vermeidlichen Clan-Kneipe gelandet waren. Er war sich so unglaublich sicher gewesen, dass ihnen ‚nichts‘ passieren könnte, dass er sich aus jedem Schlamassel herausreden konnte und dass er so wie so und ohne Zweifel unsterblich und unbesiegbar war. Und meistens hatte sein Glück sogar mitgespielt... an diesem Abend leider nicht. ‚Symmetrie ist nicht so deins, oder?‘ Er warf Arthur amüsierten Blick zu. Wenn Akkuratesse im Leben vorherrschte, gab es keinen Raum mehr für Unvorhergesehenes. Letzteres war eine von seinen Spezialitäten. Auch Eames schnappte sich einen Queue und beobachtete Arthur eindringlich über den Billardtisch hinweg. Er studierte seine Haltung, das freche Grinsen auf seinem Gesicht, die plötzlich so viel jünger wirkenden Gesichtszüge. Ihre Blicke trafen sich und sie sahen einander ein paar Sekunden zu lange an, um noch leugnen zu können, dass da etwas war. Im mindesten Interesse, aber Eames pokerte auf weit mehr. »Pool. 8 gewinnt, mit Ankündigung, du fängst an.«, beschloss er locker, flockig, trat einen Schritt zurück und bedeutete Arthur mit einer Handbewegung anzufangen: die Bühne gehört dir. Sicherlich war Billard nicht seine beste Disziplin, aber er konnte Bluffen und vielleicht war der Gott der Spiele ja heute Abend auch gnädig mit ihm. »Das erste Spiel ist umsonst. Danach wetten wir«, kündigte er an und schnappte sich ebenfalls die Kreide, nachdem Arthur fertig war. Gleich drei junge Japaner; sie waren wahrscheinlich in ihrem Alter, aber sahen einfach jünger aus; gesellten sich zu ihnen und betrachteten das Spiel mit teils argwöhnischen, teils interessierten Blicken. Ihre Köpfe waren bis auf wenige Millimeter rasiert und sie hatten eine Reihe sichtbarer Tattoos, die einer gewissen Symbolik folgten. Eames übte zu der Zeit noch an seinem Japanisch – Sprachen hatten ihm nie Schwierigkeiten bereiten und wenn er mehr Zeit (und Lust) gehabt hätte, wäre er sicherlich auch besser darin gewesen. Hätte er sich mal die Zeit genommen. Trotzdem schnipselte er sich einen halbwegs passenden Satz zusammen, als er die drei Jungs fragte, ob sie den „jungen Burschen verlieren sehen wollten“. Dabei deutete er auf Arthur. Die Jungs reagierten halbwegs amüsiert, einer warf dem Barkeeper einen fragenden Blick zu, die anderen beiden musterten Arthur. Einer der Kerle hatte einen Nasenring und eine fiese Narbe am Kinn. Er erwiderte etwas, was Eames nicht verstand und dann elegant ignorierte. Statt nachzufragen, stießen sie an. *Arthur* Nein, er würde seinem Zwang nach geraden Linien jetzt nicht nachgeben. Er wollte diesen Abend mit Eames verbringen, sich auf diesen Chaoten einlassen, bis zu einem gewissen Punkt testen wie es funktionieren konnte, ob es funktionieren konnte. Er wollte das Lächeln einfangen und glauben, dass es nur ihm gehörte. Er wollte vorfühlen wie es sein könnte, wenn der Job vorbei war und er sich endlich gönnen konnte, was er begehrte. Vermutlich erwiderte er daher den Blick mit einem Lächeln länger als es nötig wäre. Das Gefühl, das dieser Blick in ihm auslöste, war bekannt. Er hatte es in letzter Zeit öfter gespürt, wenn sie trainiert haben, gearbeitet haben, wenn Eames ihn anflirtete, ihm nahe kam - aber er hatte es nie wirklich zugelassen. Jetzt wollte er es. Einfach ein wenig Spaß haben, einfach genießen. Er hatte sich das doch verdient, oder?! Ein Nicken besiegelte die Konditionen. Der Geste des anderen folgend trat er um den Tisch herum und legte die weiße Kugel auf den sichtbaren Punkt. Als er Eames‘ Nachsatz hörte, drehte er sich noch einmal zu ihm um. Wetten, also Spielen in diesem Sinne, war eigentlich so gar nicht seins. Er hatte ohnehin mit seinem Perfektionismus und Ehrgeiz zu kämpfen. Verlieren lag ihm bei den Dingen, die er konnte, gar nicht. Wenn dann noch ein Einsatz hinzukam, würde das seine Ruhe und Konzentrationsfähigkeit ganz schön beanspruchen. Eames versuchte ständig aus allem ein Spiel zu machen, im Training schlug er gerne Wetteinsätze vor, meist solche von der Art, die Arthur nur ablehnen konnte. „Keine Naturalien“, sagte er daher. Kohle hatte er momentan mehr als genug. Das war ihm fast egal, wenn er es verlor. Er zog sein Jackett aus, hängte es über den Stuhl. So hatte er mehr Bewegungsfreiheit. Die drei Männer, die zu ihnen kamen, musterte er kurz mit geübtem Blick des Desinteresses. Bewaffnet, mit einer Aura um sich, die nichts Gutes verhieß. Früher hätte er einen riesigen Bogen um sie gemacht. Aber sie würden schon keine Probleme machen!? Schließlich spielten sie nur Billard. Wirklich etwas Wertvolles hatte er nicht bei sich, nichts von Bedeutung. Und selbst wenn sie stänkern würden - Eames war bei ihm und Arthur war zudem fitter denn je. Das Training der letzten fast zwei Jahre hatte deutliche Spuren hinterlassen - hinsichtlich seiner Muskeln und seiner Kraft, noch mehr jedoch bei seinem Selbstvertrauen. Dass Eames scheinbar ständig essen konnte, hatte ihm zudem ein paar mehr Kilos an den richtigen Stellen beschert, die ihm definitiv nicht schadeten. Zusammen mit den Erfolgen, die sie als „Gentleman-Thieves“ erzielten, ging es ihm besser denn je. Arthur ignorierte die Männer einfach unbeeindruckt. Er war nicht der Typ, der smalltalk betrieb, um die Situation auszuloten. Das war Eames, der mit eben jenen redete. Es kam ihm fast so vor, als redeten sie über ihn. Zumindest spürte er die musternden Blicke deutlich. Sicher irgendeiner von Eames Sprüchen. Aber offenbar war alles gut, sonst würden sie ja nicht anstoßen, oder? Arthur brachte sich derweil in Stellung, ließ den Queue probeweise über die Finger der abgelegten Hand gleiten, während sein Kopf rechnete. Schließlich stieß er an - mit passender Wucht, mit passendem Tempo. Die Weiße ließ die Formierten auseinanderbrechen. Eine perfekte Karambolage. Die Kugeln kamen erst nach einiger Zeit zur Ruhe, eine Volle wurde versenkt - die Farbzuteilung war damit erfolgt. Das Spiel konnte beginnen. Arthur sah sich in Ruhe die vollen an, wo sie lagen, welche Winkel er brauchte. Mit einem zufriedenen Schmunzeln drehte er sich zu Eames. „Du bist dran!“ Er griff zu der kleinen tönernen Tasse und trank den Sake, die drei Männer nach wie vor ignorierend. Viel lieber schaute er Eames zu, wie er nun die Situation auf dem Tisch betrachtete. Mal sehen, was er wirklich drauf hatte. Als er spürte, dass einer der Typen, der mit der Narbe, zu ihm trat, richtete er sich kaum merklich auf. Er war etwas kleiner als er, wirkte aber wie ein Pitbull auf ihn. Das Japanisch mit dem lauernden Unterton ließ ihn zu diesem blicken. „I don‘t understand you!“, sagte er höflich und sah ihn abwartend an. „Say it in English!“ Das Bitte sparte er sich. Im Nachhinein betrachtet hätte er schon früher sagen müssen, dass sie lieber woanders hingehen sollten. Damals hat er die bedrohliche Stimmung verharmlost. Der Japaner zögerte kurz, der Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, aber er gefiel ihm nicht. Arthur blickte wieder zu Eames, wobei er an dessen Hintern hängen blieb, als er sich beugte, um zu spielen. „Er guter Spieler?!“, kam es nun in gebrochenem Englisch. Arthur wog seine Antwort ab. Die Frage war mehrdeutig. Aber vermutlich bezog sie sich auf das Billardspiel. Von Eames anderen Vorlieben was ‚Spielen‘ betraf, konnten sie ja nichts wissen. „Yes, he is“, sagte er schlicht und trat einen Schritt vor, als Eames noch den Queue ausrichtete. Schwieriger Winkel. Musste man können. Oder auf das Glück der Dummen vertrauen. In dem Moment, in dem Eames stoßen wollte, sagte Arthur leise: „Nice view!“ Er blickte erneut an Eames herab, sein Gesicht zu keine Miene verzogen. Psychologische Kriegsführung war nicht verboten. *Eames* Keine Naturalien – sicher. Etwas in Arthurs Tonlage hatte sich verändert. Möglich, dass es schon eine Weile so war, aber Eames wurde es in diesem Augenblick erst so richtig bewusst. Er war kein Welpe mehr, das zum einen. Der Pool an nützlichem Wissen, aus dem Eames schöpfte, war fast aufgebracht. Sie begegneten sich mehr und mehr auf Augenhöhe. Zum anderen war da diese Leichtigkeit mit der Arthur ihm neuerdings begegnete. Selbstbewusstsein, dass den jungen Point Man in Eames Augen noch begehrenswerter machte, als er ohnehin schon war. Vom äußerlichen Bonus mal ganz abgesehen. Arthur war schon immer schön gewesen, aber seit neustem trug er sein gutes Aussehen auch aktiv nach außen. Er wartete gelassen und ließ sich nicht anmerken, dass ihn Arthurs Spiel beeindruckte. Er würde den Überlegenen spielen so lange er konnte und dann entweder mit Glück oder einem gut platzierten Streich gewinnen. Er war es eindeutig nicht gewöhnt gegen Arthurs zu verlieren; die Vorstellung, dass der „Kleine“ aus seinen Kinderschuhen herauswuchs bedrohte sein Ego. Eames sparte sich den Kommentar, als er an der Reihe war. Stattdessen spazierte er halb um den Tisch und sondierte die Lage mit überlegener Gelassenheit. Die Halben lagen gar nicht schlecht, aber zu einem so frühen Zeitpunkt des Spiels konnte er noch keine Prognosen stellen. Das Blatt könnte sich jederzeit wenden. ‘Nice view!‘ Es war gar nicht mal so leise in der Kneipe, aber Arthurs Stimme hörte er laut und deutlich heraus. Was natürlich geplant von eben jenem war... er versuchte ihn abzulenken. Solcherlei Scherze war er von ihm nicht wirklich gewöhnt (eher von sich selbst). Er war wohl kein allzu guter Einfluss auf Arthur gewesen. Er grinste und stieß die weisse Kugel an. Sie drehte ein paar Pirouetten um sich selbst und stieß im Anschluss die 9 an. Das war die einfache gewesen, zu seinem großen Glück. Er warf Arthur einen vielsagenden Blick zu. Amüsiert, provokant und dennoch betont unbeeindruckt. Bei dieser Art von Krieg durfte man keine Schwäche zeigen. »Oh Darling, du verbringst eindeutig zu viel Zeit mit mir.« Derweil gesellten sich noch ein paar mehr Japaner zu ihnen, auch zwei aus der älteren Generation, und betrachteten mit wachsendem Interesse das Spiel. Der Knabe mit der Narbe, rief seinen Kollegen etwas zu, das auch Eames nicht ganz verstand. Es musste etwas mit einer „Wette“ zu tun haben. Eames versenkte noch zwei Kugel, verfehlte die dritte jedoch und beging einen dämlichen Fehler. Er streifte eine andere Kugel mit der Queuespitze. Ein eindeutiges Foul. Einer der Jungs reichte ihm die weiße Kugel über den Tisch, als er merkte, dass Eames danach greifen wollte. Er reichte sie sogleich weiter an Arthur. Ärgerlich! Wenn er großes Pech hatte, räumte Arthur nun auf. Die Kugeln lagen gut. »Ich glaube die zwei Älteren haben auf dich gewettet.«, ließ er beiläufig fallen. Dann griff er nach der Kreide und bearbeitete damit Arthurs Queuespitze, die so provokant in seine Richtung zeigte. »So weit ich es verstanden habe, geht es um Bier. Also kein Verlust, wenn du verlierst.« Den Rest des blauen Staubs blies er weg, lächelte. Dann klopfte er Arthur aufbauend gegen Oberarm und überließ ihm das Feld. *Arthur* ‘Oh Darling, du verbringst eindeutig zu viel Zeit mit mir.‘ Arthur hätte fast gelacht, weil er ganz ähnliche Worte erst gehört hatte. Aber er war mittlerweile viel zu gut darin, seine eigentlichen Emotionen zu verbergen. Zwei Jahre harte Schule. Und doch zierte seine Lippen ein gelassenes Lächeln, während er den Blick des anderen erwiderte. Mal hatte ihn erst am vergangenen Tag darauf angesprochen: ‚Du verbringst viel Zeit mit ihm und siehst dabei hübscher und stärker aus denn je. Ich freue mich, dass er dir gut tut.‘ Es hatte ihn etwas unsicher gemacht. Vielleicht hatte es aber auch angestoßen, dass er jetzt hier mit ihm sein konnte. In ihrem Blick war aber auch Sorge mitgeschwungen, die stumme Warnung vor Eames Charakter, seiner Sprunghaftigkeit, seinem Talent, Menschen vor den Kopf zu stoßen oder ihnen etwas vorzugaukeln. Oder es war seine eigene Angst, die ihn das hatte lesen lassen. „Bleibt einem ja kaum was anderes übrig“, seufzte er theatralisch und verzog den Mund leicht gequält. „Ständig fünftes Rad am Wagen und Pärchengeturtel wären auch Folter.“ Dass er gerne Zeit mit Eames verbrachte, auch wenn sie sich so oft nur gegenseitig nervten, musste er ja nicht offenlegen. Schade, dass seine Taktik nicht aufgegangen war. Auf der Ebene ließ sich Eames also nicht berühren. Es überraschte ihn, wenn er ehrlich war. Schade eigentlich. Er hätte gerne ausprobiert, das Flirten etwas zu vertiefen. Nun blieb ihm nichts anderes, als Eames dabei zuzusehen, wie er durchaus gekonnt zwei Kugeln versenkte. Das noch weitere Gäste zu ihnen traten, dass diese sich auch unterhielten, bekam er mit, musterte jeden einzelnen und merkte sich letztlich auch, wo wer stand. Doch er konzentrierte sich vor allem auf das Spiel, die Bewegungen der Kugeln, sofern diese ihre Position veränderten. Als seinem Mitspieler der wirklich grobe Fehler unterlief, hob er den Queue wieder an, den er neben sich abgestellt hatte. Irritiert sah er den Japaner, der Eames die weiße Kugel reichte. Wieso mischte der sich ein? Sowas konnte er ja gar nicht leiden. Er nahm die Kugel aus Eames Hand entgegen, überlegte schon, ob er etwas zu der Situation um sie herum sagen sollte, doch der Brite kam ihm zuvor. ‚Ich glaube die zwei Älteren haben auf dich gewettet.‘ Arthur blickte unwillkürlich zu den beiden hin, die seinen Blick mit einem kühlen Lächeln erwiderten. Irgendwie passte das nicht zusammen. Er hätte da schon auf seine Alarmglocken hören sollen. Damals war der Gedanke, dass jemand auf sein Können Geld setzte aber vorrangig gewesen. Genau das, was Eames provozieren wollte. Seine Selbstsicherheit über seinen Perfektionismus angreifen. Als er spürte, dass jemand nach seinem Queue griff, ruckte sein Kopf aber zurück. Einen Moment hatte er geglaubt, der Japaner sei das. Doch es war Eames. Die Haltung des Queues, die Gesten des anderen, die Art, wie er ihn ansah – die Symbolik war offensichtlich. Er spürte, wie sich ein seltsames Gefühl in seinem Magen ausbreitete. Er sog die Unterlippe leicht ein, biss darauf. Sein Kopfkino verselbstständigte sich auf völlig unangebrachte Art und Weise. Er schluckte, als Eames abließ und zu ihm trat. Die Hand an seiner Schulter brannte durch den Stoff seines Shirts. ‚So weit ich es verstanden habe, geht es um Bier. Also kein Verlust, wenn du verlierst.‘ Einen Moment sah er Eames an. Eigentlich hätte er auf das ‚So weit ich verstanden habe...‘ reagieren müssen - im Nachhinein betrachtet. Aber er konnte gerade nicht üebr die Wortwahl nachdenken. Andere Dinge, andere Gesten standen gerade im Raum. Er mochte ungerührt aussehen, aber Eames kannte ihn vermutlich zu gut, als dass er nicht doch die Irritation herauslesen konnte. Nur er war fähig dazu, seine Fassade immer wieder ein wenig zum Einsturz zu bringen. Und Arthur war wirklich auf diesem, gerade so nett provozierten Gebiet ein blutiger Anfänger. Eames führte ihn gerade vor und es wurmte ihn sehr. Er hatte Erfahrungen mit anderen Männern gesammelt, war in der Szene unterwegs, vor allem in den Wochen, in denen sie nicht beieinander waren, in denen er in NewYork war und arbeitete, an der Uni gewesen war. Er war auch da selbstsicherer geworden, bestimmender. Er behauptete sich bei den Typen, die er abschleppte, ließ sich nicht mehr selbst abschleppen - zumindest nicht so wie am Anfang. Doch Eames schaffte es nur mit einer so simplen Geste seine hart erkämpfte Selbstsicherheit auf diesem Gebiet im wahrsten Sinne des Wortes wegzupusten. Arthur verharrte einen Augenblick, konnte nichts erwidern, obwohl er sonst immer etwas zu sagen wusste. Er blickte wieder zum Billardtisch. Hier ging es nicht um das – was auch immer „das“ war. Hier ging es nur um dieses Billardspiel! Zumindest versuchte er sich das einzureden. Er konnte sehr gut Billardspielen. Die Kugeln lagen gut. Er hatte durch das Foul die besten Ausgangsbedingungen. Ein wahres Heimspiel, definitiv. „Na, dann wollen wir ihnen mal ihr Bier verschaffen“, rang er sich schließlich doch noch ab, weniger siegessicher als er gewollt hätte. Arthur trat an den Tisch heran, betrachtete seine Kugeln, lotete aus, wog ab, berechnete voraus, wie sich das Spiel entwickeln konnte, legte die Reihenfolge fest, überlegte sich den besten Ausgangsunkt. Er hatte den Ball in der Hand, er hatte alle Möglichkeiten. Langsam beruhigte sich sein Gemüt wieder. Konzentration, Präzision. Wenn jemand das konnte, dann doch wohl er. Doch es waren zwei Komponenten, die es ihm wirklich schwer machten: sein Kopfkino und der Druck, den Eames auf seinem Perfektionismus abgelegt hatte. Er legte schließlich die Weiße. „3 in die linke Ecktasche..“, begann er schließlich und versenkte eine Kugel nach der anderen. Es war nicht einfach, aber es ging. Es musste gehen! Unbedingt! Er verlor so oft gegen Eames, ständig im Training. Dass er ihn mal wirklich überraschen konnte, wenn es ums Boxen ging, konnte er an zwei Händen abzählen. Beim Training mit Waffen sah es anders aus. Aber auch da unterlag er ihm meistens. Billard war seine Disziplin. Hier konnte und wollte er zeigen, dass er sich nicht von so blöden Gesten irritieren lassen würde! Nur noch zwei Kugeln. „Kiss shot, 5 in die rechte Lochtasche“, kündigte er an. Ein Schwerer Stoß, weil es passieren konnte, dass die anstoßende Kugel zurück in der Ecktasche landen könnte, wenn er zu viel Wucht provozierte. Wenn es zu wenig wäre, würde die 5 allerdings nicht in der Seitentasche ankommen. *Eames* Das strahlende Selbstbewusstsein, dass er soeben noch von Arthur wahrgenommen hatte, bröckelte ein wenig und Eames sollte sich dafür schämen, dass er ihm so etwas antat. Andererseits war Arthur bisher an jeder neuen Herausforderung nur gewachsen, wieso sollte es in diesem Fall anders sein? Richtig; weil dies hier bereits seine Disziplin war und Eames derjenige sein sollte, der zurücksteckte. Er sollte es einfach sein lassen und sich zurücklehnen, aber er konnte es nicht. Rückblickend fühlte Eames, was Arthur fühlte und es erinnerte ihn daran, was er einst seinem eigenen Bruder gegenüber empfunden hatte: ‚ungenügend zu sein‘. Wieder zurück in der Erinnerung schoben sich schuldbehaftete Emotionen wieder weit in den Hintergrund. Stattdessen kehrte die Möglichkeit eines Flirts zurück. Er betrachtete Arthur bei seinem höchstprofessionellen Spiel, ließ hier und da eine Bemerkung fallen, mit dem Ziel ihn zu verunsichern. Sachen wie „Hmm, das würde ich nicht machen“ und „Ja, nimm die, dann bin ich auch endlich mal wieder dran.“, um für Verwirrung zu sorgen. Hin und wieder bot er ihm sogar an, nochmal seinen Queue einzukreiden. »Dafür können wir auch eben aufs Herrenklo verschwinden, wenn dir das vor den ganzen Menschen unangenehm ist.« Seine Beschreibung war nicht übertrieben. Die beiden Europäer hatten noch ein paar mehr Menschen angelockt, die gespannt das Spiel beobachteten. Dabei diskutierten sie teilweise wild und immer wieder fing Eames den unheimlichen Blick dieses Kerls mit der Narbe auf. Arthur räumte ab, aller Ablenkung zum Trotz; das Ergebnis womit er eigentlich hatte rechnen müssen. Eames stand vor einem Tisch voller halber Kugeln. Seine Kiefer mahlten, aber er nahm es mit Würde. »Congratulations, du bist gut. Der nächste Drink geht auf mich.« Dazu sollte es jedoch nicht kommen. Die älteren Kerle feierten Arthurs Sieg, Eames hatte sie anscheinend richtig verstanden. Die jüngeren jedoch, vor allem der mit der Narbe und seine Freunde, schienen gar nicht begeistert zu sein. Sie begannen Eames anzupöbeln, welcher zunächst relativ gelassen reagierte. Er würde sicherlich keinen Knirps schlagen, dachte er sich und reagierte amüsiert auf die Anfeindungen, was natürlich für weitere Provokationen sorgte. Dieser Knirps hatte jedoch ein Schlagring und war weit wehrhafter, als er zunächst den Anschein gemacht hatte. *Arthur* Es war vermutlich das schwerste Spiel seines Lebens. Sein Ehrgeiz, nicht schon wieder gegen Eames zu verlieren - schon gar nicht in SEINER Disziplin! Zusammen mit der brodelnden Stimmung, die sich mit jeder Kugel zwischen den Wettgegnern aufzuheizen schien. Und dann auch noch die Sprüche, die Eames abließ, um ihn zu verunsichern, ihm noch mehr Stress zu bescheren. Sie ärgerten ihn, ungemein. Wobei sie ihn letztlich irgendwie auch gewinnen ließen. Denn wie so oft stellte sich alsbald sein Trotz ein. Der Trotz, den Eames mit all seinen Sprüchen und Gedankenlosigkeiten heraufbeschwor. Genau der war es, der ihm half zu wachsen und erst recht seine Konzentration aufrecht zu halten. Er ließ sich Zeit mit dem Kiss Shot, als er das Angebot hinsichtlich des Einkreidens hörte. Arthurs Miene verdüsterte sich, seine Augen wurden einen Moment schmal. ‚Dafür können wir auch eben aufs Herrenklo verschwinden, wenn dir das vor den ganzen Menschen unangenehm ist.‘ Er streckte sich. Nein, er würde sich von den zwei Seitenhieben (Viele Zuschauer und die sexuelle Anspielung) nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Daher blickte Arthur Eames nur einen Augenblick abschätzig an, drehte sich dann zum Tisch und versenkte die vorletzte Kugel mit Bravour. „Can you see the Fuck you!-Smile in my face?“, raunte er ihm mit einem entsprechenden Lächeln auf den Lippen zu, als er an ihm vorbeiging, um die letzte Kugel anzugehen. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen. Und das tat es wirklich nicht. Zufrieden sah er die schwarze Kugel im gegenüberliegenden Loch verschwinden. Dann trat er vom Tisch weg und so neben Eames, dessen Gesichtsausdruck verriet, dass es ihn wurmte. ‚Congratulations, du bist gut. Der nächste Drink geht auf mich.‘ Gut? Arthur hob eine Augenbraue. Er war mehr als gut. Warum konnte er das nicht einfach mal zugeben!?! Arthur drehte sich zu Eames und sie sahen sich einen Moment an. „Your congratulations, as always, is much appreciated, Mr. Eames, thank you“, sagte er mit reinem Sarkasmus in der Stimme, aber mit einem verzeihendem Lächeln auf den Lippen. Im Grunde schätzten sie sich gegenseitig in gewisser Weise wert. Kein Grund aber, das zu verbalisieren. Dass er fast dieselben Worte erst vor einem halben Jahr - lange Zeit nach diesem Moment hier in Tokyo - wieder zurückbekommen hatte, ließ ihn in Gedanken schmunzeln. Dieser Satz hatte ihn beim Fischer-Job (wie so vieles, was Eames zu ihm gesagt hatte), an ihre guten Zeiten erinnert. Diese wenigen flüchtigen Augenblicke und Momente, die magisch zwischen ihnen waren. So wie ihre erste Begegnung. Die Wertschätzung im Subtext würde bald lange gänzlich verschwinden. Arthur beugte sich nun zu Eames Ohr, legte ihm die Hand an die Schulter, um sich etwas abzustützen. „Wenn du jemals mit mir auf der Herrentoilette verschwinden möchtest, solltest du meinen Sieg etwas wohlwollender anerkennen“, sagte er leise, dunkel. Dann pustet er ihm sacht seinen warmen Atem über die Halsbeuge. Zufrieden sah er, wie sich die kurzen Haare im Nacken des anderen aufstellten. Seine Finger strichen mit sanftem Druck über Eames‘ Schlüsselbein, während er sich drehte und zu seinem Jackett hinüberging, um sich dieses wieder anzuziehen. Die Stimmung im Lokal war mehr als deutlich, dass es weder zu einem weiteren Drink, noch zu einem weiteren Spiel kommen würde. Der Pittbull bezog Stellung. Eine Pranke klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Arthur war einen Moment versucht, sich selbst zu verteidigen, doch er hielt in der Bewegung inne, als er sah, wer zu ihm gekommen war. Die älteren Männer bedankten sich mit gebrochenem Englisch bei ihm, lobten sein Spiel. Er hob abwehrend die Hände. Da sah er im Augenwinkel, wie Eames von den drei Jungen angegangen wurde. Offenbar gefiel es ihnen nicht, dass sie verloren hatten. Er entschuldigte sich, durchquerte den Raum und merkte, dass die vielen neugierigen Zuschauer sich schneller zu verdrücken schienen. Die gereizte Stimmung der drei Halbstarken war deutlich zu spüren und offenbar verbreitete sie Furcht. Warum zögerte Eames? Das metallene Blitzen des Schlagrings ließ Arthur vorschnellen und den Pitbull am Handgelenk packen, bevor er den Schlag setzen konnte. Überrascht sah der Japaner ihn an, dann wurde dessen Blick feindselig. Noch bevor er jedoch etwas sagen oder tun konnte, intensivierte Arthur den Griff, drehte den Arm des anderen ruckartig, so dass er ihn diesem auf den Rücken drehte. „Ich hasse Typen, die nicht verlieren können“, zischte er dem Japaner zu. „Du hast gefragt, ob er gut spielen kann. Das kann er. Auf seine Weise ist mein Partner in allem großartig, was er macht.“ Dass Eames‘ Methoden und die Art und Weise, wie er arbeitet, nicht unbedingt ihm immer entsprachen und es diesbezüglich zu Reibereien kam, hatte mit dem Erfolg und seinem Können als Dieb und Forger ja nichts zu tun. Sein Gefangener versuchte loszukommen, doch Arthur hielt ihn erbarmungslos. „Hättest du gefragt, ob ich besser bin, dann hätte ich dir allerdings abgeraten zu wetten.“ Er blickte zu Eames zögerte den Moment, in dem die Schlägerei beginnen sollte, länger hinaus, als es damals der Fall gewesen war. In seinem Kopf war etwas, was ihm viel später erst in den Sinn gekommen war - im Rückblick auf ihren gemeinsamen Kampf. Jetzt fügte er es hinzu. „Er und ich zusammen könnten vermutlich unschlagbar sein.“ Der Japaner drehte sich, entwand sich seinem Griff. Doch Arthur hatte damit gerechnet. In dem Versuch, ihn zu schlagen, vernachlässigte der kleinere seinen festen Stand. Arthur duckte sich unter dem Schlag weg und zog ihm mit einem Tritt die Beine weg, so dass jener zu Boden ging. Der Schrei, den er nun hörte, verstand er auch ohne Japanisch zu können. Denn in die umstehenden Halbstarken kamen in Bewegung. Diese Erniedrigung wollte der Pitbull sicher nicht ungestraft auf sich sitzen lassen. *Eames* Er hatte fast verdrängt, dass er diesen Spruch damals von Arthur abgekupfert hatte. Er hatte so einiges getan, um über seinen verletzten Stolz hinweg zu kommen, hatte es aber nie zur Gänze geschafft. Immer stand da dieses „was wäre wenn?“ im Raum und ein zermürbendes „was habe ich falsch gemacht?“ bis hin zu einem trotzigen „er weiß nicht, was er verpasst.“, was sie schlussendlich nur noch mehr vergiftet und voneinander entfernt hatte. Als Arthur sich schließlich zu ihm lehnte, ihn berührte, ihm die süßlichen Hinweise ins Ohr flüsterte, glaube Eames sie brauchten keine weiteren Sitzungen der Rekapitulation mehr. Sie sollten einfach verschwinden. Erst in Arthurs Bett und dann weit weit weg. So wie er es immer machte, wenn alles zu viel wurde, nur dass es diesmal genau richtig war und er nicht allein gehen würde. Wie damals, dauerte der Augenblick nur einen Augenaufschlag. Viel zu flüchtig, als dass Eames adäquat darauf reagieren könnte. Arthurs Zuneigung war ihm bis zu diesem Zeitpunkt ein Rätsel gewesen. Erst nach diesem eindeutigen Hinweis, der sich als höflicher Rat tarnte, war sich Eames sicher gewesen, dass er ihn haben würde. So, oder so. Er würde Arthur kriegen, weil seine Gefühle erwidert wurden. Wahrscheinlich hätte man mit ihnen reden können, aber es war geschehen. Die Meute war sauer und Eames, gab sich nicht einmal die Mühe sich großartig herauszuwieseln. Stattdessen schlürfte er noch einen Sake und beleidigte beiläufig einen der Männer, die ebenfalls auf ihn gewettet hatten und aufdringlich auf ihn einredete. Dann eskalierte es bereits zwischen Arthur und dem Jungen mit der Narbe. Er landete auf dem Boden und Eames wich gerade ebenso einem Fausthieb aus, der als eine Art Antwort darauf folgte. ‚Er und ich zusammen könnten vermutlich unschlagbar sein.‘ Die Worte hallten in seinem Kopf wieder und wieder und erinnerten ihn daran, dass dies weit mehr war, als eine Erinnerung. Sie waren nicht in Tokio vor sieben Jahren. Sie lagen in der Gegenwart in New York in Arthurs Arbeitszimmer, hielten sich die Hände und träumten, was damals passiert war. Es musste nicht so laufen, wie damals. Alles konnte einen gänzlich anderen Verlauf nehmen, wenn sie es nur wollten und offensichtlich waren sie beide so weit. »Verdammt richtig!«, pflichtete er Arthur bei und arbeitete sich einen Weg heraus aus der Kneipe, der ihnen beiden einige Tritte und Schläge einbrachte, aber weitestgehend unbeschadet davon kommen ließ. Es musste nicht so sein, wie damals. Es konnte alles ganz anders anders laufen. Damals in Tokio war er mit Arthur weggelaufen, bis sie wieder bei der U-Bahn Station angelangt waren, in der sie ausgestiegen waren. Sie hatten gelacht über die absurde Situation, aufgeputscht durch eine dicke Ladung Adrenalin. Diesmal zog Eames seinen Point Man direkt in eine der dunklen Gassen, um ihm sich über ihn herzumachen. Sein Blut war in Wallung und sein Herz pochte unnachgiebig, stark, als er Arthur gegen die Steinwand drückte und ihn mit wilden Küssen übersäte. *Arthur* Der Kampf damals war aussichtslos gewesen, aber er hatte verdammt Spaß gemacht. Sie hatten zusammen gekämpft, hatten sich zusammen einen Weg nach draußen erkämpft, waren schließlich geflohen und in der U-Bahn gelandet. Sie hatten gelacht, waren sich vermutlich so nahe, wie nie zuvor. Arthur hatte an diesem Abend gespürt, dass er sich auf die vielen Angebote, das Mehr einlassen wollte. Aber sie hatten es nie geschafft. Zwei Tage später hatten sie den Job gehabt. Zwei Tage später hatte Eames ihn bei dem Job hintergangen. Zwei Tage später war Eames weg gewesen und hatte sich nicht mehr bei ihm gemeldet. Aber heute war nicht damals. Heute war es anders. Bereits bei dem Weg nach draußen kam es ihm so vor, als sei alles anders. Deshalb, weil er gesprochen hatte, weil er gesagt hatte, was er dachte, was er schon damals gedacht hatte. Weil er es endlich aussprach. ‚Gotta find my way, away from this place Can you take me now? I-I want it, I want it real Are you afraid of me now? Are you afraid of me now? Do you feel it, do you feel it? Do you feel that I can see your soul? Do you feel it, do you feel it? Do you feel the beat in your heart? I-I want it, I want it real Run away with me now‘ (https://youtu.be/pTA0DSfrGZ0) Letztlich war ihm alles egal, nichts entsprach mehr wirklich dem Geschehen von damals. Der Plan, der Traum war ein anderer. Eames traf auf keine Gegenwehr, als er ihn in die nächste Gasse zog und sie sich kurz darauf ihren Gefühlen hingaben. Niemand würde ihnen folgen, nichts und niemand würde sie stören. Damals hatten sie weggemusst, es war zu unsicher gewesen. Jetzt war das alles völlig egal. Jetzt umklammerte er Eames, zog ihn näher zu sich, küsste ihn, gierig, voll viel zu lange ungestilltem Verlangen. Es war anders, als in der Küche, denn die Emotionen waren nicht aus einer Wut nach oben gekocht. Die Gefühle waren aus einem „Wir“ heraus entstanden. Weil sie endlich das zuließen, was sie damals schon hätten zulassen sollen – oder vielmehr er selbst. ER hätte das schon viel früher zulassen müssen. Dieses elendige „Was wäre gewesen, wenn..“. Es hatte ihn so oft hinuntergezogen, in schwarze Tiefen. Er wollte das nicht mehr. Er wollte es nicht mehr. Das hier wollte er! Es fühlte sich so gut an, es fühlte sich so unfassbar gut an! Dennoch hatte das hier, das sich so gut anfühlte und ihn so tief berührte, einen Haken: es war nicht gänzlich real. Aber wenn sie jetzt aufwachen würden, was wäre dann? Würde es ohne Bruch weitergehen? Würden sie sich ihren Gefühlen füreinander hingeben können? Ohne über das Ende von Tokyo gesprochen zu haben? Seine Finger glitten über die Schultern des anderen, glitten durchs Haar. Er wollte diesen Körper endlich wirklich spüren, auf einer ganz anderen Ebene. Er wollte ihn berühren, liebkosen, sich in ihn fallen lassen. „Ngh!“, keuchte er in den Kuss, als er die Hände des anderen an seinem Körper spürte. Seine Lippen glitten zur Seite, nach Atem ringend. Seine Augen öffneten sich lustverhangen – dann musste er stutzen. Sie waren nicht mehr in der Gasse. Arthur schluckte, hielt inne. Es war absurd, aber sie standen vor dem Haus, das Eames ihm im Magazin gezeigt hatte – das Eames-House. Er küsste Eames erneut, verspielt, provozierend. Dann suchte er seinen Blick. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte Angst, wieder alles zu zerstören. Sein Körper wollte nur eines. Sein Verstand warnte ihn vor dem Moment des Aufwachens. Kapitel 30: All I want ---------------------- *Eames* Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – Zeit verschwamm, drehte sich um, löste sich vom Raum. Eames spürte die Schwerkraft im Magen, während er Arthur bei sich hielt so eng er konnte. Seine Hände wanderten rastlos über den lang vermissten Körper und er hätte nichts lieber getan, als sich für immer in Arthurs Armen zu Ruhe zu betten – natürlich nachdem sie endlich miteinander geschlafen hatten. Die Anziehungskraft zwischen ihnen war derbe und musste alsbald befriedigt werden, sonst würde Eames wahrscheinlich irgendwann wirklich den Verstand verlieren. Als er die Augen öffnete, war sein Kopf für einen Moment leer und er hielt inne. Er erwiderte den verspielten Kuss seines Point Man nur halbherzig, während sein Blick auf dem Haus vor ihnen haftete. Nicht einfach nur irgendein Haus... es war das Haus und dieser Anblick erlaubte ihm einen angsteinflößenden Blick in eine mögliche Zukunft. Ist es das?, rief eine Stimme in seinem Innern. Soll es also das sein, was dich nach deiner langen Reise erwartet? Der Nadelwald rings um war dicht und es herrschte augenscheinlich Stille. Es war Arthurs Traum, aber Eames spürte sein Unterbewusstsein in der Ferne rumoren. Das wilde Trommeln der Ureinwohner; dumpf und weit weg, aber stetig wie ein Herzschlag. Eine verquere Mischung aus Lust und Angst. Endlich erwiderte Eames seinen Blick und er fühlte wie die Schuld schwer auf seinen Schultern lastete. Dieses Szenario glich einem Versprechen, das er vielleicht nicht halten konnte. Trotzdem war da auch etwas wie Hoffnung in seinem Blick. »Bist du dir sicher?« Seine Stimme war belegt. Er wusste nicht genau, was er meinte, nicht einmal nachdem er es hatte. Es war eine Frage, die so viele Bereiche in ihrem komplizierten Leben berührte, dass er wahrscheinlich ein Buch darüber schreiben könnte... *Arthur* Dass sich der Gedanke eines gemeinsamen Hauses, dieses Hauses so in seinem Unterbewusstsein manifestiert hatte, erstaunte Arthur ziemlich. Aber es war da. Dieser Wunsch, dass sie gemeinsam etwas erschufen, was nur ihnen gehörte. Ein eigenes Refugium. Ein Ort, an dem sie sich immer wieder begegnen würden. Ihr Ort. Eames schien genauso erstaunt zu sein, wie er es war. Arthur meinte die Unruhe im anderen förmlich zu spüren. Und zu hören? Er konnte ihn seltsamerweise sehr gut verstehen. Unsicherheit beschlich auch Arthur. Er hatte das in diesem Kuss nicht kontrollieren können. Nun standen sie vor einer möglichen Zukunft. Und sie beide zögerten. Aus unterschiedlichen Gründen. Aber sie zögerten. Für Eames musste dieses Haus ein Käfig sein, in den ein wildes Tier gelockt wurde. Er würde niemals aufhören, zu versuchen, sich daraus zu befreien. Für ihn selbst könnte sich dieses Haus zu einem Ort des immerwährenden Wartens entwickeln. Warten darauf, dass Eames irgendwann zu ihm zurückkommen würde. Beide Szenarien waren wenig verlockend. Der Weg musste ein anderer sein. Als sich endlich ihre Blicke trafen, sah er in Thomas Augen das gleiche Chaos, das sich in ihm hinaufschlich. Eine Mischung aus Angst und doch auch… Hoffnung? ‚Bist du dir sicher?‘ Arthur sah Eames etwas irritiert an. Diese Frage war so unspezifisch. War Eames sich denn sicher? Dass er es mit ihm aushalten würde? Sicher - Sicherheit. Er wollte von ihm Sicherheit? Eigentlich sein Metier, seine stete Forderung. Arthurs Angst, alles wieder zu zerstören, wurde damit wenig gemindert. Sein Blick wurde verzweifelt, während er nach einer Antwort suchte. Ein „Ja“ wäre genauso falsch, wie ein „Nein“. Im Grunde konnte er jetzt wieder nur zerstören, oder? Egal was er sagte. Und je länger er zögerte, desto größer wurde das Zerstören. Daher beugte er sich vor und küsste Eames, küsste ihn sanft und zärtlich, voll Verzweiflung. Es war keine wirkliche Antwort, dieser Kuss. Und doch auch irgendwie schon. Er wollte das hier, ja. Seine Gedanken überschlugen sich dennoch, er suchte noch immer nach Worten. Und währenddessen krallten sich seine Finger in das Hemd des anderen. Er wollte nicht, dass dieser Moment der Nähe wieder endete. Er wollte ihn festhalten, damit sich nicht wieder alles auflöste, sie sich selbst erneut zerstörten. War er sich sicher? Womit? Dass er mit Eames Sex haben wollte? Dass er mit ihm zusammen sein wollte? Dass es ein ‚Wir‘ geben sollte? Dass sie zusammengehörten? All diese Fragen konnte er spontan mit „Ja!“ beantworten. Realistisch betrachtet war es nicht so einfach. Wollte er hier im Traum Sex haben? Sollte so ihre Zukunft aussehen? Oder würde am Ende wieder alles so werden, wie Tokyo geendet hatte? Sollten sie sich immer wieder nur verletzen, während sie doch eigentlich ganz offensichtlich etwas anderes wollten? Nein. Letztlich war nur eines absolut sicher: Er wollte nicht mehr so weitermachen wie bisher. Aber was wollte er wirklich? Er dachte an ein Lied, dass er in der Zeit größter Einsamkeit nach Tokyo gerne gehört hatte: „All I want“ von Kodaline. (https://www.youtube.com/watch?v=mtf7hC17IBM) Er löste den Kuss und ließ die Augen geschlossen. Es war sein Traum, oder? Wenn er selbst keine Worte fand, könnte er den Traum sprechen lassen. Aus dem Garten hörte man eine Gitarre, dann setzte der Gesang ein. Arthur senkte den Blick. Es war ihm unangenehm, dass er keine eigenen Worte fand. Aber die unspezifische Frage konnte er nicht einfach so beantworten. Aber das Lied sprach ihm zumindest teilweise aus dem Herzen. All I want is nothing more To hear you knocking at my door 'Cause if I could see your face once more I could die as a happy man I'm sure When you said your last goodbye I died a little bit inside I lay in tears in bed all night Alone without you by my side But if you loved me Why did you leave me Take my body Take my body All I want is All I need is To find somebody I'll find somebody like you Arthur hob den Blick, sah Eames wieder an. Hoffentlich verstand das Lied Eames nicht falsch. Es sollte keine Anklage sein wegen damals. Irgendwie wurde das so nichtig, so unwichtig. Es stand nicht mehr so massiv zwischen ihnen. „Sicher womit?“, fragte er dann. „Ich glaube nicht, dass dieses Haus wirklich existieren sollte.“ Er sprach leise, aber deutlich genug. „Nicht real, aber als Symbol. Wenn es in unseren Träumen existent ist, reicht mir das. Ich würde dich nie in einen goldenen Käfig einsperren. Ich möchte dich nicht mehr unglücklich sehen, während du bei mir bist. Das habe ich oft genug sehen müssen.“ Das Haus als ein Symbol für das, was ein Wir sein könnte. Das reichte. Alles andere würde sie beide unglücklich machen. Der Sänger setzte wieder mit dem Text ein und Arthur schwieg, ohne den Blick von Eames abzuwenden. 'Cause you brought out the best of me A part of me I'd never seen You took my soul wiped it clean Our love was made for movie screens But If you loved me Why did you leave me Take my body Take my body All I want is All I need is To find somebody I'll find somebody like you (https://www.youtube.com/playlist?list=PLBTi42kkuHJFglYL7MXEXbRcG1rCqNnP-) Die Musik verklang. Arthur wusste immer noch nicht so recht, was er sagen sollte. Er schwieg einen Moment und suchte das Chaos in sich zu sortieren. Es gelang ihm nicht. „Eigentlich möchte ich niemanden finden, der wie du ist. Eigentlich möchte ich einfach nur dich“, sagte er schließlich. „Ich bin nicht sicher, wie das funktioniert, ob das funktioniert. Ich bin nicht sicher, was kommen wird. Unter unserem „Something“ wird niemals ‚Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.‘ stehen. Das will ich aber auch nicht.“ Er lächelte matt. „Allerdings möchte ich auch nicht mehr einsam sein und mir überlegen, was sein könnte. Ich möchte mich nicht mehr nach dem sehnen, was ich mir schon seit unserer ersten Begegnung wünsche. Ich will dich, da bin ich mir sicher. Am liebsten echt, real und nicht in einem Traum.“ Wie lange waren sie eigentlich schon hier? Wie lang blieb ihnen eigentlich noch? Und was wäre, wenn sie aufwachten? „Ich weiß, dass du mir keine Versprechen geben kannst. Das verlange ich auch nicht. Du sagst du neigst dazu, alle um dich herum unglücklich zu machen. Deswegen gehst du. Aber eines sollte dir klar sein: du machst mich nur dann unglücklich, wenn du gehst, ohne dich zu verabschieden.“ Sie waren beide nicht gemacht für eine „Happy End-Love Story“. Das konnte niemals funktionieren. Aber vielleicht war das das mindeste, was sie brauchten: sich verabschieden, damit man sich ein „Auf Wiedersehen!“ sagen konnte. „Oder ohne mich mitzunehmen“, fügte er noch hinzu. *Eames* Dieser Kuss war die beste Antwort die Arthur hätte geben können. Es war weder Ablehnung noch Zustimmung; es war geboren aus dem verzweifelten Versuch heraus endlich etwas Gutes zu schaffen. Eine Welt in der sie beide glücklich existieren konnten. Ein bisschen wie Fisch und Vogel. Eames horchte nach dem Song, der irgendwo hinter dem Haus zu spielen schien. Die Melodie wurde sacht an ihre Ohren getragen und gewann langsam an Kraft. Eine schöne Melodie und ein Text, den er so leicht nicht wieder vergessen würde. Der Vorwurf lag schwer; das Verlangen wurde deutlich... sie waren vielleicht grundverschieden, aber füreinander empfanden sie dieselbe komplizierte Sache. ‚..Ich würde dich nie in einen goldenen Käfig einsperren..‘ Arthur hatte sich in seinem Hemd verkrallt, während Eames seine Arme eng um den Körper des anderen geschlungen hatte. Wann hatte er ihn so durchschaut? Wann hatte Eames die Kontrolle über all das verloren? Ein weiterer Beweis, dass Arthur vielleicht der einzige Mensch war, auf den es ankam. Wahrscheinlich der einzige, den es je gegeben hatte. Der Sänger fuhr fort. Der Text schien ihm direkt aus dem Herzen zu sprechen schien, war ein eindeutiges Geständnis und mit Abstand das Wertvollste, das Eames je erhalten hatte. Und während Arthur ihn dabei ansah, fühlte Eames sich so nackt, wie noch nie zuvor. Bis auf die Knochen nackt, so dass er mit aller Kraft dem Drang widerstehen musste wegzurennen. ‚Eigentlich möchte ich einfach nur dich ...‘ Die endgültige Gewissheit brach über ihm zusammen, wie ein warmer Wasserfall. Eames hatte sich sein ganzes Leben einsam gefühlt. Der Schmerz reichte tief in sein Inneres und hatte stets sein Schlechtestes nach Außen gekehrt. Aber nun wollte er das alles nicht mehr. Er wollte nur noch sein lang verdientes Happy End. Natürlich war es kein wirkliches Happy End, das war ihnen beiden sehr bewusst, aber sie würden auch nicht weit kommen, wenn sie ewig voreinander davonliefen. Sie mussten sich der Wahrheit stellen, dem Verlangen nachgeben. Nun war es Eames, der einen weiteren innigen Kuss einleitete. Seine rechte Hand umschloss Arthurs Hinterkopf, um ihn bei sich zu behalten. Er spürte wie der Boden wackelte, der Traum zerbrach, so sehr er sich auch dagegen wehrte. Er wollte nicht, dass diese Innigkeit endete. Er wollte mit Arthur in das Haus gehen – in ihr Haus – und dort die ganze Nacht und den ganzen Tag im Bett verbringen. Körperlich konnte er sich einfach besser ausdrücken, wenn es an die emotionale Substanz ging. Nun konnte er nichts weiter tun, als Arthur bei sich zu behalten, bis sie in eine Erdspalte stürzten und aus dem Traum herausgerissen wurden. *Arthur* Der Blick des anderen ging ihm durch und durch. Er tat gut, denn es spiegelten sich alle Emotionen darin wieder, die auch er empfand. Eames hielt ihn, hielt ihn in diesem Moment, in dem er das erste mal aussprach, was er wirklich wollte. Ein Moment absoluter Ehrlichkeit, einer der seltenen, in denen er sich und andere nicht belog. Als die schönen Lippen ihn erneut in einen Kuss zogen, war ihm klar, dass es weiter nichts zu sagen gab. Tom hatte ihm schon oft gesagt, dass er ihn wollte. Vermutlich hatte er ihn deshalb noch einmal gefragt, ob er sicher sei. Im Gegenzug musste er diese Frage nicht stellen. Tom hatte sie ihm schon so oft beantwortet. Dennoch blieb ein wenig Unsicherheit bei Arthur. Doch diese in diesem Kuss zu vergessen fiel ihm nicht schwer. Kapitel 31: Something about us ------------------------------ *Eames* Die Hand, die Arthurs Hand hielt, schien leicht taub. Dennoch schien das Band zwischen ihnen unzerbrechlich. Er setzte sich auf und drehte sich in die Richtung seines Partners auf der anderen Liege. Er fühlte sich benommen und angetrunken, aber vor allem dominierte die eine, unmissverständliche Gewissheit: er würde Arthur nicht gehen lassen. Und er würde keine Sekunde mehr warten. Er half Arthur auf, nachdem sie sich die Infusionen entfernt hatten. Dann schlang er seine Arme erneut um den warmen Körper, der so perfekt zu seinem zu passen schien, küsste seinen Nacken, grub seine Finger gierig in Rücken und Hintern, des echten Arthur. ‚Half of a whole‘ – so hatte Mal es genannt. Und nun wusste er, was sie damit gemeint hatte. Dann hob er ihn hoch, wie er es erst vor kurzem in der Küche getan hatte und trug ihn zu seinem Bett. Das war vielleicht nicht das, was sie sich für diesen Abend vorgenommen hatten, aber mit Sicherheit das, was längst überfällig war. *Arthur* Als sich der Traum auflöste, kehrte die Unsicherheit zurück. Unsicherheit, ob das Erwachen etwas ändern würde. Unsicherheit, weil er Angst hatte, sein Verstand könnte beginnen, ihm all das wieder aufzuzählen, was noch nicht geklärt war. Und das war eigentlich viel und wog schwer. Doch Eames hielt ihn auch am Abgrund, wachte mit ihm zusammen auf, hielt ihn fest und warm. Und das unfassbare, ja schier berauschende Gefühl, dass die Zeit der Einsamkeit ein Ende fand, erfüllte ihn auch nach dem Aufwachen, zusammen mit dem unbändigen und zu lange unterdrückten Verlangen nach diesem Mann. Die Hand, die ihn hoch- und wieder in eine Umarmung zog, ließ seinem Verstand keine Zeit. Arthur spürte, wieviel mehr das hier war. Der Kuss im Traum war erregend gewesen, verlangend, lustvoll. Das hier war weit mehr. Die Hände an seinem Körper waren elektrisierend. Arthur ließ sich in den Kuss fallen, ließ sich treiben. Das erste Mal in seinem Leben, dass er bereit war, die Kontrolle herzugeben - soweit er es konnte. Als Eames Finger über seinen Rücken, die Wirbelsäule hinab strichen, erschauderte sein Körper. Im nächsten Moment fühlte er sich hochgehoben. Augenblicklich schlang er seine Beine um die Hüfte des anderen, seine Arme um den Hals, um die Arme des anderen zu entlasten. Sacht löste er denn Kuss, blickte Eames an. Dass jener ihn hob war sicher nicht das beste für seine Rippen. Aber offenbar wirkten die Schmerzmittel noch. Kurz meldete sich eine Stimme, die ihn fragte, ob das so gut war. Aber nichts würde sie aufhalten, sich endlich das zuzugestehen, was sie so lange begehrten. Er würde schon etwas sagen, wenn etwas nicht ging. Am Bett ließ Eames ihn sanft hinab, folgte ihm bereits. Arthur rutschte zurück, dem Blick nicht lösend. Wie ein Raubtier schien Tom ihm zu folgen und Arthur würde lügen, wenn behauptete, dass ihn dieser Anblick nicht mehr als erregte. Dieses Verlangen im Blick, das eigene im Blut. Arthur kam Eames etwas entgegen, kniete sich aufs Bett und küsste ihn sogleich gierig, seine Finger unter das Hemd gleiten lassend, über die weiche Haut nach oben. Er hatte diesen Körper schon so oft gesehen, so oft berührt, so oft gezeichnet. Nie aber hatte er ihn so intensiv wahrgenommen wie jetzt. Ungeduldig zog er am Shirt des anderen und zog esz schließlich kurzerhand über den Kopf. Er biss sich auf die Unterlippe, als seine Augen über den Oberkörper glitten. Waren da neuer Tätowierungen? Sacht strichen die Finger über die malträtierte Stelle. Ob es wirklich ging? Fragend sah er Eames an, während seine Hand weiter hinab glitt und über den Hosenbund strich. *Eames* Schon als er Arthur hochhob spürte er leichte Schmerzen in der rechten Seite. Unangenehm, aber erträglich. Als er ihn auf dem Bett herabließ, um kurzerhand ebenfalls auf die Matratze zu kriechen, zogen sich weitere kleine Wellen stechenden Schmerzes durch seinen Oberkörper. Er entschied sich dafür Arthur kurzerhand mit weiteren Küssen zu übersehen; es tat gut, es lenkte ab. Nur für den Moment. Das, was sie da hatten, war so flüchtig, dass er nicht wusste, ob es noch da sein würde, wenn er sich nur für eine Sekunde von ihm abwendete. Als Arthur ihm schlussendlich aus dem Oberteil half und die blau-grünen Stellen berührte, musste er sich damit auseinandersetzen. Er war eingeschränkt und es nervte ihn, aber er war ja auch selbst Schuld daran... in gewisser Weise. Er sah hinab auf Arthurs Hand, die die malträtierte Stelle berührte. »Geht schon«, murmelte er. »Sei einfach sanft, auch wenn's schwer fällt.« Er grinste. Er hätte nie geahnt ausgerechnet so etwas zu Arthur zu sagen, wenn sie kurz davor waren, intim miteinander zu werden. Neben dem Hämatomgemälde und kleineren und größeren Narben, hatte Eames auch an Tinte zu gelegt, seit Arthur ihn das letzte mal oben ohne gesehen hatte. Das Tribal auf dem rechten Arm und die Masken mit dem Spruch auf der Brust waren alt (zwischen 15 und 17 Jahren). Auch bekannt war der Wolfskopf auf dem linken Oberarm und Londons Skyline darunter, wenn auch nicht ganz so alt. Einzelne Buchstaben und Zahlen, die auf den ersten Blick keinen Sinn zu ergaben schienen, waren ergänzt worden. Kleine Kreuze, Krähen, Spielkarten. So wie auch Arthurs Initialen, ein wenig versteckt, aber sichtbar auf seinem linken Schlüsselbein. A.D., was genauso gut für anno Domini stehen könnte. Daneben das Jahr, indem er nach New York gekommen war. Natürlich auch das Jahr, in dem sie sich das erste mal begegnet waren. Auch Arthur war schnell von seinem Hemd befreit; ein Knopf musste dran glauben. Bevor sich Arthur jedoch weiter an seinem Hosenbund zu schaffen machen konnte, drängte Eames ihn wieder zurück in die Kissen. Dass es zu einem kleinen Dominanzkampf kommen würde, war ihnen wohl beiden klar gewesen und Eames wusste noch nicht, ob ihm seine Verletzung dabei eher Vor- oder Nachteile einbringen würde. Das kam wohl ganz auf seinen Point Man an. Im Augenblick hatte er jedoch die Oberhand. Mit dem Mund liebkoste er gierig Arthurs Brust, während sich seine Hände nun selbst an dessen Hosen zu schaffen machten. Sein Verlangen danach ihn zu spüren, alles von ihm, mit allen Sinnen, verzehrte ihn und er rutschte weiter nach unten, wo seine Lippen erst seinen Bauchnabel und dann seine sacht hervortretenden Hüftknochen streiften und küssten. Mit den Händen streichelte er dabei ungeduldig Arthurs Oberschenkel und die eindeutige Beule in seiner Hose. Sein letzter Blow-job lag zwar ein Weilchen zurück, aber so was war wie Radfahren; man verlernte es nicht. Wozu brauchte man eigentlich einen Würgereflex? *Arthur* ‚Sei einfach sanft, auch wenn's schwer fällt.‘ Arthur musste unwillkürlich grinsen. „Kommt drauf an, wie brav du bist…“, raunte er und blickte von den Hämatomen auf, musterte die Tätowierungen. Viele Geschichten… Er kannte kaum eine. Als er im Training vor Urzeiten einmal nach dem Wolfskopf gefragt hatte, hatte er nur einen blöden Spruch geerntet, der direkt unter die Gürtellinie ging, woraufhin er nicht weiter nachgefragt hatte. Ob die Tätowierungen ähnlich zu bewerten waren, wie seine Zeichnungen? Erinnerungen, Verarbeiten, Festhalten. Als er das A.D. las, die Jahreszahl, begriff er nicht gleich, bezog es nicht auf sich. Dass es das Jahr war, in dem jener mit Dream Sharing begonnen hatte, in dem sein Leben einen neuen Inhalt bekommen hatte, war ihm klar. Für ihn war es ja auch wichtig. Es bedeutete Thomas viel, in dieser Branche zu arbeiten. Er war gut darin, konnte sein Talent ausleben. Ein prägendes Ereignis, ein wichtiges Jahr. Doch bevor er weiter über die Buchstaben nachdenken konnte, wurde ihm stürmisch das Hemd ausgezogen und kaum passte er nicht auf, wurde er nach hinten gedrückt. Die Küsse auf seinem vergleichsweise langweiligen Oberkörper lenkten ihn ab, die Hände an seiner Hose nur noch mehr. Sein Rücken drückte sich durch und er genoss die Berührungen, während seine Hände fahrig über die Schultern strichen, durch das Haar, das er so gerne berührte. „Ngha!“, keuchte er, als Thomas‘ Hand über seine Erregung strich. Er merkte, dass sich die Augen automatisch geschlossen hatte, während die Küsse tiefer wanderten. Das fühlte sich gut an, sehr gut. Arthur hob die Hüfte, als Thomas ihm schließlich die Hose öffnete und sie hinunterstreifte. Er blickte an sich hinab, sah den Blick, mit dem Tom ihn musterte. Es war seltsam. Nach so langer Zeit, die sie sich kannten (und begehrten) nun nackt vor ihm zu liegen. Einen Moment fühlte Arthur die altbekannte Unsicherheit in sich hochkriechen, dieses Gefühl, ob er gut genug wäre, ob er Tom genügen könnte. Dessen Blick verriet es deutlich. Arthur schluckte bei dieser Erkenntnis, spürte sein Herz heftig gegen die Brust schlagen. Ehe er etwas tun konnte, ehe er sich irgendwie flüchten oder selbst das Ruder übernehmen konnte, beugte sich Tom über ihn, liebkoste seine Erregung und wischte jeden klaren Gedanken damit aus seinem Hirn. Arthur stöhnte kehlig auf, seine Finger krallten sich in das Laken und er musste sich beherrschen, seine Hüfte nicht gegen den anderen zu drängen. Das Gefühl, das sich von seinen Lenden ausbreitete, war unfassbar und einige Momente genoss er einfach nur, so verwöhnt zu werden. Sein Körper wand sich unter der Berührung. Das Problem war nur. Wenn es so weiterging, wäre das hier alles schneller vorbei, als ihm lieb war. Wie lange hatte er keinen Sex mehr gehabt? Es fiel ihm verdammt schwer, als er sich aufrichtete. Allein die Augen wieder zu öffnen, an sich hinab zu sehen und bei diesem Anblick den Willen aufzubringen, sich aufzurichten, kostete ihn verdammt viel Kraft. Aber er wollte das hier nicht zu einer einseitigen Sache werden lassen. Er wollte etwas anderes. Seine Hand glitt in das Haar des anderen, krallte sich darin fest und zog ihn mit sanfter Bestimmtheit nach oben. Seine glasigen Augen fixierten die überraschten des anderen. Seine Finger fuhren sacht an der Schläfe und die Wange hinab, hoben das Kinn an. „Du hast noch viel zu viel an“, knurrte er dunkel. „Bin für Gleichberechtigung…“ Damit packte er ihn am Oberarm und drückte ihn zur Seite, deutete ihm nach oben zu rutschen. Sein Blick folgte der Bewegung hungrig. Dann drehte er sich zur Seite. Während er sich mit einer Hand abstützte, strich die andere über den Oberkörper hinab zur Hose, zog diese schließlich über die Hüfte hinab und ihm aus. Unverhohlen musterte Arthur den schönen Körper des anderen, die Finger einer Hand fuhren über dessen Bein nach oben, die Innenseite des Oberschenkels hauchzart hinauf, bis er schließlich mit sachtem Druck über die Hoden, dann die Erregung des anderen streichelte. Er blickte ihn an, nahm mit einem zufriedenen Lächeln die Reaktionen auf die süße Folter wahr. „Sanft genug?“, fragte er mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. Schließlich beugte er sich vor, fing die so begehrten Lippen ein und küsste Tom gierig, während er nun beherzt zugriff und die Erektion in seiner Hand massierte. Seine Lenden drängten sich gegen die Hüfte des anderen, rieb sich an ihr. Dieser Körper, dieser Kuss, dieser Mann war berauschend. Nichts war vergleichbar. Spielerisch sog er die Unterlippe des anderen ein, knabberte an dieser, bevor er den Kuss löste, in der Bewegung innehielt und Eames ansah. „Ich will dich spüren“, raunte er gegen die Lippen. Heißer Atem rann über seine. „Tief in mir.“ Sie sahen sich einen Moment an. Kurzerhand schob er sein Bein über Eames Körper, drehte sich auf den anderen ohne den Blick zu unterbrechen. Ihrer beider Erektionen rieben aneinander, während er sich aufrichtete und schließlich auf Eames hinabblickte. Nein, so ganz konnte er die Kontrolle nicht abgeben. Vermutlich war das der einfachste Kompromiss: er bestimmte das Tempo, behielt die Kontrolle - dafür durfte Eames seinen Körper haben (unabhängig davon, dass Toms Rippen so auch geschont wurden) *Eames* Als sie sich das erste mal begegnet waren, hatte Eames sich Arthur beim Sex, wie ein Reh im Scheinwerferlicht vorgestellt. Und vielleicht wäre es damals so gewesen. Heute jedoch händelte er einen gänzlich Anderen. Selbstbewusst, sexy, auf seine Art und Weise makellos. Dass sie gerade wirklich das taten, was sich Eames bereits seit ihrer ersten Begegnung vor fast acht Jahren wünschte, war so surreal, dass er ernsthaft daran zweifelte, wach zu sein. Als träumte er noch immer, aber nicht mit Arthur zusammen, sondern allein in einem piekfeinen Hotel in Italien, während er den Ständer seines Lebens hatte. Den Ständer hatte er tatsächlich und in Anbetracht all der Eindrücke, die auf ihn einrieselten – Geschmack, Geruch, gepaart mit den lustvolle, kehligen Lauten und den ach so bekannten provokanten Sprüchen – musste er einsehen, dass es wirklich passierte. Schlimmer noch; es passierte und er konnte es nicht zur Gänze auskosten, da er ein Handicap hatte und immer wieder mit Stichen in der Seite kämpfen musste. Als er sich bei ihrem Stellungswechsel dann auch endlich von seiner Hose befreite, ließ Arthur ihn jedoch einiges an Schmerz vergessen, als er selbst anfing sein bestes Stück zu massieren. Sie langgliedrigen Finger, die er an Arthur schon immer begehrt hatte, bearbeiteten seine Erektion gekonnt, während Eames sich seinerseits beteiligte, Arthur zu befriedigen. ‚Sanft genug?‘ Er grinste in ihren Kuss hinein, knabberte und biss ihm verschwörerisch in die Lippe. Der würde sich umsehen, wenn er wieder fit war, dachte er. Die Provokationen musste er vielleicht jetzt auf sich sitzen lassen, aber bald würden die Rippen wieder verheilt sein. Als Arthur sich nun auf ihn rollte, um aufzusitzen, konnte Eames kaum an sich halten. Seine Hände wanderten rastlos und gierig über den wunderschönen Körper, die perfekte Haut. Jedes Muttermal ein Meisterwerk. So viel von ihm zu spüren, machte ihn wahnsinnig und weckte all die verdrängten Sehnsüchte; all das schmerzhafte Verlangen, dass sich im Laufe der Jahre vielleicht hin und wieder von verletztem Stolz dominiert wurde, aber nie verschwunden war. Eher im Gegenteil. Er rückte noch etwas nach hinten, trotz leichter Schmerzen durch den Kraftaufwand. Mit Kissen und Lehne im Rücken, saß er einigermaßen aufrecht und obwohl Arthur noch immer auf ihn herabsah, waren sie sich so nah wie noch nie. Seine Hände wanderten massierend über Arthurs Rücken, hinunter zu seinen Hüften, die er eng an seine drückte. Weiter bis er lustvoll in seine Pobacken griff und sie spielerisch spreizte. Er wollte ihn in sich spüren und Eames wollte nichts mehr, als dieser reizvollen Aufforderung nachkommen. Er befeuchtete seine Finger in dem er sie sich in den Mund schob, während einer kurzes Kuss-Pause (es fiel ihm schwer damit aufzuhören). Dann führte er die feuchten Finger an Arthurs Eingang zurück, den er damit sanft zu bearbeiten begann. Währenddessen rieben ihre Glieder durch die kreisenden Bewegungen ihrer Hüften automatisch aneinander, was Eames einen Schauer nach dem nächsten bereitete. *Arthur* Arthur ließ Tom die Zeit sich so zu betten, dass er bequem lag. In dieser leicht aufgerichteten Position schien es für ihn gut zu gehen. Arthur war nicht minder zufrieden und küsste Eames, während dessen Hände über seinen Körper strichen. Arthur stützte sich mit einer Hand an der Lehne, die andere streichelte durch das Haar, die Halsbeuge hinab über das Schlüsselbein, die Brust des anderen, um den so begehrten Körper zu erkunden. Seine Finger glitten die Konturen seiner Muskeln entlang. Neckend massierte sein Daumen schließlich über die Brustwarze des anderen. Als Toms Hände seinen Rücken hinab massierten, musste Arthur den Kuss lösen, stöhnte auf, streckte sich und drückte das Kreuz durch, sank damit tiefer in Eames‘ Schoß. Die Augen hatte er genießend geschlossen. Das berauschende Gefühl, das so leicht bei Berührungen an seiner Wirbelsäule ausgelöst wurde, jagte durch seinen Körper. Aber es war weit intensiver als je zuvor, als bei all den anderen, mit denen er das Bett geteilt hatte. Als er die kräftigen Hände an seinem Hintern spürte, öffnete er einen Moment die Augen. Hm, das fühlte sich gut an. Ein zufriedenes Schmunzeln lag auf seinen Lippen. Sein Blick glitt zu der Jahreszahl, zu dem A.D.. Etwas irritierte ihn daran und es fiel ihm erst jetzt auf, dass er es schon öfters erneut betrachtet hatte. Er konnte jedoch nicht benennen, was es war. Ihre Lippen trafen sich wieder mit unstillbarem Verlangen. Später würde ihm bewusst werden, wie viel Ehrlichkeit aus diesem Kuss allein sprach, wieviel Sicherheit ihm diese Küsse gaben. Sie drückten all das Verlangen aus, das er selbst seit ihrer ersten Begegnung gespürt hatte und noch immer spürte. Damit waren sie gleichzeitig auch Zeugnis ihrer Dummheit, besonders seiner. Doch darüber nachzudenken blieb ihm jetzt keine Zeit. Das alles fühlte sich viel zu gut an, war viel zu betörend. Ihre Körper, so nah aneinander, ihre Erregung, ihre Lust, die sie mitriss und jeglichen Gedanken an anderes wegwischte. Die Finger an seinem After ergänzten den Eindruck, wie sehr Eames ihn wirklich wollte, wie sehr er ihn begehrte. Er hatte das Gefühl, kostbar zu sein, begehrt, und gleichzeitig wurde ihm mit Respekt begegnet. Das konnte er nicht von allem Sexpartnern sagen. Gerade am Anfang war er bei dem Versuch, Erfahrungen zu sammeln, meist bei Typen gelandet, die wenig Rücksicht nahmen. Es war schmerzhaft, erniedrigend - zum Abgewöhnen gewesen. Er löste den Kuss einen Moment und holte Gleitgel in seinem Nachttisch. Er brauchte es zwar viel zu selten, aber war ja nicht so, dass er nicht ausgestattet wäre… Arthur genoss die Berührungen, spürte die Finger, die ihn vorbereiteten. Spürte ihrer beider Erregung. Den Kuss hatte er gelöst, um etwas zu Luft zu kommen. Nun wanderten seine Lippen den Hals hinab, knabberten an der so weichen Haut, sacht biss er hinein, wenn Eames in ihn eindrang. Seine Hüfte bewegte sich den Fingern entgegen, bis er das Gefühl hatte, dass es reichte. Dann entzog er sich der Hand, richtete sich etwas auf. Er wurde ungeduldig, wollte ihn endlich spüren. Ganz ohne das nur für den Moment unangenehme Ziehen ging es ohnehin nicht. Es machte ihm nichts aus. Süßer Schmerz machte ihm nichts aus, im Gegenteil. Er kippte in der Hüfte etwas, so dass er die Erektion des anderen an seinem After spürte. Seine Augen ruhte auf Eames‘ Gesicht. Er wollte sehen, wie Tom reagierte, während er sich nun auf ihn setzte. Er spürte, wie das harte Glied in ihn eindrang. Langsam ließ er sich hinabsinken, ließ sich Zeit, sich an ihn zu gewöhnen, ihn in sich aufzunehmen. Sein Blick verschwamm, als sich seine Augen langsam genießend schlossen. „Ngh“, entwich ihm ein Keuchen, als er schließlich in seinem Schoß zur Ruhe kam. Sacht bewegte er sich. Dann zwang er sich die Augen wieder zu öffnen, genoss das Gefühl mit Tom verschmolzen zu sein. Er küsste ihn sanft. „Du fühlst dich gut an“, raunte er in den Kuss und kippte leicht das Becken, um sich erneut zu bewegen. Beobachtete wieder das Minenspiel des anderen bei der Bewegung. Der Moment war so schön, mit Tom vereint zu sein. Erneut merkte er, wie sein Blick zu den Buchstaben wich und die Jahreszahl. Arthur hielt in der Bewegung inne. Als ob jemand ihm die Augenbinde abgenommen hätte, erkannte er endlich, was ihn daran wunderte. AD – Anno Domini. Er hatte Eames nicht wirklich als christlichen Menschen wahrgenommen. Aber AD konnte noch etwas anderes sein – die Initialen Arthur Darling zusammen mit dem Jahr ihrer ersten Begegnung. Arthur strich mit den Fingern darüber, dann blickte er auf, sah Eames irritiert an. Die Ruhe, die im Blick des anderen lag, war Antwort genug. Arthur schluckte. Sein Herz schlug hart gegen seine Brust. Sein Atem wurde flach ob der Erkenntnis, die so viele Gefühle in ihm auslöste, dass ihm schier schwindelte. Und in diesem Moment wurde ihm klarer denn je, dass das hier längst überfällig war, dass er viel zu lange unbegründete Angst gehabt hatte. Denn er wusste mehr denn je: I need you more than anything in my life I want you more than anything in my life I'll miss you more than anyone in my life I love you more than anyone in my life (https://youtu.be/VRMTJQa3erg) Und das galt nicht nur für ihn, es war beidseitig. Für diesen Moment war ihm das mehr als bewusst. Ob er es verinnerlichen konnte, würde sich zeigen. Arthur beugte sich vor, versiegelte endlich wieder die schönen Lippen und keuchte ob der Bewegung sogleich in den Kuss. Dann begann er sich langsam auf Tom zu bewegen, erst vorsichtig, sanft, bald intensiver und schneller. Es fühlte sich gut an, richtig und verdammt gut - alles. Platon hatte recht mit seiner Theorie des Kugelmenschen. Für jeden Menschen gab es ein passendes Gegenstück, das einen erst wirklich wieder ganz werden ließ. Das erste Mal seit 30 Jahren fühlte Arthur sich wieder komplett. *Eames* Eames schloss die Augen und biss sich genüsslich auf die Unterlippe, als er endlich eindringen durfte.‘„Du fühlst dich gut an.‘ Ein tiefer, zufriedener Laut entkam und grinste gierig in ihren Kuss hinein, um zuzustimmen. Arthur wusste was er wollte und nahm es sich und Eames durfte sich zurücklehnen und genießen (und seine Frakturen schonen). Reglos liegen bleiben konnte er jedoch auch nicht. Seine Hüften bewegten sich rhythmisch gegen die von Arthur. Eine Hand hatte die schmale Hüfte im Griff, half ihm auf und ab zu gleiten, während sein Daumen massierenden Druck auf ihn ausübte. Die andere Hand; inklusive ein paar Tropfen Gleitgel; hatte Arthurs Glied umgriffen, das sich zwischen ihren Körpern lustvoll in seine Richtung reckte. Immer wieder entkamen ihm bärige Stöhnlaute tief aus seiner Kehle. Die Irritation in Arthurs Blick hatte Eames absehen können. A.D. – er hatte sich bewusst für diese Doppeldeutigkeit entschieden. Vielleicht um sich selbst einen Ausweg zu zugestehen, falls er es je bereuen sollte Arthur kennengelernt zu haben. Leider war ihm ungefähr ein Jahr nachdem er sich hatte stechen lassen klar geworden, dass er vor sich selbst nicht wegrennen konnte. Er wusste was es bedeutete und so wie Arthur ihn ansah und küsste, wusste er es auch. Er spürte, dass sich eine Anspannung in Arthur löste und simultan dazu löste sich auch etwas in Eames. Vielleicht hatten sie sich nun endlich den letzten Beweis geliefert, den es gebraucht hatte. Vielleicht war jetzt endlich alles gut und sie konnten ein einziges mal einander genießen. Wenn auch nur bis zum Morgengrauen. Schmerz hin oder her, Eames konnte nicht an sich halten und steigerte seine Bewegungen simultan zu Arthurs, bis sie sich in einem verstörenden perfekten Einklang miteinander befanden. Ihre Küsse wurden unkontrollierter, die neckenden Bisse fester, die Laute undifferenzierter, bis Eames den warmen Samenerguss in seiner Hand spürte und sich daraufhin auch endlich erlaubte zu kommen. Eine warme Welle durchzog ihn, gepaart mit einem erstickten Laut. Er hielt ihn eng bei sich, während er den kurzen Augenblick seines Höhepunkts genoss. Danach sank er kraftlos zurück in die Kissen, atmete schwer, sein Herz pochte wie wild und seine Haut fühlte sich klebrig feucht an, vor Schweiß und Sperma. Er packte sich seinen Partner und behielt ihn eng bei sich, als befürchtete er, dass er sich gleich in Luft auflöste, nachdem sie sich endlich ihren Trieben hingegeben hatten. Als wäre Arthur derjenige, der ihn so viele male verlassen und im Regen stehen gelassen hatte. Er hielt ihn fest und atmete. Dann küsste er seine Stirn und schloss die Augen. Er hatte Schmerzen, aber das war OK. Nichts konnte den unendlichen Frieden dieses Augenblicks brechen. *Arthur* So, wie ihre Körper sich perfekt ineinander zu schmiegen schienen, so harmonisch passten sich diese auch in einen Rhythmus. Arthur genoss, wie er auf dieser Welle der Lust getrieben wurde. Mit jeder Bewegung, mit jedem Auf und Ab ließ er sich mehr fallen, schaffte es mehr seinen Kopf abzuschalten. Die Hand an seiner Erregung, Eames, der immer wieder tief in ihm versank, ihre Küsse, das Stöhnen, das den Raum erfüllte. Als er spürte, dass die Welle ihn zu jenem so lieblichen Abgrund trug, in den er nur zu gerne fiel, war sein Kopf seit langem einfach leer, seine Gedanken nur bei ihrem verschmolzenen Körper. Heiser stöhnte er auf, den Kopf im Nacken, als er sich gegen Eames‘ Hand bewegte und sich ergoss. Sein Unterleib spannte sich an, den Moment in die Länge ziehen wollend, bewegte er sich weiter und spürte schließlich, wie auch Tom in ihm kam. Langsam verebbten die Bewegungen und er spürte, wie Eames ihn festhielt. Es war seltsam und er zögerte einen Moment, bevor er der Umarmung nachgab und sich in die kräftigen Arme sinken ließ. Vermutlich hätten sie ihn ohnehin nicht entkommen lassen. Eigentlich war er so gar kein ‚Nach dem Sex Kuschel‘-Typ, war er nie gewesen. Die Zigarette danach war eine verlockende Ausrede nach bedeutungslosem Sex. Das hier war aber kein bedeutungsloser Sex. Das hier war vollkommen anders. Arthur spürte dem Kuss auf seiner Stirn, der ihn von diesen Gedanken wegführte. Er atmete tief ein, entspannte sich beim Ausatmen. Alles war anders: der Sex, die Gefühle in ihm, ihr something. Aber er zwang sich, zunächst nicht darüber nachzudenken, sondern einfach diesen warmen Körper an seinem zu spüren. Er hörte den Herzschlag des anderen, seinen Atem, der langsam wieder zur Ruhe kam. Das alles war anders als das, was er bisher hatte. Es war vollkommen. Kapitel 32: Shallows -------------------- *Arthur* Als er spürte, wie Toms erschlafftes Glied schließlich aus ihm glitt, richtete er sich leicht auf, um sich neben Tom zu legen, seinen Kopf auf seine rechte Schulter bettend. Seine Finger glitten über die Brust des anderen, fuhren die Konturen nach, während sein Kopf doch wieder zu arbeiten begann. „Seltsam, wie das ‚Was wäre wenn‘ sofort übergeht in ein: ‚Hätte ich doch nur…‘“, sagte er schließlich und blickte auf, um in die blauen Augen des anderen zu sehen. Wenn er damals deutlicher geworden wäre. Wenn er damals beim Karaoke das Lied gesungen hätte, das er eigentlich hatte singen wollen. Wäre Eames dann nicht gegangen? Hätte er sich bei ihrem Job dann anders verhalten? Oder wäre er zumindest schneller wieder bei ihm aufgetaucht? Vielleicht sollten sie die Vergangenheit ruhen lassen. Doch ging das so einfach? Arthur streckte sich und erhaschte die Lippen des anderen, um ihn sanft zu küssen. *Eames* Wo vorher so viel Chaos gewesen war, kehrte nun endlich Ruhe ein. Seine Gedanken waren nahezu lahm gelegt, sein Herzschlag wurde langsamer. Mit jedem Atemzug sog er Arthur in sich ein. Er glaubte er würde sterben und das war in Ordnung. Den Blick des anderen erwiderte er ruhig, antwortete jedoch vorerst nichts. »Haben wir Mist gebaut?« Er wusste, dass das nicht stimmte, aber er wollte es aus Arthurs Mund hören. Es stand noch immer so viel zwischen ihnen. Eine ganze Welt voll ungeklärter, vergiftender Dinge, die sie langsam zu Fall bringen könnten... aber das was gerade passiert war, durfte kein Fehler gewesen sein. Arthur* ‚Haben wir Mist gebaut?‘ Arthur sah Tom einen Moment an, dann musste er schmunzeln. „Als ob wir DAS vorher immer wüssten. Aber nein, haben wir nicht“, sagte er dann bestimmt und besiegelte seine Worte erneut mit einem kurzen Kuss. Er wollte nicht, das das hier Mist wird. Er wollte es nicht. Aber er war sich sicher, dass er das manchmal noch anders sehen würde. Dann nämlich, wenn er in seine alten Muster verfallen würde. „Wir haben jetzt keine Ausreden mehr“, begann er, verbesserte sich dann jedoch. „Ich habe jetzt keine Ausreden mehr. Ich fürchte, ich werde nie wieder behaupten können, dass du mir egal bist. Vermutlich werde ich daher noch oft denken, dass es Mist war.“ Er grinste leicht, wurde dann aber wieder ernst. „Lass es uns nicht zu Mist werden lassen.“ *Eames* ‚Ich habe jetzt keine Ausreden mehr. Ich fürchte, ich werde nie wieder behaupten können, dass du mir egal bist.‘ Er schnaufte etwas wie ein Lachen. Dafür allein hatte es sich wohl gelohnt diese Grenze zu überschreiten, bevor sie alles geklärt hatten – vielleicht mussten sie jetzt auch gar nicht mehr über alles reden. Eine winzig kleine Hoffnung bestand immerhin noch, dass er darum herum käme aufzudröseln, was in Tokio schief gelaufen war. Und in der Zeit, in der er gedient hatte... ‚Lass uns versuchen, dass es nicht zu Mist wird.‘ »Du kennst uns doch, darling«, säuselte er, lächelte friedlich und küsste ihn seinerseits. Fühlte sich eigenartig an, jetzt wo es vorbei war... nicht, weil er Zärtlichkeiten außerhalb von Sex ablehnte, ganz im Gegenteil. Sondern, weil es Arthur war. Der begehrenswerte, unerreichbare Arthur Darling. Jetzt hatte er ihn. Und es sollte das sein, was er immer gewollt hatte. Sicherlich war es das auch, aber er stand sich selbst noch zu sehr im Weg, um diesem Glück endgültig Vertrauen zu schenken. Er löste sich von Arthur, richtete sich auf und setzte sich an die Bettkante, betastete grob die verletzten Rippen. Der Schmerz war... erträglich. Aber er sollte etwas einnehmen. »Kommst du mit unter die Dusche? Wenn ja, nimm das Gleitgel mit«, flötete er und stand auf. Er machte sich nicht die Mühe seine Klamotten einzusammeln. *Arthur* Oh ja, er kannte sie. Arthur konnte nicht verhindern, dass er seufzen musste. Wenn man so lange alles dafür getan hatte, Gleichgültigkeit zu zeigen, wird es sicher schwer werden, jetzt das hier irgendwie in eine andere Richtung zu lenken. Ob das überhaupt wirklich möglich war? Vermutlich nicht ohne Reibereien. Arthur entließ Eames aus seiner Umarmung, rollte sich zur Seite und betrachtete den Rücken des anderen. ‚Kommst du mit unter die Dusche? Wenn ja, nimm das Gleitgel mit.‘ Arthur schnaubte, sein Blick glitt unverhohlen über den Körper des anderen, seinen Hintern. Eine Antwort sparte er sich. Er war hundemüde von dem Tag, vom Alkohol, von all den Emotionen. Dass Eames den halben Tag verschlafen hatte, ließ ihn sicher fitter sein als er selbst es war. Zudem brauchte er auch noch eine Zigarette und etwas zu essen. Sex machte ihn hungrig. Und er brauchte einfach einen Moment in Ruhe. Er blieb eine Weile liegen. Wirklich einen klaren Gedanken konnte er nicht fassen, zu viel strömte ihm durch den Kopf. Er hatte sich wirklich ganz schön entblößt, hatte wirklich viel von sich preisgegeben. Was nun kommen würde? Sicher war nichts einfacher, nur anders. Und da war noch so viel ungeklärt. Als er später ins Bad ging, kam ihm Eames gerade entgegen. Geduscht ging er in Boxershorts und Shirt auf den Balkon und rauchte eine Zigarette, dann aß er etwas und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Wieder etwas, was anders war: sonst setzte er die Typen direkt wieder vor die Tür. Er blieb in der Tür stehen, betrachtete die Situation. Dann legte er sich zu Eames. Hm, gar nicht so schlecht. ~.~.~.~.~.~.~ *Eames* Die Nacht war für Eames wie ein tiefes Koma. Ein schwarzes Loch zwischen Einschlafen und Erwachen. Das einzige woran er sich erinnerte war, dass Arthur irgendwann in seinen Armen lag und ihm ganz warm und wohlig war. Leider endete die Ruhe mal wieder früher, als erwartet. Yusufs Pillen hielten leider nicht das, was sie versprachen. Der Schöne in seinen Armen hatte sich keinen Zentimeter von ihm weg bewegt und atmete seelenruhig. Es war nicht mehr stockfinster, aber der Sonnenaufgang würde noch etwas auf sich warten lassen. Gern hätte er Arthur mit ein paar Streicheleinheiten geweckt; wäre er auf der Höhe wäre das sicherlich kein Problem gewesen eine weitere Nummer zu schieben. Im Augenblick war ihm jedoch kotzschlecht – auch das musste an den Tabletten liegen. Lieber noch ein paar mehr einschmeißen. Er löste sich so vorsichtig er konnte. Arthur rührte sich, natürlich... auch er war nicht gewöhnt jemanden neben sich zu haben. »Shsh... sleep, my love.«, flüsterte er und küsste zärtlich die dünne Haut hinter seinem Ohr, ehe er sich endgültig befreite und aus dem Schlafzimmer schlich. Er brauchte frische Luft. Sein Schädel drückte.. war wohl doch ein Glas Whisky zu viel gewesen. Nach einem kurzen Blick ins Waschbecken, verließ Eames das Haus. Kurz etwas Abstand gewinnen. Klar kommen. Jetzt hatten sie mehr als den Job... jetzt hatten sie noch etwas – ‚ something – um das sie sich zusätzlich kümmern mussten. Er war sicherlich nicht ohne Fehler und längst nicht ohne Zweifel, aber zum ersten mal im Leben hatte er nicht das Gefühl weit weit weg laufen zu wollen. Auch in dem Moment, wo er den Abstand suchte, war ihm bereits klar, dass er froh sein würde, wenn er in ein paar Stunden – nachdem er eine kleine Runde durch den Central Park gedreht hatte – mit einer Tüte Bagels und einem Mokka nachhause kommen und in sein Gesicht sehen würde. *Arthur* Die Bewegung neben ihm ließ ihn aus seinem unendlich tiefen Schlaf nach oben gleiten. Die Wärme, die ihn im Bett empfangen hatte, war fremd und vertraut zugleich. Es war die Wärme, die er sich so oft gewünscht hatte. Nun war sie da und ließ ihn in Tiefen eintauchen, die er vielleicht noch nie in dem Maße erreicht hatte. Kein Wunder also, dass er aufwachte, als die Quelle dieser Ruhe sich aufrichtete und sich von ihm entfernte. »Shsh... sleep, my love.« Arthur lächelte, blinzelte, blickte in das Gesicht des anderen. Dann schlossen sich die Augen wieder und der flüchtige Moment, in dem er vermeintlich wach war, entglitt ihm wieder. Als er einige Zeit später erneut erwachte, schreckte er schier hoch. Das Bett neben ihm war leer. Suchend blickte er sich um. Toms Klamotten lagen neben seinen am Boden. Er ließ sich zurück ins Kissen sinken, spürte, wie ihn schwindelte, weil er sich zu schnell aufgerichtet hatte. Er unterdrückte das Verlangen, nach Eames zu rufen. Wenn er da war, würde er sich sicher über ihn lustig machen. Dafür lauschte er, aber er konnte keine Geräusche in der Wohnung ausmachen. Kein Summen, keine Kaffeemaschine, keine Dusche, kein Fernseher oder sonst etwas, was Eames wohl tun könnte, wenn er wach war. Es war einfach nur still, leer, erdrückend. Wieder etwas, was anders war: er mochte die Stille in seiner Wohnung eigentlich gern. Im Moment erschlug sie ihn, denn sie bedeutete nichts anderes, als dass Eames nicht mehr da war. Er richtete sich auf, ging ins Bad. Bestimmt kam er bald. Sie hatten nicht wirklich viel zu essen im Haus, ob er etwas holen würde? Sein Blick glitt durch die Wohnung, im Bad war er fast erleichtert. Es beruhigte ihn, dass alles noch immer so unordentlich aussah wie am Vorabend. Er zog sich an, ging er auf den Balkon, rauchte eine Zigarette, während seine Kaffeemaschine aufwachte. Er war nervös, das merkte er, als er die dritte Zigarette anzündete, während sein Blick immer wieder auf das Stück Gehsteig zurückkehrte, das er von hier aus sehen konnte. Dass er nach Eames Ausschau hielt, war ihm bewusst. Dass er nicht da war, machte ihn unruhig, weckte alte Gefühle, die er eigentlich dachte überwunden zu haben. War es das jetzt gewesen? Hatte jener bekommen, was er bekommen wollte? Seinen Körper? Und jetzt ging er wieder seiner Wege? Ließ ihn wieder alleine zurück in der Einsamkeit, die gerade heute seine persönliche Hölle war. Andererseits wusste er, dass das gar nichts bedeuten musste. Im Gegenteil. Eames‘ ganzen Sachen waren noch da. Alles. Hatte Arthur ihm nicht gesagt, dass er ihn nicht in einen goldenen Käfig sperren wollte? Hatte er ihm nicht versprochen, dass er ihn nicht festhalten würde? Dass er nichts weiter verlange, als dass sich jener verabschiedete, bevor er ginge? Hatte er sich heute früh, als er kurz aufgewacht war, verabschiedet und er konnte sich nur nicht daran erinnern, weil er zu gut geschlafen hatte? ‚If you leave When I go Find me In the shallows Lying on my back Watching stars collide‘ (https://youtu.be/zGnAsQobwrw) Letztlich gab es drei Dinge, die man nicht brechen sollte: ein Versprechen, ein Herz und Vertrauen. Letzteres hatte er ihm definitiv einmal gebrochen. Das wieder aufzubauen würde dauern. Besonders so lange sie nicht über Tokyo gesprochen hatten. Arthur drückte die dritte Zigarette in der Hälfte aus, atmete tief durch und ging in die Wohnung zurück. Dann begann er aufzuräumen. Er hasste herumstehendes Essen, zerknautschte Handtücher im Bad, benutzte Gläser in seinem Arbeitszimmer. Das Bett bezog er auch frisch und füllte die Waschmaschine. Er war gerade mit seinem Kaffee ins Arbeitszimmer zurückgekehrt und hatte seine Zeichnungen wieder an seine Pinnwand geheftet, als er die Tür hörte. Ein Felsbrocken löste sich von seinem Herzen. Er war ein verdammter Idiot, oder? Es war so einfach, Dinge zu sagen. Sie wirklich einzuhalten war weit weniger einfach. Er atmete tief durch, dann ging er Eames entgegen, der etwas zum Frühstücken mitgebracht hatte. Er wollte wieder vertrauen. Einfach war es nicht. „Wir sollten Yusuf nachher einen Besuch abstatten“, begrüßte er ihn, auch wenn er ihn einfach gerade lieber geküsst hätte. Aber das wäre so seltsam, dass er es nicht schaffte. „Er kennt sich sicher auch mit den Medikamenten von Jobs aus.“ Langsam wich die Nervosität wieder. *Eames* Das war bei Weitem nicht die Begrüßung, die sich Eames vorgestellt hatte. Waren sie vielleicht doch zu betrunken gewesen? Sein Blick sondierte Arthurs Verhalten, während er sich von seinem Jackett befreite und es auf die Garderobe hing. »Tut er. Ich habe ihm bereits ein paar Daten geschickt. Aber es ist sinnvoll direkt mit ihm zusprechen.« Mit den Bagels in einer Tüte, kam er auf Arthur zu, der auf dem Weg zur Küche stand. Ein feiner Zigarettengeruch kam ihm entgegen; er musste erst vor kurzem ausgemacht haben. Spürte er da etwas wie Abneigung? Unsicherheit? Irgendetwas war doch... Sicher war es schwer nach so einer Nacht einfach wieder ganz normal miteinander zu sein, aber die Sache zu ignorieren würde sie wahrscheinlich überhaupt nicht weiter bringen. Er legte ihm eine Hand an die Halsseite. Streifte mit dem Daumen die feine Linie seines Kieferknochens, musterte sein Gesicht, als könnte er dadurch irgendwie weiter, als bis vor seine Stirn sehen. »Alles in Ordnung?« ‚mit dir, mit uns?‘ Er klang besorgt. *Arthur* Arthur nickte, als Eames ihm recht gab, dass ein persönliches Gespräch vorteilhaft sein konnte. Dann würden sie später vielleicht zusammen dorthin gehen. Er hatte den Chemiker schon länger nicht mehr gesehen. Er freute sich darauf, ihn mal wieder zu treffen. Vielleicht konnte er ihm dann auch gleich die Räumlichkeiten des Four Seasons zeigen, in denen er ja bei ihrem Einsatz ihren Schlaf überwachen musste und sie rechtzeitig darüber informieren musste, wenn die Zeit ablief. Außerdem wollte er versuchen ihn zu fragen, welche Pillen Eames einschmiss. Er machte sich Sorgen. Der musternde Blick des anderen lenkte ihn von den Gedanken ab und er spürte, dass er nervös wurde. Als sich die Hand des anderen an seine Wange, seinen Hals legte, schluckte er. Eames konnte das so einfach. Er hatte früher auch nie Probleme gehabt, ihn einfach zu berühren. ‚Alles in Ordnung?‘ Er hörte die Sorge in der Stimme des anderen. War alles in Ordnung? Ja, jetzt gerade irgendwie wieder. Eames war zurückgekommen. Und Arthur war ein Idiot - Eames sein Kryptonit, nach wie vor. Arthur überwand die kurze Distanz und küsste Tom. Ja, jetzt war wieder alles in Ordnung. Er war zurückgekommen. Als er sich löste, blickte er ihn einen Moment an, zögerte, ob er etwas dazu sagen sollte. „Alles in Ordnung“, sagte er dann. „Ich…“ Er brach ab. „Wie geht es dir?“ Seine Hand strich über seine Seite, dann entzog er sich dem Blick des anderen, ging voraus in die Küche, wo er begann den Tisch zu decken. *Eames* Er hob eine skeptische Augenbraue, ließ es aber darauf beruhen. Er kannte dieses Verhalten... die unfertigen Atemzüge, wenn ihn etwas verunsicherte. Es würde noch lange dauern, bis sie an dem Punkt waren, wo sie wirklich offen miteinander sein konnten. Vielleicht würden sie auch niemals aufhören in kryptischen, indirekten Botschaften miteinander zu kommunizieren. Er erwiderte den Kuss und folgte Arthur in die Küche, wo er seine Beute auf dem Tisch abstellte. »Besser, als ich gedacht hätte. Es heilt langsam.«, antwortete er. Sein Blick folgte Arthurs Bewegungen, während sich ein freches Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. »Gut, dass du so beweglich bist.« *Arthur* Arthur war zufrieden, dass es Eames offenbar besser ging. Und vor allem, dass die Nacht nicht ein Rückschritt im Heilungsprozess bedeutete. Er holte die Teller aus dem Schrank, streckte sich nach oben. ‚Gut, dass du so beweglich bist.‘ Kurz hielt er in der Bewegung inne. Ein Lächeln schlich sich auf seine Züge. Die Anspielung, die ihn früher vermutlich genervt hatte, half ihm, die Anspannung etwas abzubauen. Damit konnte er umgehen. Besser als mit irgendwelchen Pärchen-typischen Begrüßungen (welche auch immer das waren) oder so einen Kram. Im Grunde hatte er keine Ahnung, was Eames jetzt von ihm erwartete, wie er sich verhalten sollte. Er hatte wenig Ahnung, wie man eine ernsthafte Beziehung (wenn sie das denn nun wirklich hatten) führte. Er hatte bisher nur Beziehungen gehabt, in denen er nie er selbst gewesen war, Beziehungen, die er eingegangen war, weil man es von ihm erwartete, weil es ‚normal‘ war. Aber mit Eames‘ Sprüchen konnte er umgehen. Irgendwie jetzt leichter als sonst. Sonst ging er bei Eames‘ Sprüchen nie darauf ein, aber jetzt war es anders. „Tja, baut nicht jeder im Alter so ab wie du“, gab er zurück und trat gelassen zu Eames an den Tisch. Sein Blick glitt provokant über dessen Körper zu seinem Hintern. „Ein paar Monate wirst du’s aber hoffentlich noch bringen…“ Dann sah er ihn an, ein leichtes Schmunzeln zierte seine Lippen. „Kaffee, Cappuccino oder Latte?“ *Eames* Die frechen Sprüche war Eames gar nicht mal so sehr von Arthur gewöhnt. Er brüstete sich meistens eher damit, der Vernünftigere von beiden zu sein. Ihn an dieser Stelle zu haben, gefiel ihm. Auch wenn sein Stolz ganz schön litt. Alter war in der Tat ein empfindliches Thema. Er kratzte an der großen, bösen 40... Er packte sich Arthur am Hosenbund und zog ihn mit einem kleinen Ruck eng an sich heran. »Wie wär's mit ein paar Ohrfeigen, stattdessen?« Er grinste, stahl sich einen Kuss. Irgendwie aufregend, dieses neue Spiel zwischen ihnen. Das, was keiner von beiden Beziehung nennen wollte. »Warte ab, bis ich ausgeheilt bin«, raunte er verschwörerisch. »Ich nehm' einen Cappuccino.« *Arthur* Arthur ließ sich ziehen. Hm, sich zu erlauben, auf die Sprüche einzugehen, wirklich irgendwie zu flirten, war schön. Er hatte sich das bisher stets verwehrt. Schließlich hatte er Eames auf Abstand halten wollen. Jetzt einfach auszuprobieren, was passierte, wenn er in die gleiche Richtung stichelte, war in gewisser Weise aufregend. Er lachte spöttisch, offenbar hatte er einen wunden Punkt erwischt. Dass Eames etwas älter war, spielte für ihn eigentlich keine Rolle (aber gut fühlte sich das dennoch an). Dann erwiderte er den Kuss. Das hier war viel besser als dieser Gedankenirrgarten, als Tom vorhin weg war. Vermutlich spielte die Erleichterung über die Rückkehr aber auch einen erheblichen Teil mit. „Ich kann es kaum erwarten“, raunte er mit einem Funkeln in den Augen. „Dann muss ich dich nicht mehr mit Samthandschuhen anfassen.“ Er entwand sich dem Griff des anderen und ging zur Kaffeemaschine hinüber. Sie würden heute unbedingt weiterkommen müssen, was den Job betraf. Dennoch erwischte er sich bei dem Gedanken, wann sie wohl heute wieder Zeit für sich hätten. „Wie sieht die Tagesplanung bei dir aus?“, fragte er dann. „Ich würde Yusuf das Four Seasons gerne zeigen. Ich muss heute auch noch ins Büro und ein anderes Modell holen. Wenn Jobs dem bekannten Raum nicht traut, müssen wir was in der Hinterhand haben.“ Kapitel 33: compilcated ----------------------- *Eames* Yusuf hätte nie erahnen können je in einer Stadt wie New York erfolgreich seinen Geschäften nachgehen zu können. Allerdings hatte er sich durch Zufall im letzten halben Jahr so erfolgreich etabliert, dass er ernsthaft überlegte einfach dort zu bleiben. Mombasa hatte einen unvergleichlichen Scharm und war sicherlich, was die Polizei anging, um einiges entspannter zu handhaben. Dennoch hatte er in Mitten des Arabischen Viertels, tief versteckt in einer verwinkelten Nebengasse, die schon fast an Kenia erinnerte, einen perfekten Laden gefunden. Er teilte ihn sich mit einem Kollegen aus Saudi-Arabien, der ebenfalls dem Geschäft mit Kräutern und alter, persisch-arabischer Medizin nachging. Abschriften von einigen altertümlichen Büchern, wie „Paradies der Weisheit“, „Liber regalis“ und „Schatz des Königs von Chwarizm“, dienten als Leitfaden der sonderbaren Heilkunst seines Kollegen Hasim. Hasim ließ Yusuf mit seinen Geschäften im Keller in Ruhe, dafür half Yusuf seinem Kollegen im Laden aus – eine perfekte Symbiose, von der beide nutzten. Natürlich war Yusuf schon wach, als Arthur ihn kontaktierte und nur wenig später auch bei ihm im Laden auftauchte. Der Laden war eng gestellt, roch nach Minze, Kümmel, Tabak und diversen anderen Kräutern. Direkt am Eingang war eine kleine Kasse, hinter dessen Theke ein dicker, arabisch-stämmiger Mann mit schwarzem, vollem Schnauzbart und kaum Haaren auf dem Kopf saß. Er lächelte freundlich und nickte ihnen zu. »As-Salaam-Alaikum«, grüßte Eames den Mann, welcher ein ähnliches Wort zurück nuschelte. »Arthur, schön dich zu sehen!«, Yusuf kam zwischen zwei Regalen hervor, die bis zur Decke mit Tontöpfen und Teetüten und Gläsern gefüllt waren. »Auch du, mein Freund.«, wandte er an Eames und legte eine Hand auf die Brust. Er trug das Haar lang und in wilden Locken. Der Bart war jedoch gepflegter denn je. Er wandte ein paar Worte auf Arabisch an Hasim, welcher sich daraufhin schwerfällig von seinem Hocker erhob und zur ersten Tür neben der Kasse schlurfte. Von dort aus führte eine Treppe nach oben in seine Wohnung. »Wird wohl Zeit, dass wir uns Treffen. Eames hat mir bisher nicht viel erzählen können.« *Arthur* Für Arthur war es immer wieder besonders, in diese verschiedenen ethnischen Viertel einzutauchen. Auch wenn er sich immer wie ein Fremdkörper darin fühlte und bei weitem nicht so gelassen hindurchschlendern konnte, wie Eames, fühlte er sich wohl. Nun, wenn sie St. Patricks Day gefeiert haben, dann war sein Viertel auch immer eine eigene Welt gewesen. Vielleicht lag es daran. Er besuchte Yusuf nicht oft, ihn zu sehen hob aber stets seine Stimmung. Sie hatten kein inniges Verhältnis – das hatte er letztlich mit keinem anderen Menschen – aber sie waren sich sympathisch und konnten gut miteinander arbeiten. Arthur nickte dem Araber an der Kasse auch zu, lächelte höflich. Das Lächeln wurde ehrlicher, als Yusuf auf ihn zutrat und er nickte. „Ganz meinerseits“, antwortete er und beobachtete fast mit ein wenig Neid, dass Eames und Yusuf sich viel näherstanden. Nun sie kannten sich aus Mombasa, waren schon länger befreundet. Und diese Schwelle, einen anderen Menschen zusammen mit körperlicher Nähe zu begrüßen, überwand Arthur ohnehin so gut wie nie. Zumindest nicht von sich aus. Mal hatte ihn in den Arm genommen, wenn sie sich getroffen hatten, Tricia machte es konsequent, Ariadne gelegentlich. Er von sich aus konnte das nicht. Arthur blickte den anderen Mann kurz hinterher, dann sah er zu Yusuf. ‚Wird wohl Zeit, dass wir uns Treffen. Eames hat mir bisher nicht viel erzählen können.‘ Arthur nickte und blickte dann zu Eames. „Ja, mit dem erzählen hat er es nicht so“, sagte er und fixierte den anderen einen kurzen Moment. Dann sah er wieder Yusuf an. „Bisher ist der Plan nur rudimentär. Die Lücken versuche ich zu schließen, aber die Zeit ist knapp. Ich kann dir das Hotel zeigen, in dem der Job stattfindet. Augenscheinlich könnte es problemlos laufen. Aber Jobs ist ein Machtmensch. Ich bin mir unsicher, was uns wirklich erwarten wird, wenn wir ihm im Traum begegnen.“ So sah er das Ganze zumindest. Dass Tom das vermutlich anders beschreiben würde, war ihm mehr als klar. *Eames* Eames steckte den Vorwurf gelassen weg, aber in seinem Lächeln war durchaus ein kleines „Fuck you“ zu lesen. »Ein Machtmensch, hm?«, wiederholte Yusuf nachdenklich. »Neigt dazu die Kontrolle an sich zu reißen? Sadistische Züge, vielleicht psychopathisch veranlagt?«, er strich sich nachdenklich durch den Bart. Dann ohne Umschweife: »Wir sollten das in meinem Büro besprechen. Folgt mir. Da unten gibt es auch Tee für euch.« Er ging vor, bis in die hinterste Ecke des kleinen Verkaufsraumes. Es existierte tatsächlich noch eine Tür. Diese verschwand auf den ersten Blick zwischen zwei Regalen und einem großen Flechtkorb. Auf der Tür waren arabische Schriftzeichen mit schwarzer und roter Farbe aufgemalt. Sie schritten die schmale Betontreppe hinab. Der Keller gehörte eigentlich zum Nebengebäude und war ursprünglich nichts weiter, als ein zufälliger Hohlraum in einem schlecht geplanten, armen Wohnviertel. Durch aufwendig Ausbau- und Aufbauarbeiten hatte Hasim den Keller damals ursprünglich für seine illegalen Operationen genutzt. Nun da Yusuf da war, hatte er einen Teil der ohnehin leer Stehenden Quadratmeter für sein Traumgeschäft erhalten. Ähnlich wie in Mombasa, gab es mehrere kleine und große Kabinen mit Liegen und Betten. Arabische Wandteppiche kaschierten größtenteils die blanken Backsteinwände. Die Lüftungsanlage blies ihnen den leichten Geruch von Opium entgegen. »Keine Kunden um diese Uhrzeit. Hier entlang.« Er führte sie weiter, bis in einen weiteren, kleinen Raum. Yusufs Bürotür war in dunkles Grün gehalten, aber schien so alt zu sein, dass die Farbe an allen Ecken abblätterte. Direkt daneben war eine dunkelrote Tür mit der Aufschrift „OP“ und weiteren arabischen Symbolen. Sie war verschlossen. In Yusufs Büro befand sich ein schön verzierter Mosaiktisch (den hatte er aus Mombasa mitgenommen), vier gemütliche, aber einfache Stühle, ein Laptop gepaart mit weiteren typischen Büroartikeln, einem sehr alten Waschbecken und mehreren hohen einem Spint ähnlichen Schränken, die allesamt Schlösser trugen. Diverse Regale waren an den Wänden angebracht, sie trugen Deko, Sammlerstücke; andere trugen eine ganze Reihe Medikamente und Bücher. »Setzt euch.« Er servierte Tee, ließ sich auf seinem Stuhl nieder und verschränkte die Finger über seinem Wohlstandsbäuchlein ineinander. *Arthur* Arthur nickte nur auf Yusufs Gedankengang hin. Ja, so war es vermutlich. Doch auch Arthur fand, dass sie das lieber weniger öffentlich besprechen sollten. Er folge in den Keller, den er eher abschreckend als einladend fand. Das lag aber nicht daran, dass es ungemütlich oder irgendwie heruntergekommen war. Vielmehr konnte er nicht so ganz nachvollziehen, wie sich Menschen in solche Abhängigkeiten begeben konnten – sei es nun Drogen oder Träumen. Letztlich war alles eine Flucht vor der Realität. Er hatte sicher genug Momente in seinem Leben gehabt, in denen er lieber allem entkommen wäre. Aber es lag nicht in seiner Natur sich in solcherlei Dinge zu flüchten. Er flüchtete sich lieber in seine Arbeit. Das hatte wenigstens noch irgendwie Sinn. Sie betraten das Büro und Arthur folgte der Aufforderung, setzte sich. „Sein Hotelzimmer wirkt erschreckend, sein Bodyguard bestätigt den Eindruck“, bestätigte er nun die Gedanken des anderen, während er dabei zusah, wie Yusuf den bernsteinfarbenen Tee in die Gläser füllte. Arthur hatte immer das Gefühl, dass der Tee bereits süß roch. „Dubiose Familiengeschichte, aus der ich noch nicht schlau geworden bin.“ Er betrachtete einen Moment den Dampf, der aus dem Glas aufstieg, dann blickte er wieder zu Yusuf. Zeit, den rudimentären Plan zu umreißen. Aber beruhigend, dass nicht nur Arthur derjenige war, dem Eames nichts erzählte. „Jobs nutzt den Spa-Bereich im Hotel für Massagen. Am Sonntag hat er einen Termin, da werden wir dann vor Ort sein und die Stunde nutzen, die er dort verbringt. Ich vermute, dass wir maximal eine halbe Stunde haben. Aber das sollte reichen, dass man ihm auf Traumebene den Ort entlocken kann, an dem den Chip versteckt und wie er gesichert ist.“ Sofern Eames gut vorbereitet war. Er warf Tom einen kurzen eindeutigen Blick zu, dann sah er wieder zu Yusuf. „Jobs ist Diabetiker Typ I und hat einen externen Insulinzugang, der über eine App gesteuert wird. Diese App können wir hacken.“ Arthur zückte sein Handy und suchte das Bild heraus, auf dem die beiden Medikamente zu sehen waren. „Ich könnte mir vorstellen, dass man mit den beiden Mitteln arbeitet, um ihn zum Schlafen zu bringen. Er fährt in den Spa-Bereich, hat Kreislaufprobleme, einen Schwächeanfall, er schläft. Im Traum wacht er in gewohnter Umgebung, seinem Hotelzimmer auf und wir lassen ihn glauben, dass er einfach nur kurz weg war, der Bodyguard ihn nach oben gebracht hat und jetzt wieder alles in Ordnung ist. Dann kreieren wir eine Situation, in der er gezwungen wird, den Chip aus seinem Versteck zu holen.“ So zumindest der bisherige Plan. „Was meinst du? Ist das mit den Medikamenten möglich? Ansonsten müssen wir umplanen und ihn wirklich in ein fremdes Labyrinth nehmen. Gewohnte Räume sind ein Risiko.“ Yusuf gab ihm sein Handy zurück. „Das sollte kein Problem sein“, sagte er. „Das eine ist ein Mittel, das man direkt zur Mahlzeit einnimmt, um Schwankungen im Blutzuckerspiegel direkt zu regulieren. Das andere ist eines, das eine Langzeitwirkung hat und den Insulinspiegel über den Tag reguliert. Wen man sie vertauscht und die App entsprechend manipuliert, kann man recht leicht ein diabetisches Koma erzeugen.“ Arthur nickte zufrieden, hatte seinen Tee genommen und einen Schluck getrunken. „Wie lange wird das gut gehen?“, fragte er Yusuf dann. „Wenn wir zwei haben, die danach nicht mehr aufwachen, wäre das ziemlich beschissen.“ Dass er so tat, als ob Eames gar nicht anwesend wäre, aber über ihn redete, war ihm bewusst. „Somnacin in Verbindung mit zu viel Alkohol und Schmerzmitteln sind vermutlich eine genauso schlechte Dosierung.“ Unverwandt blickte er Yusuf an, um die Antwort zur Not auch an seiner Reaktion ablesen zu können. *Eames* Zum Glück bestätigte Yusuf was sie schon zuvor geahnt hatten. Sicherlich hatte Eames Erfahrung mit allerlei Substanzen, aber so was wie Insulin? Da brauchte es schon eine Expertenmeinung, um alles perfekt einzustielen und Jobs nicht am Ende umzubringen. Auch Eames nahm einen Schluck und nickte zufrieden. Als Arthur nun diese kleine unschöne Bombe platzen ließ, hoben sich Yusufs Augenbrauen in äußerster Überraschung. Sein Blick glitt unsicher zu Eames, welcher ein unzufriedenes Schmatzen von sich gab, als er den Tee auf dem kleinen Tellerchen abstellte. Die Furche, die sich zwischen seine Augenbrauen gegraben hatte, musste Arthur sehr bekannt sein. Ihm gefiel das Thema ein. »Seit wann geht es bei dieser Sitzung um mich?« Seine Beine waren übereinandergeschlagen und seine Haltung entspannt. Das einzige, was noch von seinem Missfallen berichtete, war sein unruhiger Daumen. Yusuf war sichtlich überfordert und sagte erst einmal nichts. Er kannte Arthur, schätzte ihn, wusste aber auch, dass es zwischen den beiden immer mal wieder Anspannungen gab, in die er sich lieber nicht einmischen wollte. *Arthur* Ein amüsiert gelassenes Lächeln umspielte seine Lippen, als Arthur den Blick drehte und Eames ansah. Die Körpersprache war deutlich. Er kannte diese Furche nur zu gut. Zu oft hatte er sie gesehen und oft würde er sie noch sehen, da war er sich sicher. Aber Hey! - das nächste Mal fragte er am besten alle nach ihrer Meinung, damit er es jedem recht machte. Vermutlich wird er dennoch nochmal eines auf den Deckel bekommen. Aber das störte ihn nicht. Er hatte gesagt, was er sagen wollte. Vielleicht keine sensible Art, aber so war er halt. Rational betrachtet war es genau das, was er erreichen wollte. 1. Eames selbst damit zu konfrontieren hätte ein verharmlosendes Lächeln bewirkt und einen für dumm verkaufenden Spruch. 2. Yusuf wusste jetzt Bescheid und konnte Eames entweder selbst darauf ansprechen oder zu ihm kommen. Er konnte auch beim Job entsprechend vorbereitet sein, falls es wirklich zu Problemen käme. Die Komponente Adrenalin war auch nicht zu unterschätzen. 3. Das Wichtigste: Eames wusste, dass Yusuf es wusste. Vielleicht erhöhte das die Chance um 1%, dass er eine Sekunde länger nachdachte, bevor er sich die Tabletten in einem ungesunden Cocktail mit Whisky und Somnacin herunterspülte. Ja, er übertrieb vielleicht. Aber die Sorge in ihm war seit der vergangenen Nacht sicher nicht weniger geworden. Dummerweise so gar nicht. „Oh, da muss ich mich geirrt haben“, sagte er nun mit einer gewissen Ironie in der Stimme. „Ich dachte, diese Sitzung geht auch um dich, weil sie nur wegen dir stattfindet.“ Merkte man, dass er im Grunde noch immer genervt war, dass Eames irgendwas mal wieder ordentlich verbockmistet hatte? - und letztlich nur deshalb zu ihm gekommen war? Als er vorhin die Pinnwand durchgegangen war, hat er noch all die Fragezeichen und Unstimmigkeiten hinsichtlich Eames Erzählung gesehen. Die Sorge, nur einen Bruchteil der Wahrheit zu kennen - wenn überhaupt - war da. Sicher, er wollte gerne darauf vertrauen, dass Eames ausnahmsweise mal keinen Eisberg versenkt hatte, und ihm nur einen Schneeball davon überreichte. Er wollte vertrauen, dass er ehrlich zu ihm war. Er wollte wieder vertrauen können. Aber das hier war Arbeit, kein something. In diesem Bereich vertraute er lieber seinem Verstand als dem seltsam schlagenden Ding in seiner Brust. Er hob beschwichtigend die Hände. „Tut mir leid! Hab ich wohl was verwechselt. Dann ziehe ich die Frage zurück.“ Der Gedanke, das Wissen war ohnehin schon kommuniziert. Er drehte sich wieder zu Yusuf. Sein Blick vorhin war uneindeutig gewesen. War der Blick kritisch gewesen, weil Eames sich nicht an Vereinbarungen hielt, oder war er unsicher gewesen, weil er Eames gegenüber loyaler war als ihm? Schwer zu sagen. „Wie sieht es nun bei Jobs aus? Wie lange kann so ein Zustand dauern, ohne dass es bleibende Schäden hinterlässt?“ Yusuf sah noch immer nicht glücklich aus, blickte Eames noch einen Moment an, dann sah er zu Eames. „Bei einer hyperglykämischen Entgleisung haben wir zunächst verschiedene Symptome. Müdigkeit, Schwindel sind harmlos, schwerwiegender ist Übelkeit, Erbrechen, Atemnot. Betroffene werden bewusstlos, da ihr Blut und Gewebe übersäuert und ausgetrocknet ist. Der absolute Insulinmangel des Körpers hat das zur Folge. Sein Atem wird nach faulen Äpfeln riechen“ Yusuf merkte, dass er zu weit ausholte. „- wie auch immer. Sobald er ins Koma fällt, bekommt er von mir Elektrolyte, dann muss ich anfangen, ihn wiedereinzustellen. Wenn ich es zu schnell mache, kann er eine Herzrhythmusstörung bekommen. Aber das sollte ich zu verhindern wissen.“ Arthurs Augenbrauen zogen sich zusammen. Vielleicht sollten sie ihn nur schwächen, nicht gleich ins Koma fallen lassen. „Er wird vermutlich trinken wollen, wenn er aus dem Gleichgewicht kommt“, sagte nun Yusuf. „Ihm Somnacin zu verabreichen und ihm das Insulin wieder zu geben, wäre dadurch auch leicht möglich, ohne dass er ins Koma fällt.“ Yusufs Blick kehrte zu Eames zurück, wissend, dass das vorherige Thema noch nicht beendet war. *Eames* Schön, dass sich in all den Jahren nichts geändert hatte, dachte Eames. Sie hatten sich wirklich verdient. Arthur war so unsensibel, wie er rücksichtslos. Keine besonders gute Grundlage, aber besser als nichts. Sicher fand diese Sitzung nur wegen ihm statt. Schließlich hatte er den Auftrag an Land gezogen. Die Umstände waren jetzt nicht die allerbesten, aber Jobs wäre so, oder so zum Ziel geworden. War aber klar, dass da noch was kommen musste, daher sah Eames geflissentlich über Arthurs Kommentare hinweg. Wirkte sogar eher amüsiert, wenn auch nicht erheitert. Arthur liebte es ihn aus der Scheiße zu ziehen, immer und immer wieder. Er liebte es so sehr, wie er es hasste, aber wenn es ihm nicht bewusst war, wollte Eames auch nicht unbedingt der sein, der es ihm bewusst machte. Am Ende könnte so ein Gespräch alles zerstören, was sie sich so hart erarbeitet hatten. »Keine große Sache.«, tat Eames ab, als er Yusufs hilfesuchenden Blick bemerkte. Das Thema war noch nicht beendet, aber nicht hier. Nicht vor Yusuf. »Exzellent!«, pflichtete Eames dem Chemiker bei. »Wir brauchen kein Koma, wenn er durstig genug ist. Wir kommen durch die Hintertür in den Wellnessbereich, ohne dass Foster und Marx uns bemerken – ich kenne einen der Masseure. Wenn er nach Wasser verlangt, geben wir ihm ein paar K.O.-Tropfen. Ein bisschen Rohypnol vielleicht.«, bei der letzten Aussage kicherte Yusuf, Eames grinste. Dazu gab es natürlich eine Geschichte... »Ich mach dir diesmal eine Markierung auf die Flasche.« »Ich bitte darum!« »Wunderbar!«, Yusufs Hände landeten auf seine in olivgrüne Leinen gekleidete Oberschenkeln. »Was soll ich dann also tun? Soll ich euch in den Traum begleiten, oder schafft ihr ihn zu zweit?« *Arthur* Arthur ahnte, dass es in Eames noch gärte, weil er ihn vorgeführt hatte. Die Art, wie Eames einen Moment mit dem Auge gezuckt hatte, kannte er. Er wusste, dass jener sich über ihn ärgerte, und dass dieses Gespräch woanders weitergeführt werden würde, davon zeugten zudem Eames‘ beruhigende Worte an Yusuf. Arthur war das egal, zumindest redete er es sich ein. Immerhin schien der Forger auch zufrieden damit, Jobs regulär ins Land der Träume zu schicken. Arthur begrüßte das. Dieses Vorgehen barg weniger Risiko und ließ sich besser kontrollieren, als ein instabiler Körper. Als Yusuf und Eames offenbar eine alte Geschichte zu Rohypnol teilten, wurde Arthur wie so oft schmerzlich bewusst, dass er kaum jemanden hatte, mit dem er alte Geschichten teilte. Zumindest nicht so. Er überging es, wartete den Moment ab, blickte auf seine Hände, dann sah er zu Yusuf. Wenn sie ihn mitnehmen würden, brauchten sie noch jemanden, der sie überwacht. Schwierig in so kurzer Zeit noch jemanden einzuweihen, dem man vertrauen könnte. „Eames ist sich sicher, dass eine Traumebene reicht. Zur Sicherheit entwickele ich noch eine, damit wir flexibel sind“, erklärte er. Irgendwie gefiel ihm der Gedanke aber nur bedingt, Tom allein zu lassen, wenn die erste Ebene nicht funktionierte. Vermutlich, weil sie für dies kein Konzept hatten und er das Gefühl hatte, dass Eames das auch gar nicht wirklich wichtig fand. Aber Yusuf brauchte er bei den beiden letztlich instabilen Körpern in der Realität - Jobs und Eames. „Wäre gut, wenn du uns zurückholst.“ Yusuf nickte bestätigend. „Wenn du möchtest, zeige ich dir das Hotel. Und den Wellnessbereich, wo wir den Job durchführen.“ Ob es wirklich nötig wäre, dass Yusuf sich auskennt, war nicht sicher. Aber vielleicht wollte es der Chemiker so. „Nach unserem Plan wäre es wichtig, dass Jobs noch eine halbe Stunde länger ‚abgelenkt‘ ist, damit Eames anschließend den Chip holen kann. Das Optimum wäre also, wenn er aufwacht und das Gefühl hat, nur kurz bei der Massage eingenickt zu sein.“ *Eames* Eine Traumebene sollte genügen, daran hielt Eames nach wie vor fest. Wenn Arthur auch nichts über ein Training gegen Traumdiebe finden konnte, dann hatten sie vermutlich leichtes Spiel. Ein Fauxpas, wie bei Fisher würde Arthur nicht noch einmal passieren, da war sich Eames ziemlich sicher. Es musste noch lange an ihm genagt haben, dass er dieses wichtige Detail übersehen hatte... »Falls es Probleme geben sollte, gehe ich allein eine Eben tiefer und hole die Infos, die wir brauchen.« Wieder nickte Yusuf. Klang soweit ganz gut. Er selbst war kein großer Traumgänger, er vertraute den Extraktoren und Point Men; sofern er sie kannte. »Sicher, sicher.«, murmelte er, grübelte ein wenig, strich mit Daumen und Zeigefinger über den fein gestutzten Bart. Wenn Eames Connections im Wellnessbereich des Four Seasons hatte, könnte er sogar mitkommen, aber wenn er verzichten konnte, sollte ihm das nur Recht sein. »Nun, es ist so, wenn ihr sagt, es gibt keine Probleme hinein und hinaus zu kommen, muss ich das Hotel nicht vorhersehen. Ich vertraue euch in dieser Hinsicht. Was das Ablenken nach dem Traum angeht.... ich kann ihn ohne weiteres weiter sedieren. Er wird sich lediglich ein wenig müde danach fühlen. So wie ich es verstanden habe, können wir aber nicht sehr überziehen, da der werte Herr Bodyguards und einen engen Terminplan hat, ist das korrekt?« Er holte sich ein Nicken zur Bestätigung ein. »Also pokern wir hoch: wir setzen die Sitzung auf zehn Minuten, falls es nicht reicht, können wir weitere zehn bis maximal 15 Minuten anhängen. Danach hättet ihr, beziehungsweise Mister Eames, ungefähr 30 Minuten, um den Chip zu holen. Klingt machbar. Zugang zum Hotelzimmer habt ihr auch, richtig? Besser vorbereitet kann man doch kaum sein, gute Arbeit.« Er lächelte zufrieden mit seinen runden Bäckchen. »Ja, gute Arbeit, Arthur.«, bestätigte Eames und tätschelte den Oberschenkel seines Point Man anerkennend. Für die kurze Zeit hatten sie wirklich extrem viel geleistet. Wenn alles glatt liefe, hätten sie noch nie so einfach so viel Geld gemacht. Schade nur, dass er kaum etwas von der ganzen Kohle haben würde. *Arthur* Dass Yusuf den Plan in gewisser Weise absegnete, war für Arthur gut. Die Massage würde sicher eine Stunde dauern. Der Bodyguard würde nicht ständig danebenstehen. Dennoch würde er noch einmal mit dem Bekannten von Eames reden, was die Gewohnheiten bei der Massage von Jobs betraf. Nicht, dass der mit seinem Bodyguard irgendwelche Absprachen hatte. Who knows! Er vermerkte sich auch das auf seiner imaginären Pinnwand, auf der noch viele Fragen prangten, denen er nachgehen wollte. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er etwas vergaß, ein Gedanke, der ihm bei ihrem ersten Gespräch gekommen war. Eine Lücke klaffte und er schaffte sie nicht zu füllen. Vielleicht bildete er das sich aber auch nur sein. Wenn er mal wieder seine Ruhe haben würde, würde er alles genau durchgehen. Er nickte in Gedanken zu Yusufs Zeitmanagement – so hatte er das auch geplant. Wenn jener die Lokation nicht vorher sehen wollte, war das in Ordnung. Sie würden ihn reinbringen, er würde im Nebenzimmer warten und wäre da, sobald Jobs da und von seinen Bodyguards getrennt war. Blieb ihm jetzt mehr Zeit, an seinen Recherchen weiter zu tüfteln und sich den offenen Fragen zu widmen. Das Lob von Yusuf bekam er nur am Rande mit. Seine Gedanken kreisten noch einmal um die Frage, was er übersah. ‚Ja, gute Arbeit, Arthur.‘ Nun blickte er doch etwas überrascht auf und sah zu Eames. Nicht nur, weil dieser ihn gefühlt das erste Mal in seinem Leben mit den Worten „gute Arbeit“ gelobt hatte, sondern auch wegen der Hand auf seinem Bein, die sich seltsam anfühlte. Über das Lob freute er sich, denn das war es, was ihn so oft so heruntergezogen hatte: er war bei Eames nie gut genug gewesen, nicht im Training, nicht bei den Jobs – zumindest nicht augenscheinlich. „Nicht schlecht“ war meist das höchste der Gefühle. Dass er bei Fisher ihnen allen den Arsch gerettet hatte, hatte Eames sicher nicht interessiert. Oder war es sein eigener Anspruch an sich, den er projizierte? Wie auch immer… Die Hand jedenfalls fühlte sich nach der Nähe an, die er in dieser Nacht genossen hatte, die sich gut angefühlt hatte, die ihn tief hatte schlafen lassen. Dennoch gehörte sie nicht hierher. Sie lenkte ihn ab, führte ihn zu dem Gedanken von vorhin: schnell und effektiv arbeiten bedeutete eventuell Zeit mit Eames. Zudem gehörte die Hand nicht hierher, denn Yusuf war bei ihnen und könnte das falsch verstehen. Schließlich waren sie sich nie nahe, wenn sie miteinander arbeiteten. Zumindest in letzter Zeit nicht, nicht vor Yusuf und auch generell... Nur weil sie miteinander geschlafen hatten und keine Ahnung was, musste Eames nicht gleich so ‚körperlich‘ werden. Wegen ihm konnte das so bleiben, dass niemand was mitbekam. Musste ja nicht jeder wissen, dass sie sich angenähert hatten und irgendwas da war, was anders war als zuvor und… Arthur merkte, dass er unsicher wurde, dass seine Gedanken seltsame Wege beschritten. Er richtete sich auf, zog das Bein weg und atmete durch. „Ich hab noch viele Lücken, die ich füllen muss“, wischte er die Worte der anderen weg. „Das Modell und das zweite Traumlevel erstellen sich auch nicht von alleine.“ Er stand auf, mied den Blick von Yusuf genauso wie von Eames. „Ich werde dann mal ins Büro fahren.“ Das galt Eames. „Am Freitag sollten wir alles nochmal durchsprechen, Yusuf. Ich denke, dann hab ich alles soweit in trockenen Tüchern.“ *Eames* Die Reaktion seines Point Man irritierte Eames. Hatte er etwas Falsches gesagt? Yusuf schien Arthurs Verhalten nicht negativ aufzufallen. Auch er stand auf, lächelte zufrieden ob ihres gelungenen und kurzes Gesprächs. Nur Eames rührte sich nicht, sondern suchte noch ein Weilchen aus seiner Perspektive nach einer Antwort in Arthurs abweisenden Gesicht. »Ihr wisst ja, wo ihr mich findet.«, antwortete der Chemiker. Er schien ganz froh zu sein, dass sie so schnell fertig waren. Anscheinend hatte er noch eine Menge Arbeit vor sich. »Ich bringe euch noch vor die Tür.« Sie verließen den Laden. Eames hatte zwar ein anderes Ziel, als Arthur, begleitete ihn jedoch augenscheinlich ein Stück. Er räusperte sich, um die Aufmerksamkeit seines Partners zurück zu gewinnen. »Lass mich nur kurz eine Sache klarstellen, Darling.«, begann er, der typische Sing-Sang seiner Stimme brach nicht ab, aber ein finsterer Unterton war nicht zu überhören. »Ich weiß was ich tue, ok?«, viel eher wollte er sagen, bring mich vor Yusuf nicht in Verlegenheit. »Nicht nötig mich zu beschützen, oder dir Sorgen um die Mission zu machen.« Mit bestimmtem Druck legte er eine Hand auf sein Schulterblatt, eine Art aufmunternde Geste. In Verbindung mit dem Gesagten hatte es jedoch auch etwas Mahnendes. *Arthur* Arthur spürte den bohrenden Blick des anderen nur zu genau. Aber dennoch blickte er ihn nicht an. Im Grunde wusste er selbst nichts genau, warum er das eigentlich so oft erhoffte Lob nicht einfach annehmen konnte. Vielleicht weil es erst jetzt kam und er all dieses something nicht einordnen konnte. Vermutlich, weil er einfach mal allein sein musste, um in Ruhe nachzudenken. Erst als er merkte, dass Eames sich so gar nicht zu rühren schien, er aber an ihm vorbeimusste, sah er ihn flüchtig an. Zum Glück blies da auch Yusuf zum Aufbruch und es kam Bewegung in Tom. Das Schweigen hatte er sich gewiss selbst eingebrockt. Normalerweise störte es ihn nicht. Diesmal war es anders. Es war irgendwie bedrohlich. Als sich Eames räusperte und dann sprach, bestätigte sich dieser Eindruck. Wie automatisch und wie so oft fuhr Arthur die Barrikaden in sich hoch. Eine Sache klarstellen? Jetzt würde er die Quittung bekommen. »Ich weiß was ich tue, ok?« Arthur war stehen geblieben, blickte ihn regungslos an. Tat er das? Wirklich? Er verbiss sich die zynische Bemerkung dazu, die ihm auf der Zunge lag. Er zögerte damit. Früher wäre das nicht passiert. Jetzt konnte er es nicht, denn er wusste, dass Eames recht hatte. Er war sehr gut in dem was er tat. Und Arthur hatte eigentlich keine Zweifel daran. Nicht was den Job betraf. Die Medikamente machten ihm eher Sorge. Er verharrte, blickte an Eames vorbei. Wenn das der ganze Tadel dazu war, dass er ihn gerade vor Yusuf bloßgestellt hatte, war es ja eh harmlos. Allerdings war Tom sicherlich nicht fertig. Arthur streckte das Kinn, um den gewiss kommenden Angriff abprallen zu lassen, als jener Luft holte und weitersprach. »Nicht nötig mich zu beschützen, oder dir Sorgen um die Mission zu machen.« Die Hand auf seiner Schulter lastete unvermittelt schwer. Aus dem ersten Moment heraus wand sich seine Schulter, wollte die Hand loswerden, die Berührung, die scheinbar unnötig und unbegründet war, abschütteln. Doch Eames Griff war erbarmungslos. Arthur merkte an dieser Berührung, dass gerade etwas anders war. Der Angriff blieb aus, vielmehr war es eine Bitte, eine Mahnung. Der Inhalt sprach an, was er lieber nicht hatte denken wollen. Wollte er ihn beschützen? Machte er sich Sorgen, dass das alles nicht klappte und Eames noch mehr Ärger am Hals hatte? Wo war seine Gleichgültigkeit geblieben? War es ihm jemals gleichgültig gewesen? Sein Trotz wich dem unangenehmen Gefühl, dass er gerade zu spüren bekam, was sich seit der vergangenen Nacht geändert hatte: er hatte Schwierigkeiten damit, Eames bei dem Job neutral zu behandeln. Ihn wie sonst zu behandeln, als er sich eingeredet hatte, dass er ihm egal sei. »Haben wir Mist gebaut?« Er wollte nicht, dass es so war. Dabei baute ER ihn gerade. Arthur blickte die Straße hinunter, überlegte, ob er einfach gehen sollte. Irgendwas Abfälliges sagen und gehen, so wie sonst auch. Aber sonst war vorbei und es wurmte ihn, dass Eames das leichter zu begreifen schien, leichter damit umgehen konnte als er. Er atmete tief ein, entspannte sich, dann sah er Eames endlich wirklich an. Er hob seine Hand und legte sie auf die des anderen, drückte leicht, strich mit dem Daumen darüber. „Ist nicht leichter geworden“, sagte er dann schlicht. War es jemals leicht? „Aber ich werde mich bemühen.“ Er lächelte matt, dann drehte er sich und ging weiter, bevor er noch mehr Haltung verlor. Ein Gedanke ihres ersten Gesprächs war wiederaufgetaucht: die Wut, die die Verletzungen des anderen gezeigt hatten. Wie sollte er sich da keine Sorgen machen?! *Eames* Er kannte diese Geste nur zu gut – das gehobene Kinn, der straffe Hals - gepaart mit diesem Blick, der so betont unberührt blieb, dass Eames es ihm manchmal sogar glaubte. Mann aus Stein. Geduldig wartete er auf die rebellierende Reaktion, aber entgegen aller Erwartungen blieb diese aus. Im Gegenteil sogar... Diese Berührung und diese entgegenkommende Antwort war Eames fast zuwider. Es irritierte ihn, obwohl wenn es theoretisch genau das war, was er bei Arthur erreichen wollte – oder? Sein Point Man wandte sich ab, während Eames reglos auf dem Gehsteig zurückblieb. Eine Gruppe von Touristen drängelte sich an ihm vorbei, denen er widerwillig Platz machte. ‚Ist nicht leichter geworden‘, hallte es in seinem Kopf wieder. War es jemals leicht gewesen? Statt ihm doch noch hinterher zu rufen, tippte er ihm eine SMS, während er den kürzesten Weg durch die Seitenstraßen zur Underground nahm: ‚Wir sehen uns heute Abend, love. La Esquina um 8?‘ Er wusste nicht recht, wieso er den Drang verspürte, aber anscheinend wollte auch er Arthur irgendetwas beweisen. Vielleicht, dass ihr something nicht bloß anything war. Vielleicht, dass auch er sich bemühte? Was auch immer es war; er musste es erst einmal hinten anstellen und sich um Foster kümmern. *Arthur* Arthur ließ sich Zeit, lief einfach vor sich hin, ohne direkt die nächste Underground-Station anzusteuern. Es tat gut, ein wenig allein zu sein, unbeobachtet, ohne Tom. Alles fühlte sich gerade komisch an. In den vergangenen drei Tagen war so viel geschehen, dass es ihn irgendwie erschlug, wenn er versuchte, es zu sortieren. Zentral stand in jedem Fall dieses Haus, ihr imaginäres Haus, das sie zwar noch nicht betreten hatten, aber das in gewisser Weise existent war. Sie hatten es noch nicht eingerichtet, hatten es noch nicht so gestaltet, dass es für sie passte - genau wie dieses something, das sie nun zulassen wollten. Wie es aussehen würde, war unklar und es verunsicherte Arthur in so vielerlei Hinsicht. Hätten sie sich doch nicht einfach nur ihrer Lust hingeben sollen? Hätten sie noch über all die vielen Dinge reden sollen, die sie so viele Jahre schon zwischen sich stehen hatten? Könnte er dann jetzt entspannter sein? Könnte er jetzt allem mehr vertrauen? Eigentlich sah es ihm so gar nicht ähnlich, sich von seinen Gefühlen leiten zu lassen. Aber dieses Gefühlschaos, in das er gestoßen worden war, hatte dieses unbändige Verlangen ausgelöst, das schon so unendlich lange in ihm geschwelt hatte. Arthur dachte an den Sex, die Berührungen, daran, wie Tom ihn angesehen hatte, wie gierig sie beide gewesen waren. Das Gefühl eins zu sein, ganz zu sein. Es hatte sich gut angefühlt (fühlte sich auch im Gedanken, in der Erinnerung daran gut an) und er wollte mehr davon! Arthur könnte es sich einreden, dass das nur im Affekt war, dass er das nur im Moment so empfunden hätte, dass es rational betrachtet, anders sei. Aber da war diese Tätowierung, die seine Gefühle potenziert hatte. Allein bei dem Gedanken daran durchrieselte ihn ein unbekanntes Gefühl, das jegliche Lüge über die Wahrhaftigkeit ihres Somethings vernichtete. Die Schwelle war überschritten, ein Zurück nicht so einfach möglich. Und jetzt? Gute Frage, nächste Frage. Arthur hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte, was von ihm erwartet wurde, wie er nicht enttäuschen würde. Mit Tom darüber zu reden kam ihm albern vor. Könnte man mit ihm über so etwas reden?! Das Gefühl, nicht wirklich ernst in seinem Unvermögen genommen zu werden, beschmunzelt zu werden, wenn er so ein Gespräch versuchte, kannte er nur zu gut. Es würde bei ihm nur zu Schutzmauern führen, zum Verbarrikadieren. Das hatte er jetzt zehn Jahre hinter sich. Aber wie verhielt man sich richtig? In den vielen Filmen, in die ihn Tricia während ihres Studiums geschleift hatte, war das immer so nett. Die Protagonisten sahen sich, verliebten sich, eine unerwartete Komplikation trat auf, es kam zu einem tragischen Moment und am Schluss siegte die Zuneigung. Und wenn sie nicht gestorben waren, dann knutschten sie noch heute. - nett war nicht umsonst die kleine Schwester von Scheiße! Bei ihnen war alles anders. Sie hatten definitiv auch diesen ersten Moment gehabt. Dann war alles anders gekommen. Nun kannten sie sich schon so lange, hatten so viel erlebt und wussten letztlich, dass sie gar nicht fähig zu dem waren, was sie nun angingen. Oder war nur ihm das bewusst? Machte sich Eames darüber auch Gedanken? Vermutlich nicht. Zumindest nicht wie er. Er besaß die Gelassenheit und Ruhe, die er ausstrahlte einfach. Arthur hatte sie sich hart erarbeitet. Naja, so ganz stimmte das auch nicht. Arthur wusste, dass es in Thomas oft ganz anders aussah. Es waren wenige Momente, in denen er hinter die Fassade blicken konnte, aber es gab sie. Vielleicht war Eames auch unsicher, wie er. Er konnte nur damit besser umgehen. Er tat sich so leicht, so zu tun, als sei nichts anders, als sei alles so wie immer - oder so wie es immer hätte sein sollen. Arthur erreichte eine Station und tauchte hinab in den Underground. In der U-Bahn zog er sein iPhone heraus und schaltete es an. Er hatte es gestern Abend ausgeschaltet, als er nach Hause gekommen war. Es dauerte etwas, dann lud es etliche Mails und Nachrichten. Als die Absender überflog, blieb er an der letzten hängen. Sie war von Tom. ‚Wir sehen uns heute Abend, love. La Esquina um 8?‘ Ein Date? Bei Candela? Arthur las noch einmal, starrte darauf. Da war diese Leichtigkeit - ‚love‘ Er würde das nie schreiben. Er würde das viel zu sehr hinterfragen. Tom benutzte dieses Wort so lapidar, als sei es das Normalste. War es ehrlich? So leicht jener ihn mit dergleichen Kosenamen bedachte, so stumm war er gestern im Traum und auch anschließend gewesen. Da hatte nur der Körper, hatten vor allem die Augen gesprochen. Arthur blickte aus dem Fenster. Könnte er das irgendwann auch? ‚Normal‘ damit umgehen? Wie sollte er sich verhalten? Sollte er anders sein? Lockerer? Cooler? Oder emotionaler? Mehr aus sich herausgehen? Einfach sich nehmen was er wollte? But you become Somebody else 'Round everyone else Your watchin' your back Like you can't relax You tryin' to be cool You look like a fool to me Tell me: Why'd you have to go and make things so complicated? I see the way you're actin' like you're somebody else. Gets me frustrated (https://youtu.be/FynZChaDqQs) Vielleicht hatte die junge Avril recht. Vielleicht sollte er die ohnehin schon komplizierte Situation nicht noch schlimmer machen. Vielleicht sollte er alles entspannter sehen. Er war wie er war und Tom kannte ihn. Er sollte einfach er selbst sein, so wie er wirklich war. Nicht der Eisblock, der letzten 10Jahre, einfach nur er selbst, so wie es vor ihrem Zerwürfnis nach dem Auftrag in Tokyo gewesen war. Er blickte wieder auf‘s iPhone und tippte: ‚Ich werde da sein.‘ Er zögerte, dann fügte er ein: ‚Freu mich‘ hinzu. Das war ehrlich. So hätte er es auch Mal geschrieben, oder seiner Schwester. Er las noch einmal, schickte es dann ab. Ihr erstes Date, das geplant war. Wie lange er wohl auf Eames warten würde? Mit einem Lächeln auf den Lippen stieg er aus der U-Bahn und ging ins Büro. Kapitel 34: The outsider ------------------------ *Arthur* Ariadne saß über einem Stoß Papierkram und sah ihn überrascht an, als er hereinkam. Erfreut sah sie ihn an, stand auf und umarmte ihn, so wie sie es immer tat, auch wenn er das nie von sich aus machen würde. „Hatte ich nicht gesagt, du sollst dich nicht blicken lassen?!“, tadelte sie ihn dann aber doch und sah ihn mit einem seltsam kritischen Blick an. „Du hast es nur zwei Tage geschafft, nicht hierher zu kommen. Ich hoffe, das ist dir bewusst!“ Arthur lächelte, hob die Hände. „Ich will auch nur kurz was holen, dann bin ich wieder weg. Ich hab auch noch keine Mail gelesen oder sonst etwas gemacht.“ Sie nickte streng. „Wenigstens etwas“, sagte sie und fügte dann hinzu:„Ich hatte ja gestern schon mit dir gerechnet...“ Er musste grinsen. „Aber wenn du schon mal da bist, lass uns wenigstens noch nen Kaffee trinken und ein paar Dinge besprechen.“ Als er nach Hause kam, war es schon nachmittags. So ganz schnell war der Kaffee mit Ariadne nicht gewesen. Es hatte gut getan, über andere Dinge zu reden und ihr bei ein paar Sachen zu helfen. Dann hatte er das Modell eines als Labyrinth angelegten Anwesens mitgenommen und war mit dem Taxi heimgefahren. Zu Hause war es seltsam leise, wenn Eames nicht da war. Aber es war ok, es tat auch gut. Er würde ja wiederkommen. Und die Stille war Arthurs langjähriger Begleiter. Arthur nahm sich Zeit, um in Italien zu recherchieren, aber wegen fehlender Sprachkompetenz und letztlich auch fehlenden Kontakten war es schwer, an Infos zu kommen. Zumindest hatte er den Plan hinsichtlich des Insulins ergänzt, terminiert und Jesse und Yusuf entsprechende Informationen übermittelt. Die Baupläne des FourSeasons, die Jesse ihm beschafft hatte, gaben keine Informationen über potentielle weitere Tresore im Zimmer. Als er auf die Uhr sah, war es bereits nach 6. Er ging duschen, rasierte sich. Dann begann etwas überraschend Schwieriges: Was sollte er anziehen?! Schließlich verließ er die Wohnung. Er hatte eine dunkelblaue Jeans, ein weißes Hemd, eine schwarze Lederjacke an. Keine Krawatte, die oberen Hemdknöpfe waren geöffnet. So ganz schlecht sah er vermutlich nicht aus. Arthur blickte auf die Uhr. Es würde knapp werden, aber er würde pünktlich sein. Eilig ging er zur U-Bahn. *Eames* Kaum hatte er die SMS erhalten, war für Eames das Thema erst einmal save, egal was vorher gewesen war. Er wusste, dass Arthur nicht der herzlichste Mensch im Chat war (Angesicht zu Angesicht auch nicht, aber das war eine andere Sache), daher war ein ‚Freu mic‘, schon das Höchste der Gefühle. Und es fühlte sich gut an. So echt und beflügelnd, dass er eher tänzelte, als zu gehen, als er sich seinen Weg zu seinem Bestimmungsort durch die Menschenmassen bahnte. ‚I used to like liquor to get me inspired But you look so beautiful, my new supplier I used to like smoking to stop all the thinking But I found a different buzz‘ (https://youtu.be/zkpole8iszg) So albern es auch klang, aber er fühlte nur deswegen etwas von dem leichten Gefühl von damals, als sie sich das erste mal getroffen hatten. Dieses Flattern im Magen, dass den Schmerz in seinen Rippen wie eine Nichtigkeit erscheinen ließ. Foster hatte eine besonderen Auftrag von Jobs erhalten, dem es nachzugehen galt. Wie sich herausstellte ging es dabei um nichts geringeres, als Medikamente. Zwei verschiedene Insuline und – noch interessanter – Sildenafil, früher bekannt als Viagra. Auch über Foster fand er ein paar Dinge heraus, die ebenfalls mit Substanzen zu tun hatten... wie sinnvoll oder hilfreich dies am Ende sein würde, stellte sich wahrscheinlich noch heraus, aber in ihrem Metier war es immer besser mehr als zu wenig zu wissen. Danach verlief nichts mehr so wie geplant. »Lorenzo lässt schön grüßen!«, war das letzte was er hörte, bevor ein paar sehr lästige und leidvolle Stunden für Eames begannen, in denen er es nicht schaffte eine SMS an Arthur oder sonst wen zu tippen, geschweige denn, zu ihrem Date zu erscheinen. Er konnte nicht riskieren, dass Arthur in die Angelegenheiten der stronzos hineingezogen wurde. Noch weniger wollte er, dass sein Point Man registrierte, in was für einem Schlamassel er wirklich steckte. Was blieb ihm also für eine Wahl, als sich nach allen Regeln der Kunst daneben zu benehmen? Wut war ihm noch immer willkommener, als Mitleid. Es war ungefähr vier Uhr in der Früh, als er sich durch den dunklen Flur des Hauses schleppte, in dem Arthur wohnte. Kurz nach vier schloss er die Tür auf, mit dem Schlüssel, den er sich weigerte abzugeben, seit er ihn unerlaubt an sich genommen hatte. Dreistigkeit ist keine Tugend, aber vielleicht ein Talent. Er roch wie ein Aschenbecher, der mal ein abgestandenes Whiskyglas gewesen war. Hinzu kamen diverse neue Schrammen, von denen diesmal auch sein Gesicht nicht verschont geblieben war... über der rechten Augenbraue thronte eine krustige Wunde. Sein Jackett war dreckig, aufgerissen, seine ehemals glänzenden Schuhe matt und verschrammt und seine Knie und Knöchel wund und geschunden. Als er endlich das rettende Ufer – die Couch – erreicht hatte, unternahm er keinen Versuch mehr davon aufzustehen. Er konnte Arthur jetzt nicht begegnen. Trotzdem war er in seine Wohnung zurückgekehrt... weil es keinen anderen Ort gab. Seine Wohnung gab es nicht mehr und Yusuf konnte er sich in so einem Zustand nicht aufbürden. Es blieb nur einer. Es würde schwer werden, aber wichtiger war, dass dieser elende Tag endlich zu Ende ging. ‚Disconnect and self destruct one‘ (https://youtu.be/nzyNWyZhUS0) Ausgerechnet jetzt drängte sich ihm ‚Outsider’ auf; dieser Song, der ihn stets an seine eigenen Fehler erinnerte... ein Haufen Steine in seinem Magen und eine Schlinge um seinen Hals. Immer wieder dieser Song, der ihn in seinen schwächsten Momente eiskalt erwischte und erst dafür sorgte, dass er sich wirklich miserabel fühlte, wenn er wusste, dass er wieder lügen würde. Und dass er alles dadurch nur noch schlimmer machen würde. *Arthur* In quälender Konstanz zog der Zeiger weiter, Minute um Minute. Dass er warten musste, war ihm fast klar gewesen, dass er umsonst wartete, wurde ihm erst sehr spät bewusst. Es schmerzte, letztlich ziemlich heftig. Und doch hatte es auch etwas Befreiendes. Er hatte zunächst nur einen Platz an der Bar bekommen. Er hatte sich ein Bier bestellt. Und dann begann das Warten. Anfangs war es ok - Pünktlichkeit hätte ihn gewundert. Irgendwann war er wütend, überlegte zu gehen und eine böse SMS zu schreiben. Aber dafür war er zu stolz. Und irgendwie wollte er nicht gleich aufgeben. Eames hatte ja auch gearbeitet. Vielleicht hielt ihn was auf. Candela hatte ihn schließlich erkannt und war irgendwann zu ihm gekommen. Er hatte bereits gegessen, wartete noch immer. Unfähig die Tatsache zu akzeptieren, dass er ihn wirklich versetzen würde. Vermutlich war es die Enttäuschung, die sie bemerkte und die ihn reden ließ. Sie unterhielten sich über Eames, zumindest sie sprach über ihn, als er sie fragte, woher sie sich kennen würden. Candela hatte ihn mit nach draußen für eine Zigarette genommen. Sie hatte ihre Pause mit ihm verbracht und erzählt, woher sie sich kannten, was Eames für sie getan hatte. Dieses Gespräch hatte gut getan, hatte relativiert, was gerade begonnen hatte, seine Wut zu schüren. Als er gegen 23Uhr nach Hause fuhr, war ihm klarer als je zuvor: ‚Normal’ würde es bei ihnen nie geben. Diese ganze Gedankenspirale war Scheiße. Es würde immer einfach so sein, wie es war. Sicher! Er wünschte sich Beständigkeit, Zuverlässigkeit, Vertrauen. Gleichzeitig wünschte er sich einfach nur Tom. Beides würde vermutlich nie zusammen möglich sein. Dass sie ins Bett gegangen waren, resultierte aus den Gefühlen nach dem Billardspiel. Letztlich hatte er damals schon gewusst, dass Thomas Eames keine Konstante in seinem Leben sein könnte. Aber er hatte sich stark genug gefühlt, das tragen zu können. Dieses Gefühl hatte sich als falsch erwiesen. Als Tom weg war, ihn hintergangen hatte (zumindest hatte es sich so angefühlt) war alle Stärke in Wut umgeschwenkt, unbändige Wut und Enttäuschung. Er hatte versucht, ihn zu hassen. Man konnte jemanden nur hassen, wenn man jemanden wirklich liebte. Aber jetzt war es anders. Er hatte gestern sehr deutlich gemacht, dass er ihn wollte. Mit allem, was dazu gehörte. Also auch, dass man nach drei Stunden vergeblichen Wartens in eine leere Wohnung zurückkehrte. Sicher war er wütend und enttäuscht. Er wusste, dass es beim nächsten Wiedersehen eskalieren konnte, wenn Eames ihm blöd kam. Aber mit dem Wissen, dass das bei ihnen einfach dazugehörte, war das irgendwie viel leichter und für sie normaler. Schlafen konnte er nicht so recht, daher werkelte er rum, arbeitete, las. Irgendwann ging er ins Bett, einschlafen konnte er nur schwer. Er ärgerte sich fast, dass das Bett frisch bezogen war. Er hätte gerne wenigstens seinen Geruch bei sich gehabt. Arthur war sofort wach, als der Schlüssel ging. Hatte er überhaupt geschlafen? Er lauschte den Schritten durch seine Wohnung, hörte wie sich ein schwerer Körper auf seinem Sofa niederließ. Auch das schmerzte, heftig. Arthur stand auf und ging hinüber. Der Geruch sagte vieles, aber sicher nicht alles. Das fahle Licht, das von draußen hereinkam, ließ Eames erbärmlich aussehen. Arthur trat vor das Sofa, blickte auf Eames hinab. Er hätte gerade tausend Worte, wie er Eames klar machen könnte, dass man mit ihm so nicht umsprang. Aber er sagte nichts. Vielmehr kniete er sich hin, hob die Hand, strich ihm durchs Haar, musterte das geschundene Gesicht, bevor er sich zu ihm beugte und ihn küsste. So war Eames. So wie er hierher kam. Aber zumindest war er zurückgekommen und nicht gegangen. Das war doch die einzige Bedingung gewesen, oder? Dass er nicht einfach ging. Als er sich löste, schwieg er noch kurz. Seine Mimik war ungerührt. Mitleid hatte er keines. Was auch immer passiert war - Eames war sicher nicht unschuldig. „Du elendiger Mistkerl“, sagte er nun, aber es klang nicht wirklich zornig. „Komm wenigstens ins Bett, damit ich zumindest doch noch etwas Schlaf finde.“ *Eames* Es war nicht leicht überhaupt wieder Herr über sein Bewusstsein zu werden. Allerlei Substanzen und das bleischwere Tuch der Müdigkeit rangen um ihn und zwangen ihn fast sich endgültig der leeren Ruhe des Schlafes hinzugeben. Seine Hand lang schlaff und schwer in Arthurs, während er den Kuss schwach erwiderte. Ein Kuss mit dem er wirklich nicht gerechnet hätte, der ihn innerlich zu zerreissen drohte, da sich ihm ein ziemlich penetranter Gedanke aufdrängte: ‚den hatte er nicht verdient‘ Ein Fakt, der ihm nichts ausmachen sollte, aber plötzlich eine Rolle zu spielen schien. Auf die Aufforderung hin, drängte sich ihm ein schiefes Lächeln auf, doch statt einer Antwort drehte er den Kopf weg, um elendig loszuhusten. Als er sich wieder eingekriegt hatte, stand er auf, ließ sich von Arthur helfen und schleppte sich mit ihm ins Schlafzimmer. Er entledigte sich seiner stinkenden, dreckigen Klamotten und ließ sich mit Arthur in seinem scheinbar frisch bezogenen Bett nieder. Er musste stinken wie die herbste irische Kneipe am frühen Morgen, er hatte sich nicht abgemeldet und so weiter und so weiter – es gab eine Million Gründe wieso Arthur legitim wütend auf ihn sein könnte. Aber er wollte lediglich, dass er ‚ bei ihm im Bett lag...‘ »Du liebst mich wirklich, oder?«, entkam es ihm, nuschelnd, rau mit halb geschlossenen Augen. Anders konnte er es nicht erklären. Anders ergab das alles keinen Sinn. *Arthur* Das menschliche Wrack, das letztlich doch noch in seinem Bett anlandete, widersprach vermutlich allem, was er sich je zugetraut hätte. Aber er kuschelte sich in die Arme, sog den (gerade zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftigen) Geruch ein und fühlte gleich, dass er nun würde zur Ruhe kommen können. Es war völlig irrwitzig, aber daran bestand kein Zweifel mehr: Tom war sein Ruhepol. »Du liebst mich wirklich, oder?« Arthur öffnete die Augen, spürte sein Herz heftig schlagen, hörbar - wie es ihm vorkam. Er schluckte. War dem so? Who knows. „Halt die Klappe!“, sagte er schließlich einfach nur. „Lass mich schlafen.“ Er schloss wieder die Augen. Eine Gegenfrage hallte noch etwas in ihm wieder, die er aber gewiss nicht stellen würde. „Und du?“ Die Antwort lag vielleicht nie deutlich vor ihm. Und er würde sich sicher über eine entsprechende Aussage freuen, auch wenn er sie vermutlich schon tausend Mal gehört, aber nie ernst genommen hatte. Letztlich glaubte er die Antwort genau zu kennen. Kapitel 35: Poison and wine --------------------------- *Arthur* Rückblickend war dieser Abend vermutlich der wirkliche Beginn ihrer Beziehung gewesen. Zumindest was Arthur betraf. Er konnte ab diesem Moment anders mit Eames umgehen, gelassener, aber deswegen nicht distanzierter. Sie hatten ihre Momente, waren sich immer wieder sehr nahe, was hin und wieder darin endete, dass sie den Job und alles andere vergaßen und im Bett landeten, aber es war in Ordnung. Es war auch in gewisser Weise in Ordnung, dass Arthur kaum Antworten bekam. Eigentlich gar keine, wenn er es recht bedachte. Was Eames aufgehalten hatte, warum sein Körper geschundener war, als noch zu vor, weshalb er ihm nicht einmal eine SMS hatte schreiben können – er bekam keine wahre Antwort. Es war ihr altes Spiel, ihre alten Verhaltensmuster. ‚You only know what I want you to I know everything you don't want me to‘ (https://youtu.be/fNlxKH9Jtmc) Arthur war ja nicht blöd und konnte gewisse Dinge miteinander verbinden, konnte sich denken, dass Eames Blick über die Schulter der Tatsache geschuldet war, dass er überwacht wurde und gelegentlich darauf hingewiesen wurde, für wen er den Job machte. Er wusste nur nicht, wer wirklich dahinterstand. So wie Eames ihm gesagt hatte, er solle sich keine Sorgen machen, sollte er ihm vielleicht einmal sagen, dass er ihn nicht beschützen, ihn nicht schonen solle. Aber bis Arthur seine Gedanken wirklich formulierte, brauchte er. Noch hatte er es nicht geschafft. Genauso wenig bekam er die Chance, andere Dinge wieder aufzugreifen: zum Beispiel Tokyo. Natürlich stichelte Arthur in diese Richtungen, natürlich deutete er Tom an, dass da noch einiges an Klärungsbedarf war. Doch irgendwie schaffte es dieser Mann immer wieder, sich aus diesen Situationen geschickt herauszuwinden. ‚Deine Augen machen bling bling und alles ist vergessen‘ War gar nicht so einfach, nachhaltig Druck zu machen, wenn Eames wusste, wo er ihn berühren musste, was er sagen musste, wie er ihn ansehen musste, damit Arthur auf andere Gedanken kam. Früher war das definitiv leichter gewesen. Leichter, aber einsam. Dennoch war genau das vermutlich das, worüber sie sich am häufigsten gegenseitig stressten und annervten. Irgendwann, da war sich Arthur sicher, würde er ihn deswegen noch festnageln. Er brauchte das, damit dieses something wirklich Bestand haben konnte. Er brauchte das, um wirklich wieder richtig zu vertrauen. Aber ob das unbedingt vor dem Job sein musste, wusste er nicht. Erstmal um die eine Baustelle kümmern, dann konnte man die tausend anderen in ihrer beider Leben angehen. Daher bereiteten sie den Sonntag vor, gewissenhaft, so gut es in der kurzen Zeit ging. ———-////:————- *Eames* ‚What a difference a day makes’, flötete Eames entspannt unter der Dusche am Morgen des Samstags vor dem Stichtag und schäumte sich dabei großzügig mit Arthurs sackteurem Designer-Shampoo ein. Natürlich an den unnötigsten Stellen. Was war schon Geld? Wenn sie den Job erfolgreich erledigten würden sie sich lange keine Sorgen mehr um irgendwelche Einkünfte machen müssen. Nun... Arthur hatte ohnehin keine Geldprobleme und Eames würde erst einmal einen Großteil abgeben müssen, aber immerhin war er dann die aufdringlichen Stalker los, die ihn seit Tagen drangsalierten. All der Stress nur, weil er ein paar Casinos in Süditalien ausgeraubt hatte... er würde sich hüten so schnell wieder einen Fuß nach Europa zu setzen. Und noch mehr würde er daran arbeiten, sich das nächste Mal nicht von diesen Primitiven erwischen zu lassen. Seine gute Stimmung war nicht klein zu reden.Um einen Mann zufrieden zu stellen, brauchte es im Grunde nur drei einfacher Dinge: eine gute Mahlzeit pro Tag, Sex und eine Aufgabe. In dieser Woche konnte er sich also gar nicht beschweren. Darüber hinaus heilten seine blauen Flecken und die fiese Platzwunde auf seiner Stirn außerordentlich gut ab. Außerdem war das nicht bloß Sex was sie da hatten. Es war etwas Besonderes, das war ihnen beiden wahrscheinlich sehr bewusst. Arthur war seine große Liebe und Eames fühlte sich lebendiger als je zuvor. Er hatte sogar hin und wieder das Gefühl von „zuhause“ und „ankommen“ verspürt – etwas, das er in all dem Sturm und Chaos, das er sein Leben nannte, nie für möglich gehalten hatte. Es lief so gut, dass es beängstigende Ausmaße annahm und Eames sich bald fragte, ob man dem Frieden trauen konnte. Hin und wieder erhaschte er so einen Blick von Arthur... ein Blick der vermuten ließ, dass da noch etwas kommen würde. Tokio zum Beispiel und Ramadi. Aber das hatte noch etwas Zeit. Erst einmal stand Jobs auf ihrem Plan. »Good mornin', love«, säuselte er und platzierte einen warmen Kuss auf seiner Schläfe; dabei schlang er einen Arm um seine Mitte, als wollte er ihn in Position für seine unausweichliche Geste der Zuneigung halten. Er hatte durchaus einen Hang zu besitzergreifendem Verhalten. Er bediente sich an der luxuriösen Kaffeemaschine und setzte sich dann in Bademantel mit Zeitung an den Frühstückstisch, als wäre es seit Jahren Gewohnheit. »Wann gedenkst du den Plan für morgen durchzusprechen? Und möchtest du vorher, oder nachher mit Jesse telefonieren? Er hat mir geschrieben, dass er heute einen ‚dringenden Termin’ hat und nicht viel Zeit für die letzte Besprechung übrig hat. Er sagte was von ,Tenderloin’, du weißt, was das heißt...« *Arthur* What a difference a day makes‘, schallte Arthur aus dem Bad entgegen, als er seine Wohnung mit einer Tüte vom Bäcker unter dem Arm betrat. Er schüttelte schmunzelnd den Kopf. Dieses Lied... Es fühlte sich gut an, Eames so… glücklich? zu sehen. Diese paar Tage, in denen sie nun zusammen waren, zusammenlebten, hatten Tom sichtbar aufblühen lassen. Er hatte ihn selten so gesehen, so ehrlich zufrieden. Der vermutlich berechtigte Gedanke, der Grund dafür zu sein, war ungewohnt und irgendwie befriedigend. Dass er einmal wirklich dazu beitrug, jemanden ein wenig glücklicher werden zu lassen… Gleichzeitig war er ja auch nicht unglücklich, gar nicht. Vielleicht trug er seine Gefühle nicht so nach außen, wie es Tom konnte. Aber er merkte, dass sich alles anders anfühlte, schöner irgendwie, intensiver, erfüllender – nicht nur der Sex. Er fühlte sich so wohl wie schon sehr, sehr lange nicht mehr. Arthur betrat das Wohnzimmer, sein Blick glitt über die Klamotten am Boden, die Eames offenbar aus seinem Koffer gezogen hatte. Nicht nur er fühlte sich wohl… Er stellte die Sachen in der Küche ab, dann räumte er auf, machte das Bett und fing dann an, das Frühstück zu machen. Vielleicht sollte er einmal ein paar Worte über das Thema „Aufräumen“ verlieren. Offenbar ging Tom davon aus, dass es ihm nichts ausmachte, ihm hinterherzuräumen und seine Sachen zu waschen. ‚Good mornin', love.‘ Auch etwas, woran er sich gewöhnen musste, aber durchaus gewöhnen konnte: Umarmungen, Zärtlichkeiten, Berührungen, Worte – sofern sie nicht unterwegs waren, da mochte er das nicht. Er war froh, dass Tom das einfach machte. Ihm fiel es manchmal schwer, sich einfach zu nehmen, was er wollte. Wobei es Situationen gab, in denen es ihn störte, dass Eames ihn festhielt. Wenn er telefonierte, wenn er konzentriert war oder wenn er von etwas (oder jemandem) genervt war. Eigentlich mochte er es nicht so eng. Dennoch genoss er Toms Nähe sehr. Nur an die Kosenamen konnte er sich nicht so recht gewöhnen. Er selbst gab ihm nur einen Kosenamen, wenn er etwas zu kritisieren hatte... Er drehte sich in der Umklammerung und schnupperte in der Halsbeuge des anderen. Sein Duschgel? Sein Bademantel? (den er nie anzog) Hm. Ja, Tom fühlte sich hier mehr als wohl. Er drehte den Kopf, ließ seine Hand über die Brust nach oben in den Nacken gleiten, strich mit seiner Nasenspitze am Ohr des anderen entlang, schmiegte sich in die Umarmung, bevor er leise raunte, zuckersüß: „Die nächsten Klamotten, die du wahllos auf dem Boden verteilst, landen im Müll, Honeybunny!“ Sacht küsste er das Ohrläppchen. „Wenn du weiterhin meine Sachen nimmst, ohne mich zu fragen, schläfst du bald wieder auf dem Sofa.“ Er löste sich wieder, blickte Tom streng an. „Verstanden?“ Vermutlich brachte es nichts. Aber er sollte zumindest den Versuch unternehmen. Wie es wohl gerade im Bad wieder aussah? Während sich Tom bereits setzte, räumte er das restliche Zeug auf den Tisch.Ja, manchmal kam er sich wie eine Hausfrau vor. Zumindest war sein Kühlschrank mal gefüllt. Der Einkauf mit Eames war lustig gewesen, sich bekochen zu lassen schön. Die Küche danach allerdings wieder in das zu verwandeln, was sie eigentlich war, hingegen anstrengend. „Ich soll wissen, was das bedeutet?“, fragte er gespielt irritiert nach. „Ich habe keine Ahnung.“ Was tatsächlich nicht unbedingt gelogen war. Er hatte eher selten bis gar nicht das Bedürfnis, käuflichen Sex haben zu wollen. Dass der Hacker auf diese Dienstleistungen zurückgriff, passte zumindest irgendwie ins Klischee. „Wegen mir können wir das heute Vormittag erledigen. Soweit ist alles vorbereitet“,entgegnete er, während er sein Hörnchen in seinen Cappuccino tauchte. Gestern erst war er noch einmal alles durchgegangen, hatte den Zeitplan erstellt und sich alles genau überlegt. Er runzelte etwas nachdenklich die Stirn. Dass Jesse heute seinen „Bedürfnissen“ nachging, war ihm neu. Ging sich das dann mit der Manipulation der Spritzen aus? „Lass uns erst mit Yusuf besprechen, damit ich mich noch einmal versichere, ab wann die Medikation umgestellt werden muss. Danach rufe ich Jesse an, damit der weiß, ab wann er wo einsatzbereit sein sollte.“ Vielleicht würden sie dann abends noch ein wenig Zeit für sich haben. *Eames* Die Warnungen waren durchaus angekommen. Leider nahm er Arthur in dieser Hinsicht nicht wirklich ernst, was vermutlich in Zukunft noch zu einigen Spannungen führen würde. Aber Spannungen waren ja nicht unbedingt etwas Schlechtes, nicht wahr? Ein bisschen Streit, ein paar hitzige Diskussionen; süße, kleine, neckische Handgreiflichkeiten, um am Ende Versöhnungssex haben zu können. Seine Nachbarin (und nun Vertraute) in Kenia hatte dieses Verhalten immer gern auf sein Sternzeichen reduziert. Eames hatte zwar nichts für Esoterik übrig, aber in einem Punkt musste er ihr wohl zustimmen: Skorpione haben einen Stachel. Und weiter gedacht, war seine sinnbildliche Giftigkeit wahrscheinlich auch nicht allzu weit von der Wirklichkeit entfernt. »Sicher, Yusuf wird sich freuen von uns zu hören.« Wie es schien liefen die Geschäfte des Chemikers doch nicht allzu gut in New York. Jedenfalls nicht so gut, wie in Mombasa. Und Hasim schien nicht der allerbeste Geschäftspartner zu sein, wie sie neuerdings erfahren hatten. Es störte leider doch ein bisschen, wenn dessen Patienten im Behandlungsraum vor Schmerz schreien, während Yusuf nebenan versuchte Trips oder ein paar Substanzen zu verkaufen. »Ich sage Jesse gleich Bescheid, dass er sich bereit halten soll.« Er nippte an seinem Kaffee, hob jedoch nicht den Blick von der Zeitung, die er mit der anderen Hand festhielt. »Hm, scheint als hätten wir heute Abend also nichts mehr zu tun«, stellte er galant fest und erwartete Arthurs Reaktion. Wenn nun wirklich alles nach Plan lief und nicht irgendwelche unerwarteten Ereignisse ihren Weg kreuzten, würden sie am Abend vor dem großen Coup noch einmal einen großen Schritt Abstand von ihrem Job nehmen können - womöglich bei Dinner mit Kerzenschein. Genau deswegen arbeitete Eames auch nur mit Profis zusammen. Alles andere machte einfach keinen Spaß. *Arthur* Gut, dann war das geklärt. Arthur ging in Gedanken alles durch, was auf seiner ToDo-Liste für den heutigen Tag stand. ‚Hm, scheint als hätten wir heute Abend also nichts mehr zu tun.‘ Arthur regte sich nicht, hielt nur kurz inne. Da hatte wohl jemand ähnliche Gedanken. Nur, falls sie essen gehen würden - wogegen er nichts hätte - dann würde er diesmal nicht von Eames' Seite weichen und ihn persönlich wohin auch immer ziehen. Er nickte nun leicht, blickte Tom schließlich an. "Wenn wir die Medikamente im Hotelzimmer ausgetauscht haben", sagte er nachdenklich, "dann haben wir den Abend frei. Jobs wird ab 19Uhr das Hotel verlassen, um Holmes zu treffen." Die Informationen waren gestern noch einmal durch ein Telefonat im Zimmer gesichert worden. Wenn er dann später zurückkehrte, würde er unwissend das falsche Insulin spritzen und der Prozess begann. Vorher würde er sicher die App befragen. Da wäre es wichtig, wenn Jesse sie so manipuliert hätte, dass es nicht nötig wäre, etwas zu spritzen. "Vielleicht sollte ich die Zeit nutzen, um ins Training zu gehen. Ich hab die letzten Tage viel zu viel gegessen", überlegte er mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen. Fragend blickte er den anderen an. "Hast du schon was vor?" *Eames* Er nickte langsam. Ein Hoch auf einen gut funktionierenden Point Man… Diese akribische Genauigkeit hatte eben doch seine Vorteile. »Wunderbar, also Fertigmachen um 6, Hineinschleichen ins Hotel um 7:15 und Dinner um 7:45, würde ich sagen.« Ein ganz normaler Sonntagabend. »Vorher Training klingt gut, aber du weißt, dass ich noch nicht zusammengewachsen bin, oder? Obwohl deine Sonderbehandlung natürlich wahre Wunder wirkt.« Er warf Arthur ein ganz spezielles Lächeln zu, wie es nur für ihn bestimmt war. *Arthur* „Klingt nach einem Plan“, bestätigte er die Terminierung ihres Dates. „Ich glaube, ich werde dich mit Handschellen an mich ketten, damit nicht wieder jemand verhindert, dass wir den Abend gemeinsam verbringen.“ Was auch immer geschah – er wäre dann wenigstens mit dabei. Wobei es vermutlich nicht gesund wäre für denjenigen, der versuchen würde, ihnen diesen Abend zu zerstören. Die Wut über den damaligen Abend trug er noch vergraben in sich. Als er die folgenden Worte hörte, blickte er aus dem Gedanken auf zu Tom. Das Lächeln des anderen traf ihn unvermittelt. Er hatte es nun schon hin und wieder zu sehen bekommen – jedes Mal löste es etwas in ihm aus, das ihn einerseits berauschte, andererseits verunsicherte. Das „Schau mich nicht so an!“, das er gerne in diesen Momenten sagte, schluckte er diesmal hinunter, hielt dem Blick sogar stand. Vielleicht sollte er dieses Lächeln einfach einmal als Geschenk annehmen und nicht davon ausgehen, dass Tom einen Hintergedanken hatte oder dieses Lächeln auch allen anderen Menschen schenken würde. Arthur beugte sich zu ihm und küsste ihn sanft, was das Kribbeln in seiner Magengegend nicht minderte. Dieser Mann löste in ihm Dinge aus, die er nie für möglich gehalten hätte. Seine Gedanken drifteten schon wieder in eine ganz andere Richtung als die eben beschlossene. Allerdings mussten sie am Vormittag das Finetuning über die Bühne bringen, um dann Zeit für sich zu haben. „Wir sollten das Training lieber in die Traumebene verlagern“, sagte er leise, als er den Kuss wieder löste. „Ich weiß nicht, wie lange das mit den Samthandschuhen noch gut geht…“ Er grinste leicht. Ja, Kuschelsex war ganz gut und schön, aber… wie auch immer. „Ich werde vorher ein wenig joggen gehen, während du deine Rippen schön weiter zusammenwachsen lässt (das „Mein Mimöschen“ ließ er lieber weg, um nichts zu provozieren), und dann trainieren wir bei dir im Traum.“ Die letzten Tage waren sie nur bei ihm unterwegs gewesen, um die Traumebenen zu testen und ein paar Sachen auszuprobieren, die Arthur sich überlegt hatte. Heute würde er zu gerne seine Wetter-Theorie überprüfen… Kapitel 36: Barcelona Fight Club -------------------------------- *Arthur* Die Besprechung dauerte doch etwas länger als gedacht. Nachdem Jesse partout nicht einsah, weshalb er nachmittags und abends kurz verfügbar sein solle, während Jobs an seinem Insulin herumdokterte, kam Yusuf schließlich die Idee, die Insuline einfach gegen Kochsalzlösung auszutauschen und damit den Zustand der Überzuckerung zu provozieren. Warum so kompliziert, wenn es doch auch viel einfacher ging?! Hätte das nicht früher mal bemerkt werden können? Wenn er so undurchdacht arbeiten würde, … Wie auch immer: So könnten sie auf die Manipulation der App komplett verzichten. Yusuf versprach die entsprechenden Ampullen vorzubereiten. Das änderte allerdings das Zeitmanagement etwas, denn nun musste Tom wohl noch einmal zu ihm, was aber auch ok war, denn Arthur mussten auch das Chip-Double bei seinem Bastler abholen. Ansonsten gingen sie bei der letzten Besprechung noch einmal den Ablauf durch: Sobald die Medikamente ausgetauscht waren, begann der Countdown. Sie würden zeitig im Hotel sein müssen, falls Jobs bereits früher Schwierigkeiten bekommen würde und sie dadurch anders anfangen mussten. Wenn alles nach Plan verlief, würde Jobs um 9:45 mit Foster hinunter in den Spa-Bereich gehen. Foster wartet im Normalfall vor der Tür und es findet keine Kommunikation statt. Ross hatte sich die Termine von Jobs extra zuschustern lassen und beschrieb ihn als unkomplizierten Kunden, der nur gern ein wenig fester angepackt wurde. Der Masseur wird Jobs noch empfangen und bitten, kurz zu warten. Jobs sollte bereits da Probleme mit dem Kreislauf haben und sicher etwas zu trinken wollen, wenn man es ihm anbot, was Arthur übernehmen wird. Anschließend konnten sie Arthurs Traumebene betreten. Jobs würde in seinem Hotelzimmer ‚aufwachen‘. Dann würde die Extraktion beginnen. Sobald sie wussten, wie man an den Chip kam, konnte Eames aus dem Traum verschwinden, um den Chip bestenfalls an einen Laptop anzuschließen, um die Daten hinüberzuziehen oder – je nachdem, wie es lief – gegen ihre Attrappe auszutauschen. Dann war Jesse an der Reihe. Yusuf und Arthur würden in der Zwischenzeit dafür sorgen, dass Jobs sein Insulin bekam und seine Massage regulär beendete. Für Jobs würde es hoffentlich nur so aussehen, als sei er kurz eingenickt. Die Möglichkeiten, die sie im Traum hatten, Jobs in die Enge zu treiben, waren vielfältig. Eames ließ sich nicht auf eine Strategie festlegen. Aber Arthur vertraute auf seine Fähigkeiten. Tom wusste, was er tat – für alles andere würde er einspringen. Es wird alles klappen, daran wollte Arthur glauben. Danach war Tom dann hoffentlich die Schatten los, die ihn verfolgten. -------- Als er am Nachmittag nach Hause kam, war Tom noch nicht von Yusuf zurück. Diesmal hatte jener ihm eine kurze Nachricht geschrieben (War da jemand lernfähig?), deren Inhalt ihm bestätigte, dass alles nach Plan verlief und Tom bald zurück wäre. Vermutlich hatte jener sich nur verquatscht. Yusuf ließ deutlich verlauten, dass er New York den Rücken kehren wollte. Eames war ein dankbarer Zuhörer, schließlich ging es Tom nicht anders. Zumindest hörte man es zwischen den Zeilen heraus. Arthur war klar, dass die beiden so bald wie möglich nach Kenia zurückkehren würden. Er sah es in Eames‘ Blick, wenn die beiden miteinander sprachen. Er sah die Sehnsucht. Das Gefühl, das dieser Gedanke auslöste, war wenig angenehm. Aber er hatte Tom versprochen, ihn nicht einzusperren. Er konnte es ohnehin nicht. Es war sein Teil der Abmachung, wenn ihr something bestehen sollte, wie es aktuell war. Arthur hatte gestern einmal nachgesehen, wann Flüge gingen und wieviel wohl drei Tickets kosten würden. Wenn er nicht noch eine weitere Woche aus der Arbeit fernblieb, sondern direkt nach Jobs anfangen würde, Ariadne zu helfen, könnte er vielleicht wirklich einfach mitkommen - zumindest für ein, zwei Wochen. Hab ein ‚Geschenk‘ für dich in der Küche platziert. Bin laufen. Bis gleich! A Er platzierte den Chip auf dem Küchentisch, dann zog er sich um und ging rennen – joggen konnte man das nicht nennen. Es tat gut, den Kopf frei zu bekommen. Er freute sich schon auf den Rest des Tages. *Eames* Da Yusuf keinen Alkohol trank, blieben sie bei Tee und sie quatschten neben dem anstehenden Job natürlich auch über ihre Pläne danach. Eames wäre sicherlich der erste, der zurück nach Kenia fliegen würde, aber Yufus würde folgen, das war sicher. Auch Eames dachte bereits darüber nach, Arthur mitzunehmen, machte sich jedoch nicht allzu große Hoffnungen. Tatsächlich offenbarte er sich sogar teilweise vor Yusuf, der ein wenig überrascht, aber mit großem Verständnis reagierte. »Die Zeit wird zeigen wie gut das funktioniert«, ließ er seinen weisen Spruch des Abends ab. Leider konnten sie dieses Gehabe beide nicht ernst nehmen und lachten herzhaft über Yusufs Version eines muslimischen Buddhas. Zuhause angekommen war die Bude leer. Das einzige was er von Arthur fand, war eine kleine Notiz in der Küche und die Attrappe des Chips. Er wog das Ding in den Händen und betrachtete es ausgiebig. Das könnte wirklich klappen. Danach goss er sich ein Glas Whisky ein und schlenderte durch Arthurs Schlafzimmer, bis hin zu seinem Büro, wo er von den schmeichelhaften Zeichnungen von sich, über die Uhr, bis hin zu Arthurs ausgetüftelten Pinnwand kam. Er konnte schon verstehen, wieso manche Menschen von Arthurs Perfektion eingeschüchtert waren. Genauso gut verstand er, wieso ein Kerl wie Cobb Jahre lang Profit aus Arthurs zwanghaftem Drang geschöpft hatte, jedes Detail einer Sache zu erfassen. Wahrscheinlich gab es keine guten Point Man ohne eine vergleichbare Zwangsstörung, aber das war nur eine klischeehafte Theorie. Als Arthur endlich vom Laufen nachhause kam, fiel es Eames schwer ihn allein der Dusche zu überlassen. Der Gedanke an Arthurs schwitzigen, aufgeheizten Körper ließ ihn beinahe die Kontenance verlieren und alle Pläne über Bord schmeißen. Eine Liaison mit einem Job zu verknüpfen, war echt keine leichte Angelegenheit... viel zu gern, verschoben sich die Prioritäten. Am Ende schaffte Eames es, seine Hände von Arthur zu lösen und sein Point Man ging allein duschen. In der Zeit bereitete er den P.A.S.I.V. im Büro vor. »Hmm, das Shampoo hab ich heute auch benutzt. Gute Wahl«, bemerkte er, während er Arthurs' Vene suchte und nebenbei ganz unauffällig an ihm roch. Ihm war klar, wie provokant diese Aussage war... Arthur war eigentlich nicht erfreut darüber, dass Eames ständig seinen Kram benutzt. Aber ein paar Sticheleien waren wie Öl in ihrem Getriebe, wenn sie kurz davor waren, sich zu prügeln. *Arthur* Die Vorfreude auf den Abend wurde sicher nicht weniger, als Arthur sich schließlich doch noch Eames' Armen entwand und unter die Dusche verschwand. Dass jener ihn sogar verschwitzt und stinkend anziehend fand, war seltsam. Aber ging es ihm anders? Wie oft hatte er bei ihrem Training früher Schwierigkeiten gehabt, die Fassade des Unberührten aufrecht zu halten, wenn Eames verschwitzt vor ihm gestanden hatte? Ziemlich oft. Meist war er irgendwie geflohen. Oder Eames hatte seine Irritation doch ausnutzen können und ihn auf den Boden der Tatsachen geholt – dass er sich ihm gegenüber keine Unaufmerksamkeit erlauben durfte, ohne anschließen Häme zu ernten. Arthur wusste, dass er sehr glücklich sein wird, wenn sie den Job erledigt hatten und Job und Privatleben wieder getrennte Bereiche in seinem Leben waren. Sie waren vermutlich wirklich ein gutes Team und morgen würde sich das auch wieder zeigen. Aber ihr something änderte doch einiges. Seine Sorge war deutlicher spürbar, seine Konzentration nicht immer voll da, sein Fokus leichter ablenkbar. Ob sich das mit der Zeit auch ändern würde? Wenn diese erste Zeit vorbei war? Sie würden es sehen. ‚Hmm, das Shampoo hab ich heute auch benutzt. Gute Wahl.‘ Arthur hob eine Augenbraue, sein Schmunzeln wurde dunkel, sein Blick etwas stechender. Er verzog keine Miene, als Eames ihm nun den Zugang legte. War ja klar, dass die "Null-Reaktion" am Morgen eine "Trotzreaktion" später nach sich ziehen würde. Eames war in diesen Dingen sehr konsequent - alles wurde irgendwann wieder hochgezogen und einem auf dem Silbertablett serviert. In diesem Punkt würde er aber nicht nachgeben. Arthur erwiderte nichts, stellte den Timer ein, dann blickte er Eames wieder an. "Go to sleep, Mr Shampoo! Wir diskutieren gleich auf einer anderen Ebene..." Kaum war Eames eingeschlafen, lehnte er sich zurück und folgte dem anderen. Es war Zeit auszuprobieren, was ihr something bei ihrem Training änderte. Diesmal würde er sich definitiv nicht verprügeln lassen. Er war besser geworden, schneller, stärker. Zeit, das einmal wirklich zu zeigen. *Eames* Auf der anderen Ebene bewies Eames das, was Arthur sicher längst vermutete: er würde New York bald verlassen, um nach Hause zugehen. »Tut mir leid, ich werde wohl etwas nostalgisch.« Sie liefen die zweigeteilte Moi Avenue entlang, direkt auf die vier riesigen Stoßzähne zu, die wie zwei Bögen aus dem Boden ragten. Für Eames waren sie Tore in die Freiheit, jedes Mal wenn er nach langer Zeit nach Hause zurückkehrte. Die Luft erschien schwer, irgendwie staubig oder sandig und der Himmel war überzogen von einer hellgrauen Wolkenschicht, die sich hier und da öffnete, um Fragmente eines blauen, klaren Himmels zu entblößen. Alles in allem war es jedoch warm. Um sie herum herrschte reges Treiben, aber die Rushhour schien bereits vorbei zu sein. Die Sonne neigte sich nach Westen. Bevor sie die imposanten Stoßzähne erreichten, führte Eames seinen Gefährten weg von der Hauptstraße in eine verzweigte Nebenstraße, über bröckelnde Stufen und durch enge Gassen, bis sie den „Barcelona Fight Club“ erreichten. Der Eingang war recht unscheinbar, zwischen den teils hell gestrichenen, teils maroden Gebäuden und man schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit, als sie hindurch schritten. Im Innern befanden sich einige, äußerst altmodische Trainingsgerätschaften, die durch ständige, liebevolle Pflege instand gehalten worden waren. Die Polster der Bänke waren an den Ecken zerfranst und mehr als einmal gerissen und wieder geflickt worden. Das Holz glänzte und matte, teils aufgesprungenen Fließen auf den Boden ließen ein ehemals rotgelbes Muster vermuten. In der Mitte des großen Raumes befand sich ein altmodischer Ring. Es roch leicht nach erkaltetem Schweiß, trockenem Staub und Politur. Man könnte durchaus meinen, dass Eames etwas Besonderes daraus machte. Schließlich spiegelten ihre intensiven Trainingseinheiten einen Teil ihrer Beziehung wieder. Es gab also keinen Grund nicht das volle Maß seiner intuitiven Kreativität für diese Sessions auszukosten. »Wenn du willst binde ich mir den rechten Arm auf den Rücken, ich bin heute in Gönnerlaune.« *Arthur* Dass er so bald nach Mombasa kommen würde, war erstaunlich. Noch erstaunlicher war, dass er sich rundum wohlfühlte — anders als das erste Mal in Eames‘ Traum. Am aller erstaunlichsten war jedoch die Wärme, die ihn empfing, nicht unangenehm, aber ungewohnt. Er schmunzelte. Ob jener ihn jemals hierher mitgenommen hätte, wenn sie nicht ihr something hätten? Letztlich spielte es keine Rolle. Arthur hatte legerere Klamotten an, spürte eine ungewohnte Entspannung in sich. Mit interessiertem Blick ließ er die Stadt, die Straße auf sich wirken. „Ich kann verstehen, dass du es vermisst“, sagte er schließlich, nachdem er lange nichts zum Thema Nostalgie gesagt hatte. Er überlegte, ob er sein Versprechen, ihn nicht aufzuhalten, wiederholen sollte. Aber er ließ es. Stattdessen sagte er nur: „Bald haben wir den Job hinter uns.“ Danach war Eames wieder frei. Danach würde er gehen können, wenn ihn nichts weiter hielt. Arthur wusste schon jetzt, dass er dann erst einmal ins Büro ziehen würde, um nicht in seiner Wohnung sein zu müssen und der Stille zu lauschen, die ihm sonst vertraut war, ihn dann aber erschlagen würde Der Fight-Club passte zu Tom. Dazu, wie er vermutlich in Kenia trainierte, aber auch dazu, wie er in England trainiert haben könnte. Verglichen mit seinem Trainingszentrum war es alt und heruntergekommen. Aber es hatte zumindest Persönlichkeit und jede Macke in diesem Laden hatte eine Geschichte zu erzählen. Das Lächeln auf seinen Lippen erstarb erst, als er Eames‘ Spruch hörte. „Deine Gönnerlaune kannst du dir sonst wohin stecken“, erwiderte er trocken. Arschloch! - fügte sein Blick hinzu. Er griff nach einer der Trainingstaschen, die wie zurechtgestellt dastanden. Es war seine Tasche, die er in New York hatte. Dann ging er sich umziehen. Sie nahmen sich sogar die Zeit, sich etwas aufzuwärmen. Arthur genoss die Ruhe, die er in sich spürte. Irgendwie fühlte sich das vollkommen anders an als bisher. Als sie in den Ring stiegen, spürte er die unverhohlene Vorfreude auf sein Zwerchfell drücken. „Na, alter Mann“, sagte er leichthin. „Ich hoffe du weinst nachher nicht!“ *Eames* Dieser Drahtseilakt zwischen verletztem Stolz und unterirdischem Humor war Eames wie immer eine diebische Freude. Erst Recht, wenn er dafür Blicke erntete, die jeden Normalsterblichen umgebracht oder zumindest versteinert hätten. Alles Taktik. Eames kam in schlichter Trainingsmontur aus der Umkleide zurück; schlichte, schwarze Boxing-shorts und das dunkelgraue Shirt, das vor Ewigkeiten an einem Flughafen in Spanien verloren hatte und ungefähr einen Monat gesucht hatte, bis ihm diese Tatsache bewusst geworden war. Ein einfacher Schriftzug stand ihm quer über die Brust geschrieben: „Get back to work“. Na wenn das nicht ihre momentane Lage parodierte, dann wusste er auch nicht. Natürlich traf ihn „alter Mann“, aber wenn Arthur ihn aus der Fassung bringen wollte, brauchte es schon mehr als solche süßen Sprüche. Er hob die Arme und lächelte ihn durch die Barriere seiner eigenen Fäuste hindurch an. »Und wenn, kenne ich jemanden, der sich liebend gern um mich kümmert.« Er täuschte an, nahm einen Schritt wieder zurück, nur um dann schnell nach vorn zu stoßen, nur um sein Ziel zu verfehlen. Es brauchte wohl eine schwierigere Denkaufgabe, um seinen Point Man aus dem Konzept zu bringen; schade aber auch. *Arthur* Sollte das Shirt ihn darauf aufmerksam machen, dass sie eigentlich etwas anderes zu tun hatten? Sollte es ihm ein schlechtes Gewissen machen? Er hatte die vergangenen vier Tage sich reingehängt, damit sie eben genau das hier einfach machen konnten, ohne schlechtes Gewissen. Was waren da schon 15Minuten, die sie immerhin in drei Stunden verwandeln konnten. Er trug seine normalen Trainingsklamotten, eine schlichte Hose, ein Shirt, das sich ganz gut an seine drahtige Figur anpasste und recht kurze Ärmel hatte. Auch er hob die Arme, lachte leicht. „Kaum zu glauben, aber solche Idioten soll es wohl geben…“, antwortete er, während er dem Schlag auswich. Zeit sich zu konzentrieren. Sein Blick fokussierte sich, seine Sinne schärften sich. Das war das Schöne an der Traumebene. Sein Verstand war schärfer als in der Realität. Diese Tatsache half ihm ungemein. Schließlich konnte er an Masse und Kraft nur bedingt etwas ausrichten, wohl aber wenn er genau hinsah und Eames Bewegungen voraussah. Und indem er einsteckte, ohne den Schmerz richtig zuzulassen. Das hatte er lernen müssen, Tom hatte es ihm vorgemacht. Sie umrundeten sich, täuschten an, brachen immer wieder hervor, ohne sich ernsthaft zu treffen. In einem Ring war es anders als einfach auf der Straße oder in einer Halle. Die Seile waren eine Begrenzung. Arthur musste aufpassen, dass er nicht irgendwann in ihnen hing und sich nicht mehr befreien konnte. Gegen Toms Masse würde er wenig Chancen haben, da wieder herauszukommen. Aber man konnte die Seile auch nutzen. Genau das tat er, als Tom ihn mit einigen schnellen Schlägen zurückdrängte, manche saßen, andere blockte er gut ab. Im richtigen Moment öffnete er die Deckung, ließ sich bewusst nach hinten fallen, um aus den elastischen Bänder mit Schwung nach vorne zu schnellen und einen Schlag anzutäuschen, dann aber abtauchte, um Eames mit einem gezielten Tritt das Standbein wegzuziehen und ihm mit dem Ellbogen in seine Niere zu schlagen. Blöd war, dass er dadurch seine Drehung etwas langsamer wurde und es verpasste, noch einmal nachzutreten, um Tom ganz auf den Boden zu schicken. Immerhin hatte er ihn kurz in die Knie gezwungen. „Nett, dass du vor mir auf die Knie gehst.“ Er hüpfte auf der Stelle, wartete, dass Tom wieder stand, hob erneut die Fäuste. *Eames* Das Manöver war gut, hätte von ihm sein können. In der Tat wäre der Schwung durch die Bänder mit seiner Masse auch ein gänzlich anderer gewesen (wobei Arthur mittlerweile auch kein komplettes Fliegengewicht mehr war). Nichtsdestotrotz sackte er nach den Treffern zusammen und musste sich mühsam wieder aufraffen. Er knackte die Nackenwirbel und lockerte die Schultern, ehe er sich Arthur wieder entgegenstellte, seine übliche Ausgangshaltung einnahm. »Wenn du willst, dass ich dir einen Antrag mache, musst du es nur sagen, my love«, seine Tonlage verriet, dass er nicht begeistert war. Abermals bewies Arthur, dass er viel dazugelernt hatte und längst nicht mehr auf Lehrstunden bei ihm angewiesen war. Er probierte es mit ein paar schnellen rechts-links-Kombis, locker, flockig, aber Arthur war einfach zu schnell. Ein durch und durch beängstigender Gedanke, dass er ihn mittlerweile so leicht zu durchschauen schien und in Eames wurde wieder diese Stimme laut. Die Stimme, die ihm dazu riet abzuhauen - so schnell er nur konnte. Es war nämlich nicht nur die Angst davor, Arthur Kummer zu bereiten, sondern auch die leise Furcht, irgendwann nicht mehr der undurchschaubar Überlegene zu sein. Irgendwann keinen Wert mehr zu besitzen, wenn man es auf das Mindeste reduzierte. Letztlich landete er doch einen Treffer mit der Faust und zwar an derselben Stelle, die Arthur zuvor mit seinem Ellbogen bei ihm getroffen hatte. Das erste Mal, dass er wirklich traf und auch das Gefühl hatte, effektiv Schaden zu machen. Dafür hatte er selbst abermals eingesteckt. Arthur war gut mit Tritten und die Stelle am Ellbogen, wo er ihn getroffen hatte (beziehungsweise, da wo er sich unglücklich verteidigt hatte) wurde bereits blau. *Arthur* Arthur lachte spöttisch, lachte damit seine kurze Irritation weg. Er wusste anhand der Wortwahl, dass es keine Bedeutung hatte, nur ein dummer Spruch war. War das nicht eine ganz ähnliche Antwort wie auf seinen Vorwurf, dass er sich vor einem halben Jahr nicht einmal die Zeit genommen hatte, ihm Tschüss zu sagen? Dennoch. Ein Antrag?! Er sollte um den Antrag bitten?! Gut, er hatte die Assoziation provoziert. Aber... Unabhängig davon, dass er Hochzeiten sinnlos und überflüssig fand. In dem Moment, in dem er den anderen darum bitten müsste, dass er ihm einen Antrag machen solle, würde er sich lieber trennen. Entweder der andere kam auf die Idee, oder eben nicht. Dass er mit diesem Gedanken doch im Grunde eine romantische Vorstellung davon hatte, ignorierte er lieber. Für sich konnte er ohnehin ausschließen, dass er selbst je so etwas machen würde - jemandem einen Antrag machen. Allerdings war Tom nicht irgendjemand. However. Hier hatte das Thema keinen Platz. „Keine Sorge, Honeybunny!“, antwortete er im Affekt. „Käme mir nicht in den Sinn.“ Der dunkle, ja fast bedrohliche Ton in Eames’ Stimme, das Lockern der Schultern, das Knacken der Halswirbel - jetzt begann der Kampf wirklich. Arthur hob die Hände, wartete gelassen auf den anderen. Dennoch warnte ihn eine Stimme: er sollte es nicht eskalieren lassen, nicht schon wieder. Aber sein Ehrgeiz, zu beweisen, wie hart er die letzten Jahre auch ohne Tom trainiert hat, war groß. Es ging nicht darum, ihn besiegen zu wollen. Er wusste, was das für das Ego des anderen bedeuten würde - unabhängig davon, dass eben dieses Ego eine Niederlage zu keinem Preis zulassen würde und sich Tom vermutlich eher alles brechen ließ, als aufzugeben. Und das wollte er in keiner Weise! Im Grunde ging es ihm nur darum, Anerkennung zu bekommen von dem Mann, der ihm das Wesentliche beigebracht hatte, der ihn hochgezogen hatte, den er... mit dem er... something hatte. Arthur schlug sich gut, war geschmeidig, entkam Tom immer wieder. Seine Tritte waren gut. Kickboxen war nun mal seine Stärke. Es hielt den anderen aber nur bedingt auf Abstand. Und wenn Tom an ihn herankam, musste er selbst einstecken. Der Schlag in die Niere, ließ seine Knie weich werden, doch er hielt sich aufrecht, hielt nur seine Seite, deutete, dass er eine kurze Auszeit brauchte. Er schloss die Augen und atmete bewusst den Schmerz weg. Seine Fäuste pochten, seine eine Schulter schmerzte, am Auge beim Wangenknochen fühle es sich leicht geschwollen an, Schweiß rann ihm von der Stirn, sein Herz schlug kräftig. Es fühlte sich richtig gut an. Selten fühlte er sich so lebendig. Schließlich richtete er sich wieder auf, lockerte die angespannten Muskeln, atmete tief durch, bevor er wieder die Fäuste hob. „Noch ein bisschen, Unbezwingbarer.“ Sie umrundeten sich, Arthur versuchte weiter, durch Schnelligkeit zu punkten. Sie triezten sich. „Vielleicht sollte ich für deine Klamotten keinen Weichspüler verwenden...“, griff er ihr Streitgespräch von vorhin wieder auf. „Der Schongang scheint dir nicht gut zu tun.“ Er tänzelte, blieb in Bewegung. Aber dadurch bewegte er sich auch mehr als Tom, zehrte mehr an seinen Kräften, an seiner Kondition. Er spürte, dass er außer Atem kam. Der Schmerz in der Seite war nicht gänzlich verschwunden. Weitere Treffer schwächten ihn. Aber es machte ihm zu viel Spaß, um zu sagen, dass es genug war. Gut war erst, wenn er wirklich nicht mehr konnte. Im Traum konnte die Vernunft besser schweigen. Arthur griff an, zielte aufs Gesicht des anderen doch Tom duckte sich weg. Im nächsten Moment rammte wurde ihm eine Schulter in den Bauch gerammt, wurde er hochgehoben. Krachend knallte er mit dem Rücken auf den leicht federnden Boden. Arthur japste nach Luft, merkte wie seine Augen schwammen. Der Schmerz ließ ihn stöhnen. Dann hob er instinktiv die Hände vors Gesicht, als er das Gewicht auf seinen Oberschenkeln spürte, die Knie des anderen an seiner Hüfte. Tom hatte sich so auf ihn gesetzt, dass er seine Beine nicht mehr für eine Klammer würde einsetzen können. In einem Fight war das der Moment, in dem er an Eames‘ Stelle nun auf den Kopf seines Gegners einschlagen würde, bis der Richter ihn herunterziehen würde oder der Gegner abschlug. Im Kampf - nicht im Training. Hatte er Tom zu viel gereizt? Hatte er ihn wieder wütend gemacht? Er hoffte es nicht. Dennoch sollte er vielleicht etwas sagen, das die Situation entspannte, oder? Sonst würde es wieder so enden, wie bei ihrem letzten Training. Und der Schmerz, den er in Toms Gesicht gesehen hatte, während er ihn in den Armen gehalten hatte, wollte er eigentlich nie wieder sehen, solange sie ihr something hatten. „Wenn du mich flachlegen willst, hättest du doch nur etwas sagen müssen, my...“ Er blinzelte zwischen den Fäusten hindurch, versuchte Toms Blick einzufangen. Er zögerte, bevor er etwas flüsterte, was vermutlich „Love.“ heißen könnte. Er plapperte ja nur nach. Seine Stimme war kratzig, sein Hals trocken. Er atmete heftig. Provokant hob er leicht die Hüfte gegen Tom - soweit er es überhaupt konnte. „Die Stellung gefällt mir schon mal...“ *Eames* ‚Der Schongang scheint dir nicht gut zu tun.‘ Er hüstelte ein trockenes Lachen. Arthur hatte eine ebenso ausgeprägte provokante Seite, wie er selbst, aber Eames war weit von Wut entfernt. Trotz seiner albernen Bedenken bezüglich ihres Machtgefälles. Er genoss es sogar, sich ärgern zu lassen. Diese Art von Spielen war ein großer Teil ihrer Beziehung und es weckte Eames Ehrgeiz und sein Lust diesem frechen Stück die Leviten zu lesen – natürlich auf die sexy Art und Weise. Sie tänzelten noch ein paar Runden um einander herum und auch Eames steckte noch ein paar unangenehme Tritte und Schläge weg, ehe er seinen Point Man zu fassen kriegte und ihn auf die Matte legte. Im Punkt Masse hatte er noch immer einen unbestreitbaren Vorteil, den er in diesem Fall schamlos ausnutzte. Er blickte mit teuflischem Grinsen auf ihn herab. Der Schweiß stand ihn im Gesicht und sein Atem ging heftig, während er versuchte Arthur zu fixieren. Dass Arthur eine seiner klassischen Floskeln gebrauchte, machte ihn auf verstörende Weise an. Die Hüfte, die sich angenehm gegen ihn drückte, verstärkte das Gefühl. Erstaunlich wie leicht sie dort landeten... aber irgendwie auch typisch. Libido war auf beiden Seiten stark ausgeprägt und wer könnte es ihnen verübeln? Hatten sie nicht beide acht Jahre aufeinander gewartet? Kämpfen und Sex war ja auch nicht allzu weit voneinander entfernt – nicht bei ihnen. »Seit wann muss ich denn etwas sagen, um dich rumzukriegen?«, raunte er und biss ihm neckisch in die Unterlippe. Salzig. Unter sich spürte er Arthurs Herz genauso heftig gegen seine Brust schlagen, wie sein eigenes. Die Hand, die Arthurs Arm fixiert hatte, griff noch etwas fester zu; sein Körper rieb sich schwer an Arthurs und hielt ihn effektiv am Boden, während er kleine, freche Bisse unter lustvollem Keuchen auf Arthurs Halsseite verteilte. * Arthur * Die Schläge blieben aus, offenbar war alles gut. Das Grinsen des anderen zeugte ebenfalls davon. Sehr gut. Arthur spürte, wie die Erleichterung andere Gefühle zuließ, Gefühle, die eher in seinem Magen zu finden waren, ein Kribbeln, dass sich nur zu gerne in weitere Tiefen hinabbegab. Eames versuchte seine Handgelenke zu fassen zu bekommen, was ihm schließlich auch gelang. Arthur versuchte sich zu wehren, aber nur aus Prinzip. Im Grunde machte ihn das auf erstaunliche Art und Weise gerade verdammt an. »Seit wann muss ich denn etwas sagen, um dich rumzukriegen?« Arthur grinste. "Früher hast du mich stets gefragt - mehr oder weniger höflich! Die guten alten Zeiten..." Eames hatte früher oft gesagt (mehr oder weniger deutlich), dass er mehr wollte. Besonders, wenn sie besoffen aus irgendeiner Bar hinausgewankt waren. Er hatte sich oft darin geflüchtet, vorzugeben, dass er kein Interesse an Männern hatte. Wirklich geglaubt hatte ihm das der andere vermutlich nie. „Wenn du weiterhin so frech bist“, sagte er und wand sich erneut unter ihm, versuchte sich zu befreien, „sollte ich dich vielleicht nicht mehr so zuvorkommend beha…ngh.“ Er streckte den Hals ganz automatisch, seine Augen schlossen sich, die Gegenwehr wurde weniger. Verräterischer Körper! „Kaum sind dein Rippen ganz, wirst du unverschämt…“ Er drehte den Kopf und erhaschte die Lippen des anderen, zog ihn in einen Kuss. Eames verlagerte so ganz automatisch sein Gewicht nach vorne und Arthur nutzte die Chance, seine Hüfte leicht zu drehen, ein Bein aufstellen. So versuchte er sich gemeinsam mit Eames zu drehen, den Griff an seinem Handgelenk nutzend, um auch Kraft gegen den Oberkörper des anderen auszuüben. *Eames* ‚Die gute, alte Zeit!‘ – Eames war sich nicht so sicher, wie gut die Zeit wirklich gewesen war - im Vergleich zu dem, was sie jetzt hatten. Immerhin hatte es auch viel Frust für ihn bedeutet. Wie er mittlerweile wusste, war es für Arthur (wenn auch aus anderen Gründen) ähnlich schwierig gewesen – ein winzig kleiner Trost. »Zuvorkommend?«, keuchte amüsiert. Es war anstrengend Arthur da zu behalten, wo er ihn haben wollte. Und das trotz Schwerkraft als Vorteil auf seiner Seite. Letztendlich befanden sie sich noch immer in einem Traum – es war durchaus möglich an physikalischen Gegebenheiten herumzuspielen. »Ich glaube, ich wüsste, wenn du zuvorkommend zu mir wärst«, neckte er ihn weiterhin und verlor alsbald den Halt. Arthur hebelte ihn aus und wuchtete ihre ineinander verhakten Leiber herum, so dass Eames auf seinen breiten Rücken knallte. Im letzten Moment ließ er sich sogar gern nach hinten fallen – er mochte den Aufprall auf dem leicht nachgebenden Boden des Rings. Nun der Unterlegene, verlor sein Blick keinen Funken der diebischen Freude. Er ließ Arthur bereitwillig die Oberhand und aalte sich unter ihm, als versuchte er noch mit halber Kraft zu entkommen. In Wahrheit nutzte er nur die Chance erneut ihre Körper aneinander zu reiben. Von Arthur begehrt zu werden, brauchte er mehr als die Luft zum Atmen. »Küss mich, sonst werde ich gleich wirklich unverschämt«, forderte er ihn auf. Eine Niederlage auf diese Art Weise, war merkwürdigerweise OK – für dieses Mal. *Arthur* Arthur lachte leicht. Es fühlte sich so gut an, auf diese Weise kommunizieren zu können, dieses Spiel zu spielen und sich dabei einfach treiben lassen können, ohne letztlich abblocken zu müssen. Stattdessen trieben sie diesen ‚Kampf‘ in eine Richtung, die in absoluter Befriedigung enden würde, ersehnter und lieben gelernter Befriedigung. „Ich bin immer zuvorkommend, nur vielleicht nicht immer zu dir…“ Mit diesen Worten hebelte er Tom tatsächlich herum, kam schließlich auf ihm zu sitzen. Sein Körper schmiegte sich an den des anderen, ein Keuchen entwich ihm, als er Toms Erregung an seiner eigenen nur zu deutlich durch den dünnen Stoff ihrer Shorts spürte. ‚Küss mich, sonst werde ich gleich wirklich unverschämt.‘ Arthur hielt Tom seinerseits fest, halbherzig zugegebenermaßen, weil er merkte, dass jener sich nur bedingt wehrte. Arthur biss sich auf die Unterlippe, betrachtete die Lippen des anderen und zog den Kopf zurück, als er merkte, dass jener ihm entgegenkam. „Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?“, raunte er dunkel, bevor er ihn nun endlich küsste. Er hatte noch nie Sex in einem Traum gehabt. Es war berauschend. Es fühlte sich intensiver an, sofern das möglich war. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass sie keine Rücksicht auf verheilende Rippen nehmen mussten. Das nutzten sie aus. Vermutlich würde er sich in den Wochen oder Monaten nur zu gerne daran erinnern, wenn Eames in der Welt unterwegs war und er sich einsam fühlte. Vermutlich würde er dann die Menschen besser verstehen, die Yusuf aufsuchten, um ein wenig glücklicher sein zu können. Kapitel 37: Way down we go -------------------------- *Arthur* Es klingelte an der Tür, als Arthur sich gerade für ihr Abendessen angezogen hatte. Irritiert kam er aus dem Schlafzimmer und ging zur Tür, blickte durch den Sucher. „Mach auf, ich weiß, dass du da bist“, hörte er die Stimme seiner Schwester. Arthur öffnete die Tür. „Hey Tricia!“, sagte er und stellte sich in die Tür. Irritiert blickte sie ihn an, blickte an ihm vorbei. „Hast du Besuch?“, fragte sie erstaunt. Arthur erwiderte nichts. „Ich bin auf dem Sprung“, antwortete er, als sie ihn abwartend ansah. „Wie kann ich dir helfen?“ Sie lächelte. „Natürlich“, sagte sie mit einem Seufzen in der Stimme und hochgezogenen Augenbrauen. Der Vorwurf des „Du hast ja eh nie Zeit“ schwang mit. Sie drückte ihm einen Briefumschlag in die Hand. „Das ist die Rechnung vom Elektriker“, erklärte sie. „War gut, dass du was gesagt hast. Auch wenn Dad behauptet, dass das alles ganz harmlos war. Der Elektriker hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und sich gefreut, die Rechnung schicken zu können.“ Arthur nahm sie und nickte. Er spürte, dass Tricia noch nicht zu Ende war. „Kommst du nun am 21.?“ Arthur schwieg. Würde er kommen? Zu dem Zeitpunkt war Tom ganz sicher schon wieder weg. Ihm ging es gut, besser auch in diesem Punkt, seitdem er Tom gezeigt hatte, was damals passiert war. Aber eigentlich wollte er ja vielleicht auch nach Mombasa. Vielleicht wäre er an seinem Geburtstag bei Tom und sie würden sich die Kante geben, auf Enya anstoßen und seit langem mal wieder würde er seinen Geburtstag feiern mit Menschen, die sich über sein Dasein freuten. War das vermessen? „Ich weiß es noch nicht“, antwortete er ehrlich. „Vielleicht bin ich gar nicht in New York.“ Sie nickte nachdenklich. „Vielleicht sollten wir mal was gemeinsam trinken gehen“, sagte sie schließlich mit einem seltsamen Ton in der Stimme. Arthur sah sie überrascht an, lächelte sogar. „Hm, das wäre schön.“ *Eames* Die Stimme an der Tür machte Eames natürlich neugierig. Er tat so, als hantierte er an seiner Reisetasche herum, die noch immer im Wohnzimmer stand, um besser zuhören zu können. Schien eine Verwandte oder zumindest eine enge Bekannte zu sein – kein Grund also auf irgendetwas eifersüchtig zu sein, entschied er. Nur irgendwie eigenartig, dass Arthur sie nicht hereinließ, oder ihn vorstellte. Darauf könnte er später zurückkommen, dachte er. Er selbst war gerade eben halb fertig. Immerhin hatte er bereits eine Hose an. Nach einer weiteren ‚freundlichen‘ Aufforderung seines Liebsten, zog sich Eames dann auch weiter an und striegelte sich das Haar. Wenn sie schon ausgingen, dann wollte er natürlich was hermachen. Zwar war Arthur nur halb mit dem ausgewählten Hemd zufrieden, aber damit würde er wahrscheinlich für immer leben müssen. Irgendetwas stimmte mit seinem Kreislauf nicht... er fühlte sich schwummrig, nicht auf der Höhe, doch er tat sein Bestes Arthur dies nicht merken zu lassen. Vielleicht fehlte einfach Zucker. Er nahm eine Tablette und machte sich mit Arthur auf den Weg. Candela grüßte Eames zunächst herzlich mit einer Umarmung. Darauf achtend nicht von Arthur gehört, oder zumindest nicht verstanden zu werden, steckte er ihr, dass dies ein Date war, woraufhin Candela strahlte und beiden Herren kommentarlos einen Kuss auf die Wangen drückte. »Körperlicher Typ Mensch«, kommentierte Eames, als Candela vorging und für sie beide einen passenden Platz heraussuchte. Die Ecke war schwer einsehbar und gemütlich; bunte Lichter, grob verputzte Wände, Kerzen und Fackeln, dunkles Holz und Mosaike. Sie nahmen Platz und bestellten. Er fühlte einen undefinierbaren Druck auf der Brust und er spürte seinen Kreislauf schwanken. Ungewöhnlich... Er blieb ruhig sitzen und schloss kurz die Augen, umfasste die Stirn mit der plötzlich kalten Hand. »Hast du vorhin was an der Dosis verändert?«, fragte er und blinzelte ein paar Mal bevor Arthur im Gegenüber wieder scharf wurde. *Arthur* Arthur hatte seine Schwester verabschiedet, versprochen, sich zu melden. Noch im Flur zückte er sein Handy, öffnete die Rechnung und überwies den Betrag. Eames verhielt sich ruhig. Irgendwie war Arthur erleichtert, dass er nicht zur Tür gekommen war. So blöd es sich anhörte, aber er hätte nicht gewusst, wie er ihn hätte vorstellen sollen. ‚Ein Freund‘ wäre ihm momentan falsch vorgekommen. Alles andere hätte Fragen aufgeworfen. Am unverfänglichsten wäre wohl ‚Arbeitskollege‘ gewesen. Nun ja. Tom sagte nichts, als er zurück ins Wohnzimmer kam. Und bevor er registrieren konnte, dass diese Stille verdächtig war, war Arthur bereits abgelenkt. Ein strenger Blick auf die Uhr und ein „Nichts gegen deinen makellosen Luxuskörper, Mr. Eames. Aber das Zeitfenster, das Jesse uns ermöglicht, ist klein.“ Als Tom zu einem seiner Hemden griff, hob Arthur eine Augenbraue, woraufhin jener das nächste herauszog. Arthur überlegte kurz. Vermutlich würde es nicht besser und dieses Muster ala 50er Jahre Tapete sah einigermaßen kompatibel zu seinen schlichteren Farben aus. „Passt unheimlich gut zusammen“, sagte er gewichtig. Die Ironie war nach wie vor nicht verschwunden. Sie waren vermutlich einfach ein seltsames Paar. Während sich sein wandelndes Chaos fertig anzog, checkte er noch einmal die Ampullen, die er am Küchentisch zurechtgelegt hatte. Als er aufblickte, sah er, dass Tom kurz innehielt, sich zu sammeln schien. Missmutig blickte er ihm hinterher, als jener im Bad verschwand. Hatte er solche Momente schon einmal gesehen? Er konnte sich nicht recht erinnern. Aber es würde ihn nicht wundern, wenn es so wäre. Vorhin hatte er den Whisky gerochen, als er vom Laufen gekommen war. Die Schmerzmittel und Alkohol zusammen mit Somnacin und X - was wusste er schon, was jener sonst noch so einschmiss... La Esquina - der zweite Versuch. Na, ob es diesmal wirklich ein Date wäre? Arthur hatte Eames immerhin auch ohne Handschellen bis hierher bekommen - aber niemand konnte sagen, was noch geschehen würde. Zumindest war das Vertauschen der Ampullen einfach über die Bühne gegangen. Aus dem Nebenzimmer war er schon vor ein paar Tagen ausgeheckt. Candela begrüßte Eames herzlich, was Arthur ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Er freute sich auf den Abend auch weil sie da war. Als sich die beiden lösten, hatte ihr Blick einen anderen Ausdruck und Arthur war überrascht, dass sie nun auch ihn so begrüßte. Irgendwie freute es ihn und er schenkte ihr ein Lächeln. Im Grunde war sie vielleicht dafür verantwortlich, dass sie hier überhaupt gemeinsam standen. Sie war es gewesen, die Arthurs Blick an jenem unsäglichen Abend von seinem verletzten Stolz zu dem gelenkt hatte, das Tom neben einem unfassbaren Chaoten eben auch war: ein im Grunde herzensguter Mensch mit etlichen Macken. Mit einem Nicken reagierte er auf Toms scheinbare Entschuldigung hinsichtlich ihres Verhaltens. Er mochte Umarmungen nicht besonders, noch weniger von ihm fremden Menschen. Bei Candela schien es einfach dazu zu gehören, irgendwie. Auch wenn er sich versteift hatte, hatte er es zugelassen. Erst während sie ihr folgten, kam ihm der Gedanke, warum diese Entschuldigung überhaupt nötig war. Letztlich war es aber egal. Sie waren hier, um den Abend zu genießen. Der Tisch war angenehm, denn er war etwas abseits. Arthur blickte Candela hinterher, die ihnen eine Kerze auf den Tisch gestellt hatte. Als er zu seiner Begleitung blickte und eigentlich etwas über sie sagen wollte, verstummte er. Tom saß ihm gegenüber, sah aus wie ein Blatt Papier und fühlte sich sichtlich unwohl. Seine Frage irritierte ihn kurz. Arthur wechselte den Platz, rutschte auf der Bank um den Tisch herum zu Tom. „Nein“, sagte er ehrlich, hob seinerseits die Hand, um Toms wegzunehmen und seinerseits an der Stirn zu fühlen. Die Hand, die er nun hielt, war kalt, die Stirn wärmer als erwartet, die Pupillen groß. „Was hast du geschluckt?“, fragte er. „Du siehst Scheiße aus und stoned.“ Die Schärfe in seiner Stimme zeugte von seiner Sorge. Candela kam mit dem Bier, das sie bestellt hatten. Auch sie sah Tom irritiert an. „Bringst du ihm Wasser?“, bat er sie und sie nickte, ging, um es zu holen. „Whisky, Somnacin und wieviele Pillen Oxy? Hab ich was vergessen? Ich hatte gehofft, dass du vorsichtig bist.“ *Eames* Sein Körper spielte ihm einen Streich, ausgerechnet in diesem Augenblick, wo er Arthur komplett ausgeliefert war. Keine Chance sich eben ins Bad zu verziehen... Seine Hand wollte bereits nach dem Bier greifen, dass Candela ihnen servierte, verweilte jedoch, als er Arthur Kommentar dazu hörte. Wasser klang gerade gar nicht so schlecht, wenn er so darüber nachdachte. Er ließ sich bereitwillig von Arthur begutachten, wandte sich jedoch grummelnd ab, als er den Vorwurf heraushörte. »Yusuf hat mir grünes Licht gegeben... ich weiß nicht was los ist«, wich er aus. Wenn Arthur allzu genau über seinen Medi-Plan Bescheid wusste, würde er am Ende noch unangenehme Fragen stellen. Er griff nun doch nach dem Bier und hielt sich das kühle Glas an die Stirn, in der Hoffnung wieder etwas Klarheit zurückzuerlangen. Sicher, er neigte schon immer dazu in gewisser Weise fahrlässig mit seiner Gesundheit umzugehen – er hatte einfach keinen allzu gesunden Umgang mit Substanzen. Leider blickte er auf 23 Jahre Erfahrung zurück, die ihn in mancher Hinsicht abgestumpft hatten. Er schenkte Arthur ein zuversichtliches Lächeln. »Lass uns einfach den Abend genießen...« Er stellte das Glas wieder ab und griff nach Arthurs Hand, dessen Rücken er sacht mit dem Daumen streichelte. »… Mach dir keine Gedanken, ich bin vorsichtig.« Anders gesagt: ‚Halt dich raus!‘, nur besser formuliert. *Arthur* Na klar! Grünes Licht! Arthurs Augen verengten sich kurz, missmutig verzog er den Mund. Dass Tom ihm bei dieser Aussage nicht ins Gesicht sah, sagte ihm genug. Er wusste nur zu gut, wieviel Eames vertrug, wieviel er schluckte, was er gerne probierte. Er hatte ihn auch gelegentlich ziemlich zerschlagen gesehen. Schmerzmittel waren meist nicht auch noch dabei. Und dann war da noch diese schwelende Unruhe in Tom, die jenen umgab und ihn sich auf der Straße nach Verfolgern umsehen ließ. War der Druck, die Folgen wenn etwas schief ging, so massiv, dass er seine Nerven versuchte mit allem möglichen zu beruhigen? Das Gefühl, nach wie vor etwas zu übersehen, nagte an ihm. Er wog die Worte hin und her. Was sollte er sagen? Er wollte diesen Abend ja eigentlich genießen, nicht zerstören. Das Lächeln ließ ihn seufzen - die folgende Ansage war klar. Sein Blick senkte sich auf die streichelnde Hand. In diesem Moment stellte Candela das Wasser auf den Tisch, Arthur zog die Hand zurück. „Danke!“, sagte er freundlich zu ihr. „Trink!“, wies er ihn recht schroff an. Candela wartete einen Moment, Arthur nickte ihr zu, dass sie gehen könne, was sie tat. „Wenn alles passt, dann muss es wohl am Sex liegen, dass du gerade nicht auf der Höhe bist“, überlegte er weiter. „Womöglich solltest du vorsichtshalber heute Nacht auf dem Sofa schlafen.“ *Eames* Er trank, wie befohlen. Dabei erschien wieder einmal die steile Furche zwischen seinen Augenbrauen, die wirklich nicht von Zustimmung zeugte. Waren sie schon bei solcherlei Spielchen angekommen? Wollte Arthur ihm mit Entzug von Körperlichkeiten drohen, wenn er nicht nach seiner Pfeife tanzte? Eames leerte sein Glas in einem Zug und wischte sich im Anschluss mit dem Daumen einen Tropfen aus dem Mundwinkel. Dann nahm er den Blickkontakt wieder auf. Sein Ausdruck hatte was von einer unzufriedenen Bulldogge. Mal ganz davon abgesehen, dass er nicht glaubte, dass Arthur ihm widerstehen könnte, wenn er es nur hart genug versuchte, war es doch einfach eine zutiefst unschöne Sache, solcherlei Geschütze aufzufahren. »Wenn mir Sex schaden würde, wäre ich längst tot«, erwiderte er trocken, mit einem eingefrorenen Lächeln auf den Lippen und stand auf. »Pardon me.« Er rutschte von der Bank und verschwand auf die Herrentoilette. Die Haut unter seinen Augen wirkte dünn, bräunlich, rötlich. Die Pupillen waren tatsächlich leicht geweitet... zugegeben, der Mann im Spiegel sah beschissen aus. Er warf einen kurzen Blick auf sein Handy. Weitere Nachrichten von Lorenzos Leuten. Er war heilfroh, wenn dieses Affentheater endlich ein Ende hatte... so langsam wurde es ernst. Wenn er morgen nicht lieferte, würden sie ihm einen Betonschuh gießen. Und das nur, wenn sie gut gelaunt waren. Er übergab sich, wusch sich gründlich das Gesicht und den Mund, schmiss einen Kaugummi ein und kehrte anschließend wieder zurück zum Tisch. Nur noch ein bisschen durchhalten und seine elenden, gebrochenen Rippen überstehen, dann stand ihrem Glück nichts mehr im Weg. *Arthur* Offenbar war der Sarkasmus in seiner Stimme nicht so gut durchgekommen, wie er es gehofft hatte, als er ihm des Bettes verwiesen hatte. Der Gesichtsausdruck des anderen sprach Bände. Arthur erwiderte genervt den Blick, versuchte den Spruch, das Lächeln an sich abperlen zu lassen, wie er es früher so gut konnte. Ganz gelang es ihm nicht, wie sein flaues Gefühl im Magen ihm verriet. Er hatte ihm doch nur die Absurdität aufzeigen wollen, dass all die Tabletten, das Somnacin und der Alkohol sicher nicht an seinem Zustand schuld sein könnten! „So war das nicht gemeint…“, fauchte er, während der andere sich abwendete und zur Toilette ging. Klar! Abhauen war immer gut! Das schlimme war – er war ja nicht besser, wenn Eames ihm auf die Füße trat. „Vollidiot!“, knurrte er und atmete tief durch. Es war einfach nur diese Sorge, die er schon oft empfunden hatte – vielleicht schon immer empfunden hatte. Auch ein Grund dafür, dass er sich so lange auf nichts eingelassen hatte. Der Lebensstil des anderen, die Liebe zum Risiko, das Provozieren von gefährlichen Situationen stand auf der einen Seite. Auf der anderen Seite standen Alkohol, Pillen, Drogen. All das verkürzte die Lebenserwartung. Was würde passieren, wenn er irgendwann nichts mehr, nie wieder etwas von Tom hören würde? Wenn er die Nachricht bekäme, dass jener den Tod einmal zu viel herausgefordert hatte? Einen Vorgeschmack darauf hatte er schon öfters in Ansätzen zu spüren bekommen, wenn es bei Aufträgen brenzlig wurde. Das erste Mal, als jener bei einem Auftrag angeschossen worden war. Es war letztlich eine Lappalie gewesen, nur ein Streifschuss, aber das Gefühl in ihm war erschreckend gewesen. So erschreckend, dass die Sprüche der Erniedrigung ihm leicht über die Lippen gegangen waren, um sich nichts anmerken zu lassen. Er wollte nicht noch mehr Menschen verlieren, die ihm etwas bedeuteten. Arthur griff nach dem Bier, trank einen Schluck, versuchte seinen Ärger und seine Sorgen hinunterzuspülen. Letztlich hatte er keine Handhabe. Der Gedanke war irgendwie seltsam unbefriedigend, fast ein wenig schmerzhaft. Aber: wenn er selbst und ihr something nicht reichte, um Tom zur Vernunft zu bringen und vorsichtiger werden zu lassen, dann konnten seine Worte ohnehin nichts ändern. Das hatten sie noch nie vermocht. Er zog sein Handy heraus und überlegte, ob er Yusuf noch einmal vorwarnen sollte, dass es morgen schwierig werden könnte. Aber er entschied sich dagegen. Vermutlich würde Tom sonst noch am gleichen Tag in den Flieger nach Mombasa sitzen und froh sein, ihn endlich los zu sein. Daher steckte er das Handy wieder weg. So eine Scheißsituation! Er hatte sich auch ihren gemeinsamen Abend anders vorgestellt. Er überlegte, ob er wieder zurück zu seinem Platz rutschen sollte, entschied sich aber dagegen. Er wollte keine Distanz aufbauen. Vielleicht sollte er das Thema einfach fallen lassen. Er hatte zwar das Gefühl, in vielen, vielleicht zu vielen Dingen zurückstecken zu müssen, zu respektvoll zu sein, aber angesichts der Situation war es nun mal so. So war es mit Tom, so und nicht anders. Nichts und vor allem niemand würde das ändern. Außer er selbst. Als Tom zurückkehrte, sah er zu ihm auf, zögerte. Sollte er ihm sagen, dass er sich einfach nur Sorgen machte? Sie hatten darüber schon geredet. Der Forger hatte ihm deutlich gemacht, dass er sich keine Sorgen machen brauchte. Doch wenn er ihn so sah, wie eben, dann blieb das einfach nicht aus. Dass es ihm dabei nicht um den Job ging – oder nur bedingt – war Tom hoffentlich klar. Arthur hob die Hand und ergriff die des anderen, zog diesen neben sich auf die Bank. Ein Friedensangebot? Es war ihr Abend. Morgen würden sie mit Yusuf feiern, mit Jesse. Heute Abend galt ihnen beiden – unabhängig vom Job. Der Geruch von Kaugummi, wieder etwas mehr Farbe im Gesicht - manchmal reinigte sich der Körper selbst. Candela kam, brachte einen Vorspeisenteller, vergewisserte sich, ob es Tom besser ginge, der das bestätigte. Arthur hatte Toms Hand diesmal nicht losgelassen. Ein Friedensangebot. Schließlich hatte sich Arthur soweit wieder im Griff. „Dein Mombasa, wie du es mir gezeigt hast, gefällt mir“, begann er. „Erzähl mir von dem ‚Barcelona Fight Club‘. Trainierst du dort, wenn du in Mombasa bist?“ Er sah ihn auffordernd an. Vielleicht würde er so seine Laune bessern. Er zögerte, ob er noch etwas hinzufügen sollte, zum Beispiel die Frage, wann er zurückfliegen würde. Doch er griff nach einem Stück Brot und spießte eine der Garnelen auf, um mit dem Essen zu beginnen. Wenn es sich ergab, konnte er immer noch fragen. Er wollte nicht, dass Tom es in den falschen Hals bekam. Zudem wollte er nicht das beklemmende Gefühl spüren, wenn jener ihm verriet, dass er so bald wie möglich dorthin fliegen würde. *Eames* Die Wogen hatten sich schon wieder geglättet, als er zurückkehrte. So war es wohl manchmal bei ihnen: es wurde heiß gekocht, aber nicht so heiß gegessen. Wenn man wollte, konnte man es sogar auf die Anspannung vor dem Job schieben, die ihnen beiden zusetzte. Das war auch nach all den Jahren nicht ganz unwahrscheinlich… außerdem hing dieses Mal wirklich eine Menge vom Gelingen der Mission ab. Da kochte es vermutlich noch leichter hoch, als gewöhnlich... Er ließ sich neben Arthur nieder, nahm mit Wohlwollen wahr, dass er sogar vor Candela seine Hand hielt. Es war ihm von vorn herein klar gewesen, dass Arthur ihre Beziehung niemals an die große Glocke hängen würde. Ebenfalls war ihm klar, dass ihn das auf lange Sicht extrem verletzen würde, aber im Augenblick waren sie noch nicht dort. Sie machten kleine Babyschritte; Hauptsache vorwärts. Er nahm einen kleinen Schluck Bier. Lächelte auf die Frage hin in sich hinein. ‚Friedensangebot angenommen.‘ »Hin und wieder. Dann hat der Besitzer gewechselt und plötzlich wollten die Geld von mir... unverschämt!« Er schob sich eine Olive zwischen die Lippen, kaute und schluckte ein wenig widerwillig. So ganz wohl war ihm noch nicht, aber es gab kaum ein Problem, dass eine gute Mahlzeit nicht lösen konnte. »Du solltest mitkommen, wenn wir den Job erledigt haben. Lass Ariadne mal ein bisschen Freiraum, sie wird es lieben.« *Arthur* Arthur lachte leise. „Wirklich unverschämt! Müssten sie nicht eigentlich dir etwas bezahlen, dass du dort trainierst?“, kommentierte er die Aussage des anderen. Dieser Mann! Toms Verständnis für die Welt war einzigartig. Und so sehr es ihn oft nervte, dass jener meinte, die Welt schulde ihm alles und er ihr hingegen nichts, so sehr konnte er in diesem Moment darüber schmunzeln. Vermutlich war es die Erleichterung darüber, dass auch Eames gewillt war, den kurzen Streit von eben unter den Tisch fallen zu lassen. Arthur fühlte sich wieder entspannter, fröhlicher. War er so harmoniesüchtig? Im Moment schon. Wegen morgen? Vielleicht. Wobei er einfach darauf vertrauen konnte, dass Tom alles richtig einschätzte, dass er kein unnötiges Risiko einging. Vielleicht war er auch so harmoniebedürftig, weil die letzten Tage einfach nur schön gewesen waren, einfach nur schön. Er lächelte Tom an, blieb in den Augen des anderen hängen, als dieser ihn aufforderte, gleich mit ihm mitzukommen. Zwischen den Zeilen las Arthur, dass Tom ‚wenn der Job erledigt ist‘ direkt fliegen würde. Nun, das hatte er bereits vermutet, der Traum vorhin hatte ihm Gewissheit gegeben. Aber konnte er wirklich auch so schnell weg? Der Gedanke, dass Tom gleich wieder schier auf der anderen Seite des Globusses sein würde, fühlte sich nach den vergangenen Tagen Scheiße an - wenn er ehrlich wäre. Was hielt ihn also? Hatte er wirklich ein Problem damit, Ariadne alles zu überlassen? Sie war verdammt gut, resolut, mit der nötigen Durchsetzungskraft in einem von Männern dominierten Beruf. Sie hatte Biss und sich bereits in kurzer Zeit ordentlich Respekt verschafft. Sie war mindestens so gut wie er in dem was sie tat, besser was Kreativität und Innenarchitektur betraf. Hatte er deshalb Angst? Dass er überflüssig wurde? Ersetzbar? Es hatte keine Woche gedauert, nachdem ihn sein Vater vor 8 Jahren vor die Tür gesetzt hatte, und sein Zimmer war ausgeräumt gewesen, seine Sachen abholbereit zurechtgestellt worden. Aber das war verdammt lange her. So langsam müsste er darüber hinausgewachsen sein. (Auch etwas, was Tom bewirkte: er konnte seit er es ihm gezeigt hatte, darunter endlich einen Strich ziehen) Ariadne war für ihn nach dem Fisher-Fall ein guter Ersatz für ihn gewesen, das Gefühl zu haben, gebraucht zu werden. Alle waren auseinander gegangen, Eames ohne sich zu verabschieden. Er war wieder allein gewesen. Eigentlich brauchte sie ihn nur bedingt. Arthurs Lächeln war kleiner geworden, irgendwann verschwunden. Er wandte den Blick ab, griff nach der Bierflasche. Sein Daumen wischte über das feuchte Etikett. Dann hob er die Flasche an und trank. Der Job, den sie an Land gezogen hatten, war die Kernsanierung und der Umbau eines Bestandhauses nahe Manhattan. Es würde ein Vorzeigeobjekt werden. Ihre Reputation würde gigantisch sein, wenn es richtig gut werden würde. So richtig los ging es erst in einer Woche, wenn der Investor die Immobilie notariell als sein Eigentum bestätigt bekam. Vorher durften sie nicht rein, durften keine Messungen machen. Sie hatten nur Baupläne, die aber vermutlich schon veraltet waren. Im Grunde würden sie erst in zwei bis drei Wochen wirklich richtig mit der Arbeit beginnen. Bis zur Präsentation der Vorschläge hätten sie genug Zeit. Arthur stellte die Flasche ab und blickte wieder zu Tom. „Ich glaube, darum geht es gar nicht“, sagte er schließlich. Damit meinte er, Ariadne Raum zu lassen. „Ist so eine dämliche Kopfsache.“ Arthur lächelte entschuldigend und zwang sich, nicht wegzusehen. Da hieß es immer: Herz gegen Verstand sei wie Panzer gegen Dreirad. Bei ihm war es irgendwie genau andersrum. Er sah in diese Augen, sah diesen Mann hier neben sich an, der zum Glück wirklich wieder etwas mehr Farbe ins Gesicht bekam. Dieser Mann schaffte es ihm ein unbekanntes Gefühl von Glück zu bescheren. Und irgendwie ängstigte es ihn genauso, wie es ihn freute. Ob es genauso funktionieren würde, wenn sie keinen Job mehr hatten. Wenn sie einfach nichts tun würden? Wenn ER nichts sonst zu tun hatte? Würde er das können? Oder würde er Tom irgendwann nur noch nerven? Würden sie sich irgendwann beide nur noch annerven? Vermutlich. Ziemlich sicher sogar. Wäre ein Wunder, wenn es anders wäre. Aber dann würde er heimfliegen und arbeiten können. Er würde es genießen, seine Wohnung für sich zu haben. Und er hätte schöne Erinnerungen. Andersherum wäre es vermutlich so, dass er auf der Arbeit säße und darüber nachdenken würde, warum er nicht mitgeflogen war. Er würde seine Wohnung hassen, in der die Einsamkeit ihn erschlagen würde. Und vor allem die Langeweile. Wenn er ehrlich wäre, müsste er zugeben, dass er sich verdammt auf den Job morgen freute. Vor ihrem Bruch waren sie ein so verdammt gutes Team gewesen. Dann war ihm Eames weggebrochen. Seit Dom sich auch zurückgezogen hatte ja zurückziehen musste (wegen der Kinder, wegen Mal), war ihm immer mehr bewusst geworden, dass er es vermisste - die Jobs, der Nervenkitzel, der Thrill. Die letzten beiden Jahre hatte er es am schlimmsten vermisst. Es war erdrückend. So richtig bewusst wurde es ihm erst jetzt. Er hatte versucht, ein normales Leben zu führen. Es machte ihm Spaß, das Büro mit Ariadne. Aber eigentlich... eigentlich kotze es ihn manchmal an. Immer mehr. Wie auch immer. Darüber würde er sich nach dem Job mehr Gedanken machen. In Mombasa? Mit einem Lächeln auf den Lippen lehnte er sich etwas an Tom. „Ich komm mit“, sagte er. „Ich spreche nochmal mit Ariadne. Und ich werde meinen Laptop mitnehmen. Aber ich komme mit. Für zwei Wochen wird das schon irgendwie gehen. Länger sollten wir unser... something eh nicht strapazieren.“ Vermutlich zögerte er aber auch wegen etwas anderem. Er wusste noch nicht genau, wie es morgen ausgehen würde. An sich schien alles gut geplant zu sein - auf Basis der Informationen, die er hatte. Er hatte aber noch gut seine eigenen Worte im Kopf, er hatte sie erst vor einer Woche gesagt: ‚Wenn sich hinterher irgendwie herausstellen sollte, dass du mich mal wieder verarscht hast, dann schwöre ich dir, dass ich dich töte, wenn du mich danach nur noch einmal ansprichst.‘ Er hatte das absolut ehrlich gemeint. Er wollte vertrauen, wollte glauben, dass Thomas ihn mit all dem hier nicht hinterging. Wenn morgen alles reibungslos klappen würde, dann könnte er das verlorengegangene Vertrauen wiederherstellen. Aber an seinem Gefühl, dass irgendwas noch passieren könnte, und er noch nicht alles wusste, hatte sich seitdem nur bedingt etwas geändert. Sollte Eames ihm wirklich wieder etwas Entscheidendes verheimlicht haben und damit auf seinem Vertrauen erneut herumgetrampelt sein, dann wären die anderen Worte noch wahrer. Denn der Schmerz würde tiefer sitzen denn je. *Eames* Es war absurd, wie Arthurs Nachdenklichkeit Eames eine Heidenangst einjagen konnte. Jetzt wo er ihn hatte, erschien die Gefahr ihn wieder zu verlieren enorm groß. Es fühlte sich fast so an, als steuerte er den Kahn auf alle Fälle ins unvermeidliche Verderben, die Frage war nur: wann und wie? Als Arthur ihm schließlich bestätigte, dass er mitkommen würde, spürte er eine Welle der Erleichterung über ihn hereinbrechen. Er lächelte zufrieden. »Zwei Wochen.«, bestätigte er und stieß mit Arthur an, dann nahm er einen kleinen Schluck. Er liebte und hasste ihn zugleich in diesem Augenblick. Liebte ihn, weil es ihn glücklich machte, ihn bei sich haben, und hasste ihn, weil es niemanden geben sollte, der so eine Macht über ihn besaß. Er fühlte wie seine Unabhängigkeit einen kleinen Knacks bekam und wie sich sein Konstrukt des Glücklichseins abermals um Arthur herum aufbaute. Fraglich war, ob es schon immer unbemerkt so gewesen war und er es nur nicht wahrhaben wollte, oder ob er nun erst diesen Status erreichte und bemerkte, dass er nicht genau wusste, ob er es wirklich wollte. War ihm denn sein Freiraum und seine Unabhängigkeit nicht viel wichtiger, als eine klassische, langweilige Beziehung zu führen? Während er in die dunklen Rehaugen seines Liebsten blickte, bemerkte er, dass es egal war. Die Zukunft konnte warten und schlussendlich ergab sich ohnehin alles von selbst... was auch immer ihr something ergeben mochte. Wichtig war das zu tun, was sie beide glücklich machte. Er lehnte sich ihm entgegen und stahl ihm spielerisch einen Kuss. »Ein bisschen Farbe wird dir stehen«, neckte er. Sein Appetit kehrte zurück. So langsam fühlte er seinen Kreislauf wieder. »Und Yusuf wird sich freuen auf dem Flug nicht nur mit mir reden zu müssen.« Candela servierte den nächsten Gang. Und mehr Bier. Sie aßen, sie tranken und Eames sinnierte ein wenig mehr über Mombasa, die kleinen, raffinierten Läden, wie wenig Einfluss die Polizei in ihrem Viertel hatte und von seiner kleinen, schönen Dachgeschoss-Wohnung mit Dachterrasse und Ausblick auf den Markt und das Rotlichtviertel. Als sie an diesem Abend nachhause gingen, war er angetrunken und ließ seine Hand ungeniert in die Arschtasche von Arthurs feiner Anzughose gleiten. Er war gut darin Besitzansprüche zu stellen. Dreist genug auf alle Fälle. Als sie zuhause ankamen war es später als erwartet, eigentlich zu spät. Trotzdem kam Eames nicht umhin die Frage zu stellen, die ihm durch den Kopf schwirrte, seit sie La Esquina verlassen hatten: »Küche, Couch, Kommode?«, dabei wanderten seine Hände bereits gierig über den schlanken Körper seines Point Man und seine Lippen suchten die empfindliche Haut seiner Halsseite heim. *Arthur* Mit dem Entschluss, Eames und Yusuf zu begleiten, löste sich das seltsame Gefühl in seinem Inneren etwas auf und die gemeinsame Zeit, die sie miteinander verbringen würden, dehnte sich. Es fühlte sich gut an, dass er es geschafft hatte, seinem Herzen zu folgen, nicht seinen Verstand entscheiden zu lassen. Er wollte auf Tom zugehen, sein Leben besser kennenlernen und dabei das festigen, was sie hatten. Vielleicht würde Tom dann doch auch die Mauern fallen lassen, hinter die Arthur nur sehr, sehr selten einen Blick werfen durfte. Vielleicht. Arthur ließ sich treiben, so wie früher. Sie tranken, erzählten. Und in Gedanken nahm Mombasa eine Form an, die Vorfreude bereitete. Der Versuch, Tom etwas auf Abstand zu halten, in der Öffentlichkeit diskreter zu sein, scheiterte. Allerdings hatte er bald auch genug Bier im Blut, dass es die Hemmungen etwas fallen ließ, er sich schließlich nur halbherzig dem Arm um sich, der Hand an seinem Hintern entzog. Die mahnenden Blicke wurden nachsichtiger. Nur in seinem Haus, durch den Flur, die Treppe hinauf, machte er deutlicher, dass sich Eames zurückhalten solle. Die Nachbarn sollten nach Möglichkeit nicht mitbekommen, dass er Männerbesuch mit nach Hause nahm. „Ganz schön spät geworden“, seufzte Arthur, als sie vor der Wohnungstür standen. Er schloss auf, sie betraten die Wohnung. Eigentlich sollten sie ins Bett. Es blieben ihnen nur wenige Stunden bis sie wieder aufstehen mussten, völlig fit sein mussten. Vielleicht war es der plötzliche Abstand, den Eames netterweise einhielt - zumindest bis sie in der Wohnung waren -, der in ihm den Ruf nach Körperkontakt laut werden ließ. Vielleicht waren es auch einfach die Hände des anderen an seinem Körper: Kaum hatten sie die Wohnung betreten, war jegliche Zurückhaltung und vor allem der Wunsch, zügig ins Bett zu gehen, verschwunden. „Lass uns auf der Kommode anfangen“, raunte er gegen das Ohr des anderen, bevor er neckend hineinbiss. „Mal sehen, wann wir im Bett ankommen...“ Ja, es war unvernünftig, Toms Körper nicht mehr Ruhe zu gönnen. Ja, es war unvernünftig, nicht mehr Schlaf vor dem Job zu bekommen. Ja, es war unvernünftig, so spät überhaupt nach Hause zu kommen. Aber niemand konnte ihm weismachen, dass es unvernünftig war, glücklich zu sein. ‚And way down we go‘ (https://youtu.be/UzXuQbcp8Yc) Kapitel 38: Bitter pils ----------------------- *Eames* Jeder Arzt hätte ihm vermutlich geraten, es an diesem Abend einfach mal sein zu lassen, auf Alkohol, lange Aufbleiben und Sex zu verzichten. Aber Eames hatte ein gewisses Talent darin, die vernünftige Stimme in seinem Kopf zu ignorieren. Was nutzte einem schon ein langes Leben, wenn man es nicht zur Gänze auskostete? Den Preis dafür zahlte er, als er am nächsten Morgen mit dem Geschmack von toter Ratte im Mund und einem Schraubstock um den Kopf aufwachte. Zum Glück wusste er sich zu helfen. ‚How bitter were the Prozac pills of the last few hundred mornings‘ (@Leonard Cohen ‚Book of Longing‘) Nach all den Jahren, die er nun im Business war, gehörte Professionalität zum Standard. Deswegen schien something auch nach der Dusche und dem genügsamen Frühstück wie auf Eis gelegt zu sein. Nicht gänzlich verschwunden, aber Eames‘ Konzentration lag klar auf etwas anderem. *Arthur* Als Arthur weit vor dem Wecker aus dem viel zu kurzen Schlaf hochschreckte – mit Kopfschmerzen und trockener Kehle, meldete sich seine Vernunft in Form von schlechtem Gewissen vehement zurück. Hatte er nicht Eames erst einen Vortrag über das „zu viel“ gehalten? Hatte er nicht sogar noch angedeutet, weniger Alkohol, weniger Sex, mehr Schlaf wären besser für Eames‘ angeschlagenen Körper? Und was machte er? Wie hatte er sich nur so vergessen können?! Ihr something ließ ihn die Vernunft beiseiteschieben, ließ ihn egoistisch werden, ließ ihn unvorsichtig werden. Er kannte sich so gar nicht. Es machte ihm fast Angst. Blieb nur zu hoffen, dass es sich nicht rächte! Wenn er sich schon wie gerädert fühlte, wie ging es dann wohl Tom? Arthur weckte ihn sanft, schickte ihn duschen. In wenigen Stunden war der Job durch, solange musste jener noch funktionieren. Dann könnte er sich endlich schonen und würde zudem nicht mehr verfolgt. Hoffentlich. Toms Professionalität kam Arthur sehr entgegen. Auch er war nur auf den Job fokussiert, alles andere war ausgeblendet. Lediglich Yusufs Blick auf sie beide fiel ihm einen Moment auf, doch der Gedanke war flüchtig und sogleich wieder verdrängt. *Eames* Es lief bemerkenswert glatt und allzu bald lag Jobs vor ihnen auf der Massage-Liege, ausgeliefert, überzuckert und nur allzu bereit, alles zu trinken, was Arthur ihm reichte: Wasser mit einem Spritzer Rohypnol und Somnacin. Ein perfekter Cocktail, den Yusuf noch verfeinerte, als er ihm im Anschluss einen Zugang legte. Eames und Arthur mussten mit ein paar recht unbequemen Korbstühlen begnügen, aber länger als 10 Minuten sollte dieser Spaß am Ende ja auch nicht dauern, nicht wahr? Yusuf stimmte seine Uhr noch einmal ab und legte die Kopfhörer bereit. »Ich gebe euch das Signal eine Minute vor Ablauf der Zeit. Im Traum habt ihr dann noch zwölf Minuten.« Eames bestätigte mit einem lockeren OK-Symbol mit der Hand und nickte. Er hatte es sich so bequem gemacht wie möglich und schloss die Augen, als es endlich losging. Der alles entscheidende Auftrag. Leben oder... weiter wegrennen. »Sir, ich bitte Sie...« Eames mimte Henry Foster. Mimte seine groben Bewegungen mit den tellergroßen Händen. Seinen schreckliches Nuscheln, aufgrund seiner schlecht operierten Hasensparte und den dahinterliegenden, stark unterdrückten Südstaaten-Akzent. »Ich würde so etwas nie von Ihnen verlangen, wenn es sich nicht um den äußersten Notfall handeln würde. Sie wissen wie viel mir diese Stelle bedeutet...« Das tat sie. Das wusste Eames. »Die Eindringlinge wissen sehr genau über den Chip Bescheid und sie werden ihn holen, wenn wir nicht schnell etwas dagegen unternehmen.« Jobs‘ Einfluss auf den Traum war eigenartig. Die Sättigung schien herab gedreht zu sein, als läge ein grauer Filter auf allem. »Geben Sie mir die Kombination und ich kümmere mich darum, dass er in Sicherheit gebracht wird.« Jobs' moccafarbene Stirn runzelte sich in Missfallen, aber was Eames und Arthur lange durchdacht hatten, funktionierte am Ende wie am Schnürchen. Etwas zu leicht, dürfte man meinen, als Eames sich aus dem Traum mit dem Code im Kopf auf den Weg machte, um den Chip zu holen und das Imitat an dessen Stelle zu platzieren. Dabei bemerkte Yusuf nicht, wie er schwankte, als er durch den Hinterausgang verschwand, während Arthur und er mit Ross, dem echten Masseur, hinter ihnen aufräumte. *Arthur* Ihr Plan war gut, lief glatt und als sie die Traumebene erreichten, war Arthur mehr als zufrieden. Im Traum selbst war er wie schon im Fisher-Job von Eames‘ Talent fasziniert. Auch hier bewies jener, dass er wirklich ein Profi war. Arthur genoss es in vollen Zügen, spürte, wie genau das hier ihn für sich einnahm. Es waren diese Jobs, die er liebte. Und in den vergangenen Jahren hatte er sich selten so gut gefühlt. Seit Tokyo nur selten. Direkt danach war eine schwierige Zeit gewesen. Er hatte ein halbes Jahr gebraucht, um zu verarbeiten, hatte derweil sein Haus renoviert und sich dabei ausgetobt. Dann hatte er versucht, in der selben Branche, aber für einen anderen Auftraggeber zu arbeiten. Diese Zeit hatte ihn fast das Träumen gekostet, hätte ihn fast zerbrechen lassen, hatte ihm… Er wollte lieber nie wieder daran denken. Auch danach hatte es gedauert, wieder zu sich zu finden. Mal hatte ihn aufgefangen, Dom ihn wieder für sich verpflichtet. Sie hatten nicht mehr in der Intensität wie vor Tokio Aufträge, aber durchaus sehr lukrative gehabt. Sie waren viel unterwegs gewesen, hatten mit verschiedenen Leuten zusammengearbeitet. Mal hatte sich wegen der Kinder teilweise sehr zurückgezogen, dann aber Dom an sich gebunden. Sie waren in ihrer Traumwelt versunken, während Arthur versucht hatte, auch ein Familienleben aufzubauen. Mals Tod war das Ende dieser Geschichte. Der Fisher-Fall stand unter einem anderen Stern, denn die Anspannung war noch einmal aufgrund der Gesamtsituation heftiger gewesen. Eine Inception war nun mal keine Extraktion. Der Thrill war dennoch willkommen gewesen - im Nachhinein. Umso wichtiger war Ariadnes und sein Büro hinterher als Ablenkung gewesen. Und jetzt hatte er endlich einmal wieder den Ansatz eines Auftrags, der nach seinem Geschmack war. Nur mehr Vorlaufzeit hätte er gerne gehabt – und vielleicht auch noch ein Teammitglied mehr, das mehr Beständigkeit an den Tag legte, als es Tom tat. Als über die Kopfhörer die Musik einsetzte (Wer hatte denn ‚What a diffrence a day makes‘ aufgespielt?!), war Arthur nicht nur zufrieden, sondern schlichtweg glücklich. Eine andere Form von Glück als die von letzter Nacht. Zusammen mit dieser aber mehr als willkommen und berauschend. Wieder einmal drängte sich die Frage auf, wieso er sich das so lange verwehrt hatte! Warum hatte ihm sein Stolz über fünf Jahre verwehrt, an Eames Seite zu stehen - in vielerlei Hinsicht?! Aber das würde sich jetzt hoffentlich ändern. Es musste sich ändern. Wie verabredet hielten sie Jobs etwas länger im Schlaf, das Rohypnol wirkte länger als das Somnacin. Die Zeit nutzten er und Yusuf, um den Blutzuckerspiegel ihres Opfers wieder nach oben zu befördern. Als Jobs aus dem Dämmerzustand erwachte, war Ross bereits wieder dabei, ihn zu massieren. „Schön, dass Sie sich so gut entspannen können. Möchten Sie noch etwas zu trinken?“ Arthur hatte Yusuf bereits beim Lieferwagen zurückgelassen, der im Hof hinter dem Hotel geparkt war. Nun überwachte er im Spa-Bereich, ob Jobs oder Foster das Bedürfnis hatten, früher wieder zurück in die Suite zu kehren. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass Tom bereits 20 Minuten weg war. Nur, wo blieb er? Er zückte sein Telefon und rief Jesse an. „Ist er schon wieder aus dem Zimmer draußen?“, fragte er direkt und hörte das Klacken der Tastatur. „Nein“, war die Antwort. Arthur legte wortlos auf und warf einen Blick in den Spiegel, der ihm vom Tresen aus die Sicht auf Foster ermöglichte, der soeben auch auf die Uhr blickte. Nur noch 10 Minuten würde Jobs massiert werden. Wenn Ross ihn noch ein wenig aufhielt, hatten sie noch 15 Minuten, um hier zu verschwinden. Wo blieb Tom?! Arthur ging in den hinteren Bereich, schnallte sein Holster um, zog sein Jackett an, zog alles über das schlichte weiße Shirt, das ihn als Angestellten im Spa-Bereich auszeichnete. Dann machte er sich auf den Weg. Im Fahrstuhl nach oben fielen ihm die Kameras ein. Er schrieb Jesse eine Nachricht. „Überwache Foster und Jobs! Und füttere die Kameras mit Nonsens.“ Ein wenig Dauerschleife wäre wohl nicht verkehrt… Die Unruhe, die ihn mit einem Mal vehement befiel, war schwierig zu greifen. War es die Sorge wegen Eames‘ Gesundheitszustand? Oder waren das wieder einmal die Nachwehen von Tokyo? Das Gefühl, etwas zu übersehen? Das Gefühl, nicht alles mitgeteilt bekommen zu haben? Sie sollten unbedingt so bald wie möglich klärende Gespräche führen, um diesen ganzen Müll endlich einmal hinter sich zu lassen. Er wollte wirklich einfach mehr vertrauen können. *Eames* »Sir, Sie können hier nicht sitzen!« »Nur einen Moment,... por favor señora.« Seit er Jobs Zimmer betreten hatte, saß ihm ein Mahr im Nacken. Ein starker Schwindel packte ihn und tastete hastig mit der einen Hand nach seinem Totem, während er sich mit der anderen an der Wand festhielt. Auf Kopf und Nacken lastete ein Gewicht, das ihm die Knie weich werden ließ. ‚Nur noch ein bisschen‘, dachte er. ‚Nur noch den Chip holen. Dann konnten sie von hier verschwinden.‘ Er zwang sich auf die Beine, öffnete den Safe. Der Schweiß lief ihm in die Augen und seine Hände zitterten heftig. Er biss sich so sehr auf die Unterlippe, dass sie zu bluten begann. Wieder auf dem Gang, auf dem Weg zum Fahrstuhl, verließen ihn jedoch die Kräfte und er sackte haltlos zusammen. Und da saß er nun, während das mexikanische Zimmermädchen auf ihn einredete: »Wo ist Ihr Zimmer?« »Ich bin gleich weg hier...« »Wenn sie betrunken sind, muss ich den Sicherheitsdienst rufen!« Sie fuchtelte mit ihrem Wischmopp, offenbar bereit ihn einzusetzen, wenn sie musste. Mit Junkie-Gesocks hatte sie anscheinend Erfahrung. Eames versuchte die Hände in einer beschwichtigenden Geste zu heben, war jedoch kaum im Stande dazu. Der Fahrstuhl öffnete sich und irgendwo aus der Ferne konnte er Arthur hören. Er öffnete die Augen und realisierte die verschwommene Silhouette, die er so gut kannte. Dann war er nah und half ihm auf. Er war so laut. Und dann war wieder alles leise. »Hier ist der Chip«, röchelte er und grinste triumphierend. Zumindest glaubte er das. So hoch bekam er die Mundwinkel nicht mehr. »Lass uns verschwinden.« Er schaffte es so gerade eben bis zum Lieferwagen, wo Yusuf Arthur einen Teil der Last abnahm und Eames auf den Rücksitz hievte. »Was ist passiert?« Irritation war das kleinste aller Gefühle. Eames regte sich nicht mehr. Er atmete nicht einmal mehr und wenn nur sehr flach. Das letzte was er spürte war Arthurs Hand, die aus seiner glitt. Er versuchte noch einmal danach zu greifen. Dann gingen alle Lichter aus. *Arthur* Arthur trat aus dem Fahrstuhl. Das Bild, das sich ihm bot, traf ihn wie ein Faustschlag, doch er verlor nie die Fassung, behielt stets seine Gedanken in der nötigen Rationalität. Keine Zeit für Gefühle, nie. Eilig ging er auf das Zimmermädchen zu. Eames sah wie ausgekotzt aus, die Augen ähnlich blutunterlaufen wie am Vorabend, die Pupillen weit - sofern er es sehen konnte. Er war durchgeschwitzt und kraftlos. Eames war ein Schatten seiner selbst, schien zwischen Diesseits und Jenseits zu schwanken. Arthurs Gedanken waren auf beängstigende weise sehr klar. Es war seltsam, wie in solchen Situationen der Verstand die Oberhand übernahm. „Gibt es ein Problem?“, fragte er und sah die junge Frau ungerührt an. „Man schickte mich hoch, um nach Ihnen zu sehen.“ Er deutete auf eine der Kameras und die Frau schien beeindruckt. Während sie ihm erklärte, dass sie ihn so gefunden habe, nickte er. „Ich bringe Mr. Jonson hinunter und lasse einen Arzt rufen. Danke für Ihren Einsatz! Gehen Sie wieder an die Arbeit, Misses Perez.“ Sie nickte dankbar und ging weiter. Damit wandte er sich Eames zu, kniete sich nieder. „Eames, wir müssen hier weg!“, begann er auf ihn einzureden. „Komm hoch! Du hast es gleich geschafft. Verfluchte Scheiße! Halt durch!“ Mit sanfter Gewalt zog er ihn hoch, als jener den Chip erwähnte. Arthur nickte, lächelte einen Moment. Gott, sah Eames fertig aus! An den Chip hatte er gar nicht gedacht. Irgendwie schien das irrelevant. Er nahm ihn an sich. „Ja, lass uns verschwinden“, bestätigte er. „Gut gemacht“, schob er hinterher. Auf dem Weg zum Fahrstuhl, hinunter zum Lieferwagen redete er weiter auf ihn ein. „Lass dir ja nicht einfallen, jetzt abzuschmieren!! Bleib da!! Bleib bei mir!“ „Ich hab‘ ihn so gefunden“, antwortete er Yusuf. Er war voran in den Lieferwagen gestiegen, hielt den schweren, kraftlosen Körper, der nun in seinem Armen immer mehr zusammensackte. „Er war gestern schon angeschlagen. Er hatte Probleme mit dem Kreislauf und...“ Der Gedanke, dass er gestern doch vernünftiger hatte sein müssen, drängte sich auf. „Wir waren gestern noch weg. Alkohol. Er hat heute früh sicher mindestens Oxy eingeschmissene...“ Arthurs Hand griff erneut zu Toms’, die ihm aus seiner geglitten war. Seine Augen weiteten sich, als er auf Tom blickte, der wie tot dalag. „Eames!“, rief er. „Eames! Bleib wach, du verfluchter Mistkerl! Bleib wach!“ Er fühlte den Puls, den er kaum spüren konnte. Er merkte, wie blanke Panik über ihn hereinbrach, wie die Gefühle nun doch überhand nahmen, so sehr, dass er zu zittern begann. Nicht jetzt! Er presste die Kiefer aufeinander. Nicht jetzt! „Ich fahre, du schaust nach ihm.“ Seine Augen fixierten Yusuf mit wilder Entschlossenheit. „Schnell! Hol ihn zurück! Hol ihn ja zurück! Ich fahre ihn zu dir, ok?“ Sie mussten weg hier, dringend weg hier! Bevor Jobs etwas merkte. Er musste funktionieren, bis alles vorüber war. Und er musste Jesse kontaktieren für die Übernahme des Chips. Er setzte sich hinters Steuer und fuhr los. Unterwegs rief er Jesse an, damit jener ihm Anweisung geben konnte, wie es mit dem Chip weiter gehen sollte. Vielleicht auch, um sich von dem abzulenken, was er auf der Rückbank vernahm. *Yusuf* Jesse erwähnte einen Boten, den er noch am selben Tag vorbeischicken würde, um den Chip für ihn abzuholen. Er selbst verließ das Haus bei Tageslicht nicht, das hatte er vor ein paar Jahren aufgegeben. Was mit Eames war, interessierte ihn natürlich auch; er hatte gesehen, was sich wirklich unter der Linse der Kameras abgespielt hatte. Leider bekam er keine vernünftige Antwort von Arthur; anscheinend hatte dieser das Telefonat beendet, als Yusuf ihm eine unschöne Kleinigkeit vom Rücksitz zurief: »Er atmet nicht! Bieg hier ab, und fahr über die Hinterhöfe, das geht schneller!« Yusuf beugte über seinem alten Freund, versuchte ihn zu stabilisieren. Vitalzeichen zu überprüfen war bei voller Fahrt wirklich nicht leicht. Erst recht nicht, wenn Arthur Vollgas gab. »Hassim! Yallah! Yallah!« Yusuf hatte seinen Kollegen angerufen und ein paar Worte auf Arabisch in den Hörer gebrüllt. Als sie ankamen, stand er bereits mit einer Trage bereit. Niemand hätte dem dicken Mann solch ein Tempo zugetraut, wie das was er nun an den Tag legte. Zu dritt (in den engen Gängen zu zweit) trugen sie den schweren Mann in den Keller, in Hassims‘ "OP". Er wurde von ein paar Kleidungsstücken befreit, aufgebahrt, intubiert. Hassim verpasste ihm eine Infusion, während Yusuf ihm in den Bauch unter die Haut spritze. Es dauerte eine halbe Stunde, ehe es ruhig um Eames wurde. Er lag jetzt auf einem der Krankenbetten im Behandlungsraum. Als Yusuf Arthur endlich gegenüber trat, glänzte seine Stirn noch immer nass vor Schweiß und sein Haar war zerzaust, wie ein Vogelnest. »Nun, er lebt«, erklärte er. Was jedoch im Raum über ihren Köpfen schwebte wie ein Damoklesschwert war ein bitter böses ‚aber‘. Kapitel 39: Follow you into the dark ------------------------------------ ‚Love of mine, someday you will die But I'll be close behind and I'll follow you into the dark‘ *Arthur* Du liebst mich wirklich, oder? Eames Arme hielten ihn fest umschlungen, Arthur schmiegte sich in sie, genoss den Moment, bevor er sich drehte. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, zusammen mit Worten der Bestätigung. Doch beides erstarb, als er in Toms Gesicht blickte. Kalter Schweiß stand jenem auf der Stirn, die Haut war blass und fahl, die Lippen blutig, die Augen dunkel - wie tot. Er atmet nicht! Er atmet nicht! Er atmet nicht!... Yusufs Gesicht taucht auf, blickt ihn mahnend an. „Er lebt, aber du bist Schuld daran, wenn er doch noch stirbt!!!“ Arthur spürte, wie er in sich zusammensackte, wie er fiel... Ruckartig hob er den Kopf. Blickte sich blinzelnd um. Er saß neben Eames Krankenbett. Sein Nacken schmerzte, er spürte Speichel an seinem Mundwinkel. Sein Kopf pochte. Offenbar war er von den monotonen Geräuschen der Geräte eingeschlafen. Er wischte sich über den Mundwinkel, sammelte sich einen Moment. Der Blick aufs Handy verriet ihm, dass es später Nachmittag war. Fast 30 Stunden war es nun her, seit Yusuf ihm erklärt hatte, dass Tom in einem komatösen Zustand war. Die Fahrt war rasant gewesen. Er war ein guter Autofahrer, zum Glück. Dennoch war es ihm so vorgekommen, als kämen sie viel zu langsam voran. Besonders ab dem Moment, in dem Yusuf von hinten gerufen, er das Gaspedal ganz hinunter gedrückt hatte. Er hatte Yusuf angeschrien, dass er ihn gefälligst wieder zurückbringen solle. Am schlimmsten war letztlich aber das Warten nach der Ankunft gewesen. Denn in dieser halben Stunde hatte er nichts tun können. Er hasste es! Er wusste, dass er nur im Weg stehen würde. Zur Untätigkeit verdammt war er auf und nieder marschiert, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Panisch ob der Möglichkeit, dass Tom nicht wieder zu atmen beginnen könnte. Als der Chemiker endlich zu ihm trat, es ruhiger geworden war, war ein Gedanke ganz klar: „Wenn er tot ist, bin ich dafür verantwortlich.“ Nun, er lebt... Arthur spürte die Erleichterung genauso heftig, wie die Sorge um das ‚Aber‘. „Es ist meine Schuld...“, hatte er gestammelt, nachdem Yusuf ihm erklärt hatte, was geschehen war. Das war seine Strafe für die Unvernunft. Sein Daumen strich über den Rücken der Hand, die kühl und schwer in seiner lag. Sein Blick glitt über das Gesicht, das so friedlich wirkte. Der Anblick dieses reglosen Körpers machte ihn wahnsinnig. Keine Regung, keine Bewegung, nichts. Das EKG zeigte nur selten, dass Tom offenbar dort, wo er sich befand, etwas empfand. Hin und wieder bildete sich Arthur ein, dass die Augen zuckten. Teilweise glaubte er, gespürt zu haben, dass der Körper sich anspannte, dass sich seine Hand verkrampfte. Vermutlich alles nur Wunschdenken. Das Koma, so hatte es ihm Yusuf erklärt, war ein Schutzmechanismus, den Toms Körper aufgrund der Vergiftung, des Stresses, der Gesamtsituation ziemlich effektiv aufgefahren hatte. Arthur wusste, dass das alles seine verfickte Schuld war. ER hätte vernünftig sein müssen. ER hätte dafür sorgen müssen, dass Tom nichts trinkt, dass er mehr schläft, dass er die Rippen nicht damit belastet, ihn auf Kommoden oder sonstwohin zu heben. ER hätte ihn schonen müssen, ihn vor sich selbst beschützen müssen. ER hätte vermutlich zu dem Abend gar nicht zusagen dürfen. Sie hätten nie ausgehen sollen. Die Selbstvorwürfe fraßen ihn auf. Nun saß er schon seit fast 30 Stunden hier, wich kaum von seiner Seite, nur um zu rauchen, um einen Moment Pause zu haben. Yusuf hatte ihn am Morgen zwangsweise nach Hause geschickt, damit er duschen konnte, sich umziehen. Er hatte noch immer das Hemd vom Four Seasons angehabt, auf dem Jackett hatte er Blut entdeckt. Vermutlich von Toms aufgebissener Lippe. Als er schließlich zurückgekehrt war, hatte sich nichts verändert. Die Regungslosigkeit machte ihn rasend. Egal was er versucht hatte - nichts schien Eames zu bewegen. Er hatte zu ihm gesprochen, hatte ihm gesagt, dass er ihn brauchte, dass er zu ihm kommen solle, dass er aufwachen musste. Er hatte ihn versucht zu wecken, hatte ihn verflucht, ihm Vorwürfe gemacht - nichts, reglos. Zumindest hatte der Job reibungslos funktioniert. Der Lieferwagen war ‚entsorgt’ worden. Alle Spuren hoffentlich beseitigt. Jesse hatte den Chip abholen lassen. Als sie telefonierten, war jener guter Dinge gewesen, was den Chip betraf. Auch er machte sich Sorgen um Eames, hatte Arthur gebeten, dass er ihn auf dem Laufenden halten möge. Noch hatte Arthur nicht nachgesehen, ob Geld auf sein inoffizielles Konto transferiert worden war. Auch Nachrichten hatte er noch nicht gelesen oder gesehen. „Hast du eine Ahnung, für wen er das Geld braucht? Mit wem er sich angelegt hat?“ Weder Jesse noch Yusuf wussten es. Tom, der elendige Geheimniswahrer! Warum musst du so viele Geheimnisse haben? Er hätte beharrlicher nachfragen müssen. Sehr genau hatte Arthur noch Toms Gefuchtel mit der Gabel vor Augen, als sie am Sofa beim Essen saßen und er ihm erklärt hatte, wie leicht es gehen würde, sich von den Schulden zu befreien. Die letzte Attacke hatte Arthur deutlich gemacht, dass die Italiener sicher keine Scherze verstanden. Vermutlich hatten sie jetzt schon Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Toms Handy war komplett ausgeschaltet worden vor dem Job. Arthur traute sich nicht, es einzuschalten. Einen Code kannte er ohnehin nicht. Und was wusste er, ob die Italiener es orten würden können. Arthur hob die Hand an seine Wange, schmiegte sich einen Moment an diese schloss die Augen, küsste sie sanft. Ihm musste etwas einfallen. Irgendwie musste er an ihn herankommen. Die Idee, die er letzte Nacht kurz gehabt hatte, drängte sich wieder auf. Arthur hörte Schritte, legte Toms Hand zurück auf das Bett, lehnte sich im Sessel zurück. Als Yusuf hereintrat, blickte er zu ihm. „Was ist deine Einschätzung?“, sagte er seltsam abgeklärt. „Ist er ohne Bewusstsein, oder bei Bewusstsein?“ Er sah Yusuf fragend an. Soweit er wusste, war sich die Forschung unschlüssig, was bei einem Koma der Fall war. Doch wenn Tom bei Bewusstsein wäre, dann würde er vermutlich träumen, oder? Nun, dann gab es auch eine Chance an ihn heranzukommen, oder? ‚The time for sleep is now But it's nothing to cry about 'Cause we'll hold each other soon in the blackest of rooms‘ (https://youtu.be/NDHY1D0tKRA) Kapitel 40: Like a stone ------------------------ Koma 「 Ramadi / NYC 」 ________________________________________ *Eames* Die Luft war heiß und so trocken, dass es einem die Lippen bersten ließ. Er trug die blassen Tarnmuster der Royal Army und Hämatome auf Wangen und Kieferknochen. Sein Haar war an den Seiten kurz geschoren und sein Gesicht von roten Flecken durchzogen; Spuren der Marter und Dehydrierung. Der Sand schlug ihnen um die Ohren, getragen von gewaltigen Winden, Vorboten eines Sturms. ~ »Das Koma dient als Schutzreaktion; den Selbstheilungsprozess zu beschleunigen.« Yusuf verschränkte die Finger ineinander und betrachtete Eames nachdenklich. »Sein Gehirn ist allerdings aktiv. Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass er träumt.« ~ Ein Soldat kniete im Dreck, winselnd. Seine Hände auf dem Rücken gefesselt, das Gesicht blutüberströmt. Hinter ihm türmten sich beige Trümmerberge. Ramadi lag in Schutt und Asche. ~ »Ich will ehrlich zu dir sein, Arthur.« Blickkontakt fiel ihm offenbar schwer in diesem Moment. Er zog die Lippen ein und kaute wenige Sekunden nachdenklich auf ihnen herum, als wollte er etwas hinauszögern. »Die Werte sind nicht schlecht, aber eine Ohnmacht diesen Ausmaßes ist ungewöhnlich für seinen Zustand. Vielleicht steckt etwas dahinter, das Hassim und ich übersehen.« Seine Schultern zogen sich langsam nach oben und sanken wieder. Er war ein gefasster Mann, so leicht konnte ihn nichts erschüttern. Dennoch war an ihm an den Mundwinkeln deutlich anzuerkennen, wie angespannt er war. »Wir tun alles was wir können. Aber vielleicht stirbt er in den nächsten Stunden, oder Tagen.« ~ Dumpfe Schüsse erklangen in weiter Ferne. Eine Explosion. Das Rasseln und Surren von Motoren und Kampfjets. Rauchschwaden erhoben sich und verdunkelten den Horizont, wie in Zeitlupe. Der Schutt knirschte unter seinen Stiefeln. Eames bewegte sich auf den Soldaten zu, sein Gesicht war eine steinerne Maske des Grauens. In seiner Hand hielt er eine SIG Sauer P226 auf dessen Lauf, schlecht und stümperhaft, eingeritzt stand: „eat, shit, die“. ~ »Wir versuchen es.«, beschloss er. »Wahrscheinlich ist das die einzige Chance, die wir haben. Du musst dir nur über eine Sache im Klaren sein...« Erneutes Zögern. »Wir wissen nicht was sich dort abspielt«, er deutete auf Eames Kopf. »Vielleicht ist es einfach nur weißes Rauschen. Vielleicht ein Durchleben seiner Kindheit... vielleicht die Hölle auf Erden. Viele Komapatienten sprechen von Alpträumen...« ~ »Bitte...«, wimmerte der Soldat. Er war jung, maximal 22. Sein Gesicht war makellos, seine Nase gerade und die Augen blassblau wie der Himmel. »... ich will nicht sterben.« Männer in langen weißen Gewändern standen in einer Reihe an der zertrümmerten Hauswand, etwa zwei Meter von ihnen entfernt. Ihre Blicke wogen schwer, es gab kein Entrinnen. Sie zwangen ihn zu handeln. Eames hob die Waffe, der Lauf berührte die Stirn des Jünglings. Es knallte; Eames betätigte den Abzug. Der Junge fiel nach vorn, direkt aufs Gesicht. In seinem Nacken klaffte ein apfelgroßes Loch aus dem Blut und Knochensplitter quoll. Seine Augen waren rot und gläsern, als er Arthur bemerkte. Das Szenario stand still, die Farbe floss heraus, als hätte jemand den Stöpsel gezogen. Die tote Junge gurgelte und zuckte. ~ »Zehn Minuten. Dann holen wir dich zurück.« Yusuf hatte Arthur auf einer Liege neben dem Krankenbett seines Freundes platziert. Der P.A.S.I.V. stand zwischen Ihnen auf einem provisorischen Nachttisch. »Sei vorsichtig; ich gebe dir ein Signal, wenn die Zeit abgelaufen ist.« ~ Die Männer in den Roben wandten ihre Gesichter gleichzeitig dem Eindringling zu. Ihre Augen waren nichts als schwarze, hohle Löcher. Ihre Münder schmale, verzerrte Schlitze. »Und du dachtest ich hätte dich schlecht behandelt, hm?« Eames in rauer Flüsterstimme. Sein Blick schien matt, sein Gesicht jünger, aber nicht sonderlich. Hitze drückte, grauenhafte Hitze. Sand und Rauch und Korditgeruch. And on I read Until the day was gone And I sat in regret Of all the things I've done For all that I've blessed And all that I've wronged In dreams until my death I will wander on (https://youtu.be/4zdoXgGnKdc) *Arthur* Noch nie war es Arthur so schwer gefallen, die Fassade der Ruhe aufrecht zu erhalten, wie in dem Moment, in dem Yusuf ihm offenbarte, wie es um Tom stand. Seine Kiefer pressten sich aufeinander, seine Faust ballte sich. Doch er blieb ansonsten reglos, emotionslos - zumindest nach Außen. Innen sah es gänzlich anders aus. An sich ging es Tom gut, aber da war etwas, was ihn nicht zurückkehren ließ? Etwas, dass ihn unter Umständen töten würde? Er folgte Yusufs Geste zu Toms Kopf mit seinen Augen. Dass der Araber selbst mit sich kämpfte, dass er besorgt war, unruhig, ängstlich, machte es Arthur nicht leichter, die Contenance zu wahren. Aber es half niemandem, wenn er jetzt zweifeln, verzweifeln würde. „Worauf warten wir dann noch?“, sagte er knapp, gepresst. Eilig richteten sie alles her. Wenn es die einzige Chance war, dann mussten sie sie nutzen - Nein, dann musste ER sie nutzen! ‚Und wenn ich dir in die Hölle folgen muss, um dich zu mir zurück zu holen. Ich würde es tun.‘ Er zuckte zusammen. Yusufs letzte Worte schienen in dem Schuss widerzuhallen. Arthur starrte auf den in sich zusammensackenden Körper, der so unvermittelt Zentrum seiner Wahrnehmung geworden war und nun vor seinen Augen starb. Die Hitze umschloss ihn, nahm ihm schier die Luft zum Atmen. Es war grell, die Sonne schien hoch zu stehen, dennoch wirkte alles farblos. Auch wegen des Sandes in der Luft kniff Arthur die Augen zusammen. Arthur hob den Blick, sah Tom an, sein Magen verkrampfte. Er sah den unfassbaren Schmerz, dem sich jener gerade aussetzte. Und es schmerzte ihn fast ebenso. Es war schwierig, die ganze Situation wirklich zu erfassen. Klar war, dass es Toms Unterbewusstsein war. Und es war klar, dass das hier auf Erinnerungen basierte. Grausamen Erinnerungen. Vermutlich den Erinnerungen, vor denen Eames seit Jahren davonlief. Arthur verstand es. Er wäre vermutlich auch gerannt. Eine Bewegung in den Augenwinkeln ließ ihn den Blick wieder abwenden. Die weiß Gewandeten wirkten mehr als bedrohlich. Arthur spürte, dass er Waffen am Körper trug. Irgendwie beruhigte ihn das. Er zog eine Waffe, langsam vorsichtig. Es war seine Clock 17, sein Unterbewusstsein. ‚Und du dachtest ich hätte dich schlecht behandelt, hm?‘ Arthur blickte zu Tom. „Das habe ich so nie gesagt“, antwortete er ruhig. „Schlecht behandelt hast du mich in diesem Sinne nie. Du lässt mich nur nie wirklich Teil deines Lebens sein.“ Er dachte an die Situation auf dem Sofa, als er nach London gefragt hat, an das Gesicht des anderen, das mit einem Mal so verschlossen gewesen war. Er hatte Angst bekommen. Im Grunde unbegründet. Tom hatte es so formuliert, dass der Gedanke, nein die Mahnung ‚es wäre nicht gut‘ ihm beeinflusst hatte. Im Nachhinein ärgerte er sich sehr darüber, dass er sich hatte manipulieren lassen. „Du traust mir nie zu, dass ich mit dir und deiner Vergangenheit umgehen kann. Das ist das, was mich verletzt.“ Arthurs Augen, die eben noch einen warmen Ausdruck gehabt hatten, wurden kühl. Dass es diese Vergangenheit war, die Eames gerade zwischen Leben und Tod balancieren ließ, war ihm gerade mehr als klar geworden. Umso mehr kotzte es ihn an, dass Tom ihn noch immer schonen wollte. Eames »Vergangenheit..?« Er schien nicht wirklich zu verstehen, was Arthur ihm sagen wollte. Seine Gefühlswelt war roh; sein Verstand rang um Klarheit. Ein leichtes Beben erschütterte die zertrümmerte Kleinstadt und ein Grollen dröhnte vom Himmel, wie weit entfernter Donner. Mehr gewandete Gestalten schlichen sich aus halb eingestürzten Gebäuden und näherten sich dem Szenario. Araber mit Turban, junge und alte Männer. Sie kamen auf die beiden zu. In ihren Augen blitzte etwas, das man gemeinhin als Mordlust bezeichnen könnte. In den Händen trugen sie simple, stumpfe Waffen. »Was ist passiert... was tust du hier?« Die Zeit schien zu einem flexiblen Instrument geworden zu sein. Dehnbar, komprimierbar. Der Junge am Boden regte sich. Das Loch in seinem Nacken schloss sich wieder, dann richtete er sich auf und öffnete die Augen, um mit demselben Blick wie zuvor zu Eames hinauf zu sehen. Ein erbärmliches Wimmern entkam ihm. »Verzeih mir Archie, du oder ich...« Er konnte kaum sprechen, etwas drückte ihm die Kehle zu. Dann hob er wieder die Waffe und schoss dem Jungen ein zweites Mal in den Kopf. *Arthur* Offenbar war Eames nicht bewusst, dass das hier eine Erinnerung war. Offenbar war es für ihn das Jetzt. Das Zeitgefühl schien in seinem komatösen Zustand nicht zu funktionieren – oder zumindest nicht die Reflexion der Zeit. Vermutlich spielte es auch keine Rolle, denn Arthur war sich sicher, dass er das hier schon so viele Male durchlebt hatte, dass der Zeitpunkt hierfür irrelevant wurde. Es ging auch letztlich nicht darum. Es ging darum, was Tom hier immer und immer wieder durchlebte. Arthur nutzte die kurze Störung durch das Beben, um sich etwas umzusehen. Dass es sich hier um einen Kriegsschauplatz handelte, war klar. Wichtiger war, dass die beiden englischen Soldaten allein waren. Tom sah aus, als sei er gefoltert worden. Ob er ein Gefangener gewesen war? Wo war der Rest der Truppe? Ob diese für die Erschütterungen, den Kriegslärm zuständig waren? Hier war jedenfalls niemand sichtbar. Sie waren scheinbar einzig von Arabern umgeben, vermutlich Irakern – die anfangs gesichtslosen Gestalten nahmen wieder mehr Form an. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern ließ Arthur trotz der Hitze frösteln. Sie schienen Blut sehen zu wollen – von wem auch immer. Toms Worte ließen ihn wieder zu diesem blicken. Was er hier tat? Was passiert war? Ein Indiz mehr dafür, dass sich Tom seiner Situation nicht wirklich bewusst war. Zumindest schien seine Anwesenheit etwas Alarmierendes zu haben. Darauf ließ sich aufbauen. Bevor er etwas sagen konnte, glitt sein Blick zu dem Jungen auf dem Boden. Als habe jemand den Rewind-Knopf gedrückt, erwachte dieser wieder zum Leben. Arthur schluckte ob der Situation. Das Wimmern, der Gesichtsausdruck des Kindes – er wäre damals vermutlich ähnlich alt gewesen, wenn er Tom damals schon gekannt hätte. Aber noch mehr berührte ihn der Ton in Toms Stimme, diese Verzweiflung, diese Qual. Tom schickte sich offenbar immer wieder durch die gleiche Hölle, durch seinen vielleicht schlimmsten Moment. Offenbar war er nicht fähig, dieser Situation zu entfliehen. Offenbar holte sie ihn immer wieder ein. Es war nicht wirklich vergleichbar. Aber vermutlich war es ähnlich der Explosion, die er immer und immer wieder durchlebt hatte, um herauszufinden, wer seine Schwester ermordet hatte. Nur das hier war so viel schlimmer. Er hatte am Tod seiner Schwester nicht bewusst Schuld auf sich geladen. Der Schuss ließ ihn zusammenzucken. Sein Blick hatte sich nicht abgewandt, er sah in Toms Gesicht, in die Augen des anderen, die er so liebte. Der Ausdruck darin schien sein Herz zerquetschen zu wollen. „Ich habe dir vor kurzem erst gesagt, dass ich dir in die Hölle folgen würde, wenn du dich selbst aufgeben würdest. Und das tust du gerade. Ich habe dir gesagt, dass ich kommen und dich zurückholen würde. Deswegen bin ich hier.“ Zugegebenermaßen war es nicht ganz die gleiche Situation, die er damals gemeint hatte. Aber im Grunde passte es doch in gewisser Weise. Er trat einen Schritt näher an Tom heran. „Denn das hier ist doch deine persönliche Hölle, nicht wahr?“ Er hatte eine ausladende Geste gemacht, auf alles um sie herum gedeutet. „Ich frage mich nur, warum du sie dir jetzt antust? Jetzt, kurz bevor alles gut sein könnte. Warum bist DU hier, Tom? Warum bist du hier gefangen und riskierst damit dein Leben, anstatt bei mir zu sein?“ Er zögerte einen Moment. „Warum erlaubst du dir nicht, glücklich zu sein? Kannst du dir nicht vergeben?“ *Eames* Noch mehr Verwirrung schlich sich in das gequälte Gesicht. Offenbar klingelte es bei „persönlicher Hölle“. Auch Arthur, dessen Anwesenheit ihm abwechselnd klar und schleierhaft erschien, ergab langsam aber stetig einen Sinn. Je mehr er Arthur Aufmerksamkeit schenkte, desto mehr geriet dieser auch in den Mittelpunkt der grässlichen Männer. Sie knurrten düstere Flüche, zusammenhangloses Zeug, was sich nach Arabisch rückwärts anhörte. »Bin ich tot?«, fragte er, denn es fühlte sich tatsächlich wie die Hölle an. Bilder von Emmanuel Jobs und Henry Foster zuckten wie Blitze durch seinen Verstand. Archies Glieder zuckte unkontrolliert, aber die Wunde in seinem Nacken blieb. Immer näher rückten die Gestalten. Wieder hob Eames die Waffe und schoss einem der Männer in den Kopf, der von hinten mit erhobener Keule auf Arthur zugerannt kam. »Wir müssen hier verschwinden!« Aber es war zu spät. Der Himmel bröckelte, wie ein altes Ölgemälde. Weitere Männer drängelten sich um Arthur und Eames, kreisten sie ein und binnen einer Sekunde brach das Chaos los. Eames erschoss zwei weitere, doch die irakische Armee war nicht aufzuhalten; die Männer schlugen mit ihren Brechstangen, Metallrohren und Knüppeln auf sie ein. Mit letzter Kraft schlug sich Eames in Arthurs Richtung, streckte die Hand nach ihm aus, während die Schläge auf sie einregneten. Der ohnehin instabile Traum, brach tosend in sich zusammen. *Arthur* Arthurs Blick brach von Tom weg, als die Gestalten begannen ihn mehr und mehr als Eindringling wahrzunehmen. Tom hatte sicher eines sehr gut drauf: sein Unterbewusstsein zu schützen. Wie lange es wohl noch gut ging? Vermutlich immer weniger, je mehr er wieder sich dessen bewusst wurde, in welcher Situation er sich befand. „Tot nicht“, gab er als Antwort. „Noch nicht.“ Er spürte eine Bewegung hinter sich, drehte sich. Eames war schneller. Der Araber sackte zu Boden, blieb liegen, doch nun schien noch mehr Bewegung in die anderen zu kommen. Gleichzeitig begann sich dieser Traum aufzulösen. Nur, wohin würde es dann gehen? Katapultierte Eames ihn am Ende raus? Irgendwie hätte es Arthur klar sein müssen, dass das so passiert. Immer wenn es mal ans Eingemachte ging, wich Tom aus. Bekam er eigentlich jemals eine Antwort auf die gefühlt Milliarden Fragen, die er seit ihrer ersten Begegnung hatte? Immerhin war es ein „WIR“, das Tom benutzte, als er feststellte, dass sie hier verschwinden mussten. Arthur blieb nicht wirklich Zeit, darüber nachzudenken. Er wich einem weiteren Angreifer aus, erschoss zwei, drei sich nähernde Männer. Sogar Kinder schienen unter den Angreifern zu sein, wie Arthur feststellte, als er einem Jungen eine Kugel zwischen die Augen setzte. Die Hölle! Er drehte sich, um dem Anblick zu entkommen, schoss weitere Kugeln mehr oder weniger gezielt ab, bevor ihm klar wurde, dass die Übermacht zu groß war. Er blickte zu Tom, der sich auf ihn zubewegte, die Hand nach ihm ausstreckte. Er schoss auf einen der Männer, der sich auf ihn gerade stürzen wollte. Es war seine letzte Kugel gewesen. Dann ergriff er die Hand. Sie zogen sich aneinander, fielen gemeinsam in einen scheinbar schwerelosen schwarzen Raum. Kapitel 41: Wicked game ----------------------- Koma 「 Tokyo / NYC 」 *Arthur* „Wieso fliehst du immer, wenn ich versuche, dich zu sehen mit allem, was dich ausmacht? Egal wo wir sind.“ Seine Stimme klingt seltsam dumpf in der Schwärze, die sie umgab. „Ich weiß, ich laufe auch gerne weg. Aber eigentlich dachte ich, dass wir versuchen wollten, das zu vermeiden“ Er dachte an Tokyo, an das Karaoke. Es war der Moment, in dem er einfach mal ehrlich hätte sein müssen, es aber nicht geschafft hatte. Seit ihren jüngsten Gesprächen über jene Erinnerungen wusste er nur umso mehr, dass damals alles ganz anders hätte laufen können, wenn er an diesem verfluchten Abend nicht den Schwanz eingezogen hätte. Der Aufschlag kam unvermittelt. Musik erfüllte den Raum. Arthur blicktesich um. Es kam ihm bekannt vor, aber so richtig greifen konnte er es nicht gleich. Ein Asiate stand auf der Bühne, sang etwas, ziemlich schräg. Japanisch? Dir en Grey? Die Frisur, die Klamotten…. „Trink noch ein Bier, Arthur!“, hörte er Dom neben sich. Er wendete den Blick. „Hör auf ihn abzufüllen!“, ging Mal dazwischen. „Aber sonst geht er nie auf die Bühne!“ Arthur wendete erneut den Blick, sah Tom neben sich, ein Schmunzeln lag auf seinen Lippen. Er griff zur Bierfalsche und prostete Tom zu. „Meine persönliche Hölle“, kommentierte er die Situation lax. “Da muss ich Dom recht geben“, sagte er nun zu Mal. „Allerdings gehe ich ohnehin nicht, wenn ihr nicht alle vor mir oben gewesen seid.“ *Eames* Das Gefühl zustürzen ließ ihn zusammenfahren. Er schnaufte überrascht, blinzelte einige Male, ehe er realisierte, wo er war: Tokyo, natürlich, wo sonst? Big Echo Shibuya. Schleierhafte Erinnerungen zerrten an seinem Bewusstsein; Ramadi, Archie... Arthur – wieder einer diese schlechten Träume. Er rieb sich die Stirn, nahm einen Schluck Whisky. Er musste geduldiger mit sich sein. Die Zeit im Irak war die schwerste seines Lebens gewesen und nichts würde je wieder so sein, wie es einmal war. ‚Trink noch ein Bier, Arthur!‘ Sie saßen im Halbkreis um einen runden Tisch, damit sie alle Sicht auf die Bühne hatten. Er prostete ihm entgegen, als Arthur die Flasche hob, trank einen weiteren kleinen Schluck. Irgendetwas war eigenartig an der Formulierung... ‚persönliche Hölle Er wurde den Gedanken nicht los, dass irgendetwas nicht stimmte. Eames' Blick ruhte auf Arthur neben sich; nicht lang genug, um es peinlich werden zu lassen. Was hatte er in seinem Tag-alptraum zu suchen gehabt? Und wieso wurde er das Gefühl nicht los, dass er versucht hatte ihn zu retten? Wo zum Teufel war er? „Allerdings gehe ich ohnehin nicht, wenn ihr nicht alle vor mir oben gewesen seid.“ Mal schmälerte die Augen, lächelte auf ihre einzigartige, undeutbare Weise. »Du weißt, dass du das bereuen wirst«, flötete sie und erhob sich in einer eleganten Bewegung. Sie trug ein schlichtes, doch schmeichelhaftes, schwarzes Kleid mit Rückenausschnitt. Sie hatte schon immer ein Händchen für das perfekte Outfit. Sie schlenderte zur Bühne und ließ sich das Mikrophon reichen. Ein altbekannter Gitarrensound ertönte. Ein Song, den man nie mit Mal in Verbindung gebracht hätte, wenn man sie nicht kannte. Ihr Stimmspektrum passte auf sonderbare Weise perfekt dazu. ‚In my eyes, indisposed In disguises no one knows Hides the face, lies the snake The sun in my disgrace…‘ (https://youtu.be/0uhiCQ0_Qqo) »Blackhole sun... die Frau ist verrückt«, entkam es Dom fasziniert. Ein stolzer, verliebter Idiot. »Es wird eng, Arthur. Bald ist niemand mehr übrig.«, wandte Eames an seinen Sitznachbarn. Es klang wie ein Echo in seinem Kopf; die merkwürdige Gewissheit, dass dies hier schon einmal passiert war. Nur wann? *Arthur* Arthur lachte leicht, als er hörte, zu welchem Lied Mal ansetzte. Es passte so gut zu ihr. Diese Erinnerung, seine Erinnerung war so schön. Er war nach der Aktion beim Billiard so viel entspannter gewesen, so viel sicherer, was er wollte. Nur noch dieser Job in zwei Tagen, dann würde er sich nicht mehr zurückhalten, sich zu nehmen, was er wollte. Nur noch diesen Job hinter sie bringen, dann würde er Toms Blick nicht ignorieren, sondern einfach auffangen und erwidern. Diese Aussicht fühlte sich gut an. Er spürte, dass er es kaum erwarten konnte. Vielleicht war das der Grund, warum er an diesem Abend sich etwas mehr auf die Wortspiele, die Flirtereien mit Eames eingelassen hatte. Sein Mut hatte nur zuletzt nicht dazu gereicht, das Lied zu wählen, das er eigentlich hatte singen wollen. Als dieser sich an ihn wandte, blickte er von der Bühne weg zu ihm. Er biss sich auf die Unterlippe, zog leicht verzweifelt die Augenbrauen hoch. "Wohl wahr", antwortete er seufzend und trank demonstrativ von dem Whiskey, den ihm Dom rübergeschoben hatte, kaum hatte sich Mal erhoben. Doms Blick ruhte auf der Frau, die jener so abgrundtief liebte. Er hatte den Anfang gemacht. Letztlich waren nur noch Tom übrig, bevor er die Bühne betreten musste. Arthur beugte sich zu Tom, flüsterte ihm ein "Was muss ich tun, damit du den Auftritt boykottierst?" zu. Das war schließlich die einzige Möglichkeit, ihn davor zu bewahren, auf die Bühne gehen zu müssen. Er wusste, dass es nicht funktionieren würde, dass sich Tom dazu nicht überreden ließ - ganz im Gegenteil. Kurz hatte er überlegt, ob er nicht schon hier ihr Gespräch bzw. den Verlauf so ändern sollte, damit er weniger Zeit verlor. Er hatte nur zwei Stunden, um Tom zurückzuholen. Aber er entschied sich dagegen. Vielleicht auch, weil er die Erinnerung an Tom auf der Bühne als kostbar empfand. Er löste sich etwas, nur ein Stück und blickte in die sturmgrauen Augen, die aufgewühlt, unruhig waren. Vermutlich war der Forger hinsichtlich des Komas nur bedingt fähig zu erkennen, dass es sich hier um eine Erinnerung handelte. Wenn er wollte, dass sich Tom erinnerte, dann sollte er mehr Zeit vergehen lassen, bevor er markant etwas ändern würde, um ihn wachzurütteln. *Eames* ‚Was muss ich tun, damit du den Auftritt boykottierst?‘ Er lachte leise doch ausreichend abfällig auf Arthurs verzweifelte Bitte. »Das kannst du dir nicht leisten.«, antwortete er salopp. ‚Falsch, er verdient genug Geld mit Ariadne...‘, der Gedanke glitt durch seine Kopf und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Wie eine Muräne, die sich in ein neues Loch im Riff verzog. Die Verwirrung, die er zu verbergen suchte so gut er konnte, blieb jedoch zurück, auch als Arthur ihm direkt in die Augen sah. ‚Is all that we see or seem...‘ »Gönn dir ruhig noch einen Drink, das hilft.«, ermunterte er ihn und stieß ungebeten mit seinem Glas gegen Arthurs, ehe er trank. Ein Ablenkungsversuch. ‚...but a dream within a dream?‘ Er fühlte sich angetrunken und irgendwie high. Wo sonst kam das eigenartige, außerkörperliche Gefühl her? Vielleicht hatte auch Mal mit ihrer fabelhaften Version von Blackhole Sun eine Wirkung auf ihn. Jeder Mann im Raum schien von ihr verzaubert; speziell natürlich Dom. Er konnte selbst nicht leugnen, dass sie ihm gefiel... Er klopfte Arthur auf den Rücken. Manchmal war irgendein Körperkontakt besser, als gar keiner. »Nach meiner Nummer wird’s dir leichter fallen, Darling.«, zu Arthur während sie Mal applaudierten. Er lehrte sein Glas in einem Zug und stand auf. »I'm an alien, I'm a legal alien ~«, flötete er dabei, was ihm einen irritiert amüsierten Blick von Dom einbrachte. Allerdings war er anschließend viel mehr damit beschäftigt seine rückkehrende Frau mit Küssen zu ihrem gelungenen Auftritt zu beglückwünschen, als sich über Sting zu beschweren. Es war nicht Englishman in New York, was sie auf Eames Zeichen hin anspielten, sondern Wicked Game. Eames wiegte sich im Klang. Forgen bedeutete auch Performen. Für einen Schauspieler hatte er eine erstaunlich schlechte Singstimme, was er mit auf sonderbare Weise mit Charme und zumindest halbwegs getroffenen Noten wieder wett machte. ‚The world was on fire and no one could save me but you It's strange what desire will make foolish people do‘ Es dürfte Arthur ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gewundert haben, dass Eames mehr als einmal Blickkontakt zu ihm aufbaute. Er hatte ziemlich deutlich gemacht, dass er Interesse hatte – wenn auch nicht nicht immer auf die eleganteste Art und Weise. Sie waren noch nicht an dem Punkt an dem Eames aufgab, aber er würde Arthur auch nicht ewig anhimmeln. Das hatte er sich zumindest vorgenommen... ‚I'd never dreamed that I'd love somebody like you And I'd never dreamed that I'd lose somebody like you‘ (https://youtu.be/GM8VWNMThnQ) *Arthur* Arthur seufzte, verkniff sich ein Schmunzeln, als er Toms Antwort hörte. Nein, das konnte er sich vermutlich nicht. Im Moment würde er es auch nicht wollen. Etwas an Eames Blick ließ ihn stutzen. Er war anders, als in seiner Erinnerung. Er griff zum Glas, trank noch einen Schluck, blickte wieder zu Mal, die ihre ganz eigene Magie nutzte, um den Raum für sich zu gewinnen. Die Hand auf seinem Rücken, ließ ihn wieder zu Tom blicken. Seine Augenbrauen hoben sich zweifelnd. Er wusste, dass dem gar nicht so gewesenn war. Toms Lied hatte ihn so aus der Fassung gebracht, dass er selbst nicht mehr wusste, was er singen sollte. Jetzt im Moment merkte er, dass er sich auf den Auftritt von Tom freute. Damals hatte er abgeblockt, war versteinert und hate versucht sich einzureden, dass es ihn nicht berührte. Er durfte so kurz vor dem Job doch nicht aus der Bahn geworfen werden! Etwas ganz anderes war wirklich der Fall gewesen. Heute fing er die Blicke auf, erwiderte sie konsequent. Er machte keinen Kommentar, um Mals Blick zu entgehen und Doms fragenden Blick abzulenken. Diesmal nicht. Er nahm das Lied, die Kritik, die darin hinsichtlich seines Verhaltens mitschwang an. Es passte zu ihrer Situation und auch zu dem, was kommen würde einfach nur perfekt. Insgeheim hatte er Eames damals schon bewundert, dass er so spontan dieses Lied hatte auspacken können, während er bis zuletzt gehofft hatte, niemals etwas singen zu müssen. Als die letzten Töne verklungen waren, klatschten einige, auch Mal und Dom. Manche pfiffen sogar. Auch wenn man vielleicht nicht der beste Sänger war - wenn ehrliche Gefühle transportiert wurden, dann berührte es immer. Er war damals nur zu verbohrt und ignorant gewesen, das zu akzeptieren, es wahrhaben zu wollen. Arthurs Blick wich nicht von Tom, der nun von der Bühne ging, zu ihnen zurückkehrte. Arthur stand auf, blickte zu Mal, die ihn aufmunternd, fast etwas auffordernd ansah. „Nun komm schon!“, hörte er Dom. „Du tust grad so, als gingest du zum Schafott.“ Sein bester Freund grinste ihn an. Arthur griff zum Whiskeyglas und trank in einem Zug aus. „Dass mir danach aber keine Klagen kommen“, sagte er und blickte nun Eames, abschätzend, distanziert an. Er sollte nicht zu viel vom Skript der Erinnerung abweichen, wenn er wollte, dass nachher der Effekt groß genug war. "Leichter?", sagte er leise, als er vorbeiging. "Ich kann nur untergehen." Schweren Schrittes trat er auf die Bühne, ging zu dem DJ hin, dem man seinen Wunsch sagen musste. Damals hatte er jenem gesagt, dass er den Zufall entscheiden lassen solle. Er hatte keine Ahnung gehabt, was er singen sollte, kein Vorstellungsvermögen. Noch immer wie benommen von der Botschaft, die Tom ihm hübermittelt hatte, war er unfähig, sich wirklich Gedanken zu machen. Er hatte von der Liste „Pop aus den 90ern“ wählen lassen. Der Zufall hatte entschieden: „Hit me, Baby, one more time“ - Britney Spears. Es war der Horror gewesen. Es hatte ihn lange verfolgt, sehr lange. Nicht nur, weil Eames ihn den ganzen Abend damit noch aufgezogen hatte, wobei er die Verletzung deutlich hatte heraushören konnte. Oft hatte er darüber nachgedacht, welcher Song der richtige gewesen wäre. Die meisten Songs wären besser gewesen. Dieses Mal ging er zu jenem DJ und sagte etwas anderes. „You are the one that I want - in der Version von Lo-Fang.“ (https://www.youtube.com/watch?v=jYluMAO1b7Y) Nein, er würde nicht die schrille Orginalversion nehmen, bei der jeder John Travolta und Olivia Newton über den Bildschirm hüpfen sah. Er nahm diese. Der Text war etwas anders, das Original nur schwer herauszuhören. Vermutlich konnte man diese Interpretation in keiner Karaoke-Bar singen, weil es dafür zu unbekannt war. Im Traum spielte das keine Rolle, schon gar nicht seinem. Er griff zum Mikro. Das war ihm damals schwer gefallen. Jetzt war es anders. Er hatte eine Botschaft. Und er hatte etwas gut zu machen. Tom hatte ihm mit seinem Lied so viel gesagt. Diesmal würde er das nicht zerstören. Das Klavier setzte ein, wartete auf ihn. Arthur schloss die Augen, lauschte dem Klang, dann begann er zur singen, ruhig und ausdrucksstark, nicht so unsicher und zweifelnd wie damals. Er wusste nicht, ob er gut singen konnte. Er tat es einfach. I've got chills. They're multiplying. And I'm losing control. 'Cause the power You're supplying, Is electrifying Arthur öffnete die Augen und suchte Toms Blick. Es schien ihm fast, als wäre das Publikum eine undefinierbare Masse, nur Tom stach daraus hervor und war klar zu sehen. You better shape up, 'Cause you need a man And my heart is set on you. You better shape up, You better understand To my heart I must be true. Ja, das hätte er damals sein sollen. Vieles wäre dann vermutlich anders gewesen. You're the one that I want, The one that I want, The one that I need. Sein Blick ruhte nach wie vor auf Tom, nun schloss er doch wieder die Augen. If you're feeling Some affection, That's too hard to convey. Meditated, By direction. Baby feel your weight... Arthur hoffte inständig, dass Tom trotz seines Zustandes verstand, worauf er hinauswollte. Er brauchte ihn. Thomas sollte auf sich aufpassen. Es mochte vielleicht sein, dass jener genug von seiner persönlichen Hölle hatte. Vielleicht war es Tom zu einem gewissen Teil auch egal, wie das hier ausging, ob er lebte oder nicht. Aber ihm war es das nicht. Tom war zu wichtig für ihn, gewichtig für sein Leben. Nach diesen fünf Tagen mehr denn je. Auch wenn er zu dumm gewesen war, sich das schon damals in Tokyo einzugestehen. *Eames* Untergehen? Sicherlich nicht. Er grinste, schüttelte den Kopf. Was Arthur nicht wusste, war wohl, dass er tun könnte, was immer er wollte. Es war vollkommen egal, er würde in ihm immer Perfektion sehen. Und zwar nicht die krankhafte Version, die Arthur manchmal in den Wahnsinn trieb, wenn es um Jobs ging, oder das richtige Paar Schuhe. Die Art von ‘perfekt‘, die keine Fragen mehr offen ließ; die rund war, weil man es einfach wusste. Es war schon lächerlich, wie sehr er ihn wollte. Diese Verknalltheit kannte er noch aus seiner Jugend und dennoch war das hier anders. Das eigenartige Gefühl Arthur bereits erobert zu haben, mischte sich ein. Dass sie sich schon viel länger kannten, als er glaubte... ob sie sich früher schon mal begegnet waren? In einem Traum? ‚You're the one that I want, The one that I want, The one that I need‘ Er fing den Blick auf und dieser war eindeutig. Eigentlich ein schöner Moment, nicht wahr? War es wohl - doch Eames spürte deutlich, dass etwas nicht stimmte. Diese Welt ist nicht real. Dom drehte den Kopf auf eigenartige Weise zu ihm; sah wieder zur Bühne; drehte den Kopf wieder auf dieselbe, sonderbare Weise. Ein Déjà vu, ein Fehler in der Matrix. Eames war sich nun fast sicher, dass es sich um einen Traum handeln musste. Seine eigene kranke Fantasie, die ihm einen gemeinen Streich spielte. ‚Ich hab den Chip!‘ , hörte er sich selbst sagen. Irgendwo in seinem Hinterkopf. Erinnerungen, wie blitzartige Flashbacks. Dieser Blick... Arthur saß auf ihm, nackt. Diese Lippen. ‚Das ist schon mal passiert…‘ Nein, vermutlich nicht. Er fühlte nach seinem Totem, doch konnte es nicht finden. Er hörte ein Grollen aus der Ferne. Dumpfe Pistolenschüsse. ‚Das ist nur in meinem Kopf‘, ermahnte er sich. ‚That's too hard to convey. Meditated, By direction. Baby feel your weight...‘ ‚Ich muss aufwachen!‘ Die Leute klatschten. Eames brach der kalte Schweiß aus. Er blieb starr sitzen, bis sich Arthur wieder zu ihm gesellte. »Begleitest du mich nach draußen? Ich müsste mal eine rauchen...« Er schnappte sich sein Glas, in welchem wieder orangegoldener Whisky schwappte, ging vor. Die Musik im Laden verzerrte sich und hüpfte arhythmisch, als wäre ein Sprung in der Platte. Auch wenn er an der Echtheit seiner Realität zweifelte, schien eine Sache klar zu stehen: Arthur war real. Nichts war so real wie er. Deswegen griff er auch nach dessen Arm, krallte sich in den Stoff seines Hemdes, dass er ihm ja nicht durch die Lappen ging, als er die Tür nach draußen aus Panik mit der Schulter aufstieß. Was sie empfing war ein wirsches Schneegestöber. Eiseskälte minimale Sicht und das vibrierende, alles durchdringende, tiefe Knirschen von sich bewegenden Eisplatten. Das Big Echo war verschwunden. *Arthur* Eames Blick und seine Körperhaltung verrieten ihm, dass das Lied etwas angestoßen hatte. Es war schwierig abzuschätzen, was geschah und was geschehen würde. Der Traum, in dem sie sich befanden, war zwar von ihnen beiden gefüllt worden, aber letztlich basierte das hier alles auf einem Zustand zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein. Es war nicht der typische Traum, der durch Somnacin gefestigt wurde. Nicht der Traum, den ein Profi wie Tom einfach durchschauen und sich dessen vergewissern konnte. Vorhin hatte er deutlich gesehen, wie aufgewühlt er war. Jetzt war der Eindruck noch deutlicher. Die Erkenntnis, dass er träumte, schien sich ihm aufzudrängen. Doch sicher auch, dass es eben kein normaler Traum war. Aber ob er die Zusammenhänge erkennen konnte? Vermutlich nicht, noch nicht. Arthur blieb nichts, als zu hoffen, dass Tom es weiter zuließ, ihn in diesem undefinierten Zustand in die Richtung der Erkenntnis zu stoßen. Noch ließ er es zu, denn er hätte auch ohne ihn diese Erinnerung verlassen können. „Klar“, antwortete er und folgte ihm in Richtung Tür. Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Location brüchig wurde. Offenbar übernahm Toms Unterbewusstsein wieder die Oberhand. Ein Schutzmechanismus? Gewiss. Ein gutes Zeichen? Ungewiss. Arthur blieb nur zu hoffen, dass er sich nicht wieder gegen ihn richtete. Die Hand, die mit einem Mal in sein Hemd griff, ihn mitzog, kam unerwartet. Etwas veränderte sich. War das Angst? Wovor? Und was würde geschehen, wenn sie durch die Tür traten? Würde er ihn hinausschmeißen, ihn gar exekutieren? Tom konnte das mit Leichtigkeit. Das wusste er - spätestens seit dem Job in Tokyo. Die Kälte, die ihnen entgegenschlug, war erbarmungslos und griff nach ihm wie eine eiserne Hand. Er zog sich automatisch zusammen, spürte, wie die Kälte in seine Lunge schnitt, so das er kaum Luft bekam, ähnlich wie bei der Hitze im Irak. Kapitel 42: NON, JE NE REGRETTE RIEN. ------------------------------------- *Arthur* “Kalt und grau.“ - Arthur hatte das Gefühl, gerade etwas Wichtiges zum Greifen nahe zu haben. Hitze im Irak. Eiseskälte in Toms Träumen, beim Job. Jetzt, während er um die Realität kämpfte. Offenbar fuhr Tom dieses Wetter hoch, um alle Teilhaber vor seiner persönlichen Hölle zu schützen - und damit auch sich selbst – und vor sich selbst? Es war das genaue Gegenteil zu Ramadi. Daher unterband es die Möglichkeit, dass plötzlich Archie hier auftauchen könnte. So wie er seine Träume nur in Städten aufbaute, nur in geschlossenen Räumen, geradlinigen, unkreativen, nicht verspielten Räumen. Niemals in der Natur, auch wenn diese hervorragende Räume für Labyrinthe bot. Nie improvisiert, frei, wild. Die Gefahr, dass Enya ihm dort Gesellschaft leisten wollte, war ihm zu groß. Sicher auch ein Grund, weshalb sie zuletzt in jenem Park aufgetaucht war. Enya. Ihr hatte Tom ein Versprechen gegeben, niemals ihm. Sie hatte eine krasse Wende in seinem Leben verursacht. Mehrmals. Jetzt kämpfte er darum, dass die letzte ihn nicht in die Hölle katapultierte. Ob er sie brauchen würde? Er drehte sich ganz zu Eames, stand nun direkt vor ihm. Seine Arme hatten sich wie von selbst um seinen Oberkörper geschlungen. Er suchte den Blick des anderen, versuchte auszuloten, was in ihm vorging. Aber das war schwer. Wobei das Wetter, der Schneesturm vermutlich deutlich genug war. „Du willst wissen, was passiert ist“, stellte er in den Raum. „Du hast dich übernommen, auch wenn du das vermutlich anders sehen würdest. Und ich habe dich nicht ausreichend vor dir selbst geschützt. Ich war selbstsüchtig gewesen. Ich wollte genießen, dass wir uns endlich wieder nahe waren, anstatt mit dir zu streiten und das fragile something zu gefährden. Jetzt bin ich hier, um dich zurückzuholen. Du hast deinen Job gemeistert. Nur jetzt scheinst du nicht zu wissen, wie es weitergehen soll.“ Er blickte auf Toms Lippen, überwand die Distanz jedoch nicht, auch wenn er es zu gerne wollte. Wenn Eames der ganzen Situation misstraute und das Gefühl bekommen würde, dass er ihn manipulierte oder anlog, dann wäre das fatal. Solange jener sich nicht ganz erinnern konnte, könnte es mehr zerstören, als dass es heilend wäre. *Eames* Der Wind peitschte ihnen grausam um die Ohren, aber der Schnee wurde weniger. Über ihnen eine dunkel grüngraue Kuppel aus Gewitterwolken, die sich wanden und ineinander wühlte wie ein Schlangennest. Tiefes Grollen aus der Ferne. Die Kälte und der Wind machten ihm nichts aus, auch wenn es heftig an seiner Kleidung riss. Sie standen auf einer Eisscholle, die von einer dünnen Schneeschicht bedeckt war. Das Eis unter ihnen schien sich sehr langsam und schwerfällig zu bewegen und knirschte dabei. Außerhalb der ca 20x20 Meter großen Eisfläche erstreckte sich ein unendliches, schwarzes Meer, rings um sie herum. Er war schrecklich durcheinander. Eine Stimme in seinem Hinterkopf tobte und schrie ihn an, er solle aufwachen; aber er konnte nichts tun, sein Verstand war wie gelähmt. Auch dieser Ort schien ihm ein wahres Rätsel. Ob er sich im Limbo befand? Vielleicht war die Inception missglückt... Cobb würde seine Familie nie wiedersehen. Arthur und er waren gestorben und tief gefallen... ‚Du hast dich übernommen...‘ ‚... ich wollte genießen, dass wir uns endlich wieder nahe waren...‘ Nichts ergab einen Sinn. Außer die Erwähnung dieses somethings... die Gefühle, die daran verknüpft waren, fühlten sich echt an. Etwas, woran er sich festhalten konnte in dem bodenlosen Käfig seines Geistes. »Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll«, bestätigte er und suchte hilflos etwas in diesen tief schwarzen Augen vor sich, die ihn wehmütig ansahen. Er packte ihn an den Oberarmen, langsam und bedächtig. »Wir träumen, Arthur.« Als hätte ihn gerade eine Erkenntnis überfallen. »Wir sind gefangen, wir müssen uns umbringen, dann kommen wir hier raus. Wo ist deine Waffe?« Er hatte keine und konnte ums Verrecken nicht den Ort in seinem Verstand erreichen, der ihm geholfen hätte sich eine zu erträumen. *Arthur* Arthur versuchte sich durch die Umgebung nicht einschüchtern zu lassen. Es hatte etwas Bedrohliches, genauso wie es die Unruhe seines Gegenübers wiederspiegelte. Er spürte, dass sie sich dem entscheidenden Wendepunkt näherten. Umso aufmerksamer wurde er. Er durfte sich keinen Fehler erlauben. Je mehr er sprach, desto mehr Verwirrung schien in Eames Augen lesbar zu sein. Die Stirn des anderen hatte sich zusammengezogen, er rang mit sich, versuchte sich zu erinnern. Doch der Schutzmechanismus schien weiterhin die Oberhand zu behalten. Die Ohnmacht hielt ihn davon zurück, wieder zu sich zu kommen. Vielleicht sollte er doch deutlicher werden. Aber dafür musste er erst wissen, ob Tom ihm vertraute, ob er ihm traute. Als er something sagte, änderte sich etwas Toms Blick. Eine Gewissheit, eine Sicherheit? Vielleicht. Arthur lächelte fast ein wenig traurig, als Eames sich zu erklären versuchte. Hatte er ihm nicht gesagt, dass er nach Mombasa mitkommen wollte? War das nicht der Weg, wie er weitergehen würde? Ihr gemeinsamer Weg? Oder war das nur ein Wunschdenken gewesen, ein Traum, der bei ihrer verkorksten Geschichte ohnehin nie funktionieren würde? Aber diese Gedanken gehörten jetzt nicht hierher. Er spürte die warmen Hände an seiner eisigen Haut, wie sie seine Oberarme umfassten, ihn festhielten. Arthur wehrte sich nicht, erwiderte den Blick. Endlich kam eine Erkenntnis! Er nickte zunächst leicht, zumindest bevor Eames fortfuhr. Dann schlich sich ein anderes Gefühl in seine Augen, die sich weiteten. Vehement schüttelte er den Kopf. „Nein, nein, nein, nein! Wage es ja nicht, auch nur daran zu denken!“, sagte er bestimmt und blickte Tom an. Er hatte die Hände gehoben, sie ihm auf die Brust gelegt, um ihn wegstoßen zu können, falls jener versuchen sollte, ihn nach einer Waffe zu durchsuchen. „Ja, wir träumen“, bestätigte er nun noch einmal. Sein Atem ging hektisch, sein Herz schlug schnell. „Aber du auf eine andere Art als ich!“ Arthur hatte keine wirkliche Ahnung, was geschehen könnte, wenn Tom sich in seinem eigenen Traum, in einem komatösen Zustand selbst umbrachte. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass jener damit sein Todesurteil besiegelte, war mehr als groß. Arthur versuchte sich seine Panik nicht anmerken zu lassen, die bei dem Gedanken mit einem Mal nach oben kroch. „Ich träume, um dich hier treffen zu können, um dich zurückzuholen, dir den Weg zu weisen.“ Das hoffte er zumindest. „Aber deine Träume, funktionieren anders. Hör mir gut zu, Thomas Eames!“ Seine Worte waren nachdrücklich, sein Blick ernst, streng. „Dein Körper streikt, er hat dich in ein Koma geworfen, um sich selbst zu schützen. Du hast den Job beendet, dann bist du zusammengebrochen. Zu wenig Schlaf, zu viel Alkohol, zu viele Tabletten wegen deiner Rippen – und dann das Somnacin, der Druck, der Stress, den die Italiener auf dich ausüben.“ Er rang nach Worten. „Wenn du dich umbringst, bist du tot. Yusuf sagt, dass deine Ohnmacht so stark ist, dass es dich das Leben kosten könnte.“ Eben noch war er fast wütend auf Tom, dass er diesen Gedanken dachte. Nun konnte Arthur nicht mehr verhindern, dass die Emotionen, die bei diesen Worten in seinem Inneren mitschwangen, auch in seinen Augen zu lesen war. „Ich verstehe nicht, warum du nicht aufwachen willst“, versuchte er wieder sicherer zu klingen. „Du hast endlich die Möglichkeit, dich aus der Scheiße mit den Italienern zu ziehen. Dann wollten wir nach Mombasa. Du musst doch einfach nur aufwachen und wieder bei mir sein, verdammt noch mal!“ Seine Stimme brach leicht. Scheiß Emotionen. Er räusperte sich, sammelte sich einen Moment. „Du musst einfach nur aufwachen, hörst du – aber nicht, indem du dich erschießt! Das wäre dein Todesurteil.“ Und meines… Er suchte in den Augen des anderen nach der Antwort auf die Frage, ob Tom nun besser verstand und ihm auch glaubte. Seine Finger hatten sich in das Hemd verkrallt. Sein Blick glitt von den Augen zu den Lippen. Vielleicht sollte er ihn doch so daran erinnern, was gewesen war, warum es so wichtig war, dass er zu ihm zurückkam. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Sicher waren die zwei Stunden bald vorbei. Er zog Tom zu sich, küsste ihn sanft und voll Verzweiflung. Es wurde ihm mit einem Mal wieder wärmer, von innen heraus. *Eames* Die Erkenntnis, dass er sich in einem komatösen Zustand befinden sollte, traf ihn hart. Die kleinen Zahnrädchen hinter seiner Stirn schienen verhakt und eingerostet zu sein; das Denken fiel ihm schwer, aber er kämpfte jeden Funken neue Erkenntnis bei sich zu behalten. Schon ein Wimpernschlag schien Wissen auslöschen zu können. Sein Atem stockte immer wieder, während er Arthur zuhörte und weiter festhielt. Er machte jedoch keine Anstalten an dessen Waffe zu gelangen, auch wenn sein erster Impuls ihm dazu geraten hatte. Mombasa – seine Heimat. Er erinnerte sich an die Dachterrasse; er saß auf seinem hölzernen Liegestuhl mit einem Cocktail in der Hand. Arthur und eine junge Frau, die ihm sehr ähnlich sah, lehnten am Geländer. Vergangenheit? Zukunft? Er spürte eine tiefe Unruhe, die Angst über die Gewissheit, dass er die Kontrolle verloren hatte. Er wusste nicht mehr, was wirklich passiert war und was nicht. Einfach Aufwachen – konnte doch nicht so schwer sein. Wieso reichte es nicht es einfach nur zu wollen? Der Kuss kam überraschen, auch wenn so viel Vertrautes darin steckte. Eine trübe Erinnerung, die irgendwo an seinem Hirn zu kratzen schien. Da war etwas, ‚ something, das er beschützen musste. Er hielt Arthur fest und erwiderte den Kuss. Es fühlte sich an, als wäre es das einzige an dem er festhalten konnte; ein realer Moment. Der Boden unter ihnen stöhnte bedrohlich und bewegte sich. Lautes Knarzen war zu hören. Unter der dicken Eisschicht bewegte sich etwas. Riesige schwarze Seeschlangen mit verwachsenen Leibern. Alptraumhafte Seeungeheuer, dessen Ursprung er schemenhaft den Jugendbüchern zuordnen konnte, die er im Internat gelesen hatte. Er schlang seine Arme eng um Arthur und drückte ihn mit aller Kraft an sich, als befürchtete er ihn und sämtliche Erinnerungen daran zu verlieren, wenn er losließe. Er ließ nicht einmal los, als ein schwerer Stoß durch die Eisplatte ging und sie beide ins Wanken brachte. Weiteres lautes Knacken, als der Grund unter ihnen aufbrach und sie in schwarze, nasse und eisigkalte Finsternis stürzen ließ. *Arthur* Das Mienenspiel des anderen verriet ihm, wie sehr Tom versuchte, sich zu erinnern und zu begreifen, was geschehen war. Er versuchte es, krampfhaft. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Druck an seinen Armen, der Griff des anderen wurde nicht lockerer. Arthur war erleichtert, dass Tom auf ihn hörte, nicht versuchte durch einen Kick aufzuwachen. Wenn man ohnehin in der Dunkelheit gegangen war, wäre noch mehr Dunkelheit fatal, oder? Nicht, wenn Monster einen heimsuchten. Monster der Vergangenheit. Dass er Tom von sich aus küsste, war vermutlich überraschend. Nicht nur, weil es wirklich meistens Tom war, der ihn in einen Kuss entführte, sondern auch, weil sich Tom offenbar nicht bewusst war, dass sie versuchten, ein something aufzubauen. Das wurde ihm aber klar, als jener einen Moment brauchte, bevor er den Kuss erwiderte. Irgendwie schmerzte diese Erkenntnis. Doch schließlich erwiderte er den Kuss umso intensiver. Arthur spürte, wie Toms Arme sich um seinen Körper schlangen, ihn festhielten, so fest, als habe er Angst, ihn zu verlieren. Arthur spürte diese Angst, er spürte sie sehr deutlich tief in sich. Denn es war der Spiegel seiner Angst. Die Angst, dass das hier ihr letzter Kuss sein könnte. Seine Augen brannten. Es war nicht die Umarmung, die ihm die Tränen in die Augen trieb. Das Eis unter ihnen geriet mehr und mehr in Aufruhr. Was kommen würde, wenn es brach, war ungewiss. Die Aussicht beängstigend. Arthurs Arme waren nach oben geglitten, seine Hände in den Nacken des anderen. Sanft kraulten seine Finger durch das Haar, das er so gerne berührte. Der Stoß gegen das Eis unterbrach den Kuss, als sie drohten zu stürzen. Doch Tom hielt ihn noch immer fest, schmerzhaft fest. Auch er selbst klammerte sich an ihn, hatte nach wie vor Angst, wenn er ihn losließe, würde er ihn verlieren - für immer. Arthur hörte das knarzende Geräusch einer alten Platte, die aufgelegt wurde und gleich zu spielen beginnen würde. In diesem Moment brach unter ihnen der Boden weg. Arthur japste nach Luft, bevor sie in das kalte Nass eintauchten. Er zog sich noch näher an Tom, vergrub sein Gesicht in dessen Halsbeuge. Unter Wasser hörte sich alles dumpf an, es schien fast, als würde die Zeit still stehen für einen Moment. Eingefroren, kalt, ungewiss, unheimlich. Nur die unvergleichliche Stimme von Edith Piaf erfüllte den Raum. Sie schien nicht hierher zu passen, nicht in diese Dunkelheit und Kälte. Sie mussten hier weg. Arthur schloss einen Moment die Augen, stellte sich seine Wohnung vor, sein Wohnzimmer. Er musste Tom nach Hause holen. Dringend. Und es blieb ihm nicht viel Zeit. Tom selbst schien nur in Dunkelheit stürzen zu können. Dann musste er es eben selbst in die Hand nehmen. In einem surrealen Moment verschwand das Wasser um sie, verschwand der Druck, die Kälte, die Nässe. Sie standen in seinem Wohnzimmer. Die Musik erfüllte weiter den Raum, aber nur er konnte sie hören. Er löste sein Gesicht aus der Halsbeuge und suchte Thomas‘ Blick. Dann begann er zu singen, setzte in den Gesang ein, leise, zögernd erst, dann sicherer. ... Non, rien de rien NON, JE NE REGRETTE RIEN. Ni le bien qu'on m'a fait Ni le mal tout ça m'est bien égal Non, Rien de rien NON, JE NE REGRETTE RIEN. Car ma vie, car mes joies Aujourd'hui, ça commence avec toi! Vielleicht half das, wie ein pawlowscher Reflex? Zumal es in gewisser Weise ausdrückte, wie er empfand. Mal hatte vor gefühlt einer Ewigkeit dieses Lied gewählt. Sie hatten es danach nie geändert. Während er sang begann sich bereits seine Wohnung zu zerstören. Gleich wäre er weg. Und im Moment konnte er nicht sagen, was danach geschehen würde. Vielleicht würde er ihn nie wiedersehen, nie wieder lebend. „Ich l...“ Arthur sog tief Luft ein, richtete sich ruckartig auf. „Alles in Ordnung?“, hörte er Yusuf neben sich. Er blickte ihn irritiert an, ordnete sich, schluckte. Dann sah er zu Tom, der neben ihm lag. Regungslos, starr. „Er kämpft“, hörte er sich sagen, dumpf tonlos. Er bemühte sich abgeklärt zu klingen. „Aber ich weiß nicht, ob er es schafft. Die Dunkelheit in seiner Seele ist erschreckend. Wir müssen weiter abwarten.“ Er löste den Zugang, fuhr sich mit den Händen über sein Gesicht. Die Angst in seinem Inneren war nicht gewichen. Eher im Gegenteil. Er hatte es nicht einmal geschafft, ihm zu sagen, dass er ihn liebte. Arthur stand auf und verließ den Raum. Er war aufgewühlt und sollte dringend zur Ruhe kommen. Seine Emotionen halfen niemandem. Draußen zündete er sich eine Zigarette an. Seine Finger zitterten, er konnte nicht still stehen, ging auf und ab. Ob er zu ihm durchgedrungen war? Ob es reichen würde? Vielleicht sollte er noch einmal hineingehen? Ihn noch einmal in diesem Zustand besuchen? Arthur kaute an seinen Fingernägeln. ‚Geduld!‘, mahnte er sich. ‚Er ist stark und wird es schaffen.‘ Kapitel 43: FML --------------- *Yusuf* In der letzten Woche hatte Yusuf auf Kunden verzichtet. Durch Arthur hatte er bereits einen Teil seiner Vergütung für den Jobs Fall erhalten und konnte dadurch seine Miete und Nachschub an Substanzen bezahlen. Was ihn belastete, war der Zustand seines Freundes. Sowohl psychisch als auch körperlich. Eames stand unter ständiger Beobachtung, seine Vitalwerte wurden spätestens alle zwei Stunden überprüft. Außerdem war es jederzeit möglich, dass er aufwachte und dann wäre er sicherlich dankbar über eine Erklärung und ein bekanntes Gesicht. Nun war der Supergau eingetreten. Der Fall den man sich ausmalte, wenn man die schlimmst möglichen Szenarien im Kopf durchging: Eames war mitten in der Nacht aufgewacht, ohne jemanden an seinem Bett. Noch schlimmer: er war auf und davon. Es war diese eine Nacht in der Yusuf einen Termin mit einem neuen Geschäftspartner hatte und nicht zuhause war. Ausgerechnet diese paar Stunden in denen weder er, noch Arthur da waren. Irgendwann zwischen 2 und 3 Uhr nachts; kurz nachdem Hassim seine Werte das letzte mal überprüft hatte. Natürlich hatte er nach ihm gesucht, er hatte alle Kontakte spielen lassen. Es grenzte an Zauberei, wie schnell er untergetaucht war, ohne Erklärung, ohne Nachricht. Nur drei Stunden nachdem er in Yusufs Laden das erste mal seit einer Woche die Füße auf den Boden gestellt hatte, war er wie vom Erdboden verschluck. Er hatte Arthur natürlich umgehend eine SMS geschrieben: „Er ist weg, er hat Hassim mit einer Waffe bedroht und ist verschwunden. Bin an ihm dran...“ Nun saß er neben dem leeren Bett im Behandlungsraum und wackelte nervös mit dem Zeigefinger auf und ab, als Arthur durch die Tür kam. Er stand auf, als wäre es die höflichere Art und Weise ein solches Gespräch zu führen. »Bei dir ist er also auch nicht aufgetaucht?« *Arthur* Arthur knallte die Akte mit den Fotos auf den Küchentisch, dann zündete er sich auf dem Weg zum Balkon eine Zigarette an. Die leere Zigarettenschachtel landete zerknüllt ebenfalls auf dem Tisch. Kalte Nachtluft schlug ihm entgegen, als er auf den Balkon trat. Sie tat gut, ließ ihn etwas nüchterner werden. Erst jetzt merkte er, dass seine Wohnung nach abgestandenem Whiskey und Zigaretten stank. Arthur inhaliert tief den Rauch, der orangeglühende Punkt war in der Dunkelheit des Balkons das einzige was man sah. Einen Moment betrachtete er diesen, ging seinen Gedanken nach. Ihm war schlecht. Vermutlich lag es an der Situation, dem Tag - oder daran, dass er in letzter Zeit nicht wirklich viel gegessen hat. Er trat vorsichtig ans Geländer, beugte sich etwas vor. Er musste aufpassen, der viele Alkohol ließ ihn schwindeln. Das Auto stand noch immer gegenüber dem Hauseingang. Ein Handydisplay leuchtete darin. Vor einigen Tagen war es ihm das erste Mal aufgefallen. Arthur trat zurück an die Hauswand, so dass er nicht gesehen werden konnte. Er kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe, zog erneut an der Zigarette, inhalierte tief den Rauch. Seit fast vier Wochen war Eames nun spurlos verschwunden. Mittlerweile wertete er das Auto als Indiz dafür, dass jener noch lebt und die Italiener ihn nicht in die Finger bekommen hatten. Sonst würden sie ihn nicht beschatten. Offenbar glaubten sie, dass sie in Kontakt miteinander standen. Dummerweise wartet er selbst auch noch immer auf ein Lebenszeichen von Tom. Seit ein paar Stunden wusste er, wie die Italos ihn gefunden hatten. Das Fragezeichen war geklärt worden: die Wanze. Er war ein Idiot gewesen, dass er das vergessen hatte. Aber im Trubel nach dem Job hatte er nicht mehr daran gedacht. Nun, jetzt war es so. Noch wusste er nicht, wie er sie wieder loswurde. Vielleicht würde er auf sie zugehen. Vielleicht könnte er Toms Probleme ja lösen. Es ging doch angeblich nur um Geld. Allerdings war die italienische Mafia schlichtweg unfassbar gefährlich. Jobs war mittlerweile nicht mehr CEO. Soweit er wusste, war jener in Philadelphia im Elternhaus. Seine Position war sogleich aufgefüllt worden. In den Zeitungen schrieb man von internen Umschichtung. Fakt war, dass Jobs rausgeflogen ist. Klar, wenn plötzlich ziemlich viel Geld verschwindet, für das er verantwortlich war. Der, der davon profitierte war Paolo Beretta, der Neffe von niemand geringerem als Silvio Berlusconi. Nun, Berlusconis Vater hatte schon Geld für die Mafia gewaschen. Offenbar wird das Erbe weitergereicht. Welcher Mafia-Clan davon profitierte, durchschaute Arthur noch nicht ganz. Dass es vermutlich der war, zu dem der Herr im Auto dort unten gehörte, war sehr wahrscheinlich. Mittlerweile wusste er, welcher Frage er vergessen hatte im Vorfeld nachzugehen: Wer profitierte davon, wenn Jobs fiel? Ob es etwas geändert hätte, wenn er vor der Durchführung das noch hinterfragt hätte? Nein. Vermutlich nicht. Momentan vermied er es, von den Italienern gesehen zu werden. Gut, dass sein Keller mit dem des Nachbarhauses verbunden war. So konnte er es durch den 24h Waschsalon von nebenan betreten, ohne gesehen zu werden. In der Arbeit hatte er noch nichts von seinen Verfolgern gemerkt. Hoffentlich blieb es so. Und das alles nur wegen Eames. Anfangs war Arthur wie vor den Kopf gestoßen gewesen. Als die SMS von Yusuf kam, hatte er es kaum glauben wollen. Er war so müde gewesen, wollte nur ein wenig in seinem Bett schlafen. Ausgerechnet da musste Eames aufwachen, allein, vermutlich irritiert wegen der Situation. Ausgerechnet der Araber, der am arabischsten aussah, war da gewesen. Wenn Tom während des Komas weiter durch seine persönliche Hölle geschritten war, dann war es kein Wunder, dass er ihn mit der Waffe bedroht hatte und er sich irgendwie erstmal verstecken hatte wollen. Arthur hatte sich Vorwürfe gemacht. Und er hatte Verständnis gehabt dafür, dass Eames erst mal nur weg wollte. Aber warum war er nicht zu ihm gekommen? Er hatte noch immer seinen Schlüssel, er wusste, wo er wohnte, er könnte doch einfach zu ihm kommen. Er hatte Tom gesucht, auf alle möglichen Arten, die er kannte. Sogar eine Anzeige in der Times, wie sie es vor langer Zeit einmal besprochen hatten, hatte er geschaltet. Das Resultat war gewesen, dass Dom ihn besorgt angerufen hatte. Irgendwann hatte er die Suche nach ihm aufgegeben. Hatte aufgehört zu versuchen die Flut an Bildern und Videos zu durchsuchen. Es war wie die Nadel im Heuhaufen. Zudem war Eames verdammt gut darin, nicht gefunden zu werden. Die Hoffnung, dass jener sich bald melden würde, war jedoch nicht so bald erloschen. 'These cigarettes won't stop me wondering where you are Don't let go, keep a hold If you look into the distance, there's a house upon the hill Guiding like a lighthouse to a place where you'll be Safe to feel at grace 'cause we've all made mistakes If you've lost your way... I will leave the light on…' Er hatte Cobb erklärt, was geschehen war - was den Job betraf zumindest, ein wenig - und ihn gebeten, sich bei ihm zu melden, wenn er etwas von Tom hörte. Er hatte auch Yusuf eingetrichtert, dass er ihn sofort anrufen solle, wenn er etwas hörte. Er hatte Jesse gebeten, nach ihm Ausschau zu halten. Er war bei Candela gewesen, hatte auf ihrem Platz gesessen, hatte sich in seinen kreisenden Gedanken gewunden. Wieder und wieder - Lebte er noch? Was war passiert? Was trieb ihn zu dieser Flucht? Der Job war geglückt, Jesse hat überwiesen. Wieso verdammt noch mal musste Eames untertauchen?! Oder hatte er etwas übersehen? Hätte er etwas finden, etwas tun müssen, was er nicht getan hatte? Wie sollte er sich verhalten? Was könnte er noch machen? Aber auch: Warum tat er ihm das an!? War es so schwer, ihm irgendeine Nachricht zukommen zu lassen? Es war die einzige Bedingung gewesen, die er an ihr fragiles something gestellt hatte: eine Verabschiedung. Hatte er etwas falsch gemacht? Zum Beispiel als er bei ihm im Koma gewesen war? Mittlerweile, etliche Tage später, hatte er sich letztere Fragen beantwortet. Er hatte es in Thomas Koma bereits gemerkt, jetzt war es deutlicher denn je: sie würden nie eine Beziehung führen können. Denn Tom hatte kein Interesse daran, ihn an seinem Leben wirklich teilhaben zu lassen. Er traute ihm nicht zu, Teil davon zu werden. Aber er wollte nicht in einer Illusion verharren, die nie Wirklichkeit werden würde. Damals hatte er das nicht so klar gesehen. Damals war er nur verletzt und traurig. Jetzt hatte er einen andren Standpunkt eingenommen. Die Wut, die er in Toms Koma begonnen hatte zu spüren, war nicht mehr gewichen und ernährte sich von jeder Minute. Candela hatte ihm damals Mut gemacht, ihm gesagt, was er so dringend hatte hören wollen. Dass er sich melden wird. Dass sich das alles aufklären wird. Und so weiter. Lauter Müll. Auch ihr hatte er seine Nummer gegeben, sie gebeten, ihn anzurufen, wenn sie etwas von ihm hören würde. Sie hatte sich seitdem nicht gemeldet. Er vermied es dorthin zurückzukehren, wo er einmal die Illusion von Glück empfunden hatte. Arthur blies langsam Rauch in den schwarzen Nachthimmel, drückte dann seine Zigarette aus, öffnete die nächste Schachtel. Es hatte drei Wochen gedauert, bis er begriffen hatte, dass Eames nicht mehr kommen würde. Zwei Wochen lang hatte er sich noch alles schön geredet hatte. Er war bestimmt nur unterwegs, um seine Sachen zu regeln. Er würde sich melden, wenn er alles erledigt hatte. Er würde bestimmt bald einfach in seiner Wohnung stehen, einen seiner Sprüche loslassen und dann war alles wieder gut (nach einem darauffolgenden heftigen Streit vermutlich). Seit damals konnte er kaum schlafen, lag er wach, schlief wenn nur oberflächlich und lauschte auf die Geräusche des Schlüssels, die nicht kamen. Tagsüber plante er in der Arbeit alles so, dass er zwischendurch nach Hause kam, um zu schauen, ob er da war. Er hatte in ihrem Bett geschlafen, in seinem Geruch, hatte alles so gelassen, wie es war. Sogar das letzte Whiskyglas, das Chaos im Badezimmer, die Klamotten, die nach ihrem Essen an ihrem letzten Abend zu Boden gegangen waren. 'I didn't hear you leave I wonder how am I still here And I don't want to move a thing It might change my memory Oh I am what I am I'll do what I want But I can't hide And I won't go, I won't sleep I can't breathe Until you're resting here with me And I won't leave, and I can't hide I cannot be until you're resting here with me I don't want to call my friends They might wake me from this dream And I can't leave this bed, Risk forgetting all that's been' Nach zwei Wochen wurde er unsicher. Nach drei Wochen hatte er es endlich begriffen, dass Tom weg war - ohne sich zu verabschieden, ohne ihn mitzunehmen, ohne zurückzukehren. Die Erkenntnis war schmerzhaft. Vermutlich saß Eames bereits in Mombasa, trank auf seiner Dachterrasse einen Drink und genoss sein unbeschwertes Leben, wie er es ihm bei ihrem Essen so anschaulich beschrieben hatte. Arthur hatte seit dieser Erkenntnis seine Wohnung nur zum Umziehen und duschen betreten – mittlerweile war eine Woche vergangen. Er war ins Büro gezogen, um endlich wieder schlafen zu können, um nicht mehr ständig erinnert zu werden. Er wollte nicht mehr dessen Sachen sehen, die noch da waren. Er wollte ihn nicht mehr riechen müssen. Er wollte Abstand. Die Wohnung einfach aufzuräumen brachte er aber auch nicht fertig. Das würde sich morgen ändern. Es musste sich morgen ändern. Dringend. Seit der Erkenntnis hatte Arthur so getan, als ob ihn das nicht berühren würde. Alles war gut. Alles war wieder wie vorher. Das viele Arbeiten half. Was brauchte er mehr? Er war doch vorher auch glücklich gewesen! '…But stressed all day So what I'm living out my dreams Like every night I love my life But when I open up my blurry eyes It's not as nice Fuck my life I love my life Fuck my life I love my life Fuck my life…' Vorhin hatte er sich dabei erwischt, wie er nach Indizien für seine Rückkehr in seiner Wohnung gesucht hatte. Das Herz war ein dreckiger Verräter. Arthur stieß sich vom Geländer ab, drückte die Zigarette aus, betrat die dunkle Wohnung. Er ging ins Wohnzimmer, füllte sein letztes sauberes Whiskeyglas, dann setzte er sich im Dunklen aufs Sofa. Es gab keinen Grund, weshalb die Männer dort unten wissen sollten, dass er zu Hause war. Der Blick auf die Uhr sagte ihm, dass dieser unsägliche Tag zumindest schon seit ein paar Stunden vorbei war - sein Geburtstag, der fast jeden bisherigen an Scheiße übertroffen hat. Zeit, ins Bett zu gehen und zu versuchen, ein wenig Schlaf zu bekommen. Er stürzte das Glas hinunter. Der Alkohol half, dass sein Kopf zumindest etwas schneller abschalten konnte. Arthur inhalierte den Geruch von Tom, den er sich noch immer in seinem Bett einbildete. Nur noch diese eine Nacht würde er ihn sich gönnen. Nur diese eine Nacht. Seine Träume waren heftig, wirr, voll Verzweiflung und Sehnsucht. Geprägt durch das, was er im Koma erlebt hatte. Es ging ihm ziemlich nach. Besonders da er glaubte, immer deutlicher auch Eames sehen zu können. Das, was jener nie direkt über sich verriet. Archie, der Krieg, die Todessehnsucht, die Bereitschaft für Risiken, sein Problem, ihm zu trauen und ihn dennoch zu brauchen. Und ständig dieses Lied, das ihn tiefer denn je berührte. 'The world was on fire and no one could save me but you...' Wenn es denn wirklich so wäre. Wenn er ihn doch wirklich retten könnte. Das ging nicht, wenn man sich verschloss und nicht redete. Gerädert und schlecht gelaunt wachte er auf. Genau die richtige Stimmung für das, was er zu tun hatte. Systematisch begann er die Wohnung von allem zu befreien, was an Thomas Eames erinnerte. Alles verschwand: angefangen von seinen Klamotten über seinen Koffer hin zu all den Zeichnungen, die seine Verbindung zu ihm verrieten. Alles verschloss er in dem Panikraum, den er beim Umbau seiner Wohnung einst eingerichtet hatte. Ein Raum, der ursprünglich ein Teil des Flurs gewesen war, abgetrennt, gepanzert, klein, aber für gewisse Dinge ideal. Nur er wusste, wie man hineinkam. Nur er konnte ihn öffnen. Waffen, Akten, Nahrungsmittel, Wasser, Geld, Papiere, Identitäten,... Zumindest ein paar Tage könnte man zur Not darin überbrücken. Wenn er fliehen musste, stand alles dafür bereit. Der Zugang hinter einem Regal war so versteckt, dass es kaum möglich war, den Raum zu finden. Er packte eine Grundausstattung extra, eine neue Identität, eine Waffe, Geld etc. Er würde sie in den nächsten Tagen an einem sicheren Ort deponieren, falls er einmal nicht mehr ins eine Wohnung käme. Zuletzt verstellte er die Uhr, stellte die Uhrzeit von Belfast ein. Den P.A.S.I.V-Koffer würde er morgen zu Yusuf bringen. Er hatte in den letzten Wochen gehadert, ob er sich anschließen sollte. Er dachte an ihr letztes Training in Mombasa, den Gedanken, dass es eine Berechtigung für Yusufs Geschäft gab. Aber er hatte es gelassen. Kalter Entzug. Der Tom in seinem Traum konnte ihm nicht die viel zu vielen Fragen beantworten, die er hätte. Anschließend begann er die Wohnung klinisch rein zu putzen, überall, alles, jede Spur, jeden Fleck, der auf Thomas‘ Anwesenheit in dieser Wohnung hindeuten könnte. Die Bettwäsche kochte er, das Bad putze er sogar mit Chlorbleiche. Diese monotone, stupide Putzerei tat ihm gut, seine Gedanken zu sortieren. Die Wut, die er beim Aufstehen begonnen hatte zu spüren, wich nicht. Seit Toms Verschwinden war einiges durcheinandergeraten, seit seinem Geburtstag noch mehr. Er musste dringend wieder klarer sehen, rationaler. Besonders nach den Ereignissen des vergangenen Tages, seines Geburtstags. Dieser unsägliche Tag „Ich hatte gehofft, dass du nicht allein kommst“, flüsterte Patricia ihm zu, während sie ihn länger als üblich umarmte. Irritiert sah er sie an, als er sich mit Nachdruck von ihr löste. „Ich habe noch vor deinem Haus gewartet, als ich neulich bei dir war“, begann sie zu erklären und schien erst jetzt zu merken, dass ihr Verhalten nicht wirklich richtig gewesen war, weshalb sie fortfuhr: „Ich war so neugierig, wer bei dir war und für wen du dich so hübsch gemacht hast.“ Sie sah ihn abschätzend an, während er noch immer nicht fassen konnte, was sie da offenbarte. „Ihr saht sehr vertraut aus, wie...“ „Das geht dich absolut nichts an“, fuhr er ihr ins Wort. „Er war nur ein Arbeitskollege. Niemand, den ich hierher mitbringen würde. Wie kommst du überhaupt darauf, dass ich mit einem Mann… Noch dazu hierherbringen? An diesem Tag?“ Er merkte, dass er unruhig war. Hier mit Tom konfrontiert zu werden, kam unerwartet. Der Gedanke an jenen Tag schmerzte so nur noch mehr. Sein Blick glitt zur Wohnzimmertür, dann wieder zu ihr. „Hast du es jemandem erzählt?“, fragte er mit einem gewissen Drohen in der Stimme. Tricias Blick wurde kühl. „Klar!“, sagte sie mit blankem Hohn in der Stimme. „Ich hab‘ gleich in der Familien- WhatsAPP- Gruppe ein Bild von euch gepostet. So wie immer halt.“ Sie schnaubte. „Du bist wirklich ein unverbesserlicher Idiot! Was denkst du denn von mir?!“ Arthur merkte, dass sie sauer wurde. Einen Moment schwiegen sie. Er wollte etwas sagen, aber er konnte nicht. Sein Blick wich dem von ihr aus. Die Stille war bitter. „Entschuldige“, murmelte er schließlich und blickte wieder zur Wohnzimmertür, hinter der sich die Stimmen nach wie vor unterhielten. „Ist grad alles nicht so einfach.“ Patricias Blick wurde nachsichtiger. „Im Grunde genommen wollen wir doch einfach nur, dass es dir gut geht“, sagte sie, „ich und Ma.“ Er nickte. „Mir geht es gut, keine Sorge, mir geht es gut“, log er leichthin und sah sie an. „Alles in Ordnung.“ Erstaunlich, wie leicht er lächeln konnte. Leider war dieses Gespräch noch der angenehmste Teil des Abends gewesen. Es war wie immer seltsam an seine Schwester auf diese Art erinnert zu werden. Wie sein Geburtstag wohl gewesen wäre, wenn diese ganze Scheiße mit dem Koma nicht passiert wäre? Im Grunde unnötig darüber nachzudenken. Jetzt hier zu sein, war in jedem Fall schier unerträglich. 'But really I would rather be at home all by myself Not in this room With people who don't even care about my well-being I don't dance, don't ask, I don't need a boyfriend So you can, go back, please enjoy your party I'll be here Somewhere in the corner Under clouds of marijuana … Oh God why am I here? Oh-oh-oh here, oh-oh-oh here Oh I ask myself, what am I doin' here? Oh-oh-oh here, oh-oh-oh here And I can't wait 'til we can break up out of here' Er hatte das alljährliche Ritual über sich ergehen lassen. Er hatte sich mit seiner Mutter über das Projekt mit Ariadne unterhalten. Sogar mit Collin konnte er etwas reden. Sein Vater und Ted ignorierten ihn weitestgehend - ihm konnte es nur recht sein. Als er später auf der Terrasse stand, um zu rauchen, kam Ted zu ihm. „Ich bin da über etwas Seltsames gestolpert, Arthur“, begann jener direkt und warf eine Polizeiakte auf den Terrassentisch. Arthur warf der Akte einen desinteressierten Blick zu, rauchte weiter seine Zigarette. Ted war damals mit 18 zur New Yorker Polizei gegangen, hatte damit dem Wunsch seines Vaters entsprochen, war in dessen Fußstapfen getreten - braver Sohn, stolzer Vater. Arthur hatte bereits während dessen Ausbildung das Gefühl, dass Ted die Macht und Autorität, die der Beruf vermeintlich mit sich brachte, mehr als zusagte. Mittlerweile war Arthur sich sicher, dass jener ein Grenzgänger zwischen den Welten - der legalen und illegalen - war. Einer jener Cops, die ihre wenige Macht missbrauchten und es mit der Moral und dem, was Recht und Unrecht ist, nicht so genau nahmen. Das Schlimme war, dass er damit großen Erfolg hatte und die Karriereleiter hinaufkletterte ohne Rücksicht auf Verluste. „Da werden wir ins Four Seasons gerufen, weil in einem Zimmer eine Verwüstung stattgefunden hat. Und wen erkenne ich da auf Kamerabildern wieder? Meinen Bruder.“ Das letzte Wort spuckte er mit einem gehässigen Lachen in der Stimme aus. Teds Blick hatte etwas Triumphierendes. Arthur schmunzelte ob einer solchen Naivität. Gleichzeitig filterte er die wesentlichen Infos. Die Suite von Jobs war offenbar nach dessen Abreise durchsucht worden. Ihm wurde klar, dass die Wanze gefunden worden war. Die Fotos in der Akte belegten das. Erst in diesem Moment hatte er begriffen, dass er die noch hätte entfernen müssen. „Ich bin oft im Four Seasons. Ich treffe dort Kunden. Das Restaurant ist hervorragend. Du solltest deine Frau dorthin einladen - falls du es dir leisten kannst.“ Ted stutze, lächelte dann aber bösartig. „Mich hat nur gewundert, dass ich dich in den Aufzug steigen sehe, du aber nie aussteigst. Außerdem hat ein Dienstmädchen berichtet, dass auf der Etage, auf der auch die Verwüstung einige Tage später stattgefunden hatte, ein Mann zusammengebrochen ist. Seltsamerweise findet man auch dafür keine Beweise auf den Videos.“ Arthur blieb regungslos, desinteressiert runzelte die Stirn. „Das ist nicht mein Problem“, sagte er dann und zuckte mit den Schultern. „Was soll ich damit zu tun haben?“ Fragend sah er Ted an. Seufzend zog er die Akte zu sich und öffnete sie. Da war tatsächlich er zu sehen, wie er im Spa Bereich in den Fahrstuhl stieg. Auf einem anderen Bild sah man Eames, der etliche Minuten früher dort eingestiegen war. Er spürte den musternden Blick seines Bruders, der sich eine verräterische Reaktion erhoffte. Aber dafür war Arthur der falsche. Er hatte sehr gut gelernt, nichts preiszugeben, weder körperlich noch mental. „Ist das dein Arbeitskollege?“, hörte er seinen Bruder schier ungeduldig fragen. Anfänger! „Wer ist er? Ward ihr im Wellness-Bereich?“ Arthur betrachtete Eames Foto kritisch. Warum hatten sie eigentlich nicht da schon gemerkt, wie beschissen es ihm gegangen war? „Tut mir leid“, sagte er dann. „Ich kenne den Mann nicht.“ Lügen war ihm noch nie schwer gefallen. Und zum Teil stimmte es ja auch. Er wusste zwar, wie Eames tickte, was er mochte, wie er gerne lebte, was er konnte. Aber er kannte sonst kaum etwas von ihm. Ted schnaubte amüsiert. „Ich werde schon dahinter kommen, was da passiert ist. Und wenn ich dich bei den Eiern habe, dann glaube mir, werde ich lächelnd zudrücken.“ Nun war es an Arthur bösartig zu lächeln. „Tu dir keinen Zwang an. Aber setz deine Karriere nicht aufs Spiel!“ Dann hatte er ihm seine Zigaretten hingehalten. „Auch eine?“ sicher war ab diesem Moment, dass er alles, was mit Jobs oder Eames zu tun hatte, aus seiner Wohnung bringen musste. Sobald sich eine passende Gelegenheit ergeben hatte, hatte er das Haus seiner Eltern verlassen, um im Terra Blues Whiskey zu trinken. Arthur wusste, dass sein Bruder es ernst meinte. Er kannte Ted gut genug, um zu wissen, dass dieser sich auch unerlaubt Zutritt zu seiner Wohnung verschaffen würde. Er durfte nichts riskieren. Daher verschwanden alle Spuren von Eames aus seiner Wohnung. Alles. Er fühlte sich hinterher so leer wie nie zuvor. Und diese Leere verwandelte sich mehr und mehr in Wut. Man musste jemanden sehr lieben, wenn man so wütend werden konnte, das wusste er. Nun, im Grunde genommen war es ja auch so. Aber damit war jetzt Schluss. Arthur hatte sich die letzten Tage in die Arbeit gestürzt. Ariadne, der Job, die Kunden halfen, dass er nicht an Tom denken musste. Jetzt hier in seiner gereinigten Wohnung fühlte er sich erschöpft, ausgelaugt, leer. Die Hoffnung starb mit jeder Stunde, jeder Minute mehr und mehr. Eames hatte ihn verlassen, zurückgelassen, sein Versprechen gebrochen. Im Nachhinein betrachtet hatte jener es ihm verbal nie eindeutig gegeben, dieses Minimal-Versprechen. Dieser Wunsch, die Hoffnung auf ein WIR hatte es nie wirklich gegeben. Alles war nur Illusion gewesen. Er hätte es wissen müssen. Der Forger hatte ihn einmal mehr geblendet. 'Love is a loaded gun You put it to my head … You're nothing but a traitor You're nothing but a weakling You're nothing but a traitor You're never gonna beat me…' Er war dumm und naiv gewesen. Naiv und dumm. Er hatte sich offenbart, hatte sich verletzbar gemacht und war ausgenutzt worden. Eames hatte seine Schwäche, geboren aus Einsamkeit, ausgenutzt, hatte ihn benutzt. So, wie jener Cobb so oft vorgeworfen hatte, der würde ihn nur ausnutzen. Der Unterschied war nur, dass Dom ehrlich zu ihm war, aufrichtig, ihn niemals enttäuscht oder belogen hatte. Und jetzt? Jetzt hielt er es nicht mehr in seiner Wohnung aus, schlief nur noch im Büro, arbeitete für drei. Und er hatte sie schrecklich vermisst - diese Illusion. Er vermisste die Geräusche des anderen, vermisste sogar das Singen unter der Dusche. Er vermisste es, zu jemandem nach Hause zu kommen. Er vermisste es, dass jemand auf ihn wartete. Er vermisste es, Teil des ganz normalen Alltags zu sein. Er vermisste das Gefühl, gebraucht zu werden, begehrt zu werden, geliebt zu werden. Arthur schenkte sich ein Glas Whiskey ein. Scheiß Einsamkeit. Er hatte recht gehabt. Der Schmerz, den er empfand, weil er von der Frucht gekostet hatte, war wesentlich größer als der, den er beim Zurückweisen verspürt hatte. Er hätte niemals diese Schwäche zeigen dürfen, niemals. Was ihm half war die Wut. Die Wut genau darauf, erneut hintergangen worden zu sein. Noch größer war die Wut auf sich selbst. Wie hatte er nur so blind sein können!!! Sogar seinen Job bei Ariadne hatte er in Frage gestellt gehabt. Er musste von allen guten Geistern verlassen gewesen sein. Umso wütender wurde er. 'Wenn sich hinterher irgendwie herausstellen sollte, dass du mich mal wieder verarscht hast, dann schwöre ich dir, dass ich dich töte, wenn du mich danach nur noch einmal ansprichst.' Langsam fühlte sich dieser Gedanke gut an. Arthur blickte auf sein iPhone, ließ den Bildschirm kurz aufleuchten. Manchmal, wenn er auf die Uhr blickte, wusste er nicht, ob er es tat, in der Hoffnung, dass dort doch eine Nachricht aufleuchten würde. Einsamkeit. Scheiße. Er musste aufhören zu warten. Dennoch wusste er insgeheim, dass er sein Leben lang auf Eames warten würde. Aber dieses Warten war vergeblich. Und dessen sollte er sich endlich bewusst werden. feels like I'm waiting like I'm watching watching you fall out dreams where I'm fading fading so free my mind all the talking wasting all your time I've given all that I've got… ——— Es waren nunmehr sechs Wochen vergangen, seit Thomas Eames untergetaucht war. Er spürte wieder Boden unter seinen Füßen, fühlte den Willen diese ganzen Dinge hinter sich zu lassen, abzuschließen. An diesem Tag fielen ihm zwei Männer auf, die scheinbar zufällig vor dem Haus herumstanden, in dem sein Büro lag. Sie rückten langsam näher. Arthur sollte möglichst bald - Nein! jetzt handeln, wenn er nicht unangenehme Begegnungen wollte. Ariadne sollte definitiv nicht mit hineingezogen werden. Daher rief er sie an, teilte ihr mit, dass er in der nächsten Zeit nicht ins Büro kommen würde. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie am Telefon. „Das weiß ich noch nicht…“, antwortete er und legte auf, machte ein Backup, richtete ein, dass alle eingehenden Nachrichten ihn auf andere Wege erreichen könnten, setzte das Diensthandy auf Auslieferungszustand zurück, löschte alle Daten. Dann entfernte er die Sim-Karte und zerstörte sie, warf die Karte in den Gulli. Arthur machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung. Er sollte seine Sachen holen und untertauchen. Dann musste er entscheiden, wie es weitergehen würde. Offenbar würde er sich doch noch auf die Suche nach Tom begeben müssen und ihn zur Rede stellen. Offenbar musste er ihn finden, um unter diese ganze Scheiße einen Strich ziehen zu können, um sein altes Leben wieder zurück zu bekommen. Vermutlich würde er erst dann wieder seine Sinne ganz bei sich haben. Vermutlich würde er sich erst dann wieder ganz fühlen können. Vielleicht würde er dann endlich aufhören von Tom zu träumen, ihn zu vermissen. Es ging ihm gut, aber solange er das nicht ganz abschloss, würde es ihn noch verfolgen. Er musste diesen ganzen Müll beenden und hinter sich lassen! Kapitel 44: We‘re in this together ---------------------------------- Eames Das Erwachen kam schlagartig über ihn. Weit entfernt von dem sachten Dimmern, das man spürt, wenn man frischen, altrosa Sonnenstrahlen wach geküsst wurde. Es war hart und plötzlich und er hätte sicherlich erschrocken aufgeschrien, wenn er nicht noch immer intubiert gewesen wäre. Sein Körper schüttete eine Menge Adrenalin aus, er zitterte und befreite sich grobschlechtig von Tubus und Kathetern, ehe er den ersten wackligen Fuß auf den kalten Boden stellte. Er röchelte, übergab sich, schwitzte kalten Schweiß. Was er ahnte: es war Zeit vergangen. Sein Körper fühlte sich kraftlos, schlaff und eigenartig nüchtern an und er hatte seltsame Erinnerungsfetzen. Yusuf, Dom und Mal, Ramadi und Archie, aber vor allem Arthur. Er hatte keine Ahnung was, aber er wusste, dass etwas passiert war. Die andere Sache, die er mit Sicherheit wusste, war dass er so gut wie tot war, wenn die Italiener ihn in die Finger bekamen. Sie hatten Jobs gekriegt, er hatte den verdammten Chip geklaut... und dann? Dann hätte er innerhalb eines Tages Geld von Jesse erhalten müssen, welches dann umgehend an die Arschgeigen in Anzügen gehen sollte. Leider konnte er mit Sicherheit sagen, dass Letzteres nicht geschehen war, da er sich nicht darum gekümmert hatte. Und natürlich war niemand sonst eingeweiht gewesen. Arthur hätte ihn die Hölle heiß gemacht... Jesse vermutlich auch. Die blanke Panik packte ihn. Vielleicht hatten sie ihn längst gekriegt? Vielleicht waren Arthur und Yusuf längst tot, während er sich ausgeruht hatte. Er stand auf, krachte wieder in sich zusammen, schaffte es aber alsbald seinen Kreislauf zu stabilisieren und seinen Körper wieder unter Kontrolle zu kriegen. Wackel mit dem rechten Zeh – Uma Thurman hatte ihm gezeigt wie das geht. Am Ende hatte er es ein bisschen einfacher, als Uma, da seine Beine nicht komplett versagten. Er ahnte, dass Yusufs Kumpel es nur gut mit ihm meinte, als er ihn am Gehen hindern wollte. Er erwischte ihn, als er sich die Treppen hoch in den Laden geschleppt hatte. Dabei war er zugegebenermaßen nicht sonderlich leise gewesen. In seinem panischen Delirium wusste er sich jedoch nicht anders, als mit einer Waffe gewaltsam nach draußen zu verhelfen, um so schnell wie möglich abzutauchen. Viel Geld wechselte den Besitzer, aber es war zu spät. Die Mafia ließ bekanntlich nicht mit sich reden. Lorenzo war rasend; nicht einmal seine Eier auf einem Silbertablett hätten ihn zufrieden gestellt. Es war ein kurzes Telefonat, aber seit diesem Augenblick befanden sich Thomas Eames und die Mafia tatsächlich im Krieg. Als Staatsfeind Nr.1 hatte er keine Wahl als komplett von der Bildfläche zu verschwinden; das bedeutete auch keinen Kontakt zu Arthur, Yusuf oder sonst wem aufzunehmen, den diese Kerle beschatten würden. Sie würden ihnen nichts tun, da war er sich zu gut geschätzten 85% sicher; trotzdem hielt sich Eames eine Hintertür offen, um über das Wohlergehen seiner „Verbliebenen“ im Bilde zu bleiben. – – – - Es waren runde sechs Wochen. Längst nicht so lang wie die sechs Monate, die er das letzte mal weg gewesen war, aber lang genug in Anbetracht dessen, was zwischen Arthur und ihm vorgefallen war. Wahrscheinlich war er verwirrt... höchst wahrscheinlich stinksauer. Dennoch blieb Eames nichts anderes übrig, als ihn direkt zu kontaktieren, wenn sie diese Sache überleben wollten. Jesse hatte ihm einen alarmierenden Hinweis gegeben, dem er sofort nachgehen musste... Er wunderte sich, dass ein vorsichtiger Typ wie Arthur die Schlösser nach all der Zeit nicht ausgetauscht hatte. Vielleicht war dies jedoch auch einfach nur ein freundlicher Hinweis darauf, dass er die Sache zwischen ihnen noch nicht abgeschrieben hatte. Der Strohhalm an dem Eames sich festhielt. Die Verkleidung, die er sich für diesen Anlass besorgt hatte, um unbemerkt in das Gebäude zu kommen, hängte er an der Garderobe auf. Ein langer, schrecklich geschnittener Trench-coat der an Inspektor Gadget erinnerte. Den Bart und die Brille hatte er auf dem Wohnzimmertisch liegen gelassen, nachdem er sich unter Schmerzen von dem Hautkleber befreit hatte. Daneben ein kleiner Strauß Tulpen, den er aus einem Impuls heraus für Arthur als Besänftigungsversuch gekauft hatte. Die Sonne ging gerade unter, aber noch war es hell genug, um alles ohne eingeschaltete Lichter sehen zu können. Er konnte nicht riskieren durch Lampenschein auf sich aufmerksam zu machen. Er wusste, dass die Piranhas im Becken darauf lauerten, dass Arthur oder er eine Bewegung machten. Die Ärmel seines fragwürdig gemusterten Hemdes hatte er hoch gekrempelt, eine neue fette Golduhr schmückte sein Handgelenk. Keine frischen Wunden im Gesicht und die Rippen waren verheilt, nur den abgebrochenen Zahn hatte er nicht richten lassen. Er fühlte sich eigenartig nüchtern, als er hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss bewegte und er wünschte er hätte sich vorher irgendetwas rein gezogen, um dieser Situation gelassener entgegen treten zu können. Er ließ ihm ein paar Sekunden Zeit, sicherlich hatte er längst gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Die Bude sah wieder so steril aus wie vorher, jede kleine Veränderung würde ihm sofort ins Auge springen - es war immer noch Arthur. »Nicht schießen!«, bat er, dann trat er mit erhobenen Händen aus der Küche heraus ins zwielichtige Wohnzimmer. In seinem Blick sprach nichts mehr als Reue; die selbstsichere Gewissheit, dass er mit seinem Dickmove durchkommen würde, war jedoch auch nicht ganz zu übersehen. »Glaub mir, ich kann kaum ausdrücken wie sehr es mir leid tut, aber du musst mir jetzt zuhören Arthur.«, sprach er ruhig. Arthur Noch bevor er nach Hause fuhr, hatte er andere Dinge zu regeln, wichtige Dinge, um einfach verschwinden zu können. Auf dem Weg zur U-Bahn erhielt er eine Mitteilung, dass jemand seine Wohnung betreten habe. Ob die Italiener nun doch wagten, das Haus zu betreten? Oder gar Ted? Arthur ging in den nächsten Starbucks, zog seinen Laptop aus der Tasche und ging ins Netz, um die Kamera im Flur anzuzapfen. Was er zu sehen bekam, war merkwürdig, skurril irgendwie. Da spazierte Eames nach sechs Wochen einfach bei ihm hinein, in Verkleidung und so selbstverständlich, dass seine Zähne knirschten. Ja, er hatte darüber nachgedacht, das Schloss auszuwechseln. Jetzt ärgerte er sich, dass er es nicht schon längst getan hatte. Dass er es sein musste, lag daran, dass nur er außer seiner Mutter einen Schlüssel hatte. Der Gang war zudem unverkennbar. Zumindest vereinfachte das die Suche. Er packte den Laptop wieder ein, nahms seinen Kaffee mit und fuhr nach Hause. Durch die Rush Hour war der Weg lang genug, um zu versuchen, seine Vernunft am Leben zu halten. Vor der Haustür zückte er seine Waffe, entsicherte. Dann öffnete er die Tür, betrat die Wohnung mit vorgehaltener Clock. In ihm brodelte es. Der Flur war frei, zügig ging er zur Tür ins Wohnzimmer. Er wusste, wie er über den Holzboden gehen musste, damit er nicht laut war. “Nicht schießen!“, hörte er nun, während er sich in den Türrahmen stellte, die Waffe auf Tom gerichtet. Seine Miene war versteinert, nur sein Blick wanderte über den Körper des anderen, der sich offenbar gut erholt hatte. Die nun folgenden Worte, bewirkten ein sehr kaltes Lächeln auf seinen Lippen. „Dann lass es lieber. Ich glaube es dir wirklich nicht“, sagte er schneidend. „Komm zum Wesentlichen. Du hast drei Minuten, mir mitzuteilen, wie ich die Arschlöcher da unten und damit auch dich wieder loswerde. Danach überlege ich mir, ob ich deiner ersten Bitte nachkomme.“ Sein Blick glitt kurz zur Uhr. „Der Countdown läuft“, sagte er und fixierte wieder Eames. Einen Moment hatte er gesehen, was auf dem Tisch lag. Blumen? War das sein Ernst?! Vielleicht sollte er den Countdown auf ein paar Sekunden verkürzen. Eames      Okay, er war sauer. Das war jetzt nicht mehr zu übersehen. Und konnte man es ihm denn verübeln? Nun, vielleicht ein bisschen, denn er hatte ja noch nicht die ganze Geschichte gehört... außerdem hatte Blumen und er lebte noch, verdammte Axt, war das denn gar nichts wert? Er ließ die Arme sinken. »Sicher, kein Problem. Wärst du so gut und nimmst die Waffe runter? Du willst mich nicht erschießen, wo ich gerade erst wieder gekommen bin, oder?« Arthur Arthur hob eine Augenbraue, ein spöttisches Schnauben kam über seine Lippen. „2Minuten 35Sekunden“, entgegnete er einfach nur. Eames Ihm entkam ein störrisches Schnaufen, wie von einem jungen Hund der spuren musste. Die Hände blieben trotzdem unten, was wollte er denn machen? »Manche Sachen ändern sich wohl nie.«, seufzte er, leicht entnervt. Es half jedoch nichts, er musste wohl reden bevor er Arthur dazu bewegen konnte die Waffe sinken zu lassen. »Ich musste untertauchen, weil ich ein paar Männern eine Menge Geld geschuldet habe. Ich war wohl eine Weile ausgeknockt nach dem Job, deswegen konnte ich meine Frist nicht einhalten.«, er zuckte die Schultern, als wäre es eine Kleinigkeit. »Mich von dir fern zuhalten war der einzige Weg sicher zu gehen, dass diese Arschlöcher dich nicht kriegen. Glaub mir, ich hätte mich gemeldet, wenn es irgendeine Möglichkeit gegeben hätte.«, er wusste nicht mehr, ob er sich selbst glaubte was er sagte. Er war bereits im Spielmodus. Hey you Baby blues Show me whatcha gonna do Er konnte sich nicht helfen, so war es eben. Arthur würde ihn nicht erschießen und Eames würde sich nie einer Entschuldigung zu schade sein. Vielleicht hätte es Möglichkeiten gegeben sich unbemerkt bei ihm zu melden, aber er hatte selbst genug um die Ohren gehabt und er wollte einfach kein Risiko eingehen. Dazu war ihm Arthur einfach zu wichtig. Sollte er doch rasend vor Wut sein; wichtiger war, dass er lebte. »Ich bin seit einer Woche in Kontakt mit Jesse. Deswegen bin ich hier. Die machen ernst.«, er deutete auf eins der Fenster. Die Männer, die draußen auf der Straße, die in ihrem schwarzen Alfa Romeo saßen. »Wir müssen hier weg.« Arthur Arthur überging den ersten Kommentar ungerührt. Er war es leid, sich mit solchen Dingen zu belasten. Bei Eames war es ihm immer schwer gefallen, in seinem Modus eben zog es einfach durch. Endlich begann er eine Antwort zu bekommen - nein, Eames begann zu reden. Eine Antwort gab es nicht. Zunächst erfuhr er Dinge, von denen er schon ausgegangen war. Wie konnte es auch anders sein. Fristen - Im Grunde wusste er es von dem Moment an, als Thomas neben ihm im Terra Blues aufgetaucht war. Mit einer gewissen Erleichterung las er zwischen den Zeilen, dass Tom sich über seinen komatösen Zustand voll bewusst war und sich offenbar nicht an Arthurs Besuch im Komatraum erinnerte. Aber vielleicht war da auch nur der Wunsch Vater des Gedankens. Das bliebe noch abzuwarten. Was nun folgte, zeigte ihm einmal mehr, dass Eames ihn nicht für voll nahm. „Das ist dir ja fantastisch geglückt, mein Held! Wie nobel von dir“, sagte er trocken, höhnisch. Dass er dafür verantwortlich war, dass die Italiener ihn gefunden hatten, war gerade nebensächlich. Er war sauer! Dass Tom mal wieder gemeint hatte, dass er kein Mitspracherecht hatte, schmeckte bitter. Noch bitterer war die Lüge, er hätte sich nicht melden können. Wann würde dieser Mensch jemals ehrlich sein können? Dass Jesse seit mindestens einer Woche wusste, dass Tom lebte, fühlte sich ähnlich beschissen an. Weniger der Fakt, dass der Hacker Eames gegenüber loyal war. Eher der Fakt, dass auch das nach einer Lüge klang. Arthurs Blick huschte auf die Uhr, dann wieder zu Eames. „Du hast noch eine Minute und mir noch immer nicht meine Frage beantwortet. Stattdessen tischst du mir nur heuchlerische Scheiße auf. Die waren heute schon vor dem Bürohaus, in dem auch Ariadne sitzt! Mir ist vollkommen klar, dass ich hier weg muss. Meine Frage war: Wie werde ich sie los?! Und wage ja nicht, mir zu sagen, dass du schon alles im Griff hast, einen deiner tollen Pläne gefasst hast - in denen ich keine Rolle spiele. Wenn ich dich erschieße und ihnen vors Auto werfe, bin ich sie auch los. Klingt gerade sehr verlockend. Das scheint mir sicherer, als deinem Gerede zu trauen. Also: 60 Sekunden.“ Eames »Okay, verstanden.«, grummelte er, stützte die Hände in die Hüften und grübelte ein paar Sekunden. Er stand im Schach. Der Groll saß tief bei Arthur. Offenbar hatte er endgültig den Kaffee auf. Anstrengend. Eames presste die Lippen unzufrieden aufeinander und fixierte sein Gegenüber missmutig. Darum ging es hier also; Arthur fühlte sich von der Planung ausgeschlossen – buhu. Er wollte also ein Teil dieses ganzen Scheißhaufens sein? Nun, dem stand im Grunde nichts im Wege, oder? Eigentlich doch, und wenn er so darüber nachdachte ahnte er auch, dass das Problem auch bei ihm lag, nicht nur bei Arthur. Nun hatte er jedoch keine Zeit für psychologische Analysen, geschweige denn Lust. »Fein.«, ein giftiger Unterton, aber die Resignation folgte in seiner Körperhaltung. Seine Schultern sanken unter einem lautlosen Seufzen; der Blick für wenige Sekunden auf die eigenen Schuhe gerichtet, als stünde dort die passende Antwort. Er war sich ziemlich sicher, dass Arthur ihn nicht abknallen und denen zum Fraß vorwerfen würde. Aber es würde nicht leicht werden ihn wieder friedlich zu stimmen, das stand wohl außer Frage. »Du willst die Wahrheit hören? Ich habe es nicht im Griff – nicht mehr.«, gestand er. Es hatte ihm nie so schwer gefallen den Blick wieder zu Arthur aufzubauen, wie in diesem Moment. Für niemand anderen hätte er dieses Eingeständnis gemacht – wenn das keine Liebe war... »Es gibt nur eine Chance, die wieder los zu werden: Wir misten das Rattennest aus. Gemeinsam.« Er kam langsam auf Arthur zur, hob dabei besänftigend die Hände, streckte die Rechte nach ihm aus. »Ich bitte dich, Arthur. Ich kann nicht zulassen, dass dir was passiert.« Arthur Arthur sah, dass Eames mit sich haderte. Sollte er ruhig! Solange er ihm nur am Ende nicht wieder mit irgendwelchem Scheiß kam. Er war es so leid! Dass Tom diese Situation, dieser Zwang nicht gefiel, ging ihm ehrlich gesagt sonst wo vorbei. Er hörte es deutlich, sah es, als ihr Blick abriss und Tom auf den Boden blickte und es schien, als sinke jener in sich zusammen. Einen Moment verspannte sich Arthur. Er wollte nicht riskieren, dass Tom ihn ablenkte und dann versuchte, ihn zu entwaffnen. Doch das geschah nicht. Stattdessen hörte er Worte, die er so nicht erwartet hätte. Tom gab zu, dass er nichts mehr im Griff hatte? War das wirklich die Wahrheit? Oder war es nur das, was er hatte hören wollen und Tom tat ihm den Gefallen? Hatte er ihm die Worte nur in den Mund gelegt, oder stimmten sie? Arthur betrachtete sein Gegenüber musternd, rührte sich nach wie vor nicht. Als jener nun aber den Blick hob, wusste er, dass es wirklich so war. Der verletzte Stolz, der schier zu körperlichem Schmerz zu führen schien, war sichtbar. Arthur spürte Erleichterung. Dennoch ließ er die Waffe noch nicht sinken und blieb ungerührt stehen, hörte sich den Plan an. Das Rattennest ausmisten? Bei all der Wut, die er in sich spürte, hörte sich das verdammt gut an. Richtig gut. Tom kam auf ihn zu, streckte die Hand aus. Arthurs Blick richtete sich auf diese, während er nachdachte. Die letzten Worte perlten an ihm ab. Sie waren nicht wichtig – selbst wenn er wusste, dass sie wahr waren. Er trug für sich selbst die Verantwortung. Er kannte die Risken und er konnte sich gut einschätzen, besser als Tom sich selbst einschätzen konnte vermutlich. Er brauchte keinen Beschützer, nicht in diesem Sinne. Er brauchte jemanden, der ihm das zutraute und ihm den Rücken stärkte. Arthur sicherte seine Waffe, steckte sie ins Holster und blickte auf, sah Tom an. „Das Rattennest ausmisten klingt nach einem guten Plan“, sagte er dann leise aber bestimmt. Es war sein voller Ernst. Schließlich waren diese Leute dafür verantwortlich, dass sein Leben mal wieder ins Chaos gestürzt worden war. „Ich bin dabei. “ Mit festem Blick sah er Tom einen Moment an. Dann trat er einen Schritt nach vorne, um ganz durch die Tür ins Wohnzimmer zu treten, wendete sich dann jedoch von Eames ab, die Hand ignorierend. „Ich hole meine Sachen und deinen Koffer“, erklärte er knapp und ging hinüber zum Schlafzimmer. Dort blieb er einen Moment stehen, drehte sich noch einmal zu Tom um. „Wisch die Flächen ab. Hier darf kein Fingerabdruck von dir zu finden sein, nichts das auf dich hinweist. Das NYPD ist an dir interessiert“, sagte er knapp, während er sein privates Handy aus dem Jackett zog. „Und nimm das Grünzeug weg“, fügte er noch an, wobei er in Gedanken noch ein: „Das entsorgen wir lieber gleich.“ hinzufügte. Er wollte nicht irgendwann hierher zurückkommen und dann vergammelte Blumen irgendwo finden. Dann betrat er das Schlafzimmer, ging in sein Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich. Während er die Tür zum Panikraum öffnete, rief er seine Nachbarin an. „Mrs. Norris“, begrüßte er sie freundlich. „Hier spricht Arthur Moore. Ich bin momentan auf Geschäftsreise, aber bei meiner Abfahrt ist mir ein Auto aufgefallen, das gegenüber unseres Hauses geparkt stand. Es schien mir so, als beobachteten sie das Haus. Könnten Sie bitte…“ Er musste gar nicht aussprechen, da bestätigte sie ihm die Anwesenheit des Autos schon. „Wären Sie so lieb, und informieren die Polizei? Nicht, dass das … Genau… Vielen Dank! … Nein, ich weiß es noch nicht. Es wird sich wohl etwas hinziehen. … Danke! Bis bald!“ Vermutlich würde sich in spätestens 5 Minuten ein Streifenwagen dem Auto annehmen und sie von dem Haus ablenken. Arthur hoffte, dass sie dann wussten, dass er weg war. Er hoffte, dass sie dann an dem Haus und auch am Büro kein weiteres Interesse haben würden. Ariadne hatte er schon tagsüber eine Nachricht geschrieben, dass sie ein paar Tage von zu Hause aus arbeiten sollte und auf sich aufpassen musste. Wenig später kehrte Arthur mit den beiden Koffern ins Wohnzimmer zurück. Wenn sie das Nest ausräuchern wollten, dann würden sie nach Europa fliegen. Er reichte Tom seinen Koffer. Einen kurzen Moment berührten sich ihre Hände. Arthur zog die Hand zurück und blickte Eames an. „Ich bring uns hier ungesehen raus“, sagte er dann. „Rom? Palermo? Genua? Mailand? Oder erstmal nur in die Nähe, um die Lage zu sondieren? In meinem Auto zum JFK oder mit dem Taxi? Musst du noch irgendwo hin?“ Struktur. Das half, mit der Situation umzugehen. Eames Die Hand, die er ihm hinhielt ballte sich verschmäht zur Faust. Nicht aus Wut, eher wegen der hals-abschnürenden Mischung aus Reue, Scham und verletztem Stolz. Er wusste, dass er Mist gebaut hatte und nun bekam er die Verachtung von Arthur zu spüren, die er verdient hatte – auch wenn er insgeheim gehofft hatte, dass er ihn auffangen würde; dass die Wiedersehensfreue überwiegen würde. Er wusste doch wie sehr Arthur darauf stand sein weißer Ritter zu sein und manchmal wünschte er sich die Maschine würde schneller funktionieren und ihm die dummen kleinen Fehler nachsehen, die nun mal sein Charakter waren. Vielleicht doch zu viel verlangt.. Es würde dauern bis sie wieder an dem Punkt waren, den sie kurz vor dem Jobs Fall erreicht hatten. Wenn er an die ganzen unangenehmen Gespräche dachte, die es noch zu führen gab, wurde ihm ein bisschen schlecht. Andererseits... wenn er Arthur ansah, mit seinen geschmeidigen Bewegungen, mit seiner tödlichen Präzision und diesen Lippen, die ihm gehörten, wusste er, dass er es wert war. Er war eben der eine Mensch für ihn; Ende der Geschichte. »Sicher.«, bestätigte er und machte sich an die Spurenvernichtung, während Arthur seine Vorbereitungen traf. Er schnappte sich eine Tüte und entsorgte die Blumen, die würden draußen auf dem Müll landen. Fingerabdrücke beseitigte er nach bestem Wissen und Gewissen; war ja nicht sein erstes mal. Zunächst hinterfragte er nicht den Koffer, den er von Arthur erhielt. Natürlich wusste er was er tat und er hatte eine Weile Zeit gehabt sich Gedanken um die Bedrohung zu machen, die ihm bevorstand. »Ich hab einen Wagen vorbereitet. Er steht einen Block weiter in einer Tiefgarage.«, erklärte er. Geklaut; ja nun. Mit ausgetauschten Kennzeichen nicht mehr nachvollziehbar, wenn man es richtig machte. »Wir fliegen nach Deutschland.«, fuhr er fort. »Ich kenne ein Hotel in dem wir uns unbemerkt vorbereiten können. Vielleicht auch mal kurz durchatmen.«, und reden, war der unausgesprochene Vorschlag. Und um nicht denselben Fehler wieder und wieder zu begehen hängte er noch etwas hinten dran: »Bist du... einverstanden?«, die Frage allein fühlte sich eigenartig an, aber es war ernst gemeint. Erst mal kleine Brötchen backen. Arthur Ob er einverstanden war? Arthurs Mundwinkel zuckte einen kurzen Moment. War da doch jemand lernfähig? Offenbar sollte er ihm öfter eine Knarre vorhalten... “Deutschland klingt gut. Aber ich suche das Auto aus und ich fahre!“ Er war einmal in Deutschland gewesen. Er kannte sogar einen Extraktor, der mittlerweile sein eigenes Team dort hatte. Arthur hatte es geliebt, dass es keine Geschwindigkeitsbegrenzung in Deutschland gab. Er war oft nachts einfach nur gefahren. Außerdem waren in Deutschland die Wege im Vergleich so schön kurz. „Dann nach München. Müsste non Stop gehen. Über London sollten wir vermutlich vermeiden.“ Sie verließen das Haus über den Keller und die Verbindungstür zum Waschsalon, Tom brachte sie zum Wagen. Nach Deutschland durfte man auch Waffen einführen, solange man entsprechende Papiere dabei hatte. In Eames Koffer hatte er neben dessen Klamotten noch ein wenig Equipment hineingepackt. Seine Laptoptasche würde er als Handgepäck mitnehmen. Im Auto blickte er zu Thomas. Er sah gut aus, erholt. Bei weitem nicht so beschissen, wie er. Die letzte Nacht, in der er hatte gut schlafen können, lag sieben Wochen zurück. Arthur blickte wieder aus dem Fenster, atmete tief durch, während sie sich in den Verkehr einreihten. Eigentlich der perfekte Ort zum Reden, oder? „Ist Berretta der, der hinter dem ganzen Müll steht?“, fragte er direkt. „Er profitiert von Jobs Fall.“ Eames Sie machten einen kurzen Abstecher zu Eames' Wagen, damit er die wenigen Habseligkeiten, die er noch dabei hatte, abholen konnte. Eine schwarze, unscheinbare Sporttasche war im Grunde alles womit er die letzten eineinhalb Monate überlebt hatte. Seit er aus dem Koma erwacht war, war er auf der Flucht gewesen und somit auf leichtes Gepäck angewiesen. Auf den Beifahrersitz degradiert fühlte er sich etwas verloren, gerade in einer Situation, die er sich in Gedanken ganz anders ausgemalt hatte. Keine Kontrolle. Schlussendlich wusste Arthur was er tat; dem zu vertrauen war jedoch eine ganz andere Geschichte. Er sah aus dem Seitenfenster, als Arthur seine unverblümte Bemerkung äußerte. »Wäre möglich.« Er beobachtete die Leute auf der Straße, auch wenn die Chance gering war, dass man sie im Auto erwischte. »Woher weißt du von ihm? Hattet ihr bereits das Vergnügen?« Arthur Wäre möglich? Fing ja mal wieder gut an. Konnte er nicht mit klaren Aussagen versuchen, ihm wenigstens etwas von dem großen Ganzen mitteilen? Die Gegenfragen wog er einen Moment ab. Er könnte nun ähnlich dämlich antworten, aber das war albern. “Heißt das, dass du es nicht genau weißt, wer dir den Arsch aufreißen will?“, fragte er nach und der Missmut kam ein wenig durch. „Ich hab einzig die Wirtschaftsnachrichten verfolgt“, fügte er an. „Und gelegentlich kann ich Eins und Eins zusammenzählen.“ Die Rushhour war so gut wie durch und der Verkehr ging zügig. Er überprüfte immer wieder, ob sie verfolgt wurden, konnte aber nichts verdächtiges sehen. “Jobs kommt ursprünglich eher aus dem Süden. Beretta aus dem Norden. Ich wette, die beiden können sich nicht ausstehen.“ Eames Eames wusste ziemlich genau wer ihm den Arsch aufreißen wollte. Folgen von Jobs' Niedergang, Kriminelle, die aus dem Absturz eines wichtigen MoneyGram CEO's Profit schlagen könnten und so weiter, hatte er allerdings nicht bedacht. Sicherlich war er in den Jahren bedächtiger geworden, aber großteils war sein Motto eher „nach mir die Sintflut“. Er beschloss die Privatsphäre des Wagens zu nutzen, um ein wenig ehrlich mit Arthur zu sein: er erzählte von seinen Raubzügen in Sizilien. Es gab quasi kein Casino an der südlichen Küste der Insel, dass nicht von ihm bestohlen worden war. Das schlimme daran war wohl, dass er von Anfang an gewusst hatte, wen er da bestahl. »Ich hab mich für besser gehalten, als die.« Eine bewusst falsche Formulierung.. er hielt sich noch immer für besser. Er hatte einfach einen dummen Fehler gemacht, den er so schnell nicht wieder machen würde. Sein Selbstvertrauen war in Bezug auf solcherlei Betrügereien ungebrochen. Das konnte man arrogant nennen, wenn man wollte, hatte aber keinen Einfluss auf Eames' eigene Beurteilung der Lage. »Lorenzo Lombardo. Das ist der Name, den ich kenne. Ich schätze mal es geht noch weiter nach oben, vielleicht sogar bis zu Beretta. Aber Lorenzo ist der Typ, den wir uns vorknüpfen. Und den ganzen Rattenschwanz der an ihm hängt.« Sie saßen nebeneinander in der Economy Class der Turkish Airline und konnten nur flüstern, wenn es um den Fall ging. Vollkommen aus dem Kontext gerissen, fuhr er fort: »Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen, Arthur.«, sein Ton war genauso gesenkt, er lehnte sich sogar noch näher zu seinem Sitzpartner. »Es ist so viel passiert... auch als ich weggetreten war. Ich weiß, was du für mich getan hast. Gib mir eine Chance die Sache richtig zu stellen.« Arthur Arthur entspannte sich, als Tom endlich den Mund aufmachte und sprach, erzählte, was nun wirklich geschehen war. Es tat ihm gut, dass er endlich die ganze Geschichte dahinter hörte. Er stellte Fragen, bekam Antworten. Immer mehr drängte sich ihm der Gedanke auf, warum er ihm das nicht einfach von Anfang an erzählen hatte können. Wovor wollte er ihn mit seinen löchrigen Geschichten eigentlich schützen? Vor den Menschen, mit denen er sich anlegte? Oder vor ihm selbst und diesem Charakterzug, vor dem Betrüger und Dieb? Arthur kannte ihn. Er kannte seine Spieler-Natur, seine Leidenschaft für den Thrill, seine Gier nach Nervenkitzel, sein Bedürfnis nach Geld, das er auf den Kopf hauen konnte. Zudem kannte er Eames‘ Talent und unfassbares Vermögen, zu betrügen, ohne dass man es merkte. Tom setzte gewiss auch Dreamsharing für genau diese Zwecke ein und war damit erfolgreich. Er war nicht nur gut darin, er war verdammt gut darin! Hatte er ein Problem damit? Arthur müsste bei dieser Frage nicht lange überlegen. Er verurteilte ihn dafür nicht. Er war so und langsam glaubte er zu ahnen, weshalb er so geworden war. Im Grunde würde er ihm niemals einen Vorwurf daraus machen - solange er ihn nicht belog und betrog. Dass er andere bestahl kümmerte ihn gar nicht. Nicht bei diesen Menschen, nicht bei Geld, das selbst auf verbrecherische Weise erbeutet worden war. Er hatte seinen Vater erlebt, als sie nach New York kamen und das wenige Geld, das er als Wachmann verdiente, anfangs lieber dem einarmigen Banditen spendete, als der Familie, während seine Mutter weinend in der Küche stand und überlegte, wie sie alle satt bekam. Er hatte kein Mitleid mit Menschen, die selbst stahlen. Und moralische Bedenken hatte er ohnehin nicht. »Ich hab mich für besser gehalten, als die.« Arthur wendete den Blick, sah Eames skeptisch an. Was sollte das denn? Für besser gehalten? Und jetzt? War er nicht besser gewesen? Nur, weil er einen Fehler begangen hatte? Sentimentalität im Alter? Seltsame Einsichten? Selbstreflexion? Selbstzweifel? Sollte er ihm jetzt Honig ums Maul schmieren? Er zögerte, ob er darauf überhaupt etwas sagen sollte. Sein Blick ging wieder nach vorne, während er den Wagen zu den Parkplätzen des Flughafens lenkte. „Was soll die Scheiße?“, antwortete er schließlich, mit einem gewissen Grad an Genervtheit in der Stimme. „Du weißt, dass du der beste bist. Aber auch der beste macht Fehler. Das ist bei dir nicht anders als bei mir. Kein Grund für Selbstmitleid. Wenn ich dir helfen soll, brauche ich dein Wissen darum, dass du der beste in dem bist, was du tust. Also erzähl mir nie wieder so einen Bullshit!“ Er hatte sich vor einem halben Jahr sehr darüber geärgert, einen Fehler gemacht zu haben. Es waren Cobb, Ariadne und vor allem auch Eames gewesen, dank denen dieser Fehler nicht in einer Katastrophe geendet hatte. Sie waren am Flughafen angekommen, hatten das Auto abgestellt, hatten Glück, sogar sehr bald einen Flug nach München bekommen. Arthur schwieg in dieser Zeit, brauchte einfach Zeit für sich alleine. Tom so nahe zu haben, war schwierig. Er freute sich, dass es ihm gut ging. Doch war da die Wut, der Schmerz und die Enttäuschung, die das Verhalten des anderen mit sich brachte. Und da war dieses Wissen, dass das, was ihn für fünf Tage glücklich gemacht hatte, nur eine Illusion war. Als sie im Flugzeug saßen und gen Europa flogen, griff der andere ihr Gespräch wieder auf. Arthur nickte, als Tom erklärte, um wen es ging. Den Namen kannte er von seinen Recherchen hinsichtlich Jobs und Beretta. Er schien einer der Spielbanken-Mogule des Südens zu sein. Ob er unabhängig war und von Beretta angeheuert worden war? Vielleicht. Aber dadurch war er käuflich. Oder war das Geld, das er nicht erhalten hatte, die Bezahlung dafür, dass er Jobs aus dem Weg geräumt hatte? Arthur schwieg, füllte seine neueste Pinnwand. Beretta - Jobs - Lombardo... Lombardo - Beretta - Jobs. In Italien waren alle irgendwie miteinander verwandt. Ob es wirklich ausreichte, Lombardo auszulöschen? Irgendwer wird sich auf den Slips getreten fühlen, irgendwer wird sich verpflichtet sehen, dass er ihn rächen musste. Es würde einen Domino-Effekt auslösen. Sie brauchten einen Plan, der ermöglichte, dass sie ihre Spuren gänzlich verwischten. Es musste ein verdammt guter Plan sein. Am besten einer, bei dem alle hinterher glücklich waren – sie selbst und vermeintliche Rächer. Beretta – Lombadro – Jobs… Was will wer? Womit ist wer glücklich? Was glaubt wer? Wer arbeitet für wen? … Gerade wollte er etwas sagen, darauf hinweisen, dass sie noch viel Informationen brauchten, als Tom das Thema so unerwartet wechselte, dass er ihn kurz ansah. Er spürte die Nähe des anderen. Er spürte den Atem auf seiner Haut, die geflüsterten Worte rieselten seinen Rücken hinunter., Er spürte die Wärme des ihm so bekannten Körpers durch den Stoff seines Hemdes am Oberarm. Diesmal wich er nicht zurück, Wie auch? Er konnte der Dame neben sich schließlich nicht auf den Schoß kriechen. Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen…. Ich weiß, was du für mich getan hast… Eine Chance… Arthur schluckte, schwieg. Seine Augen ruhten in denen des anderen. Gib mir eine Chance - hatte er das nicht vor kurzem erst in einem anderen Zusammenhang gehört? Richtig stellen? Was gab es da richtig zu stellen? „Du hast darüber nicht zu entscheiden, wann und für wen ich mich in Gefahr begebe oder nicht“, sagte er schließlich leise aber eindringlich. „Das entscheide ich ganz allein. Ich bin nicht mehr der kleine Student, den du einmal kennen gelernt hast, auch wenn du mich immer noch so behandelst.“ Er atmete langsam ein, senkte den Blick und zog die Kopfhörer für sein Handy aus seiner Hosentasche und verband sie mit dem Handy. „Ich frage mich, wie viele Chancen du noch gerne haben willst.“ Er öffnete sein Handy, die Musik-App, steckte die Kopfhörer ein. Ende des Gesprächs. Die Zufallswiedergabe entschied sich für Ferrari von The Neighbourhood. Arthur schloss die Augen, lehnte sich an die Kopfstütze jenseits von Tom. Ein Schmunzeln lag einen Moment auf seinen Lippen, als der Text einsetzte. I want a new yellow Ferrari from the nineties in the driveway But I know that you wouldn't like that Ja, diesen Wunsch konnte er verstehen. Wäre aber sicher nicht das richtige Auto für das, was sie vorhatten. Vielleicht ergab sich ja im Anschluss eine Gelegenheit dazu. Sein Lächeln starb, als der Text weiterging. Don't tell me about the rules and break them And don't tell me about mistakes And make the same ones I have made before Don't say you love me more Better not say it Arthur öffnete die Augen, blickte auf einen unbestimmten Punkt. You and I are two oceans apart We're on earth to break each others hearts, in two And it's hard with you When I'm too far from you I look at the stars, do you? Arthur klickte ein Lied weiter und schloss erneut die Augen. Linkin Park – In the end. Besser. Noch immer spürte er den Arm des anderen an seinem. Eine Ruhe überkam ihn, die er vermisst hatte. Als er einschlief fand sein Kopf von allein den Weg zu jener Schulter, an die gelehnt er am besten schlafen konnte. Er hatte seit sieben Wochen nicht mehr so gut geschlafen. Ankunft pünktlich. Die Fragen zu seinen Waffen mit der Identität eines Sicherheitsbeauftragten schnell und ohne Aufsehen beantwortet. In Europa war ähnliches Frühlingswetter wie in NY. Gut geschlafen habend fühlte Arthur sich besser. Er war froh gewesen, dass Eames geschlafen hatte, als er selbst aufgewacht war und sich an jenen gelehnt wiederfand. Der schwarze Cayenne war das passende Auto. Auch hier half die andere Identität, die passenden Ausweise. Die Autos des Mietwagenverleihs waren exklusiv und waren firmenintern alle in Hamburg zugelassen. Die Gegend um München war reich, teuerste Stadt Deutschlands, höchstes Durchschnittseinkommen. Da fuhren die Leute gerne mal am Wochenende mit ihrem Porsche rüber nach Italien, um in Mailand zu shoppen. Arthur strich über das lederne Lenkrad. Bei Autos war er doch irgendwie immer der kleine Junge. Das zufriedene Lächeln blieb, als er Tom ansah. „Welche Adresse?“ Eames 'Du hast darüber nicht zu entscheiden, wann und für wen ich mich in Gefahr begebe oder nicht' Das war der Satz der Eames immer und immer wieder durch den Kopf ging und ihn sogar bis in den Schlaf verfolgte. Er wusste um seinen scharfen Verstand genauso gut wie um seine bocksture Art. Das machte es ihm schwer in Betracht zu ziehen, dass er eventuell einen falschen Schluss über Arthur gezogen hatte. Schlimmer noch: dass er etwas entscheidendes übersehen haben sollte. Er erhaschte einen Blick auf Arthurs schlafendes Gesicht, als sie nebeneinander im Flieger saßen. Friedliches Rauschen der Turbinen im Hintergrund, der Servierwagen klimperte leise, als er vorbei geschoben wurde. Wann hatte Arthur aufgehört dieser „kleine Student“ zu sein? Hatte er den Moment verpasst? Wollte er ihn überhaupt erlebt haben, war wohl die wichtigere Frage. Den Jetlag würde er dieses mal ganz gut wegstecken, dachte er. Er war fit und clean und hatte gut im Flieger geschlafen, trotz zeitweise kreisender Gedanken. Schlussendlich wusste er, wie es laufen würde: Arthur würde ihm verzeihen und sie konnten da weitermachen konnten, wo sie aufgehört hatten, bevor er für ein paar Tage weggetreten war. Er gab Arthur die Adresse des Hotels; Mittelklasse im Münchner Süden. Sie würden ohnehin nicht lange bleiben. Ein paar Tage vielleicht, um zu planen, sich zu sortieren, vielleicht zu reden. Es gab da so ein paar Baustellen, das wusste Arthur genauso gut wie Eames, auch wenn er sich im Augenblick lieber auf den Job konzentrierte. Sie hatten anscheinend die Rollen getauscht, zumindest was dieses Bedürfnis anbelangte. Auf dem Beifahrersitz des Luxusschlittens (Porsche war eindeutig eher Arthurs Geschmack, als seiner) war genug Platz, um bequem die Beine übereinander zu schlagen und seinen italienischen Sprachführer zu studieren. Hin und wieder sprach er ein paar Worte und Sätze laut aus, ohne Hintergedanken ein Gespräch zu starten, eher für sich selbst, während deutsches Radio in adäquater Lautstärke lief. NF klang gerade an mit „Let you down“. Nicht sein Musik, aber ein kleiner Stich in das Hirnareal, wo sein schlechtes Gewissen sitzen sollte. In Anbetracht dessen, dass Arthur von sich aus genug Schießeisen für sie beide mitgenommen hatte, sollte klar sein, was sie tun würden, wenn sie nach Sizilien führen. Trotzdem schwebte diese Tatsache ebenso seltsam unausgesprochen über ihnen, wie so vieles andere. Sie waren bereits eine Weile unterwegs, als Eames sein Buch beiseite legte und die Hände ineinander verschränkte. Die Kälte zwischen ihnen war furchteinflößend. »Vielleicht hältst du die Frage für überflüssig, aber ich will, dass wir uns richtig verstehen.«, leitete er ein und sah aus dem Fenster. Sie waren fast da. »Mit Rattennest Ausmisten, meinte ich, wir fahren hin und legen sie um. Alle die uns Probleme machen. Bist du sicher, dass du das durchziehen willst?« Immerhin sprachen sie hier von nichts geringerem als Mord. Egal, was die bösen Kerle selbst schon angerichtet hatten. Arthur Arthur hing seinen Gedanken nach, während Eames offenbar sein Italienisch auffrischte. Die Stimmung war angespannt, aber Arthur war das egal. Der Ozean zwischen ihnen schien mal wieder unüberwindbar. Aber das war ja nichts Neues. Vielleicht würde Eames ja doch mal reden wollen. Sie fuhren um München herum. Als sie südlich in Richtung Alpen fuhren, schien Eames die Stille nicht mehr auszuhalten. Eames Worte wunderten ihn nicht. Arthur hatte in Eames Bewusstsein vermutlich noch nie real getötet. Träume ließen sich nicht mit der Realität mithalten oder verglichen werden. Sein Leben und seine Erfahrungen konnte nicht mit denen eines Soldaten vergleichen. Er war ein Denker, Aristokrat, studiert. Das reichte  aus, um dem Klischee, dem Bild zu entsprechen, das Tom vermutlich von ihm hatte. „Ja, das ist mir durchaus bewusst“, antwortete er schließlich und suchte Eames‘ Blick. „Keine Sorge. Ich habe damit gar kein Problem. Diese Typen bedrohen mein Leben und das meiner Freunde. Ich freue mich darauf, etwas Energie loszuwerden.“ Er blickte nach vorne, kaute nachdenklich auf seiner Lippe. „Ratten vergiftet man, dann zwingt man sie aus dem Bau, damit sie draußen verrecken.“ Das Navy lotste ihn von der Autobahn hinunter. „Vielleicht müssen wir gar nicht selbst viel tun, wenn wir sowohl Lorenzo, als auch Jobs mit falschen Infos vergiften.“ Arthur konnte töten, hatte getötet. Aber er war jemand, der plante, nicht loszog und ballerte.   Eames Der Gedanke die zwei Parteien gegeneinander auszuspielen entsprach dem was Eames von Arthur erwartet hatte. Er hatte selbst mit dem Gedanken gespielt einen Lockvogel ins Boot zu holen, oder sich über die Fehden zwischen den italienischen Familien zu informieren, um sie für ihr Vorhaben zu nutzen. Arthurs Idee schien jedoch eine einfachere und effizientere Lösung zu sein. Er lächelte kühl, nickte langsam, während er einen zustimmenden Laut brummte. Dabei sah er jedoch weiterhin aus dem Fenster. Diese Erkenntnis lenkte ihn jedoch nicht von dem eigentlichen Grund dieses Gesprächs ab. »Energie loswerden, hu?«, griff er auf und sah zu seinem Fahrer. Er konnte sich Arthur nicht wie jemanden vorstellen, der im echten Leben eine Waffe auf einen anderen Menschen abfeuerte; geschweige denn schon geübt darin war. »Klingt als hättest du Erfahrung.«, stellte er unverblümt fest. »Wen hast du umgebracht?«, vielleicht würde das Bild in seinem Kopf mehr Sinn ergeben, wenn er mehr Informationen hatte. Arthur Dass Eames nachfragen würde, hätte ihm klar sein müssen. Aber wollte er darauf antworten? Während Eames nun ihn ansah, blickte er aus dem Fenster, folgte der Straße, die sie in ländlicheres Gebiet brachte. Bald wären sie da. Perfekte Möglichkeit, da Gespräch zu unterlassen, oder? Ging es Tom etwas an? Andererseits musste jener darauf vertrauen können, dass Arthur nicht wegbrach, wenn sie das durchzogen. “Der erste war Alexej Drugov. Ein Mitschüler. Er hat mich...“ Einen Moment wog er seine Worte ab. „... provoziert. Ich war 16. Er war der Anführer einer Gang. Dann hatte er einen Unfall, nachdem er meine Schwester angemacht hat.“ Damals hatte er begonnen, schießen zu üben. Mit einer Kugel hatte er erst viel später getötet. Er blickte zu Eames, setzte den Blinker und fuhr in den Hof eines nett wirkenden Hotels. Sie waren vormittags gelandet. Die Sonne schien. Er blickte sich etwas um. „Sieht schön aus.“ Arthur hatte das Brummen als Zustimmung erkannt. Dann könnten sie also mit der Planung beginnen. Eames Diese Geschichte offenbarte Eames eine Facette von Arthur, die er lieber nicht entdeckt hätte. Ein hässlicher Fleck auf seiner weißen Rüstung. Er schwieg zu dieser Offenbarung, nickte nur als Zeichen, dass er verstanden hatte. Der Punkt war klar: Arthur hatte die Erfahrung, die Eames ihm nicht zugestehen wollte. In diesem Augenblick wünschte sich Eames er hätte Arthur einfach fortgeschickt und wäre allein nach Italien geflogen. Dann gäbe es noch diese alberne Illusion von dem Typen, den er zu kennen glaubte. »Reizend.«, kommentierte er eher semi-beeindruckt über das Hotel. Er war kein Land-Mensch; so gar nicht. Eher der Stadt-Wolf. Sie checkten ein. Eames hatte in seinem Übermut ein Doppelbettzimmer gebucht. Daraus wurde an der Rezeption schnell ein Zwei-Bett-Zimmer, der größtmögliche Kompromiss zu diesem Zeitpunkt. Am Folgetag könnten sie sogar getrennte Zimmer haben, wenn sie denn wollten, so das zuvorkommende Angebot. Sie verfrachteten das Gepäck in ihr Zimmer im zweiten Stock. Eames gönnte sich einen Apfel aus der Obstschale und öffnete die Glastür des Balkons um ein wenig frische Luft rein zulassen. Er war müde, die Zeitumstellung nagte noch etwas an ihm, aber würde bis zum Abend durchhalten. Die Aussicht war ländlich, friedlich. Ein kleines Wäldchen schloss an eine große Wiese an. Rührende Idylle... »Also Darling, wie ist der Plan?«, begann er und merkte, dass er die Frage nicht eindeutig genug gestellt hatte. »Dein Plan für heute. Gönnst du uns ein klärendes Gespräch? Vielleicht beim Dinner?« Er war vorsichtig, spielte erst mal den zurückhaltenden Löwenbändiger. Arthur „Reizend.“ Arthur sah Eames einen Moment verwundert an. Bezog er das auf seine Geschichte? Oder auf das Hotel? Der Unterton war eindeutig abwertend, zumindest klang es so. Zu beidem passte es nicht wirklich. Was hatte Eames denn erwartet? Glaubte jener wirklich, dass er auf Traumebene töten konnte, Leute in die Luft sprengte, etc. ohne auch anderweitig Erfahrung zu haben? Langsam fragte er sich immer mehr, was Tom für ein Bild von ihm hatte. Oder haben wollte? Oder gab er ihm dieses Bild? Aber warum wunderte er sich? Es passte doch genau zu der Erkenntnis, die er in den letzten Wochen gehabt hatte: Tom schuf eine Parallelwelt, in der er ihn offenbar genau nach dessen Vorstellung idealisierte. Und vielleicht war ihm das viel zu lange recht gewesen, weil er Angst davor hatte, was geschehen würde, wenn er ihn sah, wie er wirklich war. Arthur schob diesen Gedanken beiseite. Spielte es eine Rolle? Im Moment nicht - später? Vielleicht. Als er ausstieg, atmete er tief durch. Diese Diskussion würden sie nicht jetzt und hier führen müssen. Also sollte er das „reizend“ lieber auf das Hotel beziehen. Die Lage war gut: schnell zur Autobahn Richtung Italien. Dass sie außerhalb Münchens waren - nunja. Sie würden keine Ewigkeit bleiben. Ihm wäre München definitiv auch lieber, als mit Geranien behängte Holzbalkone. Andererseits war es vermutlich sicherer hier. Der Ärger, den er so dringend versuchte nicht Oberhand gewinnen zu lassen, erhielt an der Rezeption nur noch mehr Nahrung. War das Toms Ernst? Doppelbett? Hatte er wirklich erwartet, dass er vor Glück darüber, dass er sich bequemt hatte, wieder Kontakt aufzunehmen, direkt dort weitermachen konnte, wo sie aufgehört hatten? Glaubte er wirklich, dass er alles schluckte? Er hatte nur eine verfickte Bedingung an ihr Scheiß something gestellt!! Aber ging es eigentlich noch darum? Wie auch immer. Eine Nacht, ein Zimmer mit zwei Betten. Wird schon irgendwie gehen. Das Zimmer war schön, die Aussicht im Grunde wirklich klasse. Allerdings stellte Arthur fest, dass es keinerlei Lichtquelle geben würde. Eine Nacht in Dunkelheit. Eine Nacht mit Tom so nah und doch unabdingbar fern. Eine Nacht ohne Schlaf. Arthur holte sein MacBook aus der Tasche, drehte die Sicherheitsvorkehrungen hoch und loggte sich ins W-LAN ein. Er überprüfte, ob wichtige Nachrichten an sein ausrangiertes Arbeits-Handy gegangen waren, aber es war nichts von Belang. Seine Wohnung hatte auch niemand versucht zu betreten. Als Tom ihn fragte, was seine Pläne seien, sah er irritiert zu ihm, der offenbar die Aussicht begutachtet hatte. Was sollte die Frage? Unabhängig von dem Darling, das ihn nach wie vor störte. Im Grunde war der Plan doch... Der Nachsatz und die anschließenden Fragen präzisierten das Gesagte. Fast erstaunlich, dass Tom darauf drängte, das alles, was zwischen ihnen stand zu ‚klären‘. Doch darüber dachte er jetzt nicht weiter nach. „Aber sicher können wir das machen“, sagte er leichthin, lehnte sich zurück und musste fast schmunzeln. „Ein klärendes Gespräch wäre mal eine erfrischende Abwechslung und etwas völlig Neues. Gerne auch zum Dinner, dann bleibt zumindest der Ton gewahrt.“ War er streitlustig? Vermutlich - nein, ziemlich sicher sogar. Zu viel gehrte in ihm. Er stand auf, überlegte, ob sie das Gespräch nicht doch vorziehen sollten. Aber im Moment war er zu streitlustig. Es wäre wenig zielführend. Und da war dieser Gedanke, dass Tom diesmal offenbar nicht den Weg des Todschweigens gehen wollte (wie sonst immer), der ihn etwas zurückpfiff. Es schien jenem wichtig zu sein, dass sie etwas ‚klärten‘. Hatte Tom doch etwas wie ein Gewissen? Etwas wie Schuldbewusstsein? War er ihm doch wichtig? Im Grunde wusste er ja, dass es so war. Dennoch war es gut, es auch zu merken. Er öffnete seinen Koffer, holte sich frische Klamotten raus, etwas weniger Förmliches. „Ich geh duschen. Danach würde ich gerne mit dir Informationen abgleichen“, sagte er und ließ seinen Worten Taten folgen. Sie waren hier, um einen nicht ganz einfachen Plan auszuarbeiten. Das war die oberste Priorität. Alles andere kam dann. Unter der Dusche ließ er lange das Wasser einfach nur über sein Gesicht fließen. Er spürte, dass er müde war. Die wenigen Stunden Schlaf reichten nicht. Dennoch musste er bis abends durchhalten, um sich schnell zu akklimatisieren. Aber Kaffee wäre nicht schlecht... Als sie sich schließlich hinsetzten, öffnete er die Dateien, die er über Jobs und Beretta gesammelt hatte. „Lass uns schauen, was wir schon wissen“, begann er. „Dann finden wir sicher den richtigen Ansatzpunkt, wie wir die beiden gegeneinander ausspielen können. “ Eames Er wollte den Ton wahren, so so. Es wäre ein leichtes gewesen auf diese Provokation einzugehen. Würden sie nicht gerade so einen Hochseilakt mit ihrer Beziehung betreiben, hätte er es vielleicht sogar getan. Stattdessen erwiderte er schlicht: »Wunderbar. Dann heute Abend beim Dinner.«, als hätten er gerade ein Geschäftsessen mit seiner Sekretärin vereinbart. Während Arthur duschte besorgte Eames ein Nüsse aus einem Snack-Automaten und ein paar koffeinhaltige Heißgetränke für sie beide. Auch er hatte das starke Bedürfnis nach etwas aufputschendem, um den Rest des Tages zu überstehen. Der Schreibtisch war klein und die Stühle relativ unbequem. Wenigstens hatten sie von dort aus einen guten Blick auf die friedliche Frühlingslandschaft. Hin und wieder dachte Eames, dass jeden Augenblick eine Heidi über die Blumenwiese hüpfen müsste... Er kaute etwas lustlos auf seinen Nüssen herum, während Arthur sich vorbereitete. Er selbst hatte das meiste im Kopf. »Jobs hat seine Karriere und einen Großteil seines Vermögens verloren; der Mann hat im Grunde nichts zu verlieren.«, eigentlich ein guter Ansatzpunkt. »Ich denke es wird kein Problem ihn zu manipulieren. Schwierig wird nur nicht sein nächstes Ziel zu werden, sollte er sein Geld in Sizilien nicht zurück bekommen.« Arthur Der Geruch von Kaffee, der den Raum erfüllte, fühlte sich gut an. Er griff zu seiner Tasse, während er Toms Erklärungen folgte und trank einen Schluck. Lebensgeister! Arthur nickte und öffnete eine Karte, die er erarbeitet hatte. „Dass er nichts zu verlieren hat, ist eine gute Voraussetzung. Der Typ ist eh strange. Erinnerst du dich an die Stimmung in seinem Traum. Ziemlich spooky. Ich denke, er will Blut sehen.“ Arthur deutete auf die Karte. „Die blauen Punkte sind alles Orte, an denen Berretta Firmen etc. hat oder unterstützt. Alle im Nordwesten, Genua, Mailand, Turin bis runter nach Florenz. Die Grenze zu den Venezianern scheint Verona zu sein. Jobs hat Familie im Süden, Calabrien bis Neapel, ein wenig auf Sizilien. Wenn Lombardo Sizilien beherrscht, sieht das für mich so aus, als habe Berretta Lombardo gekauft, um dessen Job zu bekommen. Dafür bekommt Lombardo Kohle und er kann sich weiter nach Calabrien ausdehnen.“ Er betrachtete die Karte einen Moment. „Die Firma, die Jobs Vater hochgezogen hat, ist immer noch in seiner Hand, auch wenn er nicht offiziell der Inhaber ist. Das habe ich den Unterlagen entnommen, die ich auf seinem Schreibtisch gefunden hatte. Sie handeln viel mit Produkten aus seiner Heimat – neben der Geldwäsche natürlich. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich beruflich wieder in die Richtung orientiert. Aber er braucht die Kohle zurück. Du hast recht damit, dass das der Punkt ist, an dem wir ihn bekommen. Wir sollten ihn kontaktieren und ihm unsere Hilfe anbieten, sein Geld zurück zu holen. Wir könnten behaupten, dass du von Lombardo hintergangen worden seist und wir uns rächen wollen.“ Er tippte sich nachdenklich an die Unterlippe und betrachtete die Karte. „Wenn er glaubt, dass wir auf seiner Seite sind und nur durch uns sein Geld zurückbekommt, dann sind wir da erstmal sicher. Dennoch sollten wir zusehen, dass niemand übrigbleibt, der etwas von uns weiß. Lombardo nicht und Jobs nicht.“ Er blickte einen Moment zu Tom. „Das gleiche gilt für Lombardos Männer. Die Italiener sind nachtragend, das Wort Vendetta wird dort großgeschrieben. Es wird uns nicht nutzen, Lombardo hier auszuschalten, aber seine Leute in New York kennen noch unsere Namen. Ich war zwar eine ganze Weile erleichtert, sie vor meinem Haus zu haben. Schließlich bedeutete das, dass du noch lebtest. Aber wenn sie die Info bekommen, dass wir ihren Chef getötet haben, sind wir sie nicht los. Eher im Gegenteil. Die waren jetzt ja schon kurz davor, mich einzukassieren. Dann geht der ganze Mist nahtlos weiter - ein Dominoeffekt. Das sollten wir vermeiden. Schließlich können wir nicht ganz Italien dem Erdboden gleichmachen.“ Er schnaubte etwas, dachte einen Moment nach, kaute auf seiner Unterlippe und blickte auf den Bildschirm. „Wir müssen es so aussehen lassen, als ob wir uns stellen. Lombardo muss kommunizieren, dass wir nicht mehr in NY sind und dass wir kooperieren. Die dort drüben müssen glauben, dass Jobs ihn getötet hat und wir nichts damit zu tun haben. Nur dann haben wir endlich Ruhe vor ihnen.“ Er sah wieder zu Tom. „Was hat Jesse dir eigentlich gesteckt, dass du dann dachtest, doch mal auftauchen zu müssen?“ Eames Er nickte und kaute nachdenklich. Spooky traf es ganz gut. Psychopaths dream in black and white; er wusste nicht woher der Spruch kam, wahrscheinlich aus irgendeinem Zeitungsbericht, den er auf einem seiner Langstreckenflüge gelesen hatte. Ein Traumbild, das ihm spontan eine Gänsehaut bereitet hatte, war ihm bis zu diesem Zeitpunkt auch unbekannt gewesen und er war auch nicht scharf darauf noch tiefer bei diesem Kerl zu bohren. Es reichte, wenn sie ihn für ihre Zwecke missbrauchen konnten und danach nie wieder begegnen mussten. In Eames Kopf ratterte es gewaltig. Der Flug hatte ihn ausgemergelt und der Stress davor so wie so. Trotzdem formten sich halbwegs klare Gedanken, auf der Basis von Arthurs Informationen. Er nickte, hielt jedoch inne, als Arthur weitersprach. Ein kleines, schuldbewusstes Lächeln formte sich auf seinen Lippen, als Arthur davon sprach, dass er die Anwesenheit der Kriminellen als ein Lebenszeichen von Eames interpretiert hatte. Wenn Arthur ihm zuhörte, würde er verstehen, dass er sich nicht hatte melden können. Nun war der Schaden jedoch angerichtet und Eames würde versuchen das Teetässchen wieder zusammenzukleben so gut er konnte. Etwas anderes blieb ihm gar nicht übrig. Solange war es OK das Arschloch zu sein. Er wollte gerade seine eigenen Ideen zu Arthurs Plan ergänzen, als Arthur noch eine Frage nachschob. Er sah ihn einige lange Sekunden lang an, ehe er antwortete. »Er hat gesagt, dass sie kommen, um dich zu holen.«, erklärte er ruhig. »Mein Plan ist nicht aufgegangen. Ich hatte gedacht, dass ich dich am besten dadurch schütze, indem ich alle Seile löse, damit keine Spur bei Yusuf oder dir endet. Aber es hat nicht funktioniert.«, er klang nüchtern, sein Ärgernis über den misslungenen Plan schwang jedoch mit. Es wäre alles so viel leichter gewesen, wenn er es geschafft hätte sie von Arthur fern zu halten. Er wäre vielleicht weg gewesen, aber hätte ein einziges mal alles richtig gemacht. »Sie haben unser Mikrofon gefunden und sind der Spur zu dir gefolgt.« Es hatte keinen Sinn in diesem Augenblick darüber zu diskutieren. Stattdessen lenkte Eames das Thema schnell wieder auf den Fall. Er musste Arthur an diesem Punkt recht geben: Sie mussten erst den Plan festlegen, bevor sie irgendetwas klärten. Zumindest brauchten sie einen groben Durchblick bevor sie sich mit den vielleicht einflussreichsten, kriminellen Familien Italiens anlegte. Eames überlegte laut ob sie über Jobs nicht genug Druck auf Lombardo aufbauen könnten, damit dieser seine Männer aus New York abzog. Schließlich hatte Jobs ebenfalls Familie dort und könnte die Anwesenheit von Lombardos Männern als Bedrohung interpretieren. Jobs war vielleicht geschwächt, aber besaß noch immer genug Einfluss und genug Willen wieder an die Spitze zu kommen. Man könnte ihm eintrichtern, dass Lombardo scharf auf seinen Einflussbereich war und ihm anbieten dabei zu helfen, stattdessen Lombardos Revier zu infiltrieren. In Berettas Gunst zu geraten ist hier vielleicht das Stichwort. Arthur Arthur hatte einen Moment geglaubt, dass er keine Antwort mehr erhalten würde, während Eames ihn nur ansah. Es hätte ihn nicht gewundert. Als er dann doch erklärte, was geschehen musste, damit sich jener dazu bequemte, zu ihm zu kommen, wusste er nicht, was er denken oder fühlen sollte. Die darauf folgenden Worte machten es ihm nicht leichter. Sicher war es in gewisser Weise durchaus… ‚nett‘, dass er ihn beschützte, dass er ihn beschützen wollte. Ja, irgendwie war das wirklich ‚lieb‘. Er konnte es irgendwie nachvollziehen, dass sich das für Tom vielleicht richtig anfühlen musste. Schließlich war er ja auch untergetaucht, um Ariadne zu schützen. Aber… es schmerzte ihn gleichzeitig unglaublich. Das Gefühl in seinem Magen war drückend. Er blickte aus dem Fenster mit versteinerter Miene. Er löste also lieber alle Seile und ließ ihn im Ungewissen, ließ ihn mit seinen Sorgen und Ängsten alleine, ließ ihn lieber in den Qualen der Gedanken zurück, ihm könne etwas zugestoßen sein, er könnte gar gestorben sein, als dass er ihm nur eine Nachricht zukommen ließ. Es gab in der heutigen Zeit so viele gottverdammte Wege, ihm seine Sorgen zu nehmen. Es gab so viele Wege… Alles wäre so viel einfacher gewesen, wenn sie das gemeinsam beschlossen hätten. Wenn sie gemeinsam beschlossen hätten, diesen Weg zusammen zu gehen. Es wäre so viel besser, so viel leichter gewesen. Ihm kamen die Foo Fighters in den Sinn, während er aus dem Fenster blickte und ihm alles surreal vorkam, das Grün, der blaue Himmel, die Sonne. Let it die Heart's gone cold and hands are tied Why'd you have to go and let it die Why'd you have to go and let it die Do you ever think of me You're so considerate Did you ever think of me Oh, so considerate Er blickte kurz auf seine Finger, als er das „unser“ hörte. Auch er hatte vorhin das „Wir“ benutzt. Dieses Wir existierte nur, wenn er der Pointman und Eames der Extraktor oder Forger war. Ansonsten gab es kein Wir, nicht für Tom. Und jetzt auch nicht mehr für Arthur. Er nickte sacht, ließ es kommentarlos zu, dass Tom das Thema wechselte. Er musste ohnehin kurz verdauen. Fokussiert bleiben auf das Wesentliche, auf den Job. Alles andere kam dann… irgendwann. Arthur zog aus seiner Tasche sein Notizbuch, öffnete es, schrieb auf eine Seite drei Namen: Jobs, Lombardo, Beretta Während er nachdachte, zeichnete er - Verbindungslinien, Symbole, Muster, einzelne Worte, die Gesichter von Jobs und Beretta. Er zeichnete gerne, während er nachdachte. Und er kippelte dabei mit dem Stuhl. „Ich war doch in Jobs Haus. Was meinst du, was Jobs macht, wenn wir ihm Informationen zukommen lassen, dass Beretta jemanden sein Haus ausspionieren hat lassen, der sich als Architekturstudent ausgegeben hat? Schwarze Haare, ich könnte als Italo durchgehen. Und wenn wir ihm gleichzeitig stecken, wo Lombardos Leute in New York sind?“, überlegte er laut und blickte Tom einen Moment an. „Gleichzeitig sollten wir einen Ort wählen, an dem alle Parteien aufeinandertreffen. Jobs sagen wir, dass sich dort Lombardo mit denjenigen treffen wird, die ihm in den Rücken gefallen sind. Ein Treffen, bei dem sie sich absprechen, um sich an seinen Gebieten zu bereichern. Lombardo stecken wir, dass sich Jobs Berrettas Gunst zurückholt und sie ihm in den Rücken fallen wollen.“ Er zog einen Strich zwischen Lombardo und Jobs, grübelte etwas. „Wenn du ihm das Geld zurückgegeben hättest, könnten wir in eines seiner Casinos spazieren und die Naiven spielen und so tun, als gingen wir davon aus, dass alles in Ordnung sei. Dann könnten wir beiläufig fallen lassen, dass sich Jobs mit Beretta zusammenschließt und sie sich an eben jenem Ort treffen, um zu überlegen, wie sie Lombardo überrumpeln können. Vielleicht wäre es auch gut, das Gerücht in Umlauf zu bringen, dass Jobs bereits begonnen hatte, Lombardos Leute zu bestechen und auszuschalten. Wenn er wirklich in New York Lombardos Männer aufmischt, dann passt das ins Bild.“ So langsam formte sich ein verwirrendes Geflecht aus Lügen und Intrigen, das die beiden Parteien vermutlich wirklich gut gegeneinander aufbringen würde. „Beretta weiß ja weiter nichts von dir, right? Dann wird er glauben, Jobs hätte sich einfach nur rächen wollen. Ihm kann es letztlich alles völlig egal sein.“ Die Zeit schritt voran. Arthur machte sich Notizen, zeichnete in sein Buch, war froh darüber, Tom nicht ansehen zu müssen, während sie alle Vor- und Nachteile, alle Unwägbarkeiten und Risiken besprachen. Gerade die Idee, eines der Casinos zu besuchen, war sehr gewagt. Es konnte gut nach hinten losgehen. Für die Hinweise an Jobs bräuchten sie vermutlich Jesse. Nach und nach formte sich ein Plan. „Dann sollten wir bald nach Italien, um den perfekten Ort zu finden, an dem wir sie aufeinanderprallen lassen. Meine Gedanken dazu: ein altes Industriegelände. Davon gibt es viele in Süditalien. Ich könnte mir auch etwas Explosives vorstellen, um ganz sicher zu gehen, dass niemand übrigbleibt.“ Sprengstoff war etwas, womit er sich wirklich gut auskannte. Chemie und Physik in einem - genau sein Ding. Zumal er lange mit dem Gedanken gespielt hatte, auch einmal ein Geburtstagsgeschenk zu verschicken, sobald er wusste, an wen er adressieren müsste. Eames Diese Idee, dass sie versuchen könnten Jobs zu verkaufen, dass es sich bei Arthur um einen Spitzel Lombardos gehandelt hatte, fand Eames recht 'putzig'. Er sprach es zunächst nicht aus, aber er war klar dagegen. Immerhin würde das bedeuten, dass Jobs' Leute Arthurs Gesicht nie wieder vergessen würden, wenn sie einmal herausgefunden hatten, wer er war. Sollte ihr wunderbarer Plan nicht funktionieren, wäre New York kein sicheres Pflaster mehr für Arthur und das wollte Eames ihm nicht antun. Bis auf eine andere Kleinigkeit klang Arthurs Plan jedoch recht passabel. So als könnte es tatsächlich funktionieren. An manipulativen und kriminellen Energien mangelte es ihnen jedenfalls nicht. Eames war ein weiteres mal nach unten gegangen um Tee und Kaffee zu besorgen, außerdem ein wenig Obst. So langsam bekam er Appetit. Die Verzögerung schien sich jedoch zu lohnen; sie kamen voran. Er massierte sich mit dem Daumen die Schläfe, um rieb sich die Stirn hinter der sich ein leichter Druckschmerz formte. Dann schnaufte er und lehnte sich zurück. »Gute Arbeit.«, merkte er an und ließ seinen Kugelschreiber sinken, mit dem er ebenfalls ein paar Notizen gemacht hatte. Sicher nicht so anschauliche wie die von Arthur. Er war vielleicht ein Meister darin Unterschriften nachzuahmen und im Fälschen von Dokumenten war er mittlerweile auch ganz passabel, aber wenn es zu seiner ganz eigenen „Privat-Schrift“ kam, gab es wohl keine bessere Beschreibung als „unterirdisch“. »Ich habe nur einen Änderungsvorschlag. Sagen wir zwei.«, er gestikulierte locker. »Erstens: Wir sollten die Möglichkeit bedenken, dass Lombardo und Jobs trotz Ankündigung nicht persönlich erscheinen. Für diesen Fall brauchen wir einen Plan, wie wir zumindest Lombardo ausfindig machen und eliminieren. Zweitens...«, man merkte ihm an, dass er über die Formulierung nachdachte. »... ich halte es für keine gute Idee, wenn du mich in Lombardos Casino begleitest.« Es war allein der Gedanke daran, dass Arthur ein weiteres mal mit einer seiner tiefsten Abgründe konfrontiert wurde... Spielsucht, kriminelles Millieu, Drogen, Sex, Alkohol. Und das war längst nicht alles. Er konnte nicht riskieren, dass sie Arthurs Gesicht kannten. »Du willst sicher nicht mit auf der Abschussliste stehen. Und ich kenne die Jungs ganz gut, lass mich die Sache klären.« Arthur Arthur streckte sich, dehnte seinen Rücken, kippelte etwas nach hinten, überhörte die Feststellung, dass ihr Gespräch produktiv war. Seit acht Jahren machte er vor allem eines: genau solche Pläne aufzustellen. Auch wenn es sonst nicht darum ging, andere Menschen auszuschalten, so ging es dennoch auch darum, Menschen so zu manipulieren, dass sie zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt an einem ganz bestimmten Ort waren. Er stellte wieder alle vier Füße seines Stuhls auf den Boden, als Eames die Änderungsvorschlage ankündigte. Er hatte eine Ahnung, an welchem Punkt er schrauben wollte. Abwartend blickte er ihn an. Erster Punkt war richtig. Für diese Situation brauchten sie einen Plan. Und vor allem brauchten sie Jesse (oder jemanden wie ihn), der ihnen half, die beiden Männer zu überwachen. Theoretisch könnte er das selbst auch tun. Aber nicht, wenn sie unterwegs waren. Der zweite Punkt schien für Eames der heiklere zu sein und Arthur musste sich zusammennehmen, um nicht zu schmunzeln. Als Eames es endlich herausbrachte, zuckte doch ein Mundwinkel. Hatte er also richtig gelegen. Einen Moment sah er ihn an, das amüsierte Schmunzeln bekam er nicht weg. Dann lehnte er sich wieder zurück, seine Zunge glitt kurz über seine Lippen, auf die er sich kurz biss, während er nun seinerseits seine Worte zurechtlegte. „Bei ersterem gebe ich dir vollkommen recht“, sagte er dann. „Wir müssen an sie herankommen und sie überwachen. Bei Jobs könnte uns Jesse helfen. Wenn er nach Europa fliegt, werden wir ihn erwischen. Vielleicht können wir ihm mitteilen, dass das Geld beim Treffen übergeben werden soll. Vielleicht ist das Anreiz genug, um persönlich anwesend zu sein. Lombardo müssen wir im Auge behalten. Kennst du jemanden, der nah genug an ihn herankommt und der Interesse daran hätte, Lombardo eine reinzudrücken? Eine Geliebte? Etwas in der Art?“ Wenn jemand so jemanden kannte, dann vermutlich Eames. Wenn er in den Casinos unterwegs gewesen war, hatte er sicher die ein oder den anderen aufgerissen, um an Informationen zu kommen. Er schwieg einen Moment. „Zu zweitem bleibt mir nur zu sagen: Niemals! Ich gehe mit und niemand wird mich daran hindern. Schließlich brauchst du jemanden, der dich rausholt, wenn sie dir wieder die Rippen brechen möchten. Oder du brauchst jemanden, der zuerst abdrückt, wenn sie sich die Zeit des Rippenbrechens sparen wollen.“ Seine Mine hatte sich verdunkelt, sein Blick war fest. Nein, er würde sich da auf nichts anderes einlassen. Er hatte sich von Eames zu oft abschütteln lassen, wegstoßen lassen, ausschließen lassen. ‚Casino‘ war ohnehin etwas, was in ihrer gemeinsamen Vergangenheit einmal zu einem absoluten Bruch geführt hatte. Damals hatte er darauf vertraut, was Eames tat. Nun, jener hatte es auch gewusst. Aber Arthur nicht die Wahrheit darüber verraten. Arthur spürte den Würfel aus jenem Casino in Tokyo in seiner Jackettasche. „Warum willst du mich nicht dabeihaben?“, fragte er mit provokantem Unterton nach. Sein Blick war unverwandt auf Eames gerichtet. „Ich stehe eh schon auf der Liste, sonst wären sie nicht bei mir in der Arbeit aufgetaucht. Und das weißt du. Was ist es also sonst, was du befürchtest? Oder liegt es daran, dass du mir nichts zutraust?“ Eames Er nickte und machte sich eine lockere Notiz. Jesse war eine wunderbare Idee. Er war sich ziemlich sicher, dass jener an Board war, wenn es darum ging Jobs nach Europa zu locken und dass er dazu vermutlich nicht einmal seinen geliebten Arbeitsbunker verlassen musste. Leider war Arthur nicht sonderlich kooperativ, als es um den Besuch im Casino ging. »Es geht nicht darum, wie viel ich dir zutraue.«, schmetterte er ab. Diesmal nahm er die Provokation gern auf. Vielleicht mussten sie sich streiten, um sich endlich wieder vertragen zu können. »Diese Typen sind keine kleinen Fische. Kann sein, dass Jobs dir am Arsch klebt, schön und gut. Jobs ist aber ein verdammter Sesselfuzer. Er hat Geld und Einfluss und viele böse Cousins, aber vertrau mir... Lombardo ist eine andere Hausnummer.« Er griff nach Arthurs Unterarm, der auf dem Tisch lag und hielt ihn fest. Eindringlich: »Gib mir Rückendeckung, Arthur. Ich kann das klären.« Bei jedem anderen wäre es ihm vermutlich egal gewesen. Dom oder Yusuf hätte er ohne Bedenken mitgenommen. Und ihm dämmerte, dass diese Denkweise stark damit verknüpft war, was für ein Bild er von Arthur hatte. Aber auch damit wie viel er ihm bedeutete. Arthur „Ach ja?!“, fragte Arthur schnaubend gegen, als Eames ihm weismachen wollte, es habe nichts mit Zutrauen zu tun. Zumindest schien er nun endlich aus der Passivität zu treten und Arthurs Wut in seinem Blut schrie erleichtert auf. “,aber vertrau mir“ Die Worte hallten in ihm wieder. Arthur schnaubte genervt, blickte einen Moment nach draußen, wo sich die Dämmerung ankündigte und den Himmel in ein intensives Rot verwandelte. Als er die Hand auf seinem Arm spürte, blickte er überrascht zu dieser, sah sie an, wie einen unerwünschten Besucher. »Gib mir Rückendeckung, Arthur. Ich kann das klären.« Arthur musste sich einen Moment sammeln, blickte weiter auf die Hand, die durch sein Shirt auf seiner Haut brannte und zwei völlig gegensätzliche Gefühle in ihm auslöste. Schließlich richtete er sich auf, zog den Arm unter der Hand des anderen heraus und lehnte sich wieder zurück, Eames anblickend. „Rückendeckung bin ich nur dann wirklich“, sagte er sehr nüchtern und ernst, „wenn ich dabei bin. Wenn alles gut geht, muss Lombardo nie erfahren, dass wir zusammengehören. Wenn etwas schiefgeht, bin ich da.“ Seine vom inneren Chaos schier schwarzen Augen fixierten die sturmgrauen des anderen. „Du sagst, ich solle dir vertrauen“, stellte er fest. Ein ungläubiges Lächeln umspielte sacht seine Lippen. „Weißt du, was lustig ist.“ Er schwieg kurz, überlegte, wie er es sagen wollte. Sein Blick glitt zu dem roten Himmel. „Ich dachte immer, ich könnte und würde dir nicht vertrauen. Und in mancher Hinsicht tue ich das wirklich nicht. Aber nicht im Job. Da vertraue ich dir, auch wenn ich gern das Gegenteil behaupte. Ich vertraue dir, weil ich weiß, dass du darin der beste bist. Auch wenn ich deine Methoden selten durchschaue und mir das Angst macht.“ Er sprach ruhig, nachdenklich. Nun sah er wieder zu Eames. „Ich vertraue dir auch darin, was deine Einschätzung zu Jobs und Lombardo betrifft. Im Grunde geht es nicht darum, dass ICH dir nicht vertraue. Es ist genau anders herum: Wer nie vertraut, das bist DU. Du hast mir noch nie vertraut. Du traust mir nichts zu. Nicht, dass ich mit solchen Situationen umgehen kann. Du traust mir nicht zu, mit dir und deinem Leben umgehen zu können. Du vertraust dich mir nie an. DU traust MIR nicht.“ Sich das aussprechen zu hören, schmerzte genauso, wie es gut tat. Eames versuchte immer, ihn zu schützen. Das hatte er ihm im Flugzeug erst gesagt. Er hat außerdem gesagt, er wünschte, er wäre bei Enyas Tod bei ihm gewesen. Er hatte Enya gesagt, er würde auf ihn aufpassen. Nun beschützt er ihn vor den Mafiosi, vor der Wahrheit hinter dem großen Ganzen; in gewisser Weise war das ja auch schön, dass er ihn nicht in Gefahr bringen will und nicht zulassen könnte, dass ihm was passiert. Irgendwo berührte es ihn wirklich. Aber darüberhinaus beschützt Eames ihn auch stets vor ihm selbst, vor seiner Vergangenheit, seinem Dasein als Dieb und Betrüger, der Gefahr, in die er sich so gerne begab, vor all dem, das nicht in ihre Illusion passte. Am liebsten würde er eine rauchen gehen. Aber vielleicht war es an der Zeit, ein paar Dinge zu sagen und nicht zu fliehen. „Wovor willst du mich schützen? Vor Lombardo oder vor dir?“, sagte er nun unvermittelt. Eames versucht alles auf seine Schultern zu laden, ihn abzuschirmen, ihn nicht zu belasten. Aber er dachte nie darüber nach, ob es wirklich eine Belastung wäre. Er fragte ihn nicht, was er darüber dachte. Er entschied für sich und über Arthurs Kopf hinweg. Aber wenn er ernsthaft etwas mit Bestand haben wollte, müsste er Arthur die Chance geben, Teil seines Lebens zu werden mit allen Facetten, die dazugehören. Den guten, wie den schlechten. (Wenn man überhaupt so denken wollte) Arthurs Blick würde sich nicht ändern. Eames hatte es ihm einmal gesagt: er könne ihm zeigen, was er wolle, es würde nichts ändern. Das gleiche galt doch auch für ihn, verdammte Scheiße!! Arthur hatte gedacht, dass Eames sich öffnen würde, wenn er sich öffnete. Doch es hatte nicht funktioniert. Es hatte ihn nur angreifbar gemacht. Er wusste noch nicht, ob er es bereute. Der Moment, an dem er beschlossen hatte, sich gänzlich auf ihn einzulassen, ihm wieder auch hinsichtlich ihrer Beziehung vertrauen zu wollen, ihn so zu akzeptieren, wie er war und ihn deswegen nicht ständig zu kritisieren, sondern zu versuchen, es einfach als gegeben anzunehmen, es zu akzeptieren und ihm Zuneigung zu schenken, war das Gespräch mit Candela, darüber was Eames für sie getan hatte. Eames‘ eigentlich so großes Herz war es gewesen, warum er seines hatte öffnen wollen. Nicht seine Fähigkeiten, sein so schöner Körper, sein Charme, seine Beharrlichkeit - einfach nur sein Herz. Aber offenbar traut dieses ihm nicht zu, das tragen zu können, was Eames auch ausmacht. Offenbar ist er darin nicht wichtig genug. Oder zu wichtig? Arthur schwieg zu diesem Gedanken. Es spielte gerade keine Rolle mehr. „Ich sage es dir gerne noch einmal: Du hast nicht über mich zu entscheiden, weniger denn je!“ I don't want to be your cigarette I don't want to be your ashtray I don't want to be your door mat 'Don't want to be ignored All o' sudden you're not into me And maybe it's not deliberate And I know you never asked me I just gotta put it out there I don't pull myself out there Usually I stay tucked away Cause I was a loner until I met you And I let you in after all the persuasion Mind games, manipulations. That's why I'd rather be a loner Eames Die Mühlenräder drehten sich sich langsam und schwerfällig. Eames hatte geahnt, dass es nicht leicht sein würde Arthur von seiner Meinung zu überzeugen, aber dass es nun plötzlich grundlegend um Vertrauen und ihre gemeinsame Zukunft ging, traf einen wunden Punkt. „Du hast mir noch nie vertraut. Du traust mir nichts zu. Nicht, dass ich mit solchen Situationen umgehen kann. Du traust mir nicht zu, mit dir und deinem Leben umgehen zu können. Du vertraust dich mir nie an. DU traust MIR nicht.“ Das tat weh. Eames Blick verriet, dass er sich dessen bewusst war, aber es kam nichts über seine Lippen. I'm taking a ride With my best friend I hope he never lets me down again Diese ganze „Vertrauenskiste“ war schwierig; vermutlich zurückführbar auf sein katastrophales Verhältnis zu seiner Familie. Lang vergrabene Probleme; eingefleischte Selbstschutzrituale. Wie alle anderen versuchte Eames auch nur zu überleben. Er starrte ihn eine Weile an, angespannt. Er verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Arthur, als versuchte er anhand seiner äußerlichen Erscheinung abzuschätzen, was das beste war. Er stand im Schach, er hatte nicht viele Möglichkeiten. »Fine.«, erwiderte er endlich. »Wir gehen zusammen.«, die Worte kamen nicht leicht über seine Lippen. Er spürte eine Enge in seiner Brust beim bloßen Gedanken daran. Bisher hatte es immer wunderbar funktioniert; aber offenbar konnte er nicht die Vorteile ihrer Romanze genießen, wenn er nicht auch bereit war hin und wieder in den sauren Apfel zu beißen. Sein Blick hatte etwas warnendes – wie eine stumme Aufforderung an Arthur sich zu beweisen. Er war ganz und gar nicht begeistert. Eigentlich ging Eames nicht davon aus, aber wenn alles schief lief, war Arthur am Arsch. Dann könnte er direkt bei Eames einziehen. Erst mal ein interessanter Gedanke... auf der anderen Seite... »Die Feinheiten besprechen wir auf der Fahrt, würde ich vorschlagen.« Auch sein Blick huschte über den blutroten Horizont und er spürte eine weitere Welle der Müdigkeit über sich hinweg rollen. Er schnaufte, stand auf und verschwand kommentarlos im Bad, um zu duschen. Arthur Die Stille war drückend. Die Körpersprache des anderen sprach Bände. Abwehr, Anspannung, Widerwille, vielleicht auch Wut, mindestens Ärger über sein Verhalten, seine Worte. Arthur erwiderte den Blick mit ruhiger Gelassenheit, auch wenn er innerlich aufgewühlt war. Er durfte nicht klein beigeben, nicht jetzt. Sonst würde sich nie etwas ändern. Und auch wenn er ihre Beziehung im Moment auf einem Tiefpunkt sah, so hoffte er, dass sie irgendwann wieder ins Positive gehen würde. Dann nämlich, wenn Tom ihn teilhaben lassen würde. Nur dann, so hatte er sich vorgenommen, würde er sich diesem wieder öffnen. Arthur spürte seinen Puls, rechnete damit, dass Eames ihn gleich versuchen würde mit Sarkasmus vorzurechnen, dass er ihm durchaus vertraute (vielleicht bei der Wahl seines Hemdes?). Oder er rechnete ihm vor, wie oft er ihm deutlich gemacht hatte, dass er ihm nicht vertraute (und das war wirklich oft gewesen!). Doch als Eames endlich etwas sagte, war das schlimmer als jedes Gewitter, mit dem er gerechnet hatte. Die bedrohliche Ruhe in den Worten, die schneidende Beherrschung, die beunruhigende Zustimmung – Arthur hatte es vielleicht provoziert, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass es so kommen würde. Er hatte mit deutlich mehr Widerstand gerechnet. Nun aber lag etwas so Mahnendes und Warnendes in Eames‘ Blick, dass es Arthur nervös machte. War das wirklich alles? Keine weitere Diskussion? Keine weiteren Verletzungen? I need noice… Das konnte doch nur zwei Dinge bedeuten: entweder Eames gab ihm insgeheim recht und wollte auf Biegen und Brechen nicht mit ihm streiten, ihm lieber eine Chance geben und dadurch ihr something nicht gefährden, oder er hatte einen Plan B, den Arthur noch nicht durchschaute. (Da war es wieder, das mangelnde Vertrauen…) Beide Optionen irritierten ihn. Seit wann gab ein Thomas Eames so klein bei, selbst wenn der andere recht hatte? War es wirklich ihr something? Arthur konnte das kaum glauben. Daher schaffte er es nicht ganz, die Verblüffung aus seinem Blick zu wischen, während er nickte und etwas brauchte, bevor er ein „So machen wir es.“ herausbrachte. Kaum hörte er die Badtür, ging er auf den Balkon und steckte sich eine Zigarette an. Tief inhalierte er den Rauch, während er dem Sonnenuntergang zusah. Irgendwie schmeckte ihm das nicht. So ganz und gar nicht. Andererseits: Er hatte die Chance gefordert. Nun würde er sie ergreifen. Was fehlte, war das Wissen um die Konsequenz. Er hatte Tom gerade die Pistole auf die Brust gesetzt, wenn auch nur verbal. Nun musste er beweisen, dass er den Vertrauensvorschuss wirklich verdiente. Und wenn es klappte? Was dann? Würde sich dann etwas zwischen ihnen verändern? Oder würde Tom wieder das Weite suchen, mehr als je zuvor? War das dann der Preis, den er führ seine Forderung nach mehr Teilhabe zahlen würde? Eames schaffte es doch immer irgendwie, dass er letztlich als der Dumme dastand… Aber wenn es so auseinanderging, dann hatte er ja auch das, worüber er die ganze Zeit nachdachte: einen Schlussstrich. Und wenn es nicht klappte? Wenn alles schief ging? Wenn er ihn enttäuschte? Nun, dann war vermutlich ohnehin alles egal. Hungrig war er nicht. Eher im Gegenteil. Aber er sollte etwas essen. Die Dame an der Rezeption hatte ihnen ein Restaurant in der Ortsmitte empfohlen und da es nicht weit war, liefen sie zu Fuß durch die kalte Abendluft. In Italien war es jetzt schon wärmer. Besonders im Süden, dort wo sie letztlich ihr Endziel haben werden. „Fahren wir gleich morgen weiter?“, fragte Arthur, das letzte Thema aufgreifend und damit die Stille durchbrechen, die zwischen ihnen stand. „Und hast du jemanden, über den wir an Waffen kommen können? Was ich mitgenommen habe, wird unter Umständen nicht reichen.“ Ganz gewiss sogar nicht. Und gerade in diesem Hinblick sollten sie kein Risiko eingehen! Was das betraf war es mit Dom schon sehr bequem, wenn sie mit einem Privatjet unterwegs waren. Da gab es weit mehr Möglichkeiten entsprechende Ausrüstung mitzunehmen. Eames      Seit sie auf dem Weg zum empfohlenen Restaurant waren, wurde nur das nötigste gesprochen. 'Du traust mir nicht zu, mit dir und deinem Leben umgehen zu können.' Wieder und wieder lief das selbe Lied in seinem Kopf. Klang ein bisschen wie "You're The One That I Want", aber anders. Und dann diese Worte, die Arthur ihm vor etwa einer Stunde gesagt hatte. 'Du vertraust dich mir nie an.' Er überlegte, ob ihn diese Unterstellungen wütend machen sollten. Ja, vielleicht war Wut der richtige Weg, um Arthur zu zeigen, wie falsch er lag.. auch wenn ein Teil von Eames wusste, dass dem nicht so wahr. Die Frage kam Eames ganz gelegen. Er hatte kein Interesse mehr sich über diesen ganzen Quatsch Gedanken zu machen. Er fühlte sich elendig daran zurück erinnert wieso er ein Einzelgänger-Dasein bevorzugte. »Der Plan steht, wir sollten keine Zeit verlieren, oder?« Es war nicht allzu kalt, aber feucht genug, dass sie kleine weiße Wölkchen um Nase und Mund bildeten, als er antwortete. Noch ein Grund mehr schnell von hier zu verschwinden. Er hatte das verdammte kalte Wetter. »Ich kenne jemanden, der uns aushelfen kann. Dazu müssten wir allerdings über Verona statt Venedig fahren.« Ein bisschen Romeo und Jula Flaire; alle mal besser als stinkende Kanäle. »Mach mir eine Liste, ich leite sie weiter.«, wenn es um Sprengstoffe ging war Arthur versierter, wahrscheinlich hatte er einen Plan. Alle anderen Spielzeuge könnten sie noch immer gemeinsam entscheiden. Der Laden war ein überraschend schicker Schuppen. Eames hatte mit etwas rustikalem gerechnet, etwas typisch Deutschem eben. Stattdessen gab es LED-Elemente in den Fließen und postmoderne Einrichtung. Es lag etwas von diesem „Brand-Neu-Geruch“ in der Luft, den Möbel nur haben, wenn man sie frisch aus der Folie pellt. Die Kellner waren alle jung und gutaussehend, als wäre das die Grundvorraussetzung um in diesem Restaurant arbeiten zu dürfen. Außerdem lächelten sie einen mit diesen beneidenswerten, geraden, weißen Zähnen an. Eames orderte einen Tisch für zwei in eingerostetem Deutsch und ließ sich von „Manuel“ zu ihrem Tisch bringen. Sie schienen nicht die einzigen zu sein, die an diesem Abend auf die Idee gekommen waren auswärts essen zu gehen, dennoch ließ sich etwas für die beiden in einer gemütlichen Ecke organisieren. Eames mochte es mittendrin, hatte aber genauso gern alles im Blick. Nach wenigen Minuten entspannte er sich merklich. Er hatte sich gefasst, er saß im Warmen, es gab Bier und eine Augenweide saß ihm gegenüber – es könnte alles wirklich schlimmer sein. »Also, Darling.«, begann er, mit Blick in die Karte. »Wie feiern wir deinen Geburtstag nach?« Arthur Arthur nickte Eames Kommentar ab. Ja, im Grunde stand der Plan. Unterwegs war genug Zeit, die verschiedenen Vorgänge einzuleiten. Sie brauchten Zeit vor Ort, um die Falle optimal vorzubereiten. Sie mussten sich perfekt auskennen, um den Italienern überlegen sein zu können. Zumindest er brauchte diese Zeit, ER musste sich perfekt auskennen. Er war der Trickreiche, nicht der, der mit brachialer Gewalt vorging. Er hatte keine militärische Ausbildung. Er hatte etwas in der Art vorher nur in Träumen gemacht. Wenn er das überleben wollte, müsste er den Ort sein eigen machen. Auch wenn sich die Mafiosi im besten Fall gegenseitig auslöschten. Aber das würde definitiv nicht komplett funktionieren. Zudem hatte Eames recht, wenn er sagte, dass nicht garantiert war, dass Jobs und Lombardo persönlich erscheinen würden. Für diesen Fall mussten sie auch gewappnet sein. Wobei die Planung eines Attentats letztlich sein Ding war. Als Eames ihm erklärte, wo er jemanden kannte, über den sie an Waffen etc. herankamen, blickte er auf. Das Licht der Straßenlaterne, der Atem des anderen, die Silhouette des Gesichts, das er so gut kannte… Verona - klar! Italiens Stadt der Liebe. Shakespeare hatte er komplett zu Hause stehen, die Sprache war toll. Wenige Stunden des Literaturunterrichts, die er damals genossen hatte. Wobei er Hamlet lieber mochte, als Romeo und Julia. Er hatte bisher nie verstehen können, wieso sich Romeo vergiftet, nur weil sie tot war. Arthur blickte wieder nach vorne. Das letzte Mal, als sie zum Essen gelaufen waren, hatte Eames irgendwann seine Hand genommen. „Dann fahren wir die Innsbrucker Autobahn“, sagte er knapp. Die Liste war bereits in seinem Kopf im Entstehungsprozess. Darauf musste er sich konzentrieren. Nur darauf. Wenn alles gut war, wenn die Gefahr gebannt war, dann würde er sich wieder dem zuwenden, das sie ihr something nannten. Irgendwie hatte er das Gefühl, schon einmal ganz ähnlich gedacht zu haben. Irgendwie fühlte es sich seltsam falsch an. Das Restaurant war schick. Fast fühlte er sich underdressed, weil er auf ein Hemd verzichtet hatte, sondern nur ein Langarmshirt unter dem Jackett anhatte. Wenn er in Italien war, würde er gern shoppen gehen. Trotz der modernen Einrichtung wirkte das Restaurant aber gemütlich und angenehm. Seinen Geschmack hatten die Innenarchitekten in jedem Fall getroffen. Arthur blickte sich um, sammelte Impressionen und folgte Tom und dem Kellner zu ihrem Tisch. Sein Blick glitt über die Speisekarte. Er hatte wirklich so gar keinen Hunger. Aber wenn er ein Bier trinken wollte – und das wollte er unbedingt! – sollte er etwas dazu essen. Das Essen im Flugzeug war lange her, der Kaffee im Magen hatte schon am Nachmittag geschmerzt. Gedankenversunken versuchte er sich zu erinnern, was er das letzte Mal in Deutschland gegessen hatte. Er konnte sich nur an Currywurst in Berlin erinnern. Die war aber lecker gewesen. »Also, Darling. Wie feiern wir deinen Geburtstag nach?« Irritiert blickte Arthur auf. Er schluckte. Der Gedanke an seinen Geburtstag kam überraschend und war wenig positiv, eher im Gegenteil. Der Tag war vermutlich der Schlimmste in diesen beschissenen 6 Wochen der Ungewissheit gewesen. Und nun wollte Tom ihn mit ihm nachfeiern? Etwas in ihm schrie laut auf, dass er gehen sollte, dass er Eames sitzen lassen sollte und das Weite suchen sollte. Dass er ihm sagen sollte, dass man manche Dinge nicht nachholen könne, dass sie für immer zerstört waren. Er hatte vor dem Koma gehofft gehabt, an seinem Geburtstag mit Tom in Mombasa zu sein, auf seiner Dachterrasse mit einem Cocktail in der Hand zu sitzen und auf Enya anzustoßen. Diese Träume waren in Rauch aufgegangen. Stattdessen hatte er den Tag mit viel zu viel Whiskey zu Ende gehen lassen, um ihn irgendwie ertragen zu können. Aber da war noch eine andere Stimme, die ihm weismachte, dass der Gedanke, es nachzuholen doch eigentlich ein schöner war. Dass es schön war, dass Eames sich daran erinnerte, dass er an ihn dachte, an diesen Tag dachte. Es war auch diese Stimme, die ihn daran erinnerte, dass sie schon einmal zusammen seinen Geburtstag gefeiert hatten, vor sieben Jahren, vor Tokyo. Sie waren in Kopenhagen gewesen, Dom, Mal, Eames und er. Sie hatten den Chef einer Reederei im Visier. Einer ihrer ersten großen Aufträge. Er war lukrativ gewesen - und ein Kinderspiel. Er hatte Mal eindringlich darum gebeten, es niemandem zu sagen, dass er an dem Tag Geburtstag hatte. Sie hatte genickt und gesagt: „Ich werde es den beiden nicht sagen.“ Dann hatte sie sie alle vor den Tivoli bestellt und darauf bestanden, dass sie hineingingen. Arthur wäre am liebsten im Erdboden versunken, als innen jemand vom Personal mit einem Helium-Luftballon stand, auf dem ‚Happy birthday!‘ gestanden hatte. Sie hatte ihr Versprechen gehalten. Dennoch hatten sie in diesem letztlich viel zu kitschigen Vergnügungspark seinen Geburtstag gefeiert. Es war eine schöne Erinnerung. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie bei einer Schießbude gewettet hatten - Dom, Eames und er: Wer wohl die meisten Aliens abschoss. Sie hatten schon etliche Magazine durch. Dann hatte Mal Dom abgelenkt, danach hatte Eames absichtlich danebengeschossen, hatte eine der Plastik-Rosen heruntergeschossen. Er hatte das gar nicht so mitbekommen, darauf konzentriert, den letzten Alien zu erledigen, um die Wette zu gewinnen. Erst später war ihm das bewusst geworden, als Eames ihm die Rose in einem ruhigen Moment überreichte, zusammen mit dem Vorwurf, dass er ihm nichts gesagt habe. Diese Rose gab es noch immer, auch wenn er sie damals nur als Synonym für Toms ‚Versagen‘ bezeichnet hatte. Arthur senkte den Blick, schwieg noch immer. Noch immer unschlüssig darüber, was er sagen sollte, sah er ihn schließlich wieder an. „Ich weiß nicht wie“, sagte er ehrlich. „Beim Feiern bist doch du der Experte!“ Ein leicht spöttischer Unterton. Er biss sich auf die Unterlippe. Sollte er ihm was vor den Bug knallen, damit er das wieder vergaß? Sein Geburtstag. War er überhaupt wichtig genug, das nachzuholen? „Ich weiß nicht, ob ich ihn ‚nachholen‘ möchte. Es war der beschissenste Tag in den letzten sechs Wochen. Im Grunde bestand mein Geburtstag dieses Jahr nur in einem 5 Minuten Gespräch mit Dom.“ Eames kannte mittlerweile die Zusammenhänge. Arthur merkte, dass er es nicht schaffte, einfach Nein zu sagen. Egal, wie sehr Eames Verhalten ihn auch oft kränkte und in letzter Zeit besonders schmerzte: Alle guten Vorsätze, all das zu beenden, was sie hatten, wurden blasser, wenn er ihn sah. Dafür fühlte sich der Gedanke, diesen Tag mit Tom nachzuholen irgendwie auch schön an. Vermutlich würde es ohnehin nicht klappen. Irgendwas würde sicher noch passieren. Und wäre es vielleicht besser, den Geburtstag nachzuholen, wenn Jobs und Lombardo hinter ihnen lagen? Wieder dieses ‚nach dem Job‘... „Vielleicht bei einem Cocktail am Strand mit Blick auf das Mittelmeer?" Eames      Das lange, nachdenkliche Schweigen war erdrückend. Anscheinend hatte er mit dieser Frage mehr zu kämpfen, als Eames vorhergesehen hatte. Die Antwort war eines Arthur Darlings würdig: nüchtern. „Beim Feiern bist doch du der Experte!“ Er überlegte, nickte abwägend, aber schließlich doch zustimmend. Sicher war er bessere im Feiern. Er hatte ja auch nicht diesen überaus hinderlichen Stock im Arsch. In diesem Fall ging es jedoch nicht darum, wie man am besten auf den Putz haute, sondern darum was sich Arthur wünschte. „Vielleicht bei einem Cocktail am Strand mit Blick auf das Mittelmeer?" »Was für ein Zufall, dass wir ab morgen in diese Richtung fahren.« Er lächelte. Sicher stand da noch ein Elefant im Raum, vielleicht auch mehrere, aber Eames war gut darin Dinge weit weit weg zu schieben, wenn sie ihm lästig waren. Er wusste eigentlich immer ziemlich zielsicher wann er sich mit welchen Problematiken beschäftigen wollte und wann nicht. Jetzt war die Zeit wieder ein bisschen Normalität zwischen ihnen schaffen. »Ich wüsste da ein Eckchen das dir gefallen könnte. Lass dich überraschen.« Sie bestellten; Eames entschied sich für das Tagesgericht: irgendein besonderes Stück von einer toten Kuh. Dazu mehr Bier für mehr Glückshormone auf beiden Seiten. Ihr erstes Date in Deutschland lief ganz in Ordnung für die katastrophale Vorgeschichte. Arthur »Was für ein Zufall, dass wir ab morgen in diese Richtung fahren. Ich wüsste da ein Eckchen, das dir gefallen könnte. Lass dich überraschen.« Arthur musste das Lächeln unwillkürlich erwidern. Er war sich sicher, dass niemand ‚Eckchen, die ihm gefallen würden’, besser kannte, als Eames. Allein schon deshalb, weil eben jener selbst dabei wäre. Die Frage war nur jedes Mal die selbe: würden sie dort auch ankommen. (Neben der Frage, mit wie vielen anderen er bereits dort gewesen war - auch wenn Arthur wusste, wie selbstzerstörerisch diese Frage war und er sie daher einfach nicht zulassen durfte) Arthur wollte jetzt nicht schon wieder nur das Negative sehen. (Auch wenn er sich mal wieder vornahm, nicht enttäuscht zu sein, wenn es nicht klappte) Immerhin dachte Eames an seinen Geburtstag, immerhin machte er sich Gedanken dazu, immerhin schien es ihm doch bemerkenswert. Dennoch ärgerte er sich auch über sein Lächeln. Wie schaffte es Tom nur immer wieder, dass all die Wut und der Missmut verschwanden, dass alle Vorsätze, Antworten mit Nachdruck zu verlangen, in den Hintergrund gedrängt wurden? Kryptonit Gleichzeitig wurde ihm in solchen Momenten auch bewusst, dass er nie so gleichgültig war, wie er es gern vorgab zu sein. Nicht wenn es um Eames ging. Auch das machte ihm Angst. Es machte so verletzlich. Arthur hatte das Gefühl, oft genug verletzt worden zu sein. Er bestellte sich ein Schnitzel mit Kartoffelsalat - das kannte er immerhin. Es war wirklich gut, nur viel zu viel. Eames sprach ihn aufAriadnes und seinen Auftrag an und Arthur erzählte über das Projekt, das an sich gut lief und wie sie es geschafft hatten, ihre Auftraggeber durchaus zu beeindrucken. Smalltalk at its best. So entspannte sich auch Arthur immer mehr. Auch wenn eine Stimme in seinem Kopf ihn daran erinnerte, was Tom ihm eigentlich für dieses Abendessen versprochen hatte. „Gönnst du uns ein klärendes Gespräch? Vielleicht beim Dinner?“ War das Toms Art die Dinge zu klären, die zwischen ihnen standen? Dass er ihn davon ablenkte? Ihn mit emotionalen Dingen aufwartete, damit er nicht darüber nachdachte, was ihn sonst beschäftigte? Als der Kellner fragte, ob sie noch einen Kaffee oder Nachtisch wollten, winkte Arthur für sich ab. Er musste schlafen können. Das Bier, das er sich erst noch bestellt hatte, war da definitiv hilfreicher. „Weißt du, worauf ich mich freue?“, sagte er unvermittelt, als sie wieder alleine waren. „Auf den ersten Espresso nach der Grenze. Und ich freue mich tatsächlich schon auf das Essen in Italien. Irgendwo, wo man nur Italienisch spricht und es keine Karte gibt, sondern es das gibt, was die Köchin morgens auf dem Markt gekauft hat.“ An solche Orte würden sie aber vermutlich erst südlich von Rom kommen. Das wusste er. Eine ganz schön lange Fahrt stand da vor ihnen. Arthur merkte, dass er sich darauf freute. Nicht nur, weil er Italien vermutlich als eines der Länder betiteln würde, die er am liebsten mochte, sondern auch, weil sie wirklich mal nur zu zweit unterwegs waren. Auch wenn das Ziel einen Endpunkt genauso wie einen Scheitelpunkt darstellte. Ausgang ungewiss. Kapitel 45: Der Rest -------------------- Eames Schon als Arthur auf seine Frage nach dem Job reagierte, merkte Eames eine deutliche Veränderung des herrschenden Klimas. Fühlte sich wie ein kleiner Frühling an. Arthur schien allmählich über seinen Groll hinweg zu kommen. Als er schließlich von italienischen Espresso schwärmte war das Eis gebrochen. Eames kannte seinen Point Man gut genug um das einschätzen zu können. Arthur würde nie so gelassen von Dingen sprechen, die ihm Freude bereiteten (!), wenn er wütend war. Eames betrachtete das Gesicht seines Gegenübers mit seligem Lächeln und nickte langsam doch zustimmend, während er mit den Fingern geistesabwesend den Rand der Untertasse seines Espressos streichelte. Er antwortete nicht auf Arthurs Aussage, sondern sah ihn einfach weiter an. »Ich hab was für dich.«, warf er stattdessen in den Raum. Er hatte gehofft, dass sie noch an diesem Abend Frieden schließen würden, damit er ihm sein Geschenk überreichen konnte. Aus der Innentasche seines Tweed Mantels zog er eine kleine, hölzerne Schatulle hervor. Das Holz war dunkel und matt und erinnerte ihn an Arthurs Augenfarbe. Er reichte die Schatulle, die etwa so groß war, dass sie genau in seine Handinnenfläche passte, in einer fast vorsichtigen, langsamen Bewegung über den Tisch. »Keine Sorge, es ist kein Ring.«, scherzte er, aber in seinem Blick wuchs die Erwartung zusehends. In der Schatulle befand sich ein Schlüssel. Ein einfacher Buntbartschlüssel aus Metall dessen silberne Farbe an einigen Stellen bereits matt und angelaufen schien. An der Reite hing ein Schlüsselring, der durch einen matten und teilweise abgewetzten Kenianischen Shilling gefädelt worden war. »Happy birthday.« Arthur Als er aus seinen Tagträumen ihrer gemeinsamen Italienreise (die eigentlich absurd waren, wenn man bedachte, was sie planten) aufblickte, verstummte er. Dieser so warme Blick traf ihn unvermittelt und berührte ihn tief. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, wie es hart gegen seine Brust schlug. In diesem Moment sah er so deutlich vor Augen, dass er diesem Mann immer verfallen sein würde, dass es ihn erschreckte. Eine Mischung aus scary love und To Late To Say Goodbye. Doch im Gegensatz zu seinen Gedanken vorhin fühlte sich das hier in keiner Weise falsch an. Seine Stirn zog sich überrascht zusammen, als Tom ihm offenbarte, dass er etwas für ihn habe. Er beobachtete, wie sein Gegenüber etwas aus der Jackentasche holte, etwas Kleines, eine Schatulle, die er ihm nun entgegenstreckte. Etas sagte ihm, dass Eames vorsichtig war. Vorsichtig, wegen seiner Reaktion? Oder zögernd, wegen dessen, was darin war? Einen Moment betrachtete er die Schatulle, die Eames ihm herüberreichte. Die misstrauische Stimme, die ihn vorhin schon an die eigentliche Intention des Essens erinnerte, meldete sich wieder. Doch sie war erstaunlich leise und verschwand mit dem nächsten Kommentar. »Keine Sorge, es ist kein Ring.« Arthur löste sich aus seiner Überraschung und musste schmunzeln. Er antwortete nichts darauf. Wenn ihm Thomas Eames jemals einen Ring schenken würde, würde er an der Realität zweifeln oder daran, dass das wirklich Tom war. Wobei auch dieser Moment ihn hatte spüren lassen, dass sein Würfel genau dort war, wo er hingehörte. Er griff nach der Schatulle, strich mit dem Daumen über das weiche Holz. Noch einmal blickte er in das erwartungsvolle Gesicht, so als müsse er sich die Erlaubnis abholen, sie auch wirklich öffnen zu dürfen. Dann erst hob er den Deckel ab. Er schluckte, betrachtete den Schlüssel und war vollkommen perplex. Mit allem hätte er gerechnet, niemals damit. Den Glückwunsch nahm er nur bedingt wahr. Erstaunt blickte er auf, holte sich die Gewissheit darüber, dass er die Symbolik richtig verstand. Dann erst betrachtete er den Schlüssel eingehender und holte ihn raus. Seine Augen glitten darüber, schließlich verschloss er das kühle Metall in seiner Hand. Arthur spürte, wie ihn mit einem Mal all die Gefühle einholten, die er in den vergangenen Wochen versucht hatte zu verarbeiten. Er konnte nichts sagen, etwas schnürte ihm den Hals zu. Er konnte nur auf den Schilling blicken, der aus seiner geschlossenen Hand spitzte, während er versuchte, sich zu sammeln. Er wusste, wenn er jetzt sprechen müsste, würde seine Stimme brechen. Und alles, was er sagen würde, würde den Moment zerstören. Er zwang sich aufzublicken, denn die Erwartung, die er vorhin gesehen hatte, wollte sicher dennoch irgendwie beruhigt werden. Seine Lippen formten ein schier lautloses „Danke!“, zu mehr war er im Moment nicht fähig. Eames Er musste das „Danke“ nicht hören, um es zu verstehen. »Unter dem Kissen in der Schatulle findest du die Adresse.«, ergänzte er, noch immer nahezu reglos in seinem Stuhl sitzend. Auch für ihn war der Moment kein leichter. Jetzt hatte er eine Tür geöffnet – sprichwörtlich. Mi casa es su casa. Er hatte sich lange Gedanken um dieses Geschenk gemacht, aber nun da er tatsächlich den Zweitschlüssel zu seiner Wohnung überreicht hatte, fühlte er sich wie ausgeliefert. Gleichberechtigung war wohl auch nicht seins... Viel wichtiger war jedoch, dass er den richtigen Nerv bei Arthur getroffen hatte. Er war ganz gut darin dessen Unmut auszuhalten; er war quasi geübt; aber diese Situation war anders. Es war ernst zwischen ihnen geworden, nach all den Jahren. Ein merkwürdig betäubendes Gefühl; ein bisschen wie Heroin. Das Hochgefühl war auch nicht zu verachten. Die Sache war so beängstigend wie erstrebenswert. Es war eine ganz andere Hausnummer von jemandem aus der Ferne besessen zu sein und ihn dann wirklich zu „haben“. In diesem Moment fühlte sich dieses something so real an, wie nie zuvor. Während sie Jobs in New York bearbeitet hatten, war er auch einfach permanent high gewesen, also kein Wunder, dass er es nicht so gefühlt hatte, wie in diesem Moment. Easy »Ich würde dir gern erzählen, was die letzten Wochen bei mir los war.«, setzte er an. Wieder der Wunsch nach Alkohol – Give me one more medicated peaceful moment. Dieses Mal verweigerte er sich jedoch die süße Erlösung. Arthur würde wirklich zuhören; da konnte er sich nicht erlauben irgendeinen Blödsinn zu erzählen. Und Whisky wirkte sich bekanntermaßen nicht gut auf das Sprachvermögen aus. Arthur »Unter dem Kissen in der Schatulle findest du die Adresse.« Arthur nickte, hatte den Blick wieder auf den Schlüssel und die Schatulle gesenkt und suchte sich zu sammeln, die ganzen verschiedenen Gefühle wieder zu sortieren, seine Gedanken. Ihm war bewusst, dass diese Geste etwas sehr Großes war. Eames vergab sicher nicht leichtfertig die Schlüssel seiner Wohnung. Arthur war sich sicher, dass er der einzige war. So wie er der einzige war, der direkt auf dessen Haut verewigt worden war. Sich dessen bewusst zu werden, war berauschend, verwirrend und seltsam. Dass es sich seltsam anfühlte, war aber allein sein Problem. Es hatte mit seinem mangelnden Selbstwertgefühl zu tun, dessen er sich in solchen Momenten mehr als bewusst war. Das Vertrauen, das ihm Eames zusammen mit diesem Schlüssel schenkte, strafte seine Worte von vorhin Lügen. Er wusste, dass er dennoch auch recht hatte. Damit, dass er sich ihm nie wirklich anvertraute zum Beispiel. Aber dieser Schlüssel war ein ähnlicher Vertrauensvorschuss wie das Einwilligen, ihn mit ins Casino zu nehmen. Genauso wie er ein Symbol dafür war, dass Tom ihr something wirklich wichtig war. Jener hatte sich sicher Gedanken dazu gemacht, ihm diesen Schlüssel zu schenken (das sah man nicht allein an der Schatulle), während er selbst begonnen hatte, ihn zu verfluchen. Das schlechte Gewissen klopfte vehement an. All die Gedanken, das Misstrauen, das versuchte ihm einzureden, dass er bedeutungslos war, dass ihr something dem anderen nicht wichtig war, nur um sich nicht mit der Wahrheit abfinden zu müssen. All die Zweifel, die kleinredeten, was eigentlich unverrückbar war. All die Bedenken, ob er sich verrannte in etwas, das nicht existierte. Er hatte bereits einmal den Moment gehabt, in dem er einfach akzeptiert hatte, dass Tom so war, wie er war. Ein Moment, in dem er ihn aufgefangen hatte, ohne ihn zu verurteilen. Er hatte ihn auch nach seinem Verschwinden wieder auffangen wollen, lange hatte er das gewollt. Irgendwann waren die Zweifel zu groß geworden. Für die Zukunft würde er etwas haben, an dem er sich wirklich wird festhalten können, etwas, das ihm in den Momenten des Misstrauens Halt geben wird. Sie waren auf dem richtigen Weg, im Grunde waren sie das. Sie gingen ihn nur nicht gerade und auch nicht immer nebeneinander. Eames verbiegen zu wollen, war das letzte, was er wollte. Ihre Beziehung war alles, nur nicht normal. Sich hin und wieder dieser Tatsache bewusst zu werden, half, seine Erwartungen zu verändern. Schlucken musste er deswegen dennoch nicht alles – und das würde er sicher auch nicht. Denn auch er wollte sich nicht verbiegen müssen. Aber vielleicht sollte er besser kommunizieren. Und vielleicht sollte er die Mindestanforderung (eine Verabschiedung) überdenken. Wobei? Nun ja… Sie würden sich oft wie ein Karussell drehen. Das hatten sie schon immer. Aber vielleicht wären die Absprünge besser, oder sie ließen sich einfach darauf ein. Round and round like a horse on a carousel, we go Arthur war froh darüber, dass er sein Schloss zu Hause nicht hatte auswechseln lassen. Und er würde es vermutlich auch nie wieder tun (eigentlich war ihm das schon lange klar). Seine Wohnung gab Tom eine Anlaufstelle. Nun hatte er selbst aber auch einen weiteren Ort, der ihm ein Zuhause wäre, an dem er immer willkommen sein würde. Wann er wohl wirklich einmal dort sein würde? Er hatte mit dem Gedanken gespielt, dorthin zu fliegen, als Eames untergetaucht war. Aber er hatte keine Möglichkeit gehabt. Zumal er nicht daran gezweifelt hatte, ihn in dieser riesigen unübersichtlichen Stadt finden zu können. Gleichzeitig wurde ihm bei diesem Gedanken jene Angst wieder bewusst, die er empfunden hatte, weil er nicht gewusst hatte, wie er ihn überhaupt wiederfinden könnte bzw. ob Eames nicht bereits tot war. »Ich würde dir gern erzählen, was die letzten Wochen bei mir los war.« „Gerne“, sagte er und spürte, dass er sich wieder gefasst hatte. Oder hörte er auch ein "ABer"? Er verwarf den Gedanken gleich wieder. Nein! Dieses Gespräch würde definitiv anders verlaufen, als das, das er sich in seinem Kopf so oft ausgemalt hatte. Ein Gespräch, in dem er ihm erklärt hätte, dass es kein WIR gab, wenn man nicht bereit war, etwas dafür zu tun, etwas zu geben, während man nahm. Ein Gespräch, in dem er ihn gefragt hätte, was genau er von ihm wolle. Ob er nur den Point Man wollte, seinen Körper oder eben auch ihn selbst. Ein Gespräch, in dem er ihm klargemacht hätte, dass er erst wieder an seine Tür klopfen solle, wenn jener wüsste, was er wollte: einen Arbeitskollegen, einen Freund, Sex oder eben doch ihn im Ganzen. Diese Frage war aber bereits beantwortet worden, ungezwungen, von selbst, mit sehr viel mehr Intensität. „Lass uns spazieren gehen, ok?“, fragte er und trank, ohne auf die Antwort zu warten, sein Bier gar aus. Dann zückte er seinen Geldbeutel und legte genug dieser bunten Euro-Scheine hin, dass der Kellner sich auch noch freuen würde. Die Summe hatte er im Kopf kurz überschlagen. Die Schatulle samt Schlüssel verwahrte er sorgsam in der Innentasche seines Jackets. Arthur hatte zum einen das Gefühl, dass er das nicht hier besprechen wollte. Zum anderen hatte er ein anderes Bedürfnis. Diesem kam er nach, als sie schließlich auf die Straße traten und er sich zu Tom umwandte und ihn einfach umarmte, sein Gesicht im Hals des anderen vergrub. Er atmete tief ein und genoss den kurzen Moment der Nähe. „Ich bin froh, dass dich diese Arschlöcher nicht erwischt haben.“ Vielleicht hätte er das schon viel früher einmal sagen sollen. Eames Mit einem Spaziergang war er mehr als einverstanden. Er hatte kein Interesse daran unter Manuels ungeduldigen Blicken seine Geschichte zu erzählen. Und so lecker war der Espresso wirklich nicht, als dass man noch einen zweiten davon bestellen müsste. Draußen angekommen, erhielt er endlich die Begrüßung, auf die er so lange gewartet hatte. Er schlang seine Arme um Arthur und genoss das Gefühl der kalten Nasenspitze und des warmen Atems an Hals und Nacken. „Ich bin froh, dass diese Arschlöcher dich nicht erwischt haben.“ Er hüstelte ein kleines Lachen vor Erleichterung und rieb Arthurs Rücken mit sanftem Druck langsam auf und ab. »Sie hatten keine Chance.«, erwiderte er mit der gewohnten Spur von Größenwahn in der Stimme. Er war nicht Thomas Eames, wenn er nicht ein bisschen angeben konnte. Als sich der andere wieder von ihm lösen wollte, griff er fester zu und zog ihn noch ein wenig enger zu sich. Es fiel ihm schwer ihn gleich wieder gehen zu lassen. Der Körperkontakt, ohne das Gefühl sich die eigenen Rippen in die Lunge zu stoßen, oder dem bekannten dumpfen Schwummern der Opioide hinter der Stirn, war berauschend. Wozu happy pills, wenn es ausreichte Arthur eng bei sich zu spüren, zu riechen, zu küssen, um all die Glückshormone auszuschütten, die ihm sonst fehlten? I'm already high enough Er hielt ihn, drückte ihm dann langsam ein paar sanfte Küsse auf die dünne Haut hinter Arthurs Ohr, ehe er ihn ziehen ließ. Eine Frau, gefolgt von einem großen Blonden mit einem Kleinkind auf dem Arm, traten wenige Meter hinter ihnen aus dem Restaurant. War vielleicht keine gute Idee unter einer Straßenlaterne rumzuknutschen, wie zwei Teenager. Als sie ein paar Meter in Richtung ihres Hotels zurückgelegt hatten, begann Eames die Geschichte aufzurollen. Er erzählte von seinem alptraumhaften Aufwachen in Hassims OP und wie er wegen des Trips, den er gefahren hatte, Hassim mit einer Waffe bedroht hatte. Er war nicht im Stande gewesen auch nur einen zusammenhängenden Satz zu bilden. »Danach hab ich glaube ich einen ganzen Tag hinter einer Mülltonne in einer Seitengasse gelegen. Ich konnte mich einfach nicht bewegen. Ich dachte alles und jeder will mich umbringen und mein Körper hat mir so wie so nicht gehorcht.«, sein Ton klang zwar locker flockig, aber die Sache war, tatsächlich, ganz schön krass gewesen. Nicht nur, dass er in dieser Nacht fast erfroren wäre; er hatte ein weiteres erfahren müssen, wie es sich anfühlte nicht mehr Herr über sich zu sein. Mit 30 hätte er das alles wahrscheinlich leichter verkraftet... »Dann war ich bei dir zuhause. Besser gesagt, ich stand vor deinem Haus. Aber Lorenzos Leute hatten mich schon aufgespürt, also bin ich abgedreht und habe sie auf eine falsche Spur gelockt. Dann hab ich ein Auto geklaut und bin erst mal runter nach Baltimore gefahren.« Er hatte nicht das Bedürfnis Arthur anzulügen, was erstaunlich war. Auch wenn er vielleicht ein zwei Details ausließ, die ein paar Italiener und eine grässliche Nacht in einem Motel betrafen. Arthur Er spürte, dass er fast etwas nervös war, unwissend, wie Tom auf die Umarmung reagieren würde. Doch dieser umarmte ihn ohne zu zögern. Tom war nicht nachtragend, nicht so wie er zumindest. Es tat gut, verdammt gut. Die Hand, die über seinen Rücken strich, das leise Lachen auf seine Worte. Hatte nicht er Tom mit seinen Worten auffangen wollen? Im Moment kam es ihm irgendwie anders vor. Die Antwort ließ auch ihn leicht lachen. Ein Lächeln blieb auf seinem Gesicht, als er sich lösen wollte, Tom ansehen und etwas erwidern oder etwas sagen, was sein Misstrauen entschuldigen würde, aber er wurde nicht entlassen. Stattdessen wurde er nur noch mehr umarmt, bisher ungewohnt fest. Arthur schloss die Augen und ließ sich in die Umarmung sinken. Vielleicht war es beides: ein auffangen und ein fallen lassen. Wie hatte er einmal irgendwo gelesen (und ‚seltsamerweise‘ direkt an Tom denken müssen)? “What if I fall?“ „Oh my Darling! What if you fly?“ Seine Arme schlossen sich auch noch ein wenig mehr, eine Hand strich schließlich nach oben, tauchte in das Haar des anderen ein und kraulte leicht – wie er es so gerne tat. Er spürte die Küsse an seinem Hals – so wie Tom es so gerne tat. Sein Hals streckte sich, das rieselnde Gefühl am Rücken genießend, das er vermisst hatte. Als er die Tür des Restaurants und Stimmen hinter sich hörte, löste er sich doch und wurde nun entlassen. Während sie sich lösten, strich seine Hand den Arm des anderen hinab bis zur Hand. Einen Moment blieben sein Zeigefinger und Toms kleiner Finger ineinander, dann lösten sie sich und liefen los, um das Gespräch zu führen, das wichtig war. Arthur zog die Jacke enger um sich, während er zuhörte. Die Erinnerungen an jenen Moment, an dem Yussuf ihn angerufen hatte, waren sehr präsent. Er hätte niemals zustimmen dürfen, nach Hause zu gehen, um etwas zu schlafen. Er hätte dort sein müssen, bei ihm sein müssen, so wie all die anderen Tage zuvor. Die Tatsache, dass Tom eine Nacht in irgendeiner Gasse hinter einer Mülltonne verbracht hatte, machte alles schlimmer. Er hatte Yussufs Stimme im Ohr, die ihm versichert hatte, dass seine Leute ihn im nahen Umfeld gesucht hätten. Er hätte es selbst tun müssen. Er hätte… Arthur griff nach der Hand des anderen und ihre Finger glitten ineinander. „Es tut mir leid, dass ich nicht da war“, sagte er leise. Er hatte im Komatraum gesehen, in welcher Hölle seine Gedanken unterwegs gewesen waren. Er hatte genau davor Angst gehabt: dass jener die Alpträume mit in die Realität nahm. Er hatte dort sein wollen, um genau das zu verhindern. Als Tom fortfuhr, sah er ihn überrascht an. Er war bei ihm gewesen? Vor seinem Haus? Mit den Italienern im Nacken. Arthur selbst wäre auch weit weg gegangen, sehr weit weg, um Tom zu schützen. »Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen, Arthur.« – so hatte er es im Flugzeug gesagt. Er verstand es – für den Moment. Nicht für 6 Wochen. Aber er wollte nicht schon wieder ungeduldig sein, wollte nicht schon jetzt ein Aber formulieren. Wie es ihm ergangen war, kam später. Das hier war kein Kreuzverhör. Baltimore… Er hatte seine Suche auf New York beschränkt. Alles andere wäre uferlos gewesen. Baltimore lag etwa vier Stunden entfernt. Jenseits von Philadelphia Richtung Washington. Ob er absichtlich an Jobs Familienwohnsitz vorbeigefahren war? Waren Lombardos Männer dort nicht sicher? Vielleicht. „Kennst du jemanden in Baltimore? Jesse?“, fragte er. Er hatte eine Woche nach dem Verschwinden mit dem Hacker telefoniert. Tom hatte gesagt, dass er zu ihm gekommen war, weil er von Jesse gewarnt worden war, dass Arthur in Gefahr sei. Ob er dort gewesen war, bei dem, der sich selbst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte? Aber nein, jener ging ja in New York ins Rotlichtmilieu… Eames Ob er jemanden in Baltimore kannte, das war anscheinend eine berechtigte Frage. Er hatte wohl oft genug mit all seinen Kontakten und Freunden auf der ganzen Welt angegeben. Er lächelte etwas schräg, angesichts des Gedankens, was für ein Bild das alles wohl in Arthur geformt hatte. Weltenwanderer, Partylöwe, Spieler, Entwurzelter und always Center-of-attention. Klang alles viel cooler als es in Wirklichkeit war. »Nein, im Gegenteil.«, gestand er. »Ich war vorher noch nie in Baltimore gewesen.« Er haderte kurz mit sich. Entschied sich dann eine kleine Information doch für sich zu behalten, weil er vermutete, dass es Arthur wütend machen würde. Auch wenn er den Kontakt zu allen anderen vermieden hatte, hatte er versucht Dom zu erreichen. Es gab einen sicheren Informationsweg zwischen ihnen durch ein altes Forum, dass sie vor etlichen Jahren genutzt hatten und dass sie sich für eben solche Notfälle offen gehalten hatten. In der codierten Nachricht hatte er Dom gebeten Arthur zu kontaktieren, um ihm seinen Status durchzugeben, ihm zu sagen, dass er bald wieder kommen würde, sobald er alles geklärt hatte. Eine ähnliche Botschaft sollte an Yusuf gehen. Jesse würde er selbst anschreiben, wenn der Zeitpunkt gekommen war. Aber Dom hatte sich nicht gemeldet. Ein halbes Jahr hatten offenbar einen Vollzeit-Daddy aus ihm gemacht und wer konnte es ihm verübeln? Die beiden Sprossen waren für ihn das wertvollste auf der Welt für ihn, erst recht nachdem Mal nicht mehr war. »Ich hab in einem Motel gewohnt und mich bedeckt gehalten, aber diese Typen haben mich trotzdem gefunden. Keine Ahnung wie sie das gemacht haben, ich bin gut darin mich zu verstecken.«, an seinem Tonfall war klar zu erkennen, dass ihn dieser Umstand beunruhigte. Vielleicht war sein Vorschuss an Glück letztendlich aufgebraucht und Karma holte sich nun seinen Arsch. »Ist aber diesmal alles heil geblieben, keine Sorge.«, negierte er Arthurs mögliche Bedenken im Voraus mit einem verschmitzten Zwinkern. »Danach habe ich Jesse kontaktiert, der mir dann von den Jungs vor deiner Haustür erzählt hat. Er hat sie ein paar Wochen beobachtet und als es ernst zu werden schien, hab ich mich in den nächsten Greyhound gesetzt.« Arthur Arthur hatte diese Frage ohne speziellen Hintergedanken gestellt, ohne wirklich darüber nachzudenken, aus dem Bauch heraus – dachte er zumindest. Tatsache war, dass er fast ein wenig erleichtert war, dass Eames wahrlich niemanden in Baltimore kannte und dort wirklich alleine gewesen war. Es irritierte ihn, diese Erleichterung. Doch er ahnte, warum es so war. Er wollte nicht immer der einzige sein, der nicht involviert war, der nichts wusste, um ‚beschützt‘ zu werden. Gleichzeitig war ihm aber auch bewusst, dass Eames die absolute Einsamkeit gewählt hatte, weil diese Mafiosi wirklich, wirklich gefährlich waren. Niemanden, so schien es, hatte jener in Gefahr bringen wollen. Dieser Gedanke beruhigte. Da war es, dieses viel zu große Herz, das er immer wieder sah und in dem er offenbar einen besonderen Platz einnahm. Er blickte auf, als eine kurze Pause entstand, so als überlegte Tom, wie er fortfahren sollte und vielleicht auch, was er noch erzählen wollte. Das waren die Momente, in denen Arthurs Alarmglocken gerne losgingen. Die Alarmglocken, die ihm sagten, dass er nur die halben Wahrheiten hörte. Er spürte seinen Würfel im Jackett, der ihn stets ermahnte, nicht zu vertrauen, um nicht wieder enttäuscht zu werden. Doch der Würfel war nicht das einzige, was er spürte. Daneben befand sich die Schatulle mit dem Schlüssel, der ihn bat, Vertrauen zu haben. Zwei Gegenstände, die unterschiedlicher in ihrer Bedeutung nicht sein könnten. Zwei Gefühle, die im Widerspruch standen. Als der andere fortfuhr, zog sich Arthurs Stirn zusammen, Tom einen Moment musternd. Ihm war nicht aufgefallen, dass jener erneut Blessuren irgendeiner Art davongetragen hatte und Tom bestätigte ihm das, so dass er sich wieder entspannte. Nun, Tom wird vorgesorgt haben, eine Art ‚Frühwarnsystem‘ eingerichtet haben. Entweder war er schneller weg gewesen, oder die Mafiosi überrascht worden. Letztlich war es egal, es war gut gegangen. Seine Hand schloss sich fester um die des anderen. Dass Jesse ihn überwacht hatte, bzw. von dem Auto vor seinem Haus gewusst hatte, überraschte ihn schon ein wenig. Aber gut. Der Hacker hatte ihm mehrmals bewiesen, dass er mehr als brillant und mehr als gruselig war. Als Tom endete, schwieg Arthur einen Moment. Er konnte ihn verstehen, in allem, was er getan hatte. Es war auch gut zu wissen, dass er ihm zur Hilfe kommen wollte. Dennoch wischte das die Wut, die er gespürt hatte, nur bedingt weg. „Dass du schwer zu finden bist“, begann er schließlich, „das habe ich auch nur zu deutlich gemerkt, in den drei Wochen, in denen ich dich gesucht und gesucht habe. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich damit verbracht habe, Kameras anzuzapfen und Daten auszuwerten. Ich… ich hatte eine Scheiß Angst, dass das Koma dein Gedächtnis beeinträchtigt hat, dass du orientierungslos irgendwo bist, dass dir weiß Gott was passiert ist. Ich habe sogar die Krankenhäuser versucht zu überwachen.“ Er lächelte matt, blickte in eine unbestimmte Ferne. Er hatte damals kaum geschlafen und sobald er mit der Arbeit fertig war, sich darangemacht, ihn zu finden. „Irgendwann hab ich kapiert, dass du vermutlich wirklich einfach gegangen bist. Das hat weh getan. Schließlich hatte ich geglaubt, dass wir eine Vereinbarung hatten.“ Er schluckte das seltsame Gefühl hinunter, das seine Stimme versuchte zu verändern. „Die größeren Zusammenhänge kannte ich nicht“, schob er etwas leiser noch nach, wie eine Entschuldigung. ‚Ferrari‘ kam ihm wieder in den Sinn. You're LA and I'm Newbury Park But you’re the flame I use when it gets dark You've got enough pain for both of us I've got all these things I'm focused on You treat all the rules like you're the queen But you and I are few and far between Ja, sie waren ‚rar‘, einzigartig, jeder auf seine ganz unterschiedliche Art und Weise. Vielleicht war das die Basis, derer er sich immer wieder bewusst werden musste. Es gab niemanden anderen, der jemals ansatzweise das gleiche für ihn bedeuten würde wie Tom – mit all den ‚Fehlern‘, all den Eigenschaften, die ihn so oft aufregten. Aber auch er selbst hatte genug an sich, was sich nicht wirklich ändern würde und den anderen aufregte. Dennoch waren sie gemeinsam hier. Arthur brachte zum Stehen und umarmte ihn, hielt ihn fest. Vielleicht war ihre Beziehung eben so: sie nervten sich gegenseitig mit ihren Macken und Eigenarten. Wenn es zu viel wurde, prügelten sie sich (wenn auch oft nur verbal) und dann war alles wieder gut. „Eigentlich bin ich erst sauer geworden, als diese Typen vor der Tür standen“, fuhr er leise fort. „Sie sagten mir letztlich, dass du lebst. Aber das bedeutete auch, dass du dich bewusst nicht melden wolltest, dass du mir nicht erklären wolltest, was los war, dass du mich mit meinen Sorgen um dich zurückgelassen hast. Ich konnte gegen die Typen nichts tun, außer abzuwarten, was geschehen würde. Ich wusste nichts, gar nichts. Und du weißt, wie sehr ich das hasse - neben dem Gefühl, dass man über meinen Kopf hinweg Entscheidungen trifft.“ Er verzog den Mund unwillig und atmete tief durch, kämpfte gegen die nervigen Emotionen an, die wieder aufgewühlt wurden. „So richtig sauer war ich dann, als mein Bruder anklopfte und mich nach dir fragte, weil ich Idiot versäumt habe, im Four Seasons richtig aufzuräumen.“ Darüber hatte er sich wirklich geärgert. Vermutlich wusste Tom das alles schon von Jesse. „Erst da war mir klar geworden, woher die Italiener überhaupt von mir wussten. Sie haben das Zimmer durchsucht und die Wanze gefunden. Daraufhin ist die Polizei auch auf uns aufmerksam geworden.“ Er dachte einen Moment nach, haderte, ob er weiter so ehrlich sein sollte. „Die Folge war, dass ich alles, was mit dir zu tun hatte, aus dem Blickfeld räumen musste. Wieder eine Wohnung haben musste, in der du nicht existent warst.“ Er wollte noch etwas sagen, schloss aber den Mund. Dass er erst da den Zustand ihres letzten gemeinsamen Abends aufgelöst hatte, war nicht wichtig. Auch nicht die Leere, die dieses Aufräumen in ihm hinterlassen hatte. „Dann tauchst du ausgerechnet dann auf, als es brenzlig wurde.“ Er hatte an diesem Tag Tom finden wollen hatte bereits einen Plan gefasst, wie er Jesse ausfindig machen konnte, um ihn sich vorzuknöpfen. Im Grunde versuchten sie sich nur gegenseitig zu schützen und litten darunter. Seine AUgen suchten die des anderen, um seinen folgenden Worten mehr Nachdruck zu verleihen. „Es wäre alles einfacher gewesen, wenn wir gemeinsam ausgemacht hätten, dass es besser war, wenn du untertauchst. Dann hättest du auch wirklich verschwinden können.“ Er ahnte, warum es Baltimore sein musste, wohin Eames geflohen war: Es war weit genug weg und doch nah genug an ihm dran. Ein beängstigender Gedanke – neben der Wärme, die dieser auch auslöste. Eames Als Arthur antwortete hielt Eames die Hand in seiner automatisch fester. Als befürchtete er ihn im Dunkel zwischen zwei Straßenlaternen zu verlieren. Er hatte geahnt, dass er Arthur durch die Hölle geschickt hatte und der neurotische Bock hatte ihn nicht enttäuscht. Drei ganze Wochen, dachte er. Solange hatte es gedauert bis Angst in Ärger umgeschlagen war. Vielleicht sollte er sich diesen Zeitraum merken... Wenn Dom nur ins Forum gesehen hätte... Er betrachtete das flache Lächeln etwas wehmütig. Der Schein der Laterne malte harte Schatten auf ihre Gesichter. Dann machte Arthur wieder den Schritt die merkwürdige Ferne zwischen ihnen zu schließen. Und er hielt ihn einfach nur fest bei sich, als befürchtete er, dass er gleich wieder verschwand, wenn er nicht aufpasste – und konnte man es ihm denn verübeln? Die süße Nähe legte sich wie ein warmer Umhang um seine Schultern. Er ließ ihn aussprechen. Ließ ihn seine Wut formulieren; all das was er ihm in den letzten Wochen nicht sagen konnte, weil er verschwunden war. Und es schmerzte ganz so, wie Eames befürchtet hatte, aber wenigstens litten sie zusammen. Zu Verschwinden hatte er als das einzig Richtige angesehen und vermutlich würde er es wieder tun, egal was Arthurs sanfte Augen ihn zwangen zu versprechen. „Es wäre alles einfacher gewesen, wenn wir gemeinsam ausgemacht hätten, dass es besser war, wenn du untertauchst. Dann hättest du auch wirklich verschwinden können.“ »Du hast Recht.«, entwaffnet. Seine Hände glitten unter Arthurs Jackett und schlossen sich um seine Taille. Durch die Berge an Klamotten zwischen ihnen war es schwer etwas zu spüren, aber die Andeutung des Gefühls war bereits berauschend. Warm war es zwischen ihnen. »Ich hätte dir das nicht antun dürfen.«, leiser. Sie waren sich ganz nah, ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. Einen Moment sah er ihm in die Augen, bis sein Blick hinunter glitt, einen Moment die winzigen Muttermale wertschätzend, um an Arthurs Lippen hängen zubleiben. »Wirst du mir verzeihen?« Arthur Vieles sprach dafür, dass sich Eames bewusst war, dass er ihn mit seinem Verhalten verletzt hatte. Er ließ ihn aussprechen, widersprach nicht, lenkte nicht ein oder machte sich gar lustig über seine Ängste und Sorgen, seine Wut. Nein, er hörte zu und hielt ihn und es tat gut. Vielleicht hatte er sogar so etwas, wie ein schlechtes Gewissen? – Nun, mal lieber nicht übertreiben. Fakt war, dass er ihn hielt, als habe er Angst, er könne sich wieder von ihm distanzieren, jetzt, da Arthur über jene Wut sprach, die Tom nur vor wenigen Stunden im wahrsten Sinne des Wortes, die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Aber diese Wut war ja nur deshalb so groß (gewesen), weil die Sehnsucht nach dem anderen nicht weniger geworden war, weil er ihn Nacht für Nacht vermisst hatte, weil er gespürt hatte, wie er abhängig geworden war, obwohl er das doch nie für sich gewollt hatte, weil er diese Angst wieder gespürt hatte, die er nie wieder hatte spüren wollen. Die Angst davor, wieder einen Menschen zu verlieren, er ihm mehr bedeutete als alles andere auf der Welt. »Du hast Recht.« Arthur stutzte leicht, ließ sich seine Irritation aber erst einmal nicht anmerken. Er war gerade dankbar gewesen, dass er seine Wut in Worte hatte fassen dürfen. Nun war er gespannt, was Tom dazu sagen würde. Und dass jener noch nicht fertig war, sah er. – und er spürte es, als die Hände unter die Jacke, das Jackett glitten, seinen Rücken hinauf. Dass seine Gedanken abdrifteten, muss nicht erwähnt werden. Dennoch hielt er den Blick, wartend. Er biss sich sacht auf die Unterlippe, um den Mund nicht zu verziehen, löste die Arme nicht, die er um die Schultern des anderen gelegt hatte. »Ich hätte dir das nicht antun dürfen.« Nun musste er doch einiges an Selbstbeherrschung aufbringen, um ungerührt zu bleiben. Aber im Grunde war das eine seiner leichtesten Übungen. Tom versuchte gerade alles ungeschehen zu machen – auf seine ganz eigene Art und Weise. Was er ihm zugestehen musste: Eames blieb sich treu. Das beruhigte Arthur ungemein, als er feststellte, dass er ihm kein Versprechen gab, wieder kein Versprechen gab. Der Konjunktiv – das „hätte“ – war eindeutig: Das ‚Aber ich würde es wieder tun‘ schwang mit. Arthur hatte Tom einmal gesagt, dass er ihn nicht ‚einsperren‘ wollte. Genauso wenig wollte er ihn ‚verbiegen‘. Ihre Augen hingen ineinander. ‘Don't give me those eyes‘, dachte er,‘ 'cause you know me and I can't say no to you‘ Zumindest nicht mehr – aber das sollte er ihm lieber nicht sagen. Mal sehen, was er noch auspackte… Er spürte den Atem des anderen um seine Lippen spielen, sah, dass jener den Blick senkte, schließlich auf seine Lippen blickte. Das Kribbeln in seinem Bauch zeigte ihm nur zu deutlich, dass sein Körper dem Wunsch des anderen definitiv gerne nachkommen wollte. »Wirst du mir verzeihen?« Nun wanderte doch eine Augenbraue leicht hinauf. Die Hände an seinem Rücken, der treudoofe Dackelblick, diese Worte…. Eine Bitte, es noch einmal mit ihm zu versuchen, mit diesem ‚furchtbaren Menschen‘ – wie er sich einst selbst betitelt hatte. Wenn er ehrlich war, genoss Arthur diesen Moment weidlich. Es war fast ein wenig amüsant. Maybe just one more try Er kam Tom ein Stück entgegen, stoppte jedoch, bevor sich ihre Lippen berührten. Dann distanzierte er sich wieder von ihm, lehnte den Oberkörper in der Umarmung etwas zurück, so dass er Tom wieder ansehen konnte. „Die Masche zieht oft, nicht wahr?“, sagte er dann amüsiert. Wie viele Frauen (und Männer) er wohl so nochmal in sein Bett bekommen hatte? „Du hörst dich an, als seien wir verheiratet.“ Wie ein Mann, der resigniert nach einer Schimpftriade seiner Frau genau das sagte, was sie hören wollte: „Du hast recht! Es tut mir so leid! Bist du wieder lieb zu mir? Versöhnungssex, ja?“ Es war kein Ring gewesen, vorhin im Restaurant – aber ein Schlüsselring. Ein Grinsen lag auf seinen Lippen, als er sich vorbeugte, sich zu Toms Ohr beugte. „Weißt du, Honeybunny!“, sagte er mit dunkler, rauer Stimme. Ob er ihm jemals einen ernstgemeinten Kosenamen geben würde? Vermutlich fror eher die Hölle zu. „Ich hab immer recht. Vielleicht begreifst du das doch irgendwann mal.“ Er biss ihm strafend ins Ohrläppchen, küsste es dann jedoch entschuldigend. „Danke“, hauchte er dann leise. „Danke, dass du keine Versprechen gibst, die du nicht gedenkst einzuhalten.“ Er meinte das wirklich ehrlich. Denn wenn er aus der Situation etwas gelernt hatte, dann dass Tom wirklich versuchte, aufrichtig zu ihm zu sein. Es wäre ein leichtes zu lügen und ihm zu versprechen, dass er es nie wieder tun würde, dass er sich immer verabschieden würde etc. Aber er tat es nicht. Er belog ihn nicht. Denn beide wüssten sie, dass es nicht der Wahrheit entsprach. Die Unverbindlichkeit war wichtig, um verzeihen zu können. „Sag es dir nicht weiter, sonst wirst du noch größenwahnsinniger, als du es eh schon bist. Aber ich fürchte, dass ich dir schon längst verziehen habe“, sagte er nun und löste sich vom Ohr des anderen, blickte ihm in die Augen. Erst jetzt küsste er ihn, versiegelte die Lippen des anderen mit seinen. Sanft, zärtlich, nur kurz - voll unterdrückter Sehnsucht. Es fiel ihm schwer, sich wieder zu lösen. „Lass uns ins Hotel gehen und dich von dem grässlichen Hemd befreien und mich verfluchen, dass ich auf zwei getrennte Betten bestanden habe.“ Eames Als Eames erwachte, standen sie im Stau kurz vor der italienischen Grenze. Ein Luftzug wehte ihm einen leichten Benzingeruch um die Nase; Arthur hatte offenbar das Fenster geöffnet. Er rieb sich durchs Gesicht und reckte die müden Knochen. Sein Nacken schmerzte aufgrund der äußerst ungünstigen Schräghaltung in der er nun eine ganze Weile verweilt hatte. Er sah zu Arthur herüber, der freiwillig die erste Schicht beim Fahren übernommen hatte. Wahrscheinlich wollte er noch einmal das unbegrenzte Geschwindigkeitslimit in Deutschland ausnutzen, ehe sie wieder weg waren. Etwas wie Neid keimte in Eames, als er feststellte, dass Arthur weitaus frischer aussah, als er selbst sich fühlte. Die Wiedersehensfreude war groß in der vergangenen Nacht gewesen. Dementsprechend wenig Schlaf hatte Eames bekommen. Außerdem hatte er Arthur ja noch beweisen müssen, dass seine Performance mit zusammengewachsenen Rippen und ohne (nennenswerten) Einfluss von Substanzen, natürlich viel eindrucksvoller war – kein Vergleich zu ihren ersten malen in New York. Im Nachhinein war er froh gewesen, dass er das Massageöl aus dem Four Seasons und genug Kondome eingepackt hatte. Danach hatten sie dann versucht zusammen in einem der kleinen Betten zu schlafen. Das Einschlafen war für Eames auch nicht das Thema gewesen. Darin war er ungeschlagen. Das Problem war eher, dass sie schrecklich eng aneinander lagen und die Sehnsucht so groß gewesen war, dass er mitten in der Nacht mit dem nächsten Vollständer aufwachte. Und Arthur war offenbar in Ordnung damit durch einem Blowjob geweckt zu werden, egal wie ungünstig die Stunde war. Nun saß Arthur trotzdem im Fahrersessel und sah nicht maßgeblich erschöpft aus. Unfair. »Wenn wir drüben sind übernehme ich.«, beschloss er. »Dann kannst du dich bis Verona ausruhen.«, so oder so war es sicherlich nicht schlecht, wenn sein Partner auch etwas Ruhe bekam. Immerhin hatten sie noch einiges vor. Er hatte einen Termin mit einer Bekannten ausgemacht, die ihm bereits zwei mal beim Waffenkauf in Europa unterstützt hatte. Verona war einer ihrer wichtigsten Umschlagsorte; dort hatte sie Connections, Immobilien, Einfluss. Sie würden maximal einen Tag auf ihre Waren warten müssen; bei dem guten Wetter war das wohl zu verschmerzen, dachte er. Arthur Dass er wenig Schlaf bekommen würde, hätte er von Anfang an geahnt. Aber er hatte es aus anderen Gründen angenommen. So war es aber definitiv besser. Den wenigen Schlaf, den er bekam, und der auch noch auf so angenehme Weise unterbrochen worden war, war weit erholsamer gewesen, als all jene Nächte, in denen er sich kn seinen Gedanken verworren herumgequält hatte. In Eames‘ Armen zu schlafen, verschaffte ihm ungeahnte Ruhe; erholsame Ruhe. Er war recht bald aufgestanden, aufgewacht von den unbekannten Geräuschen (Kuhglocken?), hatte geduscht und Tom schließlich rausgeworfen, damit sie zügig losfahren konnten. Er genoss es wirklich, die noch ziemlich leere Autobahn, die Geschwindigkeit, das Gefühl von Ruhe und den Glückshormonen im Blut, die bei den Gedanken an die vergangene Nacht gewiss nicht weniger wurden. Nichtsdestotrotz arbeitete er, während Eames die atemberaubende Landschaft der Alpen verpasste. Er diktierte seinem Handy jene Liste, die Tom sich gewünscht hatte. Eine Liste mit Munition, Waffen, einfachen Sprengstoff und ein paar Zaubermitteln, die für Effekte sorgen könnten. Mal sehen, was sie brauchen würden. Kohle hatte er genug für dergleichen Spielereien. Und wie gesagt: er war der Trickser. Als sie beim Brenner im Stau standen, kam in Tom wieder Bewegung. Arthurs Lächeln, das die ganze Fahrt nicht gewichen war, wurde zu einem Schmunzeln, als Tom ihn zerknautscht ansah. „Ist gut“, sagte er. „Ich hab dir eine Liste zusammengestellt“, sagte er und öffnete sein Handy, um es Tom zu reichen. „Schau mal drüber. An wen soll ich sie schicken?“ Kurz hatte er gezögert. Aber Tom wird schon nicht seine Mails lesen... eine aktuelle Nummer hatte er nicht von ihm. Eames Er nahm das Handy entgegen und ließ sich Zeit beim Lesen der Liste. Der Blick, den er Arthur danach zuwarf, war bewusst nachdenklich, fast skeptisch. War er Schuld daran, dass Arthur in der Lage dazu war solche Dinge zu tun? Oder hatte er nur all die Jahre nicht bemerkt, dass er von vorn herein so war, wie er war? Er dachte an ihr Gespräch in New York zurück. Mit 16 hatte er sein erstes Leben genommen. Wie viele waren gefolgt? Wollte er bewusst all diese Leben auslöschen? Wenn er diese Liste so betrachtete war er durchaus darauf aus so einige in den Tod zu stürzen. Er fragte sich, ob er überhaupt berechtigt daran glauben durfte Arthur zu kennen. Eames selbst hatte gemordet. Das erste mal auf Befehl und danach war nichts mehr so wie zuvor. Er wüsste gern, welche Wandlung in Arthur stattgefunden hatte. Vielleicht würde er es bald herausfinden. »Ausreichend.«, kommentierte er bloß. Eames griff nach hinten auf die Rückbank in seine Reisetasche und fummelte mit etwas Mühe ein kleines Notizbuch mit dunkelbraunem Lederumschlag heraus. Er blätterte eine Weile darauf herum, bis er fand was er suchte. »Ich schreibe unserer Kontaktfrau eine E-Mail.«, erklärte er, tippte auf Arthurs Handy herum und fand schnell die gewünschten Funktionen. Simultan studierte er weiter das kleine Heftchen in der anderen Hand. »Wir benutzen zwar eine Verschlüsselung, aber ich werde die Email trotzdem gleich aus dem Ausgang löschen. Sollte Concetta dir je zurückschreiben... lösch die Nachricht ungelesen. Sie ist immer der Meinung man sei ihr was schuldig, auch wenn man bezahlt hat.« Äußerst anstrengend diese Frau, erinnerte Eames irgendwie an seine Mutter, was an sich schon gruselig genug war. Arthur Arthur beobachtete, wie Eames die Liste studierte. Den kritischen Blick begründete er darin, dass Tom sicher mehr Erfahrung in dem Bereich hatte als er und jener durchdachte, ob er an alles gedacht hatte. Als er dann aber aufblickte und ihn so… musternd ansah, wurde er unsicher. Hatte er die Menge falsch berechnet? Hatte er die falschen Waffen ausgesucht? Er hatte wirklich versucht, an alle Eventualitäten zu denken. Schließlich wussten sie noch nicht wirklich, wohin ihre Reise gehen würde, wo jener Endpunkt sein würde, an dem sie die Waffen brauchen würden. Ob er etwas übersehen hatte? Das „ausreichend“ wirkte seltsam, Arthur nickte aber. Es würde ‚reichen‘… Nun das hoffte er, dass es das würde. Genervt tippte er leicht mit dem Zeigefinger gegen das Lenkrad. Klare Aussagen wären ihm lieber. Die Kolonne setzte sich in Bewegung, während Eames nach seiner Tasche angelte und ein kleines Büchlein herauszog. Arthur bezahlte die Maut über den Pass und endlich konnten sie wieder Fahrt aufnehmen. Hin und wieder blickte er hinüber, während Tom in dem Notizbuch blätterte. Als sich Tom erklärte, wurde eines der vielen Rätsel um Thomas Eames gelöst. Arthur hatte sich schon oft Gedanken darüber gemacht, wie Tom so oft untertauchen konnte, ohne je wirklich den Kontakt zu seinen Leuten zu verlieren. Er wusste gar nicht, wie oft er Eames Nummer in seinem Handy geändert hatte, wie oft er mit unbekannten Daten kontaktiert worden war. Während er an seiner Nummer hing und sich davor hütete, wem er sie gab (also die seines privaten Handys), schien es Tom immer egal zu sein, ob er eine Woche später noch unter der Nummer zu erreichen war, die er einem gegeben hatte. Zudem schien er keinen großen Wert darauf zu legen, sich Dinge (wie Hotelzimmernummern oder gar Telefonnummern) wirklich langfristig merken zu wollen – außer es ging ums Geschäft. Das Büchlein erklärte jedoch einiges. Immerhin ein Verbindungspunkt für ihn mit denen, die ihm wichtig waren, und damit war dieses Büchlein vermutlich sehr wichtig für ihn. Er nickte die Mail ab, blickte dann aber irritiert, als er den Hinweis hörte, was das für Folgen haben könnte. Zwei Dinge irritierten ihn. Einmal, dass es eine Frau war, bei der sie die Waffen bekommen würden. Zum anderen der Nachsatz. Dass er die Mail löschte, war schon irgendwie ok. Es war Toms Kontakt und ihn ging es vermutlich nichts an. Das respektierte er. Aber wieso gab sich die Frau nicht mit der Bezahlung zufrieden? „Klingt, als wäre sie an mehr als nur finanzieller Bezahlung interessiert“, sagte er aus dem Bauch heraus, ohne weiter darüber nachzudenken. Erst dann wurde ihm bewusst, dass das vielleicht wirklich so war. Bezahlen mit Naturalien? Oder einer Gegenleistung? Er blickte nicht zu Tom, auch wenn er den dringenden Wunsch in sich spürte, ihn zu mustern, die Reaktion zu sehen. Lieber nicht. „Vielleicht verlangt sie auch nur eine Verabschiedung, nachdem sie dir geholfen hat…“, schob er hinterher. Er hatte ihm verziehen. Das bedeutete aber nicht, dass er es verdaut hatte. Die Fahrt nach Verona kam ihm mit einem Mal weniger unbeschwert vor, als noch zuvor. Conchetta klang anstrengend. Eames „Klingt, als wäre sie an mehr als nur finanzieller Bezahlung interessiert“ Er zog die Augenbrauen in die Höhe und nickte in Gedanken verloren. Concetta war ein gieriges Biest. Sie leistete exzellente Arbeit und das wusste sie. Deswegen war sie immer der Meinung noch mehr verlangen zu dürfen, als der Riesenhaufen Kohle, den sie bei jedem Verkauf kassierte. Er sperrte Arthurs Smartphone und legte es in einer sicheren Mulde im Armaturenbrett ab. Kurz hatte er überlegt einen Blick auf SMS und E-Mails zu werfen (irgendwo in seinem Hinterkopf meldete sich das eifersüchtige Monster, dass befürchtete Arthur hatte ihn in den sechs Wochen Abwesenheit bereits betrogen), sparte sich allerdings diesen Vertrauensbruch für ein andermal auf. Auf Arthurs nächste Aussage hin, musste er lachen. »Sure, darling.« Er hatte den mentalen Seitenhieb durchaus gespürt. Vielleicht hatte er das ja verdient. Beschweren durfte er sich jedenfalls nicht, nachdem Arthur in der vergangenen Nacht das Kriegsbeil begraben hatte. Nachdem sie die Grenze überwunden hatten, wandelte sich die Landschaft allmählich und der typische, mediterrane Touch rief Urlaubsgefühle in Eames wach. Er vermisste es sehr stundenlang in der Sonne am Pool, am Meer oder auf seiner Dachterrasse zu liegen und nur aufzustehen, wenn die Natur nach ihm rief. Auch das Spielen im Casino vermisste er und irgendwie auch das zwanglose Flirten mit Fremden an Hotelbars. Letzteres wunderte ihn sogar ein bisschen. Er hatte irgendwie gehofft, dass sein ewiges Suchen nach dem nächsten bedeutungslosen Fick ein Ende gefunden hatte, nun da er Arthur für sich gewonnen hatte. Auf einer gewissen Ebene stimmte das wohl auch. Immerhin war er sich zu 100% sicher, dass er niemals jemanden so sehr lieben und wollen würde, wie Bambi; mittlerweile auf dem Beifahrersitz. Alles andere war jedoch noch nicht in Stein gemeißelt. »Du kannst wählen: Pizza in irgendeiner Touristen-Bude, oder Pasta bei Concetta.«, nachdem sie an einem Schild vorbeigefahren waren, dass Verona in 20km ankündigte. Arthur Sie wechselten die Seite bei Bozen. Die Strecke wurde langsam langweilig. Weniger gekurvt, nur noch zweispurig. Die italienischen Autobahnen waren ohnehin nervig. Die Mittelleitplanke war so nah an der Spur, dass das Schnellfahren anstrengend war, besonders wenn man die unendlich vielen Lastwagen überholte, die in einer Karawane die rechte Spur blockierten. Arthur steckte sein iPhone wieder ein. Ob Ariadne sich gemeldet hatte, würde er später nachsehen. Er würde sich heute wieder Zeit zum Arbeiten nehmen. Es gab zu viel zu tun. Erst einmal schlief er jedoch etwas und erwachte erst, als Tom bereits die Autobahn verlassen hatte und die breite Zufahrtsstraße Richtung Verona entlangfuhr, die auch von Lkws bevölkert war und an der entsprechend die Nutten am Straßenrand Spalier standen. Das Landschaftsbild hatte sich komplett verändert. Die Berge lagen weit hinter ihnen, es war monoton eben und die Landschaft war vollkommen zersiedelt. An den Straßen reihten sich freistehende Häuser oder Reihenhäuser, die durch ein Gewirr an Stromkabeln miteinander verbunden waren. Ein riesiges Einkaufszentrum ragte majestätisch aus der Häuserflut des Speckgürtels von Verona. Es war einfach nur hässlich hier- fand Arthur. Verona selbst - zumindest die antike gemischt mit mittelalterlicher Innenstadt - würde wieder schöner sein. »Du kannst wählen: Pizza in irgendeiner Touristen-Bude, oder Pasta bei Concetta.« Arthur blickte zu Eames und dachte einen Moment nach. Pest oder Cholera, hm? Aber auf Touristen hatte er so gar keine Lust. „Pasta“, entschied er daher. Dort gab es sicher das bessere Essen und den besseren Espresso. Sie mussten um die Altstadt herumfahren, schließlich parkte Tom den Wagen. Arthur stieg aus und streckte sich leicht. Die Etsch floss eingebettet unterhalb der Straße, der Blick fiel auf eine schöne Brücke, die hinüber in die Innenstadt führte. Die Arena befand sich auf der anderen Seite der Innenstadt. Hierher verirrten sich daher wenige Touristen. Wollte jemand auf dem Hügel St Pietros, an dessen Fuß sie geparkt hatten, fuhren sie meist mit dem Bus hoch und liefen nicht. Der Wagen wurde verschlossen, dann liefen sie zur Brücke und über sie hinweg. Die Innenstadt durften nur die Anwohner befahren. Es war warm und Arthur fühlte sich automatisch wohl. Trotz der teilweise recht verwahrlost wirkenden Fassaden, dem Dreck auf den Straßen, den Katzen, die mehr tot als lebendig wirkten, Klappergerüste, die in der Sonne sich räkelten. Wärme hatte er viel zu lange nicht genossen. Um diese Jahreszeit waren sie Temperaturen genau richtig. Alles in allem konnte Concetta gar nicht so schlimm sein, dass ihm das Gefühl von Wohlbehagen abhandenkommen würde. Tom führte ihn zu einem kleinen Platz jenseits der Brücke, in dessen Mitte eine hohe Edelkastanie stand. Im Grunde war der Platz von Autos zugeparkt, in einem Straßencafé saßen drei alte Männer und beobachten das Geschehen. Sie gingen auf eine Tür zu. „Trattoria di Maria“ stand darüber skeptisch betrachtete Arthur die Tür, die so gar nicht nach Restaurant aussah. Mittlerweile hatte sogar er Hunger. Als sie näherkamen, bemerkte er die vielen Aufkleber in einem Fenster, durch die auf diverse Preise und Auszeichnungen hingewiesen wurde, die das Restaurant gewonnen hatte. Sie betraten einen Raum, in dem Tische und Stühle eng beieinander aufgestellt worden waren. Schwere weiße Tischdecken lagen auf den Holztischen. An den Wänden etliche Bilder und Mariendarstellungen, umrahmt von Plastikblumen. Hinter einem Tresen reihten sich diverse Flaschen Alkoholika und Wein. Es roch verführerisch, aber es war niemand zu sehen. Stimmen drangen aus dem hinteren Bereich, wo eine breite Tür auf eine Terrasse führte. Eames ging direkt dorthin weiter, Arthur folgte. Im verwunschen wirkenden und eingewachsenen Hinterhof saßen Leute an den Tischen, aßen und unterhielten sich im gewohnten italienischen Singsang. Kinder lachten, aßen, spielten. Einige Blicke richteten sich auf sie, dich die meisten aßen einfach weiter. Eames Das lange Sitzen machte ihm gar nichts, bloß hätte auch er lieber weiter in der angenehmen, schaukelnden Wärme gedöst, als sich aufs Fahren zu konzentrieren. Das Bedürfnis nach einem kleinen Helfer für die Konzentration war stark. Doch statt dieser unschönen Marotte nachzugehen, half er sich erst einmal mit einer Dose Energy von der nächsten Tankstelle. Von dort kaufte er auch einen dicken Stapel Schokoladentafeln und ein paar Tulpen. Gelbe, orange, weiße und eine einzige Violette, die er lose zusammengebunden und unkommentiert auf der Rückbank ablegte, während Arthur friedlich auf dem Beifahrersitz schlummerte. Die „Trattoria di Maria“ lag inmitten eines dichten Gewirrs aus kleinen Straßen. Nicht ganz leicht den Laden wiederzufinden, aber Concetta legte es schließlich auch nicht unbedingt darauf an für jeden sichtbar zu sein. Vor der Tür war der Geruch himmlisch und Eames freute sich bereits auf ein paar klassische Spaghetti und einen guten Wein. Große Teile der Innenhofgemäuer waren mit Weinreben zu gewuchert. Die teilweise überdachten metallischen Tische und Stühle waren merklich alt, aber gepflegt und hatten dadurch ihren ganz eigenen Scharm. Eine junge Frau, sie trug eine eng anliegende Jeans, die ihrem großen, runden Hintern schmeichelte, eine schwarze, kurze Schürze und ein schwarzes T-Shirt, drehte sich zu den Ankommenden um und erstrahlte förmlich. Sie hatte offenbar den Versuch unternommen sich mit Smokey-eyes und viel Kajal älter wirken zu lassen; ihr breites Lächeln konnte ihr wahres Alter jedoch nicht zur Gänze verbergen. 17, wenns hochkam, und wenn sich Eames richtig erinnerte. Sie kam auf die beiden zu und grüßte Eames mit Küssen auf die Wangen und einem gesungenen: »Ciao, Mister Eames.«, dabei fiel auf, dass sie ein bis zwei Zentimeter größer war, als die beiden Männer. Er reichte ihr den kleinen Strauß Tulpen, sie begeistert quietschend entgegennahm. Bei Arthurs Anblick wirkte sie höflich, zurückhaltend und es machte den Anschein als errötete sie unter der dünnen Puderschicht, die sie im Gesicht trug. Vielleicht genierte sie sich etwas. »Buongiorno.«, grüßte sie ihn höflich und reichte ihm die Hand. »Vi va di mangiare qualcosa?« »English please.«, bat er die junge Damen. Er wusste immerhin nicht, wie gut es um Arthurs Italienisch stand und er wollte ihm nicht das Gefühl geben aus irgendetwas herausgehalten zu werden. Jedenfalls nicht in diesem Moment. »So sorry, ich dachte er wäre Italiener!«, rief die Kleine aus und lachte. Ein wunderbarer Klang. »Er ist so gut angezogen!«, bemerkte sie kokett, als wäre Arthur gar nicht anwesend. Sie sprach mit starkem Akzent, aber langsam und verständlich. Braves Mädchen. Eames ließ diese Vermutung grinsend unkommentiert. »Wo ist deine Mutter, Marcella?« Als hätten diese Worte sie heraufbeschworen tauchte eine kleine Frau neben ihnen auf. Sie war aus der Tür getreten, die von einem bunten Sonnenschirm verdeckt, in der Nähe einer Sitzecke, vom Hof abging und hatte einen Blick drauf, der einen ausbrechenden Vulkan einfrieren ließe. »Ihr seid viel zu früh.«, beschwerte sie sich. Sie musterte Arthur, dann Eames strengen Blickes. Bemerkte dann die letzten Tulpe in Eames' Hand, die Violette, während sie etwa zeitgleich den Strauß an hellen, fröhlichen Farben in den Händen der Kleinen entdeckte. »Flirtest du wieder mit meiner Tochter? Wenn du sie schwängerst, bring ich dich um.«, knurrte sie düster. Ihre Englisch war nahezu akzentfrei. Sie reichte Arthur ebenfalls die Hand, ihr Griff war fest, aber ihre Haut war bemerkenswert weich und warm. »Concetta Parisi. Ich schätze mal die E-Mail war von dir.« Arthur Es fühlte sich ein wenig so an wie früher, wenn Patricia ihn zu einer Party mitgeschleift hatte, auf der er niemanden kannte (und meist auch kennen wollte). Irgendwie fühlte man sich immer fremd und deplatziert, egal wie freundlich die Menschen waren. Arthur ließ es sich gewiss nicht anmerken, dafür war er zu professionell. Aber innerlich nervte ihn die Situation zunächst. Die junge hübsche Frau, die ihnen entgegenkam und Eames so herzlich begrüßte, war vermutlich noch minderjährig. Man sah ihr an, dass sie der Pubertät noch nicht ganz entwachsen war. Dass Tom ihr Blumen überreichte, wunderte ihn ein wenig. Arthur war klar, dass das nicht Concetta sein konnte. Bei so einem jungen Ding hat er gewiss nicht vor ein paar Stunden Sprengsätze, Munition, Schnellschusswaffen und ähnliches Zubehör bestellt – und wenn doch, würde er Eames die Hölle heiß machen. Doch die junge Dame freute sich sichtlich über die Blumen. Dass eine zurückbehalten wurde, war ein weiteres Indiz, dass sie noch nicht bei Concetta angelangt waren. Die großgewachsene Italienerin blickte Arthur an, begrüßte ihn und er ergriff ihre Hand, um den Gruß zu erwidern. So viel verstand er dann noch. Aber bevor er etwas sagen konnte, bat sie Tom bereits, Englisch zu sprechen. Langfristig gesehen sicher einfacher, dennoch schob er nun ein „Bon giorno“, nach und lächelte sie höflich an, wobei das Lächeln blieb, als sie ihren Irrtum zugab und bemerkte, dass er gut angezogen war (wobei es nicht schwer war, neben Eames diesbezüglich hervorzustechen). Ja, wie früher auf den Partys. Da hatte man auch gern neben ihm über ihn gesprochen… Sie zu berichtigen oder auf das ‚Kompliment‘ einzugehen, kam ihm nicht in den Sinn. Wieso auch? Je weniger man voneinander weiß, desto besser ist es. „Kein Problem“, war das einzige, was er entgegnete, bevor sein Partner nach der Mutter des Mädchens fragte, die vermutlich Concetta sein würde. Die Frau, die nun die Bühne betrat, kam Arthur nun schon wesentlich mehr wie jemand vor, bei dem er eine Söldner-Truppe mit Todeswerkzeug ausstatten konnte. Es schien ihm fast, als bliebe die Welt für einen Moment stehen. Der Blick war durchdringend und bestimmt. Der Mann, der sich glücklich schätzen konnte, eine Tochter wie Marcella zu haben, hatte hinsichtlich seiner Frau sicher gar nichts zu lachen – falls es denn einen Vater gab – zumindest hätte der gewiss nicht die Hosen an. Unter dem musternden Blick verschwand das Gefühl des Deplatziert-Seins dem Gefühl, als ungenügend empfunden werden zu können. Erstaunlich, welche natürliche Ausstrahlung diese Frau hatte. Jetzt verstand Arthur, was Eames im Auto gesagt hatte. ‚Sie ist immer der Meinung man sei ihr was schuldig, auch wenn man bezahlt hat.‘ Arthur hatte das Gefühl, ihr jetzt schon etwas schuldig zu sein, obwohl sie noch gar nicht ins Geschäft gekommen waren. Er streckte das Kinn etwas, nahm noch mehr Haltung an. Im Grunde ließ er sich seine Nervosität nie anmerken. Dass er sie spürte, wunderte ihn dennoch. Der Kommentar hinsichtlich der Blumen, ließ ihn innerlich schmunzeln. Der Tonfall machte Arthur definitiv klar, dass sie Eames wirklich den Arsch aufreißen würde. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass diese Drohung für den Forger sicher der beste Anreiz war, dennoch mit Marcella bis zum Äußersten zu flirten. Nun, vielleicht hatte er Glück und er ersparte ihm das zumindest dieses Mal. Er ergriff die gereichte Hand und nickte. „Arthur Moore“, stellte er sich wie gewohnt vor. „Die Liste kam von mir, die Mail hat Eames von meinem Account verschickt.“ Besser man sorgte da für Klarheit. Menschen, bei denen man Waffen kaufen konnte, wussten gerne, wer zu ihnen Kontakt aufnehmen konnte und wer nicht. „Entschuldigen Sie bitte, dass wir so früh da sind. Der Verkehr war überraschend wenig, so dass wir schneller vorankamen, als erwartet. Ich hoffe, es macht Ihnen keine Umstände.“ Er lächelte charmant. Nun, wenn er in Deutschland nicht so sehr aufs Gaspedal gedrückt und die Geschwindigkeit genossen hätte, wären sie sicher später gekommen. „Man könnte aber fast annehmen, dass mich der Hunger so zügig hierhergetrieben hat. Denn das Essen riecht betörend…“ Essenstechnisch war es in jedem Fall besser gewesen, gleich hergekommen zu sein – sofern sie auch von Concetta etwas zu essen bekämen. Alles andere würde sich zeigen. Eames Eames schmunzelte, während er Arthur und Concetta beobachtete. Er hatte sofort erkannt, dass sie ein Raubtier war und verhielt sich entsprechend respektvoll. Genau der Umgang, den sich die Königin gern gefallen ließ. Sie zog einen ihrer Mundwinkel spitz in die Höhe, sonst regte sich in ihrem Gesicht nichts, während Arthur sprach. Marcella war während der Unterhaltung vollkommen verstummt und sah mit der Andeutung eines Lächelns aufmerksam zwischen Arthur und ihrer Mutter hin und her. So als erwartete sie jederzeit einen Befehl. Auch Eames verhielt sich ruhig. Sicherlich kannte er Concetta besser, aber er vertraute Arthurs diplomatischen Fähigkeiten. »Keine Umstände, mit denen wir nicht umgehen können.« Sie gab ihrer Tochter eine wortlose Anweisung, indem sie mit dem Kopf in eine bestimmte Richtung nickte. Die „Kleine“ (eigentlich die größte Person in der Runde) machte sich sofort daran einen Tisch in der Ecke mit Besteck, Gläsern und eine Karaffe mit Wasser auszustatten. Den Blumenstrauß hatte sie auf einem kleinen Beistelltisch zwischengelagert. Ihr Blick wanderte wieder zu Eames und schien dabei wieder eine Spur abfälliger zu werden. Sie griff nach der einzelnen Tulpe in seiner Hand und roch daran. »Blumen von der Tankstelle. Tz tz tz.«, stellte sie trocken fest, als hätte sie es geahnt. »Setzt euch. Meine Mutter macht euch Pasta. Wenn ihr gegessen habt, besprechen wir alles weitere.« Arthur Offenbar hatte er den richtigen Ton getroffen und Arthur entspannte sich etwas, als er die Andeutung eines Lächelns auf den Lippen sah. Na, das klappte doch ganz gut. Ein wenig Honig, ein Touch Demut, eine Prise Seriosität – das würde hoffentlich passen. Er nickte und lächelte dankbar, als sie seine Entschuldigung annahm und dem Wunsch nachkam, dass sie etwas zu essen bekämen. Sein Lächeln wurde etwas breiter, als er sah, dass Concetta von der Blumenmasche nicht beeindrucken ließ – sehr sympathisch diese Frau. Wieso quietschte man, wenn man Grünzeug bekam? Noch dazu von der Tankstelle… Ob Tom seine Blumen auch an der Haltestelle des Greyhounds gekauft hatte? Vermutlich. Arthur setzte sich und blickte Concetta kurz nach, die nach innen ging, um offenbar etwas zu essen für sie zu ordern. Dann ließ er seinen Blick über den Hinterhof gleiten, sofern man etwas sah. Es war idyllisch. Schließlich sah er Eames wieder an. Wie er wohl auf Concetta gekommen war? Arthur griff zu der Karaffe und schenkte ihnen Wasser ein. „Wir sollten den Wagen loswerden“, sagte er nun. „Und vielleicht wäre es gut, Jobs von hier zu kontaktieren, mit der Aussage, dass eine größere Waffenlieferung nach Süden transportiert wird. Das gibt ihm etwas Zeit zu entscheiden, was er tun wird.“ Er trank einen Schluck. „Ich vermute, Concetta ist in der Branche bekannt.“ Eames Er nickte zustimmend. „Loswerden“, im Sinne von „bei der nächsten Station zurück geben“, oder? Sie waren ja keine wilden Tiere und der Wagen war ohnehin nicht auf echten Namen geliehen. Auch er schüttete sich etwas Wasser ein und trank, während Marcella bereits eine kleine Vorspeise zu Tisch brachte. Da Concetta wieder aus dem Hinterhof verschwunden war, taute auch die Kleine wieder etwas auf und plapperte in ihrer melodischen Zwitscherstimme. Sie widmete sich allerdings schnell wieder den anderen Gästen. Unter anderem einer Gruppe älterer Herren, die Marcellas Aufmerksamkeit und ihren Service sehr zu schätzen wussten. »Jesse wird das für uns übernehmen.«, führte er Arthurs Gedanken nahtlos fort. Die Information an Jobs weiterzuleiten war der erste Schachzug in dem Manipulationsspiel, das sie sich ausgedacht hatten. Er schnappte sich ein Häppchen und sprach weiter, nachdem er den ersten Bissen fast heruntergeschluckt hatte: »Concetta... hm, sie ist bekannt. Ich weiß, dass Lombardo bereits bei ihr gekauft hat. Würde mich auch nicht wundern, wenn Beretta sie kennt. Aber wir sollten uns hüten ihren Namen für unsere Zwecke zu benutzen.«, dabei hatte er die Stimme etwas gesenkt, damit Marcella (erweiterte Augen und Ohren) nichts mitbekam. Er beobachtete das schönen, jungen Mädchen und fuhr fort: »Sie ist keine Freundin.« Es hatte eine Zeit gegeben, wo er geglaubt hatte, dass er mit der Lady so etwas wie einen „guten Status“ erreicht hatte – wo man sich gegenseitig auch mal einen Gefallen tat, oder in die Bresche sprang. Was Concetta betraf hatte er auf dem harten Weg lernen müssen, dass manche Menschen mit harter Schale auch einen harten Kern haben. Arthur Arthur nickte. Es war wirklich gut, dass sie Jesse auf ihrer Seite hatten. Er wüsste zu gerne, wer der Typ wirklich war. Aber dass er ihn je zu Gesicht bekäme, bezweifelte er stark. Eames war in jedem Fall überzeugt, dass der Hacker auf ihrer Seite war und das machen wird. Hatte er schon mit ihm kommuniziert? Oder hatte er das im Vorfeld schon geklärt? War ja auch egal. Hauptsache der Plan ging entsprechend auf. Arthur nahm sich ein Stück Brot und tunkte es ins Olivenöl. Er möchte den leicht herben Geschmack und auch das seltsam ungesalzene Brot. Dass Concetta bekannt war, registrierte er mit einem leichten Nicken. »Sie ist keine Freundin.« Arthur reagierte erst einmal nicht, so als habe Eames nichts gesagt, aß noch etwas von den marinierten Zucchini. In Gedanken ging er die Situation von eben durch. Im Grunde bedeutete dies einiges: Zum einen - Marcellas überzogenes Verhalten war unter Umständen absolut berechnend. So wie sie auf Anweisungen gewartet hatte, wusste sie genau, wie der Hase lief. Ihre jugendliche Naivität, die sie vor sich herzutragen schien, war ein gutes Ablenkungsmanöver zur Gewinnung von Informationen - und gewiss auch Verkaufstaktik. Zum anderen - Concetta selbst würde ihnen keine Sicherheit bieten, keine Rückendeckung. Im Grunde mussten sie davon ausgehen, dass sie ihnen zu nichts verpflichtet war und damit bereits jetzt auch auf feindlicher Linie stehen und gegen sie arbeiten könnte. Wenn sie nicht aufpassten, könnte sie ihr Schicksal entsprechend besiegeln. Sie mussten vorsichtig sein, was sie sagten und wie sie mit ihr umgingen. Ja, es ergab alles ein Gesamtbild. Auch dieses Gefühl, das sie vermittelte, und das Tom bereits im Auto angekündigt hat, passte dazu. Geschickt, aber gefährlich. „Das ist richtig gut“, sagte er und deutete auf die Vorspeise, als Marcella ihnen den Wein hinstellte. Er schenkte ihr ein naives Lächeln. „Molto gustoso!“, fügte er hinzu, etwas falsch akzentuiert. Ein weiteres Lachen erfüllte den Raum. „Warte nur auf die Pasta!“, sagte sie verheißungsvoll. „Sie kommt gewiss bald.“ Dann tanzte sie wieder durch die Tische davon. Arthurs Lächeln erstarb und er sah erst jetzt wieder Eames an. „Dann sollten wir umso vorsichtiger sein und das alles möglichst zügig und möglichst lukrativ für sie über die Bühne gehen lassen!“, reagierte er nun endlich auf die Warnung. Auch er konnte jemanden spielen, den man unterschätzte. In Gedanken fügte er ein: ‚Umso wichtiger, dass wir Spuren verwischen und falsche Fährten legen.‘ hinzu. Die Pasta, die ihnen Marcella alsbald mit einem Lächeln servierte, war wirklich sehr gut, ausgesprochen gut. Arthur ging, während er aß, in Gedanken die Waffenliste durch und überlegte, welche Rückschlüsse man auf ihre Pläne aus ihr ziehen könnte. Vielleicht hätten sie nicht alles über einen Kontakt nehmen sollen. Hätte er vorher gewusst, wie die Situation war, hätte er es anders gemacht. Hätte, hätte.... Im Auto war er zu wenig bei der Sache gewesen, um das zu hinterfragen - zumal er Eames vertraut hatte, dass der Waffendeal ohne Probleme klappen würde. Klar war aufgrund der Liste jedenfalls, dass die Menge an Munition und Waffen nur für eine kleine Gruppe ausreichend war, was die Italienerin sicher auf sie beide schließen lassen wird. Vielleicht sollten sie bei Gelegenheit einstreuen, dass sie nach Venedig weiter wollten, um ihre Spuren zu verwischen. Zudem sollten sie wirklich darauf achten, dass Concetta finanziell gesehen keinen Grund hatte, unzufrieden zu sein. Sicher sah sie sich keinem gegenüber so verpflichtet wie dem Geld, das sie erhielt. „Wo schlafen wir heute Nacht?“, fragte er unvermittelt, aus seinen ratternden Gedanken auftauchend. Eames Natürlich hatte Arthur erkannt, dass Marcella, trotz ihrer engelsgleichen Art, genauso sehr mit Vorsicht zu genießen war, wie ihre Mutter. Als Eames die Kleine das letzte mal gesehen hatte, war sie 13 gewesen und hatte bereits mit einem Fuß im Business ihrer Mutter gestanden. Außerdem war sie damals längst nicht so trainiert gewesen. Kampfsport war schon immer ihre Leidenschaft gewesen, aber die feine Andeutung eines Bizeps und die athletische Statur, die sie unter ihren langen Haaren zu verstecken zu versuchte, waren neu. Alles deuteten darauf hin, dass Concetta nichts dem Zufall überließ und ihre Kleine auf die harte Welt ihres Geschäfts bestens vorbereitete. Wie sich dieser Druck wohl mit pubertären Hormonschwankungen vertrug? Auch Eames tat sich gütlich an den kleinen Leckereien und natürlich an dem Wein, den er genüsslich schwenkte und in großen Schlücken genoss. Die Pasta hielten natürlich auch was sie versprachen. Allein wegen des Essens sollte es niemanden wundern, wieso sich Eames immer wieder wochenlang nach Italien und Sizilien zurückgezogen hatte. Arthur hatte Recht, die Sache sollte so sauber wie möglich laufen, um ihnen weitere Komplikationen zu ersparen. Er konnte sich gut vorstellen, dass Concetta zu einer Gefahr für die ganze Mission werden konnte, wenn sie nicht zufrieden war, oder den Verdacht hegte, dass sie einen Feldzug gegen einen ihrer besten Kunden führten. Allerdings war dies keins der Themen, die man in Marcellas Hörweite besprechen sollte. »“Lady Capulet Apartments“?«, antwortete er verschmitzt. Den Namen dieses Hotels hatte er bereits vor Wochen in bei einer kurzen Google-Suchen gefunden und auf seine Agenda geschrieben, wenn er Verona das nächste mal besuchte. »Ich zieh mein bestes Negligee an und warte im Zimmer, während du den Balkon hoch kletterst, wie klingt das für dich?« Sie speisten, Marcella füllte ihre Gläser und nach einer guten halben Stunde, holte Concetta sie ab, um mit ihnen in ihrem privaten Büro über Geschäftliches zu sprechen. Der Raum war klein und grenzte an die Küche. Es roch nach Gewürzen, gutem Öl und Tomatensauce. Die Hocker, auf denen Arthur und Eames platz nehmen durften, waren wackelige Konstruktionen, die selbst den vornehmsten Geschäftsmann in eine unelegante Pose zwang. Concetta dagegen thronte auf einem Sessel, der stark an die Designs ihres wohlbekannten Architekten und Möbeldesigners Charles Eames erinnerte. Unbezahlbar so ein Teil, aber es hätte Eames nicht verwundert, wenn er echt gewesen wäre. Bei ihrem Einkommen.... »Drei Tage. Zwei, wenn ihr auf die Extra-Munition verzichtet. Und 10.000 im Voraus. Euro natürlich, nicht euer amerikanisches Spielgeld.«, forderte sie und ihre Miene verriet, dass sie keine Widerrede duldete. Arthur Arthurs Augenbraue wanderte einen Moment nach oben. Lady Capulet Apartments? War das sein Ernst? Er zögerte und musterte Eames eingehend, ob er ihn nur verarschte oder das wirklich der Wahrheit entsprach. Doch das Schmunzeln dieses romantischen Narren ließ leider keinen Zweifel zu: es war sein Ernst. [i ]»Ich zieh mein bestes Negligé an und warte im Zimmer, während du den Balkon hochkletterst, wie klingt das für dich?« Arthurs zweite Augenbraue wanderte nach oben, unschlüssig, was er darauf sagen sollte. Er legte die Gabel hin, die er sich eigentlich eben zum Mund führen wollte, dann verzog er den Mund zu einem aufgesetzten Lächeln. „Na, wenn es dein bestes sein wird, dann möchte ich mal nicht so sein“, erwiderte er trocken, während das Lächeln zuckersüß werde. „Vielleicht pfeiff ich auch wie die Nachtigall – bevor ich dir in den Arsch trete.“ Tz, dieser Kerl. Arthur war froh, dass er genug Körperspannung hatte, dass er auf diesen erniedrigenden Hockern (im wahrsten Sinne des Wortes) dennoch einigermaßen Haltung annehmen konnte. Beim Wein hatte er sich zurückgehalten. Trinken konnten sie später noch, wenn alles in trockenen Tüchern war. Er kannte seine Liste. Er hatte geglaubt, sie gingen sie noch einmal durch. Aber Concetta kam direkt zum Geschäftlichen. Nun, sie wusste, wie man verhandelte. Aber er auch. Arthurs Miene blieb regungslos. Drei Tage? Zu lange, definitiv. Und das wusste sie auch. Im Grunde durften sie sich gar nicht so lange an einem Ort aufhalten. Es war zu unsicher für Tom. Zwei Tage ohne Extra-Munition. Nö. Er lächelte unvermittelt. „Das dauert uns zu lange“, sagte er direkt. „Das Geld wäre kein Problem.“ Er zuckte mit den Schultern. Dann blickte er zu Tom und zückte das iPhone, so als wolle er gleich telefonieren, wenn er den Raum wieder verlassen hätte. „Gut, dass Antonio die Sachen hat. Auch wenn der Umweg über Mailand uns einen halben Tag kosten wird. Geht schneller, als wenn wir hier zwei Tage zu lang festsitzen.“ Ja, er hatte Tom gefragt, ob er jemanden hätte. War ja aber nicht so, dass er sich nicht auch informiert hätte. Und auch wenn er Concetta nicht kannte, wusste er von einem Waffenhändler in Mailand – Antonio Fernale. Vermutlich war das direkte Konkurrenz zu Concetta. So weit war Mailand nicht von Verona entfernt. Er stand auf. „Wir sollten gleich losfahren.“ Eames Da sie zuvor nicht ein Sterbenswörtchen über einen Antonio Fernale gesprochen hatten, musste Eames davon ausgehen, dass Arthur bluffte. Deswegen schwieg er, hielt sich zurück, tat kurz so, als tangierte ihn diese Diskussion nur zaghaft. Concetta lachte trocken. Es klang wie eine alte Raspel. »Sicher, fahrt zu Antonio.«, sie machte eine abfällige, wegwerfende Geste. »Dort bekommt ihr sofort irgendetwas. Sein Geschäft ist Quantität, nicht nicht Qualität. Die letzten Kunden, die ich an Antonio verloren habe, sind drauf gegangen, weil ihnen die Waffen in den Händen explodiert sind.« Auch sie tat cool, als machte es ihr ganz und gar nicht aus, dass die beiden dabei waren zu gehen. »Wie wäre es mit Folgendem...«, sie machte eine kurze Pause, in der sie selbst nachzudenken schien. Ihre Miene regte sich jedoch noch immer nicht. »Ihr wartet einen Tag. 20 Stunden, um genau zu sein. Dafür erhebe ich einen Aufschlag von 40% für Expresslieferung und ihr erledigt eine Kleinigkeit für mich hier in der Stadt. Ist das ein Angebot?« Da Arthur seine Strategie hatte, hielt sich Eames zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte den reglos strengen Blick nachdenklich. Arthur Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen, als er die Reaktion der Italienerin sah und hörte. Das Horrorszenario, das Concetta zeichnete war fast abzusehen gewesen. Aber es zeugte davon, dass sie sie unbedingt als Kunden behalten würden. Das gab ihm Sicherheit. Dann lenkte sie auch schon ein. Arthur hob die Hand, schien über das neue Angebot nachzudenken. Was ihm definitiv nicht schmeckte: sie sollten etwas hier erledigen. Im Grunde durften sie nicht auffallen, Tom sollte nicht auffallen. „Maximal 20%“, erklärte er, so als sei das sein letztes Wort. „Um welche ‚Kleinigkeit‘ handelt es sich?“ Noch hatte er nicht zugesagt. Gesetzt hatte er sich auch nicht wieder. Eames Ob Concetta das neue Angebot von 20% schmeckte oder nicht, ließ sie nicht nach Außen dringen. »Ihr treibt Geld für mich ein.«, antwortete sie schlicht. »Der Mann hat keinen Respekt vor Frauen. Er besitzt eine Bar im Parco delle Colombare. Wenn er nicht zahlen kann, nehmt einfach ein bisschen den Laden auseinander. Dürfte für euch ja kein Problem sein.« Arthur Arthur schwieg, überdachte den Plan. Er hasste so etwas. Nicht unbedingt nur die Handlung selbst - die auch - vor allem das Kurzfristige. Allerdings war da dieser Nebensatz, der ihn kitzelte und seine Entscheidung bereits festgelegt hatte. ‘Der Mann hat keinen Respekt vor Frauen.‘ Arthur ging ein solches Verhalten gegen den Strich, selbst wenn es nur gemeint wäre im Sinne von „Der Typ nimmt Frauen als Geschäftspartner in diesem Metier nicht ernst.“ - was Arthur stark vermutete. Angesichts der Tatsache, dass sie nicht auffallen sollten, war es aber dämlich, sich auf so etwas einzulassen. Arthur blickte nun zu Eames. „Was meinst du?“, fragte er. Tom konnte die Situation sicher besser einschätzen. Eames Eames atmete hörbar ein und aus. Die altbekannte, nachdenkliche Grube zwischen seinen Augenbrauen war wieder aufgetaucht. »Machbar.«, gestand er zu. Er hatte kein Problem damit irgendwelche Arschlöcher zu verprügeln. Oder zumindest den Anschein von gewaltsamen Konsequenzen zu erwecken. Eigentlich machte ihm das sogar Spaß, weil ihn das ein wenig an alte Gangster-Filme aus der Prohibition erinnerte. Al Capone, die Kray-Brüder und Konsorten. »Was schuldet er dir?« »13.000. Ich würde selbst gehen, aber ich bin damit beschäftigt eure Liste abzuarbeiten.«, der Hauch eines Lächelns umspielte ihre schmalen Lippen. »Dann sind wir wohl im Geschäft.«, schlug Eames vor, der seinen Blick wieder Arthur zugewandt hatte, um ihm die Möglichkeit eines letzten Wortes zu lassen. Arthur Arthur nickte leicht, nachdenklich. Na gut, dann degradierten sie sich eben zu Handlangern. Er wusste schon, warum er das Dream-Sharing bevorzugte, um an Geld zu kommen. Es war weniger dreckig. Irgendwie lagen ihm die Spaghetti im Magen. „Gut, dann 10000€ Anzahlung, das Restgeld mit 20% Aufschlag und die 13000€, wenn wir in 20 Stunden unsere Sachen bekommen“, fasste er zusammen. Als sie wenig später wieder bei ihrem Wagen ankamen, atmete Arthur tief durch. Sie hatten noch auf 25% verhandelt. Er hat die Anzahlung via Handy direkt überwiesen. Dann waren sie gegangen. Arthur zündete sich schnell eine Zigarette an. Sein Blick glitt über die Häuserfassaden am gegenüberliegenden Ufer. „Lass uns den Wagen abgeben und etwas anderes besorgen. Wenn wir im Hotel sind, besprechen wir, wie es weitergeht, ok?“ Er brauchte eine kurze Pause, um seinen Unmut loszuwerden. Mit einem neuen Wagen, den sie gebraucht gekauft hatten, parkten sie schließlich vor dem Lady Capulet Apartments. „Es gibt gar kein Rosengitter“, stellte Arthur bedauernd mit einem Blick die Fassade hinauf fest. „Zu schade…“ Das schmucke italienische Eckhaus unweit der Arena, in dem sie diese Nacht verbringen würden, bot mehr Luxus, als es Arthur erwartet hatte. Schade eigentlich, dass sie rein geschäftlich hier waren. Der Point Man ließ sich auf dem Sofa nieder und packte seinen Laptop aus, um sich ein wenig über ihr ‚Ziel‘ zu informieren. Er wusste, dass Eames so etwas nicht brauchte. Und im Grunde wusste er auch, dass ihr ‚Dienst‘ für Concetta dessen Sache war – so wie er das vermutlich schon mal in ähnlicher Weise für sie oder andere gemacht hatte. Für sich brauchte er das Recherchieren, und die Zeit für sich selbst, die damit einherging. Außerdem konnte er auch gleich mal schauen, ob Ariadne ihm etwas geschickt hatte oder jemand versucht hatte, ihn zu erreichen. Vielleicht lenkte ihn das von seiner miesen Laune ab. Eames Arthur nickte leicht, nachdenklich. Na gut, dann degradierten sie sich eben zu Handlangern. Er wusste schon, warum er das Dream-Sharing bevorzugte, um an Geld zu kommen. Es war weniger dreckig. Irgendwie lagen ihm die Spaghetti im Magen. „Gut, dann 10000€ Anzahlung, das Restgeld mit 20% Aufschlag und die 13000€, wenn wir in 20 Stunden unsere Sachen bekommen“, fasste er zusammen. Als sie wenig später wieder bei ihrem Wagen ankamen, atmete Arthur tief durch. Sie hatten noch auf 25% verhandelt. Er hat die Anzahlung via Handy direkt überwiesen. Dann waren sie gegangen. Arthur zündete sich schnell eine Zigarette an. Sein Blick glitt über die Häuserfassaden am gegenüberliegenden Ufer. „Lass uns den Wagen abgeben und etwas anderes besorgen. Wenn wir im Hotel sind, besprechen wir, wie es weitergeht, ok?“ Er brauchte eine kurze Pause, um seinen Unmut loszuwerden. Mit einem neuen Wagen, den sie gebraucht gekauft hatten, parkten sie schließlich vor dem Lady Capulet Apartments. „Es gibt gar kein Rosengitter“, stellte Arthur bedauernd mit einem Blick die Fassade hinauf fest. „Zu schade…“ Das schmucke italienische Eckhaus unweit der Arena, in dem sie diese Nacht verbringen würden, bot mehr Luxus, als es Arthur erwartet hatte. Schade eigentlich, dass sie rein geschäftlich hier waren. Der Point Man ließ sich auf dem Sofa nieder und packte seinen Laptop aus, um sich ein wenig über ihr ‚Ziel‘ zu informieren. Er wusste, dass Eames so etwas nicht brauchte. Und im Grunde wusste er auch, dass ihr ‚Dienst‘ für Concetta dessen Sache war – so wie er das vermutlich schon mal in ähnlicher Weise für sie oder andere gemacht hatte. Für sich brauchte er das Recherchieren, und die Zeit für sich selbst, die damit einherging. Außerdem konnte er auch gleich mal schauen, ob Ariadne ihm etwas geschickt hatte oder jemand versucht hatte, ihn zu erreichen. Vielleicht lenkte ihn das von seiner miesen Laune ab. Arthur Ariadne hatte tatsächlich geschrieben. Sie brauchte Zahlen von ihm, schickte eine ganze Liste mit Fragen, die es zu entscheiden galt. Zudem bat sie ihn um ein Telefonat, damit sie wisse, ob es ihm gut ginge. Er schickte ihr verschlüsselt eine Nachricht, dass alles gut wäre und er die Fragen alsbald beantworten würde. Dann machte er sich daran, über jenes Restaurant im Parco delle Colombare mehr heraus zu bekommen. Aber wie immer war das in Italien nicht so einfach. Letztlich hatte er Fotos und Bilder, wusste immerhin, wie derjenige aussehen würde, dem sie die schlechten Manieren austreiben sollten. Als er die Badezimmertür hörte, blickte er auf die Uhr. Seine Laune war noch immer nicht besser, eher im Gegenteil. Der leichtbekleidete Mann nervte ihn mit seiner bloßen Anwesenheit, seiner Ruhe, seinem ‚Ist doch alles egal!‘. Gleichzeitig fragte er sich, warum er sich wegen Concetta überhaupt aufregte, wegen diesem Zusatz an Arbeit, der laut Eames sicher ein... Arthur blickte nicht auf, als jener zu reden begann. Und da war es auch schon das Wort: Kinderspiel Arthurs Kiefer knirschte - nichtehelichen als der Bildschirm seines MacBooks umgeklappt wurde. Eilig wechselte er das Programm und drückte er die Tastenkombination, die Speichern würde, was Ariadne ihm geschickt hatte. Dann blickte er finster auf, zunächst nicht die Finger von der Tastatur nehmend. genießen...?! Arthur duckte sich unter dem Versuch eines Kusses weg, zog seinen Laptop an sich und stand auf, um ihn wegzupacken. Der Kerl hatte Nerven! „Genießen kann ich den Tag erst, wenn wir diesen Scheiß hinter uns gebracht haben“, entgegnete er knapp. Wieder kam in ihm die Frage auf, was genau ihn daran störte. Er war schließlich hier unterwegs, um einige Leben auszulöschen. Was störte ihn dann an blutigen Nasen? Vermutlich der Fakt, für wen er es tat. Er entschied gerne selbst. Eames Er hatte ja ein wenig damit gerechnet abgewiesen zu werden. Arthur war bereits den ganzen Tag angespannt... dabei war noch überhaupt nichts passiert! Und das eigentliche Schauspiel lag noch in berechenbarer Ferne, also wieso nicht kurz inne halten? Er stützte sich auf der Lehne der Couch ab, um nicht vollends nach vorn zu fallen und schürzte unzufrieden die Lippen. Herausgefordert trappelte Eames dem Stressmeister hinterher, stellte dabei die Flasche im Vorbeigehen auf dem Wohnzimmertisch ab. Er packte seinen Liebsten von hinten an der Hüfte und streichelte mit den Daumen über die fühlbaren Spitzen seiner Hüftknochen, während sich seine Finger mit sanftem Druck in seine Leisten drückten. »Ich helf' dir dich zu entspannen.«, hauchte er in Arthurs Nacken, als hätte er nicht gehört was dieser gesagt hatte und drückte sich von hinten an ihn. Arthur Arthur haderte mit sich. Sollte er duschen gehen? Darauf drängen, den Job hinter sich zu bringen? (Wobei es dafür vermutlich einfach zu früh am Tage war - wobei sie dann weniger Schaulustige und Querschläger hatten - Er hasste es!) Oder sollte er auch ein Bier trinken und wirklich etwas runterkommen? Als er Eames hinter sich hörte, wollte er sich zu ihm umdrehen, um ihm anzubieten, nach einer Dusche mit ihm etwas die Stadt anzuschauen, als er schon die Hände an seiner Hüfte spürte, die Finger seine Leiste entlangtasteten fühlte, den Körper des anderen an seinem Rücken, die Lenden an seinem Gesäß... Eames Atem rann über die Haut in seinem Nacken. Arthurs Mund verzog sich unwillig, seine Zungenspitze leckte gereizt über seinen Eckzahn, während er schnaubte, sich drehte und Eames mit dem Ellbogen eine in die Seite verpasste, ihn von sich stieß. „Lass das!“, fauchte er. „Mir ist ganz und gar nicht danach. Hörst du mir nicht zu, Arschloch?“ Ja er war wütend. Unabhängig davon, dass er die vergangene Nacht (und auch die Autofahrt) noch in den Knochen spürte - er hatte gerade so absolut keine Lust auf dergleichen Entspannung. Nicht, wenn sein Kopf ganz woanders war. “Ich will mich nicht entspannen. Ich will diesen Scheiß hinter uns bringen, für diesen verfickten Drachen. Danach sehen wir weiter.“ Eames Er gab einen überraschten Laut von sich, als Arthur ihn in den Rippen traf und ließ unverzüglich von ihm ab. Er hielt sich die empfindliche Stelle einen kurzen Moment, auch wenn er genau wusste, dass die Knochen nicht so schnell wieder brechen würden. In anderen Situationen hätte er diesen Move noch als Vorspiel gewertet, aber unter diesen Umständen und in Anbetracht dieses gefährlichen Untertons Arthurs Stimme... Er knurrte etwas, das wie »Bloody bastard...« klang und wandte sich mit leicht gekrümmter Haltung von Arthur ab. »Hab verstanden.«, gab er zum besten und machte eine abwinkende Geste mit der Hand, während sich ein spitzes Lächeln auf seinen Zügen formte. Er richtete sich wieder auf, während er langsam zu der hölzernen Treppe ging, die in den Schlafbereich hinaufführte. »Geh schon mal duschen, damit wir los können. Ich besorg's mir selbst in der Zeit.« Das Handtuch glitt ihm achtlos von den Hüften, während er die Stufen hinaufstieg. Arthur Nein, Mitleid hatte er keines, während er den anderen anfunkelte. Zum Glück hatte der von ihm abgelassen, veranstaltete jetzt aber dieses alberne Possenspiel, so als habe er ihn wirklich schmerzhaft erwischt. Fasst wäre ihm ein „Stell dich nicht so an, Mimose!“, rausgerutscht. Aber er wollte es sich dann doch nicht ganz mit Eames verscherzen - ok, das bereute er sogleich, als er den Fluch hörte. (Dass er ihn gerade selbst beschimpft hatte, war ihm dabei nicht präsent) Eine Mischung aus amüsiertem Lachen und genervtem Schnauben entwich ihm, währender dem schönen Rücken hinterhersah, der sich langsam wieder zu ganzem Stolz aufrichtete und ihm zu verstehen gab, dass er es sich bereits verscherzt hatte. Gerade als er sich abwenden wollte, um... irgendwas zu tun, hörte er den Kommentar. Einen Moment erstarrte er. So genau konnte er gar nicht sagen, wie diese kleine nachgebildete Statue von der Kommode in seine Hand kam. Sie flog jedenfalls dem anderen hinterher Richtung Treppe (wo sie zerschellte) - zusammen mit einem: „Ja, geh und fick dich selbst! Dann hab ich wenigstens meine Ruhe vor dir, du elendiger Scheißkerl! Kannst ja an deine so liebreizenden Marcella denken!“ Das „Hurensohn!“, schob er leiser hinterher, während er zum Bad stapfte und in eben diesem verschwand. Dort blickte er sich missmutig um. „Wie schaffst du es nur, immer so ein beschissenes Chaos zu hinterlassen?!“, fluchte er laut. Das Wasser lief lange über sein Gesicht, bevor er nicht mehr das Gefühl hatte, ganz dringend auf irgendwen einschlagen zu wollen. Aber vielleicht sollte er sich genau dieses Gefühl aufbewahren für das, was sie nun erledigen sollten. Zum Glück hatte er sich schon vorher etwas zum Anziehen zurechtgelegt. Hätte er hoch gemusst, wäre er vermutlich lieber nackt geblieben. So aber trat er schließlich geduscht und angekleidet aus dem Badezimmer, ging zu seinem Koffer und schnallte sich den Waffengurt um, in dem er zwei hineinstecken konnte, was er danach auch tat. „Ich wäre dann soweit“, erklärte er halblaut. Den Kommentar, der ihm noch auf der Zunge lag, schluckte er hinunter. Eames Er war fast oben, als irgendetwas laut scheppernd unter ihm zerbrach und ihn zusammenfahren ließ. Ein rascher Blick auf die unteren Stufen verriet ihm, dass Arthur der Kragen geplatzt war – die verbale Attacke folgte auf dem Fuße. »Oh, danke für die Erinnerung, darling!«, warf er provokant zurück und hoffte sehr, dass sie sich noch ein wenig streiten und angreifen würden. Wenn die Versöhnung so wie letzte Nacht würde, lohnte es sich. Eine Sekunde später hörte er allerdings schon die Badtür zuknallen und weitere höchst amüsierende Flüche. Tja, interessante Frage, die Arthur da stellte. Das Chaos verfolgte ihn offenbar, aber wichtiger zu klären war doch wohl: wer von beiden die größere Klatsche weg hatte. Er hatte ein Hemd mit Paisleymuster gewählt von dem er wusste, dass Arthur es hasste. Jetzt plötzlich Frieden zu stiften lag ihm fern, immerhin hatte Arthur ihn abgewiesen (das tat seinem Ego nicht gut)! Vollkommen bekleidet kam er die Treppen wieder herunter und ignorierte die Scherben großzügig, die unter seinen Schuhsohlen knirschten. »Ich wäre dann soweit« »Bist du sicher?«, er überblickte den Raum gespielt argwöhnisch; hatte ein wenig von einem Sitcom-Moment, der nur darauf wartete, dass jemand die Taste für Klatschen und Lachen drückte. »Der Großteil vom Zimmer ist doch noch heil.« Sie fuhren, auch wenn sie wahrscheinlich kurz vor einem weiteren Ausbruch standen, als sie an der Hotelrezeption vorbei liefen. Schließlich hoben sie ihren Ärger für Signore Davoli auf und fuhren mehr oder weniger schweigend zum Parco delle Colombare. Eames würde sich schon noch revanchieren, dachte er. Der Schuppen hatte noch nicht geöffnet und sah aus, als könnte er eine Grundsanierung gebrauchen. Einige Dachziegel waren herabgefallen und lagen zerdeppert auf dem Vorhof. Sie waren nur halbherzig beiseite gefegt worden, um den Gästen einen sicheren Zugang zur Bar zu ermöglichen, welche nach außen hin vergittert war, solange geschlossen war. Das breite Getränkeangebot war dahinter zu erkennen und sah mit bunten Lichtern, Plastikblumen und Marienstatuetten geschmückt. Es gab Stühle und Tische, die auf einer hölzernen, aufgequollenen Außenterrasse zwischen aufklappbaren Sonnenschirmen standen. Der Innenbereich schien weitaus kleiner zu sein; wozu auch wenn das Wetter meistens gut war? Trotz des relativ ungepflegten Looks, eine Bar in die sich Eames unter normalen Umständen gern für ein paar Stunden mit Sonnenhut und Zeitung gesetzt hätte, um sich gemütlich einen hinter die Binde zu kippen. Vielleicht Blickkontakt mit potenziellen One-Night-Stands aufzubauen; Urlaub eben. Bei den warmen Temperaturen hatte er die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt und trug eine gelbbraune 80er Jahre Sonnebrille, die wahrscheinlich straight aus einer Folge Magnum kam. »Anscheinend sind wir zu früh.«, stellte er fest und verkniff sich den vorwurfsvollen Unterton – immerhin wären sie wahrscheinlich genau pünktlich gewesen, wenn sie sich noch ein bisschen im Hotel bespaßt hätten. Arthur »Bist du sicher? Der Großteil vom Zimmer ist doch noch heil.« Arthur überging den Seitenschlag geflissentlich. Nein, er würde sich nicht gleich wieder provozieren lassen. Gelassen drehte er sich ihm zu, wollte ihm einen gleichgültigen Blick zuwerfen, der aber bei weitem nicht so gelang, als er Eames ansah. Der soeben im wahrsten Sinne des Wortes ‚heruntergespülte‘ Unmut war quasi im selben Moment wieder da. Dieses Hemd! Das war pure Absicht. Er hätte in der Zeit, als Tom untergetaucht war, alle Hemden von ihm verbrennen sollen! Das wäre die Gelegenheit gewesen! Arthur ließ sich jedoch nichts anmerken, überprüfte den Sitz seiner Waffen und zog dann das Jackett darüber, so dass man sie nicht direkt sah. „Der Rest folgt später - wenn es so weitergeht“, sagte er trocken und verließ das Apartment. Arthur hatte Eames fahren lassen (er hatte beim Autokauf ja auch einfach selbst bestimmt, welcher Wagen es sein sollte) und die Fahrt über aus dem Seitenfenster geblickt. Nun stiegen sie vor einer Bruchbude aus – verglich man mit dem Haus, in dem Concettas Restaurant vorzufinden war. Allein daran merkte man, wer hier in der Stadt besser dastand. Dafür, dass hier Touristen eine Einnahmequelle sein könnten, war es wirklich schäbig. ‚Da passt wenigstens das Hemd her‘, dachte er im Stillen bei sich, während er Eames vor sich hergehen ließ, der zur Terrasse ging und sich ein Urteil bildete, ob jemand da war. Arthur blickte sich um. Ein zucken an der Gardine, ein Wagen in der Hofeinfahrt, der zur Hälfte auf den Bordstein ragte und nicht mehr in die Einfahrt zu passen schien, generell ein Hinterhof. „Oder genau richtig“, knurrte er. „Lass uns mal in den Hinterhof blicken. Ich wette, da werden wir fündig.“ Ohne auf Eames Antwort zu warten, ging er zu eben jenem Auto, ein kleiner Fiat, schäbig wie die Bar aber die Musikanlage war erneuert worden, die Boxen ließen vermutlich das ganze Auto vibrieren. Davor stand ein schnittiger Alfa Romeo mit roten Ledersitzen und getönten Scheiben, weshalb der Fiat wohl nicht weiter hatte vorfahren können. „Ich denke, wir sind nicht der einzige Besuch.“ Er blickte Tom fragend an. Der Alfa zeugte von Wohlstand, der in etwas anderes als in die Bar gesteckt wurde. Der Fiat wirkte wie von einem jungen Handlanger, der ihnen Ärger bereiten könnte. Das Fenster über ihnen ging auf und eine aufgebrachte Frauenstimme ergoss einen Schwall Italienisch über ihnen. Vermutlich, was sie hier machten und ob sie sich verlaufen hätten. Arthur verstand kein Wort und blickte zu Eames. Seine Scheiße – sollte er doch zusehen, wie sie weiterkämen. Eames Auf den einen oder anderen Seitenhieb würde Eames nicht verzichten können, aber auch er war lang genug um Geschäft, um professionell zu sein, wenn er musste. Er schob die Hände in die Hosentaschen, während die fette, goldene Armbanduhr an seine linken Handgelenk noch immer gut sichtbar herausragte. Sein Point Man machte ihn auf die Autos aufmerksam; ein guter Hinweis. Vielleicht war Davoli nicht allein, das war unbedingt zu berücksichtigen. Die Frau, die von oben auf sie herab plapperte lenkte Eames jedoch von den Fahrzeugen ab. Er hatte etwas Schwierigkeiten jedes einzelne Wort der Dame – er schätzte sie auf Anfang-Mitte-40, trotz ihrer Make-up-Bemühungen – zu verstehen, aber der Kontext war klar: dass sie sie zu Tode erschreckt hatten, weil sie um so eine komische Uhrzeit im Innenhof herum schlichen und dass sie gar nicht erst nach Maria fragen sollten, schließlich wäre sie vergeben und das sei auch gut so! Eames lächelte charmant und erklärte ihr in geschmeidigem Italienisch, dass sie Signore Davoli suchten. Während er auf Arthur und sich deutete, gab er ihr zu verstehen, dass sie da waren, um ihm bei der geplanten Restauration seines Lokals zu helfen und dass sie die reizende Dame sicherlich nicht währen der Mittagsruhe stören wollte. Wo er bei Arthur versagt hatte, schien er zumindest bei dieser etwas ärmlicheren Version von Donatella Versace zu punkten. Sie bat die Herren zu warten und kaum war sie vom Fenster weggetreten war ihr Geplapper dumpfer, von etwas weiter aus ihrer Wohnung zu hören. Eames tauschte einen Blick mit seinem Kollegen und nickte ihm selbstsicher zu, ehe er seinen Blick wieder nach oben richtete. Die Lady kehrte zurück und verwies die beiden, es doch einmal von hinten zu versuchen. Der Laden habe einen Hintereingang, den man durch den Hof erreichen könnte. Erst jetzt viel Eames auf, dass ein violettes Veilchen auf ihrer Wange thronte; deswegen die ganze Schminke. Eames bedankte sich und gemeinsam bahnten sie sich ihren Weg. »Wenn er nicht auf unsere Forderungen reagiert, knüpfe ich ihn mir vor. Ich brauche dich, wenn er Schwierigkeiten macht.«, dabei deutete er mit zwei Fingern auf die Stelle an der Arthur seine Waffe im Holster trug. Insgeheim hoffte er jedoch, dass dies nicht notwendig sein würde, aus zwei Gründen, um genau zu sein. Der erste war simpel: er war aufgestachelt genung um Signore Davoli so richtig die Wurst warm zu machen. Selbst wenn er im Augenblick ruhig wirkte, brodelte es in ihm und er spürte, wie sich sein Nacken versteifte. Der andere Grund lag etwas tiefer, vielleicht zum Teil unbewusst, aber es fiel ihm noch immer schwer sich Arthur in der Rolle des Geldeintreibers vorzustellen. Er hatte das Gefühl noch immer nicht abgelegt ihm noch viel beibringen zu müssen... »Sind wir d'accord?« Arthur Immerhin schien Eames zu versehen, was die Frau überschwänglich von sich gab. Arthur musterte währenddessen ungerührt ihr Gesicht und die Worte Concettas kamen ihm erneu in den Sinn. ‚Der Mann hat keinen Respekt vor Frauen.‘ In gewisser Weise hatte es etwas Gutes, dass er noch immer wegen Eames geladen war – er hatten den Moment, in dem er unüberlegt seiner Wut freien Lauf ließ, bereits hinter sich. Nun hatte er sich wieder unter Kontrolle, in Erwartung darauf, einen Grund zu bekommen, kontrolliert seine Wut zu entladen. Als die Frau nach Innen verschwand, wunderte sich Arthur. Seine Hand hob sich etwas, bereit, seine Waffe zuziehen, falls sie gleich unangenehm aufgefordert werden würden, zu gehen. Doch die Italienerin kehrte ans Fenster zurück, so als habe sie nur überprüfen wollen, ob ihr Mann in der Wohnung war. Als Eames sich ihm zuwandte, runzelte er leicht die Stirn. War jener sich so sicher, dass die Frau nicht durchschaute, was sie hier zu tun gedachten? Er wusste ja nicht, was Eames gesagt hatte, aber es musste wohl gut durchdacht gewesen sein, wenn jener so zuversichtlich war. In diesem Moment kehrt sie zurück. Entweder die stark geschminkte Frau war eine gute Schauspielerin oder aber sie war wirklich unbedarft, was ihre Anwesenheit betraf. Offenbar sollten sie den Hintereingang benutzen. Arthur folgte vor die viel genutzte Tür, die um den Türgriff ziemlich Farbe gelassen hatte. Er war versucht, bereits jetzt die Pistole zu ziehen. Irgendwie vertraute er einer Frau, die im Zweifel wieder geschlagen wurde, falls sie ihrem Mann in den Rücken fiel, nicht. Als Eames sich ihm noch einmal zuwandte, zog sich seine Stirn kraus. Nett von ihm, dass jener nicht wollte, dass er sich die Hände schmutzig machte! Doch er hörte nur zu gut wieder den leisen Ton des „Lass das mal den Groß(artig)en machen!“ heraus? Aber wenn der Kerl Schwierigkeiten machte, dann durfte er ihn heraushauen, oder wie? Arthur überlegte einen Moment, zuckte dann mit den Schultern. „Wenn du meinst“, entgegnete er nur. Lieber nicht jetzt das Diskutieren anfangen. Lieber hinterher aufs Butterbrot schmieren – schmeckte meistens besser. Er nicke in Richtung Tür: nach dir! Die Tür quietschte etwas in den Angeln, führte sie zunächst in einen schmalen Flur, von dem einige Türen abgingen. Die Küche ging direkt als erstes zu Seite weg. Alles blieb ruhig. Wo das Klo war, roch man ziemlich eindeutig. Doch sie folgten den Stimmen, die aus einem Raum am Ende des Flurs zu kommen schienen. Arthur meinte drei verschiedene ausmachen zu können. Der typische italienische Singsang, bei dem man nicht genau wusste, ob die Männer sich gleich umbringen würden oder dabei waren, sich um den Hals zu fallen. Einen Moment blickten sie sich an, dann öffnete Eames die Tür... Im Grunde ging es sehr schnell. Anstatt dass sie eine Gruppe Männer antrafen, die gemeinsam beieinanderstanden und sich unterhielten, trafen sie auf drei Männer, die ihnen die gezückten Waffen entgegenhielten. Also hatte sie dort oben doch Alarm geschlagen. Arthur hatte bereits seine eigene Waffe in der Hand, blickte abwartend von einem zum anderen. Ja, er wusste, weshalb er solche Aktionen hasste. Eames Eames' Ausdruck war ehrlich überrascht, als ihm die Fremden ihre Kanonenläufe entgegen hielten. Er hob die Hände, aber nicht in Kapitulation, sondern eher in souveräner Schlichtung. »Kommen wir gerade ungelegen?«, fragte er nonchalant und bedeutete Arthur, mit einer raschen Bewegung seiner rechten Hand und einem eindringlichen Blick, die Waffe zu senken. Wären sie jetzt in einem Traum wäre es leicht ihm die Schuld für das Schlamassel zugeben. In der wirklichen Welt musste er leider geradestehen. Der kleine in der Mitte, dessen Haar sich ab der Stirn aufwärts zu verflüchtigen begann, passte auf Davolis Beschreibung. Die anderen beiden wirkten wie die obligatorischen Cousins, die man sich einlud, wenn man Stress erwartete. Ein hagerer Kerl mit Bandana um seine Glatze gebunden und ein etwas jüngerer, ungefähr so alt wie Arthur, in Muscle-shirt und Jogginghose. »Verpisst euch.«, knurrte Wahrscheinlich-Davoli und fletschte die prägnant gelben Biberzähne. In Eames' Kopf spielte Hoocked on a Feeling von Blue Swede. Die Situation war absurd, also konnte er nichts anderes tun, als absurd zu reagieren. Er stieß ein Lachen aus. »Das musst ein Missverständnis sein. Dieses verdammte Schlampe, da draußen!«, auch wenn Arthur kaum Italienisch sprach, wusste er wahrscheinlich was Puttana, bedeutete. Er gestikulierte wild während er sprach; wie ein aufgedrehtes Hühnchen; versuchte die Aufmerksamkeit allein auf sich zu ziehen. Dabei warf er Arthur kurz einen warnenden Blick zu. Wieso hatten sie bisher noch nicht gelernt, wie man telepathisch kommunizierte? Er hätte ihn gern darauf vorbereitet, dass er dabei war einen waghalsigen Move zu machen, aber wie es eben häufig im Business war... ab und zu musste man die Suppe mit der Gabel essen. Die Erwähnung der „Schlampe“ hatte Davoli offenbar hörig gemacht, aber keine Spur von Wohlgefallen - wenigstens hatte er seine Aufmerksamkeit. Die beiden Jungs links und rechts neben ihm, sahen ihn verkrampft an. »Spiel keine Spielchen, ich weiß, dass Concetta euch schickt.“«, kläffte der Kleine in der Mitte. »Ach, jetzt tu nicht so, Diego! Ich bin's, Francesco, dein Cousin!«, er machte ein paar wiegende Schritte auf Davoli zu und öffnete die Arme. Die anderen beiden zuckten und richteten ihre Waffen auf Eames, doch dieser schritt souverän weiter voran. Diese Typen waren keine Mörder. Bei dem jüngeren war er sich sogar ziemlich sicher, dass er höchstes mal im Hinterhof auf Dosen geschossen hatte. Er konnte nur auf seine Intuition vertrauen und auf das unverschämte Glück, dass ihn verfolgte. Die Aufpasser wollten sich ihm in den Weg stellen, Davoli war mittlerweile hochrot geworden und brüllte unverständliches Zeug aus seinen aufgeblasenen Backen, doch Eames ließ sich von nichts mehr aufhalten. Er machte einen gewagten Sprung nach vorn und schlang seine Arme mit aller Kraft um den kleineren Mann, wobei er auch den Arm einklemmte, indem Davoli seine Waffe hielt. Schüsse lösten sich. Einer davon aus Davolis Waffe. Eames stöhnte vor Anstrengung, als er den dicken Mann herumriss, um sich selbst hinter ihn zu manövrieren und ihn als lebendes Schutzschild zu benutzen. Er kannte Arthur gut genug, um zu wissen, dass er ihm nicht sagen musste, was er zu tun hatte. Arthur Schlichtung wäre schön und vermutlich war es den Versuch wert, doch Arthur sah schwarz. Sie waren erwartet worden. Der kleine Untersetzte (um höflich zu bleiben) hatte ein Gesicht, das von Hinterlistigkeit zeugte - zum Reintreten und Wohlfühlen. Der lange Dünne sah dumm aus, Marke Troll. Der kleine Sportliche zuckte nervös mit dem Augenlied - hatte wohl heute seine Tabletten vergessen. Nein, Arthur würde die Waffe nicht senken, da könnte Eames ihn noch so bohrend anblicken und mit der Hand herumfuchteln. Er ignorierte Blick und Geste geflissentlich. Seine Augen lagen auf den drei Männern, von denen keiner so zögern würde, sie zu erschießen. Das Lachen irritierte ihn kurz, während er überlegte, wer wohl zuerst schießen würde. Was hatte Davoli denn gesagt? Einen kurzen Moment blickte er irritiert zu Eames, als dieser die Dame, die in den Farbtopf gefallen war, zu bleidigen schien. (Bei Fremdsprachen lernte man neben Bitte, Danke und Hallo stets zuerst die Schimpfwörter) Ihre Blicke trafen sich, doch er verstand nicht, was er ihm erklären wollte. Was um Himmels Willen wollte Eames denn damit bezwecken, verdammte Scheiße!?!?!?! Skeptisch sah er dabei zu, wie Eames begann auf Davoli zuzulaufen. Was machte der Idiot da?! Wollte er sich einfach abknallen lassen? So große Jenseits-Sehnsucht?!?! Arthurs Augen verengten sich, während er krampfhaft versuchte, abzuwägen, wessen Finger am nervösesten war. Sein Lauf wechselte vom kleineren Nervösen zu Davoli. Der Troll war im Kopf zu langsam. Arthurs Kiefer pressten sich aufeinander, während Eames weiter auf den Fiesling zuging. Wie um alles in der Welt, sollte er ihn so beschützen?!? Warum, verdammter Mist, lief er ihm auch noch ins Schussfeld?!? Sicher, alle waren abgelenkt, aber das war doch Irrwitz!!! Der Kleine würde zuerst schießen, schoss es ihm durch den Kopf, als er begriff, was Eames vorhatte. Tom ging deshalb auf ihn zu! Um ihn aus dem Konzept zu bringen, ihn handlungsunfähig zu machen? Arthur zielte auf den Gummiball. Nun war es an jenem zu reagieren. Arthur fixierte diesen, während Eames irgendwas von einem Cousin faselte. Richtig, er hatte recht! Beide richteten ihre Waffe auf Eames. Arthurs Herz schlug heftig gegen die Brust. Er durfte sich keinen Fehler erlauben. Mit einer Mischung aus Faszination und purem, aus Sorge hervorgerufenem Zorn beobachtete er, wie Eames seinen Plan zu Ende brachte und es schaffte, dem Kleinen so nahe zu kommen, dass er ihn zu fassen bekam. Nun war es an ihm, die anderen beiden in Schach zu halten. Mit einer Spur von Erleichterung sah er, wie Eames hinter dem Alten in Deckung ging, bevor die beiden anderen wirklich begriffen, was vor sich ging. Ein Schuss löste sich nun doch – es war der Nervöse gewesen. Arthur sah keine Notwendigkeit mehr, sich zurückzuhalten. Er schoss dem Schützen in die Schulter, sprang auf ihn zu, und nutzte den Moment des Schmerzes, um ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen. Noch bevor der wirklich begriff, schlug er ihm unter das Zwerchfell auf den Solar plexus – Eames war ein guter Lehrer gewesen. Der Körper vor ihm sank zusammen, dann fiel ein weiterer Schuss, Glas zersprang, Arthur drehte sich und duckte sich zeitgleich, hechtete sich hinter einen der massiven Holztische, den er mit sich zog, so dass die Tischplatte ihn schützte. Hatte der andere auf ihn oder auf Eames gezielt? Doch jener war hinter dessen Boss. Auf diesen würde der Vollpfosten doch nicht schießen, oder? Er schluckte, blickte sich um, als weitere Schüsse fielen und er das Holz hinter sich erbeben spürte. Also doch auf ihn… Sein Blick blieb im Spiegel hinter der Theke hängen, in dem er den anderen gut sah. Kurz Luft holen, abwarten…. Er richtete sich auf, drehte sich, zielte auf den Oberschenkel des Trolls und schoss, ging wieder in Deckung. Er hörte ein Stöhnen, einen Schrei. War da eine Blutlache am Boden gewesen? Irgendetwas dunkelrotes rann über den Boden. Er schluckte. „Eames!“, schrie er. „Eames! Alles in Ordnung?“ Er lauschte. Wenn er nicht direkt antworten würde, dann würde er den Troll und Davoli erschießen. Dann durfte er keine Zeit verlieren, nachzusehen, ob mit Tom alles in Ordnung war. Arthur schoss in dem Moment, in dem genau dieser abdrückte, offenbar aber zu unkontrolliert und vermutlich aus Versehen, so dass dessen Kugel ein Bild an der Wand traf. Arthur hingegen traf genau: ein klares Einschussloch an der Schläfe. Die Waffe fiel zu Boden, der Körper sackte in sich zusammen, fiel unwirklich laut auf den dreckigen Steinboden. Arthur drehte sich, blickte dem Troll ins Gesicht, der vollkommen perplex zu ihm starrte und nun auf ihn zielte. Arthur schoss - verfehlte und traf die Schulter, so dass dieser schreiend zu Seite taumelte. In diesem Moment hörte er einen weiteren Schuss, duckte sich reflexartig in der Drehung, sah, dass Eames Davoli festhielt, sich mit ihm drehte und hinter ihm Schutz suchte. Blöd war nur, dass sie genau diesen lebend brauchten, wenn sie noch Geld von ihm haben wollten!!! Arthur schwor sich, dass er Eames nachher höchst persönlich den Wunsch eines baldigen Todes erfüllen würde - wenn das hier vorbei war! So eine gottverdammte Scheiße! Concetta hatte vermutlich gehofft, sie oder Davoli loszuwerden. Dieser ganze Mist hier, war genau das, was sie gewollt hatte!!! Arthur drehte sich, sprang zur Seite und duckte sich hinter den Tresen, als er sah, dass der Dümmliche rasend vor Wut die Waffe erneut hob, auf ihn zielte und ein ums andere mal abdrückte. Hinter ihm zersprang Glas, roter Wein ergoss sich auf dem Boden, bildete eine Lache - wie Blut. Eames Der erste Schuss, der aus Davolis Waffe kam, ging höher, als Eames erwartet hatte. Wahrscheinlich hatte er verzweifelt versucht den Mann zu treffen, der ihn mit seinen starken Armen in einem schraubstockartigem Griff festhielt. Zum Glück war Arthur bestens ausgebildet (Eames selbst hatte ihm schließlich auch einige Manöver beigebracht) und kümmerte sich souverän um den Grünschnabel. Nachdem dieser sich vorerst kaum rührte, nahm Arthur Deckung vor Bandana. So weit die Beobachtung, die er aus dem Augenwinkel tätigte. Alles andere war eher weniger erfreulich. Er spürte den feuchten Leib unter dem teuren Hemd Davolis und roch das aufdringliche Aftershave, ja er konnte sogar beinahe das Schweiß auf seiner Haut schmecken, so nah waren sie sich. Er rang mit ihm, presste seine Hand nach unten. Der Dicke biss ihm in die Brust, woraufhin Eames empört aufschrie und etwas knurrte, das wie "bloody bastard" klang – irgendwie wäre er lieber mit Arthur intim geworden, als mit diesem schmierigen Waffen-Baron. Ein weiterer Schuss löste sich und durchlöcherte Eames' Schuhspitze, woraufhin er erschrickt aufsprang und Davoli damit mit sich zu Boden riss. Wenig elegant gelang es ihm nun endlich ihn zu entwaffnen. Mit dem Griff der Glock verpasste er ihm einen heftigen Schlag auf die Schläfe. Im gleichen Augenblick fiel ein weiterer Schuss aus Arthurs Richtung und Bandana ging unter Schmerzen schreiend zu Boden. Das wars wohl mit seiner Kniescheibe. „Eames! Alles in Ordnung?“ »Exzellent!«, keuchte er und richtete sich auf. Der Troll versuchte auf ihn zu zielen. Seine Hand zitterte und war Blut überströhmt. Mit einem beherzten Tritt gegen die Waffe flog sie aus seiner Hand und landete unter einem der Stühle an der Wand. Der Mann jammerte und flehte im Namen der heiligen Mutter um Erlösung. »Na, na.«, machte Eames und sah mit einer Mischung aus gespieltem Mitleid und Amusement auf ihn herab. »Sei froh, dass mein Freund so gut zielt.«, erklärte er ihm, freundlicherweise auf italienisch, ehe er sich zu Arthur umdrehte. »Wir brauchen was, um sie zu fixieren. Kabelbinder, Klebeband, Abstellkammer.«, warf er Arthur zu. Davoli bewegte sich derweilen stöhnend auf dem Boden, schien jedoch ganz schön mit der Ohnmacht zu ringen. Der andere Knabe keuchte. »Wir schaffen seine Freunde aus dem Weg, dann reden wir ein Wort mit dem Mister Diabetes Typ 2.« Irgendwie hatte das doch ganz fein geklappt, dachte er selbstgefällig. Er konnte sich ein verschmitztes Lächeln nicht ganz verkneifen, als er verschwitzt und noch immer schnell atmend Arthurs Blickkontakt traf. Sein Fuß tat kaum weh, nur die Stelle an seiner Brust zog; ein recht gutes Ergebnis für die makabere Ausgangssituation. Arthur “Exzellent!“ Arthur atmete erleichtert aus, verfolgte im Spiegel, wie Eames auch den letzten entwaffnete. Langsam richtete sich Arthur auf und sah zu Tom. Die Spuren des Bisses waren auf dem Hemd erst nicht richtig zuzuordnen. War jener doch getroffen worden? Doch irgendwie sah das nicht nach einem Schuss aus. Dafür aber der Schuh. Wie um alles in der Welt konnte denn so etwas passieren?! Arthur schüttelte leicht den Kopf, blickte dann auf die dunkelrote Lache am Boden. Offenbar war eine Weinflasche getroffen worden. Doch die Assoziation, die er einen Moment gehabt hatte, hatte in ihm etwas bewegt, was ihn irritierte. Die klare Anweisung, die er erhielt, ließ ihn diese in den Hintergrund stellen. Als sich ihre Blicke trafen, hielt er diesen einen Moment. Er war erleichtert, dass ihnen nichts passiert war. Die Angst, die er kurz empfunden hatte - besonders nach dem Schrei und dem darauffolgenden Schuss - war bekannt aber unerwartet heftig gewesen. Eigentlich wollte er fragen, ob alles in Ordnung war mit seinem Fuß, mit dem Biss, doch er nickte nur und wich dem Blick aus, tat wie ihm befohlen. Schließlich mussten sie handeln, bevor einer von denen wieder zu sich kam... Arthur trat in den kurzen Flur, öffnete die Tür der Abstellkammer, blickte sich um. Er fand kein Klebeband aber dafür kam er mit Kabelbindern zurück und reichte sie Eames, damit dieser Bandana fixieren konnte. Er selbst kümmerte sich um den Nervösen, der sich zu regen begann, als er ihn drehte und ihm die Hände auf dem Rücken mit Kabelbinder festsurrte. Der Treffer an der Schulter war ein glatter Durchschuss gewesen. Arthur blickte sich um, griff zu einem Geschirrtuch und band einen provisorischen Verband, der zumindest die Blutung etwas aufhalten könnte. Dann richtete er ihn auf, um ihn in eben jene Kammer zu befördern, in der er vorhin die Kabelbinder gefunden hatte. „Kinderspiel!“, knurrte Arthur, als er Eames entgegenging und an ihm vorbei zurück in das Lokal trat. „Das ich nicht lache!“ Jetzt, wo alles glimpflich ausgegangen war, kehrte die Wut von vorhin zurück. Während er Davoli im Auge behielt, wartete er darauf, dass auch Tom mit Bandana fertig war, dann folgte er ihm zurück zu Davoli. Das war jetzt nun wirklich Toms Sache! Eames Während Arthur den jungen Kerl wegschleppte, schnappte sich Eames eine der Flaschen auf dem Thresen; ein recht guter polnischer Wodka. Er befeuchtete eine Serviette damit um sich diese auf die Bisswunde unter sein Hemd zu pressen. Brannte wie die Hölle, aber würde helfen. Danach fixierte er Bandana mit den Kabelbindern, obwohl er jammerte wie ein kleiner Junge und verfrachtete ihn dann zu dem Schlaksigen in die Abstellkammer. »Ich weiß nicht, was du meinst.«, erwiderte er mit waschechter Unschuldsmiene. »Ich bin sehr zufrieden. Damit haben diese Bastarde nicht gerechnet.«, gluckste er und nahm einen Schluck von dem Wodka, den er kurz zuvor noch zur Desinfektion genutzt hatte. Danach reichte er Arthur die Flasche. Signore Davoli versuchte offenbar die Tatsache zu verbergen, dass er bei Bewusstsein war – was auch immer er sich davon erhoffte. Als Eames ihm die Schuhspitze des unverletzten Fußes in die kurzen Rippen drückte, zuckte und wand er sich jedoch auf dem Boden wie eine plötzlich entblößte Made. Keine Chance sich zu verstecken. Gewalt mussten sie ja nun nicht mehr andeuten, immerhin hatten er und Arthur seine Cousins derbe zugerichtet. Und Davoli selbst war auch nicht allzu glimpflich dabei weggekommen. Trotzdem richtete Eames ein paar obligatorische böse Worte an den „frauenverachtenden Wichser“ mit den Forderungen, die sie von Concetta ausrichten sollten. Job erledigt. Als sie den Laden verließen hatten sie ihm immerhin eine kleine Anzahlung von 350 Euro abgezogen. Mehr hatte er nicht in der Tasche gehabt und bevor sie noch mehr teure Flaschen oder Möbel zerstörten, gab Davoli ihnen das Geld freiwillig. »Anscheinend sind wir ein ziemlich gutes Team.«, flötete er, als er den Wagen in Richtung des Hotels lenkte. Für Eames war es offenkundig grandios gelaufen. Er hatte direkt in drei Kanonenläufe gesehen und war trotzdem nahezu unverletzt aus der Geschichte heraus gekommen. Für ihn ein klares Zeichen, dass Fortuna wieder auf seiner Seite war. Alles was ihm jetzt noch zu seinem Glück fehlte war ein kühles Glas Bier und ein Blow-job auf der Rückband... als er Arthur aus dem Augenwinkel so ansah würde ihm aber auch erst einmal ein Lächeln von seinem Boyfriend genügen. Die schlechte Laune konnte er sich gar nicht erklären. Arthur Es war faszinierend, wirklich beeindruckend. Dieser Mann war ein Phänomen. Ein wenig beneidete er ihn dafür, das musste Arthur sich eingestehen - nur ein kleines bisschen. Ansonsten machte es ihn rasend! Wie schaffte es Eames immer wieder, ja wirklich ausschließlich im Hier und Jetzt zu leben und alles andere komplett auszuschalten? Alles, was vergangen war - auch wenn es nur ein, zwei Stunden zurücklag? Alles, was schief gelaufen war...? Was unangenehm war? Wenn er an Tokyo dachte, konnte er vielleicht auch sagen: ausblenden, was schön gewesen war, aber nicht mehr bestand? Vielleicht war das seine einzige Möglichkeit, mit all dem klar zu kommen, was ihn sonst zerstören würde. All der Mist und die Scheiße, die ständig passierte in seinem kaputten Leben. Vielleicht war das der Grund, weshalb Arthur ihn in gewisser Weise dafür bewunderte, vielleicht sogar beneidete: er konnte das nicht so einfach. Er konnte Dinge, die nicht exakt so verliefen, wie er das wollte, oder anderes, was schieflief, nicht einfach ausblenden, vergessen, verdrängen. Zumindest nicht so schnell und mit dieser Leichtigkeit, mit einem Lächeln auf den Lippen, einem dummen Spruch. Meist kamen diese Sachen nach einer gewissen Zeit wieder hoch... Vermutlich war das der Grund, warum sein eigenes Leben sich so oft so kaputt anfühlte... Dass Tom zufrieden gewesen war, hatte er gemerkt. Hatte eigentlich nur das fröhliche Pfeifen von ‚Don‘t worry! Be happy!‘ gefehlt. Die Flasche hatte Arthur ihm etwas perplex abgenommen. Kurz war er sogar versucht gewesen, sich einen Schluck zu gönnen. Aber Alkohol machte das Drama auf zwei Beinen gerade für ihn auch nicht besser. Und so war die Flasche auf die Theke gestellt worden. Besser machte es, dass er etwas durchschnaufen konnte, während Eames Davoli klar machte, dass er Concetta gefälligst das Geld geben solle. Arthur hatte sich bei dem Gedanken erwischt, seine Wut, oder eher sein „Genervt-Sein“ an jenem abzureagieren - etwa eine Millisekunde. Doch er war ja nicht derselben Barbarei verfallen wie manch Anderer, der das brauchte, um klar zu kommen, und so besann er sich und schwieg, bis sie schließlich mit ein paar Dollars mehr in Eames‘ Tasche aufbrachen. Es war gut, dass Arthur etwas runtergekommen war, sonst hätte der Spruch vom ‚Guten Team‘ ihm vermutlich sauer aufgestoßen. So aber hob er zweifelnd die Augenbrauen, schnaubte abfällig und blickte aus dem Fenster. Kurz hatte er ein Grinsen unterdrücken müssen. So ganz ohne Spaß war die Aktion ja auch nicht gewesen – wenn er ehrlich war… was er aber nie zugeben würde. Gutes Team Ihm kam die Szene in Tokyo in den Sinn, die Szene, die sie sich gemeinsam noch einmal angesehen hatten, das Billardspiel. Ja, verdammt. Sie waren eigentlich ein gutes Team. Damals, vor ihrem Bruch vielleicht mehr als heute, aber eigentlich waren sie echt gut. (Dass er diese Art von Jobs generell nicht wirklich mochte, stand auf einem anderen Blatt.) In der Erinnerung damals hatte er Eames etwas Ähnliches gesagt: dass sie ein gutes Team wären, sogar das beste sein könnten. Die Erinnerung war darin geendet, dass sie sich geküsst hatten, er sein Verlangen nicht mehr unter Kontrolle gehabt hatte und sie schier wortlos beschlossen hatten, es miteinander zu versuchen. Manchmal schien genau das unmöglich, manchmal gab es einen Hoffnungsschimmer, manchmal waren sie sich tatsächlich nah. Arthur blickte aus dem Fenster, kaute etwas auf seiner Unterlippe und schluckte weiter seinen Unmut herunter. Gewiss musste Tom auch oft wegen ihm schlucken. Rational betrachtet war es eine Schnapsidee, dass sie es versuchten. Nun ja. Immerhin stimmte es, dass sie aus dieser von Anfang an beschissenen Situation das Beste gemacht hatten. Toms Irrwitz hatte die Situation letztlich entschärft, Arthur hatte dafür gesorgt, dass es so blieb. Tom hatte einen Biss abbekommen und ein Loch im Schuh (hoffentlich nicht mehr), Arthur dafür zwei Menschen angeschossen. Als er den Blick des anderen spürte, sah er zu ihm und erwiderte diesen schon deutlich entspannter. „Lass uns ins Appartement gehen und deinen Fuß und diesen Biss ansehen. Dann hätte ich nichts gegen ein gemütliches Essen. Ich muss allerdings später noch ein paar Sachen für Ariadne machen.“ Sie waren ins Apartment zurückgekehrt. Während Tom geduscht hatte, hatte Arthur die Scherben ihres Streits beseitigt. Als er hörte, dass die Dusche ausging, war er ins Bad gegangen, um sich die Verletzungen anzusehen. Eames hatte stillgehalten, bis er ein Pflaster auf der Brust hatte. Als Arthur von diesem aufblickte, war er es, der Tom küsste und dieser ließ ihn zum Glück nicht auflaufen. Zwischen Verarzten und Essengehen passte wunderbar noch etwas Leidenschaft. ‚Love, love is a verb Love is a doing word Fearless on my breath Gentle impulsion Shakes me, makes me lighter Fearless on my breath Teardrop on the fire Fearless on my breath...‘ Sie hatten die Waffen und ihr Equipment ohne weitere Probleme erhalten. Arthur war noch eine gute Stange Geld losgeworden. Concetta schien sehr zufrieden, während Arthur distanziert und kühl blieb. Offenbar hatte Davoli noch an diesem Abend die Schulden beglichen. Nein, er mochte für so etwas nicht benutzt werden. Sicher hatte er schon Druck auf andere ausgeübt, um Dinge durchzusetzen. Er hatte ähnliche Dinge für Cobb getan, auch getötet. Doch da war er nicht erpresst worden. Dom war ein Freund, war Familie. Bereits seit einigen Stunden waren sie wieder auf dem Weg gen Süden. Arthur hatte bis spät in der Nacht noch gearbeitet, während er den ruhigen Atemzügen des anderen gelauscht hatte. Es war ein seltsames, ungewohntes Gefühl als er spürte, wie er sich nachts an den Körper des anderen klammerte. Doch nur so schienen die Bilder, die der über den Boden fließende Wein in seinem Kopf freigesetzt hatte, im Hintergrund bleiben zu können. Bilder und eine Angst, die er früher nie gespürt hatte. Es war ein ähnliches Gefühl gewesen wie vor gut einem halben Jahr. Das Gefühl, das er gehabt hatte, als sie auf der ersten Traumebene in diesem Taxi unter Beschuss gewesen waren, als das Heckfenster zerschossen worden war und er einen Moment Angst gehabt hatte, Eames sei getroffen worden, während er damit beschäftigt gewesen war, die Barriere der Autos irgendwie zu durchbrechen. Er hatte keine Angst um Fischer gehabt, nicht um Cobb, Yusuf oder Ariadne. Es war nur Eames, nach dem er gerufen hatte. Nach den anderen hatte er pro forma gefragt. Damals hatte er sich damit rausreden können, dass er Sorge gehabt habe, dass ihnen der Forger gleich Hops gegen würde und damit ihr Plan zunichte wäre. Eigentlich wusste er es besser. Der Gedanke, Tom geschieht etwas und er hätte es verhindern können, machte ihm seit jeher Probleme. Jetzt mehr denn je. Früher hatte er es besser im Griff gehabt, sehr gut im Griff gehabt. ‘Es ist nicht einfacher geworden.‘ Diese Angst löste vermutlich auch diese Bilder aus, Erinnerungen an eine dunkle, schwarze Zeit. Eine Zeit, in der es ihm nicht gut gegangen war, in der er fast das Träumen verloren hätte, in der Eames eine Rolle gespielt hatte, ohne dass es jenem auch nur ahnte. Es war nur sein Unterbewusstsein, das diesen hatte kommen lassen. Die Erinnerungen daran hatte er vergraben wollen, hatte Barrieren errichtet, hatte sich lange Zeit genommen, um sich mental wieder zu festigen, um das nie wieder erleben zu müssen. Es war heute bei weitem nicht das wie damals, aber die Bilder waren aufgetaucht. Etwas, was Arthur fast noch mehr ängstigte, als die Sorge die er gestern gespürt hatte. Arthur hatte aus dem Fenster gesehen, blickte nun Tom an, der schon die ganze Strecke fuhr. Es roch nach Kaffee, den sie sich noch mitgenommen hatten. „Wann kannst du mir von Archie erzählen?“, fragte er ihn unvermittelt. ‚Und von den Meeresungeheuern, die dich heimsuchen, den andren Kriegsschaulätzen in deinem Leben und warum du mich in Tokyo aus dem Traum geschmissen hast und danach so lange nichts von dir hast hören lassen?‘, fügte er in Gedanken hinzu. Die Erinnerungen an den Billard-Abend, das Eames-Haus, das sie seitdem nicht mehr angesprochen hatten, hatten die Gedanken aufkommen lassen, dass sie eigentlich noch immer so viel zwischen ihnen stand. So viele Dinge, die vielleicht auch dafür sorgten, dass er sich so oft über Tom ärgerte. Eames Diese Minuten in denen sie ein bisschen zärtlich zueinander waren, nachdem sie gemeinsam die bösen Jungs vermöbelt hatten, ließ Eames sich noch mehr in Arthur verlieben. Auch wenn er das nur schwer für möglich gehalten hätte, aber es schien noch einen kleinen Unterschied zwischen seinem erträumten Idealbild von Arthur und der Realität zu geben: die Realität war anstrengender, aber trotzdem in jeder Hinsicht besser. Der Deal lief glatt. Concetta schien ihnen wohlgesonnen zu sein, deswegen behielt sich Eames ein paar Kröten von Davoli ein; eine Art Schmerzensgeld; um sich und Arthur später ein feines Abendessen kaufen zu können. Immerhin hatte der Sugar-Daddy ja bisher alles bezahlt, da wollte er zumindest ansatzweise etwas zurückgeben. Sie verabschiedeten sich noch von Marcella, welche sowohl Eames, als auch Arthur einen Abschiedskuss gab. Natürlich im richtigen Moment, damit ihre Mutter nichts mitbekam. Im Radio lief A Horse With No Name von America, was erstaunlich gut zu Eames' Roadtrip-Stimmung passte. Sein Daumen tippte im Takt auf dem Lenkrad, während er gut gelaunt mit sang: »I've been through the desert on a horse with no name It felt good to be out of the rain In the desert you can remember your name 'Cause there ain't no one for to give you no pain~« Die Frage von rechts traf ihn unvermittelt. Ihm war nicht mehr nach mitsingen, aber sein Daumen tippelte noch immer weiter auf dem leicht abgegriffenen Lenkrad des Mietwagens, wenn auch nur in halbherzigem Takt. Offenbar hatte Arthur tatsächlich gesehen, woran sich Eames mittlerweile nur noch schemenhaft erinnern konnte. Er hatte geträumt als er in seinem Koma lag; offenbar hatte sein Geist oder Bewusstsein oder was auch immer hart darum gekämpft wieder die Kontrolle zurück zuerlangen und war dabei durch die eine oder andere persönliche Hölle gegangen. Schlau von Arthur sich einfach einzuklinken, um ihn wach zu rütteln. Nun musste er jedoch mit den unangenehmen Konsequenzen leben... »Archie...«, er sprach den Namen langsam und vorsichtig aus. Fühlte sich komisch an, nach so langer Zeit. Es war unsinnig zu fragen woher genau Arthur diesen Namen kannte. Er hatte seine Alpträume gesehen, ganz klar. Fraglich nur wie viel er gesehen hatte. Sein Blick haftete noch immer auf der Straße, als er weiter sprach. »Archie war ein Freund. Wie du weißt hat er's nicht geschafft.« Vielleicht war es besser das Thema schnell zu beenden, dachte er und hielt Ausschau nach einem Rastplatz. Noch 20 Kilometer... das würde selbst mit Vollgas noch ein paar Minuten dauern. Arthur Die Veränderung in Toms Körperhaltung, seinem Gesicht, seiner ganzen Ausstrahlung war frappierend. Dass seine Frage Tom sicher nicht begeistern würde, war ihm bewusst gewesen. Ja, im Grunde hatte er auch schon mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet. Sie dann jedoch zu sehen, war dann doch erstaunlich. Man merkte das körperliche Unwohlsein, das jenen auf dem Sitz rutschen ließ. Man sah die Unruhe, die ihn befiel, am ernsten, ja fast düsteren Gesichtsausdruck. Die Augen schienen unruhig umher zu wandern, einen Ausweg zu suchen. Die Hände wirkten verkrampfter am Lenkrad zu liegen. War das Ehrfurcht oder Furcht, die Eames den Namen so aussprechen ließ? Arthur konnte es nicht genau sagen. Es wirkte seltsam. Kurz hatte er das Gefühl, als würde Tom mit sich hadern, ob er leugnen solle oder nicht. Noch immer hatte er ihn nicht ansehen können, während Arthurs blick unverwandt auf dem Gesicht des anderen ruhte. Er hatte das Gefühl, dass wenn er die Aufmerksamkeit nicht bei Tom behielt, jener ihm entgleiten würde, sich aus der Situation winden würde wie ein Aal. Die Antwort, die er nun erhielt – oder vielmehr die Aussage zu der Tom bereit war (denn die Frage beantwortete er nicht damit) – zeigte deutlich, dass jener sich schwertat, darüber zu reden. Aber so leicht würde Arthur nicht nachgeben. Sicher, mit der Brechstange würde er auch nicht eine Antwort erzwingen. Doch er würde ihn auch nicht so einfach ausweichen lassen. »Archie war ein Freund. Wie du weißt hat er's nicht geschafft.« Arthur schwieg einen Moment, wartete darauf, dass Tom fortfuhr zu erklären, und gab ihm gleichzeitig etwas Zeit, sacken zu lassen, dass er das Thema angesprochen hatte. „Im Grunde weiß ich gar nichts“, sagte er leise, ohne Anklage. „Ich weiß nicht, ob das so real war oder nicht“, sagte er schließlich. „Dass er es nicht geschafft hat – ja, das war mir vermutlich klar. Die Frage ist nur: was ist das ‚es‘, das er nicht geschafft hat? Und vielleicht ist auch die Frage: warum hat er es nicht geschafft?“ Er überlegte einen Moment, dann sagte er noch. „Bist du für seinen Tod verantwortlich, oder fühlst du dich nur dafür verantwortlich?“ Das war ein Unterschied. Arthur hatte lange über diese Szene nachgedacht, hatte über diese ganzen Situationen viel nachgedacht. Er wusste nicht, ob Tom Archie in dem Traum getötet hatte, wie er es damals offenbar hatte tun müssen, oder ob es nur aus einem Gefühl resultierte, für den Tod für den jungen Mann verantwortlich zu sein. Eames Seine Eingeweide fühlten sich an wie ein fiebriges, krampfiges Schlangennest. Wenn Eames richtig vermutete hatte Arthur einen Blick auf den vielleicht düstersten Augenblick in seiner Geschichte geworfen. Und das war weiß Gott kein gutes Gefühl. Er spürte den Drang Arthur dafür anzufahren, dass er sich ungefragt Zugang zu seiner Privatsphäre verschafft hatte und dann auch noch unverschämte Fragen stellte. Missmutig kaute er auf der Innenseite seiner Backe herum, aber antwortete zunächst nicht. »Du hast Recht, darling.«, begann er schließlich nachdem Arthur geendet hatte. Seine Stimme klang bitter-heiter. »Du weißt nichts.«, dabei klang er jedoch nicht halb so angriffslustig, wie er selbst vermutet hätte. »Es wäre besser, wenn das so bliebe, glaub mir. Aber ich schätze das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen.« Er spürte einen Kloß im Hals und vernahm ein stetes Rauschen in seinen Ohren, das definitiv nicht aus dem Radio kam. Eames dachte daran, wie gut er und Arthur zusammenarbeiteten. Wie sie als Team funktionierten, auch wenn sie selten einer Meinung waren. Wie sie einmal im Traum in Mombasa im Ring rumgemacht hatten und an das letzte gemeinsame Frühstück in New York kurz bevor sie sich Jobs vorgeknüpft hatten. Er dachte an das Eames-Haus. Dann dachte er an seine Zeit in Ramadi, mit Archie und Richard und seinen anderen Kameraden. Er fragte sich, ob er überhaupt noch ein ganzer Mensch war oder ob er damals sein altes Ich einfach zurück gelassen hatte und nun jemand ganz anderes war. »Ich hab' ihn umgebracht, das ist Fakt. Der Film in meinem Kopf, den du mitansehen musstest, ist keine Metapher. Sie hatten uns sechs Tage lang gefoltert. Wir haben Kamelpisse getrunken, um nicht zu verdursten.« Er holte tief Luft, befeuchtete seine trockenen Lippen. Den Blick trüb nach vorn gerichtet. »Die Kerle, die uns festhielten, haben mir die Wahl gelassen. Ich durfte mir aussuchen, ob ich Richard, Archie oder mich selbst erschieße. Richard hat mich angebettelt: „Bitte, bitte Thomas, ich habe zwei kleine Mädchen, Louise und Ann, ich muss zurückkehren“ und ich hab geheult -...«, er wurde immer leiser während er sprach »Und Archie hat gesagt: „Bitte nicht, meine Mutter hat ein Tablettenproblem. Wenn ich nicht zurückkomme, bringt sie sich um, das darf ich meinem Dad nicht antun.“ - Tja und dann war da ich. Auf mich hat niemand gewartet und meiner Familie war es herzlich egal, ob ich aus Ramadi zurückkehre, oder nicht. Aber ich hatte solche Angst... Ich weiß nicht mehr wieso ich mich ausgerechnet für Archie entschieden habe.« Mittlerweile liefen die Nachrichten im Radio, aber Eames nahm sie kaum wahr. Sie waren nicht mehr als italienisches Genuschel im Hintergrund. »Stellt dich das zufrieden, Arthur?«, fragte er bitter. Er fühlte sich nackt und kalt und das lag sicherlich nicht an der Klimaanlage. Das Schlangennest wand sich weiterhin schmerzhaft ineinander irgendwo unterhalb seines Zwerchfells. So fühlte es sich also an darüber zu sprechen... eine Erfahrung, auf die er gern verzichtet hätte. Arthur Arthur gab Tom die Zeit, die er brauchte, um zu antworten und schwieg. Dass jener antworten wollte, überraschte ihn fast ein wenig. Oder würde er noch versuchen, sich herauszuwinden? Zumindest fuhr er ihn nicht direkt an, dass es ihn nichts anginge – das war schon mal etwas. Ein Versuch kam dann doch, eine Antwort zu umgehen. Doch es war halbherzig und schließlich schien Tom selbst zu ahnen, dass er nicht drumherum kommen würde. Dass Arthur ihn gar nicht gebeten hatte, ihm diese Geschichte direkt zu erzählen, sondern eigentlich gefragt hatte, wann er bereit dazu wäre, sie ihm zu erzählen, schien Eames gar nicht zu bemerken. Arthur wagte daraus zu schließen, dass, egal wie unangenehm es jenem war - und man sah deutlich, dass es ihn wirklich mitnahm -, jener vermutlich unbewusst schon das Bedürfnis hatte, darüber zu reden. Arthur war kein Therapeut und er verstand sich nicht als solcher. Gott bewahre! Vermutlich brauchte er viel dringender einen, als es Tom tat. Aber so viel meinte er schon zwischen den Zeilen lesen zu können. Dann begann Tom zu erzählen. Arthur blickte ihn an, sah den Schmerz, den jener empfand, während er erzählte, spürte den Schmerz, den er selbst empfand, weil er ihn so sah. Die Erzählung war heftig, ehrlich und grausam. Die Gefühle, die sie hinterließ, tiefgreifend. Arthur kannte den Blick, mit dem Tom stur geradeaus blickte. Er kannte ihn von sich selbst. Es war der Blick, den Männer haben, wenn sie wissen, dass sich ihre Persönlichkeit geändert hat, weil sie Dinge getan haben, die man nicht rückgängig machen kann. Wenn sie das nicht erkennen, zerbrechen sie irgendwann daran. Er konnte Archie nicht wieder lebendig machen. Sich das einzugestehen, war aber nicht einfach. Tom kämpfte vermutlich seit dem Moment damals gegen das Zerbrechen an. Ob die Taktik, die er fuhr, aufging, lag nicht an ihm zu bewerten. Doch es erklärte viel. Die Risikobereitschaft, die selbstzerstörerischen Situationen, in die jener sich so oft brachte. Die Ruhelosigkeit und auch sein Talent, Momente des Glücks zu zerstören. Fakt war, dass ein schmaler Grad zwischen Trauer und Schuld verlief. Manchmal hatte man auf diesem schmalen Grad das Gefühl, dass der Tod einfacher sei, als die Agonie des Lebens. Nur war Tom eben nicht der Typ Mensch, der sich das Leben selbst nehmen konnte. Die wenigsten waren das. Untersuchungen haben gezeigt, dass in den Gaskammern der Nazis die Leichen der Stärkeren auf denen der Schwächeren gelegen hatten. In ihrem Überlebenskampf haben die meisten versucht nach oben zu kommen, um noch länger Sauerstoff zu haben - ohne an die anderen zu denken. Vermutlich hoffte Tom, ihm nähme jemand diese Bürde ab. Doch der Tod oder all die schlimmen Dinge, die Eames immer wieder wiederfuhren, waren gewiss nicht so etwas wie eine ‚gerechte Strafe‘. Tom hatte trotz allem jedes Recht der Welt, glücklich zu sein! Dieser prägende Punkt in seinem Leben erklärte sogar, warum jener in Momenten, die Arthur in Gefahr brachten, auf Abstand ging, ihn hinausbeförderte, ihm nichts zutraute. Es erklärte den unbändigen Wunsch, ihn stets vor allem schützen zu wollen, ihn nicht dabei haben zu wollen, wenn es eng wurde Selbst seine Art zu leben, erklärte es. Rastlos, nur im Moment, möglichst komfortabel, ohne ein Gedanke an morgen oder gar gestern. Die Handlung des anderen zu verurteilen, lag Arthur fern. Der Krieg war kein Platz der Moral. Im Krieg musste man handeln. Man hat keine Zeit, sich in Frage zu stellen. Wenn man nicht handelte, dann starb man. Die Moral musste woanders angesetzt werden. Bei den Machern, die daheim auf dem Sofa lagen und ihren Scotch genossen, während die Soldaten zu Mördern gemacht wurden, zu Werkzeugen für Verbrechen, für die sich die Machthaber nicht verantworten mussten. Oder bei Männern, die andere dazu zwangen, Freunde umzubringen, die Freunde dazu zwangen, eine Wahl zu treffen. Thomas hatte in einer Situation eine Entscheidung gefällt, bei der die Wahl, die er gehabt hatte, im Grunde gar keine Wahl gewesen war. Leben war gleichwertig, auch das eigene. Es gab niemanden, der mehr wert war als der andere. Diese Wahl war nur eine weitere Folter gewesen. Eine Folter, deren Folgen man den anderen beiden Soldaten für ihr Leben lang mitgegeben hatte. Verletzungen heilten, hinterließen Narben, aber heilten. Eine zerstörte Seele regenerierte sich vermutlich nie. Bei Thomas nicht, weil er hatte entscheiden müssen, weil er sich über das Leben eines Freundes hatte stellen müssen. Bei Richard, weil dieser sein Leben genauso dem Tod von Archie verdankte, nur dass er nicht hatte handeln müssen. Arthurs Hand hatte sich gehoben. Die letzte Frage überging er einfach. Er hatte nicht gefragt, um zufrieden zu sein. Er hatte gefragt, um verstehen zu können. Seine Finger strichen Tom zärtlich durchs Haar, kraulten ihm einen Moment im Nacken. Sicher empfand er etwas wie Mitleid. Aber das war nicht das primäre Gefühl in ihm. Etwas ganz anderes stand ihm im Sinn. Ein Gedanke, der ihm ein flaues Gefühl im Magen bescherte. Hätte Tom sich damals anders entschieden, hätte Tom damals sich dafür entschieden, sich zu opfern, damit die anderen beiden leben konnten, dann wären sie sich nie begegnet. „Es mag vielleicht seltsam - oder egoistisch- klingen. Aber ich bin froh, dass du hier bist. Auch wenn wir uns noch nicht gekannt haben, habe ich das Gefühl, schon damals auf dich gewartet zu haben.“ Dieses Gefühl, komplett zu sein, wenn sie sich nahe waren, dieses Gefühl konnte ihm kein anderer Mensch geben. „Ich hätte dich mein Leben lang vermisst.“ Seine Hand ergriff die Hand des anderen am Lenkrad, zwang sie mit sanftem Druck, loszulassen. Seine Finger verhakten sich in die des anderen, dann führte er sie zu seinem Mund und küsste den Handrücken. „Danke, dass du es mir erzählt hast.“ Erst jetzt glitt sein Blick wieder nach vorne. Die Hand des anderen ließ er nicht los, hielt sie, so dass Tom selbst entscheiden konnte, ob er sie wieder haben wollte oder nicht. Der Rastplatz wurde für in 5km angekündigt. „Wenn du magst, kannst du rausfahren. Ich übernehme eine Weile.“ Eames Tatsächlich fühlte Eames eine Art Erleichterung nachdem er diesen finsteren Fetzen aus seiner Vergangenheit zum ersten mal losgeworden war. Obwohl sein Bauch schmerzte, weil sich sämtliche Eingeweide noch immer zusammen zuziehen schienen, fühlte er eine neue Leichtigkeit. Dieses sachte Kraulen an seinem Hinterkopf und seine Worte; „Ich hätte dich mein Leben lang vermisst.“; entblößten ein Gefühl der Geborgenheit, dass Eames in diesem Augenblick glaubte nicht verdient zu haben und doch so sehr ersehnte. Er hielt seine Hand und streichelte Arthur zart mit dem Daumen, bis sie den nächsten Rastplatz erreichten. Die Luft war feucht und nicht allzu heiß, als sie ausstiegen. Es hatte kurz geregte. Eames öffnete einen weiteren Kopf seines Hemdes und strich sich das angefeuchtete Haar zurück. Er schritt um den Wagen herum auf Arthur zu und obwohl er den Blickkontakt vermied, enthüllte sich ein ehrliches, kleines Lächeln auf seinem Gesicht. Es war der Beweis dafür, dass er OK damit war, was er preisgegeben hatte, aber behielt sich den Schmerz vor, den er bei dieser Erinnerung empfand. Ohne etwas zu sagen, schloss er die Distanz zwischen ihnen und küsste ihn sanft, während seine Hände sich mit sanftem Druck an Arthurs Hüfte und Seite legte. Cross over and turn Feel the spot don't let it burn Er schlief ein bisschen nachdem Arthur das Steuer übernommen hatte, immerhin hatte er angeboten die Nacht durch zufahren. Außerdem fühlte sich sein Körper plötzlich ausgelaugt und müde an, nach so vielen Offenbarung und dem Vertrauen, das er dafür aufbringen musste. Besser erst einmal ruhen und nicht überlegen, dachte er kurz bevor er endgültig wegdimmerte. Denn er spürte wie sein Fluchtreflex in ihm aufschwoll. We all want we all yearn Be soft don't be stern Arthur Arthur warf einen kurzen Blick zur Seite. Eames schlief, hatte zumindest die Augen geschlossen, sich wieder verschlossen. Die ruhigen Atemzüge verrieten, dass er vermutlich wirklich schlief. Er war froh darum. Sicher, er hatte noch viele Fragen, vieles, das er wissen wollte, Dinge, die mit Archie und der Situation in Ramadi zusammenhingen. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Er hatte so viel erfahren, mehr denn je. Arthur war sich sicher, dass da noch viel viel mehr war. Das kam ein anderes Mal, wenn überhaupt. Arthurs aufrechte Haltung sank etwas in sich zusammen. Er wechselte in die rechte Spur und drosselte das Tempo etwas, maß den Abstand zum nächsten Lkw. Es war nicht viel los, sie waren noch ein gutes Stück von Rom entfernt. Dann schloss er die Augen, nur kurz zum Luftholen. Sein Herz hatte so schmerzhaft heftig geschlagen nach diesen (seinen) Worten, als er merkte, dafür nicht verlacht zu werden. Das Kribbeln in seinem Magen fühlte sich seltsam an, während die Hand fester gegriffen hatte, die seine nicht losließ. Er war so atemlos gewesen, nach diesem Lächeln, das er so schon sehr sehr lange nicht mehr gesehen hatte - wenn überhaupt. Seine Knie waren so weich nach diesem Kuss, der so voll ehrlicher Zärtlichkeit und Zuneigung gewesen war, dass es ihn fertig gemacht hatte. Hatte er das überhaupt verdient? Arthur schlug die Augen wieder auf, stützte den Ellbogen des linken Arms am Fenster auf und strich sich mit der freien Hand übers Gesicht. Gefühlt waren sie sich noch nie so nahe gewesen wie in diesem Moment. Sie hatten ihrem something mehr Tiefe, mehr Verbindlichkeit, mehr Bedeutung gegeben - er, weil er gefragt hatte; Tom, weil er es ihm erzählt hatte. Seine Worte schienen auch nicht ganz verkehrt gewesen zu sein, auch wenn er im Nachhinein betrachtet gar nicht richtig darüber nachgedacht hatte. Die Worte waren einfach da gewesen. Arthur dachte, an ihr Gespräch auf dem Sofa, als er nach dem Grund gefragt hatte, weshalb Tom nicht nach London konnte. Damals hatten sie abgebrochen, er hatte nicht weiter gefragt. Er hatte Angst gehabt vor der Antwort - und vermutlich vor den Konsequenzen der Antwort. Diese Angst spürte er jetzt auch. Etwas in ihm hatte Angst vor diesem Wissen, dieser Bindung, dieser Tiefe, diesen Gefühlen. Etwas in ihm hatte ihn in diesem Kuss begreifen lassen, dass er nun endgültig verloren war in dem Chaos, das ein Leben mit Thomas Eames mit sich brachte. Er musste wirklich aufpassen, dass er sich darin nicht verlor. Mal hatte ihm das einmal gesagt. Sie hatte ihm gesagt, er solle sich nicht verlieren. Arthur bremste scharf, als sich plötzlich ein Auto vor ihn schob. Er hatte nicht gesehen, dass es geblinkt hatte. Er schüttelte den Kopf, versuchte diese Gefühle und Gedanken zu vertreiben, die ihn ablenkten. An sich war diese Nähe ja nichts Schlimmes, eigentlich war es ... schön - irgendwie. Aber... - Ja, was aber? Er biss sich auf die Unterlippe. Themenwechsel! Wenn sie die Nacht durchfuhren, so wie Tom es geplant hatte, wären sie morgen früh auf Sizilien, könnten ihren Plan in die Tat umsetzen. Spätestens da befand sich Tom in Lebensgefahr. Wenn sie in Palermo ankamen, mussten sie eine Lagerhalle finden, musste er ins Casino gehen, die Informationen mussten gestreut werden. Jesse hatte Jobs bereits Informationen zukommen lassen. Sicher bekamen sie bald eine Nachricht, wann jener den Flieger besteigen würde. Der Stein war bereits ins Rollen gebracht. Bald mussten sie nur noch darauf warten, dass beide Parteien am Ort X erschienen und das Geschehen seinen Lauf nahm. Sollten sie sich nicht noch ein wenig Zeit gönnen? Zumal sie die Straße von Sinai nachts ohnehin nicht passieren konnten. Es gab nur Pläne bis zum Punkt X. Alles, was danach kam, war nicht planbar. Nichts. Hatte Tom nicht gefragt, wie er seinen Geburtstag nachfeiern wollte? Er erinnerte sich an versprochenen Strand, Rotwein - oder waren es Cocktogewesen? Ihm war gerade mehr nach Zitrone, Salz und Tequila! Vielleicht sollten sie sich nach Neapel bevor sie in das Gebiet von Jobs’ Familie kamen, irgendwo ein Zimmer nehmen in einem kleinen Küstenort, sollten sich noch einen Abend, eine Nacht gönnen, etwas trinken, leben, sich lieben - bevor der Suicide Squad loszog, um zu versuchen, dem ein Ende zu setzen, was Tom blockierte, freier Atmen zu können. Klang gut, vermutlich wäre auch Tom einverstanden. Seine Gedanken gingen zu den Waffen über, zu den Dingen, die er damit anstellen konnte. Er überlegte, welche Bedingungen ihr Ort X haben musste, wie er vorgehen wollte. Etwas südlich von Rom wachte Tom wieder auf. Sie aßen etwas Kleines, Arthur bestand darauf, weiterzufahren. Sie sprachen etwas über ihr Vorgehen auf Sizilien, das Thema Casino mieden sie. Nach Neapel fuhr Arthur mit den Worten „Brauch ne Pause!“ von der autostrada, schlug den Weg Richtung Küste ein. Vor einem Supermarkt hielt er und drehte sich zu Tom. „Du besorgst Zitronen und Salz und was du sonst so magst“, sagte er und schnallte sich ab. Vermutlich war Tequila nicht mehr up to date, aber er mochte das Zeug und die Kombi. Und es weckte Erinnerungen an einen Job in Mexiko vor langer Zeit. „Ich den Tequila. Sizilien kann noch warten. Außerdem hast du mir eine Geburtstagsfeier versprochen.“ Eames Die Gespräche über den Job taten gut, lenkten ab. Eames konnte sogar beinahe das Gefühl loswerden sich entblößt zu haben. Dass Arthur nicht mehr nachfragte beruhigte und verunsicherte ihn zugleich. Er wusste, dass er so oder so ein gewisses Antiheld-Image hatte, aber so konkret vor Arthur zu werden ging ihm an die Substanz. Hier ging es nicht um dumme Anmachsprüche, waghalsige Schlägereien oder Missbrauch irgendwelcher Substanzen. Diese Seite von ihm war düsterer als die Nacht und vor ein paar Stunden hatte er ihm einfach davon erzählt. So normal die anderen Gespräche im Vergleich auch wirkten, machte es Eames dann doch nervös, dass Arthur nicht mehr über die Verhältnisse wissen wollte unter denen Archie gestorben war. War es Höflichkeit, Unsicherheit oder blanke Abscheu? Eine Pause und Tequila schienen auch das zu sein, was Eames in diesem Augenblick brauchte. Er grinste schief und salutierte spielerisch. »Jawohl sir.«, aber schon, als er Arthur den Rücken zu drehte, um auszusteigen, bereute er die militärische Anspielung. Es versetzte ihm einen kalten Schauer und einen Kloß im Hals, er sich erfahrungsgemäß nur mit literweise Alkohol auflöste. Auf dem Parkplatz des Supermarktes war es voll. Viele Neapler wollten vor dem Wochenende und kurz vor Ladenschluss noch einkaufen. Die Temperaturen waren gerade in einen erträglichen Bereich gefallen. »Ich schau mir die Stände da vorne an, die haben sicherlich Zitronen.« Zwar packten die Händler auf der anderen Seite der Straße gerade zusammen, aber er war sich ziemlich sicher, dass sie nicht abgeneigt sein würden noch ein paar Geschäfte zu machen. Außerdem brauchte ein ein bis drei Zentimeter Abstand von Arthur. Vielleicht auch Kilometer. Oder Flugmeilen. »Ich komm gleich nach.«, mit diesen Worten stagste er davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er fand Zitronen. Und einen Liquor-Store um die Ecke, wo er sich ein paar Kurze und eine kleine Flasche ekliges Zeug besorgte, das einen Arsch voll Umdrehungen hatte. Genau das richtige für seine Bedürfnisse. Eine halbe Stunde später kehrte er zum Wagen zurück. Dass er bereits leicht einen im Tee hatte konnte er ganz gut verstecken. Darin übte er sich, seit er ein Teenager war. Tatsächlich half ihm das dumpfe Gefühl hinter der Stirn sich etwas zu entspannen. Nicht fortzulaufen, auch wenn es sicherlich in diesem Augenblick ein leichtes gewesen wäre über alle Berge zu verschwinden. Wenn er es darauf angelegt hätte, wäre er nie mehr von irgendwem gefunden worden. Aber noch riss er sich zusammen. Nicht, dass er sich allzu viel aus seinen eigenen Versprechen machte, aber Arthur vertraute ihm (ob er das sollte, sei mal dahin gestellt). Durchhalten. Noch ein wenig. »Auf zum Strand!«, flötete er heiter, ohne jede Form der Erklärung und winkte mit seiner blauen Plastiktüte, in der sich noch ein paar Überraschungen mehr verbargen als Salz und Zitronen. »Ich will den Vesuv sehen.« Arthur »Jawohl sir.« Arthur blickte irritiert, doch Tom hatte ihm bereits den Rücken zugedreht, er schaute ihn auch nicht mehr an, nachdem er ausgestiegen war und ihm erklärte, dass er zu dem Marktplatz hinüber gehen wolle, um die Sachen zu besorgen. Arthurs Augenbrauen zogen sich zusammen, während er dem breiten Rücken und wiegenden Gang hinterhersah. Irgendetwas lief gerade sehr schief. Das Gefühl, das damit einherging, war ihm vertraut und hinterließ einen sehr bitteren Geschmack. Was machte er schon wieder falsch? Arthur ging strategisch durch den Supermarkt, wusste er doch, was er wollte. Wasser, Tequila (keinen billigen), Crissini (die mochte er so gerne), Oliven, Käse, Salami (damit der Magen nicht nur mit Alkohol gefüllt werden würde) - nicht zu vergessen: ein paar Schachteln Zigaretten. Eine seltsame Unruhe befiel ihn, die nicht weniger wurde, als er an der Kasse anstand und es nur sehr schleppend voranging. Das rege Treiben um ihn herum, die vielen Stimmen fremder Sprache machten die Unruhe nicht besser. Als er endlich wieder zum Auto zurückkehrte, war Tom nicht da. Der Gedanke kam plötzlich und hefig: was, wenn er gar nicht wieder hierherkäme? Befand sich Tom wieder auf der Flucht vor ihm wie schon so viele Male zuvor? All die Male, nachdem sie sich nahe gewesen waren? All die vielen Male, an denen er sich nicht verabschiedet hatte, weil sie dann vielleicht noch klärende Worte hätten sprechen müssen? Sich in die Augen hätten sehen müssen? Aber wenn er wegwolle, hätte er das nicht schon früher, vielleicht beim letzten Rastplatz getan? Irgendwie drängte sich ihm dieses Gefühl immer vehementer auf. Er packte seine Einkäufe auf die Rückbank, blickte sich suchend um. Nirgendwo konnte er ihn sehen. Arthur spürte, wie ihn das belastete, wie ihn dieser Gedanke nervte, wie das in ihm etwas löste, was er auch schon lange nicht mehr gespürt hatte: zuletzt nach Tokyo. Genau diese Erkenntnis brachte die Antwort darauf, was er falsch machte. Er schloss von sich auf andere, auf Eames. In Tokyo war ihm klar gewesen, dass er mehr wollte, dass er Tom wollte und er hatte gedacht, dass das klar wäre, nur weil er nich mehr ganz so kaltherzig und abweisend gewesen war – Tom hatte das nicht gemerkt. Wenn ihm etwas zu nahekommt, hilft ihm die Arbeit, um mit der Situation zurecht zu kommen – Tom verunsicherte das, ließ ihn unsicher und damit wahnsinnig ‚charmant‘ und gut gelaunt werden. Momente der Nähe ließen ihn verstummen – Tom ließen sie fliehen. Hatte er es schon wieder verbockt? Wie damals? My world was on fire and no one could save me but you… Er hatte es nicht begriffen, was das damals bedeutet hatte. Er wusste letztlich immer noch nicht, was Tom sich von ihm erhoffte – aber offenbar nicht das, was er gerade tat: schweigen. Er hatte ihm gesagt, dass er ihn vermisst hätte. Doch dann hatte er nicht weiter gefragt, weil er kalte Füße wegen seiner eigenen Gefühle bekommen hatte. Angst vor diesem Herzklopfen und dem zugeschnürten Magen, den diese Erzählung ausgelöst hatte (was er gut verdrängt hatte). Vor all der Zuneigung, die er empfand und dem Wunsch, Tom zu umarmen, ihn für immer festzuhalten. Früher, bevor sie versucht hatten, ihrem something eine Chance zu geben, hätte er ganz anders reagiert. Vermutlich hätte er Tom abgeklärt zu verstehen gegeben, dass er sich wegen so einer Geschichte nicht so haben solle. Hätte ihm vorgehalten, nicht ernsthaft Schuldgefühle empfinden zu dürfen. Gesagt, dass ihm hoffentlich bewusst sei, dass der Krieg Opfer forderte. Irgendsoetwas Unsensibles halt, was ihm im ersten Moment in den Sinn kommt. Etwas Rationales, was vermutlich irgendwo stimmte, aber eben mehr zerstörte als half. Ein Teil von ihm, bereute, dass er es nicht so gemacht hatte. Jetzt tobten diese Ängste und Gefühöe wieder in ihm, die ihn unsicher machten. Ein anderer Teil aber, versuchte krampfhaft zu überlegen, was er tun könnte, um zu verhindern, dass Tom das Weite suchte und sich von ihm distanzierte. Er erinnerte sich an die Sorge, die Tom bei ihrem letzten Versuch, dieses Gespräch zu führen gehabt hatte. »Aber ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob das so gut wäre. Du hast gerade erst aufgehört mich zu hassen. Danach wirst du mich wahrscheinlich in einem ganz anderen Licht sehen. Also...« Er hatte damals auch sich für das Schweigen entschieden. Aber seitdem war viel geschehen – zwischen ihnen. Vielleicht sollte er endlich aufhören, Angst zu haben, zu viel zu sagen – oder das Falsche – und endlich einmal beginnen, überhaupt etwas zu sagen. Aber das war nicht einfach für ihn. Wenn es um solche Dinge ging, war er ein absoluter Legastheniker. Hatte ihm dieses Unvermögen einmal mehr den Menschen verletzt, der genug gelitten hat? Bitter, war der Geschmack in seinem Herzen. »Auf zum Strand!« Arthur hatte gerade nervös an der Zigarette gezogen, auf die Uhr geblickt, sich auf die Unterlippe gebissen, als sein Blick hochschnellte. »Ich will den Vesuv sehen.« Dieser Tonfall! Wie die vielen Male, bei denen jener den locker flockigen Sunnyboy heraushängen hatte lassen, an jenen Abenden, nachdem er ihm eine vor den Bug geknallt hatte. Die Abende, an denen er sich bestätigt gesehen hatte, dass es besser war, sich nie auf Thomas Eames einzulassen. Der bittere Beigeschmack... Arthur lächelte dennoch erleichtert darüber, dass Eames überhaupt noch da war und er eine Chance erhielt, seinen Fehler vielleicht gut zu machen. Er nickte, überspielte seine Angst, die er eben empfunden hatte. Dem Gefühl, zu Tom gehen zu wollen, um ihn zu umarmen, schob er beiseite. Hier war nicht der richtige Ort. „Gut, dass ich heute Mittag am Strand von Bikini Beach gebucht habe.“ Tatsächlich hatte er mittags ohne das Wissen von Tom bereits in einer Hotelanlage einen komfortablen Bungalow nahe des Meeres in der Bucht „Il Bikini“ gebucht. Pool, Bar, Touristen. Zum kotzen schnieke. Der Blick auf den Vulkan war garantiert – laut Homepage. Als Tom eingestiegen war, atmete Arthur durch. Er war ein unverbesserlicher Idiot. Er folgte Tom in den Wagen. Roch es nach Alkohol? Sie schoben sich im dichten Feierabendverkehr an Pompeji vorbei in Richtung Küste. Etliche Touristen kamen ihnen entgegen, die vermutlich den Tag in Capri verbracht hatten. Doch Arthur nahm das letztlich nicht wirklich wahr. Er sollte etwas ändern, etwas sagen – zu Archie, zu seinen Gedanken, zu seinen Gefühlen. Jetzt? Oder später lieber? Aber wie? Und vor allem was?! Am liebsten würde er ihm sagen, dass er nicht schon wieder zum Arschloch mutieren solle. Aber das wäre vermutlich unangebracht. Oder? Erst einmal anders versuchen. „Es tut mir leid“, sagte er schließlich zögerlich, „dass ich keine eigenen Worte finde. Aber für mich gilt letztlich das Selbe wie für dich: Du kannst mir alles zeigen - in diesem Fall sagen. Meine Meinung über dich wird sich niemals ändern.“ Kurz huschte sein Blick zu Tom, glitt dann jedoch wieder nach vorne. Der Verkehr war zu dicht, als dass er lange unaufmerksam sein konnte. „Du bist immer für mich der Mann mit dem viel zu großen, viel zu geduldigen Herzen, den ich … mit dem ich zusammen sein möchte.“ War das ein Anfang? Vielleicht. Oder doch mehr Klartext? „Ich möchte nicht, dass du glaubst, dass ich dich in irgendeiner Art und Weise verurteile oder dir gar die Schuld gebe oder… Ich…“ Warum war es eigentlich so schwer, so etwas feinfühlig zu sagen? „Ich wäre für dich gern jemand, mit dem du über solche Dinge reden kannst, ohne danach das Gefühl zu haben, einen Fehler begangen zu haben.“ Eames Als Eames zur Seite aus dem Fenster sah und bemerkte, dass die Welt schwankte, war er ganz froh, dass sich Arthur direkt ans Steuer gesetzt hatte. Er wäre sicherlich in der Lage gewesen den Wagen zu manövrieren (da hatte er schon unter schlimmeren Einflüssen Maschinen bedient), aber es hätte ihn extrem viel Konzentration und Willenskraft gekostet. Die plötzliche Entschuldigung ließ Eames erstarren. Er blickte unbewegt aus dem Fenster, atmete langsam und schwer und wartete bis Arthur fertig war. „Ich wäre für dich gern jemand, mit dem du über solche Dinge reden kannst, ohne danach das Gefühl zu haben, einen Fehler begangen zu haben.“ Wieder schauderte es Eames. Er wünschte sich das auch, aber er fühlte es nicht, so sehr er Arthur auch liebte. You can't make me stay Er wusste nicht, wie er diese Situation am besten regeln sollte. Am liebsten wäre er aus dem fahrenden Auto gesprungen. Doch das war nur der erste Impuls; er brauchte einen klaren Kopf... oder mehr Alkohol? Viel zu großes, geduldiges Herz?, dachte er bitterlich amüsiert. Verurteilen; Schuld; der Mann, mit dem er zusammen sein möchte – Eames war nicht dumm, er wusste, was für eine Überwindung es auch Arthur gekostet hatte, dies alles zu sagen und nun schallte es in seinem betrunkenen Schädel hin und her, wie ein schneidendes Echo. »Darling...«, entkam es ihm weich und doch herablassend amüsiert. »... sei nicht albern.«, die Worte schlichen sich aus ihm heraus, ohne dass er viel Kontrolle darüber hatte. »Wir wissen beide, dass wir immer Geheimnisse voreinander haben werden.« Seine Stimmung war undefinierbar panisch, er fühlte sich wie ein Rindvieh, dass einen gefrorenen See überquerte. Es knackte bereits unter seinen Füßen. »Glaub mir, ich hätte nicht mit dir über Ramadi gesprochen, wenn ich es nicht gewollt hätte. Aber es wird immer Dinge geben, die ich für mich behalten muss. Genau wie bei dir.«, er hasste sich bereits kurz nachdem er zu Ende gesprochen hatte, aber konnte einfach nicht aufhören. Er wusste was gerade wieder passierte. Er tat mal wieder so, als würde es ihm nichts ausmachen, als wäre Arthur der Dumme in diesem Gespräch, der viel zu viel hineininterpretierte. Leider fiel ihm keine andere Strategie ein, um nicht vollständig zu vergehen. »Lass uns die Zeit jetzt genießen, ok?«, er lächelte, wahrscheinlich sensibler, als zuvor, aber er ahnte, dass es die Sache nicht mehr besser machen würde. Der Rest war nur ein genuscheltes, leeres Versprechen: »Wir reden, wenn wir mal nicht deinen Geburtstag feiern.« Arthur Hatte er ernsthaft geglaubt, dass sich etwas ändern würde, wenn er auf Eames zuginge, ihn in sein Leben ließe, ihm sogar sagte!, dass er mit ihm zusammen sein wolle? Hatte er das wirklich geglaubt?!? Offenbar! Denn dieses Darling bereits schmerzte und sagte ihm, dass er mal wieder ein naiver Idiot gewesen war. Unverbesserlich gutgläubig, ein hoffnungsloser Narr! Das albern bestätigte ihm, dass er vorhin doch auf seine andere Stimme in seinem Kopf hätte hören sollen. Auf die, die kein Interesse daran hatte, Eames zu tief in sein Leben zu lassen, die ihn davor schützte, wieder und wieder verletzt zu werden. Diese schrie jetzt gerade voll Genugtuung auf, als Thomas erklärte, dass sie immer Geheimnisse haben würden. Was bitte, war das für eine Argumentation! Völlig dämlich und leicht zu zerschmettern. Aber nein! Wenn Eames ihm gerade zu verstehen geben wollte, dass es zu Archie nichts weiter zu sagen gab - wer wäre er, wenn er da in eine dieser sinnentleerten Diskussionen einsteigen würde?! Nicht mit ihm. Wenn er das nach all dem, was sich zwischen ihnen geändert haben könnte, nicht sah, dann würde er es ihm auch nicht aufdrängen. Wenn er lieber zerstörte, dann sollte er sich ihm nicht in den Weg stellen - zumindest nicht noch einmal. Er hatte gerade versucht, ihm die Abzweigung zu zeigen - Tom fuhr lieber geradeaus weiter. Nun denn. So ganz konnte er seinen Unglauben angesichts der Worte jedoch nicht verbergen. Zu einer Antwort war er erst einmal weder fähig noch bereit. Vielmehr erklang ein schnaubendes Auflachen, bevor er den Kopf leicht schüttelte und auf der Unterlippe kaute, seinen Blick stur geradeaus auf den Verkehr gerichtet. Dann verschloss er sich wieder, allein seine Stirn zeugte von seinem wachsenden Unmut. Wie leicht es Tom doch fiel, ihm immer wieder eine verbale Ohrfeige zu verpassen. Dinge, die er für sich behalten muss? Wie bei ihm? Hatte Arthur in den letzten Monaten, in den letzten Tagen, den letzten Stunden und Minuten nicht deutlich mehr von sich preisgeben als Tom? Es war das erste Mal, dass er so tiefen Einblick gewährt hatte. Andererseits: War es nicht normal, dass man nicht alles miteinander teilte? Die abartigste Vorstellung waren Pärchen, die sogar die selbe E-Mail Adresse hatten, die sich alles erzählten und keine Geheimnisse voreinander hatten. Gruselig! Ihm würden definitiv viele Dinge einfallen, die ihn an Toms Leben nie interessieren werden: angefangen von all den Frauen und Männern bis hin zu all den waghalsigen Aktionen, die jener so gerne fuhr. Aber so wie man solcherlei Dinge aus seinem Leben nicht teilte, so sprach man doch aber mit den wichtigen Menschen in seinem Leben über das, was einen belastete? Er hatte Mal so viel anvertrauen können. Das Loch, das sie hinterlassen hatte, war riesig und in den letzten Wochen hatte er sie unfassbar vermisst. Jetzt gerade vermisste er sie schmerzhaft. Auch wenn es nicht einfach war, über solche Dinge zu sprechen - das wusste Arthur nur zu gut - war es wichtig. Sonst ging man immer mehr kaputt. Hinterher fühlte man sich normalerweise besser. Normalerweise - Tom war genauso wenig normal wie er. Eigentlich kannte er ihn zu gut, um ernsthaft glauben zu dürfen, etwas könnte sich zwischen ihnen ändern. Dieser Schlüssel, der gerade so schwer in seiner Brusttasche lag, hatte ihn das vermutlich glauben lassen. Alles ein Trugbild einer nicht existenten Welt, die Tom um ihn herum erschuf und die er früher besser durchschaut hatte. Er brauchte wieder mehr Abstand! War es falsch von ihm, etwas von Tom wissen zu wollen? Tom gab ihm gerade sehr nachdrücklich das Gefühl, dass es ihn nicht nur nichts anzugehen hatte, sondern auch, dass es nicht wichtig war, nichts bedeutete. ‚Ich bin ein furchtbarer Mensch.‘ - wohl einer der wenigen Momente, in denen Tom wirklich ehrlich zu ihm gewesen war und er es nicht bis in letzter Konsequenz wahrhaben hatte wollen. Warum waren sie eigentlich beide hier? Warum hatte Eames ihn mitgenommen? Manipulierte er ihn mal wieder, indem er vorgaukelte, Arthur bei sich haben zu wollen, aber eigentlich brauchte er nur den Pointman. Den Sex nahm er gerne auch noch mit... Pack up again, head to the next place Where we'll make the same mistakes Burn it up, or just chop it down Ah, this is what I really call a party now.. „Wunderbar!“, sagte er mit hoch erfreuter Stimme und nickte gewichtig. „Das machen wir! Genauso wie sonst ja auch. Wenn wir nicht gerade meinen Geburtstag feiern, dann reden wir ja immer so super miteinander!“ Er bog in die Einfahrt der Ferienanlage ein und blickte kurz zu Tom. Warum waren ihm vorhin nicht die geröteten, glasigen Augen aufgefallen? „Wir machen es genauso wie immer. Hat ja in den letzten acht Jahren immer perfekt geklappt! Wir geben uns die Kante, bis du nicht mehr zurechnungsfähig bist und du alles auf den Alkohol schieben kannst. Dann bring ich dich noch irgendwie aufs Sofa und spätestens morgen Früh wische ich die Kotze auf. Hat doch immer wahnsinnig geholfen, mit allem klar zu kommen. Wir wiederholen die Scheiße einfach, bis es vielleicht doch irgendwann mal wirklich funktioniert! Perfekt!“ Das ‚Arschloch!‘, das ihm auf der Zunge lag, schluckte er hinunter. Er parkte den Wagen nahe des Rezeptions-Hauses und schaltete den Motor ab, öffnete die Fahrertür. „Diese Männer damals haben ganze Arbeit geleistet. Du lässt sie dich noch heute wieder und wieder foltern. Du lässt sie immer gewinnen.“ Gott, er musste hier dringend weg!!! Am liebsten sehr weit weg. Er stieg aus. Ja, diese Männer hatten Eames noch heute im Griff, weil sie ihn vor diese abartigen Entscheidung gestellt hatten. Offenbar wollte Tom noch immer nicht verarbeiten. Lieber bestrafte er sich erneut. Lieber ließ er nichts zu, was irgendwie Heilung bedeuten könnte. Lieber zerstörte er alles Positive (sofern Arthur das je sein könnte). Das Bittere war: offenbar bedeutete Eames sein persönlicher Schmerz, seine persönliche Hölle mehr als alles andere, mehr als ihr something - falls sie das je ernsthaft gehabt hatten. Nun, Arthur würde sicher nicht darauf warten, dass sich Tom irgendwann in ferner Zukunft doch dafür entschied, nicht mit seinem persönlichen Leid verheiratet sein zu wollen. Nein, das würde er definitiv nicht. Er hatte ihm die Hand reichen wollen, um ihn aus diesem Strudel zu ziehen. Doch diese Hand war nicht erwünscht. Arthur ahnte, dass er ihm dennoch die Hand immer wieder reichen würde. Aber wie nahe er ihn an sich ziehen würde, das musste neu entschieden werden. Die Konsequenzen dieses Gedanken schmerzten irgendwie. Aber die Konsequenzen würden verhindern, dass er immer wieder verletzt wurde. Er war es leid. Jeder war sich selbst der Nächste - Tom hatte es ihm gerade einmal wieder sehr bewusst gemacht. Lieber ‚genießen‘, ohne Verbindlichkeiten. Welcome back, Eames, the fucking asshole! Hatte Tom ihm wirklich immer die Gefühlskälte vorgeworfen?! Er war gut darin, die Wirklichkeit zu verdrehen! War das auch der Grund für die Flucht in Tokyo gewesen? Hatte jener ihn fallen gelassen, weil er eben doch gemerkt hatte, dass Arthur sich öffnen wollte? Vielleicht. Tom würde es ihm gewiss nie ehrlich beantworten. Meine Güte, hatte er sich heute mal wieder zum Idioten machen lassen! Unfassbar albern! Während er den Bungalow für eine Nacht bezahlte, ärgerte er sich, dass sie nicht doch durchgefahren waren. Eigene Dummheit! Er war doch wirklich so blöd gewesen, zu glauben, dass die Nähe in jenem Kuss, etwas bedeutet hätte, etwas, das es wert war, darin zu verweilen. Die Realität war: Je früher sie diese Arschlöcher ins Jenseits beförderten, desto schneller konnten sie wieder auf Abstand gehen. Sein Tatendrang als Pointman wuchs gerade ins unermessliche. Abstand war die Hoffnung, die sich gut anfühlte. Viel Abstand!!! Er verlor sich. Mal hatte ihn gewarnt. Er verlor den Blick auf das Wesentliche. Er verlor seinen klaren Blick, geblendet von einem Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Ruhe. Manchmal fragte er sich, wann er endlich erwachsen wurde. Sie wurden zu ihrer Unterkunft für diese Nacht geleitet, nach einer kurzen Erklärung der wichtigsten Regeln verabschiedete sich der hübsche junge Italiener mit der Fliege, dem Personal-Anzug und dem hübschen Hintern wieder. Der Bungalow lag wirklich nah am Strand, die Terrasse mit Blick zwischen ein paar Bäumen hindurch aufs Meer. Man hörte Musik, vermutlich von der Strandbar. Arthur trug seine Tasche hinein, Laptop und Einkäufe stellte er auf dem Esstisch ab, dann ging er nach hinten in eines der beiden Schlafzimmer mit Doppelbett. Unterwegs löste er den Krawattenknoten, im Zimmer zog er die Tür hinter sich zu und sich das Hemd aus und schließlich ein bequemeres Shirt an. Während er sein iPhone anschaltete, überlegte er, ob er schon zu den Einkäufen zurückkehren sollten. Tequila schien gerade mehr als das Richtige zu sein - ob mit oder ohne Eames. Eames Er wusste, dass Arthur Recht hatte, aber er hatte schlichtweg keine Lust darüber nachzudenken – was durchaus auch am Alkohol lag. Dumpf war schön, Ruhe war gut. Es war so viel einfacher eine gottverdammte Diva in ihm zu sehen, als einen Schritt weiterzugehen und sein eigenes Ego zu verletzen, oder vielleicht eine Tür zu öffnen. Er hatte wohl noch nie besonders guten Zugang zu sich selbst gehabt. „Wir wiederholen die Scheiße einfach, bis es vielleicht doch irgendwann mal wirklich funktioniert!" Eigentlich nicht der schlechteste Gedanke, dachte er. Wenn er immer so weiter machte, würde er vielleicht wirklich irgendwann drauf gehen. Dann hätte dieses ganze Theater endlich ein Ende. Auch wenn der Gedanke daran Arthur endgültig zu verlieren ihn wahnsinnig machte, würde er dadurch zumindest niemals wieder die vernichtende Wahrheit fühlen – die brachialen Konsequenzen seines Handelns, egal wie viel Schuld das widerliche, egoistische Arschloch, das er war, wirklich daran trug. Er wusste wer er war. Diesen Gedanken das erste mal völlig klar in seinem Kopf zu hören, erleichterte Eames tatsächlich ungemein und gab ihm eine merkwürdige Ruhe, obwohl er wusste, dass es ihm unangenehm sein sollte, dass sein White-Knight sich immer und immer wieder für ihn aufopferte. Selbst wenn das bedeutete jedes mal wieder seine Kotze aufzuwischen; er würde ihn retten und er würde daran vergehen und ein Teil von Eames wollte Arthur deswegen so weit wie möglich von sich drücken, wie er nur konnte. Der andere, wollte ihn bewahren, so sehr bewahren, weil wenn er diese Aufgabe nicht mehr übernähme, es keinen mehr gäbe, der sich wirklich um ihn scherte. Was Arthur über die Männer aus seiner Vergangenheit vom Stapel ließ, wagte er nicht an sich heran zulassen. Nicht in diesem Zustand. Stattdessen suchte er die Ablenkung, vertraute auf das dämpfende Gefühl in seinem Kopf und schaltete ab. Er schloss die Augen und dachte an... Sex. Dachte an seinen nächsten Drink, an den nächsten geilen Job. Er dachte an Marcellas süße kleine Brüste und fragte sich, wieso er sich nicht einfach eine Stunde Zeit genommen hatte die Kleine zu verführen. Er war sich sicher, dass er dazu in der Lage gewesen wäre; Concetta hin oder her. Eames erinnerte sich nicht, wie er ins Zimmer gekommen war. Es war, als erwachte er einfach in seinem eigenen, kleinen Reich, als die Tür hinter ihm zufiel. Er wusste, dass Arthur nebenan war. Wieso hatte er zwei Zimmer gebucht? Wieso teilten sie sich kein Bett? Er warf einen Blick aus dem Fenster und sah die Poolanlage und eine Bar. Er wollte einfach nichts mehr fühlen. Und doch musste er irgendetwas tun, um Arthur nicht vollständig zu verlieren. Nur was? Das Repertoire seiner Handlungsmöglichkeiten war scharf begrenzt, erst recht wenn er betrunken war. Er klopfte an die verschlossene Tür des anderen. »Arthur?«, seine Stimme war gebrochen, hoffnungsvoll. Er brauchte ihn. Egal wie scheiße aktuell alles zwischen ihnen war. Ohne seinen White-Knight war er verloren. »Mach auf, Arthur. Bitte.« Words like violence Break the silence Come crashing in Into my little world Es dauerte einen Augenblick, aber irgendwann öffnete sich tatsächlich die Tür, obwohl Eames bereits daran gezweifelt hatte. »Ich bin eine miserable Person. Aber ich liebe dich.«, seine Stimme hallte dumpf in seinem benebelten Schädel wieder. Er war etwas nüchterner, als noch vor zehn Minuten. Er trat vor, ergriff Arthurs Handgelenk aus Angst er könnte verschwinden; dieses mal endgültig. Es war schwer etwas zu sagen; das richtige schier unmöglich. Words are very unecessary The can only do harm »Ich liebe dich.«, als müsste er dem gerade gesagten noch einmal flüsternd Nachdruck verleihen. Als gäbe es keine andere Möglichkeit und keine anderen Worte. Sein Blick wanderte hoch, um Arthur ins Gesicht zusehen. Vielleicht war es falsch jetzt körperlich zu werden, aber es wollte ums Verrecken nichts mehr über seine Lippen kommen. In der Hoffnung irgendetwas zu retten küsste er ihn, während seine Hände ihn am Flüchten hinderten. Tequila und Sex, das würde helfen. Arthur Sein Handy surrte sogleich, als er es angeschaltet hatte, verschiedene Laute, verschiedene Apps, verschiedene Dringlichkeit. Doch ein Ton alarmierte Arthur sogleich. Er griff zum iPhone, entsperrte es und öffnete eben jene Nachricht. Mit klopfendem Herzen wartete er, bis die App geladen hatte, was sie ihm mitteilen wollte. Als die Nachricht endlich erschien, schluckte er. Sein Bruder hatte tatsächlich seine Wohnung betreten. Die Aufzeichnungen der Überwachungskamera waren eindeutig, das Bild, wie jener lächelnd in die Kamera blickt, brannte sich in seine Netzhaut ein. Arthur wechselte zu seinen Anrufen. Ariadne hatte versucht, ihn zu erreichen, dann eine Nachricht geschickt. Das Finanzamt hatte sich gemeldet und machte eine Steuerprüfung. Arthur setzte sich langsam auf das Bett, starrte auf die Nachricht und versuchte zu begreifen, was gerade geschah. Ging Ted wirklich so weit, dass er sogar versuchte, seine Firma anzugreifen? Es war letztlich nicht die Steuerprüfung, die ihm Angst machte. Seine Bücher waren einwandfrei und völlig unauffällig. Es war vielmehr die Tatsache, dass sein Bruder diese Grenze tatsächlich überschritten hatte. Ein Fakt, der ihm schier die Luft zum Atmen nahm. Er zuckte zusammen, als es an der Tür klopfte. Irritiert blickte er nach oben, hörte seinen Namen, diese Stimme, die so zerbrechlich klang. Er erstarrte, als er begriff, dass dort draußen vermutlich der einzige Mensch stand, der sich niemals gegen ihn richten würde – egal, wie Scheiße er ihn behandeln würde. Die Einsamkeit, die ihn bei dieser Erkenntnis überkam, kroch schwer durch seine Glieder. Arthur sperrte sein Handy, stellte es lautlos und ließ es in der Hosentasche verschwinden. Dann trat er an die Tür, hinter der Eames stand und ihn erneut bat, aufzumachen. Seine Rede vorhin musste ihm ordentlich zugesetzt haben, ansonsten würde er einfach hereinkommen. Seine Worte, die er ihm an den Kopf geworfen hatte, die vermutlich wahr waren, aber nichts und niemandem halfen. Vielmehr ließen sie diesen so stolzen Mann nun hier vor seiner Tür stehen und betteln. Er öffnete die Tür, sah den anderen an. Jener wirkte wie ein Schatten. »Ich bin eine miserable Person. Aber ich liebe dich.« Die Worte trafen ihn so unvorbereitet, dass der Schmerz heftig war, den sie auslösten. Wie gelähmt war er unfähig sich zu bewegen, als Eames sein Handgelenk ergriff, eher kam er sich wie ein Unbeteiligter vor, der zu eben jener Hand blickte und nicht begriff, was gerade geschah. Er sollte sich schleunigst sammeln. Arthur streckte sich, versuchte irgendwie wieder Haltung anzunehmen. Doch die nächsten Worte verhinderten dies. Wieder ein »Ich liebe dich.« Bekamen diese Worte mehr Bedeutung in der Wiederholung? Ihre Blicke trafen sich und er fühlte sich so schlecht, so dermaßen schlecht. Wer war hier eigentlich das Arschloch? Vermutlich sie beide. Vielleicht half diese Erkenntnis. Er spürte die Lippen, die seine berührten, schmeckte den Alkohol, roch ihn - und endlich ging ein Ruck durch seinen Körper. Etwas in ihm schrie auf, dass das hier gerade ganz falsch lief. Alles lief falsch, einfach alles. Er sollte etwas dagegen tun. Er drehte den Kopf, ohne zurückzuweichen, wich nur dem Kuss aus. Thomas hielt ihn ohnehin fest. „Halt“, sagte er leise. „Stopp!“ Er schluckte befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. „So nicht.“ Seine Stimme klang nicht harsch, nicht sauer oder aufgebracht, wie er eigentlich auch in dieser Situation sein könnte – wie er vor wenigen Minuten vermutlich gewesen wäre, bevor er erkannt hatte, dass er ohne Tom so dermaßen am Arsch war, wie jener vermutlich ohne ihn. Vielmehr klang sie ruhig, fast sanft. „Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so angegangen bin. Ich habe einige unschöne Dinge gesagt, ungerechte Dinge. Entschuldige bitte.“ Im Grunde hatte er die Worte gemeint, ehrlich gemeint. Aber sie waren nicht angebracht gewesen – nicht auf diese Art und Weise. Ob er es jemals schaffen würde, über die Provokationen von Tom hinwegzusehen und die Wogen gar nicht zum Tsunami werden zu lassen? ‚Ich habe deine Liebe gar nicht verdient!‘ Er suchte den Blick des anderen, sah dieses gläserne, verschwommene Blau. „Ich hasse es, wenn ich dich so sehe wie vorhin nach dem Einkaufen. Wenn du dich verkriechst, wie ein geprügelter Hund, der den Schmerz nicht teilen möchte. Ich kann das nicht ertragen, es macht mich fertig und ich möchte dir helfen, möchte doch einfach nur für dich da sein. Aber jedes Mal, wenn ich das versuche, schubst du mich – nein, prügelst du mich von dir. Du sagst, dass du mich liebst. Aber immer wenn ich dir nahe komme, fliehst du. Das tut Scheiße weh.“ Er lächelte bitter, verstummte, damit die Stimme nicht brüchig wurde. Alles irgendwie zu viel gerade in dem Moment. „Lass uns Tequila trinken, bitte!“ Eames Er spürte wie leicht Arthur sein Ego verletzte und es machte ihn wahnsinnig. Nie im Leben wollte er sich so fühlen und er fragte sich wieso er immer noch bei ihm war. Wieso er nicht längst das Weite gesucht hatte, um nach ein paar Monaten wieder locker-flockig von vorn anzufangen. Hatte doch bisher immer super funktioniert; Abstand tat ihnen gut! Wieso etwas erzwingen? Früher war dieses etwas zwischen ihnen einfach gewesen. In seiner Vorstellung war Arthur eine Trophäe gewesen, die er nach harter Arbeit endlich eroberte, um sie dann selbstzufrieden in seinem Regal verstauben zu lassen. Für immer perfekt, denn wenn man nicht an der Oberfläche kratzt hält Lack ja bekanntlich ewig... Tja, und dann war es kompliziert geworden, ohne dass Eames es bemerkt hatte und er war tatsächlich und endgültig verloren in dieser Geschichte. Was er wusste war, natürlich: er hatte Gefühle für Arthur – schon immer gehabt. Aber er wusste nicht, ob er sich den Herausforderungen stellen wollte, die mit diesem Mann in sein Leben traten. Abgewiesen werden kannte er von Arthur – aber nicht nachdem er ihm die heiligen drei Worte gesagt hatte. Nicht nachdem sie so weit gekommen waren, nachdem Eames sich ein Stück weit geöffnet hatte, obwohl er es besser gefunden hätte all das niemals wieder ans Tageslicht dringen zu lassen. Jetzt war es wieder da und er musste irgendwie damit klarkommen und wenn er sich dafür Pillen einschmiss oder in diesem Fall nur ein Schlückchen zu viel trank, wer sollte ihm diesen Versuch der Selbstregulation verübeln? Und nun stand dieser Arsch da und machte ihm Vorwürfe. Trotz der Entschuldigung ein erbärmliches Gefühl, das zunächst blanken Trotz bei ihm auslöste. Mit einer Hand hielt er Arthur noch immer, doch mit der anderen rieb er sich die Stirn und die Augen. Schüttelte langsam den Kopf. „Lass uns Tequila trinken, bitte!“ Daraufhin wiederum nickte zaghaft und rang sich ein Lächeln ab. Er ließ von ihm ab und zwängte sich an ihm vorbei ins Schlafzimmer. Den Raum, den sie sich eigentlich teilen sollten, oder lief es schon wieder so schlecht zwischen ihnen? Wie ein Spürhund angelte er die Flasche aus einer der Einkaufstüten und schwenkte sie, drehte den Deckel ab und nippte daran. Guten Tequila konnte man pur trinken, ohne davon zu würgen. Er zitterte leicht, er musste sich selbst beherrschen. Ruhig Brauner, nicht rennen, nicht kämpfen. »Weißt du, du musst nicht alles wissen, Arthur.«, ein Statement. Er nahm noch einen Schluck, dann reichte er ihm die Flasche. Er spürte wie sich seine Nackenmuskulatur verhärtete. Auch Arthurs Schmerz ging ihm an die Nieren. »Von allen Menschen auf dieser gottlosen Scheißwelt bist du der einzige, der mich wirklich interessiert. Das muss ausreichen. Alles andere...«, er ließ sich Zeit, fummelte seinen gezinkten Jeton aus seiner Hosentasche und spielte mit einer Hand damit herum. Er fragte sich wieso er sonst so gut verhandeln und schwafeln konnte, aber sobald es um emotionale, persönliche Sachen ging, einen Knoten in der Zunge hatte. »... alles andere ist doch egal, oder?«, unter seinen Worten drang ein Lächeln hervor. Ein Stück weit kam ihm selbst erst in diesem Moment die Selbsterkenntnis. Sicher könnten sie sich stundenlang hinsetzen und reden und sich gegenseitig therapieren, um am Ende vielleicht festzustellen, dass sie nichts tun könnten und dass Drogen und Selbstmord doch gar nicht so unattraktive Optionen waren. Oder aber... »Ich leide, du leidest und umgekehrt. Aber Fakt ist, dass wir beide jetzt hier sind, obwohl wir sind, wie wir sind.«, er zuckte die Schultern, schnippte den Jeton in die Luft und fing ihn geschickt. Arthur Arthur spürte, wie Eames sich verkrampfte, wie er sich distanzierte, als er den Kuss unterbrochen hatte (Hatte er ernsthaft geglaubt, jetzt Versöhnungssex zu bekommen?!) und ihm gesagt hatte, wie er empfand. Die Worte waren nicht als Anklage gemeint. Er hatte ihm nur sein Dilemma erklären wollen. Aber half das? Ein Gefühl von Resignation schlich sich mehr und mehr ein. Er hatte das Gefühl, dass er das schon einmal gefühlt hatte. Der Glaube, etwas wäre anders, besser geworden zwischen ihnen - bevor er gegen die Wand knallte. Sie drehten sich so oft im Kreis. Hatte diese ganze Diskussion einen Sinn? Oder zerstörte er mal wieder nur, mit seinem Bedürfnis nach Wahrheit? Warum ging er hier immer raus mit dem Gefühl, der alleinige Depp zu sein, der alles zerstörte, der sich und sein Verhalten ändern musste? Ging Tom eigentlich auch auf ihn zu? Er hatte die Stimme des anderen im Ohr, dieses flehende. Der stolze, unzerbrechliche Thomas Eames - doch er drückte ihn hinunter, weil er etwas erzwingen wollte, weil er glaubte, dass es jenem gut täte, weil er dachte, dass sie das bräuchten - oder brauchte es er? Wer war er, sich das zu erlauben?! Now here you go again, you say You want your freedom Well who am I to keep you down It's only right that you should Play the way you feel it But listen carefully to the sound Of your loneliness Das gequälte Lächeln, das Nicken - hatte sich Tom von seiner ‚Offenbarung‘ mehr erwartet? Weil er ihm drei Worte gesagt hatte, die er im Vollrausch viel zu oft schon gesagt hatte? Er würde es gern fühlen - nicht nur, wenn sie Sex hatten. Aber konnte er das nicht schon längst? Hatte er es nicht erst heute Mittag so deutlich in diesem Kuss gespürt, beängstigend deutlich? Lag das Problem bei ihm, weil er nicht endgültig vertrauen konnte? Und weil er sie gar nicht richtig zuließ - seine eigenen Gefühle? Arbeitete sein Kopf schon wieder zu viel? Gedankenspiralen. Er brauchte Alkohol, ein wenig Betäubung. Er hatte vermutlich nicht das Recht, Eames mit tollen Ratschlägen zu kommen, was er zu tun oder zu lassen hatte - auch wenn es ihn wirklich schmerzte, wenn er ihn leiden sah. Doch er war ja selbst in anderen Dingen derselbe Idiot! Der Gedanke, Tom im Laufe des Abends von seinem Bruder zu erzählen, war irgendwie absurd. Er wollte ihn nicht leiden sehen, aber vergrößerte sein Leid mit seiner Art. Sie waren so Scheiß-verschieden! Es hatte mal ein paar Stunden gegeben, in denen er Tom glücklich gesehen hatte. Die Stunden, bevor sie sich Jobs geschnappt hatten. Stunden, ohne Fragen, ohne Vorwürfe, ohne Streit. Stunden, in denen sie einfach nur gelebt hatten, sich geliebt hatten. Auch er hatte so etwas wie Glück empfunden. Damals waren Gespräche vorausgegangen. Gespräche über ihre gemeinsame Vergangenheit. Damals konnten sie reden - zumindest zum Teil. Damals hatte Tom ihm angeboten, die ganze Nacht zu reden. Sie waren im Bett gelandet, noch bevor sie wirklich in die Tiefe ihrer Vergangenheit eingetaucht waren. Sein Blick war Tom ins Zimmer gefolgt, sank jetzt zu Boden. Er atmete tief durch, lockerte die verkrampften Schultern etwas. Waren sie beide in die Sackgasse gefahren, obwohl er es hatte verhindern wollen? Ironischerweise ja. Gute Gelegenheit gemeinsam die Kurve zu kriegen, oder? »Weißt du, du musst nicht alles wissen, Arthur.« Arthur hob den Blick, sah auf die Flasche, die ihm angeboten wurde. Tequila würde helfen. Er griff zur Flasche und trank einen Schluck. Das Zittern war ihm nicht entgangen. Die Zitrone fehlte, das Salz. Er verzog einen Moment das Gesicht. »Von allen Menschen auf dieser gottlosen Scheißwelt bist du der einzige, der mich wirklich interessiert. Das muss ausreichen. Alles andere...« Da waren sie: Zitrone und Salz, das i-Tüpfelchen, die Geheimzutat, eine Liebeserklärung, die ehrlich klang, die nicht weh tat. »...alles andere ist doch egal, oder?« Arthur beobachtete, wie Eames den Jeton herauszog. Erinnerungen an Tokyo. Warum in dieser Situation? Wieder Provokation? Er brauchte Langmut... Ja, vielleicht müsste das reichen. Vielleicht musste ihm das als Gewissheit reichen, um langmütiger zu werden. Vielleicht sollte er endlich aufhören, ihn verändern, ihn ‚verbessern’ zu wollen. Vielleicht musste er sich einfach damit abfinden, dass Tom handelte, wie er handelte, es aber nicht tat, um ihn zu verletzen - nicht automatisch. Vielleicht brauchte Eames den Schmerz für sich alleine und ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten und da zu sein. Vielleicht musste er ihm auf andere Art mitteilen, wann er sich Scheiße verhielt, ihn anders behandeln, als krampfhaft zu versuchen, ihn verstehen zu wollen. Vielleicht lebte jener deshalb nur im Hier und Jetzt, während Arthur selbst selten mit seinem Gedanken im Moment war. Vielleicht... vielleicht... Er hasste dieses Wort. Er hasste die Ungewissheit, die damit einherging. Er hasste die Ungewissheit, die Unsicherheit, die Angst, wieder verarscht, verletzt, zerstört, verlassen zu werden. Aber vielleicht war das einfach nur sein eigenes verficktes Problem. Vielleicht (und er nahm sich vor, dass das das letzte Vielleicht an diesem Abend sein sollte!) musste er einfach auf diese Zusage vertrauen. Mehr bekam er nicht von Tom, nicht unmittelbar. Kleine Schritte, kleine Gesten, kleine Worte, kleine Geschichten. Mühsam ernährte sich das Eichhörnchen. Vertrauen... Noch immer schwierig mach Tokyo. Es war nicht leicht, aus alten Gewohnheiten auszubrechen. Er hatte das alles doch schon einmal durchdacht, oder? Traute er sich zu springen? Würde er fallen oder fliegen? »Ich leide, du leidest und umgekehrt. Aber Fakt ist, dass wir beide jetzt hier sind, obwohl wir sind, wie wir sind.« Nun, so ganz stimmte das nicht. Aber das wusste Eames auch. Sie waren hier, weil Tom Mist gebaut hatte. Wie es wohl wäre, wenn jener nicht von ihm abhängig wäre? Wäre er auch zu ihm gekommen, um ihm zu sagen, dass er ihn liebte. Arthur schüttelte den Kopf, den ungerechten Gedanken weg er brachte niemanden weiter. Zumal er die Worte nicht so wörtlich nehmen sollte. Es ging um ihr something bei diesem ‚hier’. Letztlich würde sich erst nach dem Job hier zeigen, ob sie wirklich ein something + x hatten oder nur ein something. Er musste sich aber jetzt entscheiden, was er wollte: Ja oder Nein; Kopf oder Zahl - seine Augen folgten dem Jeton, sahen zu, wie Eames ihn fing. Ja oder Nein zu ihnen, ihrem something+x. Ein Ja mit Vertrauen, Langmut, Geduld und Kraft, ein paar Tiefschlägen, die es einfach zu ertragen galt, oder ein Nein - ein Leben endgültig ohne Thomas Eames. Arthur trat auf Tom zu, die Flasche in der Hand, trat vor ihn, suchte seinen Blick, wartend bis jener ihn ansah. Dann küsste er ihn, fordernd, neckend. Der Geschmack von Tequila auf den Lippen, Salz und Zitrone im Herzen. Ein Leben ohne diesen Scheißkerl war schlichtweg nicht möglich. Vollkommen absurd in mehrfacher Hinsicht. Er hatte es viel zu lange versucht. Er würde ihn sein Leben lang vermissen. Das hatte er doch erst heute gesagt, ehrlich gesagt. Er wollte nicht immer wieder in diese beschissene Sackgasse fahren, an deren Ende er sich wie schon so oft diese 1000 blöden Frage stellte. Er sollte sie endgültig klären! Jetzt! Er sollte endlich lernen, ihn zu nehmen wie er war. Irgendwie musste das in seinen viel zu viel nachdenkenden Schädel hinein. In the stillness of remembering what you had And what you lost, and what you had, and what you lost Thunder only happens when it's raining Players only love you when they're playing „Du wolltest den Vesuv sehen“, sagte er leise, als er sich löste. Ein leises Schmunzeln zierte seine Lippen. „Ich will Zitronen, Salz und Tequila - und später Sex. Sofern du dazu noch in der Lage sein wirst. Lass uns an den Strand gehen.“ Eames Eames hörte Meeresrauschen und spürte den Wellengang in seinem Kopf. Letzteres hatte jedoch lediglich etwas mit dem Pegel zu tun, den er erreichte, als sie Tequila am Strand tranken. Damit sie nicht noch schneller betrunken wurden, hatte er ebenfalls ein paar Leckereien besorgt, die sie sich in ihrem kitschigen Strandkorb genehmigten. Eames fühlte sich als hätte er locker 24 Stunden nichts gegessen und bediente sich gründlich. Wäre er nicht so betrunken gewesen, hätte er sich nicht damit abgefunden an einem Strand zu sitzen, wo sie von Touristen umgeben waren, auch wenn in diesem teuren Etablissement, was Arthur kurzfristig gebucht hatte, schon weit aus weniger los war, als an den weniger teuren Stränden. Er hätte eine stille Bucht oder ähnliches vorgezogen. So musste er wohl oder übel warten bis er touchy werden durfte. Natürlich konnte er nicht vollständig vermeiden, dass seine Hände ihren Weg zu diesem makellosen Wesen neben ihm fanden. Mit gelockerter Zunge erzählte Eames, dankbar dass sie nun nicht mehr über ihre Leiden sprachen, von einem Fall, den er vor etwa drei Jahren gehabt hatte. Natürlich auch um Arthur zu schmeicheln berichtete er von dem katastrophalen Point Man und dem Architekten, der vergessen hatte dass es im Schweinestall nach Scheiße stank; wunderte wohl keinen, dass das Subjekt skeptisch wurde, nicht wahr? Trotzdem hatte der Fall etwas gutes gehabt, da er zu Shania Twain forgen durfte, die er – wie er Arthur bislang noch nicht gestanden hatte – liebte seit er 12 war. Also quasi schon immer. Da Arthur nicht ganz überzeugt war, versuchte Eames ihn mit ein paar selbst gesungenen Versen aus Ka-Ching zu überzeugen, leider ohne Erfolg. Als die Sonne gerade unterging und der Versuv in ein fabelhaftes Orangerot getaucht war, kam Eames auf die fantastische Idee schwimmen zugehen und begann sogleich sich auszuziehen. Sein Handy fiel ihm aus der Hosentasche in den Sand, wodurch er bemerkte, dass Yusuf ihm geschrieben hatte. Mit offenem Hemd und heruntergelassener Hose stand er da und las interessiert, was sein Lieblings-Araber ihm geschrieben hatte: »Jobs ist auf dem Weg.«, verkündete er. Das war gut, sehr gut. Sie waren vielleicht etwas spät dran, um den ganzen Betrug einzufädeln, aber er kannte Arthur und sein Zeitmanagement. Sie würden es schaffen. Quasi im selben Augenblick vibrierte auch Arthurs Telefon, jemand wollte ihn sprechen. Jemand der eine gewisse Nachricht auf einem Board gelesen hatte und verdammte sechs Wochen zu spät dran war, um eben diese Nachricht weiter zuleiten. »Arthur, morgen. Hier ist Dom. Ich glaube wir sollten mal wieder reden.« Arthur „Sorry, Eames!“, sagte Arthur bewusst kühl und versuchte dann selbst den Ton der Sängerin zu treffen, als er fortfuhr. „That Don’t Impress Me Much!“ Er schüttelte den Kopf und lachte über den Versuch des anderen, mit seiner rauen Stimme, seinem britischen Akzent und dem Unvermögen, zweimal den selben Ton zu treffen, Ka-Ching zu performen. „Probiere es lieber mit ‚Man, I feel like a woman now‘“Arthur grinste breit, strich nun Tom mit der Hand über den Oberschenkel, zwischen diese und dann leicht nach oben. „Vielleicht punktest du dann bei mir.“ Dann zog er die Hand zurück, nahm wieder Distanz auf. Sie waren hier schließlich nicht allein. Zufrieden blickte er aufs Meer und fühlte sich angenehm unbeschwert. Er wusste, dass Tom das besser konnte, dass es am Alkohol lag - oder daran, dass er es nicht besser machen wollte, damit er sich entspannen konnte. Sicher tat er das nur aus Eigennutz - um nicht auf ein anderes Thema zurück zu kommen. Aber Arthur war das durchaus recht. Der Tequila half sein Hirn angenehm zu verlangsamen. Der Geschmack von Oliven, ungesalzenem Weißbrot und italienischer Salami war schlichtweg Urlaub. Es tat gut, einfach abzutauchen, aus dem zu verschwinden, was hinter ihnen war, was vor ihnen lag. Shania Twain - soso. Die Brünette Kanadierin hatte es ihm also als Teenager angetan. Keine schlechte Wahl. Ein wenig beneidete er Tom ja um sein Können, in die Haut anderer Mensch hineinzuschlüpfen. Er wäre auch gern manchmal jemand anderes. Eames war seinem Blick zum Meer offenbar gefolgt, denn plötzlich stand er auf und kündigte an, schwimmen gehen zu wollen. Bevor Arthur recht begriff, begann er bereits sich auszuziehen. Abrupt richtete sich Arthur, der nach hinten ins Kissen gesunken war und die Beine überschlagen hatte, wieder auf. „Moment, Eames!“, begann er ihn zu mahnen. „Du kannst doch nicht...“ Zum Glück lenkte das Handy Eames vom weiteren Vorgehen ab. Arthur nickte auf die Neuigkeit, fühlte mit einem Mal, wie er ziemlich jäh zurückgeworfen wurde in die Realität. Sein Kopf schwamm leicht, sein Blick war vermutlich etwas glasig. Er schloss die Augen, spürte sein eigenes Telefon surren. Ariadne? Arthur zog es aus der Hosentasche und runzelte irritiert die Stirn. Dom? Arthur stand auf, merkte, wie schnell er eigentümlich nüchtern wurde. Reflexartig drehte er sich von Tom weg, lief ein paar Meter hinter den Strandkorb, um Abstand zwischen sich und Eames zu bekommen. Erst dann nahm er mit einem „Hm?!“ den Anruf entgegen. »Arthur, morgen. Hier ist Dom. Ich glaube wir sollten mal wieder reden.« Seine Stirn legte sich noch mehr in Falten. Was wäre denn so dringend, dass er so ernst klang? Sie hatten tatsächlich seit seinem Geburtstag nicht mehr gesprochen. Er hatte ihn damals gebeten, ihn anzurufen, wenn er von Tom etwas hören würde. Kurz blickte er zu eben diesem. Das konnte es nicht sein. Oder? Ob Ariadne ihn kontaktiert hatte, weil sie ihn nicht erreicht hatte? „Sollten wir?“, fragte er nach. „Ist bei dir alles in Ordnung? Ist etwas passiert?“ Eames Die Lust auf Schwimmen war ihm noch nicht ganz vergangen, aber erst einmal setzte er sich und schrieb Yusuf eine Antwort. Es kostete ihn einiges an Anstrengung und er musste das Handy sehr nah vors Gesicht halten, um mit seinen Wurstfingern auch die richtigen Buchstaben zu treffen. Natürlich war besoffen Texten nie eine gute Idee, aber Yusuf kannte schon, dass er auch ihm mal ein Herzchen zu viel schickte, wenn er einen sitzen hatte. »Arthur?«, säuselte er und bemerkte erst dass Arthur ein paar Schritte weggegangen war, als er seine Nachricht abgeschickt hatte. Stirnrunzelnd starrte er auf seinen Rücken... diese Haltung. Wenn es Ariadne wäre, wäre er nicht so hörig, dachte er. Er ahnte schon, wer sich da aus der Versenkung meldete. Dom Dom ließ ein entspanntes, leises Lachen hören. »Nein, nein. Es ist alles gut..«, er wirkte dennoch angespannt. Im Hintergrund war das Lachen von Kindern zu hören, die sich allerdings zu entfernen schienen. »Hast du etwas von Eames gehört?« Nachdem Arthur ihm diese Frage positiv beantwortet hatte, fuhr Cobb gleich mit einem erleichterten »Oh gut.«, fort. Er schien kurz etwas abgelenkt, kehrte dann aber wieder zu 100% Aufmerksamkeit für Arthur zurück. Die Verbindung war leider auch nicht die Beste. »Ich habe vor einigen Wochen eine Nachricht von ihm erhalten, die ich eigentlich an dich weiterleiten sollte. Es klang alles ziemlich ernst, aber... ich schätze mal ihr habt das bereits geklärt...«, kurzes Räuspern. »Du bist nicht zufällig in der Nähe, oder? Es gäbe da vielleicht eine Art... sagen wir mal, Umstand, den ich mit dir besprechen will.« Arthur Arthurs Anspannung wich nicht, als Dom verneinte, dass etwas passiert war. Warum rief er ihn dann an? Was musste er mit ihm bereden? Die nächste Frage ließ seine Unruhe wachsen. Ob er von Eames gehört habe? Sein Blick huschte erneut zu diesem, der mit seinem Handy beschäftigt schien. Erneut brachte er ein paar Schritte zwischen sie. „Ja, hab ich. Er hat sich gemeldet“, antwortete er möglichst gleichgültig. Zu einem ‚Wieso?‘ kam er nicht mehr. Irritiert zog sich Arthurs Stirn zusammen. Warum klang Dom deswegen so erleichtert? Ein Rauschen, ein Knistern. Arthur warf einen kurzen Blick auf sein Display, noch existierte die Verbindung. »... vor einigen Wochen eine Nachricht von ihm erhalten, die ich eigentlich an dich weiterleiten sollte. Es klang alles ziemlich ernst, aber... ich schätze mal ihr habt das bereits geklärt...« Arthur erstarrte in der Bewegung und schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Eames hatte was? Er hatte Dom eine Nachricht geschickt, die eigentlich ihm galt? Arthur war klar, dass das nur nach Toms Verschwinden nach dem Koma passiert sein konnte. Aber was hatte... »... in der Nähe, oder? Es gäbe da vielleicht eine Art... sagen wir mal, Umstand, den ich mit dir besprechen will.« Arthur schüttelte den Kopf, so als würde ihm das helfen, wieder klarer zu werden. Er wusste schon, warum er selten über den Durst trank. Das Denken fiel schwer. Er hasste das! Doch Dom klang nervös. Irgendwas war los. Er zwang sich, erstere Information erst einmal hintenan zu stellen. „Umstand? Wie meinst du das? Ich bin grad leider in Europa - ein Job. Ich bin erst in einer Woche wieder in New York. Ist es dringend? Ich könnte zusehen, dass alles hier etwas schneller geht und direkt zu dir fliegen.“ Mit Ariadne würde er das schon klären können. Letztlich würde da nichts passieren und noch hatte die Bauphase bei ihrem aktuellen Projekt noch nicht begonnen. „Was genau hat Eames dir geschrieben?“, schob er nun nach. Tom hatte behauptet, keine Möglichkeit gehabt zu haben, ihn zu kontaktieren. Aber offenbar hatte er es doch versucht. Warum hatte er ihm das nicht gesagt? Er wäre doch wesentlich versöhnter gewesen, wenn er das gleich gewusst hätte... Dom Dom kam nicht dazu auf Arthurs eifrige Angebote einzugehen, als er schon die Frage nach Eames einschob. Er schmunzelte. Das sah ihm leider sehr ähnlich. Dom wusste eindeutig nicht was zwischen den beiden war, aber dass Arthur viel aus dieser ambivalenten Beziehung mit dem Forger schöpfte war ihm irgendwie klar. Immerhin hatte er sie zusammen gebracht und die Anfänge ihrer... Freundschaft (?) selbst beobachtet. Dass Eames einen Narren an Arthur gefressen hatte war klar, daraus machte er keinen Hehl. Fraglich nur, wie ernst das ganze war... aber wenn Dom ehrlich zu sich war, hatte er sich seltenst um die beiden Gedanken gemacht. Wieso also in diesem Moment damit anfangen? »Ich kann den genauen Wortlaut nicht wiedergeben, die Nachricht hat sich bereits selbst gelöscht.«, begann er. Dabei war deutlich zuhören, wie er sich mit den Fingern über die Bartstoppeln fuhr – eine typische Geste, wenn er nachdachte. »Ich sollte dir sagen, dass er weiß, was du getan hast und dass alles in Ordnung ist. Dass er sich melden würde, sobald die Luft rein ist und dass er sicher gehen würde, dass dir und Yusuf nichts passiert. Da war noch mehr... irgendetwas von einem Haus. Warte...«, man hörte Papier rascheln. »Dass er das Eames-Haus nicht so schnell vergessen würde. Tut mir leid, ich habe mir nur Stichpunkte gemacht, ich habe die Nachricht heute in aller Frühe gelesen, als ich Krankenhaus auf Phillipa gewartet habe. Sie hatte einen Asthma-Anfall.« Er räusperte sich. »Was die andere Sache angeht; komm einfach sobald du es einrichten kannst.«, ob es nun eilig war oder nicht hatte er glatt vergessen zu erwähnen. Vielleicht auch ein wenig mit Absicht, immerhin kannte er Arthur und wusste, was er aus solchen Informationen machte. Arthur Während Dom die Nachricht sinngemäß wiedergab, schloss Arthur die Augen, überrascht von dem seltsamen Gefühl in seinem Innersten. War das der Tequila, der ihm dieses flaue Gefühl bereitete? Diesen Schwindel? Die weichen Knie? Vermutlich war es dieser, der ihn so seltsam zumute werden ließ. Aber als Dom rezitierte, dass Tom das Eames-Haus nicht vergessen würde, konnte er das Herzklopfen und das Kribbeln im Bauch nicht mehr auf den Alkohol schieben. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, was alles anders gewesen wäre, wenn er diese Nachricht früher erhalten hätte - bevor seine so großen Sorgen und seine Angst in Wut umgeschlagen waren. Dom war letztlich sein bester Freund, war ihm wichtig. Beruflich und privat hatte er sich immer auf ihn verlassen können. Jetzt im Moment merkte er einen Unmut, den er eigentlich noch nie bei Dom gespürt hatte, eher nur bei dem Kerl, der sich wieder in den Strandkorb gesetzt hatte und auf ihn wartete. Arthur zwang sich, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. „Geht es der Kleinen gut?“, fragte er zunächst, ehrlich besorgt. Er mochte Dom und Mals Kinder, besonders Phillipa erinnerte ihn in vielen Momenten an seine beste Freundin, die er so oft schmerzlich vermisste. Sie war genauso sanftmütig und lieb, gleichzeitig auch sehr selbstbewusst und stark. Erst als Dom das bestätigte, griff Arthur das andere Thema auf. „Ich komme, sobald es mir möglich ist. Ich melde mich dann nochmal bei dir. Wird aber vermutlich erst in drei, vier Tagen sein.“ Er schwieg kurz. Warum hatte Tom ihm nicht von der Nachricht erzählt? Arthur wusste die Antwort, noch bevor er die Frage zu Ende gedacht hatte. Hätte er ihm geglaubt in der Wohnung, als er ihm die Waffe vorgehalten hatte? Er hätte es als Ausrede, als Lüge deklariert und Dom definitiv mehr vertraut. Hätte er es ihm im Flugzeug sagen sollen? Im Gasthaus? Bei jenem Abendessen? Arthur war fast froh, dass er es nicht getan hatte. Es hätte gewiss alles zerstört. Er hätte ihn einen Lügner beschimpft. Ob er den Schlüssel je angenommen hätte? Damals in seiner dummen Wut und Enttäuschung hätte er Dom definitiv mehr vertraut als Tom. Wieder meldete sich der Unmut. „Und Dom“, fügte er daher noch an. „Die Nachricht wäre wichtig gewesen. Ich weiß, dein Kopf ist momentan mit anderen Dingen beschäftigt. Aber kontrollier deine Kommunikationswege dennoch regelmäßig.“ Immerhin hatte er ihn ja auch gebeten gehabt, die Ohren offen zu halten, was den Verbleib von Eames betraf. Da hätte er doch nachsehen können - für ihn. Er würde es doch für Dom ebenso machen. „Wie gesagt: Ich melde mich, wenn ich weiß, wann ich in L.A. lande.“ Er beendete das Gespräch und blieb noch einen Moment stehen. Das Eames Haus, ihr Konstrukt, das Symbol für ihre Beziehung. Sie hatten es damals im Traum nicht betreten, hatten es noch nie betreten. Oder? Jetzt wo er darüber nachdachte... war nicht seine Wohnung dieses gewesen, in den Tagen vor der Extraction bei Jobs? War nicht jenes Gasthaus bei München, das Appartement in Verona, dieser Bungalow hier stellvertretend dafür? War nicht all die Zeit, die sie miteinander verbrachten, Zeit in diesem Haus? Wenn sie stritten, wenn sie sich liebten, wenn sie nebeneinander saßen und sich wohlfühlen - alles Zeit in diesem Haus. Eames hatte ihm den Schlüssel dazu überreicht. Nun versuchten sie sich darin zurecht zu finden, sich zu arrangieren und einzuleben. Dass das bei ihnen nicht einfach war, wussten sie beide, merkten sie oft genug. Aber immerhin schafften sie es, gerade beieinander zu sitzen und Tequila zu trinken, obwohl er heute den Gedanken gehabt hatte, ausziehen zu wollen. Ob Tom auch schon den Wunsch gehabt hatte, auszuziehen? Wahrscheinlich. Vermutlich würde es diese Momente auf beiden Seiten aus unterschiedlichen Gründen immer wieder geben. Doch irgendwie bekamen sie immer wieder die Kurve. »Ich leide, du leidest und umgekehrt. Aber Fakt ist, dass wir beide jetzt hier sind, obwohl wir sind, wie wir sind.« Arthur steckte das iPhone in die Hosentasche und knöpfte sich sein Hemd auf, während er hinüber zu Tom ging. Der von der Vulkanasche dunkle, graue Sand unter seinen Füßen fühlte sich warm an. Die Sonne stand bereits recht tief, es wurde dunkel. Vor Tom blieb er stehen, zog sich das Hemd aus, ließ es neben diesem auf den Strandkorb fallen, dann begann er die Hose etwas aufzuknöpfen. „Noch Lust zu schwimmen?“, fragte er mit dunkler Stimme, setzte sich auf Toms Schoß, rechts und links von diesem kniend. Seine Arme legten sich um die Schultern des Forgers, während er ihn einfach ansah. Seine Finger glitten durch dessen Haar, spielten damit, wie er es so gerne tat, während ihre Augen ein stummes Gespräch führten. An Ausziehen aus ihrem Haus war jetzt noch weniger zu denken denn je. Es käme einem Aufgeben gleich, nur weil es nicht einfach war, weil sie beide nicht einfach waren. Aufgeben war etwas, was er so gar nicht mochte. Sie begannen doch erst, die Regeln auszuloten, wie es funktionieren könnte. Und angesichts dessen, dass er ihm vor wenigen Tagen erst vorgeworfen hatte, sich ihm nicht anvertrauen zu können, waren sie heute einen großen Schritt gegangen. Auch wenn Arthur das nicht immer gleich erkannte. Er überwand die wenigen Zentimeter und küsste Tom sanft, fast zärtlich. „Oder wollen wir gleich ins Schlafzimmer verschwinden?“, raunte er gegen die Lippen, bevor er sie erneut verschloss. Arthur lauschte den Herzschlägen des anderen. Sein Kopf war auf dessen Schulter zur Ruhe gekommen, sein Körper schmiegte, nein klebte eher an Toms. Ein Schweißfilm bedeckte dessen Haut, bei ihm war es nicht anders, das Haar auf der Stirn verklebt. Oder war es noch nass vom Meer? Ein kühler Luftzug ließ ihn kurz frösteln. Doch er deckte sie nicht zu. Er wollte sich nicht wegbewegen. Arthur fühlte sich entspannt, zufrieden, ungewohnt ruhig. Ein seltener Moment, in dem er nur das Hier und Jetzt genoss, wirklich einfach da war - nicht nur physisch. Seine Finger glitten fahrig über die Brust des anderen zeichneten vereinzelt Linien der Tätowierungen nach. A.D. Er war müde, erschöpft und... glücklich. Er schloss die Augen, lauschte den ruhigen Atemzüge des anderen. Auch wenn er jetzt liebend gerne einfach eingeschlafen wäre, kehrten seine Gedanken nun doch zu diesem Telefonat zurück. „Dom hat mir vorhin deine Nachricht überbracht“, sagte er leise in den Raum hinein. Tom rührte sich nicht, bewegte sich nicht, antwortete nicht. War er schon eingeschlafen? Arthur wusste es nicht. Es war letztlich egal. „Ich danke dir!“, fügte Arthur leise hinzu, küsste die nach Salz schmeckende Haut dort wo seine Lippen gerade lagen. „Es tut mir leid, dass ich dir mal wieder so viele ungerechtfertigte Vorwürfe gemacht habe.“ Der Mensch sieht immer nur das, was er sehen will. Das tat er bei Tom schon so lange, vermutlich immer. Zeit, dass sich das änderte. Dass es ihm nicht leicht fiel hatte mehrere Gründe. Fakt war jedoch, dass es sich ändern musste. Er küsste erneut die Stelle, angelte dann doch nach der Decke, die er über sie zog und bettete erneut seinen Kopf. Er atmete tief durch, schloss die Augen. Er sollte schlafen. Die nächsten Tage würden anstrengend werden. Kopfschmerzen trieben Arthur als erstes aus dem Bett und unter die Dusche, in die Eames ihm wenig später folgte. Das Wissen darum, dass die nächsten Tage keine Zeit lassen würden für ihr something, war vermutlich mehr der Grund dafür, sich etwas Zeit zu lassen, als das drückende Gefühl in Arthurs Kopf, das mit Ibuprofen hoffentlich bald in den Griff zu bekommen war. In dem Moment, in dem sie in das Auto stiegen und losfuhren, merkte Arthur, dass sich etwas in der Stimmung zwischen ihnen veränderte. Sie beide waren vermutlich gerade in den Arbeitsmodus gewechselt. Ihm tat das gut, gerade im Hinblick darauf, dass Tom sicher noch immer dagegen war, dass Arthur ihn ins Casino Lombaros begleiten würde. Für das Gelingen des heiklen Plans war es wichtig, dass sie arbeiteten und nur das im Fokus stand. Für alles andere würde hinterher Zeit und Raum sein - mehr oder weniger. Es ging um zu viel, als dass Gefühle hier wichtig wären. Jobs war mittlerweile in Neapel gelandet, wie Eames mitgeteilt wurde, während sie ihre Sachen ins Auto trugen. Neapel war bereits Einzugsgebiet der Familie des ehemaligen MoneyGram CEOs. Es war ziemlich sicher, dass jener nach Süden reisen würde. Der Familiensitz befand sich in Catanzaro. Die Informationen, dass Lombardo versuchte, sein Einflussgebiet zu vergrößern, hatten Wirkung gezeigt. Zugleich hatte Jobs die Info erhalten, dass sie sich an Lombardo rächen wollten und Informationen hätten, die den Verbleib des Geldes betrafen. Nun mussten sie auf Sizilien zunächst einmal eine Unterkunft finden, dann ein Gelände, auf dem die vermeintliche Geldübergabe stattfinden könnte. Sie sprachen es nicht aus, aber es würde Sinn machen, dass Arthur sich um die Location kümmerte, während Tom Kontakt zu Jobs aufnahm, um alles weitere in die Wege zu leiten. Sie mieteten sich etwa genau in der Mitte zwischen Palermo und Catanzaro in ein beschauliches renoviertes Bauernhaus ein, das etwas höher gelegen bei San Giorgio-Magaro lag. Von der Dachterrasse konnte man abends in der Ferne den Stromboli beobachten, der in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Lava spuckte. Zwei Stunden entfernt von Palermo war die Chance größer, nicht entdeckt zu werden. Zudem war es Grenzgebiet zwischen Lombardos und Jobs‘ Familien. Arthur fand eine Lagerhalle in den Bergen, die ursprünglich einmal zu einer Winzerei gehört hatte. Das Weingut war mittlerweile an einem anderen Ort, doch das Gebäude und die Nebengebäude existierten noch. Es war schon dämmrig, als sie dort abends noch vorbeifuhren. Viel konnten sie nicht sehen. Aber es wirkte brauchbar. Arthur kümmerte sich darum, während Eames tatsächlich am nächsten Morgen losfuhr, um Jobs zu kontaktieren. Er hatte versprochen, mittags am darauffolgenden Tag zurück zu sein. Es fühlte sich seltsam an, ihn gehen zu lassen. Nicht, weil er sich sorgte, jener könne Probleme mit Jobs bekommen. Eher, weil Arthur Sorge hatte, er würde nicht zurückkehren, ohne vorher auch alles mit Lombardo zu regeln. Zu schnell hatte Eames bei ihrer Diskussion eingelenkt. Irgendwie traute er dem Ganzen nicht. Allerdings zwang er sich, nichts zu sagen. Langmut und Vertrauen - hatte er sich das nicht vorgenommen? In gewisser Weise genoss er aber auch die Zeit alleine. Er vermisste seine Wohnung. Arthur arbeitete konzentriert. Nachdem Tom weg war, nahm er sich einen Leihwagen und erkundete die Halle erneut. Dann fuhr er nach Catania, um letzte Dinge zu besorgen: ein Laptop, über den er einige zum Beispiel die Explosionen steuern konnte, wenn es nötig wäre. Zwei Geldkoffer, die er zum Teil füllte. Salzsäure in einer unauffälligen Menge. Dann machte er sich daran, die Sprengsätze zu basteln. Die Grundrisse des Gebäudes zeichnete er selbst, analysierte, welche Wände tragend waren. Dann konstruierte er das Gebäude für einen Traum, damit Tom sich auch noch einmal mit dem Gebäude vertraut machen könnte, wenn er von Jobs zurückkam. Einen P.A.S.I.V-Koffer hatte er mitgenommen. Es gab ihnen die Möglichkeit, sich besser abzustimmen und vorzubereiten, ohne viel Zeit zu aufzuwenden. Jetzt mussten sie nur noch ihre Aktion im Casino vorbereiten. Über Jesse kam er an die Baupläne des ‚Caesars Palace‘ Casinos. Doch auf Basis dessen ein Gebäude für eine Traumebene zu konzipieren war letztlich unmöglich. Vielleicht könnte Tom ihn auf Traumebene ein wenig vorbereiten. Arthur blickte auf die Uhr. 14Uhr, brütende Mittagshitze herrschte draußen. Er betrachtete, was er in den letzten Stunden gemacht hatte. Eames hatte sich noch nicht gemeldet. Eigentlich hätte er schon hier sein wollen. Arthur ging in die Küche und setzte sich einen Espresso auf. Dann überlegte er. Noch hatten sie Zeit. Noch konnten sie entspannt sein. Aber eigentlich wollten sie an diesem Abend nach Palermo und Lombardo darüber in Kenntnis setzen, dass Jobs auch mit Berretta zusammentat. Arthur griff zu der Zeitung, die er morgens mitgenommen hatte. Es war seltsam gewesen, alleine aufzuwachen. Daher war er in den Ort gelaufen und hatte dort gefrühstückt. In einer der ausliegenden Zeitungen hatte er zufällig eine Nachricht gesehen, die wichtig sein könnte. Es ging um eine Frau, die mit einem von Lombardos Söhnen liiert gewesen war. Vermutlich könnte Tom über sie sehr leicht an Informationen über das private Anwesen des Mafiabosses kommen. ‚Genau sein Kaliber‘, dachte Arthur, während er zurück ins Wohnzimmer ging. Er blickte erneut auf die Uhr. Er hasste es zu warten. Sein Blick fiel auf die beiden Anzüge, die er für sie besorgt hatte. Um 17 Uhr würde er nach Palermo fahren und nachsehen, ob Tom es tatsächlich hinter seinem Rücken tat - so hatte er es sich zumindest vorgenommen. Bis dahin waren noch drei Stunden. Er sollte die Zeit sinnvoll nutzen... und so ließ er sich auf einem der Stühle nieder, um sich an den Koffer anzuschließen und noch einmal seine Pläne hinsichtlich der Lagerhalle durchzugehen. Eames Plötzlich waren sie nicht mehr und nicht weniger, als ein verliebtes Pärchen. Ein zugegebenermaßen ziemlich betrunkenes Pärchen, aber das schmälerte ihr Glück an diesem Abend nicht. Eames fühlte sich heil, als Arthur auf ihm saß. Safe and sound. Nichts konnte ihm schaden, weder von innen noch von außen. Arthur war vollkommen und Eames nahm seine Liebe in diesem Augenblick mit Ehrfurcht und Demut an. Wenn er die Nachricht vorher erwähnt hätte, wäre er nur auf taube Ohren gestoßen. Schließlich ging bei Arthur nichts über Saint Dom – undenkbar, dass Dominick Cobb einen Fehler gemacht, oder das Forum vergessen hatte, dass sie sich extra für solche Notfälle eingerichtet hatten. So ganz konnte Eames es ihm nicht einmal verübeln. Er hatte auch ewig nicht drauf geguckt... wenn man relativ regelmäßig voneinander hörte, schien es fast irrelevant. Und jetzt wo Dom quasi im Ruhestand war (auch wenn das keiner so richtig glaubte, wahrscheinlich nicht einmal er selbst), hatte Eames es generell für noch unwahrscheinlicher gehalten. Aber immerhin nicht für unmöglich und wie sich jetzt zeigte, hatte die Nachricht Arthur doch noch zu eine guten Zeitpunkt erreicht. Am nächsten Morgen fühlte Eames sich so leicht wie nie zuvor und das trotz Kater. Als wüsste er, dass die nächstem Tage kein Raum dafür sein würde, genoss er ein letztes mal unter der Dusche ein paar Zärtlichkeiten mit seinem Liebsten. Kein Stress, kein Unmut, nur Streicheleinheiten, neckende Bisse und Orgasmen – und das alles vor dem Frühstück. Eames spürte, dass Arthur nur noch solange sein Liebhaber sein würde, wie sie beide nackt waren. Als sie allmählich ihre Anzüge anlegten, die Ausrüstung zusammen suchten und alles ins Auto packten, verwandelten sie sich in Point Man und Forger. Sie waren Geschäftsmänner mit einem grausamen Ziel. Sie würden jeden ausschalten, der es noch immer in Betracht zog Thomas Eames zu jagen. Sie wechselten sich mit dem Fahren ab. Das gab jedem Zeit zu recherchieren, in sich zu gehen, Dinge für sich klar zu machen. Arthur regelte eine Menge. Eames blieb in Kontakt mit Jesse und klügelte seinen Plan aus. Gespräche mit Jobs und Lombardo standen an und er musste jeweils überzeugen, sonst wäre er tot. Nennenswerter Druck, der auf ihm lastete. Aber sein Selbstbewusstsein war stärker denn je, was ihn zeitweise auch zu etwas anstrengenden Angebereien verführte, die Arthur zwar bereits kannte, aber sicherlich nicht immer angenehm waren. Es war kurz vor 17 Uhr, als Eames zu dem Bauernhaus zurückkehrte, wo sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Keine Uhrzeit mehr, die man als „Mittag“ bezeichnen würde, so wie er eigentlich versprochen hatte. Er hoffte, dass die guten Nachrichten Arthur seinen Ärger vergessen lassen würden.. Er ließ einen schrillen Pfiff von sich, als er das Haus betrat und Arthur nicht gleich antraf. »Komm raus, Darling, ich hab gute Nachrichten!«, flötete er und ging vor sich hin grinsend an den Kühlschrank. Kein kaltes Bier... aber eine halbe Flasche Martini! Auf dem Weg zur großen, rustikalen Couch, die in der Mitte des Salons vor einer pompösen Glotze stand, schälte er sich aus seinen Klamotten und ließ sie achtlos auf dem Boden liegen. Mit aufgeknüpftem Hemd und barfuß ließ er sich fallen und legte sich die kühle Flasche abwechselnd auf Brust, Bauch und Kopf, um etwas runter zukühlen. Die Hitze war noch immer unerträglich. Als Arthur endlich auch seinen Weg zu ihm gefunden hatte, rief er Jesse an und stellte ihn auf Lautsprecher, um sich nicht wiederholen zu müssen. Dann berichtete er von seinem grandiosen Gespräch mit Jobs. Wie „dieser Wichser“ einfach alles geschluckt hatte, was er ihm aufgetischt hatte. »... einfach alles! Es war, als hätte er nur darauf gewartet, dass jemand ihm offenbart, wer „wirklich“ an seinen Problemen schuld ist. Er war nicht einmal nennenswert wütend darüber, dass ich ihn ausgeraubt habe, ist das zu fassen?«, er lachte, schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck Martini. »Ich habe gesagt „Rate mal was Lombardos Männer in New York machen“, da hat er nicht schlecht geguckt. Er wollte nachforschen, ob meine Aussage stimmt, deswegen hat es so lange gedauert. Tatsächlich haben sich seine und Lombardos Männer schon in New York in die Haare gekriegt; das spielt uns perfekt in die Karten.« Jesse schien das ganze etwas nüchterner zu betrachten. Er grunzte zustimmend und kratzte sich hörbar. »Na solange sie nicht vorher in Verhandlungen treten, steht uns ja nichts im Weg, ne.«, warf Jesse mit einer Spur Sarkasmus ein. Die Gefahr bestand immerhin, dass relevante Diskussion zwischen den Handlangern zustande kamen... wenn auch die Chancen darauf relativ gering bemessen werden konnten. »Hast du schon einen konkreten Plan wann wir ins 'Caesars Palace' gehen?«, wandte Eames seine Frage an Arthur. Sein Gesicht war sowohl gebräunt, als auch leicht gerötet vor Hitze und Euphorie. Nun war er erst recht bereit es krachen zu lassen. Arthur Da war es wieder, dieses riesige Ego, das zu wachsen schien, je näher sie dem Tag X kamen. Zum einen besser als der selbstkritische Thomas Eames, der auf der Fahrt zum Flughafen ihm verkaufen wollte, jemand könne besser als er sein. Zum anderen aber einfach anstrengender. Auf Traumebene hatte Arthur alles vorbereitet, was er Tom zeigen wollte. Alle Fallen, alle sicheren Orte, alle Möglichkeiten, die diese Lagerhalle ihnen boten. Nur zu gerne hätte er aber auch sich von Tom zeigen lassen, wie das Caesars aussieht. Nun, dann würde er sich die Baupläne ganz genau ansehen und versuchen sich ein Bild davon zu machen, wo welcher Raum war. Es war halb Fünf, als er auf die Uhr blickte. Er sollte duschen, sich anziehen und losfahren... Ein grollender Unmut machte sich in seinem Magen breit, bei dem Gedanken, Tom könnte wirklich allein nach Palermo fahren. Eine drückende Sorge machte sich bei dem Gedanken breit, Tom könnte NICHT im Caesars sein, sondern war Jobs nicht 'entkommen'. Arthur ging ins Bad, duschte sich den Schweiß ab, der lief, auch wenn man sich nicht bewegte. Nachdem in New York erst die ersten warmen Frühlingstage angefangen hatten, überfordere ihn die Hitze ein wenig. Er blickte gerade in den Badezimmerspiegel und rasierte sich, als er den Pfiff hörte. Ah, der König pfiff nach seinen Bedienteten. Ein Gedanke, der sich nur allzu sehr bestätigte, als er das Wohnzimmer bereits im Anzug berat und das Bild sah, das sich ihm bot. Der König der Diebe und Trickbetrüger. Der König der Selbstgefälligkeit. Arthur seufzte innerlich. Dass der Herr der Schöpfung sogleich seinen Bericht erstattete, verhinderte den spitzen Kommentar, den er auf den Lippen hatte. Dass Jesse mithörte, verhinderte, dass er ihn direkt von seinem hohen Ross schubste. Letzteres übernahm jener - zum Teil. Arthur war mit in den Hosentaschen versunkenen Händen im Türrahmen stehen geblieben, saugte die Informationen auf und passte sie ins Bild ein. Seine Augenbrauen waren ein wenig zweifelnd nach oben gerutscht. "Das ist ein wichtiger Punkt, Jesse", mischte er sich nun das erste Mal ins Gespräch ein. "Wir müssen schnell alles in die Wege leiten, damit ihnen die Zeit fehlt." Einen Moment dachte er nach, welche Informationen zu Jobs ihm noch fehlten, als Tom bereits nach dem Casino fragte. Arthus Blick wanderte etwas träge zur Uhr über dem Kamin. "Vor zehn Minuten wollte ich nach Palermo aufbrechen. Wir brauchen zwei Stunden hin." Er musterte Eames abschätzend. Ob es so gut war, ihn in diesem Übermut zu dem Menschen mitzunehmen, der ihn am liebsten von oben bis unten aufschlitzen wollte? Er stieß sich von der Tür ab und trat näher an das Sofa. "Jesse, du hast ein Auge auf Jobs und seine Telefonate?", fragte er den Hacker. "Wie bist du mit Jobs hinsichtlich des angeblichen Übergabetermins verblieben? Ich denke, wir wären übermorgen soweit, die beiden Parteien aufeinander loszulassen." Eames "Wir müssen schnell alles in die Wege leiten, damit ihnen die Zeit fehlt." Ich Eames' Kopf plärrte ein lautes „Papperlapapp!“, auf Arthurs Bedenken. Er machte eine wegwerfende Handbewegung, aber verweilte in seiner überaus entspannten Macho-Pose auf dem Sofa. Ihm fehlte wahrlich nur noch eine Zigarre im Mundwinkel und eine halbnackte Blondine auf dem Schoß, damit er selbst wie einer der verachtenswerten Mafiosi aussah, die sie auszuschalten versuchten. Zwei Stunden fuhren sie bis Palermo. Wenn er noch duschte, würden sie vielleicht um 6:30 loskommen. Immer noch genug Zeit fand Eames. Zu früh in so einem Etablissement auf zu tauschen war ohnehin nicht ratsam. »Pff, es gibt noch keinen Termin. Ich habe in Eames' Namen noch einmal bestätigt, dass er die Kohle bekommt, habe ihm ein paar gefakte Bilder von Geldbündeln geschickt. Wenn er jetzt keinen absoluten IT-Spezialisten drüber gucken lässt, sollte der Fake bis übermorgen nicht auffallen. Ich werde gleich einen Termin mit ihm ausmachen und euch dann Bescheid geben. Die Location steht so weit, nehme ich an?« »Steht!«, bestätigte Eames, statt Arthur, im besten Gewissen, dass sein Point Man ohnehin alles immer on point regelte. So wie immer. »Sollte ich irgendeinen Pups von Jobs hören, lasse ich es euch wissen. Momentan sieht es ruhig aus. Oh, er hat vor zehn Minuten einen Call-boy bestellt, das ist interessant... wo nimmt er die Kohle her, haha...«, letzteres nuschelte Jesse in den Hörer, ganz so, als hätte er bereits vergessen, dass er noch in einer Telefonkonferenz mit seinen Geschäftspartnern steckte. »Aber na ja, wie gesagt, ich halte euch auf dem Laufenden.« Eames nickte zufrieden und erhob sich ächzend, die Flasche noch immer an seine Stirn gepresst. »Wonderful, dann dusche ich jetzt und dann fahren wir los.« Arthur Arthurs Kiefer pressten sich knirschend aufeinander, als er Eames Handbewegung, seinen abwehrenden Gesichtsausdruck, seine ganze herablassende Selbstgefälligkeit sah. ‚Langmut, Arthur! Langmut...‘, betete er wie ein Mantra in Gedanken herunter. ‚Einfach ignorieren!‘ Dieses einfach war in dem Moment nur noch schwerlich möglich, als Eames ihn nicht zu Wort kommen ließ, was die Lagerhalle betraf. Er hatte gerade antworten wollen, als das »Steht!« hereingeträllert wurde. Seine Augen verengten sich einen Moment, er schluckte. ‚Laaaaangmuuuuut! Das macht er nur, weil er eigentlich eine Scheiß Angst hat!‘ Der Call-Boy lenkte ihn zum Glück wieder zu dem Telefon und zu Jesse. Eine Idee setzte sich fest, die er aber erst einmal an die Seite pinnte. Arthur trat um das Sofa herum, auf Eames zu und baute sich vor ihm auf. Er entwand ihm die Flasche und das Handy und trat zur Seite, damit Eames duschen gehen konnte. „Ich fahre genau um 18Uhr los - ob mit oder ohne dir! Pass auf, dass du beim Blick in den Spiegel nicht erblindest und wenn du weiter so aufgeblasen rumläufst, passt du nicht in den Anzug, der im Zimmer hängt“, sagte er knapp und widmete sich dann wieder Jesse, drehte sich von Eames weg. Während er weitersprach ging er in die Küche, um die Martini-Flasche wieder in den Kühlschrank zu stellen. „Gut gemacht, dass du ihm nochmal nen Köder vorgesetzt hast. Die Location wird fertig sein, sobald Mr. ‚Ach so toll‘ sie gesehen und sich mit ihr vertraut gemacht hat. Übermorgen, 19Uhr können wir die angebliche Übergabe terminieren. Dann bleibt etwa eine Stunde, bis es anfängt dunkel zu werden.“ Er zögerte kurz. „Meinst du, du kannst im Caesars ein Auge auf uns werfen? Ich befürchte, Eames stolpert über sein Ego - wenn es überhaupt durch die Tür passt. So groß, wie es momentan ist, schätze ich den freien Fall auf - hmmm ... ein Fallschirmsprung aus 4000m hat etwa eine Dauer von einer Minute... Bei ihm also etwa 2Minuten. Aufprall mit ca. 250km/h - wird also tödlich sein. Mal sehen, ob er mich seine Reißleine sein lässt.“ Arthur überprüfte seine Waffe, räumte noch etwas auf, sortierte seine Notizen, während Eames duschte. Er wollte früher in Palermo sein, am nahegelegenen Hafen noch was essen (seit dem Frühstück hatte er nix mehr gegessen), sich etwas umsehen - wenn er schon mal da war... außerdem arbeitete die hübsche Italienerin dort in einer Boutique. Vor 21Uhr sollten sie ohnehin nicht ins Casino gehen. Je mehr Menschen um sie herum sein werden, desto besser. Er hatte Eames Handy und die Zeitung auf den Beifahrersitz gelegt. Arthur blickte auf die Uhr: 17:59 Er wartete, während die Sekunden stetig verstrichen. Punkt 18Uhr startete er den Motor und wendete den Wagen. Gerade als er am Haus vorbeifahren wollte, trat Eames aus dem Haus. Arthur ließ ihn einsteigen und fuhr los. „Drei Dinge“, sagte er ohne Tom anzusehen, als er auf die autostrada fuhr. „Erstens: Gib nie wieder meine Location frei, wenn du noch nicht einmal einen echten Blick darauf geworfen hast. Dein Vertrauen in meine Arbeit ist ja nett. Aber solange nicht alle Beteiligten einen Einsatzort gesehen haben, ist er nicht fertig. Zweitens: wir sollten vor Lombardo erwähnen, dass Jobs das eigene Geschlecht bevorzugt. Ich könnte mir vorstellen, dass solche Informationen für Zündstoff sorgen könnten. Drittens: in der Zeitung auf Seite 5 findest du einen Artikel zu einer Frau die sich mit der Familie um Lombardo auskennt. Du hattest mal Bedenken geäußert, dass Lombardo womöglich nicht zum Treffpunkt kommen könnte. Über sie könnten wir ihn finden. Sie arbeitet bis 20Uhr heute am Hafen in einer Boutique. Falls du sie direkt ansprechen möchtest.“ Eames Jesse bestätigte Arthurs Bitte im Casino ein Auge auf sie beide zu haben. Er war bereits drauf und dran die Sicherheitssysteme zu infiltrieren, noch während sie telefonierten. Mal sehen, ob er mich seine Reißleine sein lässt. Ein trockenes Lachen, aber kein Kommentar. Er kannte Eames. Er wusste ziemlich genau was alles schief gehen konnte. »Mach dir keine Sorgen Arthur, ich bin auch noch da.« Eames ärgerte sich etwas, dass er sich so abhetzen musste. So hatte er nicht einmal Zeit sich unter der Dusche einen runter zu holen – Arthur ließ ihn vorerst nicht ran, da der Job gerade in der heißen Phase war. Als ob Eames das nicht selbst wüsste, aber irgendwo musste die ganze angestaute Energie und Selbstzufriedenheit doch hin. Solche Erfolgserlebnisse, wie heute, machten ihn leider immer rattenscharf... Nun ja, vorerst Pech gehabt. Er trug einen Holster mit einer Waffe, weil er wusste, dass die Affen ihn abtasten würden. Wenn sie ihn entwaffnet hatten, würden sie seinen Körper nicht weiter durchsuchen und das Mikrophon und das versteckte Messer nicht finden. Er war nicht unbedingt der Messerkämpfer; mit Kick-Boxen kam man schon ganz gut voran; aber sie begaben sich heute Abend in ein wahres Rattennest. Lombardo hatte ihn das letzte mal übel zugerichtet, wegen seiner Kohle und nach dem Jobs-Fall hatte er sogar nach seinem Leben getrachtet, obwohl das Geld nur eine Woche zu spät kam. Die Sache war also wirklich heikel. Umso ärgerlicher, dass Arthur unbedingt dabei sein wollte. Auch er hatte ein Talent zu reden, darum machte sich Eames keine Sorgen. Es ging eher darum, dass die Situation erschreckend leicht eskalieren konnte... und dann wäre Arthur da und in Gefahr und das stresste Eames bei Weitem mehr, als die Aussicht auf eine weitere üble Portion Prügel. Mit seinem üblichen Gemecker, lenkte Arthur ihn jedoch etwas von dem allgemeinen Unwohlsein ab, das Eames empfand. »Sure, darling, was auch immer du willst.«, antwortete er in legerem, doch höflichem Ton und schlug bereits die Zeitung auf, um zu lesen. Er hatte eindeutig nicht richtig zugehört. »Hm, sehr interessant...«, murmelte er. Erst hatte er nur überflogen, aber als er merkte, was Arthur da für einen Schatz gefunden hatte, nahm er sich Zeit den Artikel ausführlich zu lesen. »Sehr interessant...« Er wandte sich an Arthur, der zielstrebig am Steuer saß und dem Navi bereits zum Hafen in besagte Boutique folgte. »Sehr gute Arbeit, Arthur. Ich denke Sie haben eine Gehaltserhöhung verdient.« Das Geschäft lag quasi eine Straße entfernt vom Meer. Geparkt hatten sie in einem Parkhaus gleich um die Ecke, was sie für eine Stunde sicherlich ein halbes Vermögen kosten würde. Eames nahm einen Schluck aus einer kleinen Plastikflasche, ehe er sie in einen der Müllkörbe auf der Straße warf. Immer schön hydrieren, dachte er. Er musste einen kühlen Kopf bewahren. »Da vorne ist es.«, bemerkte er, unnützer Weise. Er trug eine Sonnenbrille und hatte die Zeitung eingerollt unter seinem Arm geklemmt. »Willst du warten, oder Wingman spielen?« Arthur Wie er es liebte! Wie es ihm gefehlt hatte! Dieses Gefühl, ignoriert und nicht ernst genommen zu werden! Einfach fantastisch! Er atmete langsam wieder aus. Seine Zungenspitze glitt über seinen Eckzahn, ein ungläubiges Lächeln, zierte seine Lippen. Er schüttelte leicht den Kopf, während er versuchte, ruhig Luft einzusaugen. Langmut… Wenn das so weiter ging, würde er Eames vermutlich noch vor dem Casinobesuch ins Gesicht springen… Offenbar sickerte durch Eames‘ in den Wolken schwebendes Hirn jedoch die Information hinsichtlich der Ex-Geliebten von Lombardos Sohn. Dass sie es ihm gleich antun würde, das war eigentlich vorauszusehen gewesen. Der Beigeschmack, den das ganze hatte, war seltsam. Doch so eine Aktion gehörte zum Job dazu und Tom war einfach gut darin, Frauen um den Finger zu wickeln. So war das halt… Als Eames nach der Lektüre des Artikels sich ihm wieder zuwandte, warf er ihm doch einen kurzen Blick zu. Einen Moment sah er ihn skeptisch an. Wollte er ihn verarschen? Dieser treudoofe Blick, den er bekam, ließ ihn wieder nach vorne sehen. Dann erwiderte er recht nüchtern: „Gute Idee! Ich werde es berücksichtigen, wenn ich dir die Rechnung schicke – zusammen mit der Spesenabrechnung.“ Dass bei ihrem Trip durch halb Europa er die ganzen Kosten übernahm, obwohl sie eigentlich Eames Arsch retten wollten, störte ihn im Grunde nur bedingt. Aber es war auffällig. „Vielleicht sollte ich deine hässliche Uhr als Pfand mir aushändigen lassen. Als Schuldschein sozusagen.“ Eigentlich hatte er sich vorgenommen, diese Uhr zu ignorieren, aber gerade stieß sie ihm sauer auf. Woher hatte der Kerl das Geld für so eine Uhr, wenn er doch angeblich alles Geld an Lombardos überwiesen hatte?! Sie waren knapp dran, so dass sie in ein nahegelegenes Parkhaus fahren mussten. Auf dem Weg zum alten Hafen roch es nach Meer, Möwen zogen ihre Kreise. Die Stadt war laut und voll, hupende Mofas bahnten sich ihren Weg durch die Gassen, Menschen saßen in den Cafés und unterhielten sich, Touristen stolperten umher, während sie sich versuchten zu orientieren. Ihr Zielobjekt zog die Ladentür gerade zu, schloss ab und machte sich dann daran, das Gitterrollo herunter zu ziehen. »Willst du warten oder Wingman spielen?« Arthur blickte zu Tom. Ja, was wollte er? Warten und darauf vertrauen, dass Tom wusste, was er tat, oder dabei zusehen und hören, wie der andere sich darin versuchte, ihr Honig ums Maul zu schmieren. „Ich bin zwar der zuverlässigste Mann in unserem Team und gebe auch gerne Tempo und Richtung vor. Aber ich glaube ich kann gut auf das Gesülze verzichten, das vermutlich gleich kommen wird“, entschied er. Zumal er es eh nicht wirklich verstehen würde. „Muss ja auch nicht sein, dass sie uns beide sieht“, fügte er als etwas rationalere Begründung noch hinten an. „Ich bleib an euch dran.“ Eames Gesülze?! Eames sah kurz gespielt beleidigt aus, grinste dann jedoch süffisant. Na wenn er meinte! Er wusste ja, dass Arthur hin und wieder genervt von ihm gewesen war; früher wohl noch mehr, als heute; wenn er ihn in seinem „jugendlichen“ Übermut mit Liebesbekundungen angegangen war. Aber offensichtlich hatte sein „Gesülze“ ausgereicht, um ihn rumzukriegen. »Exzellent.«, antwortete er und checkte seine Uhr, vor allem um sie Arthur noch einmal vor die Nase zu halten. Was auch immer er gegen eine goldene Rolex hatte... »Es ist 7:04; ich werde versuchen sie an den Strandpromenade zu locken. Dort wirst du uns vermutlich besser beschatten können.« Er hielt Arthur die Zeitschrift vor die Brust, bis dieser sie ihm abnahm. Dann richtete er seinen Kragen und trat etwas näher an Arthur heran, als zwei Männer normalerweise beieinander standen. »Rieche ich auch gut genug?«, witzelte er in rauem Flüsterton und öffnete einen weiteren Knopf an seinem Hemd. Zum Abschied klopfte er ihm dann sanft gegen die Hüfte; wie man es auch gern bei Hunden oder Pferden tat. Dann drehte er sich um und marschierte in wiegendem Gang davon. An einem Souvenir-Shop auf dem Weg stahl er eine Postkarte und spazierte weiter, als wäre nichts gewesen, bis er die Lady eingeholt hatte: Viola Arianna Pellegrino. Kaum zu glauben, dass sie allein unterwegs war, dachte er sich. Sie war nicht so schön, wie auf dem kleinen Bild, das er in dem Magazin gesehen hatte, aber immer nicht zu verachten. Ein kleines, zierliches Ding mit gemachten Brüsten und einer Art sich zu schminken, die an namenhafte Latina-Berühmtheiten erinnerte. Mit Highlighter hatte sie nicht gespart. Er sprach sie an und deutete etwas ratlos auf die Karte, die er geklaut hatte. Wie es sich für einen Schauspieler gehörte, verkörperte er die Rolle des liebenswerten, verlorenen Touristen ganz wunderbar, während die goldene Uhr und das teure Parfum von gelangweiltem und abenteuerlustigem Millionär sprachen. Genau den Eindruck, den er auf Viola machen wollte. Sie schien nicht direkt verzaubert, aber immerhin nicht ganz abgeneigt. Eine Gelegenheit, die er ab Schopf packte und sie mit ein paar netten Sprüchen einlullte. Natürlich, liebend gern würde er sich von ihr den Stromboli zeigen lassen. Und gegen ein Snack hatte sie sicherlich auch nichts einzuwenden, nach der harten Arbeit. Es war ein Fest. Er zog sämtliche Register und wenn er einmal zu weit ging, behauptete er einfach, dass sein Italienisch noch verbesserungsbedürftig sei und dass sie ihm dabei gern helfen dürfte, sollte er mal wieder zu frech werden. Seit er merkte, dass sie ihm nicht abgeneigt war, drehte er den Schalter um auf Voll-Flirt und baggerte was das Zeug hielt. An der Strandpromenade angekommen, ließ sich Viola dazu überreden einen Kaffee mit ihm zutrinken – was in manchen Sprachen schon einer Einladung zum Sex gleich kam, aber natürlich würde Eames es nicht so weit kommen lassen. Das Gefühl von Arthur beobachtet zu werden, schränkte ihn ohnehin schon in seiner künstlerischen Freiheit ein. Während sie auf ihre Bestellung warteten, seilte sich Eames kurz ab, um Arthur anzurufen, den er bereits seit einiger Zeit aus den Augen verloren hatte. »Ok, hör zu, ich hab sie fast so weit mich mit nachhause zu nehmen. Sie wohnt nicht weit von hier. Ich werde ihr Handy klauen, da müssten alle Daten über Lombardo drauf sein. Mal sehen was ich sonst noch mitgehen lassen kann...«, leider hielt die junge Dame ihr Smartphone in der Hand, als wäre es ihr verlängerter Arm. Keine Chance einfach so daran zu kommen, er hatte es versucht. »Ich brauche noch einen Aufhänger, damit sie mich wirklich will--«, eine Heldentat, so zusagen. »Komm rüber und bedränge sie. Sie versteht dich auf Englisch. Lass mich strahlen, dann sind wir in einer halben Stunde durch mit dem Thema.« Arthur Die Macho-Uhr würde Eames gewiss gleich helfen. Sie erweckte bei solchen Frauen den Eindruck, dass man wohlhabend war. Der Anzug, den er ihm besorgt hatte, vervollständigte das Bild eines Vermögenden. Dass er sie ihm nochmal vor die Nase hielt, war nach seinem Kommentar im Auto vorhin im Grunde vorprogrammiert gewesen. Das konnte er ertragen. Was ihm seine ohnehin angespannte Laune allerdings so richtig verhagelte, war vielmehr das was folgte. König Thomas Eames erteilte seinem Fußvolk die nötigen Informationen, damit das Turnier für ihn entschieden wird. Arthur kam sich wie der letzte Idiot vor. Er zögerte lange, diese beschissene Zeitschrift zu nehmen. Seine Faust schloss sich fest um diese, als Tom näher zu ihm trat und im Grunde fragte, ob er anziehend genug, unbesiegbar wäre - und das mit dieser Stimme! „Leck mich!“, war seine geknurrte Antwort. Der absolute Höhepunkt jedoch war dieser... dieser Klaps!, den er sich echt sonstwohin stecken konnte! Oder für sein trautes Eheweib aufsparen, das adrett im perfekt geputzten Haus auf ihn wartete, ihm sein Essen gekocht, die Pantoffeln zurechtgestellt und die Zeitung auf dem gedeckten Tisch platziert hatte - sofern es noch Frauen gab, die sich solcherlei Erniedrigung gefallen ließen. Sein sonst so ungerührter Gesichtsausdruck war einen Moment aus der Fassung, während er Eames hinterherschreie. Kurz war er wirklich gewillt, ihm diese Zeitschrift in seiner Hand gegen seinem Kopf hinterher zu schmeißen, doch er ließ die Hand langsam wieder sinken. Nicht verwunderlich, dass er mit einem Gefühl von Erleichterung daran dachte, dass er heute ein Ticket für den Flug nach L.A. in drei Tagen in Rom gebucht hatte und bei diesem Gedanken ruhiger ausatmeten konnte. Er gab Eames etwas Vorsprung, dann folgte er unauffällig mit entsprechendem Abstand. Es war genau dieses Gesülze, das er gemeint hatte, das er jetzt förmlich hören konnte, während er Eames bei seiner Showeinlage zusah. Dabei hatte er genug Entfernung, so dass er es eigentlich nichts hören und somit ertragen musste. Dennoch kamen all die Honigschmierereien, alle Sprüche, Pseudokomplimente und Doppeldeutigkeiten wieder hoch, die er so in den Jahren hatte sammeln dürfen. Das Gefühl, das sie ihm bereiteten, war eine Mischung aus dem selben Genervt-sein wie früher, der selben Ablehnung (vielleicht sogar Abneigung) und etwas wie Mitleid mit dieser Frau, deren Gesichtsausdruck nur zu deutlich machte, dass sie voll drauf reinfiel. Eifersucht spielte hier gar keine Rolle! Nein! Never! Er hatte sich nie auf Eames eingelassen, wenn er diese Register zog. Er hatte sich stets nur auf ihn eingelassen, wenn er ehrlich zu ihm war, wenn er er selbst war. Dieses Selbst war liebenswert, nicht dieser vor Charme überlaufende, viel zu einnehmend lächelnde, leider verboten gut aussehende Mann dort drüben im Strandcafé mit seinen schiefen Zähnen und den immer lächelnden, leuchtenden, intelligenten Augen. Arthur atmete tief durch, als Eames ihren Arm berührte und sie glockenhell lachte, drehte sich einen Moment weg, schloss die Augen - nur einen Moment Abstand. Seine Gedanken drifteten zu den Augen, in denen er versunken war, als sie im Strandkorb gesessen hatten. Das war echt gewesen, pur, wirklich. Im Grunde war Eames als Forger wirklich einfach unfassbar gut. Er war der beste Täuscher, der sein Talent dafür nutzte, das maximal Mögliche aus jeder Situation herauszuholen - für den Job, am meisten jedoch für sich selbst. Sein Handy vibrierte. Während er es herauszog, drehte er sich wieder zu dem ‚Pärchen‘ um. Tom war nicht mehr da, dafür rief er ihn gerade an. „Eames?!“, meldete er sich knapp und hörte zu. Wie ‚weit’ er war, interessierte nicht. Die Idee mit dem Handy war jedoch gut. Doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr der andere jedoch fort. Damit sie ihn wirklich will? Er sollte was?! Ungläubig hob er die Augenbrauen. Dann schloss er die Augen. Tom tat das nur, um ans Ziel zu kommen. Er sollte professionell damit umgehen! „Geht klar“, sagte er möglichst neutral. „Warte kurz, dann geh ich direkt zu ihr und mach sie an. Aber vielleicht sollten wir das Handy nicht klauen. Wenn ich es bekomme, brauche ich nur 10Minuten, um die Daten runterzuziehen“, erklärte er noch. „Dann merkt sie nichts und kann niemandem etwas in der Richtung erzählen. 10Minuten - länger brauchst du ja sicher eh nicht.“ Ohne recht zu wissen, was er zu ihr sagen sollte, ging er hinüber zum Café, erklomm die zwei Stufen auf die Terrasse. Im Vorbeigehen zog er eine Blume aus einer Vase am Tresen und ging von hinten auf sie zu. Er streckte die Blume hin ohne um sie herum zu treten, wartete bis sie zu sprechen begann, sich drehte und ihn freudestrahlend anlächelte im Glauben der nette Kerl von eben sei es. Ihre Worte erstarben in dem Moment, in dem sie ihn sah und sich ihr Gesichtsausdruck von wahrer Freude in Verwirrung wandelte. „Es tut mir leid“, begann er auf Englisch, versuchte dabei etwas alkoholisiert zu klingen. „Ich habe dich die ganze Zeit beobachtet und mir ist bewusst geworden, dass ich vermutlich nie ein schöneres Wesen gesehen habe.“ Arthur ging in die Knie, ergriff ihre Hand. Er musste diese festhalten, denn im ersten Impuls hatte sie sie wegziehen wollen. Sie wollte etwas sagen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. „Ich kann kaum glauben, dass es so viel Vollkommenheit in einem Körper gibt. Du musst eine Göttin sein! Venus vielleicht? Ist das dein Name? Bei deinem Anblick geht in meinem Herzen die Sonne auf.“ Er beugte sich vor, küsste ihre Hände. Dann legte er ihre Hände auf ihrem Oberschenkel ab, kam ihr näher. Warum tat er sich das eigentlich an?! Zumindest konnte er auf Sprüche zurückgreifen, die unter anderem Eames bei ihm auch in ähnlicher Weise versucht hatte. „Der Typ von grade. Ist das dein Freund? Du hast wahrlich was Besseres verdient. Bestimmt hat er kalte Füße bekommen und ist abgehauen, weil er gemerkt hat, dass er dir nicht gewachsen ist. Aber nimm’s leicht! Nimm mich!“ Gott, ihm wurde schlecht! All den Scheiß hatte er auch schon hören dürfen. Eames Er meinte einen bissigen Unterton bei ihrem Telefonat herausgehört zu haben; da war die finale Bemerkung eigentlich nur die letzte Bestätigung für Eames. Arthur gefiel gar nicht was hier passierte und in gewisser Weise konnte Eames es ihm nicht einmal übel nehmen. Das änderte aber nichts daran, dass sie es durchziehen mussten. Es war der simpelste Weg und nebenbei wahrscheinlich der einzige, den der Forger kannte. Eine Extraction wäre vielleicht noch eine Möglichkeit gewesen, aber für die Planung war längst keine Zeit mehr. Außerdem hatte er bereits viel zu viel Spaß an der Sache, um jetzt noch alles um zuschmeißen. Viola schien nicht allzu begeistert von dem neuen Verehrer. Eames beobachtete, wie sich ihr Gesicht angestrengt verzog, als Arthur ihre Hand nahm, auch wenn sie zunächst noch recht angetan von der Geste mit der Blume gewesen zu sein schien. Den Besoffenen konnte er ganz gut, das musste man dem Stick-in-a-butt lassen, dachte er. Er beobachtete die beiden noch ein Weilchen aus sicherer Entfernung, bis er sich ganz sicher war, dass Viola ihm absolut abgeneigt und bereit war es deutlich zu machen. »No!Togliti dai piedi-...!«, wo sie zunächst noch fast höflich versucht hatte Arthur loszuwerden, wurde sie allmählich garstig – das war der Startschuss. Allzu wütend durfte sie auch nicht werden. »Hey, Kumpel!« Eames packte Arthur harsch an der Schulter und zwang ihn auf zwei Beine. »Verstehst du kein Nein? „No“, vielleicht?« Er baute sich vor ihm auf; in diesem Augenblick waren sie kein Pärchen. Sie waren nur Held und Antiheld in einer romantischen Komödie. Er packte Arthur am Kragen und drückte ihn weiter von Viola und dem Tisch weg. »Ich will dir nicht wehtun, Cornuto. Also verpiss dich jetzt.«, sprach er laut genug, dass die Zielperson es noch mithörte. Dann schob er leise hinterher, während er Arthur besonders nah und energisch weg manövrierte: »Gute Arbeit..« Er gab Arthur einen letzten Schubs und kehrte dann zu Viola zurück, die offenbar ganz zufrieden mit ihrer Rettung zu sein schien. Auch wenn sie fallen ließ, dass sie das auch allein hätte klären können. Sie fanden einen feministischen Kompromiss, indem Eames ihr nur aus Dankbarkeit geholfen hatte, dafür dass sie sich bereit erklärt hatte ihm ein paar Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Und wo sie gerade beim Thema waren hatte er auch großes Interesse daran sich weiter umzusehen und ob sie denn noch eine Idee hätte, was sie ihm noch zeigen könnte. Sie hatte durchaus einen Einfall; ihr Apartment sei ja immerhin auch ganz schick, das müsste man gesehen haben... Was für eine fantastische Idee! Sie zahlten und endlich – endlich (!) ließ Viola ihr Handy einmal in ihre Handtasche fallen. Nun durfte er nichts anbrennen lassen. Er suchte den Blickkontakt zu Arthur, der sich gut getarnt in ihrer Nähe befand und ihnen folgte, als sie wieder in die Straße zur Innenstadt einbogen, einen kleinen Hügel hinauf, an alten, in traditioneller Handarbeit gemauerten Hauswänden und alten, restaurierten Metalltoren vorbei. Sie war gut drauf und als sie ein weiteres mal herzhaft über eine seiner ausgedachten Geschichten lachte, legte er einen Arm um ihre Schultern und strich mit den Fingerspitzen über ihren glatten Oberarm. Eine kleine, intime Geste. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Als sie vor ihrer Tür standen – es war ein Zugang durch einen Hinterhof, ähnlich wie bei Davoli – und sie den kleinen Treppenabsatz hinaufgestiegen war, wagte Eames einen weiteren Schritt, den entscheidenden Schritt. Er packte sie mit sanfter Bestimmtheit und küsste sie, während seine Hand in ihre Handtasche glitt und dort ihr Handy zu fassen bekam. Während er sich augenscheinlich näher an sie schmiegte, streckte er den Arm zur Seite aus, um ihr Telefon auf der grobsteinigen Fensterbank eines der Erdgeschosswohnungen abzulegen. Er hoffte nur, dass keiner der Nachbarn sie beobachtete, aber dieses Risiko mussten sie jetzt eingehen. Wichtig war, dass Arthur in ihrer Nähe war und (leider) alles mitbekam. Kurz darauf fiel die Tür hinter ihnen zu und Eames gab sich Mühe Viola für zehn Minuten gut zu beschäftigen. Arthur Man! Arthur rieb sich über die Seite, auf der er ziemlich unsanft aufgekommen war, als er sich von Eames hatte schubsen lassen und dummerweise gegen einen der Stühle geknallt war. Zumindest hatte durch den Schmerz seine Verfluchung sehr echt geklungen, bevor er leicht torkelnd von dannen zog. Sicher hatte er morgen einen schönen blauen Fleck. Dummerweise bekam er die bei solchen Dingen leichter, als wenn er trainierte. Er spähte um die Ecke, verfolgte die beiden, die so vertraut miteinander umgingen. Ein schönes Pärchen, das Arm in Arm die Straße wechselte, das Ziel vor Augen: das Schlafzimmer. Arthur folgte ihnen, eilte hinterher, als sie in einer Hofeinfahrt einbogen und zum hinteren Hauseingang gingen. Sobald Eames ihm das Handy irgendwo deponiert hatte, musste er vor Ort sein. Wie selbstverständlich ging er in den Hinterhof, blickte auf seine Uhr, so als habe er einen Termin. Er blieb vor der Tür stehen, die nur angelehnt worden war, schloss die Augen und lauschte. Die Geräusche waren eindeutig, Geräusche von einem knutschenden Paar, das es kaum erwarten konnte, ins Bett zu kommen. Die Faust, die ihm in den Magen stieß, sich um seine Eingeweide ballte und darin herumwühlte, war unerwartet heftig aber nicht ganz unbekannt. Es ist alles nur ein Job! Es ist wichtig für Tom. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Schauspiel. Im Grunde hatte er es ja vorgeschlagen. Er hätte ihm den Artikel auch nicht zeigen müssen… Es sollte ihn nicht berühren. Die Tür ging, Arthur drückte die Haustür auf, blickte die Treppe hinauf und sah sogleich das Handy auf dem Fenstersims. Er lauschte, ob noch andere Geräusche (von einem Nachbarn zum Beispiel) im Treppenhaus zu hören waren, aber es war ruhig. Ein Fernseher lief irgendwo recht laut. Irgendjemand sprach laut aber hinter geschlossenen Türen. Koppeln, in die Cloud laden, Spuren verwischen, abwischen, hinlegen – 8 Minuten 37Sekunden. Er verließ das Haus und lief den Weg zurück in Richtung Strandpromenade. Unterwegs schrieb er Jesse, gab ihm die Zugänge für die Daten und bat ihn, Eames eine Nachricht zu schreiben, dass er auf ihn am Souvenir-Stand warten würde. Dann atmete er tief durch, versuchte die Übelkeit zu verdrängen, die seinen Magen verkrampfen ließ. Es ist nicht leichter geworden… Der Blick aufs Meer, die Schiffe, die in den Hafen einliefen, Wellen, die an die Mauern schlugen… etwas entspannen und warten. Als er Schritte hinter sich hörte, drehte er sich für einen Blick um, um seine Vermutung zu bestätigen. Er erkannte Eames am Rhythmus seiner Schritte - fast etwas gruselig. „Es hat alles geklappt“, begann er halblaut. „Die Daten schaut sich Jesse genauer an. Ich denke, es ist alles dabei, was wir brauchen.“ Er hatte kurz etwas durchs Telefonbuch geblättert. Sah gut aus. „Wir sollten schauen, dass wir ins Casino kommen.“ Eames Als er Arthur an dem Souvenirladen stehen sah, verkrampfte sich sein Magen. Er fühlte sich elend. Sicher, es war nur ein Job, alles nicht so wild nicht wahr? Aber irgendwie war es doch wild – es war widerlich. Er fühlte sich wirklich schmutzig, dass Arthur alles hatte mit ansehen müssen. Wo er nicht mehr in seiner Rolle war, brach das Ausmaß erst über ihn ein. Einen kurzen Moment konnte er den Point Man beobachten, ohne dass er von ihm entdeckt wurde. Er war die männliche Version von Schneewittchen – schlank, bleich, schön und traurig. Eames schlug sich die Faust gegen die Stirn, um wieder klar zu denken. Ein Job. Es war nur ein verdammter Job. Aber er ahnte bereits, dass diese Sache Konsequenzen haben würde. Sie hatten sich gerade erst wieder gefangen. Gerade erst hatte Arthur ihm wirklich geglaubt und etwas Vertrauen gefasst und dann kam so eine Nummer... Am Ende könnte Eames die Schuld immer noch auf Arthur schieben. Er war erst auf Viola aufmerksam geworden; hatte ihm den Artikel unter die Nase gehalten; war zum Hafen gefahren... eigentlich war Eames doch auch nur eine Schachfigur in diesem Drama. Irgendwie auch nicht... »Hm.«, machte er anerkennend. Er trug wieder seine Sonnenbrille, auch um Arthur nicht direkt ansehen zu müssen. „Wir sollten schauen, dass wir ins Casino kommen.“ »Sure.« So zogen sie los. Arthur fragte nicht und Eames erzählte zunächst nichts. Als sie wieder im Auto saßen und auf die Schnellstraße auffuhren ging die Sonne unter. Es war ein idyllisches Spektakel in Orangerot. Rund um sie her waren kaum Autos unterwegs und ihre Sicht auf den Horizont war frei. Erst als er einen Blick in den Spiegel im Auto warf, bemerkte er, dass noch Lippenstift an seinem Kragen klebte, den er umgehend mit einem Taschentuch abzuwischen versuchte. »Ich muss etwas fragen, Arthur.«, setzte er an. »...wir sind uns einig, dass es ein Job ist, oder? Du weißt, dass mir diese Frau nichts bedeutet, richtig?«, er versuchte locker und beiläufig zu klingen, aber tatsächlich gelang es ihm in diesem Augenblick nicht zu 100%. Er fühlte sich schlecht und war gleichzeitig wütend, dass er so empfand. Sie hatten nie die Konditionen ihrer Beziehung ausgehandelt und ob Monogamie tatsächlich dazu zählte, aber irgendwie fühlte es sich so an und es wühlte ihn auf einer Eben auf, mit der er nicht gerechnet hatte. Arthur Es war gut, dass er ihn nicht berührte und ihm nicht zu nahe kam. Arthur brauchte etwas Abstand, um damit klar zu kommen, dass diese Frau den einzigen Menschen, den er nah an sich heranließ, auf diese Weise berührt hatte. Sie hatte ihre Finger durch das Haar streichen lassen, das seines war. Sie hatte diesen Körper an ihrem gespürt, der sich so perfekt mit seinem zusammenfügte. Sie hatte diese Lippen geküsst, die ihn so manches Mal ablenkten. Der Lippenstift am Kragen zeugte davon, dass es kein harmloses Geknutsche gewesen war, dass diese gewisse Gier darin eine Rolle gespielt hatte, die ihn in seiner Einsamkeit auch losziehen ließ, um sie zu befriedigen. Das Schweigen half, diese Emotionen zu ordnen, sie zu sortieren und irgendwie zu verarbeiten. Ja, verdammt. Es schmerzte mehr denn je. War ja nicht so, dass er früher nicht hatte zusehen dürfen, wie Tom Frauen abschleppte - ob mit oder ohne Job. Aber jetzt, seit sie versuchten, ihr something zu leben, noch mehr seit dem Schlüssel, nach ihrer Nacht bei Neapel, nach diesem Strandkorb fühlte sich die Eifersucht so anders an. Dass Tom ihn im Auto darauf ansprach, überraschte ihn, überraschte ihn wirklich. Er hatte nicht gedacht, dass es von Toms Seite zur Sprache kam. Der Tonfall war zudem ungewohnt, die Art mit ihm zu reden. Arthur hatte viele Situationen erlebt, in denen Tom ihn hatte dumm dastehen lassen, ihn aufgezogen hatte, ihm Sachen unterstellt hatte. Situationen mit Frauen, die Tom benutzt hatte, verführt hatte, ja sogar ihm abspenstig gemacht hatte. Früher, als er sich dafür hatte rächen müssen, weil er sich nie auf ihn eingelassen hatte. Früher, als jener auf Biegen und Brechen versucht hatte, ihm irgendeine Form von Emotion zu entlocken, die ihm zeigte, dass er Arthur nicht gleichgültig war. Je mehr er es versucht hatte, desto mehr hatte er sich verkrochen, während die Hülle des Desinteresses und der Gleichgültigkeit gewachsen war. Nein, dieser Tonfall hier war ehrlich und hatte eine Spur von Sorge. Er blickte zu ihm, sah ihn an und begriff, dass sich etwas zwischen ihnen wirklich grundlegend geändert hatte. Und diese Erkenntnis tat unfassbar gut. „Ich möchte nicht sagen, dass mich das kalt gelassen hat. Eher im Gegenteil. Und ich brauch noch etwas Zeit zum Verdauen“, begann er schließlich zögernd aber mit der gleichen Ehrlichkeit. „Ich hoffe, dass ich das nicht allzuoft mitansehen muss.“ Diese Verführungen kamen in ihrem Metier oft vor. Aber auch im privaten war Tom kein Kind von Traurigkeit. Im Grunde wusste er, dass jener niemand war, der ohne Sex auskam. Wenn sie nicht beieinander waren, würde er sich gewiss Ablenkung suchen. Es war ihm egal, solange er nichts davon sah und wusste. Es war ihm egal, solange er ihm vermittelte, dass es bei ihnen nicht (nur) um Befriedigung ging, sondern dass da mehr war. Er hatte ihm versprochen, ihn nie in einen goldenen Käfig zu sperren - und das würde er tatsächlich nie wollen. „Ich bilde mir ein zu wissen, dass du mich noch nie gefickt hast, weil es dein Job war“, sagte er schließlich. „Solange sich das nie ändert, ist alles in Ordnung.“ Er sah zu dem Mann an seiner Seite. Ja, er hatte anfangs, als Eames mit dem Jobs-Fall ankam, Angst gehabt, dass er ihm nur so nah auf die Pelle rückte, weil er ihn als Point Man brauchte. Er wusste es aber besser. Er hatte es in seinen Augen gelesen, als er auf Toms Schoß am Strand gesessen hatte. „Falls sich das jemals ändert und du nur aus Pflichtgefühl heraus mit mir schlafen würdest, dann mach es bitte nicht.“ Er war ein Mann, keine Frau. Wenn er so darüber nachdachte, hatte Tom vor seinen Augen noch nie einen anderen Mann angemacht. Dennoch konnte er sicher nicht mit den Reizen einer Frau mithalten. Vielleicht begegnete Tom ja auch irgendwann einer Frau, mit der er lieber zusammen sein wollte. Sehnte sich der Forger nicht in gewisser Weise nach einem Zuhause? Auch wenn er alles dafür tat, so zu tun als sei es nicht so? Der Gedanke schmerzte, doch er sollte das nie vergessen. - Zeit das Thema zu wechseln. „Ich brauche 30Minuten im Casino, um mich mit allem vertraut zu machen. Bekomme ich den Vorsprung?“, lenkte er das Thema auf ihren Job. Eames „Solange sich das nie ändert, ist alles in Ordnung.“ Eames hatte nicht gemerkt, dass er Arthur förmlich angestarrt hatte, als er sprach. Nun wendete er etwas verhalten den Blick ab und sah aus dem Fenster. Diese Sache gleich auf den Tisch zu bringen hatte ihn Überwindung gekostet. So etwas ging ihm in der Regel nicht allzu leicht von den Lippen. Dass alles in den letzten Tagen so gut für sie lief, brachte ihn jedoch hin und wieder auf neue Ideen. Er lächelte, nickte leicht, mehr für sich, als für Arthur. Zum ersten Mal glaubte er, dass es so etwas wie eine Beziehung tatsächlich zwischen ihnen geben könnte. Nicht unbedingt im absolut klassischen Sinne, aber es war ein Name für das Gefühl von nachhause kommen. Warme, ehrliche Liebe, ohne die klassischen Forderungen und Misstrauen. Vielleicht war er endlich bereit dazu. „Falls sich das jemals ändert und du nur aus Pflichtgefühl heraus mit mir schlafen würdest, dann mach es bitte nicht.“ Darauf entkam ihm ein sanftes Lachen. »Sicherlich nicht, darling.« Er wünschte, dass Arthur sich selbst nur ein einziges mal durch seine Augen sehen könnte. Nur einmal müsste er fühlen, was er empfand, wenn er ihn ansah. Alle Zweifel wären wie weggeblasen, da war sich Eames sicher. Leider musste er es ihm irgendwie anders beweisen, aber fühlte sich bereit dazu. Die 30 Minuten sollte Arthur bekommen. Eames übergab Arthur den Ohrstecker, der zu seinem versteckten Mikro passte. So würden sie zumindest einseitig in Kontakt bleiben. Nachdem sie die Technik kontrolliert hatten, suchte Eames einen Parkplatz und ließ Arthur Zeit vorzugehen. Genau 32 Minuten später, verschaffte sich auch Eames Zugang ins „Caesars Palace". Der Schuppe war edel, es roch nach Zigarren und teurem Parfum. Die Angestellten trugen alle Anzüge und die Securities Headsets und Sonnenbrillen. »Buona sera!«, grüßte Eames einen der Kellner, den er spontan wieder erkannte. Alle anderen Angestellten schienen neu zu sein. Dabei brauchte er doch so dringend jemanden, der er kannte, der ihn zu Lombardo führen würde. Von Arthur fehlte ihm im Augenblick auch noch jede Spur. Der Laden war bereits gut gefüllt um diese Uhrzeit. Er spürte sein Herz schneller schlagen. »Wo steckst du, Arthur?«, nuschelte er ins Mikro und sah sich noch einmal um. Als Eames sich umdrehte und einem großen, böse guckenden Italiener in die Arme lief, schien es jedoch nicht mehr notwendig zu sein, den Boss ausrufen zu lassen. Eames grinste ihn unverholen an. »Nevio, richtig? Ich hab dich an den Schuhen erkannt. Die hattest du auch an, als du mir ins Gesicht getreten hast.«, er reichte ihm die Hand, welche der große Typ direkt wieder wegzog. Sogleich erschienen zwei weitere Kerle. Das war nicht der Empfang, den sich Eames vorgestellt hatte. »Und deine Cousins, richtig? Hört zu, Jungs, ich muss dringend mit Lombardo sprechen.«, die drei waren drauf und dran ihn mit so wenig Aufsehen wie möglich zu fassen zu kriegen und schlimme Dinge mit ihm anzustellen. Aber Eames wand sich elegant aus ihren Griffen und tänzelte um einen der Spieltische herum, wo er einen eleganten, älteren Herren massiv beim Spielen störte. »Es geht um Baretta.«, schon bei der bloßen Erwähnung dieses Namens schienen die sogenannten Jungs zusammen zu zucken. »Baretta und Jobs. Ich habe Informationen, die Lombardo interessieren werden. Also bringt mich schnell zu ihm, sonst -«, in diesem Augenblick entdeckte er Lombardo auf der Balustrade stehen, die sich in elegantem römischen Stil über ihnen erstreckte. »Lorenzo, mein Freund! Hör mal, wir müssen dringend reden!«, rief er und tatsächlich bekam er eine Audienz in einer der Hinterräume. Arthur Casinos hatten stets ihren ganz eigenen Flair. Gedämpftes Stimmengewirr, das Klicken aneinanderschlagender Jetons, die Schieber, die über den Filz glitten, das Roulette, das man aus allem heraushörte, Gläser, die auf die Theke gestellt wurden - Geräusche, die sich scheinbar perfekt in die leise Hintergrund Musik einfügten. Gelegentliche Freude, gelegentliche Enttäuschung unterbrachen den Singsang. Die einarmigen Banditen mit ihrem Gedudel waren nicht ohne Grund im Nebenraum, wo eine gänzlich andere Stimmung herrschte. Eine Stimmung von Hektik, Nervosität, billigem Alkohol und Ablenkung. Hier hingegen war eine Stimmung von scheinbarem Wohlstand. Arthur nahm die Sonnenbrille ab, die er aufgesetzt hatte, bevor Eames wieder bei ihm aufgetaucht war, und blickte sich um. Er erkannte recht schnell, wer wirklich über Geld verfügte. Es waren die wenigsten. Auch die Süchtigen erkannte man schnell, die Profis, die Neugierigen, die Grünschnäbel. Er orientierte sich im Raum, glich ihn mit den Bauplänen ab und durchschritt ihn wie jemand, der noch nicht wusste, wo er seine Jetons loswerden wollte. Beim Roulette blieb er etwas stehen und sah scheinbar zu. Arthur liebte Roulett, ein Spiel, das so symmetrisch und geordnet ablief, viele Konstellationen, viele Möglichkeiten, alles hatte einen klaren Namen, die Null war das, was man gerne übersah, was sich von hinten anschlich, was einen überraschte. „24, schwarz, Pair und Passe, gerade und in der zweiten Hälfte des Tisches. Mittleres Dutzend“, hörte er - alles Glückssache, Zufall. Ein guter Croupier kannte seine Spieler und er kannte die Bewegung, mit der er die Kugel in das Roulette einlassen musste. ‚Tout est possible!... Rien ne va plus.‘ Er würde dieses Spiel nie spielen. Sein Weg führte ihn weiter. Auf der Balustrade thronte der König, Lombardo und seine Gefolgsleute. Es war blöd, dass nur er Eames hören konnte, jener ihn aber nicht. Er hätte ihm viel berichten können, um ihn vorzubereiten. Die Angestellten wurden mit Argusaugen überwacht. Es gab viele Sicherheitsposten, die durch den Raum gierten. Alle Angestellten waren angehalten, sich gegenseitig zu kontrollieren, damit kein Jeton in die falsche Tasche gesteckt wurde. Es gab Belohnungen fürs Verpfeifen, die einem Monatsgehalt gleich kamen, so dass es lukrativ war, andere anzuschwärzen. Die wenigsten arbeiteten lange hier. Bis auf die Familie - sie hatte einen anderen Stellenwert im System und man erkannte sie sogleich. Und dank ihnen auch die Wege, die das einfache Volk nicht nehmen durfte. Beispielsweise die Hinterzimmer mit den geschlossenen Pokerrunden, die Fluchtwege für die VIPs, wenn es am Pokertisch schmutzig wurde. Arthurs iPhone vibrierte in seiner Brust. Er hatte sich einen Martini an der Bar geholt, überblickte von hier aus den Raum. Er würde ihn nicht trinken, aber er hatte hier einen guten Überblick. Er zog das Handy aus der Tasche, öffnete es, Jesse hatte sich gemeldet. Die Auswertung der Daten hatte gezeigt, dass Lombardo offenbar gestern mehrmals erfolglos versucht hatte, Beretta zu erreichen. ‚Habe ein wenig Fotos bearbeitet. Habe es auch Eames geschickt.‘, schrieb er zusätzlich mit einem Foto von Jobs und Berretta, die sich freudig begrüßten. Zu einer Antwort kam er nicht. Er hörte eine wohlbekannte Stimme in seinem Ohr. »Wo steckst du, Arthur?« Arthur überließ dem Herren an der Bar 20€ und stand auf, durchquerte den Raum in Richtung Black Jack. Es war an der Zeit, Position zu beziehen. Dass er durch Toms Sichtfeld lief kam begünstigend hinzu. Während er sich vorhin umgesehen hatte, war er bereits an jenem Tisch hängen geblieben, an dem eine resolute Italienerin die Karten mischte und austeilte. Zeit ein wenig zählen zu üben. Ihm war gleich aufgefallen, dass sie hier keinen Shuffle benutzten und mit nur vier Kartensets spielten. Das war überschaubar. Und es sparte ihm, einen einarmigen Banditen mit einem Magnet zu manipulieren. Im Spiegel hinter dem Tresen sah er, wie Eames von einem Schrank abgepasst und schließlich weggeführt wurde. Eames Worte reichten, um zu begreifen, dass es sich um jene Typen handelte, die ihm damals die Rippen gebrochen hatten, die den Zahn beschädigt hatten. Arthurs Miene verdunkelte sich. Jetzt musste er sich richtig konzentrieren. Black Jack war sein Spiel. „Mr. Eames“, hörte er wenig später Lombardo langgezogen sagen, als spräche er mit dem Nachbarskind, das er wiederholt beim Kirschenklauen erwischt hatte. „War ich nicht deutlich genug in meinen Worten, ... nein eher in meinem Rat gewesen, dass du dich hier nie, NIE wieder blicken lassen solltest?“ Er klang etwas dumpf, doch nah durch den Knopf. „Habe ich dir nicht äußerst höflich zu verstehen gegeben, dass es ratsam für dich wäre, nie wieder einen Fuß auf sizilianischen Boden zu setzen?“ Arthur hörte Eames aufstöhnen, leise fluchen. Er musste sich beeilen! Arthur schob die Jetons auf seinen stetig wachsenden Haufen, fixierte sichtbar die Hände der Dame, die die Karten für die nächste Runde mischte. Kartenzählen war leicht, und nicht gern gesehen... „Warum kommen Leute wie du immer wieder zurück, wie die Schmeißfliegen. Dir müsste doch klar sein, dass das nicht gut ist!“ Arthur hörte wie Eames erneut ansetzte, doch offenbar hatte Nevio oder einer seiner Cousins zugeschlagen. „Na, na, na, Mr. Eames“, hörte man nun wieder Lombardos schnarrende Stimme über den Kopfhörer. „Du solltest doch wissen, dass ich es nicht mag, wenn man mir ins Wort fällt.“ Es war nicht einfach zuzuhören, wie Eames versuchte sich Gehör zu verschaffen und gleichzeitig möglichst unauffällig und doch sichtbar Karten zu zählen, um den Haufen Jetons zu mehren - bis sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. „Würden Sie so freundlich sein und mich begleiten. Seniore Lombardo möchte Sie sprechen.“ Fünf Minuten später saß Arthur in einem der Hinterzimmer einem Mann gegenüber, der ganz offensichtlich leicht verstimmt war. Er hatte sich ihm nicht vorgestellt, er war etwa Ende vierzig und hatte vermutlich die Aufsicht im Casino übernommen, wenn Lombardo anderweitig beschäftigt war. Die Ähnlichkeit im Gesicht ließ Arthur vermuten, dass er der Bruder des Königs war. Seine teure Lederjacke hatte er über den Stuhl gehängt und die weißen Hemdsärmel hochgekrempelt. Da es ein maßgeschneidertes Hemd war, ging Arthur davon aus, dass der Mann entweder Bestechungsgelder annahm oder im Casino selbst spielte - und stets gewann. Ein Detail, das ihn auf eine Idee brachte. Alles war möglich. Nichts ging mehr. „Wie hat es geschafft, Mr.“ Lombardo, der Zweite, blickte auf seinen irischen (und gefälschten) Ausweis, den ihm das Personal abgenommen hatte. „McCartney.“ Ein kurzer Blickkontakt, den Arthur ungerührt erwiderte. „...in kurzen Minuten so viel zu gewinnen. Du bist ein lucky man!“ Sein Englisch war unbeholfen und ungeübt. Abwartend blickte er ihn an, doch Arthur gedachte nicht zu antworten und schwieg. „Sie wissen, nicht erlaubt zu betrügen? Verrate mir wie du kannst machen“, fuhr er fort, als ihm das Schweigen nach kurzer Zeit unerträglich wurde. Schwach, dachte Arthur. „Haben bestfriend?“ Arthur blickte ihn gleichgültig an, blickte dann auf die Uhr. „Wann kann ich mit jemandem sprechen“, sagte er schließlich in gestochenem Englisch mit irischem Akzent, „der wirklich etwas hier zu sagen hat? Ich habe nichts verbrochen und wenn ich nicht bald mit dem Chef dieses schönen Etablissements sprechen darf, verklage ich Sie wegen Freiheitsberaubung. Meine Personenschützer warten draußen und wissen, wo ich bin. Wenn ich mich nicht regelmäßig melde, werden sie mich suchen.“ Er blickte erneut auf die Uhr, während Eames in seinem Ohr stockend begann zu erklären, weshalb er da war. Er pokerte hoch, das wusste er. Unter Umständen würde er gleich ordentlich ein paar aufs Maul bekommen. Zur Not hatte er Plan B, um Lombardo von Eames abzulenken und ihm einen Denkanstoß zu geben, der ihn von seiner Wut auf den Forger ablenken und ihn gleichzeitig hellhörig für dessen Informationen machen würde. Tatsächlich klappte es, Lombardo herzulocken - lucky man. Und kurz darauf wurde es ruhig im Ohr und Lombardo selbst betrat das Zimmer. „Endlich ein Mann mit Format“, sagte Arthur zufrieden nickend. „Ihr Mitarbeiter glaubt, ich hätte Karten gezählt. Dabei hatte er nicht einmal den Mumm, es mir ins Gesicht zu sagen. Obwohl er recht hatte...“ Er hob beschwichtigend die Hände. „Aber keine Sorge. Es war nur ein Test, um zu sehen, ob mein Geld hier sicher angelegt wäre. Zudem brauchte ich eine Möglichkeit, mit Ihnen zu reden...“ Er redete unbedarft auf ihn ein, erzählte von Geschäften, die er plane - bis Lombardo ihn zum Glück (endlich!) unterbrach. Es gluckte zumindest zum Teil, den Mafiaboss mit seinem Redeschwall etwas zu überfahren, auch wenn er spürte, dass es eine Gradwanderung war. Interessanterweise nicht ganz abgeneigt, aber mit einem klaren: „Ich habe jetzt keine Zeit für so etwas! Hier meine Karte, melden Sie sich auf normalem Wege.“ Arthur hatte damit gerechnet, dass er ihn schneller einfach rausschmeißen würde und Hausverbot erteilte - oder vermöbeln ließ und dann rausschmiss. „Sehr gut!“ Arthur betrachtete die Karte und sah ihn dann wieder an. Lombardo war zur Tür gegangen und hatte der Sicherheitskraft gesagt, er solle ihn nach draußen begleiten. „Noch eine Frage: Ihr Bruder trug einen unglaublich schönen und vermutlich sündhaft teuren Anzug. Ähnliche Qualität hab ich bisher nur in Mailand gesehen. Ist das Bucaletti? Haben Sie Beziehungen dorthin? Das wäre gut.“ Der sonst sehr undurchsichtige Lombardo sah ihn einen Moment irritiert an, dann öffnete er die Tür. „Darüber reden wir bei Gelegenheit“, sagte er nur und deutete ihm zu gehen, ihm seine Brieftasche wieder hinhaltend. Arthur wurde hinaus gebracht, ging (wissend, dass er beobachtet wurde) zu einer Gruppe echter Personenschützer hin, die bei den Limousinen standen und verwickelte einen in ein kurzes Gespräch. Dann deutete er zu einem Café die Straße herunter, als träfe er eine Abmachung, obwohl er den Mann nach dem Weg gefragt hatte. Dort setzte er sich hin - gegenüber der Hintertür des Casinos. Arthur bestellte sich einen Espresso, dem Gespräch lauschend, das Eames hoffentlich nun entspannter führen konnte. Ansonsten müsste er doch noch anders einschreiten. Der Verkehr war laut. Vespas führen vorbei. Das Café war gut besucht. Frauen und Männer saßen und tranken Unterschiedliches und unterhielten sich. Im Radio lief „Moriró da re“ von Måneskin. Wie passend, dachte Arthur. In vielerlei Hinsicht. “E amore accanto a te, baby, accanto a te... Io morirò da re...“ (And love is next to you, baby, next to you...I'll die as a king) Eames Lombardo war ein eindrucksvoller Typ. Mit seinen knapp über 170 cm fast so groß wie Eames und mit ähnlicher, breitschultriger Statur gesegnet. Trotz des lichten Haars war er äußerst attraktiv, mit seinem grauen Fünf-Tage-Bart und dem ausgereiften Sinn für Mode. Auf seiner Habichtnase thronte eine kleine Brille mit runden Gläsern und an seinen Fingern steckten ein paar äußerst alt und teuer wirkende Ringe. Der Blick, mit dem er Eames durchstach, war kalt und unbarmherzig, trotz des Lächelns, das sich auf seinen schmalen Lippen formte. Natürlich hatten seine Männer sofort die Waffen gefunden, die er in seiner Kleidung versteckt hatte. Dafür war das Mikrophon unentdeckt geblieben. Wenigstens das war nach Plan gelaufen. Dagegen hätte er die die Schläge, die er anschließend kassierte, eher vermeide wollen. Als Lombardo zu einem anderen Kunden gerufen wurde, hatte er zumindest kurz Zeit durch zuatmen. Er war verletzt, was das Warten nicht gerade angenehm gestaltete, aber immerhin gewährte man ihm ein kaltes Getränk. Ganz abgeneigt von den Infos, die Eames angedeutet hatte, schienen die Jungs also nicht zu sein. Als Lombardo wieder kam, irgendwie gut gelaunt, hatten sie die Gelegenheit endlich ein vernünftiges Gespräch zu führen und Eames konnte ein paar interessante Bilder präsentieren, um seine Lügen glaubhaft zu untermauern. Am Ende entschuldigte sich Lorenzo sogar dafür, dass Nevio so grob geworden war. Was für ein Durchbruch! Sie schüttelten sich die Hände. »Wir hören voneinander, mein Freund.«, bestätigte Eames grinsend. »Denen machen wir einen Strich durch die Rechnung. Enttäusch mich nicht, Mister Eames.«, ergänzte er mit drohendem Unterton und hielt seine Hand etwas länger und fester als nötig. Dann ließ er den Spieler von Nevio und seinen Kollegen nach draußen begleiten, da er leider keine Zeit mehr hatte zu bleiben und noch einen Drink zu nehmen. Kaum war er außer Sichtweite zückte er erneut sein Handy und rief Arthur an, um dessen Position zu erfahren. Die linke Hand verbarg er an seiner Brust unter seinem Jackett, als er zufrieden grinsend auf seinen Partner zukam. »Jesse ist ein verdammtes Genie!«, sein Gesicht war vor Aufregung von roten Flecken überzogen und ein Schweißfilm ließ seine Haut glänzen. Er wirkte euphorisch. »Wie hast du ihn herausgelockt? Das war gut! So hatte ich Zeit mit Jesse's Informationen zu arbeiten.« Arthur Mit einem zufriedenen Lächeln lauschte Arthur dem Gespräch. Seine Rechnung war aufgegangen, sie konnten zufrieden sein. Als er hörte, dass Eames entlassen wurde, nahm er den Knopf aus dem Ohr, griff kurz darauf zum vibrierenden Handy und teilte dem Forger mit, wo sie sich treffen würden. Am Hintereingang des Casinos sollten sie sich nicht zusammen sehen lassen. Unter einer Plantane auf einer nahegelegenen piaza wartete er schließlich darauf, dass er zu ihm stieß. Den wiegenden Gang, den zufriedenen Gesichtsausdruck des anderen sah er von Weitem. So als habe er Sex gehabt, schoss es Arthur durch den Kopf. So ähnlich wie er vorhin an der Promenade zu ihm zurückgekehrt war. Er schluckte. Arthur hatte das Bedürfnis, die Sonnenbrille wieder aufzusetzen, doch das war angesichts der späten Stunde und der Dunkelheit, die allmählich über die Stadt hereinkroch, ziemlich albern. Er nickte und bemühte ein Lächeln. „Das ist er“, bestätigte er und stieß sich von der Parkbank ab, an die er gelehnt gewesen war. „Just in time geliefert.“ Zu gerne würde er Jesse einmal begegnen und ihm persönlich dafür danken, dass er Tom hier den Arsch rettete und ihnen half. Ob Tom ihm dafür etwas versprochen hatte? „Ich hab nur etwas Karten gespielt“, sagte er dann schulterzuckend, „und lukrative Geschäfte in Aussicht gestellt.“ Sein Blick war zur Brust des anderen gewandert, zu der Hand. Ein wenig dachte er ja, dass er es verdient hatte. Gleichzeitig ärgerte er sich über diese Idioten, die es wagten, ihn anzurühren. „Haben sie dich arg erwischt?“, fragte er. „Lass uns in die Unterkunft fahren. Vielleicht finden wir auf dem Weg ein Fisch-Restaurant. Dann können wir besprechen, wie es weitergeht.“ Langsam kehrte sein Hunger zurück. Außerdem hatte Eames noch nicht gesehen, wie er die alte Fabrik präpariert hatte. Es war wichtig, dass Tom genau wusste, wie der Ort aussieht, an dem sie die tödliche Falle für Lombardo und Jobs vorbereiteten. Und dann gab es da noch ein Thema, über das sie reden sollten und bisher nicht angesprochen hatten. Was kommt danach? - ob sie wirklich darüber reden würden, bezweifelte er jedoch. Eames „Ich hab nur etwas Karten gespielt und lukrative Geschäfte in Aussicht gestellt.“ Dafür wollte er ihn am liebsten knutschen, aber Arthur lenkte direkt auf ein anderes Thema. Vorsichtig zog er die leicht Hand unter dem Jackett her. Der Ringfinger war recht merkwürdig abgeknickt und bereits etwas angeschwollen. Ansonsten war er dieses mal von Gräueltaten verschont geblieben. »Oder wir nehmen uns was mit und fahren nachhause, damit ich meinen Finger richten kann, wie wäre das?«, unterbreitete er schief grinsend. Eames war bester Laune, trotz der Schmerzen und schlang auf dem Weg zum Auto seinen rechten Arm um Arthurs Schultern. »Übrigens, grandiose Arbeit, darling. Das feiern wir, wenn alles vorbei ist.« Mit deinem dicken Schmatzer auf die Wange, schloss er seine Lobpreisungen und entließ seinen steifen Partner wieder aus seinem festen Griff. Die Fischspezialitäten sahen zum Mitnehmen, in Plastikschalen und Alufolie, natürlich nicht halb so delikat aus, wie im Restaurant. Der Geruch trieb Eames jedoch das Wasser in den Mund, trotz des ekelerregenden Gefühls, das von seinem Finger ausging. Während Arthur bereits in der Wohnküche ein paar Teller und Besteck vorbereitete, schloss sich Eames im Badezimmer ein. Es war längst nicht sein erster gebrochener Finger, aber schön war das Prozedere natürlich trotzdem nicht. Unter einem unterdrückten Schmerzensschrei richtete er sich den Finger, tapete und stabilisierte ihn. Statt Oxycodon, blieb er dieses mal lieber nur bei Tilidin, er wollte nicht wieder so ein Drama wie beim letzten mal auslösen, wo sein exzessiver Tablettenkonsum am Ende für unvorhergesehene Probleme gesorgt hatte... außerdem wollte er Arthur beweisen, dass er nicht zwingend die volle Dröhnung brauchte. Das Hemd war offen und die Ärmel hochgekrempelt, als er schließlich zu Arthur stieß. Er fühlte förmlich, dass etwas im Busch war. Sicher war es üblich, dass Arthur stets der rationale von ihnen beiden war und die Euphorie selten von Eames auf ihn übersprang, aber ein wenig fühlte Thomas sich so, als ob sie ein Begräbnis vorbereiteten. »Ich finde wir sollten Jesse eine Grußtorte backen lassen, wenn wir wieder in New York sind: „Danke, dass du unsere Ärsche gerettet hast“, oder so was in der Art, was meinst du?«, quatschte er, um die Stimmung aufzulockern und fischte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. Arthur Arthurs Augenbrauen zogen sich dunkel zusammen, als er die Hand, bzw. den Finger erblickte. Wieso mussten diese blöden Spaghettifresser eigentlich immer zu so mittelalterlichen Foltermethoden greifen! Das war doch schon lange nicht mehr zeitgemäß und affig und überhaupt... Seine Miene rührte sich nicht weiter, er nickte nur stumm zu dem Vorschlag. Besser, Tom versorgte den Finger so schnell wie möglich. Zumidnest war es die linke Hand, Ringfinger - er würde ihn hoffentlich nicht zu sehr beeinträchtigen, wenn es übermorgen zur Sache ging. So ging er seinen Gedanken nach, während sie sich in Bewegung setzten. Das Auto stand nicht weit. Als sich der Arm unvermittelt um ihn legte und der andere ihn für seinen Job lobte, verkrampfte sich etwas in ihm. Sie hatten beide gut gearbeitet. Jeder auf dem Gebiet, das er gut beherrschte. Sie waren ein gutes Team, ein verdammt gutes. Sollte er das einmal zur Sprach bringen? Tom dafür loben, wie er die Frau um den Finger... Der Kuss auf die Wange verhinderte, dass er das Lob über die Lippen brachte. Er überfuhr ihn, erinnerte ihn dummerweise an den Lippenstift am Kragen. Es waren die Momente, in denen er nicht einordnen konnte, ob das "darling" sein Nachname war oder nicht. Vielleicht war es ihm deshlab lieber, wenn er ihn my love nannte. "Das machen wir", murmelte er nur. Wenn der Zeitplan so aufging und es ein "alles vorbei" gab, dann würde ihnen eine Nacht zum Feiern bleiben. Ariadne saß ihm im Nacken, Cobb wollte ihn sehen, sein Bruder betrat seine Wohnung. Er hatte keine Zeit, dieses "Feiern" in die länge zu ziehen. Vermutlich war es dieser Moment, in dem er beschloss, nicht das "nachher" anzusprechen. "Den Gedanken hatte ich auch schon", antwortete er wahrheitsgemäß. Er hatte die Zeit genutzt, ein wenig durchzuatmen und sich zu ordnen, während Eames im Bad gewesen war. Er richtete die Gabeln und Messer auf der Tischdecke gerade und blickte dann zu diesem, der das Hemd leider nicht gewechselt hatte. Der durch die geöffneten Knöpfe ausstehende Kragen ließ den Blick darauf und den Lippenstift leider nur noch besser zu. Es war nur ein Job... "Wobei ich sie ihm gerne persönlich überbringen würde." Sein Finger war geschient. Ein nicht unbekannter Anblick, dass jener irgendwo ein Tape, einen Verband, Hämaotme hatte. Aber es schien ihm ut zu gehen. "Ich habe gerne ein Gesicht zu den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Und auch so bin ich, glaube ich, neugierig." Er setzte sich, schenkte Tom Wasser ins Glas und stellte ihm sein Weinglas hinüber, ihm dabei zusehend, wie er einschenkte. Den Fisch hatte er noch einmal gewärmt. Es roch gut, sie saßen auf der Terrasse, Falter schwirrten um die Lampe über der Tür, die ihnen Licht spendete. Die Zikaden gaben ein Konzert, Glühwürmchen flogen, die Sterne leuchteten. Er sollte professioneller damit umgehen, dass sie beide nur ihren Job machten. "Ich habe die Fabrik präpariert, während du bei Jobs warst. Es ist alles vorbereitet. Lebend kommt dort niemand raus. Du solltest dir den Ort morgen unbedingt zu eigen machen." Eames In der lauschigen Wärme des späten Abends und im warmen Licht der Terrassenbeleuchtung, vergaß er glatt, dass sie bei der Arbeit waren. Er hatte ein warmes Gefühl von Liebe und Urlaub im Magen und der Wein machte es ihm noch leichter von den Gräueltaten Abstand zu nehmen, die hinter ihnen lagen und die sie planten. Er schob sich gerade einen Happen weißen, glänzenden Fischs mit den Fingern der gesunden Hand in den Mund und machte ein wohlwollendes, genießerisches Geräusch dabei, als Arthur sprach. »Unbedingt.«, bestätigte er den Vorschlag nickend. Sich das Gelände nicht anzusehen, wo sie einen Massenmord planten, wäre selbst für seine Verhältnisse äußerst waghalsig. »Das ist übrigens das erste mal, dass wir keine Extraction zusammen planen. Aber ich bin nicht überrascht, dass es trotzdem funktioniert. Du leistest wie immer fantastische Arbeit.«, lobte er ein weiteres mal in lockerem Plauderton. »Übrigens ist dieses Haus hier..«, er machte die klassische Chefkochgeste und küsste dabei Daumen- und Zeigefingerspitze. »Fantastische Aussicht, schön abgeschieden, trotzdem nur zehn Minuten in die Stadt...«, als wollte er Arthur das Haus für ihre gemeinsame Zukunft schmackhaft machen. »Wir sollten nach dem Coup noch eine Woche bleiben und Urlaub machen. Einfach etwas erholen von dem ganzen Theater.« Er fühlte sich ein wie ein verliebter Idiot, aber das war merkwürdig in Ordnung für ihn. Er hatte eine Art Frieden gefunden, erst recht nach Arthurs Gespräch mit Dom. Sie waren jetzt wirklich ein Pärchen und er fühlte sich wie ein Teenager mit Schmetterlingen im Bauch. Angesichts der absurden, brutalen Situation in der sie sich befanden, vielleicht nicht gerade die beste Gelegenheit so zu empfinden, aber er konnte sich nicht helfen. Er wusste ja, dass er einen an der Klatsche hatte... »Und sobald wir diesen unverschämt guten Fisch aufgegessen haben, lass ich uns ein Bad ein. Kerzen, Wein, gute Musik, was meinst du?«, er wünschte sich eigentlich nur, endlich wieder ein echtes Lächeln von Arthur zu sehen, wenn er so darüber nachdachte. Arthur Arthur schwieg, schwieg dazu, dass Eames offenbar keine Manieren hatte, schwieg zu der sichtbaren Fröhlichkeit des anderen. Vor allem aber schwieg er dazu, dass jener erneut seinen Vorstoß über das zu reden, was in zwei Tagen auf sie zukam , unterband und es mit einer Leichtigkeit von sich zu schieben, die Arthur Angst machte. Er konnte nur nicht einschätzen, ob es das unfassbare Vermögen des anderen, unangenehme Dinge von sich zu schieben, oder ob es Angst war. Und Arthur wusste nicht, was von beidem ungesünder war. Doch dann kam erneut dieses Lob, das er ihm vorhin schon gemacht hatte. Arthur trank einen Schluck des gut gekühlten Weißweins, ließ den leicht herben Geschmack auf seiner Zunge wirken. Er lehnte sich zurück, betrachtete den anderen, der das Haus lobte, die Gegend, den Erholungsfaktor, den das hier ihnen bieten würde, wenn sie unter normalen Umständen hier wären. Normale Umstände... Gab es sie da noch? Arthur war fasziniert von der guten Laune, die Eames vor sich hertrug, als würde er dafür bezahlt. Der Zwist in seinem Inneren war auf Arthurs Gesicht nicht zu sehen. Doch es rumorte in ihm. Etwas sagte ihm, er sollte Eames ganz dringend von seiner Wolke auf den Boden der Hölle zurückholen, in die sie bald marschieren würden. Arthur hatte solche Todesfallen schon oft konzipiert. Zwar nur auf Traumebene, aber er war stets dabei gewesen, wenn die Soldaten, die in dem Traum trainierten, sich gegenseitig abschlachteten - wie er sie selbst abschlachtete, weil sie in seine Fallen tappten, die sie in der Realität eben vorher erkennen sollten. Es war nur Training, es waren nur Träume, es war dennoch grauenhaft für ihn gewesen, es hätte ihm dennoch fast die Fähigkeit genommen, selbst träumen zu können. Das Lob vorhin war angebracht. Er war darin wirklich sehr gut. Aber es hatte einen sehr bitteren Beigeschmack. Eine andere Stimme in ihm flüsterte ihm, dass er es nicht so eng sehen sollte, dass er nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen sollte. Eames bemühte sich, ihn davon abzulenken, was vor wenigen Stunden geschehen war. Er wollte ihn von Lombardo, von ihrem Todesplan ablenken, und natürlich vor allem von der Frau. Die Arbeit war gemacht, alles vorbereitet. Im Grunde hatten sie alle Zeit der Welt, sich auch etwas Ruhe, etwas Zweisamkeit zu gönnen. Doch allein der Gedanke an eine Badewanne, an Kerzen(!) und laue Musik, ließ ihn erschaudern. Es wirkte falsch, deplatziert - unabhängig davon, dass er nicht der Typ dafür war. Es lag ihm einfach zu fern, sich in dieser Situation zu entspannen. Es stand so viel auf dem Spiel. Nichts desto trotz widerstrebte es ihm, Eames schonungslos vor den Kopf zu stoßen. Es hatte sich zwischen ihnen etwas geändert. Eames bemühte sich gerade so sehr, die Stimmung zu heben. Er bemühte sich auf seine übertriebene Art und Weise, so wie er es oft tat - mit einem ‚zu viel‘. So, wie er es früher gehasst hatte, die Hilflosigkeit des anderen ignorierend. Arthur stellte sein Weinglas ab und stand auf. Er löste seinerseits die Krawatte, zog sie ab, öffnete zwei Knöpfe. Dann ging er auf Eames zu, drückte ihn an der Schulter nach hinten an die Lehne, so dass jener sich leicht ihm zudrehen musste. Nun setzte er sich ihm auf den Schoß, den Tisch neben ihnen. „Du hast recht, wir sollten uns erholen, wenn es vorbei ist“, sagte er. Er sagte nicht, dass es im Anschluss so sein würde. Er würde ihm nicht sagen, dass er keine Zeit hatte, dass der Flug schon gebucht war. Im Grunde wusste Tom das, da war Arthur sich sicher. Dass Tom glaubte, dass Arthur sein ganzes Leben an seines anpassen würde, traute er ihm dann doch nicht zu, auch wenn es ihn offenbar nicht zu einem Danke gereichte, dass er alles stehen und liegen gelassen hatte und einfach mitgekommen war, um seinen schönen Hintern zu retten. Er verdrängte das, aber er wusste es gewiss besser. Arthur nahm Eames das Weinglas ab, trank davon und stellte es dann auf den Tisch. Dann strich er über dessen Hemd. „Und gerne können wir uns heute noch etwas entspannen“, sagte er und lächelte auf Eames herab, leckte sich Reste des Weins von den Lippen. Er hob die Hand und strich ihm die Schläfe hinab, über die Wange zum Mund, mit dem Daumen über die Lippen streichend. „Aber verdränge nicht, was vor uns liegt. Ich kann das nicht wegschieben. Mir ist nicht nach Badewanne oder Kerzen. Das passt nicht. Ok?“ Einen Moment sah er ihn an, dann drehte er sich, griff zur Gabel und spießte etwas von dem Fisch auf, hielt es Eames vor den Mund. „Nicht nur ich leiste gute Arbeit“, sagte er und sah in das Blau, das in diesem Licht so dunkel wirkte. „WIR sind ein gutes Team.“ Diesen Abend sollten sie ein wenig entspannen, ein wenig genießen, dass sie ein gutes Team waren. Er beobachtete, wie Tom den Fisch in den Mund nahm, wie die Gabel langsam wieder herausglitt. „Deine Mutter hat dir keine Tischmanieren beigebracht, oder?“, fragte er mit strafendem Blick und einem Schmunzeln auf den Lippen. Eames So wie Arthur auf ihn zuging, hatte Eames kurz das Gefühl er würde ein Messer ziehen und es bis zum Anschlag in seiner Brust versenken. Und das obwohl er sich das Hemd aufknüpfte. Er liebte diese stolze, selbstsichere Haltung und diese präzisen Bewegungen; unbewusst hatte ihn das an Arthur schon immer fasziniert. Dass er sich schließlich auf seinem Schoß niederließ begrüßte er natürlich. Seine Hände wanderten wie automatisch an die harten, schlanken Hüften. Seine Daumen streichelten die Stelle an der Oberschenkel in Lenden überging in langsamen Kreisbewegungen, während er geduldig fasziniert zu ihm aufsah. „Mir ist nicht nach Badewanne oder Kerzen. Das passt nicht. Ok?" Dieser ruhig Tonfall, der bestimmende Druck auf seinen Schultern und der eiskönigliche Blick aus diesen tiefschwarzen Augen, der ihn von oben traf wie ein kalter Platzregen; das alles duldete keine Verneinung, machte ihn jedoch schrecklich an. Als er ihn schließlich mit dem Fisch fütterte und ihm dabei tief in die Augen sah, hätte Eames dem Drang beinahe nicht widerstanden und ihn direkt auf dem Tisch genommen. Leckeres Abendessen hin oder her. Arthur erschien in diesem Fall als die bessere Nachspeise. Ohne den Blick von der fesselnden Gestalt abzuwenden, die auf ihm saß, griff er nach seinem Weinglas und nahm selbst einen Schluck davon. Die Hand, die an Arthurs Hüften verblieben war, drückte ihn näher in seinen Schoß. »Hat sie nicht.«, bestätigte er. »Du kannst versuchen das für sie zu übernehmen, aber ich sage dir gleich, dass die Chancen ziemlich schlecht stehen, dass ich noch was dazu lerne.«, erklärte er. Sein Glas wanderte wieder auf den Tisch. Dann legte er die Hand bestimmend in Arthurs Nacken und zog ihn in einen neuerlichen Kuss zu sich herab. Wein und Küssen war schon immer eine gute Kombination gewesen in seinen Augen. Unter Arthurs Hintern, in Eames' Hosentaschen begann es zu vibrieren. Eames gab ein genervtes Knurren von sich und fummelte das Mobiltelefon aus seiner Tasche. Jesse rief an. Er stellte auf Lautsprecher: »Na, mein Freund und Kupferstecher.«, begrüßte er in irgendwie gereiztem Tonfall. »Jesse, was gibt’s? Ist es ernst oder können wir morgen darüber reden?«, erwiderte Thomas und versuchte Arthur neuerlich mit der freien Hand bei sich zu behalten indem er seine Fingerspitzen rückseitig unter den Bund der feinen Anzughose schob. »Es ist verdammt ernst. Ich hoffe Arthur hört gerade nicht mit, denn ich will nicht derjenige sein, der ihm sagen muss, dass die Scheiße den Ventilator trifft, also pass auf - …« Hektisch versuchte Eames den Lautsprecher auszuschalten, schaffte es jedoch nicht, bevor Jesse die Bombe platzen ließ. »Lombardo hat Jobs eine Drohung ausgesprochen. Er will sich morgen mit ihm treffen... - morgen! Ihr müsst es morgen durchziehen, verstanden?« Eames erwiderte nichts, sondern sah nur entgeistert zu Arthur auf. Ein wenig Hoffnung hatte er noch, dass das die Stimmung jetzt nicht gänzlich platzen ließ, aber irgendwie befürchtete er, dass er deswegen heute nicht mehr zum Stich kommen würde. Arthur Es gefiel, Arthur die Kontrolle zu haben, diesen Mann hier gerade unter Kontrolle zu haben. Eames‘ Blick, der eine Mischung aus Faszination, Verlangen aber auch etwas von Ehrfurcht innehatte, verriet ihm, dass er genau das hatte, Kontrolle, und er spielte gern damit. „Tztztz“, raunte er dunkel. „Vielleicht sollte ich zu härteren Erziehungsmaßnahmen greifen.“ Arthur leistete der Hand im Nacken kurz Widerstand, den bevorstehenden Kuss kurz bevor sich die Lippen trafen verzögernd, selbst bestimmend, wann er erfolgte. Er wollte die Kontrolle nicht abgeben, auch wenn er wusste, dass das ein Kampf werden würde, ein sich lohnender, ein erregender Kampf - der jedoch nicht mehr erfolgen sollte. Der Vibrationsalarm ließ ihn vom Schoß rutschen wollen, doch Eames hielt ihn davon ab. Jesses Tonfall allein bei der Begrüßung verriet schon, dass etwas nicht passte. Arthur richtete sich auf, lauschte den Worten. Dass er lieber nicht zuhören sollte, ließ ihn verwundert blicken und sich einmischen, um zu verhindern, dass Eames auf stumm schaltete. Wieviel wohl sonst vor ihm verheimlicht wurde? Aber das war jetzt uninteressant. Vielmehr war gerade wichtig, was Jesse für sie hatte, und das ließ ihn erstarren. Diese Scheiß-hitzköpfigen Italiener!!!! Arthur griff nach Eames‘ Handgelenk und zog sie von seinem Hintern. „Ja, verstanden“, antwortete er an Toms Stelle, dessen Blick er mied. Er wusste genau, dass jener diese Information weit weniger wichtig empfand als er. Ob er sie ihm bis morgen verheimlicht hätte, um das nicht zu stören, was sie gerade begonnen hatten? Ja, mit absoluter Sicherheit. Es würde jetzt ein anderer Kampf kommen, als ursprünglich eben noch geplant. „Bleibt es bei der Uhrzeit und der Lokation, die wir den beiden genannt haben?“, fragte er und glitt vom Schoß. Er hörte Jesse tief einatmen wegen der Erkenntnis, dass Arthur dich mitgehört hatte, dann etwas atemlos antworten. „Ja, dabei bleibt es. Lombardo geht davon aus, dass Berretta bereits dort ist oder Jobs ihn mitbringt und umgekehrt.“ Ein amüsiertes Grinsen legte sich in die Stimme. „Sie haben herrlich aneinander vorbeigeredet und es nicht gecheckt.“ Arthur nickte. „Na dann hoffen wir mal, dass das so bleibt“, knurrte Arthur bedrohlich. Verfluchte Scheiße! „Danke für die Info. Halt uns auf dem Laufenden.“ Sein klarer Blick glitt nun erstmals wieder zu Eames. Jesse bestätigte, verabschiedete sich und legte auf. „Ich fürchte, wir müssen eine Nachtschicht einlegen. Wenn ich mir nicht zu 100% sicher bin, dass du dich vor Ort auskennst, nehme ich dich nicht mit. Sonst wird dir das Gebäude zur Todesfalle.“ Eames Er war auf dem Stuhl zusammen gesunken. Sein Blick ging starr geradeaus, direkt in die Dunkelheit jenseits der Terrasse, fern der unnachgiebigen Blicke Arthurs, während seine rechte Hand sowohl seinen Kopf stützte, als auch einen Großteil seiner unteren Gesichtshälfte unter den dicken Fingern verbarg. Er wusste, dass Arthur Recht hatte, auch wenn der Halbständer in seiner Hose etwas ganz anderes vorschrieb. Er hielt noch immer das Handy in der Hand, als telefonierten sie noch. Als wartete er darauf, dass Jesse seine Aussage korrigieren würde. Aber nichts dergleichen passierte. Er fuhr sich durchs Gesicht während sich ein unzufriedenes Grummeln von irgendeinem Ort tief in seiner Kehle loslöste. »Klar doch.«, knurrte er und sah endlich wieder zu ihm auf. Er wusste, dass Arthur es ernst meinte. Er würde ihn wirklich nicht mitnehmen, wenn er nicht zufrieden war. Ein weiteres Seufzen folgte und ein frustrierter Griff nach seinem Weinglas. »Weißt du, my love, ein Blowjob dauert höchstens zwei Minuten, wenn man es richtig macht. Wir müssen nichts überstürzen, aber... « Leider schienen Eames' Argumente an Arthurs zu zerplatzen, wie Seifenblasen. Also gab der Forger nach; natürlich auch in dem Wissen, dass es zu ihrem Besten war. Der Rest des Fischs landete im Müll, nur der Wein erreichte das Wohn-, beziehungsweise Arbeitszimmer. Während Arthur den P.A.S.I.V. aufbaute, nippte Eames hin und wieder am Flaschenhals. Nebenher schüttelte er ein paar Kissen auf, damit sie gemütlich saßen während sie ihre Nachtschicht auf Traumebene einlegten. »Es gibt so viele Ebenen auf denen du mich wahnsinnig machst, weißt du das eigentlich?«, fragte er, während Arthur ihm die Armbeuge desinfizierte, um ihm den Zugang zu legen. Dennoch würde er nicht tauschen wollen. Nichts und niemanden in der Welt für das, was er hier hatte. Arthur War das sein Ernst?! Ging es ihm hier nur um die unmittelbare Befriedigung seiner Triebe, seinem Verlangen nach einem Orgasmus? Welche Rolle spielte er dann überhaupt in dem Akt? Der, der die Erektion beschleunigte? Der ihn zu eben jenem Höhepunkt schneller trieb? War das die ihm zugedachte Rolle? - wenn das überhaupt auf ihn zutraf, dass Tom bei ihm schneller auf Touren kam. Vermutlich konnte er nicht einmal das von sich behaupten. In Arthur regte sich ein ungerechter Widerwille. Unabhängig davon, dass ihm der Gedanke, Tom einen Blowjob zu gönnen ihm in dieser Situation vollkommen absurd vorkam (der Frage, ob er es sich nie vorstellen könnte, war eine andere): Es war ihm ohnehin nach der Geschichte mit dieser Italienerin schwergefallen, sich hierauf wieder einzulassen. Im Grunde hatte er gar keinen Gedanken daran verschwendet, vor dem Job noch einmal nicht als Point Man dem Forger gegenüber zu treten. Doch vermutlich hatte ihn eine dämliche Sentimentalität (oder Ängste?) dazu verleitet, doch noch einmal Nähe zuzulassen, die er während eines Jobs eigentlich so gar nicht mochte. Und nun? Nun stand er da, degradiert auf die Funktion, dem werten Herrn noch ein wenig beim Entspannen zu helfen. Na, herzlichen Dank auch! Sein Mund hatte sich etwas unwillig zusammengezogen, sein Blick war vermutlich ziemlich unterkühlt, während er einen Moment Eames ansah und überlegte, drauf überhaupt zu antworten. Er ließ es bleiben und machte sich lieber daran, den Tisch aufzuräumen. Und sei dies nicht genug, durfte er sich kurz darauf auch noch anhören, dass ER es war, der Tom wahnsinnig machte. Herrlich! Na, das war ja hier wie Weihnachten - eine Nettigkeit folgte der nächsten, ein Geschenk dem anderen. "Nun, dann haben wir ja wenigstens eine einzige Gemeinsamkeit", antwortete er trocken und legte den Zugang mit geübter Bewegung und ruhiger Hand. "Vielleicht sollten wir auf der Traumebene auskosten, uns gegenseitig wahnsinnig zu machen." Etwas ruppiger streckte er seinen Arm hin, trotzig möchte man meinen. Im Grunde wusste er ja, dass Eames nur die Wahrheit sprach. Allerdings änderte das nichts daran, dass er es doch irgendwo leid war, sich ständig Vorwürfe dafür anhören zu müssen, dass er es ernst nahm, Tom aus seiner beschissenen Lage zu helfen. Er zwang sich tief durchzuatmen und Tom schließlich mit etwas weniger Genervtheit im Blick anzusehen. "Ich denke wir sollten 15 Minuten reingehen. Ich zeige dir alles. Du solltest nur aufpassen, dass du hinter mir bleibst. Sonst katapultierst du uns früher aus dem Traum." Sie standen auf einer staubigen Schotterpiste, einer nicht befestigten Straße, die sich den Berg hinauf geschlängelt hatte. Unterwegs hierher kam man an einem verlassenen, eingefallenen und von der Natur bereits vollkommen zurückeroberten Haus vorbei. Ein Ziegengehege folgte, dann war man auf der kleinen Ebene, auf man vermutlich in den 90er Jahren eine Fabrikhalle errichtet hatte. Die Tanks und die Weinberge drumherum ließen erahnen, dass es sich um ein ehemaliges Weingut handelte, deren Geschäftssitz vermutlich näher an eine der großen Städte gelegt worden war. Die Hallen waren leer, am Verwaltungsgebäude bröckelte der Putz, die Fenster waren eingeschmissen. Die Hitze schien zu drücken, die Sonne stand hoch. Arthur blickte nach oben, ließ die Sonne rapide weiterwandern. Er war zuletzt mittags dort gewesen. Allerdings würden sie morgen in den Abendstunden hier unterwegs sein. Nun senkte sich die Sonne gen Horizont und ein lachsfarbenes Orange tauchte die Gegend in ein romantisch anmutendes, sanftes Licht. Italien war wirklich schön - ihr Auftrag weniger. "Ich habe das Gebäude mit kleineren Sprengsätzen versehen", begann Arthur zu erklären. "Die Detonationen wird man kaum merken und gehen vermutlich in den Geräuschen unter, die die Eskalation zwischen Jobs und Lombardo verursachen wird. Im Grunde reichen sie auch nur dazu, die Behälter mit Salzsäure zu sprengen, die ich an den tragenden Stützpfeilern angebracht habe. Wenn ich die Sprengungen vorgenommen habe, bleiben noch 5 Minuten, bis die Grundmauern einstürzen werden und hoffentlich alles unter sich begraben haben. Ansonsten habe ich noch ein paar andere 'Überraschungen' eingebaut, die uns hoffentlich einen Heimvorteil bringen werden." Sie waren zum Nebeneingang des Gebäudes gelaufen und Arthur blickte Tom an. "Ich habe einen Koffer mit Geld auf einem Tisch im Inneren deponiert. Ich hoffe, er reicht aus, dass sich die beiden Parteien ihrem eigenen Massaker verpflichtet fühlen." Eames "Nun, dann haben wir ja wenigstens eine einzige Gemeinsamkeit" Er musste einsehen, dass er vermutlich wieder irgendetwas gesagt hatte, dass Arthur sauer aufstoßen ließ. War ja nicht so, als freute er sich über die Tatsache, dass sie einen Haufen korrupter Mafiosi in die Luft sprengen würden – aber im Gegensatz zu seinem Point Man hatte er gelernt seinen Stress auf etwas andere Art und Weise zu bewältigen. Ein wenig hatte er auch gehofft (und ein Teil von ihm hoffte noch immer), dass Arthur sich auf lang oder kurz von ihm anstecken lassen würde... Sei's drum. Eames entschied sich gegen dieses Spielchen. Stumm nickend befolgte er Arthurs Anweisungen, ließ es sich jedoch nicht nehmen ihm einen flüchtigen Kuss auf die Schläfe zu verpassen, ehe er den Knopf drückte. »Hübsches Fleckchen.«, kommentierte er und wirkte etwas verträumt, als sein Blick über die Weinberge glitt. Die Sonne neigte sich dabei in unnatürlicher Geschwindigkeit dem Horizont entgegen. Das erinnerte ihn daran, dass er irgendwo noch eine Flasche Wein zu erledigen hatte... Mit den Händen lässig in den Hosentaschen versunken trottete er hinter Arthur her, auf das verlassene Fabrikgelände und hinein die düsteren, verlassenen Gewölbe. Durch die zerstörten Fenster drang das orange Licht des Sonnenuntergangs in die Haupthalle und traf auf den Koffer, wie ein Spot auf einer Bühne. Die rostigen Träger ragten über ihre Köpfe und schienen sich in einem Geflecht als verbogenen Metallstangen an der Decke zu verlieren. Der Schutt knirschte unter ihren Sohlen. »Das wird so nicht funktionieren.«, der Gedanke verließ seinen Mund bevor er ihn wirklich erfassen konnte. Nun musste er damit arbeiten... »Wenn Lombardo dieses Gebäude sieht und dann diesen Koffer...«, er presste die Lippen aufeinander und sah sich mit kritischem Blick weiter, während er kleine, bedächtige Schritte machte. Als er sich wieder zu Arthur umdrehte, lag etwas wie ein Lächeln auf seinen Lippen, aber etwas an seiner Mimik war verschlossen. Als wäre sein wahres Ich gerade wo anders. »Das stinkt förmlich nach einer Falle. Versteh mich nicht falsch!«, er hob die Hände in Abwehr. »Dein Konzept ist gut. Ich bin mir sicher, dass hier niemand lebend rauskommt – aber diese Jungs sind Kriminelle. Die riechen den Braten.«, er wusste es, weil er in der Lage war zu denken wie sie. Und er maßte sich an es besser zu wissen, als Arthur. »Wenn das funktionieren soll, muss ich mit reingehen.« Er ging plötzlich auf die Mitte des Raumes zu und deutete auf den Koffer. »Ist der Auslöser hier?«, fragte er halbgrinsend und sah über seine Schulter zurück zu Arthur. »Geht der Laden hier hoch, wenn man ihn öffnet?« Arthur Das Gefühl, das ihn im Inneren des Gebäudes beschlich, war ein seltsames. Er hatte sich den ganzen Komplex zu eigen gemacht, hatte alles erkundet, sich jeden Fleck angesehen, es präpariert und für ihren Zweck hergerichtet. Eigentlich sollte es sich so anfühlen, als habe er mit dem Gebäude ein stilles Abkommen - doch gleichzeitig hatte er das Gefühl, ihm nicht trauen zu können. Irgendwie hatte er die Befürchtung, das Gebäude könnte ihnen noch in den Rücken fallen, sie verraten. Dass all diese Gefühle letztlich bloßer Blödsinn war, war für Arthur so klar, wie Kurvendiskussionen. Er gab wenig auf solcherlei Gefühle. Schließlich wusste er stets, was er tat. Er hatte Berechnungen angestellt, alles mehrfach gedanklich durchgespielt und erneut berechnet. Im Grunde war er sich sicher, dass all das, was er sich in seinem Kopf zusammengebastelt hatte, stimmte und funktionieren würde. Oder ‚könnte‘? »Das wird so nicht funktionieren.« Arthur knurrte innerlich, als er den Kommentar hörte. Seine Zungenspitze glitt über die vordere Zahnreihe, gereizt. Eigentlich wollte er genau das nicht hören - und dessen war sich Eames vermutlich bewusst, denn er hob bei seinen weiteren Ausführungen zu seinen Vorarbeiten beschwichtigend die Hände, was Arthur wiederum seine Hände in die Hosentasche stecken und weiterhin schweigen ließ. Ihm war leider unbegreiflich klar, dass Tom recht hatte. (Was für ein blödes Gefühl!) Der Grund für seinen Unmut war weniger der Fakt, dass Eames so etwas leider wesentlich besser einschätzen konnte als er. Das war im Grunde unumstößliche Wahrheit, die er neidlos anerkennen sollte. Vermutlich war es auch genau das, was sie zusammen so unschlagbar machte, wenn sie miteinander arbeiteten. Der Grund für seinen Unmut lag eher bei seinem Ego, das nach wie vor Schwierigkeiten hatte, sich von Eames Kritik anzuhören, auch wenn jener recht hatte. Tokyo wirkte an dieser Stelle noch immer nach. Tokyo – der Fall, bei dem er von Tom im Vorfeld ordentlich Kritik hatte einfahren müssen, was er hatte ertragen können. Doch hinterher hatte sich herausgestellt, dass er nur manipuliert worden war, um dessen Zielen nicht im Weg zu stehen. Tokyo… Irgendwann würden sie diesen Mist hinter sich lassen müssen. Es machte ihn wahnsinnig. Warum hatte ihn Tom eigentlich vorhin noch an die Schläfe geküsst, obwohl er ihn so wahnsinnig machte? Oder hatte er seine Worte wieder nur eindimensional gesehen? Konnte ‚Wahnsinn‘ nicht auch etwas Positives haben? – Seine Gedanken drifteten schon wieder in eine Richtung, die hier gerade nichts zu suchen hatte. Arthur war stehen geblieben, blickte Tom an, der sich nun seinerseits die Gegebenheiten zu eigen machte, und wartete, auf welche Schlüsse jener kommen würde. Letztlich war doch genau dieses Gespräch der Grund, warum er mit Tom vorab diesen Ort hier aufsuchen hatte wollen. Arthur war völlig klar: Betrachtete man einen Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven - und sie hatten von jeher einen ganz unterschiedlichen Blick auf alles (da waren sie wieder, die wenigen Gemeinsamkeiten) - dann sah man mehr und alles differenzierter. Sein Blick folgte dem Toms zu dem Koffer hinüber. In der großen Halle war zunächst alles safe, erst auf den Wegen nach draußen oder in andere Bereiche des Gebäudes würden sie aufpassen müssen. Dennoch spürte er sein Herz heftiger gegen die Brust schlagen, als Tom hinüber zu dem Koffer ging. Oder war nicht vorhin schon sein Herzschlag beschleunigt gewesen, als Tom erklärt hatte, dass er mit hineingehen musste? Machte ihn das so nervös? ‚Wahnsinnig‘ nervös? "Nein", sagte er und folgte Tom zügig hinüber zu dem altern Schreibtisch, den er aus dem ehemaligen Büro gezogen hatte. "Nein, das habe ich bewusst nicht so gemacht. Deswegen wollte ich ja auch, dass wir uns das hier gemeinsam noch einmal ansehen." Er streckte sich, nahm noch mehr Haltung an, falls das möglich war. Er sollte bei dem Job bleiben, bei nichts anderem. Es war einfach nur ein Job, den sie absolvieren mussten. Weiter nichts. Er hätte sich auf der Terrasse nicht dazu hinreißen lassen, diese Nähe zuzulassen. "Ich habe bereits damit gerechnet, dass du mit Jobs oder Lombardo hineingehen willst." Oder befürchtet? "Ich löse die Sprengungen erst aus, wenn du mir das ok dazu gibst; wenn also klar ist, dass du wieder rauskommen kannst. Ich habe einen Laptop extern, über den ich die Detonation steuern kann." Sicher würde er auch vor Ort irgendwo sein, um einzugreifen. Aber vor allem würde er dafür sorgen, dass nur Eames aus dem Gebäude lebend herauskommen würde. "Sobald sicher ist, dass du in fünf Minuten draußen sein kannst, löse ich die Sprengung aus. Wir sollten über einen Knopf im Ohr verbunden sein." Er nickte zu dem Koffer hin. "Der hat keinen Mechanismus. Dafür habe ich alle Fluchtwege nach militärischen Standards so präpariert, dass sie dir ein Entkommen ermöglichen. Ich gehe davon aus, dass du dich damit auskennen wirst – Jobs‘ und Lombardos Männer jedoch nicht." Er sah wieder Tom an. „Erzähl mir, wie sich Lombardo und Jobs verhalten werden. Wer wird zuerst vor Ort sein? Wird die andere Partei dann überhaupt reinkommen?“ Ja, die Psychologie dieser Menschen war für ihn immer schwierig zu durchschauen. Eames Seine Fingerspitzen strichen über die metallerne Oberfläche des Koffers, ehe er die beiden Schnappschlösser nahezu synchron mit den Daumen betätigte. Im Innern befand sich was er vermutet hatte: sauber aufeinander gestapelte, druckfrische 500 Euroscheine. Schade, dass sie die ganze Gang nicht im Traum ermorden konnten. So wäre es sicherlich einfacher Ihnen das Falschgeld zu verkaufen. "... Ich habe einen Laptop extern, über den ich die Detonation steuern kann." Er nickte langsam, den Blick noch immer fest auf die Kohle gerichtet. »Ja, um den Knopf im Ohr kommen wir wohl nicht drum herum.«, murmelte er mit bitterem Geschmack im Mund. Leider waren die Mafiosi von Natur aus schrecklich skeptisch. Da musste man immer mit einer Leibesvisitation rechnen. Er hatte also fünf Minuten... das würde ein hartes Stück werden. Unauffällig schnell verschwinden und die ganzen Arschlöcher ihrem Schicksal überlassen. „Erzähl mir, wie sich Lombardo und Jobs verhalten werden. Wer wird zuerst vor Ort sein? Wird die andere Partei dann überhaupt reinkommen?“ Er ließ den Koffer wieder zuklappen und sah sich im Raum um. Seine Stirn furchte sich, während er sich konzentrierte, aber da war dieses gewisse Glänzen in seinen Augen. Diese Aufgabe war genau nach seinem Geschmack. Mit dem Zeigefinger tippte er sich gegen die Lippen, während er ein paar Schritte weiter in die Halle hinein tat. »Der Koffer darf nicht dort stehen.« Er schritt schnell auf den hinteren Teil der Halle zu, welcher durch sein leicht nach hinten abfallendes Dach und die moosbewachsenen Deckenfenster leicht grünlich schimmerte war. »Wir verstecken ihn in diesem Bereich. Und wir brauchen dringend mehr Kulisse. So etwas wie ein Büro oder einen abgetrennten Bereich. Einer der beiden muss sich hier wohler fühlen, als der andere.« Er sah sich um, sein Blick wanderte auch an den oberen Trägern entlang. Nicht ein einziger Sprengsatz war zu erkennen – da hatte sein Point Man mal wieder brilliert. »Was ist mit den hinteren Räumen? Sind die betretbar? Es muss etwas sein, wo sich die „wichtigen“ Leute allein unterhalten können.« Er ruckelte an einer der angerosteten Tür herum, die sich an der hinteren Wand befand. »Lombardo wird zuerst da sein. Durch die Informationen von Violas Handy können wir ein wenig Druck ausüben, um ganz sicher zu gehen. Er glaubt, dass dieser Schuppen hier seine Falle für Jobs wird.«, ein kleines, abfälliges Lachen entkam ihm. Als spielten sie nur ein bisschen Räuber und Gendarm. »Jobs erwartet Lombardo hier vorzufinden. Er wird mit der Absicht kommen Lombardo umzulegen. Solange Lombardo lebt, bin ich sicher. Wenn er ihn hat, wird er mich als nächstes kalt machen wollen. Beide glauben sie kriegen ihre Rache und einen Riesenhaufen Geld, wenn sie hier auftauchen. Sie werden schwer bewaffnet sein und äußerst vorsichtig..«, er sah fast so aus, als philosophierte er, wie er langsam auf und ab lief und die Umgebung austarierte. »Ich werde offen reingehen. Unbewaffnet. Ich provoziere eine schnelle Eskalation und dann...« Er spazierte zu einem der Seitenwände zu, an einem großen Haufen Steinbrocken vorbei, der wahrscheinlich einen ganz guten Feuerschutz bot. Die Mauer schien marode hinter einem der Träger; gut genug, um einigermaßen gut daran hochklettern zu können. Eine Fensterreihe war in etwa zweieinhalb Meter Höhe eingelassen. Er stemmte die Hände die Hüften und sah skeptisch nach oben. Dabei musste er leider sofort an seinen gebrochenen Finger denken. »Ich könnte versuchen dort heraus zu klettern. Aber wenn ich Pech habe schießen mir die Bastarde in den Rücken.« Er drehte sich zu Arthur um, dessen Haltung so hochprofessionell war, dass er das große Bedürfnis verspürte ihm den Stock aus dem Hintern zu ziehen. »Hast eine bessere Idee? Ein geheimer Ausgang vielleicht? Einen Teleporter oder ein Dimensionsloch?« Arthur Dachte Eames schon über ihre Möglichkeiten nach? Wie dieser Plan funktionieren konnte? Oder über das Geld, das im Grunde genommen wertlos war? Arthur beobachtete ihn, während jener in den Geldkoffer blickte. Erst seine Frage nach dem Vorgehen der anderen holte den Forger aus der Starre. Endlich kam Leben in ihn, endlich schien er sich auch den Raum, die Örtlichkeit zu eigen machen zu wollen. Der Blick, den der Forger hatte gefiel dem Pointman. Niemand anderes sollte jetzt da sein, außer dem Forger und dem Pointman. Nichts anderes war jetzt wichtig. Er folgte Toms Gedanken, sein Blick ruhte auf jenem, der sich umsah und laut begann nachzudenken. Er folgte ihm in den hinteren Bereich, nickte zu seinen Gedanken. Sie waren logisch, auch wenn er es gerne anders hätte. Es wurde so komplizierter zu entkommen. »Was ist mit den hinteren Räumen? Sind die betretbar? Es muss etwas sein, wo sich die „wichtigen“ Leute allein unterhalten können.« „Halt!“, rief er aus. Irritiert blickte er zu Tom, der an einer der Türen ruckelte. Da behielt man ihn im Auge und dennoch schaffte er es, an die falsche Tür zu kommen. „Wenn du die Tür in den unteren Lagerraum öffnest, beginnt eine Countdown von zwei Minuten, bevor die Decke runterkommt und den Rückweg versperrt.“ Das war in etwa die Zeit, die man bräuchte, um runterzugehen und dann für immer dort zu bleiben „Es gibt ein Büro dort vorne...“, fügte er an und deutete auf eine andere Tür. „Den Schreibtisch hatte ich daraus entwendet. Es hat tatsächlich den Charme eines ‚Ich bin was besseres als ihr‘.“ Etwas feineres Mobiliar, eine Maßanfertigung, die nicht rausgenommen worden war, massives Holz. Dort hatte er nichts installiert. Der Raum im Raum wäre ohnehin eine tötliche Falle, wenn das Gebäude einstürzte. Deshalb hatte er gehofft, dass Eames sich nicht darin würde aufhalten müssen. Ein rauskommen war wenn nicht durch die Tür nur durch ein Glasfenster möglich. Sie gingen hinüber und warfen einen Blick hinein. Eames nickte, dann dachte er offenbar weiter nach, während Arthur gedanklich eine Liste anfertigte, was sie morgen alles im Gebäudes ändern müssten. Gott, sie hätten viel zu wenig Zeit! Warum hatten diese Idioten den Termin nach vorne verschoben!?! Lombardo also zuerst - klang plausibel, wenn Jesse es forcierte. Als Eames auflachte, hob Arthur den Blick. Der Gedanke, niemals zum Ziel von Tom werden zu wollen, war vermutlich absurd - dennoch drängte er sich ihm auf. Zusammen mit dem Gedanken, dass jenem das hier in gewisser Weise Spaß machte. Die Übelkeit, die ihn seit zwei Tagen quasi nichts hatte essen lassen, war das Gegenteil davon. Als er allein in ihrem Haus gewesen war, während Tom bei Jobs war, war es ihm schwer gefallen, nicht darüber nachzudenken, was sie hier eigentlich wirklich taten. Doch das Gespräch im Auto, als sie in München angekommen waren, ließ ihn diese Bedenken beiseite schieben. Er sollte sich nur vor Augen halten, dass es um Tom ging, um seine Freiheit, die jener so dringend brauchte. Mehr war nicht wichtig. Die vergessen geglaubten Alpträume, die ihn seit ein paar Nächten wieder heimsuchten und in denen Tom ein fürs andere Mal starb, waren ein anderes Thema. ...mit der Absicht kommen Lombardo umzulegen. Solange Lombardo lebt, bin ich sicher. Wenn er ihn hat, wird er mich als nächstes kalt machen wollen. ... Arthur lehnte sich an die Kante des Schreibtisches und zwang sich seine Gedanken wieder auf das Hier und Jetzt zu fokussieren. Er durfte sich der Schwärze nicht hingeben, die er glaubte in sich zu spüren, wie sie sich wabernd ausbreitete, heimtückisch wie Nebel in einem Sumpf voll Verdammnis. Are we the hunters, or are we the prey? Unbewaffnet...schnelle Eskalation Während sich Tom seine Möglichkeiten zu entkommen anblickte, sackte er etwas in sich zusammen. Dieser ganze Plan hier war ... Fuck! Wenn Tom hier lebend rauskommen soll, würden sie eine große Portion Glück brauchen. Arthur war niemand, der sich auf sein Glück verließ. Er hatte nie eines. Er biss sich auf die Unterlippe, blickte auf den breiten Rücken, den Tom ihm zuwandte, während er zum unerreichbaren Fenster hinaufblickte. Schnell sammelte er sich wieder, streckte sich, rief sich zur Räson. Er hob fast etwas trotzig den Kopf. Tom darf seine Zweifel, seine Sorgen, seine Ängste unter gar keinen Umständen sehen, nicht eine Sekunde!! Er musste gelassen bleiben, stark, selbstsicher - so wie immer. Er war der Pointman. Hast du eine bessere Idee? Ein geheimer Ausgang vielleicht? Einen Teleporter oder ein Dimensionsloch? Arthur lächelte amüsiert und hob erstaunt eine Augenbraue. „Jetzt dachte ich, darum müsste ich mich nicht kümmern...“, antwortete er gelassen. „Im Verschwinden bist du doch normalerweise einfach spitze.“ Okay, das hätte er sich vielleicht sparen können. Er stieß sich vom Schreibtisch ab und trat auf eine weitere Tür zu. „Mit Teleporter oder Dimensionsloch kann ich nicht helfen, aber mit einem Fluchtweg, der dir gewiss helfen kann.“ Tatsächlich hatte er diesen Weg für Eames so präpariert, dass er jeglichen Verfolgern das Leben zur Hölle machen könnte. Stolperdrähte, manipulierte Glühbirnen Geräte, die man leicht zum Einsturz bringen konnte, automatisierte Waffen, etc. Die anderen Ausgänge konnte er schließen, wenn alle drin waren. „Allerdings brauchen wir vermutlich noch einen Moment der Ablenkung. Eine Irritation, die dafür sorgt, dass du unbemerkt zur Tür kommst.“ Dieser Gedanke war ihm eben erst gekommen. „Vielleicht Polizeisirene?“ Er schüttelte jedoch sogleich wieder den Kopf. „Nein, dann haben sie einen gemeinsamen Feind und verbünden sich gar.“ Sie brauchten eher etwas, vor dem beide Parteien Respekt hatten. „Am besten wäre vermutlich Berretta, aber den schaffen wir hier nicht so schnell ran.“ Eames „Im Verschwinden bist du doch normalerweise einfach spitze.“ Natürlich war er immer noch sauer. Wäre ja mal ganz was neues, wenn Arthur zu Abwechslung nicht nachtragend wäre. Eames beschloss jedoch die Sache mit Humor zu nehmen und lachte sogar ein wenig über den Nicht-Witz, während Arthur auf die nächste Tür zuging. Wo sich die Fallen befanden lernte er schnell. Da hatte er eine Art fotografisches Gedächtnis. Außerdem würde er bis morgen sicherlich nicht vergessen wie akribisch Arthur ihm jedes Detail seines tödlichen Fluchttunnels erklärte. »Exzellent.«, verkündete er und klopfte seinem Point Man auf die Schulter, als sie sich wieder in die Haupthalle bewegten. Kaum zu glauben, dass Arthur im wahren Leben so eine Todesfalle konzipiert hatte mit der Absicht wirklich jemanden umzubringen. Nicht jemanden, sondern mehrere Dutzend, je nachdem wie viele der Gefolgschaften schlussendlich auftauchten. Alles, um ihm den Arsch zu retten – na wenn das kein Liebesbeweis war! »Nein, wir kriegen Beretta spontan sicherlich nicht hier her.«, stimmte er Arthur zu, als sie über ein Ablenkungsmanöver nachdachten. »Aber vielleicht können wir einen Anruf inszenieren. Wir haben Lombardo's und Job's Nummer. Jesse kann uns sicherlich etwas zusammenbasteln, was zumindest so klingt wie Beretta, oder einer seiner Assisstenten.« Er tippte sich wieder mit dem Zeigefinger auf der Unterlippe herum, während er den Gedanken angestrengt weiter verfolgte. »Der Anruf wird eine Art „Todeskuss“ von Beretta. Beretta glaubt, dass Lombardo und Jobs sich heimlich hinter seinem Rücken treffen, um sich gegen ihn zu verbünden. Im selben Moment schicken wir eine gefakte Nachricht an Jobs mit ähnlichem Inhalt. Das wird sie hoffentlich kurz aus dem Konzept bringen, auch wenn es natürlich alles an den Haaren herbeigezogen ist. Ich brauche nur zwei bis drei Sekunden, um zu verschwinden; zumindest die sollten bei so einem spärlichen Ablenkungsmanöver rausspringen.« Er drehte sich zu Arthur um und schien ganz zufrieden mit seiner Idee. »Und wenn das nicht funktioniert improvisiere ich.«, er klatschte in die Hände und rieb sie lang und ausgiebig, während er sich alles noch einmal genau ansah; die Umgebung in sich aufnahm. »Was soll schon schiefgehen.«, murmelte er, eher zu sich selbst, als zu Arthur und ganz unterschwellig, kaum wahrzunehmen, konnte man einen leisen Zweifel aus seiner Stimme heraushören. Arthur Arthur ging noch einmal durch, ob er Eames wirklich alles gezeigt hatte. Nicht, dass er etwas vergaß, das ihm das Genick brechen würde - womöglich im wahrsten Sinne des Wortes. Die Hand auf seiner Schulter rüttelte ihn aus den Gedanken und er folgte Eames Überlegungen hinsichtlich des Ablenkungsmanövers. Ob Jesse was basteln konnte? "Muss es eine Sprachnachricht sein? Es könnte ja auch einfach nur scheinbar von Jobs kommen. Wobei wir sicher gehen müssen, dass sie es lesen." Das waren viele 'Wenns', die in seinem Kopf da noch übrigblieben. Viel zu viele für seinen Geschmack. Diese ganze Aktion war heikel. Aber sie war auch notwendig. Unausweichlich. Für Tom. Sie durften nicht versagen. Er durfte nicht versagen. »Und wenn das nicht funktioniert improvisiere ich.« Wenn es nicht funktionierte, würde Arthur persönlich auch erscheinen. Er würde Tom gewiss nicht in dieser Todesfalle seinem Schicksal überlassen. Dafür war er nicht hier. Niemals. »Was soll schon schiefgehen.« Alles?! - war sein erster Gedanke. Im Grunde konnte alles schief gehen. Angefangen davon, dass Jobs und Lombardo sich schon auf der Straße hierher begegnen und sich in die Haare kriegen könnten. Oder dass sie doch begriffen, dass sie nur manipuliert wurden. Oder... Doch wem nutzten all diese Zweifel, die ihn innerlich schon länger zerfraßen? Niemandem. Arthurs Augen betrachteten den Staub auf dem Boden, schon eine geraume Weile. Er kannte Tom gut, er kannte ihn sehr gut. Er spürte die Anspannung, er hörte das etwas zu lange Händereiben, bemerkte die hektischen Bewegungen, während er sich umsah. Er hörte den schweren Atem, hörte die aufgesetzte Heiterkeit, wenn er lachte, wenn er sprach. Eigentlich hatte er ihn schon immer gut durchschauen können, er hatte nur seinem eigenen Gefühl nie vertraut. Oder: er hatte es nicht wahrhaben wollen, wenn Eames eben nicht sicher war, selbstsicher und unzerstörbar. Er hatte immer Schwierigkeiten damit, ihm das zuzugestehen. Und noch mehr hatte er Schwierigkeiten damit, richtig darauf zu reagieren. Langsam atmete Arthur aus und wandte ihm den Kopf zu. Seitdem sie den Fluchtweg verlassen hatten, hatte er den Blickkontakt gemieden, er hatte ihn sich für diesen Moment aufheben wollen. Ihre Augen trafen sich. Ich bin da, sollte sein Blick sagen. Ich helfe dir hierbei - egal was kommt. Er wusste nur noch nicht, wie er das schaffen konnte. Aber er würde alles in seiner Macht Stehende dafür tun. I could die for you What you wanna do Oh this life I choose Er hob die Hand und legte sie Tom an die Schulter, auf die Halsbeuge, drückte leicht zu, um ihn nicht entkommen zu lassen. Er könnte ein pathetisches "Wir schaffen das!" loslassen, oder ein "Natürlich wird nichts schiefgehen." Aber dann wäre er ein Heuchler. Er hasste Heuchler. Sein Daumen strich über die Haut am Kragen, strich über die Haut am Hals, die ersten Bartstoppeln. Hatte er Sorgen? Nicht allein. Es war ein befremdlich angenehmer Gedanke, zu wissen, dass sie die gleichen Sorgen teilten, auch wenn sie sie nicht kommunizierten. Sie wussten von ihnen. Sie nahmen sie wahr. Reichte das nicht? "Lass uns uns draußen noch umsehen. Ich weiß nicht, ob ich den besten Ort gewählt habe, an dem ich mich positioniere", sagte er und es klang seltsam leise, ohne deswegen zerbrechlich zu klingen. Eames Für Eames fühlte sich dieser Moment in der heruntergekommenen Lagerhalle, unter den rostigen Stahlträgern und den bröckeligen Putz wie ein Abschied an. Er war sich sicher, dass Arthur ihn liebte und alles tat, damit das hier gut ausging. Aber eine kleine, finstere Stimme irgendwo tief hinten in seinen Gedanken, flüsterte, dass dieser Point Man vermutlich gar nicht sehr lange traurig sein würde, wenn das hier schief ginge. Er fühlte sich wie ein schwerer Stein, der sich an Arthurs Fußknöchel gekettet hatte und ihn allmählich mit nach unten zog. Und der blanke Egoismus hinderte ihn daran loszulassen. Also verabschiedete Eames sich im Stillen von seinem weißen Ritter, indem er sich in dessen Berührung schmiegte und ihm eins seiner Siegerlächeln schenkte. Denn so sollte er ihn in Erinnerung behalten und nicht wie den selbstsüchtigen Widerling, der er war. Sie entschieden sich dafür, dass eine geschriebene Nachricht an Jobs, Lombardo und ihre engsten Vertrauten reichen würde, wenn sie ihm richtigen Moment kam und verließen dann die Halle, um sich draußen umzusehen. Das alte Weingut bot eine Menge Möglichkeiten für Arthur sich zu verstecken. Eine Tatsache, die die Mafiosi ebenfalls skeptisch stimmen würde, erklärte Eames. Allerdings rechneten die nicht mit einer Ein-Mann-Armee, sondern wenn dann mit mehreren Personen. Und letztere waren dann doch etwas schwieriger auf dem Gelände zu verstecken. Wenn sie also nicht akribisch patroullierten, würden sie den Späher nicht entdecken. Die Stelle, die Arthur sich zur Überwachung ausgesucht hatte, konnte Eames nicht mehr verbessern. Von dort aus konnte Arthur einen Teil der Halle durch ein Fenster observieren und bei Bedarf sogar schießen. Die nötigen Präzisionswaffen hatten sie von Concetta erhalten. Der Nachteil würde sein, dass er nicht erkennen würde, ob Eames den geheimen Fluchttunnel erreicht hatte. Aber Eames versicherte Arthur, dass er es anhand der Reaktionen der Mafiosi erkennen würde. »Die Zeit ist bald um.«, sagte er, nach einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir sollten wohl ins Bett gehen, damit wir morgen so früh wie möglich losfahren können, nicht wahr?«, fragte er etwas verschmitzt. Sonst war es Arthur, der nur allzu gern an die Notwendigkeit von Schlaf und pünktlichem Zubettgehen erinnerte. Einmal wollte er auch der Streber sein. Arthur Arthur wurde das Gefühl nicht los, wieder nicht richtig reagiert zu haben. Aber er konnte nichts anderes tun, als zu versuchen, Zuversicht auszustrahlen, oder? Egal was kam, sie würden das gemeinsam durchstehen. An all die Szenarien, die ihn erst in seinen Träumen heimsuchten, durfte er hier nicht denken. Er hatte diese Momente, in denen er Tom hatte sterben gesehen, so oft erlebt, dass er nicht wusste, was geschehen würde, wenn es wirklich so wäre. Zudem diese Gedanken dumm waren. Es war niemandem damit geholfen. Er wollte nicht daran denken, auch wenn es ihm schwerfiel. Es würde ihm nur davon abhalten, konzentriert zu bleiben. Die Distanz, die mit einem Mal zwischen ihnen herrschte, war seltsamerweise die, die er sich nach dem Betreten der Traumebene eigentlich gewünscht hatte. Aber jetzt, wo sie da war, schnürte sie ihm schier die Kehle zu. Hätte er doch einen zuversichtlichen Spruch aufsagen sollen? Einen, der genauso falsch war, wie das Lächeln, das ihm Tom vorhin geschenkt hatte? So war er nicht. Er nickte mechanisch zu Toms Feststellung, dass die Zeit bald um sein würde, dass sie schlafen sollten. Falsch, das alles war alles so falsch gerade. Doch er wusste nichts zu erwidern. Als sie aufwachten, ging Arthur eine Zigarette rauchen. Sie besprachen Belangloses, Selbstverständliches. Tom telefonierte noch mit Jesse, klärte diesen zu ihrem Plan auf. Arthur erwischte sich bei dem Gedanken, dass er sich wünschte, Jesse hätte tatsächlich erst morgen angerufen. Dann würden sie jetzt noch auf der Terrasse sitzen, sich diesen Abend einfach lieben. Und er könnte neben Tom liegen, in seinen Armen einschlafen und wirklich mal schlafen. So aber kam eine größtenteils schlaflose, unruhige Nacht auf ihn zu. Träume von jenen Szenarien, in denen Tom früher stets aufgetaucht war, um auf irgendeine Art und Weise zu sterben, mischten sich mit Szenen aus Tokyo, einem Kasino, etwas Undefinierbarem, das ihm schreckliche Angst machte. Als er am Morgen Schweißgebadet und wie gerädert erwachte, war noch Zeit, bis sein Wecker geläutet hätte. Er ging duschen, versuchte seine Ruhe wiederherzustellen. Dann zog er sich an, kochte Kaffee. Ja, er brauchte Distanz für diesen Job. Sonst würde er durchdrehen, würde Tom nehmen und mit ihm nach Mombasa fliegen, dort untertauchen und ihm eintrichtern, nie, NIE wieder nach Italien oder New York zu kommen. Doch er wusste, dass Eames sich ohnehin nicht daranhalten würde. Dann lieber jetzt das hier hinter sie bringen. Gleichzeitig wusste er, dass es eben eigentlich kein Job war. Das hier war etwas gänzlich anderes. Er war ins Dream-Sharing eingestiegen, um eigentlich genau das hier niemals tun zu müssen. Er hatte es gut gefunden, Geld zu verdienen, ohne dass jemand körperlich zu Schaden kommen würde. Das war der entscheidende Faktor gewesen, weshalb er damals eingestiegen war. Dass er hier einen Massenmord plante, hatte er selbst von sich nie vermutet. Aber er tat es. Und es würde gut gehen. Es musste gutgehen. Sie waren gegen Mittag vor Ort. Den Vormittag hatten sie damit verbracht, letzte Dinge zu regeln, zu durchdenken, distanziert, fokussiert, nebeneinanderher. Im Lagerhaus machten sie sich daran, alles so herzurichten, wie sie es auf Traumebene besprochen hatten. Arthur ging den Fluchtweg noch einmal durch, prüfte die Waffen, die dort zurechtgelegt waren. Dann war alles fertig. Nun hieß es nur noch zu warten. Eames Die Lagerhalle in der wirklichen Welt wies rein äußerlich keinerlei Unterschiede zu ihrer Traumversion auf. Trotzdem strahlte sie in Eames' Augen auch etwas furchteinflößendes aus; etwas endgültiges, das er nicht wahrgenommen hatte, als er das erste mal durch diese Hallen geschritten war. Am selben Ort wo er stand würden in ein paar Stunden Männer sterben. Durch seinen und Arthurs vereinten Aufwand. Und wozu? Einzig und allein damit er sich frei in Italien und den USA bewegen konnte, ohne Angst davor zu haben von irgendeinem Mafiosi erschossen zu werden. Wenn er es nun durchdachte, fühlte es sich falsch an so viele Menschenleben zu zerstören, damit er – der Herr des Chaos – Ruhe und Freiheit genießen konnte. Andererseits... die unfaire Behandlung, die ihm widerfahren war, ließ ihm wahrscheinlich keine Wahl. Entweder er, oder die. Und er wusste, dass es nicht nur ihm lieber war, wenn es die waren, die diesen Ort nicht mehr verlassen würden... Arthur wirkte distanziert, abgeklärt. Eames wusste, dass er nicht viel geschlafen hatte, die Schatten unter seinen Augen verrieten ihn. Eames fühlte sich wie ein Esel in Anbetracht der Tatsache, dass er die ganze Nacht seelenruhig durchgeschlafen hatte. Nachdem ihm klar geworden war, dass Arthur keine Ablenkung in Form von Zärtlichkeiten dulden würde, hatte er den Weiswein erledigt und war in dem Augenblick weg gewesen, als sein Kopf das Kissen berührt hatte. Sie arbeiteten konzentriert, sprachen nur das nötigste. Eames rauchte eine Zigarette, während sie die Technik prüften. »One, two, one, two.«, während er einen Finger auf sein Ohr drückte, auch wenn das dank der ausgeklügelten Ohrknöpfe nicht nötig sein würde. Er ging ein paar Schritte und entfernte sich weiter von Arthur, während er mit einer roboterartigen Stimme weiter im militärischen Sprech in das Mikrophon hinein murmelte. »Juliet, Foxtrott, Yankee, India.« Er wartete kurz auf Rückmeldung, dann führte er weiter: »India, Lima, Uniform - Ok, ich denke es funktioniert. Auf Position.« Er vermied es Arthur noch einmal zu berühren, geschweige denn ihn noch einmal anzusehen. Das würde ihm gerade nicht gut tun. Das würde womöglich alles schwieriger machen. Nur eins noch, richtete er an, ihn ehe er sich zu seiner Position begab: »Wünsch uns Glück, darling.« Eine Staubwolke wehte zu ihnen hoch, und legte sich auf die Blätter der umliegenden Olivenbäume nieder. Was auch immer den Staub aufgewirbelt hatte, bewegte sich aus Richtung der Straße auf sie zu. Kaum hatten sie sich positioniert, fuhren fünf schwarze, auf Hochglanz pollierte SUV's vor und parkten direkt vor der Halle. Get it before It goes to waste Lick on my knife And honour the taste Eames begrüßte Lombardo, der aus dem Wagen stieg. Er trug schwarze Golfhandschuhe aus Leder und einen Brustholster, den er durch kein Jakett verbarg. Mit seinem schwarzem Hemd bot er einen absurden Kontrast zu Eames hellblauen Streifen. Der Rest der Gesellschaft war in kurzärmlige Hemden oder Anzüge gekleidet, je nach Rang. Alle 14 waren bewaffnet. Fünf der Jungs sogar mit guten alten Tommy Guns – Lombardo hatte offenbar einen nostalgischen Fabel für klassische Verbrechen; das Bot Eames Stoff für ihr erstes Gesprächsthema. Lombardo war erstaunlich gut gelaunt. Sie rauchten Zigarre, während sich die Gefolgschaft ausgiebig im Innern der Halle und in der Umgebung umsah. Lombardo ließ Sessel und Stühle aus den Büros in die Haupthalle tragen, damit sie reden konnten. Und dann tauchte Jobs auf und das Prozedere schien sich auf ulkige Weise zu wiederholen. Beide Parteien schienen vorsichtig, aber offenbar bereit zu sprechen – als wäre eine Versöhnung tatsächlich eine Option. Taking my time Running in place Leaving the house Was a mistake Arthur Die Sonne brannte ihm durchs Hemd auf die Haut, doch da sie sich dem Horizont entgegenbewegte, war es auszuhalten. Dennoch herrschte eine drückende Hitze um ihn herum. Kein Wunder, wenn man auf einem Wellblechdach lag, verborgen hinter einem Silo. Kein Schatten, kein Lüftchen, einfach nur stehende Hitze. Arthur war froh, dass er sein Jackett gar nicht mitgenommen hatte. Seine Sonnenbrille halt, in dem gleißenden Licht genug zu sehen, unter den Nasenpolstern bildeten sich Schweißperlen. Er würde nachher ausgiebig duschen. Arthur blickte durch das Fernrohr in die Lagerhalle, in der nichts und niemand war. Tom wartete bei ihrem Auto vor der Halle, von seinem Blickwinkel aus nicht zu sehen. Die Sonne stand hinter ihm, er würde nicht gesehen werden, wenn man aus der Halle hier hinaufsehen würde. An sich ein guter Ort, wenn man nicht wegmusste. Er brauchte etwas, um hier herunter zu kommen, und er hoffte, dass es nicht Zeit war, die er brauchen würde, um Tom den Arsch zu retten. Zudem spiegelte die Sonne teilweise in den Fenstern, so dass er an manche Stellen einen getrübten Blick hatte. Arthur drehte den Kopf, als er das Geräusch sich nähernder Autos hörte. Die Staubfahne bestätigte die Wahrnehmung. Irritiert wechselte er den Fokus seiner Augen von der Ferne auf die Nähe, als er bemerkte, dass ihn eine grün-gelbliche Eidechse anstarrte, züngelte, als wollte sie ihn fragen, was er hier zu suchen hätte. Wie Eames vorausgehsehen hatte, war Lombardo der erste vor Ort. Er schickte seine Leute voraus, die sich auf dem Gelände umsahen, während er selbst mit Tom überfreundlich auf Italienisch anfing, die Räumlichkeiten innen zu inspizieren. Arthur war froh, dass Lombardo selbst gekommen war, um Jobs den Arsch aufzureißen – wie jener vermutete. So mussten sie nicht noch im Anschluss zu seinem Anwesen, um ihm einen privaten Besuch abzustatten. Dafür hatten sie definitiv keine Zeit mehr gehabt, Vorkehrungen zu treffen. Es wäre ein einziges Improvisationstheater geworden, etwas, dass Arthur hasste. Mit einem Schmunzeln und einem leichten Kopfschütteln, beobachtete Arthur, wie Lombardo tatsächlich begann, sich den Ort zu eigen zu machen. Er rückte die Möbel, bereitete ein gemütliches „Sit in“ vor. Offenbar glaubte hier jemand an eine friedliche Lösung. Und offenbar lebte die italienische Mafia noch immer ihr Klischee. Das Gespräch, das Arthur aufgrund mangelnder italienisch Kenntnisse nicht verstand, klang friedlich, aber lauernd. Lombardos Bodyguards schienen genug gesehen zu haben und erstatteten ihm Bericht. Arthur zählte in der Halle 9, außen mussten also noch weiter fünf Männer sein. Ein Blick auf sein Handy verriet, dass alles still war. Von hinten würde sich hier dem Dach niemand nähern. Hinter der Halle hatten Ginsterbüsche und Lorbeer die Macht übernommen, ein Durchkommen nicht ohne Kratzer und Lärm. Erneut hörte er sich nähernde Wagen. Jobs uns seine Leute. Erneut fünf Wagen. Der Vorplatz wurde langsam eng. Ähnliches Aufgebot an Männern. Seltsam, wie konform die Gegner hier gingen. Er bereute es, nicht zu verstehen, um was es ging. Ihm war nur klar, dass Jobs hier definitiv weniger versöhnlich auftrat, als Lombardo. Sicher würden sie nicht lange auf eine Eskalation warten müssen. Es war auch eine verworrene Situation. Während Lombardo davon ausging, dass sich Jobs Berrettas Gunst zurückholen wollte, um hier unten sich ein größeres Gebiet zu eigen zu machen, ging Jobs davon aus, dass Berretta Lombardo und damit Eames angeheuert hatte, ihn zu Fall zu bringen. Dass es im Grunde gänzlich anders gelaufen war und Tom allein aus der Not heraus den Stein komplett ins rollen gebracht hatte, war vermutlich keinem so wirklich bewusst. Arthur streckte sich etwas, nahm das Gewehr in Anschlag und blickte durch das Zielfernrohr. Er war die Ruhe selbst. Und er würde jeden treffen, der es wagen sollte, in Richtung Tom zu schießen. »Wünsch uns Glück, darling.«, hallte noch in ihm wieder. „Das und noch mehr…“, war seine Antwort in Gedanken gewesen. Emmanuel Jobs Die Fahrt zog sich. In Gedanken ging er die vergangenen Wochen immer wieder durch. Die Schmach, die er erlitten hatte. Diese Degradierung. Er war so gut im Geschäft gewesen – auch mit Berretta. Wieso war ihm dieser Mann in den Rücken gefallen. Warum hatte er ihm diesen Eames auf den Hals gehetzt? Wie hatte er es wagen können, ihm so in den Rücken zu fallen?! Die Wut war nicht weniger geworden. Nicht direkt auf Berretta. Er verstand ihn. Vermutlich hätte er es nicht anders gemacht. Die Wut galt vor allem Lombardo. Diese Scheißer von der Insel waren seiner Familie von jeher ein Dorn im Auge. Es gab viele Fehden zwischen ihnen. Nun hatte er den Bogen überspannt. Nun galt es zu handeln, bevor sein Erbe und das Ansehen seiner Familie weiter beschmutzt wurde. Niemand hinterging die Familie ungestraft, niemand. Lombardo war schon längst fällig. Das Land, durch das sie fuhren, hatte ohnehin einst seine Familie unter Kontrolle gehabt. Heute würde der Tag werden, an dem Lombardo Dreck fressen würde. Und Thomas Eames, dieser Bastard, der die Frechheit besessen hatte, ihn auf diese Weise Lombardo zu Fraß vorzuwerfen. Er war erstaunt gewesen, als jener zu ihm gekommen war und ihn darüber aufgeklärt hatte, wie er an den Code gekommen war. Er hatte es nicht begreifen wollen. Mittlerweile war diese Information gesackt und nur ein Gedanke war übriggeblieben: er wollte diesen Arsch persönlich. So in seine Privatsphäre einzudringen war ihm immer unbegreiflicher und machte ihn rasend. „Thomas Eames, gehört mir“, knurrte er gewiss zum 100. Mal an diesem Tag, als sie in die Schotterpiste einbogen, die zu dem Weingut führte, die tatsächlich einmal einem Vettern gehört hatte. Nun galt es, Lombardo den Arsch aufzureißen und das Geld an sich zu nehmen, das einmal ihm gehört hatte. Er würde es verwenden, um sich etwas Neues aufzubauen. Die Fühler hatte er schon ausgestreckt. Es gab neue Geschäfte, denen er sich widmen würde. Sie stiegen aus, seine Männer blickten ihn an. „Bewahrt Ruhe und wartet auf Anweisung. Lombardo gehört mir, Eames gehört mir. Ansonsten darf es keine Überlebende geben, verstanden?“ Sie nickten. Sie sollten sich beeilen. Laut Eames würde Berretta erst morgen hier eintreffen, um Lombardo das Geld zu übergeben. Dass er dieses Treffen vorab aushandeln hatte können, war ihm wichtig gewesen. Er wollte den Vorteil nutzen, den er hatte. Den Vorteil, dass dieser Brite glaubte, er sei ihm wohlgesonnen. Sicher, er traute ihm nicht wirklich. Und ja, er wollte ihn tot sehen. Aber vorher würde jener noch dafür Sorgen, dass er Berretta an den Eiern bekam, um hier seine Zuständigkeit zu erweitern. Seine Männer bildeten eine Traube hinter ihm. Das Anwesen wirkte überschaubar, nichts Außergewöhnliches. Er war als Kind einmal hier gewesen und kannte sich aus. Er hatte definitiv Heimvorteil. Sie betraten die Halle, die Gespräche verstummten, Lombardos Männer strafften sich. Jobs Augen hatten die Männer gescannt, nur Thomas Eames widmete er keinen Blick. Das hob er sich auf. Habt nur Angst, ihr Arschlöcher! Habt es zurecht! Ein Lächeln legte sich auf seine Züge, er ließ die Halswirbel knacken und näherte sich dem deutlich kleineren, untersetzten Mann. Gott, er würde ihm nachher ins Gesicht spucken! „Emanuel“, begrüßte Lombardo ihn mit einer Mischung aus Freundlichkeit und Vorsicht. Hab nur Respekt vor mir, du kleiner Scheißer! Er erwiderte nichts, schüttelte nur seine Hand, Lombardo fuhr fort. „Wir sollten reden. Ich fürchte, hier sind einige Missverständnisse aufzuklären…“ Jobs lachte trocken. Missverständnisse? „Was gibt es da misszuverstehen, wenn du mir den Kerl auf den Hals hetzt, um mir mit vertraulichen Informationen, das Genick zu brechen?“, stellte er in den Raum. „Was hat dir Berretta versprochen? Hm?“ Lombardos Blick wurde kühler, das aufgesetzte Lächeln verschwand. Sie standen in der Sitzgruppe, doch keiner setzte sich. Eames Das war forsch, dachte Eames. Jobs war offenbar nicht gewillt die Sache subtil anzugehen, sondern legte gleich los. So etwas hatte er von einem Psychopathen wie ihm nicht erwartet. Vor allem nicht, da Arthur und er ihn bereits von „innen“ gesehen hatten und seine Reaktion eigentlich besser hätten vorhersehen sollen – er hätte seine Reaktion besser vorher sehen sollen. Er war der Menschenkenner, der verdammte Forger. Nun stand er da und spürte einen steinharten Kloß in seinem Hals. Er hatte sich Jobs als Doppelagent verkauft. Ein Opfer, das zwischen die Zahnräder der Größeren geraten war und nun versuchte die Sache zu Jobs' Gunsten zu drehen, um ihre vermeidlich gemeinsame Rache an Lombardo zu bekommen. Jobs erwartete also ein Gemetzel, während Lombardo wohl noch glaubte, dass es reichte dem Ex-CEO von Moneygram Angst zu machen, um seine Stellung in New York und Italien nicht zu verlieren. Wobei sich Eames auch nicht vorstellen konnte, dass er Jobs so einfach hätte davon kommen lassen, wo dieser doch angeblich schon seine eigenen Männer in den U.S.A. abschlachtete. Lombardos verwirrt-verärgerter Blick huschte augenblicklich zu Eames, welcher die größte Mühe hatte nicht dumm aus der Wäsche zu gucken. Dann erwiderte er: »Die interessantere Frage ist wohl: was hat Beretta dir versprochen?« Eames spürte, dass sie jetzt schnell handeln mussten. Die Geschichten, die er beiden Gauern aufgetischt hatte, würde bröckeln und zwar bald. Er konnte nicht weg, er stand mitten im Raum, umringt von Lombardos Männern, er musste Stellung beziehen, um eine Chance zu haben. Fluchs gesellte er sich zu den beiden; auf seinem Gesicht eine Art betretenes, oder peinlich berührtes Grinsen. Als wäre der Guss der Kindergeburtstagstorte aus Versehen Vanille statt Schokolade geworden; so ein Missgeschick, aber auch. Dabei legte er je eine Hand auf die Schultern der beiden Parteichefs. Vor allem Jobs drückte er mit dem Daumen gegen die empfindliche Stelle zwischen Schlüsselbein und Nackenmuskulatur. Gerade da, wo er an dem Lederholster vorbeikam. »Jungs, jungs..entspannt euch.« Doch es war bereits zu spät. Eames wusste, dass er aufgeflogen war, in dem Augenblick in dem er Lombardo in die Augen sah. Er kannte dieses wutentbrannte Funkel leider zu gut. Gerade in der Sekunde, als Lombardo Luft holte, um sich zu echauffieren, packte Eames ihn und drehte ihm einen Arm auf den Rücken. Mit der anderen Hand, überstreckte er Lombardos Kopf nach hinten, umdiesen komplett bewegungsunfähig zumachen; wenn auch nur vorübergehend. »Erledige ihn Jobs!«, brüllte Eames. Natürlich hatten Lombardos Männer die Waffen sofort erhoben und richteten die Läufe nun auf ihren sich windenden und fluchenden Chef, den der Forger natürlich als Schutzschild benutzte. »Leg ihn um! Wir haben ihn Jobs! Jetzt kriegt der Bastard was er verdient!« »Hör nicht auf ihn Emanuel!«, schrie Lombardo dagegen, konnte sich aber kaum artikulieren. »Er ist ein Betrüger! Er versucht uns beide zu überlisten!« Das war eine viel größere Katastrophe, als sie je hätten vorhersehen können. Er hatte es Arthur gesagt; was auch immer er tun musste, er wollte sich für keine Seite entscheiden. Dieses Spiel war ihm zu gefährlich erschienen. Nun konnte er nur darauf hoffen, dass Jobs auf seinen Zug aufspringen und ihm zumindest die Chance geben würde, ihm die Kohle wieder zubeschaffen, bevor er plante ihn umzulegen. Arthur Es war erstaunlich, wie Jobs, den er als jemanden kennengelernt hatte, der pedantisch kalkuliert, hier als Alphatier auftrat. Wie jemand, der nichts mehr zu verlieren hatte? Eher wie jemand, dem man so sehr in die Suppe gespuckt hatte, dass er nicht mehr an sich halten konnte. Und Arthur ahnte, woher das kam. Die Aggressivität war anders als die stille, bedrohliche Aura des Italieners vor ihm, der dem Amerikaner in diesem Fall nicht wirklich etwas an Autorität entgegenzusetzen hatte. Arthur war sich bewusst, dass das so gar nicht lief, wie Eames sich das erhofft hatte, wie sie es sich beide erhofft hatten. Er würde früher für Ablenkung sorgen müssen, als geplant. Ob Eames in diesem Modus überhaupt eine SMS bemerken würde? Jobs war ein Narzisst und ein Kontrollmensch. Vielleicht war es doch nicht so klug gewesen, ihn damit zu konfrontieren, dass sie in sein Unterbewusstsein eingedrungen waren. Er kannte selbst das Gefühl, nein die Angst, die man hatte, WAS jemand in seinen Träumen sehen könnte, wovon niemand etwas wissen durfte. Arthur war trainiert und hatte das normalerweise im Griff. Dennoch hatte es Tom vor kurzem erst geschafft, etwas von ihm aufzudecken, was er sicher verwahrt geglaubt hatte. Angesichts von Jobs Vergangenheit und dem Fragezeichen, was es mit dem Unfall seiner Eltern und seiner Schwester auf sich hat, konnte sich Arthur vorstellen, dass diese Offenbarung ihn das Gefühl von Kontrollverlust bekommen ließ. Diese Unwägbarkeit hinsichtlich dessen, was Eames alles gesehen haben könnte, machte Jobs jetzt unberechenbar. Zudem kam hinzu, dass er vielleicht begriffen hatte, dass sie durch die Manipulation des Insulins in gewisser Weise auch seinen Tod in Kauf genommen hatten. Arthur wurde immer bewusster, dass es vielleicht gar nicht Lombardo war, oder das Geld, auf das Jobs hier hoffte – es war Thomas Eames, den er tot sehen wollte. Er drehte sein Gewehr etwas, hatte nun Lombardo im Visier, dem Eames soeben die Hand auf die Schulter gelegt hatte. Glaubte er noch an eine friedliche Lösung? Doch im nächsten Moment belehrte er ihn eines Besseren: er lieferte Lombardo aus, schlug sich auf Jobs Seite. Arthur wurde flau im Magen. War es nicht das, was er in jedem Fall hatte vermeiden wollen? Arthur schluckte, seine Rädchen drehten sich. Eames‘ Verzweiflungstat machte die Situation nicht unbedingt besser. Lombardos Worte schienen Jobs zum Nachdenken zu bringen. Eben hätte er den Italo-Amerikaner noch gut treffen können, nun standen ihm andere im Weg. Mist! Wenn etwas schief ging und Jobs alles komplett durchschauen würde, würde er vermutlich auch Lombardo durchlöchern, um an Tom heranzukommen. Ihm musste irgendetwas einfallen, um die Situation zu verändern… irgendwas, bevor allen klar war, dass sie auf einen großen Betrug hereingefallen waren, bevor alles in sich zusammensinken würde, einstürzen wie ein Kartenhaus. Ob er bereits auslösen sollte? Erst einmal für Ablenkung sorgen… „Ich lenke sie ab“, sagte er leise, wissend, dass Tom ihn hören würde, dann schoss er auf einen von Jobs Männern, der so stand, dass auch einer von Lombardos Leuten der Schütze gewesen sein könnte. Vielleicht würde es so eskalieren, wenn sie gegenseitig glaubten, dass einer nicht die Nerven behalten konnte. Der Mann, den er traf, sackte stöhnend zusammen, einen Moment herrschte ungläubige Stille. Im Grunde war es Blödsinn gewesen – niemand hatte einen Schuss gehört und Schalldämpfer hatten die Herren dort nuten sicher nicht verwendet. Doch Arthur hatte irgendetwas tun müssen. Leider blickte Jobs nun doch genau in seine Richtung. Gespenstische Stille herrschte, wirklich gespenstisch, denn nicht einmal Vögel oder Zikaden waren zu hören. Es schien, als würde die Welt die Luftanhalten. Das Grollen, das mit einem Mal den Raum zu erfüllen schien, war unfassbar. Das Beben das folgte, das alles in Bewegung setzte, sich automatisch im Magen festkrampfte, löste Urängste aus. Die Lagerhalle ächzte, stöhnte, Steine bröckelten aus der Mauer, Staub rieselte hinab, ein Glas zersprang. Arthur klammerte sich an das Dach, hob den Kopf und blickte in Richtung Ätna, der so nah war, sichtbar von überall her und gerade über sich eine enorme Aschewolke aufsteigen ließ. Der Berg der Berge schien in Bewegung gekommen zu sein, der höchste Vulkan Europas. Arthurs Wegwerfhandy piepte, irritiert blickte er darauf – der Countdown war gestartet. Durch das Erdbeben war offenbar der Countdown ausgelöst worden. Eames hatte nur noch fünf Minuten. „Tom!“, sagte er. „Das Erdbeben hat die Zündung in Gang gesetzt. Du hast fünf Minuten um rauszukommen!“ Erneut bebte der Boden, die Verbindung schien einen Moment unterbrochen zu sein. Seltsam, wie das Schicksal spielte. Toms Leben – wie ein Tanz um den Vulkan: entweder er würde ihm nun das Genick brechen oder er würde ihm den Arsch retten. Lombardo Fragte Lombardo ihn gerade tatsächlich, was Berretta ihm versprochen habe? Wieso um alles in der Welt sollte Berretta IHM etwas versprechen?! Er hatte ihm den Stuhl angesägt und ohne ihm eine Chance gelassen, den ganzen schließlich weggerissen. Sicher, er würde ihn brauchen, wenn er hier erst einmal aufgeräumt hatte. Aber im Moment war er noch nicht wieder stark genug, um sich an ihm zu rächen. Irritiert blickte er den kleinen untersetzten Italiener an, als er mit einem Mal eine Hand auf seiner Schulter spürte. Eine Hand, die einem Mann gehörte, den er nicht zu nahe an sich heranlassen sollte. Ein Mann, der in sein Unterbewusstsein eingedrungen war, um ihn aufs übelste zu bestehlen. Ein Mann ohne Skrupel, der zu ihm gekommen war, um für ihn zu arbeiten. Kein Wort hatte er ihm geglaubt – zurecht. Seine Augen funkelten ihn an, ein dunkles Lächeln hatte sich auf seine Lippen gesetzt. Nein, er würde diesem Mann nicht mehr vertrauen… In diesem Moment begriff er, dass hier an der Situation noch mehr faul war, als nur Lombardos Frage. Seine Augen blickten in das wässrige Blau des Briten, suchend, ob er eine Antwort erhalten würde auf eine Frage, die er noch nicht gestellt hatte. Doch er bekam keine. Stattdessen sah er dabei zu, wie dieser Lombardo überwältigte. Seine Männer nahmen Haltung an, richteten ihre Waffen auf Lombardos Männer. War das sein Plan gewesen? Dass sie sich gegenseitig abschlachteten? Er musste seine Leute warnen, er musste Lombardo warnen! Unwillkürlich griff er nach seinen zwei Waffen, zog sie, richtete sie auf Jobs. Oder auf diesen Eames? Er ist ein Betrüger! Ja, so war es wohl. Und sie waren ihm alle auf den Leim gegangen. Doch nun würde es für eben diesen kein Entkommen mehr geben. Sicher, da war noch das Geld, das Berretta angeblich bringen würde – aber er glaubte nicht mehr daran. Nein, das hier alles war ein Puppentheater, eine Performance, die jemand inszenierte. Nur Thomas Eames? Er erinnerte sich noch gut an die Gesichter im Spa-Bereich, die an diesem unsäglichen Tag die Massage übernommen hatten. Er würde sie sein Leben lang nicht vergessen! Als Luigi zu Boden sackte, drehte sich Jobs irritiert um. Er hatte keinen Schuss gehört, sah nur den Mann zu Boden gehen, mit schreckensgeweiteten Augen. „Bleibt ruhig!“, sagte er unmittelbar. Während sich drei andere seiner Männer in Richtung des vermeintlichen Schützen drehten, blickte er durch das zersprungene Fenster hinüber zum Dach des Nebengebäudes. Die Sonne blendete – der perfekte Ort für einen Scharfschützen. Mit einem Grinsen, das wohl eher der Grimasse eines Wahnsinnigen glich, drehte sich Jobs Eames zu. Er würde diesen Mann nicht einfach nur sterben lassen. Er würde ihn quälen, ihn und seine Komplizen. „Hast du einen deiner…“ Weiter kam er nicht, als mit einem Mal der Boden bebte. Ein Schuss löste sich, Jobs hechtete hinter einen der Sessel. Er kannte Erdbeben, hatte sie oft genug gespürt. Dieses war jedoch heftiger als die, die öfters an der Tagesordnung standen. Um ihn herum herrschte Chaos. Er hörte ein paar Männer etwas rufen, erneut ein Schuss. Chaos brach aus, noch mehr Schüsse fielen. „Hört auf zu schießen!“, schrie er, doch offenbar verselbstständigte es sich jetzt. Mit einem Mal wurde ihm eines bewusst: das war für jemanden wie Thomas Eames gewiss der perfekte Moment, um unterzutauchen, oder? Wie ein wildes Tier bäumte sich Jobs hinter dem Sessel auf, drehte sich, zielte an die Stelle, an der eben noch Eames und Lombardo gestanden hatten, und schoss. Dieser dreckige Betrüger durfte nicht entkommen!!! Niemals. Nur leider stand dieser Kerl nicht mehr da, wo er ihn eben noch gesehen hatte. Jobs ging erneut in Deckung und blickte sich um. Wohin ist dieser Scheißkerl gegangen?! Eames Trotz des gebrochenen Fingers klammerte er sich an Lombardo so fest er konnte. Wenn er ihn verlöre, würden seine Männer ihn in wenigen Sekunden durchlöchern wie ein Nudelsieb und darauf konnte er wohl verzichten. Arthurs Ablenkungsmanöver brachte leider nicht den gewünschten Erfolg; eher im Gegenteil. Er sah Jobs Haifischgrinsen und erschauderte. Jetzt wusste dieses Aas, dass Eames nicht allein war. Das war schlecht. Alles an dieser Scheißsituation war schlecht. Es lief überhaupt nicht wie geplant und er fürchtete, dass sie beide draufgingen, wenn er nicht schnell eine Entscheidung traf. Der Ätna nahm ihm die Qual der Wahl jedoch wohlwollend ab, indem er für eine bebende, grollende Ablenkung sorgte. Lombardos Männer begannen auf Jobs zu schießen, Jobs‘ Männer erwiderten. Der Italiener in seinen Armen zappelte und als Eames einen Augenblick nicht richtig aufpasste, hatte er einen Ellbogen in den Rippen. Er ließ keuchend los und blickte Sekunden später in Lombardos Pistolenlauf. Das Blut in seinen Ohren rauschte laut, weshalb er nur zur Hälfte das Brüllen und Schimpfen der gegeneinander Kämpfenden Handlanger verstehen konnte. Er sah Arthurs Gesicht vor seinem inneren Auge; dachte an die letzte Botschaft, die er ihm per Funk gesendet hatte, kurz bevor die Mafiosi eingetroffen waren; dachte an das Eames-Haus, Mombasa und Enya. Er hatte doch nur noch eine Chance gewollt alles richtig zu stellen. Dann traf eine Kugel Lombardos Schläfe er klappte zur Seite weg. Die Zunge hing ihm aus dem Hals, wie bei einem Esel und die Augen waren nach hinten gerollt. Er zuckte noch ein wenig, aber ließ bereitwillig die Waffe los, die Eames nun an sich nahm. So schnell er konnte, huschte er hinter eine der Säulen und hockte sich dort ab, um seine Kugeln zu zählen. Er hatte 8 Schuss. In der Halle und im Eingang standen noch 16 Männer, inklusive Jobs, der hinter einem Sessel abgetaucht war. Er atmete tief ein und aus und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Das Beben und Arthurs Funkpruch war zwischen 40 und 60 Sekunden her. »Jobs kennt deine Location. Schieß auf alles was sich bewegt.«, richtete er an Arthur und fügte in Gedanken hinzu: lass nicht zu, dass sie dich kriegen. Nach weiteren tiefen Atemzügen entsicherte er die Waffe und legte los. Jobs hatte es offenbar beinahe geschafft die Situation zu deeskalieren, aber nun da Lombardo tot war, schienen seine Gefolgsleute außer sich zu sein. Jobs Männer schienen den Rücktritt wählen zu wollen; das musste er unter allen Umständen verhindern. Er sprintete zu der Grube, wo er den Koffer versteckt hatte. »Emanuel!«, rief er und machte sich mit wild fuchtelnden Armen bemerkbar. Als Schüsse fielen, ging er wieder in Deckung. »Hier ist deine Kohle du Wichser!«, er wedelte mit dem Koffer. Ein Kerl mit schrecklich krummer Nase versuchte sich seitlich anzuschleichen – Eames Kugel traf ihn ins Auge. Er schrie und kippte nach hinten. Die allgemeine Aufruhe war groß, aber angesichts des Geldes schienen sich alle etwas mehr zusammenzureißen. »Macht ihn fertig! Er ist allein! Schießt! Er hat den Boss gekillt!«, rief jemand auf Italienisch; Eames konnte den Ursprung der Stimme nicht ausmachen. Schien auch nicht wichtig. Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Sein Blick streifte das schmale Fenster, 2,5 Meter über ihm. Fliegen wäre praktisch... Er sah nicht mehr zu der Gruppe, die sich ihm näherte – die Gruppe von Männern, die ihn tot sehen wollten – sondern rannte los. Den Koffer klemmte er sich dabei mit beiden Händen in den Nacken, um wenigstens seinen Kopf vor Schüssen zu bewahren. Er spürte, dass ihn ein paar Kugeln trafen, aber durch das Adrenalin konnte er weiterlaufen. Rauskommen – einfach nur rauskommen. Er hielt ein letztes mal Inne nachdem er die Tür passiert hatte, um in keine der Fallen zu treten und huschte dann durch den schmalen Gang bis er eine weitere Tür erreichte. Hinter ihm hörte er bereits das geschmeidige Klicken, der Trittfalle. Eine kleine Explosion sprengte den Kopf des ersten Verfolgers. Das war der Moment in dem Eames nach draußen kam und den Koffer fallen ließ. Seine Lungen füllten sich mit frischer doch staubiger Luft, weshalb er zunächst in heftiges Husten verfiel, als er sich hinter der Halle einen kleinen, zugewucherten Abhang hinauf kämpfte. »Spren-…«, röchelte er; hustete, würgte. Seine Atemwege schienen sich zu zuziehen, so tief hatte er den Staub inhaliert. »Spreng-… sprengung!« Emmanuel Jobs Es fiel Emmanuel wie Schuppen von den Augen, dass er soeben Lombardo erschossen hatte, während er im ersten Moment nur darüber nachgedacht hatte, wo dieser Scheiß Betrüger hingekommen war. Das Bild, das sich in dem Bruchteil von Sekunden auf seine Netzhaut gebrannt hatte, wurde klarer, während er sich hinter den Sessel kauerte und das Chaos um ihn herum sich weiter zu entfachen schien. Er hatte ihn erwischt, genau an der Schläfe – während jener Thomas Eames vor seinem Lauf gehabt hatte. Alle Probleme wären in dem Moment gelöst gewesen, in dem Lombardo abgedrückt hätte. Alles andere hätte sich gegeben. So aber musste er zusehen, dass er den Mistkerl noch bekam. Seine Rufe, die seine Leute zurückpfeifen sollten, brachten nicht den gewünschten Erfolg. Viel zu erbost waren Lombardos Männer, die letztlich auch um ihr eigenes Leben bangten und dieses genauso verteidigten, wie sie sich rächen wollten. In seinem Hirn ratterte es. Er rief die Bilder von der Halle auf, wo sich Thomas Eames verzogen haben könnte. Wie kam er an den Briten ran? Als er Eames Stimme hörte, zögerte er nicht, stand auf und schoss unmittelbar in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Er sah den Koffer, sah den Briten, der offenbar glaubte, sich damit noch irgendwie einen Vorteil verschaffen zu können. Wo hatte er den denn rausgezogen? Woher wusste er, wo der Koffer war? Jobs Misstrauen war so tief, dass er jegliche Handlung des Briten in Frage stellte. Zumindest sorgte der Koffer für eine gewisse Aufmerksamkeit, die die zerrütteten Parteien nun wieder teilten. Alle fokussierten sich darauf. Nun, wäre ja auch praktisch, hier nicht nur lebend herauszukommen, sondern auch mit einem Haufen Geld. Ob es Eames Ziel war, sie auf seine Fährte zu setzen? Tiefes Misstrauen rührte sich erneut. Sollten doch lieber die anderen wie die Idioten dem Betrüger hinterherrennen. Er hatte andere Pläne. Er blickte sich um, sah die Seitentür, die mit einem Tisch verstellt war. Zugegebenermaßen eine gute Idee, wenn hier drinnen das Chaos ausbrach, so zu verhindern, dass Männer verschwanden. Allerdings war der Tisch damit auch ein guter Tritt zu dem Fenster, das seitlich neben der Tür ziemlich erhöht und dessen Fensterscheiben durch das Erdbeben geborsten waren. Zeit, sich vom Acker zu machen. Emanuel Jobs stand auf, richtete die Waffe auf Lombardos restliche Männer und schoss, gab damit seinen Leuten Rückendeckung. „Verfolgt den Bastard!“, schrie er und schoss sein Magazin leer, um seinen Leuten den Weg frei zu machen. Dann ging er wieder in Deckung und wechselte das Magazin. Viele waren nicht mehr übrig, mindestens drei seiner Leute hatten durch die Tür dem Briten folgen können. Nun galt es, etwas Glück zu haben. Er atmete tief durch, lauschte, von woher Geräusche kamen und stand auf, zielte, schoss, zielte, schoss. Dann war es still. Es lagen viele auf dem Boden, eine Tür weiter hinten am anderen Ende der Lagerhalle war offen. Er selbst spurtete los, sprang behände auf den Tisch, zog sich zum Fenster hinauf, darüber hinweg und fiel tief. Er rollte sich auf dem Gestrüpp ab, das neben der Halle zu wuchern begonnen hatte. Ein heftiger Schmerz durchzog seine linke Schulter, auf der er sich abgefangen hatte. Der Aufprall hatte ihm die Luft aus den Lungen getrieben. Einen Moment blieb er auf dem Rücken liegen, verschnaufte, dann schlug er die Augen auf. Keine Sekunde zu früh, denn nun sah er, wie die Halle neben ihm schier in Zeitlupe und immer schneller einzustürzen begann. Mit schreckensgeweiteten Augen blickte er nach oben und reagierte keine Sekunde zu früh, als er sich zur Seite rollte, und krachend neben ihm Teile des Daches aufschlugen. Eines musste man Eames und seinen Helfern lassen. Sie hatten sich gründlich darauf vorbereitet, ihn, Lombardo und ihre Männer ins Grab zu bringen. Aber nicht mit ihm. Emanuel stand auf, schwankte leicht. Auch das Knie hatte etwas abbekommen. Aber er musste zusehen, dass er in Deckung kam. Im Moment glaubten seine Feinde vermutlich, dass er begraben, einfach tot war. Diesen Vorteil musste er für sich nutzen. Einer der Gefolgsleute von Thomas Eames lauerte auf dem Dach gegenüber. Ob er sich den schnappen sollte? Er ging hinter einer Mauer in Deckung, überlegte krampfhaft, wie er weiter vorgehen sollte, blickte sich um. Dann setze er sich in Bewegung. Die Mauer zog sich um den Hof, zumindest bis zu jenem Hügel, der weiter in die Weinberge führte. Bis dort hinten konnte er in Deckung bleiben. Als ein Schuss fiel, hielt er inne, lauschte gebannt. Arthur »Jobs …e Location. … sich bewegt.« Arthur verfluchte die Technik, die in diesem Moment so gar nicht funktionierte. Doch nachfragen würde er nicht. Was könnte Eames gemeint haben? Nun, er ahnte, dass Jobs seine Position kannte. Ob er ihn darauf hinweisen wollte? Arthur zog sich zurück. Egal was nun passierte. Hier oben würde er die schlechteste Möglichkeit haben, weiter etwas auszurichten. Arthur ließ sich den vorgesehenen Weg vom Dach hinunter, schulterte das Gewehr und zog seine Clock. Dann umrundete er das Gebäude. Im Chaos, das in dem Gebäude ausgebrochen war, hatte er Tom nur noch zum Koffer sich bewegen gesehen. Ob er wirklich dieses Scheiß Geld retten wollte? Darauf war doch wirklich geschissen, wenn er nur dafür leben herauskam! »Hier ist deine Kohle du Wichser!«, hörte er nun wieder deutlich in seinem Ohr, während er den von der Straße aus gesehen vordersten Ausgang beobachtete, indem er sich hinter einen der Wagen kauerte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Jobs Männer eher aus der Halle herauskamen, ließ ihn einen von Lombardos Wagen wählen. Jetzt noch hinzugehen und diesen zu verriegeln, war absurd. Die Gefahr, dass jemand herauskommen und ihn direkt abknallen würde, war zu groß. Es dauerte nicht lange, als die Tür tatsächlich aufflog und zwei von Italiener herauskamen. Arthur beobachtete sie, wie sie zu den Autos liefen, zum Kofferraum, um weitere Waffen zu holen. In diesem Moment hörte er Eames in seinem Ohr. Die Geräusche, die er zuletzt wahrgenommen hatte, das Keuchen, die Schüsse, Aufstöhnen und dergleichen mehr, hatten ihn dazu gezwungen, wegzuhören, um sich nicht seiner Angst hinzugeben, die ihn sonst nicht mehr klar denken lassen würde. Nun aber hörte er das Röcheln ganz deutlich, das die Sprengung forderte. Er zog sein Handy aus der Jackentasche, aktivierte den Zünder direkt und ein Signalton erklärte ihm, dass die Sprengung erfolgt war. Es würde nur Sekunden dauern, bis das Gebäude einstürzte. Und genau so war es. Er steckte das Handy zurück in die Jackentasche, als auch schon das Stahl- und Beton-Konstrukt in sich zusammensackte und alles darunter begrub, was nicht rechtzeitig herausgekommen war. Arthur verfluchte innerlich die Tatsache, dass er aus egal welcher Sicht, nie alles überblicken konnte. Aber zunächst sollte er sich den zweien widmen, die sich hinter den Autos in Sicherheit gebracht hatten, und nun erst recht motiviert ihre Waffen durchluden. Er spähte seitlich am Auto vorbei, als er im Augenwinkel eine andere Bewegung wahrnahm – Jobs, der sich hinter eine Mauer hechtete. Also war der auch entkommen. Die Zeit wurde knapper. Die Geräusche, die Tom von sich gab, verhießen nichts Gutes. Er war mitgenommen, angeschlagen, vielleicht getroffen. Hier vorne waren noch zwei wutgeladene und Jobs hatte endgültig nichts mehr zu verlieren. Arthur ging aus der Deckung und schoss den ersten Mann nieder mit einem gezielten Kopfschuss. Der zweite zog durch, schoss, doch Arthur war schneller, schoss einen Moment früher und war bereits wieder hinter einem anderen Auto in Deckung gegangen, als er den zweiten Körper zu Boden gehen hörte. Dass er nicht schnell genug war, um den lauten Schuss zu verhindern, der so unnatürlich laut in den Bergen zurückzuschallen schien, war nicht gut. Er überlegte, ob er Tom fragen sollte, wo jener sich befand. Aber wenn er ihn zum Sprechen brachte, dann würde Jobs es vielleicht hören können. Sollte er ihn warnen? Vielleicht musste er einfach nur schnell sein. Arthur spurtete los. Er musste einen Bogen um die Nebengebäude machen, um zu verhindern, dass Jobs ihn sah. Er hatte zumindest den Vorteil, dass jener nicht wusste, wo er sich genau befand und wer er war. Emanuel Jobs Nach dem Schuss folgte kein Geräusch mehr. Es war seltsam still, nichts schien sich zu regen. Er streckte sich, späte über die Mauer. Von hier aus sah er die Rückseite der ehemaligen Halle. Der Schuss war von der Vorderseite gekommen, würde er sagen. Dort, wo die Autos standen. Ob einer seiner Leute den anderen Komplizen erwischt hat? Der hat sicher einen Schalldämpfer benutzt. Oder gab es noch mehr Komplizen? Warum waren sie dann aber nicht gestürmt? Viele Leute wären ihren Männern sicher eh aufgefallen. Doch nur einer? Er blickte sich weiter um. Nichts rührte sich. Der Koffer lag auf dem kleinen Platz, von Eames keine Spur - oder? Wohin würde er gehen, wenn er an dessen Stelle wesen wäre. Er ging vermutlich davon aus, dass sein Komplize noch auf dem Dach war. Wenn er wäre, würde er sich in den Weinberg verziehen. Dort konnte man gut in Deckung gehen. Ob er ihm den Weg abschnitt, wenn er in einem Bogen auch dorthin ginge? Jobs lief los, sein Bein schmerzte, so dass er weniger schnell vorankam, als ihm lieb war. Aber sein ziel ließ ihn den Schmerz vergessen. Heute ging es nur noch um eines – diesen Bastard endgültig auszulöschen! Hörte er da jemanden sprechen? Fluchen? Jobs blickte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Und tatsächlich – sein Plan war aufgegangen, da war er. Jobs beobachtete, wie Eames hinter einer Brombeerhecke sein Bein untersuchte. Leise schlich er sich näher heran. Dieser Wichser würde ihm nicht mehr entkommen! Die Waffe im Anschlag näherte er sich dem Mann, dem er seinen Untergang zu verdanken hatte. „Dein Plan war gut“, sagte er, als er auf ihn zutrat, „aber nicht gut…“ Zu mehr kam er nicht, als eine Kugel ihn traf und er in die Knie sackte. Noch bevor sein Kopf auf dem Boden aufschlug, war er tot. Dass der Schütze die wenigen Meter überwand, um seinen Tod endgültig festzustellen, bevor er sich zu Tom drehte, bekam er nicht mehr mit. Auch nicht das „Alles in Ordnung?“, das er den Briten fragte. Eames Im Gestrüpp herrschte eine seltsame Ruhe. Auch wenn das laute Krachen der in sich zusammenfallenden Halle und die Schüsse nicht verebbten. Die Schlacht hörte sich wie abgedämpft an; als wäre sie viel weiter entfernt, als sie eigentlich war. Als er die Augen schloss fühlte es sich an, wie eine alte Erinnerung. Er blutete und ganz langsam stellte sich ein gewisser Schmerz ein. Aber das war nichts von Bedeutung. Nicht solange er nicht sicher war, dass es Arthur gut ginge. Solange er seinen Anweisungen gefolgt war, dürfte nichts passiert sein, immerhin hatte sich noch keiner der Mafiosi auf den Weg zu dem kleinen Häuschen gemacht auf dem sein Point Man in Deckung gegangen war. Kurz hielt er inne, setzte sich in eine kleine Kuhle, seine Wade zu untersuchen, in der ein kreisrundes Loch klaffte. Schade, um den Anzug, dachte noch, als sein Gedanken von einer Stimme unterbrochen wurde, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ: „Dein Plan war gut“ Eames starrte den Mann mit einer Mischung als Abscheu und Überraschung an. Wie um alles in der Welt - ? Er wollte gerade die Arme heben, sein Mund öffnete sich, um ein paar verteidigende Worte zu sagen; vielleicht seine letzten; als ein Schuss fiel. Jobs brach ungelenk in sich zusammen, wie ein Puppe dessen Fäden durchgeschnitten wurden. Dann sah er auf zu Arthur, der mit rauchender Waffe in einer staubigen Wolke stand, wie ein Sheriff. Seine Stirn glänzte schweißnass und sein Blick war für Eames unerträglich... Dieses Bild brannte sich bei Eames ein, ob er wollte oder nicht. Das war nicht mehr sein Schüler. Diesem Kerl war er nicht überlegen. Auch wenn er es eigentlich schon lange gewusst hatte, wurde ihm diese Tatsache in genau diesem Moment erst so richtig bewusst. „Alles in Ordnung?“ »Ich lebe.«, er grinste, was eher wie eine schmerzverzerrte Grimasse aussah. Er hatte vergleichsweise wenig abbekommen. Ein Schuss in die Wade und vermutlich ein Streifschuss an der Seite. Aber nichts dramatisches, so viel stand fest. »…sind alle anderen erledigt?«, fragte er rau und Arthur musste diese Frage nicht einmal beantworten. Eames wusste, dass der andere sich bereits darum gekümmert hatte. Ein beklemmendes Gefühl beschlich ihn; wie eine kalte Hand im Nacken. Er stemmte sich hoch und sah auf ihr Werk herab. Blut, Trümmer und Staub. Ramadi. »Lass uns schnell von hier verschwinden.« Arthur „Bereit?“, hatte ihn Eames an diesem Morgen gefragt, als sie ins Auto gestiegen waren. „Natürlich!“, hatte er geantwortet und gedacht, dass Eames genau in seinem Element wäre. - Hätte er gewusst, was sie erwartete, wäre seine Antwort anders ausgefallen. Als Arthur sich zu Eames umgedreht und ihn dasitzen gesehen hatte - Blut an den Händen, von dem er nicht direkt sagen konnte, aus welchen der Verletzungen es stammte, die Haare stumpf von Staub, ein Riss im Hemd und dem Schweiß auf der Stirn – war es ihm schwergefallen, die Fassung zu bewahren. Seitdem war es nicht einfacher geworden. Dann diese Worte, die unbedarft klingen sollten, aber wie ein Zerrbild wirkten, sah man ihm ins Gesicht. Das Schlimmste war aber der Blick gewesen, die Augen, so dunkel, grau, fast leblos. Sein Herz hatte sich schmerzhaft zusammengezogen und sein einziger Gedanke war gewesen: bring ihn hier schnell weg! Reden konnte er nicht. Er hatte auf die Frage nach den anderen nur genickt. Er wusste, dass Eames durch die Hölle gegangen war. Er hatte ihm kaum dabei helfen können. Er hatte nur ansatzweise unterstützen können, das hier lebend zu überstehen. Zumindest das schien geglückt zu sein. Er hatte ihm geholfen, sich aufzurichten. Offenbar waren die Verletzungen nicht so schlimm, dass Tom sich nicht mehr rühren konnte. Er hatte ihn gestützt, ihn zum Auto gebracht. Diesen unsäglichen Koffer hatten sie noch mitgenommen. Er hatte Tom ins Auto gesetzt. Er hatte funktioniert, einfach funktioniert. Dann waren sie losgefahren ohne sich noch einmal umzublicken. Arthur hatte nicht einmal in den Rückspiegel gesehen. Eigentlich müsste er glücklich sein. Glücklich, dass alles geklappt hatte. Nein, eher, dass sie noch lebten. Aber so recht wollte diese Zufriedenheit, die Freude sich nicht einstellen. Der Preis dafür war hoch gewesen. Das war ihnen beiden mehr als bewusst. Die Schreie derer, die verschüttet worden waren, gellten in Arthur nach. Bilder der Männer, die leblos zusammengesackt waren. Die Fahrt durch die Berglandschaft Siziliens war gespenstisch still gewesen. Die Sonne senkte sich gen Horizont. Hinter ihnen der Ätna, überall Feuerwehr- und Polizeisirenen, die Menschen zu Hilfe kamen, die durch das Erdbeben in Schwierigkeiten geraten waren. Zwischen all den Autos fuhren sie, die zurückfuhren zu jenem Haus, in dem sie ihren teuflischen Plan ausgearbeitet hatten. Arthur bemühte sich, nicht das Denken anzufangen. Er musste noch weiter funktionieren. In München hatte er Eames klar gemacht, dass er für diese Aktion stark genug war. Einen Moment der Schwäche hatte er bereits zugelassen, mehr sollten nicht folgen. Als er Eames ins Auto gesetzt hatte, hatte er ihm einen Moment über die Wange gestrichen, aus einem Impuls heraus. So als müsste er sich wirklich vergewissern, dass er lebte. Mehr sollte er ihm nicht anvertrauen, wenn er wollte, dass Eames begriff, dass er kein Kind mehr war, nicht mehr jener Student, den er beschützen musste. Er hatte Tom vorgeworfen, er würde ihm nicht vertrauen, ihm nichts zutrauen. Heute hatte er ihm hoffentlich endlich das Gegenteil bewiesen. Die Kugel in der Wade hatte keine Arterie erwischt, sie war leicht zu entfernen gewesen. Arthurs Hände waren ruhig, als er das Loch nähte. Eames hätte ihn nicht davon abhalten können, sich dessen Verletzungen anzunehmen, das hatte er ihm deutlich gemacht. Er betrachtete sein Werk. Eine neue Narbe auf dem Körper, der viele Geschichten erzählen konnte. Der Streifschuss hatte rasch aufgehört zu bluten. Er spürte den Blick des anderen auf seinem Gesicht, während er einen Verband anlegte. Er sah nicht auf, tat so, als bemerke er es nicht. Er schaffte es nicht, ihn anzusehen. „Das hätten wir“, sagte er halblaut, eher zu sich als zu Tom. „Ich würde dann duschen gehen.“ Er fühlte sich furchtbar schmutzig. Seine Hände waren nur wenig blutig, dennoch hatte er das dringende Bedürfnis, dieses Blut schnellstmöglich loszuwerden. „Kann ich noch etwas für dich tun?“ Eames „Kann ich noch etwas für dich tun?“ Eames hatte ein paar Pillen eingeschmissen und fühlte wie es dumpf und warm hinter seiner Stirn wurde. Wie die wohltuende Umarmung, die er sich von Arthur gewünscht hätte. Stattdessen bekam er in Tätscheln seiner Wange im Auto und stoisches Verbinden seiner Wunden. Dennoch breitete sich ein Lächeln auf Eames Zügen aus, als Arthur ihm diese Frage stellte. Ein ehrliches und sehr ruhiges Lächeln. »Mir geht’s gut. Geh endlich duschen.«, antwortete er leise und berührte Arthurs Unterarm mit der geschienten Hand. Arthurs Augen waren schwarz wie die Nacht und matt wie der Tod. Es beunruhigte Eames ihn so zusehen. Leider war ihm schmerzlich bewusst, dass er mit so etwas gerechnet hatte. Arthur war stark, das hatte er bewiesen. Er war auch in der Lage furchtbare Dinge zu tun. So wie er selbst. Und dennoch schien es etwas zwischen ihnen verändert zu haben. Wenn sie an diesem lauen Abend wirklich einen Sieg davongetragen hätten, dann würden sie jetzt saufen und knutschen und vermutlich nicht einmal ins Bett kommen, bevor sie über einander herfielen. So legte sich nur ein dunkler Vorhang über sie, dessen Gewicht Eames förmlich auf seinen Schultern spüren konnte. Eames verbrachte ein paar Minuten auf der Terrasse, wo er in die Richtung blickte, wo der Ätna stand. Er konnte ihn nicht sehne, aber allein die Gewissheit, dass er da war erfüllte ihn mit einer Art Ehrfurcht. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre ich jetzt nicht mehr, dachte er. Das gleiche galt wohl für Arthur. Da er bereits frisch war, zog er sich nur noch aus und legte sich ins Bett. Er brauchte keine weitere Betäubung mehr. Sein Kopf war schwer und er schlief ein in dem Augenblick, als sein Kopf das Kissen berührte. Das letzte was er von Arthur mitbekam, war sein schlanker, kühler Körper, der sich in einer ungreifbaren Dunkelheit angenehm an ihn drängte. Er hatte kein Gefühl von Innigkeit, aber immerhin war er zuhause. Vielleicht die schönste Erinnerung an Italien. Arthur Als Arthur das Bad betrat, blickte er nicht in den Spiegel. Mechanisch entkleidete er sich, trat in die Dusche, regulierte das Wasser. Dann ließ er das Wasser über sein Gesicht laufen, stellte sich unter den warmen Wasserstrahl. Er war unfähig einen Gedanken zu fassen, irgendetwas sinnvolles zu denken. Nichts, da war einfach nichts - und das untrügliche Gefühl, dass gerade etwas ganz schief lief. Das hier war nicht das, was er brauchte, was er wollte, was ihm guttat. Er... Ja, was wollte er denn? Ein Danke? Anerkennung? Nein, das auch nicht. Wofür auch?! Als er die Hände hob, waren sie noch immer voll von Blut. Er griff zum Duschgel, begann sie zu säubern. Seine Bewegungen wurden immer hektischer als er merkte, dass sich das Blut nicht so leicht abwaschen ließ. Er merkte, wie ihn das beunruhigte, wie er immer mehr das Gefühl bekam, dass er dieses Blut nie wieder loswerden würde. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und mit einem Mal war das Nichts gefüllt mit all den Gefühlen, die er den ganzen Tag verdrängt hatte, mit all der Angst, die er um Tom gehabt hatte, mit der Panik, als er gesehen hatte, dass Jobs drauf und dran war, schneller zu sein als er. Fast, ja fast hätte er es nicht geschafft. Und dann? Was wäre dann gewesen?! Arthur stützte sich an die Duschwand, versuchte wieder ruhiger zu atmen. Mir geht’s gut...Mir geht’s gut...Mir geht’s gut - Es ging ihm gut! Er hatte ihn heil aus der Scheiße gezogen. Alles war gut! Nichts, was nicht verheilen konnte. Alles war gut - und nichts. Sie sollten sich jetzt nahe sein, oder? Sie sollten ihren Sieg feiern, oder? Sollten Sie sich nicht voll Verzweiflung lieben? Sollten Sie sich nicht näher sein als jemals zuvor...? Oder? - Allein, es fühlte sich nicht so an. Eine Berührung am Arm, eine Berührung an der Wange. Zu mehr waren sie, war er nicht fähig? Oder gab es dieses Mehr gar nicht? Wo war ihr Strandkorb? Wo war die Leidenschaft? Brauchte Eames ihn jetzt nicht mehr? Hatte er jetzt halt den Job erfüllt? Nein, er wollte diesen Gedanken nicht zulassen. Er wollte in diese Beziehung vertrauen, wollte glauben, dass da mehr war. Die Erkenntnis, dass er sich gerade nichts mehr wünschte, sich nach nichts mehr sehnte, als von Thomas einfach gehalten und geliebt zu werden, war erschreckend aber so klar, dass es schmerzte. Das war das, was ihm gut täte. Das erste Mal vermutlich so richtig. Ob Eames ihm gleich diese Nähe geben würde? Wenn er den Staub, den Schweiß los war? Arthur beeilte sich, er würde sich diese Nähe nehmen, wenn Tom sie ihm nicht geben würde. Er würde sie sich holen, überprüfen, ob ihr something auch noch nach dem Massaker existierte. Durfte nicht auch einmal er der Egoist sein? Als er aus dem Bad durch den Flur ins Wohnzimmer trat, sah er, dass er länger gebraucht hatte, als gedacht. War er sooo lange in der anfänglichen Starre verharrt? Eames war nicht da, auch auf der Terrasse nicht, nicht in der Küche. Als er die Schlafzimmertür öffnete, verkrampfte sich etwas in seinem Magen. Er war zu spät. Eames war müde gewesen, klar. Seiner müde? Eames hatte Medikamente genommen. Er muss sich ausruhen. Er ist angeschossen worden. Arthur hätte sich beeilen müssen... Als er sich ins Bett legte, waren weitere drei Stunden vergangen. Er hatte Ariadne zugearbeitet, damit diese weiterkam. Zumindest hatte die Steuerprüfung bisher nichts von sich hören lassen. Zumindest verliefen die Planungen für ihr Projekt im Soll. Zumindest hier sah er klar. Arthur betrachtete Eames Gesicht im Halbdunkel des Mondlichts. Dann kuschelte er sich an ihn, spürte wie sich dessen Körper an seinen schmiegte. Vielleicht sollte er sich zumindest das einfach nehmen, ein bisschen Ruhe, ein bisschen Schlaf, ein bisschen das Gefühl von Wärme, von Nähe. Wenigstens der Anschein davon. Als Arthur aufwachte, hatte er nicht viel geschlafen, aber zumindest traumfrei und ruhig. Gleichzeitig war ihm eines klarer denn je: er musste hier weg. Er brauchte Abstand von dem Ort, ihrer Tat, ihrem something - damit dieses nicht überschattet wurde, damit es bestehen blieb. Hier würde sich nichts ändern an der seltsamen Stimmung zwischen ihnen. Diese unerträgliche Distanz würde ihn nur rasend machen, würde ihn dazu bringen, wieder alles in Frage zu stellen. Sein Flug nach LA ging eigentlich erst am nächsten Tag. Er würde die 24h nicht hier verbringen. Er konnte es nicht. Zügig packte er zusammen, dann setzte er sich hin und schrieb mit seiner gedrungenem, kleinen, sehr ebenmäßigen Schrift einen Brief. -,-,-,-,- „Die Umbuchung ist erfolgt. Ihr Flieger geht in drei Stunden.“ Die Dame hinter dem Schalter lächelte ihn zuvorkommend an, Arthur bedankte sich, steckte den falschen Reisepass ins Jackett, nahm den Laptop auf und begab sich auf den Weg zur Sicherheitsschleuse. Es herrschte reges Treiben mittags im Flughafengebäude des Fiumicino/Rom. Erstmal brauchte er Kaffee. Dear Eames, Es war schon der zweite Espresso, als sein Flug aufgerufen wurde und er den Laptop zuklappte. Es war gelogen, als ich sagte, dass du mir nie vertrauen würdest. Ich weiß, dass es anders ist, dass du mich nur beschützen willst. Ich weiß, dass du mir vertraust. Du hast mir dein Leben anvertraut - auf verschiedene Art und Weise. Danke dafür. Manchmal weiß ich nicht, womit ich es verdiene, dass du stets an mir festhältst. Vor dem Gate herrschte nervöses Warten. Noch hatte der CheckIn nicht begonnen. Ich bin nur unschlüssig, was diese Geschichte mit Jobs und Lombardo mit unserem something gemacht hat. Ich dachte in New York, dass ich nach Jobs nie wieder als Pointman für dich arbeiten möchte. Aber im Moment denke ich: Lieber das, als dass du dich gar nicht meldest. Arthur zog an der Zigarette und schloss einen Moment die Augen. Ihn schwindelte, alles drehte sich um ihn, er lehnte sich an die Wand. Der Schlafentzug hatte sich nicht mit den paar Stunden revidieren lassen. Ich hoffe dennoch, dass du irgendwann zu mir kommst, auch wenn ich dir nicht bei deinem Scheiß helfen muss. Ich hoffe, dass du einfach so kommst. Für mich, einfach nur für mich. Die Tür steht dir offen - hast ja ohnehin meinen Schlüssel. Freue mich über Nachricht von dir, wo auch immer du bist. Genieß die Freiheit! Sincerely yours Arthur Arthur las den Brief, den er nicht liegengelassen hatte noch einmal durch, dann warf er ihn in den Müll, ging zur Stewardess und reichte ihr die Boarding Card. Im Flugzeug schrieb er Cobb eine Nachricht, wann er in LA landen wird, bevor er das Handy wieder abschaltete. Eames hatte sich nicht gemeldet. Er blickte aus dem Fenster. Er hatte sich nicht getraut, den Brief liegen zu lassen. Stattdessen hatte er einen Zettel aufs Kissen gelegt. Eames, leider nötigen mich manche Ereignisse im Büro dazu, bereits jetzt abzureisen. Ich wünschte, es wäre anders und wir hätten etwas mehr Zeit gemeinsam. Freue mich über Nachricht von dir! Arthur Der Druck, mit dem er in den Sitz gepresst wurde, als das Flugzeug beschleunigte, ließ ihn zittern. Es fühlte sich alles falsch an. Die beiden Erdplatten, die sie sinnbildlich waren, schienen zwar nicht mehr weiter auseinander zu driften, doch sie bewegten sich auch nur minimal aufeinander zu. Er vermisste ihn bereits jetzt. Aber er hatte keine Ahnung, wie er ihm das hätte sagen können. Die Gedanken, dass Eames ihn jetzt nicht mehr brauchte und er alleine dastand mit dem Chaos in sich, machte ihm Angst. Er steckte die Kopfhörer ein, schaltete die Musik ein und schloss die Augen. Give me a touch 'Cause I've been missing it Dom Es war gerade halb elf und am Flughafen in LA war Stoßzeit. Dom wechselte bereits zum dritten Mal den Platz, wo er Arthur in Empfang nehmen wollte. Der Flug aus Amsterdam hatte Verspätung und so langsam wurden die ganzen Familienangehörigen und Reisegruppenleiter nervös, die sich rund um ihn herum versammelt hatten. Eigentlich hatte er noch Phillipa von der Schule abholen wollen, da diese dabei erwischt worden war, wie sie ihre Federmappe nach ihrer Lehrerin geschmissen hatte. Der Grund dafür war Dom bislang unbekannt, aber er hatte da bereits so eine Ahnung. Die kleine schlug in einem Ausmaß nach seiner verstorbenen Frau, dass es fast gruselig war. Derselbe wissende Blick, derselbe Schalk im Nacken und natürliche derselbe Stolz, der französischen Frauen in die Wiege gelegt wird. Vermutlich war es eine Bagatelle, die Phillipa zu so einer Tat getrieben hatte, aber Dom war sich bereits sicher, dass sie an diesem Abend noch auf der Couch sitzen und das Thema fast wie zwei Erwachsene ausdiskutieren würden. Und die Chancen standen nicht allzu schlecht, dass Phillipa die Diskussion (zumindest partiell) gewann. Irgendein Totschlagargument schüttelte sie doch immer aus ihren kleinen Ärmeln. Auch in diesem Punkt war sie Mal’s Tochter. Nichtsdestotrotz musste die Kleine erst einmal in der Betreuungsgruppe bleiben, bis das Kindermädchen sie gegen 16 Uhr abholen würde. Solange hatte er sich den Tag exklusiv für Arthur freiboxen können, nachdem dieser sich spontan einen Tag früher angekündigt hatte. Als er seinen alten Freund im Gedränge endlich entdeckte, schloss er ihn in die Arme, bevor sie auch nur ein Wort wechselten. Das Gefühl von Arthurs reisetauglicher Businesskleidung unter seinen Fingern bescherte ihm einen Schub nostalgischer Erinnerungen an ihre wilden Jahre im Dream-Sharing-Geschäft. Sie hatten so einigen Halunken die Wurst vom Brot geklaut. Er griff nach Arthurs Koffer und geleitete ihn lächelnd aus der überfüllten Halle. Draußen stiegen sie in das nächstbeste Taxi. Erst als sie beide auf der Rückbank saßen und Dom dem Fahrer eine Anweisung gegeben hatte, sah er Arthur das erste Mal richtig ins Gesicht. Er sah abgekämpft und müde aus, was durchaus am Flug liegen könnte. Er kannte Arthurs Talent die Anstrengung unter einer reglosen Maske zu verbergen, aber Augenringe und die typische, scharfe Linie seiner angespannten Kiefermuskulatur logen nicht. Sie hatten einfach zu oft und zu viel Zeit miteinander verbracht. Dennoch war Dom keiner der Menschen, der unangenehme Dinge allzu offensiv auf den Tisch brachte oder gar jemanden mit irgendetwas bedrängte. Vielleicht einer der Gründe, wieso es zwischen ihnen immer so gut funktioniert hatte; Arthur schwieg und Dom brach kein Schweigen. Stattdessen respektierte er ihn so wie er war, immer und bedingungslos. Und nicht selten hatte sich diese Taktik als die richtige erwiesen, um Arthur am Ende mehr als ein Arbeitskollege zu sein. »Erzähl, wie war Europa? Geschäftlich oder privat?« Arthur Der Aufenthalt in Amsterdam war kurzweilig gewesen. Er hatte die Zeit genutzt, sich über das schwere Erdbeben auf Sizilien und die neuen Aktivitäten des Ätna zu informieren. Die Nachbeben, die er auch in der Nacht noch wahrgenommen hatte, waren ebenfalls nicht zu verachten gewesen. Auch von einer eingestürzten Lagerhalle mit mehreren Toten war die Rede. Je mehr Abstand er von diesem Ort bekam, desto klarer sah er, welch unverschämtes Glück sie gehabt hatten, wie heftig das eigentlich war, was sie da getan hatten, wie erleichtert er war, dass es gut vorbeigegangen ist, wie sehr er sich wünschte, Eames nach Jobs Tod nicht gefragt zu haben, ob alles in Ordnung sei, sondern ihn in den Arm genommen zu haben, um ihm zu sagen, wie froh er war, dass er lebte. Hätte das etwas geändert? Schwer zu sagen. Vielleicht. Er hätte das nie geschafft. Erst jetzt, jetzt langsam begann er sich wieder zu entspannen, langsam aber stetig. Er hätte es nicht geschafft, wenn er dortgeblieben wäre. Als er die warme Umarmung seines besten Freundes spürte, verkrampfte er sich im ersten Moment, wie immer, wenn man ihn umarmte. Dann jedoch entspannte er sich darin, erwiderte sie innig, sog den ihm so bekannten Geruch ein und atmete langsam wieder aus. Es war wie ein Nachhause kommen. Mal und Dom waren für ihn immer mehr ein zu Hause als seine eigene Familie. Sie waren es, die ihn immer wieder aufgefangen hatten, die ihn so annahmen, wie er war, die ihn wahrnahmen und sich sorgten. Das Vertrauen, das er in sie hatte, war unzerstörbar gewesen. Durch Mals Tod war ein Teil seiner Seele mit ihr gestorben. Nichtsdestotrotz hielt er an der Freundschaft an Dom fest, wissend, dass sie ein unschlagbares Team waren, dass er jenem wichtig war, dass sie einander immer unterstützen würden, auch wenn Arthur die Schuld, die Dominick zu bereitwillig auf seine Schultern geladen hatte, auch sah, so hatte er doch stets versucht, ihm Halt zu geben. Wesentlich gelöster als in dem Moment, als er in Rom den Flughafen betreten hatte, verließ er nun in L.A. wieder als Arthur Darling das Gebäude und überließ Dom bereitwillig seinen Koffer. Eine gewohnte Bewegung zu seinem Totem versicherte ihm, dass er in der Realität war. Daneben spürte er das Schlüsselkästchen, das er nicht in seinen Koffer hatte stecken wollen. Er würde diesen Schlüssel nicht freiwillig wieder zurückgeben. Nein, er wollte daran glauben, dass sie ein something hatten, das zwar kompliziert war, aber bestand. Ihm war nur schleierhaft, was das für die Zukunft bedeutete. Er blickte auf, als er Doms musternden Blick sah, versuchte ein Lächeln. Er konnte ihm nicht verheimlichen, dass er müde war, dass er eine anstrengende Zeit hinter sich gebracht hatte. »Erzähl, wie war Europa? Geschäftlich oder privat?« Arthur schluckte, blickte einen Moment auf seine Hände, nach vorne durch die Frontscheibe, auf die Rosenkranzkette des mexikanischen Taxifahrers, die am Rückspiegel hing. Dom kannte die Nachricht, die Eames ihm zugedacht hatte. "Es war beides", erklärte er dann. Er sah vor seinem inneren Auge, wie Lombardo in sich zusammensackte, wie das Chaos ausgebrochen war. "Ich musste einem gemeinsamen Freund helfen, ein paar Dinge gerade zu rücken." Er sah die Halle, die bebend einstürzte, hörte die Schreie derer, die nicht rechtzeitig hinauskommen konnten. "Aber jetzt ist das vorbei. Ging schneller als erwartet." Jobs, der mit einem unglaublichen Hass in den Augen auf Eames hinabgeblickt hatte - der Schuss - das Ende - die Kälte. Arthur lächelte Dom an, blickte ihm nun wieder in die Augen. "Aber das ist nicht wichtig. Wie geht es dir? Du siehst unverschämt gut aus. Wie geht es Phillipa und James? Wie ist das Leben als Vollzeit-Daddy?" Er grinste leicht. Dom Leider machte Arthurs Wortwahl es so offensichtlich über wen sie sprachen, dass Dom schlecht ahnungslos tun konnte. Außerdem spukte noch immer das schlechte Gewissen in ihm, dass er die Nachricht auf ihrem geheimen Board nicht rechtzeitig gesehen und weitergeleitet hatte. Das war wirklich schlecht gewesen. Dom war erleichtert, dass Arthur nicht über Eames reden wollte und stattdessen schnell eine Gegenfrage stellte. Vermutlich würden sie heute ohnehin noch über ihn sprechen… Er lächelte und sah einen Augenblick bescheiden auf seine gefalteten Hände im Schoß. »Oh, ich bin kein Vollzeit-Daddy. Ich arbeite seit ein paar Wochen am Los Angeles Institute of Architecture and Design. Stephen hat mich vermittelt.«, er wirkte nicht gänzlich zufrieden, aber das war bei Dominick ohnehin ein seltener Zustand. »Phillipa und James geht es bestens. Sie entwickeln sich prächtig. Erschreck dich nur nicht, wenn du Phillipa siehst. Sie schlägt sehr nach ihrer Mutter, nicht nur charakterlich.« Sie fuhren ungefähr eine Stunde bis in eine klassische, amerikanische Vorstadt, mit Haus an Haus an Haus gereiht. In der Gegend schien der gehobene Mittelstand zu regieren; die Rasen waren gestutzt und hier und da, schmückten bunte Eier und Osterhasen die Vorgärten. Aber es gab keine Security oder hohe Mauern. So gut schienen die Leute hier dann doch nicht zu verdienen. Dom zahlte, stieg aus und ließ sich Arthurs Koffer von dem Taxifahrer reichen. »Ja, ich weiß, es ist schrecklich hier.«, ließ er halbamüsiert, halb gequält fallen, als er bemerkte, dass Arthur sich umsah. »Aber die Kinder lieben es. Siehst du das Windspiel?« An einem Querbalken der Terrasse hing ein leise bimmelndes Windspiel mit kleinen Kreiseln und fragilen, blauen Schmetterlingen. »Hat James gebastelt. Für „Papa und Mama“.« Drinnen war es so sauber, dass Dom unmöglich allein dafür zuständig sein konnte. Dazu sagte er jedoch nichts. Stattdessen führte er Arthur nach oben ins Gästezimmer. Auf der modernen, grauen Couch lag ein flauschiges, weißes Lammfell und an der Wand gegenüber hing ein Schwarzweißbild von Dom, Mal und Arthur vor rund neun Jahren, wie sie in einer Reihe, Arm in Arm, vor einem riesigen Aquarium standen. Sie waren alle sehr jung und schrecklich gekleidet für heutige Verhältnisse. Die einzige Person, die ein vernünftiges Gesicht machte war Mal, aber es schien ohnehin unmöglich zu sein, ein hässliches Bild von ihr schießen. »Mach es dir hier gemütlich. Du kannst alles benutzen. Ich arbeite hin und wieder hier, aber eher selten.« Auf dem Schreibtisch und den Kommoden standen komplizierte Architekturmodelle aus Holz und Kunststoff, in verschiedenen Maßstäben und mit unterschiedlichem Grad an Details. »Ich denke du hattest einen anstrengenden Flug. Entspann dich erst einmal und dann komm zu mir nach unten, wenn du bereit bist. Es gibt etwas, das ich dir zeigen möchte.« Dann drückte er Arthurs Schulter und sah ihm ehrlich und direkt in die Augen. »Ich bin froh, dass du da bist.«, sagte er ruhig und ging nach unten. Arthur Arthur begriff erst hinterher, dass Dom genau wusste, von wem er sprach. Vermutlich wollte ein Teil von ihm auch mit jemandem darüber reden, auch wenn Dom bei solchen Themen nicht seine erste Wahl war. Aber ging es danach, gab es mittlerweile einfach keine erste Wahl mehr. Sein Unterbewusstsein hatte wohl Eames ins Spiel gebracht. Aber er wusste auch, dass Dom ihn nicht ‚ausquetschen‘ würde. Im Grunde könnte er ihm das alles anvertrauen, aber es war bisher nie Thema zwischen ihnen gewesen. Von daher war er froh, dass die Ablenkung geglückt war und Dom mit den Neuigkeiten zu seinem Job herausrückte. Arthur hob überrascht die Augenbrauen, nickte dann aber mit anerkennenden Mine. „Klingt gut“, sagte er ehrlich. Cobb war ein brillanter Architekt, der an der Uni gewiss viel vermitteln konnte. Sicher, das war nichts, was diesen auf Dauer ausfüllte und glücklich machte, aber zumindest brachte es Geld und Lehre war auch eine Möglichkeit neue Leute kennenzulernen, neue Ideen zu entwickeln. Zudem hatte die Universität weltweit einen guten Ruf. Sie plauderten noch etwas, bis das Taxi schließlich hielt. Nach dem Fisher-Job hatten sie sich nicht mehr gesehen. Auch wenn er die Adresse freilich kannte, so war er noch nie hier gewesen. Sein Blick folgte der Straße hinunter. Die sorgfältig aufgereihten Briefkästen säumten dem Gehweg, der teilweise dunkler war an den Stellen, an denen vor kurzem die Vorgärten bewässert worden waren. Die Bäume auf der Straßenseite grenzten den Gehweg ab. Ein Nachbar schnitt seine Buxbäume, beobachtend, ob einer aus der Reihe tanzte. Als Dom zu ihm blickte, hob er die Hand zum Gruß. Das alles erinnerte ihn so deutlich an seine Jugend, - nur dass seine Siedlung schäbiger gewesen war - so dass er auf Doms Kommentar nur nicken konnte. Ja, für Kinder war das toll hier - solange man Freunde hatte und nicht der Außenseiter war. Bei Phillipa und James hatte er keine Bedenken. Er folgte seinem Deut zu jenem Windspiel, dann sah er Dom musternd an. Er wusste, wie sehr jener gelitten hatte, vermutlich immer noch litt. Er wirkte gefasst, schien mit der Situation im Reinen zu sein. Wie es wohl in ihm aussah? Das Haus war innen akkurat und stilvoll eingerichtet, man spürte das Nachwirken von Mal, vermutlich auch ihre Mutter. Es war gemütlich und Arthur fühlte sich sogleich wohl. Und doch hatte man das Gefühl, als würde etwas fehlen. Wie in einer Sammlung von Obskuritäten, aber eine Lücke ließ den Betrachter wissen, dass ein Sammlerstück fehlte. Ein Teil der Seele dieses Hauses fehlte. Oder kam nur ihm es so vor? Weil er nicht Mals Lachen vernahm, nicht auch von ihr in Empfang genommen worden war? Wortlos folgte er Dom nach oben. Offenbar plante er, dass Arthur länger bleiben würde. (oder musste?) Es war seltsam, das Zimmer zu betreten, obwohl es das nicht sein musste. Er war bereits so oft in Dom und Mals Appartement und auch später in ihrem Haus gewesen. Aber wie schon vorhin unten fühlte es sich komisch an. Arthur hatte eine kurzen Blick streifen lassen, sah Dom nun dankbar lächelnd an und nickte auf seine Worte. Als jener ihn an den Schultern nahm, wurde sein Lächeln sanfter. „Ich freue mich auch, dass ich hier bin“, entgegnete er ehrlich, hielt seinem Freund einen Moment mit der rechten Hand am Oberarm, sanft drückend. „Ich brauch nicht lange.“ Arthur packte seinen Koffer aus, hängte seine Hemden, Anzüge, ein weiteres Sakko auf. Lange hatte er nichts mehr Frisches, er würde sehen müssen, wie lange er bleiben musste und wo die nächste Wäscherei war. Die Waffen, die er zurückgebracht hatte, lagerte er ganz oben im nun leeren Koffer, das Zahlenschloss geschlossen. Niemals durfte die Kinder die Möglichkeit haben, daran zu kommen. Schließlich sah er sich unschlüssig um. Im Grunde sollte er gleich runter gehen. Es war ein verdammt langer Tag für ihn gewesen und er war noch nicht zu Ende. Das Sofa lockte, kurz ausstrecken, die Augen schließen, durchatmen. Doch Arthur ahnte, dass es nur dazu führen würde, dass es ihn drehte, dass Bilder aufgewühlt wurden, Gefühle. Nicht hier. Nicht jetzt. Er sah zu dem Foto, runzelte die Stirn, trat näher. Ein Lächeln legte sich auf seine Züge. Er konnte sich noch gut daran erinnern. Sie waren in Prag gewesen. Es hatte zu viel des guten Bieres gegeben. An diesem Abend hatten sie eine absurde Diskussion über das Leben als Fisch gehabt; Es war eine Zeit, als Dom und Mal sich noch nicht lange kannten. Er hatte Sorge gehabt, dass er das junge Paar störte. Mal hatte ihm nie das Gefühl gegeben, nicht willkommen zu sein. Arthur betrachtete sein eigenes Spiegelbild auf dem Glas des Bildes, das erste Mal bewusst seit dem Massaker. Er sah blass aus, grau, farbloser als ohnehin schon. Damals war er hübscher gewesen, jünger, unbedarfter. Es war die Zeit vor Eames gewesen. Mal hatte ihn auch in ihrer jungen Beziehung nicht entgleiten lassen, ihn nie einfach gehen lassen. Ab dem Moment, in dem sie beschlossen hatte, dass die beide beste Freunde sein mussten, war sie bei ihm gewesen. Er hatte sich anfangs gewehrt, war irritiert gewesen, hatte Angst gehabt, dass sie ihn durchschauen konnte, sein Innerstes sah. Irgendwann hatte er nicht mehr gezaudert, sich der Umarmung ergeben, hatte sich fallen lassen und sie hatte ihn aufgefangen, ihm Halt gegeben. Immer. Mal war für ihn wie eine warme Decke nach einem langen Winterspaziergang gewesen, wie ein Tee, der anfangs zu heiß nur mit Vorsicht behandelt wird, der ihm später wohlig von Innen heraus gewärmt hatte, der ihm davor bewahrt hatte, krank zu werden, zu erfrieren. Sie hatte ihn angesehen und er hörte noch heute ihre schöne Stimme flüstern: You with the sad eyes Don't be discouraged (...) And the darkness inside you Can make you feel so small But I see your true colors Shining through I see your true colors And that's why I love you (...) You call me up Because you know I'll be there Sie hatte ihn verstanden, nahm ihn wie er war, genau wie es seine Schwester getan hatte. Beide waren nun tot. Es schmerzte noch immer, beide Verluste. Für beide Verluste gab auch er sich Schuld. Mit einem traurigen Lächeln strich er über das Bild. Eine schöne Erinnerung. Und jetzt? Wie ein unverbesserlicher Idiot war er nun wieder drauf und dran, jemanden an sich heranzulassen. Mit jemandem, der ihn schon einmal fallen gelassen hat. Allerdings war es doch gänzlich anders. Er war es nicht, der sich auffangen ließ, er fing auch nur bedingt auf. Nur so wenig es Tom überhaupt zuließ. Im Grunde waren die Bedingungen gänzlich andere, unwägbarer, unspezifischer, sexuell und dennoch distanziert in manchen Bereichen. Eigentlich dürfte er es nicht miteinander vergleichen. Und doch... auch Tom hatte ihn aufgefangen, in gewisser Weise... er... Da war auch die selbe immanente Angst, erneut nur Schmerz zu haben. Jobs Hass, seine Panik, dass er es nicht schaffte, die dennoch vollkommen ruhige Hand, die Jobs ohne zu zögern hingerichtet hatte. Wie es Eames jetzt wohl ging? Arthur schaltete sein Handy ein, wartete, keine Nachricht, nicht von Eames. Er würde sich bald bei ihm melden müssen. Je länger er wartete, desto schwieriger würde es sein. Ob er ihm jetzt eine kurze sms schicken sollte? Dass er gut angekommen war? Nein, später war auch noch Zeit... außerdem war er neugierig, was Dom ihm zeigen wollte. Arthur ging die Treppe hinunter, blickte sich im Wohnzimmer um, erblickte ihn auf der Terrasse. „Ich wäre dann soweit“, sprach er ihn an. Dom Das Wetter ließ bereits zu, dass man es sich auf der Terrasse gemütlich machen konnte. Er hatte sich in seinem opulenten Bambuskorbsessel niedergelassen um seinen alltäglichen Nachmittags-Cappuccino zu schlürfen, als Arthur zu ihm stieß. »Dann folge mir.« Er führte Arthur ins Wohnzimmer, dass mit seiner Einrichtung sowohl einen hochmodernen Touch, durch die extraordinäre Technik, als auch stark durch die Vintage-Möblierung dominiert wurde. Dadurch, dass sich scheinbar alle Wege des Hauses in diesem großen, gut durchleuchteten Raum trafen, fühlte es sich wie das Herz des Hauses an, indem die kleine Familie die meiste Zeit zusammen verbrachte. Ein paar Holzspielsachen lagen auf dem Boden. Auch ein Ball und eine wunderschöne Werkbank im Kinderformat. Es war jedoch in einem Rahmen des Ordentlichen, dass man Dom kaum glauben würde, dass er selbst dafür verantwortlich war. Er war nicht unsauber, aber ein mittelschwerer Chaot – er hatte das vor Mal gern mit seinem Genie begründet, was natürlich nie gefruchtet hatte. Er deutete auf einen Platz auf dem Ledersofa. Er selbst machte Arthur auch ein Heißgetränk fertig. Dann ging er zu einem der großen Bücherregale und griff sich die zwei kleine Pakete, die in braunem Packpapier eingehüllt waren und mit einer rauen Schnur verknotet waren. »Alles Gute nachträglich.«, sagte er freudig, als er die Geschenke an Arthur überreichte und setzte sich ihm erwartungsvoll gegenüber in einen Sessel. Das erste Paket, dass Arthur öffnete enthielt ein Buch. Saitos Biografie, mit einem großen, protzigen Selbstportrait vorne drauf, wie er nachdenklich in die Ferne blickte. Dom konnte die Fassade jedoch nicht lange aufrechterhalten. Es war leider zu offensichtlich, dass dieses Geschenk fake war. »Entschuldigung.«, er grinste. »Eigentlich hat Saito es mir geschenkt, aber es ist wirklich furchtbar. Ich bin mehrmals darüber eingeschlafen. Ich hatte gehofft es an dich loszuwerden. Aber wenn du es nicht willst, lass es ruhig hier. Ich habe in der Garage eine Kommode stehen, die ganz schön wackelt, ich denke das Buch hat genau die richtige Höhe, um das Problem zu lösen.« Das nächste Päckchen enthielt dann das eigentliche Geschenk. Eine Krawatte, wofür Dom sich abermals rechtfertigte. Immerhin habe er ja niemandem mehr, der ihm sagte, was er für Arthur besorgen sollte. Neben Mal hatte Eames auch immer ganz gute Ratschläge bezüglich Geschenken gegeben, aber Dom hütete sich noch dessen Namen zu erwähnen. Die Krawatte war schmal, schlicht, dunkelblau. Auf der Rückseite, auch wenn es niemand sah, wenn er sie trug, war eine kleine Schachfigur eingestickt. Remember? You’re awake. Er räusperte sich, um einen etwas ernsteren Ton anzuschlagen. »Da ist noch etwas. Es ist ein Brief, den ich vor einem Monat gefunden habe. Er lag zwischen Mal's Zeichnungen. Ich bin ihre Ordner durchgegangen, als ich den Dachboden aufgeräumt habe. Er ist für dich.« Etwas zögerlich schob er das grobe, gefaltete Papier zu Arthur rüber.Er hatte ihn gelesen. Er wusste nicht was er dazu sagen sollte. Das würde allein sein Point Man zu beurteilen wissen. Arthur Erstaunt hob Arthur die Augenbrauen, als Dom mit den zwei Gegenständen zu ihm trat. Ja, vielleicht hatte er den Wunsch des anderen, dass er so schnell wie möglich kommen möge, insgeheim mit der Hoffnung verbunden, dass Dom wieder zurück ins Dream Sharing Geschäft kehrte. Das wurde ihm in diesem Moment klar. Er blickte seinen Freund einen Moment fragend an, dann stellte er seinen Cappuccino, den ihm Dom gemacht hatte, während er sich auf dem Sofa niedergelassen hatte, auf den Couchtisch ab und ergriff die beiden Päckchen sichtlich überrascht. Mit Geburtstagsgeschenken hatte er jedenfalls nicht gerechnet. „Danke“, sagte er und wog einen Moment ab, was er zuerst öffnen wollte. Er entschied sich für das Buch, das er als solches sogleich an der Form und des Gewichts erkannte. Was jedoch zum Vorschein kam, ließ ihn seine Augenbrauen heben. Eine Biographie von Saito? Er hörte Doms Erklärung und musste lachen. „Nein,…nein!“, wehrte er ab. „Ich lese es und danach darfst du es vermutlich für deine Kommode verwenden.“ Er grinste breit und schüttelte leicht den Kopf. Die Schwere seines Herzens wich. Es war gut, dass er hierhergekommen war. Mit dem zweiten Päckchen machte Dom ihm tatsächlich eine Freude, auch wenn solche Geschenke als unpersönlich und aus der Not heraus geboren galten. Er freute sich ehrlich darüber, weil es eben nicht unpersönlich war. Er blickte auf die Würfel, der ihn auch an Tokyo erinnerte. Er sah Dom an und lächelte. „Ich danke dir…“ Er wollte eigentlich noch mehr sagen, doch der Gesichtsausdruck des Extractors ließ ihn verstummen. Sein Gefühl, dass es sich um etwas Bedeutendes, Ungewöhnliches, Schweres handelte, hatte ihn nicht getrügt. Arthur schluckte, als er das Papier betrachtete. Etwas von Mal? Für ihn? Oder etwas gänzlich anderes? Vielleicht war es in seinem jetzigen Zustand doch nicht gut gewesen, hierher zu kommen. Aber um das zu wissen, musste er erst einmal nachsehen, was Dom ihm da hinübergeschoben hatte. Er streckte sich erneut nach vorne, legte Buch und Krawatte beiseite und nahm das Stück Papier, das er öffnete und begann zu lesen. Mal Arthur hielt einen knittrigen Brief in der Hand, der stark danach aussah, als hätte man ihn einmal zerknüllt und dann lange und intensiv versucht ihn wieder glatt zu streichen. Er schien mit Tinte oder zumindest einem Füller geschrieben worden zu sein und viele der großen Buchstaben enthielten unnötige Schnörkel und Schlenker – wo Mal waltete war immer Kunst. Ein paar dunkelrote Ringe deuteten auf das Abstellen eines Weinglases hin. Dear Arthur, ich bin nicht der Mensch der einen Brief einem persönlichen Gespräch vorzieht, nichtsdestotrotz kann ich so meine Gedanken sortieren. Das ist wichtig. Ich weiß viele Dinge, die ich dir nicht sagen kann. Manche würden dich verletzten, andere würden dein Bild von verschiedenen Menschen zerstören. Und ich will dich beschützen. Du bist mein bester Freund und ich weiß Dinge von dir, die ich mit ins Grab nehmen werde. Du kannst mir vertrauen, das weißt du. Deswegen musst du mir jetzt einfach glauben. Der Fall in Tokio war ein Erfolg, auch wenn etwas schrecklich schiefgelaufen ist. Durch Zufall habe ich darüber etwas erfahren, dass meine Sicht auf eine bestimmte Person gravierend verändert hat. Dieser Mensch von dem ich rede ist nichts als ein elender Lügner. Egal was Thomas Eames dir über den Fall in Tokio erzählt hat oder erzählen wird; glaube ihm kein Wort. Er hat eine Geschichte gesponnen, die ihn wie einen Helden aussehen lässt. Aber nichts davon ist wahr. Alles was er getan hat, ist sich selbst zu bereichern auf Kosten anderer. Und auf Kosten Unschuldiger. Und zumindest letzteres kann ich ihm nicht verzeihen, wie die Tatsache, dass er jeden von uns angelogen hat. Ich vermute sogar, dass es nicht das erste und nicht das letzte Mal für ihn gewesen sein wird. Ich habe dir schon mal gesagt, dass du vorsichtig bei ihm sein sollst. Ich weiß, dass er dich will und er hat viele Mittel und Wege sich das zu nehmen, was er begehrt. Ich muss dich nicht daran erinnern, dass Betrügen seine Berufung ist. Auch wenn jeder von uns durch das Dream-Sharing Erfahrung darin gemacht hat Menschen auszunutzen und zu betrügen, spielt Eames dieses Spiel auch mit seinen sogenannten „Freunden“. Ich will nicht klingen, wie deine Mutter und dir eine Rede über Moral und Vertrauen und Freundschaft halten. Dennoch bitte ich dich mir diesen einen Wunsch zu erfüllen. Wenn du möchtest reden wir darüber, was ich herausgefunden habe. Es ist ein wohlbehütetes Geheimnis, aber wenn es bei jemandem an der richtigen Adresse ist, dann bei dir. In Liebe, Mal ~ Arthur Bereits von Außen merkte man, dass Mal gehadert hatte, diesen Brief überhaupt zu schreiben, geschweige denn, ihn ihm auszuhändigen. Ein seltsames Gefühl drückte in seinem Magen, ließ ihn zögern, diesen Brief zu öffnen. Vermutlich - so dachte er später darüber - weil er ahnte, womit dieser Brief zusammenhing - oder eher: mit wem. Die Einleitung bestätigte diesen ersten Eindruck und Mal schrieb hier die Wahrheit. Er wusste, dass sie nicht scheute, Dinge anzusprechen und auch direkt zu werden. Umso schwerer wog die Bedeutung dieses Schriftstücks. Wann diese Worte geschrieben worden waren, machte dann der zweite Absatz klar: im Anschluss an Tokio, als er wütend über Eames‘ Betragen abgereist war, ohne im Team den Auftrag zu beenden. Es fiel Arthur nicht schwer, diese Wut nachzuempfinden, sie war nie verschwunden, war nun weiter nach hinten gerutscht, verdrängt worden. In den letzten Wochen hatte er oft an sie gedacht und ihm war klar, dass er mit Eames darüber noch würde reden müssen. Doch während er weiterlas veränderte sich sein Gesichtsausdruck, seine Stirn zog sich zusammen, sein Mund schloss sich, sein Kiefer presste sich knirschend zusammen. ...ein elender Lügner...Thomas Eames... nichts davon ist wahr... sich selbst zu bereichern...jeden von uns angelogen...nicht das letzte Mal...dass er dich will... Mittel und Wege, sich das zu nehmen, was er begehrt... Betrügen seine Berufung... Als er geendet hatte, blickte er nicht auf. Er las den Brief erneut. Etwas hatte Arthur bei den Eingeweiden gepackt und schien nun genüsslich darin herumzuwühlen und sie zu zerquetschen. Seine Gedanken überschlugen sich. Die vergangenen Wochen, ja Monate strichen an ihm vorüber, alles was er mit Eames erlebt hatte. Er hatte stets das Gefühl, ja die Angst gehabt, nur benutzt zu werden. Und nun? Eames hatte ihn bekommen, nicht nur seinen Körper. Er hatte sich auf ihn eingelassen, in dem Gefühl, dass er doch vertrauen konnte. Oder war es nur eine dämliche Hoffnung geboren aus Einsamkeit gewesen? Ob jener nun über ihn und seine Naivität lachte? Ihm wurde schlecht, merkte, dass seine Hand seltsam zitterte, weshalb er sie auf seinem Oberschenkel ablegte. Alles schien mit einem Mal in Frage gestellt. Es kam ihm vor, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen. Alles, wirklich alles! konnte man so oder so sehen. Er hatte oft gehadert, hatte allem ein Ende setzen wollen. Jedesmal waren es diese Momente gewesen, in denen Eames ihm Dinge gesagt hatte, die ihn umgestimmt hatten. ...Ich bin ein grässlicher Mensch... - als jener ihn im Hotel so Scheiße abserviert hatte und sie am Sofa zueinander gefunden hatten. Dazu diese Geste, was er tun würde, wenn er ihn nicht mehr hätte. ... Gib mir noch eine Chance... - im Flugzeug, nachdem er einfach untergetaucht war - angeblich um ihn zu schützen. ... Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen, Arthur... Ich hätte dir das nicht antun dürfen. Wirst du mir verzeihen?... - bevor sie sich mach dem Abendessen versöhnt hatten. ... Ich liebe dich. ... - als er wütend war und wirklich am überlegen war, dass er alles beenden sollte. Er hatte sich immer wieder um den Finger wickeln lassen, hatte immer wieder die Hoffnung gehabt, dass sie beide wirklich ein something hatten. Basierte all das auf einer Lüge? Einem Geflecht aus Lügen? War er mal wieder einfach nur benutzt worden, Eames‘ Dreck zu beseitigen? War das alles nur Theater gewesen? Hatte er ihm nur gesagt, was er hören wollte? Hatte er einfach nur ausgenutzt, dass er ihm die Tür nicht rechtzeitig vor der Nase zugeschlagen hatte? War er wirklich so ein unverbesserlicher Idiot? Ein naiver Narr, der sich mit einfachstem Blendwerk hatte einlullen lassen? Der seine Scheiß albernen Gefühle nicht unter Kontrolle hatte? Zudem: War es nicht so gewesen, dass jener auf Abstand zu ihm gegangen war, in dem Moment, in dem der Job erledigt gewesen war, als Eames ihn nicht mehr brauchte? Als er selbst jenen dafür aber umso mehr gebraucht hätte? Doch da war dieses Haus, dieser Schlüssel, dieser Strandkorb... Arthur zwang sich durchzuatmen und blickte nun Dom an. Er musste rational bleiben. Emotional war er dummerweise in letzter Zeit zu oft gewesen. Er räusperte sich, blickte noch einmal auf den Text. „Nun, ich habe Eames nie wirklich verziehen, was er damals abgezogen hat, auch wenn ich bis heute nicht weiß, was genau geschehen ist. Er hatte mich aus dem Traum geschossen. Was danach passiert ist, weiß ich nicht. Wie du weißt, bin ich auf Abstand gegangen.“ Er blickte wieder zu Dom. Auch zu Dom hatte er länger keinen Kontakt gehabt, nur Mal hatte ihn immer wieder angerufen. Damals war er ins Militär gewechselt. Ein grauenhafter Fehler, wie sich später herausstellte. Er schloss kurz die Augen, schob den Gedanken weg. Er passte nicht hierher. Mal hatte ihm den Brief nie gegeben. Warum? Was war dafür der Grund? War etwas geschehen, das sie ihre Meinung hatte ändern lassen? Oder hatte ihr gereicht, dass er Eames ignoriert hatte? „Wie...“, fragte er, „wie hast du Tokio und Eames damals wahrgenommen? Wie hast du die Situation in Erinnerung? Weißt du, was sie meint, wenn sie schreibt: Er hat eine Geschichte gesponnen, die ihn wie einen Helden aussehen lässt. ?“ Dass Eames auf sein eigenes Wohl aus war, wusste jeder. Er machte nichts, ohne einen Nutzen davon zu haben. Und wehe, es wurde unnötig gefährlich: als sie in Fishers erster Traumebene festgestellt hatten, dass dieser eine Armee auf sie losließ, wäre es jenem am liebsten gewesen, sie hätten den Job direkt beendet, dann hätte er vorgeschlagen, die Zeit auszusitzen. Aber wie hatte Dom Tokio empfunden? Was wusste jener über die Hintergründe? Dom Er ließ ihm Zeit. Nahm langsam noch ein paar Schlucke aus seiner Tasse, beobachtete Arthurs Reaktion und schwieg. Er kannte den Inhalt und stand ihm kritisch gegenüber. Allerdings unterschätzte er nicht das Band, das zwischen seiner toten Frau und ihrem besten Freund bestanden hatte. Er wusste, dass Mal viel gesehen und gespürt hatte und mit Sicherheit viel mehr über Eames und Arthur gewusst hatte, als er je herausfinden würde. Mit so einer Frage hatte er bereits gerechnet und er hatte sich seine Antwort wohl weislich überlegt: »Über die Aktion in Tokio weiß ich nur so viel, wie Eames mich wissen lassen wollte.«, erklärte er. Auch ihm war eine Spur von Frust anzusehen, was das Thema betraf. »Das einzige Gespräch, was ich je mit ihm darüber geführt habe, war… kurz. Er sagte, er hätte keine Wahl gehabt, aber ich sollte mir keine Sorgen machen, da der Coup ja geglückt sei.« Ohne, dass er es merkte überkam ihm ein schweres Seufzen, als er darüber nachdachte. »Er sagte, er hätte das richtige getan. Er hätte jemanden beschützt; er hätte nie zugelassen, dass dem Team etwas passiert.« Er faltete die Hände ineinander und sah Arthur ernst an. »Weißt du, ich habe keine Ahnung, was in dem Kopf von Thomas Eames vorgeht. Wir könnten so was wie Freunde sein – Tatsache ist, dass wir in all den Jahren einander immer ausgeholfen haben, wenn Not am Mann war. Ich vertraue ihm, soweit es geht. Aber Mal..«, er zog langsam die Schultern nach oben. Die Stirn war vor Anstrengung verzogen. ».. Du kanntest sie. Wahrscheinlich besser, als ich. Sie hatte einfach eine andere Sicht auf die Dinge. Du weißt, dass die beiden nie warm geworden sind. Vielleicht hat sie einfach dieses ganze blöde Gelaber von ihm zu ernst genommen und hatte Angst dich an ihn zu verlieren? Ich meine…«, er betrachtete den Brief eingängig. »Es muss doch einen Grund gehabt haben, wieso sie ihn nie abgeschickt hat, oder?« Arthur Ja, das sah Eames ähnlich. Er verriet von sich und seinen Dingen nur so viel, wie er bereit war zu sagen. Egal um was es ging. Darin waren sie sich ähnlich, und doch auch völlig verschieden. Arthur redete generell nicht über sich. In der Arbeit jedoch war er offen, sofern es den Job betraf. Gab er doch etwas von sich preis, dann entsprach es der Wahrheit. Eames plauderte viel, doch was er sagte musste nicht zwangsläufig der Wahrheit entsprechen. Fragte man ihn etwas Persönliches, wich er aus, täuschte an und lenkte ab. In der Arbeit verriet er niemals alles, was durch seinen Kopf ging, sondern bestenfalls das, von dem er glaubte, der andere wollte es hören. Und immer die gleiche Leier: er wollte nur jemanden beschützen. Arthur war es leid, das zu hören. Eames‘ Beschützerinstinkt trieb ihn zur Weißglut, denn darin verbarg sich für den Betroffenen Unmündigkeit. In München hatte er ihm genau das gesagt. Wollte er wirklich jemanden beschützen, sollte er vermeiden, jemanden in eine gefährliche Situation zu bringen. Doch sein Lebensstil ermöglichte vermutlich nichts anderes. Gleichzeitig war es total egoistisch, auch wenn es so schien, als sei es das nicht. Es stellte ihn als einzige Möglichkeit dar, der Held, der er nicht war. Dass Dom das auch nicht glücklich machte, merkte er und Arthur nickte nachdenklich. Betrügen...Lügner Die Anschuldigungen wogen schwer und hätte er den Brief damals bekommen, wäre er ohne Umschweife zu Mal gegangen und hätte mehr Informationen verlangt, um sich seine Empfindungen bestätigen zu lassen und Thomas Eames ein für alle mal aus seinem Leben zu tilgen. Damals hätte er das ohne Umschweife als wahr unterschrieben. Und jetzt? Als Dom weitersprach, sah er auf. Er wusste, dass in Doms Augen Eames der beste Forger war. Arthur sah das auch so. Die Verlässlichkeit und die Ehrlichkeit waren nur das, was er oft nicht sah. Die Einstellung, ihm nur so weit zu vertrauen, wie es ging, bewunderte er fast. Er hatte ihm lange gar nicht vertraut. Nun versuchte er es. Einfach war es nicht. Das merkte er in diesem Moment sehr. Als Dom zur Autorin dieser Zweifel kam, hob Arthur etwas erstaunt die Augenbrauen, dann blickte er wieder auf die Zeilen. Ja, sie hatte eine andere Sicht auf die Dinge gehabt. Ihm war es nicht vergönnt, sie in allen Bereichen zu durchschauen. Dass auch sie aber eine ordentliche Portion Beschützerinstinkt gehabt hatte, wusste Arthur auch. „Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, murmelte Arthur. Er hatte ihr damals nach der Nacht in jener Billard-Kneipe erzählt, dass Eames und er sich annäherten. Sie hatte ihn und Eames beim Karaoke gesehen und gehört. Sie wusste, dass er überlegte, Eames näher an sich heran zu lassen, trotz ihrer Warnung. Sie hatte ihm zugestanden, dass er mehr lächelte, seitdem Eames und er trainierten. War sie wirklich eifersüchtig gewesen? Hatte sie wirklich geglaubt, dass Eames ihn ihr wegnehmen könnte? Nein, das glaubte er nicht. „Ich denke, dass sie sich entweder damit zufrieden gegeben hat, dass ich Eames ohnehin aus meinem Leben verbannt hatte, oder dass sie neue, andere Informationen bekommen hat.“ Tokio war ein Wendepunkt ihres Teams gewesen. Er hatte mit Dom noch einiges gemacht, mit wechselnden Architekten und seltener mit Mal. Einen Forger hatten sie selten gebraucht. Arthur hatte sein Haus in New York hergerichtet, hatte andere Jobs angenommen, hatte fürs Militär gearbeitet. Dann waren die Kinder gekommen, Dom und Mal zogen sich immer mehr zurück. Arthur hatte versucht, ein adäquates, von seiner Familie mehr akzeptiertes Leben zu leben, bis Dom angerufen hatte, um ihm zu erzählen, was passiert war. Er hatte Mal damals zu sehr aus den Augen verloren, für eine Lebenslüge. Im Nachhinein betrachtet, war das ein riesiger Fehler gewesen, vielleicht der größte seines Lebens. Größer als der, sich doch auf Eames eingelassen zu haben? Das würde sich noch herausstellen. „Ich habe Eames beim Fisher-Fall unterschiedlich wahrgenommen. Teilweise als strukturierter und zielstrebiger als sonst, im Traum zunächst zurückhaltend, dann einsatzwillig. Aber er war brillant was das Täuschen betraf, er hat uns letztlich das Quäntchen geliefert, was zum Erfolg geführt hat. Ich gebe dir also recht, wenn du sagst, dass man sich bis zu einem bestimmten Grad auf ihn verlassen kann.“ Und darüber hinaus? Kann man ihm auch trauen, wenn man ihm sein Herz anvertraute? Arthur wusste es nicht. Er wusste gerade gar nichts mehr. „Ich muss darüber schlafen“, stellte er in den Raum, wobei ihm aufging, dass er ja letztlich zu gar keiner Aussage verpflichtet war. Es war eine weitergereichte Warnung. Sie würde ihn dazu bringen, mehr zu hinterfragen. Und zu diesem mehr gehörte auch das something, das sie vermeintlich hatten. Eames war jemand, dem er vertraute wie kaum einem anderen. Und dem er gleichzeitig misstraute wie kaum einem anderen. Hinter seinen Augen tobte Müdigkeit, er spürte wie sie jeden Winkel einzunehmen drohte. Dringend musste er mal wieder durchschlafen, allein, er wusste, dass es ihm nicht so bald gelingen würde. Er sah zu Dom. „Danke, dass du mir den Brief gegeben hast.“ Er hielt ihn nach wie vor in der Hand, würde ihn verwahren und irgendwann zur Sprache bringen. Rational betrachtet konnte nur einer all die Fragen beantworten, die sich ihm jetzt stellten: Eames selbst - falls er ihn jemals dazu bekam. Danach würde sich zeigen, was die Zukunft brachte. Wenn sich herausstellte, dass er nur des Aufräumens wegen nach Italien hatte mitkommen müssen, würde er ohnehin kein Wort mehr mit Eames wechseln. Dann erübrigte sich auch der Brief. Dom Langsam nickend betrachtete Dom das Gesicht seines alten Freundes. Er hätte diesen Brief nie überreicht, wenn er ihn nicht als bedeutungsvoll empfinden würde. Es lag nun an Arthur zu entscheiden, wie wichtig er war. Tote werden häufig idealisiert, dachte er. Er hatte genug Beerdigungen besucht, um all die Lügen zu kennen: „Er war ein liebender Vater“, „Sie war eine sanfte Seele“, „Er hätte nie einer Fliege was zuleide getan“, und das ganze bestandslose Geschwätz. Auch Mal war nicht unfehlbar gewesen, auch wenn er das manchmal gern glaubte. Wenn sie einmal wütend auf jemanden war, konnten ihre Emotionen bis hin zu kaltem, aller Logik widersprechendem Hass schwenken. Und man konnte über jemanden, der nicht anwesend war so viel urteilen wie man wollte; zu was für einem Schluss konnten sie schon kommen, wenn sich Eames nicht einmal verteidigen konnte? »Du wirst wissen, was das Richtige ist. Ich wünschte nur, ich hätte mehr Informationen für dich.« Ein wenig packte ihn das schlechte Gewissen, dass er ihm überhaupt den Brief gezeigt hatte. Andererseits hatte diese Botschaft aus dem Jenseits etwas derart Greifendes… er hätte sich womöglich noch schuldiger gefühlt, wenn er es für sich behalten hätte. »Wie dem auch sei. Mach es dir ruhig gemütlich und bleib so lange du willst. Ich werde gleich James und Phillipa abholen. Ich glaube du würdest Pizza gerade auch mehr begrüßen, als zu warten, bis ich irgendetwas in der Küche zustande kriege, oder?«, fragte er, schon wieder halb lächelnd. Irgendwie war er müde, aber nicht körperlich. Er spürte, dass Arthur etwas belastete, bei dem er ihm nicht helfen konnte. Oder eher: etwas, bei dem Arthur nicht zuließ sich helfen zulassen. Er stand auf und räumte die Tassen ab. Dabei hielt er in der Bewegung noch einmal inne. Auch wenn er Arthur nicht direkt ansah, war seine Stimme ehrlich und bestimmt, wenn auch leiser: »Du weißt hoffentlich, dass du nicht alles allein durchstehen musst.« Es war wie ein Versprechen, dass er nie formuliert hatte. Arthur und er kannten sich lange. So lange, wie er Mal gekannt hatte und darüber hinaus. Nach diesem Verlust hatte er ab und zu vergessen, dass nicht nur er seine Frau, sondern Arthur auch seine beste Freundin verloren hatte. Er hatte da noch eine Art Rechnung zu begleichen, fand er. Arthur „Pizza klingt sehr gut!“, bestätigte er mit einem Schmunzeln um die Lippen. Gleichzeitig fiel ihm auf, dass er nun ja doch ein paar Tage in Italien gewesen war und nicht ein einziges Mal Pizza gegessen hatte. Vielleicht hätte er doch einen Tag noch dranhängen sollen, ein wenig entspannen, die Sonne Italiens genießen, ohne seine Gedanken bei einem Job zu haben. Eames bei sich zu haben, ohne dass zwischen ihnen eine Aufgabe stand, ein Job, eine Katastrophe. Vielleicht wüsste er dann jetzt besser, was er über den Brief denken sollte. Vielleicht wüsste er dann mit Bestimmtheit zu sagen, ob Eames ihn nur benutzte und ihm etwas vorspielte, oder ob er ihm wirklich vertrauen konnte, ihm und ihrem something. »Du weißt hoffentlich, dass du nicht alles allein durchstehen musst.« Arthur blickte überrascht ob der Worte auf. Er spürte, wie sein Herz einen Moment schneller schlug. War es so offensichtlich, dass es ihm nur bedingt gut ging? Dom und er waren gute Freunde, aber alles, was persönlicher wurde, hatte er immer mit Mal besprochen. Selbst sie hatte er, was seine Gefühle für Eames betraf, nur bedingt in sein Herz schauen lassen. Zum einen vermutlich, weil sie es ohnehin wusste, zum anderen, weil er wusste, wie sie zu dem Forger stand. Auch der Brief zeugte davon, dass ihr Unmut über jenen oft einen anderen Blick nicht zugelassen hat. Arthur nickte. „Ich weiß“, sagte er gedämpft. ‘Lass uns heute Abend noch einmal reden…‘, fügte er in Gedanken hinzu. Vielleicht sollte er sich Dom wirklich ein wenig öffnen. Vielleicht würde er dann klarer sehen. Arthur war zur Seite gerutscht, lag nun auf dem Sofa und starrte die Decke an. Es war absolut still im Haus, draußen spielten irgendwo Kinder, ein Hund bellte, das monotone Klacken und Rauschen eines Rasensprengers war zu vernehmen, ein leichter Luftzug strich über seine Haut. Vermutlich war die Terrassentür noch offen. Arthur hatte den Brief noch einmal gelesen, nachdem Dom gegangen war, um die Kinder zu holen. Er hatte sein iPhone in der Hand, haderte mit sich, ob er nicht denjenigen anrufen sollte, über den dieser Brief ging. Einfach, um zu wissen, wie es ihm ging. Schließlich war jener angeschossen worden. Eine weitere Narbe auf dem Körper, der einiges erlebt hatte, der mehr Geschichten zu erzählen hatte, als Arthur vermutlich jemals erfahren würde. Arthur atmete tief durch. Im Flugzeug hatte er viel darüber nachgedacht, dass er Eames vertrauen wollte, dass er darauf vertrauen wollte, dass dieser Schlüssel wirklich etwas bedeutete. Jetzt fragte er sich, ob das überhaupt wirklich der Schlüssel zu seiner Wohnung in Mombasa war. Von allen Menschen auf dieser gottlosen Scheißwelt bist du der einzige, der mich wirklich interessiert. Das muss ausreichen. Alles andere ist doch egal, oder? Reichte das? Die Saat des Misstrauens war wieder gepflanzt. Er strich sich mit den Händen über das Gesicht, versuchte die sich immer mehr einschleichende Müdigkeit wegzustreichen. Er stand auf, ging in die Küche und bediente sich an der Kaffeemaschine, machte sich einen Espresso. Es war seine zweite Tasse Espresso, die er trank, als er die Kinderstimmen sich dem Haus nähern hörte. Wenn Arthur den gestrigen Tag mitzählte, dann hatte er in den vergangenen 36Stunden neun Tassen davon getrunken. Jeweils mit zwei Löffeln Zucker. Das ergab zusammengenommen eine Vollkatastrophe für seine Gesundheit. Wenn er zurück in New York war, würde es leichter werden, wieder in die Spur zu kommen. Jetzt jedenfalls drehte er sich um und fing gerade noch rechtzeitig Phillipa auf, die mit einem freudigen „Arthur!“ auf ihn zugesprungen kam und ihn innig umarmte. Arthur sank in die Knie und hielt sie, die ihrer Mutter wirklich erschreckend ähnlich war, nicht nur äußerlich. Sie plapperte sogleich los und Arthur hatte schier Schwierigkeiten ihr zu folgen, während James ans Sofa gelehnt mit sich haderte, wie er mit ihm umzugehen hatte. Arthur lächelte ihm zu, ließ ihm die Zeit und schließlich stand der junge Mann, der seinem Vater ähnlich sah, neben ihm und plapperte im selben Tempo auf ihn ein. Sie ließen sich die Pizza schmecken. Arthurs Appetit war zurückgekehrt und er ließ es sich schmecken. Schließlich wurde Arthur durch eine Unzahl von Spielen geführt und wurde dazu verdammt, ihnen vorzulesen, als es Zeit war, ins Bett zu gehen. James schlief schon während der ersten Seiten ein. „Papa ist sauer auf mich, weil ich das blöde Federmäppchen geworfen habe“, sagte Phillipa unvermittelt und Arthur sah sie fragend an. „Mrs Collister hat mich aber so geärgert. Sie hat überhaupt nicht begriffen, dass ich…“ Aus dem Mädchen sprudelte es heraus und sie erklärte, dass ihre Aufgabe gewesen war, den Text eines Liedes als Bild wiederzugeben. „Mary had a little lamb“ – Arthur erinnerte sich dunkel an die Melodie, während Phillipa ihm erklärte, dass sie das Lamm und Mary von oben gemalt habe, aus der Perspektive der Lehrerin. Arthur lächelte, während Phillipa sich darüber echauffierte, was für eine Kunstbanausin ihre Klassenlehrerin sei. Ja, Mal und auch ihre Tochter betrachteten die Welt oft aus einer anderen, unerwarteten Perspektive. Ob es immer die beste Perspektive war, sei einmal dahingestellt. Aber auch das galt es zu beachten, wenn er sich entschied, wieviel Gewicht er diesem Brief geben wollte. „Schlaf gut“, sagte er leise und küsste Phillipa auf die Stirn, bevor er sich aus dem Zimmer schlich. Dom war bereits auf der Terrasse und hatte eine Flasche Rotwein geöffnet. Dankbar nahm Arthur ein Glas entgegen und setzte sich zu ihm auf die Terrasse. Er trank einen Schluck, atmete tief durch und spürte, dass er zwar noch immer müde, aber wesentlich entspannter war. Das Schweigen zwischen ihnen war nicht unangenehm, eher ein gemeinsames Ausschnaufen von einem langen Tag. Vermutlich war Arthurs deutlich länger gewesen, doch im Moment spürte er davon wenig. „Eames kam vor etwa drei Monaten zu mir nach NewYork“, fing er schließlich an. „Er brauchte Hilfe bei einer Extraktion, bei der es um viel Geld ging. Geld, das er brauchte, um sich ein paar Typen vom Hals zu schaffen. Du weißt ja, wie das so bei ihm ist.“ Arthur lächelte matt und blickte in das schöne dunkel Rot hinein, das er in seinem Glas leicht im Kreis herumschwenkte. „Er hat viel dafür getan, mein Vertrauen zurückzugewinnen. Zeitweilig dachte ich sogar, dass ich Tokio vielleicht einfach vergessen könnte. Ich dachte, wir würden uns wieder annähern und könnten wieder so miteinander umgehen, wie vor Tokio. Ich fürchte aber, dass das nur möglich ist, wenn Tokio noch einmal auf den Tisch kommt. Ich fürchte, dass ich sonst nie das Gefühl loswerde, dass er das alles nur tut, um mich bei Laune zu halten. Gleichzeitig habe ich Angst, dass es aber auch alles zerstören könnte.“ Er atmete tief ein. „Ich habe lange gedacht, dass ein Leben ohne Thomas Eames ein besseres ist. Ich habe es versucht. So ganz ist es mir nie geglückt.“ Er warf Dom einen unsicheren Blick zu, mit einem noch unsichereren Lächeln. Dann trank er einen Schluck Wein. Sein Handy vibrierte und er zog es heraus. Ariadne schrieb ihm. Er steckte das Handy wieder weg, zusammen mit dem Gefühl von Enttäuschung, dass sich Eames noch immer nicht gemeldet hatte. Dom Es war einer der Abende, den Dom müde aber glücklich abschloss. Mal war vielleicht nicht mehr da, aber ein Teil von ihr lebte in Phillipa und James weiter. Etwas woran er sich festhalten konnte und das ihm die Kraft gab weiterzumachen. Und dann war da Arthur. Auch ein Überbleibsel dieser Frau, auch wenn es sich mittlerweile zum Glück nicht mehr nur danach anfühlte. Dom wartete friedlich schweigend, bis Arthur begann zu erzählen. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, dass das Thema doch noch auf den Tisch kam. Aber nun da es da war, konnten er wohl auch nicht mehr schweigen. Irgendwo tief in seinem Innern wusste er, dass diese ganze Sache mehr war, als nur ein freundschaftliches Ding. Aber deutlich zur Sprache bringen, wollte Dom es dann doch nicht. Vielleicht war es ihm ein Stück weit unangenehm oder vielleicht dachte er, dass es Arthur unangenehm sein würde… »Tokio war ein totaler Reinfall. Da gebe ich dir Recht.« Eames konnte man einfach nicht mehr und nicht weniger zutrauen, als das. Leider kann man Menschen nicht verändern, sondern nur sich selbst. Er seufzte und nahm einen Schluck aus seinem großen, bauchigen Glas. Er haderte etwas mit sich, dann sprach er endlich drauf los: »Seid Mal tot ist, sehe ich viele Dinge aus einer anderen Perspektive. Ich spüre, wie vergänglich alles ist und wie wertvoll die wenigen Momente sind, in denen es uns wirklich gut geht. Schau dir die Kinder an... sie werden so schnell groß. Wie im Zeitraffer.« Ihm viel es merklich schwer frei zu reden, aber er musste zumindest das loswerden, was wichtig war. Für Arthur und auch für sich selbst. »Ich weiß nicht, was Eames will, aber du solltest tun was dich glücklich macht. Versuch nichts bereuen zu müssen. Nimm das Gute und das Schlechte, denn irgendwann wird alles vorbei sein. Und dann wirst du womöglich jedem Streit hinterher weinen. Oder dir wünschen, dass er dich noch einmal mit einem Auftrag nervt, oder sich in der Hotel Lounge benimmt, wie eine offene Hose.« Er sah zu Arthur rüber, aber irgendwie auch nichts. Irgendwie sah er auch ins Dunkel hinter ihm, als stünde da noch jemand, dessen Anwesenheit er sich herbeisehnte. Dann lächelte er und füllte Arthurs Glas einmal richtig auf. »Tut mir leid. Mal wäre sicher etwas Besseres eingefallen. Aber ich habe gute Rotwein, der hilft auch.« Arthur Was ihn glücklich macht. Arthur grinste aufgrund der Ausführungen zu Eames. Bilder vom Inder, von diversen Bars blitzten auf. Was ihn glücklich machte. Was machte ihn glücklich? Hm. Er wusste darauf im ersten Moment keine Antwort. Gab es Glück für ihn überhaupt? Er hatte nie das Gefühl, dazu überhaupt berechtigt zu sein. Wann war er zuletzt glücklich? Er dachte an diesen Moment bei Neapel, als sie vom Strandkorb über das Meer im Bett gelandet waren. Da war ihm bewusst, dass er glücklich gewesen ist. Es war ein Ort und eine Situation jenseits von dem gewesen, was ihrer beider Leben eigentlich ausmachte, ihr persönliches Eames-Haus, jenseits der Realität. Gab es dieses Glück auch in der Realität? Schwer vorstellbar irgendwie. Dafür müsste er sich Zeit nehmen, dafür müsste Eames ihn auch jenseits von Jobs haben wollen. Was machte ihn glücklich? Wann hatte ihn vor Neapel etwas glücklich gemacht? Er konnte leichter sagen, was ihn nicht glücklich machte. Er sah zu, wie Dom sein Weinglas füllte. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Das ist schon in Ordnung so“, sagte er und grinste leicht. Mal ist ohnehin hier, dachte er und nahm sich vor, morgen ihr Grab zu besuchen, bevor er zurück nach New York flog. “Ich vermisse die Zeit vor Tokio“, sagte er unvermittelt und bereute es sogleich. Dom vermisste Mal sicher auch ohne dass er Holzklotz ihn ständig daran erinnerte. „Unsere gemeinsame Zeit natürlich, aber auch wie wir gearbeitet haben“, fügte er an und trank einen tiefen Schluck. Ja, diese Arbeit damals hatte ihn auch glücklich gemacht. Erst danach hatte die große schwarze Leere von ihm Besitz ergriffen und lächelte ihn seitdem gelegentlich milde und mitleidig an. Mal Ohne dafür auch nur einen Grund zu nennen, war Dom am nächsten Tag zuhause geblieben, als Arthur losgefahren war, um Mals Grab zu besuchen. Er wünschte seinem Freund alles Gute, da er auch nicht genau wusste, ob sie sich noch sehen würde und begleitete ihn bis zum Taxi. Es war eine friedliche Stille zwischen ihnen, in der beide wenig aber genug sagten. Genau wie am Abend zuvor. Dom wusste, dass er Arthur keine Lösung für sein Problem geliefert hatte, aber das war auch nie der Anspruch gewesen. Wichtig war, dass sie beide noch da waren. Auch, dass Mal noch da war, auf die eine oder andere Art und Weise. Und dass Eames nicht da war. Gewiss war Dom nämlich nur eins: im persönlichen Umgang mit Eames war es manchmal schwer das Gute gegen das Schlechte aufzuwiegen. Der Tag war klar und schön und die Blumen und Gewächse auf dem Waldfriedhof lächelte Arthur entgegen, als er den flachen Hügel bis zu Mals Baum bestieg. Mal hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Augen geschlossen, während sie neben Arthur herlief. Sie schien die ersten Sonnenstrahlen des Jahres auf ihrer Haut zu genießen. Ihr Haar glänzte wie frisch gepellte Kastanien. »Du solltest nicht immer so tun, als verdienst du dein Glück nicht.« Dieses Gespräch hatten sie vor vielen Jahren im botanischen Garten der Universität geführt, an der sie sich kennengelernt hatten. Ihre Augen öffneten sich langsam, aber nur bis zu einem friedlich-müdem Ausdruck. Eine Kommilitonin hatte Arthur Avancen gemacht und Mal hatte ein paar erfolglose Versuche unternommen, um die beiden irgendwie einander näher zu bringen, auch wenn sie sich bis dato noch nicht allzu gut kannten. Es war der Tag nachdem Mal sich zum ersten mal bei Arthur eingenistet hatte und Abends nach dem Lernen und der ersten Flasche Billigwein einfach nicht mehr nachhause gegangen war. Sie trug noch immer die eingerissene Kordhose und das knittrige, viel zu große, weiße Shirt, dass fast ihre ganze linke Schulter entblößte, aber keinen Träger, der auf einen BH hingedeutet hätte. Die selben Klamotten in denen sie neben Arthur auf der Couch eingeschlafen war. »Dir könnte die Welt gehören, Arthur. Also nimm sie dir.« Sie gähnte und viel ab und zu etwas zurück, machte sich aber keine Mühe Arthurs Tempo zu halten, sondern nahm mit gelassener Selbstverständlichkeit hin, dass ihr Freund auf sie wartete. »Ich hab versucht zu helfen, aber meine Zauberformeln reichen nicht aus. Du bist zu.. verkapselt!« Dabei legte sie eine Hand an seinen Hinterkopf. »Lass doch mal jemanden da reingucken. Außer mich, meine ich.« Arthur Arthur schnaubte. Nicht schon wieder eine von Mals Moralpredigten. Nun, es war weniger die Moral, als sein Leben, das sie mit Randbemerkungen versah, und es war schwer für ihn, ihr dafür Gehör zu schenken. Da war immer dieser innere Kritiker, der bereitwillig ihre Ratschläge mit Zynismus versah, dieses schreckliche Über-Ich (zumindest sagte ihm das Mal), das ihn immer sich selbst in Frage stellen ließ. Und auch jetzt fiel ihm nichts anderes ein, als sie für naiv und einfältig zu halten, wenn sie ihm offenbarte, die Welt könne ihm gehören. Er steckte seine Hände tief in die Hosentaschen und zog die Schultern hoch, als könnten so ihre Worte von ihm abperlen. Er sollte es besser wissen. Mal brannte sich in ihn, durchdrang mühelos seine Eisschicht, seinen Panzer, den er über so viele Jahre dachte, stabil gebaut zu haben, um all den Schrecken, den ihm sein Leben brachte, nicht mehr an sich heran zu lassen. Manchmal war er fast sauer auf sie, wenn sie immer wieder dahineinstieß, wo es ihm wehtat. Es war anstrengend. Doch die Umarmung, die er dafür empfing und die Wärme ließen diesen Groll so mühelos verschwinden, wie es kein anderer Mensch bei ihm schaffte. Mal war zurückgefallen und Arthur atmete tief durch. Er dachte an Kimberly, die Studentin, die ihn mit ihren viel zu langen Wimpern, als dass sie echt sein konnten, anblinzelte, als würde es magisch auf ihn wirken. Sie redete einfach zu viel, ständig, ununterbrochen und… es kam nur Dampf dabei heraus. Die Hand an seinem Hinterkopf holte ihn aus den Gedanken. Er duckte sich drunter weg, strich sich seine Haare wieder glatt. „Da gibt es nicht viel zu sehen“, knurrte er. Doch ein leichtes Grinsen konnte er nicht verhindern. „Sie ist mir einfach viel zu anstrengend“, verteidigte er sich. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie überhaupt ehrliches Interesse daran hat, hier hineinschauen zu wollen.“ Er deutete auf seinen Kopf und sah Mal an, die stehen geblieben war, um einen Moment einfach diesen Ort zu genießen. Sie würden zu spät in die Vorlesung kommen. Da war er sich sicher. Doch wenn Mal den Raum betrat, schienen die Dozenten keinen bösen Blick werfen zu können, geschwiege denn eine Ermahnung auszusprechen. Allein ihn wurmte es, da er sich die ersten Inhalte mühsam aus den stümperhaften Aufzeichnungen der anderen zusammenreimen musste. „Ich weiß nicht, ob sie mich glücklicher machen könnte.“ Er zog entschuldigend die Schultern hoch. Mal Sie sah freundlich amüsiert dabei zu, wie Arthur sich das Haar wieder zurecht strich. »Du gibst ihr keine Chance, das ist doch das Problem.«, erwiderte sie ohne Vorwurf. Es war ja auch nur eine Tatsache. Sie wurde noch etwas langsamer, als sie sich eine Zigarette aus ihrem Jutebeutel angelte und diese anzündete. Verbot hin oder her. »Glaub mir, sie ist ein liebevolles Mädchen. Und schlau.« Immer wieder stellte sie heiter fest, dass sie wahrscheinlich die erste und einzige Person war, die mit Arthur über Liebesangelegenheiten sprach. Sonst ließ sich einfach jeder von seiner stock-steifen Art und dem Eispanzer abschrecken. Er hatte wirklich gute Abwehrmechanismen, das hatte sie in der ersten Sekunde ihrer Bekanntschaft völlig neidlos festgestellt. Aber sie hatte so ihre Methoden – Gedankenlesen zum Beispiel. Ein immenser Vorteil für sie beide. »Sie macht dich glücklich, wenn du sie lässt… zur Not nur für eine Nacht, aber was soll‘s!«, sie kicherte und legte ihm einen Arm um die Hüften, um ihm sanft in die Seite zu kneifen. Körperkontakt war für sie etwas Essentielles und völlig Natürliches. »Ansonsten musst du doch einmal von der anderen Uferseite naschen. Vielleicht hilft dir das. Wie sollst du sonst die Uni überstehen? Ab und zu muss jeder mal loslassen.« Arthur War das so? Gab er ihr keine Chance? Leider kam ihm die Antwort sehr deutlich: Ja, das war so. Sie hatte nichts, was ihn ansprach, um ehrliches Interesse an ihr zu haben. Arthur streckte sich. Die Nacht steckte ihm in den Gliedern. Er hatte sich nicht getraut, sich zu bewegen, um Mal nicht aufzuwecken. So hatte er neben ihr halb sitzend, halb liegend geschlafen. Arthur hob die Augenbraue, als er die Zigarette sah. Er hatte gerade selbst Lust darauf, sich eine Zigarette anzuzünden. Allerdings hielt er sich bereitwillig an Regeln. Ja, Kim war auch schlau. (Noch wusste er nicht, dass sie einmal in einer der zehn besten Architekturbüros New Yorks arbeiten würde.) Dennoch fehlte etwas. Der erste Moment war entscheidend. War er ein Romantiker?! Oh man! Außerdem schien sie keine Herausforderung zu sein, sie war so furchtbar durschaubar und… so leicht zu beeinflussen. Außerdem waren ihre Anspielungen platt. Nein, er ließ ihr wirklich keine Chance. Etwas erstaunt blickte er zur Seite, als er ihren Kommentar hinsichtlich des „glücklich Machens“ hörte. Schlug sie ihm gerade wirklich vor, eine Frau, die offenbar ernsthaftes Interesse an ihm hatte, für eine Nacht zu benutzen? Sollte ihn das wirklich glücklich machen, bedeutungsloser, berechnender Sex? Mal nahm sich auch, was sie wollte. Sie war wählerisch und strotzte vor Selbstbewusstsein, was das betraf. Lag ihm wirklich die Welt zu Füßen? Konnte er das genauso? Sich nehmen, was man begehrte ohne Verbindlichkeiten? So ganz könnte er es sicher nicht. Aber ein wenig mehr vielleicht schon. Sein Erstaunen und seine Gedanken, die dem Vorschlag folgten, sorgten dafür, dass er ihre „Attacke“ auf seine gerade Haltung zu spät bemerkte und in der Hüfte einknickte, als sie ihn in die Seite kniff. Grrrr! Doch er musste lachen, ein befreiendes Lachen, das ihn ein wenig mehr Leichtigkeit spüren ließ – bis zum folgenden Kommentar. Sein Blick wurde ungläubig und seine Maske der Unnahbarkeit brach für den Moment in sich zusammen - sofern er diese bei Mal aufrecht halten konnte. Von der anderen Uferseite – er schluckte. „Ich denke… ich meine…“ Seine Stirn zog sich zusammen. „Ich glaube nicht, dass ich…“ Er brach ab, schwieg, blickte sie einfach nur an, etwas trotzig, etwas abwehrend. Ihm lag ein „Wie kommst du darauf?“ oder eher ein „Woher weißt du das?“ auf den Lippen, doch er brachte es nicht heraus. Schließlich wandte er den Blick ab und sah den Weg entlang. War ja nicht so, dass er nie Sex hatte. Frauen waren nur so schrecklich anstrengend und wollten ständig eine Vergewisserung, dass man an sie dachte. „Vielleicht sollte ich mich doch von Kim für eine Nacht glücklich machen lassen. Etwas loslassen täte mir vielleicht doch ganz gut und würde mir weitere Kommentare ersparen.“ Im Grunde sollte er sich wirklich einmal wieder Sex gönnen. Seine letzte Freundin war schon länger her. Mal wusste das offenbar mal wieder bevor es ihm klar war. Er wusste ja, dass sie ihn las wie ein offenes Buch. Dennoch gruselte ihn etwas, dass sie offenbar sogar bemerkte, dass er dem Doktorand im Tutorium zum Grundkurs „Statik und Baukonstruktion“ auf den Arsch blickte. Er senkte den Kopf. Würde ihn das glücklich machen? Genauso wenig vermutlich wie Kimberly zu daten, um sie flach zu legen. Wobei? Es wäre halt nur kurzzeitiges Glück. War er jemand, der Momente des Glücks sammelte? Ihm stellte sich eher die Frage: Was würde ihn dauerhaft, langfristiger glücklich machen? Arthur seufzte und biss sich auf die Unterlippe, bevor er ein „Wir müssen in die Vorlesung.“ grummelte. Mal Das nervöse, peinlich berührte Gestammel nahm sie kommentarlos hin. Sie lächelte etwas, aber darin lag nichts Schmähendes. Nur Wärme und ein kleiner Schalk, der leise flüsterte „natürlich wusste ich es“. Seine Überlegungen bezüglich Kimberly nickte sie geduldig ab und hakte sich dann bei Arthur ein. „Wir müssen in die Vorlesung.“ »Naturellement!«, trällerte sie und warf ihre halbaufgerauchte Zigarette achtlos auf den Gehweg. Tatsächlich legte sie Arthur zu Liebe sogar ein wenig an Tempo zu. Sie wusste ja, dass es ihn wahnsinnig machte, wenn sie auch nur eine Minute zu spät kamen. Im Gegensatz dazu liebte sie es. Ein wenig provozieren, aber nicht zu unangenehm dabei werden; sie tänzelte häufig auf diesem schmalen Grad. Außerdem liebte sie stets das Gefühl alle Zeit der Welt zu haben. Little did she know. »Ich fände es gut, wenn du dich mal entspannen würdest.«, griff sie das Thema noch einmal auf, kurz bevor sie das pompöse Gebäude betraten, in dem es merkwürdig ruhig geworden war. »Sei einfach ehrlich zu Kimberly und vor allem zu dir selbst, dann kann dir nichts passieren.« Dann ließ sie ihn los und verschwand. Das Grab war eingebettet in einen Kranz aus wilden Frühblühern. Die wunderschöne, erhabene, aber dezente Steinplatte war gepflegt und gut sichtbar. Genau so wie sie es gewollt hatte. „Hier liegt Mallorie Cobb Die Welt hat ihre schönste Farbe verloren“   Arthur Es war das erste Mal seit der Beerdigung, dass er das Grab von Mal besuchte. Bald würde ein Jahr vergangen sein. Er hatte sich neben ihren Grabstein gesetzt, die Atmosphäre des Ortes auf sich wirken lassen. Es war erstaunlich, wie sehr er sie bei sich spürte, wie tief er in ihren Arm genommen wurde. Er hätte nicht gedacht, dass er weinen würde. Mehr hatte er damit gerechnet, berührt zu sein oder einen tiefen inneren Frieden zu verspüren. Seine Tränen hatten ihn überrascht, ihn überwältigt. Aber er schämte sich ihrer nicht. Es waren stumme Tränen, die er das letzte Mal nicht fähig gewesen war, zu weinen. Es war einfach alles ein wenig viel gewesen in den letzten Tagen, in den letzten Wochen. Eames war auf eine Art in sein Leben getreten, wie er es lange nicht mehr für möglich gehalten hatte. Er hatte sich überwunden, ihm wieder Raum zu lassen, was dazu geführt hat, dass all seine vergangengeglaubte Sehnsucht durchgebrochen war. Er hatte ihn in sich aufgenommen und war bereit, ihm zu vertrauen, obwohl die Vergangenheit noch immer ihre Schatten warf. Er wollte ihm vertrauen, war für ihn zum Mörder geworden. Es hatte ein Brief von Mal gereicht, das alles wieder in Frage zu stellen. ‚Du solltest tun, was dich glücklich macht.‘ ‚Du solltest nicht immer so tun, als verdienst du dein Glück nicht.‘ Was machte ihn glücklich? Bei der Erinnerung an damals, an ihr Gespräch im botanischen Garten, war Kimberly wieder aufgetaucht. Damals hatte er jemanden gewollt, der nicht durchschaubar war, der intelligent war, an dem er wachsen musste, der ihn beschäftigte, der ihm nicht gleichgültig war, bei dem die erste Begegnung etwas Magisches hatte. Traf nicht genau das auf Eames zu? Wieso war er dann nicht gänzlich glücklich? Damals war ihm nicht bewusst gewesen, wie wichtig ihm Vertrauen war. Vertrauen und Ehrlichkeit. ‚Sei einfach ehrlich zu Kimberly und vor allem zu dir selbst, dann kann dir nichts passieren.‘ Ehrlich zu sich sein... Damals hatte er tatsächlich etwas mit Kimberly angefangen. Sie waren ausgegangen, sie hatten Zeit miteinander verbracht, fürs Studium gearbeitet, waren ins Kino, zum Essen gegangen, hatten Sex gehabt. Doch er war nicht ehrlich zu Kimberly gewesen, auch nicht zu sich selbst. Als er begann, beim Sex an den Doktorand zu denken, hatte er ihr die Wahrheit gesagt. Kimberly hatte ihn für seine Ehrlichkeit verflucht. Und jetzt? War er immer ehrlich? Er verlangt es von Eames. Im Gegenzug konnte er ihm gegenüber nur teilweise ehrlich sein. Das Misstrauen war immer da. Seit Tokyo hing ein Damoklesschwert über ihrer Verbindung. Doch in der Zeit, die sie jüngst miteinander verbracht hatten, war so viel geschehen. Juliet, Foxtrott, Yankee, India. India, Lima, Uniform - JFYI:ILU - Just for your information: I love you! War das nicht die Ehrlichkeit, die er immer gewollt hatte? Er war außer Standes gewesen, in dieser Situation etwas darauf zu erwidern. Jetzt bereute er es. Er war in der vergangenen Nacht lange wach gelegen und hatte Gedanken hin und her geschoben. Seine Erkenntnis war: er vermisste Eames. Er vermisste ihn, seinen Körper neben sich, das Atmen, dem er lauschen konnte, während er nicht schlief, seine Wärme und Ruhe. Arthur zog sein Handy aus der Tasche, schrieb eine Nachricht an Tom. ‚I miss you! A.‘ Es war das Ehrlichste, was er hatte schreiben können. Mit weichen Knien durchschritt er den Friedhof und machte sich auf den Weg nach New York. If I stay with you, if I'm choosing wrong I don't care at all If I'm loosing now, but I'm winning late That's all I want ————//————- Die Luft in seiner Wohnung roch nach abgestandener Abwesenheit. Mattes Licht fiel durch die geschlossenen Vorhänge. Es war beklemmend still. Er war nur eine gute Woche weggewesen, doch es fühlte sich an, als sei es ewig her, dass sie von hier aufgebrochen waren. Arthur meinte das Aftershave seines Bruders zu riechen. Er ging herum und öffnete die Fenster, ließ den Lärm der Straßen herein. Das Bild, wie jener seine Wohnung betrat, ging ihm nicht aus dem Kopf. Er begann mit der Post, dann fuhr er mit der Arbeit fort. Ablenkung war gut. Vielleicht kam dann irgendwann eine Nachricht. ————//————- Arthur holte sein Handy aus der Innentasche seines Anzugs, eine Bewegung, die er in den zurückliegenden Tagen, fast schon Wochen so oft gemacht hatte, dass er sie gar nicht mehr bewusst wahrnahm. Er hoffte stets auf eine Nachricht von Eames, aber der blieb in seiner Deckung. Allerdings war es nicht so sehr die Stille der vergangenen Wochen, die ihn zermürbte. Es war eher der Keim, der zu wachsen begonnen hatte, eine vage, aber aufdringliche Angst. Eames war in der Versenkung verschwunden und ihre gemeinsamen Wochen hatten einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen, weil Arthur einfach unsicher war, ob das alles nur aus der Abhängigkeit entstanden war, in der sich Eames befunden hatte. Und dann dieser Brief. Arthur schlief kaum noch, immer wieder wachte er auf, saß auf seinem Bett in seiner Wohnung oder im Büro. Er blickte aus dem immer gleichen Fenster auf die nächtliche Straße, den dunklen Park. Die Saat ging auf, er spürte es, und er konnte nichts dagegen machen. War es ein Fehler gewesen, einfach zu gehen? Warum meldete er sich nicht? War ihr something doch ein nothing, weil er ihn nicht mehr brauchte, wenn er kein Pointman für ihn war? Hatte Mal mit all dem recht, was sie geschrieben hatte? War alles nur eine große Lüge? Diese Fragen schürten etwas, das Arthur leider nur zu gut kannte: Misstrauen. Er begann Eames wieder zu misstrauen. Auch wenn er das eigentlich nicht wollte. „Arthur? Arthur? Wo bist du gerade schon wieder?“ Er schreckte hoch. Er hatte für einen Augenblick nicht aufgepasst, hatte aus dem Fenster gesehen und überlegt, ob er sein Misstrauen nicht einfach im Hudson versenken konnte, auf dass es dort rasch versank. Aber zu den Eigenschaften des Misstrauens gehörte eine gewisse Widerstandsfähigkeit und nun blickte Ariadne ihn fragend an, so dass nichts von dem Chaos in ihm verschwand. „Was ist denn verdammt nochmal los mit dir, Arthur?“, fragte ihn Ariadne und blickte ihn ernst an. „Wird das zum Problem?“ Arthur war klar, dass sie eine zufriedenstelle Antwort haben wollte. Er schwieg. „Rede mit mir!“ Er hörte sich aus ihr sprechen. Aber Arthur war nicht nach Reden, genau wie in den Tagen zuvor. Und vermutlich auch in den Tagen danach. Er hatte die Stille zu schätzen gelernt, das Schweigen, das ihn umgab, wenn er in seiner Wohnung stand und hinaus auf die Bäume des Central Parks blickte. Er hatte Tage damit verbracht, dem Schweigen zuzuhören, es zu beobachten, wie es ihm gegenüber saß, milde lächelnd. Mit einem Hauch von Mitleid im Blick. ‚Ich will nicht hier sein‘, dachte er, ohne zu wissen, wo er sonst sein wollte. Vielleicht in Mombasa. „Es ist alles in Ordnung“, sagte er und blickte sie lächelnd an. „Ich hatte nur wenig Schlaf. Mehr ist es nicht. Dafür habe ich eine gute Idee. Schau her...“ Er sollte sich konzentrieren. Das hier war wichtig. Das ewige Misstrauen. Das ewige Tokyo. Er hatte nichts von Eames gehört. Jener hatte auf die Nachricht vom Friedhof nicht geantwortet. Er rauchte eine der vielen Zigarette dieser Tage, als eine Nachricht eintraf, allerdings von Dom. Woher kennst du Dmitrij Teteruk? Ich soll dir schöne Grüße sagen. Dom Arthur erstarrte. Tokyo war ein Schock gewesen. Alles war ein Schock gewesen, damals. Und das war es bis heute. So viel falsche Wahrheiten. Und so viele echte Lügen. Eames, der ihn aus dem Traum geschubst hatte, ihn auf Traumebene getötet hatte und danach verschwand. Cobb, der ihm erklärte, dass er schon wieder auftauchen würde, dass er sich freuen solle, dass der Job gut vorübergegangen war, obwohl Arthur seinen Posten verlassen hatte. Mal, die sich in Schweigen hüllte. Er war ohnehin nicht gut für dich, Arthur. Er ist ein Jäger und Sammler. Sei froh, dass er weg ist. - das meinte er zumindest in ihrem Blick zu lesen. Jetzt wusste er von dem Brief, der alles verschlimmerte. Eames - ein Lügner? Ein Betrüger? Alles für den Job. Alles für den Kunden. Da blieb nicht viel übrig. Stets hatte Arthur seither seine Gefühle verdrängt, sie verleugnet. Er hatte sich in Arbeit gestürzt, hatte sich abgelenkt. So weit war er gegangen, dass er sich ein neues Team suchen wollte. Doch das war sein Untergang gewesen. Er war dadurch an seine Grenzen gekommen, hatte Dinge erlebt, die er noch mehr vergessen wollte als all den Schmerz, den ihm Thomas Eames bereitet hatte. Da endet die Geschichte. Punkt. Und bis jetzt hatte Dmitrij Teteruk keine Rolle mehr gespielt. Bis jetzt. Arthur antwortete nicht auf die Nachricht. Er hatte das tiefe Bedürfnis, mit jemandem zu reden, und das war nicht Dom. Er wählte mit zitternder Hand eine Nummer, atmete tief durch, bevor er auf Grün drückte. Irritiert blickte er auf sein iPhone, als dieses ihm mitteilte, dass die Nummer nicht vergeben war. Ein neuer Versuch mit dem gleichen Ergebnis. Sicher, er hätte es sich denken können, dass Eames sein Handy mal wieder vernichtete, doch es war ihm nicht gekommen. Das Ausmaß dessen wurde ihm bewusst. Seine Nachricht hatte nie ankommen können. Ihm wurde schlecht. Er knabberte an den Fingernägeln, während er darüber nachdachte, ob es wirklich etwas brachte, in Mombasa anzurufen. Er hatte Angst, dass auch diese Nachricht nicht ankäme. Die Kneipe, in der er Botschaften hinterlassen konnte, wirkte nicht zuverlässig. Und ob Eames überhaupt dort war? „Können wir weitermachen?“ Ariadne sah ihn fragend an. Er zögerte kurz. „Klar!“, sagte er leichthin, während in ihm ein unbekannter Sturm tobte. Scheiße. Eames Parenthesis 「 New York 」 ________________________________________ One broken wing Soaring and suffering Arm in a sling I don't owe you anything Er sah auf sein Gesicht herab, das sich im Beifahrerfenster der parkenden Corvette spiegelte. Eine Strähne hatte sich gelöst und hing auf seiner Stirn, wie eine offene Klammer. Mit einer langsamen, fast schon trägen Geste strich er sich das Haar glatt nach hinten. Sein Ausdruck war kühl, sein Herz fühlte sich schwer an. I'm a bad absentee You know when I want to leave So close up your knees And I'll close your parenthesis Er hatte gerade eine Menge Geld in einem Casino „gewonnen“, gleich die Straße runter, nur einen Block von Arthurs Wohnung entfernt. Der Bündel Scheine in seiner Tasche fühlte sich schmutzig an. Er gab ihn einer jungen Obdachlosen, die mit einem Welpen auf dem Schoß vor einem Gemischtwarenladen saß. Die Frau war außer sich, sie jubelte und dankte Gott und er nickte ihr lächelnd zu, ehe er mit wiegenden Schritten weiter ging. Dabei floss die gespielte Freude wieder aus seinem Gesicht und hinterließ eine steife Maske. Diese Aufgabe war eine der schwersten. In dieser Stadt zu sein und ihn nicht sehen zu können. Oder auch; hier zu sein und sich genauso schmutzig fühlen, wie der Bündel Scheine, dem er sich gerade entledigt hatte. Wie ein Haufen Dreck und tief verletzt in seinem Stolz. Und trotz allem war ihm sehr bewusst, dass er niemand anderen für dieses Dilemma verantwortlich machen konnte, als sich selbst. Eine hübsche kleine Firma hatten sie sich da aufgebaut, dachte er. „Fontaine & Moore Architects“ Ariadnes Wangen sahen aus wie reife Äpfel auf dem Bild, das er auf der Homepage gesehen hatte. Er klingelte, wohl wissend, dass Arthur nicht da sein würde und betrat das Gebäude, als ein Summton die Tür freigab. Die Hand mit dem geschienten Finger hatte er in sein Jackett geschoben, als er durch die Glastür schritt. »Lange nicht gesehen!«, grüßte er sie und reichte ihr die unverletzte Hand. Sein Gesicht war leicht kalkig, aber ansonsten sah man ihm den Jetlag und die zahlreichen, schlaflosen Nächte wahrscheinlich nicht an. »Du siehst gut aus, beeindruckendes Büro.«, schmeichelte er weiter und betrachtete sie, sowohl als auch die Räumlichkeiten, mit väterlicher Anerkennung. »Ist Arthur hier?«, er wusste, wie die Antwort lautete. Er hatte nicht umsonst Jesse konsultiert, um ihn zu beobachten. »Und wenn nicht, hättest du eine Minute?« I'm a bad amputee With no phantom memory So close up your knees And I'll close your parenthesis Ariadne „Vergiss nicht, dass das Modell nachher kommt!“, hörte sie noch Arthurs Stimme, bevor die Tür hinter diesem zuging. Ihr genervtes „Natürlich nicht!“ hatte er vermutlich nicht mehr gehört. Dass jener begann ihre Kompetenz, an wichtige Dinge zu denken, anzuzweifeln, war auch eines der Symptome, die ihr sagten, dass Arthur ziemlich unter Stress stand. In gewisser Weise war sie auch gestresst, schließlich hatte der Bau begonnen und jeder verdammte Handgriff musste vorbereitet und kontrolliert werden, wenn sie den Zeitplan einhalten wollten. Arthur war pedantisch und instruierte die Baufirmen akribisch, um dumme Fehler zu vermeiden. Dass er kein Vertrauen in die Kompetenzen der Leute am Bau hatte, war ja gut. Zu oft zeigte sich, dass so mancher nicht von 12 bis Mittag denken konnte. Aber sobald er ihr das auch indirekt unterstellte, wurde sie wütend. Es kam nicht oft vor, doch seit einigen Tagen immer häufiger. Arthur wirkte noch gestresster - wenn das denn möglich war - und Ariadne glaubte nicht, dass es nur der Baustress war, der ihm so zu schaffen machte. Er kam schon in seltsamer Stimmung von seinem Tripp zurück und wirkte so oft mit seinen Gedanken abwesend, dass sie besorgt war. Angeblich war er nur bei Dom gewesen, doch das glaubte sie nicht. Ariadne hatte mit jenem telefoniert und er wirkte gefestigt, könnte also kein Grund für Arthurs Zerstreuung sein. Auch sicher nicht die Steuerprüfung, die nichts ergeben hatte. Gleichzeitig lieferte jener aber brillante Arbeit ab, hatte ihnen nun sogar diese riesige Chance an Land gezogen. Irgendwas musste noch dahinterstecken, doch der Stockfisch schwieg beharrlich und lächelte sie an. Sie hatte ihm schon angedroht, irgendwann einmal ihren Absatz in diesem Lächeln zu versenken, doch der Panzer um Mr. Rührmichnichtan war ziemlich dick. Ariadne schnaubte, widmete sich lieber ihrer Präsentation, die sie für den den Architekten Kongress „New Yorks Architektur im Wandel“ vorbereitete. Arthur hatte Beziehungen zu einer Ex-Freundin spielen lassen, die ihnen die Möglichkeit geboten hatte, dort ihren Umbau vorzustellen. Alle namhaften Baufirmen, Geschäftsmänner und Architektenbüros etc. würden anwesend sein, sogar der Bürgermeister und andere Prominente aus New York. Arthur hatte die Idee gehabt, einen Grafikdesigner zu beauftragen, einen animierten Film zu erstellen, den man zeigen konnte. Sie hatten eine Firma beauftragt und zu sich ins Büro geladen, um Ihnen auf Basis ihrer Zeichnungen einen Einblick zu geben. Auf Traumebene haben sie die beiden Grafiker ohne ihr Wissen durch ihr Projekt geführt. Das Ergebnis war ein unfassbar guter Film, der eine perfekte Werbung für ihr Vorzeigeprojekt werden würde. Arthurs Idee, ihr Esprit - die perfekte Mischung. Ja, Ariadne war stolz auf ihre Arbeit, auf ihr Büro. Fontaine & Moore Architects Doch die Sorge, dass sich Arthur übernahm, weil er mit seinem Kopf woanders war, schwelte in ihrem Bewusstsein. Ihr erstes Baby durfte nicht dadurch gefährdet sein. Dessen war sich Arthur aber auch bewusst, daher war sie aufmerksam, aber drängte ihn nicht, ihr endlich zu sagen, was ihn beschäftigte. Es hing ihre gesamte Reputation davon ab. Sie waren ein geniales Team - er der Perfektionist mit Beziehungen, sie die Kreative mit Durchsetzungskraft. Sie blickte erstaunt auf die Uhr, als es klingelte. Die Lieferung war erst in einer Stunde zu erwarten gewesen. Sie betätigte den Türöffner und stand auf, um den großen Tisch gänzlich frei zu räumen. Als die Tür ging, drehte sie sich um. So schnell waren die hier oben? Ihre Überraschung blieb ihr ins Gesicht geschrieben, als sie sah, wer hereinkam. „Oh,... der Forger“, sagte sie im ersten Moment. Mr. Universe himself. Das größte Ego der Menschheitsgeschichte. Das lebende Chaos, der Egozentriker. Bedeutete das Ärger? Ariadne runzelte die Stirn, während sie beobachtete, wie Thomas Eames sich umsah. Die Schmeicheleien beeindruckten sie wenig, nickte sie nur ab, lösten eher noch mehr Skepsis aus. Was wollte er hier? Hatte er einen Termin mit Arthur? Ariadne kehrte zu ihrem Laptop zurück, speicherte und klappte den Bildschirm zu. »Ist Arthur hier? Und wenn nicht, hättest du eine Minute?« „Du hättest Arthur anrufen können. Dann wüsstest du, dass er nicht da ist sondern bei seiner Ex-Freundin“, entgegnete sie und ließ die zweite Frage zunächst unbeantwortet. Seit Eames sie in die Eishölle mitgenommen hatte, misstraute sie ihm. Wobei das Misstrauen eigentlich schon in der 1. Traumebene geschürt worden war, als dessen erster Impulsgewesen war, einfach auszuharren. Angesichts der Tatsache, dass ihm damit egal war, dass Dominicks Chance auf Rehabilitation so verwehrt geblieben wäre, stand sie ihm noch kritischer gegenüber. Letztlich hatte er den Job gut gemacht. Doch alles in allem blieb das Bild eines undurchsichtigen und selbstsüchtigen Mannes, mit dem man besser nichts zu tun hatte. Ariadne verschränkte die Arme vor der Brust und zögert, bevor sie fragte: „Um was geht es denn?“ Eames Die Begrüßung war bereits eigenartig, fast so als hätte Ariadne vergessen, wie er hieße. So etwas war ihm tatsächlich noch nie passiert (wenn er es nicht von vorn herein darauf angelegt hatte vergessen zu werden); noch ein kleiner Stich für sein Ego. Er behielt jedoch Haltung und führte die Scharade fort. Sogar, als Ariadne erwähnte, dass Arthur sich gerade bei seiner Ex-Freundin aufhielt ---- Er spürte einen Stich, aber vom Stadium des angeschossenen Hirschs, glitt er gleich hinüber in das Stadium "Stier sieht Rot". Wagte er es wirklich? Von dem innerlichen Kampf drang jedoch nichts nach außen, lediglich ein milde überraschtes »Ist das so?« Ex-Freundin….. dieses Wort wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf. Es blockierte seine Gedanken. „Um was geht es denn?“ »Warte kurz… Ex-Freundin?«, er grinste. Blood Bastard »Diese kleine;.. etwas länger her, oder?«, er machte wage Bewegungen, möglichst unverbindlich. »Arthur hat mir von ihr erzählt, wie hieß sie noch gleich?« Sein eigentliches Anliegen war mit einem Schlag in den Hintergrund gerückt. Nun musste er erst einmal etwas anderes klären. Ariadne Bereits als sie das Wort „Ex-Freundin“ verwendet hatte, bereute sie es. Sie hatte mal wieder schneller geredet als gedacht. Ging es Eames überhaupt etwas an? Die Spannung zwischen Arthur und Eames während ihres Jobs mit Fisher war auch ihr nicht entgangen. Es kam ihr ein wenig vor, als könnten die beiden nicht ohne einander, noch weniger miteinander. Hoffentlich ärgerte sich Arthur nicht, dass ihr das herausgerutscht war. Sie war nur immer noch überrascht, dass Kimberly Peck tatsächlich einmal mit Arthur zusammen war. Sie war eine Koryphäe hier in New York. Die Überraschung, die das „Ist das so!“ mit sich brachte, entging Ariadne nicht. Sie biss sich auf die Unterlippe, reckte das Kinn ein wenig. Ihr Ablenkungsmanöver, was Eames denn hier wolle, lenkte jenen aber offenbar nicht vom Thema ab. Einen Moment musterte sie Eames, als dieser genauer nachfragte. Was waren wohl seine Hintergedanken? Oder war ihr Misstrauen unangebracht? Arthur hatte ihr damals erzählt, dass sie sich schon lange kannten. Es konnte durchaus sein, dass Eames von dieser Ex-Freundin wusste. „Kimberly, Kimberly Peck. Ja, ist lange her. Er kennt sie noch vom Studium“, sagte sie kleinlaut und strich sich das Haar hinters Ohr, das sogleich wieder nach vorne fiel. „Dank ihr können wir unser Projekt beim Architekten-Kongress präsentieren.“ Sie redete schon wieder zu viel. „Wie auch immer… Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Was willst du, Eames?“ Eames Kimberly Peck. Diesen Namen würde er so schnell nicht mehr vergessen. Nur dank ihr konnten sie also ihr Projekt beim Architekten-Kongress vorstellen? Eames wollte sich gar nicht vorstellen, ob Arthur für so einen Gefallen käuflich sei. Sicherlich sollte man so etwas nicht von diesem ach so feinen Edelmann erwarten. Er hatte immerhin Anstand und gute Erziehung! Etwas, das Eames gänzlich zu fehlen schien und dennoch schweiften seine Gedanken ab an Arthurs Gesicht – wie sich seine Nasenflügel blähten und seine Lippen zurückzogen wenn sie Sex hatten. Und er fragte sich unweigerlich, ob er für Kimberly dasselbe Gesicht machte. »Natürlich, davon hat er erzählt.«, nickte er ab und tippte sich gegen die Stirn, wie das liebenswerte Dummerchen vom Lande. Er wusste, dass dieses Spiel hier nur ein einziges Mal funktionieren würde. Ariadne würde Arthur von seinem Besuch erzählen. Dann würde Mister Darling Miss Fontaine verklicken, wie wenig man auf Mister Eames geben konnte. So wie sie die Stirn in Falten legte, traute sie ihm schon jetzt kaum einen Meter weit. Wenn er Informationen wollte, dann musste er das letzte Vertrauen missbrauchen, das sie in ihn noch hatte; eine weitere Chance würde es nicht geben. »Ach weißt du, ich war grad in der Gegend und wollte ein bisschen über das letzte Spiel der Mets plaudern.«, scherzte er. Es war nicht leicht an sie heran zu kommen. An irgendjemanden erinnerte ihn dieser Blick… dieses Sondieren. Diese natürliche Skepsis ihm gegenüber, wo ihm doch sonst jeder spontan vertraute. Er musste also mit gänzlich anderen Methoden arbeiten, um an sie heran zu kommen. »Mal ehrlich, Ariadne…«, er seufzte und sackte etwas in sich zusammen. Dann holte er die Hand aus seinem Jackett um den noch immer geschienten Finger zu präsentieren. »Ich hab mir wehgetan und mir geht es gerade nicht allzu gut. Wenn du mich so ansiehst fühle ich mich wie auf der Anklagebank.« Ihm fiel spontan ein, an wen sie ihn erinnerte. Ihr Blick war dem von Mallorie Cobb gar nicht unähnlich. Mit dem feinen Unterschied, dass sie wie eine abgespeckte Version von ihr wirkte. Gerade war sein eigentliches Vorhaben zu einem etwas größeren Projekt geworden. Eigentlich wollte er Arthur nur eine Handynummer hinterlassen, ehe er noch ein wenig auf Abstand ging, um die Sachen zu verarbeiten. Nun brauchte er Informationen. Loslassen war schwerer, als er gedacht hatte und er fühlte sich noch erbärmlicher, als vorher. »Können wir nur einen Kaffee trinken und kurz reden, wie zwei normale Menschen? In deinem Büro?« Ariadne Seine Reaktion ließ den Schluss zu, dass Eames und Arthur wirklich enger befreundet waren, als das ihre ständigen Sticheleien sichtbar machten. Dennoch war Ariadne bewusst, dass Eames der Forger war, und inwieweit er das seinen Freunden oder - in ihrem Fall - seinen Bekannten gegenüber auch war, konnte sie nicht einschätzen. Daher blieb das Misstrauen, ließ sie zweifelnd die Augenbrauen zusammenziehen, als der andere mit Baseball ankam. Sie erinnerte sich gut an das Gefühlvor nunmehr einem Dreiviertel Jahr, nicht zu wissen woran sie bei dem mysteriösen ‚Thomas Eames’ war, ob er sie überhaupt ernst nahm. Der gutaussehende, smarte, immer lächelnde Mann mit den lässigen Sprüchen und dem Schalk in den Augen behandelte sie eher von oben herab, stets leicht amüsiert, so als mache er sich immer ein wenig lustig über sie. Dazu Sprüche, die sie Lächeln ließen, die amüsant waren, die schmeichelhaft schienen, sie aber vermutlich nur aus der Reserve locken sollten. Insgesamt löste er bei ihr eher Alarmglocken aus, als echte Sympathie, auch wenn er ihr durchaus sympathisch war. Diese Sympathie rührte eher aus der Faszination hinsichtlich seiner Fähigkeit, auf Traumebene diverse Charaktere einnehmen zu können. Noch bevor sie etwas erwidern konnte, änderte sich etwas in Eames‘ Körperhaltung, so als hätte er keine Kraft mehr, seine Fassade des lässigen Gentlemans aufrecht zu erhalten. Die Ehrlichkeit, die er ankündigte, ließ sie hinter die Fassade blicken, hinter das breite Kreuz, das offenbar angeknackst war. Was würde sie darum geben, wäre das bei Arthur so einfach! Wenn der ein wenig mehr zugänglich wäre, könnte sie besser sehen, was jenen belastete. Ihr Blick glitt zu der Hand, an der ein Finger geschient war. Die zum jetzigen Gesamteindruck passenden Worte folgten und Ariadne hatte einen Moment, in dem sie sich etwas weniger Ehrlichkeit (und Vorwurf) wünschte. Sie lächelte entschuldigend, senkte ertappt den Blick. War sie ungerecht mit ihrer Ablehnung? Ihre Arme öffneten sich, sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Können wir nur einen Kaffee trinken und kurz reden, wie zwei normale Menschen? In deinem Büro?« Sie lachte leicht, vermutlich verlegen, aber so ganz passte das nicht. Die Alarmanlage blieb angeschaltet. „Du solltest doch lieber mit Arthur reden“, seufzte sie und nickte ihm zu, ihr in ihr Büro zu folgen. Sie ging voraus durch den kurzen Flur in ihr Büro, das durch diverse Kleinigkeiten an ihre Heimat Frankreich erinnerte. Sie blieb in der Tür stehen und ließ ihn eintreten. „Als Leidensgenossen könntet ihr euch vermutlich besser in eurem furchtbaren (sie zog das Wort theatralisch in die Länge) Leid trösten. Zumindest scheint es ihm genauso wenig gut zu gehen, auch wenn er glaubt, ich sehe es nicht in seinen Augen, wenn er mechanisch lächelt.“ Nun war sie es, die seufzte. „Cappuccino? Kaffee? Espresso? Zucker? Milch?“ Sie sah Eames fragend an, während der sich in ihrem Büro umsah, dann holte sie für sie beide die Getränke in der kleinen Küchenzeile. Während die Kaffeemaschine schnaufend ausspuckte, was sie ihr abverlangte, schüttelte sie lächelnd den Kopf. Zwei arme Hunde, die geprügelt wirkten. Sie wollte gern beiden helfen. Beide konnten nicht unterschiedlicher sein. Der eine, der ihr nahe zu sein schien, schaffte es nicht aus sich raus, der andere, der ihr eigentlich ferner war, kam auf sie zu, um mit ihr zu reden. Seltsame Wege, die das Leben da beschritt... oder? Eames hatte sich an den Besprechungstisch gesetzt und sie setzte sich zu ihm, sodass sie sich näher sein konnten. Ein Zeichen des Friedensangebots, das sie ihm machte. Sie zog den Löffel aus dem Milchschaum, schleckte ihn ab, rührte etwas um, strich mit dem Löffel am Rand entlang. Dann sah sie ihn fragend an. „Ein Gespräch zwischen zwei normalen Menschen... Wo drückt der Schuh?“ Eames Er ließ sich von Ariadne einen Cappuccino machen und nahm Platz. Das Büro, allem eingeschlossen was er bisher davon gesehen hatte, wirkte überaus professionell. Es war fast eine Spur zu dick aufgetragen, so sehr sprotzte es vor Eleganz. Als wollten sie der Welt beweisen, dass sie zwei ernstzunehmende Erwachsene waren, die einen Fuß in der Tür des ganz großen Business hatten. Den unnötig abfälligen Gedanken versteckte er hinter einem dankbaren Lächeln. Die Hand mit dem angeknacksten Finger lag nur offen auf dem Tisch, während die andere auf dem Oberschenkel seiner übereinandergeschlagenen Beine lag. Er wirkte ein wenig verletzlich, dessen war er sich mehr als bewusst. »Ich fühle mich wirklich etwas albern, dass ich mit dir darüber spreche, aber ich kenne sonst kaum jemanden in New York mit dem ich ein ernstes Gespräch führen könnte.«, sein Lächeln war etwas beschämt, aber überaus charmant. Er versteckte sich scheinbar hinter seiner Tasse, als er den ersten Schluck nahm. ».. Ich habe das Gefühl wir haben eine gewisse Ebene, verstehst du? Das habe ich bei dem Fisher-Fall bereits gemerkt. Arthur rede viel von dir, weißt du..«, noch ein wenig Sahne in den Kaffee. Er hatte das wirklich nicht gewollt. Eigentlich war er gekommen, um einen Brief zu überreichen, einen netten Eindruck zu machen und dann schnell wieder zu verschwinden. Aber nun hatte sich das Blatt gewendet und er musste improvisieren. »Es geht um einen Freund… Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll – er wirkt abwesend und in sich gekehrt. Und ich habe das Gefühl, dass ihn etwas wirklich belastet. Ich komme aber nicht an ihn heran, ich kann tun was ich will. Und ich habe ein wirklich gutes Gespür für Menschen, du verstehst.«, um die Lüge nicht allzu unrealistisch zu gestalten. »Ich wollte eigentlich mit Arthur darüber reden… vielleicht werde ich das auch, wenn ich ihn erwische. Aber vielleicht hast du einen Rat? Ich meine… du bist jung und kreativ. Manchmal sitze ich zu tief in der Suppenschüssel, um noch über den Tellerrand zu schauen.« Ariadne Mit jedem Wort des anderen entspannte sich Ariadne. Sie fand es niedlich, wie er sich ihr gegenüber eingestand, einmal nicht einen Menschen lesen zu können. Sie wusste, wie gut er das eigentlich konnte, bewunderte ihn dafür. Bei ihm hatte es Methode, bei ihr war es nur Instinkt, wenn sie spürte, dass etwas nicht richtig war. Ein wohlwollendes Lächeln lag auf ihren Lippen, als Eames von ihrer ‚Verbindung‘ sprach. Hatten sie eine Ebene? Zumindest darin, Menschen durchschauen zu können, zu merken, wenn etwas nicht stimmte. Sie spürten vermutlich beide gut in ihre Mitmenschen hinein. Bei Dom war es ihr sehr schnell klar, dass sein Trauma tief saß. Und auch bei Arthur wusste sie, dass da etwas tief verborgen war. Etwas Schönes genauso wie etwas Schreckliches. Auch wenn Eames später noch anfügte, dass er auch mit Arthur sprechen wolle, war sie sich sicher, dass sie der bessere und emphatischere Ansprechpartner war. Definitiv! Sie trank ihren Café au lait und hörte ihm zu, nickte gelegentlich, lächelte selbst etwas schüchtern, als er erwähnte, dass Arthur oft von ihr spräche, und warf ein„Wir sind ein gutes Team.“ ein. Als Eames schließlich auf das Problem zu sprechen kam, über das er mit ihr reden wollte, sah sie ihn an und während er sprach tauchte vor ihrem inneren Auge das Bild von nur einer Person auf: Arthur. Es war nicht viel, was Thomas über den Freund sagte: Er wirkt abwesend und in sich gekehrt. Und ich habe das Gefühl, dass ihn etwas wirklich belastet. Dennoch musste sie unwillkürlich an Arthur denken. Sie lächelte müde, trank einen Schluck. Sie hatte bei ihrem Kollegen und Freund genau dieses Gefühl: Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll. Ich komme nicht an ihn heran, ich kann tun was ich will. - genau das dachte sie tagtäglich. Sie atmete tief durch. „Einen Tipp willst du von mir?“, fragte sie resignierend. „Starrt er aus dem Fenster und wirkt, als käme er von sehr weit weg, quasi einmal um die halbe Erde, wenn er dich wieder ansieht? Stürzt er sich in Arbeit, um nicht nachdenken zu müssen? Schläft er kaum und wenn nur schlecht? Wechselt seine Stimmung manchmal von mürrisch zu euphorisch, zu genervt, zu schweigen umbinnen weniger Minuten? Isst er kaum etwas und wirkt wie ein Schatten seiner selbst? Erfindet er Vorwände, um nicht unter Menschen gehen zu müssen? Schläft er lieber in seinem Büro, als dass er nach Hause geht? Zieht er alle fünf Minuten sein Handy aus der Jackentasche, in der Hoffnung, jemand Bestimmtes hat ihm geschrieben? Überprüft er immer wieder, ob dieser seltsame Schlüssel, den er bei sich trägt, noch da ist? Lächelt er dich an und sagt, dass alles in Ordnung sei, obwohl seine Augen trüb und schwarz sind? Und wenn du ihn so siehst: hast du dann das Gefühl, ihn umarmen zu wollen und ihm zu sagen, dass alles wieder gut wird, auch wenn du keine Ahnung hast, um was es geht?“ Sie sah ihn fragend an, fuhr aber fort, noch bevor Eames hätte antworten können. „Ich habe genau die gleiche Situation - mit Arthur. Leider habe auch ich keine Lösung gefunden. Er ist so schrecklich stur und viel zu stolz, um sich einzugestehen, dass er ein Problem hat. Er lächelt alles weg, lenkt stets von sich auf anderes, wenn ich ihn frage, wie es ihm geht. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass er unglücklich verliebt ist. Aber das kann es nicht sein. Erst dachte ich, es hängt mit Dom zusammen, weil er zuletzt vor seiner Rückkehr bei ihm gewesen war. Aber das war es auch nicht. Dann dachte ich, es sei sein Bruder, der versucht, ihm das Leben schwer zu machen. Aber da hat sich die Situation wieder beruhigt, seit das Finanzamt nichts gefunden hat. Also muss noch etwas sein. Arthur ist etwas über eine Woche weg gewesen. Irgendwas war in der Zeit. Oder jemand. Neulich hat ihm jemand geschrieben. Danach war er ziemlich nervös. Er hat versucht, zu telefonieren, aber niemanden erreicht. Mir ist das nur klar geworden, weil er ungewohnt nervös war, fast ängstlich, aber das ist nur ein Gefühl. Du kennst ja seine stoische Maske. Im Grunde tappe ich im Dunkeln.“ Sie seufzte und sah Eames an. „Ich fürchte also, dass du bei mir doch falsch bist. Ich habe kein Rezept, kein Mittel, keinen Tipp, obwohl ich viel versucht habe. Ob Arthur dir helfen kann? Keine Ahnung. Vielleicht hilft es ihm, mit dir zu reden, um sich selbst zu helfen. Dein Freund und er können ja eine Selbsthilfegruppe gründen.“ Sie lachte leicht. „Treffen der stoischen Dauerleider - oder so.“ sie grinste, wurde dann wieder ernst. „Mein Tipp: finde den, der für den Zustand deines Freundes zuständig ist, und tritt ihm kräftig in den Arsch! Oder: wenn das Leiden berechtigt ist. Tritt deinem Freund in den Hintern. Wenn Arthur so weiter macht, werde ich genau das tun.“ Eames Er wusste nicht viel von Jesse. Eigentlich kaum mehr, als dass Arthur nicht allzu fit ausgesehen hatte, als er an einem der Morgen Bagels gekauft hatte. Aber offenbar hatte er mit seiner Beschreibung bei Ariadne auf einen Nerv getroffen und sie erzählte drauf los. Alles was er nie hatte wissen wollen, bemerkte er. Er war wütend, dass er scheinbar nicht zur Wut berechtigt war. Und traurig, dass seinen Tränen scheinbar nichts wert gewesen waren im Vergleich zu Arthurs Leid. Dieses ganze Spiel war verworren. Er war wütend aus so schrecklich dummen Gründen. Er konnte nicht verstehen wieso Arthur ihn in Italien hatte sitzen lassen. Mit diesem lächerlichen Brief. Ganz allein mit diesem Rattenschwanz, der auf eine ihrer Handlungen in Italien gefolgt war. Allein war nie ein Problem gewesen. Aber wieso ausgerechnet, als er endlich bereit gewesen war die Mauern einzureißen und Arthur hereinzulassen? Etwas zu zulassen. Difficult not to feel a little bit disappointed and passed over Er hatte nur einen einzigen friedlichen Moment gewollt. Einen Tag zusammen in Italien. Jetzt fühlte er sich… indifferent. Er war dem Wahnsinn seit Italien jeden Tag einen Zentimeter nähergekommen. Wer war nun verantwortlich zu machen, für dieses Dilemma? Dem Chaos trotzend, das in ihm vor sich ging, nickte er verständnisvoll, als Ariadne weiter berichtete. Auch, als sie ihren Tipp abgab. „Mein Tipp: finde den, der für den Zustand deines Freundes zuständig ist, und tritt ihm kräftig in den Arsch!“ »Ein guter Rat.«, antwortete er schmunzelnd. Erst mal keine schlechte Idee, die sie da hatte. Aber so sehr er wütend auf sich selbst war, so wütend war er auch noch auf Arthur. Nachdem sie geendet hatte, war er etwas nachdenklich seinen Sitz gesunken. „… wenn Arthur so weiter macht, werde ich genau das tun.“ »Oh ja, tu das.«, ermunterte er sie heiter. »Ich bezweifle, dass man ihm anders helfen kann.« Zu wissen, dass Ariadne sich um Arthur sorgte, fühlte sich an wie saures Aufstoßen. Sie würde ohnehin nicht zu ihm durchdringen; niemand tat das - niemand außer mir - da war sich Eames fast sicher. Und dennoch war er nun teilweise erleichtert. Der sich windende, paradoxe Teil von ihm, der kein gänzliches Arschloch war, war sogar überaus erleichtert darüber, dass es da noch jemanden gab, der sich um ihn kümmerte (auch wenn es sicherlich niemanden gab, der sich besser um Arthur Darling kümmern konnte, als Thomas Eames selbst). »Danke. Du hast mir sehr geholfen; mehr als du vielleicht glaubst.«, seufzte er und leerte seine Tasse nun zügiger. Unvermittelt schnell stand er auf. Nein, er war nicht bereit, jetzt schon den Schritt zu tun. Arthur hätte anrufen können. Er hatte die Nummer in Mombasa, unabhängig von einem Handy. Eames traute keinem Mobilgerät länger als die Dauer eines Jobs; auch das war ein altbekannter Fakt. Here I am expecting just a little bit too much From the wounded but I see through it all and see you »Mir fällt gerade ein, ich muss dringend noch einkaufen. Mein Flug nach Kenia geht in vier Stunden und ich wollte noch bei Yusuf vorbeischauen. Komm her, Kleines.« Er griff nach der Hand der leicht verwirrt wirkenden Ariadne und zog sie auf die Beine in eine innige Umarmung. Sie fühlte sich gut an, klein und herzlich, auch wenn sie sich offenbar vor Überraschung nicht gut auf die plötzliche Intimität einlassen konnte. »Grüß Arthur von mir, wenn du ihn siehst.« Es bedurfte nur eines kurzen Ablenkungsmanövers, um Ariadne noch einmal zurück ins Büro zuschicken. Nur ein: „Oh, ich glaube ich habe meine Brieftasche bei dir liegen lassen, könntest du noch einmal nachsehen?“, wodurch Eames genug Zeit hatte einen Zettel unter Arturs Bürotür hindurch zuschieben: 0212 5567785 Ruf diese Nummer an, es ist wichtig. Wir sehen uns, Eames Den Brief, der ebenfalls in seiner Innentasche ruhte, behielt er erst einmal für sich. Die Information, dass Arthur gerade bei seiner Ex-Freundin herumschwänzelte, hatte ihm genug Grund gegeben diesen erst einmal für sich zu behalten. Sie wechselten noch ein paar flache Sätze, dann drehte er Ariadne den Rücken zu und verließ das Büro ein letztes Mal als „netter Kerl“. Bei ihrer nächsten Begegnung würde sie ihm nicht mehr vertrauen. Wahrscheinlich nie wieder. Er kannte diesen Gedanken und das Gefühl, was damit einherkam sehr gut, aber dieses Mal brachte es ihm eine perverse Genugtuung. Er vermisste Arthur, aber noch mehr war er verletzt und wütend und darüber war ihm eine mittelmäßige Architektin kein Verlust. oh well, oh well apparently nothing apparently nothing at all -----///------ Arthur Arthur betrat den Fahrstuhl, diesmal war er zu müde, um die Treppen zu laufen. Er war allein darin, lehnte sich an die Wand, sein Kopf berührte das kühle Glas des Spiegels, seine Augen schlossen sich, er lehnte sich an eine breite Schulter, fühlte einen Moment in eine Ruhe bringende Umarmung hinein. „Wie hast du das geschafft?“, hatte seine Schwester ihn gefragt und ihn völlig perplex angesehen. „Ich wusste ja, dass nur du es schaffen würdest!“, hatte seine Mutter angefügt, ihm scheu über den Arm gestrichen, ihn leicht gedrückt. War das ihre Geste einer Entschuldigung? War das ihre Art ihm zu sagen, dass sie ihm dankbar war? Arthur fühlte sich leer, ausgelaugt, kraftlos. Die letzten sechs Stunden waren die Hölle gewesen. Seine Mutter hatte ihn angerufen, dass es seinem Vater nicht gut ginge. Er habe sich beim Heimwerken verletzt, jetzt habe sich die Verletzung entzündet. Sein Vater habe glasige Augen, hatte sie am Telefon gesagt. Fakt war, dass er kurz vor der Blutvergiftung gestanden hatte und bereits glühte. Arthur hatte das Meeting mit Kimberly unterbrochen, war nach Hause gefahren, dann hatte der Kampf begonnen. Er hatte seinem Vater keine andere Wahl gelassen, als ihn ins Krankenhaus zu bringen. Was folgte waren eineinhalb Stunden Beschimpfungen, Beleidigungen, Verachtung, Hass. All das, was er schon so oft gehört hatte - und noch mehr. Er hatte die Schimpftiraden an sich abperlen lassen, ihn ungerührt höflich behandelt. Er hatte all seine Geduld aufgebracht, hatte auf Durchzug geschaltet. Nun lag sein Vater im Bett, friedlich schlafend. Arthurs Blick hatte auf ihm geruht, bevor er gegangen war, und ein Teil in ihm flüsterte ihm auch jetzt noch zu, dass er ihn einfach hätte sterben lassen sollen, dass er diesem Mann nichts, aber auch gar nichts schulde. Das Klingeln des Fahrstuhls riss ihn von Eames‘ Schulter weg, ließ ihn die Augen öffnen. Die Türen öffneten sich. „Ted hat Dienst, sonst hätte ich ihn angerufen“, war die Aussage seiner Mutter gewesen. Arthur hatte den Blick gewendet und sie angesehen. Ted. Und gestern? Und vorgestern? Wo war das Mustersöhnchen da gewesen? Arthur wusste, warum sie ihn angerufen hatte und nicht Ted. Er hatte die Krankenhausrechnung bereits Anzahlen dürfen. Außerdem fuhr sein Bruder ganz gut mit seiner Einstellung, der alte Herr wisse schon, was er tue. Arthur hatte gelächelt. „Ist ja alles gut gegangen“, stellte er in den leeren Raum und es hallte daraus zurück: “Du willst mich ja nur umbringen! Du Mörder! Ich hasse dich!“ Warum tat er sich all das immer wieder an? Es war dieser Moment, in dem er sich vorgenommen hatte, nicht mehr falsch zu lächeln, sich nicht mehr benutzen zu lassen, loszulassen von dem, was nie existiert hatte. Er hatte genug. „Ich möchte nie wieder von euch angerufen werden“, hatte er zum Abschied gesagt und sich nicht in eine dieser aufgezwungenen Umarmung ziehen lassen. „Ich möchte, dass ihr mich nie wieder anruft, wenn ihr dabei kein ehrliches Interesse an mir habt. Hast du verstanden, Mutter?“ Sie hatte ihn nicht ansehen können, hatte nur genickt. Dann war er gegangen mit der Absicht, nie wieder zu kommen. Als er das Büro betrat, fing er einen Geruch ein, irgendetwas, das Erinnerungen weckte. Oder war es schon im Lift gewesen? Irritiert ging er durch den Flur auf sein Büro zu, öffnete die Tür und erblickte einen Brief. Zögernd hob er ihn auf, stellte seine Tasche ab, öffnete ihn. Sein Herz beschleunigte, sein Atem ging schneller, sein Kiefer mahlte aufeinander. Aus seinem Innersten drängte sich ganz ungewohnt ein Schrei nach oben, der sich ganz dringend entladen musste. „Aaaargh! Scheiße! Du blöder Mistkerl! Du elendiges Arschloch!“ Mit einer schwungvollen Bewegung räumte er den Tisch ab, schwer atmend blickte er auf das Chaos am Boden, das Chaos in sich. Er hatte das sehr dringende Bedürfnis, etwas zu zerstören! Doch er setzte sich und legte seinen Kopf auf die Tischplatte, schloss die Augen, um begreifen zu können, um durchzuatmen, um sich zu beruhigen. Eames war hier gewesen! Hier in ihrem Büro - und er hatte nicht auf ihn gewartet. Hier in New York - und er hatte ihn nicht sehen wollen. Hier in seiner Nähe - und er hat ihm nicht seine neue Telefonnummer gegeben. Die Nummer auf dem Zettel war es gewiss nicht. Arthur hatte das Gefühl, ein unfassbarer Schmerz zerreiße ihn. Und doch war da auch eine Stimme: Du bist selbst schuld! So konnte es nicht weitergehen. Er verlor die Kontrolle. Er kannte sich selbst nicht mehr. Nichts fühlte sich richtig an. Dieser Mensch, von dem ich rede, ist nichts als ein elender Lügner. „Wann war er da?“, fragte er, als er Ariadnes Schritte hörte, und sich abrupt wieder aufrichtete. Er blickte auf die Uhr, es war bereits Abend. „Und hat er gesagt, wo er wohnt? Was er macht? Wo er zu finden ist? Irgendeine Nachricht für mich?“ Ariadne Ariadne hörte Schritte im Flur. Arthur. Sie traute sich nicht, ihm entgegen zu gehen. Das alles heute war so seltsam gewesen. Eames Auftauchen, seine Bitte um Gehör, seine plötzliche Nähe. Die unerwartete Umarmung hatte sie verwirrt. Waren sie sich so nahe? Oder war das sein Dank? Aber so richtig wusste sie gar nicht, ob sie ihm wirklich hatte helfen können. »Danke. Du hast mir sehr geholfen; mehr als du vielleicht glaubst.« Etwas hatte sich in Eames‘ Gesichtsausdruck geändert. Dann diese Ablenkung mit dem Geldbeutel. Irgendwie nagte das an ihr und die vergangenen Stunden waren weit weniger produktiv, als ihr lieb gewesen wäre. Etwas übersah sie - oder wollte sie nicht wahrhaben. Das mulmige Gefühl, das sie auf seinen Wunsch hin weggeschoben hatte, war präsenter denn je. Arthurs Aufschrei ließ sie zusammenzucken, dann die Flüche, das Poltern. Sofort sprang sie auf und lief hinüber. Als sie durch die Tür blickte und Arthur sah, da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie, die sich gedanklich dafür gelobt hatte, ein Gespür für Menschen zu haben! Sie, die dachte, sie würde sich nie täuschen lassen! Sie, die es hätte besser wissen müssen! Sie war eingelullt, umgarnt, getäuscht worden. Der Forger hatte zugeschlagen. Sie war auf ihn hereingefallen. Seltsamerweise war das gar nicht das, was sie störte. Vielmehr irritierte sie, dass sie endlich begriff, was los war - zumindest im Ansatz. Sie begriff, dass es nie um einen Freund gegangen war. Sie begriff, dass es immer nur um Arthur gegangen war. Um Arthur und Eames selbst. Ab dem Moment, in dem sie so unüberlegt von seiner Ex-Freundin gesprochen hatte, hatte sich etwas verändert. Jetzt sah sie das ganz klar! Jetzt schon... Sie war so blöd gewesen, auf ihn hereinzufallen. Sie war so dumm, so naiv gewesen, so verdammt dämlich!!!!! Ariadne schluckte, als sie Arthurs Blick sah. Da war nichts Aufgeräumtes mehr. Darin war nur noch Chaos zu sehen, Chaos und Schmerz und und Wut und Enttäuschung und Sehnsucht und Hilflosigkeit. Das Lächeln war fort, weg. Was sie sah, erschreckte sie. Sie trat ein und blickte zur Uhr. „Wenn zumindest das gestimmt hat, dann sitzt er bereits im Flieger nach Kenia“, sagte sie leise und sah hilflos dabei zu, wie Arthur in sich zusammensackte und die Stirn auf dem Tisch ablegte. „Ich soll dir schöne Grüße ausrichten.“ Er lachte trocken auf. Sie setzte sich zu ihm. Es wurde eine lange Beichte. Arthur hörte ihr zu, die Augen geschlossen habend, regungslos, um Fassung kämpfend. „Es tut mir so leid, dass ich auf ihn hereingefallen bin. Es tut mir leid, dass ich so viel geredet habe - über Dinge, die ihn nichts angehen... Er hat mich komplett eingelullt. Ich komme mir so dumm vor. Wenn ich ihn jemals wieder zu Gesicht bekomme, dann...“ Sie verstummte, als sie das zweite Mal an diesem Tag eine unerwartete Umarmung erhielt. Diese erwiderte sie dankbar und innig. Arthur fühlte sich seltsam kalt an, kalt und zittrig. Entkräftet. „Lass das“, hörte sie ihn sagen. „Du kannst nichts dafür. Die Situation ist verworren und ich bin an seinem Verhalten nicht unschuldig. Im Gegenteil. Mach dir keine Vorwürfe. Mach ihm keine Vorwürfe.“ Es folgte ein sehr offenes Gespräch. Nie hatte sie sich Arthur so nahe gefühlt, auch wenn sie ahnte, dass sie noch immer nur an der Oberfläche kratzte. Im Grunde war ihre Einschätzung richtig gewesen. Arthur und Eames. Eames und Arthur. Ein seltsames Bild, aber kein hässliches. Nein, gar nicht. Hätte sie es auch nur geahnt, sie hätte etwas anderes zu Eames gesagt. Nein, sie hätte ihm in den Arsch getreten. Oder Arthur - bevor Eames so weit sinken musste. Sie nahm es sich für die Zukunft vor. „Ich brauch nen Tag frei.“ Sie nickte schweigend. Das konnte sie gut verstehen, alles konnte sie nun besser verstehen. „Nur einen?“ Arthur Sein erster Gedanke war gewesen, dass Eames ein feiges Arschloch sei, dass er es nicht einmal schaffte, ihm gegenüber zu treten, dass er nicht Mann genug war, ihm ins Gesicht zu sehen. Warum verhielt er sich so?! Warum kam er nicht zu ihm? Warum hatte er ihn nicht sehen wollen? War alles nur eine Lüge? War alles nichts? Galt der Schlüssel nichts? Hatte jener keine Sehnsucht nach ihm? Fühlte er nichts? Seine immerwährende Begleiter der letzten Tage des Schweigens bäumten sich auf und prasselten auf ihn hernieder. You see a man free who thinks he has to buy a key To a door but he can't 'cause he's poor and he can't Fall down anymore 'cause he's already on the floor And his heart is broken and all and this is his scar Doch während Ariadne berichtete, formte sich mit der Zeit auf diese Fragen eine sehr klare Antwort. Eine, mit der er erst einmal zurechtkommen musste. Eine klare Erkenntnis, die er schon in Italien hätte haben müssen. In dem Moment, in dem die Halle eingestürzt war, zusammen mit Jobs. In diesem Moment hatte begonnen, was ihn jetzt zu Boden drückte. Zugleich hatte Arthur eine unwiderrufliche Erkenntnis: er brauchte Eames mehr denn je, seine Stimme, seine Wärme. Er brauchte ihn trotz ihrer Differenzen und ihrem Unvermögen, aufeinander zuzugehen. Er brauchte ihn trotz der Stimme, die das Wort Lügner wieder und wieder wiederholte. Er brauchte Eames, und das Wichtigste: Eames brauchte ihn. Doch sie waren mal wieder weiter auseinander denn je. Um das zu ändern, mussten einige Dinge geschehen. Er sah es so deutlich vor sich. Zuerst musste er aus seinem See voll Selbstmitleid raus. Wer war eigentlich hier der Egoist? Sie beide. Sie waren beide sture, stolze Einsiedler. Aber es gab eigentlich jetzt kein allein mehr, nicht mehr gänzlich. Nicht, wenn sie ihr something wirklich wollten. Ariadnes Schilderung hatte ihm klar gemach, dass Eames an ihm festhielt, dass nur das Ego gelitten hatte, zurecht gelitten hatte. Wie seines. Es musste sich etwas ändern. Und ab heute würde sich etwas ändern. Ab heute ließ er einen Brocken Ballast hinter sich, der ihn schon viel zu lange blockierte, der zu lange ihm im Weg stand. Zeit sich wirklich um sich zu kümmern. Zeit sich frei zu machen. Durch diese schöne Anstrengung mit sich selbst bekanntgemacht, hob er sich plötzlich, wie an seiner eigenen Hand, aus der ganzen Tiefe, in welche das Schicksal ihn herabgestürzt hatte, empor. Er atmete durch. I wanna be a lot of things, so much pent up inside of me I wanna be stronger, too long I've sat here undecidedly Planning strategy, half of me know it's all just a fallacy Failing miserably, drastically and then I crash dramatically Into a wall I've hit a hundred times before Arthur fuhr nach Hause. In dieser Nacht schlief er erstaunlich gut und ruhig. Das Wissen darum, dass es Eames zumindest körperlich gut ging, beruhigte ihn, nahm ihm ein Stück Last. Der Rest ergab sich, wenn sie sich wiedersahen. Wenn sie sich in die Augen sahen, ohne Groll. Wenn sie über Italien, über Tokio reden und sich zuhören könnten. Doch erst musste er sich wieder aufrichten, wenn sich etwas ändern sollte. Dann konnte er Thomas wieder gegenübertreten. ‘Wir sehen uns.‘ Is there a way for me to grow? I walk to you, rain falls from you Can you wash me, can you drown me, please? Er war lange nicht mehr trainieren gewesen, er gönnte es sich. Er war lange nicht mehr in seiner Wohnung gewesen, ohne zu arbeiten. Er hatte lange keine Musik gehört, gelesen, sich entspannt. Er holte es nach, schaffte es, den Kopf frei zu bekommen. Er musste sich sortieren und die Prioritäten ändern. Dann rief er die Nummer an, die Eames ihm gegeben hatte. Er erreichte niemanden, nur einen anonymen Anrufbeantworter. Er hinterließ eine Nachricht, seinen Namen, die Nummer eines Prepaid-Handys. Er blickte auf die Uhr, Mombasa. Der Kongress war in fünf Tagen. Genug, um hin und zurück zu kommen. Doch: Arthur wusste, wenn er nach Mombasa flog, würde er nicht mehr so bald zurückkehren. Ariadne würde es auch alleine schaffen, sie würde ihm den Rücken freihalten. Aber angesichts der Situation, dass er seine Beziehungen hatte spielen lassen, war es ungünstig. Noch war er nicht ganz an dem Punkt, für Eames alles stehen und liegen zu lassen. - Doch, diesmal vielleicht schon. Er würde es entscheiden, wenn er in Kenia angerufen hatte, wenn Eames zurückrief. Er buchte einen Flug für den nächsten Tag, druckte das Ticket aus und pinnte es an seine Wand. Er war lange nicht mehr essen gewesen. Sein Ziel an diesem Abend war klar: La Esquina Ihr Abend damals war eine schöne Erinnerung, auch wenn die Vorboten des Komas ihn hätten warmen müssen. Ob Eames in den letzten Tagen da gewesen war? Er betrat den Keller und blickte sich nach Candela um. Er sah sie nicht. Ein Kellner wies ihn auf einen Platz und er fragte ihn nach der Mexikanerin. Er zuckte mit den Schultern. „Ist heute früher gegangen.“ Arthur sah ihm an, dass er mehr wusste, als er sagen wollte, und dass er nervös war. In diesem Moment klingelte das Handy. „Hallo Arthur! Hier ist Candela. Hast du Zeit? Es ist etwas passiert.“ Sie hatten sich getroffen, sie hatte ihm erzählt, was passiert war. Als er am nächsten Morgen seinen Flug stornierte, fragte er sich, ob es ein schlechtes Omen gewesen war - wie damals vor dem Koma. Die Situation war schwierig, aber nicht unlösbar. Er könnte ihr helfen, könnte mit ihren Methoden herausfinden, wo sich die Kunstgegenstände von Candelas Familie befanden. Aber nicht allein. Dafür brauchte er ein Team. Arthur Vier Tage waren vergangen, seit er die aufgelöste Candela in ihrer Wohnung aufgesucht und mit zu sich genommen hatte, damit sie wirklich ungestört reden konnten. Seitdem recherchierte er und trug Informationen zusammen, um sich ein klares Bild von der Situation zu machen. Offenbar war ihr Ex-Freund, von dem Eames sie einst befreit hatte, nun Mitglied in einer Bande von Kunstdieben, die in Mexiko nur „Los espíritus“ genannt wurden – die Geister. Um sich zu beweisen (das glaubte zumindest Arthur), hat er sein Wissen um Candelas Familie genutzt, und der Bande Zugang zu einigen Kunstgegenständen verschafft. Darunter zwei Gemälde, aber auch Grabschmuck der Azteken, Keramiken und andere Kulturgegenstände waren darunter. Candelas Vater arbeitete als Kunsthistoriker im „Museo de Antropología e Historia“ in Merida auf Yucatan. Natürlich steht nun er im Verdacht, gemeinsame Sache mit den Dieben gemacht zu haben, und befindet sich in Untersuchungshaft. Bei Arthurs Recherchen stellten sich die ‚Geister‘ immer deutlicher als eine skrupellose Gruppe von Auftrags-Dieben und Bankräubern heraus, die durchaus auch über Leichen gingen und auch Unschuldige erschoss. Sie waren auf Motorrädern unterwegs, waren schnell und gut organisiert und hinterließen keine Spuren. Sprengsätze mit Säure und Öl, die sie nach ihrem Diebstahl in den Geldtransportern zündeten, zerstörten beispielsweise jegliche Fingerabdrücke oder andere Spuren. Daher weiß niemand, wer hinter der Bande steckt. Fakt war außerdem, dass die örtliche Polizei zum Großteil zwischen den Kartellen aufgeteilt war, und offenbar wenig Interesse bestand, der Bande, die auch schon in Kalifornien zugeschlagen hatte, auf die Spur zu kommen. Die anderen, die noch ihre Ehre aufrechthielten, waren letztlich machtlos. Von dieser Seite konnten sie keine Hilfe erwarten. Candela ahnt, dass ihr Ex seine Finger im Spiel hat, da er ihre Familie vor kurzen einen angeblichen „Höflichkeitsbesuch“ abgestattet hatte. Im Grunde konnte sie sich nicht sicher sein. Arthur recherchierte gründlich und ausdauernd, um alle Informationen heranzutragen, die ihnen wichtig sein konnten. Dass er gewillt war, Candelas Vater zu helfen, stand außer Frage. Allein das „Wie?“ war noch nicht geklärt. Er brauchte ein Team, ein funktionierendes, damit sie einer perfektionistischen Bande wie dieser das Handwerk legen konnten. Er brauchte sein Team von früher. Der Kongress war an diesem Abend und Dom hatte sich angekündigt, ebenfalls zu kommen. Zwei Stunden bevor jener ins Flugzeug stieg, schickte ihm Arthur unangekündigt alle Dateien, die er gesammelt hatte. Er würde den Flug über Zeit haben, zu lesen. Und das würde er, da war sich Arthur sicher – so wie früher auch. An jenem Abend neulich hatten sie über die frühere Jobs gesprochen. Das Leuchten in Doms Augen war nicht zu übersehen gewesen und hatte Arthur sehr beruhigt. Dom, eine gute Freundin braucht dringend Hilfe. Eine Extraction bei ihrem Ex-Freund könnte uns helfen, auf die Spur der Diebe zu kommen. Ich könnte mir vorstellen, dass es keine große Sache ist. Vermutlich springt dabei mehr heraus, als es augenscheinlich ist. Ich habe Verbindungen zu einem der Kartelle in Cancun gefunden. Freue mich, wenn wir uns später sehen! Arthur Eine Skizze, wie es ablaufen könnte, hatte er beigefügt. Stichpunkte, an welchen Schrauben sie drehen konnten. Tatsächlich hatte er schon begonnen über mögliche Labyrinthe nachzudenken, mögliche Traumebenen. Wobei der Exfreund sicher kein großes Hindernis darstellen würde. Schwieriger würde es dann werden, wirklich wieder an das Diebesgut heran zu kommen. Die Arbeit an dem Fall machte Arthur Spaß. Ariadnes und sein Projekt litt darunter nicht. Sie waren gut vorbereitet und Arthur hatte ohnehin das Gefühl, wesentlich mehr Energie zu haben, als noch vor ein paar Tagen. Sie würden auf dem Kongress gut sein, verdammt gut – da war er sich sicher. Wenn er den hinter sich gebracht hatte, dann kam Candela dran. Nur die Frage nach dem Team war noch nicht entschieden. Von Candela wusste Arthur, dass Eames etwas Wichtiges zu tun habe. Deswegen hatte er sie an ihn verwiesen. Doch Arthur spürte deutlich, dass Candela Angst hatte, Angst vor ihrem Ex – noch immer. Und er merkte außerdem, dass es ihr nur recht wäre, wenn Eames mit dabei wäre, auch wenn jener ihrem Ex sicher nicht über den Weg laufen sollte. Sie kannten sich, das würde den Einsatz des Fogers erschweren. Nichts desto trotz würde er helfen können. Das wusste er. Allein schon, weil er sich im Milieu der Kartelle besser auskannte, als Dom oder er selbst. Daher griff er zum Hörer und rief in Mombasa an. Es war dort bereits Nachmittag. Im Hintergrund hörte er den typischen Lärm einer Kneipe, Gläserrücken, Stimmengewirr, Lautstärke, ein Fernseher lief, vermutlich Fußball, jemand schrie eine Bestellung in Richtung Küche. „I’m Arthur. I have a message for Eames“, schrie er mehr als dass er sprach, nachdem am anderen Ende der Leitung bereits zweimal nachgefragt worden war, wer da dran sei. „Please tell him: Candela needs him. And Arthur, too. He has to check his emails.“ Auch ihm hatte er seine Zusammenstellung auf eine Plattform gelegt. Nun blieb abzuwarten, was geschehen würde. Jetzt würde er erst einmal losfahren, um Dom vom Flughafen abzuholen. Dom Als alteingesessenes Extractor (und einer der ersten und besten überhaupt), fühlte es sich merkwürdig an, wenn der Point Man anrief und einen Fall hatte. Das war nicht die klassische Art. Dennoch fühlte Dom dieses sonderliche Kribbeln im Nacken, wenn er daran dachte bald wieder in seiner alten Profession tätig zu sein. Er war lange genug einfach nur Daddy und Dozent gewesen; hatte sich lange genug in seiner Einfamilienhaus-Siedlung mit den perfekten Vorgärten versteckt. »Wird das jetzt wieder zur Gewohnheit?«, war die erste Frage, die er Arthur stellte, nachdem sie sich zur Begrüßung umarmt hatten. Es hatte eine Zeit gegeben, wo Dom jedes Muttermal in Arthurs Gesicht im Schlaf hätte aufsagen können, da sie sich quasi permanent gesehen hatten. Mittlerweile war diese Erinnerung bleicher geworden, aber er wusste, dass ein Teil dieser alten Vertrautheit noch in ihnen steckte. Mal hatte einiges mit sich genommen, als sie gestorben war, aber sie hatte auch einen Platz freigemacht. Und Dom hatte das Gefühl, dass sie dabei waren die Lücke zu füllen. Sie brainstormten in einem geschützten Raum, in Doms Traum in einem Cafee in Tokyo. Wieso ausgerechnet Japans Hauptstadt? »Trotz unschöner Ereignisse, hatten wir hier doch letztendlich eine verdammt gute Zeit, oder?« Dom ließ sich erklären was Arthur wusste, machte sich ein Bild von Candela, ihrem Vater und besagtem Ex-Freund, um den es letztendlich ging. »Wenn er sich in Yucatan aufhält, dann sollten wir nicht allzu lange zögern. Wir brauchen mehr Informationen über sein persönliches Umfeld, das kriegen wir nur, wenn wir vor Ort sind.« Sie mussten ein Szenario erschaffen in dem sich der Kerl wohlfühlte und wie es schien hatten sie nicht allzu viel Zeit. Dom wusste aus persönlicher Erfahrung, dass wertvolle Gegenstände unter Umständen schnell den Besitzer wechselten, bis sie an ihrem endgültigen Bestimmungsort angekommen waren. »Ich habe noch eine Frage.«, seine Finger strichen nachdenklich über sein Kinn und sein Blick war ins Unbestimmte gerichtet. Letztendlich wählte er seine Worte mit Bedacht, als er die letzte Frage stellte. Er hatte ihr Gespräch auf der Terrasse in Los Angeles nicht vergessen. »Brauchen wir einen Forger?« Oder auch: Muss Eames unbedingt dabei sein? Willst du ihn dabei haben? Und was passiert, wenn er kommt? Arthur Ja, sie hatten hier in Tokio eine verdammt gute Zeit gehabt. Gerade die Zeit direkt vor dem Job war so intensiv und schön gewesen, dass der Absturz umso heftiger gewesen war. Ein K.O. mit einem Schlag, mitten in den Magen, ins Herz. Arthur Empfand Doms Erinnerung an Tokyo vertraut und schmerzhaft. In diesem Café hatten sie sich am Morgen nach dem Billardspiel getroffen. Eames hatte ihn wie zufällig am Nacken berührt, ihm über die Schulter gestrichen. Er hatte so getan, als sei der vergangene Abend nie geschehen, als gäbe es keine tiefere Verbindung zwischen ihnen. Seit ein paar Tagen wusste er, was er Eames damit angetan hatte, wie sich jener gefühlt haben muss, wieder und wieder und wieder. Er war ein Arschloch gewesen, war es zum Teil immer noch. Lernen durch Schmerz... Er war seit damals nie wieder in Japan. Vielleicht sollte er das dringend einmal nachholen, am besten nicht allein. Wenn Eames und er dieses Kapitel in ihrem Leben endgültig abschließen wollten, dann müssten sie gemeinsam nach Tokio gehen - und zwar nicht auf Traumebene. Erinnerungen sind nur Grundierungen, die nachträglich ausgeschmückt und veränderte werden können. Arthur war vollkommen klar, dass sie keine Zeit zu verlieren hatten. Würde Candelas Vater erst einmal der Prozess eingeleitet, wäre es vorbei. Die Mühlen zermahlten einen kleinen Fisch, der als Opfergabe dargereicht worden ist, ziemlich schnell. „Mateo Sánchez lässt sich gerade bei seiner Mutter durchfüttern. Er postet auf Twitter ihr Essen. Außerdem weiß ich, in welcher Kneipe er abhängt und dass er eine Schwäche für Wetten hat“, ergänzte er zu Candelas Ex. „alles andere klärt sich vor Ort. Ich habe für Ariadne und mich einen Flug für morgen Mittag gebucht“, erklärte er, zufrieden mit der Reaktion Doms. “Wegen mir gerne..“, hatte er bei der Begrüßung auf die Frage geantwortet, ob es wieder zur Gewohnheit werden würde. Verdammt, er vermisste es. Es war ihm leichtgefallen, die nächsten Schritte auf der Baustelle nach einer Besprechung der Bauaufsicht wirklich zu überlassen. Sicher würde es nicht ganz so rund laufen, wie wenn er vor Ort alles überprüfte, aber in Zeiten der modernen Medien musste er nicht mehr vor Ort sein. Und Ariadne war echt glücklich, als er ihr die Option unterbreitet hatte, mit nach Mexiko zu kommen. „Wir sehen uns um und bereiten ein Szenario vor. Ich habe einen wirklich brillanten Hacker an der Hand und würde ihn mit ins Team holen. Das macht vieles leichter. Ist das in Ordnung für dich?“ Arthur wusste schon, bevor Dom sprach, was jener noch geklärt haben wollte. »Brauchen wir einen Forger?« Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen. „Einen Forger brauchen wir vermutlich nicht“, antwortete er direkt. „Sánchez kennt ihn, was eher gefährlich als hilfreich sein könnte.“ Er streckte sich leicht. Ja, das konnte sehr gefährlich für Eames werden, was Arthur gar nicht schmeckte. „Aber Eames brauchen wir dennoch. Ich habe schon versucht ihn zu kontaktieren, aber er muss wohl beschäftigt sein. Vielleicht schafft er es gar nicht. Ich habe noch keine Rückmeldung. Allerdings würde es Candela gut tun. Sie hat Angst vor ihrem Ex und Eames ist der Rücken, der ihr Zuversicht gibt.“ Soweit zu Candela. „Alles andere wird sich klären und kein Problem darstellen. Ich werde das klären.“ Er sah Dom fest ins Gesicht mit einem Mach dir keine Sorgen, wir sind erwachsene Menschen- Ausdruck, der Dom gewiss nur bis zu einem gewissen Punkt beruhigte. Doch Arthur hatte definitiv vor, ein paar Sachen zu klären. Arthur wollte nicht mehr jemand sein, der davonlief. Er wusste, dass er eine große Ladung Frust und Enttäuschung würde abfangen müssen. Vielleicht auch die Erkenntnis, dass es kein something mehr gab, vielleicht auch das Wissen, dass es dieses nie gegeben hatte. (Wobei er das nicht mehr wirklich glaubte.) Er würde sehen, was geschah, und er würde damit umgehen können. Dessen war er sich sicher. Doch jetzt stand erst einmal der Kongress an. Dmitrij Teteruk Als wäre Manhatten nicht auch so schon der überfüllteste Ort der Welt, schienen sich die Menschen nahezu zu stapeln, wenn ein Event im Javits Center stattfand. So auch während des „New Yorks Architektur im Wandel“-Kongresses, der seit einem halben Jahr groß angekündigt worden war. Kein Event das Dmitrij aus reinem Interesse am Thema besuchen würde. Sicherlich war „Architektur“ im weitesten Sinne mehr in sein Sichtfeld gerückt; immerhin hatte sich in der Traumindustrie ein neuer Geschäftszweig für ihn eröffnet. Aber welche süßen, neuen Projekte von den achso-engagierten, jungen Durchstarter-Architekten gerade boomten tangierte ihn dann doch eher peripher; wenn überhaupt. Und doch war er vor Ort, hatte sich ein schickes Hotelzimmer am Central Park gebucht und flanierte nun in seinen schwarzen Krokodillederschuhen über die 11th Avenue in Richtung des Javits Centers. Er musste nicht anstehen; er kannte da jemanden. New York war nicht seine Home-base aber eine seiner Spielwiesen geworden. Um ihn herum tümmelten sich Journalisten und das „Who is who“ der New Yorker Architektur-Elite; Peter Pennoyer, Annabelle Selldorf, Steven Harris; wichtige Persönlichkeiten, die Dmitrij allesamt einen Scheiß interessierten. Er trank einen Martini mit Esther Sperber von Studio ST Architecture; erkannte den frischgebackenen Chief des New Yorker Police Departments Jerry Monahan am Pissoir und fühlte sich alles in allem recht wohl. Es waren sogar ehemalige Klienten dabei; schutzbedürftige, reiche Saftsäcke. Als er sich heimisch gemacht hatte; das Gebiet ausgelotet hatte und sein Gesicht ausreichend in die Kameras gehalten hatte, die auf die Personen gerichtet war mit denen er anstieß; machte er sich endlich auf, um sein wahres Ziel für den heutigen Tag zu verfolgen. Die Newcomer-Halle war sicherlich nicht die beliebteste. Wie in nahezu jeder Profession wurden auch Neulinge unter den Architekten erst einmal belächelt; gab es doch große, lebende Halbgötter, die mit ihren magischen Händen schier unmögliches vollbrachten. Für diese Messe jedoch brauchte es bereits einiges an Können oder zumindest fantastische Connections (häufig sogar beides), um überhaupt dabei sein zu dürfen. Man würde sich also keineswegs mit halbgaren Konzepten herumärgern müssen. Der Stand von „Fontaine & Moore Architects“ lag nahe des Raucherausgangs, was für einen guten Fluss an Laufkundschaft sorgte. Gerade unterhielt sich eine adrette Reporterin mit einer jungen Architektin, die Dmitrij als Kimberly Peck erkannte. Er hatte schließlich auch seine Hausaufgaben gemacht. Daneben, ebenfalls halb in das Gespräch involviert stand der Grund seines Auftrittes. Er wirkte älter, als damals; irgendwie reifer. Zu ihrer Zeit bei der Navy hatte er den vermeidlichen Jungspund nur schwerlich ernst nehmen können. Zumindest solange bis er sich bewiesen hatte. Danach waren sie ein wirklich exzellentes Team geworden. Sogar mehr als Arthur zu diesem Zeitpunkt begriffen hatte. Er rückte sich die Brille tiefer ins Gesicht und trat dann näher an den Stand heran. Seine Hände waren in seinen Hosentaschen versunken, was seiner disziplinierten Haltung etwas Absurdes verlieh. Er hatte den gewissen elitären Habitus nicht verloren. Das war wahrscheinlich einer der Hauptgründe wieso ihm seine Männer damals so bedingungslos gefolgt waren: er wusste was er tat, er war in der Lage alles zu ertragen, er war der strengste Boss den sie je gesehen hatte und wirkte trotz dessen, als hätte er die Freiheit jedem Klischee zu widersprechen. »Ein interessantes Stück. Was ist das?«, er deutete auf eins der Modelle. Seine Stimme war schwer zu überhören, dazu musste er nicht einmal laut sein. Arthur Der Kongress war purer Stress. Stress, der sich auszahlen würde. Arthur war sich sicher, dass er in der Stimmung, in der er vor ein paar Tagen gewesen war, das hier nicht schadlos überstanden hätte. Nun aber spürte er eine schier endlose Energie, die ihn durch die Präsentation, die Gespräche und Fragen trug, ohne dass sein Lächeln aufgesetzt sein musste. Es lief, und als er mit Kimberly, Ariadne, Dom und einem Glas Sekt anstieß, war er sehr zufrieden mit ihnen. Arthur blickte auf die Uhr, in einer Stunde wäre der Spuk bereits wieder vorbei. Danach würden sie feiern gehen. Sie hatten viele Visitenkarten verteilt, viele aussichtsreiche Gespräche mit Kollegen vom Fach und der Baubranche allgemein geführt. Auch von der Presse kam Rückmeldung zu dem Film, dessen Kosten nicht unerheblich gewesen waren, der sich aber auszahlen würde. Die Publicity, die sie hier abgriffen, würde hilfreich sein für die Folgeaufträge. Dass Kim ihn so sehr unterstützte, obwohl er sie damals so ausgenutzt hatte, wunderte ihn noch immer. Als er sie darauf angesprochen hatte, ihr gesagt hatte, dass er damit gerechnet hatte, die Tür vor Seenadel zugeschlagen zu bekommen, hatte sie mit einem Schmunzeln geantwortet: ‚Ich hatte ja auch profitiert. Ich war mit dem hübschesten und klügsten Studenten zusammen. Es standen viele bereit, mich zu trösten. Und ich konnte mir zumindest einbilden, dass ich die einzige Frau gewesen bin, die du je an deinen schönen Körper rangelassen hast.‘ Er hatte das etwas perplex so stehen gelassen. Dass gerade letzteres nicht ganz richtig war, musste sie nicht wissen, schließlich hatte er mit einem Outing mit ihr Schluss gemacht. Nun stand sie neben ihm, unfassbar attraktiv und selbstbewusst, und legte sich für ihn ins Zeug. Arthur lächelte die Reporterin an, warf hin und wieder einen Kommentar ein. Sie spielten gut zusammen, auch Ariadne kam gut mit ihr zurecht. Arthurs Lächeln erstarb abrupt, als er eine Stimme vernahm, die ihm durch Mark und Bein ging. Arthur spürte, wie sich sein Innerstes verkrampfte, er schloss die Augen und besann sich, ruhig zu bleiben. Atme, Arthur, atme. Er hätte ahnen, nein wissen müssen, dass die Grüße, die Dom ihm hatte ausrichten sollen, ein Vorbote gewesen war, ein schlechtes Omen, wie Nebelschwaden, die ihre sich windenden Finger gierig nach einem Opfer ausstrecken. Als er die Augen öffnete, sah er, dass Kimberly ihn fragend anblickte. Seine Hände entkrampften sich. Aber sein Innerstes nicht. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte er zur Reporterin, nickte Kim kurz zu. Er erzwang sich ein Lächeln, als er sich umdrehte und Dmitrij Teteruk zuwandte. Es war erstaunlich, welch Aura der Macht diesen Mann noch immer umgab, auch wenn er keine Uniform trug. Sie hatten sich seit vier Jahren nicht gesehen und Arthur wäre es recht gewesen, diesen Mann nie wieder in seinem Leben sehen zu müssen. Dmitrij Teteruk war in seinen Augen ein Soziopath, der skrupellos über Leichen ging, um sich zu bereichern. Leider hatte er das damals viel zu spät erkannt, hatte zu lange geglaubt, etwas Gutes zu tun, als er für dessen Seal-Team Übungs- und Einsatzszenarien konstruiert hatte, um die Männer auf ihre Einsätze vorzubereiten. Leider hatte er zu spät gemerkt, dass ihm niemand glauben würde, dass niemand diesen Menschen durchschauen konnte, außer ihm selbst. Leider war ihm viel zu spät bewusst geworden, dass er von diesem Mann nur ausgenutzt worden war, dass er ihn benutzt hatte in vielerlei Hinsicht. Er hatte ihn umgarnt, bis er seine Schwächen kannte, ihn verwoben in sein Netz aus Verbrechen, ihn und seine Fähigkeiten an sich gebunden, ihn bewegungsunfähig gemacht und missbraucht, geistig, körperlich. Arthur hatte sich in einem enormen Kraftakt von seinen Fesseln gelöst. Er hatte anschließend lange gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Drei Monate hatte er bei Mal gewohnt, schweigend, verarbeitend, hoffend, diesem Menschen nie wieder begegnen zu müssen, fürchtend diesem Mann wieder zu begegnen. Jetzt stand er vor ihm. „Mr. Teteruk“, begrüßte er ihn und reichte ihm die Hand. Sie standen sich gegenüber, ihr Händedruck war fest, genau wie ihr Blick. Er wusste, dass jener kurz nach seinem Ausscheiden beim Militär in höchsten Ehren für die Verdienste auch dem Militär den Rücken gekehrt hat. Er wusste, dass jener einen Secret Service leitete, der in den höchsten Kreisen agierte. Er hatte einen Namen, galt als einer der besten. Arthur hatte ihn im Auge behalten, seine Feinde musste man beobachten. „Das ist das Modell zu einem Stadthaus in lower Manhattan, das meine Partnerin und ich gerade renovieren lassen“, sagte er knapp, entließ die Hand und wandte sich dem Modell zu, bevor die seltsame Stille zwischen ihnen jemandem auffallen würde. Sicher hätte er Smalltalk führen können. Doch im Grunde hatte er keine Lust dazu. Er wollte nichts von ihm wissen. Er wollte nicht einmal mit ihm sprechen. Dennoch rang er sich ein „Sind Sie geschäftlich hier?“ ab. Dmitrij Teteruk Nach all den Jahren noch immer dieselbe – oder zumindest eine vergleichbare – Reaktion in Arthur auszulösen bereitete Teteruk eine milde Befriedigung. Das würde ein leichtes Spiel werden. Er ließ ihn zu sich kommen, wartete in Ruhe wie die Spinne im Netz. Der Handschlag war fest; als müsste Mister Moore dringend beweisen, dass er in dieser Konstellation keineswegs unterlegen war. Das war gut; ein Beweis für Teteruk, dass Arthur Kraft aufbringen musste, um ihm geraden Blickes entgegenzutreten. »Nicht rein geschäftlich.«, antwortete er und ließ seinen Blick nicht mehr von Arthur ab, der sich bestimmt dem Modell vor ihnen zugewandt hatte. »Ich suche einen Architekten.« Teteruk gehörte zu den Russen, die so gut assimiliert waren, dass ihr Akzept kaum eine Rolle spielte. Nur wenn er, wie gerade, in eine Art Plauderton verfiel, konnte man die schroffen, kehligen Töne und das rollende „r“ heraushören. »Ich habe gehört, dass ein Extractor hier in New York aktiv sein soll. Wissen Sie etwas darüber, Mister Moore?«, fragte er anschließend ganz ungeniert, als wären sie zwei alte Freunde, die über solcherlei Dinge eben sprachen. Im Grunde war es ja auch ein essentieller Teil ihrer Vergangenheit, wenn auch etwas überschattet durch unvorteilhafte Ereignisse. Arthur Der Akzent, diese Stimme - Bilder tauchten auf, Bilder eines schwitzenden Körpers über seinem, Erinnerungen an geflüsterte Worte in einer Sprache, die er nicht verstand. Bilder, die er vergessen gehofft hatte. Arthur wurde schlecht. Er spürte den bohrenden Blick auf sich, fühlte sich unwohl, auch wenn man ihm das nicht ansah - zumindest hoffte er das. Nicht rein geschäftlich? Auch privat? Die Verkrampfung in sich wand sich schmerzhaft in wager Vorahnung. Das war alles kein Zufall. »Ich suche einen Architekten.« Arthur verzog keine Miene, als er sich ihm wieder zuwandte und Teteruk ansah. Es war, wie er vermutet hatte. Dieses Gespräch galt von Anfang an einem anderen Thema. Ihm wurde übel, doch seine antrainierte Fassade hielt. Sie musste halten. Genau für solche Begegnungen war sie bestimmt. „Nun, da sollten Sie ja hier auf dem Kongress gewiss fündig werden“, entgegnete er leichthin und machte eine ausladende Geste, die andeuten sollte: aber nicht an diesem Stand. Teteruk schien unbeeindruckt, musterte ihn mit diesem Blick eines Jägers, dessen Beute nicht entkommen konnte. »Ich habe gehört, dass ein Extractor hier in New York aktiv sein soll. Wissen Sie etwas darüber, Mister Moore?« Arthurs Stirn runzelte sich, so als begreife er nicht, was jener sagte. Er blickte ihn fragend an. Er war bei den Seals nur Architekt gewesen, niemals hat er wissentlich preisgegeben, dass er in einem Team mit einem Extractor und einem Forger gearbeitet hatte. Dass das Militär eigene Traumdiebe hatte, war ihm bewusst, aber eine solche Sicherheitsstufe hatte er nie gehabt. Offiziell wusste er also nichts davon. Gleichzeitig ratterte es in seinem Kopf. Meinte er Dom? Der war hier lange nicht in NY tätig gewesen. Meinte er Eames und den Jobs-Fall? Er zwang sich gelassen zu sein, überkreuzte locker seine Arme vor der Brust. „Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, Mr. Teteruk“, antwortete er, während er an die Aufzeichnung dachte, die ihm sein Bruder in Bildern unter die Nase gerieben hatte. Er und Eames, die in den Fahrstuhl steigen, aber nicht herauskommen. Sein Bruder war ein Idiot, Teteruk leider nicht. In den heutigen Zeiten war es schwer, seine Spuren zu verwischen bei allem, was digital ist, auch wenn Jesse sicher alles versucht hatte. Das war vor acht Jahren so viel einfacher. Arthur spürte das beruhigende Gefühl seiner Clock an seiner Seite und überlegte, ob er seine Waffe ziehen sollte. Ein gezielter Schuss in die Kniescheibe gefolgt von einem Schlag gegen den Kehlkopf. Teteruk würde nur noch röcheln und zwischen einigen schmerzvollen Atemzügen würde er ihm sagen, was er von ihm hielt, wie sehr er ihn hasste für das, was er ihm angetan hatte. Vielleicht hätte er dann noch den Moment, ihm einen Kopfschuss zu verpassen, bevor Ariadne oder Dom ihn von ihm wegzerren würden, oder die Security ihn über den Haufen schoss. Er spürte, wie seine rechte Hand unbemerkt unter sein Jackett glitt, wie sie seine Waffe suchte und sein Daumen sich auf die Sicherung legte. Dmitrij Teteruk Die Unschuld vom Lande konnte Arthur gut verkaufen. Teteruk war ihm damals sogar fast auf den Leim gegangen. Er hatte sich in der Gegenwart des konsultierten Architekten eine Sekunde zu lange in Sicherheit gewägt. Er hatte Arthur dafür bestraft, dass er diese Dreistigkeit besessen hatte. Ein weiteres Mal würde er nicht so leichtsinnig sein. Sein geschulter Blick bemerkte die unauffälligen Bewegungen, die Arthur mit seiner Hand machte und in seinem Kopf lief bereits das Standart-Konterprogramm ab, dass sie (unter anderem auch zusammen) bereits hunderte, wenn nicht tausende Male auf Traumebene durchgegangen waren. Zusammen, mit den Seals, im Einsatz. Aber die Chance, dass Arthur in aller Öffentlichkeit auf ihn schoss schätzte er dann doch unter 1% ein; deswegen hatte er ja auch den Kongress gewählt, um ihn anzusprechen. Ein kühles Lächeln, das sich nicht auf seine Augen ausbreitete, umspielte seine Lippen, als er einen Schritt näher an Arthur herantrat. Er drang tief und dominant in seinen persönlichen Sicherheitsabstand ein. Seine Habichtaugen waren hoch aufmerksam auf ihn gerichtet. »Ich weiß, was Sie nach ihrem Rauswurf getrieben haben, Mister Moore. Und ich bin begeistert von Ihrer Entwicklung, so viel sollten Sie wissen. Aber versuchen Sie bitte nicht mich für dumm zu verkaufen.«, antwortete er mit gesenkter Stimme, aber in unbestechlich freundlichem Tonfall. Von außen erschien er immer noch so, als würde er nur mit Arthur plaudern. »Also; kennen Sie einen Extractor hier? Und ich meine nicht ihren netten Freund dort drüben, der Ihnen meine freundlichen Grüße überstellt hat. Ich weiß aus verlässlicher Quelle, dass unser Mister Cobb seit ungefähr einem Jahr nicht mehr aktiv im Einsatz war.« Er winkte besagtem Extractor, wie ein Kumpel vom Segelclub, als dieser auf die merkwürdige Konstellation zwischen den beiden aufmerksam würde. Dann wandte er sich wieder Arthur zu. »Nehmen Sie das.«, er reichte ihm eine Visitenkarte von seiner Firma. Auf der Rückseite stand eine E-Mailadresse und eine Mobiltelefonnummer. »Ich würde mich freuen Sie in naher Zukunft auf einen Kaffee einladen zu dürfen. Ich habe da ein Angebot für Sie, das Sie schwerlich abschlagen können.« Arthur Arthur sah, wie Teteruk ihn weiter unbeirrt anblickte. Er sah, wie seine Augen glänzten, während er ihn mit seinem Blick zu durchdringen schien. Er sah die Aura der Macht, die diesen Mann umgab. Aber er sah noch etwas, etwas, das ihm den Atem stocken ließ. In diesem Blick, der ihm noch lange nachgehen würde, der ihn einige Zeit verfolgen würde, lagen Herablassung, Kälte, Amüsement – und Wissen, das Arthur nicht hatte. Er hatte versucht, ihn zu irritieren. Aber Teteruk war zu erfahren, um sich aus der Ruhe bringen zu lassen, er war solche Gespräche gewohnt. Es waren nichts anderes als Duelle, nur ohne Waffen. Und der ehemalige Chef einer Elite-Soldaten-Einheit hatte noch keines dieser Duelle verloren. Arthur spürte, wie ihm ein Schauer den Rücken herunterjagte, als dieser Mann auf ihn zutrat, an ihn herantrat. Er spürte den unbändigen Drang, auf Abstand zu gehen, aber er riss sich zusammen, hielt seine Fassade, hielt den Attacken stand. »Ich weiß, was Sie nach ihrem Rauswurf getrieben haben, Mister Moore. Und ich bin begeistert von Ihrer Entwicklung, so viel sollten Sie wissen. « Er wollte ihn nur verunsichern, ihn brechen. Ihm wurde übel. Doch als wollte Dmitrij Teteruk das Messer noch einmal umdrehen, das er gerade in Arthurs Eingeweide gerammt hatte, drehte er sich in diesem Augenblick zu Dom um. Und lächelte. Arthur schluckte, als Teteruk Dom zuwinkte. Da war es: Wissen. Wissen um Dinge, die niemand wissen konnte, wenn er nicht selbst in der Branche unterwegs war. Wissen, das Macht bedeutete. Wissen, das sich gegen alle um ihn herum richten könnte. Arthurs Gedanken überschlugen sich. Kannte er dann Eames (noch) nicht? Er hatte ihn gesehen, auf Traumebene. Er hatte ein Gesicht, aber keinen Namen dazu. - Oder? Hatte er Teteruk unterschätzt? Hatte er wirklich geglaubt, jemand wie dieser Mann würde sich mit einem Friedensvertrag zufriedengeben? Teteruk lächelte und man merkte, wieviel Berechnung darin lag, wie sehr er versuchte, ihn zu verunsichern, ihn damit für sich einzunehmen. Arthur beobachtete, wie der Ex-Seal sich in Rage redete. Seine Finger lagen noch immer auf seiner Clock, er ließ sein Gegenüber keine Sekunde aus den Augen. Immer noch spielte ein Teil von ihm mit dem Gedanken, dieses Gespräch einfach mit mehreren Schüssen zu beenden. Später sollte er sich ärgern, dass er es nicht getan hatte. Arthur hörte das Gemurmel der Stimmen um sich, das Klirren von Gläsern, vor dem Fenster den Verkehr auf der Straße rauschen, das Hupen eines Lastwagens Ariadnes Lachen. Kimberly, die etwas sagte. Seine Hand lockerte sich wieder, glitt unter dem Jackett hervor. Er konnte nicht all die, die hier für ihre Sache arbeiteten, in etwas hineinziehen, wofür sie nichts konnten. »Nehmen Sie das. - Ich würde mich freuen, Sie in naher Zukunft auf einen Kaffee einladen zu dürfen. Ich habe da ein Angebot für Sie, das Sie schwerlich abschlagen können.« Arthur starrte die Karte an. Las die Worte, ohne ihren Sinn zu erfassen. Ein Angebot, das er nicht abschlagen konnte? Er war sich sicher, dass er jedes Angebot, das ihm der andere jemals stellen würde, abschlagen würde! Ich weiß, was Sie nach ihrem Rauswurf getrieben haben, Mister Moore. Was wusste er?! Er bluffte! Arthur zögerte, griff schließlich nach der Karte und musste sich stark zusammenreißen, dass seine Hand nicht zitterte. Er schwieg. Zu allem. Er hatte diesem Mann nichts zu sagen. Teteruk nickte ihm mit einem kalten Lächeln zu, trat nun zurück und verschwand in die Menge, die ihm hier viel zu viel Sicherheit geboten hatte. Kein Zufall. Mit zitternder Hand starrte Arthur auf die Karte, er schwitzte, seine Augen waren glasig. Er machte zwei Schritte nach vorne, er wollte Teteruk doch folgen, ihm sagen, dass er niemals für ihn arbeiten würde, dass er ihm bei ihrer nächsten Begegnung eine Kugel in den Kopf jagen würde, ihm den Kaffee ins Gesicht schütten würde... Er hörte, wie jemand seinen Namen sagte. Die Stimme schien immer lauter zu werden. Etwas hielt ihn am Arm, besser gesagt, jemand. Er machte einen Schritt, er schwankte leicht. Die Stimme lenkte ihn ab. Es war Ariadnes Stimme, die ihn endgültig zurückholte aus seinen eigenen Schatten, zurück in die Halle. Und es war seine eigene Stimme, die etwas zittere, als er sie ansah und nachfragte, was sie soeben gesagt habe. Teteruks kaltes Lächeln brannte noch immer auf seinem Gesicht. Dom Er hatte den Mann zu spät bemerkt, der sich Arthur genäherte hatte. Zu lecker war der Sekt und zu heiter die Stimmung mit Ariadne und Kimberly gewesen. Er sah etwas in Arthurs Gesicht entgleiten, dass ihm Angst machte, auch wenn er es nicht definieren konnte. Irgendetwas war da, auch wenn es sorgfältig verpackt und im tiefsten Innern versteckt worden war. Das Winken des merkwürdigen Typen - - Teteruk - erwiderte er irritiert und machte dann Ariadne auf das Geschehen aufmerksam. Der Kerl hatte ihn vor einigen Tagen angesprochen, kurz bevor Arthur nach LA gekommen war, es wirkte wie reiner Zufall. Er sagte er kenne ihn aus Arthurs Navy-Zeit; sagte er wäre ein Bekannter, ein Freund. »Wer ist dieser Kerl?«, murmelte er, halb zu ihr, halb zu sich selbst. Kaum war der Typ mit der straffen Haltung in der Menge verschwunden eilte Ariadne bereits auf ihren Freund und Arbeitskollegen zu und hinterließ Dom etwas ratlos. Ariadne und er hatten ihn aus einer Art Schockstarre herausgeholt. Natürlich erhielten sie nicht die Antworten, die sie gern hätten. Arthur war ein Buch mit sieben Siegeln und Meister im Vortäuschen, es hatte keinen Zweck, obwohl beide spürten, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. »Ich habe ihn noch nie so erlebt. Glaubst du er ist bereit einen Job anzunehmen?«, fragte er Ariadne in einer ruhigen Minute und bemerkte sogleich die Ironie an der Frage. Sie hatten bereits fast fertig abgebaut; sie waren einer der letzten Stände in der Halle, da der Andrang auch gegen Ende nicht abgerissen war. Damals war er derjenige gewesen, der Probleme gehabt hatte (und vermutlich war ein Zwischenfall mit Mal noch immer nicht komplett auszuschließen). Nun musste er anscheinend Arthur dasselbe Vertrauen entgegenbringen, wie er damals verlangt hatte. Arthur Es war spät, als sie seine Wohnung betraten. Sie hatten Ariadne bei ihr zu Hause abgesetzt, nachdem sie noch essen waren, noch gefeiert hatten. Arthur hatte Dom einen Whiskey eingeschenkt, sie hatten sich noch auf den Balkon gesetzt, sich über New York unterhalten, den Kongress, ihr Projekt, Mexiko. Zum Glück hatte jener aufgehört Fragen zu stellen, deren Antwort er nicht aussprechen wollte, zum Teil nicht konnte. Sie waren zu Bett gegangen, doch Arthur war mehr als klar, dass er in dieser Nacht keine Ruhe finden würde. Schon beim Betreten der Wohnung fühlte es sich seltsam an. Die Aussage von Teteruk, er wisse alles von ihm, ließ ihn das Gefühl haben, ständig beobachtet zu werden. Dass dieses Gefühl auch in seiner eigenen Wohnung bestand, beunruhigte ihn nur noch mehr. Es biss sich fest, hartnäckig, ausdauernd. Wie ein Raubtier, das versuchte, das Genick zu fassen zu bekommen. Mit einem Mal fühlt er sich gefangen an einem Ort, der eigentlich sein Lebensmittelpunkt war , fühlte sich beobachtet an seinem Ort des Rückzugs. Gleichzeitig schalt er sich einen irrationalen Idioten, der an Paranoia litt. Teteruk wisse alles?! Vermutlich nur ein Bluff - oder aber auch nicht. Was könnte er schon wissen? Was hatte er schon groß getan seit damals? Er hatte offiziell versucht ein normales Leben zu führen, ein Leben, wie es seinen Eltern gefiel. Er hatte augenscheinlich für verschiedene Architekten gearbeitet. Er hatte ganz regulär Geld verdient. - aber eben auch gelegentlich weniger als Architekt als vielmehr als Pointman Dom zur Seite gestanden. Sie waren enorm gewachsen, waren besser als vor Tokio, vor dem Militär. Er hatte unter Teteruk auch viel gelernt, er hatte sich dort perfektioniert. Dom und er hatten sich im Anschluss sehr gut eingespielt, mit wechselnden Architekten, mit verschiedenen Chemikern, mit verschiedenen Forgern. Nicht dauernd, aber immer wieder. Der Kern war konstant und brillant. Aber offiziell war er einfach nur ein freischaffender Architekt. Doch Teteruk wusste über Dom Bescheid, auch wenn er ihm das mit keiner Silbe bestätigt hatte. Was wusste er noch? Die zweite Frage war: Was hatte Teteruk gewollt? Er hatte ihn nach einem weiteren Extractor gefragt. Gab es noch einen Extractor außer Eames, den jener gemeint haben könnte? Könnte es noch einen geben? Er würde Dom bei Gelegenheit fragen. Oder bedeutete das, dass Teteruk doch schon Eames auf dem Schirm hatte? Oder stand das Wissen um einen weiteren Extractor eigentlich gar nicht wirklich im Vordergrund? War es nur Täuschung? War das Wesentliche eigentlich nur gewesen, ihm einen Job anzubieten? Wie kam er darauf, dass er diesen annehmen würde? Fragen über Fragen - nein, er würde in dieser Nacht keine Ruhe finden. Er hatte nur eine sichere Antwort: Dmitrij Teteruk ist ein Meister der Berechnung und Manipulation. Im Grunde wusste er nichts mit Bestimmtheit, außer dass dieser Mann unfassbar gefährlich war. Teteruk lachte sich vermutlich gerade ins Fäustchen, dass er ihn so hart getroffen hatte. Jener hat ihn gewiss durchschaut. Ab dem Moment, in dem er Dom angelächelt hatte, wie ein Bauernopfer in einer größeren Schlacht. War das eine Drohung gewesen? War die Frage nach dem Extractor nicht nur Täuschung, sondern auch Drohung gewesen? Arthur wollte nichts zu Dom sagen oder zu Ariadne. Das alles zu erklären war zu kompliziert und noch zu unspezifisch. Aber er musste sie warnen, sobald er weiß, was dahintersteckt, sobald er ahnt, was Teteruk vorhatte. Was will Teteruk? Was sollte dieses Angebot sein? Und diese Formulierung: er könne es schwerlich ausschlagen. Eine ungewöhnliche Formulierung. Oder sah er Gespenster? Er hatte schmerzlich lernen müssen, dass man jemanden wie Dmitrij Teteruk niemals unterschätzen sollte. Er hatte gesehen, mit welcher Leichtigkeit jener über den Tod von 50Zivilisten entscheidet, nur weil das Dorf dieser Menschen auf einem Gebiet seltener Erden liegt, deren Wert in die Milliarden geht. Er hatte es gesehen, wie dieses Dorf dem Erdboden gleich gemacht worden ist, unter dem Vorwand, ein Taliban-Führer halte sich dort auf. Er hatte das Lächeln auf den Lippen dieses Mannes gesehen, zufrieden damit, einem der größten Technik-Zulieferer nun ein Grundstück verkaufen zu können, dessen Wert in keiner Weise den Hunderttausenden Dollars entsprach, die offiziell geflossen waren. Arthur hatte mit all dem sich seine Freiheit zurückgekauft. Er hatte Dokumente vervielfältigt, in Sicherheit gebracht und benutzt, um sich aus dem Netz der Spinne zu befreien. Er hatte Ängste ausgestanden, die er vergleichbar niemals vorher noch hinterher empfunden hatte. Erst neulich, als er auf Sizilien unter einer Dusche gestanden hatte, war eine gleichwertige Angst durchgebrochen und hatte ihm das Atmen schwer gemacht. Der Gedanke, dass Teteruk ihm einen Job anbot, zusammen mit dem Wissen, dass jener gewohnt war, alles zu bekommen, was er wollte, erschreckte ihn zutiefst. Von welcher Seite kam der Angriff? Wo würde er ihn treffen wollen? Was hatte er gegen ihn in der Hand? Denn Teteruk durfte so klar sein wie ihm, dass er nicht freiwillig für diesen arbeiten würde. Dom? Ariadne? Eames? Arthur stand auf dem Balkon, rauchte, blickte über den nächtlichen Central Park. Dom war bereits schlafen gegangen. Arthur genoss die angenehm kühle Luft, die nachts die Hitze des Asphalts ablöste. Der Sommer nahte und schickte Vorboten. Er blickte auf sein Handy, las seine Mails. Nichts. Nichts von demjenigen, dessen Stimme er gerade gerne hören wollte. Der Wunsch, Eames einfach anrufen zu können, mit ihm reden zu können, war mit einem Mal so immanent, dass es schier zu körperlichem Schmerz wurde. Du bist jeden Tag bei mir. - hatte er ihm hier auf dem Balkon einmal gesagt. Arthur schloss die Augen, spürte die Umarmung von hinten nach, den Kuss auf den Nacken, der damals wider seinem Erwarten nicht Abneigung und Protest, sondern ein Wohlbehagen ausgelöst hatte. Arthur lehnte sich an, genoss den Moment, die Erinnerung an diesen Moment von Geborgenheit. Der Flieger ging mit etwas Verspätung nach Mexiko Stadt, dann stiegen sie um nach Mérida. Ariadne neben ihm wirkte zufrieden und glücklich. Dom würde über L.A. nachkommen. Ihr Flieger war zum einen schon voll gewesen, zum anderen musste er noch die familiäre Situation klären. Ariadne plapperte für ihn mit, schwärmte schier euphorisch von ihrem gelungen Auftritts am vergangenen Tag. Arthur spürte den musternden Blick, mit dem sie ihn dennoch hin und wieder bedachte. Arthur selbst war seltsam ruhig. Irgendwie war er froh, aus New York rauszukommen. Er brauchte etwas Abstand zu diesem Mann, dessen Absichten ihm noch zu wenig klar waren. Arthur war froh, in dem eher unkontrollierbaren Mexiko für ein paar Tage in einem in diesem Fall willkommenen Chaos untertauchen zu können. Er hatte seine Unruhe in der Verlegungen es Nacht genutzt, um sich weiter Candela und ihrem Vater zu widmen. Er hatte Jesse angerufen und ihn gebeten, ein Auge auf Candelas Ex zu haben. Und er hatte ihn gebeten, ihm bei Gelegenheit zu helfen, seine Wohnung sicherer zu machen. Er wollte eine Liste, was er alles tun konnte. Als Jesse vorsichtig nachfragte, antwortete er ehrlich, dass er das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Arthur wollte ausschließen, dass Teteruk irgendwelche Möglichkeiten hatte, ihm diesen Ort zu nehmen. Zudem hatte er das Hotel gebucht, einen Waffenhändler kontaktiert, einen Leihwagen gebucht, etc. - stets noch mehr darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen. Die neuesten und wichtigsten Infos stellte er für Eames auf ihrem Portal ein, damit auch dieser darauf zugreifen konnte. Candela war schon seit ein paar Tagen vor Ort, um ihrer Mutter und ihren Geschwistern zur Seite zu stehen. Arthur hatte ihr angekündigt, mit ihr Kontakt aufzunehmen, sobald er sich einen ersten Überblick verschafft hatte. Sobald Dom da war, musste sie hinzukommen, um für Fragen ansprechbar zu sein, aber erst dann. Ihre Familie war aus einem Vorort von Mérida und Arthur wollte vermeiden, zu viele Bezugspunkte für andere zu hinterlassen, um niemanden weiter in Gefahr zu bringen. Noch ahnte ihr Ex vermutlich nicht, dass er zum Ziel wurde, und das sollte auch so bleiben. Arthur hatte sie im Hotel „Residencial“ unweit des Zentrums Méridas zunächst untergebracht. Sollte sich der Aktionsraum tatsächlich nach Cancun verlagern, hatte er eine Strandvilla für sie angemietet. Das Hotel stellte sich als ein wunderschön renoviertes Haus aus der Kolonialzeit heraus. Der Standard war gehobener, es gab eine ausgezeichnete Küche, einen Pool- und Wellnessbereich, viel Komfort für ihre erste Anlaufstelle, so wie er es von früher gewohnt war. Sicher, er verdiente an diesem Job zunächst nichts. Aber sollten sie an diesem Kunsthändler-Ring tatsächlich rankommen, dann war da ein Fass, aus dem sie definitiv schöpfen würden - ohne Skrupel. Arthur und Ariadne waren zunächst die ersten Tage unterwegs, um sich ein Bild von der Stadt zu machen, von den vielen kleinen Details, die es in einen Traum einzuarbeiten galt: das Straßenbild, die Mangobäume, die die Straßen säumten, die Gärten, in die man sehen konnte und in denen Hühner sich unter Wellblech versuchten vor der Mittagshitze zu schützen, der Straßenlärm, die alten VW Käfer, umgebaut in allerlei Gefährte, Pick ups und natürlich die vielen Chicken-busses - alte amerikanische Schulbusse, die angemalt in allen möglichen Farben und verziert mit verschiedensten Motiven das beste Transportmittel darstellte, um günstig die weiten Strecken des riesigen Landes zurückzulegen. Schienen gab es kaum. Die Straßenstände, die alles anboten und es kaum möglich machten, zügig durch die Straßen zu laufen. Angeblich wurde einmal versucht, diese Stände zu verbieten, allerdings wurde davon wieder Abstand genommen, weil die Ladendiebstähle sich häuften und die Diebe schneller entkommen konnten. Nun gab es die Verkaufstände wieder mit all den ‚Markenprodukten‘ für lau. Filme, die erst jetzt im Kino anliefen, CDs, die einem ‚vorgespielt’ wurden, wobei man auf der Rückseite deutlich sah, dass auf diese eben nur ein Lied aufgespielt worden ist. Arthur schmunzelte über diese Welt, die so fern von New York war - zumindest dem, dem er beiwohnte. Er genoss das ungezwungene, das belebte Treiben, tatsächlich auch das Essen. Sein Lächeln kehrte zurück, auch wenn die Nervosität in ihm immer wieder durchbrach. Nervös aus zwei Gründen: Teteruks Worte, ein mögliches Wiedersehen mit Eames Außerdem besuchten sie das Museo de Antropología e Historia, aus dem die Kunstwerke entwendet worden waren, und besorgten sich Abbildungen von diesen. Schließlich nahmen sie Kontakt zu Candelas Onkel auf, einem Künstler, der ihnen ein Atelier vermittelte. Das Gebäude lag abseits der Straßen und bot ihnen viele Möglichkeiten. Es war ideal für ihren Zweck. Arthurs Brocken Spanisch hat gereicht, um dem Inhaber zu erklären, dass sie Architekten seien, die hier Impressionen sammeln würden und das Atelier nutzen wollten, um Modelle von Gebäuden mit interessantem architektonischen Stil nachbauen zu wollen. Das Atelier war in einem Bungalow mit bodentiefen Fenstern, einem schönen Garten und es gab noch zwei weitere Räume, die sie nutzen konnten. Sie richteten in einem dieser Räume den PASIV-Koffer ein, begannen im Atelier erste Zeichnungen von Orten zu machen, erste Gedanken auszutauschen. Sie brauchten vertraute Orte von Candelas Ex, die sie für das Team vorbereiten konnten. Zudem einen Tagesablauf von ihm, eine Möglichkeit, ihm für wenige Minuten von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Recht schnell wurde klar, dass ein Bordell, das dieser regelmäßig besuchte, dafür ganz gut taugen würde. Allerdings blieb abzuwarten, in welcher Hand dieses sich befand. ‚Los espíritus‘ waren einem Kartell verpflichtet, so wie es aussah. Vermutlich war das Bordell also auch diesem verpflichtet. Damit würden sie sich in die Höhle des Löwen begeben. Arthur arbeitete so gut er konnte, zeichnete die Kunstgegenstände nach, konstruierte Räume, versuchte alle Informationen zu Manolo Vincenzo zusammen zu tragen. Dom würde am nächsten Tag eintreffen, dann würde er jenem das übergeben. Er war da viel besser als er. Die Arbeit lenkte ab - dennoch gab es Momente, in denen die Sehnsucht durchbrach, sich einfach mal wieder anlehnen zu können. Das Gefühl, das er sich auf seinem Balkon gegönnt hätte, war so gut gewesen, dass der Wunsch nach mehr, spürbar war. Besonders in Momenten, in denen er alleine war. „Soll ich dich nicht ins Hotel bringen?“, fragte er nach, doch Ariadne schüttelte den Kopf. „Es ist nicht weit. Ich nehm ein Taxi.“ Er nickte, verdrängte das schlechte Gewissen. Eigentlich war er dankbar darum, als er sich wenig später auf den Sessel setzte, um sich an den PASIV anzuschließen. Ab morgen wäre Dom da. Danach ging es nicht mehr. Ariadne schien ihn auch kaum aus den Augen zu lassen. Jetzt war die einzige Möglichkeit einfach nochmal Kraft zu tanken nach dem Schock, den ihm Teteruk verpasst hatte. Arthur stellte 5Minuten ein, mehr konnte er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, dann schloss er die Augen. Er wollte nur einen kurzen Moment, einen friedlichen. Arthur blickte auf das architektonisch so schöne Haus, das er auch heute nicht betreten würde. Das würde er nicht ohne den echten tun. Aber auch im Garten unter den hohen Bäumen konnte er Eames begegnen, der ihm in diesem Moment mit einem Lächeln auf den Lippen entgegentrat. Arthur spürte, wie sich sein Herz verkrampfte. Sehnsucht schmerzte. Eames Der Garten des Charles Eames Haus war gesprenkelt von warmen Sonnenstrahlen. Die hohen Bäume, die wie ein großer, dichter Zaun rund um das abfallende Grundstück standen, ließen um diese Uhrzeit des Tages nicht mehr das ganze Licht herein. Eames trug khakifarbene Bermunda Shorts und ein ausgeblichenes, dunkelgrünes Hemd. Er legte den Schlauch beiseite mit dem er gerade die Blumen gewässert hatte. Die Luft war erfüllt von Partikeln und aufgestäubtem Wasser und ein leises Tröpfeln drang durch die sonst so stille Kulisse. Offenbar hatte er auch ein paar Spritzer abbekommen. »Du bist spät, my love.« Er legte beide Hände um Arthurs Wangen, wobei seine Fingerspitzen bereits in dessen Haaransatz versanken, um ihm einen innigen Kuss auf die Lippen zu drücken. Er roch nach frischgemähtem Rasen und Sommerregen. »Was hat dich aufgehalten?« Arthur Das Licht, die Ruhe, der Geruch, die Wärme – Arthur wurde eingesogen in diesen, ihren Ort, einem Ort, den er so noch nie in seinem Leben gehabt hatte. Er war so überwältigt davon, dass er nicht fähig war, sich zu rühren, sondern nur beobachtete, wie Eames zu ihm kam. War er spät? Hätte er früher hierherkommen sollen? Vielleicht müssen? Die Worte waren eine Feststellung, keine Anklage. Dennoch spürte er, dass in ihm etwas seiner Projektion zustimmte: er war spät hierhergekommen. Arthur schmiegte sich an die Hände, legte den Kopf etwas seitlich und schloss die Augen und genoss den Kuss, der ihn noch tiefer in diese Situation zog, ihn entspannen und langsam loslassen ließ. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als sich Tom von ihm löste und er die Augen öffnete. Erst jetzt löste er sich aus der anfänglichen Starre, hob die Hände. Die linke legte er auf der Brust ab, mit der rechten strich er sanft über die Wange nach hinten, strich sacht mit dem Daumen über das Ohr und ließ seine Hand schließlich im Haar des anderen versinken, das ein wenig länger geworden zu sein schien, sich aber noch immer so weich anfühlte, wie er es in Erinnerung hatte. „Das übliche“, antwortete er leise. „Das Gefühl, jedem verpflichtet zu sein, und dabei zu vergessen, was mir und uns guttun würde.“ Er lächelte traurig und streckte sich, um die Lippen des anderen noch einmal zu erhaschen. „Entschuldige, dass ich nicht schon eher gekommen bin. Aber jetzt bin ich endlich da. Ich bin endlich hier bei dir…“ Er atmete tief durch, erleichtert, befreit. Dann umarmte er Tom und legte seinen Kopf auf dessen Schulter ab, schloss die Augen und sog den ihm so vertrauten Geruch ein, der einen Hauch von Garten inne hatte. Es fühlte sich wie ein nach Hause kommen an, zu einem Zuhause, das er noch nie gehabt hatte. Es fühlte sich berauschend an. „Halt mich einfach ein wenig fest, ja?“, flüsterte er und vergrub das Gesicht in der Halsbeuge. „Einfach nur ein wenig festhalten…“ Eames Er nickte langsam, als wäre Arthurs Antwort, das Selbstverständlichste was man sagen konnte. Er nahm ihn fest in die Arme und wiegte ihn sanft. Seine Hände strichen beruhigend und wohlwollend über den straffen Rücken, der so ungewöhnlich haltlos in seiner Umarmung eingeknickt war. »Sieht dir ähnlich.«, murmelte er nach einer kurzen Weile des Wiegens und Haltens. Eine leise Melodie drang vom Wald her, wie ein beruhigendes Mantra. Die erste Strophe von Nantes (Beirut) immer und immer wieder, sehr langsam und kaum verständlich. »“Pflicht“ ist dein Lieblingswort, oder?«, er schmunzelte. »Wundert es dich eigentlich noch? Dass ich nicht verstehe, dass du mich genauso sehr liebst, wie ich dich?«, kein Vorwurf, eine einfache Frage mit ruhiger, vibrierender Stimme. Sein Blick war etwas müde auf den Hintereingang des Hauses gerichtet. Die Tür stand auf, aber Eames‘ Projektion würde das Haus nicht betreten. Drinnen war es ungewöhnlich dunkel trotz der vielen großen Fenster. »Komm einfach nachhause, love. Wir könnten alles haben, wenn du einfach nachhause kommst.« Arthur Die Umarmung trug ihn, die Wärme umhüllte ihn, die Musik ließ ihn vergessen - es war eine Wohltat, einfach nur gehalten zu werden, wie er es sich schon so lange wünschte. Er hörte aus Eames‘ Antwort keine Anklage, keinen Vorwurf, kein Unverständnis oder spürte gar ein mitleidiges Lächeln. Er wurde einfach genommen, wie er war. Er wusste selbst, dass eines der größten Probleme seiner selbst war, loszulassen und sich nicht allem verpflichtet zu fühlen. Er wusste das und er was bereits einen Schritt gegangen, sich von seinen scheinbaren Pflichten zu lösen: er hatte seiner Familie und der Bürde, die damit einherging, den Rücken gekehrt. Das war ein Schritt von vielen. Es fühlte sich befreiend und beängstigend an. Und er wünschte er könnte mit Eames darüber reden, dem echten. Und dieser würde ihn genauso in den Arm nehmen und halten... Ihm war bewusst, dass diese unverbindliche Nähe, die er hier erhielt, nicht real war. Er genoss es, gönnte es sich. Ein Teil von ihm schrie danach, genau das hier immer zu wollen, immer hierher zu kommen, in diese perfekte und so unkomplizierte Welt. Es schrie so laut, dass es ihn schier erschreckte. Schließlich hatte er Dom dafür kritisiert, sah mit Besorgnis all diese Traum-Junkies, die bei Yusuf ein und aus gingen. Vielleicht war es genau das, was seinen Verstand aufrecht hielt, der ihm sagte, dass er sich selbst gerade betrog. Er konnte die Vernunft nur unterdrücken, nicht abschalten. Konnte sich hierin nicht ganz verlieren, aber genießen für den Moment. Es war ein ambivalentes Gefühl. Dieser Eames hier war nur eine Projektion seines eigenen Unterbewusstseins, eine wunderbare. Er war das, was er sich wünschte, wonach er sich sehnte, sich erhoffte irgendwann zu haben, wenn sie all ihre Gräben einmal überwunden hätten. Er seufzte, als er hörte, dass „Pflicht“ sein Lieblingswort zu sein schien. Hier sprach sein Unterbewusstsein, sein schlechtes Gewissen. „Da hast du wohl recht.“ Er würde das gerne leugnen, hatte genau in diesem Moment den innigen Wunsch, es möge nicht so sein. Doch dass es so war, war wahr. Es gehörte nun einmal zu ihm. Er musste lernen, es weniger werden zu lassen, aber das ging nicht allein. Die Frage, die nun folgte, war irritierend auf zweierlei Art. Arthur spürte, dass er sich wieder verkrampfte, Haltung begann anzunehmen. Er öffnete die Augen, tauchte aber nicht aus dem Schutz der Halsbeuge auf. Zum einen war da die Frage an sich. Wunderte er sich noch darüber? - Ja. Er war doch für ihn sogar zum Mörder geworden! War das kein Liebesbeweis gewesen? Er hatte ihm doch gesagt, dass er ihm nicht gleichgültig war. Sie hatten Sex miteinander. Reichte das nicht? Sollte es ihn nicht wundern? Vermutlich. So, wie er sich Eames gegenüber verhielt, dürfte es ihn nicht wundern. Er stellte alles andere über sein persönliches Glück - und damit auch über sie beide, über Eames. Er erwartete stets alles von jenem, aber gab er alles für ihr something? Dass er ihn so immer und immer wieder verletzte, wurde ihm seit Eames Besuch bei Ariadne Stück für Stück bewusster. Wenn er jetzt darüber nachdachte: Bedeutete das nicht im Umkehrschluss, dass Tom genauso unsicher war, was ihr something betraf, wie er es war? Er schluckte, denn dadurch bekam seine Flucht weg aus Italien, weg von seinen Gefühlen und Ängsten, einen noch einmal unangenehmeren Beigeschmack. Dachte Eames nun, dass er auch bei ihm nur seine Pflicht erfüllt hatte? Dass er ihm geholfen hatte, aus Pflichtgefühl, nicht weil er ihm wirklich hatte helfen wollen, dass er jene Freiheit zurückerhielt, für die er ihn immer bewunderte, auf die er so oft neidisch war? Dass er ihn gleichzeitig einfach in Sicherheit hatte wissen wollen? Tokio war für ihn ein Bruch gewesen, weil er es so empfunden hatte, dass Tom ihn hintergangen hatte. Was aber, wenn jener einfach aufgegeben hatte zu hoffen, er könne etwas für ihn empfinden? Oder sich gar damit abgefunden hatte, dass er seine Gefühle nie erwidern würde? Misstraute Tom deswegen jetzt Arthurs Gefühlen? Er musste dringend einiges wiedergutmachen - sofern er nicht bereits alles kaputt gemacht hatte. Er musste verinnerlichen, an ihr something zu glauben - trotz Mals Brief. Er musste Eames zeigen, was er ihm bedeutete, sich (mal wieder) entschuldigen. Und wenn er sich entschuldigt hatte, müssten sie Tokio klären, damit er endlich wirklich loslassen konnte. Unsicherheit war sein steter Begleiter - schon immer gewesen, vor allem was Eames betraf. Sorry that I can't believe that anybody ever really Starts to fall in love with me Aber im Grunde ahnte er, dass das bei Tom, was sie betraf, nicht anders war. Er hatte es nur nie wahrhaben wollen. Zum anderen irritierte ihn die Frage, weil da dieses große Wort war - „lieben“. Arthur sah sich als Gefühlslegastheniker, unfähig Emotionen spontan zu zeigen, unfähig sich unmittelbar in jemanden hineinzuversetzen. Immer wenn er sich vornahm, Gefühle zu zeigen, war der Moment wieder vorbei. Er begriff oft viel zu spät, warum jemand gekränkt war. Ihm war noch immer unangenehm, dass Ariadne seinen Wutausbruch mitbekommen hatte und auch das Zittern nach der Begegnung mit Teteruk spüren hatte können. Arthur hatte früh lernen dürfen, dass Gefühle Schwäche bedeuteten, dass sie ihn angreifbar machten. Es war immer so viel leichter, Gleichgültigkeit auszustrahlen, keine Regung zu zeigen. Gefühle und damit Schwächen zuzulassen, fiel ihm schwer. Er hatte so hart gekämpft, kein Schwächling zu sein, in der Schule, zu Hause, an der Uni, vor Eames.... Etwas, wie Ich liebe dich zu sagen, gab ihm das Gefühl, komplett entblößt zu sein, sich lächerlich und verletzbar zu machen. Es löste Unbehagen, ja Angst aus. Er hatte diese Worte schon benutzt, ja. Aber es war immer gelogen gewesen. Er hatte diese Worte noch nie mit Wahrhaftigkeit gefüllt, denn er wusste, wenn er es täte, dann wäre derjenige, dem diese Worte galten, sein größter Schwachpunkt. Er war schon einmal kurz davor gewesen, Eames zu sagen, dass er etwas für ihn empfand. Doch dann hatte jener ihn hintergangen, bevor er es getan hatte. Er war froh gewesen, es nicht getan zu haben, um nicht als noch größerer Idiot da zu stehen. Hätte es etwas geändert, wenn er es doch an dem Abend nach dem Billardspiel, oder nach der Karaoke-Session einen Schritt auf Tom zugegangen wäre? Und wenn er es nicht schaffte, ehrlich zu seinen Gefühlen zu stehen: Würde Tom das wieder tun, dieses Zurücklassen, dieses Alleinelassen? Machte er das nicht gerade auch in gewisser Weise? Weil er sich so sehr von ihm distanzierte, weil er ihn nicht sehen und sprechen wollte. Weil er ihm nach Jobs' Tod nicht hatte sagen können, wie groß seine Angst gewesen war? Ihn nicht umarmt hatte? Beruhte das wieder auf Missdeutung? Misstrauen? Missverständnissen? Es gab viele Erklärungen dafür, dass die Situation gerade so war, wie sie war. Welche die richtige war, würde er erst wissen, wenn sie sich wiedersahen und noch miteinander reden konnten. Sie waren beide nicht unschuldig daran, der größerer Trampel war aber diesmal er gewesen. Seit Arthur in Italien losgeflogen ist, hatte er Angst, dass Eames ihn nur ausgenutzt haben könnte und kein Interesse mehr an ihm hatte, weil er ihn nicht mehr brauchte. Vielleicht war es aber auch genau andersherum? Seit dem Gespräch mit Ariadne über Toms Besuch, hoffte er darauf, dass jener nur sauer auf ihn war, weil er gegangen war. Erst in diesem Moment hatte er begriffen, in dieser Wut hatte er gemerkt, dass er nur sich selbst gesehen hatte, sich nicht in Tom hineinversetzt hatte. Wunderte er sich? Dass Tom nicht glauben konnte, dass er ihn genauso liebte, wie jener ihn? Nein. Er benahm sich so oft wie eine gottverdammte Diva und erwartete stets, dass Eames ihm hinterherrannte. Sein Unterbewusstsein wusste so viel mehr als er. „Nein“, sagte er leise. „Nein, denn ich habe noch nie etwas für dich gemacht, dass dir gezeigt hätte, dass es wirklich so ist, dass ich mich in dein Herz verliebt habe. Ich habe es dir nie wirklich gezeigt. Ich habe dir nie gesagt, dass ich dich liebe.“ Sein Hals war eng, er schluckte ohne Aussicht auf Erfolg, den Klos loszuwerden. Er schloss die Augen wieder, atmete schwer. Würde er das jemals können? Oder war er zu hart zu sich selbst? Verlangte Liebe immer diese drei Worte? Verlangte Liebe immer große Gesten? Überhaupt etwas in diese Richtung wäre gut. »Komm einfach nach Hause, love. Wir könnten alles haben, wenn du einfach nach Hause kommst.« Er biss sich auf die Unterlippe, hielt die Luft an. Er spürte sein Herz heftig schlagen. War das so? Das hier war ein Wunschtraum. Konnte das hier ‚alles‘ jemals Wirklichkeit werden? Nie in diesem Maße, aber vielleicht ansatzweise. Musste er wirklich nur nach Hause kommen? Aber wo... Seine Hand war hinab zu seinem Totem gewandert, irritiert zog er es aus seiner Tasche, in der sich dieses immer befand, wenn er auf Traumebene agierte. Doch es war nicht sein Würfel. Es war ein Schlüssel. Ein einfacher Buntbartschlüssel aus Metall dessen silberne Farbe an einigen Stellen bereits matt und angelaufen schien. An der Reite hing ein Schlüsselring, der durch einen matten und teilweise abgewetzten Kenianischen Shilling gefädelt worden war. Er war etwas anders geformt, schien in seiner Form unbekannt. Arthur hatte ihn in der letzten Zeit so oft betrachtet, dass er sofort sah, was anders war. Doch er ahnte, dass dieser Schlüssel zu diesem Haus hier passte. In a house In the mountains There's a way to fall asleep And I know when I find it I will let this go Er dachte an die Flugtickets, die Verfallen an seiner Pinnwand hingen. Die Pflicht, die ihn davon abgehalten hatte, einfach in den Flieger zu steigen. Arthur löste sich nun und blickte Tom an. „Ich habe mich schon auf den Weg gemacht“, sagte er und seine Stimme war wieder fester geworden. „Der Weg ist nicht so einfach. Ich sehe ihn nicht deutlich, aber er ist da. Vermutlich wird er mich hin und wieder zum Stolpern bringen. Aber ich habe ihn begonnen. Früher oder später werde ich zu Hause ankommen. Wirst du auf mich warten? Und können wird dann endlich Tokio hinter uns lassen?“ Ariadne Es war nur ein Gefühl, eine kleine Nervosität, die sie kannte, die Erinnerungen wachrüttelte. Sie kannte diesen ausweichenden Blick von Dom. Als Ariadne den Raum mit dem PASIV-Koffer betrat, sah sie, dass ihr Gefühl sie nicht getäuscht hatte. Sie betrachtete das lächelnde Gesicht, den friedlich daliegenden Arthur. Sie las die Instrumente und begann sich anzuschließen. Sie ahnte, wem sie da begegnete. Beziehungsprobleme waren nicht einfach zu lösen, besonders bei so ungleichen Persönlichkeiten wie Arthur und Eames es waren. Aber sich eine Beziehung zu erträumen, war keine Lösung. Dass Arthur nicht begeistert sein würde, wusste sie. Aber das war ihr egal. Es könnte ihr nichts passieren und es würde Arthur hoffentlich die Augen öffnen - im wahrsten Sinne des Wortes. Was hatte Dom sie gefragt? »Glaubst du er ist bereit einen Job anzunehmen?« - es war blanke Ironie, das von jenem gehört zu haben. Umso berechtigter schien es, Arthurs Traum betreten zu dürfen. Arthur musste bereit sein. Eames So wie Arthur es sich gewünscht hatte, hielt er ihn, streichelte ihn fortwährend, langsam, aber bestimmt. Erst als Arthur sich etwas von ihm löste und bestimmt in die Augen blickte, hörte der zärtliche Strom auf. Eames‘ Projektion erwiderte den Blick müde, aber zuversichtlich. „Und können wir dann endlich Tokio hinter uns lassen?“ Nur diese eine Frage brachte die Mimik etwas ins Wanken. Tokio war so etwas wie der Dreh und Angelpunkt ihres Vertrauens – der Urfehler, der behoben werden musste, um überhaupt den nächsten Schritt aufeinander zu tun zu können. Und es war für Eames durchaus kein Leichtes dieses Thema aufzuarbeiten; vor allem schien es ein Mammut-Projekt, es so verständlich zu machen, dass Arthur ihm glauben würde. Vor allem nach all dem, was zwischen ihnen passiert war. Die Melodie aus dem Wald war verebbt und plötzlich war auch Eames‘ Blick nicht mehr auf Arthur gerichtet. Auch nicht auf den Hintereingang des Eames-Hauses. Irgendetwas hatte sich verändert; als würde ein Wetterumschwung bevorstehen. »Hast du ihr von uns erzählt?«, seine Stimme klang hoffnungsvoll, als er zu Ariadne herüber blickte. Sie war denselben Weg wie Arthur, um das Haus herum, in den Garten gekommen und wirkte ähnlich ungläubig, wie Eames. Nun gab es kein zurück mehr. Sie war bemerkt worden; nicht ganz das, was sie sich dabei gedacht hatte, kurz in Arthurs Traum hinein zu schnüffeln, um nach dem Rechten zu sehen. Ihren erbärmlichen Versuch sich noch mit einem Sprung hinter die Hauskante zu retten, brach sie sofort ab, als Arthur sich zu ihr umdrehte. Arthur Arthur musterte das Gesicht seiner Projektion von Eames und las sich selbst darin. Tokio In ihm kamen die immer gleichen gemischte Gefühle auf. Zum einen der Wunsch, das Bedürfnis nach Wissen, nach Begreifen - zum anderen die Angst vor Zerstörung. Egal was Thomas Eames dir über den Fall in Tokio erzählt hat oder erzählen wird: glaube ihm kein Wort. Er hat eine Geschichte gesponnen, die ihn wie einen Helden aussehen lässt. Aber nichts davon ist wahr. Mals Brief wog schwer. Dennoch spürte er, dass der Wunsch, die Dinge auf den Tisch zu bringen, sie abzuschließen und vergessen zu können, da war. Wenn er denn vergessen konnte. Aber zunächst müssten sie sich überhaupt wieder annähern, überhaupt wieder miteinander reden. Zunächst musste er... Er zog die Stirn zusammen, als er die inneren Alarmglocken läuten hörte. Jemand hatte seinen Traum betreten. Er spürte, die Waffe, die mit einem Mal an seiner Seite wog. Eames blickte an ihm vorbei. »Hast du ihr von uns erzählt?« Er drehte irritiert den Blick, wich etwas von Tom zurück und sah Ariadne an. Fast war er erleichtert, dass es nur sie war. Gleichzeitig schalt er sich einen Idioten, dass er sich so angreifbar gemacht hatte in einem Land, in dem es unsicher, gefährlich sein konnte. Er nickte leicht. „Das habe ich“, sagte er seiner Projektion von Eames. Ob er das auch dem echten sagen konnte, dass Ariadne über ihr something bescheid wusste? Er atmete tief durch. Dass sie sich entschuldigte, ließ ihn wissen, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. Das nahm er, um den Teil in ihm klein zu halten, der sich darüber beschwerte, dass sie seine Zweisamkeit mit Tom gestört hatte. Dieser Teil schrie laut in ihm, war wütend. Dich er wollte nicht riskieren, dass seine Abwehrmechanismen sich einschalteten. „Ja, ist es“, antwortete er ihr und drehte sich ihr zu, löste sich dadurch etwas von Tom, wobei er den Körperkontakt nicht gänzlich abreißen ließ, auch wenn es ihm schwer fiel nicht gänzlich auf Abstand zu gehen. „Ich habe nur etwas Kraft tanken müssen.“ Irgendwie seltsam, dass er das Gefühl hatte, sich rechtfertigen zu müssen. Er wich ihrem Blick aus, biss sich auf die Unterlippe. „Er hat sich noch immer nicht gemeldet.“ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung bei dir ist.« Wieder so eine unangenehme, intime Situation, wie damals mit Dom. Ariadne Wie der echte, schien Eames‘ Projektion einen gewissen Stolz dabei zu verspüren, dass Arthur endlich jemandem davon erzählt hatte. Sein Blick haftete an seinem Gesicht und er konnte nicht aufhören selig zu lächeln. Dass Eames etwas für Arthur wollte hatte er nie zum Geheimnis gemacht – auch wenn die meisten ihn dabei nicht ernst genommen hatten. Andersherum herrschte tiefster, sibirischer Winter. Ariadne biss sich auf die Unterlippe und verbarg ihre Augen einen kurzen Augenblick unter der flachen Hand. »Ich hätte nicht kommen dürfe, Arthur.« Erst als sie ausgesprochen hatte, realisierte sie, dass Arthur bereits etwas gesagt hatte und dass er nicht sauer zu sein schien. Jedenfalls nicht oberflächlich sichtbar. Sie hatte lernen müssen, dass sie allerhöchstens an der Außenhülle kratzte. So leicht kam man nicht an den Eisprinzen heran. Dann erinnerte sie sich daran wie offen und verletzlich er gewesen war, nachdem Eames in New York bei ihr gewesen war. Wie dumm sie gewesen war; wie viel Schaden sie damit bereits angerichtet hatte. Und nun war sie hier hereingeplatzt und nahm Arthur einen kurzen Augenblick Frieden vor dem Job. Wie konnte es sein, dass Dom, der sich als Arthurs enger Freund bezeichnete, nicht an ihrer Stelle für Arthur sorgte. Wie kam es, dass er offenbar nicht einmal den Hauch einer Ahnung hatte, was bei Arthur vor sich ging und die Dreistigkeit besaß sie zu fragen, ob Arthur bereit für einen neuen Job war? »Das… tut mir leid. Dass er sich nicht gemeldet hat. Das hast du nicht verdient.«, brachte sie nach kurzem Überlegen hervor. Eames löste sich von Arthur und als würde er den beiden dadurch etwas Privatsphäre bieten, drehte er sich um, hob flötend den Schlauch vom Boden auf und goss weiter die Blumen und Bäume. Eine Reihe frisch eingepflanzter Apfelbäume säumte den Weg zum Wald in nördlicher Richtung. »Bist du überhaupt sicher, dass er kommen wird?« Klar war: sie brauchten keinen Forger. Natürlich war es für Candela angenehmer, wenn ein Freund anwesend war. Vor allem der, der sie bereits einmal vor dem Arschloch beschützt hatte, dem sie in den nächsten Tagen zu Leibe rückten. Aber ob das reichte, um ihn auf den Plan zu rufen? Wenn er es nicht einmal schaffte sich kurz bei Arthur zu melden? »Wir können die Extraction auch ohne ihn durchführen.«, mittlerweile hatte sie etwas mehr an Haltung gewonnen, da sie glaubte einen Weg gefunden zu haben, Arthur etwas Mut zu machen. »Candela wird sich damit abfinden. Wir können das auch ohne ihn durchziehen und danach könnt ihr euch alle Zeit der Welt nehmen für… alles. Für das hier.«, sie sah sich um und es bedurfte keiner Erklärung. Sie wusste, dass sie ein Heiligtum betreten hatte. Arthur Irritiert blickte er Eames an, als er dessen Lächeln gewahr wurde. Würde jenen das so glücklich machen, wenn er von ihrer Beziehung (sofern es eine war) anderen erzählen würde? Ihm kam der Gesichtsausdruck in den Sinn, den jener gehabt hatte, als er bei Candela im Restaurant zunächst die Hand des anderen losgelassen hatte. Es war nur ein kurzer trüber Blick gewesen, der ihm jedoch Zeichen genug sein könnte. Im Grunde wusste er ganz genau, wie glücklich es den anderen machen würde. Aber allein die Vorstellung, vor anderen zu zeigen, dass sie something miteinander hatten, sorgte für ein Unwohlsein, dessen Herkunft er nicht benennen konnte. Er war nun mal nicht der Typ Mensch, der ständig Körperkontakt und küssen und berühren und so Zeug wollte und brauchte. Reichte es nicht, selbst zu wissen, dass man zueinander gehörte? Mussten das alle wissen? Wobei er momentan froh wäre, wenn er überhaupt einmal... Er seufzte, blickte seinem Tom kurz nach und sah dann wieder zu Ariadne, deren Demut auffallend war, auch in dem, was sie sagte. „Ich fürchte, da muss ich dir widersprechen“, sagte er und hob abwehrend die Hände. „Ich fürchte, ich hab das verdient. Es war längst überfällig.“ Es war heilsam, dass er das Gefühl hatte, zu leiden. Er sah dadurch deutlicher, woran er und sie gerade einmal mehr scheiterten. Nichts desto trotz ändert es nichts daran, dass es schmerzte. Daher war er dankbar für ihre Worte. Es entspannte ihn - zumindest bis die folgenden Worte kamen. »Bist du überhaupt sicher, dass er kommen wird?« Arthur schluckte, spürte wie mit einem Mal alles still war: das Rauschen der Bäume war verstummt, das Vogelgezwitscher, sogar das Plätschern und Rauschen des Wassers, das nach wie vor von Eames unter den Pflanzen verteilt wurde. Das Licht war gelblich, wirkte bedrohlich wie kurz vor einem Gewitter. Man sah, wie sich schwarze Wolkentürme am Horizont zusammenzogen. Arthur spürte, wie sich seine Hand verkrampfte. Er versuchte gelassen auszusehen, ganz gelang es ihm nicht. Schon gar nicht, als Ariadne weitersprach. „Arthur needs him, too.“ - hatte er ausrichten lassen. Ein Donnergrollen durchbrach die Stille. Er atmete langsam aus, suchte sich zu sammeln. „Wenn er nicht kommt“, sagte er schließlich leise, „weiß ich gar nicht, ob es noch ein ‚Wir‘ gibt.“ Es war ihm mehr rausgerutscht, als dass er das wirklich hatte sagen wollen. Er strich sich übers Gesucht, atmete noch einmal tief. Er musste ruhig bleiben, wenn sie nicht gleich nass werden wollten. Arthur sah in den Himmel, als könne er die Wolkenmassen so besänftigen. „Ich hatte das Flugticket schon bezahlt, als Candela angerufen hat. Eigentlich wäre ich jetzt nicht hier. Ich hatte gedanklich auch den Kongress gestrichen.“ Er schnaubte ungläubig, schüttelte den Kopf über sich selbst. Dann steckte er die Hände in die Hosentaschen, zog die Schultern etwas hoch und blickte zu Eames. Seine Hand schloss sich fest um den Schlüssel, so fest, dass es schmerzte. Doch er merkte das nicht. „Ich sollte nicht in Mexiko sein.“ Ein trauriges Lächeln lag auf seinen Lippen, während er beobachtete, wie Tom die Blüten ihrer Apfelbäume betrachtete. „Allerdings hat er Candela auch zu mir geschickt.“ Er sah wieder zu Ariadne. „Sobald wir fertig sind, werde ich nicht mit dir nach New York zurückkehren. Ich sollte ihm endlich einmal zeigen, dass er mir wirklich wichtig ist.“ Erneut grollte Donner, doch es schien sich zu entfernen. „Das hier“, er zog eine, die freie Hand aus den Hosentaschen und machte eine ausladende Geste, „ist nicht real. Es ist ein Konstrukt von something dem wir uns nicht trauen einen Namen zu geben. Es ist fragil. Wir haben noch nicht einmal geschafft, dieses Haus jemals gemeinsam zu betreten.“ Er biss sich auf die Unterlippe, zögerte, wollte noch etwas sagen, doch er brachte es nicht über die Lippen, hörte es nur in sich widerhallen. ‚Und ich weiß nicht, ob wir es jemals schaffen werden.‘ Er wollte darauf vertrauen, dass wenn er sich auf den Weg machte, er auch ankommen würde. Doch er hatte Angst, dass das vielleicht nie sein würde. Und was dann wäre, mochte er sich nicht ausmalen. Ariadne Und das nächste Fettnäpfchen. Ariadne beobachtete mit Schrecken, wie stark sich Arthurs Traum von dessen Gefühlswelt beeinflussen ließ. Eigentlich hätte sie so etwas erwarten sollen – alles was nicht nach außen drang musste sich ja irgendwo im Innern abspielen. Sie erschauderte ob des Donners und des bedrohlichen, graugrünen Himmels. Stürme machten ihr Angst. Innere, wie Äußere. „Ich sollte nicht in Mexiko sein.“, in der Tat, dachte sie. Etwas kraftlos war sie mit einer Schulter an die Hauswand gesunken. Das Glas war bereits abgekühlt, trotz der sanften Strahlen der Nachmittagssonne, die zuvor darauf geschienen hatten. Mit leicht gesenktem Kopf sah sie Arthur zu, wie er mit sich kämpfte. Er würde nicht wieder mit nach New York kommen; die Erkenntnis war nicht leicht zu verarbeiten; andererseits hatte sie nun endlich Gewissheit. Sie hatte ein winziges Loch in die harte Außenschale gebohrt. Der innere Kampf war jedoch noch nicht vorbei und Ariadne spürte den Schmerz deutlich und schwer in ihrer Magengrube. Mit ähnlich gequältem Ausdruck kam sie auf Arthur zu und griff nach seiner geballten Faust, streichelte dabei seinen Handrücken sanft mit dem Daumen. »Also ich kann euch da drin sehen.«, sagte sie leise, aber selbstbewusst. Erst danach suchte sie vorsichtig seinen Blick. »Ich habe vorhin reingesehen und ich kann mir sehr gut vorstellen, wie ihr zusammen neben diesem riesigen Bücherregal unter dieser zweifelhaft schönen Deckenlampe sitzt.«, sie versuchte es mit einem aufmunternden Lächeln. »Wie Eames mit offenem Bademantel und Whiskey in irgendeinem… Börsen-Magazin blättert und du in einen Roman von Oscar Wilde vertieft bist.« Sie wusste nicht, ob es richtig war, was sie sagte. Sie wusste nicht mal, ob Arthur gerade überhaupt irgendetwas hören wollte. »Murphy’s Law: „Alles was passieren kann, wird passieren“.«, sprach sie einen etwas wirren Gedanken laut aus und hatte umgehend eine Vision von Arthur vor dem Schreibtisch, wie er in liebevoll, fantastischer Arbeit dieses Haus auf dem Zeichenbrett kreierte. Irgendwo in den bergigen Wäldern von Wyoming würde es stehen und es wäre sicherlich nicht immer von Leben erfüllt, aber von Zeit zu Zeit würden Arthur und Eames dort sicherlich sehr glücklich sein. Arthur Die Hand, die nach seiner Faust griff, ließ ihn sich verkrampfen. Doch er entzog sich ihrer nicht. Er blickte hinab auf den streichelnden Daumen und wurde sich erst jetzt gewahr, dass der Schlüssel darin sich in seine Hand bohrte. Langsam entspannte er die Hand, spürte den Schmerz, den der Schlüssel verursachte, spürte, dass es brannte, er blutete. »Also ich kann euch da drin sehen.« Arthur hob den Blick, suchte Ariadnes, die nun begann ein Szenario zu schildern dessen Ausführung so tief in ihm etwas berührte, dass er stark an sich halten musste, um nicht noch emotionaler zu werden. Er blickte sie an, spürte den Klos im Hals, spürte das leichte Brennen in den Augen. Gott, seit wann war er so nah am Wasser gebaut!? Erstaunt stellte er fest, dass es ihm doch eigentlich unangenehm sein müsste, doch seltsamerweise war es das nicht. Das war nicht so, weil er in ihren Augen seinen eigenen Schmerz sehen konnte und sich verstanden fühlte. Da war kein Spott, kein Auslachen, keine Missbilligung oder gar die Verachtung, die ihm sein Vater gern in schwachen Momenten entgegenbrachte. Dafür begann sie ein Bild zu zeichnen und er sah dieses Bild von ihnen beiden, sah so deutlich dieses Wohnzimmer vor sich - wieso hatte er Zweifel? Wo es doch genau das ist, was er sich seit acht Jahren, seit ihrer ersten Begegnung so sehr wünschte, sich so oft erträumt hatte, sich so sehr danach gesehnt hatte. Und gerade jetzt war doch genau diese Zukunft erreichbar geworden. Er musste nur endlich zugreifen - sich entschuldigen und zugreifen. »Murphy’s Law: „Alles was passieren kann, wird passieren“.« Seine Hand hatte sich geöffnet, es sah so aus, als habe der Schlüssel sich in seine Haut gegraben. Der Schmerz war jedoch weg und auch die Haut schien sich zu erholen. Arthur schluckte, war noch immer etwas verloren in der Erkenntnis, dass er endlich das Leben in Angriff nehmen sollte, das er sich schon lange gewünscht hat. Und insgeheim hoffte er nun fast, dass Eames nicht nach Mexiko kommen würde, sondern dass er zu ihm nach Mombasa kommen wird, um ihm zu sagen, wie sehr er ihr something und dieses Haus hier wirklich wollte. Arthur spürte, wie er Ariadne in eine Umarmung zog, um sie nicht ansehen zu müssen, und damit sie ihn nicht weiter ansah, ihn so schwach sah. Er merkte, wie er sich an ihr festhielt, wie er einige Momente einfach durchatmete, bis er sich wieder gesammelt hatte. „Wenn das Haus betretbar ist, bist du die erste, die unser Gast sein wird.“ Als er sich löste bemerkte er, dass sich das Licht geändert hatte. Die Sonne stand am Horizont, blutrot und wunderschön. Das rötliche, teils lachsfarbene Licht spielte im Garten, reflektierte im Glas. Doch um diesen Garten herum begann sich der Traum bereits aufzulösen. Eames kam zu ihnen. „Ich gehe jetzt“, sagte Arthur, trat auf ihn zu, um ihn zu küssen. „Und komme zurück zu dir.“ Er lächelte, blickte noch einmal in den Sonnenuntergang. Oder war es der Sonnenaufgang? Arthur „Jesse, ich habe da einen Mann, über den ich zu wenig weiß.“ „Und über den du alles wissen möchtest“, fügte Jesse an und Arthur bildete sich ein zu hören, wie jener sich aufrecht hinsetzte. Schon mal ein Pluspunkt. Arthur wettete, dass Jesse mitmachen würde. Nicht, weil er sonderlich an seinem Fall interessiert war. Solche Dinge bedeuteten ihm vermutlich nicht viel. Was ihn dagegen lebhaft motivierte, war es, unbekannte Daten in den Tiefen seiner Tastatur aufzustöbern, und je geschickter diese Daten vergraben waren, desto mehr elektrisierte ihn die Kunst, sie nach oben zu holen. Manolo Vincenzo war nicht derjenige, der den Hacker herausforderte. „Ich hoffe, es ist schwierig“, sagte Jesse und legte die Hände hörbar auf die Tastatur. Nun war Arthur wirklich sicher, dass der Mexikaner Jesse gelangweilt hatte. Eben hatten sie alles über diesen ausgetauscht. Leider war er von den Geistern nur über Wegwerfhandys kontaktiert worden, die seitdem auch nicht wieder eingeschaltet worden sind. Allerdings hatten sie die Verbindung zu einer Fabrik nahe Cancuns herausgearbeitet. Viele Ecken, über die Geld geflossen ist. Nun galt es herauszufinden, was es mit der Firma auf sich hatte. Darum würde er sich morgen kümmern. Im Moment war Ariadne unterwegs, um Dom vom Flughafen abzuholen. Danach würden sie alle Informationen durchgehen und einen Plan fassen, um die Extraktion bei Manolo durchzuführen. „Du findest Fotos und den Namen auf einer Plattform, zu der ich dir gleich einen Link schicke. Bis wann kann ich mit Informationen rechnen?“ Er hörte die Tastatur, das Klicken einer Maus und dann ein überraschtes Pfeifen. „Schwerer Hund“, murmelte Jesse mit einem Hauch von diebischer Freude in der Stimme. „Gib mir fünf Tage…“ Arthur überblickte die Pinnwand, die er vorbereitet hatte. Eine Tafel war frei, auf der sich im Laufe des Tages ein Plan herauskristallisieren würde. Er war mit seiner Vorarbeit zufrieden, die Feinheiten wurden von anderen noch gefüllt. Zunächst war wichtig, dass sie Manolo knackten und dann auf die Spur der Kunstgegenstände kamen. Nach dem Telefonat mit Jesse hatte er nach jener Firma gesucht, die unter Umständen eine Spur war. Offenbar handelte es sich um eine Firma für Verpackungsmaterial. Irgendwas war daran seltsam. Wie genau die Extraktion ablaufen würde, würde Dom bestimmen. Er konnte sich vorstellen, dass sie Manolo bei seiner Mutter zu Hause überraschen und ihn auf den Weg in das Bordell schicken. Sie mussten ihm Angst machen, mussten Hinweise auf die Kunstgegenstände im Traum hinterlassen, die ihn dazu veranlassen würden, Informationen herauszurücken. So als sei jemand drittes auf seiner Spur und er konnte seinen Kopf nur aus der Schlinge ziehen, wenn er redet. Aber bei diesen Dingen, war er definitiv nicht der beste. Diese Pläne schmiedeten andere. Er war nur dafür verantwortlich, das Setting und den Ablauf zu perfektionieren. Der Rest ergab sich später. Arthur trank einen Schluck Wasser, lockerte ein wenig die Krawatte. Das Jackett hatte er über eine Stuhllehne gelegt. Im Grunde war es viel zu heiß für seine Klamotten. Anders fühlte er sich aber nicht wohl. Er atmete tief durch, genoss die Stille. Sein Blick blieb an einem Namen auf der Pinnwand hängen - ‚Eames‘. Ob er kommen würde? Ein Teil von ihm hoffte, dass es nicht so wäre. Er wollte ihn in Mombasa treffen, wo er vielleicht darum herumkommen würde, ihm explizit zu sagen, wie wichtig er ihm war. Vielleicht würde dort ausreichen, dass er gekommen war. Ein anderer Teil von ihm hoffte auf Tom hier in Mexiko, als Unterstützung, als Team-Mitglied. Ein anderer Teil hatte Angst davor, dass ein Treffen hier nur im Streit enden würde, dass alles zerstört werden würde, dass sie es nicht schafften, das Steuer herumzureißen, bevor der Karren gegen die Wand fuhr. Ariadne und er waren am vergangenen Abend gemeinsam ins Hotel zurückgekehrt, hatten sich an der Bar noch etwas zu trinken gegönnt. Es war seltsam, dass nun jemand wirklich über so vieles Bescheid wusste, was ihn und Eames betraf. Mal hatte auf ihre ganz eigene Art gewusst, was zwischen ihnen bestand, und auch wenn sie nie direkt darüber geredet hatten, sie sich nie direkt eingemischt hatte, so war ihr warnender Blick immer da gewesen. Der Brief spiegelte das nur zu deutlich wieder. Dom ahnte gewiss, dass zwischen ihm und Tom etwas Spezielles war, in welcher Richtung auch immer. Doch er hatte nie nachgefragt, selbst zuletzt in Los Angeles nicht. Manchmal war sich Arthur nicht sicher, ob das aus Höflichkeit geschah, weil er wusste, dass Arthur darüber nicht gerne sprach, oder weil es doch auch in gewisser Weise Desinteresse war. Diesen Gedanken hatte er seit Neapel, als ihm bewusst wurde, dass Dom nicht jede Verantwortung zu tragen bereit war, die ihm persönlich nichts brachte. Sie hatten ein gutes Verhältnis, privat und hinsichtlich des Dream-Sharings. Aber das lag auch daran, dass Arthur immer alles für ihn getan hatte. Konnte er aber sagen, dass Dominik immer alles für ihn getan hatte? Er wusste es nicht. Im Moment könnte er noch nicht einmal mit Gewissheit behaupten, dass er es tun würde. Etwas war hier in ein Ungleichgewicht gekommen. Wohin es sich bewegen würde, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen. Noch war der Punkt noch nie gekommen, an dem er Dom als Freund wirklich gebraucht hat. Noch war das, was er durchaus als Freundschaft bezeichnen würde, noch nicht von ihm in Anspruch genommen und damit auf eine Bewährungsprobe gestellt worden. Er hatte keinen Zweifel, dass er Dom immer vertrauen konnte, dass er ihn immer um Hilfe bitten konnte. Aber wie weit diese Hilfe gehen würde, das wusste er noch nicht abzuschätzen. Früher hätte er keine Zweifel gehabt. Er hoffte, dass sich auch dieser leise Zweifel wieder geben würden. Stimmen im Garten ließen ihn aus den Gedanken hochschrecken. Er hörte Ariadnes Lachen, Dominicks Stimme. Ihre Besprechung konnte beginnen. Dom Die Hitze war unerträglich, weswegen Dom für alle als erstes eine Siesta anordnete, ehe sie mit der eigentlich Begrüßungs- und Besprechungsrunde anfangen würden. Selbst Arthur hatte er nur halbherzig auf die Schulter geklopft, als sie sich unter dem gewölbten Dach der Eingangshalle getroffen hatten. Danach war er postwendend für zwei bis zweieinhalb Stunden mit seinen Koffern auf seinem Zimmer verschwunden. Erst als sich die Temperaturen wieder etwas beruhigt hatten, war er frisch geduscht im Seminarraum erschienen, den Arthur für die Zeit ihres Aufenthaltes gebucht hatte. Ein schönes Zimmer: geräumig, altmodisch mediterran eingerichtet, rustikaler Fließenboden, der die Hitze des Tages dankend wieder abgab. Er trug einen hellen Leinen-Anzug und hatte ein paar mehr Knöpfe seines Hemdes geöffnet, als üblich für ihn war. Die beiden Koffer, die er mit sich trug beinhalteten die übliche Standartausrüstung, unter anderem einen PASIV. Ein paar Minuten später kam eine junge Hotelangestellte und servierte frischen Kaffee aus der Region. Candela saß etwas abseits von der Runde und nippte an ihrer Tasse. Sie sah übermüdet aus, trotz vorangegangener Siesta. Für sie schien das alles wohl noch am meisten Stress zu bedeuten. War sie doch die einzige, die keine Vorstellung davon hatte, was in den nächsten Tagen und Wochen passieren würde. Noch immer leicht unterkühlt, grüßte Dom Arthur mit einem knappen nicken. Auch er sah nicht besonders ausgeschlafen aus, da konnte es schon mal vorkommen, dass er etwas in sich gekehrt war. Ariadne hatte sich kurz mit der Mexikanerin unterhalten, verstummte jedoch, als ihr Blick Arthur traf. Ihr Mund zeigte ein aufmunterndes Lächeln, aber ihr Blick konnte das unangenehme Gefühl nicht verbergen. Die komische Frage, die im Raum stand. Über Eames wurde kein Wort verloren. Es schien für alle logisch, dass sie mit der Besprechung nicht auf ihn warten würden. Dom hatte Arthur gebeten eine kurze Zusammenfassung davon zugeben, was sie bisher wussten und im selben Zug seine Pinnwand zu erklären. Danach bat er Candela noch einmal Details zu Manolo zu ergänzen. »Sag uns einfach alles was du von ihm weißt und konzentriere dich dabei auf seine Hoffnungen und Ängste.« Die meisten Informationen hatten sie bereits, aber es war interessant den Mann noch einmal direkt vor Augen geführt zu bekommen, wenn auch etwas verfärbt. Eine gewisse Spinnenphobie Monolo‘s war noch ein schönes, kleines Detail was Dom mit aufnahm – solche Kleinigkeiten konnten hin und wieder über den Erfolg oder Misserfolg einer Extraction entscheiden. »Ich möchte, dass ihr beide euch die Bordelle in der Umgebung genau anschaut.«, dabei deutete er auf Ariadne und Arthur. Die beiden würden die Designs der Labyrinthe auf den beiden angesetzten Traumebenen übernehmen. Candela würde als Tourist und letzter Jackpot mitkommen; der genaue Plan diesbezüglich stand jedoch auch noch nicht fest. »Wer kümmert sich um die Fabrik in Cancun?«, wandte er an Arthur. Arthur Seine Schuhspitze malte Formen in den Staub, an der Zigarette wurde unruhig gezogen, bevor Arthur diese neben der ersten im Aschenbecher auf der Terrasse des Hotels ausdrückte. Er war genervt im Konferenzraum zurückgeblieben, nachdem Dom erst einmal angeordnet hatte, die größte Hitze noch vergehen zu lassen. Dom hatte müde ausgesehen, das erklärte das vielleicht. Allerdings wirkte in diesem Zusammenhang der PASIV-Koffer, den er mit sich aufs Zimmer nahm, seltsam und hinterließ einen herben Beigeschmack. Arthur wollte anfangen. Er war vorbereitet und wollte arbeiten, trotz der Hitze, die im Zimmer dank halb funktionierender Klimaanlage noch einigermaßen erträglich war. Er wollte anfangen, um möglichst bald aufhören zu können. Er wollte den Fall so schnell wie möglich abschließen. Von seinem Unmut ließ er sich nichts anmerken, nahm dafür Candela in Empfang, die kurz nach seiner dritten Zigarette eintraf und sich freute ihn zu sehen. Er ließ eine Umarmung zu und hielt sie einen Moment, weil er das Gefühl hatte, dass sie das brauchen könnte. Sie wirkte blass, trotz des dunklen Teints, wirkte dünner, was ihm auffiel, weil ihre so wohlproportionierten weiblichen Rundungen sie in seinen Augen so hübsch machten. Zusammen mit dem strahlenden Lächeln, das er an diesem Tag gänzlich vermisste. Es war gut, dass er hier war. Eames wäre wichtiger. Sie sprachen über Manolo, von dem sie das Bild eines einfältigen Narren zeichnete, der aufgrund mangelnder Bereitschaft, sich beim Arbeiten anzustrengen, hofft, durch illegale Machenschaften auch ohne großen Aufwand ans dicke Geld zu kommen. Candela deutete an, dass ähnliche Machenschaften und seine Selbstüberschätzung ihn verändert hatten. So sehr, dass aus dem einst liebenswerten Chaoten ein Schläger geworden ist, der auch die Hand gegen sie erhoben hatte, nachdem sie ihm angedroht hatte, ihn zu verlassen, wenn er nicht endlich wieder sein Leben in den Griff bekomme. Er hörte ihr zu, las zwischen den Zeilen, denn auch sie nahm Eames nicht in den Mund. Ariadne stieß schließlich zu ihnen, so dass Arthur noch einmal über seine Pinnwand huschen konnte. Als Dom dann wieder auf den Plan rückte, konnte Arthur endlich beginnen und die Fakten zusammentragen, die wichtig waren. Die Distanz, die Dom ihm gegenüber zeigte, wunderte ihn ein wenig, andererseits war das hier auch nicht ein privater Besuch sondern ein Job. Und Arthur hatte schon immer geschätzt, dass Dom eine klare Linie der Professionalität fuhr, die so manch anderem Teammitglied abging. Insofern nahm er das hin, straffte selbst die Haltung und konzentrierte sich auf das Wesentliche, nämlich die Extraction bei Manolo so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Das Lächeln, das Ariadne ihm schenkte, brachte den Gedanken an eben jenes Teammitglied weiter nach vorne, an das er hier lieber nicht denken wollte, dessen Namen er dennoch nicht von der Pinnwand verbannt hatte, schließlich gehörte er zur Vorgeschichte. Er hatte nicht gewagt, Candela nach ihm zu fragen. Und doch spürte er etwas wie eine Unsicherheit bei allen, was das betraf. Keiner schien seinen Namen in den Mund nehmen zu wollen. Wollten sie ihn schonen? Aber warum? Hatte Ariadne etwas erzählt? Oder was war der Grund? Er hatte gar kein Problem damit, wenn er nicht käme! Ganz im Gegenteil, es wäre alles viel einfacher für ihn. Oder wussten sie mehr als er? Hatten sie Kontakt zu ihm? Unmut regte sich in seinem Magen. Unmut darüber, dass man ihn so seltsam mit Samthandschuhen anfasste. Als ob ihn Tom irgendwie aus der Bahn werfen könnte! Dass Eames noch kommen würde, daran glaubte er nicht mehr. Ein Teil in ihm, war darüber erleichtert, ein anderer Teil ließ natürlich aber auch seine Sorge wachsen: um Eames selbst, aber auch um ihr something. Doch beide Teile hatten gerade hier nichts verloren. Jetzt war wichtig, endlich richtig anzufangen. So etwas nannte man Professionalität - sein zweiter Vorname! Als er begann, spürte er wie er sich entspannte. Endlich ging es los. Die vergangene Nacht hatte er damit verbracht, einen Zeitplan zu optimieren, um möglichst schnell erfolgreich sein zu können. Er wusste, dass solche Pläne von zu vielen Faktoren abhängen konnten, so dass jeder Plan jederzeit überdacht und abgepasst werden musste. Doch wenn man ohnehin nicht schlafen konnte, musste man das beste daraus machen. Und je präsenter das Timing war, desto effektiver konnte man auf Unvorhergesehenes eingehen. Arthur war zufrieden mit ihrer Vorarbeit, Ariadne hatte bei den Labyrinthen Informationen beigesteuert, Candela hatte das Bild von Manolo vervollständigt, was Arthur sogleich in die Pinnwand aufgenommen hatte. Nun galt es, dass der Extractor den Zeitpunkt festlegte, den Ort, den Ablauf mit ihm abstimmte. Auf die örtlichen Gegebenheiten würde er dann vorbereiten, sobald die Location und der Zeitpunkt feststanden. „Ich werde morgen zu jener Fabrik fahren. Die Erkundung kostet uns wegen der langen Fahrt ca. sechs Stunden, so dass ich schon sehr früh losfahren möchte“, erklärte er. „Ariadne kann dir in dieser Zeit, die Labyrinthe zeigen.“ Er blickte sie kurz an und sie nickte. „Was die Bordelle betrifft: ich werde Ariadne gewiss nicht in ein mexikanisches Bordell mitnehmen, in dem die Kartelle ihr Geld waschen, Drogen verticken und Menschen verschwinden lassen.“ An diesem Punkt hatte er gehofft, dass Eames doch noch kommen würde. Mit ihm solche Etablissements zu besuchen, war immer ein nettes Abenteuer gewesen. Auch wenn er meist die Nacht noch brauchte, um seine Eifersucht wieder unter Kontrolle zu bringen (meist indem er sich eingeredet hatte, dass genau das der Grund war, weshalb er sich nie auf ihn einlassen durfte). „Ich kenne jemanden, der dort arbeitet“, warf Candela ein, unsicher, ob sie überhaupt reden durfte. „Im ‚Pleasure Principle‘ arbeitet eine Schulfreundin von mir, ‚Cereza‘.“ Das waren gute Neuigkeiten. „Und Manolo war auch oft in einem ‚Club‘, der Coyote’s heißt.“ Eames Die vergangene Woche in Kenia hatte etwas Heilendes für Eames gehabt. Er hatte einen speziellen Menschen wiedergetroffen, der ihm Kraft gegeben hatte – auch wenn sie nicht viel mehr getan hatte, als zuzuhören und Schnaps zu kaufen. Die furchtbare Zeit in Italien (vor allem die Zeit nach Arthurs Abgang) war etwas übergossen worden und erschien ihm aktuell nur noch wie ein gräulicher Schatten. Immer noch unangenehm präsent, aber längst nicht mehr so zerstörerisch, wie vorher. In dieser Hinsicht konnte Alkohol doch wahre Wunder bewirken. Er hatte sich vor ein paar Tagen ein neues Handy angeschafft und stand seitdem mit Dom in Kontakt. Diesen hatte er gebeten nichts über seine Ankunft auszuplaudern; er wusste ja selbst nicht genau wann er ankäme und wollte damit weder Candela noch irgendjemand anderen (Arthur) belasten. Dom verstand nicht ganz, aber hinterfragte auch nicht. Er wusste ja, dass da etwas zwischen seinem Forger und seinem Point Man war, aber weigerte sich dem irgendeinen Namen zu geben. Irgendwann gegen Nachmittag kam er am Residencial an und fragte sich beim Hotelpersonal durch. Es war eher Zufall, dass er auf Anhieb den richtigen Raum fand, in dem gerade die Besprechungen für die anstehende Extraction stattfinden sollte. Ein Job, der ihn per se nicht einmal etwas anging; schließlich war er eigentlich nur für Candela da. Einen Extractor gab es bereits im Team und einen Forger brauchten sie offensichtlich nicht. Sonst hätte Dom sicherlich etwas gesagt. Sein erster Blick traf Candela. Sie stand auf, stürmte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Sie umarmten sich lang und fest und niemand sagte etwas. Dom lehnte rücklinks an einem der Tische, neben einer der Pinnwände und mied Arthurs Blick; er mied jeden Blick. Ariadne war spürbar besorgt. Sie wollte wütend sein, hatte aber das unangenehme Gefühl nicht das Vorrecht darauf zu haben auf Eames sauer zu sein. Candela sagte leise etwas auf Spanisch zu Eames. Er nickte und entließ sie dann aus seinem allumfassenden Griff. Er räusperte sich, hob seine Umhängetasche wieder auf, die bei der heftigen Umarmung zu Boden gegangen war und setzte sich neben Candela in die letzte Reihe. Zum ersten Mal traf sein Blick Arthur, der vorne stand und offenbar etwas Sinnvolles beigetragen hatte, bevor er hereingeplatzt war. Die Zärtlichkeit und das Mitgefühl, das seine Mimik noch dominiert hatten, als er Candela im Arm gehalten hatte, waren aus seinem Gesicht gewichen, als er Arthur ansah. Nun trug er eine kühle Maske aus verletztem Stolz. »Lass dich nicht stören, darling.«, wandte er recht provokant an ihn. Er lehnte sich zurück und überschlug die Beine. Die Spannung war von allen Seiten deutlich spürbar. Ariadne wagte es nicht auch nur einen Mucks zu machen. Candela schien die einzige zu sein, die erleichterter war als zuvor. Schließlich war Eames für sie der einzige Mensch, der für sie am Ende immer alles hatte gut werden lassen. Arthur Durch Candelas Information über ihre Freundin, kristallisierte sich in der Festlegung des Ortes, wo die Extraction möglich wäre, immer mehr das Bordell heraus. Über eben jene Freundin war es unter Umständen möglich, genauere Infos zum Etablissement genauso wie zu Manolo zu erhalten. „Laut Jesse ist er immer an den gleichen Abenden dort: mittwochs, freitags und samstags“, las Arthur aus seinem Notizbuch für diesen Job vor und sah dann zu Cobb. „Dann werde ich morgen den Touristen mimen, der etwas Ablenkung sucht, und mit Candelas Freundin Kontakt...“ Arthur brach im Satz ab, als die Tür aufging. Im Nachhinein betrachtet, war es ein skurriler Moment, ein Auftritt, wie er Eames generell entsprach, den er selbst gerne mochte. Nur im Moment schien es Arthur den Boden unter den Füßen wegzureißen. Während er normalerweise gelassen damit umgehen konnte, hatte Arthur jetzt eher das Gefühl, dass ihm gerade jemand eine Faust in den Magen gerammt hätte. Er zwang sich, den Mund zu schließen, beobachtete, wie Candela freudestrahlend auf Tom zuflog, wie sie sich umarmten und so vertraut miteinander waren, dass er das Gefühl hatte, eigentlich ohnehin schon aufgeben zu können. Schließlich wusste er von sich, dass er nie so sein könnte, Tom aber genau so eine Begrüßung durchaus verdient hätte. Der Anblick dieser beiden ihm so lieben Menschen verursachte tiefen Schmerz und Übelkeit. Sein Magen verkrampft sich; In ihm schrie etwas danach, genau diese Umarmung auch zu wollen, so wie er es sich im Traum gegönnt hatte. Genau dieser Teil von ihm redete auch auf ihn ein, forderte ihn auf, er möge Eames begrüßen, zu ihm gehen, vor den anderen auf ihn zugehen. Allerdings - eine Umarmung vor all den anderen? Was, wenn Tom ihn zurückweisen würde? Vor all den anderen? Sie arbeiteten hier gerade. Das war kein Kaffeeklatsch alter Bekannter, die sich heiter begrüßten. Aber selbst wenn Eames ihn nicht bloß stellen würde: hatte er eine solche Umarmung verdient? Und überhaupt... Der Moment war ohnehin schon vorbei, der Kokon, der um Candela und Eames entstanden war, duldete ohnehin keine Eindringlinge. Er gönnte es ihr, aus ganzem Herzen, denn nun trug sie wieder das Lächeln, das er vorhin noch vermisst hatte. Warum war er..., warum war das alles was mit Tom zu tun hatte nur immer so beschissen verkorkst?! Er fühlte sich seltsam hilflos. Und Hilflosigkeit führte bei ihm stets dazu, Haltung anzunehmen und alles mit Stolz und einem Hauch von Arroganz zu ertragen, was es zu ertragen galt. Sein Blick glitt zu Ariadne, um nicht mehr zusehen zu müssen, und auf ihrem Gesicht spiegelte sich zweierlei - etwas wie Mitgefühl ihm Gegenübers, aber auch Wut... auf Eames? Oder Dom? Jäh wendete sich sein Blick zu Dom, der seinem auswich. Das Puzzle vollendete sich mit der Erkenntnis, dass dieser sich vorhin nur aus einem Grund seltsam verhalten hatte: er hatte Bescheid gewusst, hatte Kontakt gehabt und deshalb das Meeting hinausgezögert. Und viel schlimmer noch: er hatte ihm nichts gesagt! Arthur spürt eine brennende Wut in sich aufkochen. Eine unbändige, zerstörerische Wut, auf Dom, auf Eames. Was war das für ein Spiel, das hier gespielt wurde?! Wollten sie sich auf seine Kosten amüsieren? Seine Kiefer pressten sich aufeinander und er blickte nun doch wieder zu Tom, vermutlich aus dem Gefühl heraus, selbst auch angesehen zu werden. Der Gesichtsausdruck des anderen war der Schlüssel zu all den Empfindungen, die er eigentlich weggesperrt hatte, die ihn aus Italien getrieben hatten, die ihn in eine Tiefe gestürzt hatten, die er zuletzt eigentlich hatte abwenden wollen. Abwenden, indem er auf Tom zuging. Doch nun war da nur noch Trotz zu spürten, Trotz und Stolz. War er ihm wirklich nur Mittel zum Zweck gewesen in Italien? Unbedeutend ansonsten? Egal? Ließ er ihn lieber an sich selbst zugrunde gehen, als dass er sich bei ihm meldete? »Lass dich nicht stören, darling.« „Gewiss nicht“, entgegnete er milde lächelnd ohne nachzudenken, drehte sich zur Pinnwand, um fortzufahren. Er suchte nach Worten - doch da war nichts, gar nichts. In seinem sonst so geordneten Kopf befand sich gar nichts mehr, Leere, ein weißes Nichts. Darunter lag alles in Scherben. Es war, als habe Tom mit dem Öffnen der Tür alles umgestoßen, was einmal ein Gedanke in ihm gewesen war. Arthur zögerte, schwieg, spürte sein Herz scheinbar überall in seinem Körper schlagen: in seiner Brust, im Hals, im Kopf, in den etwas weichen Knien. „Jedenfalls müssen wir ...“, setzte er an und schwieg wieder. Er hatte wirklich keine Ahnung, wovon sie zuvor gesprochen hatten. Seine Gedanken überschlugen sich in dem Vakuum seines Kopfes zusammen mit dem seltsamen Gefühl, dass ihm niemand zu Hilfe kommen würde. „Ich denke, Ceresa wird dich morgen Abend gewiss in Empfang nehmen können“, sprang nun Candela ein und Arthur warf ihr einen dankbaren Blick zu, atmete kurz durch. Ihr Lächeln war zurück, seines gestorben. „Ich rufe sie nachher an.“ Arthur nickte, blickte wieder zur Wand, sammelte sich. Ein neuer Punkt, ein neuer Inhalt musste her... „Was wir noch nicht genau wissen“, sagte er nun und blickte in die Runde, „ist, wie wir an die Kunstgegenstände rankommen. Alles steht und fällt mit den Informationen, die wir über Manolo erhalten werden. Unser Hacker ist darauf angesetzt, im Darkweb die Augen offen zu halten , ob sie angeboten werden. Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass das Kartell um Carlos Gobbelin die Finger im Spiel hat.“ Arthur deutete auf das Gesicht eines Mannes. „Gobbelin ist Hotelier an der Küste von Cancun bis hinunter nach Playa del Carmen, ein angesehener, reicher Mann mit vielen Beziehungen und...“ Arthur hatte noch immer nicht das Gefühl, gänzlich wieder in der Spur zu sein. Er spürte Eames‘ Blick auf sich und es machte ihn rasend. Er streckte sich, versuchte lockerer zu stehen. „Wir, also Jesse... konnte einzelne Fäden mit ihm in Verbindung bringen. Ähm... Ihm gehört auch die Fabrik. Zudem ist er ganz offiziell als Kunstsammler bekannt. Er hat sogar schon Exponate aus seiner privaten Sammlung für Ausstellungen an die USA verliehen. Wenn er wirklich hinter all dem steckt, wird es schwierig bis unmöglich an ihn ran zu kommen. Unklar ist auch, inwiefern die Geister ihm wirklich unterstellt sind, oder ob er sie nur angeheuert hat. Eventuell könnte jemand von uns versuchen als Sammler Kontakt aufzunehmen, einen Termin auszumachen. Er hat ein großes Anwesen südlich von Cancun, in der Nähe des Strandhauses, das ich für uns gebucht habe. Allerdings bleibt diesbezüglich ohnehin abzuwarten, was die Extraction an Erkenntnissen bringen wird.“ Er nickte leicht, überlegte, was er noch hatte sagen wollen. Die Leere nahm kaum mehr Gestalt an. „Die Fabrik, zu der ich morgen fahre und über die Manolo seine Bezahlung erhält, gehört zumindest auch ihm“, fügte er noch etwas zerstreut an, ohne zu merken, dass er das bereits gesagt hatte. Eames Es war ein absurdes Schauspiel. Eames sah dabei zu, wie sich Arthur verkrampfte und sein Pflichtprogramm abspielte. Alles so wie es soll – schöne Scheiße. Er spürte, wie seine Kiefer spannten. Wie ein innerliches Beben durch seine Knochen ging; durch seine Beine, seine Schultern und Arme und seine Brust. Er konnte kaum atmen, als er ihn da vorne reden sah. Es war, als müsste er seinen Körper bändigen nicht wie ein Vulkan zu explodieren. So if you go And leave recklessly We can only be me We can only be me That's something I Through the tons of my life Never wanted to be Er hatte nicht damit gerechnet, dass es ihn so aus der Bahn werfen würde. Irgendwo hatte er doch gute Absichten gehabt, als er hergekommen war, oder etwa nicht? Er zweifelte mal wieder an seinem gesunden Menschenverstand. So viel ging ihm durch den Kopf und nichts. You're missing us now You're missing us now Dom nickte nur, etwas abwesend. Sagte nichts mehr. Stattdessen kaute er auf der Innenseite seiner Wangen herum. Eames schenkte ihm nur den Hauch eines Blickes. Seine Aufmerksamkeit galt ganz Arthur. But if you're getting even You're getting even Trying to get even Ariadne war die Hilfslosigkeit auf der Stirn geschrieben. Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und konnte es nicht lassen hin und wieder aus dem Augenwinkel zu Eames nach hinten zu sehen. Niemand schien dem Vortrag Gehör zu schenken, außer vielleicht Candela. Es war schier erstaunlich wie gut sie alle anderen den Elefanten ignorierten, der mitten im Raum stand. I can forgive And we can forget Even after all this Love and other nonsense we've made Es war bereits eine halbe Minute Stille im Raum, nachdem Arthur geendet hatte, als Eames sich räusperte. Er hatte aus der tiefen Hosentasche seiner graublauen Anzughose einen Zettel hervorgeholt, der Arthur wohl bekannt sein dürfte. »„Eames, leider nötigen mich manche Ereignisse im Büro dazu, bereits jetzt abzureisen. Ich wünschte, es wäre anders und wir hätten etwas mehr Zeit gemeinsam. Freue mich über Nachricht von dir! Arthur.“«, es war ein monotones, raues Ein- und Ausatmen von Worten. Nun merkte auch Candela, dass etwas nicht stimmte. Ihr Blick haftete verwirrt auf Eames, als könnte sie zwischen den tiefen Falten auf seiner Stirn eine Antwort finde. Aber sein Gesicht war eine verschlossene Maske. It's the worst part of the best of me, best of me Love, I'm trying so hard to be free »Oh, Arthur.«, seufzte er. »Mein Abgänge waren sicherlich nicht die schönsten, aber das – nach all dem – puh.« Dom war noch immer in einer Art Schockstarre, aber allmählich taute er auf. Er suchte Arthurs Blick und wirkte sogar recht besorgt, aber nicht gänzlich frei von Schuldbewusstsein. Bevor er jedoch seine Stimme wiedergefunden hatte, sprang Ariadne nun wütend auf und riss dabei ihren Stuhl um. Es schepperte laut, als er auf dem Boden aufkam. »Was fällt dir ein, du widerliches - !!!« Ihr Zwergenaufstaund verursachte bei Eames jedoch nur ein herablassendes Lächeln. Er konnte es ihr nicht übelnehmen, sie wusste es nicht besser, das arme Ding. Diese Reaktion verursachte jedoch nur noch mehr Wut und Entrüstung bei der jungen Architektin. Ihre Schultern zitterten und ihr Atem war hektisches Zischen. »... verlogenes -!!!« Worst of the best of me, best of me Love, I'm trying so hard to be free Lonely but free And out of love Arthur Da war sie. Die Stille. Die Stille, die sich bei einer alten, zerstörten Lagerhalle in seinem Genick festgebissen hatte, vor der er geflohen war, ohne zu begreifen, dass sie dadurch nur fester zugepackt hatte, sich nur noch mehr verbissen hatte, während er in der Leere seines Lebens versucht hatte, Halt zu finden, ohne es zu können, weil er diesen Halt in Italien zurückgelassen hatte. Diese Stille war erbarmungslos, aggressiv, scheinbar unüberwindbar. Doch da irrte er sich. Sie hätte durchbrochen werden können, sie hätte durchbrochen werden müssen. Er hatte nur viel zu spät begriffen, wie das möglich gewesen wäre. Es wäre ganz leicht gewesen, wenn er nur die Augen aufgemacht hätte. Nun brachte sie ihn ins Wanken. Während er hoffte, dass endlich jemand was sagte - während er nicht begriff, warum keiner etwas sagte, sah er, wie Eames einen Zettel herauszog. Die Stille packte ihn, beutelte ihn, setzte zum Genickbruch an. Die Stille ließ die Worte in diesem Raum groß werden, wiederhallen und auf ihn einprügeln. Arthur lehnte sich gegen den Tisch, der seitlich vor ihm stand, um nicht fallen zu können. »Oh Arthur. - Mein Abgänge waren sicherlich nicht die schönsten, aber das – nach all dem – puh.« Die Ohrfeige saß und schmerzte. Das Gefühl von Demütigung kannte er nur zu gut. Es war der gleiche Tonfall, die gleiche Strategie, die gleiche Stille, die er schon oft in seinem Leben im Kreise seiner Familie hatte ertragen dürfen. Jetzt auch in dieser Familie. Unbändige Wut stieg in ihm auf, paarte sich mit seinem Stolz, seiner Arroganz. Sie überrannte ihn, mühelos, und ließ seine Fassade der Ungerührtheit bröckeln, ließ seine Hand sich zitternd zur Faust ballen. Blinde Wut war das, die bisher nur zwei Wege kannte: ihn zum Gehen zu bringen, oder sich zu entladen bei demjenigen, der sie verursachte. Er war sein Leben lang gegangen. Und auch jetzt schien ihm die Option, einfach zu gehen, diesem Raum, diesen Menschen, Tom für immer den Rücken zu kehrten, eine sinnvolle Option. Einfach gehen, nie wieder zurückkehren und nie wieder diese Demütigung ertragen müssen. Allerdings wusste er aus Erfahrung, dass die Stille wieder mitkommen würde, ihn nie loslassen würde, ihm nur noch mehr Schmerz zufügen würde. Schmerz, der ihn diesmal brechen würde. Zudem war diese Familie hier - egal wie ungerecht sie sich gerade verhielt - nunmehr seine einzige. Sie war ihm wichtig. Sie war alles, was er hatte. Und alles, was er wollte. Die Zeit des Davonlaufens war vorbei. Ansonsten könnte er sich auch gleich eine Kugel verpassen. »Was fällt dir ein, du widerliches - !!! ... verlogenes -!!!« Arthur erwachte aus der anfänglichen Starre, überwand die paar Meter durch den Raum, schlängelte sich durch die Tische und legte seine Hand auf die Schulter der bebenden Ariadne, die ihn Funken sprühend ansah. Er schüttelte nur leicht den Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich das wirklich verdiene“, griff er ihre Worte auf, beendete den Satz allerdings nicht. Er wusste nicht, wie er fortfahren sollte. ‚Vielleicht habe ich das wirklich?‘ Sein Blick glitt zu Dom, den er eben völlig ignoriert hatte. Auch ihm galt die Wut, die er nur mit Mühe kontrollieren konnte. “Wird das zum Problem?“ „Ich kläre das.“ Seine schwarzen Augen richteten sich wieder auf Eames, der im Schutz seiner Selbstgefälligkeit dasaß und wartete, was geschah. Als er dessen Brief in seinem Büro gefunden hatte, hatte er endlich begriffen. Arthur hatte in diesem Moment begriffen,wie es Eames gegangen sein musste, als er einfach weg gewesen war und seinen Brief gefunden hatte. Ein Scheiß-Gefühl, das Arthur aus Tokio doch eigentlich selbst gut genug kannte. »Oh Arthur. - Mein Abgänge waren sicherlich nicht die schönsten, aber das – nach all dem – puh.« Das „Aber“, die Rechtfertigung, stand sofort bereit. Doch es gab im Grunde kein Aber. Es war falsch von ihm gewesen, einfach zu verschwinden und Eames mit den Geistern seiner Vergangenheit allein zu lassen. Er hatte sich unter der Dusche auch allein gefühlt. Benutzt und allein. Doch er hätte die Situation besser einschätzen können. »nach all dem« Er hätte vertrauen müssen, in ihre Gefühle, die im Strandkorb so deutlich gewesen waren. Hätte er vertraut, wäre ihm bewusst geworden, dass Eames ihn nicht von sich stieß, sondern um Hilfe geschrien hatte. Das Lächeln bevor er unter die Dusche gegangen war, hatte alles gesagt. Wie hatte er so blind sein können?! »nach all dem« Eames war nicht abweisend gewesen, sondern überfordert. Die einstürzende Halle, die Schüsse, Pistolenläufe, die auf ihn zielten, der Hass Lombardos wie Jobs - Ramadi. Eames war wieder im Krieg gewesen. Er war nicht fähig zu der Umarmung gewesen, genauso wenig wie Arthur. Doch Arthurs Hürde wäre kleiner gewesen, wenn er nicht nur an sich gedacht hätte, wenn er nicht Angst vor seinen Gefühlen bekommen hätte. Dennoch hätte er die Hürde nehmen müssen. My world was on fire and noone could save me but you. »nach all dem« Dieses ‚dem’ war nicht nur ihre Beziehung, es war auch das Massengrab gewesen. Er hatte versagt, weil er immer noch nicht vertrauen konnte, weil er nur seine eigene Befindlichkeit gesehen hat. Weil er immer nur sich sah. War er eigentlich besser als seine Familie? Sein Vater? Mitnichten. Stattdessen war er abgehauen, wie es Eames doch sonst immer tat, sei es wie in Tokio, wo er wirklich komplett weg war, oder sei es, indem er einfach einschläft - wie bei ihrem Gespräch über Archie, wie nach dem Tod von Jobs. Er hätte ihn in den Arm nehmen sollen, um selbst getragen zu werden - auch wenn es nicht einfach war. Arthur hatte in dem Moment, als Tom ihn nicht hatte sehen wollen, eine Ahnung davon bekommen, wie es Eames gegangen war. Er hatte sich vorgenommen, nie wieder so unaufmerksam zu sein. Gerade hatte er die Möglichkeit dazu. Egal, wie sehr er gerade gedemütigt worden war, wie sehr ihm schlecht vor Schmerz war, weil er das Gefühl hatte, nach einigen Ohrfeigen sein Herz herausgerissen zu bekommen. Vielleicht sollte er die verletzenden Worte, das verletzende Verhalten des anderen nicht nehmen, um seine Mauern zu bauen, sondern seine Mauer nutzen, um die Worte und das Verhalten einfach abprallen und verschwinden lassen. Eames war sauer, zum großen Teil gerechtfertigterweise. Das entschuldigte nicht alles, doch sie kamen nicht weiter, wenn sie beide auf ihren verdammten, beschissenen Stolz beharrten. Es führte nur zu mehr Streit, zu noch mehr Schmerz und endete doch nur wieder in Stille und Sehnsucht. Heute würde Arthur einfach mal seinen Stolz zur Seite schieben. Ein anderes Mal würde er das dafür von Tom verlangen können. „Könnte ich dich bitte kurz nebenan sprechen? Unter vier Augen, Tom?“ Seine Stimme klang seltsam. Ungewohnt fragil. Doch es war ihm gerade egal, dass man darin hören konnte, dass er verzweifelt war. Er deutete zur Tür, ging darauf zu, öffnete sie und wartete, dass jener sich erhob und seiner Bitte, seiner Geste nachkam. Er senkte den Blick nicht, als Tom an ihm vorbei in den Nebenraum ging. Sie mussten diese Situation klären, sonst würde alles in die Luft gehen. Er sah, wie Dom und Ariadne sich fragende Blicke zuwarfen, bevor er hinter Eames durch die Tür trat. Jener hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt, wirkte abweisend, sein stolzes Kinn nach oben genommen, ein herablassendes Lächeln auf den Lippen, der Blick schien herausfordernd. Arthur kam sich ein wenig so vor wie Don Quijote, der gleich auf Rosinante versuchen würde, Windmühlen zum Einsturz zu bringen. Er lockerte seine Krawatte, die sich so eng anfühlte, gab Tom etwas Zeit, sich zu positionieren. Ohne Umschweife trat er dann aber auf ihn zu, an ihn heran. Er packte ihn am Kragen, spürte, wie sich seine Wut kampflustig aufbäumte und ihm zuflüsterte, sie weitermachen zu lassen. Er blickte in diese Ocean eyes, deren Ausdruck er nur schwer deuten konnte. Arthurs Augen brannten, zu gerne hätte er jetzt ausgeholt, all seinen Frust an Tom ausgelassen, wissend, dass er den kürzeren ziehen würde. Ob Tom dann glücklich wäre? Wenn er ihm als Punshing-ball diente wie im Traum, im Hinterhof des Four Seasons? Er bildete sich ein, dass Tom etwas zurückwich, überrascht zu sein schien, während in Arthur noch etwas ganz anderes aufschrie, etwas Unerwartetes, etwas sehr Lebendiges. Etwas, das er viel zu lange unterdrückt hatte und das sich jetzt nach oben kämpfte und die Wut zur Seite stieß. Sein Knie, sein Oberschenkel drängte zwischen Toms Beine, seine Hände entkrampften sich, eine glitt über die Brust hinauf zur Schulter in den Nacken, wo seine Finger überprüften, ob sich dessen Haar noch immer so weich anfühlte. Dann küsste er ihn und in diesem Kuss lag nichts Unschuldiges, es war pures Verlangen. Er wollte daran glauben, dass ihr something nach wie vor existierte, er wollte vertrauen. Hiermit hoffte er zu zeigen, dass das von seiner Seite her wirklich so war. Er wollte Tom nicht entkommen lassen, denn auch so könnte man sein Verhalten interpretieren: Hoffte Tom, dass er beendete, was begonnen hatte, damit er frei sein konnte? So leicht ließ er ihn nicht entkommen. Seine freie Hand öffnete seine Krawatte weiter, zog sie erst sich, dann Eames über den Kopf. Erst dann löste er den Kuss. Er hielt Eames an seiner eigenen Krawatte fest, zog ihn zu sich, ließ ihn nicht entkommen und blickte ihm tief in die Augen. Es war ihm egal, dass seine Augen etwas schwammen, er schämte sich seiner Gefühle gerade nicht. „Ich weiß, dass ich nicht einfach hätte gehen sollen. Es tut mir leid“, sagte er dann mit ungewohnt belegter Stimme. Warmer Atem rann über seine Lippen. Sein Herz schlug schnell. „Es tut mir wirklich leid, dass ich dich enttäuscht habe. Entschuldige bitte meine Ignoranz. Ich habe damit einen großen Fehler gemacht. Ich habe dich völlig verkannt.“ Er hatte sich noch nie für sein Fehlverhalten entschuldigt. Dabei wäre es so oft nötig gewesen. „Ich könnte dir Gründe nennen, aber die würden nichts daran ändern, was ich getan habe, dass ich mich falsch verhalten habe.“ Er schluckte, suchte in den Augen des anderen nach Halt, einer Reaktion, die jedoch nicht sichtbar war. „Ich kann mir so oft vornehmen, gelassener mit allem umzugehen, weniger verkopft sondern mitfühlender zu sein, aber es gelingt mir leider nicht - noch nicht. Ich versuche mich zu bessern.“ Er wollte das, sie beide, ihn. Er wollte auf dem Weg sein, auch wenn der Weg gerade über eine wackelige Brücke ging, die über einer bodenlosen Schlucht am seidenen Faden hing. Er biss sich auf die Unterlippe, widerstand dem Drang, die Augen zu senken und Toms Blick auszuweichen. Nicht davonlaufen! Ich leide, du leidest. Dennoch sind wir hier. Alles andere ist doch egal, oder? Ja, Arthur hatte gelitten: an seiner Ignoranz, seinem Unvermögen, für Tom da zu sein, zu spüren, wenn er ihn brauchte, wenn jener nicht mit sich selbst zurecht kam. Er hatte alles nur auf sich bezogen, hatte nur das Schlimmste erwartet und nicht gemerkt, dass er damit Eames auf eine Art verletzt hatte, die anderen Menschen Grund genug war, für immer auf Abstand zu gehen. Dennoch war jener hier. Er hoffte darauf, dass es nicht zu spät war. Er hoffte es inständig. Er konnte Tom nicht mehr ruhig ansehen. Seine Hülle war zerstört durch diesen Brief, der rezitiert worden war, durch die Kraft, die er hierfür aufbringen musste, der Kampf gegen die Windmühlen. Er spürte, wie sich bei dem Gedanken, dass Tom ihn gleich von sich stoßen könnte, sich etwas in ihm verkrampfte. Oder sollte er jetzt lieber nicht zeigen, dass er Angst hatte? „Wir können das gerne später in Ruhe klären, wie Erwachsene: nackt und im Bett. Aber jetzt ist keine Zeit dafür, jetzt gehen wir da rüber und machen unseren Job! Candela braucht uns. Nein, sie braucht dich, ihren Retter in der Not. Mach ihr keine Angst.“ Seine Stimme klang etwas zittrig und nicht so selbstbewusst, wie er gewollt hätte. Er blickte den anderen an, wartete auf eine Reaktion, ein kurzes Nicken - irgendwas. Es befreite genauso wie es schmerzte, all das loszuwerden, was ihn aufgefressen hatte, seit er in Rom in den Flieger gestiegen war. Doch nun schlich sich Unsicherheit ein. Er hatte sich ausgeliefert, sich vor Tom ausgezogen. Würde der seidenen Faden durchtrennt werden? Würde er in die Schlucht, die bodenlose Tiefe stürzen? Arthur löste sich zögernd von diesem Körper. Gott, er hatte ihn vermisst, nicht nur körperlich, im Grunde auch diese Sticheleien, seine Art, die Dinge zu betrachten, die Art, wie er ihn ansah, alles. Weil er ihm zeigte, wo seine Schwächen lagen. Weil er ihn zum wachsen aufforderte, herausforderte. Und natürlich könnte man das auch anders sehen. Natürlich könnte seine gekränkte Eitelkeit darauf beharren, gerade unter der Gürtellinie getroffen worden zu sein. Aber wenn sie so weitermachten, weiter nur ihren Stolz hochhielten, dann würde es kein something mehr geben. Das durfte nicht geschehen. Das wollte er nicht geschehen lassen. Tom hatte schon oft genug klein beigegeben, war ihm schon oft genug hinterhergelaufen. Jetzt war er an der Reihe zu kämpfen. Es war längst überfällig. Arthur spürte, wie weich seine Knie geworden waren, wie sehr sein Herz schlug - das war nicht nur wegen des Kusses, es war vor allem, weil er vor der Reaktion Angst hatte. Gab es dieses something noch? Oder würde sich Tom wieder in seine Freiheit entlassen? Er sollte vielleicht zur Tür, zu den anderen zurückkehren und Eames den Raum lassen, sich zu entscheiden. Und so löste er sich wieder von ihm. Aber dann blieb er stehen. Nein, er würde jetzt nicht weglaufen. Nun war es an Tom zu entscheiden, wie es weiterging, ob es weiterging. Er würde nicht davonlaufen, egal was geschah. Eames Als sie einander gegenüberstanden – nur sie beide, Mann gegen Mann – legte sich eine eisige Schlinge um Eames Herz. Auch er wünschte sich, dass Arthur zuschlug, als er ihn abrupt am Kragen packte. Er wollte, dass der Vulkan ausbrach und er endlich alles loslassen konnte. Damit das Leiden ein Ende hatte, gleich auf welche Weise, denn das alles war ihm in den vergangenen Wochen ein Stück weit egal geworden. Es hatte egaler werden müssen, da er sonst mit dem sinkenden Schiff untergegangen wäre. Der Kuss traf ihn an seiner verwundbarsten Stelle. Die Sehnsucht und die nicht zu leugnende Reue Arthurs brachen wie ein Taifun über ihn herein und löschten den Brand. Für einen Moment war er wie erstarrt. Er spürte, wie seine Muskeln instinktiv spannten und er sich aus der Fessel aus Krawatten und Arthurs Spinnengriff befreien wollte. Doch dieses Bedürfnis hielt nicht lange an und machte einer Welle aus Erleichterung und Erregung Platz. Sie würden das klären, Arthur hatte es versprochen. Und nun war sich Eames zumindest sicher, dass das was er erhofft hatte, noch immer da war. Er brauchte einen Atemzug oder zwei, nachdem Arthur sich von ihm gelöst hatte. Sein Blick musste dem eines geängstigten Tiers im Käfig ähneln. In diesem Moment war alles ganz roh und heruntergebrochen, aber zum Glück auch klar. Er griff nach Arthurs Arm und zog ihn ein weiteres Mal zu sich. Diesmal war es an ihm seine Leidenschaft deutlich zu machen. Er küsste ihn, dann vergrub er sein Gesicht an Arthurs Halsbeuge und küsste auch diese gierig, während er den lang vermissten Geruch tief in sich einsaugte. Eine seiner Hände vergriff sich dabei fest in Arthurs Hintern und es erschien wie das Schwerste Kunststück auf der Welt sich aus diesem Konglomerat wieder zu lösen. Möglich machte dies wohl das schlechte Gewissen, dass Leute auf Arthur warteten.. wenn es nur nach Eames gegangen wäre, hätten sie gleich mit ihrer Versöhnung anfangen können. Klärende Gespräche könnte man danach immer noch führen. »Gib mir deinen Zimmerschlüssel, ich warte dort auf dich.« Er würde den Teufel tun mit Arthur zurück in das Besprechungszimmer zu gehen. Was er jetzt brauchte war eine Zigarette, eine kalte Dusche und ein Whiskey, als Grundlage um eine vernünftige Diskussion führen zu können. Arthur In seinem Traum am vergangenen Abend, als er sich der Versuchung hingegeben hatte, eine perfekte Welt zu betreten, in der all ihre Probleme und Differenzen nicht existent waren, oder zumindest lösbar und überwindbar, da war alles so einfach gewesen, so unkompliziert, so warm und sicher. Er wusste, dass Eames ihm keine Vorwürfe machen würde, dass er ihn nicht von sich stoßen würde, ihm nicht vor Augen führen würde, dass er es sich gerade womöglich viel zu leicht machte. Es war seine Projektion gewesen von einem Eames, der ihn immer verstehen würde, der ihm alle Verfehlungen verzeihen konnte. Nun aber stand der echte Eames vor ihm, dessen Blick ihm Angst machte. Er hatte ihn in die Ecke gedrängt, hatte angegriffen, hatte ihn mit seiner Krawatte eingefangen. Er kannte ihn gut genug, dass er wusste, dass ihn das hier alles auch in die Flucht schlagen könnte, ihn das Weite suchen lassen könnte. Aber dann wüsste er in der Ferne wenigstens, dass er ihn noch immer wollte, dass er sie beide wollte. Und wenn Tom fliehen würde, dann bliebe ihm vielleicht wenigstens seine Projektion, um nicht den Verstand zu verlieren. Oder würde er dadurch seinen Verstand erst recht verlieren? Arthur merkte erst, dass er die Luft angehalten hatte, als er Toms Hand an seinem Arm spürte, als er sich von Tom an diesen gezogen fühlte und sich in einem Kuss und einer Umarmung wiederfand, die in ihm ein Feuerwerk auslösten. Er hatte das Steuer herumreißen können, hatte die Schlucht überquert und spürte dasselbe Verlangen in diesem Kuss, das auch er empfand. Das Verlangen nach Sex, nach Nähe, nach einer Versöhnung, nach ihrem something. Der Brocken, der von seinem Herzen fiel, wog schwer, das Glücksgefühl, das durchbrach wirkte euphorisierend. Er erwiderte die Umarmung, drängte sich gegen den anderen, schmiegte, nein presste sich gegen ihn. Die Umarmung umhüllte ihn, trug ihn, tat ihm unheimlich gut. One day someone is going to hug you so tight, that all of your broken pieces fit back together. Das hatte Mal einmal zu ihm gesagt, nun kam es ihm wieder in den Sinn und es ließ ihn lächeln, während er Eames so weiche Haut unterhalb des Ohrs küsste, und das Gefühl hatte, in ihn hineinkriechen zu wollen. »Gib mir deinen Zimmerschlüssel, ich warte dort auf dich.« Er öffnete die Augen, wurde durch die Worte, die so rau gegen seine Haut gesprochen worden waren, zurück in die Realität katapultiert. Er löste sich etwas, sah Tom seitlich an und nickte leicht. Seine Hand glitt in seine Hemdtasche und er überreichte sie ihm. „Ich beeile mich…“, murmelte er und auch seine Stimme klang anders. Dann löste er sich, zögernd, langsam. Es fiel ihm schwer, diesen Körper wieder loszulassen, jetzt, wo er ihn gerade eben erst wieder zurückbekommen hatte. Er erhaschte noch einmal die Lippen, um den Moment hinauszuzögern, in dem er sich von ihm gänzlich löste, rückwärtsging ihn ansah. Dann drehte er sich schließlich um und kehrte zu den anderen zurück. Erst dort merkte er, dass er seine Krawatte nicht mehr umhatte. Und er sah, wie Ariadne versuchte sich das Grinsen zu verkneifen. Das Lächeln, das auf seinen Lippen lag, war den anderen wohl Erklärung genug, während er begann, den Faden wieder aufzugreifen, den er vorhin verloren hatte. Sie besprachen, dass am nächsten Tag die Fabrik und das Bordell im Fokus standen. Alles andere würde danach besprochen werden. Es war Ariadne, die darauf drängte, fertig zu werden und Dom davon überzeugte, mit ihr essen zu gehen. Arthur bahnte ein Treffen mit Candelas Freundin an, verabschiedete sich schließlich von ihr mit einer Umarmung. „Wir werden deinen Vater da rausholen“, versicherte er und er war selbst erstaunt von seiner eigenen Sicherheit. Ja, Candela hatte ihren Retter gebraucht. Er ihn aber auch. Der Weg zurück zum Zimmer war seltsam. Eine Mischung aus Vorfreude auf etwas, was in der Luft lag, von dem man wusste, dass es eintreten würde, und Aufregung deswegen, weil man noch nicht genau wusste, wie der Weg dorthin verlaufen würde. Arthur wusste, worüber sie sprechen mussten, was sie klären mussten. Zum Beispiel, wie absurd seine Ängste waren, warum er nichts gesagt hatte, sondern einfach gegangen war. Warum er mit diesen lieblosen Worten gegangen war. Warum er ihn mit seinen Geistern allein gelassen hatte. Warum er nicht mit ihm gesprochen hatte, bevor er weggegangen war. Gleichzeitig wollte er Tom klarmachen, wie es ihm gegangen war, was ihn vertrieben hatte. Er wollte ihm klar machen, dass er ihn vermisst hatte, dass er Angst um ihn gehabt hatte, dass es ihm wehgetan hatte, dass er sich nicht gemeldet hatte. Er klopfte an die Tür, sein Herz schlug, seine Hände waren unruhig, er wusste nicht, wie er sie halten sollte. Er hörte die Schritte im inneren, schloss einen Moment die Augen, atmete tief durch. Er hatte tausend Gesprächsbeginne im Kopf, tausend Fragen, Phrasen, Sätze – und keinen. Die Tür wurde geöffnet, er blickte in das Gesicht des Mannes, dem er übel zugesetzt hatte, der ihm übel zugesetzt hatte, den er so vermisst hatte, der ihn nun ansah, während er einen Moment nicht fähig war, das Zimmer zu betreten. Der Wind eines heraufziehenden Gewitters rüttelte ans Fenster, als wollte er um Einlass bitten. Doch das hier war eine geschlossene Gesellschaft. Er hatte Angst vor der Frage, die Tom stellen würde. Warum hast du nicht mit mir gesprochen, bevor du gegangen bist? Es war die Frage, die ihn zu ersticken drohte, die ihn quälte und die er nicht wirklich beantworten konnte. Aus Angst vor der Antwort. Und aus Angst vor der Wahrheit, die er nicht zu offenbaren bereit war. Doch die Wahrheit musste jetzt, wo er ihn sah, warten. Er betrat das Zimmer, stieß die Tür hinter sich zu. Mit zwei schnellen Schritten war er bei Eames, nahm seine Hände, ein Whiskeyglas hielten, nahm seinen Blick, der flatterte, nahm seine Schultern, die leicht zu zittern schienen. Für einen kurzen Augenblick standen sie da und blickten sich an. (Der Wind rüttelte erneut, doch er musste draußen bleiben.) Arthur spürte, dass nicht Eames zitterte, sondern dass er zitterte, als Tom ihm langsam über die Haare fuhr, über sein Gesicht und den Hals entlang. Seine Finger brannten auf seiner Haut, seine Hände suchten nach ihm, fanden ihn, umschlossen ihn, zogen ihn an sich. Er spürte sein Herz schlagen, hart und schnell, als Tom sich an ihn presste, als wollte er eins sein mit ihm, mit dem er immer eins gewesen war. Ein Kissen landete in der Ecke, eine Decke rutschte zu Boden, ihre Körper folgten bereitwillig. Er nahm sich, was ihm gehörte, Tom nahm sich, was ihm gehörte. Und die ganze Zeit waren Toms Augen geöffnet, und seine Blicke drängen in Arthur und ließen sein Innerstes explodieren. Es standen noch so viele Antworten aus. Aber in diesem Moment gab es keine Fragen mehr. 'Cause I wanna touch you, baby And I wanna feel you, too I wanna see the sunrise and your sins Just me and you Light it up, on the run Let's make love, tonight Make it up, fall in love, try But you'll never be alone I'll be with you from dusk till dawn I'll be with you from dusk till dawn Baby, I'm right here Eames Das letzte, weit entfernte Grollen des Gewitters drang durch das halb geöffnete Fenster, aber der Himmel schien sich zum frühen Abend hin noch einmal zu erhellen. Only you can bring the color in You alone breathe hope into Our world Von Eames‘ Schultern war eine Tonne Last abgefallen. Er konnte das erste Mal seit Wochen wirklich atmen. Und das tat er ausgiebig mit der Nase in Arthur aus der Form geratenem Haar. Dessen Kopf lag noch immer auf seinem Arm gebettet, während sie so nah aneinander geschmiegt lagen, wie es ihnen möglich war. Noch immer rollten Wellen von Glückseligkeit seinen Nacken herab, als willkommene Nachwehen seines Höhepunktes (der zugegebenermaßen nicht allzu lange auf sich hatte warten lassen). »I love you.«, hatte er gewispern, immer wieder, und hatte Küsse auf ihn regnen lassen an jeder Stelle, die er zufassen gekriegt hatte. Seine Lippen fühlten sich geschunden an, aber es war ein guter Schmerz. Nun kehrte etwas von der eindrücklichen Kühle zwischen ihnen zurück, die er die letzten Wochen ertragen hatte. Die Erkenntnis, dass sie ihr Wiedersehen nun genug zelebriert hatten und endlich klären mussten, was zwischen ihnen passiert war. Schade eigentlich, dass sie den unschönen Teil nicht vorher abgehakt hatten, vielleicht wäre der Versöhnungssex dann sogar noch intensiver gewesen. Andererseits war Eames tatsächlich ganz erleichtert, dass das Zurückkehren so viel leichter gewesen war, als er gedacht hätte. Er war nicht so abhängig von Sicherheit wie Arthur, aber er hatte sie wohl in diesem Fall gebraucht. Seine Brust ging noch immer kräftig auf und ab, als er sich eine Zigarette anzündete und an die angenehm kühle Steinwand lehnte, die vom Kopfende des Bettes zu einer viel zu hohen Decke ragte. Er bot auch Arthur einen Glimmstängel an. »Erzählst du mir jetzt was so wichtig in New York war? Oder wollen wir die Ausreden überspringen und kommen gleich zu unseren eigentlich Beziehungsprobleme?«, sein Ton war noch immer provokant, aber längst nicht mehr aggressiv. Er behielt sogar den Körperkontakt bei. Sitzengelassen zu werden war eine eindrückliche Erfahrung für ihn. In der Regel war er derjenige, der sich zuerst aus dem Staub machte, um genau so etwas zu vermeiden. Aber nun war der Schaden getan. Arthur Arthur badete in dem See der Liebe, in den Eames ihn trug, genoss die Liebkosungen, die bei ihm anlandeten, und sonnte sich in ihren Glücksgefühlen, die ihre Nähe mit sich brachte. Er fühlte sich wieder komplett, ganz, gehalten. Und er erinnerte sich daran, dass er dieses Gefühl bereits bei ihrem ersten Mal gehabt hatte. Er hatte es aufbewahren wollen, hatte das Wissen darum, von Tom wirklich geliebt zu werden, verinnerlichen wollen, um in Momenten des Zweifels Gewissheit zu haben. In Italien war ihm das nicht gelungen. Dieser Fehler durfte ihm nicht noch einmal passieren. Und weil er unfähig war, die Worte des anderen, die auf ihn hinabregneten, ihn umspülten und davontrugen, mit der gleichen Intensität zu erwidern, versuchte er das dadurch zu kompensieren, dass er ihn ansah, ihn seinerseits liebkoste und nicht einen Moment von ihm abließ. Er wollte ihm sagen, dass er ihn auch liebte, aber... wirkte es in diesem Moment nicht platt? Und dann war der Moment vorbei und sie lagen aneinander geschmiegt und rangen nach Atem. Ob er es jemals schaffen würde? Arthur nahm sich auch eine Zigarette. Der Moment war gekommen, in dem sie reden mussten, weil es so vieles gab, was sie klären mussten, was er erklären musste. Er fürchtete sich davor, aber egal was kommen würde, es war nötig. Sie waren beide nackt, hatten sich beide gerade ihrer Liebe zueinander versichert und begegneten sich auf einer Ebene. Arthur wusste, dass sie alles schaffen konnten. »Erzählst du mir jetzt was so wichtig in New York war? Oder wollen wir die Ausreden überspringen und kommen gleich zu unseren eigentlich Beziehungsproblemen?« Ein interessanter Einstieg, ein Lächeln huschte über seine Lippen. Es passte zu Tom und es war gut so, auch wenn ihn der Tonfall unter anderen Umständen zur Weißglut trieb. Er durfte nur nicht an den Brief denken, die Situation, in der er ihn vorgelesen hatte. Es war der nötige Arschtritt gewesen, aber es hätte auch anders gehen können. Der Schmerz, der damit einherging, brannte noch immer, war gut zur Seite geschoben, verdrängt. Auch das musste zeitnah nochmal ausgepackt werden. Sonst würde es sich irgendwann gegen sie richten. Arthur zog an der Zigarette und dachte nach, womit er anfangen sollte. Er lag seitlich, blickte über Eames hinweg zum Fenster. Ein Bein lag über einem des anderen. Er würde den Körperkontakt nicht unterbrechen. Was war ihr Problem? Oder war es nur seines? Nein. Sie waren beide keine Beziehungsmenschen, jeder aus unterschiedlichen Gründen. Vielleicht hatten sie deshalb eine Chance. Arthur dachte an Eames‘ Verschwinden nach dem Koma, an ihre Reise nach Italien, den Schlüssel, die Lagerhalle, an die Nacht, in der er beschlossen hatte, gehen zu müssen. Was war der Ausgangspunkt? Wo lag das Problem? „Du weißt, wie unser eigentliches Beziehungsproblem heißt“, sagte er schließlich in das Halbdunkel des Zimmers. „Es heißt Tokio, vielleicht auch Ramadi, London und gewiss auch Familie Darling. Aber vor allem heißt es Tokio.“ In der Ferne zuckte ein letzter Blitz und erhellte den Horizont. „Ich möchte gerne mit dir nach Tokio zurück. Irgendwann, so bald wie möglich. Nicht in einem Traum, nicht verbal, sondern wirklich. Und dann müssen wir das klären, was damals schief gelaufen ist.“ Er küsste die Seite des anderen, die erreichbar für ihn war, nachdem jener sich aufgesetzt hatte, während er liegen geblieben war. Wie sollte er weitermachen? Sollte er ihm zu erklären versuchen, warum er weggegangen war? Weil er diese riesige Angst gespürt hatte? Angst und eine Distanz, die er falsch verstanden hatte? Vermutlich. Aber den Einstieg zu finden, war nicht einfach. „Um ehrlich zu sein und keine Ausreden zu benutzen“, sagte er dann, „bin ich zunächst gar nicht nach New York zurück, sondern nach L.A.. Ich habe Dom aufgesucht und Mals Grab. Er hatte mich doch angerufen, als wir bei Neapel waren, dass er mich zeitnah sehen wolle, weil er etwas besprechen müsse.“ Er biss sich auf die Unterlippe, er spürte, dass er sich einem der vielen unangenehmen Punkte näherte. Der Brief - Tokio. „Dass es in der Arbeit Probleme gab, stimmt aber dennoch. Aber auch das war nicht der Grund, warum ich gegangen bin.“ Nein, das war immer noch keine Antwort darauf, was in Italien schiefgelaufen war. Er seufzte und zog erneut an seiner Zigarette, streckte sich über Eames zum Nachttisch, um die Asche in das Wasserglas dort fallen zu lassen. „Im Grunde bin ich gegangen, weil... weil ich nicht begriffen habe, dass die Distanz, die nach Jobs Tod mit einem Mal zwischen uns stand, nichts damit zu tun hatte, dass der Job erledigt war.“ Er schwieg einen Moment. Die Angst vor einem zweiten Tokio hatte ihm jeden klaren Gedanken geraubt. Wäre sie nicht gewesen, hätte er sehen können, dass Tom ihn nicht benutzt hatte, um ihn dann fallen zu lassen. Gleichzeitig war da diese verdrängte Angst um Eames gewesen, die ihn kaum noch Luft hatte kriegen lassen, als er sich ihrer gewahr wurde. „Ich hatte jegliches Gefühl verdrängt, um an diesem unsäglichen Tag zu funktionieren. Als es darauf ankam, hab ich nicht geschafft, aus mir rauszukommen.“ und im Grunde hatte er erwartet, dass Tom das einfach konnte, ihn auffangen. Dass er immer funktionierte und locker flockig vor sich hin lächelte. Er hatte ihn verkannt und ihn nicht aufgefangen, als es wichtig gewesen wäre, als Tom einfach mal nicht mehr konnte und ihn gebraucht hätte. Die Zigarette hatte er vergessen, blickte in eine Ferne, an jenen Ort, an dem er im richtigen Moment Tom in seinen Arm hätte nehmen und ihm sagen müssen, wie erleichtert er war, dass ihm nichts geschehen war. Er blickte nach oben zu Tom, rutschte etwas hinauf, drehte sich. Er zog einen letzten Zug von der Zigarette, ließ sie dann mit einem leisen Zischen einfach ins Wasserglas fallen. Dann strich er Tom über die Schläfe, das Haar nach hinten, zog ihn in eine Umarmung und küsste ihn auf die Schläfe. „Der Gedanke, Dir könnte etwas zustoßen, lähmt mich. Der Moment, in dem ich dachte, ich sei zu spät, Jobs sei schneller, war der schlimmste in meinem Leben.“ Er hatte letztlich immer noch nicht erklärt, warum er gegangen war, oder es bestenfalls angedeutet. Aber immerhin hatte er nachgeholt, was er versäumt hatte und wofür er sich die letzten Tage so große Vorwürfe gemacht hatte. Eames „Es heißt Tokio, vielleicht auch Ramadi, London und…“ Es gefiel ihm gar nicht, dass es wieder mal an ihm hängen sollte. Sicher, Arthur machte ein Eingeständnis; sicherlich hing es auch an Familie Darling; well thanks – aber der Knotenpunkt war doch noch immer das eine, verfluchte…. „Aber vor allem heißt es Tokio.“ War Tokio nicht eher ein Synonym für fehlendes Vertrauen? Eames knirschte mit den Zähnen, aber rauchte still seine Zigarette weiter, während Arthur weitersprach. Er erzählte von seinem Besuch in LA bei Dom und Mal’s Grab. Alte Geschichten flimmerten im Zeitraffer vor seinem inneren Auge vorüber. Mallorie… mit Sicherheit war auch sie Teil des Problems – ein Blinder hätte gesehen, dass sie ganz und gar nicht einverstanden damit gewesen war, wie sehr Eames sich für Arthur interessierte. Er hatte sich nie von Misses Head-in-the-clouds beeindrucken lassen. Sie hatte binnen einer Sekunde ein Urteil über ihn gefällt und daran war nichts mehr zu rütteln gewesen. Sie hatte sich immer für so schlau gehalten… They call me faker, but it takes one to know one, dear Endlich kam Arthur zu dem Vorfall in Italien. Den Grund seines Verschwindens. Die emotionale Kälte zwischen Ihnen; und bedauerlicherweise konnte Eames in gut verstehen. Er wollte wütend auf ihn sein, dass er ihn mit all dem und dem was gefolgt war einfach allein gelassen hatte, aber er konnte den Drang solch einer Situation zu entfliehen leider sehr gut nachvollziehen. Auch kannte er die alles verschlingende Starre, die zwischen Männern herrschte, die gerade ein Trauma erlitten hatten. Er drückte seine Zigarette aus und entließ den Rest des Qualmes durch seine Nase. Seinen Kopf hatte er an die kühle Wand gelehnt, während sein Daumen rastlos über Arthurs nackte Schulter, streichelte. »Es tut mir leid, dass ich dir das alles angetan habe.«, erklärte er schließlich. Er schloss einen kurzen Augenblick die Augen, atmete tief ein und aus. Seine nächsten Worte mussten weise gewählt werden. »Ich gehe mit dir nach Tokio, wenn du willst. Aber ich glaube nicht, dass das irgendetwas ändern wird. Das eigentliche Problem ist doch, dass du mir nicht vertraust –«, er lachte ein wenig, trocken. »und so ganz verübeln kann ich’s dir nicht.« Er angelte sich eine neue Zigarette aus der offenen Packung auf dem Nachttisch und steckte sie sich an. »Aber wenn wir das hier auf die Kette kriegen wollen, dann musst du mir vertrauen. Sonst enden wir wie Jack Twist und Ennis Del Mal; mit zwei bis drei traurigen Ficks pro Jahr auf dem Brokeback Mountain.« Arthur Die Entschuldigung tat unerwartet gut. Er hatte es gern getan, Tom zu helfen. Zum Teil aus reinem Eigennutz, etwas weniger Angst um ihn haben zu müssen. Zum Teil, weil er es konnte, solche Todesfallen zu konstruieren. Nichtsdestotrotz war es eine heftige Geschichte gewesen und Arthur war überfordert gewesen, als er danach nur auf Kälte gestoßen war, auch wenn er jetzt ahnte, woher das kam. Dass Tom ihn zusicherte, mit ihm nach Tokio zu gehen, erleichterte ihn. Es ging ihm vielleicht auch gar nicht so sehr darum, dort wirklich hinzukommen. Er merkte gerade, dass ihm der Wille des anderen fast reichte, dass er zufrieden war. »Das eigentliche Problem ist doch, dass du mir nicht vertraust – und so ganz verübeln kann ich’s dir nicht.« Auch das half Arthur. Ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Er war neben Eames zum Sitzen gekommen, lehnte sich ebenfalls an die Wand und überlegte, was er darauf sagen sollte - oder eher wie er sagen sollte, was ihm durch den Kopf ging. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, fuhr Tom fort. Jack und Ennis, Brokeback Mountain. Arthur griff nach der Zigarette, die sich Tom angezündet hatte und zog daran. „Dom hat mir in LA einen Brief überreicht, einen Brief von Mal, den sie nach Tokio an mich geschrieben hat“, sagte er dann und biss sich auf die Unterlippe. Ihre Arme berührten sich, das Gewitter hatte die Wärme in den Raum gedrängt, eine wirkliche Abkühlung hatte nicht stattgefunden. „Darin schrieb sie: Egal was Thomas Eames dir über den Fall in Tokio erzählt hat oder erzählen wird; glaube ihm kein Wort. Er hat eine Geschichte gesponnen, die ihn wie einen Helden aussehen lässt. Aber nichts davon ist wahr.“ Seine Finger spielten mit der Ecke eines Kissens, das neben ihm lag. „Mal hat diesen Brief nie abgeschickt, was seinen Grund haben wird. “ Er zog an der Zigarette, die er Tom nicht zurückgeben hat. „Wenn ich dir nicht vertrauen würde, wäre ich nicht hier, mit dir. Ich vertraue dir - mehr als ihr, wie ich festgestellt habe. Ich will das, dir vertrauen. Dennoch meldet sich immer wieder eine kleine Stimme, die mich an Tokio erinnert. Ich will endlich einen Schlussstrich ziehen können. Endgültig.“ Er sah Tom an, er hatte vorhin die Anspannung gespürt, als er Tom von seinem Besuch bei Dom erzählt hatte. „An ihrem Grab habe ich mich erinnert, dass sie auch gesagt hat, dass ich tun soll, was mich glücklich macht. Und deswegen bin ich hier, bei dir.“ Er schluckte, fühlte sich unwohl, zog nervös an der Zigarette, wusste nicht so recht, was er mit seinen Händen anfangen sollte. „Ich möchte kein Brokeback Mountain erleben“, fuhr er dann leiser fort. Ihn hatte der Film damals sehr berührt. Er kam ins Kino, kurz nach Tokio. „Wie möchtest du denn enden?“, fragte er dann und sah Tom flüchtig an. Vielleicht wäre es kein Schaden, einfach mal darüber zu sprechen, welche Erwartungen, Wünsche, Träume sie hatten. Davon ausgehend könnte man doch viel leichter sehen, wie sie das erreichen konnten, oder? Eames Der Gedanke an Mal und diesen Brief, den Arthur zitierte, machte ihn abermals wütend. Sicher, man musste ihr wohl anrechnen, dass sie einen widerlichen Brief verfasst, aber die Courage besessen hatte ihn nicht abzuschicken. Dennoch fiel ihr Wort nun ins Gewicht in dieser Diskussion, auch wenn sie scheinbar nie vorgehabt hatte diesen Brief an Arthur weiterzugeben. Vielleicht; so dachte er noch gutmütig; hatte sie sich nach diesem Vorfall nur etwas von der Seele schreiben wollen. Eames hätte sie bis zu diesem Punkt verstanden. Sie hatte damals mehr gesehen, als der Rest des Teams; alles dank ihres merkwürdigen Talents immer zu den unpassendsten Momenten aufzutauchen. Das gab ihr jedoch noch lange nicht das Recht über ihn und seine Taten zu urteilen, ohne zumindest ein einziges Mal nachgefragt zu haben, wie seine Version der Geschichte war. Aber so etwas kannte man ja von Mallorie. Wenn man ohnehin alles wusste, musste man ja nicht nachfragen. „Wie möchtest du denn enden?“ Nun konnte er sich zumindest vorerst von dem Gedanken an Mal ablenken. Er wusste, wie viel sie Arthur bedeutet hatte, daher hütete er sich schlechte Worte über sie zu verlieren. Aber es würde so oder so zu einer konkreten Aussprache kommen, wo Eames ihm seine Wahrheit erklären würde. Und wenn Mal dabei nicht gut wegkam, dann würde es so sein – Tote sind nicht automatisch Heilige. Sein Blick war auf das offene Fenster gerichtet, wo der Himmel allmählich sein gruseliges, grünliches Licht verlor. Das Gewitter war vorüber. Er griff wieder nach der Zigarette, die Arthur ihm entwendet hatte, als wäre es das Mikrophon, durch das sie an diesem Abend zueinander sprachen. Es fühlte sich gut an etwas in der Hand und im Mund zu haben – etwas zu tun zu haben, während man über so tiefgründige Themen sprach. »Ich? Ich will frei sein.«, begann er. Dann lehnte er seinen Kopf an den von Arthur, der mittlerweile auf gleicher Höhe war. »Mit dir zusammen und frei sein. Ich will, dass du mit mir nach Mombasa kommst und wir uns auf meiner Dachterrasse die Sonne auf den Bauch scheinen lassen.«, der Gedanke ließ ihn grinsen. Eine weitere Zigarette landete im Aschenbecher. »Nichts hält uns, außer wir beide, verstehst du?« Er wusste, dass das Träumereien waren, aber vielleicht musste er sie einmal laut aussprechen, um endlich damit abzuschließen. Vielleicht war es an der Zeit einen echten Kompromiss zu finden und nicht weiter zu versuchen heimlich sein eigenen egoistischen Ziele durchzusetzen. Arthur Es waren kleine Reaktionen, die Arthur auf die Offenbarung des Briefes hin wahrnahm, eine Hand, die sich verkrampfte, die verhärteten Gesichtszüge. Er wusste von dem eher ambivalenten Verhältnis zwischen Mal und Tom, natürlich wusste er davon. Wovon er nichts spürte, war eine Reaktion auf das, was er mehr oder weniger zwischen den Zeilen gesagt hatte. Seine Umarmung und das Geständnis, dass er Angst gehabt hatte, hatten keine körperliche Reaktion, keine Erwiderung bewirkt. Da war keine Reaktion darauf, dass er Tom indirekt erklärt hatte, dass jener ihn (wenn man sie sah zugegebenermaßen absurderweise) glücklich machte, dass er in seiner Gegenwart glücklich sein konnte. Auch nichts darauf, dass er ihm wirklich vertrauen wollte. Keine Erleichterung, kein dankbarer Blick, keine Berührung, gar nichts... Machte ihn der Geist Mallories so wütend? Oder galten seine Worte nichts? Wäre das auch die Reaktion darauf, wenn er ihm sagte, dass er ihn liebte? Nichts? Arthur schluckte, widerstand dem Drang, wieder auf Abstand zu gehen, und wartete auf die Antwort auf seine vielleicht alles entscheidende Frage. »Ich will frei sein.« Das Unwohlsein nahm zu, sein Herz schlug gegen seine Brust. Der Kopf des anderen an seinem ließ ihn etwas erstarren, den Drang erhöhen, mehr Abstand zwischen sie zu bekommen. Er hatte es hören wollen, er durfte sich nicht beschweren, aber ihm war klar, dass Freiheit und eine Beziehung (mit ihm?) schwer vereinbar waren. Wie stellte sich Eames das vor? »Mit dir zusammen und frei sein... Arthur blickte auf seine Hände, die nun seltsamerweise zur Ruhe kamen. Das Bild von ihnen zusammen in Mombasa kannte er, kannte er aus seinen Gedankenspielen, die stets damit geendet hatten, dass sein Flugticket verfallen war. »Nichts hält uns, außer wir beide, verstehst du?« Arthur schluckte, nickte leicht, Kopf an Kopf. Ja, er verstand das. Etwas in ihm nickte sogar sehr heftig. Bonnie und Clyde - frei, unabhängig, vereint bis in den Tod. Leben, lieben, lachen. Weiterziehen, wenn man es wollte; verharren, wo es schön war. Nichts und niemandem verpflichtet. Eine schöne und für Arthur gleichzeitig erschreckende Vorstellung. Ja, er verstand. Er sollte sich in Eames‘ Leben integrieren, darin verschmelzen, alles aufgeben, sich für ihn aufgeben. Für Tom da sein, immer, auf Abruf. (Bis er genug von ihm hatte? Von der Langeweile, die mit ihm einherging? Von seinem Unvermögen, wirklich nichts zu tun?) Ja, er verstand, dass keine Gegenfrage kam, was er sich wünschte. Kein „Und was möchtest du?“. Ja, er verstand, dass er hier gerade in dem Gedankenspiel nur die Rolle desjenigen spielte, der für diese Beziehung alles tun musste. Arthur wusste nicht, was er erwidern sollte. Er hatte das Gefühl, keine Zugeständnisse mehr machen zu wollen. Sein Stolz meldete sich gerade vehement zurück. Oder bekam er Eames‘ Aussage, sein Verhalten wie so oft in den falschen Hals? Er hatte gefragt. Warum konnte er gerade nicht mit der Antwort umgehen? Ihm lag ein „Wie willst du das schaffen?“ und ein „Willst du auch ein Pony dazu?“ auf den Lippen. Aber das bis zu einem gewissen Grad umzusetzen lag ja auch an ihm. ,Ich kann euch darin sehen...‘, hatte Ariadne gesagt. In ihrem Haus, das vermutlich immer imaginär bleiben wird. Oder ‚würde‘, solange niemand bereit wäre, Abstriche von seinem bisherigen Leben zu machen. Eames schien nicht bereit zu sein. Er war es gedanklich eigentlich schon vor ihrem Gespräch, vor Candela gewesen. Noch einmal schlucken? Noch einmal weiter den Schritt auf den anderen zugehen? Vielleicht interpretierte er zu viel hinein, in die scheinbare Gleichgültigkeit was seine Gedanken, Wünsche und Träume betraf. Er atmete durch, versuchte sich zu entspannen. Die Pause wurde lang. „Whenever I‘m alone with you it feels like I‘m home again, it feels like I‘m hole again“, sagte er leise, bevor er den Kopf leicht drehte, um vielleicht doch eine Reaktion zu bekommen. „Ariadne weiß bereits, dass ich erstmal nicht mit ihr nach New York zurückkehre“, sagte er dann. „Ich möchte nach Hause kommen, zu dir, und meinen Schlüssel benutzen. Das erste Mal in meinem Leben wirklich nach Hause kommen und willkommen sein.“ Nun hatte er doch ein Zugeständnis gemacht, doch davon gesprochen, was er sich wünschte. Ob er es bereuen würde? Wäre die Reaktion wieder eher gleichgültig? War das selbstverständlich für Tom, wie so viele Dinge, die als selbstverständlich hingenommen werden - was ihn so oft auf die Palme brachte? „Allerdings musst du die Flugtickets kaufen. Ich habe irgendwie kein Glück damit“, lenkte er ab und wandte den Blick ab, streckte sich zu dem Bettlaken, das als Decke diente, um sich etwas zuzudecken. Ihre Verbindung, ihre Berührung riss damit ab. Doch er hatte das Gefühl, dass ihm kalt wurde, nackt zu sein fühlte sich gerade ‚verletzbar‘ an. Dass sein Vorhaben, nach Mombasa mitzukommen, nichts Endgültiges war, war ihnen beiden vermutlich klar. Oder? Arthur war niemand, der auf Dauer mit einem sonnengebräunten Bauch glücklich sein konnte. Doch er wusste auch, dass es nun an ihm war, auf Thomas zuzugehen, um zu sehen, ob es ein Wir wirklich geben konnte, ein Wir, das dann hoffentlich nicht nur darin bestand, dass er sich alleine Tom unterordnete, ohne selbst auch gesehen zu werden. Allerdings war es wirklich an der Zeit, jenem zu zeigen, wie wichtig er für ihn war. Eames sollte nicht mehr dafür kämpfen müssen, von ihm gesehen zu werden. Er sollte generell (auch) im Scheinwerferlicht stehen. Eames „Whenever I’m alone with you it feels like I’m home again, it feels like I’m hole again“ Er konnte nicht anders, als zu lächeln und selbst langsam zu nicken – er dachte dasselbe. Dass Arthur mitkommen würde bedeutete ihm die Welt. Die Flugtickets zu kaufen war das Mindeste, was er dafür tun würde. Im Eames‘ Bauch kribbelte es angenehm. Die leichte Kühle, die sich langsam im Raum ausbreitete machte ihm nichts aus. Auch die Nacktheit störte ihn nicht im Geringsten. »Es könnte sein, dass du mich zum ersten Mal sprachlos gemacht hast, darling.«, erklärte er leise und ließ sanfte Küsse auf Arthurs Schläfe nieder. Dabei schlang er seine Arme um den eingepackten Körper und zog ihn wieder näher zu sich. Es kam ihm nicht in den Sinn ihre Intimität bereits zu kappen. Nicht nach all der Einsamkeit. Was in Italien passiert war, würde erst einmal ruhen, dachte er. Etwas anderes zwischen ihnen schien gerade viel drängender. »Mal hat mich nie gemocht. Sie war der Meinung sie wüsste über mich Bescheid, tz...«, eine gewisse Abschätzigkeit konnte er nicht unterdrücken. »Aber was auch immer sie glaubte über mich zu wissen… sie lag falsch. Sie kennt mich nicht. Vor allem nicht so wie du. Wir sind alles was wir brauchen.« Bis zu einem gewissen Maße war ihm sehr bewusst wie egoistisch er klang. Aber hatte er dazu im Augenblick nicht alles Recht? Er küsste ihn auf die Stirn, versenkte dabei seine Nase in Arthurs duftenden Haaransatz und hielt ihn so fest er konnte. »Ich weiß, dass du dasselbe denkst.« Arthur Das Nicken, das ihm zeigte, dass Tom verstand, und das Lächeln, das mit einem Glanz in den Augen einherging und das den ganzen Mann neben sich zu erfüllen schien, beruhigten Arthur sehr. Es war seine Art, Eames zu sagen, dass er ihn liebte. Ob es eine andere gab, wusste er nicht. In diesem Moment spielte das aber auch keine Rolle, denn die Botschaft war angekommen und hatte Tom sprachlos gemacht. Die Umarmung, die Küsse, die an seiner Schläfe, seiner Stirn folgten, die wiedergewonnene Nähe ließen ihn die Augen schließen, sich wieder entspannen und den Moment genießen. Offenbar hatte er die richtigen Worte gefunden, die zu Tom durchgedrungen waren. Überschätzte er Tom vielleicht auch hinsichtlich dessen, wie gut er mit echten Empfindungen umgehen konnte? Genauso wenig wie er? Er hatte sich in den Armen leicht gedreht, seinen Kopf an der Schulter des anderen abgelegt, sein Gesicht in der Halsbeuge versenkt. Tief atmete er ein, während sein Herzschlag sich beruhigte. Sein Daumen strich fahrig über die Seite des anderen. ...that all of your broken pieces fit back together. Es war seltsam zu spüren, wie abhängig er von dieser Umarmung war. Vielleicht weil er sonst niemandem gestattete, ihn so fest zu halten, weil er von niemand anderem gehalten werden wollte. Als Eames weitersprach und auf Mal zurückkam, öffnete er wieder seine Augen. Also war es doch der Brief, der den anderen so sehr beschäftigte, dass er vorhin mit einem Mal so fern und distanziert wirkte. Was jener über Mal sagte, wusste er. Auch wenn er anders dazu stand, verteidigte er sie nicht. Sie hatte stets dazu geneigt, Menschen schnell zu kategorisieren und in Schubladen zu stecken. Allerdings war ihre Treffsicherheit erstaunlich gewesen, ihr Gespür für Menschen bemerkenswert. Dass auch sie, ähnlich wie Tom, manipulativ war, war ihm auch bewusst. Unter Umständen rührte ihrer beider Abneigung einander gegenüber auch daher. Konkurrenten ihrer Position und hinsichtlich Arthur, in gewisser weise. Beim Schreiben dieses unsäglichen Briefes schien sie sehr zerrüttet gewesen zu sein. Oder war sie unschlüssig gewesen? Was war ihre Intention? Er würde es vielleicht in Tokio erfahren, vielleicht auch nie. Er hatte den Brief zitiert, um Eames zu zeigen, dass sein Vertrauen größer war, als alles andere, dass er an sie beide und Toms Aufrichtigkeit glaubte. Und er hatte ehrlich sein wollen, hatte vermeiden wollen, dass dieser Brief erst in Tokio oder der Verarbeitung dieser Episode in ihrem verkorksten Leben auftauchte und mehr kaputt machte, als reparabel wäre. Jetzt bereute er es, darauf gekommen zu sein. So wie er sich in gewisser Weise über Dom geärgert hatte, dass jener ihm diesen Brief überhaupt ausgehändigt hatte. Was hatte jener damit bezwecken wollen? Hätte der Brief ankommen sollen, dann wäre er das. Wieso jetzt? Ob jener wusste, dass sie beide mittlerweile zusammen waren? Vielleicht wegen der Botschaft von Tom, die er übermittelt hatte - (absichtlich?) zu spät? Ob er ihrer beider Verbindung nicht für gut hieß und deshalb bewusst versuchte, einen Keil hinein zu treiben? Hatte er ihn auch deshalb nicht auf Toms Eintreffen hier vorbereitet? Welches Spiel spielte er gerade mit ihm? »Wir sind alles was wir brauchen. - Ich weiß, dass du dasselbe denkst.« Er schob Dom in Gedanken zur Seite, fühlte in die Worte hinein. „Ist das so?“, schmunzelte er in die Halsbeuge küsste diese. Stimmte es, dass nur er Eames wirklich kannte? Er war so oft unsicher, was dessen verhalten betraf, kam so oft erst zu spät darauf, was wirklich hinter dessen Worten, Gesten, Taten stand. Aber vielleicht war er wirklich einer der wenigen Menschen, der hinter die Kulissen blicken durfte. Stimmte es, dass sie sich allein genügten? Wie sollte er wissen, ob das stimmte, wenn er sich zu selten fragte, was er wirklich wollte? Er hatte seiner Familie den Rücken gekehrt, pausierte hinsichtlich seiner Arbeit, hatte nicht vor, so bald nach New York zurückzukehren. Er wollte diesen Worten eine Chance geben. Gleichzeitig war ihm aber auch klar, dass sie zusammen zu lange auf einem Fleck ein Pulverfass waren. Er wusste auch, dass er auch mehr brauchte als nur in den Tag hineinzuleben. Allerdings war ihm doch erst gerade eben oder auch bei seinem Zusammenbruch im Büro klar geworden, dass er Eames wirklich brauchte. Er wollte sich seiner gewiss sein, wissen, dass er an seiner Seite war, wenn auch nicht physisch. Und selbst wenn er irgendwann ohne ihn zurück nach New York und seiner Arbeit kehrte, dann würde er das Wissen darum haben, dass er sich Tom und dessen Liebe zu sich sicher sein konnte, dass er auf ihr something vertrauen konnte. Die ganze letzte Zeit in New York wäre viel einfacher gewesen, wenn er sich all dem hier sicher hätte sein können. Diese Sicherheit gewann er gerade mit jedem Kuss auf die Stirn, mit dieser innigen Umarmung, der Zärtlichkeit, die er gerne zuließ. Er hatte die Sehnsucht gespürt, die Tom gehabt hatte, und wusste, dass es die selbe war, wie er sie auch gespürt hatte. Er musste sich das nur endlich verinnerlichen. Arthur drehte sich, entwand sich vorsichtig der Umarmung und richtete sich etwas auf, schlug ein Bein über die des anderen, um schließlich auf Toms Oberschenkeln zum Sitzen zu kommen. Er lächelte, während er auf Tom hinabsah. Einen Moment blickte er auf die Lippen des anderen, hatte das drängende Bedürfnis, ihn zu küssen, um diese Worte zu unterschreiben. Doch als Tom ihm schon entgegenkam, legte er ihm den Finger auf die Lippen. „Schschsch!“ Es gab noch etwas, was er geklärt haben wollte, eine Sache, die auf ihm lastete. Und nun, da er gehalten wurde, da sie sich nahe waren und dasselbe über ihr something dachten, musste er es noch einmal aufgreifen. Sein Finger glitt von den Lippen über das Kinn hinab in Richtung Brust, wo er die Konturen der Tätowierungen nachzeichnete. Seine Augen folgten der Bewegung. „Dafür, dass du angeblich sprachlos bist, redest du ganz schön viel wirres Zeug“, sagte er und biss sich auf die Lippe, um nicht zu schmunzeln. Dann wurde er aber wieder ernst. „Und du warst vorhin ein riesiges Arschloch dafür, dass du jetzt solche Reden schwingst“, stellte er fest, ohne wirkliche Anklage in der Stimme. „Dear Tom“, sagte er dann, „Es war gelogen, als ich dir in München vorwarf, dass du mir nie vertrauen würdest. Ich weiß, dass es anders ist, dass du mich nur beschützen willst. Ich weiß, dass du mir vertraust. Du hast mir dein Leben anvertraut - auf verschiedene Art und Weise. Danke dafür. Manchmal weiß ich nicht, womit ich es verdiene, dass du stets an mir festhältst.“ Er verstummte. Den ganzen Brief wollte er nicht zitieren. „Das war eigentlich das, was ich dir hatte schreiben wollen. Das und noch etwas mehr... Ich habe kalte Füße bekommen. Genauso wie es mich überfordert hat, zu spüren, wie große Angst ich um dich hatte. Ich kann so etwas nicht besonders gut.“ Er blickte von seinem Finger auf und Tom an. Dass Tom ihn vorhin so bloßgestellt hatte, hatte ihn verletzt. Sicher genauso wie jenen der unsägliche Zettel, den er selbst hinterlassen hatte. Die Wut, die er gespürt hatte, war sehr präsent. „Dass du das vorhin vorgelesen hast, ... Hab ich das wirklich verdient?“ Er schluckte, sein Kiefer presste aufeinander. Vielleicht hätte er es doch nicht noch einmal auf den Tisch bringen sollen. „Wie auch immer“, murmelte er, strich Tom über das Schlüsselbein, blickte auf die Lippen des anderen. „Ich gebe dir recht, dass wir einander brauchen. Ich möchte dich nicht mehr vermissen.“ War es nicht langsam an der Zeit, die nächste Runde einzuläuten? Seine Hand glitt die Halsbeuge hinauf, in das Haar des anderen. Eames Dieses ambivalente Spiel zwischen Wahnsinn, Wut und Lust war eins der tausend Dinge, die er so sehr an Arthur liebte. Es war eine Berg- und Talfahrt und das Hoch war in der Tat wirklich hoch – während der Absturz ihm noch immer in den Knochen steckte. „Dafür, dass du angeblich sprachlos bist, redest du ganz schön viel wirres Zeug.“ Seine Hände vergriffen sich in Arthurs Hüften und drückten ihn fest und drängten zu sich, auch wenn ihm der Kuss verwehrt blieb. Er starrte gierig in die schwarzen Augen über ihm, während sich ein selbstsicheres Lächeln auf seine Lippen schlich. Die Ernsthaftigkeit in Arthurs Fortführungen minderte seine Stimmung nicht. Oh ja, er war ein furchtbares Arschloch gewesen, als er vor allen Leuten Arthurs Brief zitiert hatte und er schämte sich nicht einmal dafür. Er lächelte sogar fortwährend, auch wenn sich eine gewisse Kälte einschlich. Dieser leck-mich-Blick, den er über die Jahre perfektioniert hatte. „… Hab ich das wirklich verdient?“ Noch bevor er antworten konnte – und es brannte ihm auf der Zunge – fuhr Arthur fort mit sanften Berührungen und Zugeständnissen. Endlich konnte Eames die Distanz zwischen ihnen schließen und die zart geschwungenen Lippen küssen, die er so sehr liebte. Wieder schlangen sich seine Arme, um den unverschämt schönen Körper, um ihn eng an sich zu drücken, als dürfte kein Blatt zwischen ihnen Platz haben. »Natürlich hast du das verdient.«, raunte er, als er seinen Kuss unterbrach und biss ihm neckisch auf die Unterlippe, ehe er fortfuhr. »Wer hat sich denn all die Jahre beschwert, dass ich nach jedem Treffen einfach abgehauen bin?«, wieder biss er ihn, diesmal in den Hals, nicht weit entfernt von seinem scharfkantigen Schlüsselbein. »Du wusstest genau, wie es sich anfühlt und hast es trotzdem gemacht - ich würde sagen, dass macht dich zu dem Miserableren von uns beiden.« Seine Hände wanderten Arthurs Körper gierig auf und ab und landeten schließlich wieder an Arthurs Hintern – dieser kleine, freche Arsch. »Wenn du eine Entschuldigung willst, dann bück dich für mich.« Arthur Die Hände an seiner Hüfte, der Kuss, der ihm verriet, dass nicht nur er für eine nächste Runde zu haben wäre, fühlten sich gut an. Seine eine Hand war gänzlich im Haar versunken, während die andere auf der Schulter ruhte. »Natürlich hast du das verdient.« Seine Finger krallten sich in die Schulter, als jener ihn in die Unterlippe biss. Er hatte mit nichts anderem gerechnet, als mit diesem Blick eben. Genauso, wie er keine andere Antwort auf seine rhetorische Frage erwartet hatte. Er wusste es ja selbst. Aber er wollte es los sein, wollte es nicht schweigend wegpacken, so dass es irgendwann wieder auf den Tisch überdimensioniert gepackt wird. (Ob das allerdings nicht doch irgendwann passieren könnte, war auch jetzt nicht ausgeschlossen...) Denn eine Entschuldigung, etwas wie Reue zu erwarten - von Thomas Eames? Eher fror die Hölle zu. »Wer hat sich denn all die Jahre beschwert, dass ich nach jedem Treffen einfach abgehauen bin?« Arthur reckte den Hals, spürte die Zähne in der empfindlichen Haut, er keuchte, biss sich auf die Lippen, um nicht lauter zu werden. Seine Fingernägel hinterließen rote Striemen, während sie den Rücken des anderen hinab und hinauf wanderten. Letztlich war es dieser Blick gewesen, der ihm sagte, dass jener wusste, wie Scheiße das von ihm war. Es war Toms Abwehrmechanismus, wenn Arthur recht hatte. Er kannte diesen Blick so gut, hatte ihn oft genug provoziert. In diesem Moment verwandelte genau das seine Wut in Energie, die Herausforderung, die darin mitschwang, anzunehmen. »Du wusstest genau, wie es sich anfühlt und hast es trotzdem gemacht - ich würde sagen, das macht dich zu dem Miserableren von uns beiden.« Eames drehte sich gerne die Welt zurecht, wie er es brauchte. Arthur lachte dumpf, amüsiert, spürte die Hände an seinem Hintern, denen er sich neckend einen Moment entgegendrückte, bevor er die Hüfte kippte und sich so tiefer in den Schoß des anderen gegen dessen wachsende Erregung ziehen ließ. Mit schwarzen Augen blickte er in die blauen, ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen. »Wenn du eine Entschuldigung willst, dann bück dich für mich.« Die im Haar des anderen versunkene Hand verkrallte sich darin, zog dessen Kopf in Stück nach hinten, weg von ihm. „Oh Tom“, wisperte er honigsüß und streckte sich leicht zum Ohr des anderen, strich mit der Nasenspitze daran entlang, ohne den Griff im Haar zu lockern. Dann hielt er inne, schien nach den Worten zu suchen, die schon längst bereit lagen. „Eine Entschuldigung? Aus deinem Mund? Gibt es das denn überhaupt? Das klingt zu schön, um wahr zu sein, sehr verlockend...“ Er biss sich auf die Unterlippe, schien nachzudenken. Ein leises Zischen entwich seinen Lippen. „Aber die Antwort ist dennoch: Ich bücke mich für niemanden, Arschloch!“ Er biss ihn ins Ohrläppchen, löste sich dann abrupt, richtete sich auf und schubste ihn zurück ins Laken. Die Zeit der Entschuldigungen war vorüber. Gefühlt hatte er sich in letzter Zeit ohnehin ständig nur entschuldigt. Vielleicht wäre es auch für ihn mal an der Zeit, etwas mehr Arschloch zu sein? Er entwand sich der Hände des anderen, rutschte etwas seitlich hinab, ergriff die Erektion ohne Scheu mit festem Griff. „Der Gedanke daran, ich könnte mich für dich bücken, scheint dich ja mächtig an zu machen“, raunte er mit amüsiertem Lächeln. Seine Finger massierten, während seiner freie Hand die Innenseite eines Oberschenkels nach oben glitt. „Vielleicht wäre ja dein schöner Hintern eine passende Entschuldigung...“ Eames Diese dominante Art an Arthur war nichts Neues für Eames – Sex war bei ihnen meistens mit Kampf verbunden. Und dennoch schien sich etwas verändert zu haben; irgendetwas in seinem Blick, das Eames ernsthaft das Gefühl vermittelte, es mit einem Raubtier zu tun zu haben. Anscheinend hatte er da etwas getriggert. „Der Gedanke daran, ich könnte mich für dich bücken, scheint dich ja mächtig an zu machen“ Er keuchte, hilflos auf dem Rücken liegend, wie ein angeschossenes Rind und sah gierig dabei zu, wie sich Arthurs Schulterblätter unter seiner makellosen, glänzenden Haut bewegten. Er wüsste nicht, wann ihn jemals etwas so erregt hätte. Vielleicht wäre ja dein schöner Hintern eine passende Entschuldigung…“ Eames grinste leidvoll, während er dabei zusah, wie Arthur ihn neckte. Immer nur Millimeter von den wirklich wohltuenden Stellen entfernt – das Aas. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wusste er, dass sie in dieser Nacht kein Auge mehr zumachen würden. »Aber sei nicht zu zärtlich, darling.«, raunte er und überließ sich zufrieden. Es erschien fast wie eine Ausnahme, dass sie beide noch da waren, als die Sonne in Mexico wieder aufging. Candela hatte das Zimmer unter ihnen und dank der offenen Fenster konnte man sie leise singen hören, während sie offenbar ihren morgendlichen Erledigungen nachging. „No tengo armas para enfrentarte Pongo mis manos, manos al aire Solo me imparta amarte En cuerpo y alma como era ayer“ Ganz ohne Knutschen entließ Eames ihn nicht, aber das Pflichtbewusstsein in Arthur siegte natürlich. Immerhin ging es noch immer um Candela. Nachdem Eames offiziell seine Hilfe angeboten hatte, entschied die Gruppe, dass es das Beste sei sich für die Aufklärungsarbeit in den Bordellen aufzuteilen. Außerdem hatte Ariadne offenkundig nicht vorgehabt auch nur eine Sekunde länger als nötig in Eames‘ Nähe zu verbringen. Sie ignorierte ihn nicht, aber die Eiseskälte war für jeden deutlich spürbar. Also besuchten Candela und Ariadne besagte Freundin, die ihm „Pleasure Principle“ arbeitete, während sich Arthur und Eames das weitaus verschlagenere „Coyote’s“ ansahen. Klein und billig war der Laden mit seinen bunten Neonröhren und Plastikblumen im Eingangsbereich und Eames fühlte ein Kribbeln an der Oberlippe, wie Herpes, als er den schmierigen, roten Teppich vor dem Laden bemerkte. Sie standen auf der anderen Straßenseite; Eames rauchte. »Was hälst du von asozialen Republikanern, die einen drauf machen wollen?«, die Rollen mussten sie schon mit Leben füllen, zumindest war das Eames‘ Art damit zu arbeiten. Er schlug einen räudigen Südstaatenakzent an: »Wir wollen es ein paar „Camilas“ und „Valentinas“ mal so richtig zeigen, um uns davon abzulenken, wie viel Scheiße wir in unserem langweiligen Büro-job fressen müssen.«, er sah zu Arthur. »Und wenn sie uns den Laden nicht freiwillig zeigen, lenke ich sie ab und du gehst allein los.«, wäre nicht einmal das erste Mal, dass sie es auf diese Weise schafften. »Pass nur auf, dass du dir dabei nichts einfängst.« Arthur I waited for so long Outside myself You see I was pretending To be someone else I was longing to see Who I wanted to be I waited for so long Outside myself You see I was pretending To be someone else I was longing to see Who I wanted to be Arthur hatte oft Momente in seinem Leben gehabt, in denen er das Gefühl gehabt hatte, keine Luft mehr zu bekommen, in seinen eigenen vier Wänden gefangen zu sein, in seiner so perfekten Wohnung, seinem geregelten Leben, in seiner Familie, seinem Eispalast. Er hatte Momente gehabt, in denen er Angst hatte, genau in dieser Welt zu versinken, sich selbst zu verlieren, zu erfrieren. But it was too cold In my world, my world Es war die Angst, zu lange gewartet zu haben, dem Menschen zu begegnen, der ihn dort herausholt. So wie es Enya getan hatte, so wie Mal es immer wieder geschafft hatte. Dabei war dieser Mensch so lange da gewesen, schon so lange. Aber er war zu schwach gewesen, zu begreifen, nicht stark genug, sich einzugestehen, dass dieser Mann derjenige war, der ihn wirklich er selbst werden ließ. Lieber hatte er sich etwas vorgelogen, so lange. And I've been making up my world I've been painting it with gold Not strong enough to see you Und beinahe hätte er diese Eiswelt dem vorgezogen, was er haben konnte. Beinahe wäre er zurückgefallen, in jene konstruierte Welt, um weiter zu warten, um ohne Ende zu warten, um zu erfrieren. I've been waiting on my own I've been waiting for too long Not strong enough to be with you Er hatte geschafft, zu begreifen, bevor es zu spät gewesen war, bevor er zu lang gewartet hätte. Als er an diesem Morgen aufwachte, das Atmen des anderen in seinem Ohr, seine Arme um seinen Körper, als habe jener Angst, er könne wieder gehen, da fühlte sich Arthur stärker und lebendiger denn je. Das Wissen um Tom in seinem Rücken und an seiner Seite gab ihm eine ungeheure Energie. Die Nacht war sehr kurz gewesen, sie war intensiv gewesen, unbeschreiblich. Aber er war nicht müde. Er hatte ein klares Ziel vor Augen, seine Reise nach Hause. Candelas Stimme zeigte ihm, dass nicht jeder hier so glücklich war. Er wollte sich schon erheben, seinem schlechten Gewissen ihr gegenüber folgend, als Tom ihn entschieden zurückhielt. Noch ein wenig genießen, bevor die Pflicht rief. Nur ein wenig. „Bald müssen wir nur aufstehen, wenn wir das wollen“, hörte er sich sagen und war erstaunt darüber, dass der Gedanke ihm besser gefiel, als er geglaubt hätte. „Es ist völliger Humbuck, wenn wir eines nach dem anderen machen. Wir teilen uns geschickter auf“, erklärte Dom zum Beginn ihres Meetings. Er hatte an der Pinnwand herumgedokterte, was Arthur aufstieß. Aber er ließ sich seinen Unmut nicht anmerken. Wobei in ihm schon die Frage auftauchte, warum jener das nicht gestern schon geäußert hatte, sondern jetzt das Ruder an sich riss, nach dem Eklat mit Eames . Traute er ihm nicht zu, die Aufgaben sinnvoll zu verteilen? Zugegebenermaßen war er gestern etwas… nun ja… neben sich. Aber heute Morgen hatte er so klargesehen, wie Dom, dass sein Zeitmanagement überholungsbedürftig war, weil sich die Situation geändert hatte. Es war immer nicht einfach für ihn, Aufgaben umzuverteilen, wenn er in Gedanken schon mit sich geklärt hatte, dass er eine Aufgabe übernahm. „Candela, du nimmst Ariadne mit und ihr besucht deine Freundin“, er blickte mit einem fast ein wenig herausfordernden Blick zu Arthur. „Da wird ihr schon nichts passieren.“ Hm, gestern klang es noch so, als sollte er mit ihr abends in ein Bordell gehen. Andere Voraussetzungen… „Arthur und Eames, ihr schaut euch dieses ‚Coyote’s‘ an, was das für ein Laden ist und ob er von Interesse für uns ist.“ Arthur meinte ein kurzes Zögern zu spüren, so als ob Cobb überlegte, noch etwas hinzuzufügen. Etwas wie ein „Wenn ihr das schafft, ohne euch zu zerfleischen.“? Oder eher ein „Je mehr wir wissen oder ausschließen können, desto besser.“? „Ich selbst fahre zu der Fabrik und sehe mich da um. Wir treffen uns heute Abend wieder hier und besprechen, wie es weiter geht. Ich möchte die Extraktion so bald wie möglich durchführen. Schließlich ist das nur eine Vorstufe und der wichtige Teil sollte nicht noch länger hinausgezögert werden.“ Wieso „noch länger“? Wer kam denn erst gestern hinzu? Arthur merkte, dass er jedes Wort des anderen auf die Goldwaage legte. Er schalt sich einen verbohrten Idioten und nahm sich vor, Dom so bald wie möglich deswegen anzusprechen. Solange er das Gefühl hatte, dass der Brief bewusst jetzt ihn erreicht hatte, würde das ihr Verhältnis unbewusst belasten. Er hatte noch nie Probleme damit gehabt, Dinge direkt anzusprechen, meistens jedenfalls. „Warum hast du mich aufgehalten, ihm meine Verachtung zu zeigen? Ich hätte ihm am liebsten die Fresse eingeschlagen, mit diesem selbstgefälligen Lächeln! Er hat sich wie ein Schwein verhalten., dich gedemütigt, dich bloßgestellt. Dabei hat er doch keine Ahnung...“ Arthur hob die Hand und gebot ihrer Wut Einhalt, indem er ihr übers Haar strich, was sie ziemlich überraschte. „Stimmt genau, Ariadne. Wie ein Schwein, aber wie ein Schwein in tiefer Verzweiflung. Und man schlägt kein Schwein in tiefer Verzweiflung.“ “Nicht ganz falsch“, gab Ariadne nach einiger Überlegung zu. „Ist er wieder zur Besinnung gekommen? Ich meine: wie konnte er wieder zu sich kommen?“ Arthur lächelte. „Ich hab versucht ihm zu zeigen, dass seine Verzweiflung nicht auf realen Fakten basiert. Es ist alles wieder gut.“ Ariadne nickte zufrieden. „Ihr zwei seid wirklich kompliziert.“ Arthur nickte lächelnd. Und irgendwie waren sie das auch nicht. Irgendwo tief in ihm, kaum hörbar und gut weggesteckt, versuchte ihn eine Stimme zu warnen: es war das Wissen darum, dass jede Art von Betrug von Eames‘ Seite aus, ihn endgültig brechen würde. Aber diese Stimme war nicht präsent, drang nicht durch, spielte keine Rolle. Er sah sie nun als Team, als Einheit - auch wenn sie für manchen Beobachter unvereinbar aussehen mochten. „Ich werde dennoch noch eine ganze Weile sauer auf ihn sein.“ Er grinste leicht. „Das ist dein gutes Recht.“ Arthur zündete sich eine der letzten von Eames‘ zerkrümelten Zigaretten an. Er würde ihm bald eine neue Schachtel kaufen müssen, damit er ihm auch weiterhin hin und wieder eine klauen konnte. Er mochte die Marke nicht, zu herb, aber schließlich: einer gestohlenen Zigarette sieht man nicht ins Kraut. »Was hältst du von asozialen Republikanern, die einen drauf machen wollen? « Arthur inhalierte tief, dachte einen Moment nach, lauschte den folgenden Worten, lächelte leicht bei der Beschreibung ihrer Rollen, bevor er den Rauch wieder entließ. Toms „Southern Drawl“ war erstaunlich. Er könnte das bei Weitem nicht so gut. Aber ihm und seiner hellen Haut nahm man vermutlich ohnehin nicht den Redneck ab. Das wäre aber ohnehin völlig egal, solange die Typen da drinnen merkten, dass sie Geld hatten und bereit waren für billigen Scheiß viel zu viel zu blechen. »Pass nur auf, dass du dir dabei nichts einfängst.« Arthur hob eine Augenbraue, blickte Tom abschätzig an. Tatsächlich hatte er nach Toms Verschwinden nach dem Koma einen AIDS-Test durchgeführt, der negativ ausgefallen war. Er war da lieber vorsichtig... „Ohnehin nicht ohne Gummi“, entgegnete er und presste die Zähne beim Sprechen aufeinander, um jenes Genuschel aus Texas nachzuahmen. „Ich lass mir doch nicht von diesen Mex-Schlampen ein Kind andrehen. Die warten doch nur auf Junggesellen wie mich, um ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu kommen. Dabei haben wir von den Bohnenfressern ohnehin schon genug bei uns.“ War das genug asozial und Republikaner und Südstaat? Sein Handy klingelte, es war Dom. „Irgendetwas an der Firma stimmt nicht“, begann dieser sogleich. Arthur hatte auf laut geschaltet. „Wer bewacht eine Fabrik, die Plastikflaschen herstellt, mit M16-Sturmgewehren?“ Arthur nickte. „Klingt nach einer Spur“, entgegnete er. „Wir brauchen nur noch eine Versicherung durch Manolo, dass Carlos Gobbelin unser Mann ist. Wir sehen uns später, gehen jetzt ins Bordell.“ Im Erdgeschoss des ‚Coyote‘s‘ war ein großer Barbereich untergebracht, eine kleine Tanzfläche und zahlreiche Sofaecken, in denen die Mädchen ihre Freier umgarnten. In der Luft lag ein ranziger Geruch, wie ihn nur die richtige Mischung aus Geilheit und Scham erzeugen konnte. Arthur blickte einer Dame entgegen, der First Lady, wie sie jedes Bordell hatte, die sie mit einer einladenden Handbewegung in Empfang nahm. Die First Lady war für den Empfang der Gäste da und verteilte die Ressourcen, nahm sich speziellen Wünschen an und war selbst nur für besondere Stammgäste und Verehrer nahbar. „Zwei so reizende Herren, die sich amüsieren wollen?“, begrüßte sie sie und Arthur legte ein einnehmendes Lächeln auf. Er hatte sich extra etwas legerer angezogen, fühlte sich etwas unsicher, wie es seine Rolle vielleicht auch brauchte. Ein kleiner Naivling war doch gar nicht verkehrt, oder? „Yes ma’am“, antwortete er höflich, den Akzent bei weitem nicht so gekonnt, wie Eames, aber er hoffte, dass das dennoch nicht auffiel. „Das haben wir uns verdient…“ Während sie sie zu ihren Plätzen geleitete, sah er sich scheu um. Hinter dem Tresen stand ein Alphatier, das gerade eine der Mädchen anschnauzte. Er schien seine Mitarbeiter so zu behandeln, wie er als Barkeeper die Eiswürfel behandelte. Er schüttelt sie alle durch und heraus kommt etwas, das keinem schmeckt. Er trug eine Jeans und Lederjacke und kaute vulgär und nervös Kaugummi. Er stand breitbeinig, mit einem haifischartigen Grinsen im Gesicht, als hätte er Blut gerochen und wollte zubeißen. Etwas erinnerte ihn an den früheren Eames. Eames Es klang vielleicht wie ein großer Schwindel, aber Eames war früher häufig in Bordellen unterwegs gewesen, ohne den eigentlichen Service der Etablissements zu nutzen. Es war nämlich eben jener Scham, der das Stillschweigen über Dinge versicherte, die dort im Verborgenen passierten. Niemand sagte gern bei der Polizei über eine Straftat aus, wenn man im selben Zuge zugeben musste, dass man ein Freudenhaus besucht hatte. Die USA waren dazu seiner Erfahrung nach am besten geeignet – ein Volk, das in Punkto Scheinheiligkeit seines Gleichen sucht. Das Umfeld und die Umgangsart waren ihm also nicht fremd, ebenso wenig wie das schlechte Parfum, die grausige Musik und die billigen Cocktails. Wahrscheinlich war das „Pleasure Principle“ eine andere Hausnummer; dieser Laden hatte tatsächlich einen ganz guten Ruf – das „Coyote’s“ hingegen war genau sein Milieu. Auch ihm war der aufgeblasene Hahn aufgefallen, der in diesem Laden zweifelsohne etwas zu sagen hatte. Es wäre jedoch klug ihn zu zweit zu bedrängen, dachte er. »Ich werde dieses Schätzchen da drüben mal nach Manolo befragen – du kannst dich in der Zeit amüsieren.«, er zwinkerte seinem Point Man zu, dann schlenderte er zu dem großen Dicken herüber. Und als hätte sie auf das Stichwort „amüsieren“ gewartet, tauchte eine große, schlanke Brünette im knappen Rock vor Arthur auf. Sie war schön, für die Verhältnisse des Ladens und hatte außerordentlich weiße Zähne. »Du erinnerst mich an jemanden.«, sprach sie mit gebrochenem Englisch. »An den Mann meiner Träume.« Arthur Die Inception verlief gut, reibungslos. Sie erhielten die Informationen, die sie brauchten. Manollo war ein wirklich mikriger Fisch und ein schwacher Geist. Es war ein Spaziergang durch ein einfältigen Geist, der sich leicht manipulieren ließ, ein Hauch von Größenwahn gepaart mit minderwertigem Selbstbewusstsein und Geltungsdrang. Dass Gobellin hinter allem steckte, war nun bestätigt. Dass die Fabrik der Ort war, an dem die Kunstgegenstände gelagert waren, war mehr als deutlich. Manolo war sogar dort gewesen und hatte sie ihnen gezeigt. Die Sorge davor, dass die Geister auf den Plan gerufen wurden, ließ sie vorsichtig agieren, intrigant. Eine Konfrontation mit einer Gruppe Auftragsmörder und Berufsverbrechern war definitiv nichts, was sie provozieren sollten. Sie mussten viel eher dafür sorgen, dass Gobbelin etwas zu verlieren hatte, wenn er nicht dafür sorgte, dass Candelas Vater wieder frei kam. Gleichzeitig sollte er aber auch nicht so angegangen werden, dass das Wort Vergeltung eine Rolle spielen würde. Jesse war eine große Hilfe. Jesse, mit dessen Hilfe Dom einen Weg fand, an Gobellin ranzukommen, ohne dass sie Candelas Familie weiter in Gefahr brachten. Ein Weg, wie sie an Beweise kommen konnten, mit denen Candelas Vater entlastet war. Es war ein gutes Stück Arbeit, bei der Eames erstaunlich professionell in den Spielhöllen Cancuns den entscheidenden Beitrag leistete. Gleich nach der Extraction Manolos hatten sie Merida den Rücken gekehrt und waren in die so saubere Parallelwelt Cancuns eingetaucht , wo sich ein Hotelkomplex an den nächsten reihte. Ein anderes Mexiko als das in Merida. Ein Mexiko der Touristen, Partys und des leicht verdienten Geldes, wenn man wusste, wie man es anstellte. Arthur hatte ein Strandhaus gemietet, wo sie die letzten Fakten zusammentrugen. Diese hatten sie Candela übergeben. Eames schien sich sehr wohl zu fühlen, genoss den Luxus ihres Hauses. Arthur mischte sich nicht ein. Die gute Laune des Forgers freute ihn, auch wenn noch immer so viele Dinge einfach nur zur Seite geschoben, nie geklärt worden waren. Ob sie in Mombasa über ein paar Dinge sprechen würden? Zum Beispiel, wie sie sich ihr ‚something‘ jeweils vorstellten…? Es war ihr letzter gemeinsamer Abend. Der letzte Abend in dieser Runde. Dom würde am nächsten Tag nach Los Angeles zurückkehren, Ariadne nach New York fliegen. Eames und er würden warten, ob Candelas Vater wirklich entlassen wurde. Dann würden sie wohl in Richtung Mombasa aufbrechen. Sie hatten nicht mehr darüber geredet, ob sie fuhren. Selbst Eames‘ vermied seine Traumereien a là ‚Wenn wir in Mombasa sind...‘. Aber für Arthur musste auch nicht mehr darüber gesprochen werden. Arthur hatte nicht vor, diesen Plan zu ändern. Er freute sich darauf, so richtig. Arthur griff zu der Flasche Bier, die er eben aus dem Kühlschrank genommen hatte. Ariadne und Eames diskutierten gerade über die richtige Mischung von „Sex on the beach“ an der Bar und Arthur war sich ziemlich sicher, dass Ariadne noch etwas brauchte, um die Doppeldeutigkeit der Worte zu durchschauen, die Tom wählte. Dom stand draußen auf der Terrasse, die zum Meer hin lag und lauschte vermutlich der Brandung, die sacht an den Strand schlug. Der Pointman trat durch die Glastür nach draußen und stellte sich neben den Extraktor, der soeben sein Handy wegsteckte. „Alles gut mit den Kindern?“, fragte er ins Blaue hinein und blickte seinerseits aufs Meer, trrank einen Schluck aus der Flasche. Eine sanfte Priese warmer Luft trug den Geruch nach Meer zu ihnen. Arthur verdrängte den Gedanken an die vergangene Nacht, in der er mit Eames unten am Strand gewesen war. Es gab da noch etwas zu klären. Etwas, was ihn beschäftigte. Eames Der Fall war wie freies Schweben für Eames. Sie brauchten ihn nicht wirklich, trotzdem konnte er einen adäquaten Beitrag leisten und nebenbei noch Qualitätszeit mit Candela und Arthur verbringen – eigentlich ideal. Sicherlich würde er sich unterfordert fühle, wenn es dauerhaft so liefe, aber angesichts der vergangenen Ereignisse tat es ihm gut den Kopf abzuschalten. Ausgelassene Gespräche, Drinks und eine Menge Sex; das hatte er wirklich verdient. Seit dem Jobs-Fall war Arthur noch einmal so viel mehr für ihn geworden. Er machte ihn schwach und gleichzeitig stärker. Früher war er ein übermütiger, verknallter Idiot gewesen; heute fühlte er sich regelrecht verschmolzen – ein sehr viel reiferes, bedeutungsvolleres Gefühl; und es fühlte sich die meiste Zeit außerordentlich gut an. Auch wenn er immer wieder das leise Raunen in seinen hintersten Gedanken vernahm, das ihn ermahnte wieder nach seiner Freiheit zu suchen, nach seiner Unabhängigkeit. Sein altes Einsamer-Wolf-Credo. Eigentlich sollte er die Sonne in diesem System sein. Nichtsdestotrotz war er von einer tiefen Ruhe erfasst, die sich alsbald auch auf sein Verhältnis zu Ariadne niederschlug. Er entschuldigte sich; reumütig zu klingen war nicht schwer für ihn. Und sie vergab ihm – wenn auch unter Vorbehalt. Und in erster Linie Arthur zu Liebe. Sollte ihm recht sein. Es reichte um ein angenehmes Klima zwischen ihnen zu schaffen, das zu seiner allgemein guten Laune nur beitrug. Nur eine Sache war nicht gänzlich in Ordnung. Es nieselte im Paradies. Und obwohl beide Parteien ihre Professionalität mit beinaher Perfektion aufrecht erhielten, konnte Eames am langen Stock fühlen, dass etwas zwischen Dom und Arthur nicht stimmte. Auch wenn er sich selbst dabei ein wenig anwiderte machte es ihn stolz, dass es unter Umständen etwas mit ihm zu tun haben könnte. Es gab keinen Grund jemals wirklich eifersüchtig auf Dom zu sein, aber der Gedanke in Arthurs Vertrauensrangordnung an dessen Stelle vorzurücken, brachte ihm eigentümliche Befriedigung. Er verfolgte Arthur aus dem Augenwinkel, sein Gesicht hatte eine sanfte Bräune angenommen. Sein Blick war jedoch von dieser strengen Art, die Eames nur zu gut kannte. Und die Farbe seiner Augen war nah an echtem Schwarz – ein gefährlicher Ton. Dom saß draußen auf dem Balkon und steckte sein Handy weg, als Arthur gerade zu ihm nach draußen trat – Dom - er rieb sich mit dem Daumen übers Kinn. Den Blick auf die idyllische Aussicht gerichtet. Meer, Stand, wehende Laken. Mal hätte es geliebt. »Sie sind versorgt.«, antwortete er seufzend, als fiele es ihm schwer diesen Fakt als positiv zu empfinden. Er hatte da jemanden, der sich wunderbar um Phillipa und James kümmerte; ein jemand den er vermutlich längst auf ein Date eingeladen hätte, würde er sich wegen ihres immensen Altersunterschiedes (und natürlich auch wegen Mal) nicht schrecklich schuldig fühlen. Aber es gab keinen Grund so etwas mit Arthur zu besprechen. Diese vermeidliche Nähe, die nach Mals Tod zwischen ihnen entstanden war, verwirrte ihn manchmal. Er fragte sich, ob da noch mehr zwischen ihnen war, oder ob der Verlust dieses einen wertvollen Menschen wirklich das einzige war, was sie all die Jahre zusammengeschweißt hatte. Und nun stand er da; mit einem Blick, der etwas ankündigte, das Dom nicht ganz greifen konnte. Er war allzu privaten, zu tiefgreifenden Gesprächen bislang gut ausgewichen; das wurde ihm in diesem Moment schlagartig klar – Mal war diejenige gewesen, die Arthurs Kummer aufgefangen hatte, sofern er das überhaupt beurteilen durfte. Seine Kiefermuskeln spannten, doch es gab wohl keine Chance dem Kommenden auszuweichen. Also deutete er auf den hölzernen Liegestuhl neben seinem. »Setz dich doch.« Arthur Arthur zog einen Stuhl heran, drehte ihn so, dass er den Strand, aber auch Dom im Blick hatte. Dann setze er sich,trank einen Schluck, wälzte Worte und Fragen hin und her. Er sprach selten mit Dom über persönliche Dinge, ihr Gespräch neulich in LA war gewissermaßen eine seltene Ausnahme gewesen und im Rückblick wusste Arthur nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen, ob dieses Gespräch wirklich ehrlich gewesen war, ehrlich und nicht berechnend. Das zu klären galt es in gewisser Weise, das und der Fakt, dass er das Gefühl hatte, dass sein Funktionieren das einzige war, das bei jenem momentan zählte, und dass versucht wird, jeden Störfaktor, der das verhindern könnte, zu eliminieren. Dabei sollte Dom doch egal sein, was er tat. Als Pointman hatte er ihn doch nur wegen seiner Familie gebraucht. Plante er zurück zu kommen? Plante er, dass sie wieder als Team auftraten? Oder war es ein Besitzdenken, das jenen beeinflusste? Arthur wusste nicht mehr, wo sie standen und was jener wollte. Er sah nur, dass es jenem offenbar egal war, was mit ihm und Eames war, ja es fühlte sich gewissermaßen auch so an, als wäre es jenem lieber, wenn sie nichts miteinander hatten. Nicht, weil es ihm wirklich um Arthurs Wohlbefinden ging, sondern aus der Motivation heraus, selbst dann anders dazustehen. „Mir kommt es komisch vor“, begann er unumwunden, „dass du mich zu meiden scheinst. Und ich weiß das nicht richtig einzuschätzen.“ Arthur war bei solchen Dingen niemand, der lange um den heißen Brei herumredete. Es dauert meist, bis er klärende Gespräche führte, wenn er es überhaupt tat. Aber wenn er an dem Punkt war, dann wurde er direkt. „Du hast mich in L.A. gefragt, ob Thomas Eames und meine Beziehung zu ihm ein Problem werden würden. Ist sie das für dich? Stört sie dich?“ Er blickte Dom an. „Weißt du, ich frage mich schon die ganze Zeit, warum du mir diesen Brief, der nie abgeschickt worden ist, gegeben hast. Was hast du damit bezweckt? Sollte er das Misstrauen in mir wieder schüren? Oder hast du dich wirklich nur verpflichtet gefühlt, ihn mir zu geben, weil ich als Empfänger draufstand?“ Ja, dieser Brief hätte bewirken können, dass er jetzt nicht hier wäre, dass er womöglich jeglichen Kontakt zu Eames abgebrochen hätte. „Und ich frage mich auch, warum du mir nicht gesagt hast, dass du mit Eames im Vorfeld Kontakt hattest. Warum hast du ihn auf mich losgelassen, ohne mich vorzuwarnen? Was hast du dir davon versprochen? Sicher hat er dich gebeten, mir nichts zu sagen. Da bin ich mir sicher!“ Er schnaubte. Das passte zu Eames. „Dass du es wirklich nicht getan hast, kann nur zwei Dinge bedeuten. Entweder fühlst du dich ihm gegenüber mehr verpflichtet als mir - was mich erstaunen würde - oder aber du hast es so gewollt. Aber mit welchem Ziel?“ Er hatte nicht vor, diese Freundschaft aufs Spiel zu setzen. Aber solange diese Dinge nicht geklärt waren, würde immer etwas zwischen ihnen stehen, das eine Distanz aufbauen und vergrößern wird. Dom Es war diese Sache, das hätte er kommen sehen müssen – hatte er vermutlich sogar, bloß war ihm nicht klar gewesen, wie gut er eigentlich darin war, Dinge zu verdrängen, die er nicht sehen wollte. Sein Blick war streng in die Ferne gerichtet, als Arthur sprach. Erst als er sicher war, dass vorerst nichts mehr kommen würde, senkte er den Blick. Ein tonloses Seufzen entkam ihm. »Mal hat mich gebeten dir den Brief nicht zu geben. Kurz bevor du ankamst habe ich sie besucht.«, er lächelte dieses traurige, hilflose Lächeln, das allein für diese eine Art von Schmerz bestimmt war: Erinnerungen an Mal. »Sie hatte Recht gehabt. Es war eine dumme Idee gewesen.«, auch er nahm einen Schluck; es war ihr letzter Tag in Mexiko, also genehmigte auch er sich eine Flasche Bier. Es war bereits die zweite. »Ich bin einverstanden mit dir und Eames.«, zum ersten Mal baute er Blickkontakt auf. »Ich verstehe es nicht, um ganz ehrlich zu sein, aber das ist auch nicht meine Aufgabe, nicht wahr?«, er lächelte angehalten. »Um ehrlich zu sein, habe ich versucht zu helfen – auf meine Art. Sicher, Mal hat immer die richtigen Worte gefunden, Mal war perfekt gewesen – oder?«, die Frustration war nicht zu leugnen. »Ich kann das nicht erfüllen, Arthur. Ich bin nicht wie sie; ich bin- ...«, abgestumpft? Emotional verkümmert? Zu rational? »Und deswegen habe ich versucht ihr zu widersprechen – ich wollte es anders machen als sie. Aber ich hätte mir nicht anmaßen dürfen, zu wissen was gut für euch ist. Es tut mir leid.« Arthur Seine Augen ruhten auf dem Gesicht des anderen, ließen ihn nicht aus den Augen, um zu sehen, wie Dom reagierte. Er wollte sehen, wie ehrlich die Antwort war. Eine gewisse Erleichterung schlich sich ein, dass er keinen Ärger oder gar Wut bei Dom sehen konnte, weil er ihn so direkt anging. Arthur war immer ehrlich zu Dom gewesen. Dom aber nicht immer zu ihm. Dass Dom bei Mal gewesen war, ließ ihn leicht nicken. Dom hatte nicht mit ihm kommen wollen, als er sie für sich besucht hatte. Er hatte ihm seinen Freiraum gelassen, den er selbst zuvor auch für sich gebraucht hatte. Die Traurigkeit in seinem Lächeln, in seinem Blick fühlte sich ehrlich an. Als sich ihre Blicke trafen, wusste er, dass Dom wirklich nichts direkt gegen ihr something hatte. Arthur lächelte sanft, als Dom erklärte, dass er nicht verstand, was sie da hatten, und er nickte zur Bestätigung. Die Erklärung, die er nun bekam, war erstaunlich. Er hatte versucht ihm zu helfen? Arthur verstand nicht gleich, was er meinte. Das Gefühl, dass jener ihn mit scheinbarer Reue abspeisen wollte, rührte sich vehement. Dom hatte ihm helfen? Bei was? Dabei, sie auseinander zu bringen? Oder… hatte er ihn einfach nur anstoßen wollen, sich genau zu überlegen, ob er Tom wirklich wollte? Letztlich war es ja auch genau so gewesen: seine Zweifel, sein Misstrauen hatten aufgeschrieen und sich bestätigt gesehen, doch je länger er über den Brief nachgedacht hatte, desto bewusster war ihm geworden, dass Tokyo kein Hindernis mehr sein würde. Sie hatten da noch Klärungsbedarf, vielleicht, aber dass er das nicht mehr als so wichtig erachtete, wie er das noch vor Kurzem getan hatte, war der Verdienst dieses Briefes gewesen. Es war die Vorarbeit dafür gewesen, dass er nach Eames Arschloch-Auftritt überhaupt noch fähig gewesen war, auf jenen zuzugehen. Früher hätte er seinen Koffer gepackt und wäre gegangen, hätte alles, was er noch besaß, hinter sich gelassen und sich in dem Glauben gebadet, dass seine Freunde sich gegen ihn gerichtet hatten. Nun aber hatten sie seit längerem wieder einen Job gut über die Bühne gebracht, und die Stimmung war gut. Arthur nickte, als Dom sich entschuldigte. „Ich verstehe auch nicht immer, was da zwischen uns ist – und letztlich war, seit wir uns das erste Mal getroffen haben…“, sagte er ehrlich, dachte einen Moment nach. „Und nein! Mal war nicht perfekt. Auch sie hatte ihre Fehler, wie jeder andere auch. Sie hat es auch nicht immer geschafft, ihren Standpunkt zu verlassen, um andere Perspektiven einzunehmen.“ Letztlich hatte auch das in gewisser Weise zu ihrem Tod geführt, oder? „Danke für deinen Versuch von Hilfe, in der Tat hat der Brief tatsächlich geholfen, klarer zu sehen.“ Er biss sich auf die Unterlippe, trank einen Schluck Bier. Musik drang von Innen zu ihnen hinaus, Reaggae Töne. … And treat you right. I wanna love you. Every day and every night… Arthur schmunzelte. So ganz war er noch nicht glücklich. Aber sie befanden sich auf einem Weg. „Ich weiß nicht, wohin das alles führt. Vermutlich zu einer Berg- und Talfahrt. Aber das ist mir bewusst. Was uns gut tut? Keine Ahnung. Es wird sich zeigen.“ Er sah Dom an. „Wie sollst du wissen, was uns gut tut, wenn wir es selbst nicht wissen? Versuch nicht wie Mal zu sein. Sei wie du. Du bist mir wichtig, umso schwieriger ist es für mich, wenn ich das Gefühl habe, dass du mich ins offene Messer rennen lässt oder nicht ehrlich zu mir bist, wenn es mich betrifft.“ Seine Entscheidung, all das anzusprechen, war die richtige gewesen. Ansonsten hätte sich seit Neapel immer mehr aufgestaut, was irgendwann zu Problemen führen würde. Dom „Mal war nicht perfekt.“ Es war eigentümlich befreiend diese Worte aus Arthurs Mund zu hören. Sein neues Umfeld wusste nichts von Mal. Die Kinder waren zu jung, um zu verstehen und Stephen war ihr Vater – wer hätte ihn je die Bestätigung geben können, dass Mal nicht ausschließlich der makellose Engel gewesen war, den scheinbar alle in ihr sehen wollten? Er hatte sie gekannt; er hatte ein verdammtes, ganzes Leben mit ihr verbracht. Er wusste, dass sie zuweilen schrecklich manipulativ, jähzornig, hinterlistig und vieles abscheuliches mehr sein konnte – und dennoch glich es einem Verbrechen schlecht von ihr zu reden oder gar zu denken. „… umso schwieriger ist es für mich, wenn du mich ins offene Messer rennen lässt…“ Nun, auch damit hätte er rechnen müssen. Er nickte langsam. Was blieb ihm übrig als sich der Sache zu schlucken? Er erwiderte eine Weile lang nichts. Sein müder Blick hing an dem rotorangenen Horizont der sich vor ihnen über dem Meer erstreckte. »Ich will zurück, Arthur. Extractions sind mein Metier, ich kann nicht einfach aufhören damit.«, kam es schließlich von seiner Seite. Nachdenklich. »Und ich will dich an meiner Seite. Als Point Man, aber vor allem als Freund. Gibst du mir die Chance es richtig zu machen?« Nur wenige Momente später erklang Eames’ eindrücklicher Akzent direkt hinter ihnen: »Gentlemen, ich darf Sie höflich bitten hereinzukommen!« Er lehnte im Türrahmen, sein Hemd war bis zur Hälfte aufgeknüpft und die Krawatte hing ihm lose über die Schultern. Von drinnen klang heilsam ausgelassenes Lachen und mehr Reaggae. »Ariadne weint, aber es ist nichts Schlimmes, versprochen – anscheinend ist sie nicht in der Lage vernünftig Zitronen zu schneiden und gleichzeitig mit den Geschichten aus meiner Zeit beim schwulen Ballett fertig zu werden – jedenfalls – wir haben Salz, Zitronen und vier Flaschen Tequila; also vamos!« Arthur Das anfängliche Schweigen seines Gegenübers wertete Arthur nicht als negatives Zeichen. Vielmehr erschien es ihm eher so, als würde Dom über etwas nachdenken, was wichtig war und seinen Raum und seine Zeit brauchte, um sich zu manifestieren. Arthurs Blick glitt zum Meer, zu der Kulisse, die sich ihnen bot, die diesen Ort zu einem Idyll machte, fernab von all dem Stress und der Gefahr, die ihr Leben oft bedeuteten. Als Dom seinen Wunsch verbalisierte, die Bitte an ihn, sein Pointman zu sein, sein Freund, sah Arthur Dom wieder an. Er freute sich über diese Worte. Sehr. Nicht nur, weil er es auch vermisste, mehr in diesem Metier unterwegs zu sein, sondern auch, weil Dom ihn nun anders positionierte. Dom hatte ihn so oft als selbstverständlich erachtet, als jemand, der da war, wenn er sagte, dass er da sein sollte. Er hatte Entscheidungen getroffen, ohne ihn um sein Einverständnis zu fragen, Vieles entschieden, wozu er eigentlich keine Berechtigung hatte. Arthur war bereitwillig gefolgt. Es hatte ihn nicht gestört. Im Gegenteil: es gab Situationen, in denen er froh gewesen war, gehen zu können, ja regelrecht auf einen Anruf gewartet hatte. Aber jetzt war es anders. Doms Worte teilten ihm mit, dass er ihn nicht als selbstverständlich erachtete, dass er ihn als wertvoll sah, ihn als Freund wirklich haben wollte. Vielleicht war das der Punkt, ab dem sie sich endlich wirklich auf Augenhöhe begegneten. Er nickte nach einer kurzen Pause. „Ich bin gerne der Pointman neben dir und der Freund an deiner Seite“, erklärte er. Bisher war er der Pointman hinter Dom, während jener im Fokus stand. „Wer sollte es auch sonst sein? Es gibt keinen besseren Pointman.“ Er grinste einen Moment, wurde dann aber wieder ernst. „Allerdings gibt es nun noch jemanden, der an meiner Seite steht und dem ich mich ‚verpflichtet‘ fühle. Ein 24/7 kannst du nicht mehr von mir erwarten. Ich werde ihn nicht mehr hintenanstellen. Aber ich denke, da werden wir uns schon einig. Alles, was ihn und unser something betrifft, hat auch er zu entscheid….“ Er unterbrach, als er Eames‘ Worte hörte und drehte sich diesem zu. Das hereinplatzen in Situationen, sein Auftreten, seine Wortwahl und dieser Akzent… Arthur seufzte leicht. „Sofern er das ernsthaft kann“, murmelte er und grinste dann. Sie waren aufgestanden, der Aufforderung gefolgt. Bevor Eames Dom nach Innen folgen konnte, hielt Arthur ihn am Arm zurück. Einen Moment sahen sie sich nur an. Nein, er verstand manchmal auch nicht, warum das zwischen ihnen war, was da war. Aber er wusste, dass es da war und nicht zu verleugnen war. Und er wusste, dass es ihn durchaus glücklich machte. Arthur überwand die kurze Distanz und küsste Tom. Das erste Mal vor den anderen. ‚I can see clearly now, the rain is gone,…‘, hörte man aus den Lautsprechern. Eames Dieser Kuss bedeutete, dass er gewonnen hatte. Es war egal, ob Dom wirklich hinsah oder nicht, aber Arthur war entspannt und komfortabel in Eames‘ Nähe, obwohl sie nicht allein waren. Und das war wirklich alles was er je gewollt hatte. Keiner sprach dieses etwas an, es war einfach da und das war in Ordnung; sie waren in Ordnung wie sie waren. Candela kam später dazu und verpasste Arthur im Laufe des Abends einen besonders intensiven Kuss auf die Wange, als sie bemerkte, dass Eames’ Hand auf dessen Oberschenkel ruhte. Ariadne lauschte gespannt, als Eames von alten Kamellen erzählte, von einem merkwürdigen Zwischenfall zwischen Dom, ihm und ein paar Kleinkriminellen. Eine Geschichte, die Dom nur äußerst ungern über sich ergehen ließ, da sie damit endete, wie sie beide ohne Hosen und ohne Portmonnaie dastanden. Aber nach dem zehnen Shot durften auch gern mal solche Geschichten ausgepackt werden, bevor sie sich wieder mit dem Ernst des Lebens beschäftigen mussten. »… und ich sagte noch zu ihm „Dom, das hätte alles sehr viel schlimmer enden können“ -« »… - „stell dir vor sie hätten auch die Autoschlüssel genommen“ – schon Ok, Arthur kennt die Geschichte, nicht wahr? Die Autoschlüssel waren auch weg.«, endete Cobb, wodurch Ariadne und Eames in schallendes Gelächter ausbrachen. Auch Candela amüsierte sich köstlich und schenkte noch einmal Tequila nach, bevor sich die Kleingruppe allmählich auflöste. Es gab einen rührenden Abschied, trotz der allgemein verkaterten Stille zwischen ihnen und Arthur und Eames blieben noch ein paar Tage im Strandhaus zurück. Candelas Vater wurde freigelassen, genau wie zu erwarten gewesen war. Keine Stunde später waren Arthur und Emes auf dem Weg zum Flughafen, um einen Maschine nach New York zu erwischen. Ein kurzer Zwischenstop in Arthurs rückeroberten Domäne bevor sie endlich den Urlaub bekamen, dem sie beide so lange hinterhergejagt waren. »Du wirst keine Sonnencreme mehr brauchen, wenn wir unten ankommen, darling.« Zwanglos legte er einen Arm um Arthurs Hüfte; sie standen vor einer großen, spiegelnden Fassade, während sie auf ihr Gepäck warteten. Eames‘ war schrecklich eitel und betrachtete sich gern im Spiegel, aber wenn Arthur neben ihm stand und er sie beide zur Gänze ansehen konnte, haftete sein Blick ausschließlich an seiner bezaubernden Begleitung und dessen neuem, dunkleren Teint. Arthur Sie beide als Reflexion. Das hatte etwas Unwirkliches. Etwas von Paradiesvogel und Krähe, etwas von Licht und Schatten. Das Abbild von ihnen sah deswegen nicht schlecht aus, gar nicht. Es war eine andere Perspektive, eine Sicht auf sie beide von außen. Arthur hatte das Gefühl, dass sein Selbstbild von ihnen deutlich schlechter ausfiel, als ihr Fremdbild. Aber er hatte tatsächlich deutlich an Farbe gewonnen, sah nicht mehr so blass aus, so fahl und ungesund. Mit der Bräune war Lebensenergie gekommen, Kraft, Ruhe. Die Nächte, in denen er Tom neben sich spürte, waren erholsam, wenn sie auch nicht selten kurz waren, oder unterbrochen von dem schier unstillbaren Verlangen, das sie nach einander verspürten. Er aß mehr, trank mehr Alkohol als sonst. Das Gefühl, dass er an Gewicht zulegte, störte ihn etwas. Aber es war in Ordnung. Eames hingegen sah gut aus wie immer. Und doch wirkte auch er verändert. Ruhiger, gesünder, zufrieden. Und doch bemerkte Arthur manche Momente, in denen Tom mit sich zu ringen schien, in denen er aufbrach. Aber er kam zurück zu ihm. Und er ließ ihm den Raum dafür. Genauso wie er selbst gelegentlich merkte, dass ihm die viele Nähe zu viel war. Ständig und oft berührt werden, fühlte sich seltsam an. Und gelegentlich fuhr er Stacheln aus, um wieder etwas mehr Raum zum Atmen zu haben. „Das wage ich zu bezweifeln“, seufzte er mit etwas Verzögerung, und drehte sich von ihrem Spiegelbild weg zum Original. „Ich werde auch rot, selbst wenn ich braun bin.“ ~.~.~.~.~ Sie würden eine Nacht in New York bleiben. Der Flug würde erst am nächsten Tag im Laufe des Nachmittags gegen Arthur nutzte die Zeit in seiner Wohnung, um seinen Koffer anders zu packen, die Post durchzusehen und die Wäsche zu waschen. Kurz kam ihm die Karte Teteruks in die Finger. Er betrachtete sie, überlegte, ob er sie abheften sollte oder wegschmeißen. Er entschied sich für ersteres. „Lass uns was essen gehen“, sagte er schließlich. Arthur wusste nicht, weshalb er hierher gekommen war, ausgerechnet in dieses Pub. „Wollen wir?“ „Gut“, sagte Eames und hielt ihm die Tür auf. Arthur trat die Stufen hinunter, fahler Biergeruch kam ihm entgegen, das Klappern der Krüge, Stimmengewirr, Musik. Sie setzten sich beide an den Tisch, so wie damals, als sie 8Jahre jünger gewesen waren, wo sie sich das erste Mal begegnet waren und Arthur noch gar nicht richtig wusste, was ein Flirt eigentlich war. Und wie es sich anfühlte, im Dämmerlicht zu Beatles-Musik. Und jetzt saßen sie hier und weder Eames noch Arthur hatten das Bedürfnis, etwas zu sagen. Sie saßen da, ihre Knie berührten sich, ein Bier stand vor ihnen, während sie auf das Essen warteten. Arthur spürte die Wärme des anderen an seinem Knie. Er fragte sich, ob es das war. Das Leben. Arthur spürte, wie alle Schwere ihn verließ, wie alle Sorgen sich verflüchtigten. Italien, Mexiko, Tokio, ... waren weit weg, Teteruk nur ein Schatten, der sich im Nebel auflöste. Und seine Familie ein Geist, den er verdrängte. ~.~.~.~.~ Arthur lehnte einen Augenblick seinen Kopf an Eames‘ Schulter, während sie auf den Hudson blickten. Sie hatten Yusuf besucht und mit ihm gefrühstückt, waren früher aus der U-Bahn gestiegen, am Hudson entlang in Richtung seiner Wohnung gelaufen. Nun saßen sie auf einer Bank und blickten auf das Wasser. In zwei Stunden mussten sie in Richtung Flughafen aufbrechen. Da war Straßenlärm, die Schritte der Passanten auf dem Trottoir. Die Rufe eines Händlers vor seinem Stand auf der Straße, das Hupen von Autos, das Klingeln der Fahrräder, das Fluchen eines Kneipenbesitzers, der einen streunenden Hund verscheuchte. Das Dröhnen des New York mer Verkehrs mit seinen Taxis, die monotone Stimme aus einem Fernseher, das Zwitschern eines Kanarienvogels. Und nichts drang zu ihnen. Sie spürten nur das Licht, die Helligkeit, den warmen Druck ihrer Hände und das nicht zu übertreffende Gefühl, dass alles gut war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)