[Volatile] - Inception von -Amber- (‚What if I fall?‘ ‚Oh, Darling! What if you fly?‘) ================================================================================ Kapitel 33: compilcated ----------------------- *Eames* Yusuf hätte nie erahnen können je in einer Stadt wie New York erfolgreich seinen Geschäften nachgehen zu können. Allerdings hatte er sich durch Zufall im letzten halben Jahr so erfolgreich etabliert, dass er ernsthaft überlegte einfach dort zu bleiben. Mombasa hatte einen unvergleichlichen Scharm und war sicherlich, was die Polizei anging, um einiges entspannter zu handhaben. Dennoch hatte er in Mitten des Arabischen Viertels, tief versteckt in einer verwinkelten Nebengasse, die schon fast an Kenia erinnerte, einen perfekten Laden gefunden. Er teilte ihn sich mit einem Kollegen aus Saudi-Arabien, der ebenfalls dem Geschäft mit Kräutern und alter, persisch-arabischer Medizin nachging. Abschriften von einigen altertümlichen Büchern, wie „Paradies der Weisheit“, „Liber regalis“ und „Schatz des Königs von Chwarizm“, dienten als Leitfaden der sonderbaren Heilkunst seines Kollegen Hasim. Hasim ließ Yusuf mit seinen Geschäften im Keller in Ruhe, dafür half Yusuf seinem Kollegen im Laden aus – eine perfekte Symbiose, von der beide nutzten. Natürlich war Yusuf schon wach, als Arthur ihn kontaktierte und nur wenig später auch bei ihm im Laden auftauchte. Der Laden war eng gestellt, roch nach Minze, Kümmel, Tabak und diversen anderen Kräutern. Direkt am Eingang war eine kleine Kasse, hinter dessen Theke ein dicker, arabisch-stämmiger Mann mit schwarzem, vollem Schnauzbart und kaum Haaren auf dem Kopf saß. Er lächelte freundlich und nickte ihnen zu. »As-Salaam-Alaikum«, grüßte Eames den Mann, welcher ein ähnliches Wort zurück nuschelte. »Arthur, schön dich zu sehen!«, Yusuf kam zwischen zwei Regalen hervor, die bis zur Decke mit Tontöpfen und Teetüten und Gläsern gefüllt waren. »Auch du, mein Freund.«, wandte er an Eames und legte eine Hand auf die Brust. Er trug das Haar lang und in wilden Locken. Der Bart war jedoch gepflegter denn je. Er wandte ein paar Worte auf Arabisch an Hasim, welcher sich daraufhin schwerfällig von seinem Hocker erhob und zur ersten Tür neben der Kasse schlurfte. Von dort aus führte eine Treppe nach oben in seine Wohnung. »Wird wohl Zeit, dass wir uns Treffen. Eames hat mir bisher nicht viel erzählen können.« *Arthur* Für Arthur war es immer wieder besonders, in diese verschiedenen ethnischen Viertel einzutauchen. Auch wenn er sich immer wie ein Fremdkörper darin fühlte und bei weitem nicht so gelassen hindurchschlendern konnte, wie Eames, fühlte er sich wohl. Nun, wenn sie St. Patricks Day gefeiert haben, dann war sein Viertel auch immer eine eigene Welt gewesen. Vielleicht lag es daran. Er besuchte Yusuf nicht oft, ihn zu sehen hob aber stets seine Stimmung. Sie hatten kein inniges Verhältnis – das hatte er letztlich mit keinem anderen Menschen – aber sie waren sich sympathisch und konnten gut miteinander arbeiten. Arthur nickte dem Araber an der Kasse auch zu, lächelte höflich. Das Lächeln wurde ehrlicher, als Yusuf auf ihn zutrat und er nickte. „Ganz meinerseits“, antwortete er und beobachtete fast mit ein wenig Neid, dass Eames und Yusuf sich viel näherstanden. Nun sie kannten sich aus Mombasa, waren schon länger befreundet. Und diese Schwelle, einen anderen Menschen zusammen mit körperlicher Nähe zu begrüßen, überwand Arthur ohnehin so gut wie nie. Zumindest nicht von sich aus. Mal hatte ihn in den Arm genommen, wenn sie sich getroffen hatten, Tricia machte es konsequent, Ariadne gelegentlich. Er von sich aus konnte das nicht. Arthur blickte den anderen Mann kurz hinterher, dann sah er zu Yusuf. ‚Wird wohl Zeit, dass wir uns Treffen. Eames hat mir bisher nicht viel erzählen können.‘ Arthur nickte und blickte dann zu Eames. „Ja, mit dem erzählen hat er es nicht so“, sagte er und fixierte den anderen einen kurzen Moment. Dann sah er wieder Yusuf an. „Bisher ist der Plan nur rudimentär. Die Lücken versuche ich zu schließen, aber die Zeit ist knapp. Ich kann dir das Hotel zeigen, in dem der Job stattfindet. Augenscheinlich könnte es problemlos laufen. Aber Jobs ist ein Machtmensch. Ich bin mir unsicher, was uns wirklich erwarten wird, wenn wir ihm im Traum begegnen.“ So sah er das Ganze zumindest. Dass Tom das vermutlich anders beschreiben würde, war ihm mehr als klar. *Eames* Eames steckte den Vorwurf gelassen weg, aber in seinem Lächeln war durchaus ein kleines „Fuck you“ zu lesen. »Ein Machtmensch, hm?«, wiederholte Yusuf nachdenklich. »Neigt dazu die Kontrolle an sich zu reißen? Sadistische Züge, vielleicht psychopathisch veranlagt?«, er strich sich nachdenklich durch den Bart. Dann ohne Umschweife: »Wir sollten das in meinem Büro besprechen. Folgt mir. Da unten gibt es auch Tee für euch.« Er ging vor, bis in die hinterste Ecke des kleinen Verkaufsraumes. Es existierte tatsächlich noch eine Tür. Diese verschwand auf den ersten Blick zwischen zwei Regalen und einem großen Flechtkorb. Auf der Tür waren arabische Schriftzeichen mit schwarzer und roter Farbe aufgemalt. Sie schritten die schmale Betontreppe hinab. Der Keller gehörte eigentlich zum Nebengebäude und war ursprünglich nichts weiter, als ein zufälliger Hohlraum in einem schlecht geplanten, armen Wohnviertel. Durch aufwendig Ausbau- und Aufbauarbeiten hatte Hasim den Keller damals ursprünglich für seine illegalen Operationen genutzt. Nun da Yusuf da war, hatte er einen Teil der ohnehin leer Stehenden Quadratmeter für sein Traumgeschäft erhalten. Ähnlich wie in Mombasa, gab es mehrere kleine und große Kabinen mit Liegen und Betten. Arabische Wandteppiche kaschierten größtenteils die blanken Backsteinwände. Die Lüftungsanlage blies ihnen den leichten Geruch von Opium entgegen. »Keine Kunden um diese Uhrzeit. Hier entlang.« Er führte sie weiter, bis in einen weiteren, kleinen Raum. Yusufs Bürotür war in dunkles Grün gehalten, aber schien so alt zu sein, dass die Farbe an allen Ecken abblätterte. Direkt daneben war eine dunkelrote Tür mit der Aufschrift „OP“ und weiteren arabischen Symbolen. Sie war verschlossen. In Yusufs Büro befand sich ein schön verzierter Mosaiktisch (den hatte er aus Mombasa mitgenommen), vier gemütliche, aber einfache Stühle, ein Laptop gepaart mit weiteren typischen Büroartikeln, einem sehr alten Waschbecken und mehreren hohen einem Spint ähnlichen Schränken, die allesamt Schlösser trugen. Diverse Regale waren an den Wänden angebracht, sie trugen Deko, Sammlerstücke; andere trugen eine ganze Reihe Medikamente und Bücher. »Setzt euch.« Er servierte Tee, ließ sich auf seinem Stuhl nieder und verschränkte die Finger über seinem Wohlstandsbäuchlein ineinander. *Arthur* Arthur nickte nur auf Yusufs Gedankengang hin. Ja, so war es vermutlich. Doch auch Arthur fand, dass sie das lieber weniger öffentlich besprechen sollten. Er folge in den Keller, den er eher abschreckend als einladend fand. Das lag aber nicht daran, dass es ungemütlich oder irgendwie heruntergekommen war. Vielmehr konnte er nicht so ganz nachvollziehen, wie sich Menschen in solche Abhängigkeiten begeben konnten – sei es nun Drogen oder Träumen. Letztlich war alles eine Flucht vor der Realität. Er hatte sicher genug Momente in seinem Leben gehabt, in denen er lieber allem entkommen wäre. Aber es lag nicht in seiner Natur sich in solcherlei Dinge zu flüchten. Er flüchtete sich lieber in seine Arbeit. Das hatte wenigstens noch irgendwie Sinn. Sie betraten das Büro und Arthur folgte der Aufforderung, setzte sich. „Sein Hotelzimmer wirkt erschreckend, sein Bodyguard bestätigt den Eindruck“, bestätigte er nun die Gedanken des anderen, während er dabei zusah, wie Yusuf den bernsteinfarbenen Tee in die Gläser füllte. Arthur hatte immer das Gefühl, dass der Tee bereits süß roch. „Dubiose Familiengeschichte, aus der ich noch nicht schlau geworden bin.“ Er betrachtete einen Moment den Dampf, der aus dem Glas aufstieg, dann blickte er wieder zu Yusuf. Zeit, den rudimentären Plan zu umreißen. Aber beruhigend, dass nicht nur Arthur derjenige war, dem Eames nichts erzählte. „Jobs nutzt den Spa-Bereich im Hotel für Massagen. Am Sonntag hat er einen Termin, da werden wir dann vor Ort sein und die Stunde nutzen, die er dort verbringt. Ich vermute, dass wir maximal eine halbe Stunde haben. Aber das sollte reichen, dass man ihm auf Traumebene den Ort entlocken kann, an dem den Chip versteckt und wie er gesichert ist.“ Sofern Eames gut vorbereitet war. Er warf Tom einen kurzen eindeutigen Blick zu, dann sah er wieder zu Yusuf. „Jobs ist Diabetiker Typ I und hat einen externen Insulinzugang, der über eine App gesteuert wird. Diese App können wir hacken.“ Arthur zückte sein Handy und suchte das Bild heraus, auf dem die beiden Medikamente zu sehen waren. „Ich könnte mir vorstellen, dass man mit den beiden Mitteln arbeitet, um ihn zum Schlafen zu bringen. Er fährt in den Spa-Bereich, hat Kreislaufprobleme, einen Schwächeanfall, er schläft. Im Traum wacht er in gewohnter Umgebung, seinem Hotelzimmer auf und wir lassen ihn glauben, dass er einfach nur kurz weg war, der Bodyguard ihn nach oben gebracht hat und jetzt wieder alles in Ordnung ist. Dann kreieren wir eine Situation, in der er gezwungen wird, den Chip aus seinem Versteck zu holen.“ So zumindest der bisherige Plan. „Was meinst du? Ist das mit den Medikamenten möglich? Ansonsten müssen wir umplanen und ihn wirklich in ein fremdes Labyrinth nehmen. Gewohnte Räume sind ein Risiko.“ Yusuf gab ihm sein Handy zurück. „Das sollte kein Problem sein“, sagte er. „Das eine ist ein Mittel, das man direkt zur Mahlzeit einnimmt, um Schwankungen im Blutzuckerspiegel direkt zu regulieren. Das andere ist eines, das eine Langzeitwirkung hat und den Insulinspiegel über den Tag reguliert. Wen man sie vertauscht und die App entsprechend manipuliert, kann man recht leicht ein diabetisches Koma erzeugen.“ Arthur nickte zufrieden, hatte seinen Tee genommen und einen Schluck getrunken. „Wie lange wird das gut gehen?“, fragte er Yusuf dann. „Wenn wir zwei haben, die danach nicht mehr aufwachen, wäre das ziemlich beschissen.“ Dass er so tat, als ob Eames gar nicht anwesend wäre, aber über ihn redete, war ihm bewusst. „Somnacin in Verbindung mit zu viel Alkohol und Schmerzmitteln sind vermutlich eine genauso schlechte Dosierung.“ Unverwandt blickte er Yusuf an, um die Antwort zur Not auch an seiner Reaktion ablesen zu können. *Eames* Zum Glück bestätigte Yusuf was sie schon zuvor geahnt hatten. Sicherlich hatte Eames Erfahrung mit allerlei Substanzen, aber so was wie Insulin? Da brauchte es schon eine Expertenmeinung, um alles perfekt einzustielen und Jobs nicht am Ende umzubringen. Auch Eames nahm einen Schluck und nickte zufrieden. Als Arthur nun diese kleine unschöne Bombe platzen ließ, hoben sich Yusufs Augenbrauen in äußerster Überraschung. Sein Blick glitt unsicher zu Eames, welcher ein unzufriedenes Schmatzen von sich gab, als er den Tee auf dem kleinen Tellerchen abstellte. Die Furche, die sich zwischen seine Augenbrauen gegraben hatte, musste Arthur sehr bekannt sein. Ihm gefiel das Thema ein. »Seit wann geht es bei dieser Sitzung um mich?« Seine Beine waren übereinandergeschlagen und seine Haltung entspannt. Das einzige, was noch von seinem Missfallen berichtete, war sein unruhiger Daumen. Yusuf war sichtlich überfordert und sagte erst einmal nichts. Er kannte Arthur, schätzte ihn, wusste aber auch, dass es zwischen den beiden immer mal wieder Anspannungen gab, in die er sich lieber nicht einmischen wollte. *Arthur* Ein amüsiert gelassenes Lächeln umspielte seine Lippen, als Arthur den Blick drehte und Eames ansah. Die Körpersprache war deutlich. Er kannte diese Furche nur zu gut. Zu oft hatte er sie gesehen und oft würde er sie noch sehen, da war er sich sicher. Aber Hey! - das nächste Mal fragte er am besten alle nach ihrer Meinung, damit er es jedem recht machte. Vermutlich wird er dennoch nochmal eines auf den Deckel bekommen. Aber das störte ihn nicht. Er hatte gesagt, was er sagen wollte. Vielleicht keine sensible Art, aber so war er halt. Rational betrachtet war es genau das, was er erreichen wollte. 1. Eames selbst damit zu konfrontieren hätte ein verharmlosendes Lächeln bewirkt und einen für dumm verkaufenden Spruch. 2. Yusuf wusste jetzt Bescheid und konnte Eames entweder selbst darauf ansprechen oder zu ihm kommen. Er konnte auch beim Job entsprechend vorbereitet sein, falls es wirklich zu Problemen käme. Die Komponente Adrenalin war auch nicht zu unterschätzen. 3. Das Wichtigste: Eames wusste, dass Yusuf es wusste. Vielleicht erhöhte das die Chance um 1%, dass er eine Sekunde länger nachdachte, bevor er sich die Tabletten in einem ungesunden Cocktail mit Whisky und Somnacin herunterspülte. Ja, er übertrieb vielleicht. Aber die Sorge in ihm war seit der vergangenen Nacht sicher nicht weniger geworden. Dummerweise so gar nicht. „Oh, da muss ich mich geirrt haben“, sagte er nun mit einer gewissen Ironie in der Stimme. „Ich dachte, diese Sitzung geht auch um dich, weil sie nur wegen dir stattfindet.“ Merkte man, dass er im Grunde noch immer genervt war, dass Eames irgendwas mal wieder ordentlich verbockmistet hatte? - und letztlich nur deshalb zu ihm gekommen war? Als er vorhin die Pinnwand durchgegangen war, hat er noch all die Fragezeichen und Unstimmigkeiten hinsichtlich Eames Erzählung gesehen. Die Sorge, nur einen Bruchteil der Wahrheit zu kennen - wenn überhaupt - war da. Sicher, er wollte gerne darauf vertrauen, dass Eames ausnahmsweise mal keinen Eisberg versenkt hatte, und ihm nur einen Schneeball davon überreichte. Er wollte vertrauen, dass er ehrlich zu ihm war. Er wollte wieder vertrauen können. Aber das hier war Arbeit, kein something. In diesem Bereich vertraute er lieber seinem Verstand als dem seltsam schlagenden Ding in seiner Brust. Er hob beschwichtigend die Hände. „Tut mir leid! Hab ich wohl was verwechselt. Dann ziehe ich die Frage zurück.“ Der Gedanke, das Wissen war ohnehin schon kommuniziert. Er drehte sich wieder zu Yusuf. Sein Blick vorhin war uneindeutig gewesen. War der Blick kritisch gewesen, weil Eames sich nicht an Vereinbarungen hielt, oder war er unsicher gewesen, weil er Eames gegenüber loyaler war als ihm? Schwer zu sagen. „Wie sieht es nun bei Jobs aus? Wie lange kann so ein Zustand dauern, ohne dass es bleibende Schäden hinterlässt?“ Yusuf sah noch immer nicht glücklich aus, blickte Eames noch einen Moment an, dann sah er zu Eames. „Bei einer hyperglykämischen Entgleisung haben wir zunächst verschiedene Symptome. Müdigkeit, Schwindel sind harmlos, schwerwiegender ist Übelkeit, Erbrechen, Atemnot. Betroffene werden bewusstlos, da ihr Blut und Gewebe übersäuert und ausgetrocknet ist. Der absolute Insulinmangel des Körpers hat das zur Folge. Sein Atem wird nach faulen Äpfeln riechen“ Yusuf merkte, dass er zu weit ausholte. „- wie auch immer. Sobald er ins Koma fällt, bekommt er von mir Elektrolyte, dann muss ich anfangen, ihn wiedereinzustellen. Wenn ich es zu schnell mache, kann er eine Herzrhythmusstörung bekommen. Aber das sollte ich zu verhindern wissen.“ Arthurs Augenbrauen zogen sich zusammen. Vielleicht sollten sie ihn nur schwächen, nicht gleich ins Koma fallen lassen. „Er wird vermutlich trinken wollen, wenn er aus dem Gleichgewicht kommt“, sagte nun Yusuf. „Ihm Somnacin zu verabreichen und ihm das Insulin wieder zu geben, wäre dadurch auch leicht möglich, ohne dass er ins Koma fällt.“ Yusufs Blick kehrte zu Eames zurück, wissend, dass das vorherige Thema noch nicht beendet war. *Eames* Schön, dass sich in all den Jahren nichts geändert hatte, dachte Eames. Sie hatten sich wirklich verdient. Arthur war so unsensibel, wie er rücksichtslos. Keine besonders gute Grundlage, aber besser als nichts. Sicher fand diese Sitzung nur wegen ihm statt. Schließlich hatte er den Auftrag an Land gezogen. Die Umstände waren jetzt nicht die allerbesten, aber Jobs wäre so, oder so zum Ziel geworden. War aber klar, dass da noch was kommen musste, daher sah Eames geflissentlich über Arthurs Kommentare hinweg. Wirkte sogar eher amüsiert, wenn auch nicht erheitert. Arthur liebte es ihn aus der Scheiße zu ziehen, immer und immer wieder. Er liebte es so sehr, wie er es hasste, aber wenn es ihm nicht bewusst war, wollte Eames auch nicht unbedingt der sein, der es ihm bewusst machte. Am Ende könnte so ein Gespräch alles zerstören, was sie sich so hart erarbeitet hatten. »Keine große Sache.«, tat Eames ab, als er Yusufs hilfesuchenden Blick bemerkte. Das Thema war noch nicht beendet, aber nicht hier. Nicht vor Yusuf. »Exzellent!«, pflichtete Eames dem Chemiker bei. »Wir brauchen kein Koma, wenn er durstig genug ist. Wir kommen durch die Hintertür in den Wellnessbereich, ohne dass Foster und Marx uns bemerken – ich kenne einen der Masseure. Wenn er nach Wasser verlangt, geben wir ihm ein paar K.O.-Tropfen. Ein bisschen Rohypnol vielleicht.«, bei der letzten Aussage kicherte Yusuf, Eames grinste. Dazu gab es natürlich eine Geschichte... »Ich mach dir diesmal eine Markierung auf die Flasche.« »Ich bitte darum!« »Wunderbar!«, Yusufs Hände landeten auf seine in olivgrüne Leinen gekleidete Oberschenkeln. »Was soll ich dann also tun? Soll ich euch in den Traum begleiten, oder schafft ihr ihn zu zweit?« *Arthur* Arthur ahnte, dass es in Eames noch gärte, weil er ihn vorgeführt hatte. Die Art, wie Eames einen Moment mit dem Auge gezuckt hatte, kannte er. Er wusste, dass jener sich über ihn ärgerte, und dass dieses Gespräch woanders weitergeführt werden würde, davon zeugten zudem Eames‘ beruhigende Worte an Yusuf. Arthur war das egal, zumindest redete er es sich ein. Immerhin schien der Forger auch zufrieden damit, Jobs regulär ins Land der Träume zu schicken. Arthur begrüßte das. Dieses Vorgehen barg weniger Risiko und ließ sich besser kontrollieren, als ein instabiler Körper. Als Yusuf und Eames offenbar eine alte Geschichte zu Rohypnol teilten, wurde Arthur wie so oft schmerzlich bewusst, dass er kaum jemanden hatte, mit dem er alte Geschichten teilte. Zumindest nicht so. Er überging es, wartete den Moment ab, blickte auf seine Hände, dann sah er zu Yusuf. Wenn sie ihn mitnehmen würden, brauchten sie noch jemanden, der sie überwacht. Schwierig in so kurzer Zeit noch jemanden einzuweihen, dem man vertrauen könnte. „Eames ist sich sicher, dass eine Traumebene reicht. Zur Sicherheit entwickele ich noch eine, damit wir flexibel sind“, erklärte er. Irgendwie gefiel ihm der Gedanke aber nur bedingt, Tom allein zu lassen, wenn die erste Ebene nicht funktionierte. Vermutlich, weil sie für dies kein Konzept hatten und er das Gefühl hatte, dass Eames das auch gar nicht wirklich wichtig fand. Aber Yusuf brauchte er bei den beiden letztlich instabilen Körpern in der Realität - Jobs und Eames. „Wäre gut, wenn du uns zurückholst.“ Yusuf nickte bestätigend. „Wenn du möchtest, zeige ich dir das Hotel. Und den Wellnessbereich, wo wir den Job durchführen.“ Ob es wirklich nötig wäre, dass Yusuf sich auskennt, war nicht sicher. Aber vielleicht wollte es der Chemiker so. „Nach unserem Plan wäre es wichtig, dass Jobs noch eine halbe Stunde länger ‚abgelenkt‘ ist, damit Eames anschließend den Chip holen kann. Das Optimum wäre also, wenn er aufwacht und das Gefühl hat, nur kurz bei der Massage eingenickt zu sein.“ *Eames* Eine Traumebene sollte genügen, daran hielt Eames nach wie vor fest. Wenn Arthur auch nichts über ein Training gegen Traumdiebe finden konnte, dann hatten sie vermutlich leichtes Spiel. Ein Fauxpas, wie bei Fisher würde Arthur nicht noch einmal passieren, da war sich Eames ziemlich sicher. Es musste noch lange an ihm genagt haben, dass er dieses wichtige Detail übersehen hatte... »Falls es Probleme geben sollte, gehe ich allein eine Eben tiefer und hole die Infos, die wir brauchen.« Wieder nickte Yusuf. Klang soweit ganz gut. Er selbst war kein großer Traumgänger, er vertraute den Extraktoren und Point Men; sofern er sie kannte. »Sicher, sicher.«, murmelte er, grübelte ein wenig, strich mit Daumen und Zeigefinger über den fein gestutzten Bart. Wenn Eames Connections im Wellnessbereich des Four Seasons hatte, könnte er sogar mitkommen, aber wenn er verzichten konnte, sollte ihm das nur Recht sein. »Nun, es ist so, wenn ihr sagt, es gibt keine Probleme hinein und hinaus zu kommen, muss ich das Hotel nicht vorhersehen. Ich vertraue euch in dieser Hinsicht. Was das Ablenken nach dem Traum angeht.... ich kann ihn ohne weiteres weiter sedieren. Er wird sich lediglich ein wenig müde danach fühlen. So wie ich es verstanden habe, können wir aber nicht sehr überziehen, da der werte Herr Bodyguards und einen engen Terminplan hat, ist das korrekt?« Er holte sich ein Nicken zur Bestätigung ein. »Also pokern wir hoch: wir setzen die Sitzung auf zehn Minuten, falls es nicht reicht, können wir weitere zehn bis maximal 15 Minuten anhängen. Danach hättet ihr, beziehungsweise Mister Eames, ungefähr 30 Minuten, um den Chip zu holen. Klingt machbar. Zugang zum Hotelzimmer habt ihr auch, richtig? Besser vorbereitet kann man doch kaum sein, gute Arbeit.« Er lächelte zufrieden mit seinen runden Bäckchen. »Ja, gute Arbeit, Arthur.«, bestätigte Eames und tätschelte den Oberschenkel seines Point Man anerkennend. Für die kurze Zeit hatten sie wirklich extrem viel geleistet. Wenn alles glatt liefe, hätten sie noch nie so einfach so viel Geld gemacht. Schade nur, dass er kaum etwas von der ganzen Kohle haben würde. *Arthur* Dass Yusuf den Plan in gewisser Weise absegnete, war für Arthur gut. Die Massage würde sicher eine Stunde dauern. Der Bodyguard würde nicht ständig danebenstehen. Dennoch würde er noch einmal mit dem Bekannten von Eames reden, was die Gewohnheiten bei der Massage von Jobs betraf. Nicht, dass der mit seinem Bodyguard irgendwelche Absprachen hatte. Who knows! Er vermerkte sich auch das auf seiner imaginären Pinnwand, auf der noch viele Fragen prangten, denen er nachgehen wollte. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er etwas vergaß, ein Gedanke, der ihm bei ihrem ersten Gespräch gekommen war. Eine Lücke klaffte und er schaffte sie nicht zu füllen. Vielleicht bildete er das sich aber auch nur sein. Wenn er mal wieder seine Ruhe haben würde, würde er alles genau durchgehen. Er nickte in Gedanken zu Yusufs Zeitmanagement – so hatte er das auch geplant. Wenn jener die Lokation nicht vorher sehen wollte, war das in Ordnung. Sie würden ihn reinbringen, er würde im Nebenzimmer warten und wäre da, sobald Jobs da und von seinen Bodyguards getrennt war. Blieb ihm jetzt mehr Zeit, an seinen Recherchen weiter zu tüfteln und sich den offenen Fragen zu widmen. Das Lob von Yusuf bekam er nur am Rande mit. Seine Gedanken kreisten noch einmal um die Frage, was er übersah. ‚Ja, gute Arbeit, Arthur.‘ Nun blickte er doch etwas überrascht auf und sah zu Eames. Nicht nur, weil dieser ihn gefühlt das erste Mal in seinem Leben mit den Worten „gute Arbeit“ gelobt hatte, sondern auch wegen der Hand auf seinem Bein, die sich seltsam anfühlte. Über das Lob freute er sich, denn das war es, was ihn so oft so heruntergezogen hatte: er war bei Eames nie gut genug gewesen, nicht im Training, nicht bei den Jobs – zumindest nicht augenscheinlich. „Nicht schlecht“ war meist das höchste der Gefühle. Dass er bei Fisher ihnen allen den Arsch gerettet hatte, hatte Eames sicher nicht interessiert. Oder war es sein eigener Anspruch an sich, den er projizierte? Wie auch immer… Die Hand jedenfalls fühlte sich nach der Nähe an, die er in dieser Nacht genossen hatte, die sich gut angefühlt hatte, die ihn tief hatte schlafen lassen. Dennoch gehörte sie nicht hierher. Sie lenkte ihn ab, führte ihn zu dem Gedanken von vorhin: schnell und effektiv arbeiten bedeutete eventuell Zeit mit Eames. Zudem gehörte die Hand nicht hierher, denn Yusuf war bei ihnen und könnte das falsch verstehen. Schließlich waren sie sich nie nahe, wenn sie miteinander arbeiteten. Zumindest in letzter Zeit nicht, nicht vor Yusuf und auch generell... Nur weil sie miteinander geschlafen hatten und keine Ahnung was, musste Eames nicht gleich so ‚körperlich‘ werden. Wegen ihm konnte das so bleiben, dass niemand was mitbekam. Musste ja nicht jeder wissen, dass sie sich angenähert hatten und irgendwas da war, was anders war als zuvor und… Arthur merkte, dass er unsicher wurde, dass seine Gedanken seltsame Wege beschritten. Er richtete sich auf, zog das Bein weg und atmete durch. „Ich hab noch viele Lücken, die ich füllen muss“, wischte er die Worte der anderen weg. „Das Modell und das zweite Traumlevel erstellen sich auch nicht von alleine.“ Er stand auf, mied den Blick von Yusuf genauso wie von Eames. „Ich werde dann mal ins Büro fahren.“ Das galt Eames. „Am Freitag sollten wir alles nochmal durchsprechen, Yusuf. Ich denke, dann hab ich alles soweit in trockenen Tüchern.“ *Eames* Die Reaktion seines Point Man irritierte Eames. Hatte er etwas Falsches gesagt? Yusuf schien Arthurs Verhalten nicht negativ aufzufallen. Auch er stand auf, lächelte zufrieden ob ihres gelungenen und kurzes Gesprächs. Nur Eames rührte sich nicht, sondern suchte noch ein Weilchen aus seiner Perspektive nach einer Antwort in Arthurs abweisenden Gesicht. »Ihr wisst ja, wo ihr mich findet.«, antwortete der Chemiker. Er schien ganz froh zu sein, dass sie so schnell fertig waren. Anscheinend hatte er noch eine Menge Arbeit vor sich. »Ich bringe euch noch vor die Tür.« Sie verließen den Laden. Eames hatte zwar ein anderes Ziel, als Arthur, begleitete ihn jedoch augenscheinlich ein Stück. Er räusperte sich, um die Aufmerksamkeit seines Partners zurück zu gewinnen. »Lass mich nur kurz eine Sache klarstellen, Darling.«, begann er, der typische Sing-Sang seiner Stimme brach nicht ab, aber ein finsterer Unterton war nicht zu überhören. »Ich weiß was ich tue, ok?«, viel eher wollte er sagen, bring mich vor Yusuf nicht in Verlegenheit. »Nicht nötig mich zu beschützen, oder dir Sorgen um die Mission zu machen.« Mit bestimmtem Druck legte er eine Hand auf sein Schulterblatt, eine Art aufmunternde Geste. In Verbindung mit dem Gesagten hatte es jedoch auch etwas Mahnendes. *Arthur* Arthur spürte den bohrenden Blick des anderen nur zu genau. Aber dennoch blickte er ihn nicht an. Im Grunde wusste er selbst nichts genau, warum er das eigentlich so oft erhoffte Lob nicht einfach annehmen konnte. Vielleicht weil es erst jetzt kam und er all dieses something nicht einordnen konnte. Vermutlich, weil er einfach mal allein sein musste, um in Ruhe nachzudenken. Erst als er merkte, dass Eames sich so gar nicht zu rühren schien, er aber an ihm vorbeimusste, sah er ihn flüchtig an. Zum Glück blies da auch Yusuf zum Aufbruch und es kam Bewegung in Tom. Das Schweigen hatte er sich gewiss selbst eingebrockt. Normalerweise störte es ihn nicht. Diesmal war es anders. Es war irgendwie bedrohlich. Als sich Eames räusperte und dann sprach, bestätigte sich dieser Eindruck. Wie automatisch und wie so oft fuhr Arthur die Barrikaden in sich hoch. Eine Sache klarstellen? Jetzt würde er die Quittung bekommen. »Ich weiß was ich tue, ok?« Arthur war stehen geblieben, blickte ihn regungslos an. Tat er das? Wirklich? Er verbiss sich die zynische Bemerkung dazu, die ihm auf der Zunge lag. Er zögerte damit. Früher wäre das nicht passiert. Jetzt konnte er es nicht, denn er wusste, dass Eames recht hatte. Er war sehr gut in dem was er tat. Und Arthur hatte eigentlich keine Zweifel daran. Nicht was den Job betraf. Die Medikamente machten ihm eher Sorge. Er verharrte, blickte an Eames vorbei. Wenn das der ganze Tadel dazu war, dass er ihn gerade vor Yusuf bloßgestellt hatte, war es ja eh harmlos. Allerdings war Tom sicherlich nicht fertig. Arthur streckte das Kinn, um den gewiss kommenden Angriff abprallen zu lassen, als jener Luft holte und weitersprach. »Nicht nötig mich zu beschützen, oder dir Sorgen um die Mission zu machen.« Die Hand auf seiner Schulter lastete unvermittelt schwer. Aus dem ersten Moment heraus wand sich seine Schulter, wollte die Hand loswerden, die Berührung, die scheinbar unnötig und unbegründet war, abschütteln. Doch Eames Griff war erbarmungslos. Arthur merkte an dieser Berührung, dass gerade etwas anders war. Der Angriff blieb aus, vielmehr war es eine Bitte, eine Mahnung. Der Inhalt sprach an, was er lieber nicht hatte denken wollen. Wollte er ihn beschützen? Machte er sich Sorgen, dass das alles nicht klappte und Eames noch mehr Ärger am Hals hatte? Wo war seine Gleichgültigkeit geblieben? War es ihm jemals gleichgültig gewesen? Sein Trotz wich dem unangenehmen Gefühl, dass er gerade zu spüren bekam, was sich seit der vergangenen Nacht geändert hatte: er hatte Schwierigkeiten damit, Eames bei dem Job neutral zu behandeln. Ihn wie sonst zu behandeln, als er sich eingeredet hatte, dass er ihm egal sei. »Haben wir Mist gebaut?« Er wollte nicht, dass es so war. Dabei baute ER ihn gerade. Arthur blickte die Straße hinunter, überlegte, ob er einfach gehen sollte. Irgendwas Abfälliges sagen und gehen, so wie sonst auch. Aber sonst war vorbei und es wurmte ihn, dass Eames das leichter zu begreifen schien, leichter damit umgehen konnte als er. Er atmete tief ein, entspannte sich, dann sah er Eames endlich wirklich an. Er hob seine Hand und legte sie auf die des anderen, drückte leicht, strich mit dem Daumen darüber. „Ist nicht leichter geworden“, sagte er dann schlicht. War es jemals leicht? „Aber ich werde mich bemühen.“ Er lächelte matt, dann drehte er sich und ging weiter, bevor er noch mehr Haltung verlor. Ein Gedanke ihres ersten Gesprächs war wiederaufgetaucht: die Wut, die die Verletzungen des anderen gezeigt hatten. Wie sollte er sich da keine Sorgen machen?! *Eames* Er kannte diese Geste nur zu gut – das gehobene Kinn, der straffe Hals - gepaart mit diesem Blick, der so betont unberührt blieb, dass Eames es ihm manchmal sogar glaubte. Mann aus Stein. Geduldig wartete er auf die rebellierende Reaktion, aber entgegen aller Erwartungen blieb diese aus. Im Gegenteil sogar... Diese Berührung und diese entgegenkommende Antwort war Eames fast zuwider. Es irritierte ihn, obwohl wenn es theoretisch genau das war, was er bei Arthur erreichen wollte – oder? Sein Point Man wandte sich ab, während Eames reglos auf dem Gehsteig zurückblieb. Eine Gruppe von Touristen drängelte sich an ihm vorbei, denen er widerwillig Platz machte. ‚Ist nicht leichter geworden‘, hallte es in seinem Kopf wieder. War es jemals leicht gewesen? Statt ihm doch noch hinterher zu rufen, tippte er ihm eine SMS, während er den kürzesten Weg durch die Seitenstraßen zur Underground nahm: ‚Wir sehen uns heute Abend, love. La Esquina um 8?‘ Er wusste nicht recht, wieso er den Drang verspürte, aber anscheinend wollte auch er Arthur irgendetwas beweisen. Vielleicht, dass ihr something nicht bloß anything war. Vielleicht, dass auch er sich bemühte? Was auch immer es war; er musste es erst einmal hinten anstellen und sich um Foster kümmern. *Arthur* Arthur ließ sich Zeit, lief einfach vor sich hin, ohne direkt die nächste Underground-Station anzusteuern. Es tat gut, ein wenig allein zu sein, unbeobachtet, ohne Tom. Alles fühlte sich gerade komisch an. In den vergangenen drei Tagen war so viel geschehen, dass es ihn irgendwie erschlug, wenn er versuchte, es zu sortieren. Zentral stand in jedem Fall dieses Haus, ihr imaginäres Haus, das sie zwar noch nicht betreten hatten, aber das in gewisser Weise existent war. Sie hatten es noch nicht eingerichtet, hatten es noch nicht so gestaltet, dass es für sie passte - genau wie dieses something, das sie nun zulassen wollten. Wie es aussehen würde, war unklar und es verunsicherte Arthur in so vielerlei Hinsicht. Hätten sie sich doch nicht einfach nur ihrer Lust hingeben sollen? Hätten sie noch über all die vielen Dinge reden sollen, die sie so viele Jahre schon zwischen sich stehen hatten? Könnte er dann jetzt entspannter sein? Könnte er jetzt allem mehr vertrauen? Eigentlich sah es ihm so gar nicht ähnlich, sich von seinen Gefühlen leiten zu lassen. Aber dieses Gefühlschaos, in das er gestoßen worden war, hatte dieses unbändige Verlangen ausgelöst, das schon so unendlich lange in ihm geschwelt hatte. Arthur dachte an den Sex, die Berührungen, daran, wie Tom ihn angesehen hatte, wie gierig sie beide gewesen waren. Das Gefühl eins zu sein, ganz zu sein. Es hatte sich gut angefühlt (fühlte sich auch im Gedanken, in der Erinnerung daran gut an) und er wollte mehr davon! Arthur könnte es sich einreden, dass das nur im Affekt war, dass er das nur im Moment so empfunden hätte, dass es rational betrachtet, anders sei. Aber da war diese Tätowierung, die seine Gefühle potenziert hatte. Allein bei dem Gedanken daran durchrieselte ihn ein unbekanntes Gefühl, das jegliche Lüge über die Wahrhaftigkeit ihres Somethings vernichtete. Die Schwelle war überschritten, ein Zurück nicht so einfach möglich. Und jetzt? Gute Frage, nächste Frage. Arthur hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte, was von ihm erwartet wurde, wie er nicht enttäuschen würde. Mit Tom darüber zu reden kam ihm albern vor. Könnte man mit ihm über so etwas reden?! Das Gefühl, nicht wirklich ernst in seinem Unvermögen genommen zu werden, beschmunzelt zu werden, wenn er so ein Gespräch versuchte, kannte er nur zu gut. Es würde bei ihm nur zu Schutzmauern führen, zum Verbarrikadieren. Das hatte er jetzt zehn Jahre hinter sich. Aber wie verhielt man sich richtig? In den vielen Filmen, in die ihn Tricia während ihres Studiums geschleift hatte, war das immer so nett. Die Protagonisten sahen sich, verliebten sich, eine unerwartete Komplikation trat auf, es kam zu einem tragischen Moment und am Schluss siegte die Zuneigung. Und wenn sie nicht gestorben waren, dann knutschten sie noch heute. - nett war nicht umsonst die kleine Schwester von Scheiße! Bei ihnen war alles anders. Sie hatten definitiv auch diesen ersten Moment gehabt. Dann war alles anders gekommen. Nun kannten sie sich schon so lange, hatten so viel erlebt und wussten letztlich, dass sie gar nicht fähig zu dem waren, was sie nun angingen. Oder war nur ihm das bewusst? Machte sich Eames darüber auch Gedanken? Vermutlich nicht. Zumindest nicht wie er. Er besaß die Gelassenheit und Ruhe, die er ausstrahlte einfach. Arthur hatte sie sich hart erarbeitet. Naja, so ganz stimmte das auch nicht. Arthur wusste, dass es in Thomas oft ganz anders aussah. Es waren wenige Momente, in denen er hinter die Fassade blicken konnte, aber es gab sie. Vielleicht war Eames auch unsicher, wie er. Er konnte nur damit besser umgehen. Er tat sich so leicht, so zu tun, als sei nichts anders, als sei alles so wie immer - oder so wie es immer hätte sein sollen. Arthur erreichte eine Station und tauchte hinab in den Underground. In der U-Bahn zog er sein iPhone heraus und schaltete es an. Er hatte es gestern Abend ausgeschaltet, als er nach Hause gekommen war. Es dauerte etwas, dann lud es etliche Mails und Nachrichten. Als die Absender überflog, blieb er an der letzten hängen. Sie war von Tom. ‚Wir sehen uns heute Abend, love. La Esquina um 8?‘ Ein Date? Bei Candela? Arthur las noch einmal, starrte darauf. Da war diese Leichtigkeit - ‚love‘ Er würde das nie schreiben. Er würde das viel zu sehr hinterfragen. Tom benutzte dieses Wort so lapidar, als sei es das Normalste. War es ehrlich? So leicht jener ihn mit dergleichen Kosenamen bedachte, so stumm war er gestern im Traum und auch anschließend gewesen. Da hatte nur der Körper, hatten vor allem die Augen gesprochen. Arthur blickte aus dem Fenster. Könnte er das irgendwann auch? ‚Normal‘ damit umgehen? Wie sollte er sich verhalten? Sollte er anders sein? Lockerer? Cooler? Oder emotionaler? Mehr aus sich herausgehen? Einfach sich nehmen was er wollte? But you become Somebody else 'Round everyone else Your watchin' your back Like you can't relax You tryin' to be cool You look like a fool to me Tell me: Why'd you have to go and make things so complicated? I see the way you're actin' like you're somebody else. Gets me frustrated (https://youtu.be/FynZChaDqQs) Vielleicht hatte die junge Avril recht. Vielleicht sollte er die ohnehin schon komplizierte Situation nicht noch schlimmer machen. Vielleicht sollte er alles entspannter sehen. Er war wie er war und Tom kannte ihn. Er sollte einfach er selbst sein, so wie er wirklich war. Nicht der Eisblock, der letzten 10Jahre, einfach nur er selbst, so wie es vor ihrem Zerwürfnis nach dem Auftrag in Tokyo gewesen war. Er blickte wieder auf‘s iPhone und tippte: ‚Ich werde da sein.‘ Er zögerte, dann fügte er ein: ‚Freu mich‘ hinzu. Das war ehrlich. So hätte er es auch Mal geschrieben, oder seiner Schwester. Er las noch einmal, schickte es dann ab. Ihr erstes Date, das geplant war. Wie lange er wohl auf Eames warten würde? Mit einem Lächeln auf den Lippen stieg er aus der U-Bahn und ging ins Büro. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)