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[Volatile] - Inception

‚What if I fall?‘ ‚Oh, Darling! What if you fly?‘
von

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Can you feel it?

*Arthur*

Da war sie, die Verletzung, die er vorhin am Sofa noch vermieden hatte. Aber er war sicher, dass Eames es richtig auffassen würde. Er hoffte es zumindest, auch wenn Eames ihn erst wieder ansah, als er geschickt vom Thema ablenkte. So wirklich wollte er jetzt nicht mehr über seine Eltern nachdenken. Er hatte ihm das Wesentliche gezeigt, das sollte genügen.
 

Der forschende und zugleich nachdenkliche Blick des anderen ertrug er mit stoischer Gelassenheit. Er lenkte auch nicht ein, als er nachfragte, ob es die Schönste sein musste. Wenn schon denn schon! Eames war mal dran zu offenbaren, woran er sich gerne erinnerte. Arthur wollte sich nicht immer allein ausziehen – mit seinen Zeichnungen, mit seinen Erinnerungen, mit seiner Wohnung, seiner Musik, seinem Schlafzimmer, seinem Arbeitszimmer,… Und was wusste er von Eames? Angeblich kannte er ihn mehr als jeder andere auf dieser Welt. Na klar!

Seine ungerührte Fassade bröckelte jedoch etwas, als Eames endlich damit herausrückte, woran er sich gerne erinnerte.

»Wie wär's mit dem Abend, an dem ich dir Billardspielen beigebracht habe?«

Nun war er doch etwas erstaunt. Hatten sie die selbe „schönste Erinnerung“?

Zumindest klang Eames‘ Stimme deutlich gefestigter. Arthur merkte, dass ihm das gut tat. Eames Unbedarftheit, seine Stärke im Sinne seiner Arroganz und seines Egos waren das, was Arthur zwar oft auf die Palme brachte, ihm aber gleichzeitig signalisierte, dass alles (scheinbar) gut war. Es beruhigte ihn auf absonderliche Weise. Denn dass es nicht immer so war, wusste er eigentlich nur zu gut. Es gab ihm nur die Möglichkeit selbst zu entscheiden, ob er die Situation hinterfragen wollte oder nicht. Meist überging er es – war er nicht oft genau das gleiche ignorante Arschloch? Der Gedanke hatte jetzt keinen Platz.

Und so wischte ein spöttisches Lächeln seine Überraschung sogleich wieder weg. „DU - MIR?“, fragte er belustigt. „Du neigst noch immer dazu, die Tatsachen zu verdrehen.“ Er drehte sich von Eames weg, vor allem, um das Grinsen nicht zu zeigen, das nun doch wieder durchkam. Das Thema zu wechseln war gut gewesen, er hatte wieder deutlich bessere Laune.
 

Er blickte eine Straße hinab, in der sich nun – wesentlich genauer als zuvor – eine Straße Tokyos aufbaute. Es hatte geregnet, es war dunkel, die vielen Reklameschilder beleuchteten die Gasse, in die man als Tourist vermutlich lieber nicht gehen sollte. Die vielen Kabel, die zwischen den Häusern und an den Hauswänden hinauf zu sehen waren, zeugten von einer ärmlichen Gegend, ein Vorort Tokyos, in dem auf eigene Gefahr die Häuser in alle möglichen Richtungen (also vor allem nach oben) weitergebaut worden sind. Tokyo war überfüllt mit Menschen, die räumliche Ausdehnung ging aufgrund der Geographie letztlich nur nach oben. In den ärmlichen Vierteln illegalerweise, bis es irgendwann zum Supergau kommt und das Viertel neu aufgebaut werden muss.

Wieso waren sie eigentlich damals hierher gekommen?

Arthur drehte sich zu Eames um. „Ich frage mich bis heute, wieso ich dir hierher gefolgt bin…“ Sie gingen gemeinsam die Gasse hinunter. Die ohnehin schon schmale Gasse war vollgestellt mit Fahrrädern, Kisten, Werbe-Aufsteller, Mülltonnen. Die Billiard-Kneipe lag etwas die Straße hinab.

Arthur blieb davor stehen. „Nach dir! Deine Erinnerung!“, sagte er und öffnete Eames die Tür.
 

*Eames*

Er musste das Grinsen auf Arthurs Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass es da war. So schwer die vorangegangene Erinnerung auch sein mochte, sie lag mittlerweile acht Jahre zurück und es war Zeit einen Strich darunter zu ziehen.
 

Die Leuchtschrift in Tokyos Straßen war nicht exakt das, woran er sich erinnerte. Könnte auch sein, dass sie überhaupt nicht so ausgesehen hatten, wie Arthur sie rekonstruierte, vor allem, da er Eames' Wissensstand nach, wenig Japanischkenntnisse besaß. Aber am Ende spielte dieses Detail wohl kaum eine Rolle, da die Stimmung exakt das widerspiegelte, was ihm in den Sinn kam, als sie nachts die nasse Straße in Richtung des zwielichtigen Lokals entlang gegangen waren.
 

‚Ich frage mich bis heute, wieso ich dir hierher gefolgt bin…‘
 

Er lächelte, fast wie ein Gentleman, aber irgendwie eine Spur zu verschmitzt.

Sie gelangten kurz darauf zum besagten Lokal. Das Gebäude darüber ragte weit in den dunkelgraue Nachthimmel. Die oberen Etagen schienen wirsch und unpassend auf das ursprüngliche Gebäude gestapelt worden zu sein. Was sie zusammenhielt schien nicht mehr zu sein, als Spucke und die etlichen, schwarzen Leitungen, die wie wirre Spinnennetze zwischen allen Häusern hingen.

‚Nach dir! Deine Erinnerung!‘

Eames richtete sich den Kragen des Jacketts, die selbe Geste wie vor etlichen Jahren, als sie das erste Mal vor dem Billard-Lokal gestanden hatten. Ein paar Nutten standen etwa zehn Meter weiter die Straße herunter und lenkten ein, in ihre Richtung, als sie die weißen Männer erblickten. Europäer und Amerikaner waren besonders beliebt in diesem Bereich. Sie versprachen Geld.
 

»Warum du mir hier her gefolgt bist, ist einfach. Du warst verrückt nach mir. Und du dachtest, ich hab alles im Griff. Ich bin damals nur in irgendeine Richtung gerannt, ich hatte keine Ahnung, wo wir sind«, gab er halblachend zu und ging dann schnell die Treppe nach unten zum Eingang, um Arthurs vermeidlich vorwurfsvollem Blick auszuweichen.
 

Drinnen war es stickig und roch leicht säuerlich, nach dem leichten Gesöff, das die Japaner Bier nannten. Drei Billard-Tische waren im Raum aufgebaut und um jeden Tisch standen mindestens drei Spieler. Andere Gäste hatten sich um die runden Tische an den grob verputzten Wänden oder an der Bar verteilt. Das untere Ende der Mittelschicht.

Mit seinem gebrochenen Japanisch begrüßte Eames den Kellner und bestellte, genau wie damals, zwei „starke Getränke“. Am Ende hatte man ihnen Sake serviert.
 

Genau damals waren die Blicke der Gäste irritiert und nicht unbedingt freundlich gesinnt. Touristen waren in dieser Gegend nicht allzu häufig gesehen. Dafür war die Musik einigermaßen OK (wenigstens kein Quietsch-Pop).

Mit einem selbstbewussten Mischmasch aus Englisch, Japanisch und Zeichensprache, überredete er schließlich ein Pärchen ihren Billard-Tisch für sie frei zugeben. Eames hatte bis heute nicht verraten was er den beiden versprochen hatte, aber schlussendlich war es eins der Gründe, warum alles am Ende in diesem dummen Streit geendet hatte.
 

*Arthur*

Es war wieder alles in Ordnung. Die Erklärung, warum er ihn damals vor so langer Zeit versetzt hatte, war offenbar geschluckt worden. Arthurs Vorfreude auf ihren Billardabend vertrieb alle unguten Gefühle.

Das Lächeln, das Eames ihm auf seine Frage hin zeigte, war vielsagend und gleichzeitig machte es diesen Mann so unfassbar anziehend, dass Arthur es gewiss schon tausend Mal in seinen Notizbüchern gezeichnet hatte - unabhängig davon, ob sie miteinander gearbeitet hatten oder nicht. Vor sechs Jahren hatte er sich gewünscht, er würde nur ihn so ansehen. Doch er hatte einsehen müssen, dass es auch dieser Blick war, dieses Lächeln, dieses Funkeln in den Augen, was den Forger so brillant werden ließ. Es nahm die Leute für ihn ein, verschaffte so unglaublich schnell Zugang zu den Menschen. Vielleicht war das der Grund, weshalb Arthur beharrlich versucht hatte, sich nicht davon beeinflussen zu lassen.

Arthur zwang sich den Blick abzuwenden, sah die Straße hinab, die sich durch ihrer beider Unterbewusstsein und Erinnerungen füllte.
 

Als Eames sich den Kragen richtete, war klar, dass die Rekapitulation begann.
 

‚Warum du mir hier her gefolgt bist, ist einfach. Du warst verrückt nach mir. Und du dachtest, ich hab alles im Griff. Ich bin damals nur in irgendeine Richtung gerannt, ich hatte keine Ahnung, wo wir sind.‘
 

Arthur war einen Moment perplex.

Nicht wegen der Unterstellung ‚verrückt nach ihm‘ gewesen zu sein. Tatsächlich hatte er an diesem Abend das erste Mal spontan zugesagt, mit ihm noch mitzugehen. Der Job war nach viel Anstrengung in trockenen Tüchern. Sie mussten ihn nur noch durchführen. Arthur hatte zwar in manchen Details noch Bedenken, aber Dom hatte ihm versichert, dass alles passen würde. Wenn es vorbei war, würde er sich endlich Zeit für sich nehmen, für Eames.

Nein, er war perplex, weil Eames ihn hierher mitgeschleift hatte, ohne überhaupt zu wissen, wohin er wollte?! Er musste tatsächlich den Verstand verloren haben, dass ihm das nicht aufgefallen war.

Seinen kritischen Blick entzog sich Eames jedoch und Arthur blieb nur, ihm einen bohrenden Blick hinterher zu schicken, zusammen mit einem:

„Pass auf, dass dein Ego nicht am Türrahmen hängen bleibt!“
 

Sie betraten die Kneipe. Arthur konnte sich noch gut erinnern, dass er seine Unsicherheit hinsichtlich der Location hinter Gleichgültigkeit verbarg, während Eames etwas zu trinken orderte und ihnen anschließend einen Billardtisch verschaffte.

Er konnte gar kein Japanisch, Englisch reichte normalerweise ohnehin. Sprachen waren ihm schon immer ein Gräuel. Fleiß hatte ihm im Französisch- und Spanischunterricht passable Noten verschafft, wirklich gemocht hatte er es nicht. Daher war er froh, dass Eames sich in der Pflicht sah, das zu übernehmen, während er seinen Blick durch den Raum streifen ließ. Allerdings unterließ er es, als er merkte, dass sie mehr als skeptisch und fast schon lauernd beobachtet wurden. Es gab eine Hintertür, der Barkeeper hatte vermutlich eine Waffe unter dem Tresen, andere Anwesende trugen mit Gewissheit Waffen. Der Laden gehörte vermutlich einem Clan an. Symbole an der Wand, Fotos, Trophäen.
 

Aber das alles war ihm egal. Sie waren zum Billard spielen gekommen, Eames und er. Zeit zu zweit ohne Bezug zur Arbeit. Einfach unbeschwert sein. Daher blendete er diese Eindrücke aus, als er den wenig wertigen, lauwarmen Sake zu dem Tisch hinübertrug, der ihrem Billardtisch am nächsten stand. Arthur freute sich schon wieder auf echtes Bier und echten Alkohol zu Hause. Dieses lauwarme Gesöff hing ihm zum Hals heraus. Aber Alkohol war gut, um nicht zu sehr zu grübeln. Die Anspannung wegen des Jobs merkte er zu genüge, wenn er nachts wach im Bett lag.
 

Seine Finger glitten über den Rand des Tisches, das Holz, das Kerben und Dellen hatte. Stümper, die das Spiel nicht beherrschten, gab es genug. Das Spielmaterial war an sich ohnehin nicht wirklich gut, billig.

Arthur liebte Billard. Genau sein Ding: Mathematik und Physik im normalen Leben - realer sonst kaum möglich. Er konnte dabei all seine Fähigkeiten zeigen, seine Stärken - Präzision, Auge, Ruhe. Mit Collin hatte er früher viel gespielt.

Seine Finger glitten über den Queue, bevor er die Pomeranze mit Kreide einrieb. Eames positionierte die Kugeln mit dem Dreieck - schlampig, ungenau. Arthur verzog einen Moment den Mund.

„Symmetrie ist nicht so deins, oder?“, stichelte er mit schmunzelndem Unterton. „Pool? Der Anstoß entscheidet über die Kugeln? Wer die 8 versenkt hat gewonnen?“, fragte er nach. „Mit oder ohne Ankündigung?“
 

*Eames*

Was sie damals gepackt und überwältigt hatte, war die Euphorie Kleinkrimineller mit der Aussicht auf Reichtum und Macht. Die Erfolgserlebnisse des letzten Jobs, das plötzliche Klingen in den Kassen und auch das Wissen um Verborgenes, das dem Großteil der Gesellschaft verborgen blieb, wirkte erregend, vor allem auf so übermütige Opportunisten wie Eames. Zum ersten Mal in seinem schrägen Leben hatte er das Gefühl sein Potential wirklich auszuschöpfen und sich alles nehmen zu können, was er wollte.

Deswegen tangierte es ihn auch nicht, dass sie in einer vermeidlichen Clan-Kneipe gelandet waren. Er war sich so unglaublich sicher gewesen, dass ihnen ‚nichts‘ passieren könnte, dass er sich aus jedem Schlamassel herausreden konnte und dass er so wie so und ohne Zweifel unsterblich und unbesiegbar war. Und meistens hatte sein Glück sogar mitgespielt... an diesem Abend leider nicht.
 

‚Symmetrie ist nicht so deins, oder?‘
 

Er warf Arthur amüsierten Blick zu. Wenn Akkuratesse im Leben vorherrschte, gab es keinen Raum mehr für Unvorhergesehenes. Letzteres war eine von seinen Spezialitäten.

Auch Eames schnappte sich einen Queue und beobachtete Arthur eindringlich über den Billardtisch hinweg. Er studierte seine Haltung, das freche Grinsen auf seinem Gesicht, die plötzlich so viel jünger wirkenden Gesichtszüge. Ihre Blicke trafen sich und sie sahen einander ein paar Sekunden zu lange an, um noch leugnen zu können, dass da etwas war. Im mindesten Interesse, aber Eames pokerte auf weit mehr.
 

»Pool. 8 gewinnt, mit Ankündigung, du fängst an.«, beschloss er locker, flockig, trat einen Schritt zurück und bedeutete Arthur mit einer Handbewegung anzufangen: die Bühne gehört dir. Sicherlich war Billard nicht seine beste Disziplin, aber er konnte Bluffen und vielleicht war der Gott der Spiele ja heute Abend auch gnädig mit ihm.

»Das erste Spiel ist umsonst. Danach wetten wir«, kündigte er an und schnappte sich ebenfalls die Kreide, nachdem Arthur fertig war.

Gleich drei junge Japaner; sie waren wahrscheinlich in ihrem Alter, aber sahen einfach jünger aus; gesellten sich zu ihnen und betrachteten das Spiel mit teils argwöhnischen, teils interessierten Blicken. Ihre Köpfe waren bis auf wenige Millimeter rasiert und sie hatten eine Reihe sichtbarer Tattoos, die einer gewissen Symbolik folgten.

Eames übte zu der Zeit noch an seinem Japanisch – Sprachen hatten ihm nie Schwierigkeiten bereiten und wenn er mehr Zeit (und Lust) gehabt hätte, wäre er sicherlich auch besser darin gewesen. Hätte er sich mal die Zeit genommen.

Trotzdem schnipselte er sich einen halbwegs passenden Satz zusammen, als er die drei Jungs fragte, ob sie den „jungen Burschen verlieren sehen wollten“. Dabei deutete er auf Arthur.

Die Jungs reagierten halbwegs amüsiert, einer warf dem Barkeeper einen fragenden Blick zu, die anderen beiden musterten Arthur. Einer der Kerle hatte einen Nasenring und eine fiese Narbe am Kinn. Er erwiderte etwas, was Eames nicht verstand und dann elegant ignorierte. Statt nachzufragen, stießen sie an.
 

*Arthur*

Nein, er würde seinem Zwang nach geraden Linien jetzt nicht nachgeben. Er wollte diesen Abend mit Eames verbringen, sich auf diesen Chaoten einlassen, bis zu einem gewissen Punkt testen wie es funktionieren konnte, ob es funktionieren konnte. Er wollte das Lächeln einfangen und glauben, dass es nur ihm gehörte. Er wollte vorfühlen wie es sein könnte, wenn der Job vorbei war und er sich endlich gönnen konnte, was er begehrte.

Vermutlich erwiderte er daher den Blick mit einem Lächeln länger als es nötig wäre. Das Gefühl, das dieser Blick in ihm auslöste, war bekannt. Er hatte es in letzter Zeit öfter gespürt, wenn sie trainiert haben, gearbeitet haben, wenn Eames ihn anflirtete, ihm nahe kam - aber er hatte es nie wirklich zugelassen. Jetzt wollte er es. Einfach ein wenig Spaß haben, einfach genießen. Er hatte sich das doch verdient, oder?!
 

Ein Nicken besiegelte die Konditionen. Der Geste des anderen folgend trat er um den Tisch herum und legte die weiße Kugel auf den sichtbaren Punkt. Als er Eames‘ Nachsatz hörte, drehte er sich noch einmal zu ihm um. Wetten, also Spielen in diesem Sinne, war eigentlich so gar nicht seins. Er hatte ohnehin mit seinem Perfektionismus und Ehrgeiz zu kämpfen. Verlieren lag ihm bei den Dingen, die er konnte, gar nicht. Wenn dann noch ein Einsatz hinzukam, würde das seine Ruhe und Konzentrationsfähigkeit ganz schön beanspruchen. Eames versuchte ständig aus allem ein Spiel zu machen, im Training schlug er gerne Wetteinsätze vor, meist solche von der Art, die Arthur nur ablehnen konnte. „Keine Naturalien“, sagte er daher. Kohle hatte er momentan mehr als genug. Das war ihm fast egal, wenn er es verlor.

Er zog sein Jackett aus, hängte es über den Stuhl. So hatte er mehr Bewegungsfreiheit.

Die drei Männer, die zu ihnen kamen, musterte er kurz mit geübtem Blick des Desinteresses. Bewaffnet, mit einer Aura um sich, die nichts Gutes verhieß. Früher hätte er einen riesigen Bogen um sie gemacht. Aber sie würden schon keine Probleme machen!? Schließlich spielten sie nur Billard. Wirklich etwas Wertvolles hatte er nicht bei sich, nichts von Bedeutung. Und selbst wenn sie stänkern würden - Eames war bei ihm und Arthur war zudem fitter denn je. Das Training der letzten fast zwei Jahre hatte deutliche Spuren hinterlassen - hinsichtlich seiner Muskeln und seiner Kraft, noch mehr jedoch bei seinem Selbstvertrauen. Dass Eames scheinbar ständig essen konnte, hatte ihm zudem ein paar mehr Kilos an den richtigen Stellen beschert, die ihm definitiv nicht schadeten. Zusammen mit den Erfolgen, die sie als „Gentleman-Thieves“ erzielten, ging es ihm besser denn je.

Arthur ignorierte die Männer einfach unbeeindruckt. Er war nicht der Typ, der smalltalk betrieb, um die Situation auszuloten. Das war Eames, der mit eben jenen redete.

Es kam ihm fast so vor, als redeten sie über ihn. Zumindest spürte er die musternden Blicke deutlich. Sicher irgendeiner von Eames Sprüchen. Aber offenbar war alles gut, sonst würden sie ja nicht anstoßen, oder?
 

Arthur brachte sich derweil in Stellung, ließ den Queue probeweise über die Finger der abgelegten Hand gleiten, während sein Kopf rechnete. Schließlich stieß er an - mit passender Wucht, mit passendem Tempo. Die Weiße ließ die Formierten auseinanderbrechen. Eine perfekte Karambolage. Die Kugeln kamen erst nach einiger Zeit zur Ruhe, eine Volle wurde versenkt - die Farbzuteilung war damit erfolgt. Das Spiel konnte beginnen. Arthur sah sich in Ruhe die vollen an, wo sie lagen, welche Winkel er brauchte. Mit einem zufriedenen Schmunzeln drehte er sich zu Eames. „Du bist dran!“

Er griff zu der kleinen tönernen Tasse und trank den Sake, die drei Männer nach wie vor ignorierend. Viel lieber schaute er Eames zu, wie er nun die Situation auf dem Tisch betrachtete. Mal sehen, was er wirklich drauf hatte.
 

Als er spürte, dass einer der Typen, der mit der Narbe, zu ihm trat, richtete er sich kaum merklich auf. Er war etwas kleiner als er, wirkte aber wie ein Pitbull auf ihn. Das Japanisch mit dem lauernden Unterton ließ ihn zu diesem blicken. „I don‘t understand you!“, sagte er höflich und sah ihn abwartend an. „Say it in English!“ Das Bitte sparte er sich. Im Nachhinein betrachtet hätte er schon früher sagen müssen, dass sie lieber woanders hingehen sollten. Damals hat er die bedrohliche Stimmung verharmlost.
 

Der Japaner zögerte kurz, der Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, aber er gefiel ihm nicht. Arthur blickte wieder zu Eames, wobei er an dessen Hintern hängen blieb, als er sich beugte, um zu spielen. „Er guter Spieler?!“, kam es nun in gebrochenem Englisch. Arthur wog seine Antwort ab. Die Frage war mehrdeutig. Aber vermutlich bezog sie sich auf das Billardspiel. Von Eames anderen Vorlieben was ‚Spielen‘ betraf, konnten sie ja nichts wissen. „Yes, he is“, sagte er schlicht und trat einen Schritt vor, als Eames noch den Queue ausrichtete. Schwieriger Winkel. Musste man können. Oder auf das Glück der Dummen vertrauen. In dem Moment, in dem Eames stoßen wollte, sagte Arthur leise: „Nice view!“ Er blickte erneut an Eames herab, sein Gesicht zu keine Miene verzogen. Psychologische Kriegsführung war nicht verboten.
 

*Eames*

Keine Naturalien – sicher. Etwas in Arthurs Tonlage hatte sich verändert. Möglich, dass es schon eine Weile so war, aber Eames wurde es in diesem Augenblick erst so richtig bewusst. Er war kein Welpe mehr, das zum einen. Der Pool an nützlichem Wissen, aus dem Eames schöpfte, war fast aufgebracht. Sie begegneten sich mehr und mehr auf Augenhöhe. Zum anderen war da diese Leichtigkeit mit der Arthur ihm neuerdings begegnete. Selbstbewusstsein, dass den jungen Point Man in Eames Augen noch begehrenswerter machte, als er ohnehin schon war. Vom äußerlichen Bonus mal ganz abgesehen. Arthur war schon immer schön gewesen, aber seit neustem trug er sein gutes Aussehen auch aktiv nach außen.
 

Er wartete gelassen und ließ sich nicht anmerken, dass ihn Arthurs Spiel beeindruckte. Er würde den Überlegenen spielen so lange er konnte und dann entweder mit Glück oder einem gut platzierten Streich gewinnen. Er war es eindeutig nicht gewöhnt gegen Arthurs zu verlieren; die Vorstellung, dass der „Kleine“ aus seinen Kinderschuhen herauswuchs bedrohte sein Ego.
 

Eames sparte sich den Kommentar, als er an der Reihe war. Stattdessen spazierte er halb um den Tisch und sondierte die Lage mit überlegener Gelassenheit. Die Halben lagen gar nicht schlecht, aber zu einem so frühen Zeitpunkt des Spiels konnte er noch keine Prognosen stellen. Das Blatt könnte sich jederzeit wenden.
 

‘Nice view!‘
 

Es war gar nicht mal so leise in der Kneipe, aber Arthurs Stimme hörte er laut und deutlich heraus. Was natürlich geplant von eben jenem war... er versuchte ihn abzulenken. Solcherlei Scherze war er von ihm nicht wirklich gewöhnt (eher von sich selbst). Er war wohl kein allzu guter Einfluss auf Arthur gewesen.

Er grinste und stieß die weisse Kugel an. Sie drehte ein paar Pirouetten um sich selbst und stieß im Anschluss die 9 an. Das war die einfache gewesen, zu seinem großen Glück.

Er warf Arthur einen vielsagenden Blick zu. Amüsiert, provokant und dennoch betont unbeeindruckt. Bei dieser Art von Krieg durfte man keine Schwäche zeigen.

»Oh Darling, du verbringst eindeutig zu viel Zeit mit mir.«
 

Derweil gesellten sich noch ein paar mehr Japaner zu ihnen, auch zwei aus der älteren Generation, und betrachteten mit wachsendem Interesse das Spiel. Der Knabe mit der Narbe, rief seinen Kollegen etwas zu, das auch Eames nicht ganz verstand. Es musste etwas mit einer „Wette“ zu tun haben.

Eames versenkte noch zwei Kugel, verfehlte die dritte jedoch und beging einen dämlichen Fehler. Er streifte eine andere Kugel mit der Queuespitze. Ein eindeutiges Foul.

Einer der Jungs reichte ihm die weiße Kugel über den Tisch, als er merkte, dass Eames danach greifen wollte. Er reichte sie sogleich weiter an Arthur. Ärgerlich! Wenn er großes Pech hatte, räumte Arthur nun auf. Die Kugeln lagen gut.

»Ich glaube die zwei Älteren haben auf dich gewettet.«, ließ er beiläufig fallen. Dann griff er nach der Kreide und bearbeitete damit Arthurs Queuespitze, die so provokant in seine Richtung zeigte.

»So weit ich es verstanden habe, geht es um Bier. Also kein Verlust, wenn du verlierst.«

Den Rest des blauen Staubs blies er weg, lächelte. Dann klopfte er Arthur aufbauend gegen Oberarm und überließ ihm das Feld.
 

*Arthur*

‘Oh Darling, du verbringst eindeutig zu viel Zeit mit mir.‘

Arthur hätte fast gelacht, weil er ganz ähnliche Worte erst gehört hatte. Aber er war mittlerweile viel zu gut darin, seine eigentlichen Emotionen zu verbergen. Zwei Jahre harte Schule. Und doch zierte seine Lippen ein gelassenes Lächeln, während er den Blick des anderen erwiderte. Mal hatte ihn erst am vergangenen Tag darauf angesprochen: ‚Du verbringst viel Zeit mit ihm und siehst dabei hübscher und stärker aus denn je. Ich freue mich, dass er dir gut tut.‘ Es hatte ihn etwas unsicher gemacht. Vielleicht hatte es aber auch angestoßen, dass er jetzt hier mit ihm sein konnte. In ihrem Blick war aber auch Sorge mitgeschwungen, die stumme Warnung vor Eames Charakter, seiner Sprunghaftigkeit, seinem Talent, Menschen vor den Kopf zu stoßen oder ihnen etwas vorzugaukeln. Oder es war seine eigene Angst, die ihn das hatte lesen lassen.
 

„Bleibt einem ja kaum was anderes übrig“, seufzte er theatralisch und verzog den Mund leicht gequält. „Ständig fünftes Rad am Wagen und Pärchengeturtel wären auch Folter.“ Dass er gerne Zeit mit Eames verbrachte, auch wenn sie sich so oft nur gegenseitig nervten, musste er ja nicht offenlegen.
 

Schade, dass seine Taktik nicht aufgegangen war. Auf der Ebene ließ sich Eames also nicht berühren. Es überraschte ihn, wenn er ehrlich war. Schade eigentlich. Er hätte gerne ausprobiert, das Flirten etwas zu vertiefen. Nun blieb ihm nichts anderes, als Eames dabei zuzusehen, wie er durchaus gekonnt zwei Kugeln versenkte. Das noch weitere Gäste zu ihnen traten, dass diese sich auch unterhielten, bekam er mit, musterte jeden einzelnen und merkte sich letztlich auch, wo wer stand. Doch er konzentrierte sich vor allem auf das Spiel, die Bewegungen der Kugeln, sofern diese ihre Position veränderten. Als seinem Mitspieler der wirklich grobe Fehler unterlief, hob er den Queue wieder an, den er neben sich abgestellt hatte. Irritiert sah er den Japaner, der Eames die weiße Kugel reichte. Wieso mischte der sich ein? Sowas konnte er ja gar nicht leiden. Er nahm die Kugel aus Eames Hand entgegen, überlegte schon, ob er etwas zu der Situation um sie herum sagen sollte, doch der Brite kam ihm zuvor.

‚Ich glaube die zwei Älteren haben auf dich gewettet.‘

Arthur blickte unwillkürlich zu den beiden hin, die seinen Blick mit einem kühlen Lächeln erwiderten. Irgendwie passte das nicht zusammen. Er hätte da schon auf seine Alarmglocken hören sollen. Damals war der Gedanke, dass jemand auf sein Können Geld setzte aber vorrangig gewesen. Genau das, was Eames provozieren wollte. Seine Selbstsicherheit über seinen Perfektionismus angreifen.
 

Als er spürte, dass jemand nach seinem Queue griff, ruckte sein Kopf aber zurück. Einen Moment hatte er geglaubt, der Japaner sei das. Doch es war Eames. Die Haltung des Queues, die Gesten des anderen, die Art, wie er ihn ansah – die Symbolik war offensichtlich. Er spürte, wie sich ein seltsames Gefühl in seinem Magen ausbreitete. Er sog die Unterlippe leicht ein, biss darauf. Sein Kopfkino verselbstständigte sich auf völlig unangebrachte Art und Weise. Er schluckte, als Eames abließ und zu ihm trat. Die Hand an seiner Schulter brannte durch den Stoff seines Shirts.

‚So weit ich es verstanden habe, geht es um Bier. Also kein Verlust, wenn du verlierst.‘

Einen Moment sah er Eames an. Eigentlich hätte er auf das ‚So weit ich verstanden habe...‘ reagieren müssen - im Nachhinein betrachtet. Aber er konnte gerade nicht üebr die Wortwahl nachdenken. Andere Dinge, andere Gesten standen gerade im Raum.

Er mochte ungerührt aussehen, aber Eames kannte ihn vermutlich zu gut, als dass er nicht doch die Irritation herauslesen konnte. Nur er war fähig dazu, seine Fassade immer wieder ein wenig zum Einsturz zu bringen. Und Arthur war wirklich auf diesem, gerade so nett provozierten Gebiet ein blutiger Anfänger. Eames führte ihn gerade vor und es wurmte ihn sehr. Er hatte Erfahrungen mit anderen Männern gesammelt, war in der Szene unterwegs, vor allem in den Wochen, in denen sie nicht beieinander waren, in denen er in NewYork war und arbeitete, an der Uni gewesen war. Er war auch da selbstsicherer geworden, bestimmender. Er behauptete sich bei den Typen, die er abschleppte, ließ sich nicht mehr selbst abschleppen - zumindest nicht so wie am Anfang.

Doch Eames schaffte es nur mit einer so simplen Geste seine hart erkämpfte Selbstsicherheit auf diesem Gebiet im wahrsten Sinne des Wortes wegzupusten. Arthur verharrte einen Augenblick, konnte nichts erwidern, obwohl er sonst immer etwas zu sagen wusste.

Er blickte wieder zum Billardtisch. Hier ging es nicht um das – was auch immer „das“ war. Hier ging es nur um dieses Billardspiel! Zumindest versuchte er sich das einzureden. Er konnte sehr gut Billardspielen. Die Kugeln lagen gut. Er hatte durch das Foul die besten Ausgangsbedingungen. Ein wahres Heimspiel, definitiv.

„Na, dann wollen wir ihnen mal ihr Bier verschaffen“, rang er sich schließlich doch noch ab, weniger siegessicher als er gewollt hätte.
 

Arthur trat an den Tisch heran, betrachtete seine Kugeln, lotete aus, wog ab, berechnete voraus, wie sich das Spiel entwickeln konnte, legte die Reihenfolge fest, überlegte sich den besten Ausgangsunkt. Er hatte den Ball in der Hand, er hatte alle Möglichkeiten. Langsam beruhigte sich sein Gemüt wieder. Konzentration, Präzision. Wenn jemand das konnte, dann doch wohl er. Doch es waren zwei Komponenten, die es ihm wirklich schwer machten: sein Kopfkino und der Druck, den Eames auf seinem Perfektionismus abgelegt hatte.
 

Er legte schließlich die Weiße. „3 in die linke Ecktasche..“, begann er schließlich und versenkte eine Kugel nach der anderen. Es war nicht einfach, aber es ging. Es musste gehen! Unbedingt! Er verlor so oft gegen Eames, ständig im Training. Dass er ihn mal wirklich überraschen konnte, wenn es ums Boxen ging, konnte er an zwei Händen abzählen. Beim Training mit Waffen sah es anders aus. Aber auch da unterlag er ihm meistens. Billard war seine Disziplin. Hier konnte und wollte er zeigen, dass er sich nicht von so blöden Gesten irritieren lassen würde!

Nur noch zwei Kugeln. „Kiss shot, 5 in die rechte Lochtasche“, kündigte er an. Ein Schwerer Stoß, weil es passieren konnte, dass die anstoßende Kugel zurück in der Ecktasche landen könnte, wenn er zu viel Wucht provozierte. Wenn es zu wenig wäre, würde die 5 allerdings nicht in der Seitentasche ankommen.
 

*Eames*

Das strahlende Selbstbewusstsein, dass er soeben noch von Arthur wahrgenommen hatte, bröckelte ein wenig und Eames sollte sich dafür schämen, dass er ihm so etwas antat. Andererseits war Arthur bisher an jeder neuen Herausforderung nur gewachsen, wieso sollte es in diesem Fall anders sein? Richtig; weil dies hier bereits seine Disziplin war und Eames derjenige sein sollte, der zurücksteckte. Er sollte es einfach sein lassen und sich zurücklehnen, aber er konnte es nicht.

Rückblickend fühlte Eames, was Arthur fühlte und es erinnerte ihn daran, was er einst seinem eigenen Bruder gegenüber empfunden hatte: ‚ungenügend zu sein‘.
 

Wieder zurück in der Erinnerung schoben sich schuldbehaftete Emotionen wieder weit in den Hintergrund. Stattdessen kehrte die Möglichkeit eines Flirts zurück.

Er betrachtete Arthur bei seinem höchstprofessionellen Spiel, ließ hier und da eine Bemerkung fallen, mit dem Ziel ihn zu verunsichern. Sachen wie „Hmm, das würde ich nicht machen“ und „Ja, nimm die, dann bin ich auch endlich mal wieder dran.“, um für Verwirrung zu sorgen. Hin und wieder bot er ihm sogar an, nochmal seinen Queue einzukreiden.

»Dafür können wir auch eben aufs Herrenklo verschwinden, wenn dir das vor den ganzen Menschen unangenehm ist.«

Seine Beschreibung war nicht übertrieben. Die beiden Europäer hatten noch ein paar mehr Menschen angelockt, die gespannt das Spiel beobachteten. Dabei diskutierten sie teilweise wild und immer wieder fing Eames den unheimlichen Blick dieses Kerls mit der Narbe auf.
 

Arthur räumte ab, aller Ablenkung zum Trotz; das Ergebnis womit er eigentlich hatte rechnen müssen. Eames stand vor einem Tisch voller halber Kugeln. Seine Kiefer mahlten, aber er nahm es mit Würde.

»Congratulations, du bist gut. Der nächste Drink geht auf mich.«

Dazu sollte es jedoch nicht kommen. Die älteren Kerle feierten Arthurs Sieg, Eames hatte sie anscheinend richtig verstanden. Die jüngeren jedoch, vor allem der mit der Narbe und seine Freunde, schienen gar nicht begeistert zu sein. Sie begannen Eames anzupöbeln, welcher zunächst relativ gelassen reagierte. Er würde sicherlich keinen Knirps schlagen, dachte er sich und reagierte amüsiert auf die Anfeindungen, was natürlich für weitere Provokationen sorgte. Dieser Knirps hatte jedoch ein Schlagring und war weit wehrhafter, als er zunächst den Anschein gemacht hatte.
 

*Arthur*

Es war vermutlich das schwerste Spiel seines Lebens. Sein Ehrgeiz, nicht schon wieder gegen Eames zu verlieren - schon gar nicht in SEINER Disziplin! Zusammen mit der brodelnden Stimmung, die sich mit jeder Kugel zwischen den Wettgegnern aufzuheizen schien. Und dann auch noch die Sprüche, die Eames abließ, um ihn zu verunsichern, ihm noch mehr Stress zu bescheren. Sie ärgerten ihn, ungemein. Wobei sie ihn letztlich irgendwie auch gewinnen ließen. Denn wie so oft stellte sich alsbald sein Trotz ein. Der Trotz, den Eames mit all seinen Sprüchen und Gedankenlosigkeiten heraufbeschwor. Genau der war es, der ihm half zu wachsen und erst recht seine Konzentration aufrecht zu halten.
 

Er ließ sich Zeit mit dem Kiss Shot, als er das Angebot hinsichtlich des Einkreidens hörte. Arthurs Miene verdüsterte sich, seine Augen wurden einen Moment schmal.

‚Dafür können wir auch eben aufs Herrenklo verschwinden, wenn dir das vor den ganzen Menschen unangenehm ist.‘

Er streckte sich. Nein, er würde sich von den zwei Seitenhieben (Viele Zuschauer und die sexuelle Anspielung) nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Daher blickte Arthur Eames nur einen Augenblick abschätzig an, drehte sich dann zum Tisch und versenkte die vorletzte Kugel mit Bravour.

„Can you see the Fuck you!-Smile in my face?“, raunte er ihm mit einem entsprechenden Lächeln auf den Lippen zu, als er an ihm vorbeiging, um die letzte Kugel anzugehen. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen. Und das tat es wirklich nicht.
 

Zufrieden sah er die schwarze Kugel im gegenüberliegenden Loch verschwinden. Dann trat er vom Tisch weg und so neben Eames, dessen Gesichtsausdruck verriet, dass es ihn wurmte.

‚Congratulations, du bist gut. Der nächste Drink geht auf mich.‘
 

Gut? Arthur hob eine Augenbraue. Er war mehr als gut. Warum konnte er das nicht einfach mal zugeben!?! Arthur drehte sich zu Eames und sie sahen sich einen Moment an.

„Your congratulations, as always, is much appreciated, Mr. Eames, thank you“, sagte er mit reinem Sarkasmus in der Stimme, aber mit einem verzeihendem Lächeln auf den Lippen. Im Grunde schätzten sie sich gegenseitig in gewisser Weise wert. Kein Grund aber, das zu verbalisieren.

Dass er fast dieselben Worte erst vor einem halben Jahr - lange Zeit nach diesem Moment hier in Tokyo - wieder zurückbekommen hatte, ließ ihn in Gedanken schmunzeln.

Dieser Satz hatte ihn beim Fischer-Job (wie so vieles, was Eames zu ihm gesagt hatte), an ihre guten Zeiten erinnert. Diese wenigen flüchtigen Augenblicke und Momente, die magisch zwischen ihnen waren. So wie ihre erste Begegnung.

Die Wertschätzung im Subtext würde bald lange gänzlich verschwinden.
 

Arthur beugte sich nun zu Eames Ohr, legte ihm die Hand an die Schulter, um sich etwas abzustützen.

„Wenn du jemals mit mir auf der Herrentoilette verschwinden möchtest, solltest du meinen Sieg etwas wohlwollender anerkennen“, sagte er leise, dunkel. Dann pustet er ihm sacht seinen warmen Atem über die Halsbeuge. Zufrieden sah er, wie sich die kurzen Haare im Nacken des anderen aufstellten.

Seine Finger strichen mit sanftem Druck über Eames‘ Schlüsselbein, während er sich drehte und zu seinem Jackett hinüberging, um sich dieses wieder anzuziehen.

Die Stimmung im Lokal war mehr als deutlich, dass es weder zu einem weiteren Drink, noch zu einem weiteren Spiel kommen würde. Der Pittbull bezog Stellung.
 

Eine Pranke klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Arthur war einen Moment versucht, sich selbst zu verteidigen, doch er hielt in der Bewegung inne, als er sah, wer zu ihm gekommen war. Die älteren Männer bedankten sich mit gebrochenem Englisch bei ihm, lobten sein Spiel. Er hob abwehrend die Hände.

Da sah er im Augenwinkel, wie Eames von den drei Jungen angegangen wurde. Offenbar gefiel es ihnen nicht, dass sie verloren hatten.

Er entschuldigte sich, durchquerte den Raum und merkte, dass die vielen neugierigen Zuschauer sich schneller zu verdrücken schienen. Die gereizte Stimmung der drei Halbstarken war deutlich zu spüren und offenbar verbreitete sie Furcht. Warum zögerte Eames?
 

Das metallene Blitzen des Schlagrings ließ Arthur vorschnellen und den Pitbull am Handgelenk packen, bevor er den Schlag setzen konnte.

Überrascht sah der Japaner ihn an, dann wurde dessen Blick feindselig. Noch bevor er jedoch etwas sagen oder tun konnte, intensivierte Arthur den Griff, drehte den Arm des anderen ruckartig, so dass er ihn diesem auf den Rücken drehte.

„Ich hasse Typen, die nicht verlieren können“, zischte er dem Japaner zu. „Du hast gefragt, ob er gut spielen kann. Das kann er. Auf seine Weise ist mein Partner in allem großartig, was er macht.“ Dass Eames‘ Methoden und die Art und Weise, wie er arbeitet, nicht unbedingt ihm immer entsprachen und es diesbezüglich zu Reibereien kam, hatte mit dem Erfolg und seinem Können als Dieb und Forger ja nichts zu tun.

Sein Gefangener versuchte loszukommen, doch Arthur hielt ihn erbarmungslos. „Hättest du gefragt, ob ich besser bin, dann hätte ich dir allerdings abgeraten zu wetten.“

Er blickte zu Eames zögerte den Moment, in dem die Schlägerei beginnen sollte, länger hinaus, als es damals der Fall gewesen war. In seinem Kopf war etwas, was ihm viel später erst in den Sinn gekommen war - im Rückblick auf ihren gemeinsamen Kampf. Jetzt fügte er es hinzu. „Er und ich zusammen könnten vermutlich unschlagbar sein.“
 

Der Japaner drehte sich, entwand sich seinem Griff. Doch Arthur hatte damit gerechnet. In dem Versuch, ihn zu schlagen, vernachlässigte der kleinere seinen festen Stand. Arthur duckte sich unter dem Schlag weg und zog ihm mit einem Tritt die Beine weg, so dass jener zu Boden ging. Der Schrei, den er nun hörte, verstand er auch ohne Japanisch zu können. Denn in die umstehenden Halbstarken kamen in Bewegung. Diese Erniedrigung wollte der Pitbull sicher nicht ungestraft auf sich sitzen lassen.
 

*Eames*

Er hatte fast verdrängt, dass er diesen Spruch damals von Arthur abgekupfert hatte. Er hatte so einiges getan, um über seinen verletzten Stolz hinweg zu kommen, hatte es aber nie zur Gänze geschafft. Immer stand da dieses „was wäre wenn?“ im Raum und ein zermürbendes „was habe ich falsch gemacht?“ bis hin zu einem trotzigen „er weiß nicht, was er verpasst.“, was sie schlussendlich nur noch mehr vergiftet und voneinander entfernt hatte.
 

Als Arthur sich schließlich zu ihm lehnte, ihn berührte, ihm die süßlichen Hinweise ins Ohr flüsterte, glaube Eames sie brauchten keine weiteren Sitzungen der Rekapitulation mehr. Sie sollten einfach verschwinden. Erst in Arthurs Bett und dann weit weit weg. So wie er es immer machte, wenn alles zu viel wurde, nur dass es diesmal genau richtig war und er nicht allein gehen würde.

Wie damals, dauerte der Augenblick nur einen Augenaufschlag. Viel zu flüchtig, als dass Eames adäquat darauf reagieren könnte. Arthurs Zuneigung war ihm bis zu diesem Zeitpunkt ein Rätsel gewesen. Erst nach diesem eindeutigen Hinweis, der sich als höflicher Rat tarnte, war sich Eames sicher gewesen, dass er ihn haben würde. So, oder so. Er würde Arthur kriegen, weil seine Gefühle erwidert wurden.
 

Wahrscheinlich hätte man mit ihnen reden können, aber es war geschehen. Die Meute war sauer und Eames, gab sich nicht einmal die Mühe sich großartig herauszuwieseln. Stattdessen schlürfte er noch einen Sake und beleidigte beiläufig einen der Männer, die ebenfalls auf ihn gewettet hatten und aufdringlich auf ihn einredete.

Dann eskalierte es bereits zwischen Arthur und dem Jungen mit der Narbe. Er landete auf dem Boden und Eames wich gerade ebenso einem Fausthieb aus, der als eine Art Antwort darauf folgte.
 

‚Er und ich zusammen könnten vermutlich unschlagbar sein.‘
 

Die Worte hallten in seinem Kopf wieder und wieder und erinnerten ihn daran, dass dies weit mehr war, als eine Erinnerung. Sie waren nicht in Tokio vor sieben Jahren. Sie lagen in der Gegenwart in New York in Arthurs Arbeitszimmer, hielten sich die Hände und träumten, was damals passiert war. Es musste nicht so laufen, wie damals. Alles konnte einen gänzlich anderen Verlauf nehmen, wenn sie es nur wollten und offensichtlich waren sie beide so weit.
 

»Verdammt richtig!«, pflichtete er Arthur bei und arbeitete sich einen Weg heraus aus der Kneipe, der ihnen beiden einige Tritte und Schläge einbrachte, aber weitestgehend unbeschadet davon kommen ließ.
 

Es musste nicht so sein, wie damals. Es konnte alles ganz anders anders laufen.

Damals in Tokio war er mit Arthur weggelaufen, bis sie wieder bei der U-Bahn Station angelangt waren, in der sie ausgestiegen waren. Sie hatten gelacht über die absurde Situation, aufgeputscht durch eine dicke Ladung Adrenalin.

Diesmal zog Eames seinen Point Man direkt in eine der dunklen Gassen, um ihm sich über ihn herzumachen. Sein Blut war in Wallung und sein Herz pochte unnachgiebig, stark, als er Arthur gegen die Steinwand drückte und ihn mit wilden Küssen übersäte.
 

*Arthur*
 

Der Kampf damals war aussichtslos gewesen, aber er hatte verdammt Spaß gemacht. Sie hatten zusammen gekämpft, hatten sich zusammen einen Weg nach draußen erkämpft, waren schließlich geflohen und in der U-Bahn gelandet. Sie hatten gelacht, waren sich vermutlich so nahe, wie nie zuvor. Arthur hatte an diesem Abend gespürt, dass er sich auf die vielen Angebote, das Mehr einlassen wollte. Aber sie hatten es nie geschafft. Zwei Tage später hatten sie den Job gehabt. Zwei Tage später hatte Eames ihn bei dem Job hintergangen. Zwei Tage später war Eames weg gewesen und hatte sich nicht mehr bei ihm gemeldet.

Aber heute war nicht damals. Heute war es anders. Bereits bei dem Weg nach draußen kam es ihm so vor, als sei alles anders. Deshalb, weil er gesprochen hatte, weil er gesagt hatte, was er dachte, was er schon damals gedacht hatte. Weil er es endlich aussprach.
 

‚Gotta find my way, away from this place

Can you take me now?

I-I want it, I want it real

Are you afraid of me now?

Are you afraid of me now?

Do you feel it, do you feel it?

Do you feel that I can see your soul?

Do you feel it, do you feel it?

Do you feel the beat in your heart?

I-I want it, I want it real

Run away with me now‘

(https://youtu.be/pTA0DSfrGZ0)
 

Letztlich war ihm alles egal, nichts entsprach mehr wirklich dem Geschehen von damals. Der Plan, der Traum war ein anderer. Eames traf auf keine Gegenwehr, als er ihn in die nächste Gasse zog und sie sich kurz darauf ihren Gefühlen hingaben. Niemand würde ihnen folgen, nichts und niemand würde sie stören. Damals hatten sie weggemusst, es war zu unsicher gewesen. Jetzt war das alles völlig egal. Jetzt umklammerte er Eames, zog ihn näher zu sich, küsste ihn, gierig, voll viel zu lange ungestilltem Verlangen.

Es war anders, als in der Küche, denn die Emotionen waren nicht aus einer Wut nach oben gekocht. Die Gefühle waren aus einem „Wir“ heraus entstanden. Weil sie endlich das zuließen, was sie damals schon hätten zulassen sollen – oder vielmehr er selbst. ER hätte das schon viel früher zulassen müssen. Dieses elendige „Was wäre gewesen, wenn..“. Es hatte ihn so oft hinuntergezogen, in schwarze Tiefen. Er wollte das nicht mehr. Er wollte es nicht mehr.

Das hier wollte er! Es fühlte sich so gut an, es fühlte sich so unfassbar gut an!

Dennoch hatte das hier, das sich so gut anfühlte und ihn so tief berührte, einen Haken: es war nicht gänzlich real. Aber wenn sie jetzt aufwachen würden, was wäre dann? Würde es ohne Bruch weitergehen? Würden sie sich ihren Gefühlen füreinander hingeben können? Ohne über das Ende von Tokyo gesprochen zu haben?

Seine Finger glitten über die Schultern des anderen, glitten durchs Haar. Er wollte diesen Körper endlich wirklich spüren, auf einer ganz anderen Ebene. Er wollte ihn berühren, liebkosen, sich in ihn fallen lassen. „Ngh!“, keuchte er in den Kuss, als er die Hände des anderen an seinem Körper spürte. Seine Lippen glitten zur Seite, nach Atem ringend. Seine Augen öffneten sich lustverhangen – dann musste er stutzen. Sie waren nicht mehr in der Gasse.

Arthur schluckte, hielt inne. Es war absurd, aber sie standen vor dem Haus, das Eames ihm im Magazin gezeigt hatte – das Eames-House. Er küsste Eames erneut, verspielt, provozierend. Dann suchte er seinen Blick. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte Angst, wieder alles zu zerstören. Sein Körper wollte nur eines. Sein Verstand warnte ihn vor dem Moment des Aufwachens.



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