[Volatile] - Inception von -Amber- (‚What if I fall?‘ ‚Oh, Darling! What if you fly?‘) ================================================================================ Kapitel 24: We‘ll never know ---------------------------- *Eames* So einfach war das? Eames versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie verblüfft er über die Tatsache war, dass Arthur mit ihm mitkommen wollte, wenn er ihm noch ein wenig Zeit ließ. Wenn er selbst noch etwas einsteckte. Realistisch betrachtet; klar wieso nicht? Wieso versuchte er ständig vor seinem Glück davonzurennen? Arthur war ‘hier‘, in dieser Gott verdammten Stadt. Und wenn er sich nicht benahm wie ein Vollarsch, durfte er sogar auf seiner Couch schlafen. Das hoffte er zumindest für den heutigen Abend. Bis er „aufgebaut“ hatte? Bis Rippen zusammengewachsen waren, dauerte es ungefähr sechs Wochen. Das war eine verdammt lange Zeit in der verdammt viel passieren konnte... er konnte nicht einmal sich selbst glaubhaft versichern, dass er in dieser Zeit nicht irgendetwas tun würde, dass Arthur wieder von ihm weg stieß. Vor allem, wenn er sich fühlte, wie ein Tiger im Zoo. ‚Füße stillhalten!‘, ermahnte er sich. Er war immerhin keine 26 mehr. Schlussendlich nickte er zustimmend mit vollem Mund. Kein ganz unrealistischer Plan. Die Frage nach London traf ihn unerwartet. Wie ein Hieb in die Leber. Er ließ die Gabel sinken, die gerade eine neue Portion Lamm in seinen Mund schaufeln wollte. »Ich kann dir davon erzählen«, begann er und sein Ton hatte sich verändert. Seine Kehle fühlte sich enger an und er wirkte irgendwie angespannt. Seine dumme Aussage im Traum hätte er sich stecken sollen. Das hätte ihm viel Mist erspart. »Aber ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob das so gut wäre. Du hast gerade erst aufgehört mich zu hassen. Danach wirst du mich wahrscheinlich in einem ganz anderen Licht sehen. Also...« Er schob sich die Gabel in den Mund, kaute energisch und vermied den Blickkontakt. »... entscheide du.« *Arthur* Hui! Da lag viel verborgen. Bereits die rein körperliche Reaktion auf seine Frage sprach Bände. Der Ton in Eames‘ Stimme komplettierte den Eindruck, dass dieses Thema wirklich heikel war, zu heikel? Vielleicht, vermutlich. Eames schloss es nicht aus, dass das Bisschen, was gerade begann zu entstehen, dadurch wieder zerstört wurde. Dass Eames ihn nicht ansah, machte nichts einfacher. Ihr Irgendwas war zu fragil – oder? ‘... entscheide du.‘ Arthur schwieg. Er wusste erschreckend wenig über den anderen, zumindest was seine Lebensgeschichte betraf. Dabei behauptete jener, er sei der einzige, der ihn kenne. Im Gegenzug wusste Eames mehr über ihn, als er jemals gewollt hatte. Er hatte das Gefühl, einen Ausgleich haben zu wollen - aber nicht um jedem Preis. Oder sagte Tom das nur, um ihn davon abzuhalten, solche Fragen zu stellen? Könnte er ihn jemals anders sehen? Er wusste es nicht genau. Unmut schwang noch immer in ihm mit. „Ich habe dich nie gehasst“, sagte er ausweichend. „Ich habe mir das nur eingeredet, weil es bequemer und einfacher war.“ Er stocherte erneut im Essen herum, schob sich dann etwas in den Mund. „Ich ziehe die Frage zurück“, sagte er dann leise und er blickte den Briten an. Es fühlte sich nicht gut an, sich einzugestehen, dass für Manches vermutlich noch nicht Zeit war. Vermutlich war das wirklich ein falscher Einstieg. Aber das hatte er vorher nicht wissen können. Vielleicht sollten sie mit harmloseren Dingen anfangen. Aber nichts in Eames‘ Leben schien einfach zu sein. Er wusste nicht, wie die Brücke weiter zu bauen wäre. Der Punkt London schien zumindest ein Etappenziel für die ferne Zukunft zu sein. Arthur nahm noch einen Bissen, dachte nach. „Ich habe das Gefühl, dass da ein riesiger Berg an Altlasten zwischen uns steht“, sagte er schließlich. „Der Gedanke, dass du noch ein wenig in New York bleibst, tut gut. Und doch wissen wir beide, dass das nur Wunschdenken ist, solange andere Dinge nicht geklärt sind.“ Er stellte den Teller weg. Vorhin war alles noch so ungezwungen. Hatte er das mit seiner Frage - und seinem Unvermögen, einfach mal zu entspannen - zunichte gemacht? Vermutlich dachte er zu viel nach, viel zu viel. Er trank einen Schluck Bier, die CD war verstummt, aber es fiel ihm erst jetzt auf. Arthur stand auf, ging erneut zum CD-Regal. Seine Wahl traf diesmal Jack Johnson „In between dreams“. Auch leichte Kost. Aber wenn nichts lief, erdrückte ihn das irgendwie. Sein Hirn brauchte Ablenkung. *Eames* Auch Eames war ein Kontrollmensch, wenn auch gänzlich anders als Arthur. In diesem Augenblick zum Beispiel hasste er es, wie er die Kontrolle über seinen Körper verlor. Die Anspannung, der Puls... Im Traum war es anders gewesen; er hatte sich einfach ablenken können und andere Themen standen im Fokus. Er war gedanklich nicht nach Ramadi zurückgekehrt. In diesem Augenblick, wo die Musik verebbte und Arthur schwieg, war er da - brütende Hitze und Trümmer - und es fühlte sich miserabel an. Er war heilfroh, dass Arthur ihm die Bestätigung gab. Er hatte auch nie wirklich geglaubt, dass er ihn hasste. Sonst wäre er nicht nach New York gekommen, um ihm ein Jobangebot zu machen. Sonst hätte er sich vor einem halben Jahr während des Fisher-Falls nicht all die Scherze erlaubt. Aber es aus Arthurs Mund zu hören, war schöner, als fliegen. ‚Ich habe das Gefühl, dass da ein riesiger Berg an Altlasten zwischen uns steht.‘ Wohl wahr. ‚Der Gedanke, dass du noch ein wenig in New York bleibst, tut gut. Und doch wissen wir beide, dass das nur Wunschdenken ist, solange andere Dinge nicht geklärt sind.‘ Es war schwer aus gewohnten Denkweisen auszubrechen, aber er wusste, dass ihm vermutlich keine Wahl blieb, wenn er endlich etwas Echtes erschaffen wollte. Etwas, das mehr Substanz hatte und dieses fiese Loch in seiner Brust füllen könnte. Auch Eames stellte seinen Teller ab und nahm noch einen kräftigen Schluck Bier. Er hätte gern etwas Härteres gehabt. Alkohol war ein wunderbarer Katalysator. ... Was für ein Krüppel er war, dass er kaum etwas aus der Tiefe holen konnte, wenn er nicht ordentlich getankt hatte. Die neue Musik tat gut. Erlöste ihn von der Stille und brachte die Zahnrädchen wieder dazu, ineinander zu greifen. Er brauchte eine Antwort... »Es tut mir leid.«, begann er gefasst. »Ich bin ein...«, Riesenhaufen wertloser Scheiße? Langsam... nicht so emotional! »... furchtbarer Mensch«, er schnaufte einen amüsierten Laut, als wäre ein Lachen in seiner Kehle gestorben. »Ich neige dazu alle um mich herum unglücklich zu machen. Also hau ich lieber ab.« Er wartete bis Arthur wieder zu ihm auf die Couch gekommen war. »Problematisch ist nur, ich kann vor dir nicht wegrennen.« Er lächelte. »Nicht wirklich. Du bist immer bei mir.« Lächerlich, dass er sich vor einem halben Jahr noch mit seinem Einfallsreichtum bei Cobb profiliert hatte; ‚Arthur, er ist der Beste, aber er hat keine Vorstellungskraft! Nicht so wie er‘ – ha ha! Und nun verwendete er Arthurs Formulierung. Tragischer Weise gab es keine besseren Worte dafür. Es war einfach wahr. Es war so etwas wie ‚Ich dich auch"!‘. »Deswegen, schlage ich vor, du gibst mir was von deinem scheußlichen Whiskey und wir reden; heute Nacht. Meinetwegen die ganze Nacht.« Er fühlte sich bereits splitterfasernackt. Gleichzeitig war er noch nie so nah dran, sich frei zu fühlen. *Arthur* Arthur wusste nicht, was er mit der Stille in seinem Rücken anfangen sollte. Er wusste nicht genau, ob sie gut war oder schlecht. Er hatte versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen, das sie schon vor langer, langer Zeit hätten führen müssen. Jetzt war es Toms Entscheidung, ob dieses Gespräch je stattfinden würde oder nicht. Denn Arthur spürte zwar auf ungeahnte Weise, wie sehr er an ihrer Situation etwas ändern wollte, aber er wusste auch, dass er die Tür, die er zu öffnen versuchte, nicht ewig würde halten können. Seine Selbstschutzmechanismen funktionierten dafür zu gut. Und er kannte sich gut genug, dass er wusste, wie wackelig das hier alles war. Der locker-flockige Sound des australischen Surfers erklang und Arthur drehte etwas leiser, damit sie würden reden können. ‚Es tut mir leid.‘ Arthur drehte sich um und blickte Eames an. Wofür entschuldigte er sich? Wollte er das Gespräch beenden? Wollte er ihm sagen, dass er daran kein Interesse hatte? ‚Ich bin ein... furchtbarer Mensch‘« Etwas in Arthur löste sich bei diesen Worten, etwas Schweres, Verkrampftes. Er musste fast lachen vor Erleichterung, beließ es aber bei einem Schmunzeln. Selbsterkenntnis war der beste Weg... - aber auch das war nicht angebracht. ‚Ich neige dazu, alle um mich herum unglücklich zu machen. Also hau ich lieber ab.‘ Arthur kehrte zum Sofa zurück, setzte sich zu Eames gewandt hin. Ob Tom noch nie der Gedanke gekommen war, dass eben dieses Abhauen das war, was die Menschen erst so richtig unglücklich machte? In seinem Fall war es genau so. Aber er war selbst ein König des Verdrängens und Fliehens. In gewisser Weise waren sie sich vermutlich ähnlicher als gedacht. ‚Problematisch ist nur, ich kann vor dir nicht wegrennen.‘ Dieses Lächeln ließ sein Herz unerwartet heftig gegen seine Brust schlagen. Worauf wollte er hinaus? ‚Nicht wirklich. Du bist immer bei mir.‘ Arthur schluckte, spürte diese süße Mischung aus Überraschung und unverhohlener Freude in seinem Bauch herumpurzeln. Dass Eames das aufgriff, was er jenem gestern zugestanden hatte, und der Dunkelblonde ihm jetzt gleichfalls zugestand, tat unheimlich gut. Das Gefühl, nur allein sich dem anderen ein Stück weit offenbart zu haben, sich ihm entblößt zu haben und sich damit angreifbar gemacht zu haben, wurde allein damit kleiner. Zu hören, dass sie eine gemeinsame Basis hatten, dass sie einander nie entkamen, fühlte sich gut an, um die Brücke zu stabilisieren. Unabhängig davon, was sie sich letztlich damit (so verkorkst wie es für sie typisch war) sagten. Die Angst, dass der Versuch aufeinander zuzugehen und sich dem zu stellen, was seit so vielen Jahren unausgesprochen war, scheitern würde, schwand und wich Zuversicht. ‚Deswegen, schlage ich vor, du gibst mir was von deinem scheußlichen Whiskey und wir reden; heute Nacht. Meinetwegen die ganze Nacht.‘ Arthur lächelte, nickte. Ein guter Plan. Die Stimme, die ihm erklärte, dass er noch arbeiten und die Wanze auswerten musste, überhörte er, schaltete sie ab. Morgen war Zeit dafür. In dieser Nacht sollten sie nicht an einen Fall denken, sondern an sich. Und seltsamerweise hatte Arthur keine Bedenken, dass sich diese Nacht negativ auf den Job auswirken könnte. Aus dem Unvermögen, Worte zu finden, und einem Gefühl, einem Bedürfnis nach Nähe heraus griff er nach Eames‘ Hand, legte sie sich an die Wange, so wie er die seine auf Eames‘ Wange gelegt hatte, als er ihm versprochen hatte, dass sie reden würden. Einen Moment genoss er die Berührung, die er sich selbst geholt hatte, schloss die Augen, atmete durch. Eigentlich hatte er noch keine Zeit gehabt, über alles nachzudenken. Gleichzeitig hatte er schon so oft darüber nachgedacht. Er küsste die Handinnenfläche und entließ diese dann wieder, stand auf. „Ich hole den Whisky“, sagte er und ging in sein Arbeitszimmer. Dort stand eine Flasche Aberlour. Seine Mutter würde ihn aus ihrem Leben verbannen, wenn sie einen schottischen Whisky bei ihm fände. Sein Blick streifte seine Pinnwand. Vorhin hatte er keinen passenden Einstieg gefunden. Vielleicht half etwas anderes als Worte. Er trat zu ihr und stellte die Flasche kurz ab, um dann die unter anderen Zeichnungen verborgenen von Eames heraus zu holen. Chronologisch sortiert, Treffen für Treffen. Auf dem ersten Bild der erste Moment, an dem Thomas damals diese Kneipe betreten hatte und es sich angefühlt hatte, als gäbe es in diesem Raum nur noch ihn - bis Dom gekommen war und klar war, dass sie miteinander arbeiten mussten. Vielleicht sollten sie nur über das reden. Nicht über all die Dinge, die sie zusätzlich belasteten. Die kämen auch so auf. Und wenn nicht, hätten sie nichts mit ihnen beiden zu tun. Im Wohnzimmer stellte er die Flasche auf den Tisch, ging zur Vitrine und holte zwei Whiskeygläser. Dann setzte er sich wieder zu Thomas. Ihre Beine berührten sich. Er hatte das Gefühl, dass er das brauchte. Er reichte ihm die Zeichnungen, wortlos. Dann griff er zur Flasche und schenkte ihnen ein, reichte ihm das Glas. „Dieser ist nicht ganz so scheußlich“, kommentierte er. Er mochte die Süße, den Hauch Frucht der Sherry-Fässer. Dann blickte er auf die Zeichnungen. Es waren viele aus der Zeit vor Tokyo, aus der unbeschwerten Anfangszeit. Aus New York, auch eine Zeichnung aus dem Terra Blues war dabei, vom Inder. Teilweise nur einzelne Studien, seine Augen, sein Mund, seine Hände, die Statur. Szenen aus Träumen, in denen sie trainiert hatten, Szenen aus Träumen, in denen sie sich inspiriert hatten. Szenen, in denen Eames ihm in sehr angetrunkenem Zustand den Hof gemacht hatte, und er unfähig gewesen war, sich darauf einzulassen. Und dann auch eine Szene aus dem Casino, in dem sich ihre Wege für so lange Zeit getrennt hatten. „Erinnerst du dich?“ Er hielt das Glas in der Hand, ließ dem Whisky noch kurz Zeit atmen. Dann streckte er sein Glas Thomas hin, auch wenn er nicht wusste, worauf sie anstießen. Er fand noch keinen Begriff dafür. Und im Grunde genommen war das auch ganz gut so. *Eames* Diese zärtliche Geste fühlte sich so surreal an, dass Eames das Verlangen spürte nach seinem Totem zu greifen. Allerdings war der Jeton noch in der Innentasche seines Jacketts, zusammen mit dem geklauten Massageöl. Alles zusammen hing an Arthurs Garderobe und damit nicht in unmittelbarer Reichweite. Er betrachtete das friedliche Gesicht, die geschwungene Linie seiner hellen Lippen und den Kuss, den sie in seine Handfläche formten. Anscheinend hatte Eames etwas Richtiges gesagt. Als Arthur seinem Wunsch nachkam und Whiskey holte, stahl sich Eames zur Garderobe, um sich seinen Spielchip zu holen. Er hatte nicht wirklich an der Realität gezweifelt, aber es fühlte sich trotzdem gut an, sein Totem in der Hosentasche zu tragen. Je nachdem wie das Gespräch verlief, war er am Ende vielleicht froh, es bei sich zu haben. ‚We're tryin' but where is this all leading We'll never know‘ (https://youtu.be/vWCOY2bgEF0) Da hatte Jack wohl recht. Er wollte Arthur gerade seinen Dank aussprechen, dass er ihm den guten, schottischen servierte, als dieser ihm ein paar Zeichnungen in die Hand drückte. Er blätterte durch, wirkte irritiert und merkte dann schnell, was er da in den Händen hielt. Zögerlich nahm er das Glas an, das Arthur ihm reichte, konnte seinen Blick jedoch nur schwerlich von dem abwenden, was er da in der anderen Hand hielt. ‚Erinnerst du dich?‘ Er lächelte, nickte, stieß an, aber gedanklich war er weit weit weg. »Hm...«, machte er zustimmend. »Anscheinend war ich damals schlanker.« Es war eigenartig sein damaliges Ich durch Arthurs Augen zusehen. So viel jünger und irgendwie... gesünder? Eames hielt sich nicht für nostalgisch, er machte keine Fotos oder Videos, weil er sich immer einredete im „Hier und Jetzt“ zu leben. Für den Moment. Was kümmerte ihn gestern oder morgen? Wie es schien kümmerte ihn gestern sehr. Und diese Zeichnungen kümmerten ihn erst recht. Er nahm einen Schluck Abelour – besser als der flüssige Torf, der Irischen Whiskeys – und starrte auf das Bild aus der Bar in Amityville, wo sie sich das erste Mal begegnet waren. Zum ersten Mal seit undenkbar langer Zeit war Eames sprachlos. Wenn Eames davon gewusst hätte... wenn er es nur geahnt hätte, wäre alles vielleicht ganz anders verlaufen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)