Ein Leben wie dieses von Juju ================================================================================ Kapitel 31: Freunde mit Vorzügen -------------------------------- Mittwoch, 27. September 2006   Gelangweilt saß Matt am Morgen auf seinem Platz und folgte dem Unterrichtsgeschehen mehr oder weniger aufmerksam. Wieder einmal fragte er sich, wozu er das eigentlich alles brauchte. Mathe. Mit dieser dämlichen Integralrechnung würde er nie wieder etwas zu tun haben, wenn er erst einmal mit seiner Band durch Amerika tourte. Nie wieder würde ihn jemand fragen, ob er denn eine Kurvendiskussion durchführen oder Vektor x berechnen könnte. Er konnte es kaum erwarten, endlich die Schule und sein ganzes Leben hier in Japan hinter sich zu lassen und abzuhauen. „Matt?“ Nagisa neben ihm sah ihn erwartungsvoll an. „Was?“, brummte er, ohne aufzublicken. „Wann ist eigentlich eure nächste Bandprobe?“, fragte sie. Er runzelte die Stirn. Darüber dachte sie im Unterricht nach? Was ging nur in ihrem Kopf vor? „Morgen, warum?“, antwortete er. „Wäre es in Ordnung, wenn ich... naja, ich würde das echt gern mal miterleben. Wie die Probe so abläuft und...“ „Nope, keine Zuschauer“, unterbrach er sie und wandte seine Aufmerksamkeit wieder von ihr ab. „Wieso nicht?“, fragte sie enttäuscht. „Die Proben gehen keinen was an“, erklärte er einsilbig. „Na gut. Und was machst du am Wochenende?“ Mich betrinken und sehen, wohin das führt, dachte Matt. „Das Übliche“, antwortete er. „Ah ja. Wollen wir zusammen 'das Übliche' machen?“ Matt seufzte und stützte den Kopf auf der Hand ab. Was sollte das wieder? Sie hatte schon länger keine Annäherungsversuche mehr unternommen, sodass er schon gehofft hatte, sie hätte endlich aufgegeben. Doch anscheinend hatte sie nur eine Pause gemacht. „Ich werde ein Konzert geben und in irgendeinen Club gehen. Es steht dir frei, auf das Konzert zu gehen und den Club zu besuchen.“ „Hm“, machte Nagisa, sagte dann jedoch nichts mehr. Matt dachte nicht weiter über ihr seltsames Verhalten nach, sondern widmete sich wieder dem Unterrichtsgeschehen. _ Den ganzen Schultag über verspürte Yolei ein Kribbeln in der Magengegend. Heute war es soweit. Sie würde eine Art Date mit Ken haben. Er würde zu ihr kommen und sie würden gemeinsam essen und reden. Was, wenn sie etwas falsch machte? Sich daneben benahm? Ihn enttäuschte und er nach einer halben Stunde wieder ging? Es fiel ihr schwer, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Die ganze Zeit ging sie in Gedanken den kommenden Nachmittag durch und spielte gedanklich alle Vorfälle durch, die sich ereignen könnten. Gute und schlechte. Im besten Fall würde er sich wieder allein mit ihr treffen wollen. Vielleicht würden sie sich sogar küssen. Im schlechtesten Fall... nun, im schlechtesten Fall tauchte er gar nicht erst auf, weil er auf dem Weg zu Yolei eine Neue gefunden hatte. Sie schüttelte den Kopf und verscheuchte den Gedanken. Nein, nein, nein. Darüber wollte sie gar nicht erst nachdenken. Und wie wahrscheinlich war das denn schon? Als die Schulglocke ertönte, sprang sie auf, warf ihre Sachen in ihre Tasche und stürmte aus dem Raum, als würde sie verfolgt. _ „Mann, Mimi. Ich muss sagen, ich bin beeindruckt“, meinte Tai und hob anerkennend die Augenbrauen. „Du machst echt Fortschritte.“ „Danke“, sagte Mimi ein wenig geschmeichelt. Sie hatte heute viel weniger Probleme dabei gehabt, die Hausaufgaben gemeinsam mit ihm zu lösen. Normalerweise stellte sie sich immer ziemlich dumm an, doch die regelmäßige Nachhilfe trug nun wirklich Früchte. „Wenn du so weitermachst, können wir mit der Nachhilfe bald aufhören“, sagte Tai zufrieden. Erschrocken sah Mimi ihn an. Aufhören? Erstens glaubte sie nicht, dass sie schon gut genug in Mathe war, um ohne ihn klarzukommen, und zweitens hatte sie dann keinen Vorwand mehr, sich jede Woche einmal allein mit ihm zu treffen. Dabei machten ihr die Treffen, seit sie Gefühle für ihn hatte, wirklich Spaß und sie genoss seine Aufmerksamkeit. „Was guckst du so? Freust du dich nicht?“, fragte er verwirrt. „Doch, aber...“ Sie zögerte. „Aber was?“ „Nichts.“ „Na sag' schon.“ „Nein, alles okay.“ „Im Ernst, sag' schon.“ „Es ist nur... du kannst echt nett sein und ich verbringe gern Zeit mit dir“, murmelte sie und zupfte konzentriert an ihren Haarspitzen herum. Tai sagte erst gar nichts, dann prustete er los. „Was ist denn mit dir los? Bist du krank? Warum bist du gar nicht gemein?“ Sie sah ihn an, verzog aber keine Miene. Ihre Finger beschäftigten sich noch immer mit ihren Haarspitzen. „Okay, du machst mir Angst“, sagte Tai und sein Grinsen verblasste. Einen Augenblick schwiegen sie beide. Dann ergriff Tai wieder das Wort. „Sag' mal, bist du in mich verknallt, oder was?“ Schnell wandte Mimi sich ihrem Mathehefter zu und machte sich daran, ihn in ihre Tasche zu stopfen, nur um Tai nicht ansehen zu müssen. Sie spürte, dass sie knallrot anlief. „Sei nicht immer so von dir selbst überzeugt.“ „Das war kein Nein“, stellte er nüchtern fest. Mit zitternden Fingern schloss Mimi ihre Tasche. „Ich muss jetzt los. Es gibt gleich Abendessen bei uns zu Hause.“ Doch bevor sie aufstehen konnte, hatte Tai sie am Arm gepackt. „Alter? Würdest du mir mal eine Antwort geben?“ „Nenn' mich nicht 'Alter', okay?“, murrte sie. „Hast du dich nun in mich verknallt oder nicht?“, fragte er, ohne auf sie einzugehen. „Hör' auf, so blöde Fragen zu stellen“, erwiderte sie statt einer Antwort und machte sich von ihm los. „Das war immer noch kein Nein“, erinnerte er sie ungeduldig. Mimi schnappte sich ihre Tasche und sprang auf. „Mach's gut. Bis morgen.“ Sie stürmte aus dem Zimmer, durchquerte das Wohnzimmer mit offener Küche, wobei sie einer verwirrt dreinblickenden Yuuko Yagami einen Abschiedsgruß zurief, und gelangte zur Wohnungstür. Tai war ihr hinterhergeeilt. „Würdest du mir vielleicht mal antworten? Du machst mir echt Angst.“ Mimi seufzte und drehte sich zu ihm um. „Das spielt keine Rolle. Es ist völlig egal, okay? Vergiss das einfach wieder.“ Dann verließ sie die Wohnung und eilte durch den Hausflur davon. _ „Hä?“, machte Tai laut und schlug die Wohnungstür zu. „Boah, Frauen!“ Er ging zurück ins Wohnzimmer, wo seine Mutter gerade damit beschäftigt war, den Tisch zu decken. Sein Vater würde in den nächsten Minuten nach Hause kommen und sie hatten es sich angewöhnt, jeden Abend noch gemeinsam zu essen. Alles ihrer Ehe zuliebe. „Kannst du mir mal erklären, warum ihr Frauen so kompliziert seid?“, schnauzte er seine Mutter an. Sie hob eine Augenbraue und sah ihn schief an. „Was war denn?“ „Wenn ich die Antwort auf diese Frage wüsste, könnte ich alle Frauen dieser Welt haben“, grummelte Tai und ließ sich der Länge nach aufs Sofa fallen. „Aber du hast doch Sora“, erwiderte seine Mutter verständnislos. „Apropos, gehst du heute noch zu ihr?“ „Ja, ich hole sie nachher von der Arbeit ab und dann gehen wir zu ihr.“ Und nicht nur das. Er würde sie zum Essen einladen, doch davon wusste sie noch nichts. Es sollte eine Überraschung werden. Eine kleine Freude nach ihrer anstrengenden Arbeit. Er streckte sich aus und legte die Beine auf der Rückenlehne ab. „Okay. Bestell' ihr schöne Grüße.“ „Jaja“, murmelte Tai. „Ach und...“, langsam kam Yuuko zu ihm und sah ihn an, „hast du eine Ahnung, was mit deiner Schwester los ist?“ „Kari? Nö, wieso?“, erwiderte Tai desinteressiert. „Naja, sie benimmt sich ganz schön komisch. Hat kaum was gegessen in den letzten Tagen. Sitzt allein in ihrem Zimmer herum und starrt die Wand an. Aber wenn ich sie frage, sagt sie, alles in Ordnung“, erklärte Yuuko ratlos. Tai erwiderte den Blick seiner Mutter und hob eine Augenbraue. Ja, die arme Kari war unglücklich verliebt, aber das würde er seiner Mutter jetzt nicht erzählen. Das würde sie sicher nicht wollen. Tai würde ihr wirklich gern helfen, aber er konnte T.K. schlecht dazu zwingen, sich auf eine Beziehung mit seiner Schwester einzulassen. Er wäre neutral betrachtet sicher eine gute Partie, aber irgendwie war es ihm lieber, dass Kari Single war. Sie war noch viel zu jung, um einen Freund zu haben. Damit konnte sie sich noch mindestens vier Jahre Zeit lassen. Oder besser zehn. „Keine Ahnung. Die kriegt sich schon wieder ein“, murmelte Tai scheinbar gleichgültig. _ Ken holte tief Luft, bevor er auf den Klingelknopf drückte. Es dauerte nur eine Sekunde, bis die Tür geöffnet wurde und Yolei erschien. „Hi!“, begrüßte sie ihn und sprang zur Seite. „Komm' rein.“ Er lächelte, bedankte sich und folgte ihr dann quer durch die Wohnung auf dem Weg in ihr Zimmer. Unterwegs lief er einer ihrer Schwestern über den Weg – er hatte vergessen welche – und wurde heimlich gemustert. Er grüßte nur höflich, worauf diese grinste. „Hau ab“, hörte er Yolei zischen, dann waren sie in ihrem Zimmer angekommen. „Ähm also... setz' dich einfach, okay? Ich gehe das Essen holen“, sagte sie und deutete auf ihren Schreibtischstuhl. „Ich hoffe, du hast viel Hunger mitgebracht.“ „Das habe ich. Komme gerade vom Training“, erwiderte Ken. Yolei verschwand aus dem Zimmer und ließ ihn für ein paar Minuten allein. Ken sah sich in ihrem Zimmer um. Es wirkte sehr ordentlich und sauber. Auf der Bettwäsche war keine Falte zu sehen, die Schränke waren vom Staub befreit und nichts lag ungenutzt herum. Ob sie extra für ihn aufgeräumt hatte? Das brachte ihn zu seiner eigentlichen Frage zurück, die er sich seit Samstag stellte. Warum war er hier? War das eine Art Date oder einfach nur ein Treffen unter Freunden? Er sah es mehr als Treffen unter Freunden, aber er hatte keine Ahnung, wie Yolei das sah. Sie kam mit zwei Tellern zurück und drückte Ken einen davon in die Hand. Er stellte diesen auf seinem Schoß ab und betrachtete sein Gericht. „Das ist eine Pizza mit Meeresfrüchten. Haben wir letzte Woche gehabt“, erklärte Yolei stolz. „Alles selbst gemacht. Also naja, ich habe die Meeresfrüchte natürlich nicht selbst gefangen oder so, aber das ist ja klar.“ Sie lachte nervös, sodass auch Ken amüsiert lächeln musste. „Riecht verdammt lecker“, kommentierte er. „Dann lass' es dir schmecken. Guten Appetit.“ _ „Hallo, mein Lieblings-Workaholic“, hörte sie Tais Stimme durch Nami's Café hallen. „Ah, du kommst gerade richtig. Ich war gerade dabei, die Lichter auszumachen“, sagte Sora lächelnd und ließ sich von ihm einen Kuss auf die Lippen drücken. „Timing ist mein zweiter Vorname“, erwiderte Tai zwinkernd. Sora schaltete die Lichter aus und verließ dann gemeinsam mit Tai das Café. „Mann, ich kann es gar nicht warten, endlich nach Hause zu kommen. Ich bin total erledigt“, seufzte Sora und rieb sich die Augen. „Naja“, machte Tai zögerlich und sie sah ihn fragend an. „Ich habe da noch einen kleinen Anschlag.“ „Was?“, fragte sie verwirrt. „Wir gehen noch nicht nach Hause. Wir gehen jetzt essen. Du und ich“, verkündete er und lächelte breit. „Und ich weiß auch schon, wo. Da drüben hat nämlich ein neues Restaurant aufgemacht, das soll gut sein und ich dachte mir...“ „Warte mal“, unterbrach Sora ihn und blieb stehen. „Was ist?“ „Ich... möchte wirklich einfach nur nach Hause“, murmelte sie. „Ja, kann ich verstehen. Aber du musst auch was essen. Und ich bin sicher, du findest da drüben was Tolles“, erwiderte er noch immer lächelnd. „Nein. Tut mir Leid. Ich bin total müde, weißt du? Ich will einfach nur nach Hause und ins Bett gehen. Wenn wir jetzt noch essen gehen, bin ich erst eine Stunde später im Bett. Aber ich brauche Schlaf. Ich habe den ganzen Abend und Nachmittag gearbeitet und... und...“ „Sora, was hast du heute gegessen?“, fragte er und musterte sie gespielt streng. „Ich hab'... sag' mal, bist du neuerdings mein Ernährungsberater?“ Sie war allmählich ein wenig genervt. Wieso konnte Tai sie nicht einfach nach Hause gehen lassen? Alles, was sie wollte, war eine heiße Dusche und ein Bett. „Ich mach' mir nur Sorgen, klar? Ich will nicht, dass du vom Fleisch fällst. Also gehen wir jetzt gemeinsam in das Restaurant und...“ Er hatte nach ihrer Hand gegriffen, doch Sora hatte sich von ihm losgemacht. „Tai! Ich mein's ernst! Ich will jetzt nicht essen gehen, okay?“, fuhr sie ihn an. Sein Lächeln verblasste und es dauerte einige Sekunden, ehe er antwortete. „Klar.“ Sie seufzte resigniert. „Tut mir Leid, aber...“ „Schon okay.“ Er zuckte mit den Schultern, dann machten sie sich endlich auf den Weg nach Hause. Unterwegs führten sie belanglose Gespräche, in denen Sora von ein paar Gästen erzählte und Tai ihr berichtete, dass Mimi in Mathe besser wurde. Dann kamen sie in Soras Wohnung an, wo diese sofort im Badezimmer verschwand. Sie ließ sich viel Zeit mit dem Duschen. Das war stets der Lieblingsteil ihres Tags: den Dreck abwaschen. Alles wegwaschen, was sie genervt, gestört oder traurig gemacht hatte. Leider half es nur bedingt. Sie putzte sich die Zähne, schlüpfte in ihren Pyjama und kroch in ihr Bett. Als sie sich in die weichen Kissen lehnte und die Augen schloss, spürte sie, dass sie sich endlich ein wenig entspannte. Sie wartete darauf, dass Tai ihre Nachttischlampe ausknipste, doch er tat es nicht. Stattdessen spürte sie plötzlich seine Lippen auf ihren. Zögerlich erwiderte sie seinen Kuss, wollte ihn dann jedoch lösen, um zu schlafen. Tai hingegen schien andere Pläne zu haben. Er vertiefte den Kuss, ließ nicht locker. Sie spürte eine Hand über ihren Oberkörper wandern und sanft ihre Brust streicheln. Sie griff nach seinem Handgelenk und brachte ihn somit dazu, innezuhalten. Die Augen ließ sie jedoch geschlossen. „Ich möchte einfach nur schlafen, okay?“ Sie hörte Tai leise seufzen, doch schließlich knipste er das Licht aus und zog die Decke über sich. _ „Ich glaube, ich werde mich nie wieder bewegen können“, murmelte Ken und hielt sich den Bauch mit einer Hand. Nach der Pizza hatte es zum Nachtisch noch selbstgemachten Reispudding mit Früchten gegeben. „Und ich hoffe, es ist okay, wenn ich dich als meine persönliche Köchin engagiere?“ Yolei kicherte verlegen. Auch sie fühlte sich viel zu vollgestopft, um auch nur von ihrem Bett aufzustehen. „Kommt drauf an, was du zahlst.“ „Hm... da muss ich leider passen. Bin meistens ziemlich blank“, gestand er schief lächelnd. „Ich nehme auch Gefälligkeiten als Bezahlung an“, platzte Yolei vielsagend grinsend heraus, bis ihr klar wurde, was sie da gerade gesagt hatte. Sie riss die Augen auf und lief rot an. „Ähm...“, machte Ken, „ich könnte dich ja ins Kino einladen? Was hältst du davon?“ „Oh“, machte Yolei. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte eher erwartet, er würde nun gehen und ihren Vorschlag seltsam finden. „Hm, ich glaube, darauf könnte ich mich unter Umständen einlassen.“ Er nickte und lächelte. „Vielleicht am Samstag? Was hältst du davon?“ Yolei dachte kurz nach. Samstag war sie im Laden eingeteilt. Das würde sie schon irgendwie auf ihre Schwester abwälzen können. „Ja, klar, ich habe Zeit. Und was wollen wir uns ansehen?“ „Wie wäre es mit Nachts im Museum? Der soll gut sein“, schlug Ken schulterzuckend vor. „Klar, bin dabei“, antwortete Yolei, obwohl sie von dem Film noch nie etwas gehört hatte. Hauptsache, Ken war dabei. Sie konnte es nicht glauben, dass sie nun anscheinend ein offizielles Date mit ihm hatte. _ Was um Himmels willen hatte sie sich nur dabei gedacht, vor Tai so einen Mist zu reden? Nun konnte er sich denken, was passiert war. Nicht nur, dass er jetzt wusste, dass sie mehr Gefühle für ihn hatte, als ihnen beiden lieb war, sondern auch, dass er mit seiner dämlichen Vermutung, sie würde sich in ihn verlieben, Recht behalten hatte. Diesen Triumph wollte sie ihm nicht gönnen. Und ihre Zuneigung erst recht nicht. Nur noch sechs Monate, dann bist du hier wieder weg, Mimi. Dann kannst du das blöde Japan und den noch viel blöderen Tai einfach wieder vergessen und so tun, als wäre nie etwas gewesen. Wie sollte sie ihm denn nun am nächsten Tag überhaupt begegnen? Sie würde ihm nie wieder in die Augen sehen können. Wütend auf sich selbst lag Mimi in ihrem Bett und starrte die Zimmerdecke an. Dabei sollte sie lieber endlich schlafen gehen. Sonst würde sie bald solche Augenringe haben wie Sora. Für einen Moment dachte sie darüber nach, die Beziehung zwischen Tai und Sora einfach wieder zu zerstören, scheuchte diesen Gedanken jedoch mit einem Kopfschütteln fort. Nein, das konnte sie weder Sora noch Tai antun. Doch wenn sie die beiden beobachtete, hatte sie den Eindruck, Sora wäre nicht zu hundert Prozent zufrieden mit der Beziehung. Es wirkte, als würde er sie mehr lieben als sie ihn. Nein, nein. Das ging Mimi nichts an. Sie würde sich von jetzt an da raushalten. Sie hatte ihren Soll erfüllt und gehalten, was sie versprochen hatte. Dass sie jetzt Gefühle für Tai hatte, war ihre eigene Schuld. Nun musste sie damit leben. Das Vibrieren ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Sie schnappte es von ihrem Kopfkissen und öffnete die SMS. Sie hatte ein wenig auf eine SMS von Tai gehofft, auch wenn sie sich eingestehen musste, dass er keinen Grund hatte, ihr zu schreiben. Jedoch war die SMS von Matt. Wochenende Magnet? Sie seufzte. Das war typisch Matt. Nur das Nötigste schreiben. Jedes überflüssige Wort war Zeitverschwendung. Wie konnte so jemand nur so gute Lieder texten? Seit die Affäre zwischen ihnen Anfang September begonnen hatte, hatten sie sich jedes Wochenende zum Feiern und Trinken in einem Nachtclub getroffen und waren hinterher in sein schäbiges Motel gegangen, um lieblosen aber leidenschaftlichen Sex zu haben, der ihnen beiden irgendwie half. Mimi war dabei durchaus bewusst, dass sie für ihn nur eine Lückenbüßerin war. Ein Trost, um über die Demütigung mit Sora hinwegzukommen, die seinen Stolz aber auch sein Herz in Mitleidenschaft gezogen hatte. Er hatte bisher nicht darüber reden wollen. Sie hatten geredet, jedoch nur über banale Dinge. Für Mimi wiederum war Matt auch nur eine willkommene Ablenkung von Tai, um ihre verwirrenden Gefühle zu vergessen. Sie nutzten sich also gegenseitig aus, aber das war in Ordnung. Es war wie eine Synthese. Es durfte nur niemand dahinterkommen. _ Warum brauchte dieses Mädchen denn jetzt so lang, um auf eine einfache SMS zu antworten? Sonst saß sie doch praktisch auf ihrem Handy. Matt lag in seinem Bett, starrte in die Dunkelheit und wartete auf das Vibrieren seines Handys. Mimi nervte ihn, auch wenn sie momentan tatsächlich so etwas wie Freunde waren. Freunde mit gewissen Vorzügen. Nichtsdestotrotz war sie jedoch immer noch Mimi mit all ihren Macken und Eigenheiten. Inklusive Prinzessinnengehabe. Sora jedoch nervte ihn im Moment noch mehr. Sie wollte einfach nicht aus seinem Kopf verschwinden, obwohl sie nun schon seit einem Monat mit Tai zusammen war. Matt hatte verloren. Das war gut so. Objektiv betrachtet war Tai ohnehin ein besserer Freund als er und außerdem hatte er zuerst ein Auge auf Sora geworfen. Die beiden gehörten zusammen, das wusste Matt. Dennoch nervte es ihn ungemein, dass er ausgerechnet in Sora verliebt war. Es war das erste Mal überhaupt, dass er für jemanden solche Gefühle empfand und dann sowas. Warum konnte er diese verdammten Gefühle nicht einfach abschalten und wieder in sein altes Leben zurückkehren, indem es noch sie drei als unzertrennliches Trio gab? Er vermisste diese Zeiten. Er würde es sogar in Kauf nehmen, das fünfte Rad am Wagen zu sein, indem er Zeit allein mit einem Pärchen verbrachte, denn er wusste, dass Tai und Sora Rücksicht auf ihn nehmen würden. Doch nach allem, was passiert war, war das nicht mehr möglich. Tai hielt ihn für den größten Arsch überhaupt, obwohl er jetzt das Mädchen bekommen hatte. Ihre Beziehung hatte sich bis jetzt nicht gebessert. Und er selbst wusste nicht, was er von Sora denken sollte. Ja, sie hatte ihn verletzt, indem sie ihm erst wochenlang Hoffnungen gemacht und sich am Ende plötzlich doch für Tai entschieden hatte. Er war enttäuscht gewesen, auch wenn er insgeheim von Anfang an gewusst hatte, dass er nicht mit ihr zusammen sein konnte. Nicht auf diese Art. Und trotzdem war er noch immer in sie verliebt. Er raufte sich die Haare. Warum nur hatten Frauen so eine Auswirkung auf Männer? Warum konnten sie sie einfach um den Finger wickeln mit ihrem Aussehen und ihrem Gehabe? Warum konnten nicht einfach alle Männer und Frauen nur miteinander schlafen, ohne Gefühle? Liebe war doch völlig sinnlos und wahrscheinlich noch nicht einmal existent. Vielleicht war sie nur eine verdammte Einbildung. Sein Handy vibrierte und leuchtete auf, sodass er danach griff. Mimi hatte endlich geantwortet. Ja, geht klar. Gute Nacht Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)