Die Karten legt das Schicksal von Strichi ================================================================================ Kapitel 18: Die Karten die das Schicksal uns zuschob ---------------------------------------------------- Madeline malte ihr Bild am Küchentisch zu Ende und ich rief in dieser Zeit Phil an. Ich wollte schließlich nicht, dass er sich Sorgen machte. Und so, wie er am Telefon klang, hatte er sich diese durchaus gemacht. Während wir redeten, verließ ich das Zimmer und verschwand in mein Schlafzimmer. Madeline selbst schien viel zu vertieft in ihr Bild zu sein. Ehrlich berichtete ich in kurzen und knappen Sätzen was geschehen war. Zu lange wollte ich mich auch nicht hier oben im Schlafzimmer verschanzen. Ich erzählte von Brian und wie er Madeline Angst gemacht hatte und ich erzählte von meinem Fehler mit Paul. Phil war sehr sauer darauf, was Brian gemacht hatte. Dies könne man schließlich nicht machen. Sofort fragte er nach Maddy und ich sagte ihm, dass ich nicht genau abzuschätzen wusste, wie sie diese beängstigende Situation verkraftet hatte. „Ich muss schauen, immer wenn ich glaube, dass sie das vergessen hat kommt wieder was. Heute auch schon wieder. Sie hat ihm Kindergarten davon gesprochen, dass sie ohne mich umzieht“, erklärte ich genervt und setzte mich auf das Bett. Mein Blick glitt über die Tür zum Badezimmer und blieb an meinen Schränken hängen. Etwas Wäsche lag herum, doch ich hatte gerade keine Lust diese wegzuräumen. Ich merkte, dass ich mich selbst ablenkte und schnell fokussierte ich mich wieder auf das Gespräch mit meinem besten Freund. Ich wollte nicht mehr über belastendes Reden und so sprach ich einfach weiter und berichtete von Paul. „Aber weißt du was! Gestern war tatsächlich Paul hier“, sagte ich schnell und blickte auf die Uhr, denn jeden Augenblick konnte es schon an der Tür klingeln, „Und er will es wirklich versuchen. Kannst du dir das vorstellen? Ich meine, er hat gestern auch schon Madeline kennen gelernt und will heute für uns kochen! Er scheint wirklich vernünftig zu sein.“ Überrascht klang Phil und meinte ehrlich: „Ich hoffe wirklich, dass du Glück hast und dir das Schicksal nicht wieder so böse in die Karten spielt. Aber wenn er sich mit den Gedanken anfreunden kann, dann ist das doch ein gutes Zeichen!“ Zustimmend grummelte ich und als ich es an der Tür klingeln hörte, meinte ich: „Paul ist jetzt gekommen. Ich leg mal auf. Du brauchst dir also keine Sorgen mehr zu machen. Sag mir nur noch schnell, wie geht es Sarah und dem Baby?“ Ich verließ das Schlafzimmer, denn Madeline hatte ich verboten die Tür zu öffnen, wenn es klingelte. Neugierig stand sie bereits im Flur und rief mir zu, dass es geklingelt habe. Schnell nickte ich ihr zu, doch ich wollte hören, was Phil sagte. „Gut. Das Baby ist jetzt schon 45 Zentimeter groß. Jetzt kann soweit nichts mehr passieren“, meinte Phil und der Stolz klang aus seiner Stimme deutlich mit. Ich öffnete die Tür, winkte Paul und wedelte kurz mit dem Handy am Ohr. Natürlich verstand er sofort. Leicht nickend kam er rein und hob die Beutel hoch, um mir zu zeigen, dass er an den Einkauf gedacht hatte. Zufrieden grinste ich und ließ ihn zur Seite treten. Ich schloss die Tür hinter ihm und deutete Paul an, dass er die Einkäufe reinbringen sollte. „Das ist klasse Phil. Dann kann ja nichts mehr schief gehen. Wenn sich was tut, dann sag Bescheid, okay? Und wenn es drei Uhr morgens ist.“ In Ruhe verabschiedete ich mich von Phil und legte auf. Ich folgte den Stimmen und fand Paul gemeinsam mit Madeline in der Küche wieder. „Paul sagt, dass sein Postbote ihm keine Lebensmittel bringt“, meinte sie und grinste mich fröhlich an. Leise lachte ich und zuckte mit den Schultern, als ich zu Maddy sagte: „Siehst du mal, unser schon.“ Überrascht sah mich der Polizist an und fragte: „Wie kann man nur Lebensmittel über das Internet bestellen?“ Wie häufig hatte ich zu Beginn schon diese Frage beantworten müssen? Wissen tat ich es längst nicht mehr. Ich grinste leicht, während ich antwortete: „Na ja, das liegt daran, dass ich so etwas Zeit sparen kann. Aber alles bestell ich darüber auch nicht. Frisches Fleisch schaue ich mir schon gerne vorher an. Hab du mal ein Kind, dann weißt du, wie kostbar Zeit ist.“ Grinsend betrachtete mich Paul und zuckte gelassen mit den Schultern. „Möglich“, sinnierte er gelassen und schmunzelte mich freundlich an. Neugierig betrachtete Madeline die Einkaufstaschen und fragte neugierig: „Was willst du heute kochen?“ Ich sah wie er frisches Gemüse rausholte und er erklärte gut gelaunt: „Ich mache eine Gemüsesuppe.“ Madeline verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf über das was Paul sagte. „Das mag ich nicht“, meinte sie und schüttelte erneut ihren brauen Schopf. Eine Hand auf ihren Kopf legend strich ich ihr sanft durch die braunen Haare, während ich wiedersprach: „Das weißt du doch gar nicht. Du wirst sie auf jeden Fall probieren.“ Unglücklich schauten mich die grünen Augen meiner Tochter an. „Ich will aber nicht“, meinte sie und zog eine Schnute, die mich grinsen ließ. Gelassen zuckte ich mit den Schultern und sagte ruhig: „Du wirst aber. Oder du gehst mal hungrig ins Bett.“ Böse funkelte sie mich an und schaute dann hinauf zu Paul. „Das darf Papa doch gar nicht. Das ist verboten!“, beschwerte sie sich und grummelte vor sich hin. Innerlich lachte ich laut auf, als Paul ihr einfach sagte, dass ich dies als Vater dürfte. Entsetzten zeichnete sich auf dem Gesicht meiner Tochter ab, als sie zwischen uns hin und her blickte. „Eigentlich wollte ich dir ja das Bild schenken, was ich gerade male, aber das bekommst du jetzt doch nicht!“, meinte sie und nahm ihr Bild vom Tisch und rannte, so schnell es ihre Beine erlaubten hinauf. Leise vor mich hin kichernd meinte ich zu Paul: „Oh. Das tut mir aber Leid für dich.... Muss ich dir eigentlich helfen?“ Grinsend nickte Paul und reichte mir etwas Gemüse, welches ich putzen sollte. Unzufrieden seufzte ich und bereitete mit ihm das Essen zu. Ich selbst war auch nicht gerade begeistert von dem was er auftischen wollte. So viel Gemüse war nun auch nicht meins, doch ich wollte Madeline nicht noch einen Grund geben, das Essen nicht zu probieren. Es war eine angenehme Stille, welche sich zwischen uns ausbreitete. Ich war froh, dass er wirklich hier war und ich einen erwachsenen Gesprächspartner hatte, der mich einfach verstehen konnte. Meine Gedanken kreisten und landeten bei dem, was ich heute erleben durfte. Auf das Gemüse blickend, begann ich nach einem Moment zu sprechen: „Das Gespräch heute im Jugendamt war irgendwie… Ich weiß auch nicht. Sie will, dass ich mich mit Brian zusammensetze und das mit ihr zusammen bespreche. Ich habe darauf aber eigentlich keine Lust. Sie will das Madeline hier bleibt, aber Brian Umgang bekommt. So habe ich es jedenfalls verstanden. Und irgendwas mit einer Therapie.“ Ich schaute nicht auf, doch ich wusste, dass Paul mich betrachtete. Den Blick auf meinem Körper konnte ich deutlich spüren. „Hm“, kam es von Paul nachdenklich und nach einem Augenblick sagte er: „Vielleicht ist es auch gar nicht so verkehrt. Ich meine, auch andere Väter hauen mal ab. Versteh mich nicht falsch, das ist einfach Scheiße, aber auch bei denen gibt es dann welche, die es ernst meinen, wenn sie wieder auftauchen. Vielleicht gehört Brian ja dazu.“ Das Gesicht verziehend blickte ich von dem Gemüse hinauf in sein Gesicht. Ich wollte so etwas nicht hören und besonders nicht von diesen Menschen. Er sollte auf meiner Seite sein und nicht rational denken. Mir war bewusst, dass er dies aus einem gänzlich anderen Blickwinkel betrachtete als ich. Doch ich wollte nicht reflektiert darauf schauen, dazu war ich auch einfach nicht in der Lage. „Er ist einfach verschwunden und sie hat einen Vater“, meinte ich ausweichen und verzog meine Lippen, vermutlich sah ich aus wie meine Tochter wenn sie schmollte. „Ach Richie“, meinte Paul und ich war überrascht als ich plötzlich seine Hand auf meinem Rücken spürte. Mir war gar nicht aufgefallen, dass er auf mich zugegangen war, zu sehr war ich mit meinen Gedanken ganz woanders. „Du wirst immer etwas mit diesem Menschen zu tun haben, ob du es willst oder nicht. Nur, weil du schwul bist ist er immer noch der Vater deiner Tochter. Ihr seid beide gleichermaßen Eltern“, sagte er ziemlich ruhig und ich hasste es fast schon, dass er so besonnen an die Sache heranging. Ob ich das irgendwann auch könnte, bezweifelte ich stark. Ich spürte, dass mein Verstand ihm zustimmte, doch mein Herz war gänzlich anderer Meinung. Ich hasste diesen Zwiespalt in mir und mir war bewusst, dass ich diesen so schnell nicht ablegen würde und auch nicht konnte. „Nenn mich nicht Richie“, raunte ich stattdessen und schnitt das Gemüse in Stücken. Immer noch spürte ich seine Hand auf meinem Rücken und ich zuckte zusammen, als er mich plötzlich in die Seite piekste. „Richard“, raunte er in mein Ohr und gab mir einen kratzigen Kuss auf die Wange. „Komm schon, was wäre so schlimm? Du hättest dann vielleicht auch mehr Freizeit und ist es nicht gut, dass er Interesse hat? Meine Physiotherapeutin hat mir erzählt, dass ihr Verlobter ein Kind hat, welches er nicht sehen darf. So, wie ich es verstanden habe, erlaubt die Mutter nicht, dass er das Kind sieht. Da sieht man mal, dass es auch andersrum so sein kann. Ich bin der Meinung, dass Kinder beide Elternteile brauchen, auch wenn es zwei Väter sind.“ Ich konnte einfach nicht wiederstehen und lehnte mich an den Mann, sein Geruch zog in meine Nase und zufrieden seufzte ich auf. Wie sehr es mich doch beruhigte, dass er da war. Es tat einfach gut, dass er gerade bei mir war und auch wenn ich es eigentlich nicht wollte, zwang er mich dazu die Angelegenheit rationaler zu betrachten. Es war schwer, denn zu sehr schrie der gekränkte Teil in meinem Inneren. „Ich bin einfach noch sehr verletzt“, sagte ich ehrlicher als ich es eigentlich wollte. Ich spürte unbarmherzig, dass ich die Trennung und den Schmerz den Brian hinterlassen hatte nicht einfach so verdrängen konnte, wie ich es mir gewünscht hatte. Ich wünschte, ich würde damit „cooler“ umgehen, gelassener und mir nicht vorkommen wie ein aggressives Tier. Doch genau das war ich gerade. Ein aggressives und verletztes Tier und die waren bekannter weise sehr gefährlich, wenn man sie in eine Ecke drängte. Doch Paul brachte mich dazu eine andere Perspektive einzunehmen. Zwang mich reflektierter zu sein. Ob Madeline davon profitieren konnten, dass wusste ich selbst nicht einzuschätzen. Tief durchatmend zwang ich meinen Kopf zu einem Nicken. „Ja. Ich versuche es“, meinte ich und schnitt weiter das dämliche Gemüse. „Ich will es einfach nur richtig machen“, raunte ich und seufzte schwer. Was Richtig in diesem Augenblick bedeutete, hätte ich selbst nicht definieren können. „Das ist total albern, Richard“, hörte ich den Polizisten hinter mir sprechen und als ich mich umdrehte, sah ich, wie er sich am Küchentresen anlehnte und seine Gesichtszüge sich leicht verzogen hatten. Noch bevor ich fragen konnte, was er hatte, sprach er weiter mit seiner angenehmen Stimme: „Niemand kann alles richtig machen, auch du nicht. Woher willst du wissen, dass du das richtige tust, wenn du sie nicht zu ihrem Vater gehen lassen würdest? Du glaubst jetzt das Richtige zu tun und was ist, wenn sie in… sagen wir mal 10 oder 20 Jahren deswegen sehr sauer auf dich ist? Wenn sie dir dann vorwirft, sie hätte gerne beide kennen gelernt? Dann hast du heute den Fehler gemacht. Wenn du sie nun zu ihm lässt und er verschwindet wieder, ist das natürlich auch scheiße, aber du kannst hinterher immer sagen, ich wollte dir immer ermöglichen beide Väter kennen zu lernen. Du warst dann immer da und hast dich als Konstante gezeigt. Natürlich kann das auch nach hinten losgehen, aber wirklich Richard, das Leben ist keine Glaskugel wo man reinschauen kann. Schau dir mich an, dass Schicksal kann dir immer wieder scheiß Karten zu spielen. Ich verstehe, dass du sauer bist auf deinen Ex, aber lass das nicht dein Kind ausbaden. Und das Argument, dass deine Tochter bereits einen Vater hat, ist in deinem Fall hinfällig. Ihr habt euch als schwules Paar für eine Familie entschieden. Dann müsstet du ja auch irgendwann der Meinung sein, dass Madeline eine Mutter braucht.“ Überrascht sah ich ihn an und wusste im ersten Augenblick nichts zu sagen. Nie hatte jemand so etwas zu mir gesagt. Immer waren die Menschen auf meiner Seite gewesen und haben verstanden, weswegen ich es nicht wollte, dass Madeline Kontakt zu Brian hatte. So anders hatte es mir noch nie jemand vor dem Kopf geknallt. Ich schluckte und war tatsächlich im ersten Augenblick sauer auf Paul. Zornig presste ich meine Lippen aufeinander und meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Als Paul erneut auf mich zukam war ich überrascht, als mich der Mann einfach in seine Arme zog. Fest war die Umarmung und beruhigend sprach er weiter: „Ich bin nicht auf der Seite deines Ex-Mannes. Den kenne ich nicht mal, ich habe nur Sorgen, dass du in all deiner Wut doch Madeline aus den Augen verlierst.“ Ich schluckte, denn auch wenn ich es nicht zugeben wollte, waren seine Worte nicht falsch. Er hatte Recht, leider. Ich lehnte meinen Kopf auf seiner Schulter und als ich gerade etwas sagen wollte, hörten wir auf der Treppe wieder Madeline. Schweren Herzens drückte ich Paul weg von mir und ein leichtes und vielleicht auch wehmütiges Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. „Danke“, sagte ich nur und ich war wahrlich dankbar, dass er mir gerade den Kopf zurecht gerückt hatte. Hart hatte er mich aus meinen immer währenden kreisenden Gedanken gerissen und nie hatte ich das Gefühl gehabt, dass meine Wahrnehmung auch falsch sein könne. Doch ich musste eine Nacht darüber schlafen, auch wenn Pauls Worte nicht verkehrt klangen, wollte ich dennoch etwas über sie nachdenken. Wir sahen Madeline in die Küchenzeile kommen und immer noch sah sie uns mürrisch an. „Mir ist langweilig“, meckerte sie und blickte mich erwartungsvoll an. Unschlüssig sah ich sie an und nach einem Augenblick fragte ich: „Willst du mithelfen beim Schneiden? Aber nur wenn du aufpasst.“ Überrascht sah sie mich an, denn eigentlich hatte ich ihr dies noch nie erlaubt. Sie nickte leicht und ich meinte zu ihr, dass sie sich an den Tisch setzen solle. „Ich bin dann mal bei ihr“, sagte ich zu Paul und er grinste mich freundlich an. „Mach das… schneidet doch schon mal den Speck. Möhren und Kohlrabi sind so hart. Nachher verletzt sie sich“, meinte er und schmiss mir die Packung entgegen. Gekonnt fing ich sie auf und ein dankbares und ehrliches Lächeln erschien auf meinem Gesicht, als wir einander anblickten. Ein warmes Lächeln zierte das Gesicht des Mannes und ließ mein Herz kurz höher schlagen. Er schaffte es, dass ich mich wieder sehr jung fühlte. Frech zwinkerte ich ihm zu und wandte mich zu meiner Tochter. Ich setzte mich zu Maddy an den Küchentisch und gab ihr ein kleines scharfes Messer. „Pass auf, sonst schneidest du dich“, meinte ich und war überrascht, wie achtsam sie mit dem Schneidemesser umging. Ihr Ärger schien vergessen und sie nickte mir nur leicht zu. Vorsichtig versuchte sie den Speck zu schneiden. Ich setzte mich neben sie und blickte ihr dabei zu. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hatte ich schon Angst um ihre Finger. „Das geht total schwer wegen der Fäden“, beschwerte sie sich, da Fettfäden die Stücke immer wieder zusammen hielten, „Warte, Ich hab ne Idee“, meinte sie und sprang vom Stuhl auf und lief in die Küche. Ich war neugierig und sagte nichts dazu, denn ich wollte wissen, was meine Tochter holte. Mit der Küchenschere in der Hand kam sie wieder und ein breites Grinsen erschien auf meinem Gesicht. „Damit kann man die Fäden zerschneiden“, sagte sie und akribisch begann sie die Speckstückchen auseinander zu schneiden. Ich lachte auf und grinste sie breit an und meinte, dass sie sehr kreativ sei. Auch Paul kam zum Küchentisch und lachte leise, als er Madeline beobachtete. Ich bemerkte, wie Stolz meine Tochter wurde und sich auch auf dem Stuhl gerade hinsetzte. „Seht ihr. So macht man das“, sagte sie und klang unheimlich zufrieden. „Gut gemacht, Mäuschen“, meinte ich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Auch Paul sagte, dass er selbst nicht auf die Idee gekommen wäre. Wie stolz Madeline war, ließ sich kaum in Worte fassen und nach dem Speck wollte sie weitere Sachen schneiden. Sie gab die Küchenschere nicht mehr her und versuchte bereits geviertelte Kartoffeln in gleichgroße Stücke zu schneiden. Was nicht so gut funktionierte. Als Madeline dann noch das Gemüse in den Topf werfen durfte, freute sie sich ungemein darüber. Das Essen köchelte vor sich und gut gelaunt spielte Madeline etwas mit dem Stoffpferd auf dem Sofa herum. Ich räumte gerade die Spülmaschine ein, als mir erneut auffiel, dass Paul schmerzvoll das Gesicht verzog. „Was ist los?“, fragte ich leise und als er leise „Bein“, murmelte verstand ich. Man konnte es so leicht vergessen, dass er diese Behinderung hatte. Man sah sie ihm schließlich nicht an. Betrübt blickte ich ihn an und fragte: „Willst du vielleicht die Prothese ausziehen?“ Immer noch verzog er leicht das Gesicht und sein Blick huschte zu meiner Tochter. Sie redete gerade mit dem Pony und schien vollkommen in ihrer Fantasiewelt abzutauchen. „Ich will ihr keine Angst machen“, nuschelte er und strich sich über seinen Oberschenkel, „Ich nehme einfach ein paar Schmerzmittel.“ Schon häufiger war mir aufgefallen, dass er diese regelmäßiger nahm. Gut war das sicher nicht, doch ich war kein Arzt. „So toll ist das aber nicht“, meinte ich langsam und ging besorgt etwas auf ihn zu. Gereizter als ich annahm fuhr er mich leise an: „Was soll ich sonst machen? Die Schmerzen gehen nicht einfach weg!“ Sofort blickte er mich entschuldigend an und raunte: „Tut mir leid… Es ist nur einfach so frustrierend, ständig Schmerzen zu haben und nichts dagegen tun zu können.“ Kurz blickte ich zu Madeline, doch noch immer schien sie in ihrer Welt zu sein und ich griff leicht nach Pauls Hand, denn er war nicht alleine und das sollte er verstehen. Seine Hand war kühler als ich annahm und kalter Schweiß war auf seinen Handflächen. Ich glaubte, dass er gerade unheimlich Schmerzen hatte. Doch sicher konnte ich mir nicht sein. Ich strich über seinen Handrücken und drückte die kalte Hand. „Setzt dich auf die Couch. Entlaste das Bein und ich steh hier weiter rum… Im Topf herumrühren bekomme ich noch hin. Nimm einfach nicht so viele Schmerzmittel und wenn du Madeline erklärst was los ist, wird sie sich davor auch nicht erschrecken“, flüsterte ich ihm leise zu und konnte nicht wiederstehen leicht über seine Wange zu streichen. Sein Bart kitzelte leicht und ich mochte dieses angenehme Gefühl sehr gerne unter meinen Händen. Unsere Blicke trafen sich und ich sah, wie sich der verhärtete Zug um seine Augen löste. Seine Augenglitt über mein Gesicht und ein leichtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Der harte und verkrampfte Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht und sehr ehrlich und offen schienen die dunklen Augen in die Meinen zu blicken. „Du sorgst dich wirklich, hm?“, fragte er leise und mit erstaunlich sanfter Stimme. Schmunzelnd nickte ich und blickte den Mann mit liebevollen Blick an. Stärker als ich annahm kam das Gefühl der Zuneigung und ließ meinen Blick weich werden. „Natürlich…. Und jetzt setz dich endlich hin“, hauchte ich leise aber auch bestimmend. Er nickte nur, während er mich erneut kurz anlächelte und geschlagen ging er zur Couch. Er ließ sich schwerfällig auf diese nieder und stöhnte auf als er endlich saß. Phantomschmerzen mussten wahrlich schrecklich sein. Ich hörte wie Madeline Paul fragte, ob er nicht auch einen Kaffee wolle und sie reichte ihm eine imaginäre Tasse. Ich rührte weiter in den Topf herum und mit einem Stabmixer pürierte ich die Sachen zu einer sämigen Suppe. Ich war skeptisch als ich die Suppe betrachtete. Trotz des Specks war sie mir eigentlich noch zu vegetarisch. Ich deckte den Tisch und als wir zusammen dort saßen, wirkte es gleich viel vertrauter, als es sicherlich war. Ich mahnte meine Tochter vorsichtig zu essen und stellte ihr gleich einen Becher Eistee hin. Anders als ich selbst es erwartet hatte, schmeckte die Suppe erstaunlich gut und auch Madeline protestierte nicht mehr gegen das, was aufgetischt wurde. Doch noch immer wirkte Paul angeschlagen. Ich sah wie er sich erneut über den Oberschenkel strich und auf seiner Stirn glitzerten Schweißperlen. Ich strich mir über das Kinn und betrachtete den Mann vor mir. Natürlich hatte ich schon von Phantomschmerzen gehört, doch ich hatte mich noch nie intensiver mit diesem Phänomen beschäftigt. Vermutlich konnte auch eine Prothese irgendwann schmerzen, schließlich war es ein Fremdkörper der auf dem Stumpf drückte. Verlegen kratzte ich mir die Stirn und fragte Paul: „Wie war dein Tag denn so?“ Vielleicht half Ablenkung ja. Zu mir blickend erklärte er: „Ach, war alles ruhig… Viele Akten gewälzt und ja…. War jetzt nicht so spannend. Ich werde wohl eine Fortbildung belegen wegen Verhörführung… Verhören musste ich ja nicht so, in meinem alten Beruf.“ Ich nickte und noch bevor ich etwas fragen konnte wollte Madeline wissen: „Was heißt das?“ Wir blickten zu ihr und neugierig sahen ihre grünen Augen Paul an und sie lächelte leicht, als sie ihn betrachtete. Wir schwiegen einen Augenblick und ich konnte mir denken, dass er gerade die richtigen Worte suchte, um es Kinderfreundlich zu erklären, was er gerade mache. „Hm“, begann er zu sagen und kratze sich leicht am Kopf, „Ich muss lernen die richtigen Fragen zu stellen, damit ich weiß, wann mich jemand anlügt. Und ich muss lernen zu sehen, wann wer flunkert.“ Entsetzen spiegelte sich auf dem Gesicht meines Kindes wieder. „Soll das heißen“, begann sie entgeistert zu fragen, „Dass ich dann nie lügen kann bei dir?“ Verhalten lachte ich auf. Natürlich log mich meine Tochter an, vermutlich tat dies jedes Kind, doch ich erkannte es so gut wie immer, wenn sie es tat. Lügen musste sie einfach noch lernen. Auch Paul schmunzelte amüsiert und meinte: „Ja, genau das soll das heißen. Aber eigentlich soll man doch gar nicht lügen.“ Leicht nickte Maddy und aß lieber einen Löffel ihrer Suppe. Endlich war Madeline im Bett und als ich wieder runter in die Wohnstube trat sah ich gerade, wie sich Paul mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Prothese auszog. Er stellte das Bein neben die Couch und kramte nach etwas in seiner Hosentasche. Als ich mich neben ihn nieder ließ sah ich, wie er eine Tablettenpackung hervorhob. Das Papier war bereits abgenutzt und plattgedrückt. Ich erkannte den Namen auf der Verpackung. Es waren rezeptfreie Schmerzmittel. „Zu viele sind nicht gut“, meinte ich und beobachtete wie er zwei Tabletten aus der Verpackung drückte. Wirsch nickte er und meinte nur, dass ich aber nicht wissen könne wie schmerzvoll es gerade sei. Er hatte Recht und jegliches Argument verpuffte in diesem Augenblick aus meinen Gedanken. Schon häufiger hatte ich gehört, dass Schmerzmittel so abhängig machen konnten wie es Drogen taten. Ich fragte ihn ob er Wasser brauche und holte ihm ein Glas als er nickte. Ich hoffe nicht, dass er mit den Schmerzmitteln zu viele Probleme hatte. Wir schwiegen beide und jeder hing seinen Gedanken nach. „Ich mag meine neue Arbeit nicht“, sagte Paul plötzlich in die aufkommende Stille hinein. Fragend sah ich ihn an und runzelte die Stirn. Es reichte aus um ihn zum Sprechen zu animieren. „Ich wollte immer zur Swat-Einheit gehören. Ich wollte immer handeln und nie ermitteln. Das sieht im Fernsehen immer so spannend aus, aber die richtige Aktion ist eben woanders.“ Meine grünen Augen betrachteten den Mann vor mir und schwer seufzte ich, während ich leicht nickte. Ich konnte verstehen was er meinte, auch wenn ich seine Arbeit die er ausführte ziemlich spannend fand. Wenn es nicht das war, was er eigentlich machen wollte, dann war dies einfach nur doof. „Glaubst du denn“, begann ich nach einem Augenblick zu fragen, „Dass du dich gar nicht mit der gegebenen Situation anfreunden kannst?“ Unschlüssig zuckte er mit den Schultern und blickte frustriert in mein Gesicht. „Es bleibt mir ja nichts anderes übrig. Ein Krüppel kann nicht im Swat-Team agieren. Da muss man einfach vollkommen einsatzfähig sein und das werde ich nicht mehr“, raunte er betrübt und ich beobachtete, wie sich seine Gesichtszüge verhärteten. Vorsichtig griff ich nach seiner Hand und drückte seine Finger. „Sag nicht Krüppel, Paul“, sagte ich eindringlich zu ihm. Laut ausschnaubend blickte er weg von mir, doch ich ließ nicht locker. „Arbeit ist nicht alles im Leben“, meinte ich ehrlich zu ihm und mir war selbst bewusst, wie surreal es klang dies von einem Menschen zu hören, dem die Karriere einst so wichtig war. „Früher war es mein Ziel Staatsanwalt zu werden. Mein Plan war, vorher etwas als Anwalt zu arbeiten und dann die Prüfung zum Staatsanwalt abzulegen. Mein Ex-Mann wusste das ganz genau und so war auch der Plan. Wenn Madeline in den Kindergarten sollte, wollte er wieder mehr Arbeiten und ich hätte etwas kürzer treten können. Ich werde wohl nie als Staatsanwalt tätig werden, weil das Leben mir die Karten so zugeschoben hat, aber deswegen ist es nicht schlecht. Und dein Leben ist auch nicht schlecht. Du scheinst gute Freunde zu haben und verdammt noch mal, du hast einen total schweren Unfall überlebt! Dein Leben ist so viel mehr Wert als dein Job. Wenn du den Kick brauchst, schauen wir eben nach einem Hobby oder sonst was.“ Die dunklen Augen des Mannes glitten an mir hinunter und ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Du kannst immer noch Staatsanwalt werden“, meinte Paul ruhig und abwehrend hob ich eine Hand. „Ach, ich muss es realistisch sehen. Ich bin eh am überlegen Stunden zu reduzieren. Doch eigentlich nur um für Madeline mehr Zeit zu haben. Aber es geht gerade nicht um mich, es geht um dich“, meinte ich schmunzelnd und betrachtete den athletischen Mann vor mir. Er grummelte etwas, was ich nicht verstand und kratze sich leicht am Kopf. „Paul“, mahnte ich ihn mit strenger Stimme, „Versuch dich wenigstens auf den Beruf einzulassen. Cold Cases sind spannend und vor allem, gibst du den Menschen Hoffnung. Den Opfern und Angehörigen. Es ist vielleicht nicht der adrenalinreichste Job, aber es ist ein sinnvoller Beruf.“ Überrascht sahen mich die braunen Augen an und die Verblüffung spiegelte sich in seiner Stimme, als er erwidert: „So habe ich das noch nie gesehen…. Ich versuche es Richie, aber es ist eben schwer manches so zu akzeptieren, wie es nun mal ist.“ Ernst nickte ich, denn ich wusste, wie Recht er hatte. „Und du lässt dich nicht von deinem Ex verrückt machen. Du siehst meine Probleme von einem anderen Sichtpunkt aus und ich deine…“, meinte Paul und legte einen Arm um meine Schultern und rückte mich zu sich heran. „Vielleicht tut es uns ja gut“, meinte er und als ich ihm grinsend in die Augen blickte drückte er mir seine Lippen auf den Mund. Schnell löste ich den Kuss und drückte ihn weg von mir und schmunzelnd meinte ich: „Nenn mich nicht Richie. Ich mag das nicht!“ Leise lachend zerwuschelte Paul meine Haare und meinte frech: „Ich finde Richie aber schöner als Rick und du hast keine Ahnung, wie süß ich dich finde.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)