Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann... von Mondsicheldrache (The Vessel and the Fallen 1) ================================================================================ Kapitel 34: Bad --------------- *~* Warmer Wasserdampf waberte aus dem hölzernen Badezuber durch den vertrauten Raum. Die klare, nach teuren Ölen duftende Flüssigkeit verlockte regelrecht dazu, sich in ihr zu waschen. Nur hatte Koumei inzwischen einen Großteil seiner Badelust eingebüßt. „Gibt es irgendein Problem? Ihr seht nicht sehr zufrieden aus…“, erkundigte sich Chuu'un vorsichtig, nachdem die Tür hinter der jungen Frau, Xiiri, ins Schloss gefallen war. „Halt den Mund“, schnappte Koumei und nahm auf einem kleinen Hocker Platz. Pass besser auf, dass du nicht zum Problem wirst und starr‘ diesem jungen Ding nicht derart auffällig hinterher! Überrascht über die groben Worte verschmälerten sich Chuu'uns Lippen. Zu seinem eigenen Glück erlaubte er sich keinen weiteren Kommentar, sonst hätte er wohl einen umfassenderen Einblick in die Gedanken seines Herren erhalten, als ihm lieb war. „Worauf wartest du eigentlich noch? Darauf, dass wir beide hier Wurzeln schlagen?“, herrschte ihn Koumei nach einer Weile an. Er hatte sich bereits die Schuhe selbst von den Füßen streifen müssen, was mehr war, als er für gewöhnlich tat. „Was ist bloß mit Euch geschehen, Prinz Koumei? Irgendetwas stimmt hier doch nicht, oder?“, fragte Chuu'un ratlos. Kein Wunder, dass er seine Arbeit nicht erledigen konnte, wenn er in Gedanken entweder bei dieser Dienerin oder der mürrischen Reaktion seines Herren verweilte. „Entkleide mich endlich und steck mir die Haare hoch!“, fauchte Koumei ungehalten. Der Vasall hob abwehrend die Hände. Schlechte Laune kannte er als Diener zur Genüge, derart laute Äußerungen allerdings nicht so gut. Für gewöhnlich beließ der zweite Prinz es bei einem schlaffen Murren. „Aber natürlich, mein Herr.“ Resigniert öffnete Chuu'un Koumeis Roben und legte sie säuberlich gefaltet auf die an der Wand stehende Kommode. Sein Herr erschauderte sogleich. Sobald sein Körper nicht mehr von den beiden dicken Stofflagen bedeckt war, wurde er sich erstmals vollends des mächtigen Temperaturunterschiedes zu Balbadd bewusst. Kein Zweifel, der Herbst stand kurz bevor und er würde eisig werden. Fröstelnd verschränkte er die Arme vor der Brust und wickelte sich in ein bereitliegendes Handtuch, während sein Vasall versuchte, seine Haare vorsorglich vor dem Nasswerden zu schützen. Vielleicht würde er sich bald über die Wärme in Balbadd freuen. Nun jedoch fühlte er sich verhältnismäßig wohl, zumindest für einen winzigen Moment, da er sich in dampfendes Wasser gleiten lassen konnte. Eigentlich war es ein herrliches Gefühl, von den winzigen Wellen umspielt zu werden und die Nässe auf der verschwitzten Haut zu fühlen. Die Temperatur war weder zu kalt noch zu heiß, eine wahre Wohltat. Wenn seine langen Haare nicht wären, die jedes Bad zu einer ausgedehnten, ermüdenden Prozedur ausufern ließen, hätte er sich vielleicht des Öfteren dieser Tätigkeit erbarmt. Aber nur vielleicht: Die ätherischen Öle, die die junge Dienerin hineingegeben hatte, machten die Flüssigkeit weich und verliehen ihr einen intensiv-blumigen Duft. Doch Koumei freute sich nicht besonders. Das Wasser würde bald seinen Leib auskühlen und der Geruch der Öle erinnerte ihn unangenehm an die aufdringliche Haaremsdame Kali. Irgendetwas hatte ihm grade gehörig die Laune verdorben. Er wusste nicht einmal mit völliger Sicherheit, woran genau es lag. So hockte er missmutig in dem großen Badezuber und ließ sich von Chuu'un den Rücken durchkneten. Höllische Schmerzen peinigten ihn unvermeidlich. Die Arbeit machte ihn wirklich krank. Zumindest seine Schultern und die Muskeln, die alles zusammenhielten, litten unter den tage- und nächtelangen Anstrengungen, sowie dem Bewegungsmangel. Richtig bewusst wurde einem dieser Umstand erst, wenn sich jemand daran machte, die festen Verspannungen zu lockern. Nur stand Koumei in diesem Moment absolut nicht der Sinn danach, sich derart foltern zu lassen. Nein, er konnte sich schöneres vorstellen, als in dieser Wanne angeblich massiert zu werden, obwohl alles was dabei herauskam, heftige Nackenschmerzen und halbe Knochenbrüche waren. „Hör endlich auf mit diesem Quatsch! Das hält ja niemand aus!“, fuhr er seinen Vasallen an. Chuu'un widersprach verdrießlich: „Aber mein Prinz, es wird Euch guttun! Merkt ihr denn nicht, dass Ihr Euch viel sorgloser bewegen könnt, wenn die verhärteten Muskelstränge ein wenig aufgelockert werden?“ „Das einzige, was man dank deiner stümperhaften Behandlung spürt, sind endlose Qualen!“, schnaubte Koumei verärgert und schlug die kräftigen Hände fort. „Fass mich nicht an. Nicht so, sonst bricht gleich irgendetwas in meinem Körper und du darfst mich die nächsten paar Jahre durch die Gegend tragen. Willst du das? Vermutlich nicht, oder?“ „Mein Herr, ich würde Euch niemals mutwillig verletzen, alles was mir am Herzen liegt, ist Eure Gesundheit“, beteuerte der andere. „Dann nimm deine feuchten Finger von meinen Schultern!“ Chuu'un kniete sich an Koumeis Seite und schenkte ihm unter den langen Stirnfransen hindurch einen vorwurfsvollen Blick. Widererwarten erweckte grade diese Geste ein ungeahntes Entzücken bei seinem Herrn, mit dem dieser selbst am wenigsten gerechnet hätte. „Komm her“, befahl er plötzlich überaus angetan. Erfreut griff er nach dem Gesicht seines Bediensteten und zog ihn am Kinn soweit zu sich, wie es dieser in seiner Überraschung zuließ, ohne vollkommen bekleidet in die Wanne zu fallen. Um die Gewänder wäre es schade gewesen. Dennoch hatte der Prinz eben etwas überaus Vielversprechendes entdeckt. „Aber Herr, was tut ihr da?“, murmelte Chuu'un verunsichert, als ihm sanft, aber etwas ungeschickt die schweren Haarsträhnen aus der Stirn geschoben wurden, wobei warme Wassertropfen seine Wangen hinunterrannen. Koumei scherte sich allerdings nicht um seine Verwirrung, sondern begutachtete voller Konzentration die gold-gelben Augen des Vasallen. Dank dieser nervigen Haarmähne bekam er sie so gut wie nie zusehen. Grade eben jedoch hatte er geglaubt, etwas Neues in ihnen erkannt zu haben. Etwas, das vorher noch nicht da gewesen war. Chuu'un hatte immer schon eine ungewöhnliche Augenfarbe besessen, ein so helles Braun, dass es golden schimmerte. Seit der begonnenen Angleichung an Dantalion hatte sich dieser Eindruck jedoch immer weiter verstärkt. Koumei nahm dies als gutes Zeichen hin: Je mehr sich der Körper seines Untergebenen veränderte, desto stärker und vertrauter wurde er mit dem Dschinn des Raumes und der Zeit. Ja, mittlerweile besaß Chuu'un faszinierende Raubtieraugen, die in der Dunkelheit regelrecht glühten. Doch was die Aufmerksamkeit des Prinzen insbesondere fesselte, waren die kaum merklich verschmälerten Pupillen, die vorher vollkommen rund und unauffällig gewesen waren. „Hast du in den letzten Tagen mit deinem Hausgefäß geübt?“, wollte Koumei wissen und drehte das Gesicht des anderen hin und her, damit ihm keine noch so kleine Veränderung darin entging. Chuu'un, der sichtlich erleichtert war, den harmlosen Grund für Koumeis seltsames Verhalten zu erfahren, verneinte. Kein Wunder, zum Trainieren hatte er kaum Gelegenheit gehabt, wo er die ganze Zeit in der Nähe seines Prinzen gewesen war. Das bedeutete entweder, dass sich seine Pupillen vor einiger Weile verändert hatten, ohne dass es Koumei aufgefallen war oder dass sich eine Angleichung auch schleichend und vielleicht sogar von alleine vollziehen konnte. Welch eine interessante Beobachtung! Von dieser Vermutung sollte er Kouen in Kenntnis setzen. Möglicherweise eröffneten sich ihnen hier neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Dungeonerforschung. Leider konnte er seine Vermutung nicht beweisen, so selten wie man dem Bogenschützen in die Augen schauen konnte… Er würde ihn wohl öfter kontrollieren müssen. Zwar hätte er ihm auch einfach befehlen können, die Haare zu schneiden, doch er wusste, wie unangenehm dem Vasallen die ungewöhnliche Farbe bereits seit frühester Kindheit gewesen war und wenn es mit der Angleichung weiterging, würde es wohl nicht besser, sondern eher noch auffälliger werden. Aber alles in allem blieb sein Vasall ein ansehnlicher Mann. Ob ihm irgendwann Hörner aus der Stirn sprießen würden wie bei seinem Herrn in der Dschinnausstattung? Chuu'un würde sie sich eigenhändig ausreißen, weil sie ihm das Tragen eines Helmes verwehren würden. Aber darüber mussten sie sich im Moment keine Sorgen machen. Die langsame Angleichung genügte Koumei vollends. „Du machst deine Arbeit wirklich sehr gut“, lobte er zufrieden, wobei er die schmerzhaften Massageversuche gekonnt vergaß. War er nicht ein gnädiger Prinz? Was eine hervorragende Entdeckung nicht alles zum Besseren wenden konnte. Chuu'un senkte scheinbar verlegen den Blick und nahm ein Stück Seife von der Ablage. Nachdem er seine Hände befeuchtet hatte, sonderte sie einen zarten Kirschduft ab, der leider in der Flut der ätherischen Öle unterging. Seit Koumei denken konnte, benutzten sie derartige Seife in Kou. Es war ein recht edles Produkt, aus den feinsten Kirschblüten gefertigt, aber nicht so ein überflüssiges Luxusgut wie Judars sindrianisches Pfirsichhaaröl. Mit Seife konnte man sich immerhin Schmutz und Dreck vom Hals schaffen. „Das Wasser wird bereits kalt“, bemerkte der Vasall, während er ihm die Schultern einschäumte. Koumei zuckte die Achseln. Ihn kümmerte das wenig, denn er hätte die lästige Säuberungsprozedur gleich hinter sich gebracht, aber der Bogenschütze würde im abgekühlten Nass unweigerlich weniger Freude an dem Bad haben. „Dann komm doch mit rein“, schlug der Prinz gähnend vor. Der Zuber bot nun wirklich ausreichend Platz, wenn sie sich ein wenig miteinander arrangierten. Außerdem hätte er dann ein höchst bequemes Kissen, auf welchem er seinen schweren Schädel zur Ruhe betten konnte. Offensichtlich sah Chuu'un ebenfalls seinen Vorteil in der Sache. Wer wollte schon eisiges Wasser, falls er auch warmes bekommen konnte? „Wenn es Euch recht ist…“, murmelte er und streifte rasch sein unter Gewand ab, ehe er sich ebenfalls in den Bottich begab. Schlagartig stieg der Wasserspiegel ein ganzes Stück an, bis er Koumei über die Brust reichte. „Oh, ich hatte ganz vergessen, wie groß du bist.“ „Verzeiht mein Herr, nicht jeder ist so zart gebaut wie Ihr“, entgegnete der andere, was ihm einen Schwall Wasser ins Gesicht einhandelte. „Schweig und rede nicht solch einen Unsinn“, brummte Koumei gekränkt. Er wusste ja, dass er nicht kräftig war, aber ihn als zart zu bezeichnen entsprach hoffentlich nicht der Wahrheit. Er war abgemagert, nicht zart! Das war ja wirklich beleidigend! Welcher Mann wollte schon zierlich sein? Niemand. Was brachte einem solch eine Figur? Nichts außer Schwäche. Und Schwäche konnte keiner gebrauchen, sie war ein einziges Hindernis, wie der Prinz aus Erfahrung sagen konnte. Manchmal verfluchte er seine Schlaffheit vehement, vor allem wenn er sich aus diesem Grund fürchterliche Kommentare seitens des Vasallen anhören musste, für die man ihm nicht einmal böse sein durfte, weil sie mehr Wahrheit in sich trugen, als er sich eingestehen wollte. „Entschuldigt. Es ist einfach mit mir durchgegangen“, lächelte Chuu'un und schob sich das nun feuchte Haar zurück. „Wenn ihr erlaubt werde ich mit dem Waschen jetzt fortfahren?“ Koumei gestattete es und drehte sich ein wenig ungeschickt in der Enge des Zubers herum, während Chuu'un ein wenig näher an ihn heranrückte, um den Seifenschaum von seinen Schultern zu spülen. Der Prinz konnte ein neuerliches Gähnen nicht unterdrücken. Wenn man ihre Hintergrundgeschichte betrachtete, grenzte es an ein Wunder, dass er derart entspannt und ohne Hintergedanken zwischen Chuu'uns Knien saß. Irgendwann fielen ihm die Augen zu und dann hörte er nur noch ein heftiges Platschen, als er nach vorne kippte und sich Chuu'uns Mühe, die er sich mit den Haaren gegeben hatte, in Luft auflöste. *~* //_*\ Zu Tode erschrocken fing Chuu'un seinen Herrn auf und zog dessen matt herabhängenden Kopf aus dem grauen Badewasser. Nun war er wirklich froh, dass er hinter ihm gesessen hatte, denn so konnte er ihn besser vor dem Ertrinken bewahren. Wenngleich es sich irgendwie falsch anfühlte, die Wanne mit ihm zu teilen, auch wenn es ihm seltsamerweise gefiel. Heute war es das Glück des Prinzen gewesen. Wer schlief schon einfach so im Badezuber ein? Das konnte nur Ren Koumei sein… Großartig. Vor allem, dass der straffe Haarknoten ebenfalls für einen winzigen Moment unter Wasser getaucht gewesen war. Mit ein wenig Glück hatte es nur die äußeren Haare seines Herrn angefeuchtet, mit etwas mehr Pech wäre alles durchnässt. Vorsichtig lehnte er ihn an seine Schulter und wischte ihm die Tropfen aus dem Gesicht. Bei den Ruhk, wenn Koumei alleine gebadet hätte, hätte er wirklich sterben können, welch ein verstörender Gedanke. Der Prinz war schlimmer als ein kleines Kind, immer musste man ihn beobachten. Andererseits machte es einen eigentlich mächtigen Kaisersohn unvergleichlich nahbar und sympathisch, wenn er ohne Hilfe kaum überleben konnte und selig schlafend an seinem Vasallen lehnte. Chuu'un musste ihn noch immer festhalten, damit er nicht zurück unter die Oberfläche rutschte. Da würde eine gründliche Reinigung für ihn selbst wohl entfallen. Egal, er wusste immerhin, wie man sich richtig zu waschen hatte, wo er sich bei Koumei nicht so sicher war. Die kaiserlichen Hoheiten rasierten sich lieber sämtliche Körperbehaarung ab, anstatt regelmäßige Bäder zu nehmen. Zweifelsohne, das konnte manchmal hilfreich sein, doch hygienisch fand Chuu'un das nicht grade. Sein Vater hatte ihm beigebracht, sich regelmäßig zu baden und mehrmals am Tag die Hände zu waschen. Mit Seife. Besonders, wenn er im Dreck oder mit Tieren gespielt hatte. Er hatte meist ein kleines Stückchen dabei. Das konnte einigen Krankheiten vorbeugen. Er wusste nicht, wie oft er mit Koumei bereits über dieses leidige Thema diskutiert hatte, aber der Prinz badete immer noch ungern. Kein Wunder, als Kind konnte es traumatisierend wirken, von ungeschickten Dienern gewaschen zu werden, je nachdem wie dumm sie waren. Es gab durchaus Menschen, die Kinder badeten, indem sie sie für einen Moment unter Wasser drückten. Sicherlich war Koumei solch ein unfreiwilliger Tauchgang in schlechter Erinnerung geblieben. Momentan träumte er jedoch höchst zufrieden und schmiegte sich dicht an Chuu'uns Seite. Vorsichtig ergriff dieser die Seife und begann, sachte das Gesicht seines Herrn zu waschen. Behutsam tupfte er die narbige Haut ab, in der Hoffnung die Säuberung würde ihr vielleicht guttun. Im wachen Zustand hätte er dies nie geschafft. Danach allerdings wurde er eines großen Problems gewahr: Das Wasser war mittlerweile stark abgekühlt und die Lippen seines Prinzen nahmen langsam einen beunruhigend bläulichen Farbton an. Wenn Chuu'un jedoch aufstehen würde, um ihn anschließend aus dem Zuber zu heben, würde Koumei erst einmal untergehen. Je nachdem wie geschickt sich Chuu'un dabei anstellte, ihn zu retten, konnte dieses Vorhaben gefährlich werden. Also strich er seinem Herrn leicht über die Wange, dann versuchte er es mit Sprechen, mit Rufen. Als auch Schütteln nicht wirkte, beschloss er, einfach noch ein wenig abzuwarten. Solange Koumei nicht zitterte wie Espenlaub, konnte es nicht dramatisch sein. Chuu’un war ohnehin eher optimistisch veranlagt. So verharrte er in seiner nicht unbedingt bequemen Position, bis es an die Tür klopfte. Auf sein Herein betrat Xiiri den Raum. „Das Essen ist bereitet, die Herrschaften“, meinte sie und musterte mit unterschwelligem Erstaunen den schlafenden Prinzen, was Chuu'un ihr nicht verübeln konnte, auch wenn es ihm für Koumei leidtat, der sich mittlerweile einen behaglichen Platz an seiner Seite geschaffen hatte. Besonders die gelegentlichen Stupser, die ihn eigentlich aufwecken sollten, schienen seinem Schlaf sehr förderlich zu sein. „Benötigt ihr Hilfe?“, fragte sie unsicher. Chuu'un bemühte sich um ein entschuldigendes Lächeln. Sicherlich war es für ein derart junges Dienstmädchen nicht das angenehmste, sich mit zwei entkleideten Männern abzugeben. Plötzlich ließ ihn eine schwache Bewegung an seinem Arm aufmerken. „Mein Herr?“, flüsterte er, um nicht direkt der kaiserlichen Ruhestörung angeklagt zu werden, während Koumei träge in die Umgebung hinein blinzelte. Müde flackerte sein Blick über die vertraute Einrichtung des Raumes, ehe er an Xiiri hängen blieb. Der völlig schlaftrunkene Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand mit einem Mal vollends. An dessen Stelle trat unverhohlene Abneigung. Chuu'un zuckte beinahe zusammen, als Koumeis Fingernägel sich in seine Brust und den Arm gruben, den er ihm stützend um den Oberkörper gelegt hatte, damit er nicht elendig ertrank. Doch der Prinz rutschte lediglich ein Stück näher an ihn heran und presste seinen Kopf gegen die Brust des Vasallen, als wollte er die Dienerin nicht ansehen. Gleichzeitig schlang er die dürren Arme um ihn, als fürchtete er, der Bogenschütze würde ansonsten davon laufen und ihn doch noch elendig verenden lassen. Nicht unbedingt angenehm. Chuu'un wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, vor allem da sie sich nicht länger alleine ihm Zimmer befanden. „Herr? Mein Vater trug mir auf, Prinz Koumei darüber zu unterrichten, dass die Speisen angerichtet seien“, verkündete das Mädchen schüchtern. Nun gut, sie wusste es ebenso wenig. Koumei wandte nun doch das Gesicht zu ihr um und musterte sie abweisend. „Hinfort mit dir!“, befahl er düster und Xiiri zuckte erschrocken zusammen, ehe sie erschüttert davon eilte. Offensichtlich hegte der Prinz eine starke Abneigung gegen die junge Frau. Eigentlich verwunderte Chuu'un dies, da die Dienerin bestens gekleidet war und höfliche, angemessene Manieren zeigte. Ihr Aussehen zog einen vielleicht nicht in den Bann, aber als ansehnlich konnte man sie durchaus bezeichnen. Eigentlich seltsam, dass sie trotzdem unterschwellige Ähnlichkeiten zu ihrem eher plumpen Vater aufwies, wo sie doch so gertenschlank war. Genaugenommen fand der Vasall sie sehr hübsch, was er allerdings nur am Rande vermerkte. Alles in allem hielt er Xiiri jedenfalls für äußerst tüchtig. Falls sich eine Gelegenheit ergab, würde er sich freuen, ein ruhiges Gespräch unter Kollegen mit ihr führen zu dürfen. Bestimmt würde das Mädchen dem nicht abgeneigt sein. Sicherlich würde ihr ein wenig Abwechslung von dem stressigen Arbeitsalltag gut bekommen und wenn diese auch nur ein paar Augenblicke währte. Mal sehen, was sich ihm in der nächsten Zeit für Möglichkeiten bieten würden. So anhänglich wie sich sein Herr momentan benahm, würde er allerdings keinen einzigen Moment für sich bekommen. Weshalb Koumei ihr mit dieser Unfreundlichkeit begegnete, wollte ihm nicht einleuchten. Obwohl… eigentlich kannte er diese Situation bereits. Der zweite Prinz war immer ein liebes Kind und ein ebensolcher Jüngling gewesen. Schüchtern und müde zwar, aber mit einem freundlichen Lächeln, wenn man sich darauf verstand, es hervor zu locken. Allerdings wäre er kein Ren gewesen, hätte es an ihm nicht die eine oder andere schlechte Seite gegeben. Besonders in Stresssituationen verwandelte er sich in ein manipulatives Monster und fühlte er sich wirklich schlecht konnte er auch eine hysterische Furie sein. Selbstverständlich geschah letzteres nicht häufig, aber Chuu'un hatte genügend Jahre an Koumeis Seite verbracht, um sein Verhalten zu kennen. Vor ungefähr acht Jahren hatte Koumei ein Dienstmädchen namens Hina versetzen lassen, weil sie Chuu'un scheinbar zu oft angeschaut hatte. Ungefähr so hatte es der Prinz formuliert. Zugegebenermaßen hatte sein Herr damit nicht ganz Unrecht gehabt, denn nach einer Weile hatte selbst der Vasall bemerkt, dass ihre höchst interessierten Blicke nicht, wie er zuerst fälschlich vermutet hatte, seinem jungen Herrn gegolten hatten, sondern ihm selbst. Als einfacher Bediensteter wunderte man sich immer, wenn die Aufmerksamkeit anderer nicht auf den Hoheiten ruhte. Also hatte er irgendwann damit begonnen, die Musterung möglichst unauffällig zu erwidern, was in Anwesenheit seines Herrn keine gute Idee gewesen war. Während der Bogenschütze zaghaft zu dem Schluss gekommen war, dass das Dienstmädchen vielleicht ein wenig Ungehorsam wert war, hatte der Prinz ihm scheinbar jeden unzüchtigen Gedanken angesehen. Zweimal war es bei einer verblüffend strengen Ermahnung, oder eher gesagt Drohung, geblieben. Beim dritten Mal eskalierte die Lage jedoch und die Warnung verwirklichte sich umgehend: Koumei war fuchsteufelswild geworden und ausgerastet, falls man es bei ihm so nennen konnte, dabei war es zwischen den beiden lediglich zu vertraulichen Blicken gekommen. Keinen Tag später ließ sich von Hina kein Härchen mehr finden. Besorgt hatte der Vasall sich nach ihr erkundigt und Koumei hatte ihm achselzuckend erklärt, dass er das Mädchen an einen entlegenen Ort des Palastes verweisen lassen hatte, wo sie sich mit dem Sortieren von Schriftrollen beschäftigen musste. Viel zu spät hatte Chuu'un begriffen, was genau den Grund dafür dargestellt hatte. Heute wusste er längst, dass Koumei es nicht duldete, wenn er sich zu vertraut mit anderen Menschen zeigte. Seishuu, sein ältester Freund blieb die einzige Ausnahme, mit diesem durfte er sogar etliche Stunden verbringen, falls er einen seltenen freien Tag erhielt. Koumei war damals von extrem misstrauischer Natur gewesen und hatte geglaubt, dass Chuu'un seine Aufgabe nicht ernst nahm, wenn er sich zu viel mit Fremden abgab. Weitaus entscheidender hatte jedoch die Tatsache gewirkt, dass Koumei ihn für sich alleine haben wollte, seltsam anhänglich wurde und starke Eifersucht zeigte. Nun gut, damals war er sowohl einsam als auch noch sehr jung gewesen und hatte in ständiger Furcht vor einem erneuten Anschlag auf das Leben seiner Familie leben müssen. Heute konnte man das nicht mehr von ihm behaupten, sein Herr freute sich über jede freie Minute, in der er keinerlei andere Personen um sich herum hatte. Gegen damals konnte das entweder sehr lästig oder aber sehr befreiend wirken. Früher hatte Chuu'un sich ein paar Monate lang kaum aus dem Raum begeben dürfen, ohne Koumei damit in tiefe Verzweiflung zu stürzen. Vielleicht fürchtete er, dass hinter seinem Rücken Intrigen und Mordanschläge geplant wurden. Wahrscheinlich hatte er auch einfach nur panische Angst, von seinem Getreuen verlassen zu werden, weil dieser plötzlich andere Interessen hegte. Wenn Chuu'un einem hübschen Mädchen ein wenig zu lange hinterher sah, verfinsterte sich Koumeis Miene manchmal immer noch. Jeglicher intimer Umgang mit Frauen, insbesondere der Palastdienerinnen war ihm strengstens untersagt. Damals hatte es lange und ein sehr eindeutiges Ereignis gebraucht, um Chuu'un darüber aufzuklären, warum Koumei dieses gnadenlose Verbot verhängt hatte. Einmal, nach einem Festbankett, bei dem der Pflaumenwein in den üblichen Strömen geflossen war, hatte Koumei sich derart über ihn aufgeregt, dass er Chuu'un sogar damit gedroht hatte, ihn entmannen zu lassen. Wie die Eunuchen, die den Harem des Kaisers bewachten. Dabei hatte Chuu'un überhaupt nichts getan. Und dann war Koumei in Tränen ausgebrochen. Was Alkohol nicht alles für reizende Seiten an einem Menschen zum Vorschein bringen konnte. Er musste unter schlimmen Verlustängsten leiden. Vermutlich dachte sein Herr nun, dass seine Anweisungen durch Xiiri gefährdet waren, was auch sein aufbrausendes Verhalten erklären würde. Dabei hatte der Bogenschütze nur ihre verwirrenden Ähnlichkeiten zum Vater abgleichen wollen. Zugegeben, am Anfang hatte ihn der strikte Befehl manchmal etwas angestrengt, denn vor acht Jahren war er noch jung und dumm gewesen, bedeutungslose Liebschaften zwischen Palastdienern und Vasallen galten eben als unvermeidlich, doch mittlerweile dachte er gar nicht mehr daran, sich zu widersetzen. Er diente seinem Herrn, schützte ihn mit seinem Leben, befolgte dessen Befehle und versuchte dessen Wünsche bestmöglich zu erfüllen. Das war alles, was er brauchte und wollte. So half er dem schlaftrunkenen Zottel pflichtbewusst aus dem Zuber und wickelte ihn führsorglich in das dicke Handtuch, ehe er sich selbst schnell abtrocknete und in das bereitgelegte neue Untergewand schlüpfte. Dennoch empfand er es eines Prinzen des Kou Reichs nicht würdig, so harsch mit der Dienerschaft zu sprechen. Während Koumei zu schlottern begann, ergriff der große Mann vorsichtig das Wort: „Mein Herr, hegt ihr eventuell eine Abneigung gegen das junge Dienstmädchen? Hat sie etwas falsch gemacht? Ich bin mir sicher, dass es nur ein Versehen gewesen ist. Seid ihr nicht böse.“ Doch Koumei ignorierte ihn eisern und entgegnete: „Wir sollten uns endlich für das Einnehmen unserer Mahlzeit bereit machen.“ Dieses Biest von einem Prinzen! Wenn er nicht wollte, ließ sich wirklich nicht mit ihm reden. Chuu’un verehrte den Sohn des zweiten Kaisers sehr, doch manchmal wollte selbst er ihm am liebsten den Hals umdrehen. //_*\ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)