Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann... von Mondsicheldrache (The Vessel and the Fallen 1) ================================================================================ Kapitel 3: Panik ---------------- ~*~   Beschwingten Ganges lief Judar durch die Flure des Militärstützpunktes. Nun fehlten ihm noch vier seiner Königsgefäße. Zuerst würde er Hakuryuu einen kleinen Besuch abstatten. Der Jüngste im Bunde hatte viel versprechende Anlagen, um sein liebster Königskandidat zu werden. Mit ein wenig Glück würde er dem Weg des schwarzen Magi folgen. Das konnte er fühlen. Er wusste, dass der Junge einen tiefen Groll gegen sein eigenes Reich hegte. Oder eher gegen seine eigene Mutter. Wenn das Schicksal dem Prinzen gewogen war, würden seine Rukh sich so schwarz färben, wie die seines Magi. Was für eine Ironie. Natürlich würde ihm das Schicksal dann nicht gewogen sein. Das war es jetzt schon nicht. Aber noch hasste der Kleine es nicht genug. Bis dahin lag noch ein ganzes Stück Weg vor ihm.   Eine halbe Stunde später schlug Judars  ausgelassene Stimmung in bittere Enttäuschung um. Der jüngste Metallgefäßbändiger war von seiner Reise nach Sindria noch nicht nach Hause zurückgekehrt. Hätten sie sich dann nicht dort treffen müssen? Wie schade! Dabei hatte er sich so sehr darauf gefreut dessen Dschinn und seine neuen Fähigkeiten zu bewundern! Wie konnte das Balg es nur wagen, sich einfach in der Welt herum zu treiben, wie es ihm passte? Schwarze Rukh umtanzten den jungen Mann ungehalten. Nun, er musste sich wohl vorerst mit Hakuryuus Schwester Hakuei zufrieden geben. Die Mädchen der kaiserlichen Familie fungierten ebenfalls als Generalinnen und waren nicht zu unterschätzen. Besonders Hakuei Ren. Die mutige, ausgeglichene Prinzessin, konnte überaus gut mit ihrer Dschinnausstattung umgehen.   Nach einer Weile des Herumstreunens, hatte Judar sie endlich aufgespürt. Vernahm ihre freundliche Stimme bereits vom Gang aus. Missgelaunt trat er die halb offenstehende Schiebetür beiseite und schritt ohne Ankündigung in den kleinen Raum. Hakuei befand sich mit ihrem Untergebenen Seisyun Ri in einem angeregten Gespräch. Die beiden machten einen sehr einträchtigen Eindruck, wie sie sich an einem kleinen Tischen gegenüber saßen und dampfenden Tee aus teuren Schalen tranken. Doch als der schwarze Magi mit seinem Fußtritt beinahe die Tür zertrümmert hätte, fuhr die junge Frau halb erschrocken, halb verärgert herum. Als sie ihn erkannte, nickte sie ihm lediglich freundlich zu und murmelte etwas von wegen „Oh, Priester, wie schön euch zu sehen“, bevor sie sich wieder ihrem Hausgefährten zuwandte. Sie nahmen nicht weiter Notiz von ihm. Ein wenig irritiert runzelte Judar die Stirn. Er war es nicht gewohnt, dass Leute ihn einfach so stehen ließen. Schon gar nicht von Hakuei. Sie wollte ihn bestimmt nur ein wenig ärgern. Für seinen wüsten Auftritt strafen. Wobei, das passte ebenfalls nicht zu ihr. Trotzig verschränkte er die Arme, wobei seine Armreifen klirrend aufeinander schlugen und lehnte sich gegen einen Holzbalken. Was bildete sie sich bloß ein, ihn warten zu lassen? Wieso machte er sich überhaupt die Mühe, seine Königskandidaten aufzusuchen, wenn sie entweder nicht anwesend, schrecklich nerv tötend, beängstigend gewalttätig oder beleidigend abweisend waren? Weshalb fand Hakuei eine Unterhaltung über Metallgefäße mit ihrem armseligen Untergebenen spannender, als die Anwesenheit ihres Magi? Schließlich hatte sie erst ihm ihre Macht zu verdanken. Er war derjenige gewesen, der sie eingeladen hatte, seinen Dungeon zu erobern! Womit dankte sie es ihm? Mit reiner Ignoranz. Die konnten ihm wirklich gestohlen bleiben!   Nun erst recht schlecht gelaunt, stapfte der Gefallene ins Freie. Die unbarmherzige Sommersonne strahlte ihm entgegen. Angewidert verzog er das Gesicht. Balbadd gefiel ihm nicht. Diese Hitze…unerträglich. Kouha hatte ausnahmsweise Recht behalten. Dabei war er für dieses Wetter beinahe passend angezogen. Sein bauchfreies Oberteil ließ wenigstens etwas Luft an ihn heran und die weiten Hosen bauschten sich erfrischend in jedem noch so sanften Windhauch. Doch seine Kleidung war schwarz. Schwarz wurde warm. Und das beschränkte sich nicht nur auf seine Kleider. Obwohl er sonst immer so stolz auf sein üppiges Haar gewesen war, es nie in seinem Leben abgeschnitten hatte, wünschte er sich in diesem Moment, es wäre um mindestens einen Meter kürzer. Oder blond, wie das von diesem verrückten Magi Yunan. Aber Blond war ebenso schrecklich hässlich, wie diese Sonne. Eine schwarze Sonne wäre viel besser, als dieses gleißende Leuchten. Scheußliches Wetter. Selbst in der Wüste konnte es nicht viel schlimmer sein. Wie sehr sehnte er sich nach Kou, wo er aufgewachsen war und die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte. Aber nein, die Rens mussten ja in diese ranzige Stadt pilgern, um von dort aus wichtige Regierungsgeschäfte zu erledigen…dass er nicht lachte. Wozu hatte man denn Boten? Ach, diese finsteren Gedanken nutzten ihm auch nichts. Ihm blieben nur noch zwei Königsgefäße.   Wieder hatte Judar eine ganze Weile mit dem Einholen von Informationen über den Aufenthaltsort der zwei verbliebenen vergeudet. Immerhin hatte er in Erfahrung gebracht, wo sich Kougyoku Ren, die achte kaiserliche Prinzessin versteckte. Verstecken traf es gut, denn offenbar befand sie sich mal wieder in tiefer Verzweiflung. Zumindest wollte sie niemanden in ihre Nähe lassen und hatte sich seit Stunden im Baderaum eingeschlossen. Nun, eigentlich tat sie dies ständig. Die Prinzessin kümmerte sich sehr um ihr Aussehen. Judar jedoch hatte beschlossen, sie trotzdem zu besuchen. Immerhin war auch er mittlerweile nur noch frustriert. Da konnte er ein wenig Aufmunterung durch das tollpatschige Mädchen gut gebrauchen. Wenig später ließ er den Riegel vor der Tür, hinter der sich seine Königskandidatin verbarrikadiert hatte, mit ein wenig Zauberei zerspringen. Dann schlenderte er selbstverständlich in den dunstverhangenen Raum. Man konnte kaum etwas erkennen vor lauter Nebel. Die Luft noch stickiger als draußen, geschwängert mit dem Geruch nach Seife und Haaröl. „Na, alte Hexe, setzt du mal wieder alles unter Wasser?“, begrüßte er die Prinzessin wie üblich gehässig. Dabei konnte er sie noch nicht einmal sehen. War sie etwa im Waschzuber ertrunken?   „Judar? Bist du’s?“, fragte da eine zaghafte Stimme. „Was denkst du denn?“, brummte er und tastete sich mit den Füßen vorsichtig durch den Raum, bis er gegen den Badezuber stieß. Suchend beugte er sich über die dampfende Wasseroberfläche. Wo war die Prinzessin denn bloß? Plötzlich blickte er in ein Paar erschrockene, magentafarbene Augen.  „Aaahhh! Geh weg! Warum bist du überhaupt hier drinnen? Ich wollte doch alleine sein!“, kreischte sie hysterisch und Wasser spritzte auf. Sie kniff die Lider zusammen, blies die Backen auf und musterte ihn mit vom Baden gerötetem Gesicht. Bitterböse. Der Magi ließ sich vorsichtig am Rand der Wanne nieder und starrte sie verstimmt an. Weshalb hatte er sich nur solche dummen Königsgefäße ausgesucht? Sicher, die anderen, die zur Verfügung standen waren noch schlimmer. Zum Beispiel dieser widerwärtige Ali Baba Saluja…es schauderte ihn allein bei dem Gedanken an diesen Versager. Aber es wäre doch schön, wenigstens einmal freudig empfangen zu werden. Und zwar von jemandem, der nicht Kouha hieß, vollkommen verrückt und so schrecklich anhänglich war.   Unterdessen duckte sich Kougyoku noch tiefer in ihr dampfendes Schaumbad. Wenn sie noch länger da drin hockte, würde sich ihre Haut sicher bald abschälen lassen, wie bei einer Zwiebel. Dann wären ihre Minderwertigkeitskomplexe endlich mal gerechtfertigt.  „Freust du dich etwa nicht, mich zu sehen?“, knurrte Judar böse. Bei diesem Empfang hätte er gleich in Sindria bleiben können. Die Prinzessin errötete noch stärker, falls das noch möglich war. Nun, ihr Gesicht hatte beinahe den gleichen Farbton wie ihr kirschrotes Haar. „Nein!“, gab sie trotzig zurück. „Ich freue mich kein bisschen, dich zu sehen, Judar. Ich wollte meine Ruhe haben und du platzt einfach unangemeldet hier rein“, schmollte sie, ehrlich gekränkt. Dann schwieg Kougyoku, wie es ihre Art war. Dumme Vettel. Judar wusste doch, dass sie sich immer freute, ihn zu sehen. Heute konnte sie es ruhig einmal zeigen. Nach dieser Pleite mit ihren Geschwistern, konnte er etwas Aufheiterung gut gebrauchen. Scheinbar musste er sich selber darum kümmern. Mit neuem Tatendrang, ließ er seinen Blick durch den vernebelten Raum schweifen. Es musste doch irgendetwas geben, mit dem man die Prinzessin ein wenig aufziehen konnte, als Strafe für ihr unzulängliches Verhalten. Da blieben seine Augen an einem kleinen, rosafarbenen Kristallglasfläschchen auf der Ablage hängen. Neugierig stemmte er sich am Wannenrand hoch und schlenderte über den glitschigen Boden hinüber. „Was machst du da?“, verlangte Kougyoku unsicher zu wissen. Der Magi ignorierte sie geflissentlich. Er schnappte den Flakon und musterte seinen Inhalt. Das farbige Glas machte eine nähere Bestimmung schwer. Aber es sah hübsch aus. Genau das richtige für eine Prinzessin, die derart auf ihre Schönheit bedacht war. Sobald er den Deckel öffnete, strömte ihm der verlockende Duft nach süßen Pfirsichen entgegen. Lecker. Sein Lieblingsobst. Eigentlich sogar seine Leibspeise. Ob man das trinken konnte? Mittlerweile hatte sein Königsgefäß bemerkt, was er da in der Hand hatte und kreischte sogleich hektisch los: „Judar? Stell das sofort wieder weg!“ Unwillig kratzte er sich am Kopf. „Warum? Darf man es sich nicht mal anschauen?“, nörgelte er und schwenkte das offene Fläschchen wild in der Luft herum. Ein paar Tropfen des Inhalts spritzten auf seine Hände und verbreiten sogleich ihren verführerischen Geruch. Aber die alte Hexe zeterte einfach weiter: „Was hast du mit meinem Pfirsich-Haaröl vor? Jetzt pass doch auf! Du hast schon alles verschüttet! Das war ein Geschenk von König Sindbad! In Sindria ist das die neueste Mode. Du hast ja keine Ahnung, was das für ein Vermögen wert ist!“ Etwas überrascht über diesen plötzlichen Redeschwall hielten sie beide inne. Dann zogen sich Judars Mundwinkel erfreut nach oben. Endlich. Er hatte seinen Spaß. „Mach es zu und stell es weg!“, fauchte die Prinzessin noch einmal. „Keine Lust. Das riecht, als könnte es gut schmecken!“ Er zwinkerte ihr spöttisch zu und genoss ihre entsetze Miene.   Kougyoku bekam unübersehbar Panik, dass der teure Inhalt des Fläschchens zwischen Judars Lippen verschwinden könnte, und wollte schon aus dem Badezuber schnellen. Im letzten Moment schien ihr jedoch einzufallen, dass sie in diesem Falle splitterfasernackt vor ihm stehen würde. Also ließ sie sich verzweifelt und hilflos zurück in das Wasser plumpsen. Zufrieden schraubte er das kleine Deckelchen wieder auf den Flakon. Erleichtertes Aufatmen begleitete seine Tat. Doch als er das Ding wieder an seinen Platz gestellt hatte, fiel ihm etwas Besseres ein. „Ehrlichgesagt kann ich das ziemlich gut gebrauchen!“, verkündete er begeistert, packte das Fläschchen und schob es flink unter sein Schultertuch. Dann schwebte er genüsslich Richtung Tür. Nicht lange. Die Prinzessin brüllte auf, als hätte man ihr grade das wertvollste auf der ganzen Welt genommen. Mit einem gewaltigen Platschen sprang sie aus der Wanne und stürmte ihm kreischend hinterher. Erschrocken, dass sie sogar ihre Scham für dieses Haarzeugs ignorierte, hechtete er zur Tür. Mit letzter Kraft stürzte er hindurch und knallte sie der aufgebrachten Kougyoku vor der Nase zu. Der Riegel fiel mit einem endgültigen Krachen davor. So, vorerst musste er sich nicht um eine Verfolgerin kümmern. Und er hatte sich mit wenigstens einem seiner Königskandidaten angemessen vergnügen können. Die kleine Prinzessin stellte immer eine gute Zielscheibe für kleine Stichelleien und anderen Ärger dar.     Nun blieb nur noch Koumei Ren. Der Besuch bei ihm würde Judar die größte Freude sein. Er konnte sich sogar vorstellen, wo er ihn antreffen könnte. Mit Sicherheit in seinem Schlafgemach, fleißig bei der Arbeit wie jeden Tag. Rund um die Uhr. Oder zumindest mit irgendetwas Anstrengendem beschäftigt. Irgendwomit musste sich seine stetige Müdigkeit schließlich erklären lassen. Guter Laune schritt der schwarze Magi seinem letzten Ziel entgegen. Der gestohlene Flakon schlug bei jedem Schritt schwer gegen sein Schlüsselbein. Ebenso wie das kleine Mitbringsel für das letzte Königsgefäß. Koumei würde sich bestimmt freuen, auch wenn Judar sein eigenes Geschenk eher abstoßen fand. Obwohl, wenn er ihm erzählte, dass er Sindria, ohne Erlaubnis des Kaisers, den Krieg erklärt hatte, wäre der Prinz sicherlich sprachlos vor Staunen. Oder wütend… Keine üble Vorstellung, den sonst so schläfrigen Zottel einmal kochend vor Zorn zu erleben. Sicher eine einmalige Gelegenheit. Während er etliche Flure passierte, begann er zu schwitzen. Kouha hatte wohl immer noch Recht. Balbadd war einfach nur ein schreckliches Land.   Endlich hatte Judar den Gang erreicht, indem sich der Gesuchte seines Wissens nach befinden sollte. Keuchend stemmte er die Arme in die Seiten. Verdammt, heute war echt zu viel passiert. Und diese Hitze. Wieso machte sie ihm erst jetzt so plötzlich zu schaffen? Aber nun hatte er hatte nichts mehr zu tun, außer Koumei zu besuchen. Danach konnte er sich ein paar Pfirsiche aus der Küche stehlen und vom Dach aus den weiten Nachthimmel betrachten. Alles in allem ein angenehmer Tag. Er hatte viel Spaß gehabt. Und gleich würde er ihn sicherlich immer noch haben. Vielleicht sogar noch viel mehr… Falls er jemals die richtige Tür fände jedenfalls. Wie ein Spion huschte der drahtige junge Mann über den Flur und linste verstohlen in verlassene Räume hinein. Mist. Wo hatte er denn noch nicht gesucht? Sich im richtigen Gang zu befinden schien ihm nicht viel zu nützen. Da erspähte er noch drei geschlossene Türen am Ende des Flures.   Plötzlich erstarrte er mitten in der Bewegung. Was war das für ein seltsames Geräusch? Angestrengt lauschend legte er den Kopf schief. Schon wieder… Ein kaum wahrnehmbarer Laut. Es klang nicht gut. Ein Stöhnen? Viel zu leise, um es sicher zu sagen. Angespannt schlich der Magi einige Schritte in Richtung der Türen. Es konnte nur von dort kommen, oder beobachtete ihn jemand heimlich von den geöffneten Zimmern aus? Vielleicht Kouha? Da war es wieder! Lauter jetzt. Es klang tatsächlich wie ein Stöhnen. Regelrecht gequält. Wie unheimlich. Ein kalter Schauer lief über seinen nackten Rücken. Wer war das? Und was hatte er für ein Problem? Er hatte den betreffenden Raum mittlerweile zweifelsohne erkannt, aber…was sollte er tun? Das Ächzen widerholte sich. Verdammt, das war eindeutig sein gesuchtes Königsgefäß! Hatte es über der ganzen Arbeit eine Herzattacke erlitten? Oder einen Anfall? Koumei besaß schließlich keine gute Gesundheit. Der Schlafmangel und die Überarbeitung machten ihn gewiss anfällig für so etwas.   Und die Geräusche, die an Judars Ohren drangen, hörten sich nach Schmerzen an.  Rang er um sein Leben? Kämpfte er mit dem Tod? Panik erfüllte seine Brust.  Er fürchtete sich vor dem Anblick, der ihn erwartete. Zitternd legte der Magi seine Hand auf den Türgriff. Was würde er da sehen? Am liebsten wäre er geflüchtet. Aber es half ja nichts. Bis er Hilfe geholt hätte, konnte es längst zu spät sein. Also fasste er sich ein Herz. Riss mit einem verzweifelten Ruck die Tür zur Seite. Was er erblickte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.   ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)