Vergiss mein nicht von reuab_art (Willkommen im düstersten Kapitel des 19. Jahrhunderts /Otayuri /Victuuri) ================================================================================ Kapitel 19: Heiße Lippen ------------------------ Kapitel 20      Heiße Lippen   Die Nacht war lauer als zu dieser Zeit üblich und Otabek drehte sich schlaftrunken von einer Seite auf die andere. Im Morgengrauen würde er Yura wieder mit sich zur Arbeit nehmen, er würde die Zeit dort mit den Kindern genießen. Noch immer sprach er kein einziges Wort, aber Leben war in seinen Körper zurückgekehrt. Hin und wieder war Otabek sich sicher, dass Yura sich ihm mehr zuwandte, aber vermutlich war das sein reines Wunschdenken. Er gähnte sachte und bemerkte eine ungewohnte Wärme an seiner Seite. Der Blonde hatte sich innig an ihn gekuschelt und rieb beinahe katzenhaft seine Wange an der starken Brust. Merklich erschrocken hielt der Arbeiter die Luft an. Er konnte sich nicht erinnern, dass sein Liebster diese Nähe in den letzten Wochen bei ihm gesucht hatte. Zärtlich strich er ihm ein paar lange, goldene Strähnen aus dem friedlichen Gesicht und musste selber lächeln. Obwohl der Junge sicher fast ein Mann war, wirkte er so doch unendlich kindlich. Plötzlich streckte sich der dürre Körper neben ihm, gab ein leises Seufzen von sich und kuschelte sich umso mehr an den starken Dunkelhaarigen. Noch immer lächelnd gab auch Otabek sich wieder dem heilsamen Schlaf hin.   „Liiioooooooo!“ Ein lautes Schimpfen ging durch die Flure des Waisenhauses. „Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst nichts aus der Speisekammer klauen!“ Otabek stemmte die Fäuste in die Hüften. „Die anderen Kinder wollen auch etwas von dem Schinken essen, aber wir müssen es gut aufteilen!“ Lio schnappte nach Luft und plusterte sich auf wie ein kleiner Vogel. „Ich war das ja gar nicht, Yura war das!“, protestierte er laut, während selbiger wie ein Engel dreinblickend mit dem Kopf schüttelte. „Der Herr straft die Lügner, mein Kind!“ Chris fröhliches Gesicht lugte durch die Speisekammertür. Der Priester brachte häufig Spenden, die den Kindern in aller Form zu Gute kamen. Yura versuchte ein Grinsen zu unterdrücken, doch Chris zog ihm bereits sein Ohr lang. Leicht quiekend stellte er sich auf die Zehnenspitzen. „Her mit dem Schinken!“ Folgsam zog der Junge das gute Essen unter seinem Hemd her und hielt es Otabek hin. Lio rollte nur vielsagend mit den Augen, während er die Arme verschränkte. Langsam ließ Chris das rot angelaufene Ohr los und holte tief Luft. „Oh, wanderte ich auch im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück...“ Er fuchtelte heroisch mit den Armen und setzte zu einer wohl nie endenden Predigt an, doch Lio zog seinen neuen Freund schnell hinter sich her. Offenkundig enttäuscht räusperte der Priester sich. „Nun gut, lass uns einen Tee trinken, mein Sohn. Das wäre nun eine Wohltat.“ Gemeinsam mit Dr. Lee setzten sie sich an den alten Eichentisch, der schon bessere Zeiten gesehen hatte. Das alte Teeservice bestand nur noch aus vereinzelten Teilen, aber die Mischung der Kräuter entschädigte für jeden optischen Mängel. Stillschweigend saßen sie beieinander, jeder in seine Gedanken versunken. Schlussendlich brach Chris das Schweigen. „Welch heitere Zeit uns doch nun wieder gegönnt wird. Ich las, dass die Textilfabriken erneut einen wunderbaren Umsatz erzielten und auch neue Geschäfte das verfallene Viertel erhellen.“ Doch der Mediziner schnaubte nur. „Nichts, was bei den Armen und Kranken ankommt. Gebt euch keiner Illusion hin, Father. Sie alle werden weiter sterben ohne ausreichende Versorgung. Uns fehlen Betten, Zimmer und Gerätschaften. Oft kann ich kaum Jod auftreiben, um Wunden zu reinigen.“ Das Gesicht des Priesters verdunkelte sich zunehmends. „Ja, ich weiß. Dennoch... ist die Hoffnung unser steter Begleiter. Wenn nicht wir die Menschen davon überzeugen können, dass es ihnen eines Tages besser gehen wird, wer dann? Wer nimmt das Leid aus den Herzen all jener, die uns anvertraut sind. Ich frage, wer kann die Dunkelheit dieses Lebens noch erhellen, wenn nicht wir?“ Otabek blickte zwischen den beiden Männer hin und her. Er selber kämpfte doch täglich mit der Angst aufzugeben. „Gebete ernähren keine Menschen... Father! Sie füllen keine leeren Schränke, sie wärmen keine ausgekühlten Körper. Sie halten die Menschen stumm, damit sie nicht ihr eigenes Elend hinausschreien. Erst gestern starb mir ein Patient, kaum 14, an einer schweren Entzündung, alleine weil es an sauberen Instrumenten scheitert. Ich will das nicht mehr länger ertragen. Ein Hurenhaus hat eine bessere Versorgung als unser Stadtkrankenhaus.“ Otabek durchzuckte es bei dem Gedanken an Jean und seine zwielichten Kontakte. Alleine der Gedanke an all das Geschehene ließ ihn unwillkürlich zittern. Doch ihm blieb kaum Zeit, darüber nachzudenken, da kam Lio völlig aus der Puste in den Raum gestürzt. „Yura!“, rief er nur heiser und Otabek sprang panisch auf.   Übermütig wie er stets war, hatte Yura den Teich im Krankenhausgarten als spannend erachtet und erst zu spät herausgefunden, dass er nicht schwimmen konnte. Japsend  paddelte er herum und hielt sich eisern über Wasser. Völlig desorientiert fand er keinen Weg zum Teichrand. Otabek dachte keine Sekunde nach, sprang in das schmerzhaft kalte Wasser und zog den Jungen behutsam hinaus. Dr. Lee betrachtete beide kopfschüttelnd. „In der Kammer ist Wasser auf dem Herd, es sollte zum Aufwärmen reichen.“ Rasch vertiefte er sich wieder in sein Streitgespräch mit dem Priester. Die beiden Jüngeren verloren keine Zeit. Der Arbeiter half seinem Liebsten, der furchtbar zitterte, aus den nassen Kleidungsstücken und nahm den Kessel vom Herd. Behutsam tauschte er ein Tuch hinein und ließ das heiße Wasser über den dürren Körper laufen. Ein leises Seufzen entwich dem Blonden und seine smaragdgrün en Augen wanderten am Körper des anderen entlang. Langsam fanden seine Hände den Weg zu den Hemdknöpfen und entblößten den muskulösen Körper des Arbeiters. Otabek ließ es stillschweigend geschehen, unsicher, was Yura gerade dachte. Sie standen so nah aneinander, dass das wohltuende Wasser sie beide erreichte und wohlige Schauer über ihre Haut jagte. Yura schloss den wenigen Abstand, sein Körper stand nun eng an den des Anderen gedrückt. Für einen Moment setzte vor Schreck das Herz des Arbeiters aus, denn er traute sich nicht, irgendetwas zu tun. Er war lediglich dankbbar, dass seine Hose noch an ihrem Platz war und nicht wie Yuras Kleidung auf dem Boden lag. Seine Atmung war schwer, fast stoßartig. Langsam legten die Arme des Blonden sich um seinen Nacken, der Blick lasziv und neckend. Spielte er gerade hier mit ihm?! „Yura... nicht!“ Otabek drückte ihn sanft von sich und erntete einen beleidigten Gesichtsausdruck. Rasch legte er ihm ein großes Baumwolltuch um und wickelte ihn fest darin ein. Yura ließ es über sich ergehen, wirkte aber noch immer sauer. Ihm blieb nun aber nur Gehorsam über.   Otabek hoffte inständig, dass er sich nicht bei all dem erkältet hatte. Der Ofen brannte herrlich warm und hell  in der kleinen Wohnung, die nun so heimelig wirkte. Ein alter Topf stand darauf und die darin enthaltene Suppe köchelte munter vor sich hin. Yura hockte auf den Laken und nagte an einer Möhre, die wohl eigentlich für das Abendessen bestimmt war. „Die sollte in die Suppe, Yura!“, seufzte der Arbeiter und konnte gerade noch den Kopf zur Seite neigen, als ihm das eben beschriebene Gemüse entgegen geworfen wurde. „Warum bist du denn immer noch sauer auf mich?“ Er setzte sich zu dem Jungen auf die alten Decken, doch dieser wandte sich nur ab. „Yura, bitte! Ich wollte dich nicht abweisen, aber... ich weiß doch gar nicht, was in dir vorgeht! Was, wenn ich etwas tue, was du nicht willst?“ Der Blick des Blonden loderte, doch er erhob sich, legte seine Hände auf die starken Schultern und setzte sich breitbeinig auf den Schoß des schon wieder perplexen Arbeiters. Die grünen Augen stachen ihm förmlich in sein Herz. Yuras zartes Gesicht beugte sich langsam nach vorne, die feine Nase berührte den Wange seines Gegenübers. Überfordert wusste Otabek nicht einmal, wohin er seine eigene Arme legen sollte, da spürte er auch schon diesen atemberaubenden Kuss. Nicht zurückhaltend, nicht scheu, nicht unschuldig, nein, glühend und fordernd zeichneten sich immer mehr Linien auf seine Lippen. Die dürren Finger suchten ihren Weg am Körper des Arbeiters hinunter und endeten zielstrebig in seinem Schoß. Otabek keuchte auf, griff jedoch nach den Armen des Jungen und drückte ihn wieder von sich. „Yura, bitte! Ich... ich will dir nicht wehtun!“ Unverständnis spiegelte sich in den Augen des Blonden wider und hinterließ ein noch bittereres Gefühl  bei seinem Gegenüber. Otabek wollte ihn wirklich nicht abweisen, aber nach wie vor hatte er keinerlei Erfahrungen mit anderen. Es könnte für ihn also peinlich enden. Doch Yura ließ sich nicht davon abbringen, riss sich los, drückte den anderen fest in die Laken und beugte sich über ihn. Hilflos lag Otabek auf dem Rücken, spürte nur, wie der Körper des anderen an ihm hinunter glitt und seine Kleidung aufknöpfte. Schamesrot hielt er eine Hand vor seine Lippen und erstickte ein weiteres Keuchen, als er zarte Lippen an seinen Lenden spürte. Er sollte doch eigentlich vernünftig sein, er sollte ihm sagen, dass er aufhören soll, aber das Gefühl in ihm übermannte ihn. Die Raumdecke flimmerte merklich vor seinen Augen, während seine Muskeln sich immer mehr anspannten. Die Hitze, die ihn fast verrückt werden ließ, breitete sich in seinem Schoß immer mächtiger aus. Er verlor jedes Zeitgefühl. Sein Körper gehörte nicht mehr ihm, er gehörte diesen Lippen, dieser Zunge. Von Sinnen zuckte sein Körper ein paar Mal auf, bevor das Schwarz sich endgültig auf seine Augen legte.   Otabek wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bevor er aus der Dämmerung erwachte, doch zu seiner Überraschung hockte Yura am Ofen und aß zufrieden dreinblickend einen Teller der Suppe. Der Arbeiter blinzelte ein paar Mal und rieb sich die Stirn. Hatte er nur geträumt? Aber das konnte er sich doch nicht eingebildet haben!? Er sah an sich hinunter, aber alles war wie vorher. Keine aufgeknöpften Sachen, keine Spuren seiner Fantasie. Mit noch verklärtem Blick setzte er sich auf und weckte wohl Yuras Aufmerksamkeit. Dieser sah ihn fragend an und gab ihm dann lediglich einen Teller der Suppe hinüber. Ungläubig nahm der Arbeiter ihn an und überlegte noch, ob er das Geschehene ansprechen sollte. Aber was war, wenn er wirklich nur ein Opfer seiner eigenen Gelüste geworden war? Wenn er selber gar solche Gedanken hegte? Was, wenn er dem Jungen so Unrecht tat und ihn in diese Rolle zwang? Während er so in sich selber vertieft war, merkte er nicht, wie Yura sich wieder dem Feuer zuwandte und ein diebisches Lächeln über seine Lippen huschte.   Die Tage vergingen wie jene zuvor. Arbeiten für den kleinen Lohn, der einen ernährt und am Leben hält. Doch Otabek war damit zufrieden. Hin und wieder beobachtete er Yura dabei, wie er förmlich an Schaufenstern klebte. Feiner Schmuck, teure Mäntel, herrliche Pralinen, doch nichts davon konnte er seinem Liebsten kaufen. An manchen Tagen kam er sich so klein und unbedeutend vor, aber Yura schien nie unglücklich. Im Gegenteil, in der letzten Zeit blühte er noch viel mehr auf, half selber im Waisenhaus und fand sogar öfter einen Grund zum Lächeln. Aber noch immer irritierte den Arbeiter die offensive Art des Blonden. Hatte er sich doch das alles nicht eingebildet? Von Jean waren sie zum Glück endlich verschont geblieben, denn seine Hochzeit mit der Großbesitztochter Isabella war zum Stadtgespräch geworden. Alsbald wollten die beiden sich augenscheinlich das Ja-Wort geben. Nur Chris hatte wohl eine wenig keusche Überraschung, wie Otabek bald feststellen sollte. Dr. Lee hatte den Jungen zum Priester geschickt, um ein paar Spenden abzuholen. Eilig hatte dieser den Weg zurückgelegt und sollte zu seinem Erstaunen Kleidungsstücke zum Krankenhaus bringen. Diese sollten den Armen zu Gute kommen. Chris jedoch begrüßte ihn schon mit einem breiten Grinsen. „Mein Sohn, welch Wohltat für meine Augen! Genau für dich habe ich eine besondere Spende!“ Argwöhnisch besah Yura den Geistlichen und vermutete, dass dieser wohl den Verstand verloren hatte. Indes zupfte dieser ein unbeschreibliches Stück aus einem Leinensack. „Es gehörte einer gar berühmten Tänzerin, einer Bekannten der Königin selber! Frag nicht, Kind, wie ich daran kam, ich möchte keine Beichte ablegen.“ Er lachte albern vor sich hin und Yura war sich jetzt ganz sicher, dass er seine Sinne nicht mehr bei sich hatte. „Ich kenne nämlich den Kammerdiener, wenn du verstehst!“ Der Blick des Blonden sprach Bände. Nein, das wollte er wirklich nicht wissen. Aber das Kleidungsstück, das war mehr als anziehend. Ein Hauch von Nichts, rote Seide mit feinen Glasschliffsteinen. Als wären Engelstränen und Sterne gleichzeitig vom Himmel gefallen. „Du verstehst,  nicht wahr?“ Chris Stimme nahm einen unheimlichen Klang an. „Otabek ist auch nur ein Mann und ich bin mir sicher, es wird ihm... gefallen!“ Yura dämmerte es langsam. Otabek hatte sicherlich, fromm wie er war, Beichte abgelegt und dieser überdrehte Priester meinte auch noch, dass er wohl Nachhilfe brauchte. Ein wenig amüsant war es allerdings schon, denn Yura würde nicht geizen bei dem, was er sich wünschte. Die Gefühle, die für Otabek in der letzten Zeit fast schmerzlich brannten, wollten sich endlich ihren Weg in die Freiheit bahnen. Dankend nickte der Junge, nahm alle für ihn wichtigen Dinge an sich und machte sich gespannt auf den Rückweg. Chris hingegen grinste zufrieden, begann zu pfeifen und tänzelte gekonnt den Kirchgang entlang. „Heute Nacht, mein Sohn, heute Nacht! Und bald wird Hochzeit gefeiert!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)