Vergiss mein nicht von reuab_art (Willkommen im düstersten Kapitel des 19. Jahrhunderts /Otayuri /Victuuri) ================================================================================ Kapitel 10: Wiedersehen ----------------------- Kapitel 11 Wiedersehen   Nur noch drei Tage trennte das aufgewühlte London von den festlichen Weihnachtstagen. Überall waren die Menschen im Stress und auch im Haus am Ende der Gasse konnte keiner die Vorweihnachtszeit als besonders entspannend bezeichnen. Yuri erneuerte die Seiten seiner Geige und stimmte sie zärtlich für die feinen Weihnachtslieder. Schließlich sollte der erste Weihnachtstag etwas ganz Besonderes werden. Jean hatte ihm zig Mal eingebläut, dass er ja nicht auf die Idee kommen sollte, etwas nicht Traditionelles zu spielen. Viktor durfte derweil mit Mila Ausschau nach den feinsten Gänsen der Stadt halten. Schließlich sollte das alljährliche Weihnachtsfestmahl auch in diesem Jahr wieder alle Kunden überzeugen und die Geldbörsen lockern. Jean ließ sich den Abend selbstverständlich fürstlich bezahlen. Während Yuri leise die ersten Töne von „Once in Royal David's City“ anstimmte, gesellte sich eine zarte Gestalt zu ihm. Er nahm Yura nur aus dem Augenwinkel wahr, doch ließ sich nicht davon beirren. Der Blonde ließ sich lautlos neben ihm nieder und horchte den schönen Klängen der Geige. Mit leicht angewinkeltem Kopf und großen Augen lauschte er. Auch als das Lied verstummte, blieb er still bei dem Kartenspieler sitzen und sah ihn nur neugierig an. Etwas unangenehm war es Yuri schon, dass der Junge ihn so erwartungsvoll anstarrte, also legte er den Bogen erneut an und spielte etwas lauter „O Come All Ye Faithful“. Yuras Augen leuchteten förmlich dabei und ein Lächeln stahl sich auf die zarten Lippen. Dies blieb dem Musiker nicht verborgen und er fragte sich, ob der Blonde wohl etwas mit diesem Liedern verband. Es dauerte eine ganze Zeit und viele weitere Lieder, bis Yuras Aufmerksamkeit schließlich eingefordert wurde. Jean hatte ihn von der Treppe aus gerufen. Eilig lief er zu ihm und Yuri hätte zu gerne gewusst, was die Beiden zu besprechen hatten. Traurig besah er ihre vertrauten Berührungen und musste unweigerlich an Otabek denken. Der junge Arbeiter kämpfte jeden Tag so hart dafür, dass er endlich nur ein paar Schritte sicher laufen konnte. Viktor hatte Yuri gestern mit zur Kirche genommen und er konnte endlich selber mit ihm sprechen. Sorgenvoll hatten sie beim kargen Abendessen mit Chris und ihm zusammengesessen. Dennoch verlor Otabek kein böses Wort, sondern zeigte sich kämpferisch und stark. Yuri freute sich aus tiefstem Herzen, denn auch Viktor machte sich noch immer viele Gedanken. Nach wie vor hatten sie nicht mit ihm über die Situation hier gesprochen. Die Gedanken des Kartenspielers wurden jäh durchbrochen. „Du, Nichtsnutz! Komm her!“, befahl Jean ihm unfreundlich. „Begleite mein Kätzchen in die Stadt, aber wehe, ich höre nachher Klagen!“ Völlig perplex blinzelte Yuri und rückte seine Nickelbrille zurecht. Hatte er gerade richtig gehört? Er sollte Yura in die Stadt begleiten? Das letzte Mal war es ein absolutes Desaster und hatte erst zu all dem geführt, was gerade passierte. Als der Blonde ihm schmerzhaft den Ellbogen in die Seite rammte, japste er kurz und nickte untergeben. „Nimm die Kutsche, die Pferde sind angespannt. Georgi wartet!“, warf ihnen Jean nach, ehe Yura schon seinen Pelzmantel geschnappt hatte und den armen Kartenspieler mit sich zog. Der Weg war nicht sonderlich lang, doch sie verloren kein einziges Wort. Yuri wusste nicht, was er hätte sagen können oder sollen. Sein Gegenüber starrte ohnehin nur in die verschneite Welt außerhalb der Kutsche. Beim Aussteigen traute sich der Schwarzhaarige doch endlich zu fragen: „Was genau sollen wir denn hier?“ Ein paar schneidend-grüne Augen fokussierten ihn sofort. Schon tat dem armen Yuri seine Frage furchtbar leid. Doch er erhielt überraschenderweise eine Antwort. „Ich brauche etwas Feines zum Anziehen für den Weihnachtstag.“, stellte der Junge  tatsächlich wenig erfreut fest. Hier draußen, in der verschneiten und überfüllten Stadt, wirkte Yura auf einmal gar nicht mehr so angepasst, wie in der letzten Zeit. Seine Stimme war kühl, aber nicht mehr herrisch, wie sie alle es mittlerweile gewohnt waren von ihm. Sein leerer Blick wanderte über den Platz, der so festlich geschmückt war, dass jeder nur staunend stehen blieb. Yuri seufzte leise. Sollte er ihn auf Otabek ansprechen? Viktor würde ihn sehr tadeln, würde er den Jungen jetzt wieder verärgern. Vorerst beließ er es also lieber bei einem einfachen Gespräch. „Gut, wo möchtest du hin?“, fragte er mit einem aufmunternden Lächeln. Yura senkte den Blick und atmete tief ein. Die Kälte tat in den Lungen weh, aber sie konnte nicht überdecken, was in ihm vorging. „Können wir… vielleicht… etwas trinken? Eine warme Schokolade?“ Die Stimme des Jungen klang bittend, fast bettelnd. Zu seiner Überraschung musste der Kartenspieler kurz noch mehr Lächeln, stimmte dann aber gerne zu. Sie suchten sich ein nahegelegenes, kleines Wirtshaus und Yura streifte schnell den schweren Mantel ab. Er hasste ihn. Der Duft nach Orangen und Zimt füllte den ganzen Raum. Unweit von ihnen saß ein Mann am Klavier und spielte „The Holly and the Ivy“. Yura liebte diese Lieder, erinnerten sie ihn doch an seinen geliebten Großvater, den er schmerzlich vermisste. Der Kartenspieler bestellte ihnen eilig zwei heiße Getränke und sah seinen Gegenüber dann fragend an. Irgendetwas ging doch in ihm vor? Noch immer schweigend tranken sie die süße, heiße Flüssigkeit, die so angenehm wärmte. „Yuri?“, begann der Junge dann zögerlich. Vorsichtig nestelte er an dem Goldarmband herum, das um sein schmales Handgelenk gebunden war. „Wie geht es ihm?“ Perplex verschluckte sich Yuri an der heißen Schokolade. Hustend klopfte er sich selber auf die Brust. Hatte er gerade wirklich nach Otabek gefragt? Scheinbar schien der Andere seine Frage schon zu bereuen, denn sein Blick ging sofort zu Boden. „Ähm… er…er wird wieder gesund!“, versuchte Yuri die Situation zu retten und erntete große, hoffnungsvolle Augen. Sorgsam begann er, alles zu erzählen, was er wusste. Yura hörte ihm mit geöffnetem Mund zu und man spürte die Anspannung in seinem Körper. Seine Hände zitterten und immer wieder dachte Yuri, er würde Tränen in seinen Augen entdecken. „Du siehst, es wird alles gut. Also… fast..“, endete Yuri mit hochgezogener Augenbraue. Es gab kein Zurück mehr. „Was soll das mit Jean?“, erzürnte er sich doch schlussendlich. Yura wich verschreckt zurück und nun bildeten sich wahrlich Tränen in seinen Augen. Verzweifelt hielt er die Hände vor das Gesicht und schluchzte herzzerreißend. Sofort tat dem Kartenspieler seine scharfe Ansprache leid. „So.. so war das nicht gemeint! Bitte, weine nicht!“, versuchte er den Jungen zu beruhigen. Noch mit gebrochener Stimme gab Yura schlussendlich sein Geheimnis preis: „Ich muss es doch tun. Wenn ich ihm nicht gehorche, dann wird er Otabek etwas antun. Du musst mir schwören, bei allem, was dir heilig ist, dass du das niemanden erzählst! Niemandem!“ Die dürren Hände des Jungen umklammerten Yuris fest. „Bitte! Mein Herz würde sterben, wenn ihm etwas zustoßen würde! Lieber bin ich von ihm getrennt, aber ich weiß, dass es ihm gut geht!“, flehte er noch immer unter Tränen. Yuri hatte keine Wahl. Er konnte ihn nicht hintergehen. Mit einem langen Seufzen versprach er ihm, sein Geheimnis zu hüten. Noch lange saßen sie gemeinsam im Wirtshaus und sprachen über Otabek, denn Yura wollte alles genau wissen. Schließlich erinnerte die Dämmerung sie daran, dass sie eigentlich eine andere Aufgabe hatten. Eilig verließen sie die warme Stube und merkten, dass noch immer ein reges Gedrängel vor den Geschäften herrschte. Genervt bahnte Yura sich den Weg zu einem seiner liebsten Schneider. Kurz vor dessen Laden herrschte an einem anderen Schaufenster ein enormes Treiben. Familien mit Kindern drückten sich die Nasen an der Scheibe platt. Der große Spielwarenladen war so herrlich geschmückt, dass auch die beiden jungen Männer kurz stehen blieben. In Hülle und Fülle waren Teddybären, Porzellanpuppen und viele Blechspielzeuge ausgestellt. Das Kerzenlicht glitzerte dazwischen wie kleine Feenkugeln. Es war beeindruckend für Yura, all die glücklichen Familien zu sehen, die mit ihren Kindern dort einkauften oder nur bedächtig die vielen teuren Stücke besahen. Unweigerlich stellte er sich vor, wie es wäre, eine Familie zu haben. Peinlich berührt von seinen Gedanken errötete er und wollte schon weitereilen, da rannte er fast jemandem in die Arme. Yuri quietschte erschrocken. „Mein Sohn! So schnell sieht man sich wieder!“, erklang die gewohnt fröhliche Stimme. Dabei ignorierte der Reverend gekonnt Yura, der einen Schritt zur Seite gesprungen war und begrüßte den Kartenspieler, der sich von dem Schreck zu erholen schien. „Oh, Father! Guten Abend! Wir… wollten nur noch schnell zum Schneider.“, versuchte Yuri ein ausschweifenderes Gespräch zu verhindern. „Aber, aber! Was ist denn das für eine Begrüßung! Wenn ihr beim Schneider ward, kommt doch wenigstens einen armen und einsamen Kirchenmann besuchen. Almosen nehmen wir übrigens gerne von den feinen Herrschaften für die armen Kinder!“ Sein Blick blieb auf Yura hängen, der nur die Lippen verzog und eilig den Weg zum Schneider suchte. Der Kartenspieler hingegen blieb bei dem Priester stehen. Ein vielsagender Blick des Reverends brachte  ihn in Bedrängnis. „Ich… ich kann ihn dazu nicht überreden! Bitte, versteht es. Richtet Otabek bitte meine Grüße aus, aber manche Dinge liegen nicht in unserer Macht.“ Yuri wollte dem Jungen in das Geschäft folgen, doch Chris hielt ihn am Arm fest. „Dann sorg dafür, dass es in eurer Macht steht!“, befahl er trocken. „Was soll ich Otabek sagen?! Soll ich ihm sagen, dass er sein ganzes Leben für Nichts geopfert hat?!“, setzte er wütend nach. Yuri begann zu zittern, wusste er doch nicht, was er tun sollte. Schließlich hatte er dem Jungen versprochen, sein Geheimnis zu wahren. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn. „Bitte, ich kann nicht, wirklich! Es ist besser so!“, bettelte er und wollte sich losreißen, doch der Griff des Priesters war ungnädig. „Dann soll er es ihm gefälligst selber sagen!“, raunte Chris ungeduldig. „Was soll wer wem selber sagen?“, erklang eine ruhige Stimme hinter ihnen und beide schreckten auf. Otabek stand, vorsichtig auf eine Krücke gestützt, nicht weit von ihnen. „Ich dachte, wir sollten nur schnell die Einkäufe erledigen?“, fragte er irritiert, als er auch Yuri sah. Chris ließ den Kartenspieler los und räusperte sich. Noch ehe einer der Beiden ein Wort sagen konnte, war Yura mit seiner Bestellung fertig und eilte aus dem Laden. Perplex blieb er neben Yuri stehen und brachte nur einen erschreckten Ton heraus. Otabek stand nur wenige Meter vor ihm und starrte ihn genauso entsetzt an. Der Reverend durchbrach die Stille: „Ich sagte nur gerade zu Yuri, dass dein Liebster dir bestimmt gerne selber sagen möchte, warum du nichts von ihm gehört hast!“ Der Kartenspieler verbarg resigniert das Gesicht in den Händen. Warum zog er das Pech nur jedes Mal an? Otabek betrachtete Yura skeptisch. Er sah fein angezogen aus, die goldene Spange reflektierte das Kerzenlicht der Schaufenster und seine ganze Erscheinung kam ihm so fremd vor. War das wirklich der Junge, für den er alles gegeben hatte? Die Kälte, die von ihm ausging, ließ ihn erschaudern. Er musste wissen, was passiert war! „Auf ein Wort!“, befahl er nur knapp und deutete zur Kirche hin. Yura wusste, dass egal, was er ihm jetzt an den Kopf werfen würde, er würde es als Lüge erkennen. Folgsam begleitete er die anderen zum großen Gebäude. Chris und Yuri zogen sich in die Kirchenstube zurück, während Otabek Yura den Weg zur Kammer wies: „Setz dich!“ Als der Junge jedoch keine Anstalten machte, wurde der Ton schärfer. „Ich sagte, setz dich!“ Langsam ließ Yura sich auf einen Stuhl sinken, streifte den Pelzmantel ab und sah zu Boden. Mühsam ließ sich Otabek auf dem Lager nieder. „Es tut mir Leid, dass du mich so sehen musst.“, begann er dann zögerlicher, doch Yura hob protestierend den Kopf. „Sag nicht so etwas!“, platzte es aus ihm heraus. Überrascht wartete der junge Arbeiter, ob sein Gegenüber von sich aus weiterspräche, doch er senkte wieder den Kopf. „Nun, gut. Wirst du mir jetzt endlich sagen, warum ich nicht ein Wort von dir gehört habe? Hat Jean dir wehgetan? Was ist passiert?“ Er griff nach dem Kinn des Jungen und hob das zarte Gesicht an. „Yura,  bitte! Sprich mit mir!“ Doch der Junge wusste, er durfte nicht nachgeben. „Lass mich bitte in Ruhe.“, presste er unter Tränen hervor. Perplex starrte Otabek ihn an. „Ich möchte dich nicht mehr sehen! Jean ist der Mann an meiner Seite und ich…“ Seine Stimme brach. Zitternd rang er um Fassung. „Ich möchte einen Mann, der mir etwas bieten kann und der mich mit zu Gesellschaften nimmt. Ich möchte nicht hungern müssen oder so hausen.“ Otabek blinzelte ein paar Mal. Zu Yuras völligem Erstaunen brach er in Gelächter aus, das er schon mit der Hand unterdrücken musste. „Herrje, du bist der schlechteste Schauspieler, den ich je gesehen habe! Also damit machst du keine Karriere!“, brachte Otabek gerade so hervor. Beleidigt über diese enorme Belustigung verzog Yura das Gesicht. „Ich hasse dich!“, fauchte er und erntete nur noch mehr Gelächter. „Nein, mein Herz, das tust du nicht!“ Damit beugte sich der Schwarzhaarige nach vorne, zog den Blonden kraftvoll zu sich auf das Lager und küsste ihn voller Zuneigung. Zuerst wehrte sich Yura mit Händen und Füßen, aber der Kuss war zu schön, um sich ihm nicht hinzugeben. Schwer atmend lösten sie sich nach ein paar Minuten und schauten einander still an. Otabek hatte Recht. Yura konnte nicht ohne ihn leben. Jede Faser seines Körpers zeigte es ihm. „Du musst mich gehen lassen! Bitte! Jean wird dir etwas antun!“ Langsam begriff der Arbeiter, was seinen Liebsten so quälte. „Jean hat dir gedroht, nicht wahr?“, fragte er eindringlich und Yura nickte bedrückt. Sanft zog er den Jungen wieder in einen Kuss. „Ich verspreche dir, dass ich vorsichtig sein werde. Aber du darfst mir nicht verbieten, dich zu sehen. Das würde mein Herz nicht aushalten!“ Gerade als Yura antworten wollte, hörte er Yuris Stimme nach ihm rufen. Er hatte völlig die Zeit vergessen und nun würden sie beide sicherlich eine Menge Ärger von Jean bekommen. Hastig sprang der Blonde von dem Lager, gab Otabek noch einen letzten Kuss und stürmte zum Kirchenraum. „Ich gebe dich nicht auf…!“, flüsterte der Arbeiter und ließ sich erschöpft zurück in die Decken sinken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)