Vergiss mein nicht von reuab_art (Willkommen im düstersten Kapitel des 19. Jahrhunderts /Otayuri /Victuuri) ================================================================================ Kapitel 8: Nachtgebet --------------------- Ich entschuldige mich schon einmal im Voraus für den Schluss!   Nachtgebet   Noch immer ließ Otabek eine ganze Schar von Beschimpfungen über sich ergehen. Was genau den Jungen so wütend machte, verstand er allerdings noch immer nicht. Zielsicher ergriff er die beiden schmalen Handgelenke. Ein kurzes, bestimmtes „Stop“ brachte seinen Gegenüber zum Schweigen. „Kannst du mir mal erklären, warum ich hier gerade so wüst von dir beschimpft werde, obwohl ich mein Leben für dich riskiere?“, fragte der Ältere kalt. Yura blickte ihn entgeistert an und schien einen Moment nachdenken zu müssen. Dann fasste er sich wieder und zeterte weiter: „Das fragst du mich!? Du hast mich einfach hier alleine gelassen! Außerdem… belügst du mich!“ Der Schwarzhaarige schaute nun doch recht verdutzt rein und lockerte den Griff. „Ich… bitte was!?“, fragte er ungläubig nach und erhielt prompt die Quittung. „Du wolltest mir ja erst gar nicht sagen, dass du so krank bist! Meinst du wirklich, ich bin nur ein Spielzeug auf Zeit? Ich hasse dich! Ich hasse dich!“ Yura versuchte sich zu befreien, während Otabek noch immer versuchte, sich einen Reim auf alles zu machen. „Warte… woher weißt du das?“, fragte er dann doch irritiert, konnte sich die Antwort allerdings denken. Als Yura nur ein eingeschnapptes Schnauben von sich gab, ergriff er noch einmal das Wort. „Was auch immer er dir erzählt hat, es ist nicht wahr! Ja, ich bin krank, aber ich habe keineswegs vor, diese Welt vorzeitig zu verlassen. Ich mag mir einen anderen Job suchen müssen, aber auch das wird mich nicht umbringen!“, bezeugte er mit Nachdruck und zog den Jungen näher zu sich. „Bist du so wütend, weil du Angst um mich hattest?“, fragte er und drückte die Handgelenke fester. Ein kleines Ächzen kam von Yura und er verzog das Gesicht. „Und wenn schon!“, keifte er und zappelte. Doch was er tat, er konnte seine Handgelenke nicht lösen. Nun musste Otabek doch grinsen. Sein Liebster war also in Sorge um ihn. Der Gedanke gefiel ihm ausnehmend gut. „Grins nicht so blöd!“, schnaubte der Blonde und schaute wirklich wütend drein. So eine Frechheit durfte sich bei ihm niemand erlauben. Das führte allerdings dazu, dass sein Gegenüber nur noch mehr grinsen musste. „Du bist ganz schön frech für einen so hübschen Jungen.“ Völlig aus dem Konzept gebracht, sah Yura ihn an und bekam seinen Mund kaum zu. Noch ehe er wieder protestieren konnte, packte der Ältere ihn und schulterte den zarten Körper. „Ich glaube, du brauchst mal frische Luft!“, bemerkte er nur knapp und ging mit dem zappelnden Jungen zum Fenster. Geschickt öffnete er es und sah hinaus auf den schmalen Sims. „Sollte reichen.“, stellte er eiskalt fest und hob den dürren Körper über die Schulter aus dem Fenster. Ängstlich krallte Yura sich an den Arbeiter, spürte aber tatsächlich den Fenstersims unter sich und fand Halt. „Was machst du mit mir?“, fragte er doch sorgenvoller als erwartet. Otabek grinste wieder. „Ich zeige dir etwas, komm!“ Mit den Worten kletterte er ihm hinterher und fand schnell weitere Abstiegsmöglichkeiten zum Hinterhof hin. Behutsam kletterten sie hinunter, während der Ältere stets auf seinen Freund achtete. Für einen Moment überlegte Otabek, wie er es anstellen sollte, dann trat er auf die Pferde zu, die Jean sorgsam angebunden hatte. Sofort schmiegten sie ihre Köpfe an den Arbeiter, der ihnen liebevoll die Ohren kraulte. Yura sah ihm staunend dabei zu, waren die Tiere bei Jean doch immer ungnädig und wild. Ohne Umschweife band der Ältere eines los, legte das Zaumzeug um und schwang sich auf den Rücken des schwarzen Rosses. „Steig auf!“, befahl er dem Blonden und hielt ihm eine Hand hin. Zögerlich ließ er sich auf das Tier ziehen und klammerte sich fest an den Rücken seines Entführers. Galoppierend preschte das Tier durch die schmalen Gassen und Yura hatte immer wieder schrecklich Angst, dass er fallen könnte. Andererseits genoss er die Nähe zu Otabek, seine Körperwärme und die Stärke, die er ausstrahlte. Es dauerte nicht lange, da hatten sie eine alte Kirche erreicht. Sie sah marode und verlassen aus. „Was wollen wir hier?“, fragte der Jüngere erstaunt. Das ganze Viertel war heruntergekommen und der bittere Geruch von Verfaultem lag in der Luft. Angeekelt hielt Yura sich die Hand vor den Mund, als Otabek vom Pferd stieg und ihm danach half. „Das ist eben nicht deine schöne Kammer mit dem Samtsofa und den vielen feinen Sachen. Das ist die Realität!“ Er band das Pferd sorgsam an. „Komm mit!“, befahl er in einem sanfteren Ton und zog seinen Liebsten mit sich zur Kirche. Zuerst sträubte Yura sich, ließ sich dann aber mitziehen. Vorsichtig erklommen sie die Stufen zum Kirchturm. Man musste gut auspassen, wohin man trat, denn einige Stellen waren so vermodert, dass ein Einstürzen drohte. Als sie das Ende des Turmes erreicht hatten, schob Otabek den dürren Körper zu einem Überstand. Von dort aus konnte man über ganz London sehen. Überall brannten kleine Lichter und von oben sah alles aus, wie ein verwunschenes Gemälde. Yuras Mund stand offen, während er kaum zu atmen wagte. So etwas Beeindruckendes hatte er noch nie gesehen. Er hatte überhaupt keine Vorstellung davon, wie groß die Stadt eigentlich war. Nur Otabek riss ihn aus seinen Gedanken, denn er legte ihm von hinten beide Arme um den Körper und zog ihn sanft an sich. Der Ältere wollte ihm so nah wie möglich sein, genoss den Duft von Flieder und Rosenholz, der von seinem Liebsten ausging. Liebevoll küsste er den Nacken des Jungen und ein Schauer ging durch Yuras schmalen Körper. Noch nie hatte jemand ihn so berührt. Irritiert wandte er sich in der Umarmung um und blickte dem Arbeiter nun direkt in die Augen. Sein Herz raste und kein vernünftiger Gedanke ließ sich in seinem Kopf nieder. Minutenlang starrten sie sich nur an, dann zog der Ältere Yura abermals näher an sich und versiegelte endlich seine Lippen mit den eigenen. Für Beide blieb jedes Zeitgefühl aus, während sie sich zuerst zaghaft, dann leidenschaftlicher küssten. Nach Luft schnappend mussten sie sich schließlich lösen, doch Yura blieb nicht verborgen, wie Otabek ihn ansah. Seine Augen waren strikt auf ihn gerichtet, der Blick verklärt und lustvoll. Yura drückte ihn augenblicklich von sich weg und wandte sich ab. Perplex ließ Otabek ihn gewähren. „Habe ich etwas Falsches getan? Habe ich dich verletzt? Bitte, sag es mir!“, flehte er und kam einen Schritt auf ihn zu. Yura biss sich auf die Unterlippe und verschränkte die dürren Arme vor dem Körper. Die Kälte der Nacht kroch ihm überall hin und ließ ihn zittern. „Du bist genau wie er!“, raunte er leise, doch hörbar. Den Älteren durchfuhr es wie ein Blitz. Was hatte er sich nur dabei gedacht, es so zu überstürzen. „Darum geht es mir nicht! Du bist kein Spielzeug für mich! Ich… habe Gefühle für dich!“, begann der Ältere verzweifelt. „Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich nur deine Augen vor mir. Diesen starken, kämpferischen Blick. Dein Name begleitet mich am Tage und in der Nacht. Wann immer ich in die Sterne sehe, sehe ich das Leuchten deiner Augen. Jede Kerzenflamme scheint deinen  Namen zu wispern. Ich bitte dich, glaube mir!“ Yura spürte, wie sein Herz wieder zu rasen begann. So etwas hatte noch nie jemand zu ihm gesagt. Jean sprach immer nur über seinen Körper, seine Schönheit, seine Haut, seine Lenden. Er hatte Otabek Unrecht getan und es tat ihm von Herzen leid. „Es tut mir Leid!“, murmelte der Junge traurig, hatte er doch den schönen Moment zerstört. Wieder überkam ihn das Zittern durch die Kälte. Ehe er noch den Halt seiner Beine verlor, hatte Otabek beide Arme fest um ihn gelegt. „Du frierst ja! Ich bringe dich zurück nach Hause!“, sagte er mit trauriger Stimme und drückte den zarten Körper an sich. Doch Yura protestierte: „Ich will nicht zurück! Bitte, ich möchte noch bei dir bleiben!“ Sanft küsste der Arbeiter die Stirn seines Liebsten. „Gut, ich nehme dich mit zu mir. Aber nur für ein paar Stunden. Ich möchte nicht, dass du bei Jean in Ungnade fällst.“ Yura passte diese Aussage gar nicht, aber es war besser als nichts.   Otabeks Wohnung war kahl eingerichtet und erstreckte sich über zwei kleine Zimmer mit einem Ofen. Die wenigen Kerzen waren fast hinuntergebrannt und sonst blieb nur der Feuerschein der knisternden Wärmequelle. Der Ältere hatte seinen Freund in einige Wolldecken eingewickelt und hatte sich zu ihm gelegt. Das Bett war lediglich eine Holzpritsche, aber es reichte für sie beide. Sanft streichelte er mit den Fingern den dürren Hals entlang. Er wagte es kaum zu atmen, als seine Hand über die schmale Brust strich und dabei jeden Knopf des Hemdes passierte. Yura beobachtete ihn gespannt dabei. Otabek traute sich nicht, das Hemd zu öffnen. Er hatte Sorge, dass der Blonde ihn sonst wieder für unehrenhaft hielt. Doch überraschenderweise war es eben jener, der sich selber geschickt die Knöpfe öffnete und seinem Liebsten den Blick auf die weiße Haut freigab. Mit stockendem Atem strich Otabek über die Schlüsselbeine, die Brust entlang bis zum Bauch. Belustigt sah der Blonde die roten Wangen des Arbeiters und kam sich auf einmal viel erwachsener vor. „Gefällt dir, was du siehst?“, fragte er keck und schob die Wolldecken etwas beiseite. Verschreckt zog der Ältere die Hand zurück und schaute ziemlich verdutzt. Vorhin hatte der Andere ihn doch nur wegen eines Blickes schon abgewiesen und nun schien er ihn geradezu reizen zu wollen. Er war wirklich wie die verbotene Frucht im Garten Eden. Yura räkelte sich etwas und strich ein paar Strähnen hinter sein Ohr. „Hast du jetzt deine Stimme verloren?“, neckte er weiter. Doch schnell wurde seine freche Art quittiert und Otabek saß blitzschnell über ihn gebeugt. Etwas irritiert sah der Jüngere zu seinem Liebsten auf. „Ich bin nicht auf deinen Körper aus. Ja, ich kann mich kaum beherrschen, wenn du so bei mir liegst. Und ja, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dich zu berühren und zu spüren. Aber…“ Er beugte sich zu ihm herab und küsste ihn sanft. „…das ist nicht, was ich hiermit bezwecken will.“ Yura sah ihn erstaunt an und verstand die Welt nicht mehr. „Ich möchte nur deine Nähe und was noch viel wichtiger ist… deine Liebe!“, bestärkte Otabek seine Position und legte sich zurück neben ihn. Der Jüngere wusste nicht, ob er sich über die Worte freuen sollte, oder aber sauer deswegen war, weil der Andere seinen Körper ausschlug. Unentschlossen setzte er sich auf. „Aber.. warum willst du meinen Körper dann nicht?“, fragte er erstaunt. Otabek holte tief Luft, kämpfte er doch wahrlich mit den Symptomen seiner eigenen Lust. „Weil ich nicht wie Jean bin. Ich will dich kennen lernen, alles über dich wissen. Du sollst nie das Gefühl haben, dass ich dich nur deswegen liebe.“ Yura versuchte, sich das alles zu erklären. In der Welt, in der er lebte, zählten solche Dinge nicht. Trotzdem erwärmte es sein Herz auf eine Art und Weise, wie er es nie für möglich gehalten hätte. War das Liebe? Er hatte dieses Wort schon in so vielen Zusammenhängen gehört, aber nie verstanden. Liebevoll küsste er den Älteren und schmiegte sich an ihn. „Das gefällt mir!“, bemerkte er mit einem seichten Lächeln. Innerlich betete Otabek das fünfte Vater Unser, nur um auf anständige Gedanken zu kommen. Dieser Junge würde ihn eines Tages seinen gesamten Anstand kosten, da war er sich sicher. Doch auch dem Anderen war es nicht entgangen. Belustigt nahm Yura es zum Anlass und ließ seine Hand über die schwere Leinenkleidung gleiten. Otabeks Körper erzitterte unter der ungewohnten Berührung. Für den Jüngeren war es ein Spiel, das er nur zu gerne gewann. Langsam nestelten seine Finger das Hemd auf, strichen über die muskulöse Brust und glitten zu den herausstehenden Hüftknochen. Dabei fuhr seine Zunge kaum merklich über die vollen Lippen. Die Geste war Otabek nicht entgangen und ehe er nur gänzlich den Verstand verlor, ergriff er die Hand des Jüngeren und zog ihn in eine Umarmung. Ihm würde nun vermutlich nicht einmal ein Bad in der Themse helfen.   Die Stunden vergingen, in denen sie sich innig küssten, berührten und aneinander schmiegten. Doch Otabek wusste, dass ihnen die Zeit davon lief. Entgegen seiner eigenen Gefühle musste er seinen Liebsten zurückbringen. Mühsam knöpfte er sein Hemd zu und erhob sich von dem Nachtlager. Yura sah ihn nun wieder wütend an. „Ich gehe nicht zurück!“, protestierte er und setzte sich auf. Doch Otabek wusste, dass es ihr beider Tod sein konnte. „Ich werde mir etwas überlegen, das verspreche ich dir! Aber für heute darfst du keinen Verdacht aufkommen lassen, versprich es mir!“ Otabek strich seinem Liebsten ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Yura wusste, was ihm drohen würde, wenn Jean es erfahren würde und nickte. Gemeinsam bestiegen sie das Pferd und ritten bedeutend langsamer als vorher zurück. Otabek half dem Jungen wieder zum Fenster hinauf, blieb aber auf dem Sims stehen. „Versprich mir, dass du ihm nicht nachgibst. Mein Herz würde zerbrechen, wenn du sein wärst!“, schwor er den Jungen ein und dieser antwortete mit einem innigen Kuss. Ein Lächeln legte sich beim Abschied auf die Lippen der Beiden und Otabek kletterte geschickt hinunter. Noch einmal sah er hinauf zu seinem Yura, der ihn so gefühlvoll beobachtete. Noch ehe er ein „Ich liebe dich“ aussprechen konnte, durchzog ein höllischer Schmerz seinen Körper. Keuchend ging er zu Boden und wurde augenblicklich ohnmächtig. Yura schrie nur erstickt und sah, wie Georgie mit einem langen Eisenstab neben dem Schwarzhaarigen stand. „Schauen wir mal, ob du danach noch aufstehst!“, gab er lachend von sich und besah sich die seltsam verkrümmten Beine des Arbeiters. „Damit kannst du immerhin demnächst betteln gehen!“ Sein Blick ging hinauf zum offenen Fenster. „Entschuldige, mein Kind, aber Jean hatte noch eine Rechnung offen. Wenn du nicht brav bist, breche ich dir gerne auch die Beine!“ Das gellende, schrille Lachen erfüllte die Gasse und Yura sank im Zimmer zusammen. Seine letzte Kraft hatte ihn verlassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)