[24/7] Zwischen den Zeilen von halfJack ================================================================================ Epilog: -------- Epilog   „Es schmeckt wirklich nach Eierlikör.“ „Was habe ich gesagt?“ Verblüfft leckte L an dem gelben Eis, das er zwischen Daumen und Zeigefinger vor seinem Gesicht balancierte. Light schenkte ihm ein einnehmend jungenhaftes Lächeln, nachdem er sich zu seinem Kollegen herumgedreht hatte. In der Hand hielt er ebenfalls eine Waffel, die von einer nachtschwarzen Eiscremekugel gekrönt war. Einen Schritt entfernt war Watari derweil damit beschäftigt, die Verkäuferin mit einigen Yenmünzen zu bezahlen. „Welche Sorte hast du?“, wollte L neugierig wissen. „Schwarzer Sesam.“ Gemeinsam erklommen die beiden Männer die wenigen Stufen einer breiten Treppe, wobei L mit hochgezogenen Schultern den Leuten auswich, die ihnen entgegenkamen. Oben angelangt lehnten sie sich gegen ein niedriges Geländer, um den Blick über die Landschaft schweifen zu lassen, jene umliegenden grün und braun getupften Wälder, leicht dampfend durch die Wärme, den Staub und das Wasser der heißen Quellen und vereinzelt unterbrochen von ein paar Kirschbäumen, die zu dieser Jahreszeit in voller Blüte standen. Hinter der im Tal befindlichen Kleinstadt türmte sich die symmetrische, an der Spitze mit Schnee bedeckte Gestalt eines Berges auf. „Light-kun, darf ich...“, setzte L zu einer Frage an, doch kam der Andere ihm zuvor. „Warte, Ryuzaki, halt mal kurz.“ Mit diesen Worten drückte Light ihm sein Eis in die Hand und ging zur anderen Seite der Aussichtsplattform hinüber, wo der abgeleitete Zufluss einer Quelle in einem kleinen Becken endete, das zur rituellen Reinigung diente. Ein Mädchen von circa sieben oder acht Jahren hatte gerade mit der bereitgelegten Kelle ihre Hände gewaschen und wollte sich nun, ihrer gewohnten Erziehung entsprechend, den Mund ausspülen, als Light sie sorgsam davon abhielt. Sie hatte ihren Hund, eine Promenadenmischung, die schwanzwedelnd neben ihr saß, gleichfalls nicht am Trinken gehindert. Light hockte sich zu ihr an das Becken und sprach sie freundlich an. Wahrscheinlich wies er sie darauf hin, dass das hiesige Quellwasser Schwefel enthielt und daher nicht zum Trinken geeignet war. „Wenn er seine Erinnerungen besäße“, hörte L plötzlich eine kratzige Stimme von oben, „würde er ganz genauso handeln und es wäre nicht einmal geschauspielert.“ „Er liebt die Menschen eben“, antwortete L auf die Aussage des Todesgottes, der begleitet vom leisen Rauschen seiner zerfetzten Schwingen über ihm schwebte. „Warum auch immer...“ „Du fragst dich, warum er das tut?“ „Nein, ich frage mich, warum er ihnen das dann angetan hat.“ Ryuk drehte sich kichernd um die eigene Achse und wirbelte mit seinen Flügeln einigen Staub auf; ein Lufthauch, den die Menschen in der näheren Umgebung lediglich als milden Frühlingswind wahrnahmen. Watari hatte sich zu ihnen gesellt, in höfliches Schweigen gehüllt und wie üblich in der Öffentlichkeit mit einem ledernen Trenchcoat bekleidet. In geringer Entfernung zeigte Light indes auf eine Warntafel, die an einem glatten Felsen angebracht war. Er schien dem Mädchen die Bedeutung der dortigen Schriftzeichen zu erläutern. „Was denkst du, wieso Rem und ich in diese Welt gekommen sind?“ Ryuk klang unterschwellig aufgeregt und amüsiert, als würde er eine unmöglich zu beantwortende Preisfrage formulieren. „Wir werden den Menschen, die von uns besessen sind, zum Verhängnis, aber wir würden trotzdem kaum hier sein, wenn sie uns egal wären. Ich empfinde zwar kein Mitleid, aber dennoch mag ich euch.“ Dieses Bekenntnis ließ L bitter lächeln, während er abwechselnd von den beiden Eissorten kostete. Nach einem gedankenversunkenen Moment meinte er nahezu melancholisch: „Die Welt kann niemals perfekt sein, was auch immer Light-kun dagegen zu unternehmen versucht. Leider ist er zu naiv, idealistisch und engstirnig, um das jemals zu akzeptieren.“ L machte eine kurze Pause, bis er hinzufügte: „Außerdem ist er zu gutmütig.“ „Gutmütig?“ Ryuk krümmte sich, ohne Zurückhaltung lachend, sodass sein Ausbruch über den gesamten Platz schallte und eine allgemeine Panik der Besucher hätte nach sich ziehen müssen, wenn deren Ohren nicht für das unirdische Gelächter des Todesgottes taub gewesen wären. „Gib ihm freie Hand und er wird die Welt ins Chaos stürzen!“ „Wahrscheinlich.“ Verdrossen löste L die dunkel umschatteten Augen von seinem Freund und schaute erneut in die Ferne, verlor sich in der fast pittoresken Kulisse, die ihm dieser laue Märztag bot. Sie waren früh am Morgen losgefahren, als es gerade erst hell wurde, weil Light sie davor gewarnt hatte, dass der Himmel ab Mittag häufig zuzog. Dennoch, so hatte der junge Japaner ihnen prophezeit, würde sich vor den Fujisan garantiert eine einzelne, kleine Wolke schieben. Das sei immer so, versicherte er mit Selbstverständlichkeit. Vorhin zeigte sich das Gewölbe bis zum Horizont über den serpentinenförmigen Straßen in der waldigen Berglandschaft, die Watari mit dem Rolls-Royce entlangfuhr, noch völlig wolkenlos. Doch tatsächlich schwebte nun, einsam vor dem Hintergrund des Fujisan, über Hakone und unter dem strahlend blauen Himmel, ein unscheinbarer Wolkenfetzen, wie ein Fleck auf der Perfektion dieses Bildes. Du hattest mal wieder Recht, Light-kun, dachte L, während er an dem Eis seines Freundes leckte und die Wolke anstarrte. „Wie lange willst du ihn eigentlich noch im Unklaren lassen?“ Sich diesmal nicht in die Richtung des Todesgottes wendend, der ihn zumeist unverbindlich, interessiert und niemals ohne Spott anredete, entgegnete L gleichgültig: „Manchmal ist eine Lüge leichter zu ertragen als die Wahrheit. So ist es einfacher für ihn.“ „Oder für dich“, kommentierte Ryuk. „Hat dir Light-kun schon mal gesagt, dass du nervst?“ Missgestimmt knabberte L am Waffelrand des bereits vertilgten Eises. Schließlich seufzte er schwermütig. „Bald wird er von allein darauf stoßen. Wenn es so weit ist, werde ich ihm das Death Note jedenfalls nicht vorenthalten.“ Watari legte ihm eine Hand auf die Schulter und räusperte sich gedämpft, um Ls Aufmerksamkeit auf Light zu lenken, der mittlerweile zu ihnen zurückkehrte. Im Gehen erwiderte dieser die Geste des Mädchens, das sich winkend von ihm verabschiedete, bevor er bei seinen Begleitern eintraf. „Hast du mein Eis aufgegessen, Ryuzaki?“ „Die Waffel ist noch da.“ L streckte sie seinem Freund entgegen. „Wie großzügig.“ Schmunzelnd schüttelte Light den Kopf. „Behalt sie ruhig. Normalerweise mag ich sowieso keine Süßigkeiten.“ Den Mund öffnend wollte L hierauf etwas sagen. Stattdessen presste er mit einem rätselhaften Gesichtsausdruck die Lippen aufeinander und schwieg. Watari hingegen begann von einem traditionellen Restaurant zu erzählen, das sie am Abend besuchen konnten. Gemeinsam schritten die drei Männer, verfolgt vom Schatten des Todesgottes, die Treppe zum Parkplatz hinab. Der Meisterdetektiv trottete als Letzter jenen beiden Menschen hinterher, die ihm am nächsten standen, ihn am besten kannten und deren Verlust er am wenigsten verkraften würde. Seine Gedanken wanderten inzwischen genauso wie sein Blick in weite Ferne. Natürlich, die Welt konnte niemals perfekt sein. Aber eigentlich, daran dachte L nun, da er wieder diese kleine Wolke vor dem gleichförmigen Monument des Berges betrachtete, eigentlich machte gerade dieser allgegenwärtige Makel die Welt erst perfekt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)