Blaue Schneeflocken von HasiAnn (Die Weihnachtslegende von zwei blauen Augen) ================================================================================ Kapitel 1: Blaue Schneeflocken 1 -------------------------------- Ich wollte noch was wichtiges vorausschicken. Als ich die ersten beiden Kapitel schrieb, war ich noch ziemlich naiv und verschnluzt, was Liebe angeht. So lesen sich auch die ersten zwei Kapitel; ziemlich naiv und ziemlich schnluzig. Also, aus dem heutigen Standpunkt würde ich sagen, dass die ersten zwei Kapitel nicht wirklich Bombe sind, nur eben recht leidenschaftlich ^^ Aber das dritt und vierte Kapitel ist dann wirklich wirklich süß, finde ich zumindest. Aber da Eigenlob bekanntlich stinkt, reiße ich meine Klappe nicht so weit auf. Ihr könnt auch getrost die zwei Kapitel überspringen, weil ich ab dem Dritten einen Sprung mache. Aber wenn ihr dann fertig seid mit lesen, werde ihr euch dann doch fragen, was in den ersten zwei passiert war. Wenn ihrs lest, werdet ihr schon sehen warum. Und ich wollte noch sagen, dass mir die Blauen Schneeflocken die Welt bedeuten. Jedes Jahr an Weihnachten habe ich an ihnen weiter geschrieben und so Jahr für Jahr mich in dieser Geschichte selbst verwirklicht. Sie beinhaltet alles, was mich in Sachen Liebe betrifft und im Grund auch, dass ich Weihnachten so sehr liebe. Blaue Schneeflocken 1 BS1 So leicht ist es eben doch nicht Eine Schneeflocke. Und noch eine. Und da ist noch eine. Mann, seit 8 Monaten habe ich das jetzt nicht mehr gesehen. Sieht das schön aus. So gleichmäßig und leuchtend. So eine Leichtigkeit. Man könnte sich bei diesem Anblick glatt selbst vergessen. Zu dumm, dass ich jetzt aufstehen musste. Uäähhh...und es war doch noch soooo früh. Ein gequälter Schwenk mit dem Kopf zu meinem Nachttisch und ein verschlafener Blick auf den Digitalwecker lies mich erkennen... "Oh mein Gott, ich komme zu spät!!!" Mit einem Ruck saß ich aufrecht im Bett, sprang heraus, wurschtelte mich in meine Klamotten, hetzte ins Bad, schmiss mir einen Spritzer Wasser ins Gesicht, in die Stube stürzend und ein "Guten Morgen" quietschend warf ich mir ein Schockladentoast ein, schnappte mir meinen Mantel und meine Tasche und ehe meine Mutter mein "Guten Morgen" erwidern konnte, war ich schon aus der Tür und auf der Straße. Warum, zum Geier, musste meine Freundin ausgerechnet um halb elf Weihnachtseinkäufe machen? Naja, wenn man's so sieht, ist es heute ja die letzte Chance dazu. Aber warum muss sie's nur immer auf den letzten Drücker machen? Doch dann spürte ich die Schneeflocken auf meinem Gesicht, sie flogen still und ruhig vom weißgrauen Himmel. Aber irgendwie... Ich fühlte plötzlich etwas. Irgend etwas war dieses Jahr anders an den Schneeflocken. Irgend ein neues Gefühl, das ich zuvor noch nie fühlte. Es war mir weder fremd, doch bekannt. Ich hatte nicht richtig Angst, aber fröhlich oder glücklich war ich auch nicht. Was war das nur? Ist das vielleicht...... "HOLLY!!!" Eine laute Stimme an meinem Rücken riss mich aus meinen Gedanken. "Mensch, Mädchen, was ist den nur mit dir los?" "Äh.., hi Marrin. Sag' mal, bist du wegen was sauer?" Sie sah mich ganz zornig an und ich bekam langsam Angst. "Natürlich bin ich sauer. Das ist man ja auch, wenn man vergeblich sechs mal gerufen hat..." "Oh, hoppalla..." Das Ganze war mir furchtbar peinlich. "Aber du bist selbst schuld. Was holst du mich eigentlich auch so früh aus dem Bett? Ich hatte gedacht, dass ich einen Tag vor Weihnachten mal auspennen kann. Da ist es doch klar, dass ich mal kurz wegtrete." Was für eine blöde Ausrede. "Aber noch ist nicht Weihnachten und faulenzen kannst du später noch. Sei wenigstens froh, dass die Ferien endlich angefangen haben." "Stimmt! Noch einen Tag länger Schule und ich wäre echt verreckt!" "Das wäre zu blöd gewesen. Dann hätte ich dich gar nicht mehr zum Taschen schleppen missbrauchen können." "Das bin ich also für dich? Dein Packesel?!?" "Ich mag grundsätzlich nur Dinge, die man auch benutzen kann..." Diese kleinen Witzeleien mit Marrin machten immer Spaß und konnte mich aus der miesesten Laune ziehen. Aber dann ergriff sie meinen Arm und mit den Worten "Was ist jetzt? Können wir endlich gehen?", zog sie mich in Richtung Innenstadt. Es war zwar kalt, aber Einkaufen wärmt unheimlich. Marrin und ich liefen durch die Straßen und in absolut jedes Geschäft, dass auch nur im Entferntesten mit Klamotten zu tun hatte. Rauf und runter und quer durch die Stadt führten uns unsere Wege. Wir hätten sogar beinahe vergessen noch die geplanten Geschenke zu kaufen. Aber, es war einfach so herrlich. Vor allem die Schaufenster. Keine ließen wir aus, weil ich immer darauf bestand, sie mir anzusehen. Ich fand die Dekos darin einfach so niedlich. Mit all seinen kleinen Lämpchen und lachenden Plastikweihnachtsmännern. Mit den Kerzen und dem Kunstschnee. Den Weihnachtspyramiden und den aufwändig verzierten Figürchen. Ein herrliches, kleines Reich bot sich in jeden Schaufenster. Und in jedem fühlte ich mich, wie ein Teil davon. Ich war die Ballerina, die mit dem Nussknacker tanzt, umgeben von Schneeflocken und Kerzenschein. Die Musik spielt nur leise. Gerade so laut, dass man sie noch hören konnte. Ich sehe meinem Tanzpartner in die Augen. In seine tiefblauen Augen. So wunderschöne blaue Augen. Als ob die Musik aus seinen Augen fließen würde. Ich konnte die Musik regelrecht hören. .... Momentmal, ich KONNTE Musik hören. Ich drehte mich um. Sie kam aus dem Gebäude, auf der anderen Straßenseite. Es war ein melodischer Gesang eines Jungen, begleitet von einer Band. Von dieser Musik ging eine starke Anziehungskraft aus. Sie schien mich auf seltsame Weise in ihren Bann gezogen zu haben. Ich hörte Marrin schon gar nicht mehr rufen "Hey, was ist denn los?", während ich mich auf den Eingang zubewegte. Ich musste denjenigen sehen, von dem diese Musik kam. Schritt für Schritt kam ich der Eingangstür näher. Schließlich öffnete ich sie. Vor mir erstreckte sich ein großer Saal, an dessen Ende eine Bühne war, auf der ich vier Jungs erkennen konnte. Einer von ihnen saß am Schlagzeug, ein weiterer spielte Keyboard, der dritte spielte E-Gitarre. An der Bühnenspitze stand der vierte Junge. Ich schätzte ihn nicht älter, als mich. Er war sehr groß und hatte blonde Harre. Er spielte den E-Bass und er hatte auch gleichzeitig die Rolle des Sängers. Er war das also. Von ihm strömte diese wunderschöne Melodie aus. Er war der Grund, der mich gerade in eine konfuse Träumerei schwinden lies. Oh, mein Gott. Warum schlug mein Herz auf einmal so laut? Was war nur los mit mir? Ich verstand plötzlich nichts mehr, außer dem Gesang dieses Jungen. Ich traute mich ein paar Schritte nach vorn. Näher an die Bühne heran, aber immer noch mit respektvollem Abstand. Jetzt konnte ich dem Junge das erste mal in seine Augen sehen. Sie waren blau. Was heißt blau? Das war mehr als nur ein Blau. Das war... Ich kann's ja nicht mal beschreiben, so sehr war ich von diesen Augen überwältigt. Plötzlich war das Gefühl wieder da. Genau das selbe Gefühl, das ich auch beim Anblick der ersten Schneeflocken fühlte. Aber ich wusste beim besten Willen nicht, was es war. Es war so leicht. Wie eine Schneeflocke, die vom Wind hin und her gewogen wird. Was war es nur... "Holly!!! Mensch, wach endlich aus deiner Träumerei auf. So früh kann ich dich doch gar nicht geweckt haben." Bling, und alle meine Gedanken stürzen in sich zusammen. "Ach, jetzt verstehe ich. Du fandest die Musik von ihm so toll..." "Von ihm? Du kennst ihn?!?" Ich war plötzlich hellwach und hatte so laut gesprochen, dass die Musik abrupt stoppte. "Hey, was ist denn hier los? Währende den Proben hat hier niemand Zutritt!" Der Drummer stand auf und blicke Marrin und mich böse an. Oh, Oh! Jetzt war es meine Überheblichkeit, die Marrin und mich in Schwierigkeiten brachte. Jetzt bekommen wir bestimmt mächtig Ärger. Fein gemacht, Holly... "Ach komm. Das ist doch nicht so schlimm! Spiel' nicht gleich den Oberbodyguard!" Wahnsinn! Der blonde Sänger hat tatsächlich gesprochen. Und er hat mir aus meiner peinlichen Situation geholfen. "Wir haben immer Zeit, für unsere Fans!" Er legte seine Gitarre bei Seite und sprang mit einem Satz von der Bühne. Dann kam er langsam auf mich zu. Was?!? Er kam auf mich zu?!? Die blanke Panik brach in mir aus. Was sollte ich denn jetzt tun und sagen, wenn er mich anspricht? Hilfe.... "Hi, mein Name ist Matt. Wie heißt ihr und was kann ich für euch tun?" Matt heißt er also. Ein schöner Name. Es war wie im Traum. Wie wenn ich ... Autsch!!! "Hey, er spricht mit dir, nicht mit mir!" Marrin hatte mir unauffällig in die Seite geboxt. "Äh, ...ähm, ... Tut mir leid. Äh, ich Holly heiße und ich wollte dich eigentlich nur mal umdrehen. ... Oder mich... " Matt sah mich schief an. OH, SCHEISSE. Jetzt bemerkte ich meine grammatikalischen Fehler, die ich gerade daher gebrabbelt hatte. Ich bin so ein Mega-Idiot. "Tja, war das nicht ein nettes Gespräch? Sorry, Matt, aber wir sind zwei sehr beschäftigte Mädchen. Entschuldigst du uns bitte?", sagte Marrin mit übertrieben gespielter Freundlichkeit. Ich wäre ihr vor Dankbarkeit am liebsten um dem Hals gefallen. Schon wieder war ich zu dämlich, mich selbst aus meinem peinlichen Dilemma zu retten. Ich realisierte die Situation wieder, als mich Marrin vor die Tür der Halle zerrte und wir wieder unter den Schneeflocken standen. "Wow! Ich glaub's ja nicht, was ich gerade erlebt habe. Mann, die Vorstellung, die du geliefert hast, war ja showreif. Schade, dass ich meine Kamera nicht dabei hatte." Jaja, Marrin hatte gut Lachen. Die hatte sich ja nicht gerade bis auf die Knochen blamiert. Verdammt, wenn ich nur wüsste, was für ein Gefühl das ist. Und jetzt unter den Schneeflocken schien es noch heftiger auf mich zu drücken. Was war das nur? "Du bist ja Hals über Kopf in Matt verknallt. Wie süß!" "Was hast du gesagt?!?" "Ich sagte, du hast dich in Matt verliebt... Soll ich das Standesamt schon mal anrufen?" Was?!? Ich hatte.. WAS?!? Ich war verliebt? In Matt? Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Dieses Gefühl war ...Liebe... ...Liebe... Ich habe mich verliebt. Ich wurde von diesem Gedanken vollkommen übermannt. Ich saß wieder in meinem Zimmer und dachte über die letzte Stunde nach. Ich war noch nie zuvor in meinem Leben verliebt. Naja, vielleicht in diesem kleinen Stoffhasen, aber da war ich vier Jahre alt. Was mache ich denn jetzt. Was soll ich tun? Was soll ich sagen? Wie geht es jetzt weiter? Gott, ich bin doch erst vierzehn Jahre. OK, viele meiner Freundinnen waren schon oder schon mal liiert, aber ich hatte das Gefühl, dass ich dafür noch nicht geeignet war. Ich war so unsicher. Vielleicht sollte ich zuerst jemanden fragen, der was davon versteht. Oder, muss ich das für mich selbst herausfinden? Und ... Oh, mann... Warum hatte ich mich denn vorhin nur so blöd aufgeführt? Ich war ja so brutal blöd. Ich hasste mich auf einmal förmlich für meine Dämlichkeit. Was ist nur an diesem Jungen, dass er mich zum größten Trottel auf Gottes grüner Erde macht. Großartig, jetzt glaubt Matt wohl, ich bin eine Ausländerin. Superle. Ich glaube, jetzt waren die Worte "Sterben ist 'ne Leichtigkeit", wohl sehr angebracht. Aber diese Augen. Und dieses Gefühl. Diese... Liebe. Schon allein das Wort an sich klang in meinen Ohren so seltsam. Ich musste es wissen. Wenn ich ihn liebe, dann will ich auch sein Herz erobern. Was kann mir schon passieren? ... Es war schon spät am Abend, als ich noch mal an der Halle ankam. Ich war wild entschlossen, Matt zu sagen, wie ich wirklich bin und dass ich ihn liebe. Das ist wohl meine erste große und wahre Liebe und ich hatte keine Ahnung, was da auf mich zukommen wird. Für einen Moment war ich verunsichert. Wie sollte ich es angehen? 'Hi, Matt. Weißt du schon das Neuste? Ich liebe dich!' Nein. Auffälliger kann man gar nicht mit der Tür ins Haus fallen. 'Matt, ich muss dir was gestehen. Du bist der süßeste, niedlichste, großzügigste, gutherzigste...' Das war genauso blöd. Wie kann ich jemandem schmeicheln, wenn ich nicht mehr, als drei Worte mit ihm gewechselt habe. Und nicht mal sehr gut. Ich kenne ihn doch eigentlich gar nicht. Wie kann ich ihn dann lieben? ... Ich bekam plötzlich Zweifel. Liebte ich ihn überhaupt? Ich hatte dieses Gefühl noch nie gefühlt. Wie konnte ich mir dann so sicher sein. Gab es denn einen Beweis? Vielleicht wäre es besser, ich gehe wieder nach Hause und überdenke alles noch mal. Aber die Gelegenheit dazu bekam ich nicht. Die Tür zur Halle öffnete sich. Matt trat heraus. Ich wollte ihm schon freudig begrüßen, bis ich das Gefolge hinter Matt bemerkte. Eine Schar schnatternder, kreischender Mädchen lief hinter ihm her, drängelt sich um ihm und versucht ein Autogramm zu bekommen. Meine Freude sank in sich zusammen und mein Zweifel schien gar nicht mehr aufzuhören mit wachsen. Das war mir ganz entfallen. Wenn Matt solche Musik macht und so aussieht, muss er ja auch ein Geschwader an weiblichen Fans haben. Wie konnte ich denn da mithalten?... "Hey, Holly. Schön dich zu sehen." Matt hatte mich bemerkt. Er kämpfte sich durch die Mädchenmassen zu mir durch. "Was willst du hier?" Zögerlich antwortet ich ihm. "Ich... Ich will dir was sagen..." Was tat ich hier eigentlich? Wie konnte ich mit den anderen Mädchen noch mithalten? Die waren alle viel hübscher als ich. Manche sogar älter. Wenn Matt so eine Auswahl hat, warum sollte seine Wahl dann auf mich fallen? Er kennt mich überhaupt nicht. Das einzige, das er weiß ist, dass ich meine eigene Sprache nicht kann, dass ich viel kleiner bin als er und dass ich, wenn ich ihn sehe anfange zu sabbern. Was sollte er mit mir schon großartig anfangen. Was hatte ich mir überhaupt für bescheuerte Hoffnungen gemacht? Ich verstehe nicht viel von Liebe, aber das konnte es sicher nicht sein. "Also, was ist nun?" Matt lächelte mich an. Ein freundliches, warmes Lächeln. Für eine Sekunde hatte ich meine Hoffnung wieder erlangt. "Matt, ich ...ich ...ähm ... Ich li..." Aber bei einem Blick auf die Mädchen im Hintergrund war alles wieder futsch. "... Oh, Gott, ... Es, ...Es tut mir leid..." Eine Verzweiflung, die ich noch nie zuvor fühlte, machte sich in mir breit und noch bevor Matt etwas erwidern konnte, war ich schon losgerannt. Die Schneeflocken flogen mir durch mein Gesicht. Hoffentlich hatte sie nicht gemerkt, dass ich angefangen habe zu weinen. ...to be continued... Also, das ist er nun, der erste Teil. Beendet am 22.11.02. Ja, richtig. Wesentlich später, als den zweiten Teil. Ich hatte ursprünglich mit der Story was anderes vor und da war dieser Teil hier noch nicht nötig. Aber als jetzt doch zum zweiten Kapitel Fragen kam, hatte ich mich dazu entschlossen noch einen nullten Teil zu schreiben... Maya :D BS1 Wie nah Glück und Verzweiflung doch zusammenliegen Eine Schneeflocke. Und noch eine. Und da ist noch eine. Glückliche Schneeflocken. Die sind nie allein. Sie können nur zusammen, wie ein Haufen zufriedener, weißer Punkte auf die Erde fallen. Meine Freude, dass es gestern zum ersten mal angefangen hat zu schneien, wurde durch meine Einsamkeit zu Tode getrübt. Es war der vierundzwanzigste Dezember und ich saß stillschweigend auf der Fensterbank meines Zimmers, die Knie an meinen Körper gedrückt, die Arme um meine Beine gelegt, und starre aus dem Fenster, so, wie ich eigentlich nur auf den Bildschirm der Flimmerkiste starren würde. Aber dieses Mal sah ich weder einen lustigen Zeichentrickfilm, noch eine interessante Doku oder einen Wahlkampf, in dem sich von der Justiz geführte Marionetten um komplett unwichtige Themen das Maul zerreißen. Diesmal sah ich einzig und allein in die tief schwarze Dunkelheit, die über der Stadt lag und die strahlend weißen Schneeflocken, die sich geräuschlos über Dächer und Straßen legten, als wollten sie diese beschützen. Ich sah die Schneeflocken an und wünschte mir, ich sei die kleine, schwache und hilflose Stadt und Matt sei meine mich schützende und behütende Schneeflocke. "Matt" Ein Wort, so kurz und trotzdem schaffte es mir den Verstand zu rauben, mir ständig meine Gedanken darüber zu zerreißen. Ich brauchte mich nur an seine Augen zu erinnern, die mich anlächeln, ganz frei von Zweifel oder Sorgen. Solche Augen, ein Blau, tiefer, als das Meer, stärker, als die Strömung und sanfter, als jede Welle. So rein und klar. Sie erinnerten mich ganz stark an die Schneeflocken. An ihr sanftes, ruhiges Gleiten auf die Stadt und ihre Gewaltigkeit, durch ihre Vielzahl. Sie waren genau wie seine Augen. Dann fiel mir wieder der schwarze Hintergrund auf. Ganz unwillkürlich rief mir das seine dunkle Kleidung ins Gedächtnis. Sein dunkles, armloses Shirt zum Beispiel, das seine helle Haut verdeckt, seinen starken Körper, von dem ich mir wünschte, dass er nur dazu gut ist, mich zu beschützen. Wie gerne hätte ich ihm die schwarzen Kleider vom Leib gerissen, in der Hoffnung, dass sein starker Körper die schützende Funktion für mich übernimmt. Der Gedanken, dass es mir wohl für immer versperrt bleibt, ihm so nahe zu kommen, lies ein quälendes Gefühl in mir aufsteigen. Es riss mich innerlich in Fetzen. Feigheit. Diese verdammt Feigheit war es, die mich elend im Wandel durch meine Hoffnungen erblinden lies, vor dem was genau vor meiner Nase war. Was war denn nur dabei, Matt meine Liebe zu gestehen, die schon so lange Zeit in mir wütet und mich davon abhält einen klaren Gedanken zu fassen? Es war wie verhext. Ich würde mich bis in alle Ewigkeit weiter quälen, wenn ich ihm nicht sage, was ich fühle. Aber trotzdem lähmt mich jedes Mal meine verdammt Feigheit, wenn ich mich dazu entschließe das zu tun. Ich hasste diese innere Zwiegespaltenheit. Gott, hilf mir doch irgendjemand. Dann spürte ich es. Ich spürte wie meine Augen anschwollen und plötzlich ein Strom aus Tränen daraus hervorschoss. Ich weinte. Ich weinte wegen etwas, dass ich NICHT getan hatte. Fiel Gott denn nichts anderes ein, als mich hier mit meinen Tränen allein zu lassen? Aber, was rede ich denn da? Weder die Nacht, noch die Schneeflocken, noch Gott hätten mir helfen können. "Holly, kommst du bitte!" Ich musste mit meinem Schmerz alleine fertig werden. "Holly! Wir warten auf dich." Ganz allein. "Holly!" Ich schreckte auf. Hatte meine Mutter gerade gerufen? Ich drehte endlich meinen Kopf vom Fenster weg. Ich blickte auf meinen Digitalwecker, aber ich konnte nichts erkennen. Die Tränen in meinen Augen verzerrten das Bild und ich konnte die Zahlen nur verschwommen sehen. Ich hob einen Arm von meinem schon fast steifen Körper, der sich in der ganz Anspannung total verkrampft hatte und wischte mir damit über meine verheulten Augen. Jetzt konnte ich besser sehen. Es war 19:02 Uhr. Ich erinnerte mich, dass meine Familie jetzt immer zu Abend aß. "Holly, kommst du? Wir wollen mit dem Weihnachtsessen anfangen." Ein lächelnder Kopf schob sich durch die Tür. Ich erkannte das Gesicht. Ein vertrautes Gesicht. Irene? "Kommst du jetzt, Schwesterchen? Der Weihnachtsbraten wird noch kalt." Weihnachtsbraten?!?, wiederholte ich in meinem Kopf. Ich blickte verständnislos in das Gesicht meiner großen Schwester, bis ich mich wieder erinnerte, dass ich eine Familien hatte und das heute Weihnachten war. Weihnachten, das Fest der Liebe. Liebe... Bei diesem Ausdruck schossen mir wieder die Tränen ins Gesicht und ich vergrub es in meinen Händen. "Hey, was ist denn los?" Hilfsbereit und liebenswürdig, wie Irene war, kam sie sofort zu der Fensterbank gerannt, auf der ich kauerte. Ich wusste genau, dass sie mir aufmunternde Worte sagte, aber ich verstand fast nichts. Einerseits, weil ich so fürchterlich schluchzen musste und das einfach nicht aufhören wollte. Ich konnte es nicht verhindern. Andererseits war ich nicht in der Lage meine Gedanken auf das, was meine Schwester sagte, auszurichten, weil sich jede Faser in meinem von Feigheit zerfressenen Körper nur um Matt drehte. "Es... Ist... Wegen eines Jungen...", brachte ich irgendwann heraus, immer noch mit dem Kopf in meinen Händen. Meine Stimme klang verzerrt und hohl. "Aha, hätte ich mir fast denken können..." Irene stoppte im Satz, weil sie merkte, dass ich absolut nicht kommunikationsfähig war. Sie legte nur ihren Arm um meine Schulter. Die Berührung war einfühlsam und warm. So verständnisvoll. Ich fasste Vertrauen und mein verkrampfter Körper löste sich etwas. Meine ältere Schwester nutze den Umstand, zog mich zu sich heran und umarmte mich. Dann brach es aus mir heraus. Hemmungslos fing ich an zu weinen, als ob ich damit die Chance hätte, nur für ein paar Sekunden Matt vergessen zu können. Als ob es nur mich gäbe, meine Tränen und das befreiende Gefühl, unter dem ganzen Druck aus Schmerz und Einsamkeit zusammenzubrechen und den Druck damit aufzuheben... Nach einer Weile drückte ich mich von Irene weg. Aus Schamgefühl traute ich mir nicht, ihr in die Augen zu sehen. Es war still im Raum. Aber trotz, dass ich jetzt so eine Show abgezogen habe, sagte Irene nichts. Sie lächelte mich nur an; das spürte ich eben als Schwester. In mir fingt plötzlich an, sich ein Gedanke zu regen. Er wurde immer stärker und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten ihn auszusprechen. "Irene. Kannst du Mama und Papa bitte sagen, dass ich jetzt nicht mitessen kann? Ich will einfach nur raus hier." Irene sah mich an, wie es nur eine Schwester konnte. Sie lächelte und nickte dann. Mir schien es, als hätte sie ihr Ziel erreicht. Dann fuhr sie ganz nah an mein Gesicht heran und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Sie drehte sich um und schlich sich hinaus. Ich lächelte ein kleines bisschen, dafür, dass ich gerade auf so viel Verständnis gestoßen bin. Ich war mir sicher, dass sie wusste, dass ich ihr dankbar war. Aber ein kurzer Blick zum Fenster wo außerhalb immer noch die weißen Schneeflocke fielen und schon drängten sich mir die Augen dieses Junge wieder in den Kopf. Matt. Der ganze Druck, den ich gerade eben ausgeheult hatte, war mit einem Mal wieder da und drohte meine Seele zu zerquetschen. Ich lies meinen Blick zum Boden sinken und ich spürte wie mir die Tränen wieder über das Gesicht rannen. Ein Zucken durchfuhr meinen Arm, lies mich nach meinem Mantel greifen. Unter Tränen und kaum die Tür erkennend stürzte ich aus dem Zimmer über den Flur ins Treppenhaus. Von dort hörte ich Irene noch meinen Eltern erklären, was mit mir los war, bevor ich auch das Treppenhaus verlies und endlich die Straße erreichte. Die Kälte der Luft des Wintermonats tat gut und kühlte etwas meine Haut, die von Tränen und von meinen Gedanken förmlich verbrannt war. Ich schaute nach oben. Die Schneeflocken fielen immer noch. Urplötzlich stießen mir wieder Matts blaue Augen in den Kopf. Ich zuckte zusammen, kniff die Augen zu und presste die Hände an meine Ohren. Und ich schrie wie eine Wahnsinnige: "HÖR AUF! HÖR AUF DAMIT! VERSCHWINDE ENDLICH AUS MEINEM KOPF!!!" Ich drückte mich mit den Füßen ab und fing an zu rennen. Nur mit dem einen Ziel vor dem Gefühl wegzurennen. Vor der Feigheit, vor der Einsamkeit, vor der Sehnsucht nach Matts Liebe. Vor dem Gefühl, das, wie ein Wolf, der sich auf seine Beute stürzt die bereits blutig und kraftlos am Boden liegt, mich zerfleischte. Ich lief und lief. Spürte, wie die Kraft nach und nach aus meinem Körper schwand. Plötzlich zerrte etwas an meinem Fuß. Ich erschrak und stürzte. Ich fühlte einen harten Schlag an meinem Kopf. Für einen Moment blieb ich so liegen. Ich regte mich keinen Augenblick. Aber dann kam die Wut. Die Wut über den abrupten Sturz, über das Verhindern meines Zieles, durchzog meinen ganzen Körper und lies mich die Kontrolle über meine Hände kurzeitig verlieren. Ich griff nach dem, über das ich gestolpert war, sah es hasserfüllt an, schrie ihm etwas entgegen und warf es dann soweit es meine Kraft zuließ von mir weg. Ich verfolgte seine Bahn. Es flog lang und weit. Dann kam ich wieder zur Besinnung. Mein Atem war tief und schwer. Ich konnte fast nicht mehr richtig Luft holen. In meinen Augenwinkeln viel meine Aufmerksamkeit plötzlich auf meine Hände. Ich erhob sie und starrte sie an. Ein Gefühl der Verzweiflung breitete sich in mir aus, als ich sah, wie Schneeflocken auf meine Hände fielen. Ich musste mit grausamsten Schrecken erkennen, dass mich die Schneeflocken immer noch umkreisten. Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Angst, dass mich die Liebe zu diesem Jungen für immer quälen wird, schürten mir die Kehle zu. Mit starren Blick brachte ich nur den einen Gedanken hervor. "Matt..." Nur ein heißes Flüstern wich über meine Lippen, währen ich mit angsterfülltem Gesicht auf meine Hände und die darauf liegenden Schneeflocken starrte. "Matt..." "Holly?" "Matt?!?" "Holly, bist du das?" Diese Stimme. Irgend etwas schoss mir vom Grund meiner Seele bis in den Kopf. Angst? Freude? Ich wusste es nicht. Es war stark und intensiv. "Holly. Ist alles in Ordnung?" Ich vergaß mit einem Mal meine Hände und fuhr herum, um die Person zu sehen, die meinen Namen kannte. Vor mir standen zwei blaue Augen und ein schwarzer Mantel. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Es schien so unwirklich. Mir kam nur dieses eine Wort in den Kopf. "Matt?!?" "Holly. Meine Güte, du blutest ja. Was ist denn passiert?" Ich blute? Ich fasste mir ungläubig an die Stirn, zuckte aber sofort die Hand wieder zurück. Als ich sie ansah stellte ich fest, es hing tatsächlich Blut daran. Ich erinnerte mich wieder. Als ich stürzte bin ich mit dem Kopf aufgeschlagen. Jetzt zog sich eine lange Blutspur über die rechte Hälfte meines Gesichtes. Von meiner Hand mit Blut sah ich wieder zu Matt auf. Der kam auf mich zugestürzt. Ich konnte die Besorgnis in seinen Augen ablesen. Er kniete sich zu mir in den Schnee und sah mich besorgt an. "Lass mich mal sehen!", sagte er leise. Seine tiefe Stimme hallte in meinem Kopf wieder und wieder. Er hob seine Hand in Richtung Kopf von mir und jeden Zentimeter, die seine Hand näher an meine Verletzung rückte, schlug mein Herz lauter und lauter. Ich hatte schon Angst, Matt könnte es vielleicht hören. Dann berührte er meine Stirn. Ein Schauer von Emotionen breitete sich von seinen warmen Finger über meine gesamte Haut aus. Aller aufgestauter Schmerz und Druck schien wie aufgelöst, weggeblasen, fortgetragen, nur durch diese Berührung von dem Jungen, der mir den Schmerz und Druck erst bereitet hatte. "Das ist nur 'ne kleine Platzwunde. Nichts Schlimmes.", beruhigte er mich. Seine Augen sahen sich immer noch ernst die Wunde an meinem Kopf an. Dann nahm er seine Hand wieder von meiner Stirn. Ich meinte, etwas enttäuscht zu sein, obwohl das natürlich blöd ist. Aber meine Enttäuschung wurde sofort wieder aufgehoben, denn seine Hand kam mit einem Taschentuch zu meiner Stirn zurück. Er drückte es mir auf die Wunde. Der Druck auf meiner Haut war stark und trotzdem war Matt unheimlich vorsichtig, als würde er hauchdünnes Glas anfassen. Ich zuckte etwas zusammen. "Keine Sorge. Es hat ja schon fast wieder aufgehört zu bluten.", sagte er mit beruhigender Stimme. Dabei sah er mich direkt an. Was sag' ich da; er lächelte mich an. Ein Lächeln, schöner als die Sonne, leichter, als der Frühling, freundlicher, als jede Blüte auf jeder Blume. Die ganze Welt schien mir egal, nur für dieses Lächeln. Es war still. Ganz still. Das einzige, was ich hören konnte waren sein und mein Atem und das unablässige Fallen der Schneeflocken. Ich bemerkte, dass ich zitterte. Ungehalten bebte mein Körper unter der Anwesenheit dieses Jungen. "Du musst doch furchtbar frieren!" Und ohne, dass ich etwas erwidern konnte, legte er seine Arme um mich und zog mich ganz fest an seinen Körper. Dann legte er eine Hand auf meinen Kopf und drückte mich an seine Brust. Ich wurde von dieser Aktion vollkommen überrumpelt. Nie hätte ich gedacht, dass ich ihm so nah kommen würde. Es war wie ein Traum, der endlich in Erfüllung ging. Durch meinen Körper strömt unaufhörlich ein Gefühl der Wärme und einer unbeschreiblichen Zufriedenheit. Die Welt schien still zu stehen, nur für dieses einen Augenblick. Ich liebe dich, Matt!, dachte ich nur noch. Aber dann bemerkte ich seinen Herzschlag, Ich spürte ihn durch Matts Brust hindurch. Ich hatte angenommen, er wäre ruhig und regelmäßig, aber zu meiner großen Verwunderung schlug sein Herz genauso heftig und schnell wie meines. Mich traf der Blitz als ich mir einen Reim darauf machen konnte. Ich wusste, jetzt konnte ich nicht mehr zurück. Ich musste jetzt einfach meine Feigheit besiegen. Ich nahm all meine Mut zusammen, den ich in den letzten Minuten sammeln konnte, riss mich von ihm los, sah ihm so fest ich konnte in die Augen und konzentrierte mich nur darauf auf keinen Fall wegzulaufen. "Du also auch. Warum hast du mich solange warten lassen?" Er sah mich gelassen und doch ernst an. "Ich hatte Angst, dich..." Er beugte sich nach vorn, ganz nah an mein Gesicht heran. Mein Herz schlug immer heftiger. Jeden Moment musste es zerspringen. Matt war bereits so nah an mein Gesicht vorgedrungen, dass ich seinen heißen Atem spüren konnte. Mit geschlossenen Augen flüsterte er nur noch: "...zu zerbrechen...", und drückte seine Lippen auf meine. Ein Feuerwerk von Leidenschaft und Zärtlichkeit tötete allen Zweifel, alle Angst, allen Schmerz, alle Einsamkeit in mir. Ich fühlte eine Emotion, die sich nicht beschreiben ließ. Irgendwie, als würden alle Momente des Glücks in meinem Leben auf diesen Moment des Kusses fallen. Nach einer Weile, mir schien es wie Stunden, ließen wir wieder von einander los. Ich sah wieder in seine Augen und die Schneeflocken fielen immer noch. "Aber woher hast du gewusst, dass ich hier bin?" Er half mir auf und sah mir ebenfalls fest in die Augen. "Eine Schneeflocke hat's mir geflüstert. Fröhliche Weihnachten, Holly!" Dann gingen wir zu mir nach Hause, um Weihnachten, das Fest der Liebe zu feiern. Aber als wir losgingen und ich mich noch einmal umdrehte, sah ich auf der Stelle, an der ich gestürzt war ein paar Tropfen meines eigenen Blutes im weißen Meer aus Schneeflocken. ENDE Diese Geschichte schrieb ich am 02.10.2002. Und so unglaublich es klingt, ich habe sie in der Schule in der ersten Stunde angefangen und am selben Tag in der sechsten Stunde beendet. Da kann man mal sehen, wie kreativ anregend die Schule sein kann. Maya :D Kapitel 2: Blaue Schneeflocken 2 -------------------------------- Blaue Schneeflocken 2 BS2 Kerle sind und bleiben Schweine... Eine Schneeflocke. Und noch eine. Und da ist noch eine. Mann, ich hatte schon gedacht, es würde überhaupt nicht mehr anfangen zu schneien. Aber jetzt war es endlich so weit. Es war zwar arschkalt, aber das hielt mich nicht davon ab mich wie ein kleines, naives Kind über den ersten Schnee zu freuen. Es machte mich glücklich, zu sehen, wie die Schneeflocken vor meiner Nase auf und ab tanzten und wie sie mit der Nacht in wundervollem Einklang harmonierten. Und außerdem gaben mir die Schneeflocken auf einmal eine Erinnerung zurück. Eine Erinnerung, die ich aus der Tiefe meiner Seele heraus lachen hören konnte. Matts Augen. Diese tiefblauen Augen, bei denen man das Gefühl hatte, würde man zu lange hinein sehen, dass man sich darin verirrt. Genau ein Jahr war es her, seit ich von Matt den ersten Kuss geschenkt bekam. Die Erinnerung lies mich diesen süßen Geschmack auf meinen Lippen fühlen. So etwas konnte man nicht vergessen. Ich ging gedankenverloren auf die andere Straßenseite. Ich wollte zu ihm gehen, ihm sein Weihnachtsgeschenk bringen. Die Vorfreude, über den Moment, wenn er sein Geschenk erhält lies mich kurz aufkichern. Ich hielt die Spannung kaum noch aus. Ich war ganz kurz davor. Noch ein paar Meter und ich stehe an seiner Haustür, reiche ihm das Geschenk. Er freut sich und bittet mich hinein. Meine romantischen Fantasien vergrößerten nur die Spannung, die sich in mir verbreitete und mich fast dazu zwang loszurennen. Aber das hätte keinen Sinn mehr gehabt, denn ich konnte seine Haustür schon erkennen. Juhu, endlich geschafft. Aber plötzlich öffnete sich die Tür, ich war noch etwa zwanzig Meter davon entfernt, und Matt trat heraus. Ich wollte schon losbrüllen "Hey, Matt, fröhliche Weihnachten!", und ihm um den Hals fallen, aber ganz unerwartet hielt ich inne. Ich fragte mich, was das sollte. Da vorn stand mein Märchenprinz und ich bewege mich keinen Zentimeter. Doch dann sah ich, wie ein anderes Mädchen hervortrat, dass zuvor von einem Gebüsch verdeckte wurde. Sie fuchtelte wild mit den Armen und kreischte etwas, aber ich war zu weit weg, um es zu verstehen. Aber das wäre auch unwichtig gewesen, denn was ich dann sah sprach Bände. Das Mädchen packte Matt an den Schultern, zog ihn zu sich heran und küsste ihn direkt auf die Lippen. Auf die Lippen, die meine vorher schon berührten. Zuerst verstand ich gar nicht richtig, was da vor sich ging, aber dann kam es mit rasender Geschwindigkeit auf mich zu. Ein scharfer Messerstich bohrte sich tief in mein Herz und ich krümmte mich vor quälendem Schmerz. Ein Schmerz, der sich von meinem Herzen ausgehend in alle Teile meines Körpers verteilte. Ein Schmerz, der nicht auszuhalten war und von dem ich dachte, er würde mein Kopf zersprengen. Ein Schmerz, der mir ohne Gnade die Kehle zuschnürte und mir verweigerte auch nur einen Ton hervorzubringen. Ein Schmerz, der mit einem Mal alle Liebe von mir zu Matt tötete und nur ein riesiges Loch in meiner Seele übrig lies. Durch diesen Schmerz fing ich an zu taumeln. Ich schwankte von einer Seite auf die andere und je länger ich die Szene betrachtete, die sich vor mir bot, um so mehr spürte ich, wie die Kraft aus meinen Beinen schwand. Ich wollte meinen Kopf wegdrehen, meine Augen schließen, irgend etwas tun, damit ich das vor mir nicht mehr sehen musste. Aber der Schmerz lies mich die Kontrolle über die Motorik meines Körpers verlieren, als ob er wollte, dass ich das mit ansehe, sodass er größer und stärker werden konnte. Doch das mit dem wegsehen erübrigte sich, als meine Beine unter der ganzen Last nachgaben und ich vollkommen erschöpft nieder sank. Jetzt hatte ich zwar das Bild nicht mehr vor Augen, das änderte aber nichts an der Tatsache, die gerade geschehen war. Nämlich die, dass der Junge, den ich von ganzem Herzen liebte und für den ich so viel durchmachte, gerade einer anderen den absoluten Liebesbeweiß erbrachte. Ich schätze, ich saß Stunden auf dem kalten Boden. Die beißende Kälte, die von ihm ausging, hätte wohl jeden anderen sofort aufstehen lassen, aber die Kälte, die mir Matt gerade entgegen brachte, obwohl er nichts gesagt hatte, mich nicht mal bemerkt hatte, war weitaus schlimmer. Etwas riss mich aus meinen Gedanken. Vor mir entdeckte ich einen kleinen kreisförmigen Fleck an dem der Schnee wohl geschmolzen ist. Dann tauchte plötzlich ein weiterer Fleck auf. Der Schnee verschwand an der Stelle sofort und bildete ein kleines Loch. Und da war der nächste Fleck. Geistesabwesend griff ich mir an mein Gesicht. Es war ganz nass. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich zu weinen angefangen hatte. Und wenn man nicht weiß, wann es anfängt, kann man es leider auch nicht verhindern. "Holly!..." Ich hatte Angst aufzublicken und nach der Ursache des Rufes zu suchen, aber meine Reflexe waren schneller. Matt hatte mich entdeckt. Er drückte das Mädchen von sich weg und kam auf mich zugerannt. Nein, dachte ich nur, bitte nicht! Er sollte nicht sehen, wie ich so jämmerlich auf dem Boden saß. Das wäre doch nur sein Triumph. Ich musste mich zusammenreißen, sonst ist er der Sieger und ich nur das kleine, naive Mädchen, dass sich in dieser Liebe falsche Hoffnungen gemacht hat. Ich richtete mich auf. Der quälende Schmerz und die Angst, gleich meinem Henker ins Gesicht sehen zu müssen machten mir das nicht gerade einfach. Es fühlte sich an, als müsste ich tausend Kilo stemmen. Endlich stand ich aufrecht. Matt hatte mich bereits erreicht. Ein paar Meter vor mir hielt er inne. Ich hatte noch nie bemerkt, wie groß Matt war. Sicher, er war schon etwa einen Kopf größer als ich, aber jetzt schien er mir irgend wie riesig. Oder, war ich nur so klein? "Holly, das ist nicht so, wie du denkst..." Das war er. Das war der Standartsatz, mit dem sich solche Mistkerle immer versuchen, aus der Affäre zu ziehen. Es ist nicht so, wie ich denke. Wie soll es denn anders sein? Gleich wird er wohl sagen, dass er nur ein Theaterstück geprobt hat. Ha, ich lach mich tot. "Es ist nur so, dass..." "Halt's Maul!!!" Ich hatte lauter gesprochen, als ich das wollte und ich bemerkte natürlich sofort Matts entgeisterten Blick. "Holly, du verstehst nicht..." "Du sollst die Klappe halten!!!" Ich war wütend. "Du Schwein..." Ich war so wütend auf ihn. "Du verdammtes Schwein..." Ich fühlte mich stark. Die Wut, die größer wurde, als meine Angst lies mich stärker werden. Ich war stärker als er, ich hatte keine Probleme mich gegen ihn zu behaupten. "Was sollte der Scheiß denn jetzt?" Ich wurde immer größer. Je mehr meine Wut wuchs um so größer wurde ich. "Ist das nur, um mich fertig zu machen?" Aber Matt schien trotzdem nicht locker zu lassen. Er streckte seine Hand aus und griff nach meinem Arm. Er drückte schon fast gewaltsam zu, als ob er mir damit sagen wollte, dass er immer noch stärker ist als ich und alle Karten in der Hand hält. Ich hätte nicht gedacht, dass er mich je so grob anfassen könnte, zumal seine Berührungen sonst immer einfühlsam und zärtlich waren. Ich entdeckte eine ganz andere Seite an ihm. Ich versuchte mich aus seinem harten Griff zu befreien. "Holly, jetzt hör' mir endlich zu!" Sein Griff wurde immer fester und es schien mir unmöglich, ihm zu entkommen. "Nein! Lass mich los! Ich hasse dich! ICH HASSE DICH!!!" Ganz plötzlich wurde es still. Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Hatte ich gerade dem Menschen, den ich am meisten liebte gesagt, dass ich ihn hasse? Ist so etwas möglich? Matt löste seinen Griff. Sein erschrockener Gesichtsausdruck wurde ernst. Jetzt bekam ich erstrecht Angst. So hatte er mich noch nie angesehen. Ein rätselhafter Blick, in dem sich seine Augen, seine sonst wunderschönen blauen Augen, mir in einem ganz anderen Licht präsentierten. Aber ich konnte, weiß Gott, nichts aus diesen Augen herauslesen. Sie waren so fremd. "Matt, das war nicht..." Ich flüsterte fast. Ich war wieder ganz klein. So klein und stur und dumm, dass ich in ein Mauseloch gepasst hätte. Ich hasste mich, für das, was ich gerade gesagt hatte. "Ich kann's nicht glauben, dass du..." Matt trat einen Schritt zurück. Seine tiefe Stimme zitterte etwas. "Dass du..." Er trat noch einen zurück. Jetzt stand er auf der Straße. "Dass du..." Er trat noch einen zurück. Oh Gott, er wusste nicht, was er tat. "DASS DU SO VERDAMMT..............!" "MAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAATT!!!!!!!!............." ...to be continued... Tja, Blaue Schneeflocken 2 hatte ich eigentlich etwas kürzer geplant, aber am Ende war's dann so viel, dass ich zwei Storys draus machen musste. Ich hab's am 11.11.02 beendet. Natürlich in der Schule, wo auch sonst... Maya :D BS2 ...auch wenn man für sie sterben würde Was war denn jetzt los? Wieso ist alles dunkel? Ich konnte nichts sehen und nichts fühlen. Es war auf einmal alles schwarz. Als ob sich mein Körper von mir verabschiedet hätte. Plötzlich fühlte ich einen leichten Druck neben mir. Als hätte mich jemand kurz angestupst. Durch die Dunkelheit schien ein schwaches Licht. Ich versuchte mich umzudrehen, aber ohne Körper ging das schlecht. Doch das Licht tat selbst eine Aktion. Es verdichtete sich und nahm eine Form an. Die Konturen wurden immer deutlicher. Ich erkannte bereits Finger und Haare wieder. Nach ein paar Sekunden stand er dann vor mir. Aus irgend einem Grund schockierte mich das aber nicht im geringsten. Er hatte ein vollkommen neutrales Gesicht. Da war weder ein Funken Freude, noch Ärger. Aber seine Augen schienen mir fast tot. Leblos und anteilnahmslos starrte er mich an. Ich fragte mich nur noch was los war. Doch dann öffnete er seinen Mund. Ich hörte seine tiefe Stimme in der Dunkelheit hallen. Seine Worte, die er ganz langsam aussprach, formten sich in meinem Kopf zu einem Sinn. "Was willst du denn hier?..." Mit einem Mal raste die Kälte auf mich zu. Sie erreichte mich, packte mich und krallte sich an mir fest. Ich spürte plötzlich meinen ganzen Körper, wie er sich unter der Eiseskälte zu winden versuchte. Er wehrte sich dagegen, dass sie in ihn eindringt. Aber sie war stärker. Erbarmungslos fraß sie sich durch meine Haut in direktem Ziel auf mein Herz. Sie hatte es fast erreicht. "Holly?" Gleich ist mein Herz erfroren. "Holly, verdammt!" Gleich bin ich tot. "Holly, wach auf!" Ich sterbe... "Wach endlich auf!" Mit einem Ruck saß ich aufrecht im Bett. Ich atmete hastig einen tiefen Zug ein, als ob ich kurz davor gewesen wäre zu ersticken. Der Atemzug schien gar nicht mehr zu enden, bis aber dann das vollständige Volumen meiner Lungen ausgefüllt war und ich gezwungen war, wieder auszuatmen. "Holly, meine Güte, hast du uns 'nen Schrecken eingejagt." Ich musste erstmal verstehen, wo ich war und wer da mit mir redete. Aber ich konnte gar nicht soviel Gedanken verarbeiten, wie ich Informationen bekam. Aber erstmal hübsch der Reihe nach. Also, wo war ich denn nun? Auf jeden Fall saß ich auf einem Bett, denn so weich und warm konnte die Straße, an die ich mich als letztes erinnerte, nicht sein. Ich blickte auf. Ich war in einem Zimmer. Da waren Stühle und ein Tisch und ein Schrank mit meinem Schulzeugs. Ach, Bing, jetzt erkannte ich mein Zimmer wieder. "Hey, alles in Ordnung? Du hast ganz schön lange geschlafen." Von wegen geschlafen. Aber meine Schwester sah mich ganz besorgt an. Mir tat sie schon fast leid, wie sie da ganz allein in dem dunkeln Zimmer an meinem Bett kniete. "Ja,... Ja ... Ich glaub' mir geht's gut..." Ich versuchte zu lächeln, damit Irene nicht mehr so ein besorgtes Gesicht machte. "Wie lange hab' ich denn geschlafen?" "Ein paar Stunden. Der Krankenwagen hat dich angeschafft. Sie wollten dich eigentlich im Krankenhaus behalten. War aber nicht nötig, weil du nur einen kleinen Nervenzusammenbruch hattest." Ich konnte mich partu nicht daran erinnern. "Naja, wenigstens geht's dir gut. Da sieht's mit Matt wohl etwas finsterer aus." Jetzt riss ich die Augen auf. Die Erinnerung kam mit einem Schlag zurück. Ich erinnerte mich an die Straße und an... "Wie geht es ihm? Wo ist er jetzt?", fragte ich aufgebracht. "Tja, er ist jetzt im Krankenhaus. Was genau mit ihm ist, weiß ich leider nicht. Aber ich lass dich jetzt erstmal allein. Dir scheint es ja wieder gut zu gehen." Ich merkte gar nicht mehr, wie Irene aus dem Zimmer ging. Ich war mit der Erinnerung zu sehr beschäftigt. Wie ich sagte, dass ich ihn hasse, wie er geistesabwesend auf die Straße rückte und wie er dann... ...von diesem Auto angefahren wurde. Ich erinnerte mich, wie er da lag und sich nicht mehr rührte. Es war meine Schuld. Ich habe das veranlasst. Oh mein Gott, wegen mir ist ihm das passiert. Es ist alles meine Schuld. Ich musste hier raus. Ich musste zu ihm. Ich konnte ihn jetzt nicht alleine lassen. Das wäre nur unfair. Ich quälte mich aus dem Bett. Mein Körper war immer noch ganz schwach. Es fühlte sich an, als wäre die Gravitation zwanzig mal stärker als gewohnt. Vielen Dank auch, Isaac Newton. Wäre ihm jetzt der Apfel auf seine Birne gefallen, hätte das sicher weitaus mehr weh getan. Ungefähr so sehr, wie mir die Sorge um Matt weh tat und das furchtbare Gefühl, dass ich dafür verantwortlich war. "Ich bin bald wieder zu Hause!", rief ich, während ich im Flur mir meinen Mantel schnappte. Ich war glücklicher Weise schnell genug und schon aus der Tür, bevor jemand blöde Fragen stellen konnte. Das wäre echt das Letzte, was ich brauchen könnte. Irgendjemand, dem ich erklären muss, dass ich wahrscheinlich am Tod meines besten und liebsten Freundes Schuld bin. Ich erreichte die Straße. Die beißende Kälte stieß mir ins Gesicht und machte den Anblick der Schneeflocken, die vom dunklen Himmel fielen, vollkommen zu Nichte. Die Schneeflocken waren nicht mehr länger angenehm anzusehen, sondern wuselten nur noch auf nervende Weise vor meinem Gesicht herum und behinderten mich an meinem Voranschreiten. Diese blöde Kuh. Was denkt die sich eigentlich? Die könnte ihn NIE so sehr lieben, wie ich es tat. Oder, liebe ich ihn gar nicht mehr? Eigentlich... Sie war es ja nicht, die ihm gesagt hat, dass sie ihn hasst. Sie war es nicht, die ihm weh getan hat. Und sie war es auch nicht, die ihn dazu brachte, auf die Straße zu gehen. Das war alles ich. Ich war hier die blöde Kuh. Was heißt, blöde Kuh? Ich bin ein Mega-Arsch. Was dachte ich mir überhaupt dabei? Die Kälte schien mir auf einmal noch unerträglicher, als eben noch. Verachtend und brutal drückte sie auf mich nieder und machte mir den Weg zum Krankenhaus, zu Matt, immer schwerer. Nach etwa zwanzig Minuten unerträglichen Laufens durch den Schnee, kam ich am Krankenhaus an. Als ich hineinging schien es, als ob ich aus einer Zeitlupe in einen Zeitraffer gesprungen wäre. Hintereinander weg folgten meiner Aktionen. In Windeseile stand ich am Empfang, fragte das Fräulein nach dem Zimmer, in dem Matt lag. Vier Sekunden später stand ich am Ende des Treppenhaues des zweiten Stockes. Ab hier stoppte der Filmriss wieder ganz plötzlich und alles lief wieder in dem quälend langsamen Tempo. Oh, mann, ich hatte mir gar nicht überlegt, was ich da machen sollte. Sollte ich mit ihm reden? Oder sollte ich einfach nur da stehen? Aber das hatte ja so gut wie keinen Sinn. Vielleicht sollte ich einfach mal schnell einen Blick reinwerfen und dann mich wieder verdünnisieren. Aber meine flüchtigen Gedanken wurden unterbrochen, als ich in den Gang bog in dem sich das Zimmer befand. Auf der Bank vor dem Zimmer saß jemand. Ein kleiner blonder Junge saß da. Den Kopf gesenkt und mit ein paar Tränen in seinen blauen Augen, kauerte er ein wenig zitternd auf der Bank und rührte sich nicht. Es war Matts kleiner Bruder. Langsam ging ich in seine Richtung. "Hi, wie geht's?..." Ich flüsterte fast, aber es hallte in dem langen Gang so sehr, dass es klang, als hätte ich geschrien. Matts Bruder blickte zu mir auf. Erst jetzt erkannte ich, dass das keine paar Tränen in seinen Augen waren. Die pure Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Seine Augen waren stumpf und trüb. Auf einmal biss mir die Schuld noch mehr ins Gewissen. Ich zuckte zusammen und hätte vor Schmerzen fast aufgeschrien. Aber hätte ich geschrien, hätte ich mich womöglich verraten. Verraten... Was für ein Wort. Als ob ich ein Schwerverbrecher wäre. Aber was unterschied mich denn noch großartig davon? Ich hatte immerhin den Bruder dieses zwölfjährigen Jungen auf dem Gewissen. Oh, Gott, die Schuld wurde immer unerträglicher. Mir wurde jetzt das Ausmaß meiner Tat erst bewusst. Ich hatte nicht nur Matt weh getan, sonder auch seiner Familie, seinen Verwandten, seinen Freunden. Was hab' ich nur getan?!? Auf einmal hörte ich ein kleines leises Schluchzen. Es zerriss mir das Herz und das wird wohl nicht die letzte Strafe sein, mit der ich zu rechnen hatte. "Du...kannst...reingehen, wenn du willst. Mama und Papa sprechen nur noch mit dem Arzt." In dem Moment ging die Tür auf und der Arzt kam heraus, in Begleitung von einem Mann und einer Frau. "...und muss ich ihnen leider mitteilen", hörte ich noch Satzfetzen des Arztes, "..., dass ihr Sohn im Koma liegt und nicht sicher ist, wann und ob er wieder aufwacht..." Nein, Nein, lieber Gott, bitte nicht, lieber Gott. Das kann doch nicht sein. Im Koma? Matt liegt im Koma? Eine gewaltige Flut an Schuldgefühlen, Verzweiflung, Angst und Hass auf mich selbst stürzte auf mich ein und begrub mich unter sich. Mit unglaublichem Druck zerquetschte mich die Last, die ich auf mir hielt. Was sollte ich denn jetzt nur machen? Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich bereits allein im Gang stand. Ich kam mir noch nie so allein vor. Mir war kalt. Ich wollte gar nicht mehr in das Zimmer gehen. Ich fühlte mich so furchtbar elend. Aber mir wurde eines klar. Warum habe ich ihm nur gesagt, dass ich ihn hasse? Ich hasse ihn doch gar nicht. Das konnte ich überhaupt nicht. Ich würde jetzt niemals so sehr leiden, wenn ich ihn nicht von ganzem Herzen lieben würde. Plötzlich erblickte ich am Ende des Ganges ein Fenster. Durch das Fenster hindurch sah ich die Schneeflocken. Ohne die Kälte erschienen die Schneeflocken nicht länger nervig, sondern wieder anmutig und harmonisch mit dem schwarzen Himmel. Sie tanzten wieder auf und ab und ich hätte schwören können, dass sie mir zulächelten. Als würden sie flüstern: "Nur Mut. Hab' keine Angst..." Mit zitternden Händen fasste ich also an die Türklinke und drückte die nach unten. Ein leises Knarren hallte im Gang wider als ich eintrat. Im Zimmer hörte das Hallen abrupt auf. Es war ganz ruhig. Es war nicht diese Mörderstille, es war einfach nur ruhig. Dann vernahm ich ein monotones Piepsen. Ich suchte nach der Ursache und erblickte sie sofort. In dem einzigen Bett in diesem Zimmer lag er. Matt... Aber er sah gar nicht so aus, wie ich gedacht hatte. Das Zimmer bot eine leichte Atmosphäre in der Matt nur zu schlafen schien. Sein Atem war ruhig und regelmäßig und es machte fast der Eindruck, als ob er lächeln würde und flüsterte ...Nur Mut. Hab' keine Angst... Ich schritt auf das Bett zu, setzte mich darauf und umschloss seine Hand mit meiner. Ich versuchte meine Verzweiflung kurz zu vergessen, um das zu tun, was mir am sinnvollsten erschien. "Matt? Matt?... Äh... Hi, ... Ich weiß leider nicht, ob du mich hören kannst, aber wenn ich das jetzt nicht tue, werde ich wohl nie mit reinem Gewissen vor meinen Schöpfer treten." Ich atmete tief ein. "Also, es tut mir leid. Was heißt, es tut mir leid? Es tut mir unendlich leid, was ich getan habe. Das war furchtbar bescheuert von mir und wenn du jetzt vielleicht nie wieder... ...für mich lächeln kannst, will ich nur, dass du weißt... Ich liebe dich. Matt, ich liebe dich mehr, als alles andere auf der Welt. Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben und was du mir alles gegeben hast ist nicht in Worte zu fassen. Dass ich dir gesagt habe, ich würde dich hassen, kann ich natürlich nicht zurück nehmen, weil es in dem Moment die Wahrheit war. Dass du dieses Mädchen geküsst hast war nicht fair, aber dir zu sagen, dass ich dich hasse war auch nicht fairer." Ich fing an zu weinen. "Verdammt, ich wollte eigentlich nicht weinen. Ich wollte dir zeigen, dass ich stark bin. Aber es ist schwerer, als ich dachte. Aber mindestens das müsste dir beweisen, dass ich es nicht aushalten würde, wenn du nicht mehr bei mir bist. Matt, ich liebe dich und ich wüsste nicht, was ich mit mir anfangen sollte, wenn du nicht mehr da bist, wenn ich dich brauche." Ich wurde immer lauter. "Matt, verdammt, ich bin für dich durch die Hölle gegangen und du schuldest mir noch eine Antwort. Ich will wissen, was mit diesem Mädchen ist. So viel bist du mir noch schuldig. Wo ist denn der coole, toughe Kerl, der niemals davon rennt? Also, lauf bloß jetzt nicht davon. Du hättest dir wirklich 'n beschissenen Moment ausgesucht. Also, wach endlich auf! Bitte, WACH ENDLICH AUF!!!" ... ... ... ... "Sind wir dann quit?..." Ich vernahm ein leises Flüstern. Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich wünschte mir in dem Moment nichts sehnlicher, als das, was ich gerade zu hoffen vermochte. "Sag' schon. Sind wir dann quit?..." Ich sah, wie Matt schwach seine Lippen bewegte. "Ja. Ja, natürlich sind wir dann quit. Was glaubst du denn?", antwortete ich ihm mit zitternder Stimme. Ich glaube, Matt konnte die Vibration meines heftigen Herzschlages bereits fühlen. "Also, schön. Hier ist meine Erklärung. Das war nichts weiter, als ein total durchgeknallter Fan. Es hat an der Tür geläutet und ich dachte, du würdest davor stehen. Aber als ich die Tür öffnete schrie diese Verrückte 'Oh mein Gott, oh mein Gott, du bist mein Held.' Und bevor ich was erwidern konnte, hing sie schon an mir dran. Holly, ich verspreche dir, und darauf kannst du für immer vertrauen,..." Jetzt öffnete er seine Augen. Diese zwei dunkelblauen Augen blicken mich freudig strahlend an, obwohl Matt nur ganz leicht lächelte. Ich beugte mich etwas zu ihm hinunter, weil ich sein Flüstern fast nicht mehr verstand. "... Ich liebe dich..." ... ... ... ... "Du bist ja wahnsinnig, mir so einen Schrecken einzujagen." "Aber für das hat es sich gelohnt...", hauchte er nur noch, stemmte sich etwas nach oben und drückte seine warmen Lippen wieder auf meine... Genau, wie letztes Jahr... Genau, wie letzte Weihnachten... Tja, was soll ich sagen? Ich habe Weihnachten im Krankenhaus gefeiert. Ich blieb noch die ganze Nacht bei Matt. Sein Geschenk hat mir Irene vorbeigebracht, sodass ich es ihm dann doch noch überreichen konnte. Nach einer Woche war Matt schon wieder auf den Beinen. Und soll ich euch verraten, was er mir geschenkt hat? ... Ach, nee, ich sag's lieber nicht. Bätsch! Aber eins kann ich euch flüstern. Solche blauen Schneeflocken findet man im ganzen Universum nicht noch mal... ENDE Fertiggestellt am 13.11.02. So'n Mist. Ich hatte Blaue Schneeflocken eigentlich als halbseitige Kurzgeschichte geplant und nicht als Massendrama. Aber Halleluja ist jetzt der "zweite" Teil endlich fertig. Sollte da jetzt irgend was aus medizinischer Sicht nicht ganz hinhauen, bitte drüber wegsehen. So schlau bin ich auch wieder nicht... Maya :D Kapitel 3: Blaue Schneeflocken 3 -------------------------------- Blaue Schneeflocken 3 BS3 Absolute Verwirrung Eine Schneeflocke. Und noch eine. Und da ist noch eine. Warum lässt sich eigentlich die kälteste Jahreszeit immer so lange Zeit, bis sie sich endlich mal entscheidet, ihren im festen Zustand vorkommenden Niederschlag auf die Erde loszulassen. Da wartet man sich doch echt 'n Wolf. Aber, hey, endlich schneit es. Gott, wie sehr habe ich mich doch auf diesen Augenblick gefreut. Der erste Schnee. Jippi. Das erinnerte mich an ein Zitat: "Die weiße Pracht schwebt hernieder und bedeckt die ganze Stadt. Und die Leute gehen Schlitten fahren und bauen Schneemänner. Und dann gleitet der Weihnachtsmann herab auf einem Elektrorasierer..." Sasha würde jetzt sagen, dass ich total durchgeknallt wäre. Sie hat mir das schon des Öfteren an den Kopf geworfen. Aber nur weil ich siebzehn Jahre alt bin und mich noch über den ersten Schnee freue bin ich doch noch lange nicht durchgeknallt. Oder doch?!? Eine Frage der Sichtweise. Alles eine Frage der Sichtweise. Und außerdem hatte ich ja allen Grund mich über die weiße Flockenpracht zu freuen, die sich gerade lautlos über die Stadt legte. Es war so entspannend. Wie beim Beobachten einer Lavalampe. Fast einschläfernd... "Eve, wenn du es nicht für nötig hältst, dich am Unterricht zu beteiligen,...", wurde ich unsanft aus meinem Halbschlaf gerissen. ",dann tu wenigstens so, als würdest du dich für Spinquantenzahlen interessieren." Ich verdrehte genervt die Augen und starrte meine Lehrerin mit einem gekonnt verständnislosen Blick an. Die soll sich bloß nicht einbilden, dass ich sie als Autorität anerkennen würde. Frau Docktor soll sich lieber an die eigene Nase fassen. Als ob die sich jemals für etwas interessiert hätte, was ICH gerne mache... Ich sollte aufhören so egozentrisch zu sein... Die Lehrerin, mich immer noch mit einem fast beleidigten Blick ansehend, schüttelte den Kopf, wandte sich von mir weg in Richtung Tafel, um ihren Unterricht auch ohne meine geistige Anwesenheit fortzusetzen. Sie rückte noch kurz ihren weißen Kittel zurecht und fing dann wieder an, auf ihre nervige Art Reaktionsgleichungen und Formeln an die Tafel zu kreiden, die damit schon regelrecht künstlerisch verziert war. Wie es Lehrer nur immer schafften auch noch das letzte Bisschen von Tafel vollzuschreiben, ohne abwischen zu müssen. Das war höchst faszinierend. Aber mir auch noch über solche Weisheiten mein hübsches Köpfchen zu zerbrechen, war mir jetzt einfach zu doof. Also richtete ich meinen Blick wieder aus dem Klassenzimmerfenster, hinaus in die stetig wachsende Winterlandschaft. Schon allein nach diesen paar Minuten hatte es bereits so stark geschneit, dass die Stadt so ziemlich mit dem glänzenden Weiß bedeckt war. Es sah einfach herrlich aus. Ich dachte, wenn ich älter werde, dann könnte ich diesen Kinderkram endlich vergessen, endlich aufhören, wie ein kleiner Pimpf auf den ersten Schnee zu warten, um mich dann königlich darüber zu freuen. Aber jedes Jahr verzauberten mich die Schneeflocken aufs Neue. Jedes Jahr war ich von ihnen einfach nur fasziniert. Jedes Jahr geriet ich bei ihrem Anblick in so etwas, wie einen Trancezustand, den man vielleicht durch Mediation oder so erreichen würde. Nicht einmal das fürchterliche Quietschen der Kreide von Frau Docktor brachte mich noch aus der Ruhe. Und diese Ruhe hatte ich wirklich mehr als nötig. Ich war ja nun in der elften Klasse. Die normalen Klassenverbände hatten sich nach der zehnten aufgelöst und alle Schüler wurden in ein Kurssystem gesteckt. Jede Stunde anderer Kurs, anderer Raum, anderer Stoff, andere Leute, andere Lehrer, mit denen man sich auseinander setzen musste. Es war am Anfang der pure Horror und jetzt vor den Weihnachtsferien stehen sowieso noch tierisch viele Kursarbeiten an, vor denen ich mehr als Bammel habe. Ich stecke von früh bis spät nur noch im Stress und kann gar nicht so schnell lernen, wie uns die Lehrer mit Leistungskontrollen drohen. Vor allem Chemie-Leistungskurs. Das is' ja mal echt die Härte. Wie konnte ich nur so blöde sein und Chemie als Leistungskurs wählen. Als Grundkurs wäre es ja nicht so schlimm, aber dass ich mich dermaßen ins Geplänkel stürzte, hätte ich echt nicht gedacht. Bei der Wahl meiner Kurse muss ich wohl irgendwie weggetreten sein oder wie sollte ich sonst auf so eine oberbescheuerte Konstellation wie Mathe-Chemie kommen? Was hab' ich da nur wieder angestellt? Aber, nein, Eve, ganz ruhig bleiben Mädchen. Nicht aus dem Konzept bringen lassen. Immer dran denken: Schule blöd, Eve gut. Ich versuchte mich von diesem ätzenden Schulgedanken loszureißen und mich wieder auf die Schneeflocken zu konzentrieren, die mir wieder das Gefühl gaben, wenigstens für eine Weile keine Probleme zu haben. Ich steckte von oben bis unten in Arbeit und war froh, dass mich die Schneeflocken etwas erheitern konnten. Sie schienen ja nur die einzigen. Sonst ist da ja niemand. Niemand mit dem ich mal über die Schule reden kann, weil jeder andere auch im Stress ist. Niemand, der mir zuhörte, weil es bei fast allen so chaotisch zuging, wie bei mir. Ohne, dass ich es wollte oder hätte verhindern können wurde ich auf einmal wehmütig. Warum war ich denn so plötzlich deprimiert? Nur, weil ich mal kurz den Schneeflocken zugeschaut habe? So'n Quatsch! Ich versuchte mich zusammenzureißen. Nicht, dass ich jetzt auch noch mitten in der Stunde anfange zu heulen. Wäre ja noch schöner. Jetzt musste ich mich auch noch von den Schneeflocken ablenken, weil die mich nur noch trauriger machten. Aber die Alternative war der Unterricht von Frau Docktor, dem eigentlich keiner so richtig folgen wollte, geschweige denn konnte. Jeder Schüler beschäftigte sich unauffällig mit etwas anderem. Da hörte der eine Musik mit MP3-Player, der andere aß etwas, die nächste spielte mit ihrer Banknachbarin Schiffe-Versenken. Dadurch war es in der Klasse vollkommen still. Das war mir vorher noch nie aufgefallen. Ich war immer der Meinung, dass Schüler in einer derart langweiligen Unterrichtsstunde pausenlos schnatterten. Aber jeder war so von seiner Beschäftigung eingenommen, dass es keiner für nötig hielt, sich zu unterhalten. Es war so still im Chemieraum, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Aber es fiel keine. Ich vernahm nur weiterhin das Geräusch der quietschenden Kreide an der Tafel, die mir unaufhörlich weis machen wollte, dass die Spinquantenzahl die Drehrichtung von Elektronen beschreibt. Aber ich hörte Frau Docktor gar nicht richtig zu. Ich hörte nur die Stille und das Geräusch der harten Kreide, die langsam aber sicher von der herrschenden, nahezu unheimlichen Stille verschluckt wurde, bis es sich letztendlich im Nichts verlor und ich gänzlich keinen weiteren Laut mehr vernahm. Sogar die Farben im Raum schienen langsam zu verschwimmen. Sie vermischten sich vor meinen Augen zu einem einheitlich dunklen grau, dass meine Stimmung noch wesentlich mehr trübte. Diese dickflüssige Suppe aus Geräuschlosigkeit und Farblosigkeit gab mir das Gefühl jetzt vollkommen allein zu sein. Mir kam es so vor, als sei ich die einzige im Raum. Als sei ich die einzige in der ganzen Stadt. Die einzige auf diesem Planeten. Und es drängte sich wieder dieser mir mehr als bekannte Gedanke in der Kopf. Einsamkeit. Ich war sowas von einsam. Bei einem Blick aus dem Fenster, dass ich schon gar nicht mehr richtig zu erkennen vermochte, war selbst die Stadt verschwunden. Kein Haus mehr, keine Straße mehr. Nur dieses tranige Grau, das mich langsam an meinem Verstand zweifeln ließ, benebelte meine Wahrnehmungskraft. War es jetzt die Umgebung, die so trostlos war, oder war diese Trostlosigkeit in mir? Doch plötzlich blitzen meine Augen auf, als ich neben diesem traurigen Grau auf einmal auch wieder die Schneeflocken sah. Sie waren nach wie vor strahlend weiß und tanzten vor meinen Augen weiterhin ihren fröhlichen Tanz hinab zu Erde. Und sie bedeckten das Grau, worauf sich ein seltsam wärmendes Gefühl unter meiner Haut verbreitete. Die Flocken legten sich sanft gleitend auf jede graue Stelle im vermeintlich leeren Raum. Dieser fing langsam an, wieder freundlicher und einladender auszusehen. Verständnisvoll trifft es noch besser. Ich wurde verstanden. Obwohl ich nichts gesagt hatte, hatte ich das Gefühl verstanden zu werden. Die Schneeflocken verstanden mich. "Entschuldigung..." Und jetzt schienen sie auch noch mit mir zu sprechen. Ich war davon so fasziniert, dass ich gar nicht wusste, wie ich reagieren sollte. "Verzeihung, bitte..." Die Schneeflocken wollten mir etwas sagen und ich hörte mehr als aufmerksam zu. Ich beugte mich nach vorne, um sie vielleicht besser verstehen zu können. Also, was wollte ihr mir sagen? "Ist der Platz noch frei?" "WAS?!?", ich erwachte schlagartig aus meiner Trance, riss die Augen weit auf und versuchte zu realisieren, was hier los war. "Ist der Platz noch frei?" Alles war wieder an Ort und Stelle. Die gelangweilten Schüler waren wieder da, die nervige Frau Docktor, die schneebedeckte Stadt und der Junge, der freundlich lächelnd vor mir stand und Mühe hatte, seine vielen Bücher, die er halb auf dem Arm trug, halb in seinen Rucksack gesteckt hatte, zu halten. "Was ist jetzt? Das Zeug ist schwer...", hechelte er unter seinem Bücherstapel. "Eve, jetzt lass ihn doch endlich neben dir sitzen.", wurde ich von Frau Docktorchen wieder angekeift. Auf ihren netten Ratschlag hin, riss ich mich zusammen und sagte: "Ja, sicher, ist der Platz frei. Setz dich, ich nehm' dir das ab." Und wie ein Reh sprang ich auf und ergriff die Bücher, die der Junge auf seinen Arm geladen hatte. "Danke, sehr freundlich.", bedanke er sich und lächelte mich erneut an. Ein kleiner Wärmestoß stieg in mir auf, als ich ihm dabei in die Augen sah. Mann, ich hatte echt zuvor noch nie solche blauen Augen gesehen. Das war ja der Hammer. Schon fast unwirklich blickten mich diese riesigen Ozeane an, bis sie sich dann von mir lösten und sich der Junge auf den Platz neben mich setzte. Ich tat es ihm gleich... Ich meine, ich setzte mich auf meinen Platz. ..., nicht auf seinen... ioi... "Macht doch keine Umstände...", brachte ich hervor, obwohl ich nicht so recht wusste, was ich da gerade gesagt hatte. Ich war ein bisschen konfus. Das plötzliche Auftauchen und Verschwinden des grauen Raumes und dann diese blauen Augen waren zu viel für mich. Ich wusste, dass ich vor ein paar Minuten noch der totalen Einsamkeit, wenn nicht sogar dem Selbstmitleid verfallen war und plötzlich war an dessen Stelle ein vollkommen neues Gefühl getreten. Es war ganz warm und irgendwie quietschvergnügt. Ich weiß auch nicht, wie ich es anders beschreiben soll... "Das ist Matt.", fing die Lehrerin an zu erzählen. Es ging wahrscheinlich um den Jungen auf dem Stuhl direkt neben mir. "Er ist eigentlich ein Schüler aus der Nachbarschule. Da diese Schule aber dieses Jahr leider keinen Chemie-Leistungskurs vergeben kann, ist Matt seit den Herbstferien an unsere Schule gewechselt und wird jetzt die zwei Jahre an unserer Schule unterrichtet." Aus der Nachbarschule, aha. Ist unsere Nachbarschule nicht diese Privatschule, die mehr als ein Lichtjahr von diesem Kaff hier entfernt liegt? Und die bieten keinen Chemiekurs an?! War das denn nicht die Schule, die für ihre Vielzahl verschiedenster Kurse berühmt war? Die hatten sogar mal einen Leistungskurs für kreatives Schreiben zustande gekriegt. Tja, aber das ändert ja nix an der der Tatsache, dass dieser Matt jetzt an unserer Schule ist. Naja, was soll's. Ich werd' schon mit ihm auskommen. Aber hoffentlich muss ich ihm nicht irgendwo Nachhilfe geben. Dazu kriegen mich keine zehn Pferde... Ich sollte wirklich aufhören so egozentrisch zu sein... "Also, seid bitte freundlich zu ihm,", fuhr Docktor fort. ", und helft ihm, wenn ihr könnt." Da war schon wieder das böse H-Wort. Warum hat die mich da jetzt so energisch bei angesehen? "Ach, und Eve. Ich möchte gerne, dass du Matt nach Unterrichtsschluss das Schulgebäude zeigst." WAS?!? Spinn ich denn?! "Ja, mach ich." Und wenn das mal nicht gelogen war. Ich hab's doch gewusst, dass ich wieder als Nachtschattenschnepfe herhalten muss. Das ist nicht fair. Jetzt darf ich auch noch meinen Nachmittag mit diesem Dödel verbringen. Och, maaaaaaaaann!!! "Hey, danke noch mal, dass du mir alles zeigst." "Kein Problem.", warf ich halb sarkastisch dem blonden Jungen neben mir an den Kopf, der sich vor einer viertel Stunde an meine Fersen geheftet hatte und den ich seit dem wie ein kleines Schulkind durch das Hauptgebäude unserer Schule führte. Ich zeigte ihm, welche Zimmer sich in welcher Etage befanden, wo das Sekretariat und das Lehrerzimmer waren, wo die Cafeteria war und der Speisesaal, ebenso die Turnhalle und was mir sonst noch so einfiel. Und ich hatte permanent das Gefühl meine wertvolle Zeit mit diesem Typen zu verschwenden. Warum hatte meine Chemielehrerin mich nur damit beauftragt, dieses Überbleibsel durch die Schule zu führen? Und warum hab' ich Trine nur gesagt, dass ich es gerne mache? War ich denn nur komplett verblödet? Das war mein freier Nachmittag. Naja, wenn ich's mir recht überlege, würde ich jetzt sowieso nur über meinen Hausaufgaben sitzen und daran verzweifeln, also konnte das hier ja auch nicht viel schlimmer sein. Aber wenn ich zwischen den zwei Übeln hätte wählen können, hätte ich mit Sicherheit die Hausaufgaben genommen, da ich die nach diesem Theater sowieso noch machen muss. "Ich hab' ja sonst nix zu tun.", fügte ich genauso sarkastisch hinzu, weil mir das mittlerweile eingefallen war und mir die Anwesenheit dieses Jungen zu wider war. Ich wollte nur noch nach Hause. "Sag' mal, stört dich irgendwas?", fragte er mich ernst. Ja, du störst mich! Du bist das Nervigste, was mir je unter gekommen ist. Aber das konnte ich ihm unmöglich vor die Füße knallen. Der Junge sah nicht gerade so aus, als könne er eine solche Beleidigung ertragen. OK, er war recht groß, gut einen Kopf größer als ich, aber er war verdammt dünn. Naja, dünn nun auch wieder nicht. Ich nenn 's mal extrem schlank. Seine blonden Haare, die wie wild in der Gegend standen und irgendwie nicht so richtig eine einheitliche Frisur erkennen ließen, hingen ihm teilweise sogar im Gesicht, aber er ließ sich daran wohl nicht stören. Außerdem hatte er eine verdammt blasse Haut, die wie bei Schneewittchen dem Schnee glich, der vor ein paar Stunden gefallen war. Seine blasse Haut wirkte unter seiner schwarzen Kleidung nur noch blasser und sah irgendwie traurig aus. So allein. Als ob er jemanden vermissen würde. Aber dieses Vermissen schlug sich am meisten in seinen Augen nieder. In diesen tiefblauen Augen. Ich hatte in meinem ganze Leben noch nie solche blauen Augen gesehen. Wie konnte jemand nur eine solche anziehende Augenfarbe haben. Seine Augen sahen aus, wie ein weites Meer aus Millionen blauer Schneeflocken, die nach ihrem Gleiten auf die Erde nur noch ruhig und lautlos dalagen und sich keinen Millimeter mehr rührten. Da brauchte nur ein kleiner Windstoß zu kommen, um diese Ruhe wieder im Chaos versinken zu lassen. Dieser Zerbrechlichkeit der Ruhe in seinen Augen war Wahnsinn. "Hey, was stierst du mich denn so an?", wurde ich von ihm aus meiner Faszination gerissen, die ich gar nicht beabsichtigt hatte, aufzubringen. Schon gar nicht für so einen Nervi. "Wer, ich? Ich hab' doch gar nicht gestiert.", versuchte ich mich zu verteidigen und möglichst nicht rot zu werden. "Oh, doch, das hast du." "Hab' ich gar nicht." "Und ob du das hast." "Nein, hab' ich nicht." "Doch, natürlich." "Nein!" "Doch!" "Nein!" "Doch!" "Nein!" "Doch!" "Nein!" "Du lässt dich wohl durch nicht so leicht aus der Ruhe bringen.", unterbrach er dann das "Gespräch". "Wenn du wüsstest.", sagte ich halblaut. "Was war das?" "Vergiss es. Du heißt Matt, nicht wahr?" "Das ist nur mein Spitzname." "Ach." "Mein richtiger Name ist Yamato Ishida." "Is' nich' wahr." "Ishida ist japanisch und bedeutet großer Berg und Reisfeld.", er kam sich dabei ja tierisch wichtig vor. Arroganter Besserwisser. "Na, wahnsinn.", sagte ich und versuchte all meine Ironie mit hinein zu legen, um ihm zu demonstrieren, wie uninteressant es für mich war, dass er ein solches Wissen hatte. "Und du heißt Eve.", versuchte er geschickt zu kontern. Ich vermute mal, dass er die Spannung von mir zu ihm erkannt hatte und jetzt ablenken wollte. Bilde dir nur nichts darauf ein, Sportsfreund. "Ja, aber das ist auch nur mein Spitzname. Ich heiße Eva-Maria.", sagte ich gespielt gelangweilt, als würde es mich einen Scheiß interessieren, dass er meinen Namen wissen wollte. "Eva-Maria? Du hast einen Doppelnamen?", hackte er weiter und in mir schoss augenblicklich ein Funken Wut nach oben. "Ist das so schlimm?", fragte ich daraufhin mit etwas lauterer Stimme. "Nein, eigentlich nicht. Darf ich dich Eve nennen?" "Nein, eigentlich nicht. Darfst du mir mal den Buckel runter rutschen?", sagte ich, weil mir sein "eigentlich" furchtbar provokativ vorkam. Auf meine freche Antwort reagierte Ishida gar nicht mehr. Ich schien ihn wirklich beleidigt zu haben. Aber wenn der mir so blöd kommt. Hat der vielleicht was gegen Doppelnamen? Der Blonde drehte jetzt nur noch den Kopf von mir weg. Er scheint begriffen zu haben, dass man nicht so unverschämt mit mir umspringt. Obwohl mir es gerade ein bisschen Schuldgefühle machte, wie er mich nicht mehr ansah. Aber er hat ja angefangen. Gott, jetzt klang ich wirklich wie 'ne Achtjährige. Sollte ich mich jetzt entschuldigen? Oder lieber mein Klappe halten? Oder vielleicht... "Wo wohnst du?", fragte mich Yamato erneut. "Am Arsch der Welt...", gab ich als Antwort. Mensch, Eve, kannst du nicht vorher mal denken, bevor du anfängst zu sprechen. Jetzt hab' ich ihn nur noch mehr verletzt. Wieso denn schon wieder verletzt? Er ist es doch, der mir meinen Nachmittag klaut und sagt, ich hätte einen blöden Namen. Der hat doch ein vernünftige Antwort gar nicht verdient. "Ich meine, zwei Blocks von hier entfernt. Einfach nur die Straße runter und dann rechts." Neiiiiiiin, zeichne ihm doch gleich den Weg auf, Eve. Zuerst bin ich ZU abweisend und jetzt bin ich ZU freundlich. Bin ich denn jetzt komplett verblödet? Auf jeden Fall war ich total durcheinander. Aber das war ich doch sonst nie. Normaler Weise wahrte ich immer die Haltung, doch irgendwas schien mich gerade völlig aus dem Konzept zu bringen. "Kann ich dich vielleicht mal besuchen kommen oder anrufen oder so, wenn ich ein Problem habe?" Jetzt will er auch noch zu mir kommen. Spinnt der jetzt total? Der soll sich zum Teufel scheren. "Klar...!" Was sollte denn das jetzt schon wieder? Aaaaarrrrgghhh!!! Ich wollte das doch gar nicht sagen. Ich wollte sagen, is' mir doch egal! Damit hätte ich ihm seine Bitte nicht abgeschlagen, aber ich hätte ihm wenigstens das Gefühl gegeben, dass er mich ankotzt. Und jetzt glaubt er, ich würde auf ihn abfahren. Mann, ich hasse diesen Typen. "Danke, noch mal. Das da vorne ist mein Dad. Ich muss jetzt los. Und danke, dass du mir alles gezeigt hast.", sagte Ishida dann plötzlich, als er einen älteren Mann am Flurende entdeckte. Ishida rannte auf ihn zu und noch beim Laufen drehte er sich zu mir um und rief mir zu: "Und sei nicht so schlecht gelaunt. Wirf einfach mal 'n Blick nach draußen. Dann geht's dir bestimmt besser. Jeder kann mal mit dem falschen Fuß aufstehen." Ja, und den hätte ich dir jetzt am liebsten in deinen süßen Hintern gerammt, du Kotzbrocken. Ich kam dann auch endlich am Flurende an. Als ich aus der Tür trat, sah ich noch, wie das Auto, in dem Yamato und sein Dad saßen, davon fuhr. Die Schneeflocken fielen noch immer auf ihre beruhigende Art auf die Straßen und gaben ihnen einen reinen, unschuldigen Glanz. So ungern ich es auch zugab, aber Ishida hatte recht. Mir ging es jetzt wirklich etwas besser. Aber das hing wohl eher damit zusammen, dass dieser Idiot endlich weg war und ich nach Hause gehen konnte. Doch ich sah dem wegfahrenden Auto noch lange hinterher, bis es unter den vielen Schneeflocken gänzlich verschwunden war. Yamato Ishida, also. Ein Mistkerl ohne gleichen. Aber irgendwie spürte ich trotzdem noch etwas anderes. Ich war noch nie so verwirrt, wie heute. Lag es vielleicht tatsächlich an ihm, oder drehe ich unter dem ganzen Schulstress nur langsam durch? Yamato... "Hey, das ist doch der Neue.", ein fröhlich grinsendes Gesicht tauchte hinter mir auf und ich erschrak etwas, da ich von ihm unsanft aus meinen Gedanken gerissen wurde. "Sasha, mann, hast du mich erschreckt.", atmete ich erstmal auf. "Danke, mache ich immer gern." "Haha..." "War der in dem Auto nun der Neue?" "Ja, das ist Yamato Ishida." "Ach so heißt der also richtig. Den kannst du dir gleich aus dem Kopf schlagen." "Was meinst du?" "Na, ich hab' doch gesehen, wie du dem Auto hinterher gestarrt hast. Aber du hast keine Chance. Er hat schon eine Freundin..." ...to be continued... Geschrieben im September: Ja, ich bin wieder zurück. Ich hätte echt nicht gedacht, dass ich meine peinliche, schnulzige Story mal fortsetze, aber Weihnachten ist Weihnachten und wenn mein Weihnachtsfeeling mit mir durchgeht gibt es kein Halten mehr für mich. MayaAnn (Für alle, bei denen ich jetzt Verwirrung gestiftet habe: Mein Künstlername war früher mal Maya und nicht MayaAnn. Da ich aber eine leidenschaftliche Nostalgikerin bin, wollte ich den Namen in den vorangegangenen Kapiteln nicht ändern) BS3 Warum war er doch gleich erkältet?!? Eine Schneeflocke. Und noch ein. Und da ist noch eine. Aber ich beachtete das glänzende Weiß gar nicht, das sich gerade vor meinem Fenster kringelte. Ich blickte nur das Mädchen an, das es sich gerade auf meinem Bett bequem gemacht hatte. "Ganz ehrlich?", fragte ich Sasha ungläubig, den kleinen Stich in meiner Brust ignorierend. Ich hatte mich mit ihr in meinem Zimmer verschanzt und brachte ihr gerade eine Tasse Tee. Sollen die blöden Hausaufgaben doch warten. "Ja. Ihr Name ist Holly. So 'ne kleine brünette. Sie hat ganz schön lange um Matt kämpfen müssen. Wenn du wüsstest, wie sehr sie sich wegen dem mal fertig gemacht hat." "Und woher weißt du das?" "Holly hat eine Freundin. Marrin. Mit der hielt ich vor ein paar Jahren Briefkontakt. Naja, Holly hat Marrin von der Sache mit sich und Matt erzählt und Marrin konnte ihr Klatschmaul mal wieder nicht halten und erzählte es mir." "Weißt du noch mehr über diese Holly.", obwohl ich mir eigentlich ganz sicher war, dass ich das gar nicht wissen wollte. Das ist doch jetzt total unlogisch noch mehr über diese Person in Erfahrung bringen zu wollen. Aber wenn ich schon mal gefragt habe. "Sie geht auch auf das Gymnasium unserer Nachbarschule und ist jetzt in der elften Klasse, denke ich mal.", erzählte Sasha und ich hörte ihr überraschend aufmerksam zu. "Sie ist etwa 1,65 groß, viel zu dürre für meinen Geschmack, hat lange braune Haare und ist 'ne echte Heulsuse." "Was?", musste ich ein wenig lachen. "Also ich halte sie jedenfalls für eine waschechte Heulsuse. Ich hab' mich mal mit ihr unterhalten - is' schon etwas länger her - und hatte das Gefühl mit allem, was ich ihr sagte, sei es auch noch so nett und rücksichtsvoll, ihr weh zu tun. Gott, ist das Mädchen empfindlich. Ich weiß gar nicht, was Matt an ihr so besonders findet." "Seit wann ist denn Ishida mit ihr zusammen?" "Tja, ich schätze mal, dass die ganze Tragödie vor etwa drei Jahren statt fand. Holly hat ihn auf einer Bandprobe singen hören und ist seinen blauen Augen sofort verfallen." Sie also auch... Eve, jetzt hör auf, sowas zu denken, mahnte ich mich selbst. "Moment mal, Ishida singt in einer Band?!?" "Mhm, ja, sie besteht gerade mal aus vier Mann und er ist der Leadsänger und Bassist." Sieh an, Gitarre spielen und singen kann er also auch noch. Arrogantes Multitallent... "Wie dem auch sei. Holly jedenfalls dachte, dass sie Matt nie etwas bedeuten wird, weil er eine viel zu große Auswahl an viel schöneren und älteren Mädchen hatte. Aber durch einen Zufall haben sie sich dann getroffen und haben sich gegenseitig ihre Liebe gestanden. Schnulz, Schleim, Kotz." Sasha verleierte die Augen. "Aha, is' ja nich' wahr." "Ja, aber das Krasseste war ein Jahr später, als Holly dachte, Matt würde sie mit einer anderen betrügen. Da war vielleicht die Hölle los." "Was ist denn passiert?" "Ach, ich weiß nur noch was von einem Unfall und dass Matt im Koma lag." Ishida lag im Koma?!? Das is' ja furchtbar... "Und was ist dann passiert?" "Matt hatte Glück, Holly auch und Matt konnte ihr das mit der angeblichen Betrügerei erklären. Ich sagte doch, dass das Mädchen total empfindlich ist. Hätte sie Matt mal ausreden lassen, wäre der ganze Mist auch nicht passiert. Aber nein, die muss ja gleich rumflennen." Naja, ich kann das Mädchen schon verstehen. Ich bin mir sicher, Ishida hat sie wirklich betrogen, ihr dann irgendeine Ausrede aufgetischt und sie hatte nur Mitleid mit ihm. Solche Kerle kenne ich zur Genüge und sie ekeln mich an. Ishida scheint tatsächlich der Kotzbrocken zu sein, für den ich ihn gehalten habe. So leicht irre ich mich nicht... "Hey, Eve! Schläfst du, oder warum bist du auf einmal so still?!?", blickte mich meine Freundin blöd an. "Weißt du sonst noch was?", fragte ich zurück, ohne ihr zu antworten. "Nö, ich hab' vor ziemlich genau einem Jahr den Briefkontakt mir Marrin abbrechen müssen. Sie hatte mir plötzlich kurz nach Weihnachten einfach nicht mehr geschrieben. Ich hab' danach noch an die fünf Briefe geschickt, aber keinerlei Antwort bekommen. Warum interessiert dich dass denn so sehr?!?" Bei ihren letzten Worten schoss mir augenblicklich das Blut in den Kopf , da ihre letzte Frage so einen seltsam ironischen Unterton hatte, und ich fing an einer Tomate zu gleichen. "I-ich i-interessiere mich doch gar nicht. I-ich will's einfach nur wissen.", stotterte ich daher und wusste nicht so recht, wieso ich mich auf einmal so benahm. War da irgendwas in meinem Tee? Kann doch gar nicht sein, ich hab' ihn ja selbst gemacht. "Aha...", resümierte Sasha dann mit einem Blick, den ich nicht zu interpretieren wusste. "Ich hab' dir doch schon vorhin gesagt, du kannst ihn vergessen. Holly und Matt haben viel durchgemacht und ich bin mir sicher, Holly würde ihre große Liebe sicher nicht für so einen egozentrischen Menschen, wie dir aufgeben." Jetzt knallte bei mir eine Sicherung durch und ich konnte mich nicht zurückhalten, Sasha die Meinung zu sagen. "Sag' mal, tickst du noch ganz richtig? Hab' ich gesagt, dass ich was von ihm will?!?", schrie ich sie an. "Hab' ICH denn gesagt, dass du etwas von ihm willst?", antwortete sie mir ruhig mit einem kleinen Grinsen. Ich verstummte auf einmal. Ich glaub', jetzt hat sie mich erwischt. "Ich hab' lediglich gesagt, dass du Matt vergessen kannst. Ich hab' nie gesagt, dass du womöglich was von ihm willst." Ihre Aussage brachte mich völlig aus der Bahn. Sie hatte recht. Sie hat mir sowas gar nicht unterstellt. Das hab' ich mir selbst unterstellt. Aber es stimmt doch gar nicht. Ich will doch nix von diesem Idioten. Der soll sich mir auf keine zehn Schritte nähern und trotzdem krieg ich 'ne knallrote Birne, haue meiner besten Freundin Sachen gegen den Kopf, die ich selbst nicht richtig begreife und weiß langsam nicht mehr, wo oben und unten ist. "Eve, mach dir einfach jetzt noch keinen Kopf. Morgen renkt sich schon alles ein, vertrau mir. Und wenn du vielleicht doch noch was von Matt willst, dann komme ich und prügle dir den Gedanken schon wieder aus, OK?" "OK, aber ich will wirklich nix von Yamato. Glaub's mir doch.", verteidigte ich mich etwas sachlicher, als mein eben noch vorherrschender Ausraster. "Ja, genau, und die Schneeflocken fallen neuerdings nach oben." Mit den Worten zog sich Sasha ihren Wintermantel an, den sie vor ein paar Tagen mit mir gekauft hat und war dann auch schon aus der Wohnung verschwunden. Ich blieb weiterhin im Flur stehen und starrte die Tür an, die Sasha gerade zugeknallt hatte. In meinem Kopf ging es gerade rund und das lies keinen Platz für körperliche Tätigkeiten. Was war denn nur mit mir los? Yamato hin oder her, irgendetwas hatte sich in mir verändert. Ob das nun an Ishida lag, wagte ich zu bezweifeln, denn das wäre nur der Gipfel der Unverschämtheit. Dass ich was von ihm wollte, konnte nie und nimmer sein. Ich fand den Typ doch nur nervig und arrogant. Und trotzdem war da wieder das Bild seiner Augen in meinem Kopf. Diese wahnsinnig blauen Augen. Dieses Blau könnte man niemals auf irgendeiner Farbpalette zusammenmischen. Es war mir auf eine seltsame Weise fremd, aber noch wesentlich mehr vertraut. Seine Augen waren so geheimnisvoll und sie schienen alles zu durchschauen. Wie ein riesiger, tiefer und mysteriöser Ozean sehen sie auf Dinge hinab und meinen alles zu erkennen. Und... Ach, Scheiß, verdammte, Eve reiß dich zusammen. Morgen sieht alles bestimmt wieder ganz anders aus. Ich sollte viel öfter auf Sasha hören. Morgen hab' ich sicher alles wieder vergessen, gehe in meinen Kurs und mache da mein Ding, ob mit Ishida oder ohne... War das jetzt ein zweideutiger Gedanken?!? Und wie auf Kommando viel mein Blick aus dem Fenster. So viele Schneeflocken. Mein Gott, waren das letztes Jahr aus so viele? Ich glaube, mir sind die Schneeflocken noch nie so derart aufgefallen. Sie sahen plötzlich ganz anders aus. Sie wirkten nicht mehr, wie Schneeflocken sondern, wie... ...ach, wie beschreib ich das... ...wie, Gefühle, wie viele Bruchteile von Gefühlen, die auch die Erde herab rieseln und unten angekommen sich zu einer ganzen Emotion summieren. Und je mehr Schneeflocken fielen, um so stärker und intensiver wurde die Emotion. ...Der Typ macht mich wahnsinnig... Wiedermal Schule. Wiedermal Kurse. Wiedermal Chemie-Leistungskurs für dessen Wahl ich mich immer noch ohrfeigen könnte. Das war die wohl schlechteste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe. Der Stoff war kompliziert und uninteressant. Die Lehrerin war eine nörgelnde, meckernde, alt Schachtel. Die Schüler waren die Langeweile in Person. Und mein Banknachbar war... Yamato Ishida, der neue Kursteilnehmer, der mir gestern meinen gesamten Tag mit seiner besserwisserischen Arroganz versaut hat. Heute hat er die Frechheit besessen mit einem Schnupfen in den Kurs zu gekommen. Mann, wie mich der Typ anwidert. Gerade jetzt hat er, trotz Krankheit, wieder sein all Zeit gescheites Gesicht aufgesetzt und verfolg als einziger der zwanzig Schüler im Zimmer dem Unterricht von Frau Docktor. Normaler Weise hätte mich ihr Gerede über Orbitale nur zum Einschlafen gebracht und das hatte ich eigentlich auch tierisch nötig, weil ich gestern Nacht gar nicht schlafen konnte. Mich hielten die ganze Zeit Yamatos blaue Augen wach. Ununterbrochen musste ich daran denken. Und deswegen konnte ich mich auch jetzt nicht so richtig ausruhen, denn ich starrte schon seit der ersten Minute des Unterrichts zu Ishida hinüber. Natürlich so unauffällig, wie ich nur konnte, sonst sagt er ja gleich wieder, ich würde ihn anstieren. Blödmann. Und so verbrachte ich die ganze Stunde damit, dem Unterricht nicht zuzuhören, um ständig den Jungen anzusehen, von dem ich mich lieber mit Freude weggedreht hätte. Aber jedes mal, wenn ich mich dabei erwischte, nicht mehr in Gedanken über ihn zu fluchen und an gar nichts mehr zu denken, schaffte ich es einfach nicht, meinen Blick von ihm zu wenden. Ich versuchte es immer wieder, aber es klappte nicht. Sein Anblick war zu anziehend und faszinierend. Er saß da, schaute nach vorne an die Tafel und notierte sich öfters etwas in sein Heft. Ich sah dabei immer auf seine Hand, wie sie in kleinen Bewegungen über das Papier fuhr. Ab und zu schlug er seine Beine übereinander. Auch das entging mir nicht. Ich beobachtete, wie sich dabei die Falten in seinen schwarzen Jeans verformten und sich neu anordneten und versuchte krampfhaft, schmutzige Gedanken aus meinem Kopf zu verdrängen. Manchmal streifte er sich die Ärmel seines braunen Sweatshirts nach oben, wobei die blasse Haut seiner Arme zum Vorschein kam. Ein-, zweimal musste er sogar niesen und hielt sich dann ganz schnell sein zerknittertes Taschentuch vor die Nase, um den Unterricht nicht weiter zu stören. Frau Docktor hatte ihm sogar erlaubt, sich wegen seines Schnupfens ein Glas Wasser auf die Bank zu stellen. Dafür, dass er so krank war, hielt er sich ganz wacker. Allerdings war er im Gesicht doch ein wenig blasser, als ohne hin schon, aber das tat der Faszination seines Anblicks keinen Abriss. Er griff sich sogar einmal in seinen Nacken, um seine Verspannungen etwas zu lösen. Is' ja klar, wenn man die ganze Zeit Frau Docktor so aufmerksam zuhören muss, dann sind Verspannungen ja vorprogrammiert. Aber am schönsten fand ich es, wenn er sich wieder mal ein paar blonde Haarsträhnen aus dem Gesicht strich, die dann sofort wieder zurück rutschten. Mir fielen so viele kleine Dinge an Ishida auf. Ich erwischte mich sogar dabei, wie ich anfing seine Atemzüge zu zählen. Aber spätestens, als er dann gegen Ende des Unterrichts einen winzigen Blick zu mir rüber riskierte und ich ihm blöder Weise zulächelte, schrak ich auf, lief rot an und setzte mich wieder ordentlich auf meinen Stuhl, denn ich war irgendwie auf ihm immer weiter nach rechts zu Ishida hin gerückt, dass ich bald von der Kannte gefallen wäre. Ich starrte irritiert auf meine nicht vorhandenen Chemieaufzeichnungen über Orbitale und traute mich kein bisschen mehr, Ishida auch nur im geringsten anzusehen. Aber ich spürte, wie er mich weiterhin ansah und das machte mich halb verrückt. Kann der das nicht unterlassen. Das macht man doch nicht, jemanden von der Seite anzustarren, wohlwissend, dass ich es die ganze Stunde über gemacht hatte. Doch dann hielte ich es nicht mehr aus. So vorsichtig, wie ich konnte, warf ich doch noch ein Äug zu Yamato rüber. Ich hatte mich geirrt. Er sah mich gar nicht mehr an, sondern wieder zur Tafel. Ich konnte erstmal aufatmen und mich wieder entspannen. Das war ja jetzt 'ne tierisch peinliche Vorstellung, Eve, herzlichen Glückwunsch, du hast es wieder mal geschafft, dich zu blamieren und das auch noch vor diesem Arroganski. Am besten, ich warte jetzt einfach die letzten Sekunden bis Stundenende ab. "Was war denn so interessant?", flüsterte es plötzlich neben mir. Hat das gerade Ishida gesagt? "Hab' ich vielleicht irgendwas falsch gemacht?", ja, ich glaub', das war Ishida. Er hörte sich seltsam an. Irgendwie schwul. Aber das lag wohl daran, dass er Schnupfen hatte. "Ich sehe bestimmt komisch aus, mit meiner verschnupften Visage...", jetzt sah ich ihn direkt an. Etwas zu direkt. Ich hatte meinen Kopf wirklich auffällig schnell zu ihm hin gedreht. Vielleicht war mein Verlangen danach, ihn endlich mal richtig in die Augen sehen zu können, so groß, dass ich... Nein, Eve, was denkst du denn jetzt schon wieder. Erneut wurde mein Gesicht rot. Ich wollte mich schon von Yamato wieder wegdrehen, aber mein Blick blieb weiterhin an ihm haften. Es tat so gut, ihn richtig ansehen zu können, nachdem ich ihn die ganze Zeit nur von der Seite betrachten konnte. Mir wurde so wunderbar warm und ich wusste beim besten Willen nicht mehr, wie ich jetzt weiter reagieren sollte. Mann, Eve, jetzt mach doch endlich was. Ishida fängt schon an, blöd zu gucken. "Eva-Maria?!?" Und wie als wäre es vorher abgesprochen und genau getimt, ertönte die Schulglocke, ich bekam einen gewaltigen Schreck und sprang aus Reflex auf. Dabei stieß ich gegen den Tisch, das Wasserglas darauf fing an zu wackeln, kippte um und ergoss sich auf die untere Hälfte meines Pullovers. Na, ganz große Klasse. Ich wurde plötzlich stink sauer auf Yamato. Wegen seinem bescheuerten Glas hab' ich jetzt einen nassen Pulli. Alles seine Schuld. So 'n Blödmann. Schön, dass ich ihn jetzt wieder zum kotzen finden konnte. Da bin ich wenigstens rationaler, als wenn ich ihn so fasziniert anstarrte. "Oh, das tut mir leid!", versuchte sich Ishida zu entschuldigen. "Ja, das wird dir noch leid tun.", knallte ich ihm an den Kopf, quetschte meine Chemieunterlagen in den Ranzen, warf Ishida noch einen wütenden Blick zu und marschierte geradewegs aus dem Klassenzimmer. Dieser blöde Ishida. Was soll ich denn jetzt machen? Ich hatte mich in der Pause an den Waschbecken auf dem Mädchenklo versteckt und fragte mich, warum immer ich. Wieso musste ausgerechnet da dieses Wasserglas stehen? Wieso hat ausgerechnet Ishida Schnupfen? Wieso muss dieser Junge ausgerechnet neben mir sitzen? Wieso muss er ausgerechnet Chemie belegen? Wieso muss er ausgerechnet an diese Schule gehen? Wieso muss er überhaupt auf diesem Planten wohnen? Der is' doch hundert pro 'n Alien. Mürrisch versuchte ich den feuchten Fleck auf meinen Pulli mit ein paar Papierhandtüchern zu kurieren. Aber so richtig ging das nicht, wenn ich das Kleidungsstück an hatte. Aber ausziehen? Ich trug darunter kein T-Shirt oder sonst was. Ich trug lediglich meinen BH. Ach, was soll's. Es wird schon keiner mitkriegen. Ich bin ja auf einem Mädchenklo und Jungs werden hier sicher nicht einfach reinmarschieren. Außerdem kommt in der Fünf-Minutenpause keiner so richtig dazu, aufs Klo zu gehen. Also runter mit dem Ding. Als ich den Pullover aus hatte, ließ er sich wirklich etwas leichter trocknen. Ich schüttelte ihn noch zwei-, dreimal aus und ging wieder mit dem Papiertuch drüber. Ich machte mir schon Gedanken, ob ich es zum nächsten Kurs rechtzeitig schaffen würde. Aber ich wollte auch nicht den Rest des Tages in einem nassen Kleidungsstück sitzen. Am Ende würde ich mich noch erkälten. Oder einen Schnupfen kriegen, wie Yamato. Ach, Mist, jetzt ist mir schon wieder der im Kopf. Ich frage mich, warum ich ihn vorhin nur so angestarrt habe. Ist doch nichts besonderes an ihm. Er ist nur ein kleiner, frecher Spitzpisser ohne Rückrat. Und das ich seine Augen so toll finde, hat ja nix mit seiner Persönlichkeit zu tun. Nein, seine Augen sind ganz anders. In denen herrscht eine enorme Freundlichkeit und Wärme. Verständnis, Zärtlichkeit. Seine Augen spiegelten ein solches Wohlbefinden wider, dass man sie einfach mögen muss. Wenn da nur nicht dieses bisschen Vermissen noch mit drin wäre. Er hat doch nicht etwa jemanden... ...verloren... Mit einem Ruck knallte plötzlich die Tür auf. Ich hob meinen Kopf und sah die Person an, die da gerade wie angewurzelt in der Tür zum Mädchenklo stand. Aber das hätte ich wohl lieber nicht machen sollen, denn das, was ich sah, verschlug mir die Sprache. Vor mir stand ein völlig verwirrter Yamato Ishida, dessen Gesichtsfarbe nicht länger ein krankes Blass sondern ein gesundes rot angenommen hatte. Aber mein Gesicht schien wohl um einiges röter zu sein, so heiß, wie es sich gerade anfühlte. Passierte das hier gerade tatsächlich? Stand ich gerade tatsächlich nur mit BH bekleidet vor Yamato?!? Gott, ich hoffte, dass ich das nur träumte, aber warum wachte ich dann nicht auf? Hilfe!!! Mir soll endlich jemand helfen. Mir kam es wie Stunden vor, wie ich total entgeistert da stand und nicht wusste, wie das doch gleich mit dem sich bewegen funktionierte, bis mir dann nur das einzig plausible einfiel. Nach Hilfe schreien! Ich holte tief Luft, um die Dezibel zu erreichen, die es nötig hatte, dass mich auch jemand da draußen hörte, in der großen, weiten, riesigen Schule. Doch Yamato sah das, riss sich wieder einiger Maßen zusammen, kam auf mich zugestürzte, packte mich, verschwand in einer der Klozellen mit mir und hielt mir dann die Hand vor den Mund. "Pssssssst! Tu mir das bitte nicht an.", flüsterte er verzweifelt. Aber das änderte auch nichts daran, dass sich die Situation nur noch verschlimmert hatte. Jetzt stand Ishida nicht länger nur vor mir, was ich mir im Angesicht der neuen Situation mehr als alles andere gewünscht hätte, sonder fasste mich sogar an und das auch noch in ein mal zwei Quadratmetern. Spinnt der Kerl jetzt völlig? "Du musst mir das verzeihen. Ich wollte eigentlich in den Physikraum und hab' mich in der Tür geirrt!", versuchte er sich weiter zu verteidigen. Aber das hörte ich gar nicht richtig. Seine Entschuldigungsversuche wurden durch mein brutal hämmerndes Herz vollkommen übertönt. Obwohl ich nur mit BH bekleidet war, fror ich keines Wegs. In Yamatos Umklammerung und mit seiner Hand auf meinem Mund verbreitet sich die Hitze unter meiner Haut wie ein nicht aufzuhaltendes Lauffeuer. Ich meinte langsam aber sicher zu verbrennen und an den Stellen, an denen mich Ishida berührte, brannte es am allermeisten. Wie zum Teufel konnte ich dieser Situation nur entfliehen?!? Ich will zu meiner Mami... "Hör zu. Ich lass dich jetzt los...", sagte Yamato und ich zuckte etwas dabei zusammen. Denn seine Stimme klang nicht länger verzweifelt, sondern todernst. "...und verschwinde dann. Niemand wird was von diesem Vorfall erfahren, solange keiner von uns beiden was sagt. OK? Und noch was. Wenn du dir einen Gefallen tun willst...", er zog seinen Griff etwas fester, nahezu brutal an. "..., dann hör auf, dich selbst anzulügen. Du kannst mit mir über alles reden, aber dazu solltest du vielleicht erstmal deine Klappe aufmachen." Das tat weh. Nicht nur sein harter Griff, sondern auch die Art, wie er mit mir sprach. Ich dachte immer, er sei eher der Typ zurückhaltend und arrogant, obwohl diese Kombination mehr als seltsam war, aber jetzt ist er eher radikal. Er wartete noch die paar Sekunden, bis es zum nächsten Unterricht klingelte, um sicher zu gehen, dass jetzt auch keiner mehr im Gang war. In den Sekunden erschien es mir, als würde sich jede Sekunde unendlich lange ausdehnen. An meinem Rücken, der an Ishidas Brust gedrückt wurde, konnte ich dessen Herzschlag spüren, der mindestens genauso laut war, wie meiner. Auch Yamatos Atem merkte ich immer deutlicher in meinem Nacken. Ob ich noch atmete, wusste ich nicht mehr. Die ganze Situation war einfach zu viel für mich. Doch irgendwie schien ich mich langsam in Yamatos Armen zu entspannen. Obwohl ich es nicht wahr haben wollte und es danach sicher verleugnen werde, aber ich fühlte mich wohl, wie er mich da festhielt in der engen Klozelle. Er war so stark und erlaubte mir auch nicht die kleinste Bewegung. Wenn ich mir vorstellte, was er jetzt mit mir hätte machen können, so angezogen, wie ich war, wurde mir nur noch heißer. Aber ich fühlte mich einfach wohl. Mir gefiel es, wie wir so eng aneinander gedrückt da standen und uns nicht mehr bewegten. Dann endlich hörten wir die Schulglocke. Das Zeichen, dass ich zu meinem nächsten Kurs zu spät kommen werde. Aber das war mir gerade sowas von egal. Ich merkte auch, dass Ishidas Griff lockerer wurde, bis er mich dann gänzlich losließ. Ich drehte mich zu ihm um, um zu sehen, ob mir sein Gesichtsausdruck verraten könnte, was er gerade dachte, denn fragen konnte ich wirklich nicht mehr. Mir hat es total die Sprache verschlagen und bis ich die wiederfinde, habe ich auch meinen nächsten Kurs verschlafen. Doch ich konnte Yamato nicht lange ansehen, denn er lächelte mich kurz an, drückte mich an die Wand und legte seine Lippen auf meine... Eine Flutwelle an Gefühlen brach in mir los, bahnte sich ihren Weg von meinen Füßen durch meine Beine über meinen Bauch, der voller Schmetterlinge war, an meinen Armen entlang, direkt in meinen Kopf und benebelten meinen Verstand vollkommen, sodass ich ihn nur noch abschaltete und den Kuss genoss, der mir gerade von dem blonden Jungen vor mir angeboten wurde. Es schmeckte irgendwie nach Schokolade und Mandelspekulatius... "Du kommst zu spät zum Unterricht...", warf mir Ishida noch vor die Füße, bis er sich dann aus dem Staub machte. Mich ließ er auf dem Mädchenklo stehen. Nach einigem heftigen Kopfschütteln trat ich aus der Klozelle heraus. Das war doch jetzt nicht sein Ernst... Oder?... Das offene Fenster hinter mir ließ gerade ein paar kurze Luftzüge hinein und darauf getragen wurde eine kleine weiße Schneeflocke, die an meinen Augen vorbei flog und sich schon fast ironischer Weise auf meinem noch immer nassen Pullover nieder ließ. ...to be continued... September: OK, ich lasse es jetzt. Im September schon mit Weihnachtsgeschichten-schreiben anfangen. Schäm dich MayaAnn. MayaAnn BS3 Ehrlichkeit oder Halbwahrheit Eine Schneeflocke. Und noch eine. Und... "Haaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaatschiiiiiiiiiiiiiiiiii!!!!!!!!!!!!!", ach, verdammte Mega-Scheiße ist das heute aber hier. So 'n Pech kann aber auch nur ich haben. Das ist doch total unfair. Ich dachte immer, ich wäre lieb und nett und höflich und zuvorkommend, hab' immer meine Hausaufgaben gemacht, war niemals frech oder hinterfotzig, hab' immer meinen Teller aufgegessen, hab' niemals meinen Schlüssel zu Hause liegen lassen. Ich bin ein durch und durch liebenswerter Mensch und könnt nie ein Wässerchen trüben und trotzdem widerfährt mir jetzt eine solche Ungerechtigkeit. Ich hab' einen Schnupfen. Das ist doch echt zum Heulen. Mir geht es von oben bis unten nur noch zum kotzen. Ich hab' Kopfschmerzen, Halsschmerzen, meine Nase kann sich zwischen laufen und verstopft sein nicht entscheiden, mir tut jeder einzelne Knochen weh, meine Nerven liegen blank und mir ist nur noch zum Reihern zu mute. Das ist verdammt noch mal unfair. Warum immer ich? Ich hab' doch gar nix gemacht. Jetzt kann ich nicht in die Schule gehen, obwohl ich gerade jetzt in der elften Klasse erstrecht keinen Stoff verpassen darf. Jede einzelne Unterrichtsstunde ist tierisch wichtig. Na, bin mal gespannt, wie ich das wieder aufholen will. Ich lag total fertig in meinem Bett und ärgerte mich über meine vor zehn Stunden eingetretene Krankheit zu Tode. Ich hatte den Kopf in meiner Bettdecke vergraben und jammerte in mich hinein. Das war ja wohl mal der Gipfel des Unglücks, das mir passieren kann. Ich werde kurz vor Weihnachten krank. Gerade jetzt, wo besonders viele Kursarbeiten anstehen. Irgendwann bin ich noch mal durchgedreht. Das ist Hundertpro alles die Schuld von diesem blonden Idioten. Wenn ich den in die Finger bekomme, kann der was erleben. Mit seinem bescheuerten Kuss hat er mich sicher angesteckt. Aber seltsamer Weise machte mein Herz bei diesem Gedanken einen kleinen Sprung. Natürlich konnte ich dieses Zeichen besser deuten, als ich wusste, welche Farbe das Eisen-drei-Ion hat. Aber das wollte ich einfach nicht wahr haben. Ich versuchte den Gedanken zu verdrängen und grub mich noch tiefer unter meine Decke. Dort entdeckte ich einen Plüschhasen, den ich schon seit einigen Tagen vermisste. Hier war das Ding also abgeblieben. Ich nahm das schon halb zerzauste Stück Stoff und drückte es an mich. Doch plötzlich erinnerten mich dessen blauen Augen an die von Ishida. Das darf doch nicht wahr sein. Jetzt brachte ich schon meine Kuscheltiere mir diesem Mistkerl in Verbindung. Der raubt mir echt noch den letzten Nerv. Warum zum Donnerwetter hat der mich denn nur geküsst? Der spinnt doch vollkommen. Er brachte damit meine gesamte, vorher wunderschön geordnete Gedankenwelt ins Schwanken. Jetzt wusste ich gar nicht mehr, was ich von ihm halten sollte. OK, ich hielt ihn immer noch für das größte, arroganteste Arschloch das die Welt je sah, aber trotzdem stand diese Einstellung mit meinen Gedanken, die ich bei seinem Kuss hatte in direktem Konflikt. Ja, verdammt, sein Kuss war genial. Das war einfach nur der helle Wahnsinn. Noch nie zuvor hatte ich ein solches Glücksgefühl erlebt, das da mit einem Schlag sich in meinem ganzen Körper verteilt hat und lange danach noch anhielt. Selbst jetzt meinte ich von diesem überstürzten Hauruckerlebnis noch vollkommen durcheinander zu sein. Ich meine, werd mal von dem Typen so hammer geküsst, den du absolut zum kotzen findest und finde das dann auch noch toll. Meine Einstellung schien langsam aber sicher große Defizite aufzuweisen, was zumindest die Logik anging und sich permanent zu widersprechen. Lag das vielleicht daran, dass ich nicht wirklich ehrlich zu mir war? War etwa eine der beiden Ansichten falsch? Denn entweder man mag jemanden oder man mag ihn nicht. Sowas kann doch nicht parallel ablaufen. Oder vielleicht hasse ich Ishida ja immer noch und stehe nur auf seine Küsse, denn der von gestern hat mich echt umgehauen. Doch irgendwie schien ich mich selbst über den Haufen zu denken. Da war das und dann das und dann aber wieder das. Ich kam aus diesem ganzen Wirrwarr nicht mehr raus. Außerdem vergrößerte es meine ohnehin schon hämmernden Kopfschmerzen nur noch mehr. Mir fiel auch erst jetzt auf, wie sehr ich den Stoffhasen zusammengequetscht hatte. Bei den ganzen Überlegungen habe ich ihn so sehr zerdrückt, dass er jetzt vollkommen aus der Form war. Sah seltsam aus, wie das eine Auge am unteren Kinnrand hing und das gegenüberliegende Ohr wie eine Antenne nach oben stand. Dieser jämmerliche Anblick tat mir richtig leid und ich wollte den Schade wieder beheben, aber ich sah unter der Bettdecke nicht gerade viel und so schlug ich sie zurück. Mir stieß die Kälte im Zimmer geradezu entgegen, die mir vorher gar nicht aufgefallen war, da es unter meiner Decke schön warm gewesen war. Ich bekam urplötzlich eine Gänsehaut und verkroch mich wieder unter dem wärmenden Daunenstoff. Aber besonders viel wohler fühlte ich mich immer noch nicht. So gern ich es auch vergessen hätte, aber Yamato hing mir noch immer im Kopf. Als ob sich der Gedanke an diese blauen Augen in mein Hirn getackert hätten. So langsam schienen mir diese blauen Ozeane schlimmere Kopfschmerzen zu machen, als es die Krankheit tat. Yamato, mieses kleines Arschloch. Warum fand ich denn deinen Kuss nur so wahnsinnig toll? Und plötzlich sprangen mir bei dieser Frage wie aus heiterem Himmel die Schneeflocken in mein geistiges Auge. Ich lag mit dem Kopf zur Wand und konnte nicht aus dem dem Bett gegenüberliegenden Fenster sehen, aber ich spürte ganz deutlich, wie die Schneeflocken draußen fielen. Es war ein seltsames Gefühl. Ich meine, das ist doch blöd. Wie kann man spüren, dass die Schneeflocken fallen. Doch ich war so sicher, dass die Schneeflocken draußen fielen, wie ich mir sicher war, dass die Erde rund ist. ...War sie denn rund?!? Und auf einmal wusste ich das gar nicht mehr. Und genauso wenig wusste ich, ob ich die Schneeflocken spürte oder ob ich jemanden... "Eva-Maria?", flüsterte es plötzlich hinter mir. Diese Stimme kam mir bekannt vor. So tief und wohlklingend, wie eine Barry White-Platte. Aber ich war immer noch mit der Frage beschäftigt, ob das nun Schneeflocken waren, oder... "Ishida?", sprang mir unerwartet dieses Wort aus dem Mund, an das ich gerade so überhaupt nicht gedacht hatte. ...Oder denken wollte... "Ja, richtig...", flüsterte die Stimme weiter. "Ich bringe dir die..." Ich drehte mich um, um wirklich sicher zu gehen, dass dieser Junge da stand. Und tatsächlich. Ich lächelte über das ganze Gesicht, merkte das aber sofort, riss mich zusammen und machte mir klar, dass ich diesen Typen ja immer noch scheiße fand. Doch erst jetzt registrierte ich Yamatos besorgen Gesichtsausdruck. Wieso guckt der denn jetzt so? Hab' ich was gemacht? Doch seine Augen wirkten dadurch nur noch erdrückender. Dieser schon halb leidende Blick ließ mich nur noch mehr mitleiden. Mann, hör endlich auf, mich so anzusehen. Ich fang gleich an zu flennen. "...die Hausaufgaben...", beendete er seinen Satz, von dem ich gar nicht mitgekriegt hatte, dass er ihn eben gar nicht vollenden konnte. "Aha...", sagte ich dann, weil ich die Stille, die sich gerade im Zimmer verbreitet hatte durchbrechen wollte, mir aber nichts besseres einfiel, als dieses sinnlose "Aha". Mein Sprachradius schien sich irgendwie auf ein paar kleine Grundlaute beschränkt zu haben. "Scheiße" mit inbegriffen. "Also... Wir haben nicht gerade viel gemacht.", löste sich Ishida von meinem Blick und kramte in der Tasche, die er mitgeschleppt hatte. Ich atmete auf und war froh, dass wenigstens er einen ausgedehnteren Vokabular besaß, als ich. Zumindest für den Moment. "Frau Docktor hat uns die ganze Stunde mit einem Video über Hochofenprozesse gelangweilt, aber das besprechen wir dann in der nächsten Stunde noch etwas genauer. Das einzige, was du schriftlich machen musst, ist...", er zog ein Stück Papier aus seiner Tasche auf dem ein paar Verbindungen und Elemente standen. ", das hier. Für die Elemente sollst du die Elektronenkonfiguration schreiben und zu den Verbindungen die Oxidationszahlen berechnen.", er legte mir den Zettel auf meinen Schreibtisch. "Dürfte für dich ja kein Problem sein." Auf diesen Kommentar hin schoss meine Wut augenblicklich auf hundertachtzig. "Sag' mal, dir geht's wohl noch ganz gut.", ich schlug meine Decke zurück und fuhr Ishida wütend an. "Hörte ich da aus deinem 'Dürfte für dich ja kein Problem sein' etwa eine Spur Sarkasmus heraus? Glaubst du etwa, ich sei so überheblich, dass ich diese Aufgaben mit Leichtigkeit über die Schulter werfen würde? Nur weil du hier den Herrn Oberlehrer spielen musst, muss du mir noch lange nicht unterstellen, dass ich nicht hart für mein Wissen gearbeitet habe. Bilde dir bloß nicht ein, ich sei so geschwächt, dass du hier den Obermacker spielen kannst, nur weil ich jetzt mein Maul nicht so leicht aufkriege, wie wenn ich gesund wäre. Aber das ist ja auch deine Schuld. Ich bin wegen dir krank geworden. Du hast mich angesteckt.", ich war so dermaßen wütend nur wegen seiner kleinen Nebenbemerkung, die er mal fix daher geworfen hat. Ich war bereits so weit, dass ich schon mit einem Bein aus dem Bett stand. "Und noch was...", aber jetzt spürte ich wieder meine dröhnenden Kopfschmerzen deutlicher als zuvor. Ich hatte mich wohl doch etwas zu sehr verausgabt. Aber ich hatte nicht erwartet, dass die Kraft so derart schnell aus meinem Körper sackt. Mir entglitt sie wie Wasser, das wenn es einmal am Körper ist sofort wieder daran abperlt und man es nicht aufhalten kann. Meine Knie wurde immer weicher und ich merkte ganz deutlich, dass meine Beine die Last meines Körpers nicht mehr lange tragen werden. Ich musste nur noch daran denken ins Bett zu fallen und nicht auf den Fußboden. Fall ins Bett, Eve. Du musst ins Bett fallen. Beeil dich doch mal, Mädchen. Die Kraft deiner Beine ist bereits am Anschlag. Schnell!!! ... Also, weich bin ich auf jeden Fall gelandet. Aber ich lag nicht in meinem Bett. Ich blickte nach oben, direkt in diese zwei tiefblauen Augen. Sie lächelten leicht zurück. "Du solltest dich lieber nicht so anstrengen..." Ishida hatte mich aufgefangen und nun lag ich in seinen Armen. Na, wunderbar. Auch das noch. Zuerst gehe ich ihm an die Gurgel und jetzt hat er mich aufgefangen. Bin ich ihm etwa ein Dankeschön schuldig? Ohne mich! Aber selbst der Gedanke daran, ihm irgend etwas zu sagen verwischte sich, da ich meinen Mund irgendwie nicht mehr aufbekam, bis ich dann mit einem lauten Herzklopfen merkte, dass da ja der von Ishida drauf lag. Ein zweiter Kuss. Mein zweiter Kuss. Er küsste mich schon wieder. Wieder spürte ich diese weichen Lippen auf meinen, wie sie mich in sanften Zügen streichelten und einen Wärmestoß nach dem anderen in meinen Körper sandten. Ich zerfloss regelrecht in der Leidenschaft, die sich in mir verbreitete und kein Ende zu nehmen schien. Was machte dieser Junge nur mit mir? So ein Gefühl bekam ich noch nie zuvor zu spüren. Ich schloss meine Augen und genoss dieses Gefühl, warum auch immer es gerade da war. Es war mir egal. Hauptsache es war da. Alles andere war vergessen. Die Krankheit, die Schule, die Hausaufgaben, mein kürzlicher Ausraster. Ich vergaß sogar für den Moment, dass ich Yamato wie die Pest hasste. Ich konnte ihn auf einmal nicht mehr hassen. So sehr ich mich auch bemühte, aber der Hass schien völlig aus meinem Körper verdrängt so lange Yamatos Kuss anhielt. Und es schmeckte erneut nach einer seltsamen Mischung aus Spekulatius und Schokolade... Es war zuviel. Es waren einfach zu viele Emotionen, die da gerade in meinen Herz das absolute Chaos veranstalteten. Ich war von der Krankheit schon so total geschwächt, aber Yamatos Kuss drückte auch noch das letzte Bisschen an Kraft aus mir heraus, sodass ich immer schwerer atmete und verzweifelt nach Luft rang. Aber gleichzeitig wollte ich auch nicht, dass Ishida dieses Wärmegefühl wieder abriss. Ich wollte, dass er dieses Spiel noch bis in alle Ewigkeit mit mir trieb. Doch in meinem geschwächten Zustand merkte ich nur noch, wie eine Schweißperle an meiner Wange hinabrann. "Da gab 's doch noch 'ne Holly, oder?", ich war vollkommen verblüfft, als ich mich selbst diese Worte keuchen hören konnte. An Holly hatte ich gar nicht mehr gedacht. Aber diese Frage war doch berechtig. "Da brauchst du dir keine Sorgen machen...", gab Ishida als Antwort, doch ich fühlte ein kleines Zittern, als er mir mit seiner Hand am Gesicht entlangfuhr. Als ich meine Augen das letzte Mal öffnete, sah ich das verschwommene Bild Ishidas, wie er vorsichtig flüsterte: "Du solltest dich jetzt ausruhen..." Und ich meinte, ich hätte mit den Schneeflocken vor dem Fenster gesprochen. Dann schlief ich ein. BS3 Spekulatius-Schokolade Eine Schneeflocke. Und noch eine. Und da ist noch eine. Ich blickte verträumt nach oben, direkt in den weißgrauen Himmel hinein und beobachtete, wie die Schneeflocken auf mich herab rieselten und sich teilweise in meinen offenen Haaren verfingen. Es herrschte keines Wegs eine Eiseskälte. Die Luft war nur leicht kühl und ich meinte, einen Hauch Freiheit aus ihr heraus zu spüren, auch wenn das jetzt doof klang. Aber es beschrieb genau das, was ich fühlte. Es war so, als ob ich fliegen könnte, als ob nicht die Schneeflocken sich bewegen würden, sondern als ob ich an ihnen vorbei fliegen würde. Jetzt in die Schule gehen zu müssen war einfach nur unfair. Aber es war auch der Beweis dafür, dass ich wieder gesund war. Ja, mein Schnupfen war vorbei. Auskuriert an nur einem Tag. Lag das jetzt an meinem extrem starken Immunsystem, oder daran, dass mich... Um Gottes Willen, an sowas auch nur zu denken war doch schier verwerflich. Es konnte nie und nimmer daran liegen, weil mich Ishida zum wiederholten male geküsst hat. Das konnte nicht sein. Das war sowas von absurd und an den Haaren herbei gezogen. Es war völlig unmöglich. Ausgeschlossen. Ich hätte dieses Widerlegen meiner wahren Gedanken jetzt noch bis ins Unendliche treiben können, aber im Grunde war ich mir darüber mehr als im Klaren, dass ich fest daran glaubte, Yamato habe mich erst mit seinem Schnupfen infiziert und ihn mir dann durch seinen Kuss wieder genommen. Sein Kuss, mein Gott. Das war wieder einer der Sorte "Mmmmmmmhhhh!!!!". Nicht nur das Gefühl seiner Lippen auf meinen tat gut, auch dieser seltsame Geschmack aus Schokolade und Spekulatius kitzelte noch immer meine Sinne. Was war an diesem Jungen nur, dass er mich so verzauberte, mich die konfusesten Gedanken denken ließ und eine widersprüchliche Idee nach der anderen in meinen Kopf setzte? Ich betrat das große Schulgebäude, dass in dem weißen Schnee steckend, der einem bereits über die Knöchel reichte, noch dreckiger aussah, als es das ohnehin schon tat. Erste Stunde Chemie-Leistungskurs. Ich hatte so das Gefühl, dass die letzten drei Tage nur aus Chemie-Leistungskurs bestanden, abzüglich meines unfreiwilligen schulfreien Tages. Ich bog ins Treppenhaus und stieg die Stufen nach oben. Dabei sah ich auf die Uhr. Kurz nach halb acht. Es war eher selten, dass ich mal so spät in die Schule kommen würde. Normaler Weise war ich schon gegen um sieben, oder zehn nach sieben an Ort und Stelle. Wahrscheinlich hatte ich nicht gemerkt, wie langsam ich unter den Schneeflocken gelaufen war. Als ich aus dem Treppenhaus heraus kam und den Gang betrat, dessen nächste Tür gleich der Chemieraum war, hielt ich unwillkürlich inne. Ishida stand plötzlich vor mir. Er hatte immer noch dieses besorgte Gesicht aufgesetzt, das meiner Meinung nach überhaupt nicht zu so einem Armleuchter passte. Aber diese Sorge in seinen Augen ließ mich schon wieder mitleiden, bis ich dann doch ein kleines Lächeln in Ishidas Gesicht entdeckte. Hatte er etwa hier auf mich gewartet? "Guten Morgen, Eva-Maria. Wie geht's dir?", begrüßte er mich. Ich hob eine Augenbraue, setzte eine herablassende Miene auf und warf ihm ein: "Wie soll's schon gehen?...", vor die Füße. Dann schritt ich durch die Tür, die er mir aufhielt und setzte mich so schnell ich nur konnte auf meinen Platz. Ishida setzte sich neben mich. Ich packte meinen Chemieramsch aus und versuchte so gut es ging, Ishida zu ignorieren. Aber bei einem flüchtigen Blick aus dem Fenster, wo die Schneeflocken auf einmal auf gereizte Art durch die Gegend wirbelten und keine klare Struktur mehr erkennen ließen, musste ich auch noch versuchen, den kleinen Biss ins Gewissen zu ignorieren. Ich hatte ihm doch nicht etwa damit weh getan? Doch darüber nachdenken lohnte sich nicht. Frau Docktor kam hereingestackst, knallte ihre Unterlagen auf den Tisch, keine Begrüßung oder Hallo, sondern sie fing sofort an an der Stelle weiterzumachen, an der sie gestern stehen geblieben war. Ich nahm mir dieses mal fest vor, wirklich zuzuhören, da ich ja gestern nicht anwesend war. Naja, eigentlich war ich ja auch sonst nicht anwesend. Ob nun körperlich oder geistig spielt ja keine Rolle. Da Docktorchen aber gerade nur erzählte und ich quasi noch nix mitschreiben musste, lehnte ich mich zurück und ließ meine Arme links und rechts vom Stuhl hängen. War bequem. Doch plötzlich wurde mein rechtes Handgelenk ergriffen. Ich zuckte kurz zusammen, wusste aber das Ishida da nach mir gelangt hat und traute mich dementsprechend nicht in dessen Richtung zu sehen. Doch die Art, wie er mein Handgelenk umfasste, ließ mein Herz schneller schlagen. Es war nicht irgendwie einfühlsam oder etwas in der Richtung. Es war eher hart und brutal. Es machte mir regelrecht Angst. Als der Junge dann auch noch anfing, langsam aber sicher zuzudrücken wusste ich, dass da was absolut nicht mehr stimmen kann. Seine Finger krallten sich über meinen Pulsschlagadern fest und er gab mir ein Gefühl, als würde er mich gerade von oben bis unten zusammenzuschlagen. Ich spürte den Schmerz immer deutlicher und je intensiver er wurde, desto kürzer wurden meine Atemzüge, bis ich gänzlich das Atmen vergessen zu haben schien. Aber ich ließ kein Wort des Protestes über meine Lippen kommen. Wieso, wusste ich auch nicht so recht. Vielleicht wollte ich den Unterricht nicht stören, oder von Frau Docktor wieder angeschnauzt werden. Aber vielleicht hatte ich auch zu große Angst, um irgendwas zu sagen. Doch meine Furcht steigerte sich noch weiter, als ich Yamato neben mir flüstern hören konnte: "Sei froh, dass du gestern nur die Halbwahrheit erzählt hast, aber hör jetzt auf zu lügen..." Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und drehte meinen Kopf in seine Richtung. Die zwei blauen Augen würdigten mich keines Blickes und waren nur ernst auf die Tafel gerichtet. Steif klebte Yamato auf seinem Stuhl, starrte nach vorn und mit jeder Sekunde meinte ich, er würde nur noch mehr mein Handgelenk zerquetschen wollen. Neben den Schmerzen aber versuchte ich über das, was er gesagt hatte nachzudenken. Ich solle aufhören zu lügen? Womit denn? Hatte ich ihn denn vorhin an der Tür wirklich so sehr beleidigt? Oder gar verletzt? Das wollte ich doch gar nicht... Dabei spürte ich, wie Yamato den Griff um mein Handgelenk wieder locker ließ. Seine Hand rutschte eine Etage tiefer und fasste meine Hand. Die Angst schwand, als ich sah, dass sich auch Yamatos Gesichtsausdruck entspannte und ich richtete meinen Blick wieder zur Tafel. In meinen Augenwinkeln erspähte ich das Fenster, durch das ich sehen konnte, wie die Schneeflocken wieder auf ihre leichte Art zum Boden sanken. Ishidas Berührung schien jetzt wieder genauso einfühlsam zu sein, wie es seine Küsse waren. Wieder erreichte mich dieses Wärmegefühl. Nicht ganz so intensiv, aber ich spürte es dennoch. Mein Vorsatz, heute mal aufrichtig in der Chemiestunde aufzupassen war dahin, weil meine Gedanken nur um Yamato und dieses unbeschreibliche Wärmegefühl kreisten. "Also, wie geht's dir...", flüsterte Ishida. "Ganz gut... Ich meine... Mir geht's super. Danke." "Wofür?" "...Dafür, dass... ...dass du mir die Hausaufgaben gebracht hast." "Hab' ich doch gern gemacht." Es war für einen Augenblick ruhig zwischen uns. Wir saßen nur stillschweigend da, sahen nach vorn an die Tafel und hielten uns an den Händen. Ich war dabei auf einmal sowas von glücklich, dass ich mein breites Strahlen nur mit Mühe auf ein kleines Lächeln reduzieren konnte, um nicht alle Maßen aus dem Rahmen zu fallen. Denn ich finde, es fällt schon etwas auf, in Frau Docktors Chemiestunde so glücklich auszusehen. Aber ich fühlte mich nunmal so. Die Berührung seiner Hand an meiner ließ mich innerlich in Freudenstürmen ausbrechen. Ich hätte am liebsten laut losgelacht. Aber andererseits schien jetzt der beste Zeitpunkt zum fragen. Yamato war wohl gerade nicht mehr sauer auf mich und auch ich hatte nun eine etwas entspanntere Beziehung zu ihm. "Du, Ishida...?", flüsterte ich und hoffte, dass mich das Mädchen, das vor mir saß nicht hörte. "Mhm...", bekam ich zurück. "Warum hast du... ...hm... Warum hast... ...ähm... Warum bist...", ach, shit, wieso bekam ich es nicht über die Lippen? War doch nicht so schwer. Jetzt stell dich nicht so an, Eve. Warum hast du mich geküsst? Jetzt sag's doch endlich! "Weil du's verdient hast...", hörte ich von meiner Rechten. Ich hab's verdient? Damit konnte ich nicht viel anfangen. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, ignorierte, dass Yamato wahrscheinlich ein Gedankenleser war und fragte noch mal. "Warum hast du mich vorgestern auf dem Klo geküsst?", auf die Antwort wartete ich allerdings ein wenig länger. "Ich musste doch sicher gehen, dass du deinen Mund hällst." Argh!!! Was erlaubt der sich denn? Ein Bruchteil an Wut schoss in mir hoch und ich versuchte meine Hand von der Ishidas loszureißen. Doch er hielt sie unerbittlich fest. Als ich zu ihm rüber sah, blickte er immer noch grinsend zur Tafel. Nicht mal ansehen kann der mich. So 'n Arschwisch. "Und weil du es verdient hast..." Ich gab meine Bemühungen auf, mich von Yamato loszureißen, setzte mich ordentlich hin und sah dann halb wütend, halb verunsichert zur Tafel. "Und warum hast du mich dann gestern...?" "Damit waren wir quit..." Jetzt war ich erstrecht verwirrt. Ich musste mich regelrecht anstrengen, sein Gesagtes zu interpretieren. Es dauerte eine Weile und meine aufgestellte Theorie war sehr vage, aber irgendwie doch begründet. Ich war ihm am zweiten Tag mit meinem "Das wird dir noch leid tun" ziemlich über den Mund gefahren. Er wurde sauer, aber als er mich im Klo "erwischte" und ich durch meinen nahenden Schrei sein noch nicht vorhandenes Image erstrecht zerstört hätte, küsste er mich, wusste aber, dass er mich damit anstecken würde, damit ich am nächsten Tag nicht in die Schule kommen konnte. Am nächsten Tag hat er mir dann die Krankheit wieder genommen. Er wollte mir lediglich einen Denkzettel verpassen... Gott, war diese Theorie bekloppt. Ein siebzehnjähriges Mädchen denkt an so einen Mist. Das ist doch echt der Gipfel. Als ich mir unglimpflich die noch freie Hand an die Stirn knallt, musste Ishida ein wenig schmunzeln. "Sagen wir's so...", Yamato drehte sich zu mir hin und ich blickte ein bisschen unsicher in seine Richtung. "Schneeflocken allein lassen noch keine Winterlandschaft entstehen. Sie müssen sich vorher erst eine geeignete Landschaft aussuchen. Aber wenn sie sie dann doch gefunden haben..." Dann hob er meine Hand und legte seine Lippen darauf. Ein Lichtblitz an Wärme jagte von meiner Hand aus durch meinen ganzen Körper. Ein starkes Prickeln unter meiner Haut ließ einen Gänsehaut entstehen, die mir langsam über meine Arme, an meinem Nacken und am Rücken herunter rutschte. Ich begann ein klein wenig zu zittern und spürte, wie ich rot anlief. Yamato beendete seinen sanften Kuss und blickte zu mir auf. "Lass uns hier abhauen...", flüsterte er mir zu. Dann sprang er auf und lenkte damit jegliche Aufmerksamkeit auf sich. "Frau Docktor. Ich glaube, Eva-Maria geht es nicht gut. Sie hat mir gesagt, ihr sei schlecht und sie möchte gern nach Hause." Ich reagierte auf diese Lüge gar nicht, weil ich mit diesem Handkuss noch weitaus mehr zu tun hatte.. Ich vernahm von Frau Docktor nur sowas, wie: "Ja, du kannst sie begleiten. Sie sieht wirklich nicht gut aus..." Durch mein knallrotes Gesicht entsprach ich wohl wirklich nicht mehr der Norm. "Na, los, pack ein. Ich bring dich nach Hause...", lächelte mir Yamato zu. Mit zitternden Händen ergriff ich meinen Chemie-Hefter und die Federmappe, quetschte sie in meinen Ranzen und schwankte an Frau Docktor vorbei aus dem Raum, von Ishida begleitet. Im Gang angekommen wartete er bis die Tür zum Chemie-Raum zugefallen war, riss mir den Ranzen von den Schultern, drückte mich an die nächste Wand und legte seine Lippen wieder auf meine. Von diesem "Überfall" völlig überrannt, zerfloss ich dennoch fast blitzartig in Leidenschaft und konnte dieses Wärmegefühl, das mir der blonde Junge unaufhörlich in meinen Körper trieb, noch gar nicht richtig genießen. Auf dem Schulflur. Ist der Kerl jetzt vollkommen durchgedreht?! Ich schloss meine Augen und versuchte mich zu entspannen. Doch dieses Mal schien Ishida das bloße Berühren der Lippen nicht zu genügen. Als ich spürte, wie er ein klein wenig seinen Mund öffnete und mit der Zungenspitze mir über die Lippen fuhr, schlug mein Herz schneller und ich wusste für den Moment gar nicht, was ich tun sollte, aber ich wollte diesen Jungen auch nicht mehr warten lassen. Ich wollte es ja selbst einmal so dringend ausprobieren. Zaghaft öffnete ich meinen Mund, spürte dann augenblicklich, wie Ishidas Zunge hineindrang. Bei diesem Gefühl, das mir absolut neu und noch völlig unverständlich war, riss ich die Augen wieder auf und hielt die Luft an. Yamato fing an, sachte meine Zunge zu streicheln, als wolle er sein vorschnelles Eindringen, was mir mehr als nur die Luft geraubt hatte, entschuldigen. Aber ihm zu verzeihen war gar nicht nötig. Soll er doch nur machen. Hauptsache dieses unglaubliche Gefühl, was mich langsam wahnsinnig zu machen schien, vermischt mit diesem seltsamen Geschmack von Spekulatius und Schokolade, der aus Ishidas Kuss intensiv hervorstieß, verbreitet sich weiter unter meiner Haut. Ich entspannte mich langsam wieder und konnte in diesem Genuss auch wieder verträumt die Augen schließen. Doch genauso schnell schwand meine Entspannung, als ich dann auch noch die Hand des Jungen unter meinem Shirt fühlte. Während sein rechte Hand über meine Hüfte und Rücken strich, glitt seine linke an meinem Arm nach oben, über meine Schulter und legte sich dann in meinen Nacken, drückte mich noch etwas enger zu sich heran. Nach einer vermeintlichen Ewigkeit nahm er seine Zunge wieder aus meinem Mund und ließ von mir ab. Er atmete ein bisschen schwerer als vorher, aber bei weitem nicht so schwer, wie ich es tat. "Geht's dir jetzt besser?", lächelte er mich an. "Nicht aufhören... Bitte, nicht aufhören...", keuchte ich, legte meine Hände auf seinen Hinterkopf und zog ihn zu mir heran. Dieses mal war ich es, die den Kuss begann. Jetzt, wo ich wusste, wie es funktionierte, konnte ich mich nicht mehr halten auch weiterhin diese Lippe zu berühren. Ich wollte nicht, dass dieses wunderbare Wärmegefühl abriss. Nicht jetzt schon. Siebzehn Jahre lang habe ich wohl auf dieses Gefühl gewartet und jetzt hatte ich endlich den Jungen gefunden, der es mir vermitteln konnte. Er und nur er. Ich fuhr Yamato durch seine blonden Haare, obwohl meine Finger immer noch stark zitterten. Aber ich wollte ihm zeigen, wie dankbar ich ihm war. Er streichelte mir daraufhin deutlicher über Rücken und Nacken. Ein Schauer nach dem anderen jagte mir durch die Haut, die Ishida so zärtlich berührte und ich konnte mich nicht halten, etwas zu kichern. Yamato schien das ziemlich amüsant zu finden. Er kam noch ein Stück näher zu mir und drückte seinen Körper an meinen. Wie gerne hätte ich jetzt meinen Pullover ausgezogen und die brennende Hitze unter dem Kleidungsstück war nicht der einzige Grund. Ishida ließ dann irgendwann wieder von mir ab und hauchte mir entgegen: "Komm... Komm mit. Hier wäre es viel zu unbequem." Ich hielt es nicht für nötig, zu fragen, was er meinte. Ich wollte sowieso gar nichts mehr sagen. Ich wollte ihm nur noch folgen, egal, wo er mich auch hin entführte. Ich zerrte hastig meine Jacke aus dem Ranzen und zog sie an. Ishida nahm meine Hand und ich folgte ihm Wort- und Widerstandslos. Und so liefen wir Hand in Hand durch den Schnee. Ishida hatte vorhin dem Fräulein im Sekretariat irgendwas vorgelogen, dass ich schnell nach Hause müsse. Und seltsamer Weise empfand ich seine unverschämte Lüge gar nicht verwerflich. Wenn ich ehrlich war, hätte ich nicht besser lügen können. Aus meinen Augenwinkeln sah ich zu Yamato hinüber. Er hatte eine angenehm entspannte Mine. Seine blauen Augen blickten so friedlich und zufrieden drein. Es glich auf einer seltsamen Art den Schneeflocken, die auf genau die gleiche zufriedene Art und Weise auf uns hinabrieselten. "Wir können aber nicht zu mir nach Haus.", zerriss ich dummer Weise die angenehme Stille, aber diesen trotz allem berechtigten Zweifel konnte ich nicht so einfach für mich behalten. "Mein Dad hat in fünf Minuten Mittagspause und wird dann wohl zu Hause sein...", ich blickte wie ein enttäuschtes Kätzchen, welchem man gerade die Gummiespielzeugmaus weggenommen hatte, zu meinen Füßen. "Macht doch nichts... Bei mir ist Platz genug.", sagte der blonde Junge neben mir, ließ meine Hand los und legte seinen Arm um meine Schultern. Dann zog er mich ein Stück näher zu sich heran. Mein Herz fing schon wieder an in wilden Freudensprüngen einen schnellen Rhythmus einzuschlagen. Aber mittlerweile empfand ich das schon gar nicht mehr als störend. Außerdem war die Hitze, die unter meine Haut aufstach, unter dem kühlen Lüftchen des Wintermonats erträglicher. Ach, stimmt, es war ja Dezember, kam mir plötzlich der Geistesblitz. Ich erinnerte mich. Nicht mehr lange und es ist Weihnachten. "Magst du?...", wurde ich plötzlich von Ishida gefragt und erst jetzt fiel mir auf, wie still es hier war. Ich blickte in seine Richtung und entdeckte sofort die Tafel Schokolade, die er mir unter die Nase hielt. Ich guckte vorerst blöd drein, dann lächelte ich übers ganze Gesicht, griff zu und sagte: "Danke..." "Ist meine Lieblings-Weihnachtsschokolade. Spekulatius-Schokolade..." ...to be continued... 16. 10. 03: Ja, diesen Teil habe ich auch zur Hälfte in der Schule verfasst. Unterricht ist halt langweilig. Aber ich wollte noch was zu der Spekulatius-Schokolade sagen. Die gibt's nämlich wirklich und ich liiiiiiiebe sie.... MayaAnn BS3 Eingeschneit: Bedeutet, in den Schneeflocken gefangen zu sein Eine Schneeflocke. Und noch eine. Und da ist noch eine. Schade eigentlich, aber der kleine Spaziergang unter dem Schnee war leider schon beendet und wir hatten bereits des Treppenhaus von dem Wohnblock betreten, in dem Ishida wohnte. Die Wohnung von ihm und seiner Familie sah nicht anders aus, als jede andere Einfamilienwohnung in diesem Kaff, das sich Stadt schimpfte. Teppichboden, am Flur angrenzendes Wohnzimmer, Kochecke, zwei Schlafzimmer, ein kleines Badezimmer und ein Balkon. "Setz dich doch, oder bist du zu fasziniert von der Einrichtung?!?", Ishida nahm mir meine Winterjacke ab, ich zog beiläufig meine Schuhe aus, und drängte mich dann ins Wohnzimmer, wo ich es mir auf der Couch bequem machte. "Hast du vielleicht Hunger?", fragte er mich. Hatte ich denn Hunger?!? Tja, gute Frage. Ich hatte seit heute früh so gut wie gar nix gegessen. Dieses eine Glas Orangensaft kann man ja wohl kaum als was zu Essen bezeichnen. "Nö, eigentlich nicht. Aber hast du vielleicht irgendwie Tee." Yamato stellte sich vor mich, blickte mich enttäuscht an und ich fragte mich, ob ich was falsches gesagt hätte. "Und ich dachte, du probierst mal meine Plätzchen.", ach, so, naja, das kann ja keiner wissen. "Du backst Plätzchen? Wie süß. Na, dann, nur her damit...", ich lächelte wie ein Zuckerkuchenpferd und Yamato lächelte mir darauf hin zufrieden zurück, bevor er sich von mir wegdrehte und in der Küche verschwand. "Ich kenne nicht gerade viele Jungs, die backen können.", rief ich ihm hinterher, während ich mir die überaus ordentliche Einrichtung näher betrachtete. "Zur Weihnachtszeit zu backen ist ja auch so etwas, wie eine heilige Pflicht.", hörte ich ihn aus der Küche. "Das hat dir wohl deine Mutter beigebracht.", sagte ich halb abwesend, da ich gerade Yamatos Gitarre hinter dem Esstisch entdeckt hatte und sie nun unentwegt anstarrte. Ich erinnerte mich, an meine Gedanken, die ich vor ein paar Tagen noch dabei hatte, als ich erfuhr, dass er in einer Band spielt. Arrogantes Multitallent. Obwohl mir diese Worte gerade schon wieder für ihn absolut passend schienen. "Ja, meine Mutter konnte mir damals noch so einiges beibringen." "Wieso denn damals noch?", fragte ich und drehte meinen Kopf in Richtung Küche. Ishida trat langsam mit einem Teller voller gelbbrauner Kekse aus ihr hervor und lehnte sich gegen den Türrahmen. Sein Blick verriet mir, dass er sich gerade nicht so richtig wohl fühlte und die Antwort kam prompt. "Weil ich meine Mutter seit der Scheidung meiner Eltern nur noch sehr selten sehen kann... Und meinen kleinen Bruder auch...", er wich dabei meinem mitleidigen Gesicht aus und richtete seinen Blick auf die Plätzchen. Ich hatte wohl doch was falsches gesagt. Mir tat sein jämmerlicher Anblick jetzt wirklich weh. Er lebt tatsächlich ohne Mutter?!? Und er hat noch einen jüngeren Bruder? Mann, das ist hart. "Sorry, ich wollte dir nicht zu nahe treten.", versuchte ich mich zu entschuldigen. Er sollte nur endlich aufhören, so leidend zu gucken. Da kann er mich auch gleich aus dem zwölften Stock eines Hochhauses schmeißen. Würde genauso weh tun. "Schon in Ordnung..." "Ehrlich...?" "Mhm... Ich war noch relativ klein, als ich von meiner Mutter und meinem Bruder getrennt wurde, aber ich kann mich noch genau an die Gefühle erinnern, die ich hatte." Mir erschien plötzlich das Bild vor Augen, wie der kleine Yamato seinem Bruder hinterher sieht und ganz genau weiß, dass es nie wieder so sein kann, wie früher. Ich habe keine Geschwister und könnte mir auch dem zufolge gar nicht richtig vorstellen, wie das ist, aber ich wusste ganz genau, wie es sich anfühlt, wenn man einen geliebten Menschen verliert. "Aber, als ich elf Jahre alt war, ist etwas passiert, dass mich meinem Bruder wieder etwas näher gebracht hat. Was das genau war, ist nicht wichtig, aber ich hab' jetzt langsam verstanden, dass es nicht anders geht. Meine Eltern leben nunmal getrennt und auch wenn ich Takeru nicht jeden Tag sehen kann, fühle ich mich mehr mit ihm verbunden, als ich es noch als kleines Kind war.", er lächelte zum Glück wieder und schaute mich auch dabei an. Jetzt ging es mir auch wieder gut. Ich konnte es einfach nicht ertragen, diesen Jungen so leiden zu sehen. So ein Lächeln von ihm geschenkt zu bekommen, war eine wirkliche Erleichterung für mich und ich konnte ihm zurück lächeln. Ishida gab sich einen Schubs von dem Türrahmen weg und bewegte sich auf die Couch zu, auf der ich saß. Aber jetzt hatte er irgendwie einen seltsam lüsternen Blick. Er stellt den Teller mit Plätzchen neben die Couch auf den Boden und setzte sich zu mir. Und ehe ich 's mich versah, gab er mir einen Schubs, ich kippte mit der Breitseite in die Sofakissen und Ishida kniete sich über mich. Nachdem ich zwei-, dreimal geschluckte hatte und versuchte, die Hitze, die gerade in mir aufstieg zu unterdrücken, flüsterte ich dann mit zitternder Stimme: "Ähm, Ishida,... ...was... ....was zum Teufel tust du da?!?" Er sah mich lieb an und ich war total verwirrt. "Willst du mal probieren? Hab' ich selbst gemacht..." Meinte er jetzt die Plätzchen oder den... "IIIIIIIIch MUSS meine ELTERN anrufEN. DIE wissEN DOCH GAR nicht, wo ich GERADE BIn.......", stotterte ich daher, krabbelte unter Yamato hindurch, wäre fast über die Kekse gestolpert und suchte dann das Telefon, was glücklicher Weise sehr schnell aufzufinden war. Ich beachtete Yamato gar nicht, sondern versuchte nur, die richtigen Tasten auf dem Telefon zu treffen. Das erwies sich aber als schwieriger, als gedacht, da ich erstens wie Espenlaub zitterte und zweitens mich an meine Telenummer gar nicht erinnern konnte. Sie muss mir dann wohl doch eingefallen sein, da ich dann endlich die richtigen Nummern wählte. Ich wartete ungeduldig, dass jemand abnahm. Mein Vater müsste dran sein. Er hat ja jetzt Mittagspause. Gott, wenn ich nur nicht so zittern würde. Ich konnte ja den Hörer gar nicht richtig am Ohr halten. War das jetzt Ishida, der mich so nervös machte? Wahrscheinlich lag es eher an seinem Wolfsblick, den er eben noch hatte. Das kann er doch mit mir nicht machen. Weiß der eigentlich, dass ich noch Jungfrau bin?!? Mami... "Hallo?...", hörte ich von der anderen Seite der Leitung. "Hallo, Dad?", antwortete ich und versuchte meine Stimme ruhig zu halten. Es war sicher nicht vom Vorteil, wenn Daddy wusste, wie mir gerade die Nackenhäärchen nach oben standen. "Ja?" "Ich bin's, Eve." "Ach, wir haben dich schon vermisst. Die Schule hat angerufen, du seist nach Hause geschickt worden, weil es dir nicht gut geht. Wo bist du?" "Ich bin bei Yamato Ishida." "Und was machst du bei ihm und nicht hier?" "Ich... Äh... Ich...", komm schon, Eve, lass dir 'ne gute Ausrede einfallen. Mann, Ishida konnte viel besser lügen als ich. Warum ist er nie da, wenn man ihn nicht braucht? "Yamatos Vater war zufällig an der Schule und wollte mich nach Hause fahren, aber ich hatte noch was bei Ishida vergessen und so hatte ich die Möglichkeit das noch zu holen, aber als ich wieder zurückgefahren werden sollte..." "..., habt ihr mitgekriegt, dass ihr eingeschneit seid..." "WAS?!?" "Ich weiß schon. Der Schnee, der die letzte Stunde runter gekommen ist, ist Wahnsinn. Du wirst von deinem jetzigen Standort sicher nicht so schnell wieder nach Hause kommen." Oh, das ging ja leichter, als ich dachte. Doch ich warf selbst einen Blick aus dem mir gegenüberliegenden Fenster und mein Dad hatte recht. Der Schnee da draußen war schon direkt unnatürlich. Und es schneite noch immer. Schätze mal, dass sich meine total zusammenhangs- und sinnlose und darüber hinaus von meinem Vater bestätigte Lüge auch noch bewahrheitete. Aber es war seltsam. Mal ganz abgesehen, dass es vor einer halben Stunde noch kein großes Problem war, voran zu kommen, kam es mir jetzt so vor, als ob die Schneeflocken WOLLTEN, dass ich von hier nicht mehr weg kann. "Wo ist Herr Ishida gerade?" "Der ist draußen und versucht, sein Auto wieder freizuschaufeln...", die restliche Lüge kam mir plötzlich ganz leicht über die Lippen. "Aha, ich würde sagen, sofern du es bis um sechs heute Abend noch nicht geschafft hast, zu Hause zu sein, werde ich dich abholen kommen. Dir geht es bestimmt immer noch nicht besonders gut. Leg dich irgendwo hin, Yamato wird dir da sicher helfen und ruh dich ein bisschen aus. Und keine Sorge, das kriegen wir schon irgendwie hin...", mit diesen Worten legte mein Dad auf und ich hörte nur noch ein leises Tuten im Hörer, bevor auch ich auflegte. Ich blieb noch eine Weile so stehen, denn ich traute mich jetzt nicht mehr so recht, mich zu Ishida umzudrehen. Aber ich konnte ja auch nicht die ganze Zeit so dastehen. Mann, Eve, jetzt mach doch mal irgendwas. Du machst dich gerade wieder lächerlich. Doch unerwarteter Weise legten sich zwei Arme von hinten um meinen Hals. Mein Herz schlug wieder etwas lauter, als ich spürte, wie mich Yamato an sich drückte. Mir wurde zum wiederholten Male heiß und ich wusste nicht recht, ob ich mich jetzt entspannen soll, oder lieber wieder die Luft anhalten soll. Was hatte dieser Junge nur an sich, dass er mir so den Verstand rauben konnte? Hoffentlich kommt es jetzt gleich wieder. Dieses wunderbare Wärmegefühl, dass nur er mir vermitteln konnte. Ich warte. Und wie eine Reaktion auf mein geistiges Rufen, strich der Blonde meine Haare vor seinem Gesicht weg und versenkte seine Lippen in meinem Nacken. Mmmmmeine Güte, das konnte er doch nicht machen. Oder, oder...., doch konnte er... ,er... , Hilfe... Mein Verstand spielte verrückt und ich schloss meine Augen. Mein Atemzüge wurden dieses Mal wesentlich länger, als bei jedem Normalsterblichen. Als dieses Wärmegefühl von meinem Nacken ausgehend, durch meinen Hals und an meinem Gesicht vorbei, tief in meinen Kopf drang, gab ich ohne es zu wollen ein leises Stöhnen von mir, was so viel bedeutete, wie, nicht aufhören, mach bitte weiter, denn das Sprechen hatte ich vor mindestens zehn Sekunden verlernt. Ja, so stellte ich mir den Himmel vor. Jetzt konnte es einfach keine Steigerung mehr geben. Was kann schöner sein als der Himmel? "Und?...", flüsterte Ishida hinter mir. "Willst du nun mal probieren?", fragte er mich und als ich die Augen aufmachte, erblickte ich den Keks, den er mir vor die Nase hielt. Ich grinste zu erst nur, aber dann verwandelte sich mein Grinsen in lautes Gelächter, das ich beim besten Willen nicht mehr stoppen konnte. Ich kringelte mich vor lachen und konnte nicht ganz verstehen, warum. Aber es war auf eine seltsame Art befreiend. Nachdem ich mein Lachkonzert beendet hatte, drehte ich mich zu Ishida um, der fröhlich lächelnd drein guckte. "Ja, klar, her damit...", grinste ich noch, wischte mir eine Träne weg, griff nach dem Keks und steckte ihn mir in den Mund. Spekulatius... "So, mindestens jetzt müssten deine Küsse genauso schmecken, wie meine." Ich lief bei diesem Kommentar knallrot an. Er kam darauf hin ein Stück näher zu mir, worauf ich ein Stück nach hinten rückte. Aber da war bereits das Zimmer zuende und machte mir einen Strich durch meinen Fluchtplan. Schon wieder dieser Wolfsblick. Heiße ich denn Rotkäppchen?!? "Aber du hast auf meine Frage nicht geantwortet..." Ich schluckte erneut, weil ich mir schon denken konnte, was er meinte. "W-welche Frage?...", bibberte ich daher. "Willst du mal probieren?" Also jetzt war ich mir wirklich mehr als sicher, dass er NICHT den Keks meinen konnte. "Wieso probieren?..." "Bist du nun Jungfrau?" "Nein, ich bin... Löwe..." "Eva-Maria..." Ja, OK, ich wusste natürlich, dass er nicht diese Jungfrau meinte, sondern DIESE Jungfrau, aber das, an das ich gerade dachte, konnte doch nicht sein ernst sein. Doch nicht jetzt und nicht hier... Verdammt, ich bin noch siebzehn und müsste jetzt eigentlich in der Schule sein. Ich habe meine Kursleiterin, die Frau im Sekretariat und meinen Vater angelogen und die Hausaufgaben, die ich in der achten Klasse von diesem bescheuerten Lehrer aufbekommen hatte, habe ich auch nicht gemacht, außerdem habe ich vor zwei Wochen mein Gemüse nicht aufgegessen. Meine Bedenken steigerten sich ins vollkommen Lächerliche. Ich schien geradezu nach Einwenden zu suchen, aber jede, an die ich dachte, machte mein Verlangen, nach dem, was Ishida wohl allen Urteils mit mir vor hatte, nicht gerade kleiner. Dieses verdammte Verlangen nach diesem Wärmegefühl, das ich hoffte, dadurch wieder zum empfangen. "Du brauchst doch nicht so zu zittern.", hauchte mir Ishida entgegen und legte seine Lippen kurz auf meine. "Ich bin bei dir..." Und es schmeckte wieder nach Spekulatius-Schokolade. Bevor Yamato meine Hand nahm und mich von der Wand wegzog, warf ich noch einen Blick durch das Fenster. So, wie die Schneeflocken gerade aufwirbelten, werde ich wohl noch nächsten Dezember hier eingesperrt sein... "Vertrau mir!", flüsterte er und seine tiefe Stimme drang in meinen Körper ein, löste dort ein wohliges Gefühl aus, wie an einem kalten Samstag Morgen im Bett zu liegen, sich in die Decken zu kuscheln und zu wissen, dass man heute gar nicht aufstehen braucht. Dann drückte mich Ishida in die Kissen seines Bettes. Ich fühlte den weichen Stoff durch meine Kleidung hindurch. Die Hitze, die sich bei seiner ersten Berührung auf meiner Haut ausgebreitet hatte, wurde durch seinen beruhigenden Blick exponentiell verstärkt, als würde man sie bei jedem Blick mit siebzehn potenzieren. Mein Gott, jetzt an Mathe zu denken. Aber wenn man es so sieht, steigerte sich der Exponent in der Ishida-Eve-Gleichung ins Extreme, als ich spürte, wie Yamatos Hand vorsichtig unter mein Shirt kroch und meine Erregung nur noch mehr anstachelte. HasiAnn: Jaja, ihr würdet jetzt gerne wissen, was passiert, hat das HasiAnn recht? Aber HasiAnn wird euch das nicht sagen, weil sonst diese FF nicht mehr jugendfrei wird. Aber HasiAnn überlegt sich noch, ob HasiAnn den fehlenden Teil mit dran hängt, jedenfalls ist der nicht gravierend wichtig, für die Handlung. Nach scheinbaren Stunden ließ Yamato wieder von mir ab und sah mir schwer atmend in die Augen. "Hat es sehr weh getan?", flüsterte er mir zu und strich mir den Schweiß von der Stirn. Er bekam von mir ein zitterndes Kopfschütteln als Antwort und lächelte daraufhin. Dann stieg er von mir runter, legte sich neben mich und nahm mich in den Arm. Im Raum war es ganz still. Man konnte nur Yamatos und mein schweres Atmen hören. Der Blonde war wohl auch sehr geschafft. Aber er war sicher nicht so fertig, wie ich es war. Mein Herz klopfte immer noch stark und auch meine Haut brannte noch. "Ruh dich jetzt aus, Eva-Maria.", flüsterte er und drückte mir noch einen Kuss in meinen Nacken. "Du kannst mich Eve nennen." "Eve... Ein schöner Name." Ich warf noch einen letzten Blick aus dem Fenster, dass dem Bett, in dem ich lag, gegenüber war. Die Schneeflocken fielen noch immer und es war mir, als lächelten sie überglücklich und zufrieden, bis ich vor Erschöpfung meine Augen nicht mehr offen halten konnte. "Fröhliche Weihnachten, meine Eve.", vernahm ich noch von Ishida. "Fröhliche Weihnachten, Matt...", hauchte ich mit meiner letzten Kraft zurück. Doch ein kleiner Gedanke fand noch einen Weg in meinen Kopf, bis ich gänzlich in seinen Armen einschlief: Was wird jetzt mit Holly...? ...to be continued... 17.10.03. Räusper. Soll ich mich jetzt auch noch dazu äußern?!? Neeee, ich lass es mal lieber... MayaAnn BS3 Und sie fielen noch immer Eine Schneeflocke? Wo? Du hasst ihn, oder etwa nicht? Ich hasse ihn doch nicht. Ich kann ihn nicht hassen. Aber er kommt mir trotzdem noch so arrogant vor. Aber ich kann ihn nicht hassen. Wie denn? Er war der einzige, ..., der einzige Junge auf Gottes grüner Erde, der wusste, was ich war. Ich hasse ihn nicht. Ich will ihn nicht hassen. Nicht jetzt. Und nicht mehr. Er ist wie ein Geschenk Gottes für mich. Ich kann doch nichts dafür. Ich bin mir sicher. Ich hasse ihn nicht. Aber... Liebe ich ihn denn? Ich schlug augenblicklich die Augen auf, richtete meinen Oberkörper nach oben und sog so schnell ich es für möglich hielt die Luft ein, die sich notgedrungen noch im Zimmer befand. Meine Gedanken spielten vollkommen verrückt und ich hatte nichts in meinem Körper mehr unter Kontrolle. Wo war ich? Wer war ich? Was tat ich hier? Ich brauche eine Antwort!!! Nachdem ich nach einer halben Ewigkeit mich endlich wieder daran erinnerte, wie man ausatmet, musste ich erstmal realisieren, was hier los war. Ich hatte soeben einen Albtraum. Ein Traum. Da war dieses Mädchen. Sie war nicht größer als ich. Sie hatte Tränen in den Augen und fragte mich, ob ich ihn hassen würde? Ich versuchte mich erst einmal zu entspannen. Dieses nahezu grausame Erwachen hatte mich völlig weggerissen. Ich sah um mich herum und erinnerte mich, wo ich war. Ich saß in Ishidas Bett, in seinem Zimmer, in der Wohnung, die er mit seinem Vater teilte. Ishida! Ich blickte zur Seite. Er lag nicht mehr da, wo ich ihn in Erinnerung hatte. Ich dachte, er würde neben mir im Bett liegen, aber ich war ganz allein im Zimmer. Nicht nur im Zimmer. Ich schien plötzlich wieder allein auf der ganzen Welt zu sein. Eigentlich müsste ich nach so einem Hammererlebnis, wie es vor ein paar Stunden statt gefunden hatte, doch der glücklichste Mensch der Welt sein, aber ich fühlte mich nur noch allein. "Du hasst ihn, oder etwa nicht?", hörte ich wieder die Stimme aus dem Traum in meinem Kopf. Anscheinend sollte ich mir über so einen sinnlosen Traum keine Gedanken machen, aber ich tat es doch. Es war offensichtlich, dass Ishida gemeint war. Aber ich hasse ihn doch nicht. Schon gar nicht, nachdem er mir gerade die Pforten zum Himmel geöffnet hatte. Doch dieser letzte Satz "Liebe ich ihn denn?"... Dieser kurze, kleine Satz brachte plötzlich alles in mir ins Wanken. Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Liebte ich Ishida denn? Ich hatte es nie gesagt, oder auch nur gedacht. Das einzige, an das ich dachte, wenn er in meiner Nähe war, war dieses Wärmegefühl. Und nichts weiter... Mich traf der Schlag, als ich mir denken konnte, worauf diese innerliche Zerrissenheit hinaus wollte. Ich benutzte Ishida nur. Ich benutzte ihn, damit ich dieses Wärmegefühl empfangen konnte, dass ich die ganzen Jahre über gesucht hatte und das nur Ishida mit entgegen bringen konnte. Mir war der Junge an sich doch völlig egal. Den kann ich doch hassen noch und nöcher. Und da gab es ja noch diese Holly. Ishida hatte mir zwar vor Kurzem noch zugeflüstert, dass ich mir bezüglich unser beider Beziehung zueinander keine Sorgen machen brauchte, aber wenn ich ihn wirklich lieben würde, dann hätte ich mir über Holly sicher mehr den Kopf zerbrochen, als dass es mir jetzt vollkommen egal war. Ishida war mir egal... Ich bin doch nur ein mieses, kleines Arschloch. Ein egoistischer Arschwisch. Jetzt benutzte ich schon einen so lieben Jungen, der es von allem am wenigsten verdient hätte. Jetzt hasste ich nicht mal mehr ihn. Ich hasste mich, für das, was ich getan hatte. Ich fing an zu weinen... "Eve?", hörte ich von außerhalb des Zimmer Yamatos Stimme. Ich schrak auf. Irgendwas musste ich jetzt tun. Ich entdeckte geistesabwesend meine Kleider auf dem Teppichboden und sah dann genauso geistesabwesend an mir herunter. Stimmt, ich war ja noch immer nackt. Ich sprang wie ein Reh aus dem Bett, hätte mich beinahe am Stuhl gestoßen, da mein Blickfeld durch die Tränen, die unaufhörlich aus meinen Augen strömten, vollkommen verwischt wurde. In Windeseile zog ich mich an. Dabei achtete ich nicht einmal darauf, ob ich nun den Pullover links- oder rechtsrum an hatte. Einfach nur rein in die Klamotten und dann weg von hier. "Eve, bist du schon wach?", hörte ich wieder seine Stimme. Aber ich antwortete ihm gar nicht, sondern schnappte mir noch meine Winterjacke und meinen Ranzen, stieg in meine Stiefel und machte mich dann auf dem schnellsten Weg raus aus diesem Zimmer. "Ich muss jetzt gehen.", warf ich noch hinter mich, um nicht vollkommen unhöflich zu sein, obwohl ich wusste, dass ein solcher Kommentar so ziemlich nutzlos war. Ich war schon an der Wohnungstür der Ishidas angekommen und bereit, wie ein Verbrecher zu türmen, als ich von Yamato eingeholt wurde und er sich von hinten an mir festklammerte. "Hey, nicht so eilig, meine Eve...", lachte er. Er hatte noch keine Ahnung von meinen gerade schmerzlich gewonnenen Erkenntnissen. Er drückte mich nur an sich und kuschelte sich in meine Jacke, sodass erneut das Wärmegefühl in mir aufstieg. Aber dieses mal konnte ich es nicht genießen. Ich konnte es ja noch nicht einmal ertragen, da ich nun wusste, dass ich es nicht wegen ihm, sondern nur wegen mir wollte. Ich schluchzte und Ishida hörte das natürlich. "Was hast du?", fragte er mich, ließ mich von sich los und legte mir dann seine Hand auf die Schulter. "Nein, bitte, lass mich los...", ich stieß seine Hand wieder weg und drehte mich zu ihm um. Die Besorgnis in seinen blauen Augen vergrößerte sich nur noch, als Ishida mein verheultes Gesicht sah. "Ist alles in Ordnung?", und er streckte schon wieder die Hand nach mir aus. Aber ich wich ein paar Schritte zurück, damit er mich nicht erreichte. "Eve?" "Du, ... Es geht nicht mehr. Tut mir leid...", schluchzte ich weiter. "Warum? Liegt es an mir?" "Nein! Ganz bestimmt nicht. Es könnte nie an dir liegen. Ich bin Schuld." "Aber woran denn?" "Ich..., ich....", das Geständnis, was jetzt kam, fiel mir schwerer, als ein zwölfjähriges Mädchen über Sex aufzuklären. "Ich hab' dich nur ausgenutzt.", kam es mir dann doch endlich über die Lippen und es war, als versuchte ich verzweifelt einen Felsen auszuspucken. Als ich in Yamatos Gesicht sah, las ich nur die pure Verletztheit ab. "Ich hab' dich nur ausgenutzt...", wiederholte ich etwas leiser. "Aber, wie denn? Das ist doch absurd.", versuchte der Blonde eine Erklärung zu finden. "Nein, das ist es nicht. Eine solche Beziehung, wie wir sie haben, sollte sich auf ...Liebe gründen. Aber ich habe eben festgestellt, dass ich dich nicht liebe...", ich schluckte bei diesem Gedanken, aber der Klos, der sich eben in meinem Hals festgesetzt hatte verschwand dadurch keines Wegs. "Was?!...", kam es nur noch kleinlaut von Ishida. "Ich liebe dich nicht. Ich liebe alles an dir. Deinen Körper, deine blonden Haar, dein Gesicht, deine blasse Haut, deine blauen Augen. Aber ich liebe nicht dich, Ishida. Es tut mir leid." "Aber Eve. Das kannst du doch nicht ernst meinen." Ich hatte das Gefühl, dass Yamato auch bereits den Tränen nah war, aber wenn ich jetzt nicht sagte, was ich sagen wollte, dann wäre das nur unfair ihm gegenüber gewesen. Zumal ich ihn ja die letzten vier Tage nur unfair behandelt hatte. "Du hast mir etwas unter die Nase gehalten, nachdem jedes Mädchen lechzend gegriffen hätte. Das war bei Holly sicher nicht anders, als bei mir. Aber ich beging den Fehler und griff sofort zu, ohne zu fragen, wer du eigentlich bist. Ich kann dich gar nicht lieben. Ich kenne dich nicht. Ich weiß nichts über dich. Ich weiß nicht, was du gerne magst, wie du wirklich bist. Ich weiß nicht viel über Liebe, da ich selbst noch nie verliebt war, aber ich weiß, dass sich Liebe auf Vertrauen gründet und jemanden, den man gerade mal vier Tage kennt und mit dem man sich noch kein einziges Mal wirklich ausgesprochen hat, den kann man nicht wirklich lieben. Ich hab' dich nur ausgenutzt, nur damit ich bekam, was ich wollte." "Eve...", seine Worte schienen ihm im Hals stecken zu bleiben. Aber mir ging es auch nicht viel besser. Ich kämpfte noch immer mit meinen Tränen und mit dem Klos, der sich seit ein paar Sekunden in meinem Hals festgesetzt hatte und nun nicht mehr verschwinden wollte. Das machte mir das ohnehin schon schwere Sprechen nur noch schwerer. "Ishida, es tut mir leid. Ich habe so jemanden, wie dich einfach nicht verdient. Du bist der liebenswerteste Junge, den ich kenne und so etwas habe ich nicht verdient. Und auch du verdienst ein Mädchen, das dir eine wesentlich intensivere Aufmerksamkeit schenkt, als ich es durch meine Ausnutzerei getan habe..." Ich habe zuvor noch nie einen Jungen weinen sehen. Es tat doppelt und dreifach weh, Ishida so vor mir stehen zu sehen. Er hatte sicher bis jetzt gegen seine Tränen ankämpfen müssen und unterlag nun seiner Verzweiflung. Ich bin so ein Arsch. Ich mache diesem wertvollen Jungen nur Kummer. Ich hab' es doch gar nicht mehr verdient, zu leben. "Ich wollte das alles nicht. Ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen kann. Dir das jetzt auch noch anzutun, ist sicher total unfair, aber jetzt noch weiter dich auszunutzen wäre noch unfairer. Ich will das nicht länger ertragen müssen. Leb wohl...", und ohne auch nur ein einziges Wort abzuwarten, drückte ich die Türklinke, stand auf der anderen Seite der Tür und schlug diese hinter mir zu. "Fröhliche... Weihnachten...", hörte ich Ishida noch ganz leise durch die Tür hindurch, aber es hörte sich in meinem Kopf wie ein verzweifelter Hilfeschrei an, der mich erbarmungslos in die Knie zwang. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Tür, rutschte an ihr herunter und ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich schrak fürchterlich zusammen, als ich hörte, wie Ishida auf der anderen Seite mit der Faust gegen die Tür schlug. Der Schmerz, über das, was ich gerade verloren hatte, war nichts im Gegensatz zu dem Mitleid, dass ich für ihn empfand. Aber es musste das richtige gewesen sein. Auch wenn ich jetzt dieses Wärmegefühl nie wieder empfinden kann und Ishida unheimlich weh getan habe, muss es das richtige gewesen sein. In mindestens einem halben Jahr wird hoffentlich Gras über die Sache gewachsen sein. Hoffentlich. Und wenn nicht...? Bei diesem Gedanken, der mir mehr als alles andere auf der Welt Angst machte, sprang ich auf und rannte durch das Treppenhaus ins Freie. Draußen riss ich meine Augen auf. Es war bitter kalt und der beißende Wind stieß mir ins Gesicht, aber trotzdem... ...trotzdem fielen die Schneeflocken noch immer vom Himmel. Die Kälte war unerträglich und der Wind zerrte unaufhörlich an meiner Jacke, aber die Schneeflocken waren noch immer da. Aber warum? Bin ich ihnen etwa hinterher gerannt, oder sind sie mir gefolgt?... ENDE 18.10.03: Jaaa, BS3 ist endlich fertig. Wird ja auch Zeit, was? Aber diesmal kein HappyEnd. Schade. Aber jeder, der auch nur einen Hauch von Romantik an Weihnachten versteht, wird sicher merken, dass es in BS3 noch nicht HeiligAbend ist. Kapitel 4: Blaue Schneeflocken 4 -------------------------------- Blaue Schneeflocken 4 BS4 Sasha Heute ist Heilig Abend. Der Vorabend von Weihnachten, dem Fest der Liebe. Tolles Wort. Liebe. Dafür, dass ich nicht einmal wusste, was es war, kam es mir ziemlich locker über die Lippen. Aber punktgenaue Einfälligkeit war wohl schon immer mein Spezialgebiet. Eigentlich müssten heute alle Menschen glücklich sein. Es ist immerhin der vierundzwanzigste Dezember. Mann, heute ist der schönste Tag im Jahr für mich. Zumindest war das mal so. So glücklich wie ich jetzt sein müsste, war ich nur zu Tode betrübt. Betrübt. Ich lach mich kaputt. Ich war die Verzweiflung selbst. Ich hatte noch nie einem Menschen so sehr weh getan, wie ich Yamato Ishida weh getan habe. Ich hoffte nur, im Augenblick wesentlich mehr zu leiden, als er. Aber keine Strafe schien mir gerecht für das, was ich getan habe. Ich hatte durch meine dumme Naivität geglaubt, endlich die Erfüllung gefunden zu haben. Doch diese Erfüllung ließ sich anscheinend nur auf Kosten dieses Jungen erreichen. Warum war das Leben nur so kompliziert? Ich saß in meinem Zimmer, heulte ein wenig in mich hinein und redete mir ein, ich hätte neuerdings eine Stauballergie bekommen, nur damit die Tränen nicht durch meinen Schmerz gerechtfertigt werden müssen. Aber es war leider die traurige Wahrheit. Vor ein paar Wochen stolperte dieser neue, bekloppte Schüler in meinen Kurs. Mal ganz davon abgesehen, dass NIEMAND freiwillig in den Chemie-Leistungskurs von Frau Docktor geht, hielt ich ihn von Anfang an für den arrogantesten Vollidioten, der mich je auf der Mädchentoilette geküsst hat. Vorausgesetzt natürlich, mich hat schon mal jemand zuvor auf der Mädchentoilette geküsst. Aber das war ja nie so. Ishida war der erste. Und er war auch der erste, der mir überhaupt einen solchen Kuss geschenkt hat. Dieser Wahnsinnskuss mit einem Geschmack aus Spekulatius und Schokolade, der mir immer dieses Wärmegefühl gab, was mir letztendlich zum Verhängnis wurde. Nein, ich konnte Ishida nicht wirklich lieben. Jemanden, den man liebt, den kennt man in- und auswendig. Man weiß ganz genau, woran man ist und zerfließt nicht in dessen Leidenschaft. Und Holly. Wäre ich wirklich in Ishida verliebt, hätte ich mir wegen ihr garantiert mehr Gedanken gemacht, als ihn nur mal kurz abwegig zu fragen, was da war. Ich konnte ihn einfach nicht lieben. Aber es ihm zu sagen...? Sein verletzter Gesichtsausdruck hatte sich fest in meinen Kopf gebrannt und so sehr ich mich auch bemühte, an etwas anderes zu denken, kamen mir immer wieder diese leidenden, blauen Augen ins Gedächtnis. Er war seit diesem Nachmittag nicht mehr in der Schule gewesen. Zumindest habe ich ihn nicht mehr in meinem Kurs gesehen und ihn auch sonst im ganzen Schulgebäude nicht getroffen. Aber ich war zu feige, um ihn irgendwie anzurufen oder gar zu ihm zu gehen. Ich erkundete mich nicht einmal bei Frau Docktor, ob sie nicht etwas über Ishida wusste. Das hat meine Gewissensbisse nur noch verschlimmert. Jede Stunde im Chemieraum auf den leeren Platz neben mir sehen zu müssen war eine regelrechte Qual. Die zwei Kursarbeiten, die ich noch kurz vor Beginn der Weihnachtsferien schreiben musste, hab' ich bestimmt völlig versaut. Yamato ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Aber nein, Miss Eve ist sich ja zu hübsch, um mal nach seinem Zustand zu fragen. Ach, mann! Es war Weihnachten. Da sollte man nicht so geknickt auf dem Boden sitzen und hoffen, dass die Uhr in fünf Minuten um sieben abends geschlagen hat... Oh, Hoppla, hat sie ja schon. Es war sogar schon zwei nach sieben. Obwohl ich nicht sagen kann, dass ich unter den vielen Tränen, die mir nerviger Weise über die Wangen liefen, scharf sehen konnte. Hätte nie gedacht, dass ich mich wegen diesem Wärmegefühl mal so fertig machen kann... "Klopf, Klopf... Ist jemand hier drin?!?", die Tür zu meinem Zimmer wurde aufgestoßen, ich schrak zusammen, sprang auf und wischte mir schnell meine Tränen weg. Nicht, dass mir jetzt auch noch lästige Fragen gestellt werden. "Sag' mal, schläfst du schon, oder warum ist es hier so dunkel?", sagte das Mädchen, das gerade reingekommen war und knipse daraufhin das Licht an. "Verschwinde, Sasha..." "Hey, was hab' ich dir denn getan?" "Ich dachte, du wolltest mir den Gedanken wieder herausprügeln, wenn ich mal was von Ishida will." Meine Freundin war jede Weihnachten bei mir und meiner Familie. Ihr Vater und ihre Mutter halfen zu dieser Zeit immer einer Hilfsorganisation für Waisenkinder aus und waren somit nie zu Hause, wenn das Christkind kam. Und deswegen ist Sasha seit ein paar Jahren an Weihnachten bei mir. Sie verstand sich mit meiner Familie wirklich gut und ich freute mich auch jedes Mal, wenn sie kam. Aber im Moment wollte ich gerade niemanden sehen. Auch meine beste Freundin nicht. "Das hast du mir doch versprochen, oder nicht..." Sasha hob eine Augenbraue. "Das ist doch jetzt nicht dein Ernst." "Was meinst du?" Sasha holte tief Luft. "ICH HAB' DOCH DIE GANZEN WOCHEN VERSUCHT, MICH MIT DIR AUSZUSPRECHEN, ABER DU WARST SO GUT WIE UNANSPRECHBAR!!!" "Ahhh, meine Ohren...", jammerte ich. "Ich hab' mindestens fünf oder sechs mal einen Versuch gestartet, aber du warst irgendwie gar nicht richtig anwesend." "Ach nein?" "Nein, du hast nur ständig blödes Zeug gefaselt und mich weitgehend ignoriert." Ich war quasi die ganzen Wochen nicht einmal für meine beste Freundin zugänglich. Schlimmer noch; ich habe sie ignoriert. Jetzt habe ich nicht nur Ishida, sondern auch Sasha auf dem Gewissen. Der Gedanke trieb mir schon wieder die Tränen in die Augen, obwohl ich die vor Sasha nicht wirklich zeigen wollte. Muss ja ein tolles Bild sein, so eine weinerliche Person vor sich stehen zu haben. "Herr Gott, noch mal. Jetzt hast du dich ja genauso wie Holly. Du verwandelst dich in eine Heulsuse!" "Hättest du mich nicht zusammenschlagen können...?", sagte ich leise mit gesenktem Blick. Sasha atmete kurz ein, ließ einen Stöhner los und dann spürte ich nur noch, wie sie die Arme um mich legte. "Ich hätte den Gedanken doch nicht aus dir heraustreiben können, wenn ich dich verprügelt hätte." "Wieso..." "Du scheinst wirklich blöder zu sein, als ich dachte." "Danke...", gab ich sarkastisch zurück. Sasha ließ mich wieder los. "Also, ich wollte dir sagen, dass deine ehrenwerte Familie das Weihnachtsessen um eine halbe Stunde verschieben musste, weil der Ofen sich kurz verabschiedet hatte." Sie drehte sich von mir weg und hopste aus dem Zimmer. "Ach, und bevor ich es vergesse: Hast du schon mal einen Blick aus dem Fenster geworfen? Den Schneeflocken scheint 's gar nicht gut zu gehen..." Ich hob meinen Kopf und starrte noch die Tür an, aus der Sasha gerade das Zimmer verlassen hatte. Was sollte denn der Kommentar jetzt? Aber gemäß ihres Hinweises drehte ich meinen Kopf um neunzig Grad zu meinem Fenster hin. Ja, es schien ihnen wirklich nicht gut zu gehen. Sie wirbelten in einer ungeordneten Richtung nach der anderen durch die Luft und ließen kein klares Muster erscheinen. Es war, als seinen sie alle im Chaos versunken. Und trotz, dass sie es gerade so schwer hatte, fielen sie noch immer. "Sie wollen einfach nicht aufgeben...", hörte ich eine fremde Stimme hinter mir. Ich erschrak ganz gewaltig und drehte mich aus Reflex um. Ich erblickte ein Mädchen. Schätzungsweise in meinem Alter, vielleicht sogar ein Jahr jünger. Sie hatte lange, braune Haare und einen trüben Blick. Aber sie lächelte mich an. "W-wer bist du...?", stammelte ich. Das Mädchen lächelte noch mehr und reichte mir ihre Hand. "Meine Name ist Holly..." BS4 ...und Holly "Eine Schneeflocke. Und noch eine. Und da ist noch eine. Sie sind wunderschön, nicht wahr...", das fremde Mädchen sah verträumt aus dem Fenster. "D-du bist Holly?!?", fragte ich ungläubig das Mädchen, das da gerade ohne Voranmeldung und Anklopfen bei mir im Zimmer stand. "Ja. Ist das so schwer zu glauben?", lächelte das Mädchen zurück. "Naja, man hätte ja vorher mal anklopfen können...", obwohl ich das jetzt gerade nicht so recht verstand. "Entschuldige. Aber ich hab' dich gesucht. Ich wollte unbedingt mit dir reden." "Lass mich raten. Es geht um Ishida." "Ishida?!? Ach so, du meinst Matt. Wieso nennst du ihn bei seinem Nachnamen und nicht bei seinem Spitznamen?", fragte mich das brünette Mädchen und setzte sich dabei auf mein Bett. "Spielt das eine Rolle?", gab ich als Antwort und setzte mich zu ihr. "Eigentlich nicht, aber ich finde, Ishida ist ein bisschen förmlich. Es klingt, als ob du ihn nicht leiden könntest." "Ich... Ich kann ihn auch nicht leiden...", sagte ich kleinlaut und mir kamen erneut die Tränen. "Ich meine... Ich kann ihn schon leiden, aber nicht so..." Holly lächelte mich an und zog dann ein Taschentuch aus einer Tasche ihres roten Kleides. Ich musste mich schon etwas wundern. Ein solches Kleid im Winter anzuziehen. Da holt man sich doch den Tod. Aber Holly reichte mir ihr Taschentuch und ich ließ keine Sekunde verstreichen, es ihr schnell aus der Hand zu reißen und mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Aber ich schätze, mein Greifen nach dem Stück Stoff war wohl etwas überreagiert, denn Holly saß nur ganz entgeistert da, als sei ihr mein Handeln viel zu schnell gegangen. "Ioioi, meine Güte, Manieren hast du..." "Hey, komm mir nicht mit Manieren. Die hab' ich in der dritten Klasse über Bord geworfen." "Hihi, du bist komisch.", kicherte das Mädchen. Ich errötete dabei ein bisschen. "Was wolltest du denn so dringend mit mir besprechen, dass du hier kurz vor der Bescherung auftauchst?", um mal möglichst schnell das Thema zu wechseln. Das Lachen des Mädchens verstummte augenblicklich und ihrer fröhliche Mine verschwand. "Du hast mit Matt...", fing sie an und ich wusste schon worauf sie hinaus wollte. Um sie ihren Gedanken nicht auch noch aussprechen zu lassen, fiel ich ihr mit dem erst Besten, was mir in den Kopf schoss, ins Wort. "Du kannst ihn gerne zurück haben.", aber musste es denn unbedingt so ein bescheuerter Kommentar sein?!? "Was?!?", Holly sah mich verdutzt an. "Ja, ich habe ihn geküsst. Mehrmals sogar. Und ich hab' auch... Ich bin auch einen Schritt weiter gegangen. Aber das war alles nur Fake." "Wie darf ich das verstehen?" Och, nee, jetzt musste ich das auch noch erklären. Da kann ich mir auch gleich eine neue Packung Taschentücher holen. "Ähm. Als du vor drei Jahren mit ihm zusammengekommen bist, hast du ihn doch sicherlich aufrichtig geliebt." "Äh, natürlich..." "Aber ich nicht. Ich liebe ihn nicht. Er hat mir nur dieses unbeschreibliche Gefühl gegeben, was ich die ganzen Jahre zu vermissen schien, aber ich habe ihn nicht deswegen geliebt. Ich liebe einfach nicht und ich finde es nicht richtig, ihn dir auch noch wegzunehmen, obwohl ich ihn nicht einmal wie du richtig liebe...", ich war zu meinem Erstaunen weitgehend offen zu diesem Mädchen, dass ich nur vom Hören-Sagen kannte und zuvor noch nie gesprochen hatte. Aber es fiel mir plötzlich so leicht darüber zu reden und ihr zu vertrauen. Doch eine engere, freundschaftliche Beziehung mit ihr konnte ich mir wohl abschminken, nach dem, was ich ihr gerade an den Kopf geknallt hatte. Ich sah sie missmutig an und machte mich schon auf eine Standpauke oder ein großes Rumgeheule gefasst. Aber das genaue Gegenteil trat ein. Das Grinsen des Mädchens wurde immer breiter, bis es schließlich in einem Gelächter endete. Wieso lacht die denn jetzt? Hab' ich was verpasst. Hab' ich ihr nicht gerade gesagt, dass ich ihre große Liebe ausgenutzt habe?!? Bin ich im falschen Film? "Oh, Gott, ich hab' das Gefühl, ein einen Spiegel zu sehen?", sagte sie, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte. "Warum? Was ist... Hä?!?" "Du meinst ihn also nicht zu lieben?", sie wischte sich eine Träne weg, die sie in der Lacherei verloren hatte. "Ja." Das war laaaange Rede, kurzer Sinn. "Und... Hihi... Und du meinst ihn nicht zu lieben, weil er dir ein Gefühl vermitteln konnte, was du vorher noch nie gespürt hast." "Ja. Ich weiß nicht, was daran so komisch ist. Ich kenne Liebe nur, als etwas, dass Vertrauen als Basis hat. Man kann sich doch nur in jemanden verlieben, wenn man ihn genau kennt. Aber ich habe ihn bis zu meinem ersten Kuss von ihm nur als arrogantes Multitallent zu verstehen gekannt. Das kann doch keine Liebe sein.", ich machte ein verzweifeltes Gesicht und hätte am liebsten schon wieder geheult, aber irgendwie fühlte ich mich durch Hollys Lachen keines Wegs missverstanden. Sie riss sich wieder etwas zusammen. "Sag mal, bei deinem ersten Kuss, was genau hast du da gefühlt?" "Naja, ich hatte... Ach, das hört sich so blöd an." "Nein, ich meine es ernst." "Äh, es war so eine Art Wärme, die sich ständig in mir verteilte. Es war egal, ob Ishida mir einen Kuss gab oder mich nur berührte." "Und diese Wärme empfandest du jedes Mal?" "Ja, sicher." "Kann ich dich noch was fragen? Bei jedem Mal, wenn ihr zwei zusammen ward, oder wenn du auch nur intensiv an ihn gedacht hast, ist dir da nicht immer etwas ganz entscheidendes ins Auge gesprungen?..." Ich sah Holly erst doof an, weil ich nicht wusste, was sie meinte, aber mein Blick fiel daraufhin sofort aus dem Fenster auf die wild herumfliegenden Schneeflocken. "Die... Die Schneeflocken.", antwortete ich zaghaft und trotzdem bestimmt. "Noch nie sind sie mir so sehr aufgefallen, wie in diesem Jahr. Ich meine, ich freue mich schon jedes Jahr über den ersten Schnee. Aber dieses Mal ist es irgendwie anders..." Ich sah Holly wieder an, die mir plötzlich glücklich zurücklächelte. "Du sagst, du liebst Matt nicht. Aber warum fallen die Flocken dann immer noch?" Auf diese Frage wusste ich keine Antwort. "Aber das ist doch kein Beweis." "Nein, das nicht. Aber es ist ein Hinweis. Als ich mich in Matt damals verliebte, dachte ich ebenfalls, ich könnte ihn eigentlich gar nicht lieben. Ich hatte gerade mal zwei Sätze mit ihm gewechselt, stand am Anfang meiner Pubertät, war von oben bis untern verunsichert, weil ich vorher noch nie geliebt hatte. Der Zweifel war groß, aber diese Schneeflocken gaben mir immer noch ein kleines bisschen Hoffnung, von der ich schon geglaubt hätte, sie wäre mir ganz verloren gegangen. Ich war mir letztendlich sicher, dass ich Matt liebte." "Aber wie konntest du dir so sicher sein, wenn du mal zwei Sätze mit ihm gesprochen hast?" "Von Liebe auf den ersten Blick noch nie was gehört?!?" "Doch, aber ich halte das für Unsinn." "Das meinst du, aber schau doch mal auf den Hinweis vor deinem Fenster..." Ich musste gar nicht hinschauen. Ich merkte auch so, wie die Schneeflocken draußen noch immer ihren wirren Tanz vollführten und mir tat dieser Gedanke weh. Hatte Holly etwa recht? Liebte ich Matt..., äh ich meine Ishida wirklich? "Solange du dich dagegen wehrst, dass es möglich sein könnte, kann das ja auch nix werden. Nicht die Tatsache, dass du Matt weh getan hast frisst dich auf. Dein Zweifel erledigt schon die ganze Aufgabe." In mir fingen an, sich die Gedanken zu überschlagen. Ich wusste gar nicht mehr, wohin damit. Ich liebte Ishida nicht. Ich habe ihn benutzt, ihn verletzt. Aber er hat mir auch das Wärmegefühl gegeben, das ich so vermisste. Und er war der einzige Junge, der das je geschafft hat. Aber ich konnte ihn nicht lieben. Oder doch? Konnte ich ihn doch lieben? "Ein kleiner Tipp. Die Wärme einer Kerzenflamme ist das Sinnbild für das Fest der Liebe..." Vielleicht bedeutete ja auch genau dieses Wärmegefühl die Liebe in mir. Ich trug es immer mit mir, seit ich Yamato das erste Mal nahe gekommen war. Es war egal, wie sehr ich mir vormachte, ihn zu hassen. Wenn er in meiner Nähe war, war auch das Wärmegefühl nicht weit. Bedeutete das wirklich Liebe? Aufrichtige Liebe? "Ich muss dann wieder...", und Holly stand von meinem Bett auf. "Nein, warte, bitte." "Ich muss wirklich los." "Ja, aber... Kannst du mir nicht noch eine Frage beantworten?" "Schieß los." "Liebst du Ishi... Matt eigentlich noch?" "Ja..., ja, ich liebe ihn noch über alles." "Warum machte es dir dann nichts aus, dass ich ihn liebe und womöglich auch noch Chancen bei ihm habe?" "Du hast deine Chancen doch schon längst wahr genommen..." "Weich meiner Frage nicht aus!", Holly drehte sich von mir weg und atmete einmal tief ein. "Warum sollte es mir etwas ausmachen? Wenn ich sehe, wie glücklich er mit dir ist, dann bin auch ich glücklich. Liebe bedeutet auch, den Partner immer das Glück zu geben, das er verdient hat.", jetzt drehte sie sich wieder zu mir hin und lächelte mich an. "Und Matt hat dich verdient. Und du hast auch ihn verdient. Lass ihn nie im Stich. Er ist wertvoller, als du dir vorstellen kannst." "Oh, ich kann mir 'ne Menge vorstellen..." "Ja? Dann multipliziere das mit hundert." "So wertvoll ist er?" "Mehr noch. Ich muss jetzt gehen." "Aber, ich hab' doch noch ein paar Fragen an dich, Holly." "Du kannst mit Matt darüber reden." "Aber Ishida wird das sicher nicht so einfach verstehen." "Ich sagte doch bereits, ... Er ist wertvoller, als du dir vorstellen kannst." Dann öffnete sie die Tür. Aber noch ein letztes Mal drehte sie sich zu mir um. "Und denk immer daran, was ich dir gesagt habe. Er ist wertvoll, also lass ihn nicht im Stich. ... Oh, und bevor ich's vergesse. Hör auf, ihn Ishida zu nennen. Sag doch einfach Matt. Ist viel bequemer...", dann schloss sie die Tür hinter sich. Aber mir fiel plötzlich noch eine Frage ein und ich sprang ihr wie ein Reh hinterher. "HOLLY?", rief ich, aber als ich meine Nase aus der Tür von meinem Zimmer steckte, konnte ich Holly im Gang nicht finden. "Hey, Holly!" "Wen suchst du denn?", wurde ich von meiner Mutter von der Seite angesprochen. "Na, dieses brünette Mädchen. Die, die bestimmt ihr vorhin reingelassen habt." "Du meinst wohl rothaariges Mädchen, was? Sasha sitzt im Wohnzimmer." "Nein, ich meine Holly." "Wer ist Holly?" "Na, das brünette Mädchen.", aber meine Mutter sah immer noch verdattert drein, als ob ich Sulu sprechen würde. "Also ich weiß leider nicht, wen du meinst. Seit heute Nachmittag habe ich die Wohnungsklingel nicht mehr gehört. Aber ich hab' dich gesucht." "Weswegen denn?" "Herr Ishida hat gerade angerufen. Er sagt, sein Sohn sei seit ein paar Stunden nicht mehr in seinem Zimmer, hat keine Nachricht hinterlassen oder sonst irgendwas. Herr Ishida macht sich langsam Sorgen und fragt, ob du nicht weißt, wo Matt ist." Mir entglitten meine Gesichtszüge in eine geschockte Mine, weil ich langsam begriff, was Holly gemeint hatte. "Er... Er ist nicht zu Hause?!?", fragte ich meine Mutter, in der Hoffnung, dass ich mich verhört hatte. "Ja, und es ist noch kein Lebenszeichen von ihm gekommen..." "Scheiße...", brachte ich nur noch heraus, als ich mich dann wieder zu meinem Zimmer drehte und aus dem Fenster starrte. Kein Zweifel. Die Schneeflocken schlugen wie aus wahnsinniger Verzweiflung gegen mein Fenster. "Scheiße...", wiederholte ich allerdings ein oder zwei Oktaven höher, bis ich mich aus meinem schockähnlichen Zustand riss, mir meine Jacke schnappt und Richtung Wohnungstür hetzte. Unterwegs wäre ich beinahe über Sasha gestolpert, die sich mit einem Sprung vor mir noch retten konnte. "Hey, wo willst du denn noch hin?", rief sie mir hinterher. "Du hattest recht. Den Schneeflocken geht's tatsächlich nicht gut. Und entschuldige, dass ich so schroff war. Du hast nachher noch Gelegenheit mich zu verprügeln, aber jetzt muss ich erstmal zusehen, dass ich endlich mal das Richtige tue!!!", brüllte ich noch, bevor ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ. BS4 Wie nah Verzweiflung und Glück doch zusammenliegen Eine Schneeflocke. Und noch eine. Und da ist noch eine. Aber im Moment waren sie eher lästig, als schön und sie erschwerten mir meine Suche, die ich vor einer vermeintlichen Ewigkeit begonnen hatte. Ishida, wo bist du, verdammt!, ging es mir immer wieder durch den Kopf, während ich mich durch die Schneeflocken kämpfte. Meine Sorge über sein Verschwinden machte mir das Vorankommen nicht gerade leicht. Der Schnee stand mir schon bis zum Knie und meine Kraft war so schon am Ende, aber ich konnte und wollte Ishida jetzt nicht im Stich lassen. Ich hab' ihm das angetan. Es ist alles meine Schuld. Hätte ich es gleich von Anfang an verstanden, hätte ich gleich auf die Hinweise gehört, die mir mein Umfeld und mein Körper hingehalten haben, dann hätte ich Yamato nicht weh tun müssen und das alles wäre jetzt nicht passiert. Gott, was nicht alles mit ihm geschehen sein könnte. Es war kalt und dunkel und die Schneeflocken ließen einen schnell den Überblick verlieren. Auch ich musste mir eingestehen, dass ich langsam nicht mehr wusste, wo ich war, und wo ich noch suchen sollte. Ich verlor zu viel Zeit. Das darf doch alles nicht wahr sein. "ICH SCHAFFE DAS NICHT ALLEIN!!!", schrie ich den Himmel an, in der Hoffnung, er würde mir ein Zeichen geben und promot zog der Wind so heftig an meinen Sachen, dass er mir Hollys Taschentuch, das ich unachtsam nur halb in meine Hosentasche gesteckt hatte, aus der Tasche riss und ich dem Stofffetzen hinterher rennen musste. Mann, jetzt auch noch rennen. Ich sprintete dem Stück Stoff hinterher und jedes mal, wenn ich glaubte, es endlich erreicht zu haben, wehte der Wind wieder in kräftigen Zügen auf und riss mir das Taschentuch erneut vor der Nase weg. Nach etwa drei Straßenblocks wurde der Wind etwas schwächer und das Taschentuch legte sich nieder, sodass ich es aufheben und mir wieder in die Tasche stecken konnte. Ich sah mich um. Aber ich erkannt noch immer nicht mehr, als die chaotischen Schneeflocken. Doch plötzlich entdeckte ich etwas von mir entfernt einen dunklen Fleck im Schnee. Ich näherte mich ihm prompt, war aber über meine Fund wenig begeistert. In dem weißen Schnee lag er. Ishida. Er rührte sich nicht sondern lag nur da. "Yamato?", fragte ich, blieb aber dennoch wie angewurzelt stehen. "Eve?", kam es zurück und ich hätte vor Freude schreien können. Ein Lebenszeichen. "Yamato..." Er bewegte sich schwach, hob dann seinen Kopf und sah mich an. Er war ganz blass und seine helle Haut schien mit dem Schnee zu verschmelzen. Ich kam auf ihn zugestürzte und kniete mich zu ihm hinunter in den Schnee. "Eve, was machst du denn hier...?", fragte er mich kraftlos. Ich versuchte ihn etwas aufzurichten. Dabei berührte ich seine Haut. Sie war so kalt wie der Schnee. Was hat der Junge nur wieder angestellt? Ich zog meine Jacke aus, ignorierte, dass ich wie verrückt anfing zu frieren und wickelte Yamato darin ein. Dann nahm ich ihn in den Arm und versuchte, weil ich ja in Biologie aufgepasst habe, meine Körperwärme mit ihm auszutauschen. Aber es war so bitterkalt, dass ich langsam die Hoffnung verlor. Ishida zitterte so stark in meinen Armen, dass ich dachte, gleich würde es seine Haut zerreißen. Er tat mir so leid. Sowas kann man doch einem Menschen nicht antun. Schon gar nicht jemandem, der so derart wertvoll ist. Und es war alles meine Schuld. "Es hat keinen Sinn...", hörte ich ihn flüstern. "Was?" "Es hat keinen Sinn... Du scheinst es immer noch nicht verstan...", Ishida sprach immer leiser, sodass ich seine letzten Worte gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Als ich dann auch noch meinte, seine Atmung würde flacher werden, packte mich die Panik. "Ishida?! ISHIDA!!! Nicht einschlafen. Bitte! Wach wieder auf! Rede mit mir!", ich drückte ihn so fest ich konnte an mich, andernfalls es jetzt vielleicht auch keinen Sinn mehr hatte. Wollte er etwa sagen, dass ich es noch nicht verstanden habe? Aber was denn? Ich habe doch nur... Die Wärme einer Kerzenflamme ist das Sinnbild für das Fest der Liebe... "Ishida...? Ishida, ich.... ...ich liebe dich!", kamen mir zögerlich die Worte aus dem Mund und ohne noch weiter darüber nachzudenken, legte ich meine Lippen auf seine. Erneut ergoss sich das Wärmegefühl in mir, als ich seine kalten Lippen berührte. Ich erzwang sogar eine kleine Öffnung in seinem Mund, sodass ich mit der Zunge hineinfahren konnte. Nein, ich lasse dich nicht noch mal im Stich. Ich weiß jetzt, wie wertvoll du wirklich bist. Und ich weiß auch, dass ich dich mehr als alles andere auf der Welt liebe. Ich liebe dich, Yamato Ishida... Als ich mich von ihm löste und meine Augen wieder öffnete, blickte ich in Yamatos Gesicht. Strahlend blaue Augen blickten zurück. Ich bemerkte auch, dass sich die Wetterlage um mich herum weitgehend beruhigt hat. Die Schneeflocken fielen jetzt, wie am Tag meines ersten Zusammentreffens mit ihm, auf ihre angenehm friedliche Art vom Himmel. War es jetzt nur ein Hinweis, oder war es der Beweis? "Alles klar?", fragte ich den Jungen in meinen Armen. "Wie's aussieht...", lächelte er mich an. "Kann ich dann bitte meine Jacke wieder haben. Ich friere mir gerade den Arsch ab." Yamato grinste darauf hin, setzte sich auf und zog meine Jacke aus, um sie mir dann um die Schultern zu legen. "Aber das ist jetzt sowieso nicht mehr nötig.", sagte er, beugte sich zu mir vor, dass ich gezwungen war, in den Schnee zu kippen, und küsste mich wieder auf seine genial fatale Art, sodass ich das Wärmegefühl in mit aufsteigen fühlen konnte. Aber dieses mal wusste ich, was es wirklich war und ich genoss es. Ich meinte sogar, dass es den Schnee ringsherum zum schmelzen brachte. Ishida hatte Recht. Die Jacke brauchte ich wirklich nicht mehr. Mir war warm genug. "Aber ich glaube, dass es doch im Schnee etwas zu kalt wäre..." "Yamato!!! Ich rette dir gerade das Leben und du denkst nur wieder an Sex." "Hab' ich was davon gesagt?" Wir lachten beide. "Komm, lass uns trotzdem nach Hause gehen." "Kommst du mit zu mir? Die werden sicher nichts vom Weihnachtsessen übrig gelassen haben, aber so dürre wie du bist, schätze ich mal, dass du sowieso nicht viel isst." "Hey, ich bin nicht dürre." "Ja, genau. Und ich wiege zweihundert Kilo." "Wirklich?!? Sieht man gar nicht." Yamato stand auf, reichte mir seine Hand und zog mich dann ebenfalls aus dem Schnee. "Aber eines würde mich noch interessieren. Warum bist du eigentlich nicht mehr mit Holly zusammen? Liebst du sie denn nicht mehr?" Ich hatte erwartet, Ishida damit völlig aus dem Konzept gebracht zu haben. Aber er lächelte nur leicht und ich konnte wieder dieses bisschen Vermissen in seinen Augen erkennen. "Ich liebe sie noch immer. Aber das allein wird sie mir nicht zurückbringen können." "Wieso?" "Sie ist seit genau einem Jahr tot." "Was?!", jetzt hatte er MICH völlig aus dem Konzept gebracht. "Sie ist letztes Jahr an einer Lungenentzündung gestorben..., und es hatte nur mit einem harmlosen Schnupfen angefangen...", und ich glaubte Yamato eine Träne verstecken zu sehen. "Aber das ist unmöglich. Ich habe sie doch..." Hatte ich sie nicht vor einer Stunde noch gesprochen? Und da erschien sie mir noch quicklebendig. Ich zog ihr Taschentuch aus meiner Hosentasche. Erst jetzt betrachte ich es richtig. Auf ihm war der Schriftzug "Die Wärme einer Kerzenflamme ist das Sinnbild für das Fest der Liebe", zu lesen. "Hey, woher hast du das denn? Dieses Platzdeckchen habe ich Holly kurz vor ihrem Tod als Weihnachtsgeschenk gegeben." "Ähm, ich hab's... Das glaubst du mir sowieso nie... Aber is' auch nicht wichtig. Sagen wir's so, es ist mir einfach ins Zimmer geschneit." Yamato sah mich schief an. "Wenn du meinst." "Willst du's zurück?" "Hm, nee. Ich meine, wenn's dir schon ins Zimmer geschneit kommt, dann wird das sicher seine Gründe haben. Findest du nicht?", dann legte er seinen Arm um mich. "Ach, da fällt mir ein. Damit werde ich Holly sicherlich zitieren, aber, woher hast du gewusst, dass ich hier bin?" Ich lächelte ihn überglücklich an und verkündete dann: "Eine Schneeflocke hat's mir geflüstert. Fröhliche Weihnachten, Matt." "Fröhliche Weihnachten, Eve." Und so gingen wir durch die fallenden Schneeflocken... Liebe auf den ersten Blick hin und her, aber was mir in den letzten Wochen passiert ist, war schier unglaublich. Und dass ich auch noch mit Hollys Geist geredet habe, war noch unglaublicher. Aber für jetzt und bis in alle Ewigkeit werde ich diese Zeit sicher nicht vergessen. Eine weiße Schneeflocke mag beim ersten Sonnenstrahl schmelzen. Aber eine blaue Schneeflocke,... ...die hält wohl für immer... ENDE 19.10.03: Oh, Gott, ich hatte mir eigentlich fest vorgenommen, es mindestens Mitte November zu beenden und nicht einen Monat davor. Aber ich muss sagen, für eine kleine Kurzgeschichte über Romantik, war doch ein bisschen viel Mischmasch aus Maya, Anni, Matt, Yamato und Nostalgie mit drin. Von meinem persönlichen Standpunkt aus, und ich bin ja immer diejenige, die sich aus allem raus hält, halte ich mich lieber aus allem raus. Ich bin nur die Autorin und lasse mich von keiner meiner Figuren strafbar machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)