FMP: Nordatlantik von Ace_Kaiser ================================================================================ Kapitel 5: Sternenregen ----------------------- Prolog: „Auf die Plätze, fertig, los!“ Fünf Männer und drei Frauen liefen zugleich los und versuchten die Kurzstrecke von einhundert Metern so schnell wie möglich zu überwinden. Dies war Teil des vierteljährlichen Fitness-Tests von Mithril, und er entschied wesentlich über die Einsatzbereitschaft der Soldaten und Offiziere. Johann Sander betrachtete den Eifer seiner Leute mit Zufriedenheit. Es war heiß auf dem Sportgelände der Styx-Basis, aber dies tat der Aktivität keinen Abbruch. Die Leute wollten zeigen, was sie drauf hatten. Nachdem die Indienststellung der FEANOR so hart erkämpft worden war, nachdem sie nun schon sieben zum Teil schwerwiegende Missionen absolviert hatten, nachdem sie mehrmals Verräter aus ihren eigenen Reihen eliminiert hatten, wollte niemand Schuld daran sein, wenn der Aktiv-Status der FEANOR wieder aberkannt wurde. Es war zu viel geschehen. Zu viele gute Leute waren gestorben und sie hatten auch viel zu viel erreicht. Sander senkte den Blick und kontrollierte seine Notizen. Soweit er es überblicken konnte, waren die Superharrier-Piloten im Schnitt am fittesten. Das lag sicher nicht zuletzt daran, dass das Kommando unter Captain Alexi Valeri täglich Aerobic absolvierte, ein Trainingsprogramm, das die U.S. Air Force speziell für ihre Kampfpiloten entwickelt hatte, um die Männer und Frauen auf dem besten Stand ihrer Fitness zu halten. Darüber hinaus hatten die Kampfpiloten natürlich das dringende Bedürfnis nicht gegen die Arm Slave-Piloten zu verlieren. Die Truppe wurde derzeit von First Lieutenant Samantha Rogers angeführt. Ihr direkter Vorgesetzter, Major Thomas Kramer, befand sich noch immer in Tokyo, aber das tat dem Eifer der Truppe keinen Abbruch. Im Gegenteil. Die drei Zwei Mann-Teams gaben ihr Bestes, um in den kleineren Einsätzen und den Fitness-Tests überragende Ergebnisse zu erzielen. Zu viel war geschehen, gerade für die Piloten der riesigen Kampfroboter, als dass sie sich davon hätten zurückwerfen lassen, dass ihr exzellenter Anführer einen Bodyguard-Job in Japan übernommen hatte, anstatt seine Truppe an zuführen. Johann Sander ächzte müde und rieb sich die Augen. War seit der erfolgreichen Revolution in Rumänien wirklich erst ein Vierteljahr vergangen? Das Ende des Bürgerkrieges in dem ehemaligen Ostblockland unter der Federführung der Gräfin von Friedheim hatte enorme Auswirkungen auf die von Bürgerkriegen zerrissene Region gehabt. Wenn es gelang, dieses eine Land stabil zu halten, dann würde der große Arm Slave-Spielplatz, als den sowjetische und westliche Firmen den Unruheherd missbraucht hatten, in sich zusammenklappen wie ein Kartenhaus. Und damit würden auch die Bürgerkriege in den anderen Nationen rund um das Schwarze Meer endlich ihr Ende finden. Ob sich Thomas Kramer überhaupt bewusst war, was seine geheime Mission in diesem Land bewirkt hatte? Ob er ahnte, dass er unter den Arm Slave-Soldaten der neu gegründeten Landesverteidigungsarmee längst wie eine Sagengestalt behandelt und verehrt wurde? Selbst sein Tod, sein vermeintlicher, wohlgemerkt, inszeniert von Sergeant Sagara, war in diese Legende eingebaut worden. Und nicht nur die Soldaten, gerade die Menschen in dem Land, die nach einer Leitfigur lechzten, die einen Helden gebraucht hatten, sahen seinen Tod nicht als erwiesen an. Nein, solange seine Leiche nicht vor ihnen lag, konnte Kramer auch nicht tot sein. Dass sie damit mehr als Recht hatten, stand auf einem anderen Blatt. Jedenfalls gab es seither immer wieder Gerüchte über einen Soldaten, manchmal auch über einen Arm Slave, der unvermittelt in Gefahrensituationen erschien, Banditen oder marodierende Söldner abstrafte und wieder verschwand. All dies wurde Kramer zugeschrieben. Nun, in einigen Fällen hatten sie sogar indirekt Recht, waren es doch Aktionen von Mithril gewesen. Ein großer Teil jedoch war Wunschdenken, entstanden aus dem Bedürfnis nach einer Leitfigur, einem Helden. Einem modernen Heiligen. Letztendlich verstärkte Sander die Legende mit jeder Aktion seiner Untergebenen, Rumänien fiel in seinen Aufgabenbereich, und damit hatte der militärische Arm von Mithril auch die Pflicht, das zu beschützen, was andere im Namen der Menschlichkeit gewonnen hatten. Einsätze in diesem Land und den anderen Bürgerkriegsnationen waren nicht täglich auf der Tagesordnung, kamen aber vor und waren oft genug notwendig. Müde streckte der Captain der FEANOR die Füße aus. Er hatte den Test als Erster absolviert und beeindruckend bewiesen, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehörte. Im Gegenteil, er hatte seine Laufzeit auf hundert Meter um eine Zehntel Sekunde unterboten. Er war vielleicht vierzig, aber er war noch lange nicht alt. Dennoch wäre es ihm eine große Erleichterung gewesen, wenn Thomas Kramer aufhören würde, für die junge Kim Sanders – die Schwester der Gräfin Anica von Friedheim, wie Thomas während seines Einsatzes herausgefunden hatte – den Schutzengel zu spielen und zu seiner Einheit zurückzukehren. Sein Arm Slave-Team war gut, und Sam eine exzellente Kommandeurin. Aber Kramer war ein Ausnahmepilot wie Clouseau und Sagara. Mit ihm wurden die Arm Slaves der FEANOR erst exzellent. „Kaffee oder lieber was kaltes?“, erklang die Stimme seiner Stellvertreterin hinter ihm. „Kaffee, bitte.“ Commander Allister stellte eine dampfende Tasse schwarzen Kaffees vor Sander ab. Dabei huschte für einen Augenblick ein Lächeln über ihr Gesicht. Fragend runzelte Sander die Stirn. „Ach, nichts, nichts. Ich habe nur vorhin die Prüfung zum dritten Dan in Karate erfolgreich abgelegt. Ich bin vielleicht etwas zufrieden mit mir.“ Sander schmunzelte und nippte an seinem Kaffee. „Es kommt selten genug vor, dass du mit einer Situation zufrieden bist, Sharon. Oder mit jemandem.“ Die Erste Offizierin der FEANOR ließ einen klagenden Ton vernehmen. „Sei nicht so ungerecht, Johann. Ich weiß selbst, dass ich einige Defizite habe und meistens zu hart zu den Leuten bin. Aber genau deshalb hast du mich doch auch ausgesucht. Du bist das Zuckerbrot, und ich bin die Peitsche. Zusammen geben wir einen erstklassigen Kapitän für die FEANOR ab.“ „Da hast du allerdings Recht“, murmelte Sander amüsiert. Als die Britin neben ihm Platz genommen hatte, schob der Captain ihr seine Notizen zu. „Der Durchschnitt sieht gut aus. Gerade Karasovs Infanterie ist hervorragend. Aber hervor stechen die Harrier-Piloten.“ Allister runzelte die Stirn. „Alexi wieder? Es wird wohl Zeit, dass wir ihm und seinen Leuten einen wirklich harten Einsatz geben. Über Sahara und Sri Lanka haben sie sich ebenso behauptet wie bei dem Einsatz im südchinesischen Grenzgebiet, aber das ist anscheinend zu lange her.“ „Erst mal einen haben“, bemerkte Sander seufzend. „Im Moment haben wir nur die Aufgabe, den Friedensprozess in Rumänien zu unterstützen, und das erfordert bestenfalls ein paar Arm Slaves, aber nicht gleich einen Luftschlag oder den subtilen Einsatz von Kampffliegern mit Senkrechtstarterfähigkeiten.“ „Ich denke nicht, das Amalgam sich mit einer Niederlage abgeben wird. Wir haben ihnen Material im Wert von mehreren Milliarden Dollar abgenommen oder zerstört. Wir haben wichtige Leute aus ihren Reihen in die Hand bekommen und verhört. Wir treten ihnen permanent auf die Füße. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die Situation einfach so hinnehmen.“ „Amalgam hat schon Dutzende Rückschläge hinnehmen müssen“, merkte Sander an. „Durch uns, durch die TUATHA DE DANNAN, durch Mithril-Einsatzkräfte rund um den Globus. Und dennoch sucht sich immer noch unser Gegner Ort und Zeit eines Einsatzes aus. Nein, ich glaube nicht, dass wir ihm bereits entscheidend geschwächt haben. Und ich glaube auch nicht, dass wir bereits Ort und Zeit des nächsten Kampfes zwischen uns bestimmen können.“ Sander ballte die Hände zu Fäusten. „Was wir bisher von Amalgam gesehen haben, war nur die Spitze des Eisbergs. Und ich habe Angst vor dem, was unter der Wasseroberfläche noch auf uns lauert.“ Allister räusperte sich verlegen. Schließlich schnaufte sie amüsiert. „Es wird wirklich Zeit, dass unser Rumtreiber endlich heim kommt, oder? Langsam sollte Major Thomas Kramer wieder sein Kommando übernehmen. Wir werden ihn noch bitter brauchen.“ 1. Zugleich an einem anderen Ort auf der Erde, genauer gesagt in einer Zeitzone, die bereits acht Stunden des Tages mehr gezählt hatte, begann ein großer Europäer unvermittelt zu niesen. Verlegen sah er sich um, denn es galt im dicht bevölkerten Land, in dem er sich befand, als extrem unhöflich, seine Viren und Bazillen fromm und frei in der Welt zu verteilen. Aber die Personen, die mit ihm am Tisch saßen, waren zum größten Teil keine Japaner. Sie, das waren neben ihm sechs Mitglieder von Mithril sowie zwei junge Frauen, die man etwas unzureichend mit dem Wort Whispered beschreiben konnte. Er, das war der frisch beförderte Major der Söldnerorganisation. Hier, das war der Ort, an dem endlich eine kleine Party improvisiert wurde, um das Ereignis gebührend zu feiern. Wenngleich nicht alle am Tisch wirklich Anteil an der Feier nahmen. „Tschuldigung“, murmelte Thomas Kramer verlegen und durchsuchte seine Taschen nach einem Papiertaschentuch. „Muss wohl jemand an mich gedacht haben.“ Die blonde junge Frau neben ihm blies entrüstet die Wangen auf. Bei einer Achtzehnjährigen war das ein übermäßig kindliches Verhalten, eigentlich, aber Kim Sanders konnte sich einige Dinge erlauben, von denen ein normales Mädchen nicht einmal zu träumen wagte. Sie hatte auch jedes Recht dazu. Ihre Entführung in Rumänien, ihre Entführung aus einem Forschungsinstitut mitten aus der Tokyoter Innenstadt heraus und ihr kleines Abenteuer in einer Amalgam-Festung an der südchinesischen Grenze gaben ihr sehr viel Spiel für den einen oder anderen Spleen. „Es war ja wohl keine Frau“, bemerkte sie mürrisch. Sie kokettierte gerne mit ihren Gefühlen für den älteren Offizier von Mithril. Tatsache war, sie konnte recht eifersüchtig werden. Und am schlimmsten war es, sobald die Sprache auf Samantha Rogers kam, die derzeitige Kommandeurin der Arm Slaves der FEANOR. Sie sah Kim aus Gründen, die Thomas schleierhaft waren, als stärkste Konkurrentin um seine Liebe an. Um seine Liebe... Ein Thema für sich, das ihm regelmäßig Bauchgrimmen bescherte. Wenn er ehrlich war, dann hielt er sie für zu jung für sich. Auch wenn er erschreckenderweise etwas für sie empfand, was über das Verhältnis eines Bodyguards zu seiner Schutzbefohlenen hinausging, konnte er sich nicht wirklich zusammen mit Kim vorstellen. Das gleiche galt auch für ihn und Sam. Wenn er ehrlich war, dann... „Das würde doch keine Gefahr bedeuten“, warf Kurtz Weber ein. Der Deutsche mit den langen blonden Haaren grinste breit. „Solange Melissa mit am Tisch sitzt, hat er sowieso keine Augen für eine andere Frau.“ Kurtz war vieles. Scharfschütze, Einsatzsoldat, Arm Slave-Pilot... Leider war er zu einem großen Teil seiner Zeit auch ein Idiot und ein Großmaul. Und genau dieses lose Mundwerk brachte ihm nun einen Ellenbogen ein, der senkrecht auf seinem Kopf landete. Nachdem sich der überraschte Weber wieder aufgerappelt hatte, hielt er sich den schmerzenden Schädel und sah Melissa Mao vorwurfsvoll an. „Das tat weh, Neechan!“ „Das sollte ja auch weh tun“, versetzte die Halbchinesin, strafte den Deutschen mit einem vernichtenden Blick und setzte ihr Bier an. In wenigen Zügen hatte sie es geleert. „Habe ich vielleicht gelogen? Außerdem hast du...“ Ein wütender, regelrecht flammender Blick der Offizierin von Mithril ließ den Deutschen verstummen. Mit einem verlegenen Lächeln und zur Abwehr erhobenen Armen rückte er langsam von Mao fort. „Ist schon gut. Habe verstanden.“ „Vielleicht sollten wir uns daran erinnern, warum wir hier zusammen gekommen sind“, meldete sich Kaname Chidori, die zweite Whispered am Tisch. „Immerhin wollen wir die Beförderung von Thomas-niisan feiern, nicht ihn in Verlegenheit bringen.“ Bei den letzten Worten blitzten die Augen von Kurtz erfreut auf. Aber ein Arm, freundschaftlich um seinen Hals geschwungen, ließ ihn von weiteren Aktionen absehen. Der Arm gehörte zu einem weiteren Mithril-Mitglied, Belfangan Clouseau. Der Kanadier hatte einen düsteren Blick aufgesetzt, der von dem dünnen Lächeln kaum kaschiert werden konnte. „Ich bin sicher, unser guter Weber sieht das genauso.“ Bevor der Deutsche mit einem neuen Spruch antworten und entweder sich in Gefahr oder die Anwesenden in Peinlichkeit stürzen konnte, erhob sich ein weiteres Mithril-Mitglied. Sie erhob ihr Glas, gefüllt mit süßer Limonade und sagte: „Prost auf die Beförderung unseres Freundes und Kameraden Thomas Kramer zum Major!“ „Gut gesprochen, Tessa“, meldete sich Thomas lobend zu Wort und nahm damit den Toast von Theresa Testarossa, Captain der TDD-1 TUATHA DE DANNAN, entgegen. Auch die restlichen beiden Mitglieder von Mithril am Tisch, Sergeant Sousuke Sagara und Sho-sa Andrej Kalinin, hoben ihre Gläser. „Ihr macht mich ganz verlegen“, murmelte Thomas und legte eine Hand hinter den Kopf. „Das habe ich doch gar nicht verdient.“ „Jeder, der eine Rangstufe aufsteigt, hat Lob verdient“, ließ sich Melissa vernehmen. Sie zwinkerte den Major über den Rand ihres Glases an und fügte hinzu: „Ich steige auch bald auf. Beeile dich ein wenig, mein guter Thomas, oder ich überhole dich.“ „Keine Sorge. Ich bin eh kein Generalsmaterial. Ich bleibe lieber im Feld. Mit einer überschaubaren Truppe.“ Er nahm einen Schluck von seinem Getränk. „Das ist sowieso nur eine Bezugs-Beförderung. Ich kriege mehr Sold, aber nicht mehr Verantwortung. So viele Arm Slaves passen zum Glück nicht auf eine Dannan-Klasse.“ „So kann man es natürlich auch sehen.“ Andrej Kalinin nickte fest. „Aber bedenken Sie eines, Major: Unverhofft kommt oft. Bevor Sie sich versehen, stecken Sie in einer Situation, in der Sie in Ihrer Verantwortung gefangen sind. Ich weiß, wovon ich spreche. Immerhin habe ich den gleichen Rang wie Sie.“ Thomas zog eine Augenbraue hoch. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. „Nun tue nicht so überrascht, Thomas“, meldete sich Clouseau zu Wort. Der neue Kommandeur der Arm Slave-Teams der DANNAN warf dem Deutschen einen ironischen Blick zu. „Dir war doch schon klar, was dich erwartet, bevor du den Auftrag angenommen hast, oder? Eine Beförderung ist immer mit mehr Verantwortung verbunden.“ „Nicht immer. Ab und zu wird man auch befördert, ohne mehr Verantwortung aufgedrückt zu bekommen, Bel“, versetzte der Deutsche amüsiert. „Zumindest habe ich das gehofft.“ Der Chu-i und der Major maßen sich mit amüsiert-ernsthaften Blicken. „Du hast dich nicht verändert, Thomas“, tadelte Clouseau. „Was man von dir nicht sagen kann. Die Arm Slaves der DANNAN zu kommandieren ist eine große Veränderung. Ich hoffe, du wirst McAllen gerecht.“ Der Name wirkte wie eine kalte Dusche auf den Kanadier. Er räusperte sich vernehmlich. „Nun, er hat mir ein schweres Erbe und ein paar verdammte Individualisten hinterlassen.“ Sein Blick ging über Weber, Sagara und Mao. „Aber ich gebe mein Bestes.“ „Was anderes hätte ich auch nicht von dir erwartet, Bel. Bleib am Ball.“ Clouseau schnaubte leise. „Das muss ich ohnehin. Oder soll ich dabei zusehen, wie die Arm Slaves der FEANOR mein Team überholen? Nicht mit mir, mein Freund.“ „Und das von einem Mann, der als bester Teamleiter der Nordatlantikgruppe galt“, versetzte Kramer mit einem Schmunzeln. „Als Zweitbester“, erwiderte Clouseau ernst. „Zumindest in Europa. Hier in Asien stimmt es.“ „Hast du mich gerade gelobt?“, fragte Thomas gerade heraus. „Oder habe ich mich verhört?“ „Oh, es hat schon seine Gründe, warum du Major bist, und ich Chu-i“, erwiderte der Kanadier amüsiert. „Was hast du erwartet? Ich war schon immer freigiebig in Worten und Taten. Außerdem werde ich... Hm, die Japaner haben ein Wort für jemanden, der einem Dienstjüngeren ein paar Kniffe beibringt und ihm ein paar Weichen stellt. So etwas bist du wohl für mich. Ich werde meinen Senpai nicht vergessen... Auch nicht, nachdem ich an ihm vorbei ziehe.“ Thomas lachte amüsiert auf und wollte schon eine entsprechende Erwiderung vom Stapel lassen, aber übergangslos schien sich sein Magen auf links zu drehen. Er hustete und würgte für einen Moment. Hastig, unter den besorgten Blicken seiner Gäste, erhob er sich, eine Serviette vor dem Mund. „Entschuldigt mich eine Minute.“ Thomas hastete den Weg zu den Toiletten entlang. Das Würgen wurde schlimmer, die Krämpfe begannen ernsthaft zu schmerzen. Eine allergische Reaktion? Als sich die Tür der Herrentoilette hinter ihm schloss, erwartete ihn die nächste drastische Überraschung: Ein Glas Wasser. „Trinken Sie, Kramer, trinken Sie. Es ist ein Gegenmittel darin.“ Hastig griff der Deutsche nach dem Glas, und schon nach dem ersten Schluck milderten sich die Krämpfe. Nach einigen tiefen Atemzügen war er beinahe beschwerdefrei. „Dass ich Sie hier einmal treffen würde...“, murmelte Kramer erstaunt. Der Mann vor ihm nahm das Glas wieder an. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein Steward, wie er auf den Toiletten von mit Sternen ausgezeichneten Restaurants durchaus üblich war, allerdings schien er dafür etwas alt. Thomas kannte ihn persönlich, in der Uniform von Mithril, und mit dem griechischen Buchstaben Omega am Kragen, dem Zeichen für die Intelligence Division. Und normalerweise trug dieser Mann kein schmuckloses weißes Jackett, sondern die Abzeichen eines Tai-sho, oder auch Generalmajors. „Entschuldigen Sie die etwas umständliche Methode, Sie mit Hilfe eines vergifteten Getränks hier her zu locken, aber ich kann es mir nicht leisten, von jemand anderem als Ihnen gesehen zu werden. Kalinin sorgt dafür, dass wir ein paar Minuten ungestört sind“, eröffnete der weißhaarige Mann ernst. Kalinin hatte wahrscheinlich auch das Mittel in sein Getränk getan, das ihn beinahe dazu gebracht hatte, sich zu übergeben. Aber das war jetzt nicht relevant. Thomas straffte sich, so gut es ihm schon wieder gelang. Der Mann vor ihm war Anführer von Mithrils Geheimdienst. Gerüchte besagten, er hätte in einem der härtesten Geheimdienste der Welt sein Geschäft gelernt, der legendären Mossad. „Wie lautet der Auftrag, Tai-sho Amit?“ Der alte Offizier schmunzelte. „Wie immer, Kramer, direkt, schnell im begreifen und gerade heraus. Wir haben eine Ratte in Stabskreisen, und ich denke, Sie sind der Richtige, um sie zu eliminieren.“ „Sir, ich bin Feldoffizier. Dass ich den Rumänien-Einsatz übernehmen konnte, ihn überlebt habe, war neunzig Prozent meines Glücks für dieses Jahr.“ „Über den Befehl wird nicht diskutiert. Sie haben ihn auszuführen.“ „Ja, Sir“, murmelte Thomas. Der Israeli nickte zufrieden. „Gut. In diesem Umschlag ist ein Koordinatensatz. Kalinin borgt Ihnen einen Arm Slave und bringt ihn in die Nähe Ihres Einsatzortes. Sie reisen zivil mit einem weiteren Agenten. Was Sie im Einsatzgebiet tun werden und wie Sie es tun, bleibt Ihnen überlassen. Sie sollen den Baum schütteln, Kramer, und wir werden sehen, was dabei herab fällt.“ „Die Anweisung ist etwas unklar und das Missionsziel undefiniert.“ „Genau so wie Sie es mögen“, erwiderte der Tai-sho mit einem Zwinkern. Thomas atmete tief und lange aus. „Kriege ich neben meinem Begleiter ein Team für die Hinterhand? Wird mich ein Schiff unterstützen, wenn es hart auf hart kommt?“ „Nun, nicht direkt... Sagen wir, es wird sich alles finden. Aber wie gesagt, Sie kriegen einen Partner mit. Sie treffen ihn morgen Abend um acht Uhr morgens am Terminal eins des Narita Airports.“ „Morgen? Was ist mit meinen Pflichten als Lehrer? Was ist mit meiner Arbeit als Bodyguard?“ Amit lächelte dünn. „Wurde alles geregelt. Seien Sie rechtzeitig da, mehr brauchen Sie nicht zu tun.“ „Wer ist mein Partner? Wie lautet unsere Tarnung? Wie ist die Ausrüstung? Sir, kriege ich irgendein Detail? Irgend eines?“ „Sie werden Ihren Partner erkennen, das verspreche ich. Und er wird einen Großteil der Ausrüstung mit sich führen, ebenso wie die Daten über Ihren Bestimmungsort. Der Rest der Operation liegt in Ihren Händen, Kramer. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Und jetzt nutzen Sie entweder die sanitären Einrichtungen oder gehen wieder.“ „Ich wusste, Sie würden so etwas sagen, Tai-sho“, brummte Thomas und trat ans Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Es bereitete dem Deutschen ein geradezu diebisches Vergnügen, General Amit ein Trinkgeld auf den obligatorischen Teller zu legen, als er die Toilette verließ, aber das war nur ein geringer Trost für den ganzen Ärger, der sehr bald auf ihn zu kommen würde. Er konnte sich jetzt schon vorstellen, wie ihn Kim nach der Mission mit Vorwürfen überschütten würde. Immerhin hatte er sein Leben erst vor kurzer Zeit und geradezu sträflich aufs Spiel gesetzt. Nachdenklich betrachtete der Deutsche ein Bild an der Wand, während seine Gedanken woanders waren, weit, weit weg in den Bergen eines Landes, das weniger für dreitausend Jahre Geschichte, dafür aber für seine nicht existierenden Vampire berühmt war und in dem er für die Freiheit und die Sicherheit einer ganzen Nation gekämpft hatte. Eine Ratte im Stab, hatte General Amit gesagt. Nun, Verräter gab es anscheinend genügend bei Mithril, wie er selbst auch schon schmerzhaft hatte erfahren müssen. Andererseits konnte er seine Abenteurer-Seite nicht verleugnen. Er war nicht ohne Grund aus dem EuroKorps ausgetreten und hatte sich von Mithril anwerben lassen. Er hatte sich eine perfekt ausgewogene Mischung aus gähnender Langeweile und Nervenzerreißender Spannung versprochen, und er war nicht enttäuscht worden. Allerdings schien die Nervenzerreißende Spannung in letzter Zeit erheblich zu zu nehmen. Wo würde es wohl hingehen? Und wer würde ihm zugeteilt werden? Sagara vielleicht, das wäre eine gute Wahl gewesen. Mit ihm hatte er schon mehrfach gearbeitet und er wusste ihn zu schätzen. Andererseits war der Junge ein Militär-Freak und für einen Undercover-Einsatz nicht wirklich zu gebrauchen. Kurtz Weber? Eine rein deutsche Mission irgendwo im Ausland? Der Mann war ein passabler Scharfschütze und ein vortrefflicher Arm Slave-Pilot, und wenn er mal die Klappe hielt auch sehr angenehm. Oder kam er mal wieder dazu mit Bel zu arbeiten? Dem trockenen, aber geradezu artistischen Arm Slave-Piloten, dem die Welt immer zu klein war? Oder würde es einer seiner Kameraden von der FEANOR sein? Vielleicht überhaupt kein Arm Slave-Pilot, sondern ein Geheimagent? Immerhin kam die Mission ja direkt von Amit. Andererseits hatte der Israeli gesagt, er, Thomas, würde seinen Begleiter erkennen. Ehrlich gesagt, in diesem Moment wäre er am liebsten sofort aufgebrochen und hätte die Party gesprengt. Es war vielleicht ganz gut, dass der Abflug erst um acht Uhr morgens erfolgen sollte. Thomas lächelte über sich selbst und ging zu den anderen zurück. *** Der nächste Morgen erfolgte ohne große Worte. Sousuke Sagara, bei dem Thomas immer noch wohnte, verabschiedete ihn wortlos. Er ahnte, wusste, begriff, das der Major einen Auftrag hatte, der es ihm schon wieder nicht gestattete, sich von den anderen zu verabschieden, geschweige denn mit anderen darüber zu sprechen. „Du erklärst alles für mich?“, fragte der Deutsche im Scherz. Sagara hustete erschrocken. „Verlange nichts Unmögliches von mir, Thomas.“ Er lachte zu Sagaras Worten, und der junge Söldner tat etwas, was er nur selten tat, er lächelte. Dies war der letzte Eindruck, den Thomas von ihm hatte, bevor er die Wohnung verließ. Auf der Straße wartete bereits ein Taxi auf ihn. Kurz sah der Arm Slave-Pilot die Fassade des gegenüberliegenden Gebäudes hoch zu Kaname Chidoris Wohnung, in der seine Schutzbefohlene Kim Sanders Unterschlupf gefunden hatte, aber dort bewegte sich nichts. Sie und Kim mussten gerade mitten in den Vorbereitungen für die Schule stecken. Kurz entschlossen und sehr froh über diesen schmerzlosen Abschied stieg der Deutsche ein. „Kaneda“, sagte er schlicht. Der Fahrer bestätigte und fuhr los. Während der Fahrt gingen dem jungen Offizier tausend Gedanken durch den Kopf. Obwohl, so jung war er gar nicht mehr. Natürlich hatte er den Rang eines Majors bei Mithril überraschend früh erreicht, aber davor hatte er eine Karriere beim Eurokorps gehabt und hatte fast von Null beginnen müssen. Er hatte viel gesehen, viel erlebt und viele kleine Träume gehabt. Sein größter Traum hatte sich beinahe erfüllt, als er in Rumänien geholfen hatte, den unsäglichen Bürgerkrieg zu beenden. Der Unwillen oder die Unfähigkeit seiner Regierung, hier zu intervenieren, zum Wohle von Millionen Zivilisten, hatte ihn überhaupt erst Mithril in die Arme getrieben. Zu gerne hätte er seinen nächsten Einsatz nun in Weißrussland gehabt, einem ebenfalls vom Bürgerkrieg gezeichneten Land. Oder in Bulgarien, seinetwegen Kasachstan oder Georgien. Überall dort lebten Menschen, hatten Familien und litten unter der alltäglichen Gewalt rings um sie. Viele, nahezu alle wurden in diesen Strudel hineingezogen, der dadurch noch mächtiger wurde und noch mehr Gewalt säte... Aber Thomas hatte diese Pläne schon seit einer langen Zeit aufgeschoben. Denn es gab eine Macht hinter all dem, die einen Bürgerkrieg wieder und wieder anfachen konnte, wenn man sie nicht ein für allemal beseitigte: Amalgam. Zwar mochte es morgen schon einen neuen Gegner geben, neue Gefahren und neue Waffen, aber darum würde er sich kümmern, wenn es soweit war. Nun hieß es erst einmal, Amalgam weiter zurück zu treiben. War dies gelungen, würde auch der Friedensprozess in den Bürgerkriegsnationen ähnlich wie in Rumänien endlich in Gang kommen. Seine Mission, seine neue, die er irgendwo auf den Narita-Flughafen antreten würde, hatte sicherlich direkt damit zu tun, dessen war er sich sicher. Eine Ratte, also einen Verräter aus dem Stab Mithrils zu entfernen war eine gewagte, gefährliche und lebensbedrohliche Mission, aber er sah ganz deutlich die Notwendigkeit, es zumindest zu versuchen. Zu viele guten Soldaten waren in letzter Zeit gestorben, weil Mithril Verräter in den eigenen Reihen gehabt hatte. Ein Verräter in diesem Kreis aber, der Führungsriege der Söldnerorganisation, konnte alles gefährden und sie allesamt arbeitslos machen, sie vielleicht töten, oder noch schlimmer, ihren hochtrabenden Idealen ein Ende bereiten. Und das hätte Thomas persönlich nicht sehr gut aufgenommen. Falls er zu diesem Zeitpunkt noch lebte. Lange bevor er ausstieg, erkannte er seinen Kontaktmann von weitem. Es konnte gar nicht anders sein, jede andere Möglichkeit konnte er getrost ausschließen. Der alte Israeli hatte ihn zusammen gespannt mit... Melissa Mao. Einmal mehr fragte sich Thomas, was ihn erwarten würde, denn die China-Amerikanerin trug ein luftiges blaues Sommerkleid, das vielleicht der Saison gerecht wurde, aber sicher nicht ihrem Charakter. Als er das Taxi verließ, winkte sie aufgeregt und kam zu ihm herüber. „Hallo, Schatz. Ich war so nervös, ich musste einfach früher hier sein. Oh, ich freue mich ja so.“ Thomas musste schlucken. Zuerst hatte ihn Melissas Auftritt irritiert, vor allem die hohen Pumps, die er niemals, nie, wirklich absolut NIE mit dieser Frau in Zusammenhang gebracht hätte. Und nun bewies sie, dass sie auf Pfennigabsätzen laufen konnte. Nun, ihre Umarmung und der Kuss auf die Wange irritierten ihn auch, aber glücklicherweise neigte das menschliche Gehirn dazu, einen Filter vor die Wahrnehmung zu schrauben, wenn es überfordert wurde. So gelang es ihm sein Entsetzen unter Kontrolle zu halten. „Hallo... Melissa?“ „Was bist du denn so steif? Macht es dich so nervös? Willst du es dir noch mal überlegen? Es ist normal, dass Männer kurz vor der Hochzeit kalte Füße bekommen, habe ich mir sagen lassen. Und wenn du noch etwas Zeit brauchst und nicht in Las Vegas heiraten willst, verstehe ich das. Wir können auch bei dem Fest, das wir für unsere Familien geplant haben den Bund der Ehe eingehen.“ Langsam, sehr langsam beugte sich der Deutsche vor und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Na, die Mission ging ja schon mal sehr gut los. „Kalte Füße? Ich? Wie kommst du denn darauf? Ich habe nur die ganze Nacht nicht schlafen können, so sehr habe ich mich auf diesen Flug gefreut. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich auch ein wenig spiele in Vegas, oder?“ Mit einem gespielt mürrisch-beleidigten Blick sah sie ihn an. Eine Bühnenreife Vorstellung, die ihm die Nackenhaare aufrichtete. „Ich wollte mit dir aber in die ganzen Shows gehen, Thomas.“ Der Deutsche lachte. „Ich glaube, wir werden sehr viel Zeit haben, um unsere Zeit in Las Vegas richtig zu genießen. Und ja, wir schauen uns die Shows an. Eine nach der anderen. Denn je mehr wir hinter uns bringen, desto mehr Zeit haben wir für uns allein, Melissa.“ „Thomas“, schnurrte sie. „Du bist mir ja einer.“ „Du solltest den Mann den du heiratest mittlerweile kennen, oder?“ „Und dennoch schaffst du es immer wieder, mich zu überraschen.“ Sie hakte sich bei ihm ein. Ihr Gepäckträger hatte derweil Thomas´ Koffer vom Taxifahrer übernommen. Derart gerüstet betraten sie das Terminal. Melissa streckte eine Faust in die Höhe und rief: „Vegas, wir kommen!“ Thomas stimmte ein. Nun, die Mission würde zumindest nicht langweilig werden. Und deutlich erkannte er, dass nicht er es sein würde, der den Baum schütteln würde, wie Amit sich ausgedrückt hatte. Das würden andere tun. Er und Melissa würden nur alles dafür tun, damit es geschah. Vielleicht waren sie sogar der Baum. Nicht der schlechteste Vergleich und nicht die schlechteste Mission. Wirklich nicht die schlechteste Mission. „Missionsparameter?“, hauchte der Deutsche, ohne die Lippen zu bewegen. „Nicht hier“, erwiderte Melissa. „Später.“ Thomas nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Interessant bedeutete auch immer gefährlich, und Melissa Mao war dafür ein Garant. Er mochte eigentlich beides recht gerne. Warum sonst war er Söldner geworden? „Gehen wir es an“, brummte er entschlossen. 2. Als Sousuke Sagara diesen Morgen durch seinen Türspion sah, spürte er, wir ihm der kalte Schweiß ausbrach. Die beiden jungen Frauen, die ihn auf der anderen Seite seiner Haustür erwarteten, lächelten zwar so wundervoll, dass ein normaler Mensch am liebsten seinen Fotoapparat geholt hätte... Aber dieses Lächeln würde verschwinden, sobald sie erfuhren, das Thomas Kramer erneut auf einer Geheimmission war. Doch es half alles nichts, die Konfrontation war immer noch die beste Verteidigung. Entschlossen öffnete er die Tür und wehrte ihren fröhlichen Morgengruß mit einer Hand ab. „Kommt erstmal rein“, sagte er stattdessen und ging voran. „Kaffee? Tee?“ „Tee!“, ließ sich Kaname Chidori vernehmen. „Für mich nichts, danke“, sagte das andere Mädchen, Kim Sanders. Und dann kam die Frage, vor der sich der Gun-so gefürchtet hatte. „Wo ist Thomas?“ „Weg“, sagte er lapidar. „Wie, weg?“ Kim runzelte die Stirn. „Weg, er kommt gleich wieder, oder weg, weg?“ „Weg, weg“, erwiderte Sousuke. Kim seufzte tief und schwer. „Dieser Mann ist ja nicht zum aushalten. Kann der denn nicht mal zur Ruhe kommen? Ist er schon wieder auf einer Mission?“ Kaname sah sie mit Mitgefühl an. Innerlich atmete Sousuke auf. Die beiden nahmen es mit Fassung, und rissen ihm nicht sofort den Kopf ab. Aber sicherheitshalber ließ er seine Abwehr nicht sinken. Genau bis zu dem Moment, an dem das Telefon klingelte. „Soll ich ran gehen?“, fragte Kaname. „Nein, lass mal. Wir müssen sowieso gleich los, und ich will mich nicht hier fest reden müssen, wenn wir längst auf dem Weg in die Schule sein sollten. Außerdem ist der Anrufbeantworter eingeschaltet.“ Für seine Begriffe war das ein langer, nicht militärischer Vortrag gewesen, und er fand, er hatte alle Klippen gut umschifft. „Sie sind mit dem Anschluss von Sousuke Sagara verbunden. Ich befinde mich derzeit nicht in Reichweite dieser Kommunikationseinrichtung. Wichtige Nachrichten schicken Sie bitte per Boten oder auf einem anderen zuverlässigen Weg. Dringliche, nicht der Geheimhaltung unterliegenden Botschaften hinterlassen Sie bitte nach dem Piep.“ „Kurtz hier! Sousuke, ich werde dich gleich auf deinem Handy anrufen, und wenn du da nicht ran gehst, dann ist das deine eigene Schuld! Melissa-neechan ist gerade durchgebrannt!“ Kurtz Weber machte eine Atempause. „Und jetzt rate mal mit wem.“ Sousuke Sagara erstarrte. Seine Hände krampften, und deshalb starb die Kaffeetasse für Kaname den Heldentod auf den Fliesen. Nicht, dass ihn diese Worte besonders erschreckt hätten. Er hatte eben nur eins und eins zusammen gezählt, und die beiden Frauen wahrscheinlich auch. „Sousukeeeee....“, raunte Kaname Chidori wie ein wütender Oni. Kim war derweil zum Telefon gestürmt. „Kurtz! Was hast du gerade gesagt?“ „Kim, bist du das? Na, dann habe ich ja gleich die Richtige dran. Dich wollte ich hier nach anrufen. Melissa und Thomas sind durchgebrannt, soweit ich weiß fliegen sie in diesem Moment vom Flughafen Narita in die U.S.A., genauer gesagt nach Las Vegas.“ „WAS?“, gellte Kims entsetzter Ruf auf. „NACH VEGAS?“ „In die Stadt mit der höchsten Kapellendichte der Welt“, bestätigte der Deutsche. Dabei lag eine Genugtuung in seiner Stimme, die Sousuke beinahe sehen konnte. Entsetzt sah die blonde Frau die Japanerin an. „Die beiden wollen heiraten!“ „Also... Ich... Also... Melissa ist eine gute Freundin, und ich kenne Thomas jetzt auch sehr gut, aber... Also...“ „Kaname-chan“, flehte Kim. Das Mädchen mit den langen dunklen Haaren seufzte ergeben. Ihr Blick schnellte zu Sousuke herüber. Abwehrend hob der Gun-so beide Hände in Kanames Richtung. Manchmal war rechtzeitige Kapitulation der einzige Weg um zu überleben. „Egal, was ihr beiden wollt, ich mache es.“ Sekunden darauf bereute er seine Worte schon wieder. Der Ärger begann. „Also, zu was habt ihr euch entschieden?“, klang Webers viel zu fröhliche Stimme auf. „Na was wohl! Wir fliegen hinterher!“, rief Kim. „Wenn du mit willst, wir treffen uns in Los Angeles!“ „Die Frau gefällt mir!“, rief der deutsche Scharfschütze hoch erfreut und legte auf. Sagara hatte sich mittlerweile in sein Schicksal gefügt. Er aktivierte seinen Laptop, ging ins Web und fragte: „Soll ich Economy oder Business buchen?“ Chidori umarmte Sousuke von hinten, um selbst einen Blick auf den Laptop werfen zu können. „Du denkst mit. Sehr gut, Gun-so.“ Sousuke schluckte trocken. Nicht, das er ihre Nähe nicht mochte, aber konnte sie ihm nicht etwas Freiraum lassen, um sich zu konzentrieren? *** Das Flugzeug war ein Airbus 399, das Flaggschiff der neuesten Generation. Sie hatten eine separate Kabine, und eine freundliche Stewardess hatte ihnen einen Eiskübel mit Champagner bereit gestellt. Der Raum verfügte über ein Schloss von innen, eine eigene Dusche und eine sehr bequeme Liegecouch sowie zwei äußerst bequeme Sessel, von denen man wunderbar den Fernseher mit seinen achtzig Kanälen beobachten konnte. Nur die Fenster waren winzig, aber das war bei einem Flugzeug auch nicht anders zu erwarten. Thomas setzte sich in einen der Sessel, zog sein Handgepäck heran und begann aus vielen kleinen Einzelteilen ein relativ simples Gerät zusammen zu basteln, welches elektrische Felder anmaß. Damit suchte er die üblichen Plätze für Wanzen und Minikameras ab. Selbst den Fernseher kontrollierte er in nicht aktiviertem Zustand. Derweil kümmerte sich Melissa um den Champagner und schenkte zwei Gläser ein. Als sie eines davon dem Major reichte, fragte sie: „Und?“ „Sieht sauber aus. Unsere Aktion kam wohl zu schnell, als dass unsere Gegner hätten reagieren können.“ Er nahm das Glas entgegen und stieß mit ihr an. „Auf unsere Hochzeit.“ „Auf unsere Hochzeit.“ Beide tranken einen kurzen Schluck, und Thomas hob beide Augenbrauen. „Dom Perignon? Mithril lässt sich diese Mission ganz schön was kosten.“ „Wir werden unser Leben riskieren, noch weit mehr als die Urzu im innerchinesischen Grenzkonflikt in Hong Kong oder bei unserer gemeinsamen Aktion, um Tessa und Kim im Grenzland zu befreien. Da werden wir die Spesenabrechnung bestimmt nicht beschönigen, Thomas.“ Der Deutsche nickte beiläufig und begann das Gerät wieder zu zerlegen. „Dann sollten wir vielleicht die Minibar plündern.“ „Minibar?“ Melissa lachte glucksend und öffnete einen Schrank. Zum Vorschein kam ein Kühlschrank, der bis zum Rand mit... Bier gefüllt war? „Ich war so frei, auch das auf unsere Spesenrechnung zu setzen.“ Sie öffnete zwei Flaschen und stellte eine neben Thomas ab. Dann setzte sie sich zu ihm. „So, und jetzt reden wir über die Mission, mein lieber Verlobter.“ Zehntausend Meter über dem Pazifik sahen sich Melissa Mao und Thomas Kramer lange und ernst in die Augen. Die Missionsparameter hatten es in sich, das Missionsziel zu erreichen erschien Thomas, nun, wenn schon nicht schwierig, so doch sehr komplex. Aber bevor sie dort hin gelangten, stand ihnen erst einmal Vegas bevor. „Die Sache schmeckt mir nicht. Ich bin es gewohnt mein Leben zu riskieren, aber nicht das meiner Freunde!“ „Es wird so weit überhaupt nicht kommen, Thomas. Vertrau mir.“ „Ich vertraue dir ja. Ich vertraue dir mein Leben an. Aber Melissa, bitte, das geht zu weit! Vor allem sind wir allein auf weiter Flur! Es gibt da niemanden, auf den wir zurück greifen können!“ „Für einen Teil der Mission sind wir sicher auf uns gestellt. Aber das wird nicht lange so bleiben.“ Die Amerikanochinesin lächelte verschmitzt. „Kurtz sollte jetzt bereits von Chu-sa Kalinin gesteckt bekommen haben, wofür ich meinen eilig eingereichten Sonderurlaub brauche.“ „Und der hat sicher nichts eiligeres zu tun als Kim anzurufen“, murmelte Thomas. „Zuerst wird er Sousuke anrufen. Da bin ich mir sicher. Danach erst macht er die Pferde wild. Und so beginnt es.“ „Das schmeckt mir nicht! Es sind zu viele Unbekannte in diesem Plan! Wenn ich sterbe, meinetwegen, aber ich könnte es mir nie verzeihen, wenn Kim etwas passiert.“ Mürrisch lehnte Thomas sich zurück, das halb ausgetrunkene Bier in der Hand. „Ich frage mich, wie Amit das rechtfertigen will.“ „Das ist der Knackpunkt. Wir werden auf sie alle aufpassen müssen, wenn es soweit ist.“ „Falls es soweit ist“, schränkte der Major ein. Er nahm einen Schluck Bier. „Wie bist du da überhaupt rein gerutscht? Weiß man im Oberkommando etwa, das ich dein heimlicher Verehrer bin?“ „Heimlicher Verehrer? Ich habe noch nie Blumen von dir bekommen“, neckte sie. „Oh, ich dachte eher daran, einen Savage der ersten Baureihe zu schießen, wieder flott zu machen und dir zu verehren. Ordinäre Blumen, pah.“ Sie legte die Rechte auf ihre Brust. „Mein Held.“ „Hättest du ihn angenommen?“ „Ich hätte ihn zumindest nicht übersehen können. Aber, mein lieber Thomas, manchmal sind Blumen doch die richtige Methode der Kommunikation.“ Der Deutsche runzelte die Stirn. „Die Blumen habe ich überprüft. Keine Kommunikationseinrichtung drin.“ „Thomas“, tadelte sie mit einem amüsierten Lächeln. „Also, warum bist du da rein gerutscht? Immerhin musst du mich in Vegas rechtskräftig heiraten.“ „Denkst du etwa, das ist mir unangenehm? Beileibe nicht, mein lieber Thomas.“ Der Deutsche hüstelte verlegen. „Weich mir bitte nicht aus.“ Melissa seufzte leise. „Hast du schon von der hellenischen Operation gehört, die wir letztes Jahr in Hong Kong durchgeführt hatten?“ „Die, wo euer Berater alle Funkdaten an ein Kommando von Amalgam weitergegeben hat? Die, bei der ein weiblicher Attentäter unter den Geiseln war und drei eurer Infanteristen getötet hat? Die, in der ihr euch entschlossen habt, das Gegenteil von dem zu tun, was ihr über Funk weitergebt, frei nach dem Motto: Alle Hellenen sind Lügner?“ „Genau die Mission. Ich wusste, das du gut informiert bist.“ „Ich war so frei, auf dieser Basis ein Kommunikationstraining mit meinen Leuten zu machen. Uns soll so eine Schweinerei nicht passieren.“ „Codeworte?“ „Codewort-Ketten. Erschien mir sinnvoller und eindeutiger. Wir können damit zwanzig Befehle geben. Falls meine Jungs und Mädels nicht wieder die Hälfte vergessen haben.“ Melissa schmunzelte. „Wir haben ihn gejagt.“ „Wen? Den Verräter?“ „Richtig.“ Sie strich sich durch ihr kurz geschorenes Haar. „Er wurde in der italienischen Villa eines Mafiosi aufgespürt, der ihm noch ein paar Gefallen schuldete. Ich und Kurtz schleusten uns während einer Party ein. Ich mit langer Perücke und einem netten kleinen Hauch von fast gar nichts, um die Ratte in eines der Zimmer zu locken, Kurtz mit einer Glock. Du kannst dir nicht vorstellen, wie überrascht der Bursche war, als sich seine sicher geglaubte Nummer in seinen persönlichen Albtraum verwandelte.“ „Kann ich mir vorstellen. Hast du in dem Ding Unterwäsche getragen?“ „Keinen BH. Warum fragst du? Wenn du Fotos willst, dann frag Kurtz. Der hat bestimmt welche gemacht.“ „Vielleicht mache ich das sogar. Aber eigentlich wollte ich nur wissen, was du auf dich nimmst, um deine Rolle perfekt zu spielen, mein Schatz. Ich wüsste halt gerne, wer von uns mehr Erfahrung auf diesem Gebiet hat, und im Moment sieht es so aus, als wärst du mir überlegen. Ich war nie ein besonders guter Nahkämpfer, aber ich konnte immer sehr überzeugend lügen.“ Thomas trank sein Bier aus. „Noch eins?“ „Warum nicht? Der Flug dauert noch zehn Stunden. Und wenn dir keine andere Beschäftigung einfällt, können wir auch den Kühlschrank plündern.“ „Andere Beschäftigung?“, raunte Thomas. „Ach, habe ich dein Interesse geweckt?“, erwiderte sie lächelnd. Sie erhob sich und holte zwei neue Flaschen. „Du weißt, das ich dich mag, Melissa. Wahrscheinlich etwas zu sehr als gut für mich ist“, gestand der Deutsche, als sie ihm das neue Bier reichte. „Wie meinst du das, Thomas?“ „Ich hätte in all der Zeit, die wir schon zusammen kämpfen nie etwas dagegen gehabt, wenn was ernsteres aus uns geworden wäre. Aber das wäre schon aus meiner Sicht heraus... Nicht einfach geworden, denn ich hätte die FEANOR nicht permanent verlassen. Und du, nur einmal angenommen, wir wären wirklich zusammen gekommen, hättest niemals Tessas Nähe verlassen, geschweige denn die TUATHA DE DANNAN. Außerdem habe ich gerade das Gefühl, mich vor dir unsterblich blamiert zu haben.“ „Wieso? Ich heirate dich doch in Vegas“, erwiderte sie mit einem Schmunzeln. „Und in unseren Operationsparametern steht nirgends, das wir uns wieder scheiden lassen sollen.“ „Siehst du? Da beginnen schon die Probleme. Wir hätten schon vor der Mission den Trennungszuschlag für Ehepaare beantragen sollen.“ „Schade, Thomas, dass du mit einem Witz geantwortet hast. Sonst hättest du vielleicht eine ehrliche Antwort von mir bekommen.“ Langsam lehnte sie sich im Sessel zurück und öffnete ihr Bier. „Willst du noch etwas wissen?“ „Ja. Heiratest du mich aus Liebe oder wegen meines unglaublich großen Vermögens?“ Melissa taxierte ihn einen Moment, bevor sie sich wieder ihrem Bier widmete. „Aus Liebe, schätze ich.“ „So schlecht ist mein Sold nun auch wieder nicht.“ „Frag mich das bitte noch mal wenn du General bist, okay?“, erwiderte sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag. „Und jetzt sollten wir über unser dringlichstes Problem reden.“ „Wo wir ansetzen?“ „Nein. Brautkleid oder informell?“ „Also, ich sehe im Anzug wahnsinnig gut aus, Mithril kriegt die Rechnung, und vielleicht verfällst du mir ja mit Haut und Haaren, wenn du mich aufgebrezelt siehst, Melissa.“ „Meinst du es gibt schwarze Brautkleider in Vegas?“ Unschuldig sah sie ihn an. „Muss ich dann etwa weiß tragen?“, argwöhnte der Deutsche. Die beiden sahen sich an und begannen zu lachen. *** Die Ankunft in Los Angeles gestalteten sich relativ unspektakulär. Thomas wurde als Deutscher problemlos durch den Zoll gelassen, und Melissa war ohnehin Amerikanerin. Doch das war auch der einzige positive Aspekt, denn die So-sho, was dem Master Sergeant in der Nordatlantik-Flotte entsprach, hatte ihr Bestes gegeben, um den Biervorrat im Kühlschrank heftigst zu dezimieren. Das Ergebnis war eine Teils aufgekratzte, Teils schläfrige Melissa Mao, die sich streckenweise auf seine Schulter stützte. Unter normalen Umständen wäre ihm das mehr als Recht gewesen, aber immerhin befanden sie sich auf einer Mission. „Beruhige dich, Thomas“, säuselte sie in einem ihrer euphorischen Momente. „Wir reisen hier als Liebespaar ein, das heiraten will. Also müssen wir uns auch ein wenig so benehmen. Außerdem beginnt unsere Mission erst in Las Vegas.“ „Natürlich, Schatz. Wann geht unser Anschlussflug eigentlich?“ „Oh, wir haben über zwei Stunden Zeit, bevor sie uns überhaupt boarden lassen. Sei unbesorgt. In der Zeit könnten wir zu Fuß die Landebahn dreimal rauf und runter gehen. Lass uns so lange einen trinken gehen.“ „Melissa...“, mahnte Thomas. „Was denn?“, murrte sie und umklammerte seinen linken Arm. „Sei nicht so gemein zu mir. Immerhin will ich dich heiraten.“ „Was uns gleich zur nächsten Frage bringt. Müssen wir uns bei der Zeremonie küssen?“ Argwöhnisch sah die Amerikanochinesin zu dem größeren Deutschen auf. „Was heißt hier denn müssen, Herr Kramer?“ „Schon gut, schon gut“, brummte Thomas als Erwiderung. Er hatte gewusst, dass Melissa Mao Alkohol ziemlich gut vertrug, und anscheinend war sie auch im Moment nicht annähernd so betrunken wie sie tat. Sie konnte ihn immer noch jedes Mal überraschen. Für einen Moment fragte er sich, ob es in ihrer Ehe – ihrer gefaketen Ehe – wohl genauso sein würde. „Thomas!“, rief eine bekannte Stimme. Der Deutsche blieb stehen und wandte sich um. Was er sah, ließ ihm einen kalten Schauder über den Rücken laufen. Er starrte auf eine Wand schwarzer Anzüge. Die Männer, die in den Anzügen steckten, trugen stilecht schwarze Sonnenbrillen und waren eindeutig chinesischer Abstammung. Für einen Moment fühlte er sich, als würde ihm jemand mit einem Vorschlaghammer über den Kopf hauen, auf dem dick und breit „Triaden“ stand. Zu der Stimme gesellte sich ein Arm, und schließlich ein bärtiges Gesicht. Ihn hier zu sehen hätte Thomas am wenigsten erwartet. Und vor allem nicht in vollem Schutz der Triaden, mit denen er zwar über seine Frau Lin verwandt, aber nicht unbedingt in Liebe verbunden war. Auf einen Wink von ihm öffnete sich die Reihe ein wenig, und Hausen trat aus ihrer Mitte hervor. „Thomas. Miss Mao.“ Er begrüßte beide mit einem Handschlag. Nun, man konnte nicht sagen, dass sie beide Freunde waren, aber sie respektierten einander genug, um sich zu duzen. Und so arrogant einen anderen Söldner zu verteufeln, weil er selbst in der ach so reinen und tugendhaften Mithril-Organisation arbeitete, der andere aber Freiberufler war, war er beileibe nicht. „So viele Bodyguards? Hast du deine Familienverhältnisse geordnet, Robert?“ Der bärtige Deutsche lächelte schief. „Lins Vater hat meinen vollen Schutz angeordnet. Anscheinend will er nicht, dass der Vater des Kindes seiner einzigen Tochter zu Schaden kommt. Die Jungs sind recht praktisch, aber von Geheimhaltung verstehen sie absolut nichts. Nicht, dass ich im Moment mehr machen müsste als ein paar Botengänge, um nicht völlig einzurosten.“ Thomas nickte verstehend. Die Prämien, die Hausen sich im letzten Jahr verdient hatte, vor allem weil er Mithril so ziemlich alles verraten hatte, was er über seinen letzten Arbeitgeber Amalgam wusste, hatte aus ihm einen sehr reichen Mann gemacht. Arbeiten brauchte er wahrlich nicht mehr. Allerdings reichte es auch nicht, um sich so einen Schutz zu leisten. Wobei eine Horde auffällig herum laufender schwarzer Anzüge dabei kontraproduktiv war. Thomas schätzte nicht ohne Grund, dass einige der unauffälligen Passanten, die Zeitungen lasen oder telefonierten, in Wirklichkeit auf der Lohnliste von Hausens Schwiegervater standen. „Hast du deine Frau nicht mitgebracht?“, fragte Thomas freundlich. „Lin ist einkaufen. Ich fliege etwas früher, weil ich noch einen Geschäftstermin in Vegas habe. Und, was macht ihr zwei schönes? Wenn man euch so sieht könnte man glatt meinen, ihr seid privat unterwegs.“ Melissa Mao lachte glucksend. „Das kann man so sagen. Wir sind durchgebrannt und wollen in Las Vegas heiraten.“ Thomas konnte dabei zusehen, wie der Mann erstarrte, erbleichte und die Augen aufriss. Er schnappte nach Luft wie ein Karpfen auf dem Trockenen und fand erst nach mehreren Versuchen die Stimme wieder. „Habt ihr euch das auch gut überlegt? Ich meine das nicht, weil ich denke, ihr wärt kein tolles Paar. Aber ihr habt beide einen verdammt gefährlichen Job, und soweit ich weiß, gibt es noch mehr Aspiranten auf die Titel Mrs. Kramer und Mr. Mao.“ „Natürlich haben wir uns das nicht überlegt“, sagte Melissa und legte ihren Kopf an Thomas´ Schulter. „Das war eine ganz spontane Entscheidung, als wir die Plagegeister endlich mal los waren und uns lange und gründlich in die Augen sehen konnten. Der Rest ging dann ganz schnell.“ Innerlich schwitzte Thomas Blut und Wasser. Er beugte sich zur Seite und gab Melissa einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, wobei er sich bemühte, so natürlich wie möglich zu sein. Dazu lächelte er sein bestes falsches Lächeln, zu dem er fähig war. „Furchtbar schnell. Man kann es nicht glauben, wenn man es nicht selbst erlebt hat, wie verbohrt manche Menschen sein können, bis sie eine so einfache Wahrheit sehen.“ „Oooh, das hast du schön gesagt, Thomas.“ Mit glänzenden Augen sah sie ihn an. Der große Deutsche musste sich räuspern und war sich sicher, das nun heftige Röte seine Wangen zierte. „Äh, na dann... Dann gratuliere ich aber, auch in Lins Namen. Ich nehme an, ihr seid auf dem Weg nach Vegas, dem Mekka der Durchbrenner?“ „Richtig. Und dort suchen wir uns eine schmucke kleine Kapelle, und dann schnappe ich ihn mir und lasse ihn nie wieder los.“ „Wer hier wohl wen nie wieder los lässt“, scherzte Thomas, noch immer lächelnd. „Du bist mir ja einer, Schatz“, gurrte sie zufrieden. Nie hätte der Deutsche gedacht, das derartige Talente in der Chinesin steckten. Aber wer sich auf eine italienische Mafiaparty einschleichen konnte, musste schon was auf dem Kasten haben. „Soll ich euch mitnehmen? Ich fliege im Privatjet rüber.“ „Danke, aber nein. Wir haben schon reserviert und im voraus bezahlt. Das soll nicht vergebens sein.“ „Wie du meinst, Thomas. Aber in Vegas, sehen wir uns da? Du hast doch meine Nummer, oder?“ „Ich habe sie gespeichert, ja. Ich rufe dich heute Abend an. Dann gehen wir zu viert essen, wenn du und Lin Lust habt. Wir könnten auf deinen Nachwuchs trinken.“ „Klingt gut“, erwiderte der Waffenhändler. „So, wir sehen uns dann ja nachher. Nicht, das wir nicht gerne mit dir plaudern, aber Melissa und ich brauchen jetzt ein wenig Auszeit vor dem Flug.“ „Ja, verstehe. Beneidenswert. Ruf mich an, ja?“ „Natürlich!“ Die beiden setzten sich in Bewegung. Der Major von Mithril winkte über die Schulter zurück, und auch Melissa winkte eifrig. Als sie es um die nächste Ecke geschafft hatten, blieben beide stehen und atmeten erst einmal tief durch. „Himmel, ich dachte schon, wir fliegen auf“, stöhnte Thomas. „Wer kann denn auch damit rechnen, dass wir ausgerechnet auf Robert Hausen treffen.“ „Du hast gut reagiert, Thomas. Aber dir ist hoffentlich klar, dass du für den Kuss bezahlen musst.“ „Nicht auf die Nase, bitte.“ „Davon rede ich nicht. Ich rede von einem Abendessen in einem exklusiven Restaurant in Vegas. Wehe, du schleppst mich in einen Burgerladen“, erwiderte sie schmunzelnd. „Ist das Hardrock Café okay?“ „Hm... Nein.“ „Ich suche etwas passendes heraus. Weißt du was mir gerade durch den Kopf geht? Bestimmt hat Robert die eine oder andere Klette von Amalgam am Hacken. Und wenn die weitergeben, wen er getroffen hat, und wenn die eins und eins zusammen zählen...“ Melissa sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Dann sollten wir das Abendessen mit Familie Hausen auf keinen Fall verpassen.“ „Du kannst meine Gedanken lesen, Melissa, mein Engel.“ „Vorsicht“, hauchte sie und legte eine Hand auf die Lippen des Deutschen. „Noch ein Kuss, noch ein Abendessen.“ „Ein annehmbarer Preis.“ „Aber auch nur weil Mithril die Spesen übernimmt. Doch was machst du, wenn sie die Spesenrechnung zerpflücken?“ „Wie ich schon sagte, ein annehmbarer Preis“, erwiderte Thomas mit einem Augenzwinkern. „Das ist der Mann, den ich heirate“, seufzte sie. Die beiden sahen sich an und lachten zufrieden. Vielleicht würden sie kein besonders gutes Paar abgeben, aber auf jeden Fall waren sie jetzt schon ein tolles Team. *** Indigniert stand Robert Hausen im internationalen Terminal und sah dem ungleichen Paar hinterher. Wie ein Roboter zog er sein Handy. „Lin, Schatz, du glaubst nicht wem ich gerade begegnet bin. Was? Ja, es war eine erfreuliche Begegnung. Nein, das meine ich nicht ironisch. Mein Unterton ist merkwürdig? Kein Wunder. Du wirst es verstehen, wenn ich dir sage, wem ich begegnet bin: Thomas Kramer und Melissa Mao. Nein, keinem von den anderen. Und jetzt halte dich fest: Sie sind durchgebrannt! Ja, durchbrennen bedeutet normalerweise, dass jemand Hals über Kopf heiratet. Und genau das haben sie vor. In Vegas! Ja, habe ich, aber sie haben den Flug schon bezahlt, deshalb haben sie abgelehnt. Mit ihnen essen gehen? Thomas und Ms. Mao wollen wohl. Er wollte mich nachher anrufen. Mal sehen, was daraus wird. Ja, ich denke auch, das wir uns das nicht entgehen lassen sollten. Ich fliege dann schon mal vor, Schatz. Den Flieger schicke ich dir wie abgesprochen zurück. Du kannst dann in drei Stunden nachkommen. Meinetwegen shoppe noch ein wenig auf dem Rodeo Drive. Aber hör auf, wenn es das Jahresbudget der Entwicklungshilfe von Helmajistan übersteigt, ja? Nein, das war kein Witz. Du beneidest Melissa um das Gefühl des frisch verliebt sein? Ich wusste nicht, dass du zu Ironie fähig bist, mein Schatz. Wir haben diese Phase doch nie verlassen. Ja, ich liebe dich auch. Mehr als mein Leben. Bis nachher. Ja, ein dezentes Abendessen für vier im Penthouse. Kein Champagner für dich. Erst wieder in frühestens sechs Monaten. Nein, nicht mal einen Schluck. Aber ich verspreche dir, ich trinke auch nichts. Also, bis dann.“ Hausen deaktivierte die Verbindung, dann nickte er dem Chef seiner Bodyguards zu. „Hong, wir wollen so schnell wie möglich weiter.“ „Natürlich, Mr. Hausen.“ Der Tross zog weiter. Etwa drei Stunden später, an der gleichen Stelle, wiederholte sich die Szene mit Robert Hausen, nur diesmal waren die Bodyguards weiblich, und seine bessere Hälfte Lin steckte inmitten des Pulks. Wieder lief ein Hausen jemandem über den Weg, und wieder konnte der Hausen – Lin, um jeden Zweifel auszuräumen – nicht widerstehen und winkte. „Kim! Theresa! Kaname!“ Die beiden Angerufenen blieben stehen, ebenso ihre Begleiter. Da Lin recht groß und ihre weiblichen Bodyguards etwas kleiner waren, konnte die Reisegruppe sie gleich erkennen. Die drei Frauen und die beiden Männer in ihrer Begleitung blieben stehen. „Lin!“ Die beiden Gruppen bewegten sich aufeinander zu, und diesmal war die Begrüßung erheblich herzlicher, wenngleich die Bodyguards Sousuke Sagara und Kurtz Weber dezent auf Abstand hielten, gerade genug um Mrs. Hausen die Hand zu geben. „Lin, es tut mir Leid, aber wir haben es sehr eilig. Wir sind auf dem Weg, um...“ Die Chinesin nickte gewichtig. „Ihr wollt es sicher rechtzeitig zu Melissas und Thomas´ Hochzeit schaffen, nicht? Kann ich verstehen.“ „Du weißt es?“, rief Kim erstaunt. „Sogar Theresa mussten wir es erst erzählen, und jetzt fliegen wir um die halbe Welt, und es ist Tagesgespräch?“ „Mein Mann ist den beiden begegnet. Vor etwa drei Stunden. Sie haben gemütlich geplauscht und dabei haben die zwei ihm alles erzählt.“ Lin warf Kim Sanders einen mitfühlenden Blick zu. „Und du bist da wirklich mit einverstanden?“ Bevor die Whispered, die bereits zweimal aus der Hand von Amalgam befreit worden war, antworten konnte, kam ihr Theresa zuvor. „Natürlich ist sie das! Wir alle sind das! Deshalb sind wir ja auch ein wenig böse mit den beiden. Sie hätten uns ruhig mitnehmen können. Wir sind doch alle eine große glückliche Familie. Du weißt nicht zufällig, wo die zwei absteigen werden?“ „Nein, tut mir Leid“, erwiderte Lin. Die fünf atmeten tief durch. Sagara mehr aus Erleichterung, die anderen vier aus Enttäuschung. „Aber die beiden wollen heute Abend mit uns essen gehen“, fuhr Lin fort. „Wollt ihr sie nicht überraschen und einfach mitkommen? Ich habe einen Privatjet draußen, und es sollte kein Problem sein, ein paar zusätzliche Räume für unser Penthouse zu bekommen.“ Übergangslos strahlte Kim Sanders vor Freude. Ihre Linke zeigte hinter ihrem Rücken einen erhobenen Daumen für Theresa Testarossas Strategie. „Du würdest uns damit wirklich aus einem Dilemma helfen. Dies ist ein so wichtiger Tag für die beiden. Wir MÜSSEN dabei sein.“ „Und du bist wirklich sicher, das du damit einverstanden bist? Ich wäre in jedem Fall furchtbar eifersüchtig“, meinte Lin und strich Kim über die Haare. „Ich BIN ja auch wütend. Ich bin auch eifersüchtig, aber was mich wirklich aufregt ist diese Heimlichtuerei. Wären sie ehrlich gewesen, dann wäre alles in Ordnung gewesen! Aber diese Heimlichkeit ist wirklich nicht schön.“ Lin lächelte zufrieden. „Gut, dass du ehrlich bist und nicht versuchst, mir etwas vorzulügen.“ Kim errötete. War sie so leicht zu durchschauen? Theresa hüstelte verlegen. „Aber was willst du tun, wenn du die beiden siehst, und sie es wirklich ernst meinen?“ „Meinen Ärger runter schlucken und die Brautjungfer mimen. Nachdem ich Thomas eine geklebt habe.“ Lin klatschte in die Hände. „Wunderbar. Das wollte ich hören. Kommt, Herrschaften, unser nächster Halt ist Las Vegas!“ Die drei Frauen stimmten begeistert zu, und auch Kurtz Weber ließ sich anstecken. Sousuke Sagara hingegen suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, sich abzusetzen. „Kommst du, Sousuke?“, rief Kaname. „Mist. Tut mir Leid, Thomas. Ich kann dich leider nicht vorwarnen“, murmelte er. Laut rief er: „Ich komme!“ 3. „An die Villa könnte ich mich gewöhnen“, schnurrte Melissa und ließ sich hinterrücks auf das Doppelbett fallen. „Sie ist so schön groß. Ein eigener Pool, ein Trainingsraum, die Bar... Und hast du die beiden Bäder gesehen? Die sind riesig.“ „Ich habe sie gesehen“, rief Thomas vom Eingang, während er dem Pagen Trinkgeld gab. „Danke. Einen schönen Tag noch.“ Als der Hotelbedienstete des Bellagio verschwunden war, hängte Thomas das Do not disturb-Zeichen von außen an den Knauf, wie man es von frisch Verliebten erwartete. Ihre Zuflucht entpuppte sich als das, was das Traum-Hotel Bellagio als Villa bezeichnete, also eine luxuriöse Zimmerflucht hinter dem weltberühmten und hoch ausgezeichneten Hotel, in bester, ruhiger Lage, und mit zwei Schlafzimmern ausgestattet. Zumindest das Schlafproblem würde diesmal nicht den Lösungsvorschlag „Couch“ beinhalten, wobei die Couchs im Bellagio sicherlich nicht den Komfort eines guten Bettes vermissen lassen würden. Und er war Schlimmeres gewohnt. Wesentlich Schlimmeres. Langsam ging er zum Schlafzimmereingang. „Wenn du dich hier schon eingerichtet hast, nehme ich das andere Zimmer. Ich würde sagen, wir machen uns ein wenig frisch und...“ Seine Worte fanden keinen Abnehmer, denn Melissa hatte sich mit seligem Lächeln auf die Seite gedreht und war eingeschlafen. Der Deutsche schnaubte amüsiert. „Oder ruhe dich erst einmal aus. Ist auch in Ordnung.“ Mit einem Lächeln schloss er die Tür. Beinahe wäre seine Partnerin zu einem zweiten Abendessen gekommen. *** Als Melissa Mao in den frühen Abendstunden erwachte, tat sie dies mit einem Lächeln. Die Mission begann ihr wirklich Spaß zu machen. Mit Thomas hatte sie einen tollen Partner, und es versprach sehr schnell sehr spannend zu werden, jetzt, wo ein Topspion wie Robert Hausen involviert war. Sie erhob sich, sah sich einmal im Zimmer um und entschied, dass der taktvolle Thomas nicht spontan beschlossen hatte hier ebenfalls einzuziehen. Nicht das sie jemals geglaubt hätte, bei ihm nicht sicher zu sein. Andererseits hätte sie auch nichts dagegen gehabt, wenn... Sie seufzte leise. Thomas war ein Riesenproblem, wenn sie ehrlich war. Der Bursche war zu gut für einen One Nighter, selbst für eine ordentliche Affäre. Mit ein wenig Wehmut gestand sie sich ein, dass er Besseres verdient hatte als benutzt und abgeschoben zu werden, und diese Erkenntnis überraschte Melissa, die noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen war. Nein, das war einer zum heiraten. Ironischerweise würden sie das in den nächsten Tagen auch tun, und die Halbchinesin stellte sich ernsthaft die Frage, ob sie ihr freies Vagabundenleben vielleicht aufgeben sollte. Andererseits hatte er Recht. Er würde niemals freiwillig die FEANOR verlassen, sie war mit Herz und Seele an die DANNAN gebunden, also waren die Gedanken in dieser Richtung müßig. Mit einem weiteren, tiefen Seufzer verschwand sie in ihrem Bad, um eine kurze, erfrischende Dusche zu nehmen. Als sie fertig war, gekleidet in einem weichen, weiten Bademantel, betrat sie den Wohnraum der Suite. „Thomas?“ Dort war er nicht. Auch nicht im anderen Zimmer, also trat sie nach draußen zum Pool. Dort zog sich der große Deutsche gerade aus dem Wasser und reckte sich mit zufriedener Miene. Melissa spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, obwohl Thomas eine ordentliche Badehose trug. Dafür tadelte sie sich selbst, denn das er ein durch trainierter Arm Slave-Pilot war, das verlangte alleine Mithril. Und sein hübsches Gesicht konnte sie nicht nur sehen, wenn er eine Runde im Pool geschwommen war. „Da bist du“, sagte sie, vergrub ihre Hände in den Taschen des weißen Bademantels und trat zu dem Deutschen. Thomas wandte sich um und lächelte. „Ausgeschlafen?“ „Beinahe etwas zu lange, wie es scheint. Warum hast du mich nicht geweckt?“ „Das hatte ich vor. Nachdem ich mir von der örtlichen Polizei einen Schutzschild geliehen hätte.“ „Komm, Thomas, so schlimm bin ich wirklich nicht“, tadelte sie. „Man kann nie wissen, Melissa, man kann nie wissen. Du tust zwar so stark und unabhängig, aber vielleicht wärst du in Panik ausgebrochen, wenn du mich in deinem Zimmer gesehen hättest, zusammen mit der bohrenden Frage, was ich dir in deinem Schlaf alles angetan haben könnte.“ „Werde nicht albern“, erwiderte sie und lächelte. „Bei dir bin ich so sicher wie auf der DANNAN.“ Thomas schnaubte amüsiert. „Na, danke. Ich bin also nicht gefährlich für dich. Dann hätte ich mich ja auch auf der anderen Seite deines Betts einrichten können.“ „Ich sagte sicher, mein Lieber. Ich habe mit keinem Wort behauptet, du könntest mir nicht gefährlich werden“, hauchte sie und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Hastig trat der Deutsche einen Schritt zurück und durchbrach damit ihre Umarmung. „Melissa, ich...“ Mit einem Ausdruck der Enttäuschung ließ sie die Arme wieder sinken. „Sage ich ja. Vollkommen sicher. Ich könnte nackt neben dir schlafen und mir würde nichts passieren.“ Der große Arm Slave-Pilot schnaubte amüsiert. „Du solltest aufhören mit mir zu spielen. Sonst nehme ich dich ernst, und wer weiß was wir zwei dann alles anrichten.“ „Leere Versprechungen“, tadelte sie, vergrub ihre Hände wieder in den Taschen des Bademantels und wandte sich ab. „Hast du Robert schon angerufen?“ „Ja, aber Lin hat abgenommen. Acht Uhr in ihrem Appartement im Treasure Island. Wie passend für die zwei.“ „Dann spüle dich ab, damit du nicht nach Chlor riechst.“ Die Arm Slave-Pilotin reckte sich. „Ich gehe mir dann mal was schönes zum anziehen raus suchen.“ Sie sah kurz über ihre Schulter zurück. „Würde es dir gefallen, wenn ich etwas offenherziges trage?“ „Natürlich würde es mir gefallen. Aber vielleicht suchst du etwas aus, das dir erlaubt Unterwäsche zu tragen. Nicht, das mir nicht gefallen hat was ich gesehen habe.“ „Zwei Abendessen“, sagte sie tadelnd und ging wieder hinein. In ihrem Zimmer angekommen atmete sie einmal tief durch. Und dann tadelte sie sich selbst dafür, das sie beinahe alle ihre guten Vorsätze über Bord geworfen hätte. Nur gut, das sie in dem alten Betonschädel Thomas einen hervorragenden Verbündeten hatte, um solche Dummheiten zu verhindern. Glücklicherweise. Und wie schade. *** Man sagte, nichts sei so schnell wie das Licht. Das war nicht ganz richtig. Der eine oder andere Experte behauptete, Gerüchte seien noch viel schneller. Vor allem an Orten, an denen viele Menschen auf engem Raum zusammen arbeiteten, verbreiteten sich Gerüchte beinahe so schnell, das man den Eindruck hatte, sie würden an mehreren Orten zugleich entstehen. Dies war im Styx-Stützpunkt der Fall gewesen. Das Gerücht, das Thomas der Heilige durchgebrannt war, um in Vegas eine Arm Slave-Pilotin von der TUATHA DE DANNAN zu heiraten, war bereits einmal vom Bug bis zum Heck und dann wieder zum Bug, das der Anruf eines verzweifelten Chu-sa Mardukas beinahe übersehen wurde. Mit stoischer Ruhe, aber in eindringlichen Worten hatte er von seinem Problem berichtet, nämlich das sein Skipper auf und davon nach Vegas war. Und da die Europäer günstiger lagen, um schnell in die Vereinigten Staaten zu kommen, bat er den Skipper der FEANOR und Kommandeur der Styx-Basis um Amtshilfe beim Personenschutz von Theresa Testarossa. Das war zwei Stunden her. Und nun befand sich eine schnelle gemischte Eingreiftruppe, bestehend aus Samantha Rogers, Arm Slaves, Sergej Karasov, Infanterie und Timothy Scott, Kampfhubschrauber, mit einem außerplanmäßigen Militärflug auf dem Weg nach Las Vegas. Wusste der Teufel, wie Mardukas die Flugfreigabe, die Betankung in der Luft und die Einflugerlaubnis nach Amerika in dieser kurzen Zeit beschafft hatte, aber all das widerfuhr der kleinen Entsetzungscrew der FEANOR. Und dann war da immer noch der Gernsback, den sie für den Fall der Fälle mit sich führten. Mardukas hatte darauf bestanden und auch dafür die Einfuhrerlaubnis erwirkt. Das entsetzte Tim ein wenig, aber nicht so sehr wie der Fluglärm, der ihn in dem Transporter einhüllte. Selbst die schweren Kopfhärer milderten den Eindruck nicht weit genug, um ein wenig schlafen zu können. Und dann war da immer noch die konsternierte Sam, die seit dem Start unaufhörlich redete. Alle zehn Minuten kam ein derber Fluch hinzu, mit dem sie die Idee ihres Vorgesetzten Thomas Kramer, heimlich zu heiraten, kommentierte. Ansonsten ging sie Tim und Karasov auf die Nerven. „Jetzt seien Sie endlich still, Rogers!“, fluchte der ansonsten stets beherrschte Russe wütend und verzog das frisch rasierte Gesicht zu einer mürrischen Miene. „Wenn Sie derart in Kramer verknallt sind, warum haben Sie nicht einfach früher was gesagt, anstatt auf eine Katastrophe wie diese zu warten?“ „Verknallt? In Thomas? Ich?“ Sie lachte ungläubig auf. „W-wie kommen Sie denn darauf, Captain?“ Darauf ging Karasov nicht ein, aber seine mürrische Miene machte einem spöttischen Grinsen Platz. Sam sah zu dem Hubschrauberpiloten herüber. „Ich bin doch nicht in Thomas verknallt, oder? Tim, sag doch was dazu.“ „Weiß ich nicht. Ist mir auch egal“, brummte Scott und gab vor, in die Lektüre seines Buchs vertieft zu sein. „Aber du redest die ganze Zeit nur von ihm, oder? Thomas hier, Thomas da, es ist fürchterlich.“ Verdutzt starrte sie Tim Scott an. Dann begann sie wieder zu lachen. „Ich und Thomas? Lächerlich. Unglaublich. Ich habe doch keinen Heiligenkomplex, oder so.“ Die beiden Männer reagierten auf ihre Worte nicht, also runzelte sie die Stirn. „Das ist nicht euer Ernst.“ Sie sah von einem zum anderen. Als das keine Reaktion erbrachte, verschränkte sie die Arme vor der Brust und beschloss zu schmollen. Sie und verliebt, pah! Natürlich mochte sie den großen, aufrichtigen Deutschen. Immerhin hatte er sie ausgebildet, ihr das Leben gerettet, sie sicher durch unzählige Kämpfe geleitet und immer wieder angestachelt, noch besser zu werden. Aber ansonsten war er überhaupt nicht ihr Typ. Garantiert nicht. Sie war so sehr in ihre Gedanken vertieft, das sie nicht einmal Karasovs Stimme hörte, die zufrieden sagte: „Endlich hält sie die Klappe.“ *** Es wäre ein Leichtes gewesen, ein Taxi oder gar eine Limousine vom Bellagio zum Treasure Island zu nehmen. Da es aber nur ein paar hundert Meter waren, hatten Melissa und Thomas beschlossen, durch die siedendheiße Wüstenluft zu Fuß zu gehen. Immerhin waren es nur wenige hundert Meter den Las Vegas Boulevard entlang. Ein wenig wehmütig sah Thomas den Boulevard nach Süden, während Melissa vor dem großen Wasserbecken in Front des Bellagio stand. Zu Musik aus Lautsprechern produzierten gut choreographierte Wasserfontänen ein eigenes, unwirkliches Ballett, welches an Pracht kaum zu überbieten war. „Oh, das war wundervoll. Ich war schon viel zu lange nicht mehr hier.“ Sie stieß den großen Deutschen in die Seite. „Ganz bei mir bist du heute aber nicht.“ „Was? Tut mir Leid, ich schwelge gerade in Erinnerungen. Den Boulevard runter ist das New York, New York, das erste Kasino, in dem ich gespielt habe, als ich das erste Mal in Vegas war.“ Thomas grinste schief. „Damals hat mir jemand erklärt, man müsse in den alten Kasinos spielen, weil die ihren Bau nicht mehr finanzieren müssen und deshalb höhere Gewinnchancen zulassen. Und das New York sah für mich sehr alt aus. Bis ich irgendwann herausfand, das es noch keine zehn Jahre alt ist.“ „Aha. Dann hast du also dort gespielt und verloren? Mein armer Schatz.“ Thomas lächelte. „Verloren? Gewonnen habe ich. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich habe an einem der Automaten gespielt und über fünfhundert Dollar gewonnen. Aber dann war ich zu feige, das gewonnene Geld beim Roulette zu setzen. Das zieht sich seither irgendwie durch mein Leben.“ „Aber, aber. Der große, tapfere Thomas Kramer hat doch nicht etwa eine gutbürgerliche Seite, etwas konservatives?“, tadelte sie ihn und tappte mit dem rechten Zeigefinger auf seine Brust. „Vergiss nicht, meine Leute nennen mich hinter meinem Rücken den Heiligen.“ Er schnaubte amüsiert. „Das bezieht sich zwar vor allem darauf, das ich kaum Laster habe, aber daran siehst du wie sie mich einschätzen.“ „Na, dann wirst du sie ja mit deiner spontanen Heirat ganz schön überraschen.“ Melissa lächelte frech. „Oh, ich denke, das werden sie sein. Aber ich bin ganz froh, dass ich ihnen erst nach Ende meiner Tokyo-Mission wieder unter die Augen treten muss. Das zu erklären würde lange dauern.“ „Wieso etwas erklären, wenn man sie vor vollendete Tatsachen stellen kann?“ Sie ergriff seine Hand und zog ihn mit sich. „Was uns zur nächsten Frage bringt: Elvis-Prieser ja oder nein?“ „Elvis-Priester? Für dich ist die Sache ein großer Spaß, oder?“ „Was spricht dagegen, wenn ich von einem Elvis-Priester getraut werden möchte? Meine Hochzeit soll ein Tag der Freude sein, an dem ich lächeln und lachen kann. Keine Bierernste Zeremonie. Hätte ich das haben wollen, dann hätte ich auch Zuhause bleiben können, anstatt am Tag meiner ersten Beinahe-Hochzeit zu den Marines zu fliehen.“ „Du bist was?“, fragte Thomas erstaunt. „Habe ich das nie erzählt?“ Amüsiert sah sie den Deutschen an. „Mein Vater ist ein sehr konservativer Mann und bestand auf einer Hochzeit. Damals war ich sehr jung, und nicht bereit, mich den Wünschen meines alten Herrn zu beugen. Also nutzte ich meine erstbeste Gelegenheit, um in ein Rekrutierungsbüro zu entwischen. Die haben nicht schlecht gestaunt, als ich da im Brautkleid auftauchte und mich freiwillig meldete. Aber nachdem ich erklärt hätte, mein Vater wäre bei der Army und würde nicht so recht verstehen, was ein junges Mädchen für Bedürfnisse hatte, bekam ich in den Marines des Rekrutierungsbüro sehr willige Verbündete.“ Sie lächelte wehmütig in Erinnerung an diese Szenen. „Ich hatte viel Spaß bei den Marines, und sie haben mir eine Menge beigebracht. Aber erst bei Mithril konnte ich wirklich aufleben, mein Fähigkeiten voll einbringen. Und ich hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, ich würde wirklich was bewirken. Marines schätzen absoluten Gehorsam und die strikte Einhaltung von Befehlen, aber Mithril fördert das Mitdenken.“ Mittlerweile waren sie bis zum Mirage gelangt, wo pünktlich zu ihrer Ankunft ein künstlicher Vulkan ausbrach und die Hitze der Wüstennacht noch einmal steigerte. Die beiden blieben stehen und beobachteten das Schauspiel. „Bei mir war es ähnlich, wenngleich das Eurokorps einem Offizier viele Freiheiten bietet. Nur bewirken konnte ich nichts“, murmelte Thomas. „Erst bei Mithril hatte ich das Gefühl, dass es mit der Welt voran geht. Das sie sich irgendwie zum Guten wendet.“ Melissa lächelte spöttisch. „Kein Wunder, das deine Leute dich den Heiligen nennen.“ Sie gingen weiter und gelangten schließlich zum Treasure Island. Auch hier waren sie einigermaßen pünktlich, um die große Attraktion des Hotels zu sehen. Im künstlichen Becken vor dem Hotel lieferten sich zwei Schiffe eine Seeschlacht, die schließlich mit dem Sieg der Piraten über den englischen Angreifer endete – inklusive der Versenkung der attackierenden Fregatte. Standesgemäß ging der Kapitän mit seinem Schiff unter, nur um wenige Minuten später wieder mit ihm aufzutauchen, und das unter dem donnernden Applaus der Zuschauer. „Diese Amerikaner“, murmelte Thomas amüsiert. „Nicht nur, das sie mitten in der Wüste solch ein riesiges Wasserbassin errichten und zwei Schiffe darauf platzieren, sie lassen eines auch noch viermal täglich untergehen. Aufwand, dein Name ist Amerikaner.“ „Hast du was gegen Amerikaner, Kraut?“, tadelte ihn Melissa. „Natürlich nicht, Joe. Jedes Volk hat seine Macken, und ihr Amerikaner neigt nun mal zur Verschwendung.“ „Und ihr Krauts dazu, steif, ordnungsliebend und langweilig überkorrekt zu sein“, konterte sie. „Hey, ich habe nur ein Vorurteil durchgewrungen!“ „Selber Schuld, Kraut, selber Schuld.“ Wieder ergriff sie den Deutschen bei der Hand und zog ihn durch die Menschenmenge ins Kasino hinein. „Noch eine Frage, die wir klären müssen: Wollen wir während eines Hubschrauberflugs durch den Grand Canyon heiraten oder lieber in einer Kapelle?“ „Das mit dem Flug klingt interessant.“ Melissa lachte als Antwort. Einer von Robert Hausens Bodyguards empfing sie in der Eingangshalle und brachte sie zu einem als Out of Order gekennzeichneten Aufzug. Wortlos winkte er das Paar hinein und fuhr mit ihnen in den obersten Stock. Auch hier wimmelte es von schwarz gekleideten Chinesen mit Sonnenbrillen und getarnten Kommunikationseinrichtungen im Ohr. Hatte Thomas anfangs noch gedacht, das sich Hausen mit seiner Entscheidung für das Treasure Island erstaunlich bescheiden gezeigt hatte, so sah er sich nun getäuscht, denn das gesamte oberste Hotelstockwerk schien für ihn und Lin gebucht zu sein. Tatsächlich erwartete sie ein ansprechend großes Penthouse mit einigen offenen Bereichen. Für eine Sekunde dachte Thomas wirklich, das Stockwerk wäre extra für die Hausens in eine Art Loft umgebaut worden. Ihr stummer Begleiter winkte sie weiter, auf das Ende eines Flügels des großen Hotels zu. Dort dehnte sich der Wohnbereich zu einer großen Couchlandschaft aus. Mehrere Personen in Abendgarderobe erwarteten sie bereits, unter ihnen ein übernervöser Robert Hausen und seine erstaunlich gut gelaunte Frau Lin. Dann wandte sich einer der Gäste um und hob in einer verzweifelten Geste der Entschuldigung beide Hände. Nun wandten sich auch die anderen Gäste in ihre Richtung, und eine offene weißblonde Frisur, ein frecher goldblonder Kurzhaarschnitt und eine aufwändig hochfrisierte blauschwarze Haarmähne bekamen Gesichter. „Willkommen in Vegas, Thomas, Melissa“, sagte das Mädchen mit den blonden Kurzhaarschnitt und lächelte scheinheilig. Ein dritter Mann trat hinzu, und sein Grinsen ging von einem Ohr bis zum anderen. Auch er trug Abendgarderobe und trug zwei Gläser mit Wein. „Ihr habt doch nicht gedacht, ihr könntet uns entkommen?“, fragte Kurtz Weber grinsend und reichte einen Wein an Kim Sanders weiter, die das Glas mit einem Strahlen dankbar annahm. „Ist es ein Problem für euch zwei, das ich eure Freunde mitgebracht habe?“, fragte Lin mit einem listigen Lächeln. Thomas sah kurz zu Melissa, die seinen Blick lächelnd erwiderte. „Tessa!“, rief sie mit übergroßer Freude in ihrer Stimme und eilte mit zwei schnellen Schritten auf das weißblonde Mädchen zu, um sie an sich zu drücken. „Kaname! Kim!“ Auch die anderen beiden ergriff die Halbchinesin und drückte sie an sich. „Das ihr euch solche Mühe gebt, um an diesem Tag bei uns zu sein...“ Sie schluchzte, und beinahe hätte sie angefangen zu weinen. Thomas wusste nicht so recht ob er lachen oder weinen sollte und trat auf Kurtz zu. „Du hattest also nichts eiligeres zu tun, als sofort zu petzen, was?“ „Sofort“, bestätigte der deutsche Scharfschütze. „Schließlich wäre es etwas unfair, wenn meine Neesan heiratet, und ich bin nicht dabei, oder? Und dann sind da ja noch die anderen, die vielleicht auch ein Wörtchen mitreden wollen.“ „Hm“, machte Thomas und nahm Weber das Weinglas ab. „Hey!“ „Wein ist nichts für kleine Jungs. Hol dir ein Wasser oder eine Cola“, erwiderte Thomas und klopfte ihm auf die Schulter. „Wasser!“ Murrend wandte sich Kurtz wieder der Theke zu, um sich erneut zu bedienen. Derweil waren die Mädchen in Melissa Maos Griff kurz vor der bedingungslosen Kapitulation. Theresa Testarossa standen schon die Tränen in den Augen, und die anderen beiden schienen sich auch von der Situation überwältigen zu lassen. „Ich denke, das reicht jetzt, Melissa.“ „Okay.“ Übergangslos ließ sie die drei Mädchen los. „Ich denke, wir sind euch eine Erklärung schuldig“, begann Thomas und drehte das Weinglas in seiner Hand hin und her. „Und vor allem natürlich euch beiden, Lin, Robert.“ „Na, da bin ich aber mal gespannt“, murmelte Hausen und wirkte gleich sehr viel gelöster. Thomas atmete tief durch, während die erwartungsvollen Gesichter der anderen auf ihm ruhten. „Um es kurz zu machen, Melissa und ich werden heiraten.“ „Aber das wissen wir doch schon! Was wir nicht wissen, ist...“, begann Kim, hielt aber inne, als sie seinen mahnenden Blick sah. „Es ist eine Mission.“ Kim rutschte vor Überraschung das Weinglas aus der Hand, Kurtz gleich eine ganze Flasche. Kaname sackte auf dem Sofa durch und Tessa riss ihre Augen unnatürlich weit auf. Die Hausens reagierten unterschiedlich. Robert mit Erleichterung, und Lin mit Enttäuschung. Ein Eifersuchtsdrama oder eine vertrackte Dreiecksliebesgeschichte wäre ihr sichtlich lieber gewesen. Nur Sousuke Sagara schien nicht im Mindesten überrascht. Oder um präziser zu sein, sein Stoismus ließ eine Reaktion gar nicht erst zu. Kim öffnete und schloss den Mund einige Zeit lang wie ein Fisch auf dem Trockenen, bevor sie wieder sprechen konnte. „Mission?“, argwöhnte sie. „Mission“, wiederholte Thomas. „Aber was für eine Mission erfordert es, eine Hochzeit zu fingieren?“, fragte Kaname Chidori mit ungläubig aufgerissenen Augen. „Wer reden denn hier von fingieren?“ Melissa kam zu Thomas herüber und hakte sich bei ihm ein. „Wir werden wirklich, wahrhaftig und rechtskräftig heiraten.“ Thomas hob beschwichtigend die Arme, als er das Entsetzen in den Blicken der Anwesenden sah. „Auch das gehört zur Mission, obwohl ich zugeben muss, dass ich selten eine angenehmere Aufgabe hatte.“ „So?“, ließ sich Kim vernehmen. „Was ist das Ziel der Mission, Thomas?“ Kramer sah Sousuke ernst an. „Dazu muss ich ein wenig ausholen. Wie ihr wisst, sind Kaname und Kim Whispered. Sie werden jederzeit von einem Team unserer Leute überwacht und beschützt, um zu verhindern, das andere Organisationen wie zum Beispiel Amalgam sie entführen und für ihre finsteren Pläne benutzen. Was freilich nicht immer ganz gelingt. Beides, meine ich.“ Die drei Mädchen tauschten wissende Blicke aus. Das war ein Thema, das sie zur Genüge kannten und selbst erlebt hatten. „Und es ist anzunehmen, dass ihr auch vom Feind observiert werdet. Wenn ich ehrlich bin habe ich nicht damit gerechnet, das Kurtz auch noch Tessa mit her schleift und die Situation unnötig verschärft, aber der Plan sah vor, euch zwei hierher zu locken, und damit eure Mithril-Bewacher, sowie jene die euch im Auftrag Amalgams oder einer anderen Organisation observieren.“ Thomas nahm einen kurzen Schluck vom Rotwein und rollte ihn im Mund, bevor er ihn schluckte. „In letzter Zeit haben uns Organisationen wie Amalgam sehr zu schaffen gemacht. Zwar waren wir in Südchina erfolgreich und die Mission in Rumänien war ein überwältigender Sieg, aber seither haben wir keine Aktivitäten dieser Organisationen registriert. Da wir aber davon ausgehen, das sie noch existieren, fürchten wir, dass sie einen neuen Schlag gegen uns vorbereiten. Mit unserer Hochzeit hatte der Mithril-Geheimdienst vorgehabt, hohe Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, nicht zuletzt dadurch, dass ihr, Kim und Kaname, mitsamt euren Aufpassern und Observateuren uns hinterher kommt. Eine spontane Aktion, die ebenso spontane Entscheidungen der anderen Gruppen verlangt und ihre nächsten Züge daher für uns sichtbar machen.“ „Mit anderen Worten: Im Geäst war es zu still, und jetzt tretet ihr kräftig gegen den Baumstamm, um zu sehen was runter fällt“, sagte Kurtz, während er an einem Whisky-Schwenker hantierte. „Etwas in der Art. Eigentlich ist diese Mission aus der Verzweiflung heraus geboren worden, aber wenn sich der Gegner eine Blöße gibt, gelingt es uns eventuell, sie weiter auszudünnen, vielleicht sogar zu vernichten. Aber eigentlich ist das erwartete Missionsziel, Amalgam zu einer übereilten Reaktion zu zwingen.“ Die Anwesenden atmeten auf. „Und ich dachte schon...“, begann Kim. „Eine Mission! Ihr heiratet wegen einer Mission, da bin ich aber erleichtert.“ „Eine rechtskräftige Heirat“, sagte Melissa mit einem Schmunzeln. „Hinterher bleiben wir vielleicht gleich zusammen.“ Entsetzt starrte Kim die Halbchinesin an. „Das ist gar keine so dumme Idee, Melissa.“ Thomas drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Wir sind ein viel zu gutes Team, als dass wir uns auseinander brechen lassen sollten.“ Tessa sah ihre große Freundin und direkte Untergebene erschrocken an. „I-ist das wahr? W-wirst du dann die DANNAN verlassen und...“ „Nur ein Scherz“, beruhigte sie Theresa. Dennoch legte sie den Kopf auf die Schulter des Deutschen. „Aber man wird ja noch träumen dürfen.“ Thomas schloss die junge Frau in die Arme. Beide sahen sich tief in die Augen. „Melissa.“ „Thomas.“ „Melissa.“ „Thomas.“ „Was meinst du, haben wir sie genug entnervt?“, fragte der Deutsche schließlich lächelnd. „Ich denke, sie haben ihre Strafe dafür weg, das sie uns einfach hinterher sind, obwohl wir sie nicht eingeladen haben“, erwiderte sie ebenfalls lächelnd. „Macht das nicht noch mal mit uns“, beschwerte sich Kim mit bitterster Leidensmiene. „War es das jetzt? Ist das Schauspiel vorbei?“, fragte Robert Hausen mit einem Räuspern. „Können wir dann zum essen kommen?“ „Natürlich. Und das ist die Antwort auf alle drei Fragen.“ „Dann bitte ich zu Tisch.“ Beim Essen entspannte sich eine angeregte Unterhaltung, die sich natürlich um die bevorstehende Hochzeit drehte. Auch wenn sie nur eine Mission war – waren Ehen das nicht immer? Wo sollte sie stattfinden, wer sollte die Mission durchführen, wer würde das denkwürdige Ereignis filmen und was würde die Braut tragen? Wer machte den Trauzeugen, wer die Brautjungfer? Was würden die tragen? Wo sollte anschließend gefeiert werden? Oder übersprangen sie das gleich, um zu einem gemeinsamen Rundflug zu starten? Am liebsten hätte Thomas hier die Notbremse gezogen, aber der Enthusiasmus der Damen war ihm eigentlich lieber als Vorwürfe, Tränen und Verbitterung, die ebenfalls mögliche Reaktionen gewesen wären. Andererseits nahm Thomas die Unterbrechung dankbar an, die sich ihm bot, als Hausen von einem seiner Bodyguards vom Tisch fort gebeten wurde. Auch der Major erhob sich und wartete respektvoll, bis das Gespräch beendet war. Dann trat er an Hausen heran. „Geht es mich was an, Robert?“ Der Spion nickte gewichtig. „Das kann man wohl sagen. Meine Leute haben mir gerade mitgeteilt, das man nach euch gefragt hat. Also dich und Melissa. Einige haben sich dabei benommen wie eine Kettensäge in der Holzabteilung im Baumarkt. Sie haben versucht, Pagen, den Concierge und den Etagenchef zu bestechen. Andere waren subtiler und haben versucht, in unser Computersystem einzudringen oder meine Bodyguards direkt zu bestechen. Thomas, ihr habt zwei Fraktionen am Arsch.“ „Amateure und Profis?“ „Anstatt zu glauben, du hättest Anfänger am Hacken, würde ich eher sagen, dass du es mit zwei Fraktionen mit unterschiedlichen Mentalitäten zu tun hast.“ Hausen sah ihn ernst an. „Unterschätze niemals einen Gegner. Vor allem nicht, wenn du ein hübsches Mädchen wie Melissa derart zur Zielscheibe machst, von dir selbst einmal ganz abgesehen, Kleiner.“ „Ja, ja. Tadel ist angekommen, Papi.“ „Soll ich meinerseits recherchieren lassen? Es könnte zur allgemeinen Verwirrung beitragen und es dem Backup-Team von Mithril ermöglichen, weitere Daten zu sammeln.“ „Eine gute Idee. Aber was kostet das?“ Hausen grinste. „Aber, aber. Du tust ja gerade so als wenn ich ein käuflicher Söldner wäre. Jemand quetscht mein Umfeld wegen meiner Gäste aus, das ist ein Umstand, den ich nicht so stehen lassen kann. Im Gegenteil, da muss ich natürlich reagieren. Allerdings werde ich meinen Leuten die Anweisung geben, sich auf keine Schießereien, Prügeleien oder dergleichen einzulassen.“ „Eine kluge Entscheidung. Melissa und ich haben einen Bungalow im Bellagio bezogen, falls du das noch nicht weißt. Deine Leute könnten dort auch fündig werden. Aber was ist mit Sousuke und den anderen?“ „Sie sind meine Gäste. Sie haben Zimmer auf dieser Etage. Solange sie hier oben sind, müsste man schon mit einem Arm Slave angreifen oder von außen mit einem Kampfhubschrauber attackieren. Und selbst dann wäre ich noch in der Lage, mich zu verteidigen.“ Hausen öffnete einen unauffälligen, in die Wand eingelassenen Schrank und erlaubte Thomas einen kurzen Blick auf den Inhalt. „Nett. Ein tragbares EMP-Gewehr?“ „Wirkt nur auf kurze Distanz, und das auch nicht sehr lange, wurde aber extra entwickelt, damit Fußsoldaten einen Arm Slave ausschalten können. Zehn Stück habe ich davon, und die schaffen auch einen Kampfhubschrauber.“ Thomas runzelte die Stirn. „Wie bist du denn daran gekommen? Und was ist die Quelle? Black Technology?“ „Nicht alles ist automatisch Teil der Black Technology, nur weil es neu ist“, tadelte Hausen den Landsmann. „Und nur weil ich nicht mehr mit Waffen handle heißt das nicht, ich hätte keine Beziehungen mehr. Die Dinger werden von den Franzosen hergestellt, bisher in kleiner Stückzahl. Sie rüsten damit exklusiv das Eurokorps aus, aber die hohen Herren haben nichts gegen die Erprobung in Ernstfallsituationen durch zuverlässige Partner. Vor allem interessiert sie, wie schnell wohl jemand eine Gegenwehr für die Gewehre entwickelt.“ „Oder anders ausgedrückt, ein Teil der Waffen wurde unter der Hand weiterverkauft, und du hast dir gleich ein paar Exemplare gesichert.“ „Natürlich.“ Hausen schloss den Schrank wieder. „Lass uns zurückgehen. Das Essen wird sonst kalt.“ *** Nach einem entspannten Abendessen und der Klärung der wichtigsten Fragen den folgenden Tag betreffend hatte man Thomas und Melissa mit einem lachenden und einem weinenden Auge wieder abfahren lassen. Robert Hausens Anfrage, ob Sousuke und Kaname ein Doppelzimmer wünschten, weil er das Gerenne auf dem Flur nachts nicht so berauschend fand, traf voll ins Schwarze und ließ zwei junge Menschen mit geröteten Wangen zurück, die sich den Rest des Abends nicht ansehen konnten. Robert schüttelte nur verständnislos den Kopf über die zwei, die so offensichtlich zusammen gehörten und es doch nicht schafften. Kurtz schien dazu etwas zu sagen zu haben, und während die drei Mädchen zusammen mit Lin eine lautstarke Party zur Feier des erwarteten Babys feierten, dezimierte er zusammen mit Robert die Spirituosenvorräte der Etage. Wobei er nach dem Motto vorging: Viel hilft viel. „Dieser verdammte Kraut“, murmelte er verärgert. „Kommt einfach aus dem Nirgendwo und will meine Neesan haben. Hat er schon mal Seite an Seite mit ihr gekämpft? Hat er mit ihr geblutet? Und was hat er ihr überhaupt für ein Leben zu bieten? Einen Majorssold kriegt er, ha!“ „Du kriegst den Sold eines Sergeants, Gun-so“, erwiderte Hausen trocken, und nahm einen kurzen Schluck vom zwanzig Jahre alten Rothschild, den er im Gegensatz zu Weber nicht wie Wasser schluckte. „Aber ich habe mit ihr geblutet! Ich... Wo war ich gerade? Ich meine, wie können die da oben so etwas verlangen? Heiraten ist eine wichtige Angelegenheit! So was sollte man nur aus Liebe tun und... Und nicht weil es zum Job gehört!“ „Du machst dir ja richtig Sorgen um deine Neesan“, spöttelte Hausen. „Einer muss es ja tun!“, erwiderte Weber aufgebracht. „Wenn ich darauf warte, dass Sousuke etwas sagt, sitze ich noch bis zu seinem Schulabschluss hier. Der Bursche ist ja nicht mal in der Lage, sich zwischen zwei Frauen zu entscheiden, geschweige denn zu bemerken, was sie für ihn empf... Empf... Empf... Fühlen! Da bleibe ja nur noch ich! Ha! Und was für Gefahren drohen, das geht ja auch auf keine Kuhhaut! Bisher war sie nur in Gefahr, wenn sie in einen Einsatz ging, aber jetzt wurde ja die Aufmerksamkeit von mindestens fünf Geheimdiensten und Amalgam auf sie gelenkt! Das kann doch nie und nimmer gut gehen!“ Frustriert trank Kurtz Weber sein Glas mit Wein im Wert von achthundert Dollar aus. Aber das war Robert die Show durchaus wert. „Und das Wichtigste!“, ereiferte sich der deutsche Scharfschütze. „Was passiert, wenn sie verheiratet bleiben? Dann ist doch ihr Leben ruiniert! Es muss ja nur ein Unfall passieren und Thomas wird verletzt und liegt dann hilflos wie ein Neugeborenes im Krankenzimmer, dann würde sie sich nie scheiden lassen und ihn aufopferungsvoll pflegen und...“ Kurtz setzte das Glas erneut an. „Alle“, murmelte er frustriert. Hausen ließ sich nicht lumpen und schenkte Kurtz eifrig nach, auch wenn das bedeutete, dreihundert Dollar in einen Betrunkenen zu kippen. „Weißt du wovor du wirklich Angst hast, Kurtz? Du hast Angst, dass es tatsächlich mit den beiden funktionieren könnte. Du hast Angst, dass sie dich, die DANNAN und die Pazifikflotte von Mithril einfach mir nichts, dir nichts aufgibt. Und das hat nicht unbedingt einen romantischen oder sexuellen Hintergrund. Sie war einfach die erste, die dir nicht nur eine Chance gegeben hat, dich wirklich zu beweisen, sie ist auch immer für dich da, obwohl du dich am liebsten wie ein Trottel aufführst.“ Niedergeschlagen ließ Kurtz den Kopf hängen. „Du willst einfach nicht, dass sich etwas ändert. Aber alles ändert sich, mit jedem Tag im Leben. Irgendwann wird einer von euch sterben, was hoffentlich natürliche Ursachen haben wird und weit in der Zukunft liegt. Und Sagara wird endlich mit Kaname zurande kommen. Tessa wird nicht immer so bleiben wie sie jetzt ist. Irgendwann hat sie Sousuke überwunden und wird sich einen anderen Freund suchen. Einer der ihr was bieten kann und der sie so sehr liebt wie sie es sich von Sousuke erhofft hat. Und Melissa... Melissa wird ihr Nomadenleben irgendwann auch einmal hinter sich lassen. Sie wird eines Tages einen fähigen Mann ihrer Wahl heiraten, wenn sie lange genug überlebt hat, einfach weil sie merkt, dass sie doch nicht so bald ins Gras beißen wird und weil sie glaubt es wäre die richtige Zeit dafür. Dinge ändern sich. Welten ändern sich. Menschen ändern sich. Frisuren ändern sich.“ Kurtz sah irritiert auf. „Frisuren?“ Hausen hüstelte verlegen. „Ein Insiderwitz. Bezieht sich auf eine alte amerikanische Agentenkomödie, die in der damaligen DDR spielte. Jedenfalls, was ich sagen will ist, dass die Welt nicht statisch ist. Sie ist ständig in Bewegung, und alles was wir tun können ist ihr unsere beste Seite zu zeigen und unsererseits zu versuchen die Bewegungen zu beeinflussen, bevor sie es mit uns tun. Dein Job dabei ist es, für deine Neesan unverzichtbar zu sein. Für sie da zu sein. Damit sie dich als Teil des alten Lebens ins neue integriert, wenn es soweit ist. Das ist morgen sicher nicht der Fall, denn für die beiden, Thomas und Melissa, steht der Auftrag im Vordergrund. Aber irgendwann wird es das, und dann sei froh, wenn sie dich mit Freuden ins neue Leben mit nimmt und den Kontakt nicht unterbricht. Verstehst du was ich sagen will?“ Kurtz brummte etwas unverständliches und trank dann seinen Wein auf einen Schlag leer. „Ich glaube, ich sollte jetzt ins Bett gehen, damit ich morgen wenigstens einigermaßen vorzeigbar bin. Auch wenn es nur eine Finte ist, ich will Neesan nicht enttäuschen oder aufbringen.“ „Eine gute Entscheidung.“ Hausen nickte gewichtig. Er griff in die linke Brusttasche seines Hemds und entnahm ihr eine Plastikschachtel. Er warf sie Kurtz zu. „Wofür ist das?“ „Oropax. Oder denkst du, die Frauenparty ist vorbei, wenn du ins Bett gehst? Vergiss nicht, man stopft es in die Ohren. Nicht schlucken, hörst du?“ Weber brummelte etwas unverständliches, während er die Schachtel einsteckte. „Was, bitte?“ „Ich sagte gute Nacht, werter Landsmann!“ „Oh. Gute Nacht.“ Robert sah dem großen blonden Mann hinterher, bis er in seinem Zimmer verschwunden war. Manchmal liebte er es, sich als großer Bruder aufzuspielen. *** Der nächste Morgen brachte das erwartete Chaos. Vier Frauen auf der Etage bedeutete, dass neun Badezimmer bei weitem nicht ausreichten, egal wohin man sich flüchtete. Und dabei veranstalteten sie eine Hektik, die für ein ganzes Bataillon Männer gereicht hätte. Das war um neun Uhr morgens. Und die Trauung würde erst gegen zwei statt finden. Das klügste wäre es sicherlich gewesen, sich richtig zu besaufen, bis zum Mittag im Bett zu liegen und dann vorsichtig hervor zu lugen, ob der Sturm der Weiblichkeit ein wenig abgeflaut war. Aber leider hatte er vergessen sich zu betrinken, und Lin hatte ihn auch relativ früh aus dem Bett geschmissen, kaum dass er Lebenszeichen gezeigt hatte. Nun stand er hier, in legerer Kleidung mitten im Riesenappartement, und konnte sich nicht mal die Zähne putzen, weil die Mädchen es geschafft hatten alle Badezimmer zu belegen. Er spielte schon mit dem Gedanken, kurzfristig ein Zimmer in den unteren Etagen zu mieten, auch wenn das lächerlich klang. Die Tür von Webers Zimmer öffnete sich. Dies war irgendwie das Zeichen für alle Anwesenden, gespannt zu verharren und seine erste Reaktion auf das Tageslicht abzuwarten. Der junge deutsche Scharfschütze trat hinaus und musterte die interessierten Mienen. Mit stoischer Miene richtete er den Kragen seines Hemds und stellte den Krawattenknoten neu ein. Er war bereits fertig angezogen, frisch rasiert, und hatte zudem sein langes blondes Haar zum Pferdeschwanz gerafft. Er wirkte ernst. Nicht wirklich bierernst, verstockt oder ärgerlich, eher... Seriös. Und das war ein Wort, das Robert Hausen in Bezug auf diesen Landsmann eigentlich noch nie gebraucht hatte. Webers Blick ging über die Anwesenden. „Da ihr alle noch beschäftigt seid, werde ich schon mal ins Bellagio fahren. Mal sehen, vielleicht kann ich Melissa und Thomas helfen. Sie haben sicherlich eine Menge zu tun.“ Mit diesen Worten setzte er sich in Richtung Aufzug in Bewegung. „Warte. Du solltest zu deinem Schutz...“, begann Hausen. Der Deutsche klopfte auf seine linke Brust. „Walther PPK.“ „Nein, das meinte ich nicht. Li.“ Einer der Leibwächter nickte. „Ja, Sir.“ Wortlos schloss er sich Weber an. „Li ist einer meiner besten Leute. Er hat einen Führerschein und gestern Abend garantiert nicht getrunken“, erklärte Hausen grinsend. „Okay, das ist eine gute Idee“, sagte Weber schließlich und ergab sich in sein Schicksal. Als sich der Fahrstuhl hinter ihm geschlossen hatte, setzte das Geraune der Frauen ein, die Kurtz wohl das erste Mal in solch einem Anzug gesehen hatten. Sogar Robert musste zugeben, dass dieser dem Jungen hervorragend stand. Vor allem die neue Frisur ließ ihn um einiges erwachsener, ernster, busyness-like erscheinen. An dieser Stelle klinkte er sich aus und entschied sich für ein Frühstück vor dem Gang ins Badezimmer. Nach einem Kaffee und ein paar Fetttriefenden Würstchen sah die Welt meistens anders aus. Mit der Lektüre der New York Times kam auch ein wenig Ruhe in das Appartement. Robert begann schon zu hoffen, dass er nun endlich zu seiner morgendlichen Dusche kam. „Robert!“, sagte Chan ernst und reichte ihm den Hörer des Festnetztelefons. Irritiert nahm Hausen den Anruf an. „Hausen.“ „Li hier. Sir, wir haben ein Problem.“ „Gibt es wieder Ärger mit den Schnüfflern?“ „Nein, Sir. Ich befinde mich mit Mr. Weber im Bellagio, genauer gesagt im Appartement von Miss Mao und Mr. Kramer. Sie sind nicht da.“ Für einen Moment wollte Hausen erleichtert aufatmen. Wenn die beiden noch mal durchgebrannt waren, brachte das ihren Auftrag nicht weiter, aber... Durchgebrannt? Li bestätigte seine Zweifel. „Es sieht nach einem Kampf aus, Sir. Wir haben die Polizei verständigt. Aber ich habe den Tatort bereits abgefilmt, damit wir unsere eigenen Schlüsse ziehen können. Soll ich in diesem Fall ermitteln?“ „Nein, komm sofort mit Weber zurück. Wir werden uns den Bericht von der Polizei holen und erstmal die Aufnahmen analysieren.“ „Verstanden.“ Li legte auf. Auch Robert schaltete aus und legte das Telefon beiseite. Leider hatten die Frauen gerochen, dass etwas nicht so war wie es sein sollte, und so standen sie in einer wilden Mixtur aus Nachtwäsche und halb angezogenen Kleidern vor ihm. „Was ist denn los?“, fragte Lin. „Man hat die beiden augenscheinlich entführt“, gestand Hausen. Na toll, an vorsichtige Ermittlungen war sicher nicht mehr zu denken. Andererseits drängte vielleicht die Zeit. „Wir müssen ihnen helfen!“, rief Kim aufgebracht. „Wir müssen sie retten und...“ „Ja“, murmelte Hausen. „Das werden wir. Glaub mir, das werden wir.“ Mit diesen Worten griff er zum Telefon. 4. „Eines muss ich dir lassen, Melissa. Ich wusste, dass unsere Ehe aufregend werden würde. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es schon vorher beginnt.“ Die Unteroffizierin von Mithril sah an Thomas vorbei in den Abgrund zu ihren Füßen. „Ich weiß nicht woran es liegt, aber ich mag diesen Anblick.“ Thomas runzelte die Stirn. „Es geht da zweihundert Meter und ein wenig in die Tiefe, und du magst den Anblick?“ Melissa schenkte ihm ein spöttisches Lächeln. „Zweihunderteinundzwanzig Meter, um genau zu sein. Du wirst doch als Arm Slave-Pilot keine Höhenangst haben?“ „Oh, es ist nicht die Höhe, die mir Angst macht. Es ist der Aufprall, nachdem deine italienischen Freunde uns runter geworfen und wir die zweihunderteinundzwanzig Meter am Stück zurück gelegt haben.“ „Es sind nicht meine italienischen Freunde“, murrte sie verstimmt. „Madre de Dios, könnt ihr nicht aufhören zu quatschen?“ rief eine entnervte Stimme mit starkem Akzent. „Tony, lass sie mich umbringen! Eine Kugel durch ihren Kopf, eine durch seinen und die Sache ist erledigt.“ „Guiseppe, was habe ich dir gesagt? Las Vegas ist meine Stadt, nicht deine. Und der Hoover-Damm ist mein Revier, nicht deines.“ Thomas drehte sich halb nach hinten. „Entschuldigen Sie, wenn ich störe, Tony, aber Damm ist eigentlich die falsche Bezeichnung. Hoover-Staumauer wäre treffender.“ „Du hast dir wirklich erstens eine schlechte Zeit, zweitens einen schlechten Ort und drittens den falschen Mann zum klugscheißen ausgesucht, Thomas Kramer.“ Der Major lachte abgehackt. „Wenn ich schon da unten den Beton küssen muss, kann es nicht schlimmer werden, oder?“ Tony, ein nicht besonders großer, schlanker Mann mit braunen Haaren, musterte ihn ärgerlich. „Ich könnte sie vor dir springen lassen und dich zwingen dabei zu zu sehen. Ich könnte dir die Kniescheiben wegputzen und auf die Sekunden wetten, die du es schaffst, auf der Mauer stehen zu bleiben. Ich könnte...“ „Am Endergebnis ändert das aber nicht viel“, wandte Thomas ein. „Ich weiß, man sollte das jemanden nicht fragen, der einen mit Hilfe von Schlafgas aus dem Hotel entführt, aber gibt es Verhandlungsspielraum? Ich wusste, die Ehe ist ein Abenteuer, aber darauf hat mich niemand vorbereitet.“ „Tony, lass mich ihn runter stoßen. Einfach so. Und ich werde auf die Mauer steigen, jeden Meter von seinem Fall beobachten und lachen. Einfach nur lachen.“ „Sei still, Guiseppe. Thomas Kramer, weißt du warum du hier bist?“ „Weil du was gegen mich hast, Tony?“ „Wie kannst du so respektlos zum Don sprechen?“, blaffte einer der Leibwächter. „Ruhig, Richard. Das ist so nicht richtig, Thomas Kramer. Du warst nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort und wolltest die falsche Frau heiraten. Scusi, aber du springst mit ihr gemeinsam weil ich rachsüchtige Verlobte und Witwer einfach nicht leiden kann.“ Thomas sah zu Melissa herüber. „Hast du irgend etwas angestellt von dem ich nichts weiß?“ „Nicht mehr als sonst auch“, erwiderte die schwarzhaarige Schönheit. „Darf ich deine Erinnerung auffrischen?“, Guiseppe, ein großer, bulliger Typ, trat hinter sie, griff in ihre Haare und bohrte den Lauf seiner Pistole in ihre Schläfe. „Du bist auf der Party meines Dons aufgetaucht, unter falschem Namen! Du hast seinen persönlichen Gast entführt, und auf deiner Flucht hast du sieben Wagen voll mit unseren Leuten erledigt! Ich habe dreißig gute Freunde verloren, du Schlampe!“ „Das reicht, Guiseppe!“, klang Tonys Stimme scharf auf. „Aber...“ „Du bist hier in meinem Revier! Willst du gleich mit ihnen springen?“ Langsam nahm der andere die Waffe ab und ließ Melissas Haare fahren. Die junge Frau richtete sich auf und blickte wieder nach vorne. Sie hatte nicht einen Laut von sich gegeben, als der Rüpel an ihren Haaren gezerrt hatte. „Sieben Wagen? Das ist selbst für dich heftig“, staunte Thomas. „Ich hatte Hilfe. Kurtz und Sousuke waren dabei“, erwiderte sie. „Wen hast du entführt?“ „Einen Verräter. Bei der Sache in Hong Kong, der Geiselnahme im Grenztunnel, hat er unsere Aktion beobachtet. Und unseren Funk direkt an Amalgam weiter geleitet. Wir haben eine Menge guter Leute verloren.“ Thomas sah wieder nach hinten. „Gleicht das die sieben Wagen nicht ein wenig aus? Wenn ihr schon Verrätern Gastfreundschaft anbietet.“ „Porca misere, ich werde dich...“ „Genug!“, blaffte Tony. „Ich habe gehört was ich hören wollte. Ich habe kein Interesse an euch beiden.“ Thomas und Melissa wechselten einen hoffnungsvollen Blick. „Andererseits schulde ich dem Don etwas. Und ob ihr lebt oder sterbt ist mir reichlich egal. Wollt ihr selbst springen, oder soll ich nachhelfen lassen?“ „Welches Argument würde dich davon überzeugen, darüber noch mal nachzudenken, Tony?“, fragte Thomas hoffnungsvoll. „Geld? Waffen?“ „Ich bin nicht interessiert.“ Thomas seufzte. „Aber vielleicht bist du in der Lage, uns in Würde abtreten zu lassen, Tony. Du schuldest uns nichts, aber vielleicht machst du Punkte beim Herrgott gut.“ Der kleine Mann runzelte die Stirn. „Was willst du, Thomas Kramer?“ „Wenn wir schon springen müssen, dann bitte auch mit Karacho. Lass uns Anlauf nehmen, Tony.“ Der Deutsche wedelte mit seinen Handschellen, die seine Hände effektvoll auf den Rücken banden. „Keine Tricks, versprochen.“ „Thomas, ich...“ „Es tut mir Leid, Melissa. Aber für uns bleibt nur noch der Sprung. Unsere Freunde stehen in Las Vegas gerade erst auf. Sie können uns nicht helfen. Aber mir liegt viel daran, Dienstgerecht abzutreten. Also... Bitte, Melissa.“ Die Arm Slave-Pilotin musterte ihn für einen Augenblick voller Spannung. „Tony, ist ein letzter Kuss erlaubt?“ „Auch das noch. Glaubt ihr wirklich, ihr zwei seid in der Lage eine Forderung nach der anderen zu stellen? Was glaubt ihr, wer ihr seid? Romeo und Julia?“ Der Italiener murmelte einige Zeit unwillig vor sich hin. „Gut, gut. Aber macht es wenigstens heiß, damit meine Jungs auch was davon haben.“ Sekunden darauf drückten die Mündungen von Revolvern auf ihre Schläfen, während weitere Männer ihnen die Handschellen abnahmen. Thomas massierte seine Handgelenke für einem Moment, um sie wieder richtig zu durchbluten. Melissa sah betrübt zu Boden. Langsam nahm er sie in die Arme. „Sei nicht traurig. Ich kann dich nicht retten. Das muss ich einer größeren Macht überlassen. Aber ich verspreche dir eines. Ich springe mit dir, und wir gehen gemeinsam in ein neues Leben.“ „Glaubst du das wirklich?“, hauchte sie und sah auf. Sanft streichelte er über ihre Wangen. „Wenn nicht hier und jetzt, wann dann?“ „Oh, Thomas.“ „Melissa.“ Sanft berührten sich ihre Lippen zu einem Kuss. „Lass sie mich erschießen, Tony, hier und jetzt und...“ „Verdammt, Guiseppe! Noch ein Wort und ich zerre dich selbst zur Mauer und werfe dich eigenhändig rüber!“ „Das würdest du tun? Mit deinem eigenen Schwager?“ „Ich höre mir lieber das Gezeter meiner Schwester an als dein Genörgel!“ Abwehrend hob Guiseppe beide Hände und trat nach hinten. „Also, ihr zwei, genug geknutscht. Jetzt wird gesprungen.“ Die beiden unterbrachen den Kuss und sahen zu dem Anführer der hiesigen Mafia herüber. „Ich hoffe du weißt, dass jede Aktion eine Reaktion auslöst“, murmelte Thomas wütend und löste sich von Melissa. „Und ich hoffe, dass du auf den letzten Metern nicht anfängst zu heulen und deinem Mädchen Schande machst“, erwiderte Tony. Barsch wandte sich Thomas ab. Er streckte eine Hand aus. Melissa ergriff sie. In diesem Moment stand die Sonne günstig genug, sodass sie nur als Silhouetten zu sehen waren. „JETZT!“, rief Thomas. Er sprintete los, die junge Frau aus der Pazifikflotte an seiner Seite. Sie erreichten die Mauer, benutzten sie als Sprungbrett und stießen sich kraftvoll ab. Im freien Fall zog Thomas Melissa an sich. Er würde sie bis auf den letzten Meter beschützen. Dann rauschte der Arm Slave heran. Er kam aus dem Colorado gefegt, sauste, die Staumauer als Rampe benutzend, hoch, und fing sie mit seinen beiden zur Schale geformten Händen auf. Dann sprang er kontrolliert in die Tiefe, tauchte in den Fluss ein und federte die Wirkung des Aufpralls damit ab. Bevor sich die zwei versahen, waren sie bereits außer Schussreichweite der überraschten Mafiosi. „Das ist die verrückteste Entführung der Braut, die ich je erlebt habe!“, rief ihm Melissa über den Lärm des Flusses hinweg zu. „Du bist ja auch die verrückteste Braut, die ich je hatte!“, erwiderte Thomas mit einem wilden grinsen. „Chef, bist du okay? Ist So-sho Mao okay?“, klang eine besorgte Frauenstimme auf, die er nur zu gut kannte. „Keine Sorge, Sam, wir sind beide wohlauf. Dank dir“, rief er und zeigte dem Arm Slave einen erhobenen Daumen. „Gut, dann brauche ich ja keine Rücksicht zu nehmen!“, erwiderte Sam und beschleunigte. „Ist sie aus irgend einem Grund sauer auf dich?“, rief Melissa, während der verstärkte Fahrtwind an ihr zehrte. Thomas musterte die junge Frau, musste lächeln, wurde aber sofort wieder ernst. „Mir fällt kein ernsthafter Grund ein“, log er. *** „Setzt alles in Bewegung!“, rief Robert Hausen aufgebracht. „Nutzt unsere hiesigen Kontakte und findet heraus, wer mir da ans Bein pinkeln will! Soweit kommt es noch, das jemand Freunde von mir vor meinen Augen aus einem Hotel entführt! Ich will Namen! Und ich will Köpfe!“ Die chinesischen Bodyguards nickten bestätigend. Sie arbeiteten mittlerweile lange genug mit Robert Hausen zusammen, um mehr als genügend Regeln und Tricks kennen gelernt zu haben, die sie für eine internationale Bühne benötigten. Er sah zu seinen Gästen herüber. „Keine Sorge. Wenn diese Idioten auch nur die kleinste Spur hinterlassen haben, finde ich sie! Und wenn ich sie finde und sie haben Melissa und Thomas auch nur ein Haar gekrümmt, dann...“ Seine finstere Miene verriet genug darüber, was dann war. Kim begann zu schluchzen. „Wenn sie hier geblieben wären, wäre das nicht passiert.“ „Mach dir keine Sorgen. Melissa ist bei ihm“, sagte Theresa im verzweifelten Versuch, Kim zu trösten. „Meinst du ich bin dumm? Keine Kampfspuren im Pavillon bedeutet, dass sie ohne Gegenwehr fortgeschafft wurden. Was bitte soll denn eine betäubte Melissa Mao reißen? Oder ein betäubter Thomas Kramer?“ Tessa fühlte sich von Kims verzweifelten Blick fixiert. Und sie führte die gleiche Verzweiflung nun durch ihre eigenen Adern kriechen. „Melissa...“, hauchte sie. „Himmel“, brummte Kurtz Weber ärgerlich. „Es ist nicht gerade hilfreich, wenn ihr in Simultantrauer ausbrecht. Wenigstens Kaname macht nicht so ein Theater.“ Die junge Frau mit den langen dunkelblauen Haaren stand am Fenster und sah wie gebannt hinaus. „Was? Ich habe nicht zugehört. Sousuke, kannst du mal kommen? Du weißt doch sicherlich, was für ein militärischer Hubschrauber das dort ist.“ „Militärischer Hubschrauber? Mitten in Las Vegas? Das ist doch etwas...“, begann Sagara, während er ans Fenster trat. Entsetzt riss er die Augen auf, warf sich auf Kaname und riss sie zu Boden. Zugleich brüllte er: „RUNTER!“ Kurtz reagierte, warf Tessa und Kim um. Robert Hausen stand ein wenig höher als die fünf und starrte mit immer größer werdendem Entsetzen, wie die Glasscheiben der Panoramafenster splitterten und als scharfer Regen in den Innenraum fegten. Eine MG-Salve kam durchs Fenster und hinterließ Spuren wie ein Reißwolf, einmal vom Wohnzimmer zur Küche. Robert trat drei schnelle Schritte zurück und befand sich in der Deckung der nächsten Wand. Für Kugeln dieses Kalibers nur ein minimales Hindernis, aber immerhin würden sie abgebremst werden. „Verschlusszustand!“, herrschte er seine Untergebenen an, von denen einige ebenfalls zu Boden gehechtet waren. Einer nickte ihm zu, eilte zum Sicherungskasten und betätigte einen großen roten Knopf. Rund um sie begann es zu rauschen, und kugelsichere Jalousien bedeckten die zerstörten Fenster. „Das wird uns ein paar Sekunden Zeit erkaufen“, rief Hausen mit japsender Stimme. „Lin, bist du in Ordnung?“ „Ich bin in der Küche! Du glaubst ja gar nicht wie sehr ich die Marmorverkleidung des freistehenden Herds plötzlich zu schätzen weiß.“ „Bleib wo du bist! Der Blitz schlägt niemals zweimal am gleichen Ort ein!“, rief Robert ihr zu. Er eilte zu einem unscheinbaren Schrank und zog das EMP-Gewehr hervor, das sich dort befand. Zeitgleich prasselten weitere Schüsse gegen den Schutz. „Sagara!“ Sousuke sah herüber. „Hier!“ „Hier! Es ist entsichert! Zehn Sekunden Aufladezeit, ein Schuss. Sobald du fertig bist, fahre ich die Rollos wieder hoch! Du hast eine Sekunde, dann bricht die Hölle über uns zusammen!“ Sousuke fing das Gewehr, machte sich kurz mit der Bedienung vertraut und nickte. „Kaname, nimm die anderen und geh sofort zu Herrn Hausen herüber.“ „Dazu müsstest du erstmal von mir runter gehen“, tadelte sie den Arm Slave-Piloten. Der Gun-so errötete und beeilte sich, ihrer Aufforderung nach zu kommen. Danach eilte sie erst zu Kurtz, und mit den anderen zu Hausen. „Wir sollten uns beeilen. Es ist ein russischer Werewolf, und ich habe Raketen gesehen“, sagte Sousuke konzentriert. „Aufladen, Gun-so!“ Sousuke nickte und betätigte den entsprechenden Sensor. Nach zehn Sekunden nickte er. „Fahrt die Fenster wieder hoch!“, befahl Hausen. Die schweren Rollos wurden wieder in die Höhe gezogen, und kaum das die Lücke groß genug für den Lauf der Waffe war, hatte Sousuke reagiert und auf den Hubschrauber angelegt. Er feuerte im gleichen Moment, in dem auf beiden Seiten die Antriebe zweier Raketen aufheulten. Sein Schuss traf eine Viertelsekunde früher, und die Maschine verlor die Kontrolle. Sie driftete mit der Schnauze in die Höhe und sackte nach schräg hinten weg. Die Raketen verbrannten ihren Treibstoff in den Halterungen, gingen aber nicht hoch. Stattdessen fiel die Maschine immer tiefer, nur notdürftig vom natürlichen Auftrieb eines Rotors gehalten, der sich durch den Luftdruck noch drehte. „Sind noch alle am Leben?“, rief Hausen in die Runde. Als diese Frage zu seiner Zufriedenheit beantwortet war, richtete er sich auf und besah sich die Bescherung genauer. „Okay, ab jetzt ist es persönlich! Es ist Krieg!“ „Was ist denn hier passiert?“, fragte eine erstaunte Stimme vom Fahrstuhl herüber. Einer der Leibwächter begleitete den Mann und starrte überrascht auf das Chaos. „Ein Gast für Tai-sa Testarossa. Er hat sich als Captain von Mithril ausgewiesen und... Verdammt, ich würde auch gerne wissen, was hier passiert ist.“ „Nur ein kleiner Luftangriff“, versetzte Robert Hausen ernst. „Und eine Kriegserklärung, die ich anzunehmen gedenke. Tessa? Du hast Besuch! Captain Karasov von der FEANOR!“ Wenn Karasov überrascht war, vom Söldner erkannt worden zu sein, dann zeigte er es nicht. Stattdessen wich er den geschäftig durcheinander eilenden Leibwächtern aus, machte höflich Platz, als Lin in einem Pulk aus jungen Frauen aus dem zerstörten Appartement gebracht wurde und begrüßte sie mit einem Nicken... Und stand dann mitten in einer Horde aufgekratzter, halb angezogener Menschen. „Captain Karasov. Das ist eine Überraschung.“ Der Russe salutierte. „Ma´am, ich hoffe eine angenehme. Ich bin Teil einer Backup-Operation für Major Kramer, und ich darf Ihnen berichten, dass wir sowohl den Major als auch So-sho Mao befreien und auf die Kensington Air Force Base bringen konnten. Sie alle werden dort erwartet.“ „Aber wie... Aber warum...“, stammelte Kim. „Geht es beiden gut?“ „Sie sind wohlauf. Aber ich denke, wir sollten hier wirklich verschwinden. Die Mission wird abgebrochen. Keiner von uns muss mehr hier bleiben.“ Er wandte sich halb um, und beinahe lächelte der Infanterist. „Herr Hausen, diese Notizen werden Sie interessieren. Die Namen der Männer, die wir bei unserer Befreiungsaktion identifizieren konnten. Sie gehören einem örtlichen Mafia-Zweig an. Bisher leben sie alle noch. Aber wenn Sie andere Pläne haben...“ „Dass ich da andere Pläne habe, darauf können Sie sich verlassen“, sagte der Deutsche wütend und nahm die Dokumente entgegen. Er sah seine Gäste an. „Ihr solltet jetzt gehen. Sobald Lin in Sicherheit ist, schlage ich zurück. Und da sollte keiner von euch dabei sein. Oder im Detail wissen, was ich geplant habe. Ich habe euer Gepäck bereits in eine Zimmerflucht in der unteren Etage bringen lassen, wo ihr euch umziehen könnt.“ „Danke, Robert“, sagte Theresa Testarossa. „Du bist wie immer ein guter Freund für uns.“ „Es ehrt mich, dass du mir altem Gauner so etwas nettes sagst. Grüßt mir die zwei, wenn ihr sie seht. Und das nächste mal wenn Thomas heiraten will – ich glaube die Antarktis dürfte sicher sein.“ *** Die Kensington Base war relativ neu. Ursprünglich als Arm Slave-Stützpunkt für die Nationalgarde gedacht, war sie danach etwas größer ausgefallen, nachdem die Vereinigten Staaten regelmäßige Stützpunkte für die Versorgung ihrer schnellen mobilen Arm Slave-Verbände benötigt hatten, um die Flexibilität an ihr Maximum zu bringen. Man sagte, eintausend Arm Slaves konnten dank dieser Stützpunkte jeden Punkt in Nordamerika binnen von acht Stunden erreichen. Sie hatten unrecht. Es waren nur sechs Stunden. Und in unsicheren Zeiten wie diesen, in denen der Bürgerkrieg in Osteuropa wieder und wieder Feuer an die Welt zu setzen drohte, eine zugegeben kostspielige, aber notwendige Einrichtung, wie Thomas fand. Der Major sah den Gernsback hoch. Die Unterwasseroperation im Colorado hatte Schäden verursacht, und diese half er nun zusammen mit Melissa Mao zu beheben. Sie hatten ihre Abendgarderobe nach einer heißen Dusche und einem medizinischen Checkup auf Restspuren der Betäubung gegen schmucklose Universaloveralls eintauschen können und genossen nun in einem Hangar der Anlage Narrenfreiheit. Und den Schutz von zweihundert hoch motivierten, elitären Arm Slave-Soldaten. Natürlich war der Gernsback für die neugierigen Elite-Soldaten ein gefundenes Fressen, aber die Anweisungen von Mithril waren eindeutig. Den Verbündeten wurde kein Zugang zu Mithril-Maschinen gestattet. Ein Grund warum Sam Rogers so verdammt sauer war. Hätte sie sich alleine an diese Arbeit machen müssen, wäre sie in einer Woche noch nicht fertig gewesen. Alleine die Fehlerdiagnose erforderte vier, besser sechs Augen. Zu diesem Zweck steckte Sam im Cockpit, und Melissa arbeitete sich zusammen mit Thomas durch die Wartungsklappen. „Thomas!“, rief eine helle Mädchenstimme in den Hangar hinein. Der Major von Mithril hatte gerade noch Zeit sich aus der Wartungsklappe hervor zu arbeiten und aufzurichten, als ihm schon fünfzig Kilo Mensch entgegen flogen und sich ihm an den Hals warfen. Überrascht fing er die junge Frau auf, die sofort zu weinen begann. „Ich hatte solche Angst um dich! Ich dachte, du stirbst!“ „Nee-chan!“ Mit pochender Schlagader auf der Stirn und ihrem rechten Fuß auf seiner Brust hinderte Melissa Mao Gun-so Weber daran, ihr um den Hals zu fallen. „Denk nicht mal dran.“ Mit perfekt gespielter Verzweiflung zerdrückte Weber eine imaginäre Träne zwischen den Lidern. „Wie gemein.“ „Melissa!“ Die Umarmung von Tessa ließ sie sich da schon eher gefallen. „Schön sie beide wieder wohlauf zu sehen!“, rief Sousuke mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, und bekam dafür einen wohlwollenden Schlag von Chidori auf den Hinterkopf. „Sei nicht so steif, Sousuke. Wenn du dir Sorgen um die zwei gemacht hast, kannst du es ruhig sagen.“ „Sorgen? Warum das? Thomas hatte So-sho Mao dabei.“ „Das ist aber eine Menge Verantwortung, die du mir da aufhalst. Und was hatte ich für eine Hilfe?“, fragte Melissa amüsiert. „Ma´am, Sie hatten schließlich Thomas dabei. Ich weiß was er leisten kann wenn er muss.“ „Nur wenn ich muss? So-sho, Ihr Untergebener ist nicht sehr galant zu mir“, beschwerte sich Thomas grinsend. „Oh, ich entschuldige mich für ihn. Und ich verspreche ihn ordentlich maßzuregeln, versprochen. Du kannst mich jetzt wieder loslassen, Tessa.“ „Und du kannst mich wieder loslassen, Kim“, fügte Thomas an. „Ich lasse dich nie wieder los“, brummte sie und trocknete ihr tränennasses Gesicht in seinem Hemd ab. „Nie wieder.“ Mit sanfter Gewalt befreite sich der Major aus ihrem Griff. „Ich laufe nicht weg, versprochen.“ „Was genau hast du in Japan eigentlich gemacht?“, ließ sich Sam Rogers vernehmen, während sie aus dem Cockpit konsterniert beobachtete, wie Thomas von der Whispered umarmt wurde, die sie in Rumänien gerettet hatten. „Es ist nicht so wie es aussieht.“ „Ist es doch!“ „Okay, es ist so, wie es aussieht. Kim hat einfach einen Narren an mir gefressen und sich wirklich Sorgen um mich gemacht.“ „Und um Melissa“, kam es trotzig von der jungen Frau. „Und um Melissa.“ Thomas schmunzelte. „Danke übrigens nochmal für die Rettung, Sam. Die Idee, mich mit dem Ziellaser auf dich und deinen Gernsback aufmerksam zu machen war genial. Nur weil ich dich im Wasser erkannt habe, ist Melissa und mir die Flucht gelungen. Andernfalls wären wir zwei ziemlich hässliche Flecken in der Landschaft gewesen.“ „Bei uns war es auch nicht gerade harmlos. Sie haben einen Werewolf auf uns gehetzt, der mal eben das ganze Stockwerk durchgequirlt hat“, brummte Kurtz. „Zum Glück kann man sich auf zwei Dinge verlassen: Auf die Paranoia von Robert Hausen, und darauf das Sousuke sogar unter widrigsten Umständen genügend Ruhe für einen gezielten Schuss hat.“ „Ein russischer Kampfhubschrauber? Seid ihr sicher? Seid ihr alle in Ordnung?“ „Ja und ja.“ Kurtz grinste breit. „Zur Zeit dient der Hubschrauber als neue Dekoration im Teich vor dem Bellagio. Macht sich ganz gut da, wenngleich die Polizei die beiden Piloten einkassiert hat. Hausens Männer waren ein paar Sekunden zu spät dran. Dieses französische EMP-Gewehr ist wirklich nicht zu verachten, Thomas. Ich hätte dran denken sollen, mir eins zu organisieren.“ „Auf jeden Fall seid Ihr in Sicherheit. Verdammt, dass es so weit kommt hätte ich nie gedacht. Ansonsten hätte ich euch in den nächsten Flieger gesetzt und nach Japan zurückgeschickt.“ Thomas sah zu Melissa herüber. Die junge Frau nickte zufrieden. „Mehr ist wohl nicht zu erreichen. Lassen wir den Dingen ihren Lauf.“ „Und was ist mit euch? Wollt ihr immer noch heiraten?“, fragte Kim. „Nein, wozu? Unser Auftrag ist erfüllt. Wir haben eine Menge Dreck aufgewirbelt. Der Rest liegt am Geheimdienst. Sollen sie die Wogen glätten.“ Erschrocken starrte Samantha Rogers ihren Vorgesetzten an. „E-es war ein Auftrag? Du wolltest gar nicht heiraten, Boss? Aber... A-aber...“ „Nicht soviel denken, mehr nachdenken. Natürlich war es eine Operation, Sam. Wir haben uns auffällig benommen, und Spezialteams unseres Geheimdiensts haben beobachtet, wer sich für uns interessiert. Ich nehme an, eines dieser Teams hat euch auf den Plan gerufen.“ „Lieutenant Scott hat das Team begleitet, das Ihre Entführung beobachtet hat, Major Kramer. Wir erwarten ihn jede Stunde hier zurück.“ „Gut.“ Thomas sah zu Sousuke herüber. „Was stellt Hausen gerade an?“ „Er nimmt die Sache sehr persönlich. Richtig persönlich. Für ihn ist gerade ein Krieg ausgebrochen.“ „Er wird uns mitteilen was er herausfindet. Und er wird uns vielleicht um Hilfe bitten. Aber ich kann verstehen das er sauer ist: Seine Frau ist schwanger, und diese Bastarde schießen auf sie. Hoffen wir das er sauer genug ist, um uns ein Gros der Arbeit abzunehmen.“ „Das ist nicht lustig, Thomas“, tadelte Theresa. „Klang es so als hätte ich einen Witz machen wollen?“ Der Major sah in die Runde. „Ich breche den Einsatz hiermit ab. Wir haben eine Transportmaschine zu unserer Verfügung, dazu einen Gernsback. Wir können auf unauffällige Hilfe der Behörden hoffen, sowohl der Polizei als auch der Armee. Eine Arm Slave-Truppe von der Kensington Base gibt unserem Flug Geleit bis zur texanischen Karibikküste. Auf jeden Fall müssen wir alle Nicht-Mithril-Angehörigen erstmal aus der Schusslinie bringen, und das schnell.“ „Und schnell bedeutet in diesem Fall die FEANOR“, fügte Melissa mit einem Lächeln an. „Und was passiert in der Stadt? Was ist mit der Mission?“, fragte Kurtz ungläubig. „Im Moment halten sich über einhundert Geheimagenten von Mithril in der Stadt auf, dazu kommen FBI, CIA und einige Geheimdienste, die von Rechts wegen dienstlich nichts in Amerika verloren haben. Wenn die in diesem Aufruhr nicht ein paar Spuren finden, wer dann?“ Thomas winkte ab. „Wir fliegen in einer Stunde. Ihr könnt die Halle verlassen wenn ihr wollt, aber geht nicht zu weit. Zweihundert Leibwächter mit Arm Slaves sind eine Menge, aber wenn hier ein Venom auftaucht hilft uns nur ganz schnell ganz weit weg zu sein. Wir haben keinen Arm Slave mit Lambda Driver.“ Samantha Rogers grinste und legte burschikos einen Arm und die Schultern ihres Vorgesetzten. „Aber wir haben den einzigen Menschen hier, dem es je gelungen ist, einen Lambda Driver ohne eigenen Lambda Driver zu besiegen.“ „Das war nur Glück“, murmelte Thomas und schob den Arm der jungen Frau von seiner Schulter. „Napoleon soll gesagt haben: Gut wenn man Glück hat, aber drauf verlassen sollte man sich nicht. Entschuldigt mich bitte. Ich muss noch meinen Bericht aufsetzen. Melissa, du musst mir assistieren.“ „Natürlich, Thomas.“ „Eines noch“, sagte Kim schnell. „Das heißt doch jetzt ein für allemal, dass ihr nicht heiratet? Jetzt wo die Mission geplatzt ist?“ „Ja, das heißt es.“ Thomas warf ihr einen ernsten Blick zu. „Aber die Mission ist nicht geplatzt. Im Gegenteil, jetzt fängt sie erst an. Aber für dich und Kaname bedeutet es, dass ihr so schnell wie möglich wieder nach Japan geschafft werdet.“ Konsterniert sahen sich die beiden jungen Frauen an. „Sousuke nicht?“, stellte Kaname überrascht fest. „Er wird nachkommen, aber in der Mission assistieren“, erwiderte Thomas. „Theresa, Kurtz und Melissa hingegen werden ebenfalls nach Südostasien zurück gebracht werden. Dein Schiff kann nicht so lange auf dich verzichten, Tessa.“ Schuldbewusst sah die weißblonde Italienerin den Deutschen an. „Und was ist mit dir? Wirst du nachkommen?“ „Ich weiß es nicht, Kim. Diese Mission hat ergeben, dass euer Schutzschild nicht so dicht ist, wie Mithril es sich für zwei Whispered wünscht. Sicherlich wird das ganze Sicherheitskonzept von Grundauf überdacht werden. Ob ich dann noch Teil davon bin oder ob ich mein Kommando auf der FEANOR wahrnehmen werde, kann ich dir noch nicht sagen.“ „Und was ist mit Sousuke?“, fragte Kim nach einer bangen Minute eisigen Schweigens. „Er hat eine Sonderabmachung mit der Admiralität in Sydney, wie ich gehört habe. Er wird in jedem Fall zurückkehren.“ Thomas sah jeden einzelnen noch einmal an, dann nickte er So-Sho Mao zu. „Beeilen wir uns.“ Die beiden verließen den Hangar, passierte einen wartenden M-6 und seinen Piloten, der ihnen salutierte und gingen auf das ferne Stabsgebäude mit den Computerarbeitsplätzen zu. Ungefähr auf der Hälfte kommte Melissa Mao nicht mehr an sich halten. „Du hättest nicht so schroff sein müssen, Thomas. Du weißt doch das Kim in dich verliebt ist“, murrte die Halbchinesin. „Sie ist in ein Idealbild verliebt, nicht in mich. Ich sage nicht, dass ich das schlecht finde, aber ich sage das ich nicht weiß was wirklich gut für sie ist. Bisher haben die Psychologen dazu geraten, eine enge Bindung zu ihr aufrecht zu erhalten, aber meine Abwesenheit während dem Rumänieneinsatz hat sie gut vertragen. Außerdem kennt sie jetzt ihre Vergangenheit. Vielleicht der beste Weg, um von ihrem Traumbild zu einem echten Freund zu werden.“ Der Major schnaubte spöttisch. "Oder bist du etwa ein Anhänger der Idee, das ich sie heiraten sollte, solange sie auf mich fixiert ist?" "Die Gelegenheit ausnutzen? Ist es das was du sagen willst?" "Wer weiß? Wann kriegt ein alter Kommisskopf wie ich schon mal die Gelegenheit, sein Leben mit so einem jungen Ding zu verbringen. Himmel, wenn ich das sage, dann könnte ich mich selbst anspucken." "Thomas", sagte Mao nachdenklich, "hast du bei all dem vielleicht eines vergessen? Was wenn sie wirklich in dich verliebt ist? Was wenn aus dieser anfänglichen Fixierung wirkliche Liebe geworden ist? Immerhin ist sie ein heller Kopf, und sie hat dich im letzten halben Jahr sehr gut kennen gelernt. Was ist wenn sie..." "Und wenn schon! Mir ist egal was sie will! Mir geht es nur darum, was ich will!" "Und was ist es, das du willst, Thomas Kramer?" "Ich will mich jetzt, wo sie emotional und sozial auf eigenen Beinen stehen kann, wo sie ihre Familie wieder hat, wo sie einen passenderen Mann als mich finden kann... Jünger, besser aussehend, intelligenter... Aus ihrem Leben heraus halten. Ein für allemal." "Und was tust du wenn sie damit nicht einverstanden ist?" Thomas öffnete die Tür zum Stabsgebäude für die Halbchinesin und winkte sie durch. "Ich sagte es schon, es geht nicht darum was sie will. Und diese letzte Szene direkt vor Sams Augen war für mich den entscheidende Auslöser. Ich muss aus ihrem Leben verschwinden, damit sie eines hat. Das ist meine Meinung, und davon lasse ich mich auch nicht abbringen." "Mag sein, aber was ist, wenn sie nicht mitspielt?" "Sie wird es lernen. Sie wird lernen zu verzichten." "Oder ist es dir einfach peinlich, ausgerechnet von Lieutenant Rogers erwischt worden zu sein, wie sie dir deine Tagesration an körperlicher Nähe gab, mein lieber Thomas?", neckte Mao. Kramer lächelte dünn. "Du weißt doch, die einzige Frau die ich je genug geliebt habe um sie heiraten zu wollen, bist du." "Ich weiß nicht ob mich diese Antwort beruhigen soll", brummte Melissa ärgerlich. Sie trat ein, salutierte der Türwache und folgte anschließend dem Major in eines der Büros. Ein Sergeant vom Dienst ließ sie ein und servierte Kaffee. Nachdenklich begann Thomas zu schreiben, während sich die So-sho mit dem Kaffebecher in der Rechten auf seine Schulter abgestützt hatte und mitlas. "Meinst du wirklich, wir können mein Brautkleid von den Spesen absetzen? Ich habe es nie bekommen, weil wir vorher entführt wurden." "Ich bin sicher, der Geheimdienst wird es nicht nur bezahlt, sondern auch beiseite geschafft haben. Die Schwierigkeit daran ist, dass du es bekommst, Melissa." "Ich denke nicht, das ich Verwendung für ein Brautkleid haben werde. Zumindest nicht in naher Zukunft." Nachdenklich nahm sie einen Schluck Kaffee. "Die Rolle von Hausen hältst du jedenfalls recht klein, wie ich sehe." "Warum unnötig Aufmerksamkeit auf ihn lenken? Er ist ohnehin schon im Fokus von einigen Dutzend Geheimdiensten, Amalgam und Mithril außen vor gelassen. Wir müssen nicht mehr über ihn erzählen als wirklich passiert ist. Er rutschte zufällig ins Geschehen. Und er ließ sich äußerst bereitwillig einfangen, oder?" Mao grinste burschikos. "Da hast du allerdings Recht. Für die Chance, uns vor dem Altar zu sehen hat er einigen Aufwand betrieben." "Für die Chance, den ganzen Trubel mitzuerleben, wenn wir uns unseren Freunden stellen müssen, hat er einigen Aufwand betrieben. Und er hätte auch einiges geboten bekommen, wenn wir nicht ausgerechnet vom Mob entführt worden wären. Weil du dir ein paar Italiener zum Feind gemacht hast, Melissa." "Tut mir Leid, aber das war dienstlich." Sie nippte erneut an ihrem Kaffee und murmelte: "Immerhin hat er eine ganze Menge für seinen Aufwand geboten bekommen. Vielleicht nicht ganz das was er erwartet hat." Thomas unterdrückte ein Schmunzeln. "Sicherlich nicht." 5. Als Robert Hausen in das Penthouse eintrat, hatte er Mühe, nicht den Kopf zu schütteln. Wie viele Klischees wollte dieser verdammte Spaghetti eigentlich bedienen? Nicht nur das er in Las Vegas selbstverständlich in einem Casino residierte, auch die Inneneinrichtung sah aus als hätte er sie direkt nach Der Pate IV gekauft und hier aufstellen lassen. "Ah, Roberto, mein alter Freund. Komm, lass mich dich begrüßen." "Antonio. Es ist eine Freude, dich zu sehen." Robert trat vor und drückte dem Italiener die Hand. Missmutig sah ihn der schwarzhaarige Mann an. "Roberto, warum so kalt? Was habe ich dir getan?" "Nun, wir können damit anfangen, dass du zwei meiner Gäste im Schlaf hast entführen und vom Hoover-Damm werfen lassen", erwiderte Hausen eisig. Der Italiener erbleichte. "Scusi, das waren Freunde von dir? Gute Freunde?" "Ich verdanke ihnen mein Leben. Antonio, wären die beiden jetzt tot, müsste ich eine Blutrache gegen dich führen. Ihre Leben für deines." Die Leibwächter raunten wütend auf, aber Tony winkte ab. Erschrocken und entsetzt, nahe der Ohnmacht. "Aber Roberto, bedeutet dir unsere Freundschaft gar nichts mehr? Hast du alles vergessen, was meine Familie für dich getan hat?" "Du meinst alles was ich für deine Familie getan habe", erwiderte Hausen schroff. "Ich erinnere mich gut daran, dass ich deiner Familie im Namen des alten Don Giovanni, Gott zeige seiner Seele Gnade, stets wohlgesonnen war. Und so dankst du es mir? Was habe ich getan, um so eine Behandlung zu verdienen? Was, Antonio, was?" "Ent- entschuldige, aber ich wusste nicht, das sie deine Gäste waren. Guiseppe, der nervige Bruder meiner Frau, hat die Dame erkannt und mir gesagt, dass sie ihrerseits einen Gas aus dem sizilianischen Anwesen meines Großonkels entführt hat. Bei der anschließenden Verfolgungsjagd starben acht seiner Leute, und fünf Wagen wurden vernichtet." "Ja, das klingt nach ihr", meinte der ehemalige Waffenhändler sinnierend. "Gut, ich will nicht so sein und gebe zu, dass sie deiner Familie zuerst Ärger gemacht hat, bevor du mich beleidigt hast, Antonio. Darum will ich dir vergeben. Aber für den Hubschrauberangriff..." "Scusi, Roberto, redest du von der Sache in den Nachrichten? Hat das Ding auf dich geschossen? Du musst mir glauben, ich würde niemals das Militär auf dich hetzen, Fratello mio!", rief der Italiener im Brustton der Überzeugung. "Ich habe sie nicht bestellt und ich kenne sie auch nicht!" "Aber wer hat sie dann geschickt? Dein Schwager vielleicht?" "Wenn er das wirklich hinter meinem Rücken getan hat, dann... Ricardo, hole meinen unnützen Schwager!" Einer der Männer nickte und verschwand in einem der Räume. Ein lädiert wirkender junger Mann trat hervor, eines seiner Augen unter einem halben Pfund Rindersteak verborgen, das er sich aufs Gesicht presste. "Was willst du denn noch, Tony? Reicht es dir nicht, dass du mich grün und blau schlägst?" Interessiert hob Hausen die Augenbrauen. "Oh, er ging mir einfach auf die Nerven. Und da ihn umbringen meine Schwester verärgert hätte, habe ich mich damit begnügt, ihm ein blaues Auge zu verpassen. Schau, ich habe sogar vorher meine Ringe abgenommen." Der Italiener hob die Rechte um zu zeigen, das er tatsächlich keine Ringe trug. Dann wandte er sich dem jungen Mann zu. "Guiseppe, dies ist Fratello mio Roberto Hausen." "Oh. Herr Hausen." Entsetzt nahm der Junge das Fleisch vom Gesicht und verbeugte sich. "Wegen dir habe ich zwei seiner Gäste entführt, mein Junge. Und wegen dir hat ein Hubschrauber sein Appartement im Treasure Island angegriffen!" Der junge Mann erbleichte. "Uno Momento, Tony, du glaubst doch nicht etwa, das ich... Ich? Bis eben wusste ich nicht einmal, dass Herr Hausen in Las Vegas ist! Por vavore, Toni, ich war es nicht!" "Aber Tatsache ist, das auf ihn geschossen wurde. Und das kurz nachdem wir mit dem Pärchen zum Hoover-Damm raus gefahren sind. Was hast du mir zu sagen, Guiseppe?" "Ich war es nicht, Tony! Bitte, Herr Hausen, das müssen Sie mir glauben! Aber..." Er stutzte. "Nein, das ist leider keine Möglichkeit. Ich dachte ich kenne jemanden, der uns sagen kann was hier passiert ist. Aber wenn mein Schwager schon nicht weiß wer in seiner Stadt auf harmlose Hotels schießen lässt, dann..." Ärgerlich hob Tony die Augenbrauen. Einerseits, weil der freche Bengel ihn beleidigt hatte, andererseits weil er Recht hatte. "Dann?", fragte er scharf. "Dann kenne ich nur zwei Personen, die Herrn Hausen Rede und Antwort stehen können. Die Hubschrauberpiloten." "Guiseppe, wie stellst du dir das vor? Sollen wir zur Vordertür der Polizeiwache hereinmarschieren und einfach ein Gespräch mit ihnen verlangen?" "Das ist eine gute Idee." Nachdenklich strich sich Hausen übers Kinn. "Wenn du auf der Polizeiwache erscheinst und mit den beiden zu reden wünschst, könnten die Polizisten vielleicht die Piloten verlegen wollen. Zur Bundespolizei beispielsweise." "Und auf dem Weg könnte man, ah, versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen", vollendete Tonys Schwager. Grinsend legte er das Fleisch wieder auf sein Veilchen. "Mir gefällt es wie Sie denken, Herr Hausen." "Idiot! Eine solche Tat würde Krieg bedeuten! Und was haben wir von einem Krieg mit der Polizei oder gar dem FBI?" "Was mich angeht, bin ich bereits im Krieg, Tony", sagte Robert Hausen düster. "Sie haben auf meine schwangere Frau geschossen, und das verzeihe ich ihnen niemals. Weißt du wie ich die Sache in Afrika geregelt hätte? Alles was ich gebraucht hätte wären ein Nilpferd, ein Baum und ein Seil gewesen. Und dann nur ein klein wenig Zeit." "Die Familie ist wichtig", stimmte Tony zu, während er sich vorzustellen versuchte, wie ein Baum, ein Seil und ein Nilpferd zusammenpassten. "Guiseppe, du holst die beiden Männer. Aber baue diesmal keinen Mist, sonst wird es dir diesmal gar nichts nützen, dass du der Bruder meiner Schwester bist!" "Du kannst dich auf mich verlassen, Tony!", rief der junge Mann enthusiastisch. Er angelte nach seinem Handy und begann hektisch zu telefonieren. *** Ein wenig nervös saß Sergeant Cox auf einer der harten Bänke des Gefangenentransporters, der die beiden unidentifizierten Häftlinge von Las Vegas in die Hauptstadt Nevadas bringen sollte. Neben ihm saßen die Officer Patterson und Chavez, beide gute Polizisten mit einigen Jahren Erfahrung in der Spezialeinheit. Auch sie zeigten Anzeichen der Nervosität. Immer wieder fingerten sie an ihren Heckler&Koch Maschinenpistolen herum, überprüften die Sicherung, den Ladezustand der Magazine. Cox konnte sie verstehen. Ihm wäre es auch lieber gewesen, wenn sie schon am Zielgefängnis angekommen wären, oder noch besser ein anderes Team mit der Bewachung der beiden Gefangenen beauftragt worden wären. Mit einem nervösen Blinzeln sah er die beiden Männer an. Der eine war Asiate oder Mischling, schwarzhaarig, klein geraten, mit dünnem schwarzen Schnurrbart und kleinen Augen. Apathisch saß er auf seinem Platz und bewegte sich nicht. Die vernehmenden Detectives hatten nichts aus ihm heraus holen können. Der zweite war Kaukasier, ein großer blonder Mann mit kräftigem Kiefer und stahlblauen Augen, den man für einen Schweden oder einen Russen halten konnte. Das linke Auge war blauviolett unterlaufen. Ein Geschenk eines entnervten Officers, der auch aus diesem Mann nichts herausbekommen die Beherrschung verloren und sich eine zweiwöchige Suspendierung eingehandelt hatte. Die Untersuchung ihrer DNS und der Fingerabdrücke hatte nichts ergeben. Beide waren international unbeschriebene Blätter. Sie hatten, als man sie verhaftet hatte, keine Ausweispapiere bei sich gehabt. Lediglich ihr Fahrzeug, eine waschechte sowjetische Kamov Ka-60 Werewolf, gab überhaupt einen Anhaltspunkt darauf, woher diese Männer gekommen waren, allerdings nicht warum ihnen das oberste Appartement des Treasure Island als verlockendes Ziel erschienen war. Aber das war genauso rätselhaft wie der Absturz kurz danach. Sicher war nur eines: mit dieser Attacke hatten die beiden Männer den Mob angepinkelt. Der Don der Stadt war persönlich auf dem Revier erschienen und hatte mit den beiden Männern "sprechen" wollen. Angeblich hatte er auch einen diskreten Umschlag mit hunderttausend Dollar Inhalt über den Schreibtisch geschoben, um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen. Natürlich hatte der Chief diese offensichtliche Bestechung abgelehnt, auch wenn sie hart an seiner Schmerzgrenze gelegen hatte. Stattdessen hatte er sich dazu entschlossen, die Gefangenen zu deren eigener Sicherheit zu verlegen und nach Carson City zu bringen. Las Vegas war vieles, aber sicherlich keine Problemstadt, weshalb das offensichtliche Interesse des Dons auf nicht geklärte Sicherheitsfragen geprallt war. Auf eine Verlegung mit Hubschrauber hatten sie verzichtet. Stattdessen war der Transporter in einer Nacht- und Nebel-Aktion genutzt worden, mit einer unauffälligen, minimalen Begleittruppe aus zwei Zivilfahrzeugen. Cox hielt das für zu wenig, andererseits hätten sie bei einem größeren Aufwand auch gleich fliegen können. Das wäre aufs gleiche raus gekommen. So aber steckte er selbst im dicksten Gewühl, quasi im gleichen Boot wie seine Gefangenen. Nun, er traute dem Mob hier in Vegas nicht gerade einen Polizistenmord zu, aber mit Schaudern dachte er daran, dass Zuhause seine junge Frau auf ihn wartete. Sie zu entführen und ihn damit zu erpressen wäre schon eher ihr Stil gewesen. Wenn nur dieser verdammte Klapperkasten schneller gefahren wäre! Aus der Stadt raus hatte so wunderbar geklappt, und nun schlichen sie dahin wie Schildkröten im Rückwärtsgang. Chavez spielte mit seiner Sicherung. Klick, klack, klick, klack. Cox konnte den Mann nur zu gut verstehen, dennoch raunte er: "Du nervst." Der Mann sah überrascht zu ihm herüber, wurde sich bewusst was er tat und murmelte eine Entschuldigung. Gut, vielleicht würde er das nervöse Spiel für die nächsten fünf Minuten sein lassen. Oder auch nicht. Als der Wagen langsamer wurde, gellte in Cox´ Geist die Alarmsirenen! Sie hatten klaren Befehl, nonstop durch zu fahren und nicht einmal anzuhalten wenn das Playmate des Jahres nackt am Straßenrand stand und einen auf Anhalter machte! Der Blick des Sergeants ging kurz über die Gefangenen, über ihre Hand- und Fußfesseln. Dann ging er nach vorne, klopfte ans Guckloch. "Was ist los, verdammt?" "Vor uns ist ein Unfall. Der Verkehr wird auf der Innenspur dran vorbei geleitet. Kein Grund zur Panik." Cox schnaubte frustriert und keinesfalls beruhigt. Wenn der Wagen langsamer fuhr, ging er ein Risiko ein. Wenn er stand, ein noch viel größeres. Wer sagte denn, dass der Unfall nicht inszeniert war? Er entsicherte seine Heckler&Koch und deutete auf die Tür. Seine Männer verstanden, entsicherten ebenfalls und richteten ihre Waffen aus. Cox gab den beiden Gefangenen zu verstehen, dass sie sich ducken sollten. Schlau genug seinem Rat zu folgen waren sie jedenfalls. Plötzlich war draußen ein Schrei zu hören. Ein Schuss fiel. Die Polizisten wechselten nervöse Blicke, Cox zog schnell den Riemen seines Einsatzhelms nach. Patterson und Chavez entsicherten nun auch. Sie richteten ihre volle Aufmerksamkeit auf die Tür. Wer immer hier rein wollte, konnte nur diesen Weg nehmen. Und wenn er dies tat, würde ihn ein Hagel aus 5,62mm-Geschossen empfangen. Draußen waren wieder Schüsse zu hören, dann wurde es still. Voller Spannung, volle Erwartung starrten sie auf die Flügeltüren. Ob es vielleicht besser war sich zu ergeben? Würden die unbekannten Angreifer überhaupt Gefangene machen? Plötzlich war da dieses prasseln, prickeln in der Luft, und Cox fühlte, wie die Dunkelheit nach ihm griff. Haltlos fiel er zu Boden, stürzte schwer ohne sich abstützen zu können. Auch die Gefangenen sackten in sich zusammen. Chavez, der schwere Hund, fiel auf ihn drauf, mit seinen vollen neunzig Kilo. Das war der letzte Eindruck, den Sergeant Cox von der Welt hatte, bevor ihn die Schwärze vollends umfing. Als er die Augen wieder öffnete, ging sein wilder Griff zuerst nach seiner Waffe, aber er fand sie nicht. "Ruhig, Cox, ruhig!", hörte er eine vertraute Stimme rufen. Verwirrt blinzelte der Mann mehrfach und erkannte schließlich seinen Chief über ihm. Moment, war er nicht auf den Bauch gefallen? Hastig richtete er sich auf, bezahlte die Quittung dafür mit drohender Schwärze vor den Augen und stöhnte auf. Der Chief griff nach seiner Schulter und stützte ihn. "Wo sind...", begann der Sergeant mit rauer Stimme, die er kaum als seine eigene erkannte. "Was unsere Leute angeht ist alles in Ordnung. Sie haben alle überlebt." Der Chief sagte dies mit einer gewissen Erleichterung in der Stimme. "Aber wie erwartet haben sie unsere beiden John Does mitgenommen." "Gibt es Spuren...", krächzte Cox. "Wir sind natürlich hinter der Arbeiterkolonne her, die hier den Highway aufgerissen hat. Und wir vernehmen etwas über zweihundert Zeugen. Es ist hoffnungslos. Jeder sagt etwas anderes. Nur in einer Sache sind sie sich einig: Die Angreifer haben den Gefangenentransporter unter Strom gestellt. Ein Wunder, dass Sie keine Verbrennungen haben, Cox. Patterson wird gerade mit Herzrhythmusstörungen ins Hospital gefahren, aber es könnte schlimmer sein." "Unter Strom gesetzt?" Cox lachte heiser. "Verdammte Schweine." "Sie hätten sie auch alle töten können. Aber anscheinend wollten sie keinen Krieg mit den Cops beginnen." "Denken Sie etwa, der Mob hat hier die Finger drin?" "Ich denke, wir sollten die Ermittlungen zuerst der Forensik und danach einigen fähigen Special Agents vom FBI überlassen", erwiderte der Chief ernst. "Andererseits sehe ich Tonys Besuch jetzt in einem etwas anderen Licht. Dieser alte Halunke." Der Chief richtete sich auf und streckte Cox eine Hand hin. "Können Sie aufstehen?" "Ja." Langsam ließ er sich auf die Beine ziehen. Was immer hier gespielt wurde, dessen wurde sich Cox bewusst, die Polizei von Las Vegas war definitiv aus dem Spiel. Sie waren geschlagen wie ein billiger Bauer auf dem Schachbrett. *** "Diese Schlitzaugen machen mich nervös", murmelte Guiseppe. Er nestelte an einem Päckchen Kaugummi. "Das sehe ich. Vielleicht solltest du im Wagen warten. Und trinke am besten keinen Kaffee mehr heute." Erstaunt über diesen Tadel packte der junge Mann das Kaugummi weg. "Nein, ich denke, ich werde mir ansehen, wofür ich mein Leben riskiert habe. Ah, Herr Hausen! Wir haben Ihre beiden Vögel!" Mit dem Enthusiasmus der Jugend deutete der junge Mann auf die beiden gefesselten Männer auf den beiden einsamen Stühlen inmitten der Halle. Bullige Wachen standen rund um sie verteilt, und eine Gruppe Chinesen hielt sich etwas abseits, um jederzeit eingreifen zu können, falls die Wächter versagten. Hausen kam in den Raum und orientierte sich gut. Er reichte Tony die Hand. "Danke, das du das für mich tust, Fratello mio." "Geschenkt, Roberto. Damit sind wir dann jetzt quitt." "Das sind wir, Antonio." Hausen sah Guiseppe ernst an. "Ihr Plan war ein voller Erfolg, wie ich hörte. Können Sie dafür belangt werden?" "Ich war vorsichtig beim verwischen der Spuren. Aus ausgebrannten Wagen kann man keine DNS-Spuren mehr ziehen", erwiderte der junge Mann pikiert. "Ich wollte Sie nicht tadeln, Junge. Eigentlich wollte ich Sie loben." Er deutete auf die beiden gefesselten Männer. "Kann ich sie mitnehmen?" "Mitnehmen? Ich dachte, Sie würden sie sofort hier verhören. Sie wissen schon, wegen dem Angriff auf Ihr Appartementhaus und so weiter." "Verhören? Ich?" Hausen lachte rau. "Nein, das werde ich bestimmt nicht. Diese Männer werden die beiden mitnehmen und nach Hong Kong schaffen. Diese zwei Idioten haben auf eine Prinzessin der Triaden geschossen, und ihr Vater und seine Söhne wollen nun ihre Rache haben. Nach guter alter Triaden-Art mit vielen Schmerzen, die möglichst lange andauern. In dreitausend Jahren hatten die Triaden Zeit und viel Gelegenheit, um ihre Folterkünste zu perfektionieren. Ich denke nicht, dass mein Schwiegervater irgendetwas von ihnen wissen will. Er wird sie einfach nur langsam und genüsslich töten lassen, als Warnung an alle, die seine Familie angreifen wollen. Ich werde den Teufel tun und mir das ansehen. Ich habe einen schwachen Magen." "Es war doch nur ein Job!", heulte der Asiat plötzlich. "Wir wussten nicht, dass wir auf Lady Lin schießen würden!" "Harry, halt die Klappe!", zischte der Kaukasier. "Du ziehst uns nur noch tiefer rein!" "Halt du die Klappe! Da wo wir hingehen wird uns niemand retten, und unser Tod wird lange dauern!", rief der Asiat aufgebracht. "Herr Hausen, vielleicht will Ihr Schwiegervater nicht wissen, wer uns beauftragt hat, aber Sie..." "Charly", sagte Hausen ernst. Einer der großen, breitschultrigen Chinesen trat zu ihm. "Sir?" "Dein Wakizashi, bitte." Der große Mann öffnete sein Jackett und zog das plump wirkende kurze Schwert hervor. Er hatte es bei einem Kampf gegen Yakuza erobert und fand die ultrascharfe Klinge als sehr nützlich. Dennoch zögerte er keine Sekunde, sie Hausen zu reichen. "Nicht für mich. Für die da." Hausen nickte in Richtung der zwei Männer. "Macht sie los!" Verwirrt sahen die Mafia-Leute den Deutschen an, aber Tony nickte zustimmend. "Roberto weiß immer was er tut." Zögernd lösten sie die Fesseln. Charly trat vor sich, das Wakizashi in der Hand. "Mein Schwiegervater wird eine Genugtuung haben wollen. Er hat ein Faible für die Yakuza, deshalb gibt es einen Weg, vor seinen Augen zu sühnen", stellte Hausen fest. Die beiden Männer sahen erschrocken auf. Der Asiat namens Harry rieb sich die schmerzenden Handgelenke und starrte fasziniert auf das mattschwarze Futter des Wakizashis. "Ein Stück Finger?" "Den ganzen kleinen Finger. Ihr habt nicht irgendwen zu töten versucht." Zögerlich griff der Asiat nach der Klinge und zog sie blank. Diese eine Bewegung genügte, um dreißig Pistolen und Revolver zu zücken und auf ihn zu richten. "Das ist Wahnsinn! Das ist doch Wahnsinn!", stammelte der Europäer, der gefangen zwischen Ekel und Faszination dabei zusehen musste, wie sich Harry den kleinen Finger mit einem schnellen Schnitt amputierte. Charles reichte ihm ein Taschentuch. Mit dem zweiten klaubte er den Finger auf. Er winkte einen der Subalternen zu sich und reichte ihm den Finger wie eine Kriegsbeute. Hausen richtete seinen Blick auf den Kaukasier. "Jetzt du." "Ich mache sowas nicht! Ich bin doch nicht wahnsinnig!" "Wahnsinnig bist du, wenn du dich nach China bringen lässt, du Idiot!", rief Harry und drückte ihm das Schwert in die Hand. Unschlüssig starrte der europäische Mann auf die Klinge, und Wahnsinn flackerte in seinen Augen. Er sprang mit einem urtümlichen Schrei auf, stürzte auf den erstbesten Gangster zu, und wurde zugleich von über dreißig Schüssen getroffen. Als lebloses Häufchen Mensch sackte er zu Boden. Hausen ignorierte die Leiche und trat zu dem Asiaten herüber. "Also, Junge, was hast du mir zu sagen?" "I-ich weiß nicht viel", stotterte er. "Was und wieviel du weißt, wie wertvoll es ist, entscheide ich. Und danach entscheide ich, ob ich deinen Ringfinger meiner Frau bringe oder nicht", raunte Hausen gefährlich leise. Stockend begann Harry zu erzählen was er wusste. *** Die M-9 der Ranger begleiteten den Transport bis nach Texas, dann drehten sie ab. Der Arm Slave-Transporter stieg daraufhin auf Fugzeughöhe und änderte den Kurs in Richtung Karibik. Davon bekamen die Passagiere nicht allzu viel mit. Sie waren dem höllischen Lärm ausgesetzt, der Militärmaschinen mangels Isolierung zu eigen war und widmeten sich, notdürftig mit Oropax ausgerichtet, trivialem Zeitvertreib. Die Frauen spielten Karten, Weber schlief, und Sagara pflegte seine Dienstwaffe. Thomas hatte das Privileg seines Rangs genutzt und befand sich zusammen mit Captain Karasov vorne im besser isolierten Cockpit. Dort überwachten sie den Flug und unerhielten sich mit der dreiköpfigen Besatzung des Transporters. Die Maschine war von Mithril, das erleichterte die Situation ungemein. "Noch eine halbe Stunde bis Corpus Christi", meldete der Captain. "Ein Boot steht bereit, um den Arm Slave von Captain Rogers aufzunehmen. Ebenso ein Kurierflugzeug, um unsere Freunde von der Pazifiksektion zum nächsten internationalen Flughafen in Houston zu bringen. Die FEANOR wartet außerhalb der Drei Meilen-Zone vor dem amerikanischen Festland." "Ach, sie ist schon da?" Karasov schmunzelte. "Dem alten Sander muss die Zeit ja unter den Nägeln brennen." "Liegen die nächsten Einsatzbefehle vor?", fragte Thomas argwöhnisch. "Nein, an Ihrem Einsatz hat sich nichts geändert. Aber wir warten auf die Auswertung der Geheimdienstaktion in Las Vegas. Falls sich daraus eine konkrete Spur ergibt, werden wir augenblicklich handeln." "Verstehe." Er lehnte sich in seinem Sitz so bequem zurück wie er es vermochte. "Wecken Sie mich kurz vor der Landung", sagte er ernst und zog seine Mütze tief ins Gesicht. "Sollten Sie nicht lieber etwas anderes tun, Thomas?", fragte Karasov ernst. "Zum Beispiel? Ich habe seit heute morgen noch nicht ein Auge zugekriegt, und dieses verdammte Betäubungsgas hat seine Spuren in meinem Kreislauf hinterlassen. Ich will einigermaßen aktionsfähig sein, wenn wir in Corpus Christi landen." "Zum Beispiel könnten Sie sich um Ihre kleine Freundin kümmern. Sie wird es nicht besonders gut vertragen, ohne Sie auskommen zu müssen." "Was soll ich tun? Einen direkten Befehl ignorieren?", erwiderte Thomas und gähnte herzhaft. "Vielleicht sich anständig verabschieden", murmelte der Russe. Mit einem wütenden Stirnrunzeln schob Thomas die Mütze wieder hoch. "Sergej, in aller Freundschaft, was denken Sie eigentlich was ich und Kim Sanders für eine Beziehung haben? Ich bin nichts weiter als ihr ehemaliger Leibwächter, und als dieser wurde ich abgelöst. Ende der Geschichte." "Sie wird das ein wenig anders sehen", warf Karasov ein. "Und wenn schon. Sie kann ohne mich leben. Das hat sie bewiesen. Sie hat eine Vergangenheit, und sie hat auch eine Zukunft. Irgendwann hätte sie ohnehin auf meine Hilfe verzichten müssen, und ganz ehrlich, wir haben sie viel zu sehr verwöhnt und mich länger an ihrer Seite belassen als gut für sie war. Oder für mich. Ja, für mich. Ich kann schließlich nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, auf ein kleines Mädchen aufzupassen und dafür mein eigenes Leben opfern." "So klein ist das Mädchen gar nicht. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob sie einfach nur auf Sie fixiert ist, oder ob da noch mehr hinter steckt, Thomas. Auf jeden Fall sollten Sie..." "Auf jeden Fall sollte ich jetzt etwas schlafen", erwiderte Thomas scharf. Er zog die Mütze wieder vor die Augen, verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich schlafend. Karasov schnaubte frustriert und wandte sich ab. Der Heilige hatte entschieden was das beste für Kim Sanders war, und das war eine Zukunft ohne ihn. Das Schlimme daran war, dass er vielleicht auch noch Recht damit hatte. *** Der Transporter landete unbeachtet und rollte bis zum Rand des Landefelds, wo bereits ein Tieflader auf den Arm Slave wartete. Ein Hubschraubertransporter der Bell-Serie stand ohne laufendem Motor in der Nähe. Der restliche Flug würde für die Whispered und die drei Söldner der Pazifik-Division von Mithril sehr viel angenehmer ausfallen als der Herflug. Noch während Captain Rogers´ Arm Slave entladen wurde, verabschiedete sich Thomas von den Freunden. An dieser Stelle trennten sich ihre Wege. Keine wusste für wie lange. "Wenn du noch mal heiraten möchtest", scherzte Thomas, während er Melissa Mao umarmte. "Dann denke ich zuallererst an dich. Du bist Garant dafür, dass die Hochzeit alles wird, nur nicht langweilig", erwiderte sie lächelnd. "Allerdings bin ich mir über deine Rolle dann nicht im Klaren." "Du weißt, ich stehe immer gerne ganz vorne mit dabei." "Witzbold", tadelte sie und trat zu den beiden Offizieren der Atlantik-Division, um ihnen zum Abschied die Hand zu schütteln. "Sir!" Mit steifer Miene, die Hände an der Hosennaht, sah Sousuke Sagara den Vorgesetzten an. "Soll ich salutieren, oder was?", murrte Thomas und streckte dem Mann die Rechte entgegen. Zögerlich, fast ein wenig ängstlich, als würde er eine Falle vermuten, griff Sagara zu. Als er festen Griff um die Hand des Gun-so hatte, zog Thomas ihn an sich und umarmte ihn. "Pass auf die Mädchen auf, hörst du, Kleiner?", flüsterte er. Eine vorsichtige Hand des Japaners berührte Thomas an der Schulter, begleitet von einem Versprechen. "Selbstverständlich." Als nächstem wandte sich Thomas Kurtz Weber zu. Als die beiden sich die Hand gaben, schien zwischen ihnen statische Elektrizität umher zu springen. "So, wir sind dich also für einige Zeit los im Pazifik." "Sieht ganz so aus, Kurtz. Aber ich gebe zu, es hat Spaß gemacht. Sogar mit dir." "Wenn das ein Kompliment war", erwiderte der Deutsche, "dann möchte ich nicht deine Verwünschungen hören, Thomas." "Oh, die hast du schon gehört." Die beiden grinsten sich an und gaben sich die Hand. Dabei gab niemand auch nur einen Fingerbreit nach. Erst ein Überschallknall in der Ferne unterbrach ihr Duell. Tai-sa Testarossas Augen schimmerten feucht, als sich Thomas ihr zuwendete. Er bot ihr die Hand, aber die junge Italienerin fiel dem Freund in die Arme. Konsterniert sah Thomas auf das schluchzende weißblonde Bündel Mensch vor sich. Als sie sich wieder etwas gefangen hatte, lächelte sie verlegen. "Entschuldige, aber Abschiede fallen mir so schwer. Vor allem wenn man nicht weiß, wann man einander wiedersieht." Thomas lächelte und klopfte ihr auf die Schulter. "Wir werden uns wieder sehen. Und dann möchte ich unbedingt den Freund kennen lernen, den du dann haben wirst." Tai-sa Testarossa starrte ihn verblüfft an. Dann wurde sie rot. Im nächsten Augenblick wandte sie sich scheu ab. "Ein Freund? Ich? Thomas, sag doch so was nicht." Ein neuer Knall hallte über das Gelände, nur diesmal war es ein äußerst kräftiger Nieser von Gun-so Sagara, der ebenfalls beiseite getreten war, um mit den anderen Mithril-Offizieren zu sprechen, beziehungsweise ihnen Rede und Antwort zu stehen. Kaname Chidori sah ihm mit einem fröhlichen Lachen entgegen und streckte ihm in burschikoser Manier die Hand entgegen. Thomas griff zu und war erstaunt über die Kraft, welche in dem zarten Mädchenkörper steckte. Dazu lachte sie laut und klopfte mit der Linken auf seine Schulter. "Wir sehen uns doch bald wieder, oder, Thomas? Was sollte ich sonst der ganzen Klasse sagen?" Ihr Gesicht rückte dem seinen ganz nahe. Ein düsterer, beinahe dämonischer Eindruck huschte darüber hinweg. "Du bist doch nicht imstande und lässt die arme Kim auf ewig im Ungewissen, oder? Ich weiß, wo du arbeitest." Thomas schluckte hart. "N-natürlich nicht." Übergangslos lächelte sie wieder. "Na dann ist ja alles in Ordnung. Auf bald, Thomas." Die letzte in der Runde war Kim Sanders, die junge Whispered, die als deutsche Gräfin in den Unruhen des osteuropäischen Bürgerkriegs verschwunden und ohne Erinnerung in einem mobilen Labor von Amalgam wieder aufgetaucht war. Sie strahlte den Deutschen förmlich an, doch je nähe er ihr trat, desto mehr Tränen schossen ihr in die Augen, sodass ihr schließlich zwei kleine Bäche über die Wangen flossen. "Ich wollte tapfer sein. Ehrlich." Sanft nahm Thomas die junge Frau in die Arme. "Es tut mir Leid, was ich auf dem Stützpunkt gesagt habe. Weißt du, Kim, ich habe dich sehr lieb, aber nicht so sehr wie du es verdienst. Ich werde nie ganz aus deinem Leben verschwinden, das verspreche ich dir, aber vielleicht tut es dir mal ganz gut, wenn du nicht ständig diesen großen, gut aussehenden Mann im Anzug vor der Nase hast." "Thomas", mahnte sie halb heulend und halb lachend. "Ich weiß nicht was du von hier ab entdecken wirst in deinem Leben. Aber ich habe fest vor, ein zwar rarer, aber fester Bestandteil deines Lebens zu sein. Vergiss nicht, du hast in Deutschland Familie, die du fast ein Jahr nicht gesehen hast. Und in deiner Klasse gibt es durchaus ein paar nette Jungs. Du könntest mit einigen ausgehen und mit mir vergleichen. Dann kannst du ihnen einen Korb geben." "Du bist unmöglich", murmelte sie. "Aber deswegen liebe ich dich ja so." Thomas erstarrte. Sie hatte es tatsächlich gesagt. Und wenn man dem Blick in ihre Augen trauen konnte, dann meinte sie es todernst. Er seufzte lang und schwer. "Lassen wir die Zeit das beantworten. Bleibe vorerst in Tokyo bei Kaname. Ich versuche ein paar Arrangements für eine Deutschlandreise zu treffen, damit du deine Eltern wiedersehen kannst. Und das ist nicht sehr weit von der Styx-Basis entfernt. Wir können uns also schon bald sehen. Dann wird vielleicht schon vieles vollkommen anders sein." "Vielleicht", erwiderte sie im Tonfall von jemandem, der total entgegengesetzter Meinung war. Der Major wollte sie daraufhin tadeln, aber wieder erklang ein Überschallknall und machte jedes weitere Wort unmöglich. Thomas lächelte durch diese akustische Störung hindurch, aber sein trainiertes Auge erfasste einige winzige Details. Auf der anderen Seite der Stadt stiegen Rauchwolken auf, und die Crew des Transporters unterbrach die Entladeoperation. Hastig versuchten sie den Gernsback wieder zu verladen, während einer von ihnen zu Sam herüber lief. Auch der Hubschrauber warf die Rotoren an. Der Co-Pilot sprang raus, öffnete den Passagierbereich und winkte hastig. "Da ist was passiert!", rief Thomas. Die anderen Mithril-Offiziere folgten seinem Blick. Und sie reagierten. Thomas schob Kim an sich vorbei in Richtung Mao. Sie und Kurtz ergriffen sie je an einem Handgelenk. Sousuke schnappte sich Tessa und Kaname und begann zu laufen. Der Major indes winkte in Richtung Transporter. "Zurück!" Die drei Offiziere der FEANOR nickten zustimmend. Der schwere Transporter begann gerae sich zu drehen, um wieder starten zu können. Die Rückladearbeit war fast beendet, die Rampe aber immer noch unten, um die Mithril-Offiziere an Bord zu lassen. In der Ferne waren weitere Rauchsäulen zu sehen. Irgendwo aus dem Nichts erklang ein helles kreischen, eine Sekunde später stieg eine große Rauchwolke aus dem Tank im linken Flügel ihres Transporters. Für einen Moment zögerte der Major. "Zurück! Ab zum Terminal! Sam, dein Passwort!" "Passwort? Du willst doch nicht etwa..." "Das ist ein Befehl, Captain!" "Monte Christo." "Gut, und jetzt haut ab!" Kramer hetzte weiter auf den Transporter zu, während die Tragfläche lichterloh zu brennen begann. Zum Glück waren die Tanks nahezu leer, er hatte also eine reelle Chance, den Gernsback da raus zu holen und zu überleben. Die Crew indes verließ die brennende Maschine. Kurz bevor er auf die Rampe stieg, konnte er verfolgen, wie der Hubschrauber startete und knapp über dem Boden von der Stadt fortstrebte. Gut, sie wurden nicht beschossen. Für den Moment waren seine Freunde in Sicherheit. Aber wer zum Henker veranstaltete hier mitten in den USA einen zweiten Showdown am O.K. Corral? Hastig hackte er den Öffnungscode für das Cockpit in das Notfallpanel ein. Er startete die Betriebssequenz mit der Linken, mit der Rechten schloss er die Gurte. "Monte Christo! Überrangorder Major Kramer!" Die Displays erhielten alle einen grünen Rahmen. Er hatte den Arm Slave erfolgreich aktiviert. Sofort richtete er die Maschine so weit auf, wie die Stahltrossen es zuließen. Als er Widerstand spürte, stemmte er sich mehr hinein. Nacheinander rissen die Bänder und gaben die Maschine frei. Thomas nutzte beide Arme, um sich aus dem Rumpf der Maschine heraus zu ziehen. Dort erst richtete er den Arm Slave auf und erhob sich mit der Maschine. Zum Glück lag das Gewehr, das Rogers bevorzugte, griffbereit auf der Schiene. Derart bewaffnet wechselte er als erstes die Position. Er verschwand hinter einem Lagegebäude, aktivierte die Tarnung und sprang über das Gebäude hinweg. Dann ging er in die Hocke und legte die schwere Waffe an. Langsam begann er die Umgebung abzusuchen. War die Gefahr schon vorbei? Dann hatte er zumindest den Gernsback gerettet. Aber nein, das konnte nicht sein. Noch immer standen ihm die Härchen auf dem Handrücken zu Berge. Er konnte es spüren, ja fast schon schmecken, dass es gerade erst los ging. Am Rande seines Blickfelds eilten ein paar M-9 mit den Abzeichen der Nationalgarde auf das Landefeld. Sie waren anscheinend auch nicht der Meinung, dass es schon vorbei sein konnte. Für einen Moment war er versucht, die Piloten über seine Anwesenheit zu informieren. Aber nur für die eine Sekunde, die er brauchte um zu verstehen, dass man Unbekannten bei einem Angriff durch Unbekannte normalerweise nicht traute. Vor allem nicht, wenn man es mit der Nationalgarde zu tun hatte, und nicht der regulären Armee. Während er mit schussfertiger Waffe die Gegend absuchte, arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren. Wie war die Situation? Die Entsendung der Garde ließ auf etwas schließen, womit die Polizei nicht klar kam. Aber warum war die Garde so schnell bereit gewesen? Unwillkürlich schwenkte er den Lauf der Waffe auf das halbe Dutzend M-9. Was, wenn die da falsch waren? Was, wenn sie der Gegner waren? Vielleicht sollte er, nur zur Vorsicht, die sechs Maschinen aus dem Rennen nehmen? Er zoomte näher an die Hüfte der vordersten Maschine heran, genau auf jenen Punkt, an dem sich bei diesem Arm Slave ein Lüftungsschacht für die Abwärme befand. Ein Schuss hier rein konnte die Maschine minutenlang handlungsunfähig machen, bis es dem Piloten gelungen war, den Überhitzungsalarm zu umgehen. Die Gernsback hatten diese Schwäche glücklicherweise nicht. Aber was wenn es doch einen Gegner gab? Sie hatten zwar beim Abflug noch nichts über eine nationale Krise gehört, aber in den drei Stunden Flugzeit hatte viel passieren können. Vielleicht zu viel. "Wenn das auch ein Ergebnis der Aktion "Schütteln wir den Baum und schauen wir was herab fällt" ist, dann haben wir eindeutig übertrieben, General Amit." Dennoch, nichts sprach für einen Feind, geschweige denn einen, der sich für dieses Landefeld interessierte. Was gab es hier auch schon zu gewinnen, mitten in der texanischen Provinz? Natürlich, seine Kollegen und diesen Arm Slave! Er wandte sich wieder den Garde-Arm Slaves zu, nahm erneut den vordersten ins Visier. Der begann plötzlich zu zucken wie eine Marionette, die von einem Epileptiker während eines Anfalls gelenkt wurde. PAnzerplatten wurden abgesprengt, Schmierflüssigkeit schoss hervor, und eine interne Explosion beendete die Aktion des M-9. Für eine Sekunde erstaunt starrte Thomas mit Hilfe der Vergrößerung und der Zielhilfe auf den zusammen geschossenen Arm Slave. Also, er hatte nicht geschossen. Andererseits deuteten die Waffeneinschläge auf kein Kaliber hin, das über mehr als einen Kilometer hinweg abgefeuert werden konnte, wenn es noch diese Schäden anrichten wollte. Thomas schwenkte erneut herum, suchte den Feind und erkannte die bittere Wahrheit: Die Nationalgarde wurde angegriffen, von einer getarnten Maschine. Und die Partikeltarnung hatten derzeit nur zwei Fraktionen. Die eine war Mithril, die andere Amalgam! Hastig richtete Thomas den Arm Slave auf, wechselte die Position, suchte den Gegner. Wie fand man einen Unsichtbaren? Anhand seiner Fußspuren? Der zweite M-9 schüttelte sich unter den Treffern, die anderen Maschinen spritzten jetzt endlich auseinander. Anhand der Mündungsblitze! Er hielt seinen Gernsback an, ging in die Hocke und feuerte eine Serie von mehreren Schüssen. Alle gingen ins Leere, also wechselte Thomas erneut die Position. "Falke eins, hier Falke eins, an alle befreundeten Einheiten! Getarnter Feind auf dem Spielgelände! Ich wiederhole. Getarnter Feind auf dem Gelände!" "Falkenhorst, hier Falkenhorst. Wir schicken die Jagdfalken aus! Einheiten der Air Force sind ebenfalls zur Unterstützung unterwegs!" "Schön, Ihre Stimme zu hören, Skipper", murmelte Thomas zu leise für das Mikrofon. Erneut prasselten Einschläge über einen M-9, doch diesmal schaffte es der Pilot aus der Schussbahn zu kommen. Thomas suchte das Mündungsfeuer, fand es und feuerte eine Serie von drei schnellen Schüssen. Die erste Kugel prallte seitlich auf eine Art Sphäre, von der sie mit hoher Geschwindigkeit reflektiert wurde. Dabei flackerte für einen Augenblick ein Bild des angreifenden Arm Slaves auf. Es schien ein Gernsback zu sein, und auf seinem Rücken prangte das Mithril-Logo! Als die zweite Kugel einschlug, mittig diesmal, wusste Thomas längst, dass dieses Ding ein zweiter Arbalest sein musste, also mit Lambda Driver. Er erkannte mit Entsetzen auch, dass direkt hinter ihm das Terminal stand, in dem seine Kameraden Zuflucht gefunden hatten. Eine durch den Lambda Driver verstärkte Kugel würde das Gebäude einebnen. Er konnte also nicht ausweichen! Als der Lambda Driver aufleuchtete und die Kugel verstärkt zurück warf, zog Thomas die einzig mögliche Konsequenz, eine knappe Sekunde bevor das Projektil zurück geschleudert wurde. Sekunden darauf explodierte der Gernsback unter der Wucht des Treffers, und nach einer kurzen Phase unglaublich grellen Lichts beutelte die Druckwelle der Explosion den Mithril-Offizier. Darauf folgte... Schwärze. *** "Wenn ich es Ihnen doch sage!", rief Karasov aufgebracht in sein Handy. "Es ist ein Gernsback mit Lambda Driver! Wir haben gerade Kramer an dieses Ding verloren! Ich habe gerade meine liebe Mühe, das Hauptgebäude zu evakuieren, solange sich der Gegner nicht für uns interessiert! Sagen Sie der Nationalgarde, sie soll ihre Maschinen zurück ziehen, die sind nur Spielzeug für einen Lambda Driver! Unsere Super Harrier übernehmen das ab hier, indem sie das Gelände flächendeckend bombardieren. Ja, meinetwegen, beteiligen Sie sich am Bombardement. Ja, wir weisen Sie ein! Wir haben Erfahrung mit dieser Waffe!" Karasov sah kurz auf und schrie eine Anweisung an Timothy Scott herüber. Der junge Mann reagierte, wenn auch schwerfällig. Das Knattern weiterer Salven lag in der Luft, und der Russe konnte sich einen Fluch nicht verkneifen. Das war wie Schafe zur Schlachtbank zu führen! Sekunden darauf rauschten zwei Super Harrier über die Landebahn hinweg und entließen je zwei Raketen auf das Gelände. Die nachfolgenden Harrier kamen im Neunzig Grad-Winkel zur ersten Rotte an und setzten ein paar schön streuende Cluster-Bomben. Karasovs Hände verkrampften sich, während er sich vorstellte, dass diese Waffen zwar die Überreste des Gernsback mit Sicherheit unbrauchbar machten, die Geheimnisse Mithrils bewahrten, aber auch jede Hoffnung, jeden kleinen Funken auf das Überleben von Major Kramer ein für allemal ausradierten. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass der Angreifer das Mithril-Logo getragen hatte. Hätte er es da schon gewusst, und nicht erst durch die Aussagen der überlebenden Piloten der Nationalgarde, hätte er versucht, möglichst nahe am Gelände weitere Informationen zu sammeln, anstatt zu fliehen. Manche Entscheidungen konnte man nie wieder korrigieren, egal wie sehr man es sich wünschte. Sie blieben entgültig. Epilog: Der kräftige, breitschultrige Mann strich sich nachdenklich über den gepflegten Vollbart und drehte anschließend verspielt um die Spitze am Kinn, während er auf das große Sichtfenster zum Behandlungszimmer starrte. "Ist es das wert?", fragte er geradeheraus. "Oder bindet dieser Bursche nur Ressourcen, die wir anderweitig brauchen?" Sein Begleiter, ein schlanker, sehr großer Mann mit langem weißblondem Haar, verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln. "Wert ist er es sicherlich, ein wenig in ihn zu investieren. Seine körperlichen Schäden sahen dramatischer aus als sie tatsächlich waren. Wichtiger sind die Ressourcen, um aus ihm einen künstlichen Whispered zu machen, damit wir ihn zu unseren Zwecken einsetzen können. Er hat uns nur Ärger gemacht: Im Kingdom Sahara, in Rumänien, in Südchina, und jetzt wieder bei unserer jüngsten Operation in den USA. Es gibt wohl kaum einen Menschen, den ich lieber benutzen würde, um ihn gegen seine Freunde zu wenden. Nebenbei, er ist ein exzellenter Arm Slave-Pilot. Vielleicht der beste den Mithril je hatte." "Ich hoffe, es bleibt bei diesem "hatte", Leonardo", brummte der Mann grimmig und wandte sich ab. "Du hast freie Hand. In einer Woche will ich die USA brennen sehen." "Ich werde ein eifriger Brandstifter sein", versprach der Blonde, ohne seine Aufmerksamkeit vom Behandlungsraum abzuwenden. Im Raum lag ein nackter Europäer in der Behandlungsröhre. Operationsarme versorgten mehrere Splitterwunden, eine großflächige Verbrennung auf dem Rücken und einen Teil der Schädeldecke, von dem das Haupthaar weggebrannt worden war. Alles in allem, wenn man die gebrochenen Arme, das gestauchte Rückgrat und die anderen Verbrennungen hinzu rechnete, hatte es den Jungen übel erwischt. Die Erstversorgung, nachdem man ihn vom Schlachtfeld entführt hatte, war auch nicht die Beste gewesen. Andererseits lebte er, und das war wohl mehr als man erwarten durfte, wenn man sich einem Lambda Driver in den Weg stellte. Der große Mann namens Leonardo lächelte, diesmal zynisch. Nach der Narkose würde die Hypnose erfolgen, danach das Training. Und danach würde sie bereit sein, seine Waffe. "Gute Nacht, Major Kramer. Ich wünsche Ihnen süße Träume, denn Ihr Leben wird ab hier ein Albtraum sein." Er stieß sich vom Fenster ab, schwebte auf den Gang hinaus und passierte dabei ein großes Panoramafenster. Die Erde war zu sehen, halb von der Nacht bedeckt. Für einen Moment ließ sich Leonardo davon fangen, aber mit einem Seufzer wandte er sich wieder ab. Das da würde ihm sowieso sehr bald gehören. So oder so. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)