FMP: Nordatlantik von Ace_Kaiser ================================================================================ Kapitel 4: Gleichwertiger Handel -------------------------------- Prolog: Es kam sehr selten vor, dass Theresa Testarossa in Rage geriet. Es kam sogar selten vor, dass sie laut wurde. Und wenn man ehrlich war, wütend funkelnde Augen gehörten eigentlich nicht zu ihrem Repertoire. Also war es eine riesige Überraschung für die Brückenbesatzung der TDD-1, als Tai-sa Testarossa Kapitän Sander wütend nieder starrte und die Hände geballt hatte. „Sie haben WAS?“ Entsetzt zuckten die Leute zusammen. Selbst Sho-sa Mardukas, der erfahrene Seebär verriet sein Entsetzen durch ein Zucken in der Wange. Johann Sander indes war nicht beeindruckt. Kalt sah er auf die nicht einmal volljährige Kapitänin und Konstrukteurin der DANNAN herab. „Ich habe ihn entlassen.“ Tessas Gesichtsausdruck wechselte nun von wütend auf entsetzt und schließlich auf verzweifelt. „Aber… Aber… Aber… Warum?“ Nun zeigte Sander endlich Reaktion. „Es tut mir Leid, Tai-sa. Ich weiß, Sie sind gut mit ihm befreundet und er hat geholfen, Ihnen das Leben zu retten, unter Einsatz seines eigenen. Aber ich bin Kapitän eines Schiffes und zudem Angehöriger von Mithril. Ich habe Regeln zu befolgen und Befehlen zu gehorchen und dieses Schiff am laufen zu halten. Ich konnte nicht anders entscheiden. Ich hoffe, Sie verstehen das als Offizierskollege. Ich musste First Lieutenant Thomas Kramer wegen Unfähigkeit von seinem Kommando über die Arm Slaves entbinden und habe ihn von Bord meines Schiffes entfernt.“ Er senkte den Blick. „Es war sein eigener Wunsch, aus Mithril auszutreten. Ich kann ihn verstehen. Ein altes Sprichwort sagt, wer einmal ein Kapitän war, der kann nie wieder Offizier oder Matrose werden. Er war ein Anführer. Als Flügelführer oder einfacher Arm Slave-Pilot wäre er nie wieder glücklich geworden.“ Tessas Augen begannen feucht zu schimmern. Um ihr Entsetzen zu verbergen senkte sie den Blick. „Ich… Verstehe, Kapitän. Ist Ihnen zufällig seine aktuelle Adresse bekannt? Ist er nach Deutschland zurückgekehrt?“ „Sein Aufenthaltsort ist uns nicht bekannt. Nach seiner Entlassung ist er sofort untergetaucht.“ Sander sah auf und sein Blick wurde hart. „Ich muß sogar davon ausgehen, dass er die Seiten gewechselt hat. Das nächste Mal, wenn wir auf ihn treffen, steht er vielleicht auf der falschen Seite.“ Entsetzt keuchte Tessa auf. 1. „Was haben wir hier?“ „Einen Pneumothorax, hervorgerufen durch eine Schusswunde, Doktor.“ „Sind die Kämpfe im Südbereich immer noch nicht vorbei? Okay, legen Sie ihn auf den Operationstisch, auf drei. Eins, zwei, drei! Thomas, holen Sie mir bitte Adrenalin und Plasma. Kennen wir seine Blutgruppe?“ „AB negativ, Doktor.“ „Verdammt, warum muß es so eine seltene Sorte sein? Ich hoffe, das Plasma reicht.“ Thomas Kramer hörte die letzten Worte kaum. Er war bereits auf dem Weg in das Vorratszelt der kleinen Lazarett-Einheit, die im größten rumänischen Flüchtlingslager nahe der ungarischen Grenze seit zwei Wochen Dienst tat – bestens ausgerüstet und vom freien Europa finanziert. Leider hatte es einen Nachteil. Gute ärztliche Versorgung, vor allem freie Versorgung, lockte die Kranken an. Und es lockte jene an, die medizinische Versorgungsgüter auf dem Schwarzmarkt gewinnbringend verkaufen konnten. Und das war das große Problem, mit dem das Lazarett zu kämpfen hatte. Die polnischen Freiwilligen taten was sie konnten, aber sie konnten die Wagemutigen und die Kämpfe nicht vom Lager fernhalten. Täglich gab es Schießereien, Tote und Verwundete. Thomas sah mit Entsetzen, wie sehr die Vorräte bereits geschrumpft waren, während er das Adrenalin und das Blutplasma besorgte. Wenn dieser Trend so weiter ging, würde für die Versorgung der Flüchtlinge bald nichts mehr übrig sein. Die Hilfsgüter flossen ohnehin spärlich über das ungarische Karcag in diesen Teil des Landes, und was Oradea, das alte Großwardein erreichte, hatte es noch nicht bis zu den Lagern an der ungarischen Grenze geschafft. Die Mengen an Hilfsgüter, die Thomas über jene Route bis zu diesem Lager geschafft hatte, ohne sie in dem Moloch von Land verschwinden zu sehen, war letztendlich nur ein kleiner Funke der Hoffnung gewesen. Die Hilfe, die hier geleistet wurde, würde, sobald die Güter verbraucht waren und sie wieder auf internationale Hilfslieferungen angewiesen waren, ebenso leer und chancenlos wie in den anderen Lagern sein. Er hetzte zurück und erreichte das Operationszelt. Dort übergab er die Plastikbeutel an eine Schwester. „Danke, Thomas. Gehen Sie jetzt. Sie können hier nichts mehr tun.“ Der Deutsche nickte und verließ das Zelt. Draußen ließ er sich auf einen Stein sinken. Der Tag war lang gewesen und für die Ärzte war er noch lange nicht vorbei. Ein Pneumothorax dauerte in einem gut ausgerüsteten, sterilen OP gut und gerne ein paar Stunden. Bei den primitiven Bedingungen, unter denen die Menschen hier operiert wurden war sich Thomas nicht einmal sicher, ob der Patient nach vier oder mehr Stunden überhaupt noch leben würde und die ganze Zeit und all das Blutplasma letztendlich nicht verschwendet waren. Dieser Bürgerkrieg war so ein Unsinn, war so menschenverachtend. Das hatte er damals schon gedacht, als er als polnischer Freiwilliger getarnt Informationen für Mithril eingesammelt hatte. Und damals hatte er nichts tun können, nur einen verdammten Waffenschmuggler ausschalten können. Wenigstens einen. Einer weniger. Einer von wie vielen? Heute war er beinahe noch machtloser. Er besaß nicht einmal mehr seinen Arm Slave, von Geld ganz zu schweigen. Aber er war hier, er war gesund und er arbeitete hart, um für die Ärzte nützlich zu sein. Zudem waren seine Fähigkeiten als ausgebildeter Hilfs-Sanitäter hier endlich wieder einmal von Nutzen. Das letzte Mal als er sie unter Beweis gestellt hatte, war in der Sahara gewesen, bei einer schwer verletzten und fiebrigen Sam Rogers. Verdammt, hoffentlich ging es Sam gut. Die ganze Verantwortung, die jetzt auf ihr lastete, musste grauenvoll sein. Er wusste es, denn er hatte den Job gemacht, das Arm Slave-Team der FEANOR angeführt. Dennoch, es war hoffnungslos. Die Bürgerkriegszone umfasste die Ukraine, Bulgarien, Moldawien und ging sogar bis tief in das jugoslawische Serbien hinein. Der Westen hegte immer die tiefgründige Angst, dass zuerst die Türkei und danach Griechenland in den Konflikt gezogen wurden und die Region erst Recht zum Pulverfass machten. Hierbei, in diesem Durcheinander in einem einzigen von Dutzenden Flüchtlingslagern etwas Gutes tun zu wollen war wie weiland Don Quichote gegen Windmühlen zu kämpfen. Deshalb war es aber nicht weniger richtig. Thomas sah in den Nachthimmel auf. Die Sterne schienen beinahe unbehelligt auf ihn herab. Das Lager war kaum erhellt, denn es gab außer ein paar Generatoren nur wenig Strom. Kein Streulicht, dafür aber ein wundervoller Sternenhimmel. Aber er bezweifelte, dass die Menschen im Lager dieses Wunder zu schätzen wussten. Ihnen war Strom sicherlich lieber als ein Blick auf die Milchstraße. Oder wenigstens einmal eine ruhige Nacht, in der man nicht durch Gewehrfeuer aufschreckte, in der ein rascheln der Zeltplane nicht automatisch einen Dieb oder Mörder verriet. Oh, es war so ungerecht, so furchtbar ungerecht. Wenn Thomas etwas zu sagen gehabt hätte, dann… Ja, was dann? Mit einem Regiment Arm Slaves in dieses Land einfallen? Alle kämpfenden Einheiten vernichten und anschließend mit Hilfe des Kriegsrechts versuchen, dieses Land zehn Jahre Bürgerkrieg vergessen zu machen? Ob ein Regiment wohl reichte? Eine Brigade brauchte es wohl schon, einmal ganz davon abgesehen, dass die osteuropäischen Bürgerkriegsländer schon seit längerer Zeit von vielen Arm Slave-Produzenten als Spielwiese für ihre Neuerungen ausgenutzt wurden. Sie würden die Chance gegen höherwertige Gegner anzutreten und ihre Ware richtigen Belastungstests auszusetzen mit beiden Händen ergreifen. Nein, die Lösung, so es denn eine gab, musste anders aussehen, musste von innen kommen. Die Menschen in den Lagern bewaffnen? Eine Armee aufstellen? Sie sich selbst vom Krieg befreien lassen? Aber wie? Ein Gewehr war nichts gegen einen Arm Slave. Nur zehn Menschen weltweit konnten mit einem Gewehr einen Arm Slave vernichten, und nicht einer von ihnen stand Thomas zur Seite. Er hörte ein Geräusch neben sich. Marcus Donna, der Chefarzt trat zu ihm heraus, zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch in den Himmel und seufzte. „Tot?“, fragte Thomas ernst. „Die Kugel ist zersplittert. Bevor wir es gemerkt haben ist die Aorta aufgerissen und… Jedenfalls konnten wir die anderen Infusionen retten. Aber eine Einheit Plasma ist zum Teufel. Scheiße, ich hasse mich, wenn ich so rede. Aber das hier, das hier… Es ist so…“ „Ich weiß was du meinst. Aber wer kann es ändern?“ Der Arzt schnaubte leise. „Bestimmt keine der Kriegsparteien. Von denen hat nicht eine auch nur einen Funken Interesse, mit diesem Morden aufzuhören. Es wächst mittlerweile eine ganze Generation Menschen heran, die nur diese Lager kennt, Mord, Tod und Gewalt. Futter für ihre Knochenmühlen. Menschen, denen sie die Unschuld nehmen und sie selbst zu Werkzeugen machen, um den Terror noch zu vergrößern.“ Thomas nickte. „Ja, das wird wohl geschehen. Aber wer kann es ändern?“ Der Arzt hustete. „Du wiederholst dich, Thomas.“ „Tschuldigung.“ „Und ich habe immer noch keine Antwort darauf.“ Er senkte den Blick. „Wenn ich von uns beiden der Arm Slave-Pilot wäre, wenn ich darauf gedrillt wäre, diese waffenstarrenden Hightech-Dinger zu steuern, dann…“ „Was dann? Würdest du da rausgehen, ein oder zwei Gegner vernichten und dann selbst vernichtet werden?“ „Aber es würde zumindest mal etwas getan werden, Teufel noch mal! Es würde etwas passieren! Weißt du wie frustrierend es ist, diese Kinder auf dem Tisch zu haben und wie frustrierend es ist, wenn sie bereits ein paar Operationsnarben von anderen Operationen haben? Schlecht verheilt, unsauber genäht und ein Zeichen dafür, dass man sie wieder und wieder raus geschickt hat?“ „Würde jemand in einen Arm Slave steigen, Marcus, dann sage ich dir was passiert. Du hättest noch mehr Patienten, sehr viel mehr. Alleine die Kollateralschäden würden dir dutzende Kinder auf den OP-Tisch bringen. Dutzende.“ „Na und? So verhungern und erfrieren sie nur, ist das gerechter? Und die, die es schaffen, haben sie Schulbildung? Können sie lesen, schreiben, rechnen? Was sind sie für ihre Zukunft, was für die Zukunft ihres Landes? Ich denke mal ganz arrogant, Thomas, dass es das wert wäre, wenn es wirklich eine Veränderung bringt.“ „Na danke. Ich stürze mich sofort in den nächsten Arm Slave, und wenn es ein Savage ist, und beginne den großen Rachefeldzug, befreie die armen, einfachen Soldaten von ihrem Los als geknechtete Befehlsempfänger und baue eine richtige Armee auf, die dieses Land befreit. Und dann schwappen wir wie eine Tsunami in die Nachbarländer und beenden auch dort den Bürgerkrieg. Ist es das?“ „Schaffst du das vor dem Winter?“ „Pah. Zwei Monate, nein, anderthalb. Mehr brauche ich nicht. Gib mir einfach einen Arm Slave und ich fange morgen an.“ „Du kannst manchmal ein ganz schöner Scheißkerl sein, Thomas.“ „Du hast damit angefangen, du Arschloch.“ Der Arzt warf seine Zigarette zu Boden und trat sie aus. Danach zündete er sich eine neue an. „Aber einer muss es machen, Thomas. Und du bist der einzige Arm Slave-Pilot, den ich kenne.“ „Rede keinen Unsinn! Ich war Arm Slave-Pilot, bis mein Arbeitgeber mich wegen Unfähigkeit rausgeschmissen hat!“ „Du redest Unsinn. Einen Arm Slave zu führen ist wie Fahrradfahren. Man vergisst es nie.“ Thomas kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und sah den Arzt an. „Du kannst einen Arm Slave steuern?“ „Nein, aber Fahrrad fahren.“ Der ehemalige Mithril-Offizier lachte auf. „Wenigstens hast du dir deinen Humor bewahrt.“ „Und wenn ich dir einen Arm Slave besorge, machst du es?“ „Leck mich am Arsch und geh dann schlafen, ja, Marcus?“ „War das ein ja?“ „Dein Tag morgen wird lang genug, alter Junge. Den solltest du nicht mit Albträumen verbringen.“ Thomas erhob sich, klopfte dem Rauchenden auf die Schulter und ging. „Ich haue mich jedenfalls hin. Mein Tag wird auch lang genug.“ „Das war aber auch kein nein“, rief Donna ihm hinterher. Thomas schmunzelte. *** Als der ehemalige Mithril-Offizier erwachte, starrte er direkt in die Mündung einer AK 47, dem am weitesten verbreiteten halbautomatischen Sturmgewehr auf dieser Welt. Es gab viele Möglichkeiten, schnell wach zu werden, in eine schussbereite Waffe zu schauen war sicherlich eine davon. Entsetzt fuhr er hoch. „First Lieutenant Thomas Kramer?“, schnarrte eine Stimme mit furchtbarem Akzent. „Nur noch Thomas Kramer. Ja.“ Der Deutsche vermied es, die üblichen Anfängerfragen zu stellen. Also: Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wieso ich? Wie haben Sie mich gefunden? Stattdessen setzte er auf Kooperation. Am anderen Ende des Gewehrs lauerte ein grimmiger, entschlossener Mann mit nervös zuckendem rechtem Zeigefinger. Hinter ihm standen fünf weitere Männer. Alle sechs trugen grüne, paramilitärische Uniformen. Ihre Gemeinsamkeit war ein auf die Brust eingesticktes Logo, das eine der größeren politischen Parteien darstellte, die Reformdemokraten. „Ziehen Sie sich an, Thomas Kramer. Wir machen einen Ausflug.“ Gehorsam sammelte Thomas seine Kleidung auf und zog sich an. Die Mündung des Gewehrs war ein gutes Argument dafür, dabei etwas schneller als sonst zu sein. Danach führten sie ihn nach draußen, wo bereits ein Mannschaftstransporter wartete. Er musste auf der Ladefläche Platz nehmen und war schon bald von über fünfzehn bewaffneten Soldaten umgeben. Na toll, mit jeder Sekunde wurden seine Chancen schlechter. Sie verließen das Lager und fuhren auf eine leidlich erhaltene und kaum bombardierte Schnellstraße Richtung Carei, einer Kleinstadt an der ungarischen Grenze. Dort kamen sie gut voran, und nach zwei Stunden Fahrt erreichten sie ein Landgut, das Thomas ziemlich gut kannte. Hier hatten sie versucht, den Waffenhändler Kumanov zu stellen. Stattdessen waren ihnen Computerdaten und eine Whispered in die Hände gefallen. Verdammt, Kim. Wie es ihr wohl gerade ging? Seit er Mithril verlassen hatte, hatte er den Kontakt zu ihr vermieden, einfach um sie nicht in sein persönliches Unglück mit hinein zu ziehen. Nun sah er, dass es eine sehr kluge Entscheidung gewesen war. Kaum dass sie im Innenhof angekommen waren, scheuchten die Soldaten ihn von der Ladefläche. Hm, sie hatten das Haus wieder aufgebaut. Und der Hangar sah ohne die Einschussspuren auch wieder ganz gut aus. Das Haus war ihr Ziel. Thomas wurde durch die Vordertür geführt, kam an dem Zimmer vorbei, in dem Kim damals untersucht worden war und landete in einem wohnlich eingerichteten Lebensraum. Wohnlich, wenn man von dem halben Dutzend schwer bewaffneter Soldaten absah, die hier an den Türen Aufstellung bezogen hatten. „Ah, First Lieutenant Kramer. Es freut mich Sie zu sehen. Bitte, setzen Sie sich doch.“ Thomas fuhr herum und setzte sich zugleich auf die bequeme Couch. Im Moment war er nicht in der Lage, seinen Sturkopf durchzusetzen. Der Mann, der gesprochen hatte, war klein, korpulent und transpirierte stark. „Erinnern Sie sich an diesen Ort? Sie haben ihn auseinander genommen. Der gute Kumanov – Friede seiner Asche - hatte Ihnen und Ihrer Einheit nichts entgegenzusetzen.“ Der schwitzende Mann setzte sich Thomas gegenüber. „Darf ich ihnen etwas anbieten, First Lieutenant?“ „Ich habe keinen Dienstrang mehr. Aber ein Schwarztee wäre nett. Ich habe noch nicht gefrühstückt und würde zumindest die aufputschende Wirkung zu schätzen wissen.“ „Noch nicht gefrühstückt? Diese Menschen sind wirklich Barbaren, finden Sie nicht? Ich wette, man hat Sie direkt aus dem Bett entführt. Einen Schwarztee für Herrn Kramer.“ Der schwitzende Mann sah ihn ernst an. „Es heißt Sie wurden degradiert. Es heißt, Ihr Stellvertreter hat Ihr Kommando übernommen. Es heißt, Sander hat Sie von seinem Boot entfernt. Es heißt, Sie haben Mithril verlassen.“ „Sie sind gut informiert“, murmelte Thomas. „Wie viel davon ist wahr? Ich meine, dies hier ist doch nicht irgendeine obskure Spezialmission, die sich die Oberen bei Mithril ausgedacht haben? Ich kann zwar nicht ganz dran glauben dass man einen Arm Slave-Piloten darauf angesetzt hat, diesen Krieg zu beenden, aber bei diesem Idealistenpack kann man nie wissen.“ Thomas schnaubte verächtlich. „Schöne Idealisten.“ „Bitte keine Theatralik, mein lieber Herr Kramer. Wenn Sie Rache hätten haben wollen, wären Sie garantiert direkt zu Amalgam gelaufen. Und die hätten Sie mit Kusshand genommen. Wo also treffen wir uns?“ Der Deutsche atmete aus. „Nach den Ereignissen an der südchinesischen Grenze wurde ich für meine Eigenmächtigkeit, nämlich verletzt einen Arm Slave zu steuern, und dann auch noch ausgerechnet den kostbaren Arbalest, degradiert. Einen Monat später wurde meine Stellvertreterin auf den gleichen Rang befördert. Nach einer Leistungsbilanz erwies sie sich als fähiger als ich und sie wurde neuer Kommandant meiner Einheit. Kapitän Sander hat mich daraufhin von seinem Boot entfernt. Ich denke, das war die richtige Entscheidung, denn ich hätte nur ungern unter First Lieutenant Rogers gedient. Immerhin hat sie fast alles was sie weiß von mir und… Ach, das wissen Sie sicherlich schon alles.“ „Richtig. Das weiß ich schon alles. Wir haben einen Mann auf der FEANOR. Obwohl wir ihn sicherlich nicht hätten befragen brauchen, denn die Gerüchte um den Abschied von Thomas Kramer waren… Nun, laut und deutlich zu hören. Für eine Geheimorganisation keine schlechte Leistung. Mir geht eine andere Sache durch den Kopf. Unser Mann an Bord hat bestätigt, dass sich alles so abgespielt hat, wie Sie es schildern, Herr Kramer. Ich persönlich finde es aufrichtig von Ihnen, dass Sie keine Rache an ihren ehemaligen Kameraden suchen. Das zeugt von innerer Stärke. Aber kommen Sie, in ein Flüchtlingslager fliehen, das ist doch vollkommen absurd. Was wollen Sie hier? Was wollen Sie in diesem Land?“ „Helfen.“ „Erzählen Sie das jemandem, der sich die Hose mit Hilfe eines Arm Slaves zu macht, aber bitte nicht mir. Ich will Ihnen etwas erklären, Thomas. Ihr Leben hängt an einem seidenen Faden. Die Bestätigung unseres Maulwurfs hat Ihr Leben nicht gerettet, nur einen Aufschub erreicht. Ich kann Sie hier jederzeit töten lassen. Und in Ihrem Lager sind Sie auch nicht sicher. Einmal davon abgesehen, dass Sie gerade etwas machtlos sind, nicht wahr?“ „Sie brauchen mir das nicht extra vor Augen zu führen“, erwiderte Thomas gepresst. „Ich erinnere mich recht gut, wie ich hier her gekommen bin.“ „Also, was wollen Sie wirklich in diesem Land? Ich finde beide Varianten recht unwahrscheinlich. Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie nur helfen wollen, indem Sie in dem Lazarett den Helfer mimen. Und ich glaube nicht, dass Mithril Sie ausgeschickt hat, um den Bürgerkrieg in diesem Land zu beenden. Aber ich ziehe zumindest beides in Betracht.“ Thomas hob eine Hand. „Zwischenfrage. Warum lebe ich noch? Wäre es nicht wesentlich sicherer, mich einfach umzubringen? Dann gehen Sie absolut kein Risiko ein.“ „Oh, das wäre aber Verschwendung. Heutzutage bringt man doch niemanden um, der einen Lambda Driver aktivieren kann.“ Der Dicke schmunzelte. Irritiert sah Thomas auf. „Lambda Driver? Ich… Lambda Driver? Sie spinnen.“ „So, haben Sie es nicht gemerkt? Bevor Sie und Gun-so Sagara die Plätze getauscht haben, hat Pilot Vogel auf Sie geschossen. Die Kugel wurde von einem Lambda Driver verstärkt und hat Sie seitlich gestreift. Sie haben den Lambda Driver des Arbalests hochgefahren und mit Ihren starken Emotionen die Abwehr aufgebaut. Die Kugel wurde abgewehrt und Sie hatten Zeit, den Platz mit dem Gun-so zu tauschen.“ „Es würde Sinn machen“, gab Thomas mürrisch zu. „Aber ein Lambda Driver… Ich?“ „Wie gesagt, es ist ein seltenes Talent. Niemand auf dieser Welt, der von dem Lambda Driver weiß, vernichtet mutwillig eine so wichtige Ressource wie einen Piloten, der ihn benutzen kann. Niemand, nicht einmal Mithril.“ Der Mann lächelte dünn. „Zumindest nicht, solange der Pilot kein Gegner ist.“ „Es wäre einfacher mich zu töten. Ich mag bei Mithril ausgestiegen sein, aber die Ziele der Organisation sind mir immer noch näher als alles, was Amalgam zu bieten hat. Ich habe gesehen, wie Sie Leute behandeln. Wie Sie handeln. Und ich möchte wetten, Sie haben ihre Hände auch in diesem Bürgerkrieg.“ „Haben Sie Todessehnsucht, junger Mann? Auf dieser Welt haben Sie sicherlich noch sechzig bis siebzig Jahre vor sich, also warum betteln Sie mich an, Sie umzubringen? Was stimmt nicht mit Ihnen?“ „Es ist nicht dass ich will, dass Sie mich umbringen“, warf Thomas ein. „Aber ich werde nicht mit Ihnen paktieren. Und ich denke nicht, dass Sie dann für mich noch eine Verwendung haben.“ Sein Gegenüber wischte sich erneut über die schweißbedeckte Stirn. „Sauheiß heute. Warum müssen mich meine Aufträge immer in diesen völlig überhitzten Ländern führen? Herr Kramer, Sie helfen mir im Moment nicht gerade dabei, Sie am Leben zu lassen. Mittlerweile komme ich zu dem Fazit, dass Sie Recht haben. Vielleicht ist es sicherer Sie zu töten, Lambda Driver hin, Lambda Driver her.“ Er schnippte mit den Fingern. Einer der Paramilitärs trat vor, zog seine Pistole und drückte sie Thomas gegen die Schläfe. Als der Bolzen der Pistole niederfuhr, zuckte Thomas zusammen. Aber es löste sich kein Schuss. „Nun gut, junger Mann, einiges an Ihrer Geschichte scheint zu stimmen. Kein Einsatzkommando von Mithril um Sie zu retten, kein versuchter Ausbruch. Und ich bin wahrlich kein Verschwender.“ Der Dicke rieb sich das schwitzende Kinn. „Verschwinden Sie einfach und treten Sie mir nicht mehr unter die Augen. Sollten Sie aber noch mal auffällig werden, ist Ihr Leben absolut nichts wert. Igor!“ Einen Augenblick später traf ihn ein Gewehrkolben. Während Bewusstlosigkeit ihn umfing sagte der Dicke: „Denken Sie immer dran, dies war nur eine Liebkosung, wenn man bedenkt, was ich wirklich mit Ihnen anstellen kann, Herr Kramer…“ Dann sackte Thomas weg. *** Thomas Kramer erwachte mit wirklich miesen Kopfschmerzen. Als er sich langsam in der Welt orientierte, kämpfte er als erstes mit seiner Sehkraft. Diese Sterne und das unscharfe Geflimmer waren reichlich nervig. „Ruhig, Thomas. Du hast eine leichte Gehirnerschütterung.“ Der Deutsche wandte sich der Stimme zu, wurde für die hastige Bewegung aber mit einem Schwindelanfall bestraft. Kurz darauf übergab er sich, obwohl sein Magen leer war. „Wie ich schon sagte, du hast eine leichte Gehirnerschütterung. Zwei Tage Ruhe und du darfst wieder aufstehen. Schaffst du das? Zwei Tage liegen bleiben?“ „W… wie…“, ächzte der Deutsche. „Sie haben uns angerufen. Haben gesagt, wo sie dich deponieren. Ich habe dann einen der polnischen Freiwilligen solange bearbeitet, bis er mit einem Krad mit Seitenwagen raus gefahren ist um dich zu suchen. Er kam gerade rechtzeitig. Die ersten Neugierigen waren schon bei dir und es hätte nicht viel gefehlt und er hätte dich nackt zurück gebracht. Du solltest ihm bei Gelegenheit danken. Er heißt Gefreiter Soldovsky.“ Thomas wollte etwas erwidern, aber ein neuer Würgereiz unterbrach ihn. „Mist…“ „Ich sagte, bleib ruhig liegen. Im Moment bist du nicht mal in der Lage, Fahrrad zu fahren. Sei einfach froh, dass du noch lebst, ja?“ Thomas lächelte gequält und versuchte sich aufzurichten. „Marcus… Es gibt da… etwas Wichtiges… Du musst etwas für mich… für mich tun…“ „Was ich für dich tun muß ist dich zu sedieren, damit du dich nicht selbst verletzt.“ Thomas ergriff den Ärmel des Arztes. „Thomas! Die FEANOR hat einen Maulwurf an Bord!“ Der Arzt erstarrte. Er kannte sich im Agentenjargon leidlich aus, aber er wusste nichts mit dem Begriff Feanor anzufangen. „Die FEANOR ist ein Schiff?“ Thomas nickte leicht und ächzte bei der neuen Welle der Übelkeit, die über ihm zusammen schlug. „Und sie haben einen feindlichen Agenten an Bord?“ „Ja. Du… Du musst sie warnen.“ „Und wie, du Schlaumeier?“ Plötzlich wurde Thomas müde, so müde. Leise brabbelte er eine Nummer in Deutschland herunter. „Sag, dass die Nachricht von Falke eins kommt. Bitte, es ist wichtig. Es ist…“ Er spürte, wie sein Griff um den Ärmel des Arztes erschlaffte. Dunkelheit senkte sich über seinen Blick. Wie aus weiter Ferne hörte er Marcus Donna sagen: „Es kann zumindest nicht schaden, oder?“ Dann kam die Dunkelheit. 2. Tarkan Agedi fühlte sich wohl. Die Altstadt im östlichen Teil Istanbuls war für ihn irgendwie ein wenig Heimat. Es roch hier überall an jeder Ecke nach Kaffee, Gewürzen und frischen Früchten. Die Menschen bewegten sich ohne Hast, ohne sich in der prallen Mittagssonne anzustrengen – was sie aber nicht davon abhielt, aufs heftigste zu feilschen, und sei es wegen einer Handvoll Datteln. Tarkan schmunzelte. Er selbst war kein Türke, zumindest kein richtiger. Aber er verstand genug von der einheimischen Sprache und den Eigenheiten der arabisch geprägten Kleinasien-Türken, um sich hier gut zu orientieren und nicht aufzufallen. Seine Wahl fiel auf ein kleines Kaffee-Haus, aus dem er drei verschiedene Aromen von starkem Mocca zu riechen meinte. Seine Kindheit und Jugend in Deutschland hatte ihm viele nützliche Dinge beigebracht, aber solche Genüsse hatten nie dazu gehört. Er war dankbar dafür, dass er in die Lage gekommen war, durch Mithrils Mittelmeerstützpunkt in der Ägäis relativ nahe an Istanbul stationiert zu sein. Für ein, zwei Gefallen waren die Hubschrauberpiloten des Stützpunkts jederzeit bereit, einen zum Atatürk-Flughafen raus zu fliegen und wieder abzuholen. Tarkan setzte sich und bestellte. Kurz darauf stellte ein alter Mann mit langem grauem Bart eine kleine Tasse mit Mocca vor ihm ab. Der Duft war verführerisch einschmeichelnd und steigerte sein Wohlbefinden. Bis zum Mittagsgebet dauerte es noch, er hasste es wirklich sich an eine Religion anzupassen, die nicht die seine war. Seine Religion war Geld. Zumindest war sie das gewesen, bis zu diesem Zwischenfall. Er dachte zurück an den Einsatz der FEANOR vor der Küste Marokkos, an den missglückten Enterversuch Amalgams und seine eigene Rolle als Verräter auf der Brücke in diesem Spiel. Wäre Captain Karasov nicht dazwischen gegangen hätte er etwas sehr dummes getan und sich offen gegen seine Kameraden, ja Freunde gestellt. Genauer gesagt hatte der Russe ihn mit der Waffe bedroht. Und auch heute noch war Tarkan unter einer gewissen Bewachung, die Karasov organisiert hatte. Einmal Verräter, immer Verräter. Er wusste nicht, ob er dankbar dafür sein sollte, dass Karasov seinen Verrat nicht an die große Glocke gehängt hatte. Das ersparte ihm wenigstens Hohn und Verachtung seiner Kameraden von der Brückencrew. Andererseits hätte ein ordentlicher Schlussstrich und ein kleines Kriegsgerichtsverfahren ein Ende unter all das gesetzt. Sicher wäre er mit einer unehrenhaften Entlassung davon gekommen. So aber war er ein Spielball geworden. Einerseits von der Organisation, die ihn gekauft hatte, Amalgam, andererseits vom Chef der Infanterie der FEANOR. Frustriert trank Tarkan seinen Mocca aus, bezahlte und verließ den gemütlichen Laden. Sein Weg führte ihn tiefer in die Altstadt, in verwinkelte Gassen, in denen die Geschäfte abnahmen. Bis er plötzlich die Wand küsste, kaum dass der Mullah zum Gebet rief. „Ah, die Herren von Amalgam“, ächzte Adebi in einem Anflug von Ironie. „Was kann ich für Sie tun?“ Der bärenstarke Mann, der ihn gegen die nächste Wand presste, grunzte nur und verstärkte den Druck. „Adebi-san. Es ist schön, dass Sie immer noch leben. Unsere Überwachung der Mobilfunkeinrichtungen Rumäniens haben ergeben, dass Thomas Kramer eine geheime Nachricht an Amalgam hat abgeben lassen, in der er meldet, die FEANOR hätte einen Maulwurf an Bord.“ „Na danke. Von wem er das wohl hat?“, zischte Tarkan aus seiner unbequemen Lage. „Das erklärt zumindest warum der Skipper und die Eishexe den ganzen Tag Akten wälzen und Leute stichprobenartig für Befragungen ins Büro zerren.“ „Ihr Lebenslauf ist wasserdicht“, vernahm er die Stimme erneut. „Immerhin stimmt sie zu hundert Prozent. Bis auf die hunderttausend Deutschmark, die Amalgam Ihnen gezahlt hat. Die tauchen in Ihren Referenzen glücklicherweise nicht auf, Adebi-san.“ „Trotzdem stehe ich jetzt auf der Abschussliste. Und wenn ich entdeckt werde bin ich so gut wie tot.“ „Hätten Sie damals Ihren Auftrag erledigt, Adebi-san, dann wären sowohl die FEANOR als auch ihre Crew in unserer Hand. Und Sie wären vom Rudergänger vielleicht zum Kapitän aufgestiegen. Aber nein, Sie bekamen kalte Füße und haben nichts gemacht. Nun bezahlen Sie halt den Preis.“ „Ja, durch ein überhöhtes Risiko! Ich will, dass Sie mich da rausholen! So schnell wie möglich!“ „Oh, Adebi-san, Sie sind nach der letzten Enttäuschung nicht in der Lage, Forderungen zu stellen. Im Gegenteil. Sie müssen sich unser Vertrauen erst wieder mühsam verdienen. Wenn wir, ah, Ihr Leben etwas interessanter gestalten, sehen Sie das bitte als zusätzliche Anstrengung zurück in unsere Anerkennung an. Es war taktisch wichtig, Kramer vom Maulwurf an Bord der FEANOR zu erzählen.“ „Um seine Geschichte zu überprüfen?“ Tarkan lachte rau. „Seit der Heilige von Bord ist, gibt es einiges an Unruhe an Bord. Um es mal frank und frei zu sagen: Ein großer Teil der Crew ist mit der Entscheidung von Sander nicht einverstanden. Aber Befehl ist Befehl. Die Arbeit muß halt weitergehen, auch wenn es nicht mehr dasselbe ist.“ „So, so. Sie sagen also, dass Kramers Entlassung keine Farce ist, um beispielsweise uns eine Falle zu stellen?“ Die Stimme klang amüsiert. „Natürlich ist es eine Falle. Denken Sie daran, dass absolut niemand informiert wurde. Die ganze Crew denkt tatsächlich, dass Kramer wegen mangelnder Leistung entlassen und wegen Rücksichtslosigkeit auf Gesundheit und Material seiner Leute degradiert wurde. Nur eine Handvoll Soldaten können von seiner Mission wissen. Der Skipper, Commander Allister und eventuell noch zwei oder drei Leute im Oberkommando.“ „Hm. Sehr unwahrscheinlich. Mithril ist zu liberal für solch eine Aktion. Aber dennoch ist sie möglich. Wir werden das im Auge behalten. Wir werden Kramer im Auge behalten. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Lieutenant Adebi.“ Der Druck ließ nach und Tarkan konnte endlich frei atmen. Kurz darauf war er in der dunklen Gasse alleine. Er streckte die verspannten Schultermuskeln, rieb sich den neuen blauen Fleck und fluchte herzhaft. Diesmal würde er nicht überleben. Diesmal würde er draufgehen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Etwas zu hastig verließ er die Altstadt wieder, nahm eine der Fähren über den Bosporus. Wenigstens eine Sache war sicher. Solange Amalgam Kramer beobachtete, würde die Organisation ihn nicht töten. Und Tarkans Schuld würde nicht weiter anwachsen. *** Commander Allister ließ ihren Blick über den beinahe leeren Besprechungsraum gleiten. Die wenigen Anwesenden waren ausschließlich Arm Slave-Piloten. Genauer gesagt waren sie die sechs Arm Slave-Piloten, über die das Schiff nach Kramers Austritt aus der Organisation noch verfügte. Die Gesichter waren alles andere als gelöst, manche sahen übernächtigt aus. Nicht, dass irgendjemand mit Samantha Rogers haderte oder ihr Vorwürfe machte. Aber sie konnte sehen, dass die Männer und Frauen sie, die stellvertretende Kommandantin der FEANOR, aufmerksam beobachteten. Es war ein offenes Geheimnis, dass sie bei sämtlichen Personalentscheidungen intensiv mit einbezogen wurde. Nun zu sagen sie hätte bei Kramers Entfernung vom Schiff kein Wort mitzureden gehabt wäre eine glatte Lüge gewesen. „Guten Morgen, Falken. Ich habe euch heute hier zusammengerufen, weil ich euch ein paar wichtige Entscheidungen mitzuteilen habe. Ihr wisst alle, dass die Sollstärke der Arm Slave-Truppen an Bord acht Piloten betragen soll. Genauer gesagt acht Piloten für acht Gernsback. Nachdem wir zwei Maschinen in der Sahara verloren haben, wurde bisher aber nur einer ersetzt. Das Oberkommando hat sich nun entschlossen, die fehlenden zwei Plätze vorerst nicht neu zu besetzen. Der siebte Arm Slave von First Lieutenant Kramer wird als Reservemaschine fungieren.“ „Hä? Keine Verstärkung? Unser ganzes Training basiert auf der Arbeit als vier Zweierteams“, wandte Sergeant Ben Brahim ein. „Das durchbricht all unsere Übungen.“ „Meckern Sie nicht, Sergeant. Es ist ja nicht so als müssten wir ewig mit sechs Leuten auskommen. Aber im Moment sind die Zeiten äußerst unruhig und Mithril muß bei Neurekrutierungen besondere Vorsicht walten lassen. Wir haben eine Information bekommen, dass Amalgam die FEANOR infiltriert hat. Wir müssen verhindern, dass wir diesen Fehler ausgerechnet bei den M9 Gernsback wiederholen.“ Unruhe brach unter den Piloten aus. Ein Spion, bei ihnen an Bord? Samantha Rogers erhob sich. „Wie lange wird dieser Zustand andauern? Wann wird das Team wieder vollständig sein?“ „Wie schon gesagt, First Lieutenant, Aspiranten für die Falken und für jede andere Arm Slave-Einheit Mithrils werden auf Herz und Nieren geprüft. Nun, eigentlich sogar bis in den Nano-Bereich. Ich schätze, dass jeder einzelne Rekrut mindestens ein halbes Jahr im Training verbringen wird, bevor er zum Dienst zugelassen wird.“ „Ein halbes Jahr? Danke. Dann können wir unser Training komplett umstellen“, maulte Sergeant Ciavati. „Genau. Dies ist auch der Sinn dieser Besprechung. First Lieutenant Rogers, ab sofort werden Sie Trainingseinheiten mit drei Zweierteams ansetzen. Ich will, dass die neue Formation in einem Monat sitzt wie eine eins.“ „Verstanden, Ma´am.“ „Commander“, meldete sich Ken Ibuto zu Wort, „Infiltration ist eine schlimme Sache, zugegeben, aber ein halbes Jahr ist unzumutbar. Meine Meinung, Ma´am.“ „Ich gebe Ihnen Recht. Ein halbes Jahr ist definitiv unzumutbar. Vor allem wenn man die Tatsache in Betracht zieht, dass es auf der Erde zwanzigtausend ausgebildete Arm Slave-Piloten gibt. Von denen übrigens gut vierhundert einen Leistungslevel aufweisen, der sie für Mithril empfiehlt. Unter diesen vierhundert gibt es mindestens fünfundzwanzig, die wir sofort aufnehmen könnten, wenn nicht unser Konflikt mit Amalgam wäre. Wir müssen vorsichtig sein, sehr vorsichtig. Wie ernst das Oberkommando die Lage sieht können sie daran erkennen, dass die DANNAN lediglich vier von sechs Arm Slave-Piloten hat, die für das Schiff vorgesehen sind. Wenn selbst unser Flaggschiff hintenan stehen muss, warum denken Sie sollte unser Schiff bevorzugt behandelt werden?“ Ibuto brummte, fügte sich aber. „Gut, weitere Fragen? Nein? Lieutenant Rogers, beginnen Sie das Training in der neuen Formation so schnell wie möglich.“ „Aye, Ma´am.“ Commander Allister nickte, salutierte knapp und verließ den Raum. „Wow. Selbst die heilige Kuh ist noch unter Soll?“, staunte Ben Brahim. „Das will wirklich was heißen.“ „Du bist ein Idiot, wenn du dich daran hochziehst, Yussuf“, tadelte Ciavati. „Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass unsere Lage ernst ist. Zuerst haben wir überhaupt nichts von Amalgam gewusst, und nun hängen sie uns mit ihren Fängen schon an der Kehle.“ „Treffend formuliert“, murmelte Samantha. Sie erhob sich. „Also, Herrschaften, in einer Stunde auf dem Trainingsgelände. Ihr könnt wegtreten.“ „Aye, Ma´am.“ Sam zuckte zusammen. Jedes Mal wenn sie der ganzen Einheit Befehle gab befürchtete sie, dass einer der Piloten aus der Reihe tanzte. Das einer den Befehl verweigerte und darauf hinwies, dass Thomas Kramer der einzige und wahre Anführer der Falken war. Wäre sie selbst nicht in die missliche Lage versetzt worden, nun die Falken anführen zu müssen, hätte sie in ihrer poltrigen, robusten Art sicherlich so gesprochen. Aber nun hatte sie den schwarzen Peter, und sie hatte nicht vor, gegen sich selbst zu protestieren. So weit ging ihre Liebe für Falke eins dann nun doch nicht. Sie verließ den Besprechungsraum als Letzte. Und lief Timothy Scott in die Arme, dem Chef der Kampfhubschrauber. „Auf ein Wort, Falke eins.“ Wieder zuckte Sam zusammen. Sie hatte sich noch nicht an das neue Callsign gewöhnt. Und sie war sich sicher, dass sie das auch nie würde. „Was gibt es, First Lieutenant?“, fragte sie ernst. Tim runzelte die Stirn. „Hey, du brauchst nicht gleich die Elite-Soldatin raushängen zu lassen, nur weil ich dich mal bei deinem Rufzeichen nenne.“ „Was willst du, Tim?“, fragte sie enerviert. Der Hubschrauberpilot zuckte die Achseln. „Ich nehme an, du hast auch schon von dem Verräter an Bord gehört, oder?“ „Gerade eben. Hat die Geschichte so schnell die Runde gemacht?“ „Noch viel schneller. Ich wusste es gestern schon. Und wenn du dich nicht in deinem Zimmer auf der Basis verbarrikadieren würdest wie in einem Elfenbeinturm, dann wüsstest du es auch schon länger.“ „Was geht es dich an, wo ich meine Freizeit verbringe und auf welchen Klatsch ich höre und auf welchen nicht?“, blaffte sie wütend. Tim musterte sie ernst. „Das bist irgendwie nicht du, Sam. Das bist überhaupt nicht du. Macht dich die Sache mit dem Spion so merkwürdig?“ Sam antwortete nicht darauf. Stattdessen verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah den Offizier tadelnd an. „Nun sag schon was dir auf dem Herzen liegt. Du hast meine ungeteilte Aufmerksamkeit für deinen Klatsch.“ Tim räusperte sich verlegen. „Ich habe über das Thema nachgedacht. Und ich glaube, ich habe eine Ahnung, wo wir den Maulwurf finden könnten. Ein Agent von Amalgam zum Beispiel hätte nichts davon, als Matrose oder Infanterist auf der FEANOR zu dienen. Er bräuchte eine exponierte Position, von der aus er Zugang zu wichtigen Daten hat. Effizienten Daten. Beispielsweise auf der Brücke, auf einem Kommandoposten bei einer Teileinheit oder…“ „Kommandoposten einer Teileinheit? Denkst du an eine bestimmte Truppe? Die Arm Slaves zum Beispiel?“ Die Miene des Engländers versteinerte sich. „Komisch dass du das erwähnst. Der Gedanke liegt irgendwie nahe, vor allem wenn man deinen kometenhaften Aufstieg betrachtet, eh? Ich meine, der Heilige wurde wirklich mustergültig abserviert. Eine grandiose Leistung.“ Vor Zorn bebend sah sie dem Piloten in die Augen. „Willst du etwa sagen, dass ich…“ „Ich will gar nichts sagen. Ich zähle nur Fakten auf.“ „Ach, interessant. Und wann willst du den Skipper darüber informieren, dass seine Arm Slaves von einer feindlichen Agentin befehligt werden?“, giftete sie. „Ich habe nicht gesagt, dass die Arm Slaves von einer feindlichen Agentin befehligt werden“, zischte er. „Du allein hast diese Schlüsse gezogen!“ „Ach ja? Und auf welche anderen Schlüsse hätte ich kommen sollen, Tim? Nachdem du mir deine Theorie so vorgekaut hast? Nachdem du mir nach einer Besprechung aufgelauert hast? Nachdem du dem heiligen Thomas so offen nachtrauerst? Was soll ich da denken? Was, bitte?“ „Du gehst zu weit. Du gehst viel zu weit!“ „Du hast damit angefangen!“ Die beiden Elite-Soldaten sahen sich lange in die Augen, drohend, unnachgiebig, ernst. „Was bitte wird das wenn es fertig ist?“, schnarrte eine Befehlsgewohnte Stimme neben ihnen. Beide fuhren zusammen. „S-sir, das ist nur…“, stammelte Timothy. „I-ich… Wir haben nur…“, fügte Sam unsicher hinzu. Captain Karasov musterte beide streng. „Ich konnte einen Teil eurer Konservation leider nicht überhören. So wie drei Viertel der FEANOR.“ Beide senkten beschämt die Köpfe. Sie hatten gar nicht gemerkt wie laut sie geworden waren. „Was ist los mit euch beiden? Ihr seid doch Freunde, dicke Freunde! Und jetzt geht ihr euch gegenseitig an die Kehle? Was treibt euch nur so weit?“ „Ich…“ Betreten sah Scott zu Boden. „Wir haben doch nur…“ Sam sah flüchtig zu Tim herüber und senkte dann ebenfalls den Blick. „So weit ist es also schon gekommen. Wo soll das enden? Wollt ihr Mannschaften aufstellen, die das Schiff durchkämmen und jeden töten, der als Spion in Frage kommt? Ganz nach dem Motto: Lieber ein paar Unschuldige töten als den Richtigen zu verpassen?“ „Nein!“, beteuerte Sam. „Es ist nur so, dass…“ Sie sah auf, dem Russen direkt in die Augen. „Wir vermissen den Heiligen, Sir.“ Timothy sah überrascht auf. „Sam, das habe ich nicht gewusst.“ „Verdammt, ist doch wahr! Wie konnte der Skipper das tun? Wie konnte Thomas das tun? Was ist so schlimm daran, unter mir zu dienen? Was ist so schön daran, unsere Einheit zu verlassen?“ Bestürzt sah der Hubschrauberpilot die Kameradin und Freundin an. „Sam, ich hätte das mit den Teileinheiten doch nie gesagt, wenn ich gewusst hätte, wie sehr das an dir nagt.“ „Du Arsch. Du wolltest mich doch nur weinen sehen. Damit du noch nen Punkt auf deiner Liste hast, warum dein heiliger Thomas besser ist.“ Wütend wandte sich die Arm Slave-Pilotin ab und stampfte davon. „Sam, ich…“, rief Tim, streckte die Hand nach ihr aus und erreichte sie doch nicht. „Tja, mein Sohn. Da hast du ja einen schönen Haufen Scheiße gestapelt. Nicht nur dass du einen gleichrangigen Offizierskameraden prächtig gegen die nächste Wand gefahren hast. Du hast auch noch eine Frau mit Klasse tödlich beleidigt, sie gekränkt, ihren Stolz verletzt, ihr Selbstvertrauen erschüttert und ihren Glauben in ihren besten Freund zerstört.“ Gönnerhaft klopfte der Russe dem Piloten auf die Schulter. „Gute Arbeit. Wenn du einen Todfeind haben wolltest.“ „Ich bin ein Idiot“, murmelte Tim betreten. „Das steht außer Frage.“ Karasov schenkte dem jungen Offizier ein zynisches Lächeln und ging weiter. „Und es drängt sich eine weitere auf. Bist du damit jetzt zufrieden, oder versuchst du ausnahmsweise mal dein Gehirn zu benutzen, um die Sache doch noch gerade zu rücken?“ Karasov verschwand im nächsten Quergang, auf dem Weg zur Kantine. Zurück blieb ein Engländer in der Misere seines Lebens. 3. Als Thomas diesmal erwachte, erwartete ihn nicht das vertraute Gesicht des Chefarztes Marcus Donna oder einer der Schwestern. Oh, es war durchaus ein hübsches Gesicht, eindeutig weiblich. Und es kam ihm vage bekannt vor, aber es passte absolut nicht zu diesem Ort. Außerdem drehte sich die Welt ein wenig, und der ehemalige Mithril-Offizier musste einen Moment warten, bevor oben und unten ihre Plätze gefunden hatten. „Er ist wach“, hörte er eine helle Frauenstimme erfreut sagen. „Sie hatten Recht, Doc. Diesen Mann haut so schnell nichts um.“ Thomas richtete sich auf und die erwarteten Kopfschmerzen blieben aus. Er schwang die Beine aus dem Feldbett und setzte sich auf den Rand. Nun wurde ihm doch ein wenig schwindlig, aber ein paar Sekunden mit geschlossenen Augen halfen ihm dabei, die Achterbahnfahrt zurückzudrängen. Als er die Augen wieder öffnete sah er wieder das hübsche Gesicht, diesmal etwas besorgt, den Chefarzt Marcus Donna – und eine ganze Reihe männlicher Gesichter, die ihn burschikos angrinsten. „Was ist hier los, Marcus. Hast du Eintritt genommen?“ „Äh. Nein.“ „Schade. Hätte sich bestimmt gelohnt.“ „Bitte keine schlechten Witze, Thomas. Gräfin von Friedheim ist hier, um…“ „Gräfin?“ Das hübsche Gesicht verzog sich zu einem spitzbübischen Lächeln. „Das bin ich.“ „Aha.“ „Wie ich eben erklären wollte, die Gräfin ist hier, um…“ „Moment, Moment. Welchen Grund sollte eine Gräfin haben, in ein abgelegenes Flüchtlingslager zu kommen und ausgerechnet mich aufzusuchen? Was macht eine Gräfin überhaupt in diesem Land?“ Missmutig rieb sich der Arm Slave-Pilot die Schläfen. „Nun, um auf die letzte Frage zu antworten, ich wohne hier.“ Thomas musterte sie genauer. Die Frau schien keinen Tag älter als achtzehn zu sein. Auf jeden Fall war sie eine sehr fragile Person, und der braune Kurzhaarschnitt und die paramilitärische Camouflage-Kleidung konnte daran auch nichts ändern. „Aha.“ „Genauer gesagt gehört mir ein großer Teil dieses Landes. Ich meine, er gehörte mir, beziehungsweise meinen Großeltern, bevor sie von den Kommunisten verjagt worden waren.“ „Aha.“ „Aber jetzt, in diesen unsicheren Zeiten sehe ich es als meine Pflicht an, die…“ „Aha.“ Die junge Frau zog einen Schmollmund. „Können Sie mit diesem ewigen Aha nicht mal aufhören, First Lieutenant Kramer?“ „Es heißt nur noch Kramer. Ich habe keinen militärischen Rang mehr. Was wollen Sie überhaupt in diesem Land? Die alten Ansprüche und Rechte Ihrer Adelsfamilie einfordern? Himmel, Rumänien ist ein Trümmerfeld! Eine sehr leichte und ziemlich wertlose Beute.“ Der Blick der Frau wurde ernst. „Ich weiß. Und es tut mir Leid, dass ich so spät gekommen bin. Aber ich hatte lange Zeit nicht die Courage, um mich herzutrauen. Oder die Mittel.“ Sie senkte den Blick. „Ich bin nicht hier, um das alte Land meiner Familie in Beschlag zu nehmen. Oder um irgendwelche obskuren Adelsrechte einzufordern. Im Gegenteil.“ Sie machte eine alles umfassende Geste. „Ich dachte, Sie würden mich verstehen, Herr Kramer. Gerade Sie, der freiwillig hier her gekommen ist, um in diesem Flüchtlingslager zu helfen.“ „Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen mir und Ihnen, Gräfin“, erwiderte Thomas ernst. „Oh, es gibt einen. Ich bin nicht hier, um die Rechte einzufordern, sondern um die Pflichten zu erfüllen. Früher, als es in dieser Region noch Könige gab, war der Adel dazu angehalten, das ihnen anvertraute Land und die ihnen anvertrauten Menschen zu beschützen. Dies will ich nun erfüllen. Wenn auch sehr, sehr spät.“ „Niemand hat Sie dazu verpflichtet. Und niemand erwartet das von Ihnen“, tadelte der Arm Slave-Pilot. „Das ist richtig. Aber sehen Sie sich dieses Lager an. Gehen Sie durch die vielen anderen Lager. Und dann sagen Sie mir ins Gesicht, dass es nicht höchste Zeit ist, dass jemand etwas unternimmt.“ „Gut, Ihr Punkt. Und was habe ich damit zu tun?“ Übergangslos lächelte die kleine Frau wieder. Es wirkte frech und verschmitzt zugleich. „Nun, ich habe gehört, Sie seien der beste Arm Slave-Pilot der Welt.“ Der Deutsche sah den Chefarzt böse an, während dieser die Lampe an der Decke plötzlich sehr interessant fand. „Ich denke nicht, dass ich der beste Arm Slave-Pilot der Welt bin.“ „Nun, vielleicht nicht der beste der Welt, aber sicherlich der beste in diesem Land.“ Ihr verschmitztes Lächeln bekam einen Hauch von Schärfe. „Ich habe geheime Aufnahmen von Mithrils Überfall auf Kumanovs Villa gesehen. Sie haben sehr akkurat gearbeitet, Herr Kramer. Und als ich das gesehen hatte, da gingen mir zwei Dinge durch den Kopf. Erstens, da lässt jemand mit viel Können und Elan einen Waffenhändler hochgehen. Eine der Geißeln des rumänischen Volkes. Und zweitens, wenn du diesen Mann gewinnen kannst, um den Bürgerkrieg zu beenden, ist er schon so gut wie vorbei.“ Ihr Lächeln erstarb. „Wie sieht es aus, Herr Kramer? Ich habe die Männer, ich habe die Arm Slaves. Aber ich habe keinen Anführer. Und Sie sind der beste weit und breit. Wollen Sie nicht was gegen das Elend tun, das Sie hier Tag für Tag umgibt? Wollen Sie nicht endlich handeln? Sie sind ein Krieger. Ein Soldat. Ein Arm Slave-Pilot. Und das soll Ihr Beitrag für den Frieden sein. Bitte, lassen Sie mich nicht in Stich. Lassen Sie das rumänische Volk nicht in Stich.“ Missmutig sah Thomas zu dem Arzt herüber. „Sie ist gut.“ „In Rhetorik hatte sie immer die besten Noten.“ Er grinste schief. „Wir haben zusammen studiert. Und als ich von ihren Plänen erfuhr, dachte ich mir: Hey, stoppen kannst du sie sowieso nicht. Warum hilfst du ihr nicht stattdessen?“ „Ich bin gerade aufgestanden, habe eine Gehirnerschütterung hinter mir, eine Todesdrohung der schlimmsten Geheimorganisation dieses Planeten und wurde vor gar nicht langer Zeit meines Kommandos enthoben. Können solche Fragen nicht wenigstens bis nach dem Frühstück warten?“ Die Gräfin und der Arzt wechselten einen erfreuten Blick. „Heißt das ja?“ „Das heißt, dass ich vielleicht als Arm Slave-Pilot besser bin denn als Pfleger.“ Er sah auf. „Die Männer hinter Ihnen, Gräfin, sind…“ „Patrioten, die meine Familie beim Kampf um Ruhe und Ordnung unterstützt hat, so gut es eben ging. Nein, Ihre Arm Slave-Piloten sind nicht dabei.“ „Und über wie viele Arm Slaves reden wir hier?“ „Nanu? Sie fragen ja gar nicht nach Typ und Bewaffnung.“ „Ein Arm Slave ist jedem anderen Waffensystem überlegen, außer einem anderen Arm Slave. Vorerst will ich mich damit begnügen, dass Sie Arm Slaves haben, Gräfin von Friedheim.“ „Sie sind wirklich ein sehr interessanter Mann, Herr Kramer. Und bitte, nennen Sie mich Chef oder Anica. Aber Gräfin von Friedheim ist definitiv zu lang.“ „Gut. Also Chef. Würden Sie dann bitte mein Zelt verlassen… Chef?“ „Was? Aber ich dachte, wir hätten…“ „Ich würde mich gerne umziehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ „Oh. Oh. Ja, natürlich. Entschuldigen Sie uns.“ „Du kannst auch ruhig gehen, Marcus.“ „Hm. Ich bin Arzt. An dir gibt es bestimmt nichts, was ich nicht schon gesehen hätte, mein Freund.“ Thomas grinste schief. „Aber an dir gibt es Details, die ich noch nicht kenne. Woher wusstest du, dass sie hier ist? Wie hast du den Kontakt hingekriegt? Und wo zum Teufel hat sie Arm Slaves her?“ „Betriebsgeheimnis“, erwiderte der Arzt. „Aber seien wir doch ehrlich. Ein Arm Slave passt viel besser zu dir als eine Blutkonserve oder eine Trage.“ „Es ist nicht so als wäre diese Arbeit sinnlos gewesen“, murrte Thomas. „Es ist leicht jemanden zu finden, der dich bei deinen Handlangerdiensten ersetzt, mein Freund. Aber es dürfte sehr schwer sein, dich bei den Arm Slaves zu ersetzen.“ Marcus Donna zwinkerte ihm zu und verließ das Zelt. „Ist es das? Bin ich das? Bin ich nur nützlich, wenn ich in dieser gewaltigen Tötungsmaschine stecke?“ „Nützlich hin oder her, dort bist du am effektivsten.“ „Wenigstens bist du ehrlich.“ *** Ein wenig wunderte sich Thomas Kramer schon über die Blicke, die ihm die Menschen zuwarfen. Ja, warum sie ihm geradezu eine Gasse geöffnet hatten. Verzweifelt fragte sich der junge Pilot, mit wem genau diese Menschen ihn verwechselten. Dann hatte er den zentralen Platz des Lagers erreicht. Normalerweise wurde er genutzt, um die Hilfslieferungen zu entladen, in Anbetracht der Größe des Lagers war er also riesig genug, um in den wenigen ruhigen Wochen des Jahres Fußballturniere aufzunehmen – bis zu vier Spiele zugleich. Diesmal aber standen vier schwere Tieflader vor den unzähligen Zelten. Und sie waren beladen. Je näher Thomas dem Platz kam, desto aufgeregter waren die Menschen. Ja, sie wurden regelrecht enthusiastisch. Und das war bei Menschen, die in schlecht geheizten Zelten und mit schlecht geflickter Kleidung Winterzeiten hinter sich bringen mussten wirklich von Seltenheitswert. Freude sah man hier sehr selten. Selbst den Kindern wurde verboten, beim spielen zu laut zu lachen. Auf den Tiefladern waren Arm Slaves befestigt. Normalerweise wäre dies ein Grund gewesen, den Platz zu verlassen, und sicherheitshalber noch einen zusätzlichen Kilometer Distanz drauf zu legen. Diesmal aber waren die Giganten regelrecht umschwärmt. Der Grund dafür war das kleine kesse Mädchen in der Camouflage-Kleidung, das eine Gruppe der offiziellen Vertreter des Lagers herumführte und Details der Maschinen erklärte. Mistral I, französische Modelle, erkannte Thomas mit der langjährigen Routine eines Mannes, der schon so ziemlich jeden existierenden Arm Slave dieser Welt mindestens einmal abgeschossen hatte. Er hatte mit Savages gerechnet, der sowjetischen Massenproduktion, die zu Dumpingpreisen in der ganzen Welt verkauft wurden. Die Mistral I waren zwar nicht viel jünger, dafür aber erheblich besser verarbeitet. Mistral II oder Gernsback währen ihm lieber gewesen, aber seine schlimmsten Befürchtungen waren nicht eingetreten. Genauer gesagt rechnete er sich mittlerweile recht gute Chancen aus. Nicht unbedingt, um diesen Bürgerkrieg zu beenden. Aber um ihn zu überleben. Solange sie nicht auf Venoms stießen. Oder auf eine jener Gruppen, die das Chaos in den russischen Satellitenstaaten für ihre Waffentests missbrauchten. „Und hier sehen Sie den Anführer meiner Soldaten: Major Thomas Kramer! Major Kramer ist erfahrener Arm Slave-Pilot, der bereits überall gesiegt hat: Im südchinesischen Bergland, in der Zentralsahara, und auch hier in Rumänien. Genauer gesagt war er es, der den berüchtigten Waffenhändler Kumanov erfolgreich angegriffen hat. Nun, es war kein Sieg in dem Sinne. Aber er hat eine zahlenmäßig kleine Truppe gegen die überlegenen Kräfte Kumanovs geführt und jeden einzelnen Mann wieder mit zurückgebracht. Wenn das keine Leistung ist. Major Kramer, kommen Sie doch zu uns.“ Thomas lächelte liebenswürdig und schnappte nach Anica von Friedheims Arm. „Entschuldigen sie uns einen Moment, Herrschaften.“ Er zog die junge Frau hinter einen der Transporter. Sie seufzte enttäuscht als er sie einfach losließ. „Was denn? Ich dachte, Sie schleudern mich zumindest gegen die Reifen oder brüllen mich an.“ „Chef“, sagte Thomas, „das kann ich gerne noch nachholen. Aber zuerst würde ich gerne wissen, was Sie vorhaben. Ich kann nämlich nicht ganz glauben, dass Sie ohne treffenden Grund auf mich deuten und „Held, Held“ schreien.“ Die Gräfin lächelte dünn. Sie ging zu einer Klappe des Tiefladers und zog einen schwarzen Gefechtsanzug hervor. „Hier, ziehen Sie das an. Der Tanz wird sicher bald losgehen, und ich will vorbereitet sein.“ „Hm“, machte der Deutsche. „Sie wissen also, dass es in den Lagern von Spionen der verschiedensten Fraktionen wimmelt. Sie wissen zu genau, dass die vier Arm Slaves jede militärische und paramilitärische Einheit im Umkreis von fünfzig Kilometern anlocken werden wie Scheiße die Fliegen.“ „Oh, betrachten Sie es als Bewährungsprobe. Ich muss doch wissen, was der Anführer meiner Truppen wert ist“, säuselte sie. „Und Sie wissen natürlich, dass diese Spione auch weitergeben, was Sie gerade über mich gesagt haben!“ „Ja, es wird die Angreifer zögern lassen. Verlangsamen. Ich halte nichts davon, dass sie in dieses Lager getrampelt kommen, tausende Menschen unter den Füßen ihrer Arm Slaves töten und glauben, sie könnten unsere Mistral erobern.“ „Wenn Sie so denken, hätten Sie die Arm Slaves nie hierher bringen dürfen!“ „Nein. Die Menschen müssen die Arm Slaves sehen. Und sie müssen den Mann sehen, auf den sie in Zukunft vertrauen werden. Also enttäuschen Sie die Menschen im Lager nicht. Enttäuschen Sie mich nicht. Mein lieber Major Kramer.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Sie sollten sich wirklich umziehen. Die erste Einheit kann uns in… Zehn bis zwölf Minuten erreichen.“ „Wenn Sie sich verkalkuliert haben, sterben eine Menge Menschen“, tadelte Thomas. „Ich darf mich nicht verkalkulieren. Ich darf mich nie verkalkulieren. Weder dabei, wie schnell der Gegner heran rückt, noch bei Ihnen, Major Kramer.“ Ihr Lächeln machte einem missmutigen und ein wenig ängstlichen Gesicht Platz. „Tun Sie Ihren Job, Soldat.“ Thomas zog den rechten Mundwinkel zu einem amüsierten, sarkastischen Halbgrinsen hoch. „Zu Befehl, Chef.“ Als der Pilot in sein natürliches Umfeld zurückkehrte – das Cockpit eines Arm Slaves – fühlte er sich erleichtert. Es war nicht sein Arm Slave, aber es fühlte sich gut an, verdammt gut. „Aktivierung.“ Die Systeme fuhren hoch, der riesige Roboter erwachte zum Leben. Anzeigen poppten auf und verrieten Thomas, dass der Mistral nachgerüstet worden war. Teile dieser Technologie fand man in den neueren amerikanischen Maschinen. Positionen wurden angezeigt und mit kleinen Datenfenstern zur Information versehen. Die anderen drei Arm Slaves bildeten sich deutlich ab, dazu über fünfzig Punkte, die zu Fußsoldaten gehörten. Zufrieden registrierte der Deutsche, dass alle Infanteristen mit Transpondern ausgestattet waren, die es leicht machten, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. „Status von allen Einheiten“, befahl er. „Sir, Lieutenant Goran Blatic hier, ehemals Eurocorps. Ich bin bis auf weiteres Ihr Stellvertreter. Alle vier Mistral I sind aufgerüstet und bereit. Malheur-Maschinengewehre in den rechten Armen, drei Ersatzmagazine am Mann und achtzehn weitere Magazine auf den Tiefladern. Dazu kommen Mirage-Pistolen mit jeweils achtzehn Schuss für den Nahkampf und fünf Ersatzmagazinen auf den Tiefladern hinzu. Zur Ausrüstung gehört jeweils noch ein Kampfmesser neuester amerikanischer Fertigung. Die Infanterie ist mit Schnellfeuergewehren und zehn Mann mit Anti Arm Slave-Panzerfäusten ausgestattet. Wir hören auf Ihr Kommando, Major Kramer.“ „Das klingt doch gut“, brummte Thomas. „Blatic, was meinen Sie mit bis auf Weiteres?“ „Nun, Sir“, antwortete die raue Bariton-Stimme, „diese Einheit hat kaum Kampferfahrung miteinander. Erst recht haben wir noch nicht mit Ihnen gekämpft. Es kann also durchaus sein, dass Sie einen der anderen Piloten lieber als Stellvertreter hätten.“ „Verstehe. Dazu kommen wir später. Jetzt müssen Sie nur vor allem eines: Auf meine Befehle hören. Was wissen wir über den näher rückenden Feind?“ „Die Neo-Sozialistische Partei. Hardliner, die einen gemäßigten Kommunismus etablieren wollen. Dafür ist ihnen jedes Mittel Recht.“ Thomas stöhnte gequält auf. Er hasste Menschen, die ihre eigenen Ideale opferten, um ihre Ideale zu erreichen. Das war krank. „Die Einheit, die auf uns zukommt, erreicht den Rand des Lagers in sieben Minuten. Sie besteht aus fünf T-52, Sturmpanzer sowjetischer Bauart, sowie sechs hochgerüsteten Arm Slaves der Savage-Klasse. Fußtruppen sind nicht zu erkennen.“ Thomas rechnete im Kopf kurz nach. „Okay. Bericht der anderen Piloten.“ „Second Lieutenant Yvette Barth, ehemals italienische Carabinieri.“ „Second Lieutenant Hannes Kaminsky, Freiwilliger der polnischen Armee.“ „Gut, Herrschaften. Mein Name ist Thomas Kramer, und ab sofort habe ich die Ehre, diesen Haufen anzuführen. Mir ist zwar schleierhaft, wie man mit vier Arm Slaves ein ganzes Land vom Bürgerkrieg befreien kann, aber ich werde mit einer praktischen Lektion beginnen. Sie alle bekommen deshalb jetzt von mir einen praktischen Befehl. Der Schutz der Zivilisten hat allerhöchste Priorität. Alles was an mir vorbeikommt muß von Ihnen gestoppt werden. Haben Sie verstanden, meine Herren und meine Dame?“ „Roger!“ „Gut. Was mich angeht… Ich gehe ein wenig spielen.“ „Sir, Sie wollen sich doch nicht etwa alleine der Streitmacht stellen?“ Thomas grinste dünn. „Wie der Chef gesagt hat, die Menschen müssen vertrauen. Sorgen Sie dafür, dass ihnen nichts passiert.“ „Aber alleine. Sir! Nehmen Sie wenigstens einen Flügelmann mit!“ „Ihre Sorge in allen Ehren, Lieutenant Blatic, aber denken Sie nicht, dass ich einen mitnehmen würde, wenn ich einen bräuchte?“ „Sir, es gibt Menschen, die sind schon an Selbstüberschätzung gestorben!“ „Stimmt, aber nicht ich, nicht heute und nicht hier. Aktivieren Sie Ihre Arm Slaves. Der Tanz beginnt gleich.“ Leise murmelte Thomas zu sich: „Das ist es doch was Sie wollten, oder, Gräfin? Sie wollen einen Helden. Ich liefere Ihnen einen.“ Die gigantischen Kampfmaschinen erhoben sich von den Tiefladern. Thomas nahm die Spitze ein und führte die Truppe durch das riesige Lager. Die Menschen wussten was die Stunde geschlagen hatte und versuchten das potentielle Kampfgebiet zu verlassen. „Die Infanterie richtet Meldeposten ein, rund um das Lager, um weitere Feindbewegungen aufzuspüren. Ich will keine Gegner im Nacken haben, vor allem keine weiteren Arm Slaves. Dazu sollten fünf Teams von je vier Mann reichen. Der Rest patrouilliert mit den polnischen Freiwilligen im Lager und hält die Ordnung aufrecht.“ „Roger!“ „Ihr Name.“ „Captain Kilian, Chef der Infanterie, ehemals Bundeswehr.“ „Enttäuschen Sie mich nicht, Captain.“ „Nein, Sir.“ „Drei Minuten, bis der Feind Waffenreichweite erreicht. T-52 feuern. Entfernung fünfundzwanzig Kilometer.“ „K.I., wie viele Geschosse und welcher Kurs?“ Die Langstreckenreichweite der Langrohrkanonen der sowjetischen Panzer war bekannt und gefürchtet. Nur die nagelneuen T-97, die deutschen Leopard 5 und der amerikanische Abrams A9 waren noch schlimmer. Die britischen Bradley lagen hinter diesem Standard weit zurück, ebenso die Franzosen. „Drei Granatengeschosse, Panzerbrecher, Kurs auf das Lager.“ „Granatengeschosse erfassen und automatisch abwehren, wenn sie bis auf fünf Kilometer heran sind. Lieutenant Blatic übernimmt das.“ „Roger.“ Thomas warf seinen Mistral in einen schwerfälligen Trab und lief so den anderen drei Arm Slaves davon. Er verglich die Positionen der Angreifer und vergewisserte sich erneut, dass keine weiteren Feindeinheiten aufgeführt waren; es gab Dutzende Möglichkeiten, ihm das Leben schwer zu machen. Ein einfaches Tarnnetz und ein abgekühlter Arm Slave genügten. Er musste vollkommen auf zwei Dinge vertrauen. Erstens, dass die Aufklärung der Gräfin gut genug arbeitete, zumindest die Offiziere wirkten auf den ersten Blick kompetent. Zweitens, das er gesund genug war, um ein wenig Rüttelei und ein wenig Beschuss zu überstehen. Es gab noch einen dritten Punkt, zu dessen Erkenntnis er sich zwingen musste. Auch wenn die Angreifer einer der vielen hiesigen Parteien angehörten hieß das nicht, dass er die Arm Slave-Piloten oder die Panzerleute unterschätzen durfte. Hinter ihm erwachte das Malheur-Maschinengewehr in den Händen von Blatics Arm Slave. Oben am Himmel kam es zu drei kleinen Explosionen, als die Granaten der Panzer abgeschossen wurden. Ja, auf den ersten Blick wirkten sie wirklich kompetent. Die Distanz zu den Angreifern schrumpfte, und Thomas hatte Zeit sich zu fragen, ob dieser verdammte Fettwanst von Amalgam seinen kleinen Kampf hier schon als Eingriff in die Interessen seiner Organisation sah. Der Deutsche hoffte es, denn er hatte nicht vor, seine Vorladung und die Misshandlung so einfach hinzunehmen. Er würde es dem Dicken Dutzendfach heimzahlen. Ihm und Amalgam, die mithalfen, dieses ganze Land und die umliegenden Staaten in einer Umarmung des Terrors festzuhalten, um ihre Profite zu steigern und den Allmachtstraum von der Weltherrschaft zu leben. „Sir, wollen Sie den Feind wirklich frontal angehen?“, klang die Stimme von Lieutenant Blatic auf. „Ruhig, Junge. Ich kenne das Lehrbuch. Denken Sie vielleicht, ich weiß nicht was ich tue?“ „So habe ich das nicht gemeint. Aber Sie kennen den Mistral I nicht, und der Gegner weiß, aus welcher Richtung Sie kommen. Es würde mich nicht wundern, wenn in diesem Moment alle Waffen auf Sie gerichtet sind, Sir.“ „Na, das will ich doch schwer hoffen.“ „Na, wenn das mal gut geht“, murrte der Stellvertreter. „Wollen Sie vor dem Angriff mit ihnen kommunizieren? Ihnen die Kapitulation anbieten?“ „Wozu, Lieutenant? Sie haben den Kampf doch schon eröffnet. Bleiben Sie übrigens wachsam, falls die Panzer weitere Eier schmeißen, ja?“ „Roger.“ Thomas raste wirklich frontal auf den Feind zu. Im Moment befand er sich in einem Wald, der ihm zwar Sichtdeckung bot, aber nicht unbedingt Schutz. Die Bäume würden von den Waffen eines Arm Slaves zerfetzt werden wie dünnes Papier. „In einem Punkt irren Sie sich, Lieutenant“, sagte Thomas ernst. „Ich kenne den Mistral. Ich habe drei Jahre lang auf ihm gelernt, bevor man mich auf die guten Sachen losgelassen hat.“ Wie um diese Worte zu bestätigen riss er den französischen Arm Slave zur Seite und ließ den Angriff in Form einer MG-Garbe vom vordersten Gegner passieren. Der Deutsche nutzte den Schwung, um fünfzig Meter nach Rechts auszuweichen, bevor er seinen Kurs wieder aufnahm. Nun griff er nicht mehr frontal an, sondern seitlich versetzt. Das bedeutete, dass einige der Arm Slaves und Panzer nun die eigenen Kameraden vor den Rohren hatten. Anfänger, pah. Thomas wartete auf sichere Zielerfassung und feuerte die eigene Malheur ab. Die schwere Waffe, die Panzergranaten verschoss, ruckte hart in der Hand des Arm Slaves, als eine volle Salve sie verließ und auf den hinteren Arm Slave zurauschte. Der Pilot wich beherzt aus, aber er war auch gar nicht das Ziel gewesen. Die Granaten trafen den T-52 dahinter. „Einer weniger“, meldete Thomas Kramer zufrieden. Doch damit hatte der Kampf erst begonnen. Wieder hielt er direkt auf den Feind zu, der nun auseinander spritzte, während die Panzer anhielten und ihre Waffentürme auf ihn schwenkten. Thomas feuerte erneut, wich dem Feuer der sechs Savages aus und traf seinen zweiten Panzer. „Zwei sind weg.“ Wie beiläufig steckte Thomas die Mirage-Pistole in der Linken in die Halterung am linken Bein, nahm einen zerschossenen Baum und warf ihn in Richtung der Gegner. Diese Idioten glaubten sicherlich an Hollywood. Zum Beispiel, dass es wirklich hervorragende Arm Slave-Piloten gab, die ihren Gegner aus nächster Distanz ansprangen. So etwas machte nur Sinn, wenn es sich um lediglich einen Gegner handelte, maximal zwei. In so eine Gruppe zu springen bedeutete nur, in der Zeit während des Sprungs wehrlos zu sein. Wehrlos und verletzlich. Tatsächlich eröffneten die Arm Slaves das Feuer auf den Baum, während Thomas seinen Mistral unter dem Feuer durch führte, den Kampfdolch in die Linke nahm und den vorderen der Savages rammte. Vom eigenen Schwung getragen drang der Dolch tief in den Arm Slave ein, mitten ins Cockpit. Die Savages waren nicht zum spielen gekommen, und er war der falsche Mann, um nett zu sein. „Drei unten“, meldete er ungerührt, richtete die Malheur auf den vordersten Panzer, der in diesem Moment den Waffenturm auf ihn herum schwenkte, und schoss eine volle Salve ab. „Vier.“ Er benutzte den Savage mit dem toten Piloten als Deckung, um die anderen fünf Angreifer anzugehen, während die übrigen zwei T-52 ihre Kanonen auf seinen Rücken schwenkten; Erschütterungen des Savage bewiesen, dass die Angreifer keine Probleme damit hatten, auf einen Kameraden zu schießen, sobald er ihnen im Weg war. Als er die Gegner fast erreicht hatte, riss er seine Klinge aus dem besiegten Gegner und sprang. Der Savage fiel um wie ein Kartenhaus, während hinter ihm die Kampfpanzer feuerten. Auch die Savages feuerten, und Thomas erhöhte das Durcheinander, indem er während seines kurzen Präzisionssprungs einen weiteren Savage anschoss. Als der Mistral landete und mit wippenden Beinen die Energie des Sprungs ausfederte, gab es nur noch einen T-52. Thomas drückte den Lauf der Malheur auf den Torso seines nächsten Gegners und drückte ab. Die Kugeln schlugen direkt durch. „Sechs“, meldete er kalt. Dann wirbelte er herum; die Klinge in seiner Hand begann zu vibrieren, als sich der Schneidmodus aktivierte. Er trennte den Kopf sauber von einem weiteren Savage. Das war nicht tödlich, aber der Gegner musste nun auf einen Großteil seiner Sensoren und Kameras verzichten. Er war praktisch blind. Der Pilot tat ihm den Gefallen, in Panik zu geraten. Er lief in einen Kameraden, warf ihn um, und Thomas hatte Gelegenheit, erneut mit der Malheur zu feuern und eine beschädigte Stelle in der Brustpanzerung auszunutzen, die von den Granaten der T-52 stammten. „Sieben.“ Wieder zog er die Malheur hoch, feuerte die letzte Runde im Magazin und nahm den letzten Kampfpanzer aus dem Rennen. Der Treffer war relativ glücklich, durchschlug die Panzerung und traf die eingelagerte Munition. Der Panzer explodierte effektvoll. Der letzte Arm Slave, der noch stand, warf seine Waffe fort und raste den Weg zurück, den er gekommen war. Sehr gut. Die Savages waren noch nicht einmal dazu gekommen, ihre Panzerfäuste abzufeuern, die sie für den Kampf gegen andere Arm Slaves mit sich führten. In aller Seelenruhe wechselte Kramer das Magazin seines MG. Dann nahm er sehr vorsichtig sein Ziel auf. Und jagte eine volle Salve in den Rücken des gegnerischen Arm Slave. Für einen Moment zitterte der Savage wie eine Marionette an den Fäden eines Puppenspielers mit epileptischen Anfall, dann sackte die Maschine in sich zusammen. Thomas wechselte das Messer wieder gegen die Pistole. Er trat auf die letzten beiden Gegner zu, den kopflosen Savage, der noch immer am Boden lag und seinen Kameraden, den er daran hinderte aufzustehen. Der Deutsche setzte die Pistole auf den unbeschädigten Savage. Er grinste. Ein einziger Schuss aus der Nahkampfwaffe würde nun genügen, um den Piloten zu töten. Vielleicht sollte er einfach abdrücken, zweimal, und diese ganze Episode beenden. Vielleicht sollte er es sich einmal im Leben einfach machen. Immerhin waren diese Soldaten bereit gewesen, in einem Flüchtlingscamp mit tausenden Zivilisten zu kämpfen. Als die Augen des Ortungskopfs erloschen und der Rumpf auffuhr, war es zu spät. Der Gegner hatte sich ergeben. Nun stellte auch der kopflose Arm Slave sein Strampeln ein. „Elf“, kommentierte Thomas. *** Zurück im Lager spürte Thomas Kramer seine Knie weich werden. Sein Magen war ohnehin leer, und das war der einzige Grund, warum er sich nicht übergeben musste. „Gute Arbeit, Major Kramer.“ Selbstgefällig sah die Gräfin ihn an, als er die Verriegelung des Arm Slaves aufhob. Es war dieser ganz bestimmte „Ich habe es gewusst“-Blick, den Frauen manchmal auflegten. Etwas sanfter fügte sie hinzu: „Geht es Ihnen gut?“ „Es war vielleicht nicht die beste Idee, mit den Resten einer Gehirnerschütterung in dieses Cockpit zu steigen.“ „Hm. Ich würde wirklich gerne sehen, wie gut Sie sind, wenn Ihr Kopf keine Bekanntschaft mit einem Gewehrkolben gemacht hat.“ „Das werden Sie“, versprach Thomas. Sie reichte dem Deutschen die Hand und half ihm dabei, das Cockpit zu verlassen. Außerdem stützte sie ihn unauffällig, während er zu Boden sprang. Nichts wäre peinlicher gewesen als jetzt noch auszurutschen. Kaum hatte er den Boden berührt, eilten bereits die ersten Leute zu ihm. Drei von ihnen trugen Gefechtsanzüge für Arm Slaves, einige die Camouflage der Infanterie der Gräfin. Der Rest, sprich der überwiegende Teil wurde von Zivilisten gebildet. „Das war großartig, Sir! Sie haben die nicht nur besiegt, Sie haben den Feind auseinander genommen! Ihr Mistral hat nicht mal ne Schramme abgekriegt!“ Der Sprecher war einer der Piloten, ein großer, bulliger Mann mit tiefschwarzen Haaren und dem Problem, seine beiden Augenbrauen davon abzuhalten, eine einzige zu bilden. Thomas erkannte die Stimme sofort wieder. „Lieutenant Blatic, Sie haben Ihre Aufgabe gut gemacht. Fühlen Sie sich gelobt.“ „Danke, Sir. Aber ich wäre lieber mit draußen gewesen.“ Die anderen beiden, die drahtige Italienerin und der stämmige, kleine Pole, nickten zu seinen Worten. „Wir kriegen unsere Gelegenheit, versprochen.“ Mittlerweile waren es mehrere Dutzend Leute, die um ihn herumstanden. Das Stimmgewirr nahm biblische Ausmaße an, alleine die Anzahl der verschiedenen Dialekte der Landessprache rumänisch erinnerte Thomas an den Turmbau zu Babel. Zum Glück konnten die meisten Älteren englisch, was eine große Erleichterung bedeutete. Ein polnischer Pritschenwagen bahnte sich hupend seinen Weg durch die Menge. Auf seiner Ladefläche befanden sich mehrere Infanteristen der Gräfin und die beiden Piloten der besiegten Savages. Thomas sah die Gräfin an, die noch immer auf dem Arm Slave saß. „Was haben Sie mit den beiden vor?“ „Ein Exempel statuieren.“ „Ich… Verstehe. Auch wenn ich es nicht gutheiße und dabei nicht…“ „Nein, Sie verstehen es nicht, mein lieber Major“, erwiderte die junge Frau fröhlich, sprang vom Arm Slave auf die Plattform des Tiefladers und ließ sich dann von Thomas herab helfen. „Kommen Sie, mein lieber Major. Es gibt Arbeit für uns.“ Die Menschenmenge um den Laster wuchs beachtlich schnell an. Proportional dazu stieg die Wut der Menschen. Thomas sah im Geist schon Steine fliegen. Obst und Gemüse, selbst halb vergammelt, hätten die Menschen niemals fortgeworfen. Stimmen wurden laut, und mit seinen spärlichen Kenntnissen in rumänisch erkannte Thomas, dass es vor allem Schimpfwörter und Morddrohungen waren. „MOMENT!“, klang die Stimme der zierlichen Adligen auf. Sie hatte englisch gesprochen, und der Arm Slave-Pilot musste zugeben, dass es in diesem Stimmwirrwarr das Beste war. Immerhin war englisch die Standardsprache der Humanitären Organisationen in den Lagern. „Sie dürfen diese Menschen nicht exekutieren!“ Ein wütendes Raunen ging durch die Menge. Thomas hätte ja eher lynchen gesagt, wenn er sich die wütenden Gesichter der Männer und Frauen so ansah – Kunststück, einige hatten sicherlich schon einen Angriff mit den gigantischen Maschinen erlebt und wussten ihn zu fürchten. Die Erleichterung, einem solchen Angriff entkommen zu sein schlug nun also in die Wut um, überhaupt einem solchen Angriff ausgesetzt gewesen zu sein. „Warum dürfen wir das nicht? Sie haben uns angegriffen!“ „Sie hatten jedes Recht dazu“, klang die Stimme der Gräfin auf und der Deutsche warf unwillkürlich einen Blick zu dem Cockpit seines Mistrals. Zwei, drei Sätze, und er konnte hineinklettern. „Und sie hatten kein Recht dazu!“ Nun, dieses kleine Paradoxon verwirrte die Menschen nachhaltig. Nachhaltig genug, um zumindest nicht noch wütender zu werden. Mit aufgeregten, raunenden Stimmen unterhielten sich die einfachen Menschen über das Gesagte. „Die Menschen hier auf dem Laster sind Milizionäre der Neo-Sozialistischen Partei. In ihrem Programm steht, dass sie die Ordnung in diesem Land wieder herstellen wollen, und das notfalls mit Waffengewalt. Nach ihren eigenen Regeln haben sie nichts unrechtes getan. Einmal ganz davon abgesehen, dass sie dank meiner Arm Slave-Piloten überhaupt nicht dazu kamen, irgendetwas zu tun.“ Dieser Witz brachte ihr freundliches Gelächter ein und entspannte einen Teil der Lage. Interessiert entspannte sich Thomas etwas. Vergessen waren Schmerzen, Übelkeit und das matte Gefühl in den Beinen. Nun wurde es erst richtig interessant. „Fakt ist, es gibt Menschen, Bürger dieses Landes, die diese Menschen damit beauftragt haben, diese Nation zu befrieden. Dass sie hier nicht willkommen sind und eher dazu beigetragen haben, die Kämpfe noch anzufachen, steht auf einem anderen Blatt.“ Die Gefangenen senkten wie geprügelte Hunde die Köpfe. Die kleine Frau hatte voll ins Schwarze getroffen. Und auch die Menschenmenge fraß ihr aus der Hand. „Wir hingegen haben keinen Auftrag. Wir waren einfach nur hier und haben unser Menschenmöglichstes getan, um zu verhindern, dass das Blut Unschuldiger vergossen wurde. Diese Menschen sind unsere Gefangenen, und damit sind wir im Sinne der Neo-Sozialistischen Partei Verbrecher, aber für andere vielleicht Helden. Sie haben nichts falsch gemacht, jedenfalls nicht mehr als sie ohnehin die ganze Zeit über falsch gemacht haben. Darum bin ich nicht bereit, diese Milizionäre an die Bevölkerung dieses Lagers auszuliefern. Und da es keine ernsthafte Staatsmacht gibt, und wir zudem Außenseiter in diesem Konflikt sind, werde ich mir eine Lösung dafür ausdenken, wie ich mit ihnen verfahre, ohne sie einem Lynchmob zu übergeben.“ Diese Worte hatten gesessen! Die Gräfin begann Thomas mehr und mehr zu gefallen. Die Frau wusste, wie man Menschen packte. „Was werden Sie mit ihnen tun?“ „Ich habe in diesem Land keine Gewalt. Also werde ich sie irgendwo außerhalb dieser Region auf eigene Verantwortung auf freien Fuß setzen und hoffen, dass der Tod ihrer Kameraden Warnung genug an sie ist.“ „Und…“, kam die zögerliche Frage, auf die die Gräfin hingearbeitet hatte, „was werden Sie tun?“ „Ich werde meine Truppen zusammenziehen und das Land verlassen.“ Dies löste Empörung und Verzweiflung aus, um nicht zu sagen, Tumult. „Sie müssen das alle verstehen! Wir sind in diesem Land nichts weiter als Söldner, und das wollen wir nicht sein. Aber um für eine gerechte Sache kämpfen zu müssen, müsste uns schon die Regierung verpflichten, damit wir in diesem Land außer in einer Notfallsituation kämpfen können.“ „Es gibt keine Regierung mehr!“, rief jemand dazwischen. „Ja! Es gibt nur noch die Menschen!“ „Wenn es keine Regierung mehr gibt, dann ist dieses Land zu bedauern. Erstens gibt es dann niemanden, der es aus dem Chaos führen kann, und zweitens kann uns dann niemand mit seiner Rettung beauftragen“, schloss die Gräfin mit einem Schulterzucken. „Aber was sollen wir dann tun? Können Sie nicht trotzdem für uns kämpfen?“ „Natürlich! Ihr müsst nur eine Regierung gründen.“ DAS war es also! Vor Entsetzen wäre Thomas beinahe ausgerutscht und auf seinem Hintern gelandet. „Aber… Aber niemand wird auf diese Regierung hören!“ „Das ist richtig. Aber eine demokratische Regierung, die willens ist, dieses Land zu retten, könnte sich Gehör verschaffen! Sie könnte die Menschen, die in diesem Bürgerkrieg wie Spielbälle umher gestoßen wurden, zusammenführen, von ihnen ein Mandat erhalten, und jemanden damit beauftragen, diesen Bürgerkrieg zu beenden!“ „Ist das wirklich zu schaffen? Wer sollte von einer Regierung ausgesandt werden, diesen Krieg zu beenden? Selbst wenn fünf Millionen oder mehr Menschen diese Regierung unterstützen?“, rief eine Frau mit beinahe hysterischer Stimme. „ER!“, rief ein Mann aus der Menge. Thomas glaubte, ihn schon mal im Sanitätszelt gesehen zu haben, als er seinen fiebernden Sohn hatte behandeln lassen. „Er hat die da schon bekämpft und alleine vernichtet! Er wird auch jeden anderen Gegner bekämpfen! Er wird die tapferen, versprengten Soldaten dieses Landes um sich scharen, er wird die Regierung und die Menschen beschützen und er wird uns den Frieden wiedergeben!“ „Er ist nur ein arroganter Arm Slave-Pilot! Einer von denen!“ „Nein, ist er nicht! Er hat im Lazarett gearbeitet, lange und hart! Er liebt die Menschen! Er dient ihnen! Er ist die richtige Wahl!“ Der Mann sah sich bittend um. „Lasst uns auf die Gräfin hören! Lasst uns eine Regierung gründen! Die anderen Lager an den Grenzen konsultieren, unsere Stimmen bündeln! Und dann lasst uns die Gräfin und diesen Mann damit beauftragen, diesen Bürgerkrieg zu beenden! Das Chaos muss aufhören, und er ist der richtige Mann dazu! Und sie ist die richtige Frau, um uns anzuführen!“ Thomas wollte auflachen, aber dann sah er das entsetzte Gesicht der jungen Frau, sah sie abwehrend die Hände heben. Das war also nicht Teil ihrer Kalkulation gewesen. Bevor sie es sich versah, hatten ein paar starke Männer zugegriffen, im Eifer des Moments, und setzten sie zwei starken Männern auf die Schultern. Kurz darauf begann der von begeisterten Rufen begleitete Zug durch das Lager. Und bevor Thomas es sich richtig versah, saß er auch schon zwei Riesen auf den Schultern und wurde neben die Spitze getragen. „So war das aber nicht geplant“, rief die Gräfin über den Jubel hinweg zu Thomas herüber. „Warum soll ich alleine leiden?“, rief dieser zurück und grinste spitzbübisch. Immerhin, wenn das klappte, dann würde es ihre Chancen erheblich verbessern. 4. Später am Abend betrat Thomas das Zelt der Gräfin. Er zögerte, denn die junge Frau schien geweint zu haben. „Störe ich?“, fragte er schuldbewusst. „Natürlich nicht, Major Kramer.“ Sie wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel und versuchte sich an einem Lächeln. „Bitte, setzen Sie sich, Major.“ „Können Sie mal mit dem Major aufhören? Alles, was bisher auf mich hört, sind vier Arm Slaves und Ihre Infanterie.“ „Und die Freiwilligen, die sich im Lager zum Dienst melden.“ Sie schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln, das fast schon so aussah, als wäre es mehr als weibliche Schauspielkunst. „Es sind einige dabei, die schon mal in einem Arm Slave gesessen haben.“ „Na toll. Das bedeutet, sie können die Strickleiter ins Cockpit erklimmen, ohne beim ersten Versuch runter zu fallen“, bemerkte der Deutsche sarkastisch. „Nun, ein wenig mehr ist es schon. Es sind einige Deserteure der regulären rumänischen Armee darunter, die sich in diesem Lager versteckt haben. Ich kann sie verstehen. In diesem Hin und Her fällt es einem schwer, einen Sinn zu erkennen und ein Ziel zu haben, auf das man hinarbeiten kann.“ „Danke für ausgebildete Soldaten. Aber wenn sie wirklich Deserteure sind, dann sind sie schon einmal davon gelaufen. Wenn es schlecht für unsere Sache läuft, dann laufen sie vielleicht wieder weg.“ Die Gräfin von Friedheim lächelte verschmitzt. „Was?“ „Sie haben gerade unsere Sache gesagt, Thomas. Ich finde, es hat einen guten Klang, wenn Sie es aussprechen.“ Thomas war für einen Moment ehrlich verblüfft. „Nun, vielleicht ist es einfach die Aussicht, wieder in einem Arm Slave zu sitzen, die mich… bereitwillig Ihre Partei ergreifen lässt, Chef. Vielleicht habe ich mich aber auch nur einfach damit abgefunden, dass ich am besten bin, wenn ich töten kann.“ „Das glauben Sie doch selbst nicht“, sagte die Gräfin ernst. „Und Sie sollten nicht versuchen, sich einzureden, so gering zu sein. Heute haben Sie alleine eine volle Kompanie ausgebildeter Soldaten zurückgeschlagen. Sie haben Panzer und Arm Slaves vernichtet. Dabei haben Sie nicht Ihren regulären Gernsback verwendet, sondern einen veralteten Mistral II. An Ihrer technischen Fertigkeit ist nichts auszusetzen. Und was die menschliche Seite angeht, so würde ich jedem Menschen persönlich mit Fingernägeln durch das Gesicht fahren, wenn er einen Mann, der ohne Lohn und vollkommen selbstlos niederste Handlangerdienste in einem Lazarett eines Flüchtlingslagers geleistet hat, einen Unmenschen nennt.“ „Könnten Sie bitte aufhören, meinen Heiligenschein zu polieren, Anica? Sie brauchen mich weder zu bestechen noch emotional zu verführen, wenn ich bereits auf Ihrer Seite bin. Zumindest so lange Sie gewillt sind, diese Sache durchzuhalten.“ „Es ist nicht nett von Ihnen, mir vorzuwerfen, ich würde versuchen Sie zu manipulieren, Thomas.“ „Es ist vielleicht nicht nett, aber ist es deshalb unwahr?“ „Ich habe nur die besten Absichten“, erwiderte sie bissig. „Und ich sehe das. Ich habe ja auch nur gesagt, dass man auf einen besiegten Feind keine Kugel mehr zu verschwenden hat.“ Frustriert schnaubte die Gräfin von Friedheim aus. Sie stellte die Ellenbögen auf dem Tisch ab und legte ihr Gesicht in die Handflächen. „Sie zu besiegen ist ganz schön frustrierend, mein lieber Major.“ „Sie haben mich in mehrerlei Hinsicht besiegt. Ich verspreche, in Zukunft positiver von mir zu denken, Chef.“ „Na, immerhin“, schnappte sie und fügte beleidigt hinzu: „Verspotten Sie mich wenigstens nicht, Thomas.“ „Ich werde sehen, was ich tun kann“, versprach der frisch gebackene Major und trat an den Tisch heran. „Ich habe mir die Einheitsaufstellung und unsere Vorräte angesehen. Außerdem habe ich ein paar Geländekarten studiert. Ich würde gerne Ihren Geheimdienstapparat benutzen, um eine aktuelle Schlachtkarte zumindest dieser Region zu erstellen.“ „Wie kommen Sie darauf, dass ich einen Geheimdienst habe?“ „Ich hoffe es zumindest. Denn in dieser verfahrenen und unklaren Gefechtssituation, in der jeder gegen jeden und alle gegen alle kämpfen, sind Informationen die wichtigste Waffe.“ „Sie kriegen Ihre Karte der Region bis spätestens morgen Mittag. Sie wird allerdings noch nicht sehr genau sein.“ „Gut. Dann würde ich gerne mit Ihnen über Rekrutierungen sprechen. Wenn die Vertreter der Lager eine Regierung bilden und wenn uns diese Regierung mit der Wiederherstellung der Ordnung beauftragt, wäre ich gerne in der Lage, neue Truppen auszuheben. Wie sieht es mit Nachschub an Waffen, Transportmaterial, Nachschubgütern und Panzerfahrzeugen aus?“ „Nicht gut“, gab sie zögerlich zu. „So? Das macht nichts. Es gibt genug von diesen Dingen in diesem Land. Alles was wir brauchen sind Mannschaften und die richtigen Situationen.“ „Sie überraschen mich, Thomas.“ „Nachdem Ihnen das bei mir gelungen ist, ist es nur recht und billig, dass es auch umgekehrt funktioniert.“ Die beiden maßen sich mit einem nachdenklichen Blick. Dann lachten sie auf. „Nun gut. Es gibt tatsächlich ein paar Orte, an denen ich hoffe, fündig zu werden, was Waffen angeht. Habe ich die Erlaubnis, die polnischen Freiwilligen anzuwerben?“ Die Gräfin dachte nach. Wenn sie die polnischen Freiwilligen in ihrem noch auszuhebenden Heer duldete, würde dies eine politische Stellungnahme bedeuten. Über ein Drittel der verbissen ringenden politischen Parteien würde dann gegen sie sein. Noch mehr als ohnehin schon. „Sehen Sie darin eine Verbesserung unserer Situation?“ „Unbedingt“, sagte Thomas ernst. „Dann wird es mir ein Vergnügen sein, die Polen in unseren Reihen zu begrüßen.“ „Wie sieht es mit der Kampfdoktrin aus? Werden wir die Lager aktiv verteidigen oder dienen wir als herum ziehendes Heer? Was sind die avisierten Gefechtsziele? Gibt es Kampagnenziele?“ „Unser erstes und einziges Ziel ist es, zuerst einen Waffenstillstand aller Parteien zu erreichen. Wenn es dazu nötig ist, jeden Arm Slave zwischen diesem Ort und dem Schwarzen Meer zu vernichten, dann soll es so sein. Darauf sollten freie Wahlen folgen, die eine wirkliche, demokratische Regierung formen. Und daraufhin muss eine richtige Armee aufgestellt werden, um die Ruhe im Land aufrecht zu erhalten und um zu verhindern, dass der Bürgerkrieg erneut in dieses Land schwappt.“ Die junge Frau atmete aus. „Ich rechne damit, dass wir dafür drei oder mehr Jahre brauchen. Immer vorausgesetzt, wir leben auch so lange. Was diese Lager angeht, nun, wir werden eine Lösung finden müssen.“ „Oder werde ich eine Lösung finden müssen?“, fragte Thomas scharf. „Eventuell“, wich sie aus. Der plötzlich veränderte Tonfall hatte sie aufgeschreckt. „Wenn wir schon dabei sind. Wie lange werden Sie daran Spaß haben, Chef? Wie lange wird dieses Spiel Sie interessieren? Im Gegensatz zu den paar Millionen Menschen draußen in den Lagern können Sie jederzeit über die Grenze gehen und sich in Sicherheit bringen.“ Als Antwort flog ein Bilderrahmen über den Tisch. Thomas fing ihn auf, bevor er zu Boden fallen konnte. „Sehen Sie es sich ruhig an. Es ist ein Bild meiner kleinen Schwester. Sie ist in dieses Land verschleppt worden und wurde hier getötet. Und weiß der Teufel, was sie bis dahin alles ertragen musste. Glauben Sie mir eines, ich sehe sehr wohl die Not, die diese Menschen hier leben. Und ich tue was ich kann, um sie zu lindern. Aber ich habe auch einen sehr persönlichen Grund, um hier zu sein. Ich will meine Schwester nicht rächen, aber wenn ich hier fertig bin, werde ich vielleicht ein paar Straßen nach ihr benennen. Und eventuell ist es dann ein Land, in dem kleine Mädchen nicht entführt und getötet werden können, wie es den Mächtigen hier passt.“ Thomas hob das Foto an. „Sie war hübsch. Das lange braune Haar, die grauen Augen… Wie alt war sie? Vierzehn?“ „Das Foto ist alt. Sie war achtzehn als sie entführt wurde.“ Anica von Friedheim versuchte zu lächeln, aber es wurde verbissen und wehmütig. „Genau im richtigen Alter, um… Um…“ Sie schluchzte leise, und bevor sie sich versah flossen die ersten Tränen. „Oh Gott, was werden sie ihr angetan haben? Und ich weiß noch nicht einmal, wo sie begraben ist.“ Mit einem beherzten Schritt war Thomas neben der jungen Frau. Bereitwillig ließ sie sich gegen die breite Brust ihres Landsmanns sinken und weinte leise. „Wenn es eine Spur von ihr gibt, werde ich sie finden. Braunhaarige achtzehnjährige Mädchen sind hier zwar nicht selten, aber…“ „Noch schlimmer“, schluchzte Anica und versuchte zu lächeln. „Das einzige Foto, das ich von Marlene habe, und ihre Haare sind auch noch gefärbt.“ „Das macht es nicht leichter“, sagte der große Arm Slave-Pilot ernst. Die Gräfin löste sich wieder von ihm. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie so missbraucht habe, Thomas. Ich wollte Sie nie in die Rolle drängen, mich trösten zu müssen. Sie sollten nicht denken, ich würde Tränen einsetzen, um Sie zu manipulieren.“ „Das tun Sie auch ohne Tränen zufrieden stellend.“ Sie wollte auffahren, wütend werden, aber dann sah sie ein, dass der große Mann ihr nur eine Falle gestellt hatte, in die sie mit Volley hinein getreten war. „Sie sind unmöglich“, stellte sie fest und bemerkte verwundert, dass sich ihre Stimmung merklich verbessert hatte. „Ich weiß. Darum gewinne ich auch immer“, erwiderte Kramer. „Ja, das mag es sein. Was haben Sie für Morgen geplant, Herr Major?“ „Es gibt im Süden ein altes sowjetisches Nachschubdepot, dass vor dem Bürgerkrieg nicht mehr hat geräumt werden können. Dort stehen einige alte Arm Slaves herum. Ich habe vor, sowohl den Stützpunkt als auch die Arm Slaves weg zu nehmen. Zu diesem Zweck wäre es nicht schlecht, wenn unter den Freiwilligen tatsächlich ein paar Arm Slave-Piloten wären.“ Er sah auf. „Ich habe freie Hand?“ „Ich kümmere mich um die Menschen – Sie um den Bürgerkrieg“, erwiderte die Gräfin resolut und lächelte. Es war ein seltsames Lächeln, in der die neue Verbundenheit, ihrer beide neue Verbundenheit, zum Ausdruck kam. „Einverstanden.“ *** „Lass… mich… los…!“ „Das ist doch Schwachsinn, Kim! Denk doch mal in Ruhe drüber nach! Es macht absolut keinen Sinn, jetzt Hals über Kopf nach Italien oder in die Türkei zu fliegen! Kannst du mal aufhören so zu ziehen? Sousuke, sag doch auch mal was!“ Der junge Arm Slave-Pilot betrachtete die Szene. Kim Sanders, Austauschstudentin und Whispered, dazu Mündel von Mithril, versuchte gerade Kanames Wohnung zu verlassen, in der sie untergebracht worden war. Kaname Chidori, Whispered, Heldin und Klassensprecherin hingegen stemmte sich gegen sie, um genau das zu verhindern. „DU bist ganz still, Sousuke!“, rief Kim zornig. „DU hast uns einen ganzen Monat verschwiegen, was mit Thomas passiert ist!“ Ja, in dieser Situation konnte er nur verlieren. Schlimmer noch, er würde zwischen diesen beiden Frauen zerfleischt werden. Seine Überlebenschancen waren höher, wenn er sich unter den Fuß eines Gernsback schnallen ließ. „Komm trotzdem wieder runter! Du hilfst niemandem, wenn du vollkommen kopflos aufbrichst! Du weißt nicht wo er ist, was er tut oder ob er überhaupt noch lebt!“ Kim erschlaffte in Kanames Griff, und der jungen Frau dämmerte was sie gerade gesagt hatte. „Ich... Ich… Nein, natürlich ist er nicht tot. Nicht er. Thomas ist fast genauso zäh wie Sousuke, und das will schon was heißen.“ Übergangslos begann Kim zu heulen. Beide Frauen sanken auf die Knie und Kim weinte erbärmlich in Kanames Umarmung. „Ich will ihn doch nur finden, wenn er noch lebt. Ich will ihn doch nur zurückholen. Ich verdanke ihm mein Leben, und…“ Sie sah Kaname in die Augen, während ihre eigenen rot und verheult waren. „Verstehst du nicht, dass ich ihn liebe?“ Bei diesen Worten ging Kaname ein Stich durchs Herz. Unwillkürlich sah sie zu Sousuke herüber, der vor Schreck an der Wand abrutschte. „Na, das ist ja ein Durcheinander“, sagte Kaname tadelnd, richtete sich auf und half Kim hoch. „Sergeant Sagara!“ Sousuke durchfuhr es heiß und kalt, als die junge Frau mit dem langen Haar ihn bei seinem Dienstrang anrief. „Ma´am?“ „Sie besorgen uns sofort einen Flug nach Melina Island. Außerdem brauchen wir einen Termin bei Tai-sa Testarossa. Mit ihrer Hilfe sollte es möglich sein, eine Passage nach Styx zu kriegen, wo wir Kapitän Sander ordentlich auf den Zahn fühlen können.“ „Jawohl, Ma´am!“ „Du begleitest uns natürlich, Sousuke!“ „Als wenn ich euch alleine gehen lassen würde“, brummte der Arm Slave-Pilot leise. Nicht leise genug, aber er sah das Lächeln nicht, welches bei diesen Worten über die Gesichter der Mädchen huschte. *** Thomas Kramer lächelte leicht, als der Boden zu vibrieren begann. Keinen Meter vor ihm riss der Boden auf und verschlang die Grasnabe und kleine Bäume. Es wirkte fast wie ein tektonischer Riss bei einem Erdbeben. Aber dieser Riss wuchs und wuchs, verbreiterte sich mehr und mehr und enthüllte letztendlich eine betonierte Rampe in die Tiefe. Rhythmisches Stampfen klang ihnen aus der Tiefe entgegen. Kurz darauf marschierten zwei Arm Slaves vom Typ Savage die Rampe hinauf. Ihnen folgten zwei weitere Savages. Alle vier waren von Freiwilligen bemannt, die Thomas noch am Vortag auf Herz und Nieren geprüft hatte, bevor er sie in die wenigen, kostbaren Arm Slaves gelassen hatte, über die seine Truppe verfügte. „Alle vier sind kampfbereit. Sie wurden voll aufmunitioniert und nachgerade gewartet. Verfügen Sie über sie, Major Kramer.“ „Und Sie haben wirklich nichts dagegen, Oberst Schulz?“ Der deutsche Geheimdienstoffizier grinste breit. „Warum sollte ich was dagegen haben? Endlich tut mal einer was. Ich trete Ihnen mein Geheimversteck gerne ab, wenn Sie versprechen, dass Sie nicht halbherzig in der Mitte der Schlacht das Feld verlassen.“ „Können wir uns den Stützpunkt nicht teilen, Oberst?“, fragte Thomas ernst. „Was denn, was denn? Damit Sie mich und meine Leute in Ihren Kampf hineinziehen können? Sie sind mir ja einer.“ Der Deutsche grinste verlegen. „So hatte ich das nicht gemeint, Sir.“ „Ich weiß. Aber die Möglichkeit besteht. Und als Geheimdienstoffizier bin ich wertlos, wenn jedermann weiß wo er mich finden kann.“ Er klopfte dem Arm Slave-Piloten kräftig auf die Schulter. „Aber wir bleiben in Verbindung. Kann sein, dass ich ab und an nützliche Informationen für Sie habe.“ Schulz wandte sich ab und bestieg einen Lastwagen, der mit dem Zeichen des internationalen Roten Kreuz markiert war. Der BND zog geschlossen ab. Thomas deutete auf das klaffende Loch. „Na los, Herrschaften, ziehen wir ein!“ Dies war der Beginn eines kleinen Lindwurms an Technikern, Infanteristen und Arm Slaves, die den Tiefbunker in Besitz nahmen. Der restliche Tag wurde damit verbracht, die Abwehrstellungen zu warten, die alte Munition wieder gebrauchsfähig zu machen, die Wartungsgerüste auf die französischen Arm Slave-Modelle umzustellen und einen Kordon an Überwachungsstellungen aufzubauen. Das nahe, dreitausend Menschen umfassende Flüchtlingslager in direkter Nachbarschaft stellte dabei ein erhebliches Risiko dar, vor allem für die Menschen, die dort lebten. Aber die Entscheidung, diesen Stützpunkt zu nehmen war eine militärische gewesen, und es war seine Entscheidung gewesen. Um alles andere – es hatte einen bitteren Beigeschmack, dass „alles andere“ dreitausend Menschen waren – würden sie sich kümmern, wenn es so weit war. Und während in der riesigen Halle die Dieselgeneratoren flüsterten und das Kunstlicht aus jedem Winkel schien, sammelte sich vor der Halle eine kleine Streitmacht aus drei Arm Slaves und dreißig Infanteristen. Thomas bot zwei Mistral auf, dazu einen Savage, der von einem viel versprechenden Freiwilligen gesteuert wurde. Die Infanteristen waren gemischt, aber der erfahrene Feldkommandeur hatte darauf geachtet, dass vor allem Freiwillige mit eigener Gefechtserfahrung an diesem Einsatz teilnehmen würden. „Ist jedem seine Aufgabe klar?“, fragte Thomas bereits zum dritten Mal. Die Unterführer und Arm Slave-Piloten nickten zögernd. Zögernd genug, um den Deutschen den gesamten Einsatz noch einmal aufkochen zu lassen. „Also, wir stehen hier an der Grenze nach Ungarn. Hier bei Klausenburg in der Nähe des Apustengebirges, hier in der Nähe von Neumarkt im Herzen von Siebenbürgen und hier bei Arad, einem Hauptverkehrsknotenpunkt am Fluss Meresch befinden sich Einheiten diverser politischer Richtungen, mit denen wir rechnen müssen. Uns interessiert aber vor allem diese Truppe bei Klausenburg. Sie gehört der NSP an und wurde nach der Zerschlagung ihres Kommandos in Marsch gesetzt, um uns zu vernichten. Im Moment lagert sie zwanzig Kilometer vom unserem alten Lager entfernt in Richtung Zalau. Anscheinend wollen sie sich für die Vernichtung der Kampfeinheit bedanken. Und wenn sie uns dort nicht mehr finden, werden sie ihren Frust sicherlich am Lager austoben.“ Noch immer entsetzte die Männer dieser Gedanke, und das beruhigte den Deutschen. „Diese Strafaktion bietet uns eine Möglichkeit, wie wir sie nicht oft haben werden. Die NSP-Truppen lagern in diesem Moment, die meisten Panzer und Arm Slaves sind nicht bemannt. Die Wachen werden schnell überwältigt sein. Und wir bekommen die Chance, die Arm Slaves, die Panzer und ihre Ausrüstung weg zu nehmen. “ „Guter Plan, Sir.“ Blatic nickte ernst. „Wir sehen uns im Lager.“ Dies war das Zeichen für den allgemeinen Aufbruch. Thomas lächelte zufrieden. Wenn dieser Schlag gelang, wenn alle weiteren Schläge gelangen… Ach, das war Träumereien. Schlimmer, er begann an diese Träumerei zu glauben. Und das konnte ihn schneller als nötig den Kopf kosten. *** Der Angriff erfolgte mit eiskalter Präzision. Thomas schaltete den Wache stehenden Savage mit einem gezielten Cockpittreffer aus. Der Mann – oder die Frau – hatte nicht wirklich eine Chance gehabt. Dies war das Signal für den Angriff in der beginnenden Abenddämmerung. Diese Amateure, die da Racheengel spielten, hatten wahrscheinlich mit einem Angriff mitten in der Nacht oder in der Morgendämmerung gerechnet. Oder zumindest zur vollen Stunde. Jetzt gerade war es zwanzig Uhr und neun Minuten. Eine sehr unübliche Zeit für einen Angriff. Unwillkürlich ging Thomas ein altes Sprichwort durch den Kopf, während die anderen beiden Arm Slaves den zweiten auf Wache stehenden Savage zerstörten und dann die Panzerfahrzeuge und unbemannten Arm Slaves sicherten: Eine Armee aus Löwen unter Führung eines Rehs ist nicht so effektiv wie eine Armee aus Rehen unter der Führung eines Löwen. So kam er sich gerade vor. Er fühlte sich wie der alte, Kampferfahrene Löwe, unter dessen Befehl die Weltgeschichte umgeschrieben wurde, solange die Rehe unter seinem Kommando auf ihn hörten. Thomas ging auf Wachposition, während rings um das Lager die überraschten Soldaten der politischen Partei Fersengeld gaben. Die Aktion war ein voller, ein absoluter Erfolg. Und ein paar Schüsse in den nahen Wald überzeugte die Männer, noch eine ganze Ecke weiter zu laufen. Dies war die richtige Zeit für die Mannschaften, das Lager zu stürmen und sich der Arm Slaves und der Panzer zu bemächtigen. Als der erste Savage zum Leben erwachte, konnten sie es alle einen ganzen Schritt langsamer angehen lassen. „Falke eins, Falke eins, hier ist Grün zwei.“ „Grün zwei, sprechen Sie.“ Das kleine Kommando mit diesem Codenamen war fünfzig Kilometer südöstlich von hier eingesetzt worden, um die Straße von Dej nach Carei zu überwachen, dem Hauptanmarschweg für Verstärkungen. Die Stimme des Infanteristen klang nervös, hochgradig nervös. „Sir, eine Kolonne von sechzehn Gernsback kommt bald an mir vorbei marschiert. Begleitet wird sie von dreiundvierzig Panzern. Sie tragen das Logo der Neo-Sozialistischen Partei!“ „Ruhig bleiben, Grün zwei. Visieren Sie ein Fahrzeug aus der Mitte mit dem Laservisier an und sehen Sie zu, dass Sie mindestens einen Kilometer Abstand zur Marschkolonne haben. Schicken Sie mir ein Bild.“ Die Videoverbindung wurde etabliert und Thomas pfiff anerkennend. Dies war wahrscheinlich die Hauptmacht der Partei, ihre gesamte Armee. War dann das Kommando hier nur ein Lockmittel gewesen? Nein, entschied Thomas. Kein Lockmittel. Mit einem solchen Streich hatte nur niemand gerechnet, geschweige denn mit dieser Gegenwehr. Gernsbacks… Wie die Sozialisten an diese Arm Slaves gekommen waren, zudem in dieser Zahl, war ihm schleierhaft, aber immerhin war dieses Land wie so viele andere für die meisten Arm Slave-Produzenten der Hinterhof zur Erprobung unter realen Bedingungen. Dennoch, es war schade um diese feinen Stücke modernster Waffenschmiedekunst. Aber in dieser Situation konnte er nicht anders, er musste seinen geheimen Joker benutzen. Eigentlich war es dazu viel zu früh, aber er machte sich klar, dass mit der Vernichtung dieser Einheit eine gewisse Unsicherheit bei den anderen Truppen entstehen würde. Die Einheit der Gräfin würde von einem geheimnisvollen Nymbus umgeben sein, der sie eine Zeitlang beschützen würde. Außerdem hatten sie in nur dreißig Stunden die Zahl ihrer Fahrzeuge und Arm Slaves vervierfacht, einmal ganz abgesehen von dem hervorragenden Stützpunkt, den die Sowjets netterweise für sie gebaut und dann aufgegeben hatten. „Auf Position bleiben, Grün zwei. Visieren Sie erneut ein Fahrzeug aus der Mitte an und graben Sie sich so gut es geht ein. Ach, und halten Sie sich die Ohren zu. Es wird gleich laut.“ „Wie meinen, Sir?“ Statt einer Antwort berechnete Thomas die Kolonnenlänge, ihre Marschgeschwindigkeit und erfasste den Tracking-Strahl, den das Laservisier des Spähers fest auf einem russischen Panzerspähwagen hielt. Danach zögerte er einen Moment, denn diesen Trick konnte er nur ein einziges Mal anwenden. Sein Finger schwebte über der letzten Taste. War es das heute wert? JA! *** An Bord der FEANOR, die gerade im Schwarzen Meer kreuzte, herrschte von einem Moment zum anderen blanke Panik. Die Monitore in der Zentrale wechselten von Blaulicht zu rot, und die K.I. des Schiffes begann einen Countdown runter zu zählen. „Verdammt, was passiert hier?“ McAllister sah sich wütend um und verursachte damit geschäftige Betriebsamkeit bei ihren Untergebenen. „Überrangorder von außerhalb! Zwei Tomahawk werden gerade zum Abschuss fertig gemacht!“ „Überrangorder? Wecken Sie sofort den Skipper! Und Sie, Jonesy, versuchen den Start abzubrechen!“ Innerhalb des Schiffes heulten die Alarmsirenen und schreckten die Mannschaften und Offiziere auf. „Was ist los, Tim? Werden wir angegriffen?“ „Nein, aber das Schiff hat eben gerade beschlossen, freiwillig zwei der Tomahawks auf die Reise zu schicken!“, rief der Hubschrauberpilot im Laufen. „Meine Crew soll rausgehen und nachgucken wohin die Raketen fliegen!“ Sam Rogers, derzeitige Kommandeurin der Arm Slave-Abteilung der FEANOR, stürzte in den Umkleideraum und warf sich in den Pilotenanzug. Zwei kurz aufeinander folgende, heftige Rucke verkündeten den Abschuss der Tomahawks. Eine Minute später saß sie im Cockpit ihres Gernsback und wartete auf Befehle. Nach und nach wurden auch die anderen Arm Slaves bemannt, wie es dem Alarmprotokoll entsprach. Drei Minuten nach dem ersten Alarm meldete sie an die Brücke: „Falken bereit.“ Vor ihr fuhr der erste Turmfalke auf die Plattform hoch. Anscheinend hatte die FEANOR das Startdeck geöffnet und erlaubte nun den Kampfhubschraubern sofort zu starten. Auch die Super Harrier unter ihrem russischen Kommandeur machten sich zum Start bereit! Immerhin waren gerade zwei brandgefährliche Marschflugkörper ohne den Willen der Schiffsführung gestartet, das kam einer internationalen Krise gleich. „Was gibt es?“, rief Johann Sander, als er die Brücke betrat und sich in seinen Sessel warf. „Es gab Überrangorder für den Abschuss von zwei Tomahawks von außerhalb, Skipper. Beide Raketen wurden vor achtzig Sekunden unterseeisch abgefeuert und befinden sich nun mit Marschgeschwindigkeit auf dem Weg zum rumänischen Festland. Wenn sie den Kurs beibehalten, werden sie zumindest auf den nächsten achthundert Kilometern auf keine Stadt treffen, aber sie streifen die großen Flüchtlingslager im Nordwesten.“ „Falls sie nicht vorher explodieren.“ „Falls sie nicht vorher explodieren“, bestätigte McAllister. „Wissen wir von wem die Überrangorder kam?“ „Wir arbeiten dran, aber es muss definitiv ein Schiffsoffizier gewesen sein!“ Die Lieutenant Commander und der Skipper sahen sich an. Beide nickten. „Kramer.“ *** Die beiden Mittelstreckenmarschflugkörper legten ihren sechshundert Kilometer langen Weg knapp über der kaum gebauschten See des Schwarzen Meeres zurück. Dabei flogen sie nie tiefer als drei Meter über das Wasser hinweg. Als sie über Festland kamen, zogen sie etwas höher. Das eingebaute Bodenwellenradar lotste sie sicher über Wälder, kleine Hügel und Wohnhäuser hinweg. Danach war es für die effektiven Waffensysteme nur noch ein Weg von wenigen Minuten, um das Ziel zu erreichen, welches Thomas Kramer für sie ausersehen hatte. Noch immer hielt der tapfere Infanterist mit dem Codenamen Grün zwei seine Lasererfassung auf einen Arm Slave der Gernsback-Klasse gerichtet, und noch immer überprüfte der deutsche Offizier die Telemetriedaten der Raketen. Als er sich sicher sein konnte, dass beide auch wirklich eintreffen würden, ging er eine Stufe weiter und verlegte den Einschlagpunkt der ersten Rakete vierhundert Meter nordwestlich des avisierten Ziels und den von Rakete zwei vierhundert Meter südwestlich. Dadurch würden ihm wohl einige Panzer und Fahrzeuge durch die Lappen gehen, aber er wollte den armen Jungen, der immer noch mit seinem Laservisier draufhielt anstatt Fersengeld zu geben, nicht unnötig gefährden. Nun, vielleicht zitterten dem Mann in seinem Versteck auch einfach nur die Beine zu sehr, um wegzulaufen. „Grün zwei?“ „Ich bin noch da, Falke eins.“ „Volle Deckung!“ Die Verbindung zum Laser brach ab, die Tomahawks verloren ihre Zielvorgabe, aber das machte nichts, denn die Einschlagpunkte standen nun schon fest. Als die beiden Tomahawks kurz auf Höhe gingen, war das Ende des Großteils der Marschkolonne besiegelt. Und als sie niedergingen hätte die Auswirkung dieses Angriffs nur noch schlimmer sein können, wenn die Gefechtsköpfe aus taktischen Atomwaffen denn konventionellen Clusterbomben bestanden hätten. Beide Marschflugkörper streuten ein Rund von vierhundert Metern ab und entließen tausendfachen Tod. Der Lärm der Explosionen, hier im überwältigten Camp gerade erst verklungen, rollte nun von neuem heran und kündete vom Ende der Kolonne. Thomas Kramer hatte gerade ein paar hundert Menschen in den Tod geschickt, das wusste er. Aber hätte er das nicht getan, dann wäre die kleine Revolte für Recht und Ordnung der jungen Gräfin in einem kurzen und blutigen – blutig vor allem für die Zivilisten – Kampf untergegangen. Und die Gräfin von Friedheim wäre genauso spurlos verschwunden wie ihre bedauernswerte Schwester. Nein, falsche Gnade kannte dieser Mann nicht, auch wenn er an Bord der FEANOR oft genug der Heilige genannt worden war. Außerdem hatte er überhaupt keine Zeit, jetzt wegen der Vernichtung einer großen Kampftruppe, die diese Region zweifellos dominiert und dem Demokratisierungsversuch im Wege gestanden hätte Gewissensbisse zu bekommen. Im Gegenteil. Mit diesem Schlag hatte er wahrscheinlich die ganze Provinz auf Wochen, vielleicht Monate sicher gemacht. Leider würde ihm dieser Streich nicht mehr gelingen, seine kleine Hintertür auf die FEANOR würde geschlossen werden. Das Unterseeboot war wahrscheinlich schon längst auf dem Weg nach Styx, um einen zweiten Missbrauch durch den ehemaligen Elite-Piloten zu verhindern. Oder es wurden in diesem Augenblick die ersten Jagdkommandos ausgesandt, um ihn, Thomas Kramer, zur Strecke zu bringen. Denn Mithril liebte es überhaupt nicht, wenn es die Kontrolle über seine Spielzeuge verlor. Wäre dies in einem anderen Land als dem von Kriegen gebeutelten Rumänien passiert, hätte die Welt die Chance gehabt, durch mehr als Gerüchte und unscharfe Satellitenaufnahmen davon Kenntnis zu nehmen, wäre vielleicht ein internationaler Konflikt heraufbeschworen worden. So aber gab es nur zwei Ergebnisse. Die Streitkraft der Einheit hatte sich verfünffacht und würde nach einem gewissen Training der Freiwilligen vielleicht eine schlagkräftige Truppe werden. Und Mithril hatte ihn garantiert ab sofort auf dem Kieker. Thomas seufzte schwer. Als er sich entschlossen hatte, seine ganz persönliche Hintertür zur FEANOR zu öffnen, und die Raketensalve abzuverlangen, war es eigentlich noch zu früh gewesen. Aber eine solche Chance, eine derart Dichtgedrängte Marschkolonne potentiell feindlicher Truppen war einfach zu verlockend gewesen. Wer wusste es schon, vielleicht würde nun niemand auf lange Zeit wagen, so nahe an der Küste in großen Zahlen zu marschieren? Und mit kleinen Trüppchen wurde selbst eine schlecht trainierte Übermacht fertig. Dennoch, die Ereignisse wurden elementar beschleunigt. Einerseits durch die schnelle Reaktion der Kampfeinheiten der NSP, andererseits durch den Einsatz seines einzigen Trumpfs in diesem Spiel. „Grün zwei, noch da?“ „Gerade mal so, Falke eins. Was ist passiert, verdammt?“ „Sagen wir, wir hatten ein wenig unfreiwillige Hilfe. Beobachten Sie noch eine Stunde weiter und ziehen Sie sich dann zurück, Grün zwei.“ „Verstanden, Falke eins. Wirklich viel zum beobachten ist ja nicht übrig geblieben. Ich sehe lediglich ein paar Panzer und zwei Arm Slaves, die sich noch bewegen.“ Für einen Moment spielte Thomas mit dem Gedanken, der Kolonne den Rest zu geben. Aber das brachte er dann doch nicht fertig. Sicher würde er irgendwann für diesen Akt der Gnade bezahlen, aber es mindestens ebenso sicher, dass ihn irgendwann jemand für das Bombardement zur Rechenschaft ziehen würde… 5. Die schwere Transportmaschine, die sie nonstop von Tokio nach Melina Island brachte, war schon ungewöhnlich. Die Priorität bei der Landung allerdings war höchst verdächtig. Dass ein Elektrowagen bereit stand um sie schnellstmöglich ins Dock der TUATHA DE DANNAN zu bringen, konnte man nur noch als mittlere Sensation werten. Sousuke Sagara registrierte all das mit unbewegter Miene, aber seine Instinkte als erfahrener Soldat schlugen beinahe bis zum Anschlag an. Kaname Chidori bemerkte das besonders steife Verhalten ihres Mitschülers und versteifte ihrerseits. Es war noch nicht allzu lange her, dass sie wieder einmal in Lebensgefahr gewesen war, und ihr richteten sich die feinen Nackenhärchen auf, wenn sie daran dachte, dass die Episode ihres Leben in der sie permanent bedroht wurde nahtlos fortgeführt werden würde. Kanames neue düstere Miene wiederum fiel Kim auf. Und sie war schlau genug, um eins und eins zusammen zu zählen. „Gut, dass Sie kommen, Gun-so. Das erspart es uns, Sie anzufordern“, empfing sie Kalinin, der Infanterie-Commander der DANNAN. Sousuke wagte gar nicht erst zu fragen, die ganze Atmosphäre im Schiff roch kräftig nach Ärger, Ärger, Ärger. Kaname Chidori war weniger taktvoll, oder weniger ängstlich. „Was ist passiert, Kalinin-san?“ Der Blick des weißhaarigen Russen glitt einmal über alle drei. Dann nickte er. „Gut. Es geht Sie alle drei an, aber vor allem Miss Sanders.“ Andrej Sergejewitsch Kalinin wandte sich um und betrat den Laufgang, der vom Dock zur DANNAN führte. „Ich lasse Ihr Gepäck an Bord schaffen. Wir legen noch in dieser Stunde ab. Unser Ziel ist das Schwarze Meer. Wir sollen dort zu einer gemeinsamen Operation mit unserem Schwesterschiff FEANOR zusammentreffen.“ „Ich darf an Bord bleiben?“, kombinierte Kim messerscharf. „Ist was mit Thomas passiert?“ Der Russe sah sie ernst an, danach Sousuke. „Wie viel weiß sie schon, Gun-so?“ „Ich habe sie über First Lieutenant Kramers Abmusterung gestern informiert, Sho-sa.“ „Dann wissen Sie ja schon fast alles. Thomas Kramer hat sich im osteuropäischen Bürgerkriegsgebiet einer reaktionären Bewegung angeschlossen, die den Bürgerkrieg zumindest in Rumänien beenden will.“ „Das klingt doch nach meinem Thomas“, erklärte Kim strahlend. „Während eines Konfliktes vor achtzehn Stunden hat sich Thomas Kramer allerdings in das Computernetz der vor der Küste patrouillierenden FEANOR eingehackt und den Abschuss von zwei Tomahawks mit konventioneller Bewaffnung auf eine gegnerische Marschkolonne eingeleitet. Es sieht ganz so aus, als hätte sich First Lieutenant Kramer ein paar Hintertüren offen gelassen, um weiterhin Zugriff auf die FEANOR zu erhalten. Dies schließt auch die Möglichkeit ein, das Schiff zu entern.“ „Aber Thomas würde nie...“, hörte Kim, und dachte einen Moment, die Worte selbst gesprochen zu haben. Aber sie kamen von Sousuke. „Vielleicht. Bedenken Sie jedoch was passiert, wenn er in gegnerische Hände fällt und sein Wissen herausgepresst wird, Gun-so Sagara. Tatsächlich ist das schon passiert und wir können von Glück sagen, dass Amalgam nicht auf den Gedanken kam, sich sein Wissen anzueignen.“ Bevor sie sich versahen, hatten sie die Brücke der DANNAN betreten. Theresa Testarossa sprang sofort auf, als sie die drei Ankömmlinge bemerkte. „Das nenne ich perfektes Timing. So muss ich euch nicht erst abholen und wir können sofort in den Mittleren Osten aufbrechen. Ich... Sho-sa, wie viel haben Sie den dreien schon gesagt?“ „Ich habe sie noch nicht auf den neuesten Stand bringen können, Tai-sa.“ Theresa warf dem Mann einen schiefen Blick zu, den man durchaus mit „du Feigling“ beschreiben konnte. „Keine Sorge“, rief sie, lachte dazu und legte verlegen eine Hand hinter den Kopf. „Wir haben nicht den Auftrag bekommen, Thomas zu töten oder so. Wir sollen lediglich die Beobachtung der Küste übernehmen, während die FEANOR auf Herz und Nieren geprüft wird, um mögliche weitere Schlupflöcher zu schließen, die Thomas aufgebaut haben könnte.“ „Können... Können wir ihn nicht einfach da raus holen?“, hauchte Kim ernst und sah betreten zu Boden. „Es... Es ist etwas schwierig. Jetzt, wo er Material von Mithril missbraucht hat, müssen wir ihn vorladen und dem Oberkommando vorführen. Wir haben die Autorisation bekommen, um ihn zu verhaften.“ „Und was ist, wenn er sich nicht verhaften lässt?“, fragte Kaname scharf. Theresas Blick ging unwillkürlich zu Sagara. Der versteifte sich merklich und seine Miene wurde ausdruckslos, beinahe starr. „Der Arbalest“, stellte Kaname tonlos fest. „Was? Wie? Worum geht es?“, rief Kim aufgeregt. „Sie wollen Sousuke und seinen Arm Slave einsetzen, um Thomas einzufangen. Wie du weißt hat er einen Lambda Driver. Sie...“ „Sie wollen ihn töten“, hauchte Kim. „Tessa, sag mir dass das nicht wahr ist! Sag mir, dass du Thomas nicht töten willst! Er hat uns gerettet, weißt du das nicht mehr? Er hat uns... Er hat uns...“ Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. Auch die Augen von Theresa begannen nun feucht zu schimmern. Sie schluckte heftig. „Kaname, könntest du bitte...“ Tröstend legte die Frau mit den langen blauen Haaren einen Arm um Kim. „Ich kümmere mich um sie. Und du überlegst dir am besten einen Weg, wie wir Thomas aus dieser Situation wieder rausbekommen. Ohne ihn zu töten.“ Nachdem die beiden die Brücke wieder verlassen hatten, taxierte Theresa den Gun-so. „Ich wollte es vor den beiden nicht sagen, aber Sie haben die Erlaubnis erhalten, den First Lieutenant notfalls zu töten. Was immer an Wissen in seinem Kopf steckt, es darf nicht in Feindeshand fallen. Ich sage das wirklich nicht gerne. Aber wenn es irgendwie geht, dann lassen Sie den Mann am Leben, Gun-so Sagara.“ Der Arm Slave-Pilot sah starr geradeaus. Dann salutierte er. „Sie können sich auf mich verlassen, Tai-sa!“ Er machte eine scharfe Wende und verließ die Brücke wieder. „Jetzt hasst er mich“, murmelte Theresa. „Ich glaube, jetzt hasst er mich wirklich.“ „Er hasst Sie nicht, Tai-sa“, meldete sich Chu-sa Mardukas zu Wort, der dem Disput schweigend zugehört hatte. „Er ist nur vollauf damit beschäftigt, sich zu überlegen, wie er First Lieutenant Kramer da rausholen kann ohne ihn töten zu müssen.“ Mardukas wechselte einen schnellen Blick mit Kalinin. „Was er aber niemals schaffen wird.“ *** Seit seinem kleinen Streich gegen die Neo-Sozialistische Partei waren fünf Tage vergangen, und noch immer hatte Mithril ihm kein Killerkommando auf den Hals gehetzt. Thomas empfand diese Tatsache als sehr erfrischend und beruhigend. Mit etwas Glück würde sich die Geheimorganisation darauf beschränken, seine Schlupflöcher in das Computersystem der FEANOR zu schließen und schlicht hoffen, dass er in den Kämpfen umkam, anstatt ihn selbst töten zu lassen. Nun, mit jedem verstreichenden Tag wurde diese Möglichkeit wahrscheinlicher. Die Hoffnung starb immer zuletzt, oder? „General, es ist soweit.“ Thomas wandte sich um, warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel seines Quartiers. Dann setzte er mit einem Ruck die klobige Schirmmütze seiner rotbrauen Uniform auf und nickte. „Ich komme, Colonel Blatic.“ Er folgte seinem Stellvertreter und frisch zum Colonel beförderten Mann durch den hell erleuchteten Hangar, in dem gerade an über dreißig Arm Slaves und noch einmal der gleichen Zahl an Panzern gearbeitet wurde. Als er vorbei kam, stellten die Männer und Frauen die Arbeiten ein und salutierten ihm zu. Thomas salutierte steif zurück und versuchte, keine Miene zu verziehen. Als er Blatic die große Rampe hinauf folgte, hörte er die letzten Worte der Rede von Anica Gräfin von Friedheim. Nahtlos folgte der Jubel einer großen Menschenmasse. Danach ergriff eine Männerstimme das Wort, die mit sich vor Begeisterung überschlagender Stimme zehn Kapitel verlas. Dies waren die Statuten der neu aufgestellten Armee. Thomas verstand kein Wort, weil er die Landessprache nicht konnte, aber er hatte geholfen sie auszuarbeiten. Der wichtigste Punkt dabei war der Anspruch gewesen, die Hauptstadt Bukarest zurück zu erobern und im Land einen umfassenden Frieden herzustellen. Nun, in diesem Moment beherrscht die Gruppe der Gräfin ein gutes Drittel von Rumänien, nämlich alles westlich der Karpaten bis zur Grenze. Dies sollte der Anfang für eine militärische Befriedung der Küste und der Nachschubwege, vor allem über die Flüsse, sein. Wenn das nördliche Donau-Ufer erst einmal in ihren Händen war, dann war eine Menge gewonnen. Vor allem konnten sie dann ernsthaft unterbinden, dass die Unruhen von Bulgarien erneut über den Grenzfluss Donau schwappten. Wichtig war auch die Einnahme des Seehafens Konstanza, der es ihnen ermöglichen würde, internationale Hilfsgüter wesentlich unproblematischer über internationale Gewässer zu erhalten. Thomas ließ die letzten Tage Revue passieren. Mit dem Abschuss der beiden Tomahawks hatte er die Hauptstreitmacht der NSP vernichtet; die meisten Soldaten und Piloten hatten sich nach diesem verheerenden Schlag ergeben, einige hatten sich sogar dazu entschlossen, an die neue Vision der Gräfin zu glauben und dienten nun unter ihm. Auch große Kontingente an polnischen Freiwilligen waren zu ihnen gestoßen, einige sogar mit eigenen Arm Slaves. Dieser große Sieg hatte ihnen aber noch mehr beschert, denn etliche der kleineren Fraktionen hatten um Aufnahme gebeten, die von Gräfin von Friedheim großzügig gewährt worden war, solange sie die zehn Statuten unterstützten. Welchen Wert diese Bündnisse hatten, würde sich noch zeigen müssen. Aber Thomas machte sich klar, dass dort draußen ein Viertel des militärischen Potentials dieses Landes auf seinen Befehl hörte. Mittlerweile waren es gut einhundert Arm Slaves, das Doppelte an Panzern, fast fünfhundert Transportfahrzeuge und etwas über sechstausend Infanteristen, die ihm gehorchten. Weil sie an die Gräfin glaubten. Weil sie an die Statuten glaubten. Weil sie etwas verändern wollten. Oder einfach, weil sie Angst davor hatten dass es ihnen ähnlich erging wie der Neo-Sozialistischen Partei, die aufgehört hatte, als politische und militärische Fraktion zu existieren. Nach der Lesung der Statuten, jede einzelne begleitet von frenetischem Jubel, klang wieder die Stimme Anicas auf. Thomas verstand nur drei Worte: General und Thomas Kramer. Er hatte diesen Rang angenommen, um den Menschen Sand in die Augen zu streuen. So groß die Armee auch mittlerweile war, sie hatte nie zusammen gedient, große Teile waren unzuverlässig und würden die Waffenbrüder verraten, wenn das Kriegsglück schwankte. Thomas befürchtete das Schlimmste. Andererseits bildeten die polnischen Freiwilligen das Rückgrat seiner Armee, und diese Soldaten waren diszipliniert und gut ausgebildet. Es war nicht unmöglich, es war zu schaffen. Auch Rom war nicht an einem Tag erbaut worden. Langsam ging Thomas weiter. Als er die Rampe verließ, brandete erneut Jubel auf. Steif legte er die Rechte an die Stirn und salutierte. Dann ging er zur Gräfin, den anwesenden Offizieren und den offiziell gewählten Vertretern der Lager und Städte auf das kleine Podest. Ein großer, bulliger Mann rief eine kurze Rede ins Mikrofon, hielt einen Orden hoch und heftete ihm Thomas an die Brust. Danach umarmte er den Deutschen und küsste ihn auf beide Wangen. Das war der Bürgermeister von Neumarkt gewesen, die vorgestern von den letzten politischen Fraktionen gereinigt worden war. Der gute Mann hatte die Chance sofort ergriffen und sich einer Partei angeschlossen, die nach dem Sieg über gegnerische Truppen nicht sofort mit Gewaltakten und Plünderungen begann. Der kleine rote Stern auf Thomas´ breiter Brust war Zeugnis dieser Chance. Egal ob der Riese nun daran glaubte, er gab den Menschen vor dem Podest Hoffnung und Zuversicht. Und diese Hoffnung und diese Zuversicht würde ihnen vielleicht endlich die Chance einräumen, Rumänien zu befrieden. Endlich, nach über zehn Jahren. Und für ihn würde es vielleicht die Möglichkeit geben, Amalgam noch eins auszuwischen. Er verdankte dem kleinen schwitzenden Mann eine Gehirnerschütterung, die umgehend zurückgezahlt werden würde, sobald er die Gelegenheit dazu bekam. Als er sich der Menge zuwandte, um sich für die Auszeichnung zu bedanken, tat er dies zuerst mit einem Salut. Dann ballte er die Rechte zur Faust und riss sie in die Höhe. Die Reaktion der Menge war unglaublich. Wieder trat ein neuer Redner nach vorne, und Thomas erhielt Gelegenheit, sich zu setzen. Er platzierte sich neben der Gräfin und tat als interessiere ihn die Rede des älteren Mannes mit dem schütteren grauen Haarkranz. „Also, Anica, was willst du mir sagen?“, flüsterte er. „Was denn? Hast du das noch nicht selbst herausgefunden?“, spottete die Gräfin. „So wie ich das sehe, ist diese Entwicklung zu rasant, um das Ergebnis von einer Woche Kampf zu sein. Zuviel ist passiert, und auch der Angriff der Neo-Sozialistischen Partei kam sehr früh. Diese Menschenmenge zu mobilisieren mag in Rumänien funktionieren. Aber derart viele polnische Freiwillige und Soldaten anderer Gruppierungen zusammen zu ziehen ist kein Zufall.“ Anica Gräfin von Friedheim seufzte. „Du hast es schon gesagt. Ich habe ein großes, weit aufgespanntes Informantennetz, mein lieber Thomas. Nein, sagen wir es ist ein Agentennetz.“ „Und dieses Agentennetz hat natürlich die Ankunft entsprechend vorbereitet. Und dies alles hier erst ermöglicht. Die Agenten haben Zugeständnisse gemacht, Kompromisse geschlossen, Versprechen gegeben und eingefordert. Und jetzt ist ein Viertel der Streitmacht dieses Landes in deiner Hand.“ „Falsch. Nicht in meiner Hand. In deiner Hand, Thomas.“ „Ich diene dir, Anica. Wo ist da der Unterschied?“ „Du würdest nie etwas tun, was mit deiner Auffassung von soldatischer Ehre kollidiert. Das ist der Unterschied.“ „Schmier mir keinen Honig um den Bart.“ Anica wandte sich ihm für einen Moment zu und lächelte. „Wenn du es genau wissen willst, ich habe Rumänien ausgesucht, weil meine Familie persönliche Bindungen in diesem Land hatte und noch immer hat. Es tut mir weh, das zu sagen, aber meine Schwester wurde verschleppt, als sie in Ungarn an einer Konferenz teilnahm, in der Emigranten aus Rumänien über die Zukunft des Landes beraten haben. Als meine Schwester verschwand war das nicht nur ein schmerzlicher Verlust für mich, es hätte auch beinahe die Zukunft dieses Landes gefährdet. Seither habe ich mich vorbehaltlos auf die Seite Rumäniens gestellt. Ich habe Kontakt zu Firmen aufgenommen, die in diesem Land ihre Produkte testen, habe sie politisch und wirtschaftlich in meinem Sinne beeinflusst. Alles nur, um diesem einen Land Frieden zu bringen. Aber es hat mir noch etwas gefehlt.“ „Ein Held.“ „Ja, ein Held. Ein Held, der alleine eine Kompanie Panzer vernichten kann. Ein Held, der den anderen zeigt, was man zu leisten vermag, wenn man den festen Willen hat und weit genug geht. Ein Held, der allen als Hoffnung dient, an dem sie sich alle orientieren können, der sie aufrichtet, der sie durch sein Vorbild mitreißt. Ich brauchte dich, Thomas. Du hast deinen Wert mustergültig bewiesen, als wir nur vier Arm Slaves hatten. Mit der Vernichtung des NSP-Stoßtrupps hast du zugleich auch den Anstoß gegeben, um aus meinen Kontakten Verbündete zu machen. Deine anderen Siege haben es nur noch verstärkt und sogar Gruppen zu uns bekehrt, die bisher ablehnend eingestellt waren. Aber das ist nicht der wichtigste Grund. Unser Held musste auch jemand sein, der schon einmal gegen Amalgam gekämpft hat – und erfolgreich war.“ „Amalgam?“ „Tu nicht so überrascht. Ja, Amalgam. Abgesehen von den großen europäischen Firmen, den russischen Industriekombinaten und den Amerikanern führt Amalgam hier im geheimen das Kommando. Amalgam ist das Zünglein an der Waage. Amalgam ist die dritte Macht im Hintergrund. Wenn ihnen eine Entwicklung nicht passt, korrigieren sie sie. Rumänien, Bulgarien, Serbien, Moldawien, Ukraine, das sind alles nur große, bunte Versuchsfelder für sie, auf denen sie neue Weltordnungen ausprobieren – oder wie sie bestehende Ordnungen in absolutes Chaos stürzen. Je erfolgreicher wir werden, desto mehr wird Amalgam auf uns aufmerksam werden. Und dann brauche ich einen Anführer, der weiß wie man diese Leute bekämpft und besiegt. Du bist mein großer Jackpot, Thomas.“ „Nett.“ Der grauhaarige Veteran hatte seine Rede beendet und erhielt dafür Jubel. Anica lächelte wohlwollend und nickte aufgeregt, um die Bedeutung der Rede hervorzuheben. „Und, bist du nicht sauer, weil ich dich benutze?“, fragte sie leise. „Nein, das wusste ich von vorne herein. Und warum soll ich auf dich böse sein, wenn du meine Ziele verfolgst? Ich bin in diesem Land, um den Bürgerkrieg zu beenden.“ Thomas erhob sich und salutierte, als die alte Nationalhymne gespielt wurde. „Und um Amalgam in diesem Land das Handwerk zu legen. Ein für allemal.“ „Ich habe nicht weniger von dir erwartet, Thomas“, flüsterte die Gräfin zurück. 6. Vor der Küste von Gallipolli, genauer gesagt einhundert Seemeilen vor dem Südkap, fad das Zusammentreffen der FEANOR und der TUATHA DE DANNAN statt. Beide Schiffe passierten sich in einem Abstand von lediglich einem Kilometer. Grund genug für beide Kapitäne, eine kurze, informative Unterhaltung aus der Isolation ihrer Büros heraus zu führen, während sich die Unterseeboote durch den internationalen Seeverkehr schlängelten. „Die Behörden in der Türkei sind instruiert. Sie werden die DANNAN nicht aufbringen, wenn sie die Dardanellen und den Bosporus durchquert. Für sie existiert das Schiff nicht.“ „Ich danke Ihnen, Kapitän Sander. Gibt es noch etwas, was wir wissen sollten?“ „Die Lage in Rumänien hat sich in den letzten Tagen radikal verändert, Tai-sa Testarossa. Viele Gruppierungen und politische Parteien haben sich unter der Gräfin von Friedheim zusammengeschlossen und bilden nun ein Viertel der militärischen Macht in dem umkämpften Land. Das ist eine Macht, mit der auch die Nachbarländer rechnen müssen. Ungarn hat, laut den neuesten Meldungen, die Grenzen stärker befestigt und einen Teil des stehenden Heeres verlegt. Dadurch fielen Dutzende Transporte mit Hilfslieferungen aus. Die Situation im Land ist dementsprechend nicht besonders erfreulich.“ „Ich verstehe, Kapitän Sander. Sie befürchten überdies eine Intervention der umgebenden autarken Nationen?“ „Ich bin mir sicher, dass eine oder mehrere der in Rumänien kämpfenden Fraktionen Verbündete in den umliegenden Ländern hat. Gerade in den Staaten, in denen immer noch der Bürgerkrieg tobt. Es ist zu erwarten, dass diese Truppen und später vielleicht die Länder in den rumänischen Konflikt hineingezogen werden. Es ist auch möglich, dass Amalgam aktiv wird; in dem Fall müssen Sie sofort reagieren, Tai-sa. Wenn wir Amalgam treffen können, müssen wir das tun.“ Tessa nickte. „Ich halte meine Leute in Bereitschaft. Wie sieht die taktische Lage aus?“ „Die Gräfin von Friedheim hat sich gestern von zehntausend gewählten Landesvertreter zum Interims-Oberhaupt erklären lassen. Ihre erste Amtshandlung war dann gleich die Ausrufung des Kriegsrechts und eine formelle Anklage gegen die anderen politischen und militärischen Gruppierungen. Rechtlich gesehen ist sie damit nicht in trockenen Tüchern, aber es gibt ihr ein moralisches Rückgrat, mit dem sie es weit bringen kann, falls Amalgam und die anderen Parteien sie nicht vorher töten. Die Armee, über die Gräfin von Friedheim mittlerweile verfügt, kontrolliert das gesamte Gebiet westlich der Karpaten. Durch die Winkelform von Südkarpaten und Ostkarpaten ist sie in dieser Position fast unangreifbar. Die wenigen Pässe über das Gebirge wird von ihren Soldaten gehalten, und das Heer benutzt das Eiserne Tor, die einzige ebenerdige Passage in der Region. Im Moment stehen fünfzig Arm Slaves aller Klassen sowie dreitausend Mann Infanterie vor Drobeta-Turnu Severin, einer großen Donaustadt südlich der Karpaten. Gelingt ihnen die Einnahme der Stadt, haben sie Zugriff auf die Autobahn, die direkt zur Hauptstadt und von dort zum größten Seehafen des Landes führt. Ich habe mir sagen lassen, dass in Istanbul bereits Schiffe mit Hilfslieferungen bereitliegen, um diese einmalige Situation im Bürgerkrieg ausnutzen zu können.“ Sander räusperte sich. „Wenn die Koalitionstruppen aufgehalten werden sollen, dann muss es auf dieser Straße passieren. Entweder in Drobeta, in Craiova oder in Bukarest selbst. Das wissen die anderen Fraktionen. Und auch Amalgam muss bewusst sein, dass die Entscheidung über die Zukunft des Landes etwas schneller fällt als sie erwartet haben.“ „Ich verstehe, Kapitän Sander. Ich werde meine Arm Slaves die Donau hinauf schicken. Es dürfte interessant sein zu erfahren, ob Amalgam auch in diesem Land Waffen verteilt hat, die unsere getarnten Arm Slaves und Hubschrauber aufspüren können.“ „Noch etwas, Tai-sa. Anführer der Koalitionstruppen ist immer noch Thomas Kramer. Sie sind ab sofort autorisiert, ihn zu eliminieren. Versiegelte Befehle, diesen Fall betreffend wurden auf Melina an Bord genommen. Sie sind hiermit autorisiert, diese Befehle zu öffnen. Ach, und bevor ich es vergesse. Sollte sich Kramer ergeben, sind Sie autorisiert, seine Kapitulation anzunehmen. Das Oberkommando Atlantik ist sehr daran interessiert zu erfahren, wie Kramer sich in die Computersysteme der FEANOR hacken konnte, um zwei Marschflugkörper abzuschießen.“ Für einen Moment wirkte Tessa überrascht. „Ich werde mein bestes geben, um Thomas zur Kapitulation zu überreden. Ich danke Ihnen, Kapitän Sander.“ „Ich habe Ihnen zu danken. Gute Jagd, Tai-sa.“ Der Bildschirm erlosch und ließ Theresa Testarossa mit ihren Gedanken allein. Nachdenklich spielte sie mit dem Ende ihres Zopfs. Dann erhob sie sich, ging zu ihrem Safe und öffnete ihn. Das Paket mit den Befehlen wog schwer, schwerer als zuvor. Mit einem Seufzer erbrach sie das Siegel und begann die Dokumente zu studieren. *** „Ma´am, Gun-so Sagara meldet sich wie befohlen.“ Die Miene, die Theresa Testarossa aufgesetzt hatte, war ungewöhnlich ernst und dienstlich. Von ihrer Sympathie für den jungen Mann war im Moment nichts zu bemerken. „Setzen Sie sich, Gun-so.“ „Jawohl.“ „Gun-so, Sie wissen, warum wir in diese Region der Erde gekommen sind?“ „Ja. Wir übernehmen den Überwachungsauftrag der FEANOR, solange sie auf Styx auf Herz und Nieren geprüft wird.“ „Gut. Sie wissen auch, warum sie auf Herz und Nieren geprüft werden muss?“ Sagara wirkte unsicher. Und das kam nicht sehr oft vor. „Thomas Kramer hat sich auf unbekanntem Weg in das Computersystem der FEANOR gehackt und zwei Marschflugkörper abgeschossen.“ „Und er hat damit in den Bürgerkrieg eingegriffen, der in Rumänien tobt. So sehr ich persönlich diesen unseligen Streit und die Leiden der Millionen Zivilisten beendet sehen möchte, Kramer hatte keinerlei Recht, Mithril da mit hinein zu ziehen. Wir können wohl von Glück sagen, dass der Raketenschlag ein voller Erfolg war und nur eine Handvoll Menschen überhaupt wissen, was die Truppen der NSP getroffen hat. Sonst hätten wir bereits eine internationale Ermittlung am Hals, die Mithril einiges gekostet hätte. Verstehen Sie das, Gun-so?“ „Natürlich, Ma´am.“ Theresa schob eine Akte zu Sousuke herüber. „Sie haben absolutes Stillschweigen über die Befehle zu halten, die ich Ihnen mit diesem Schreiben übermittle. Ich verlasse mich da völlig auf Sie. Die Sicherheit eines ganzen Landes hängt von Ihrer Integrität und Ihrem Können ab, Gun-so Sagara.“ Ein wenig verwundert ergriff Sousuke die Pappmappe, die gut sichtbar den Aufkleber der höchsten Sicherheitsstufe trug, und begann die Dokumente durchzublättern. Irritiert runzelte er die Stirn. „Dieser Agent Lukas…“ „Vergegenwärtigen Sie sich, dass wir diese Gelegenheit nutzen könnten, um Amalgam einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Das ist das einzige was zählt. Haben Sie das verstanden, Gun-so?“ „Jawohl, Ma´am.“ „Amalgam ist in dieser Region sehr stark vertreten. Es wäre bereits unendlich kostbar für uns zu wissen, wie stark die Kräfte dieser Organisation in dieser Region wirklich sind. Waren unsere Siege auf Sri Lanka und in Süd-China wichtige Schläge gegen die Stärke dieser Terrorgruppe, oder waren es nur Nadelstiche in die Seite eines Riesen? Wenn wir wissen, wie stark und wie gut Amalgam in Rumänien organisiert ist, wird es uns eine Menge über die gesamte Organisation sagen. Die Aktion, an der Sie vor zwei Monaten teilgenommen haben, hat uns eine große Menge Computerdaten beschert, die Experten sind immer noch an der Auswertung. Und jetzt ist die Zeit gekommen, um einige dieser Daten auf ihre Echtheit zu prüfen.“ Sousuke Sagara nickte ernst. „Ich habe verstanden, Ma´am. Wenn Amalgam sich an den Kämpfen beteiligt, werden Agent Lukas und ich verlässliche Daten liefern.“ „Sie dürfen auch ein paar abschießen, Gun-so“, bemerkte Theresa Testarossa und lächelte das erste Mal, seit er ihr Büro betreten hatte.“ „Jawohl, Ma´am.“ „Sie können gehen.“ Sagara salutierte, wandte sich um und ging zur Tür. „Ach, Sousuke“, hielt Theresa den Arm Slave-Piloten zurück, „bring Thomas in einem Stück nach Hause. Kim zuliebe.“ „Das wird schwierig“, brummte der Arm Slave-Pilot. Vielleicht zu schwierig. *** „Das ist die Lage.“ Chu-i Clouseau sah sich im Besprechungssaal der DANNAN bei den Arm Slave-Piloten und den Hubschrauberbesatzungen um. „Unser ehemaliger Kamerad Thomas Kramer hat seine Truppen gestern über das Eiserne Tor geführt und die Stadt Drobeta kampflos eingenommen. Dort haben sich ihm weitere Truppen angeschlossen. Die Gräfin von Friedheim hat die Stadt zur provisorischen Hauptstadt erklärt. Im Moment zieht Kramer seine Truppen in der Stadt zusammen. Wir rechnen damit, dass er über zehntausend Mann, zweihundert Panzer und einhundertzwanzig Arm Slaves aufbieten wird. Mit dieser Truppenstärke muss ihm die Einnahme von Bukarest gelingen. Das muss auch den politischen Gegnern der Gräfin bekannt sein. Deshalb rechnen wir damit, dass die anderen Fraktionen, so sie denn dazu in der Lage sind, eine lose Koalition bilden, um Kramer entweder in Craiova oder wenigstens vor der Hauptstadt aufzuhalten. Auch eine Einmischung von Amalgam oder in der Region vertretenen Firmen, welche die Konflikte für Waffentests verwenden, ist nicht ausgeschlossen.“ „Frage: Sollen wir Kramer helfen?“ „Ich glaube, das können Sie sich selbst beantworten, Gun-so Weber. Natürlich nicht. Im Gegenteil. Wir haben die strikte Anweisung ihn entweder gefangen zu nehmen oder zu liquidieren.“ Leises Raunen ging durch den Sitzungssaal. „Gun-so Sagara wird diese Aufgabe übernehmen. Gun-so, Sie haben die Erlaubnis, notfalls den Lambda Driver einzusetzen. Unsere einzige andere Aufgabe in diesem Fall ist es, auf Aktionen von Amalgam zu warten und diese zu vereiteln.“ „Aber das ist so unfair! Okay, zwei Tomahawks zu klauen war nicht sehr nett, aber alles was Kramer will ist diesen Bürgerkrieg zu beenden!“, brauste Mao auf. „Und genau deshalb werden wir ihm auch die Chance geben, sich zu ergeben. Zu Ihrer Information, ich mag es auch nicht, aber Befehl ist nun mal Befehl. Weiter im Text. Wir werden von den Terwaz-Einheiten auf der bulgarischen Seite der Donau ausgesetzt und setzen auf der Höhe von Craiova über den Fluss. Wir erwarten, dass Kramer mit seinem Vorstoß noch mindestens einen Tag wartet, deshalb haben wir genügend Zeit um die Region zu erreichen, bevor die erste Schlacht beginnt. Priorität haben die Aktionen von Amalgam, vergessen Sie das nicht.“ Clouseau schloss das Image der Karte hinter sich und räumte in Seelenruhe ein. Kurtz Weber ballte derweil die Hände zu Fäusten. „Das ist unfair, so verdammt unfair! Warum haben sie Thomas überhaupt erst degradiert? Warum hat Kapitän Sander ihn von der FEANOR geworfen? Sag doch auch mal was, Sousuke!“ „Wir haben unsere Befehle“, schnappte der japanische Gun-so kurz angebunden, erhob sich und verließ den Raum. Den wütenden Protest von Weber ignorierte er ebenso wie den fatalen Blick seiner direkten Vorgesetzten. Auf dem Gang wäre er beinahe in Kim und Kaname hineingerannt. Die junge Frau, die sie erst vor kurzem aus tödlicher Bedrohung aus Rumänien gerettet hatten, hatte beide Arme um den Körper geschlungen, als würde sie frieren. Sie wirkte verzweifelt. „Du wirst ihn töten, oder?“ Sagara stockte. Betreten senkte er den Kopf. Kim Sanders begann zu schluchzen, legte eine Hand vor ihr Gesicht und wandte sich ab. Kaname sah ihr erschrocken hinterher. „Sousuke, kannst du gar nichts tun?“ Der Gun-so straffte sich. „Ich bringe ihn wieder zurück.“ 6. „Es ist zu früh“, mahnte eine alte Männerstimme. „Es ist nicht zu früh“, hielt eine ebenso alte, weibliche Stimme, dagegen. „Dies ist die beste aller Zeiten, um endlich durchzuführen, was wir so lange erhofft haben. Eine ganze Generation unseres Volkes wächst bereits in Unbildung in den Flüchtlingslagern auf oder wird als Kanonenfutter der verschiedenen Fraktionen verheizt. Dies ist ein Schlag, von dem wir uns Jahrzehntelang nicht mehr erholen werden. Deshalb muss es hier enden, bevor die Generation, die in den Lagern geboren wurde, eine weitere Generation in die Welt setzt.“ Eine dritte Stimme, nur unwesentlich jünger, mahnte mit tiefem Bass: „Die Firmen werden es nicht hinnehmen.“ „Das hat uns die letzten fünfzehn Jahre davon abgehalten zu tun was zu tun ist. Aber heute endet das. Unsere Koalition ist mächtig genug dafür. Wir werden beenden, was wir begonnen haben“, sagte die zweite Stimme wieder. Eine vierte, jüngere Stimme meldete sich mit hellem Altsopran. „Amalgam wird sich einmischen. Hier wird sich entscheiden ob wir eine wahrhaftige Chance haben, oder ob unsere Hoffnungen nur Seifenblasen sind.“ Vier Menschen schwiegen sich an. *** Craiova… Thomas Kramer wusste nicht besonders viel über diese Stadt. Zu alten Zeiten, als dieses Land noch nicht zu Rumänien zusammengefasst worden war, da war diese Stadt Königsstadt gewesen. Später, als diese Region zu Österreich gehört hatte, da war sie Sitz eines Fürsten gewesen. Doch der Bürgerkrieg hatte ihr nicht gut getan. Von den ehemals zweihundertfünfzigtausend Einwohnern lebten vielleicht noch fünfzigtausend in der riesigen Stadt und hielten das in Betrieb, was man großspurig Industrie nennen mochte und das noch nicht von einer der Konfliktparteien vereinnahmt oder zerstört worden war. Einst hatte sie als kleine Hauptstadt gegolten, als kleine Schwester von Bukarest. Und diesmal würde sie sogar wichtiger sein als die große Schwester. Denn hier entschied sich vieles, vielleicht das Schicksal einer ganzen Welt. Thomas richtete seinen französischen Arm Slave auf und gab das Zeichen zum Aufbruch. Die Armada, von ihm ausgewählt und trainiert, setzte sich in Bewegung. Den Hauptvorstoß würden vierzig Arm Slaves führen, hauptsächlich jene Leute, mit denen er seit dem Beginn dieses Kampfes zusammen arbeitete, und solche, die in den Schlachten bewiesen hatten, was sie konnten. Flankiert wurden sie von fünfzig Panzern; Kampfpanzern, Panzerhaubitzen, Luftabwehrlafetten und dergleichen. Dahinter folgte ein Tross gepanzerter Wagen, in denen sie eintausend ausgerüstete und erfahrene Infanteristen mit führten. Eine Mecha-Kolonne ohne Infanterie war immer wie ein einschneidiges Schwert. Man konnte zwar durch den Feind fahren, aber niemand räumte hinter einem auf. Oder riss einen aus der Scheiße, wenn man von Infanterie mit Anti Arm Slave-Bewaffnung angegriffen wurde. Thomas hoffte, dass er die Infanterie nicht einzusetzen brauchte. Im Gewühl von Panzern, Arm Slaves und Granaten waren die Verluste von normaler Infanterie immens hoch. Aber wenigstens wusste er, dass sich diese Männer und Frauen darüber im Klaren waren, was sie erwartete und was von ihnen erwartet wurde. Dahinter, in zehn Kilometern Abstand, kam der Rest des Heeres, den er für den Angriff detachiert hatte. Weitere vierzig Arm Slaves, dreißig Panzer und achttausend Infanteristen. Der Rest beschützte das Eiserne Tor und sicherte somit die provisorische Hauptstadt und einen von zwei gangbaren Zugängen in das befriedete Gebiet nördlich und westlich der Karpaten. Selbst wenn alle Pläne scheiterten, die Hauptstadt und Frieden für ganz Rumänien betreffend, so gab es immer noch viel versprechende Pläne, aus dem Gebirge einen Schutzwall zu machen und wenigstens diesem Teil des Landes den Frieden zu geben, den es so dringend brauchte. Was für eine Aufgabe. „General“, klang die Stimme von Blatic in seinem Helm auf. „Ich höre, Colonel“, sagte Thomas und konnte sich ein ironisches Grinsen nicht verkneifen. Ihre Armee war so schnell gewachsen, dass Thomas fast aus dem Stand erst zum Major, dann zum Colonel und schließlich zum General befördert worden war. Seine Untergebenen der ersten Stunde hatte er dabei mitgezogen. „Meldung der Späher. Wir haben einen weitläufigen Sperrriegel auf der Straße und dem Umfeld. Provisorische Gräben mit Infanterie, unterstützt von Panzern. Ihre Befehle?“ „Führen Sie mit einer Abteilung einen Umgehungsangriff durch den Wald aus und packen Sie die Sperre im Nacken. Major Kaminsky übernimmt hier Ihr Kommando.“ „Verstanden, Sir.“ „Ach, und Goran. Wir sollten ihnen die Gelegenheit geben, sich zu ergeben.“ „Auch verstanden, Sir.“ Thomas schmunzelte. Auf diese Weise hatten sie sich die letzten Tage enorm vergrößert. Entweder indem sie sich ergebende Einheiten integriert oder ihr Material requiriert hatten. „Keine Antwort, Sir.“ Thomas Kramer seufzte schwer. „Wir warten auf Major Kaminskys Angriff und schlagen dann selbst zu.“ „Verstanden.“ *** Wie abgesprochen hatten die Terwaz-Einheiten die vier Arm Slaves am Ufer der Donau abgesetzt. Die vier Hochleistungsmaschinen, drei Gernsback und der Arbalest, wateten durch das Wasser und verschwanden auf der anderen Seite, der rumänischen, mit Hilfe der Partikeltarnung im Nirgendwo. Nach einigen Stunden Fußweg hatten die unsichtbaren Maschinen ihr Ziel erreicht. Und eine hervorragende Beobachtungsposition für die Schlacht, die hier bald ausbrechen würde. „Das ist aber nett. So ein schöner und großer Empfang. Thomas scheint ihnen ja ein Riesenfeuerwerk wert zu sein“, kommentierte Kurtz, als er einen guten Blick auf den Sperrriegel vor Craiova bekam. „Funkdisziplin, Urzu sechs“, mahnte Clouseau. „Wir teilen uns auf. Vorerst beobachten wir nur. Wenn sich uns aber eine Chance bietet, Kramer gefahrlos aus dem Gefecht zu ziehen werden wir das tun. Das gleiche gilt für den Fall, dass Amalgam in diesen Kampf eingreift. Sagara, Sie haben Erlaubnis, gegen jeden Venom mit aktiviertem Lambda Driver vorzugehen, wie immer es Ihnen passt.“ „Verstanden, Chu-i.“ „Urzu sechs und sieben gehen nach Westen. Mao, folgen Sie mir.“ „Bin dran, Chu-i.“ „Und vergesst nicht, Kramer ist keiner mehr von uns.“ Diese Erkenntnis betrübte Clouseau mehr als er zuzugeben bereit war. „Chu-i, wir werden gerade umgangen. Zwanzig, nein, vierzig Arm Slaves verschiedener Klassen kommen im Bogen um den Wald“, meldete Weber. Clouseau grinste schief. „Da ist anscheinend was bei Kramer hängen geblieben. Er will die Sperre wohl von beiden Seiten aushebeln. Werden die Arm Slaves vom Gegner bemerkt?“ „Sie schlagen einen weiten Bogen. Ich denke nicht, dass sie entdeckt werden, bevor es zu spät ist. Sollen wir eingreifen?“ Die nächsten Worte fühlten sich richtig gut an, fand der Chu-i. „Natürlich nicht. Weder handelt es sich um Einheiten von Amalgam, noch ist unser Renegat dabei. Lasst sie gewähren.“ Ja, das fühlte sich wirklich, wirklich gut an. *** Mit einem Ruck brachte Thomas seinen Arm Slave zum stehen. Sein Blick ging über die Sperrstellung. Die Speerspitze seiner Einheit, bestehend aus M6, Mistral und italienischen Carabinieri, war nun in Feuerreichweite der Abwehrkette. Aber noch wurde nicht auf sie geschossen. „So leicht lassen die sich nicht provozieren, hm? Clusterbeschuss, drei Gassen.“ „Jawohl, Sir.“ Hinter ihm begannen die Panzereinheiten der Vorhut zu rochieren und eine neue Gefechtslinie einzunehmen. Die Rohre wurden mit Splitterbomben geladen und Thomas lauschte den konzentrierten, knappen Anweisungen von Major Kaminsky, der jedem einzelnen Panzer sein Zielgebiet zuwies. „Bereit, Sir.“ „Feuer frei.“ Kurz darauf donnerten die Kanonen der schweren russischen Panzer auf. Nur wenige Dutzend Meter vor Thomas zerplatzten die abgeschossenen Granaten und gingen als Trümmerregen aus tödlichem Schrappnell auf dem Boden und der Straße nieder. Die erste Salve hatte aus vierzig Granaten bestanden, die jetzt den Boden umflügten. Andere rissen den Asphalt der bereits erheblich beeinträchtigten Straße auf und zerstörten sie komplett. Das würde es schwieriger machen, seine Einheiten nach Craiova zu bringen, aber was war im Leben schon leicht? Sekundärexplosionen ließen Thomas dünn grinsen. Tatsächlich. Eine überwachte Minensperre. Es gab eine einfache militärische Doktrin, die sich auf Minen bezog. Diese kleinen gemeinen Dinger waren weit mehr als ein Hindernis auf dem Vormarsch. Wenn sie von Geschützstellungen überwacht und verstärkt wurden, dann wurden sie zur tödlichen Falle. Nicht viele Arm Slave- oder Panzer-Fahrer kamen mit dem Gedanken zurecht, in einem Minenfeld zu stecken und zugleich unter Beschuss zu stehen. Seine Gegner hatten also vor gehabt, die Vorhut ins Minenfeld zu locken und dann zusammen zu schießen. Das hätte der Vorhut erheblichen Schaden zugefügt und ihm wahrscheinlich das Leben gekostet. Vielleicht war das die Absicht der dort versammelten Truppen gewesen. Schlagt der Schlange das Haupt ab, und der Körper stirbt. Aber über das Stadium, dass dieses Heer nur mit ihm an der Spitze marschierte, waren sie lange hinaus. Dafür hatte Thomas früh genug gesorgt. Sein Tod hätte die Truppen getroffen, aber eher angestachelt als demoralisiert. „Noch eine Salve, Major Kaminsky.“ „Jawohl, Sir.“ Wieder feuerten die Panzer und schufen so drei schmale Pfade direkt zur Frontlinie. Normalerweise war das benutzen dieser minenfreien Gassen nicht weniger gefährlich als im Minenfeld zu stecken, aber eigentlich war das hier alles nur Show, um vom eigentlichen Angriff abzulenken. Dieser begann recht spektakulär. Ein Arm Slave, der am Waldrand stand und auf den Angriff von Kramers Leuten wartete, wurde mehrfach in die Seite getroffen und stürzte zerstört zu Boden. Dies war der Beginn einer Attacke aus dem Wald heraus, die in die Flanke der Sperrstellung griff und sie auf dieser Seite aufrollte. Die meisten Geschütze zeigten in Kramers Richtung, und Blatic war nicht nett genug, ihnen die Zeit zu lassen, ihren Fehler zu korrigieren. „Angriff“, befahl Thomas und setzte seinen Arm Slave in einer der Gassen in Bewegung. *** „Da bist du also“, sagte Clouseau fest und zoomte an den Mistral II heran, der Thomas Kramer als Arm Slave diente. Er war es, er musste es sein. Kein anderer Arm Slave auf diesem Schlachtfeld bewegte sich so flüssig und geradezu geschmeidig, wenn man mal von seinem Gernsback und Sagaras Arbalest absah. Man merkte dem Piloten die vielen Jahre im Cockpit an, man spürte, wie gut er die Vor- und Nachteile der schweren französischen Maschine austarierte. Es war eine Schande, auf diesen hervorragenden Piloten zu verzichten. Mittlerweile hatte die Umgehung ihren Zweck erfüllt. Die vierzig Arm Slaves der Befreiungsarmee hatten die Front aufgerollt. Die Überlebenden hatten sich ergeben, und manches Beutestück war den Angreifern unbeschädigt in die Hände gefallen. Und Thomas Kramer kam mit seiner Vorhut immer näher. Schon war er in Schussweite von Clouseaus Gernsback, und nur ein paar hundert Meter weiter würde Sagara einen guten Schuss platzieren können. Vielleicht sollte er das selbst machen. Vielleicht sollte er diese schmutzige Arbeit nicht einem jungen Mann wie Sousuke überlassen. Sicher, der Bursche war diese Art von Krieg gewöhnt, aber war es nicht seine Pflicht? Andererseits hatte er seine Befehle. Und ein Schuss aus seinen Waffen konnte daneben gehen. Ein Schuss, unterstützt vom Lambda Driver hingegen würde Kramer definitiv vernichten. „Feuern Sie wenn bereit, Gun-so Sagara.“ „Es tut mir Leid, aber das kann ich nicht, Chu-i.“ Irgendwie war Clouseau erleichtert, als Sagara das sagte. Und nicht nur er, auch Mao und Weber atmeten erleichtert aus. Mehr amüsiert als wirklich böse fragte der Chu-i: „Verweigern Sie meinen Befehl, Gun-so?“ „Negativ, Sir. Aber aus Craiova nähern sich weitere Arm Slaves. Ich halte sie für Venoms.“ Clouseau erstarrte. Natürlich, der zweite Teil des Befehls. Wenn Einheiten von Amalgam auftraten, hatten diese absolute Priorität. War Sousuke Sagara wirklich so kaltschnäuzig? Hätte er geschossen, wenn die Venom-Einheiten nicht aufgetaucht wären? Es erschrak den Chu-i, als er diese Frage vorbehaltlos mit ja beantwortete. Was war dieser junge Bursche nur für ein Mensch? *** „NICHT FEUERN!“, gellte Blatics Ruf auf. Aber der Befehl kam zu spät. Einer der Savage-Piloten hatte das Feuer auf die Neuankömmlinge eröffnet. Sein Schuss wurde vom Lambda Driver entgegen genommen und verstärkt reflektiert. Nur ein beherzter Sprung zur Seite rettete Pilot und Maschine. Aber für wie lange? „Blatic, Rückzug!“, rief Thomas. „Gegen Lambda Driver können Sie nichts ausrichten!“ „Verstanden, Sir!“ Wütend trieb der Offizier seine Leute an und scheuchte sie zurück in den Wald. Sekunden später gab es nur noch rauchende Trümmer, die darauf hinwiesen, dass es hier einstmals eine Sperrstellung gegeben hatte. Thomas lächelte dünn. Er hatte mehrmals gegen Lambda Driver gekämpft und er hatte dazu gelernt. „Major Kaminsky, Plan A.“ „Jawohl, General.“ Die Panzer rochierten erneut, während die drei Venom-Einheiten selbstherrlich und übertrieben sicher näher kamen. Sie fühlten sich als Herren des Schlachtfeldes. Nun, normalerweise wären sie das auch, der Lambda Driver war eine furchterregende Waffe. Aber gegen jede Waffe gab es eine Verteidigung. Und Thomas kannte ein paar Kniffe, die er den Venom-Einheiten vorzustellen gedachte. „Feuer.“ „Jawohl!“ Hinter ihm bellten die Kanonen der Panzer auf. Die Salven aus Explosivgeschossen beschrieben eine ballistische Flugbahn und stürzten dann auf die Venoms nieder. Wie Thomas erwartet hatte, wurden die Granaten abgefangen, verstärkt und reflektiert. Aber der Lambda Driver konnte nur direkt reflektieren und auf keinen Fall eine ballistische Flugbahn imitieren. Das Ergebnis war, dass die Granaten mit erheblicher Gewalt in der Luft detonierten, aber niemandem Schaden zufügten. Nicht den Venom-Einheiten, was bedauerlich war, aber auch nicht der Befreiungsarmee. „Steiler, Major.“ „Jawohl, Sir.“ Die Salve wurde wiederholt, diesmal mit einem spitzen Vorhaltewinkel. Thomas grinste dünn. Der Lambda Driver war von der Nervenstärke seines Piloten abhängig. Im Klartext hieß das, wer zweifelte, verlor. Die Granaten flogen nun mitten unter die drei Arm Slaves und wurden dort erneut reflektiert. Und genau wie damals in Südchina schoben sich die Arm Slaves ein paar der Granaten gegenseitig zu. Die von den Lambda Drivern verstärkten Geschosse gingen teilweise harmlos in der Luft hoch oder explodierten spektakulär weitab am Boden, aber ein paar landeten nach ihrer Verstärkung im Lambda Driver einer anderen Maschine. „Schnelles Feuer!“ „Jawohl, Sir!“ Die Lösung für dieses Problem war aufteilen. Dann konnten die Lambda Driver einander nicht mehr gefährlich werden. Aber zu dieser Erkenntnis konnte Thomas die drei Piloten nicht kommen lassen. Einer, besser zwei Arm Slaves von Amalgam mussten hier und jetzt ausgeschaltet werden. Dann konnte er direkt bis Budapest durchmarschieren. Die neue Salve schlug ein, eine zweite kam direkt hinterher. Die Panzer schossen nun selbstständig nach ihrer Ladegeschwindigkeit. Unter dem dauerhaften Bombardement mussten die Piloten der Venoms nervös werden. Es musste für sie eine vollkommen neue Situation sein, selbst gefährdet zu sein. Der Lambda Driver hatte sie bisher vor allen existierenden Waffen geschützt, und nun wurden ihre Arm Slaves und ihre Nerven heftig durchgeschüttelt. Wer hier geistig verlor, der verlor auch körperlich. Wenige Sekunden darauf bestätigten sich die Gedanken des Anführers der Befreiungsarmee. Der hinterste Venom explodierte unter der Wucht einer von einem Lambda Driver verstärkten Panzergranate. Über die Funkleitung wurde gejubelt. Sie hatten einen unbesiegbaren Lambda Driver mit konventionellen Waffen besiegt. Wenn sie jetzt über ein paar Kampfjets verfügt hätten, dann wäre der Druck noch einmal erhöht worden. So aber mussten sie darauf hoffen, die anderen beiden Arm Slave-Piloten zu entnerven. Nun konnten sie sich seinetwegen auch trennen. Sie wussten jetzt definitiv, dass sie verwundbar waren, und das war mehr wert als ein Lambda Driver auf seiner Seite. „VORSICHT!“ Thomas sah nur den goldenen Schemen mit wahnwitziger Geschwindigkeit auf sich zuhuschen, es war eigentlich nur ein Reflex auf seiner Netzhaut, nicht unbedingt ein wirkliches sehen, aber es markierte einen Schuss aus einem Gewehr eines Venoms. Direkt vor ihm explodierte das Geschoss mit wahnwitziger Gewalt und wirbelte seinen Mistral meterweit durch die Luft. Von dem Savage, der sich schützend vor ihn geworfen hatte, der die volle Gewalt des Angriffs abgefangen hatte, waren nur noch die beiden Füße übrig geblieben. Verdammt, sie hatten ihn als Anführer identifiziert und würden nicht eher ruhen, bis er tot war. Und das konnte nicht mehr lange dauern. Wenigstens bewies es, dass die Venom-Piloten Nerven zeigten und sich wahrscheinlich bald vom Schlachtfeld zurückzogen, sobald sie ihren Pyrrhus-Sieg erzielt und ihn getötet hatten. „Weiter feuern!“, blaffte er in das aufgeregte Stimmengewirr. „Um jeden Preis weiter feuern, Major Kaminsky!“ „General, ziehen Sie sich zurück! Wir…“ „Negativ! Blatic, Sie übernehmen das Kommando! Sie nehmen heute Craiova und morgen Budapest ein, haben Sie das verstanden?“ „General, wir decken Ihren Rückzug! Wir…“ „Bestätigen Sie den Befehl“, sagte Thomas ernst. Der gleiche Venom der ihn eben schon beinahe ausradiert hatte, legte erneut auf ihn an und feuerte. Merkwürdig, wie ruhig man im Angesicht des eigenen Todes war. Jetzt wäre ein eigener Lambda Driver natürlich nett, aber Thomas bezweifelte, dass er ihn in seiner jetzigen Verfassung bedienen konnte. Verdammt, den Mistral hatte es übel erwischt. Und ihm klingelten die Ohren. Als der alles auslöschende Lichtblitz erfolgte, bedauerte er für einen Moment diese riesige Lücke in seiner Planung. Danach vergingen ein paar Sekunden, bevor er begriff, dass er immer noch lebte. Verwirrt öffnete er die Augen, die er Sekundenbruchteile vor seinem Tod zusammen gekniffen hatte. Über seinen gestürzten Mistral II stand ein Arm Slave. Ein ganz besonderer Arm Slave, der einzige Mithril-Arm Slave auf dieser Welt, der den Schuss einer mit Lambda Driver verstärkten Waffe abfangen konnte: Der Arbalest. „Lebst du noch, Thomas?“ „Danke, ja. Was machst du hier, Sousuke?“ „Meinen Job, was sonst? Warte einen Augenblick.“ Der Arbalest sprang aus dem Stand mehrere Dutzend Meter weit auf die beiden Venoms zu. Einer der Arm Slaves wandte sich zur Flucht, der andere feuerte auf Sagara. Das war sein Verhängnis, denn Sagaras Selbstvertrauen und sein Wille waren unerschüttert. Der Lambda Driver des Arbalests reflektierte den Schuss, verstärkte ihn und schleuderte ihn mit einer Gewalt auf den Venom zurück, der nicht nur diese Maschine zertrümmerte, sondern auch den fliehenden Venom zu Boden riss. Die gestürzte Maschine rappelte sich wieder auf und versuchte weiter zu laufen, aber soweit ließ Sousuke es nicht kommen. Er feuerte einen präzisen Schuss und vernichtete auch den dritten Venom. Toll, damit hatten sie das Tagesziel erreicht. Und die Hauptstadt von Rumänien war in Reichweite gerückt. Damit war hoffentlich auch der unsägliche Bürgerkrieg nahezu vorbei. Wer wollte sich dieser Armee noch in den Weg stellen? Wer dem Friedensprozess, der bald beginnen würde? Wenn es ihnen gelang Amalgam daran zu hindern, weitere Venoms ins Land zu schleusen und den Bürgerkrieg erneut anzuheizen, wie sie es hier bei der Verteidigung von Craiova versucht hatten. Mit schleppenden Schritten kam der Arbalest zurück. „Das war der eine Teil meines Auftrags. Tut mir Leid, Thomas. Aber du wirst deine Leute nun verlassen müssen.“ „Warte mal, Sousuke, warte mal, du wirst doch nicht…“ Der Arbalest griff nach dem Kampfdolch und stieß ihn einmal quer durch den Torso des Mistrals. *** „Warten Sie, Sagara, es ist nicht nötig, dass…!“, blaffte Chu-i Clouseau, aber da hatte der Gun-so bereits zugestochen. Zwei weitere kräftige Stiche trennten die Reste des Cockpits vom toten Arm Slave. Der Arbalest richtete sich auf und sah auf die reglose Front der Befreiungsarmee. „Meine Arbeit hier ist getan. Es tut mir Leid, aber wir haben die älteren Rechte an General Kramer gehabt. Tun Sie ihm etwas gutes und lassen Sie seine Leiden nicht unnötig gewesen sein. Erobern Sie die Hauptstadt.“ Das war für Sagara eine ansprechende, schöne Rede, die Clouseau ihm nicht zugetraut hatte. Andererseits fühlte er sich matt und betäubt. Himmel, er hatte geglaubt, Kramer und Sagara wären Freunde gewesen. Aber diese Kaltblütigkeit entsetzte ihn. „Ich bin hier fertig, Urzu eins. Ich bringe das Cockpit mit mir zurück.“ Clouseau musste sich mehrfach räuspern, bevor er spürte, dass seine Stimme wieder da war. „Rückzug.“ Vor den Augen der entsetzten Befreiungsarmee verschwand der Arbalest scheinbar im Nichts. 7. Der Einzug in Craiova am Vortag war schon ein Erlebnis für die junge Gräfin gewesen, aber Bukarest war unglaublich. Für einen Moment mochte man vergessen, dass dieses Land fast zwanzig Jahre blutigen und unnötigen Bürgerkrieg hinter sich hatte, dass hier einst Verzweiflung und Anarchie geherrscht hatte. Die Menschen auf den Straßen jubelten, viele tanzten vor Freude, und überall wurde die alte Nationalflagge geschwenkt. Anica von Friedheim fühlte sich froh, euphorisch – und bereute diese Gefühle gleich wieder. Immerhin war der wichtigste Mann der ganzen Operation gestern gestorben. Sie sprach es nicht aus, aber sie war sich sehr sicher, dass die geheimnisumwitterte Organisation Mithril seinen Tod angeordnet und seine Exekution durchgeführt hatte. Anica hasste sich dafür so zu denken, aber der Tod des Deutschen hatte nicht automatisch den Zusammenbruch der Befreiungsarmee bedeutet. Kramer hatte seine Offiziere gut trainiert und ihnen Selbstvertrauen antrainiert. Goran Blatic war nicht Thomas Kramer, aber er machte einen guten Job als neuer Anführer der Koalitionsarmee. Und dass sie hier gerade in die Hauptstadt einzogen, bewies mehr als alles andere, dass das Ende des Bürgerkriegs in erreichbare Nähe gerückt war. Bis auf das Land östlich der Karpaten war nun alles in der Hand der Befreiungsarmee. Und diese wurde mit jedem Tag stärker. Die Firmen würden sich nicht mehr lange halten können, und besiegt werden konnte diese Armee nicht einmal durch den Einsatz von Arm Slaves mit Lambda Drivern, wie Kramer effektvoll bewiesen hatte. Anica von Friedheim unterdrückte einen tiefen Seufzer und zwang sich dazu, weiterzulächeln und weiterzuwinken. So wie Thomas Kramer die Seele des bewaffneten Konflikts gegen den Bürgerkrieg geworden war, so war sie selbst, die junge, energische Frau, zum Symbol für den Frieden und den Neuanfang geworden. Und sobald das nördliche Gebiet ebenfalls in ihrer Hand war, sobald alle Kämpfe beendet waren, würde der harte und steinige Wiederaufbau beginnen. Ohne Thomas, der niemals erfahren würde, was er wirklich geleistet, wirklich erreicht hatte. Sie spürte eine einsame Träne ihre linke Wange herab rinnen, aber sie machte keine Anstalten, sie fort zu wischen. Das Leben war manchmal so ungerecht. Aber für diese Menschen, für das Lachen, für ihre Freude und ihre Zukunft, war es da nicht wert gewesen zu sterben? Sie hasste sich dafür, dass sie ernsthaft daran dachte, das Leben des Deutschen gegen diesen Moment einzutauschen. *** „Gut. Du bist wach“, stellte eine bekannte Männerstimme fest. Thomas Kramer öffnete die Augen. „Schrei nicht so. Ich habe Kopfschmerzen, Sousuke.“ „Die hast du ja wohl auch verdient! Wer legt sich schon mit drei Venoms an? Und dann hast du auch noch die Frechheit einen zu vernichten.“ Ungläubig schüttelte Sagara den Kopf, und fast schien es als husche ein Lächeln über sein Gesicht. Aber nur fast. „Übrigens ist da jemand, der dich sehen will.“ Sagara erhob sich und öffnete die Tür zum Krankenrevier. „Er ist jetzt wach. Sie können jetzt reingehen.“ Thomas hatte ein paar freundlichere Gesichter erwartet, nicht unbedingt Sho-sa Kalinin und Chu-sa Mardukas, aber angesichts der Situation in der er steckte konnte er nichts anderes erwarten. „Wie fühlen Sie sich, Major Kramer?“ „Gut, gut, wenngleich mir der Schädel brummt.“ „Das kommt von der Gehirnerschütterung. Sie hatten zeitweilig recht hohes Fieber. Aber eigentlich sollten Sie das mittlerweile gewöhnt sein. Die wievielte Gehirnerschütterung in diesem Jahr ist es schon?“ „Die dritte oder vierte“, sagte Thomas matt. „Und ich dachte immer, einen Hohlraum kann man nicht erschüttern.“ „Bitte keine faulen Witze, Major Kramer“, mahnte Mardukas. „Stattdessen habe ich einige erfreuliche Nachrichten für Sie. Bukarest wurde heute unter Leitung von General Blatic friedlich eingenommen. Die Gräfin von Friedheim hat sofort kommissarisch die Regierungsgeschäfte übernommen und den Bürgerkrieg für beendet erklärt. Es gibt noch Unruhen im Norden des Landes, aber Rumänien ist nun auf einem guten Weg. Vor allem da es scheint, dass alle Amalgam-Einheiten mit Lambda Driver zerstört werden konnten. Das war gute Arbeit, Major Kramer.“ „Das war ich nicht. Das war Sousuke. Wäre er nicht in der Nähe gewesen, dann…“ „Bullshit. Kramer, Sie haben gerade Ihren zweiten Lambda Driver vernichtet, ohne selbst über einen verfügt zu haben. Sie wissen schon, dass das ein Wunder ist?“ Kalinin sah ihn ernst an. „Gut, gut“, wandte Thomas ein, „leicht war es nicht.“ Auf dem Gang erklang prustendes Gelächter. „Nicht leicht, sagt er…“ „Alleine dafür sollte man Ihnen einen Orden verleihen. Aber bevor wir Ihnen die Brust zukleistern, beginnen Sie bitte mit Ihrem Bericht, Major Kramer.“ In einer übertrieben strengen Geste schob Mardukas seine Brille die Nase hinauf und sah den Deutschen erwartungsvoll an. „Moment, Moment, kann mir mal einer erklären, was hier überhaupt los ist?“, klang die Stimme von Melissa Mao auf. Sie stand in der Tür und sah mehr verärgert als verwundert auf Thomas herab. „Das alles klingt nicht gerade so als würdest du vor dem Erschießungskommando stehen, alter Junge.“ „THOMAS!“ Der Deutsche ahnte mehr als dass er sah, was da als blitzender Schemen auf ihn zugestürzt kam. Natürlich Kim Sanders. „Thomas, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.“ „Kim? Wer hat dich denn auf die DANNAN gelassen.“ „Das war ich. Ich dachte du freust dich, wenn du den Einsatz überlebst“, meldete sich Theresa zu Wort. Neben ihr kam Kaname herein. „Ich verstehe nur Bahnhof“, murrte Melissa. „Was war also wirklich los?“ Sagara räusperte sich verlegen. Nun, sein Auftritt hätte besser gewirkt, wenn er nicht von Weber und Clouseau in den Lazaretttrakt geschoben worden wäre. „Das unterliegt eigentlich der Geheimhaltung.“ „Es ist in Ordnung, Gun-so. Betrachten Sie den Einsatz als beendet. Sie können frei sprechen.“ „Danke, Chu-sa Mardukas. Ich…“ „Vielleicht sollte ich besser anfangen“, sagte Theresa ernst. Aber die Miene wich bald einem Lächeln. „Dich bringt nichts um, oder, Thomas?“ „Habe noch nichts gefunden“, erwiderte der Deutsche lächelnd. „Thomas, ich habe solche Angst um dich gehabt.“ „Nun, nun, reiß dich ein wenig zusammen, Kim. Ich lebe ja noch.“ Die junge Frau sah in aus tränenverschleierten Augen an. „Aber du könntest jetzt tot sein. Es hat nicht viel gefehlt, und nur weil Sousuke so schnell reagiert hat, kannst du jetzt in einem Bett liegen statt zwei Meter tief in der Erde.“ „Ich verstehe Ihre Erleichtung, Miss Sanders, aber die Anwesenden warten auf den Bericht von Agent Lukas.“ „Agent Lukas? Wer ist das?“ „Das bin ich. Und das ist der Auftakt für eine längere Geschichte.“ *** Nachdenklich nippte Kaname Chidori an ihrem Tee. „Also, wenn ich euch richtig verstanden habe, dann gibt es an Bord der FEANOR einen oder mehrere Amalgam-Agenten. Einen konntet ihr umdrehen und dafür hat der Geheimdienst ein riskantes Manöver ausgearbeitet, bei dem Thomas die Hauptrolle gespielt hat. Seine vermeintliche Degradierung, seine vorgetäuschte Entlassung, das provozierte Zusammentreffen mit Amalgam… Du riskierst gerne deinen Hals, was?“ Abwehrend hob Thomas die Hände. Das ging ganz gut, seit Kim ihn nicht mehr umklammerte wie eine Ertrinkende und artig neben seinem Bett auf einem Stuhl Platz genommen hatte. „Befehl ist Befehl, Kaname-chan.“ „Das kenne ich irgendwoher“, brummte sie als Antwort und schielte zu Sagara, der unter diesem Blick heftig zusammenzuckte. „Dein Auftrag war also, die Agenten an Bord der FEANOR ausfindig zu machen.“ „Das war ein Aspekt des Auftrags, ja. Deshalb wissen außer mir nur zwei Leute an Bord der FEANOR über meine Mission Bescheid. Aber ein ebenso wichtiger Bestandteil der Mission war es auch, den Bürgerkrieg in Rumänien zu beenden.“ Mardukas räusperte sich vernehmlich. „Ein erwünschter Nebeneffekt. Hauptziel der Aktion war es allerdings, die Venoms von Amalgam hervor zu locken und ihre Vernichtung zu ermöglichen. Agenten vor Ort haben bereits ihre Trümmer eingesammelt. Unsere Labors werden sie eingehend analysieren. Und natürlich ist da noch Wichtigste.“ Kalinin schmunzelte. „Die Basis von Amalgam in Rumänien. Meine Leute konnten sie finden. Major Kramer hat sie nervös gemacht, also haben sie Fehler begangen. Die Einsatzorder ist schon ergangen. Wir werden sie in zwei Tagen angreifen und dem Erdboden gleich machen. Das wird der dritte erfolgreiche Schlag gegen Amalgam, seit die FEANOR in Dienst gestellt wurde. Und hoffentlich treffen wir sie hart. Im Idealfall bricht der ganze Bürgerkrieg in der Region in sich zusammen.“ Mardukas erhob sich. „Ich denke, wir haben alles erfahren, was wir wissen wollten. Major Kramer, wir überlassen Sie nun sich selbst und Ihren Kopfschmerzen. Beeilen Sie sich mit dem gesund werden, wenn Sie beim Angriff dabei sein wollen.“ Kalinin und Mardukas nickten dem Deutschen noch einmal zu und verließen dann das Lazarett. „So sieht das also aus“, brummte Melissa und grinste auf Thomas herab. „Uns solche Sorgen zu machen. Du bist mir ja einer. Das schreit doch geradezu nach einer Strafe.“ Sagara sprang ebenfalls auf. „I-ich glaube, ich habe noch was an meinem Arm Slave zu erledigen.“ „Und ich sollte mal wieder mein Gewehr reinigen“, sagte Kurtz Weber hastig. „Ich muss noch einen Bericht nachreichen“, sagte Clouseau und schloss sich dem Deutschen und dem Japaner auf dem Weg hinaus an. „Tessa, mach bitte die Tür zu“, sagte Melissa mit einem gemeinen Grinsen. „Hab bitte Respekt vor einem todkranken Mann“, wehrte Thomas ab. „Todkrank? Das waren wir auch, aber vor Sorge. Nicht, Kim?“ „Oh ja, das waren wir.“ Mit einem gefährlichen Lächeln erhob sich die junge Frau. Auf dem Gang sahen sich drei Männer betroffen an, als erst ein unmenschlicher Schrei erklang, und danach das überforderte, japsende Lachen eines Atem schöpfenden Mannes. „Maos Kitzelfolter.“ Sagara schüttelte sich. „Die steht auf der schwarzen Liste von Amnesty International.“ „Ist die wirklich so schlimm?“, fragte Kurtz. „Ich meine, es ist nur kitzeln und…“ Clouseau sah seinen Untergebenen ernst an. „Glauben Sie mir, Weber, es ist so schlimm.“ Wieder erklang das atemlose Lachen und erstarb. „Ich glaube, jetzt legt sie erst richtig los“, hauchte Sousuke düster. *** Es war für die Crew der FEANOR mehr als überraschend gekommen, als der Befehl zum sofortigen Auslaufen aus dem Styx-Hafen gekommen war. Die Kontrolle der Computersysteme war ersatzlos gestrichen worden und das Unterseeboot der Dannan-Klasse war in Höchstfahrt ins Schwarze Meer eingelaufen. Dies hatte die Gerüchte unter den Besatzungsmitgliedern geradezu rotieren lassen, und nicht wenige wollten wissen, dass Thomas Kramer, der ehemalige Anführer der Falken, tot war. Fünfzig Kilometer vor der rumänischen Küste, auf Höhe der Donau-Mündung, hatte sie dann die DANNAN erwartet. Die Einheitsführer der DANNAN sowie die Arm Slave-Piloten waren daraufhin von den Transporthubschraubern der Wanderfalken auf die DANNAN gebracht worden, um ein gemeinsames Meeting abzuhalten. Dies war nicht die erste gemeinsame Aktion, und sicher würden noch viele weitere folgen. Aber dies war das erste Mal, dass die Besatzung der DANNAN gegenüber den Kameraden von der FEANOR so ausgesprochen wortkarg waren. Als Tai-sa Testarossa und Kapitän Sander eintraten, sprangen die Soldaten im hoffnungslos überfüllten Raum auf und salutierten. „Bitte rühren Sie“, sagte die Tai-sa. „Sie werden sich sicherlich wundern, warum wir das Treffen für den bevorstehenden Einsatz auf der TUATHA DE DANNAN abhalten. Ich werde Sie darüber informieren, warum dies geschieht. Die FEANOR hat Doppelagenten von Amalgam an Bord. Um die Operation nicht zu gefährden, finden alle Taktikbesprechungen ausschließlich auf meinem Schiff statt. Wir hoffen, dass wir die Doppelagenten vor dem Einsatz eliminieren können. Sicher sind wir uns da nicht. Aber kommen wir zum Einsatz. Kapitän Sander.“ Der große Deutsche nickte Testarossa zu und sah in die Runde. „Dies ist die Lage. Wie wir vermutet haben unterhält Amalgam in Rumänien eine große Basis, mit der die Organisation den Bürgerkrieg in diesem Land und anderen Ländern manipuliert, um den Kampf am laufen zu halten. Der Kampf der Befreiungsarmee aber hat Amalgam aus der Reserve gelockt. Anstatt das Geschehen im Hintergrund zu manipulieren hat sie drei Arm Slaves vom Typ Venom ausgesandt. Alle drei wurden trotz Lambda Driver vernichtet. Unsere Agenten in Rumänien konnten den Weg der drei Venom-Einheiten zurückverfolgen und haben dabei die Basis identifiziert. Auch andere Quellen, unter anderem die Daten, welche die FEANOR neulich in Rumänien sicher gestellt hat, sprechen von dieser Region, sodass wir sicher sein können, es hier mit dem Hauptquartier Amalgams in Rumänien zu tun zu haben. Sie können sich sicherlich denken, was wir jetzt von Ihnen erwarten. Vernichten Sie die Basis von Amalgam und erlauben Sie damit Rumänien, den Bürgerkrieg endlich hinter sich zu lassen. Nebenbei versetzen Sie Amalgam einen der schwersten Schläge der letzten Zeit.“ Sander ließ seinen Blick schweifen und schien jeden einzelnen persönlich ins Auge zu fassen. „Diese Informationen sind klassifiziert und dürfen außerhalb der Wände dieses Schiffes nicht ausgesprochen werden, nicht einmal gedacht. Alles weitere wird Ihnen der Anführer der gemeinsamen Operation von TUATHA DE DANNAN und FEANOR erklären. Bitte beachten Sie dabei, dass Major sein tatsächlicher Rang ist und er nicht ehrenhalber temporär befördert wurde, wie es die Tradition bei einem Captain der Bodentruppen an Bord eines Schiffes verlangt. Bitte Chu-sa Mardukas.“ Der asketische Erste Offizier nickte und öffnete die Tür. Als der große, breitschultrige Mann eintrat, klappten den meisten Besatzungsmitgliedern der FEANOR die Kinnladen nach unten, während die DANNAN-Leute einander amüsierte Blicke zuwarfen. Die Überraschung war ihnen vollkommen gelungen. Thomas Kramer trat ein, stellte sich vor die Einheit und lächelte in die Runde. „Mit sofortiger Wirkung übernehme ich das Kommando über diesen Einsatz und speziell über die Arm Slave-Abteilung der FEANOR. Ist das in Ordnung für dich, Sam?“ Weiter kam er nicht, denn die Arm Slave-Pilotin war aufgesprungen und ihm um den Hals gefallen. „THOMAS!“ Auch die anderen Kameraden von der FEANOR hielt es nicht mehr auf den Plätzen. Sie waren vielleicht nicht alle so energisch wie Lieutenant Rogers, aber der Major musste so manchen gut gemeinten Knuff einstecken. „Wie ist das möglich? Was ist hier passiert?“, fragte Sam unter Tränen. „Es war ein geheimer Einsatz, der mir von der Admiralität vorgeschlagen wurde. Ich sollte die Doppelagenten aus der Deckung locken, die Befreiungsarmee Rumänien gründen und Amalgam in Rumänien vernichten.“ „Was? Nicht auch noch die Welt retten?“, scherzte Colonel Santos und klopfte dem Deutschen hart aber herzlich auf die Schulter. „Laut meinem Vertrag muss ich pro Monat nur ein unmögliches Wunder vollbringen“, scherzte Thomas. „Nun ist aber gut, Leute. Entschuldigt, dass ich euch so übel mitspielen musste. Entschuldige, dass ich nicht mal meinem Stellvertreter etwas sagen durfte. Aber wir haben zwei von drei Zielen erreicht. Und ich verspreche, dass ich so schnell nicht wieder zu so einer Mission aufbrechen werde.“ „Versprochen?“ „Versprochen, Sam. Und nun lass mich los, Timothy wird ja schon eifersüchtig.“ „G-gar nicht wahr!“ „Wieso nicht?“ Diese Antwort verwirrte den Kampfhubschrauberpilot. „Äh.“ „Setzt euch bitte alle. Ich will den Angriff erklären.“ Nach ein paar weiteren Minuten Tumult, der von den Leuten der DANNAN lächelnd hingenommen worden war, hatten die Offiziere der FEANOR ihre Plätze wieder eingenommen. „Unser Ziel liegt in den Nordkarpaten. Genauer gesagt auf den Nordkarpaten. Es heißt Burg Tauenstein und ist auf den ersten Blick ein verlassenes altes Gemäuer, in dem man jederzeit einen Vampirfilm drehen könnte. Aber das ist nur Fassade.“ Hinter Thomas erwachte die Leinwand zum Leben und zeigte eine Burg mit Hauptgebäude, hoher Außenmauer und Wachttürmen. Es war eine Satellitenaufnahme, die nahe auf den Boden zoomte. Auf den ersten Blick war nichts zu sehen, aber als der Zoom weiter hinab ging, erkannte man Soldaten in Tarnbekleidung, die auf dem Gelände patrouillierten. „Die Burg ist eigentlich nicht mehr als eine Ablenkung. Das alte Hauptgebäude wird zwar genutzt, als Stabsgebäude und Unterkunft, aber unser Hauptziel liegt unter der Burg, mitten im Berg. Es handelt sich dabei um eine ehemalige Sowjetfestung, die während des Bürgerkriegs aufgegeben wurde. Amalgam hat sie sich angeeignet und rüstet dort Arm Slaves aus. Von hier koordiniert Amalgam den Bürgerkrieg in Rumänien, vielleicht sogar in allen osteuropäische Staaten.“ Thomas Kramer machte eine viel sagende Pause. „Und das beenden wir. Wir radieren diese Basis aus. Chu-i Clouseau, Lieutenant Rogers, die beiden Arm Slave-Einheiten werden zusammen gefasst. Wir werden über der Burg abgeworfen. Während des Anflugs und kurz danach müssen alle Verteidigungsstellungen ausgeschaltet werden.“ Die Karte zoomte neuralgische Punkte in der Burg und vor der Mauer heran. „Wie Sie sehen, hat Schloss Tauenstein eine sehr gute Verteidigung aus Minenfeldern und automatischen Abwehrstellungen, wie sie uns noch von der südchinesischen her Festung bekannt sind. Auch die Luftabwehr ist sehr gut, wir vermuten Raketenstellungen, die mit dem Seeker ausgerüstet sind, jenem Raketentyp, der die Partikeltarnung entdeckt und das Ziel zerstört. Dennoch ist das eindringen über den Luftraum, genauer gesagt direkt über der Burg die einzige große Schwäche in der Verteidigung, denn die meisten Abwehrmaßnahmen zeigen aus der Burg raus. Wir vermuten sechs bis acht Raketenwerfer, die mit Seeker ausgerüstet sind. Sie haben maximal vier Schuss. Meine Frage ist, schaffen wir es sie abzuschießen, bevor wir getroffen werden?“ „Natürlich schaffen wir das“, sagte Sagara trocken, und die anderen Arm Slave-Piloten stimmten zu. „Ich würde den Angriff gerne von einem Luftschlag unserer Super Harrier begleiten lassen, aber wir werden die Flieger während der Aktion als Observation und als Reserve brauchen. Wenn jemand Amalgam zu Hilfe eilt, können die schnellen und wendigen Jets am besten reagieren. Also führen die Arm Slaves diesen Erstschlag aus. Der Überraschungsmoment muss auf unserer Seite sein. Sobald wir die Oberflächenverteidigung ausgeschaltet haben, kommen unsere Kampfhubschrauber und die Transporter nach. Ziel ist es, in den Hangar unter dem Schloss einzudringen, den Gegner niederzukämpfen und soviel Material und so viele Gefangene wie möglich zu machen. Anschließend vernichten wir den Hangar. Fragen dazu? Ja, Tim?“ „Thomas, warum hast du wieder die coolste Aufgabe für dich ausgesucht?“ „Dumme Frage. So bin ich halt. Noch jemand?“ „Mit wie viel Widerstand rechnen wir?“ „Nun, Major Karasov, die letzte Versorgungslieferung für das Schloss lässt auf gut zweihundert Esser schließen. Rechnen Sie sich den Rest aus. Einfach wird es jedenfalls nicht.“ „Danke für die Warnung.“ „Gern geschehen. Weitere Fragen?“ „Was machen wir, wenn Amalgam noch einen Venom hat, der den Lambda Driver aktiviert?“ „Hm. Sousuke?“ „Lassen Sie das meine Sorge sein. Ich kümmere mich darum.“ „Das beantwortet meine Frage.“ „Gut. Noch jemand? Nein? Dann kann es ja losgehen. Aktionsbeginn ist in einer Stunde ab jetzt.“ 8. Gerüchte waren so eine Sache. Sie verbreiteten sich angeblich mit Lichtgeschwindigkeit, und auf einem Unterseeboot war es noch schlimmer. Dort schienen sie warpen zu können. Die Folge war, dass selbst die kleinste Andeutung, die von den Offizieren fallen gelassen wurde, die bei der Besprechung auf der DANNAN gewesen waren, dreimal im Schiff durch war, bevor sie richtig ausgesprochen hatten. Aber der Gerüchte bedurfte es eigentlich nicht, denn die Tatsache, dass Thomas Kramer nicht nur wieder an Bord kam, sondern auch neue Abzeichen am Kragen trug, war Sensation genug. Und während die einen den frisch beförderten Arm Slave-Piloten feierten, zogen sich andere möglichst weit zurück, um diese außergewöhnliche Entwicklung weiter zu melden. Tatsächlich hatte ein weiblicher Sanitätsmatrose nach dieser erstaunlichen Enthüllung nichts besseres zu tun, als im Lager intensiv Inventur zu halten. Nun, dass die Inventur auch die Inspektion eines geheimen Anschluss an das Funknetz der FEANOR sowie das absetzen einer Warnung beinhaltete, war ein interessanter Aspekt dabei. Die Nachricht war schnell formuliert und würde ohne weiteres im normalen Funkverkehr mit der DANNAN versteckt werden können. Die Horchposten an der Küste würden die verschlüsselte Nachricht innerhalb des chiffrierten Funkverkehrs entdecken, aufnehmen und entsprechend deuten können. Sie würde ihren Job tun und wieder etwas reicher werden. „An Ihrer Stelle würde ich das nicht tun, Sailor“, klang eine kräftige Männerstimme auf. Die Frau wandte sich um und sah direkt in die Dienstpistole des Rudergängers Tarkan Adebi. „Heben Sie die Hände hoch, wo ich sie sehen kann. Dann stellen Sie sich an die Wand. Wenn Sie kooperieren, wird Ihnen nichts geschehen.“ Die rechte Hand der Frau zuckte vor, aber Adebi ließ sich davon nicht überraschen. Eine Kugel zerstörte den illegalen Zugang. „Letzte Warnung.“ Das gab den Ausschlag. Gehorsam stellte sich die Frau mit erhobenen Händen an die Wand. „Adebi hier. Ich habe meinen eingesackt. Wie sieht es bei Ihnen aus, Captain?“ „Wir haben die anderen beiden. Die Streife ist auf dem Weg. Hoffentlich haben wir damit alle.“ „Es sind zwei mehr als mir bekannt waren. Also kann es das gewesen sein.“ „Hoffentlich.“ Adebi deaktivierte seinen Funk wieder. „Sie haben uns also verraten? Warum?“, fragte die Gefangene mit bitterem Unterton. „Wegen meinem Glauben. Ich glaube einfach nicht, dass Amalgam es wert ist für sie zu sterben.“ Nachdrücklich legte er der Frau Handschellen an. *** Die Terwaz- und Wanderfalken-Einheiten brachten die Arm Slaves an Land. Auf einem provisorischen Flughafen wurden sie auf Transportflugzeuge verladen. Diese würden in sechzehn Kilometern Höhe das Zielobjekt passieren und dabei die Arm Slaves abwerfen. Jeder einzelne Pilot war ein Könner auf seinem Gebiet, und es konnte erwartet werden, dass, wenn er schon nicht innerhalb der Schlossmauern landete, so doch die Aktion von außen unterstützte. Um möglichst schnell entladen zu können, würden die Arm Slaves über die Schienen ausgeworfen werden. Geschwindigkeit war Trumpf, um das kleine Zeitfenster zu treffen, in der ein direkter Sprung in den Innenhof möglich war. Oder zumindest die Chance, mit Hilfe des Gleitschirms in den Schlossbereich zu steuern. Als das rote Warnsignal erklang, spannte sich Thomas an. Er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, mit Kopfschmerzen, Brüchen und dergleichen zu kämpfen, aber darauf achtete er nicht wirklich. Im Gegenteil, es erfüllte ihn mit großer Euphorie, dass das Versteckspiel endlich vorbei war. Und dass er für diese Aktion sowohl seine Falken als auch die Urzu-Einheiten befehligen durfte. Dabei spielte natürlich sein neuer Rang als Major eine wichtige Rolle, den er als Belohnung für die Geheimaktion erhalten hatte. Und auch das war endlich vorbei. Er irritierte seine Kameraden nicht mehr, hatte seinen Job wieder und nebenbei ein ganzes Land gerettet. Die Idee, ausgerechnet in Rumänien den Hebel anzusetzen, der vielleicht die gesamte Bürgerkriegszone befrieden konnte, hatte ihm von Anfang an gefallen. Aber es war nicht seine Idee gewesen. Von Anfang an hatte eine Geheimloge von Exil-Rumänen existiert, die in jahrelanger Vorbereitung die Wiederherstellung des Friedens in ihrem Land betrieben hatte. Er war für dieses Projekt nur der Vorzeigeoffizier gewesen, und da die Chance bestanden hatte, Amalgam auf die Füße zu treten, hatte sich ein riskantes Projekt entwickelt, in der beide Seiten profitieren würden. Mit der Gräfin als Galeonsfigur war es gelungen, mehr und mehr eigentlich feindselige Truppen unter einem Banner zu vereinen, ein Jahrzehnt der Vorbereitung war dank dem Charme und dem Eifer der jungen Deutschen erfolgreich abgeschlossen worden. Das Ergebnis war die Eroberung eines ganzen Landes gewesen, dass nun wirklich, wirklich die Chance hatte, dem Menschenverachtenden Moloch Bürgerkrieg zu entkommen. Wenn er mit den Falken und den Urzus hier nicht patzte. Grün flammte auf, eine Sirene schnarrte ihre Warnung hinaus und sein Falke eins wurde als erster hinaus geschossen. Die anderen folgten in schnellem Rhythmus. Sie würden mehr als fünfzehn Kilometer fallen, bevor die Fallschirme geöffnet wurden. Aber bis dahin hatten die Raketenabwehrstellungen vielleicht schon die Partikeltarnung geortet und angegriffen. Da es egal war, ob ihre Partikeltarnung geortet würde oder man die elf Arm Slaves optisch erfasste, aktivierten die Mithril-Piloten ihre Tarnung sofort. Ein Arm Slave nach dem anderen verschwand im Nichts. „Bleibt wachsam“, mahnte Thomas seine Leute. Die ersten zehn Kilometer geschah nichts, aber dann meldeten die Künstlichen Intelligenzen Raketenabschüsse. „Boogies, kommen schnell näher, acht Stück“, klang Sagaras routinierte Stimme auf. „Entfernung sechs Kilometer. Fünf Komma acht. Fünf Komma sechs.“ „Weber, Ben Brahim.“ „Verstanden!“ Die beiden Scharfschützen nahmen Ziel auf, als Sousuke mit seiner Zählung unter einem Kilometer angekommen war. Beide Schützen schossen, wechselten sofort die Ziele und schossen erneut. Weber war dabei ein klein wenig schneller mit seinen vier Raketen fertig. „Neue Salve, erneut acht Boogies, kommen schnell näher. Entfernung vier Kilometer. Drei Komma acht. Drei Komma sechs.“ „Feuer frei nach eigenem Ermessen.“ Auch diese Salve wurde erfolgreich abgefangen. Aber Thomas konnte sich vorstellen, was nun dort unten los sein musste. Multiple getarnte Ziele, im Anflug auf die Burg, zudem außer Reichweite der meisten Abwehrstellungen, musste die Amalgam-Söldner aufscheuchen wie ein Fuchs einen Hühnerhof. Endlich öffnete sich Kramers Fallschirm. Es gab einen kräftigen Ruck, und schon befand er sich im Gleitflug. Thomas zog seine eigene Waffe, visierte die Hitzequellen an, die als Abschussstellen der Raketen markiert waren und gab eine lange Salve ab. Diese Stellung würde jedenfalls nicht mehr auf ein mit Partikeltarnung geschütztes Ziel feuern. Nun schlug ihnen konventionelles Feuer entgegen, aber es glich eher dem Tasten eines Blinden im Dunkeln. Die Fallschirme konnten nicht von der Tarnung erfasst werden, aber in der Finsternis waren sie auch nicht mit bloßem Auge zu erkennen. Dementsprechend gab es auch nur ein paar läppische Glückstreffer. Als Thomas seinen Schirm abwarf und die letzten fünf Meter zu Boden stürzte war das Schicksal des Amalgam-Stützpunkts besiegelt. „Zuerst der Innenhof. Danach die Außenstellungen“, befahl er und schoss auf eine MG-Stellung, die in den Innenhof der Burg hielt, ohne etwas zu treffen. „Roger!“ Vier seiner Falken erklommen die Burgmauer, unterstützt von Urzu sechs. Explosionsgeräusche zeugten von ihrer Effektivität. Aus dem Wohngebäude stiegen Stinger-Raketen auf und fuhren harmlos und ohne Ziel durch die Luft, aber Chu-i Clouseau beantwortete den Angriff dennoch mit einer Salve. Es brauchte nur einen glücklichen Treffer, um einen Urzu oder einen Falken ernsthaft zu behindern oder sogar auszuschalten. „Draußen ist sauber, Boss“, meldete Falke fünf. „Wanderfalken, Terwaz-Einheit. Gelände ist sauber. Ihr könnt reinkommen. Falken, Urzu-Einheit, achtet auf verborgene Stellungen, die auf unsere Hubschrauber schießen. Ich will niemanden wegen einer Nachlässigkeit verlieren.“ „Roger!“ *** Das war es also. Mr. Conrad betrachtete sein Büro innerhalb des Hangars unter Burg Tauenstein. Er hatte schon viele solche Büros in den verschiedensten Anlagen gehabt, aber ihm war nie bewusst gewesen, dass dieses sein letztes sein würde. Nun würde also geschehen, was er bisher für unmöglich gehalten hatte. Er würde dem Gegner in die Hände fallen. Mit einer fahrigen Geste wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte es gewusst. Er hatte es verdammt noch mal gewusst. Und dieser elende Kramer mit seine Schmierenkomödie war Schuld daran gewesen. Pah, Tomahawk-Raketen mit Hilfe eines gehackten Befehlscode abfeuern, das war doch ein Ding der Unmöglichkeit! Eine Provokation war es gewesen, und für Kramer die Möglichkeit, wieder unterzutauchen. Conrad zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass der First Lieutenant noch lebte und sogar bei den angreifenden Arm Slaves war, sie vielleicht sogar anführte. Kurz ging sein Blick auf die schussbereite Pistole auf seinem Schreibtisch. Dann schob er sowohl die Waffe als auch den Gedanken weit weg. Er war nützlich. Ein Wissender. Mithril würde sowohl sein Leben als auch sein Wissen hoch einschätzen, ihn am Leben lassen und wahrscheinlich sehr gut behandeln, um ihn bei Laune zu halten. Und am Leben zu bleiben war jetzt seine einzige Priorität. Draußen auf dem Gang kam das Geräusch der Schusswaffen immer näher. Es würde nicht mehr lange dauern, und sie würden hier sein. Mr. Conrad straffte sich. Es wurde Zeit, die Karten richtig auszuspielen. Also zog er die Pistole wieder zu sich heran, entlud sie und legte Magazin und leere Waffe gut sichtbar auf den Schreibtisch. Zudem legte er beide Hände auf den Schreibtisch. Er würde den Mithril-Infanteristen keine Ausrede in die Hand geben, um ihn zu erschießen. „Es ist sehr schade, dass Sie sich dagegen entschieden haben, den Freitod zu wählen. Das hätte es mir erspart, selbst für Ihr Ende zu sorgen.“ Irritiert sah Mr. Conrad auf. Diese Stimme… Das war doch… „Leonardo, was…“ „Dies ist nur eine Bandaufzeichnung. Ich bin nicht wirklich hier, denn im Gegensatz zu Ihnen begebe ich mich nicht in aussichtslose Situationen. Aber ab und an muss ich hinter anderen her räumen. Nehmen Sie das was jetzt kommt nicht persönlich, Mr. Conrad.“ „Warten Sie! Leonardo, das ist doch nicht Ihr Ernst! Sie können doch nicht…“ Ein Flimmern an der Wand ließ den dicken Mann erschrocken herum fahren. Das Flimmern wurde stärker, und plötzlich stand dort… Was? Ein Mann in einer Gefechtsrüstung? Ein Arm Slave? Aber so klein?“ „Sie müssen den Befehl nicht ausführen!“, sagte Conrad hastig. „Sie können…“ Weiter kam er nicht. Erbarmungslos schloss sich die Rechte des Fremden um seinen Hals. So passierte es also. Es tat weh. Und es war ungerecht. Dieser verdammte Kramer. Und dieser verfluchte Leonardo. Mit seinem letzten Gedanken wünschte er beiden die Pest an den Hals. Dann starb er. Als Sekunden darauf die Infanterie das Büro stürmte, fanden sie nur noch einen zu tode gewürgten Mann vor. „SANITÄTER!“ Thomas Kramer trat ein paar Minuten später ein, als ersichtlich wurde, dass jede Hilfe für den Mann zu spät kam. „Die Kehle wurde ihm eingedrückt. Von einer sehr starken mechanischen Kraft“, sagte der Sanitäter. „Er hatte keine Chance.“ „Es ist gut. Präparieren Sie die Leiche und bringen Sie sie dann zu den anderen.“ Er sah dem Toten in die leblosen Augen. „Sie sind ein Arschloch. Sie entziehen sich meiner Chance, einmal Ihnen überlegen zu sein, mein Guter.“ Thomas weinte dem Mann keine Träne nach, bestimmt nicht einem Mann, der direkt und nachhaltig für das Elend in den Flüchtlingslagern mit verantwortlich war. Aber es enttäuschte ihn bitter, dass er sich für die rüde Behandlung in Kumanovs alter Villa nicht hatte revanchieren können. „Suchen Sie den Täter. Weit kann er noch nicht gekommen sein.“ „Jawohl, Sir.“ 9. Ein wenig schreckte Anica von Friedheim zurück, als sie den fremden jungen Mann ihr Büro betreten sah. Die einfache, grüne Felduniform hätte aus so ziemlich jeder Armee dieser Welt stammen können, aber eine innere Stimme gab ihr ein, dass dieser Mann von Mithril war. Und Mithril war bis vor kurzem ihr Verbündeter gewesen und es vielleicht immer noch. „Was kann ich für Sie tun, Sir?“, fragte sie geschäftsmäßig und wieder auf die Dokumente auf ihrem Schreibtisch. „Ich bitte Sie, gleich auf den Punkt zu kommen. Ich habe hier ein Land wieder aufzubauen.“ „Wie lange es dauert wird ganz bei Ihnen liegen, Gräfin“, antwortete der junge Mann, und ein eisiger Schauer ging ihr über den Rücken. Diese Stimme… Ja, dieser Mann hatte Thomas getötet. Konnte, durfte sie ihm dafür gram sein? Er hatte seine Pflicht getan, oder? Und Blatic hatte die Lücke danach gut gefüllt, und… Nein, das machte es alles nicht leichter, diesen Mann verloren zu haben. War sie auf Rache aus? Unwillkürlich verharrte sie, als ihr bewusst wurde, wohin ihre Rechte gerade hatte langen wollen. „Erklären Sie sich. Und vor allem, identifizieren Sie sich.“ „Gun-so Sousuke Sagara, Mithril, Pazifik-Flotte.“ „Und was wollen Sie von mir, Gun-so Sousuke Sagara, Mithril, Pazifik-Flotte?“ „Ich bin hier, um Sie darüber zu informieren, dass wir das Hauptquartier von Amalgam zerschlagen haben. Wir werden weiterhin Agenten in diesem Land haben, um ein Auge darauf zu haben, ob Amalgam den vernichteten Einfluss wiederherzustellen versucht. Und wir werden in den umliegenden Ländern, in denen der Bürgerkrieg immer noch tobt, nach dem in Rumänien bewährten Muster intervenieren, soweit uns das möglich ist. Dabei hoffen wir natürlich auf ein stabiles und sicheres Rumänien in unserem Rücken.“ „Natürlich, Gun-so. Die neu aufgestellte große Koalition hat die Stabilität und die Sicherheit in diesem Land zur obersten Priorität gemacht. Bereits jetzt ist die Lage so sicher, dass die internationalen Hilfstransporte wieder ins Land kommen. Reicht Ihnen das als Antwort?“ „Natürlich, Gräfin.“ „War es das jetzt, oder haben Sie noch mehr zu bereden?“ „Nun, eine Sache gibt es da wirklich noch, aber die ist eher privater Natur. Gestatten Sie, dass ich meinen Begleiter herein rufe?“ Elektrisiert erhob sich die Gräfin. THOMAS! Er konnte, er musste es sein! Nichts brachte diesen Mann so schnell um! „Natürlich, Gun-so!“ Sagara ging zur Tür, winkte in den Gang und trat dann beiseite. Als dann eine junge Frau eintrat, wäre sie vor Enttäuschung fast zusammengebrochen. War er also doch tot? War sie eine Närrin gewesen, sich Hoffnungen darauf zu machen, dass dieser Mann nicht gestorben war? War… „MARLENE!“ Ungläubig legte die Deutsche die Hände vor ihren Mund und starrte die junge Frau an wie einen Geist. Konnte das wahr sein? War an Stelle von Thomas ihre geliebte kleine Schwester von den Toten auferstanden? „Hallo, Anica.“ Eilig kam sie um den Schreibtisch herum und nahm ihre kleine Schwester in die Arme. „Marlene, ich dachte du wärst tot! Ich dachte, ich hätte dich in den Tod geschickt und… Lass dich ansehen!“ „Es geht mir gut. Mithril hat mich gerettet und im Moment bin ich in einem Forschungsprogramm.“ „Forschungsprogramm?“, argwöhnte die Gräfin. „Forschungsprogramm?“ „Du weißt also etwas? Du weißt über die Black Technologie Bescheid?“ „I-ist das nicht egal? Du bist doch wieder da, du lebst und ich…“ „Nein, es ist nicht egal. Wenn du mir keine Antworten geben kannst oder willst, muss ich sie mir selber suchen. Aber dennoch, es tut mir gut, dich wieder zu sehen. Es ist viel zu lange her.“ „Du bist ganz schön selbstbewusst geworden, junge Dame.“ „Das habe ich von meinem Beschützer.“ Sie zwinkerte Sagara zu, der sich dabei versteifte. „Und du kannst mir wirklich nichts über die Black Technologie sagen?“ „Es ist nicht, dass ich nicht will, Marlene. Es ist nur, dass ich nicht viel darüber weiß. Vater hätte dir Antworten geben können, aber seit er verschwunden ist…“ „Ja. Leider. Schade. Ein Tipp wäre nett gewesen. Ein Hinweis, irgendwas. Aber es ist nicht so schlimm. Ich arbeite zur Zeit mit Spezialisten und werde selbst so viel wie möglich herausfinden. Sousuke, du kannst gerne einen Kaffee trinken gehen. Ich werde mich noch einige Zeit mit meiner Schwester unterhalten.“ „Sicher, Kim?“ „Sicher.“ „Kim? Warum nennt er dich Kim?“ „Mein Deckname. Ich heiße bei Mithril Kim Sanders. Falls du mal einen Brief mit diesem Absender bekommst, der ist von mir.“ Sagara sah ein letztes Mal zurück, dann trat er auf den Gang hinaus. Neben So-sho Mao saß ein groß gewachsener Mann, der seine Uniformmütze tief ins Gesicht gezogen hatte. „Ich soll einen Kaffee trinken gehen, weil die beiden noch reden wollen.“ „Eine gute Idee. Irgendwo habe ich eine Kaffeemaschine gesehen“, sagte Mao und erhob sich. „Und du willst da wirklich nicht rein, Thomas?“ „Ich glaube, es reicht mir vollkommen, auf eine der Friedheim-Schwestern aufpassen zu müssen, Melissa. Beide würden mich auf die Dauer umbringen.“ „Das ist doch wenigstens ein Argument. Hast du keine Angst, dass dich hier jemand erkennt?“ Thomas schob seinen Hut ein wenig hoch und grinste Mao an. „Hast du was dagegen, wenn ich hier zur Legende werde?“ „Meinetwegen. Kommst du mit, einen Kaffee trinken?“ Der Schirm landete wieder tief im Gesicht des Deutschen, als er sich erhob. „Ich bin dabei. Sousuke?“ „Komme.“ Epilog: „So, nachdem Chidori-kun und Sanders-kun endlich wieder am Unterricht teilnehmen können, sind wir wieder vollständig“, sagte Kagurasaka-sensei. „Bitte gebt mir nächstes Mal nicht erst zwei Tage später Bescheid, wenn Ihr wegen einer Familienangelegenheit nach Europa müsst.“ Die beiden Mädchen lächelten verlegen. „Und was dich angeht, Sagara-kun, von dir hätte ich erwartet, dass du dich korrekt abmeldest!“ Sousuke sah auf. „Ma´am, die Umstände ließen eine offene Informationspolitik leider nicht zu!“ „Was auch immer. Ich habe jedenfalls noch eine gute Nachricht für euch. Es ist noch jemand zurück gekommen. Kramer-sensei“ Die Klassentür ging auf, und der hoch gewachsene Deutsche trat ein. Er sah in die Runde und winkte. „Hallo, zusammen. Es tut mir Leid, dass ich euch neulich so überraschend verlassen musste, aber es ging wirklich um Leben und Tod. Dafür kann ich euch aber versprechen, dass ich euch bis zum Ende des Schuljahrs erhalten bleibe.“ Der Rest seiner Worte ging in der Begeisterung seiner Schüler unter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)