His Destiny was Foreordained von mystique (♣ "Sein Schicksal war vorherbestimmt" RenxHorohoro) ================================================================================ Kapitel 19: Bedacht ------------------- Wichtig! Ich verwende jetzt durchgängig die japanische Namen. Ich habe die Geschichte komplett überarbeitet und die Namen entsprechen jetzt dem japanischen Original, also bitte nicht irritieren lassen ; ) Kapitel 19: Bedacht Jenseits von Richtig oder Falsch existiert ein Ort - dort begegnen wir uns. Dschelal ed-din Rumi Horohoro hatte mit vielem gerechnet. Er hatte viel Zeit gehabt, sich diesen Moment auszumalen, diese Minuten, die nun folgten. Er hatte Vorstellungen gehabt, in denen Ren und er nebeneinander gesessen und geredet hatten, während die Sonne über ihren Köpfen ihren Zenit überschritt und sich dem Horizont näherte. Er hatte sich vorgestellt, wie sie sich gegenseitig anschrien und die Schuld beim anderen suchten. Dann hätten sie sich geprügelt. Womit Horohoro nicht gerechnet hatte war, dass sie sich anschweigen würden. Nachdem der erste Schritt gemacht worden war und das Wichtigste zwischen ihnen aus der Welt geschafft war, fehlten ihnen die Optionen, die Perspektiven. Peinlich berührt hatten sie nach unbestimmter Zeit voneinander abgelassen, hatten einen Schritt zurück gemacht und waren ihren Blicken ausgewichen. Der Ainu hatte den überwältigenden Drang zurückgekämpft, Ren sofort wieder an sich zu ziehen und so viel mehr zu tun, als ihn nur zu umarmen. Er hatte Ren vermisst, nicht nur seine nüchternen und nervigen Kommentare, auch die körperliche Nähe von Ren hatte ihm schmerzlich gefehlt. Seit Yoh ihn auf seine Gefühle aufmerksam gemacht hatte - sie ihm mit schmerzhafter Präzision vor Augen gehalten hatte - kam er nicht umhin, die bis dahin mehr als vorhandenen Signale seines Körpers und seines Denkens viel bewusster als vorher wahrzunehmen. Er schämte sich dafür, schämte sich für sein Verlangen, Ren wieder und wieder an sich zu ziehen und ihn nicht mehr loszulassen, während er Ren noch vor wenigen Tagen erst zur Hölle gewünscht und dann - von Hao manipuliert und letztendlich kontrolliert - beinahe umgebracht hatte. Er schämte sich dafür, dass er sich nicht gegen Hao gewehrt hatte, dass Yohs Zwillingsbruder so leichtes Spiel mit ihm gehabt hatte. Er schämte sich dafür, dass Ren es ihm nicht übel nahm. Ren hatte alles für ihn getan, hatte sie verraten, hatte bewusst die Verachtung seiner Freunde in Kauf genommen, nur um ihn zu schützen. Horohoro verstand Ren, ihm war klar, dass er in diesem Moment, würde er vor die Wahl gestellt, nicht anders für Ren handeln würde, doch ein Zweifel fraß sich schmerzhaft und unnachgiebig durch seine Gedanken. Er wusste nicht, ob er an Rens Stelle, zu eben dem Zeitpunkt, an dem Ren sich hatte entscheiden müssen, das Gleiche getan hätte. Und dieser Zweifel war das Beschämendste, mit dem Horohoro sich seit langem konfrontiert sah. Er würde Ren nicht noch einmal nach dem Grund für seine Entscheidung fragen, der Chinese hatte ihm auf äußerst schlagkräftige Weise zu verstehen gegeben, dass er das Anzweifeln seiner Beweggründe nicht duldete. Horohoro musste resignierend feststellen, dass Ren einen guten Schlag hatte. Zielsicher und stark. Er sollte wahrscheinlich froh sein, dass er und Ren sich noch nicht geprügelt hatten, denn er war sich nicht mehr so sicher, ob seine Chancen gegen Ren sehr gut stehen würden. Horohoros Blick streifte Rens und er wurde sich mit einem Schlag der Tatsache bewusst, dass Ren abgesehen von einer langen Hose und seinen Schuhen nichts trug. Er spürte Hitze in sein Gesicht steigen, als er bemerkte, dass er Ren offen auf die Brust starrte, die einzig von dem Verband verdeckt wurde. Rasch wandte er den Blick ab und streifte sich umständlicher als nötig die Jacke von den Schultern. „Du solltest dir etwas überziehen, sonst erkältest du dich noch.“ Er spürte Rens stechenden Blick auf sich, umging es jedoch, ihn zu erwidern, während er dem Chinesen die Jacke entgegenhielt. Ja, er wusste, dass es sehr warm war und die Gefahr, sich zu erkälten ungemein gering war. Ja, ihm war bewusst, dass seine Jacke farblich nicht im Geringsten zu Rens Hose passte - aber wen kümmerte es? „Nun nimm schon, bevor ich es mir anders überlege.“ Er gab sich genervt, in Wahrheit jedoch raste sein Herz und er verfluchte sich für sein albernes Verhalten. Zu seiner Erleichterung ging Ren nicht darauf ein und nahm stattdessen das angebotene Kleidungsstück wortlos entgegen. Er zog es sich über und als er den Reißverschluss der Jacke hochzog, durchzuckte Horohoro der jähe Wunsch, Ren daran zu hindern. Er unterdrückte einen frustrierten Laut und vergrub die Hände in den Taschen seiner Shorts. „Was hältst du von einem Eis?“, fragte er unvermittelt. Rens Augen verengten sich argwöhnisch. „Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist? Eben noch warst du vollkommen fertig mit den Nerven und jetzt willst du plötzlich Eis essen?“ „Falsch“, widersprach Horohoro ihm resolut und sah Ren nun direkt an. „Du wirst ein Eis essen, während ich bezahle.“ Rens taxierte ihn in einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Verärgerung, doch seine zuckenden Mundwinkel verrieten ihn. Er war nicht halb so schlecht auf Horohoros Vorschlag zu sprechen, wie er ihm glauben machen wollte. „Du bist doch verrückt.“ Nein, dachte Horohoro im Stillen, du bist verrückt. Weil du tatsächlich alles für mich aufs Spiel gesetzt hast, du wahnsinniger Idiot. Ren stellte keine Fragen, als Horohoro ihn aufforderte, mitzukommen. Er stellte auch keine Fragen, als sie Seite an Seite durch die sich allmählich wieder mit Menschen füllenden Gassen von Doby Village schritten. Die Mittagshitze war der erträglicheren Nachmittagswärme gewichen, Souvenirshops und andere Läden öffneten wieder ihre Fensterläden, Cafés wurden wieder von Kunden besetzt. Ren überließ Horohoro die Führung und als sie sich schließlich in einem kleinen Café an einem Tisch im Schatten eines Sonnenschirmes gegenübersaßen und Horohoro ihm die Eiskarte entgegenhielt durchbrach Ren das Schweigen zwischen ihnen. „Willst du kein Eis?“ Niemand hatte gesagt, seine Worte würden einen Sinn ergeben. Er passte sich lediglich Horohoros Verrücktheit an, weil eben dieses Handeln, dieser Moment, in dem sie etwas so Normales und Alltägliches taten, was überhaupt nicht zu der Situation passte, genau das war, was sie beide brauchten. Sie hatten sich gehasst, bekämpft, sich verziehen. Diese Alltäglichkeit war das einzig Richtige, was Horohoro hatte vorschlagen können. Ren war ihm sehr dankbar dafür. „Nicht wirklich“, entgegnete Horohoro und Ren brauchte einige Momente um zu realisieren, dass die Worte des Ainus sich auf seine Frage bezogen. „Außerdem“, Horohoro wühlte in den Taschen seiner Hose, „hätte ich dafür überhaupt nicht genug Geld mit.“ Er sah auf. „Du kannst alles bestellen, sofern es nicht mehr als ...“, er betrachtete die Münzen, dann hielt er Ren die offene Handfläche entgegen, „so viel kostet, sonst müssen wir den Abwasch machen.“ Er grinste. Ren runzelte die Stirn. „Dir ist schon klar, dass das gerade für eine Kugel reicht?“ „Tatsächlich?“ Horohoro verzog den Mund. „Na herrlich. Okay, bestell dir eine Kugel deiner Wahl, solange es nicht Schokolade ist.“ Er schauderte. „Als Chocolove auf der Krankenstation lag hat er mich regelmäßig zum Eisholen losgeschickt und - du wirst es nicht glauben! - dieser Typ isst echt nicht anderes als Schokolade! Ich werde für den Rest meines Lebens nicht mehr unbeschadet Schokolade in jeder Form ansehen können ...“ Ren hörte ihm schweigend zu, dann bestellte er sich mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen bei der Bedienung eine Kugel Schokoladeneis. Er konnte die Empörung in Horohoros Gesicht erkennen und seine Mundwinkel hoben sich. „Denkst du, ich nehme auf deine Abneigungen Rücksicht?“ Horohoro verschränkte die Arme und murmelte etwas, das wie „Noch immer ganz derselbe“ klang und Ren nahm dankend das Eis entgegen. Mit offensichtlichem Genuss begann er, die Kugel zu essen, Horohoro dabei provozierende Blicke zuwerfend. Der Ainu strafte Ren zunächst mit Nichtachtung, nachdem mehrere Minuten jedoch schweigend verstrichen und Ren keine Anstalten machte, etwas daran zu ändern, verlor der Ainu die Geduld, entriss dem Chinesen den langen Löffel und gönnte sich etwas Schokoladeneis. Er erwiderte Rens skeptischen Blick fest, gab ihm den Löffel zurück und sagte trotzig: „Denkst du, ich nehme auf dich Rücksicht, nur weil du verletzt bist, Spitzkopf?“ „Ich dachte, du kannst Schokoladeneis nicht mehr sehen.“ Es war keine Frage, viel mehr eine Feststellung. „Na und?“ Ren beobachtete, wie Horohoro ein Schauer überfiel und er kurzzeitig zitterte, offenbar darum bemüht, das Eis mit dem verhassten Geschmack zu schlucken. „Das ändert nichts.“ „Sturkopf.“ Ren aß das Eis auf und schob den Becher beiseite. Dann sah er Horohoro direkt an. Der Ainu erwiderte den Blick lange, dann setzte er zum sprechen an: „Meine Lieblingssorte ist Schnee.“ Rens Augenbrauen wanderten in die Höhe. „Das ist keine Sorte“, bemerkte er sachlich. „Wer sagt das? Es ist doch kalt, kann schmelzen und hat eine eigene Farbe.“ „Weiß ist keine Farbe.“ „Ach ja, was ist es dann?“ „Eine Nichtfarbe, Idiot.“ „Aber man kann es doch sehen, also muss es eine Farbe sein!“ „Vergiss es. Schnee also? Der hat doch gar keinen Geschmack.“ „Das sagst du, aber warst du schon mal auf Hokkaido und hast dir die frischen Schneeflocken auf der Zunge zergehen lassen? Weißt du, wonach sie schmecken?“ „Nach saurem Regen?“ Horohoro sah ihn scharf an und Ren bereite seine Bemerkung beinahe noch im selben Moment. Er wusste, dass Horohoro auf dieses Thema sehr empfindlich reagierte. „Nur ein Scherz“, setzte er darum beschwichtigend hinzu. „Wonach schmecken sie?“ „Nach Leben.“ Horohoros Worte, gesprochen mit so viel Überzeugung, Aufrichtigkeit und Sehnsucht, lösten etwas in Ren aus. Er sah den Ainu an, sah den verträumten Blick, das sanfte Lächeln auf seinen Lippen und kam nicht umhin, sich den Geschmack - das Gefühl - dieses Schnees vorzustellen und Horohoro zu glauben. Das Fehlen eines spöttischen Kommentars schien Horohoro aus den Gedanken zu reißen, er schüttelte den Kopf und das Grinsen kehrte auf seine Züge zurück. „Was rede ich da, du kannst es nicht wissen, denn du warst nie da.“ Er neigte den Kopf. „Wenn alles hier vorbei ist und du dich benimmst, vielleicht nehm’ ich dich dann mal mit.“ „Natürlich“, entgegnete Ren gelassen und strich mit einer Hand abwesend über das Tischtuch. Für einen Moment ließ er diesen Vorschlag auf sich wirken, dann schob er ihn beiseite. „Und jetzt bezahl das Eis, damit wir gehen können. Die anderen machen sich bestimmt schon Sorgen.“ Seine Worte holten sie wieder in die Realität zurück. Sie saßen noch immer in demselben Café, doch es befand sich in Doby Village, das Turnier fand noch immer statt, Ren war verletzt, er trug Horohoros Jacke, sie hatten wenige Tage zuvor gegeneinander gekämpft, Ren hatte sie für Horohoro verraten. All dies rückte zunehmend wieder ins Zentrum ihrer Wahrnehmung, die wenigen Minuten außerhalb dieses Handlungsstranges, die wenigen Momente, in denen sie wieder so normal wie früher gewesen waren, als wäre all dies nicht geschehen, hatten sie kurzzeitig vergessen lassen. Doch das war nun vorbei, es ließ sich nicht länger vergessen. Sie erhoben sich, Horohoro legte das Geld auf den Tisch und sie setzten sich in Bewegung, ließen das Café, in welchem ihnen eine kurze Zeit der Ruhe vergönnt gewesen war. Es trug den Namen La Armonía. „Was machen deine Verletzungen, Ren?“, fragte Horohoro während sie die Straße entlanggingen, an zahllosen Ständen und Kiosks vorbei. Sein Blick wanderte zu seiner eigenen Jacke, welche die Verbände verdeckte. Der weiße Stoff unmittelbar an Rens Hals war noch sichtbar, Horohoro wurde noch immer ganz übel bei dem Gedanken, dass er der Urheber dieser Verletzungen war. Er wusste nicht, wie lange ihn die Schuldgefühle dafür belasten würden, doch er hoffte, dass es noch lange war. Er hatte es verdient. Das sagte er nicht laut. „Es geht mir gut“, entgegnete Ren und warf Horohoro im Gehen warnende Blicke zu. „Und hör auf, mich so anzusehen. Es ist halb so schlimm, ich bin bald wieder so gut wie neu.“ Tatsächlich machte Ren zwar den Eindruck, als bereitete ihm das Gehen Schmerzen, doch er bat Horohoro nicht um Hilfe und der Ainu war schlau genug, Ren nicht gegen dessen Willen zu helfen. Das wäre mehr als unklug gewesen. Ren konnte viele Schmerzen ertragen. Mehr als er. „Mit Faust als Arzt ist das kein Wunder“, murmelte Horohoro und dachte daran, wie beiläufig und dennoch präzise der Mediziner seine Verletzungen nach dem Kampf versorgt hatte. „Horohoro.“ Rens Stimme holte ihn wieder in die Realität zurück. Sie befanden sich noch immer auf der Straße, Menschen gingen an ihnen vorbei, beachteten sie kaum, Gemurmel lag in der Luft und der Geruch von frischem Essen. Dem Ainu erschien es so skurril, so fremd, mit Ren durch diesen Straße zu schlendern, als wäre nie etwas gewesen, als hätte Ren nie den Verrat begangen. Für ihn. Er konnte es noch immer nicht glauben. Für Horohoro war diese Entwicklung eine Chance, Menschen um sie herum nahmen sie nur als zwei gewöhnliche Jungen wahr, die am Turnier teilgenommen hatten oder - wie in Rens Fall - noch daran teilnahmen, doch für Horohoro war Ren nicht irgendein Junge. „Du hörst mir nicht zu.“ Ren knuffte ihn im Gehen in die Seite und Horohoro machte einen Schritt zur Seite, musste einer alten Frau ausweichen und hätte sie beinahe angerempelt. Er entschuldigte sich und ging weiter, versuchte mit Ren Schritt zu halten. „Das war aber nicht gerade nett“, maulte er. „Ich hab dir gesagt, du sollst dir keine Vorwürfe machen“, erwiderte Ren ungeachtet Horohoros Anschuldigung. „Und wenn ich dich noch einmal mit diesen Gesichtsausdruck sehe, bei dem man meinen kann, man hätte dir deinen Nachtisch geklaut, du wehleidiger Spinner, dann gebe ich dir meine Definition von Vorwürfen und glaub mir, das willst du nicht.“ Horohoro starrte ihn ungläubig an, sein Mund stand offen und Ren grinste herablassend. „So wie es aussieht, haben wir uns verstanden, Schneemann.“ Sie verließen die Straße, bogen in die Gasse, die zu ihrem Haus führte. Sie war verlassen, die Menschen waren auf der Hauptstraße und der Lärmpegel sank merklich, je weiter sie die größeren Wege hinter sich ließen. Je näher sie dem Haus kamen, desto schneller schein die Zeit für Horohoro zu vergehen. Er wusste nicht, wie lange er mit Ren unterwegs gewesen war, doch die Zeit kam ihm so begrenzt vor, dass er beinahe um sie fürchtete. Als das Haus schließlich in Sicht kam und Horohoro an ihre Freunde dachte, die dort in einem der Räume auf sie warteten, erschienen ihm die Minuten gemeinsam mit Ren im Café mit einem Mal wie etwas, das nicht wirklich stattgefunden hatte. Sie passten einfach nicht in das Bild der unschönen Realität, die sich in den letzten Wochen von den hässlichsten Seiten gezeigt hatte. Als sie an die Tür traten hielt Horohoro Ren zurück. Seine Hand krallte sich in den Ärmel seiner eigenen Jacke. Ren blieb stehen, sah ihn nicht an. „Keine Vorwürfe“, wiederholte er mahnend, doch Horohoro war weit davon entfernt, sich in diesem Moment Vorwürfe zu machen. Er hob die freie Hand, legte sie in Rens Nacken und zog ihn zu sich. Als er Ren endlich küsste, fürchtete er beinahe, er unterliege einer weiteren Täuschung, einer Manipulation Haos wohlmöglich, doch Ren fühlte sich so echt an - die Angst und die Unruhe, die ihn durchströmte, das alles fühlte sich so real, so wirklich an - dass es kein Trug sein konnte. Er presste sich dichter gegen Ren, seine Lippen fanden Bestätigung durch Rens und Horohoro fühlte, wie er sich verlor. Das war so anders, als er es sich vorgestellt hatte. Er spürte kein Glück, keine Freude, keine buchstäbliche Glückseligkeit, er empfand Furcht, Aufgewühltheit und ein gewisses Maß an Verzweiflung, doch diese Kombination der Gefühle machte den Kuss zu dem, was er war. Unbeschreiblich. Er küsste nicht irgendein Nachbarsmädchen, er küsste Tao Ren, einen Jungen, seinen besten Freund, seinen Rivalen, seinen Verräter und gleichzeitigen Retter. Ren war zu so vielem geworden, ohne das Horohoro es wirklich gemerkt hatte und jetzt war er so viel, dass ihm ganz kalt wurde bei dem Gedanken, dass Ren noch vor wenigen Tagen auf Haos Seite gestanden hatte. Er spürte einen festen, unnachgiebigen Griff oberhalb seiner Hüfte und realisierte, dass Ren sich ebenso stark an ihn presste, wie er sich an ihn. Die Lippen des Chinesen bewegten sich gegen seine, kurzzeitig fragte Horohoro sich, woher Ren die Erfahrung nahm, dann verwischte dieser Gedanke, ebenso wie alle anderen, nur noch das Gefühl von Ren blieb. Rens Lippen auf seinen, Rens Zunge an seiner, Rens Atem auf seiner Haut, Rens Hände an seinem Körper. Atemlos lösten sie sich voneinander und Horohoro zog Ren in eine feste Umarmung, schloss zittern die Augen, hielt den Chinesen so fest, als fürchtete, er würde Anstalten machen, wegzulaufen, dabei war ihm selbst viel eher nach weglaufen zumute - und er wusste noch nicht einmal, wieso. „Ich“, setzte er an, brach jedoch ab. Verkrampft suchte er nach Worten, fand keine und öffnete trotzdem den Mund: „Ich ... also ... ich weiß nicht - Ren.“ Der einzige Begriff, die einzige Person, die seine Gedanken beherrschte. Eine Hand fuhr bestimmt durch seinen Nacken, zielstrebig und sicher. Sie brachte das Zittern von Horohoros Körper zum verklingen. „Schon gut.“ Horohoro hatte Rens Stimme nie so sehr hören müssen, wie in diesem Moment. Ruhig, ausgeglichen, wissend. Und so beruhigend. „Ich weiß.“ Und Horohoro zweifelte einen Moment daran, dass er Ren fester umarmen konnte, als er es gerade tat. Ren hatte es nicht glauben wollen, als Horohoro ihn geküsst hatte. Es war so anders gewesen, so vollkommen anders, als er es erwartet hatte du doch auf seine eigene Art so viel besser. Er hatte Horohoros Unruhe gespürt, seine Angst, dennoch hatte der Ainu so sicher und unbeirrt gewirkt, dass Ren ihn beinahe dafür beneidet hätte. Beinahe. Er konnte Horohoro verstehen, so lange hatte er die Erkenntnis gehabt, doch nie hätte er damit gerechnet, dass es Horohoro ebenso ging. Er war froh gewesen, dass Horohoro ihm verziehen hatte, der Faustschlag des Ainus vom Morgen hatte er längst vergessen, Horohoros Entschuldigung und die Schuldgefühle des Ainus wahren mehr als genug Entschädigung gewesen. Und nun das. Ren hatte es sich gewünscht, er war tatsächlich so gefühlvoll wie Annas Nachmittagsseifen geworden. Etwas, vor dem er sich gefürchtet hatte, seit Bason ihn auf dem Dach des Hauses auf seine Gefühle aufmerksam gemacht hatte. Ren konnte nicht behaupten, dass es ihn nicht störte, es störte ihn sogar ziemlich, doch er konnte es nicht ändern. Sobald es um Horohoro ging konnte er nicht mehr rational, geschweige denn objektiv handeln. Horohoro hatte ihm sämtliche Objektivität geraubt. Spätestens seit dem Kuss durchströmten ihn Empfindungen, die er zwar einordnen, in Gegenwart seiner Schwester jedoch niemals auch nur zu denken gewagt hätte. Er wollte Horohoro wieder küssen, ihn berühren, bei Gott, er war auch nur ein Teenager, gelenkt von offenbar zu vielen Hormonen. Er schloss rasch atmend die Augen, Horohoro klammerte sich an ihn wie ein Ertrinkender. Einfältiger Schneemann. Für ihn schmeckte Schnee nach Leben. Für Ren hatte alles in seiner Vergangenheit den faden Beigeschmack von Trostlosigkeit gehabt. Und dennoch - oder auch gerade aus diesem Grund - konnte er Horohoro nicht loslassen, sondern ihn - im Gegenteil - nur fester an sich ziehen. Es war, als versuche man sich als positiver Pol vom negativen Gegenstück zu lösen. Die Kraft, die man dafür aufbringen müsste, war das Resultat nicht wert. „Seit wann?“, hörte er Horohoro gegen seinen Hals murmeln und spürte zu seinem eigenen Missfallen heißkalte Schauer seinen Rücken hinab laufen. „Was weiß ich“, entgegnete er, obwohl er sich noch so genau an den Moment der Erkenntnis erinnern konnte, wie an kaum etwas anderes. „Unwichtig.“ „Verstockter Sturschädel“, lachte der Ainu leise und Ren spürte, wie Horohoro sich langsam entspannte. Der heiße Atem des Ainus an seiner Haut begann ihn zunehmend abzulenken. „Das sagt der richtige. Überempfindliches Kleinkind“, konterte Ren und fuhr abwesend mit einer Hand durch Horohoros dunkle Nackenhaare. Er verspürte den unvermittelten Wunsch, das Stirnband des anderen zu lösen und zu beobachten, wie seine Haare sich anschließend ausbreiten würden. Er hatte Horohoro noch nicht oft ohne Stirnband gesehen ... „Nur dann, wenn es um dich geht.“ Ren brauchte Sekunden, um das aus den Worten resultierende Geständnis zu begreifen. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, was Horohoro ihm damit sagte. All die Zeit, die Stunden, die Tage in denen er sich selbst Vorwürfe gemacht hatte, weil er seine Freunde und Horohoro verraten hatte, die Angst, die er gehabt hatte, gehasst zu werden, all seine Befürchtungen wurden mit diesen wenigen Worten nichtig, verblassten. Ren drängte das Verlangen zurück, Horohoro an die Außenwand des Hauses zu pressen und seiner Erleichterung Ausdruck zu verleihen. Offenbar nicht hartnäckig genug, denn wenige Augenblicke später fand er sich mit Horohoro in eben dieser Konstellation wieder und küsste den Ainu mir einer ungekannten Sicherheit und Zielstrebigkeit. Er spürte das Zittern, das den anderen Körper durchlief mit einem gewissen Maß an Genugtuung, fühlte sich bestätigt und begann, Horohoro durch sein Handeln den Atem zu rauben. Unnachgiebig machte er seine Ansprüche geltend, demonstrierte Horohoro sei Talent nun auch auf anderen Gebieten. Doch hatte er den Kampfgeist des Ainus außer Acht gelassen. Horohoro ließ sich nicht widerstandslos dominieren und demonstrierte Ren seinen Willen mir niederschmetternder Kühnheit. Ren spürte, wie ihm schier selbst der Atem geraubt wurde, er fand sich nun mit der Wand im Rücken und Horohoro unmittelbar an sich wieder, unglaubliche Lippen auf seinen und Horohoros Zunge in seinem Mund. Ren hatte noch nicht oft geküsst, doch er stellte fest, dass er beunruhigend schnell Gefallen daran fand. Schwer atmend lösten sie sich nach einer Ewigkeit voneinander und Horohoro musterte ihn belustigt. Er beugte sich vor, sah Ren von der Seite her provozierend an und fragte herausfordernd, gerade so laut, dass Ren ihn hören konnte: „Das lässt dich nicht kalt oder?“ Zum ersten Mal seit langem spürte Ren, wie er unter Horohoros Blick rot wurde. Durchtriebener Nordbewohner! Horohoros leises Lachen verstärkte seinen Wunsch, dem Ainu für diese unverschämte (jedoch nicht unwahre) Unterstellung sämtliche Leviten zu lesen. Er sah ihn finster an und verpasste ihm eine Kopfnuss. Zu seinem Missfallen zeigte Horohoro keine Anzeichen von Irritation, geschweige denn Empörung, er schenkte dieser Geste keine Beachtung. Sein Grinsen nahm dafür an Umfang zu. „Das ist mehr Bestätigung als jedes ja “, kicherte er und fuhr Ren durch die Haare. Ren hob die Hand und packte Horohoro am Handgelenkt, starrte ihn durchdringend an. „Pass auf deine Worte auf, Schneemann.“ Horohoro ließ von Ren ab und machte einen Schritt zurück, noch immer sichtlich belustigt. „Natürlich, ehrenwerter Tao-sama.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Ganz wie Ihr meint.“ Er wandte den Kopf und blickte zur Tür. „Wir sollten reingehen.“ Er entfernte sich von Ren und legte eine Hand auf den Türgriff. Bevor er sie öffnete, hielt er inne. „Es ist mir ernst, Ren. Halt es nicht für eine Phase oder einen Scherz.“ Ren lehnte noch immer an der Außenwand, ließ Horohoro nicht aus den Augen. Er seufzte. „Ich weiß.“ Mit einem gefährlichen Lächeln fügte er hinzu: „Sonst würde es dich nämlich kalt lassen.“ Mit Genugtuung beobachtete er, wie nun Horohoro die Röte ins Gesicht stieg, bevor er an ihm vorbei ins Haus ging. Chocolove stellte die Tasse mit Tee auf den Tisch, als er Geräusche an der Tür hörte. Er warf einen letzten Blick auf das noch halbvolle Porzellan und verzog das Gesicht. Er hatte heute für sein Leben genug Tee getrunken und gewartet. Er war selten so unruhig gewesen. Trotz Annas Strenge war es ihm nicht möglich gewesen, all die Stunden des Wartens ruhig zu verharren. Unruhig war er im Zimmer auf und abgelaufen, hatte dabei nicht nur Anna, sondern auch Mic Jaguar an die Grenzen seiner Nerven getrieben. Chocolove hatte keine Rücksicht auf die warnenden Blicke genommen, die ihm zuteil wurden, er hatte sich ausgemalt, was Ren oder Horohoro alles zustoßen könnte. Es stand nicht fest, dass Horohoro Ren in dem Gewirr der Straßen von Doby Village fand, genauso gut war es möglich, dass Ren infolge von Überanstrengung irgendwo zusammenbrach und niemand ihn fand. Er bewunderte Bason für seine eiserne Ruhe und das Vertrauen in Ren und Horohoro und so sehr er den beiden auch selbst vertrauen wollte, die Sorge verschwand nicht. Als er vor wenigen Minuten die Stimmen der beiden vor dem Haus ausgemacht hatte, wäre er beinahe aufgesprungen und zu ihnen geeilt, doch ein durchdringender Laut von Mic hielt ihn zurück. Er suchte Yohs Blick. Yoh hatte die letzten Stunden zwischen schlafend oder einfach nur aus dem Fenster blickend verbracht und gebot ihm nun, sitzen zu bleiben. Widerstrebend befolgte Chocolove die Bitte und während die Minuten verstrichen nahm seine Gesichtsfarbe, trotz ihres natürlichen dunklen Tons, eine noch intensivere Färbung ab. Es bestand kein Zweifel daran, was Ren und Horohoro draußen taten und es war Chocolove mehr als nur unangenehm, ihnen wie ein Spanner zu lauschen. Yoh hatte selig gelächelt, Anna hatte unbeirrt in ihren Zeitschriften geblättert, Bason war bewegungslos auf der Stelle geschwebt, doch Chocolove hätte wetten können, ein Schmunzeln auf seinen Zügen zu erkennen. Er war froh, dass Tamao und Pirica nicht anwesend war, er stellte sich mit Grauen vor, wie die zartbesaitete Tamao in Ohnmacht gefallen wäre und bei Pirica wusste er sich nicht einmal auszumalen, wie sie reagiert hätte. Als Ren und Horohoro schließlich das Haus betraten hielt ihn nicht mehr zurück. Nachdem er die Tasse abgestellt hatte, sprang er auf und eilte in den Flur hinaus. Er ließ Ren und Horohoro keine Chance etwas zu sagen, geschweige denn ihm zu entkommen, da hatte er jeden von ihnen gepackt und zog sie an sich. Er war keine Person von tiefen Gefühlen, er zeigte sie nie wirklich offen, er trat für seine Freunde ein, doch besonders bei Ren und Horohoro hatte in der Zeit ihrer Teamarbeit enge Kontakte geknüpft. Er wäre bereit gewesen, sämtliches für sie zu opfern und in diesem Moment, in dem Team Ren im Flur wieder gemeinsam beisammen stand wurde ihm erst richtig bewusst, wie sehr es ihm gefehlt hatte. Die Plänkeleien, ihre Beschwerden über seine schlechten Witze, Rens Schweigsamkeit, Horohoros ausgelassene Art, die er in den letzten Tagen zwar allmählich wieder gewonnen hatte, jedoch nicht halb so sehr, wie vor all diesen Geschehnissen. Ren und Horohoro wehrten sich nicht gegen die Umarmung doch Chocolove merkte, wie sie sich über seine Schultern fragende Blicke zuwarfen. Natürlich waren sie solche Reaktionen nicht von ihm gewohnt, doch es kümmerte ihn in diesem Moment nicht. Sekunden verstrichen, dann gab er sie wieder frei und machte einen Schritt zurück, stemmte die Hände in die Hüften und musterte sie finster. „Ich verlange keine Erklärung“, begann er unheilvoll, sein Blick wanderte von Ren zu Horohoro. „Aber was habt ihr zwei Sturköpfe euch nur bei allem gedacht?! Ihr könnt froh sein, dass ihr beide gesund ausseht, sonst hätte ich eigenhändig dafür gesorgt, dass es euch noch schlechter geht!“ Sie starrten ihn an, sprachlos und überrumpelt und er konnte nicht anders, als zu grinsen. „Vollidioten“, murmelte er und schüttelte den Kopf. „Jagt mir nie wieder so einen Schrecken ein. Weder du, Ren, noch du, Horohoro. Keine Alleingänge mehr“, ein Blick auf Ren, „keine Depressionsphasen“, ein Blick auf Horohoro, „kein gar nichts, verstanden?“ Er malträtierte sie so lange mit Blicken, bis sie schließlich nickten. Er ließ ihnen keine Wahl, er würde keine andere Antwort akzeptieren. Als er die Bestätigung sah, fiel endlich nach all den Tagen die stetige Sorge von ihm und er spürte förmlich, wie seine Haltung merklich in sich zusammensank. Er lächelte seine Freunde an. „Na bitte.“ Er wandte sich um und kehrte zurück in das Wohnzimmer, schritt an Yoh, Anna und Bason vorbei. Obwohl er eben noch das Gefühl gehabt hatte, nie wieder Tee trinken zu können, setzte er sich im Schneidersitz vor den nicht einmal kniehohen Tisch, griff nach seiner Tasse und leerte sie in einem Zug. Er spürte Mics Präsenz hinter sich und lehnte sich müde an seinen Schutzgeist. „Bin ich froh.“ Ren und Horohoro wechselten vielsagende Blicke. Ren lächelte. „Scheint, als wäre es an uns allen nicht ohne weiteres vorbeigegangen.“ „Könnt ihr mir mal sagen, was das wird?!“ Annas scharfe Worte ließen sie zusammenzucken. Yohs Verlobte baute sich vor ihnen auf, ein Ebenbild des Grauens mit einer durch und durch bösen Aura. Sie starrte Horohoro todbringend an. „Glaub nicht, dass ich nicht bestens informiert bin, über alles und du “, ihre stechenden Augen richteten sich auf Ren, „hast dein Krankenbett nicht ohne Folgen verlassen, das versichere ich dir. Du bist verletzt, Faust hat dir nicht ohne Grund Bettruhe verordnet!“ Yoh lächelte weiterhin selig, während Horohoro und Ren merklich in sich zusammen schrumpften. „Ren, du legst doch sofort wieder hin - ich kann nicht glauben, wie verantwortungslos ihr gewesen seid!“ Widerstand war zwecklos, Anna war zu allem entschlossen und mehr als nur wütend. Schweigend gehorchte Ren, Horohoro wurde untersagt, ihm zu folgen. Und während Anna den Chinesen zu seinem Zimmer eskortierte und Horohoro eiskalt der ersten Etage verwies, seufzte sie leise. Problemfälle, wohin man sah. Und sie kann nicht umhin, trotz allem stolz auf sie zu sein. oOo Jeanne die Eiserne Jungfrau verschloss das letzte Element ihrer Rüstung. Sie spürte Marcos besorgten Blick auf sich, als sie sich aufrichtete, erwiderte ihn mit Ruhe und Sanftmut. „Hör auf, dich zu sorgen“, tadelte sie ihn milde und seine Hand wanderte nervös zu der Brille. „Ihr habt gesagt, Ihr würdet Asakura Yoh das Kämpfen überlassen.“ „Das tat ich, doch im richtigen Moment darf ich mich des Kampfes nicht entziehen. Dieser Moment ist jetzt gekommen.“ Sie neigte den Kopf, ihr Haar fiel ihr über die Schultern. „Was wäre ich für eine Beschützerin, wenn ich nicht die, die ich liebe, beschützen könnte?“ „Aber Ihr beschützt uns doch immer!“, widersprach Marco. Sie sah die Verzweiflung in seinem Blick, obwohl er sie vor ihr verbergen wollte. Sie liebte ihn für diese menschlichen Züge, für diese Versuche, für sie stark zu sein. Er war ein so unschätzbarer Freund. „Und weil ich euch auch in Zukunft beschützen will, muss ich dies jetzt tun.“ „Dann lasst uns mit Euch kommen“, flehte Marco und seine Stimme schmerzte Jeanne im Herzen. Er wusste, dass sie es niemals zulassen würde, dass ihnen etwas geschah. „Du kennst meine Antwort, ohne dass ich sie dir sagen muss.“ „Geht nicht. Jeanne, bitte.“ Marco machte einen Schritt auf sie zu, verharrte jedoch, als sie den Kopf schüttelte. Sie war jung, doch in ihren wenigen Lebensjahren hatte sie genug Grausamkeit gesehen. Genug Schmerz verspürt. Sie wollte nicht noch mehr verlieren, indem sie diejenigen, die ihr so sehr vertrauten, in ihren Untergang führte. Sie wandte sich ab und ging ohne ein weiteres Worte. Shamash erschein neben ihr und seine Augen betrachteten sie wissend und tröstend. Sie war ihm dankbar für diese Geste und während sie Marco hinter sich ließ, war sie sich zu jeder Sekunde vollauf bewusst, dass sie ihn wohlmöglich nie wieder sehen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)