His Destiny was Foreordained von mystique (♣ "Sein Schicksal war vorherbestimmt" RenxHorohoro) ================================================================================ Kapitel 16: Schmerz ------------------- @ Rici-chan: Dieses Kapitel ist für dich weil du mir dieses geniale Bild gewidmet hast ; ) 16. Kapitel: Schmerz Warum ist es unmöglich, jemanden etwas Gutes zu tun, ohne ihm weh zu tun? Warum ist es unmöglich, jemanden zu lieben, ohne ihn zu vernichten? Amélie Nothomb Ausdruckslos starrte er an die Decke über sich. Seit er hier lag, kam er dieser Tätigkeit beklemmend oft nach. Obwohl er regelmäßig Besuch bekam, konnten diese kurzen Ablenkungen doch nicht die Leere in seinem Inneren füllen. Nicht einmal die stetigen Schmerzen, die ihn noch immer bei jeder unüberlegten Bewegung heimsuchten, schafften dies. Menschen gingen in seinem Krankenzimmer ein und aus, doch er bekam es nur am Rande mit. Er wartete. Wartete auf ihn. Er hatte aus den Gesprächsfetzen der anderen mitbekommen, dass es dem Ainu gut ging und er bereits wieder das Bett verlassen hatte. Aber warum besuchte er ihn dann nicht? Was war passiert, dass Horohoro ihn wie einen Geächteten mied? Diese Frage nagte an seinem Geist, ließ ihm keine Ruhe, suchte ihn sogar in seinen Träumen heim, die meistens von dem höhnischen Lachen Haos begleitet wurden. Ich habe für ihn gekämpft, habe versucht, ihn vor Hao zu beschützen, und jetzt? Ich will ihn sehen. Ich will mit ihm sprechen und ihm alles erklären. „Bason?“, fragte er leise. Umgehend erschien sein Schutzgeist, der in den letzten Tagen unzählige Stunden an seiner Seite verbracht und ihm Gesellschaft geleistet hatte. /Ja, Meister Ren?/ „Ich möchte Horohoro sehen.“ /Meister, wie stellst du dir das vor?/ „Ich werde ihn suchen.“ /Aber Faust hat angeordnet, dass du das Bett in den nächsten Tagen nicht verlassen sollst. Dein Rücken .../ „Das weiß ich, Bason“, fuhr er seinem Schutzgeist dazwischen, welcher umgehend verstummte. Er sah Bason durchdringend an. „Aber ich kann einfach nicht länger warten.“ In seiner Stimme lag Schmerz und Bason konnte sich nur allzu gut denken, wie Ren sich fühlen musste. Von dem verlassen, für den er all dies überhaupt erst getan hatte. Er senkte den Blick und sah zu Boden. /Ich kann nicht gutheißen, dass du deine Gesundheit aufs Spiel setzt, Meister, aber ich verstehe dich/, gab er zu. Ren nickte leicht und setzte sich auf. Sein Rücken protestierte bei dieser Bewegung, doch er ignorierte den Schmerz. Er wollte nicht schon am Anfang scheitern. Er rückte immer weiter nach rechts, bis er die Bettkante erreichte und die Beine hinab ließ. Seine nackten Füße berührten den Steinboden und er erschauderte. Vorsichtig stand er auf, zuckte jedoch augenblicklich wieder zurück, als ein Stechen seine Brust durchfuhr. Keuchend legte er eine Hand auf den Verband, der ihn stützen und seine Rippen schonen sollte. Er hatte einige Verbände, wie er bereits kurz nach seinem wirklichen Erwachen vor einigen Tagen hatte feststellen können, nachdem Chocolove ihm ‚netterweise’ einen Spiegel vor sein Gesicht gehalten hatte. Ein Platzwunde auf der Stirn wurde von einem strahlend weißen Stück Stoff verdeckt, seine, von Hao, zerkratzte Wange wurde von einem hellen Pflaster geschützt, sein Hals von einem festen Verband gestützt und seine Brust beinahe vollkommen von dem weißen Stoff eingenommen. Bason schwebte alarmiert näher. /Vielleicht solltest du wirklich noch einige Tage warten, Meister/, wandte er zaghaft ein, doch Ren schüttelte nur den Kopf. „Ich kann wirklich nicht länger warten, Bason. Es fängt an, weh zu tun, weißt du. Immer nur zu warten.“ Er sammelte seine Kräfte und erhob sich in einer schnellen Bewegung. Dieses Mal waren die Schmerzen nicht so stark, wie bei seinem ersten Versuch. Schwankend stand er auf den Beinen. Die Umgebung, begann, sich zu drehen. Die letzten Tage hatte er beinahe durchgängig liegend verbracht, nun musste sein Körper sich erst einmal wieder an die aufrechte Position gewöhnen. Schwer atmend stützte er sich von der Lehne des Stuhls, der neben seinem Bett stand, ab und wartete, bis sich seine Sicht klärte und die Umgebung beruhigte. Dann hob er den Blick und ließ den Stuhl los, trat auf den Tisch in diesem Zimmer zu, auf dem sauber zusammengefaltet, ein Stapel Kleidung lag. Jun hatte sie gestern mitgebracht. Er selbst trug momentan nichts, abgesehen von seiner Boxershorts. Langsam streckte er die Hand aus und griff nach der Hose. Anschließend begann er sie sich, unter einigen grotesken Verrenkungen, gepaart mit penetranten Schmerzen, an zu ziehen. Nach etlichen Minuten, unter den skeptischen Blicken Basons, schaffte er es schließlich und begab sich an die nächste Hürde. Seinem Oberteil. Nachdem er weitere zehn Minuten später noch immer zu keinem Resultat gekommen war, gab er den sinnlosen Versuch letztendlich auf. Stattdessen schlüpfte er nur in seine Schuhe und richtete sich schließlich keuchend wieder auf. Wenn das Anziehen schon so schwer war, wie würde dann erst die Suche aussehen? Er verdrängte diesen deprimierenden Gedanken, schob ihn beiseite und begann seine Suche. Die Holztür seines Zimmers ging quietschend hinter ihm zu. Einen Fuß vor den anderen. Wie ein stärkendes Mantra wiederholte er diese Worte in Gedanken, während er sich bei jedem Schritt an der Wand des Flures abstützte. Einen Fuß vor den anderen. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gebildet, während er das Haus durchquerte und nach dem Ausgang suchte. Dies hier war die Krankenstation, irgendwie musste man doch hier raus kommen. Er spürte Basons besorgten Blick auf sich und war sich sicher, dass er momentan kein wirklich gesundes Bild abgab. Trotzdem musste er weiter. Einen Fuß vor den anderen. Zu seinem Glück war er bis jetzt noch niemandem begegnet. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, die durch die Fenster – oder auch einfach nur Löcher – auf den Flur schien, war es auch noch früher Morgen. Kein Wunder, dass außer ihm, der er nach Tagen der Bettruhe einfach nicht mehr schlafen konnte, niemand auf den Beinen war. /Meister, der Ausgang ist dort vorne./ Er hob den Blick, folgte dem Wink seines Schutzgeistes und erblickte die Tür. Bason hatte Recht, dies musste der Ausgang sein. Dadurch bestärkt, beschleunigte er seine Schritte, bis er die Holztür erreichte und aufzog. Sonnenstrahlen fluteten den Flur, schienen ihm ins Gesicht und ließen ihn geblendet die Augen schließen. Nach einigen Sekunden wagte er es, sie wieder zu öffnen. /Meister, willst du das wirklich tun?/, fragte Bason, versuchte ein letztes Mal, ihn um zu stimmen, doch er ließ sich nicht beirren. Nicht jetzt. „Ja, Bason.“ /Dann werde ich dich weiterhin begleiten./ Er antwortete nicht, trat auf die Straßen Doby Villages hinaus und schloss die Tür zur Krankenstation hinter sich. oOo „Was meinst du? Isst Ren Schokolade?“ Yoh warf einen skeptischen Blick auf den Berg Schokoladentafeln in Chocoloves Armen und zuckte hilflos die Schultern. „Keine Ahnung. Ich hab ihn bis heute noch nie welche Essen sehen. Alles was ich über seine Gewohnheiten weiß ist, dass er regelmäßig Milch trinkt.“ Der Komiker hatte sich in den letzten Tagen gut erholt und die Krücken letztendlich ganz beiseite gelegt, war er doch angeblich wieder so gesund, dass er Bäume ausreißen könnte – wie er es Yoh mit einem breiten Grinsen versichert hatte. Chocolove starrte den Kopfhörerträger nach seinen Worten ungläubig an. „Echt? Er trinkt Milch? Sogar regelmäßig?! Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ „Nicht? Bei den Mengen ...“ „Echt jetzt? Du machst doch Witze!“ „Nein, das ist mein voller Ernst.“ „Ich glaub’s ja nicht.“ Chocolove kicherte. „Ren und Milch. Zwei Dinge, die ich niemals miteinander verbunden hätte. Aber in Schokolade ist ja auch ein bestimmter Anteil Milch. Ich bin sicher, die wird er schon essen.“ Yoh grinste und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. „Wenn du das sagst.“ Die beiden Jungen durchquerten den Flur der Krankenstation, bogen um eine Ecke und steuerten direkt auf die Tür zu Rens Zimmer zu. Yoh ließ die Hände sinken und packte den Türgriff, drückte die Tür auf. „Hi Ren, wir wollten dir nur einen kleinen –“, er brach ab. „Was ist los?“, fragte Chocolove verwundert. „Ist er noch nicht angezogen? Warte, lass mich sehen!“ Er drängelte sich fies grinsend an Yoh vorbei ins Zimmer und blieb wie angewurzelt stehen, als er nur einen leeren Raum vorfand. Das Grinsen verschwand von seinem Gesicht. Langsam drehte er sich zu Yoh um. „Wo ist er?“ Yoh hielt noch immer den Türgriff fest in der Hand, schien es nicht zu wagen, die Tür loszulassen und erwiderte Chocoloves Blick ebenfalls fragend. „Ich weiß es nicht.“ „Vielleicht ist er ja nur auf dem Klo?“, versuchte Chocolove nach möglichen Erklärungen zu suchen. „Ich werde mal nachsehen“, antwortete Yoh und verließ den Raum, ließ Chocolove alleine. Der Komiker trat neben das Bett und legte die Tafeln Schokolade auf den Nachttisch. Er hörte schnelle Schritte, die sich dem Zimmer näherten und als er sich wieder umwandte, erblickte er einen keuchenden Yoh, der offenbar den Weg vom Klo zurück gerannt war. „Er ist nicht da“, stieß er hervor. Chocolove schluckte. „Und wo kann er sein?“ Neben Yoh erschien Amidamaru. Er sah die beiden Jungen eindringlich an. /Könnt ihr euch das nicht denken?/ Chocolove und Yoh wechselten einen viel sagenden Blick. „Horohoro.“ oOo Keuchend arbeitete Ren sich voran, ließ eine weitere Gasse hinter sich. Er konnte sich nicht erinnern, dass sich das Haus, in welchem sie sich über das Turnier hinweg einquartiert hatten, so weit von Dorfzentrum entfernt befand. „Bason ... wie weit ist es noch?“ Sein Schutzgeist löste sich von seiner Seite, schwebte in die Höhe und kehrte nach einigen Sekunden zu ihm zurück. /Nicht mehr weit, Meister. Du hast es bald geschafft. Du musst gleich links abbiegen und anschließend wieder rechts, dann bist du am Ziel./ Ren nickte. Noch so weit ... ich fühle mich, als würden meine Beine jeden Moment nachgeben. Nach einer Ewigkeit, wie es schien, hatte er die Wegbeschreibung Basons erfüllt und stand vor ihrem Haus. Hoffentlich treffe ich vorher auf niemanden, sonst werde ich sofort wieder in die Krankenstation verfrachtet, bevor ich Horohoro überhaupt sehen kann. Er machte die letzten Schritte auf das Steinhaus zu, streckte die Hand aus und legte sie um den Türgriff. Dann, nach einigem Zögern, während er versucht hatte, seine Atmung zu beruhigen, damit das Stechen in seiner Brust nachließ, zog er die Tür auf. Stille schlug ihm entgegen. „Bason, könntest du nachsehen, ob jemand da ist?“ Bason schwebte in das Haus und es vergingen einige Minuten, bis er wieder zurückkehrte. /Im unteren Teil des Hauses ist niemand, was die erste Etage angeht, so weiß ich es nicht./ Ren nickte und betrat das Haus, schloss die Tür so leise wie möglich hinter sich. Dann lehnte er sich an selbige und atmete ein paar Mal tief durch. Anschließend stieß er sich ab und nahm Kurs auf die Holztreppe, die in die erste Etage führte. Dort, wo sich ihre Zimmer befanden. Dort, wo Horohoro sich befand. Hoffentlich. Er erklomm eine Stufe nach der anderen, hielt sich dabei mit einer Hand die schmerzenden Rippen. Als er die letzte Stufe erreicht hatte, seufzte er leise auf. Damit hatte er die erste schwere Hürde gemeistert. Nun blieb ihm nur noch, Horohoro zu finden. Er durchquerte mit schleppenden Schritten den Flur, auf dem Weg zu dem Zimmer, das er sich vor einigen Tagen noch mit Horohoro und Chocolove geteilt hatte. Der Vorhang – das Zimmer besaß nun einmal keine Tür – war zugezogen. Vorsichtig näherte er sich ihm. Kurz bevor er ihn beiseite schob, verharrte er. Horo wusste alles, davon musste er ausgehen, doch er musste es ihm noch erklären. Er stieß ein letztes Mal zitternd den Atem aus, dann schob er das Stück Stoff mit einer schnellen Bewegung beiseite. Blinzelnd versuchte er sich an das helle Licht, das durch das Fenster flutete und ihm direkt ins Gesicht schien, zu gewöhnen und schließlich legte sich das Stechen in seinen Augen und er begann wieder klar zu sehen. Doch wider Erwarten erblickte Ren nicht den Ainu – vielmehr ein verlassenes sauberes Zimmer. Überrascht blinzelte er und brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, dass Horohoro nicht da war. Merklich sackten seine Schultern nach unten. Geschlagen lehnte er sich an den Rahmen der Tür und schloss die Augen. Und jetzt? Was sollte er jetzt machen? Sich in die Krankenstation zurück schleichen und hoffen, dass niemand seine Abwesenheit bemerkt hatte? Das glaubte er doch selber nicht! /Meister, ich spüre die Präsens eines anderen Schutzgeistes/, meinte Bason unvermittelt. Ren öffnete seine Augen und sah den Krieger aufmerksam – ja, beinahe schon begierig - an. „Und wo?“ Bason zögerte einige Moment, bevor er vorsichtig zu bekennen gab: /Auf dem Dach des Hauses. Aber ich glaube nicht, dass du –/ Doch Ren hörte ihm nicht mehr zu, da er bereits auf dem Weg zu der Treppe war, die auf das Dach führte. /Meister, warte!/ Bason beeilte sich, den Chinesen einzuholen. Ren kämpfte sich Schritt um Schritt voran, versuchte die stetig zunehmenden Schmerzen zu unterdrücken, sie vorerst zu verdrängen. Er hatte wichtigeres zu erfüllen. Als er die Treppe erreichte und hinauf blickte, entwich seiner Kehle ein leises, gequältes Stöhnend. War diese Treppe wirklich immer schon so lang und hoch gewesen? Mit einem beklemmenden Gefühl im Magen begab er sich an den zweiten beschwerlichen Aufstieg, der ihm sicher noch einige Schmerzen bereiten würde. oOo Anna musterte das Objekt in ihrer Hand mit Adleraugen. Ihre Augenbrauen waren konzentriert zusammengezogen und ihre Mundwinkel ließen keine Regung vernehmen. Silva schluckte. Als sei der Blonden dies nicht entgangen, richtete sie ihren Blick auf den Schwarzhaarigen, welcher augenblicklich gerade stand. „Und du bist wirklich sicher“, begann sie unheilvoll und dem Schamanenrichter wurde noch eine Spur flauer in der Magengegend. Anna hob die Hand und hielt ihm das kleine Objekt vor die Nase. „Dass dies echte Handarbeit ist?!“ Schweiß hatte sich auf Silvas Stirn gebildet und er blickte Hilfe suchend zu Calim. Dieser gab ihm mit einer hilflosen Geste zu verstehen, dass er die Antwort genauso wenig kannte und notgedrungen richtete Silva seinen Blick wieder auf Anna, die ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte. Der hölzerne Schlüsselanhänger pendelte vor Silvas Gesicht hin und her, der dargestellte Adler blickte ihn beinahe vorwurfsvoll an. Silva räusperte sich. „Ja, Anna, da bin ich mir sicher.“ Er versuchte so viel Überzeugung wie möglich in seine Stimme zu bekommen. Die Blonde musterte ihn skeptisch, bevor sie die Hand zurück zog – Silva atmete unbewusst erleichtert aus – und das hölzerne Tier misstrauisch betrachtete. „Tatsächlich?“, fragte sie leise. Calim nickte bekräftigend. „Und warum“, fuhr Anna finster fort und hielt den beiden Männern schließlich die Unterseite des Anhängers entgegen, „sehe ich dann hier die Worte Made in China?“ Die Luft erschien Silva mit einem mal unnatürlich dünn. Er lächelte verlegen und fasste sich an den Hinterkopf. „Nun ja ... wir haben dort eine unserer Zweigstellen?“ Er blickte aus den Augenwinkeln zurück zu Calim. „Und darum ... du verstehst?“ „In China?“, fragte das Mädchen und warf ihm einen abfälligen Blick zu, bevor sie den Anhänger beiseite stellte. „Ich dachte, euer Unternehmen besteht nur aus euch beiden?“ „Ja ... aber der Hauptsitz ist in ... China.“ „Aha.“ „Anna“, wandte Tamaro, welche die ganze Zeit schweigend daneben gestanden und der Szenerie gefolgt war, schüchtern ein. „Wie wäre es denn, wenn du einfach den Anhänger kaufst? Ich meine“, ihre Wangen röteten sich, „ob es nun Handarbeit ist oder nicht, er sieht doch schön aus und ...“ Ihre Worte verklangen, als die Blonde ihr einen strafenden Blick zusandte und sie senkte beschämt den Blick. „Ich will dir natürlich nichts vorschreiben“, murmelte sie entschuldigend. „Meine Güte, wenn es euch glücklich macht.“ Anna legte den Anhänger zu den anderen Sachen auf die Theke. „Ich nehme ihn dazu.“ Sie wandte sich an Tamaro. „Wenn du willst kannst du ihn haben. Ich bin ein Freund von Handarbeit.“ Merklich erleichtert atmete Silva auf. Die Stimmen von Yoh und Chocolove ließen sie aufblicken. Die beiden Jungen eilten die Straße entlang, direkt an dem Souvenirshop der beiden Schamanenrichter vorbei. Anna wandte sich ab. „Entschuldigt mich einen Moment.“ Sie durchquerte den Laden mit raschen Schritten. „Yoh!“ Bei dem Klang ihrer Stimme erstarrte der Braunhaarige augenblicklich. Langsam drehte er sich zu ihr um. Sie stand in der Tür des Shops und sah ihn forschend an. „Wo wollt ihr beiden so früh hin?“ Auch Chocolove wandte sich nun um, während Yoh antwortete: „Wir suchen Ren.“ „Ren?“, wiederholte Anna und hob die Augenbrauen. „Warum sucht ihr ihn? Er ist doch auf der Krankenstation.“ Yoh schüttelte den Kopf. „Nein, als wir ihn eben besuchen wollten, war sein Bett leer.“ „Faust sagt doch, er soll sich noch schonen.“ „Deshalb suchen wir ihn auch.“ „Und wo, wenn ich fragen darf?“ Yoh sah sie durchdringend an und Anna verstand. Nun zeichnete sich sogar auf ihren Zügen Beunruhigung ab. Nicht stark, dennoch erkennbar. „Beeilt euch“, meinte sie leise und drehte sich um. Die Tür des Ladens fiel hinter ihr zu. Yoh wandte sich an Chocolove. „Du hast sie gehört.“ oOo „Hao wird nicht lange ruhen.“ Jeanne hatte Marco und Lyserg den Rücken gekehrt und blickte aus dem Fenster ihres Zimmers in den blauen Himmel. „Wir müssen wachsam sein.“ „Was sollen wir tun, Jeanne?“, fragte Marco voller Anspannung und schob sich in einer raschen Bewegung die Brille hoch. Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Nichts, abgesehen davon, auf alles gefasst zu sein.“ Sie wandte sich um und betrachtete die beiden mit sorgenvollem Blick. „Jetzt, wo der Junge nicht mehr auf seiner Seite ist, wird er vieles daran setzen, ihn zurück zu bekommen. Sollte er dies nicht schaffen, gehe ich davon aus, dass er ihn zerstören wird. Und alles was ihm teuer ist.“ „Woher –“, setzte Lyserg bereits an, doch Jeanne fuhr bereits erklärend fort. „So denkt Hao. Was er nicht bekommt, darf niemand bekommen. Momentan ist er voller Hass und Zorn darüber, dass Ren es gewagt hat, sich gegen ihn zu stellen. Er dachte, er hätte den Jungen unterworfen und nun hat sich herausgestellt, dass er sich geirrt hat. Hinzu kommt seine Wut auf –“ „Yoh“, entfuhr es dem Engländer, der mit einem Mal verstand. Jeanne nickte langsam. „Genau.“ „Aber ich verstehe nicht –“ „Das brauchst du noch nicht zu verstehen, kleiner Lyserg. Ich verspreche dir, das wirst du früh genug.“Sie drehte sich wieder um, sah aus dem Fenster. „Und jetzt geh, Lyserg. Ich spüre, dass sich etwas ankündigt.“ Voller Trauer senkte sie den Blick, auch wenn die beiden anderen es nicht sehen konnten. „Deinem Freund Ren wird in kurzer Zeit großer Schmerz widerfahren.“ oOo Er trat keuchend auf das flache Dach hinaus und schloss im ersten Moment, von der Sonne geblendet die Augen. Sie schien heute die Angewohnheit zu haben, ihm dauerhaft ins Gesicht zu scheinen ... Er schob diesen Gedanken beiseite und sah sich um. Sein Herzschlag beschleunigte sich merklich, als er eine nur allzu vertraute Gestalt am anderen Ende des Dachs ausmachte, die ihm den Rücken gekehrt hatte und bewegungslos dort saß. Seine Kehle schien mit einem Mal wie ausgetrocknet und er schluckte schwer, um das beklemmende Gefühl loszuwerden. Erfolglos. Er wollte einen Schritt auf den Ainu, welcher ihn offenbar noch nicht bemerkt hatte, zumachen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Wie erstarrt stand er noch immer an derselben Stelle, nicht in der Lage, sich auch nur ein Stück von der Stelle zu bewegen. So wenige Meter trennten sie und dennoch schaffte er es nicht. War er etwa so aufgeregt, dass ihm seine Beine nicht mehr folgen wollten? Konzentriert lenkte er seinen gesamten Willen auf sie und schaffte es schließlich, einige zaghafte Schritte zu machen. Je näher er Horohoro kam, desto schneller schlug sein Herz und sein Atem beschleunigte sich deutlich. Vergessen waren die Schmerzen seiner Verletzungen, seine gesamte Aufmerksamkeit lag auf dem Ainu, welcher so nahe war. Einen halben Meter hinter dem anderen blieb er stehen. Er befürchtete bereits, Horo würde seinen unnatürlich lauten Herzschlag hören, doch noch immer rührte sich der Ainu nicht. Er hob eine Hand und registrierte zu seinem Entsetzen, dass sie zitterte. Fassungslos über seine körperliche Schwäche schüttelte er den Kopf. Seit wann war er so durch den Wind, sobald er auch nur in Horohoros Nähe kam? Ein letztes Mal schluckte er schwer, dann nickte er Bason zu, welcher ihm stumm gefolgt war und erhob die Stimme: „Hallo ... Horohoro.“ Der Blauhaarige zuckte unter seinen Worten zusammen und wirbelte herum. Seine Augen weiteten sich zunächst, als er voller Unglauben zu Ren hinaufstarrte, dann verengten sie sich zu schmalen Schlitzen. Ruckartig erhob er sich und wich ein Stück zurück, blickte Ren feindselig an. „Was willst du?“ Ren blinzelte einige Male, doch das Bild, welches sich ihm bot blieb dasselbe. Was war mit Horohoro los? „Ich wollte“, er räusperte sich, da seine Stimme mehr nach einem Krächzen klang. „Ich bin nur ...“ Warum schaffte er es nicht, die Worte hinter sich zu bringen? Er war hier, um Horo die Wahrheit zu sagen. Nein, sicher kannte der Ainu die Wahrheit schon. Er war hier, um sie ihm zu erklären. Um sich zu rechtfertigen. Ren schreckte kaum merklich zurück, als ihn ohne Vorwarnung ein Gedanke traf. Was ist, wenn er mich wegen der Wahrheit hasst? Warum sonst sollte Horohoro ihn so ansehen, wie er es soeben tat? Doch etwas in ihm weigerte sich, dies zu akzeptieren. So ist er nicht. Horohoro ist immer verständnisvoll gewesen. Warum sollte das jetzt anders sein? „Ich bin hier, um dir -“, setzte er an, doch wurde er grob von Horohoro unterbrochen. „Verschwinde!“ Ren erstarrte. Konnte nicht glauben, was der andere von sich gegeben hatte. Er musste sich verhört haben. „Nein, du verstehst nicht“, versuchte er zu erklären, dabei bemüht, seine Stimme normal klingen und nicht wanken zu lassen. Warum war es nur so verdammt schwer, die richtigen Worte zu finden?! Wieso schaffte er es nicht? „Ich wollte –“ „Ich will nichts von dir hören!“, zischte der Ainu und machte zur Verdeutlichung seiner Worte einen Schritt nach hinten – entfernte sich somit noch mehr von dem Chinesen, welcher nicht verstand, was Horohoro hatte. Der es nicht verstehen wollte. Nicht konnte. Warum war Horohoro mit einem Mal so abweisend? Warum sah er ihn so hasserfüllt an? Dem Chinesen war als würde sich eine eiserne Hand fest um sein Herz schließen und langsam zudrücken. Er machte einen zögerlichen Schritt auf den anderen zu, wollte nicht aufgeben, konnte nicht akzeptieren, was sein Geist versuchte, ihm begreiflich zu machen. Horohoro konnte ihn doch nicht einfach so hassen. „Bleib da stehen“, zischte der Stirnbandträger und ballte die Fäuste. Ren hörte nicht auf ihn. „Du sollst stehen bleiben“, wiederholte Horohoro eindringlicher, als Ren nicht die Anstalten machte, stehen zu bleiben. „Horohoro, hör mir zu. Ich wollte nicht ... das alles hab ich nur –“ „Bleib stehen!“ oOo „Ich hoffe, wir sind noch nicht zu spät“, keuchte Yoh im Rennen und aufrichtige Sorge lag in seiner Stimme. „Vielleicht machen wir uns nur unnötig Sorgen und Ren hat ihn noch gar nicht gefunden“, meinte Chocolove mit wenig Optimismus in der Stimme. /Ich kann die Präsenz von Bason spüren/, bemerkte Amidamaru, der unmittelbar neben Yoh schwebte und erstickte mit diesen Worten sämtliche Hoffnungen im Keim. „Bist du dir sicher?“, fragte Yoh merklich beunruhigt. /Ja. Bason war hier. Er ist sehr nah./ „Das heißt, Ren ist schon bei Horohoro“, brachte Chocolove die Tatsachen auf den Punkt. Die Tür ihres Hauses flog auf und die beiden Jungen eilten durch den Vorraum, die Treppen hinauf. /Auf dem Dach/, wies Yohs Schutzgeist ihnen die Richtung. Sie erklommen die erste Treppe ins Obergeschoss, eilten über den Flur und die nächste Treppe zum Dach hinauf. Sie hörten ein dumpfes Geräusch von oben. In Yoh zog sich alles zusammen. Schließlich erreichten sie das Ende der Treppe und traten in das Licht der Morgensonne hinaus. „Was zum –“, gab Chocolove ungläubig von sich. Auch Yoh blieb stehen sich und starrte voller Entsetzen auf das Szenario, was sich ihnen bot. Warum hast du das getan, Horohoro? oOo /Meister Horohoro!/, rief Bason bestürzt aus und nahm seine menschliche Schutzgeistgestalt an. Die Faust des Ainus zitterte noch immer, als er sie langsam sinken ließ und Ren ausdruckslos ansah. Der Chinese stand wie vom Donner gerührt da und starrte fassungslos zur Seite. Verschwunden war seine einstige Gelassenheit, seine Ruhe, seine eiserne Selbstbeherrschung. Der Schlag Horohoros hatte ihn unerwartet getroffen. Ein unangenehmes Ziehen ging von seiner Wange aus, doch war dies nichts im Gegensatz zu dem Chaos, welches in seinem Inneren wütete. Ren war ein Mensch, der nie viel Wert auf kitschige Gefühle gelegt hatte. Wenn Yoh und die anderen von gut aussehenden Mädchen aus der Schule geredet hatten – dabei immer darauf bedacht, dass Anna sie nie dabei erwischte - hatte er selbst sich immer entschieden im Hintergrund gehalten und wenn Anna wieder eine ihrer Nachmittagsserien gesehen hatte, war er so schnell wie möglich außer Reichweite geflüchtet, bevor die Blonde ihn noch in dieses Nachmittagsritual mit einbezog, ihn womöglich über das Beziehungsraster aufklärte und ihm zu erklären versuchte, wer mit wem zusammen war oder wer sich erst kürzlich von wem getrennt hatte. Es hatte ihn schlicht und ergreifend nicht interessiert, zumal er damals noch der Überzeugung gewesen war, dass er es überhaupt nicht zu wissen brauchte. Er hatte angenommen, ihn würde etwas Derartiges niemals treffen. Er hatte stets stumm den Kopf geschüttelt, wenn er von irgendwoher mitbekam, dass Menschen bei einer Trennung von einer geliebten Person Herzschmerz verspürten und litten. Er konnte nicht glauben, dass es einen solchen Schmerz überhaupt gab. Er kannte nur physischen Schmerz. Es war unmöglich, dass das Herz schmerzte, nur weil einem etwas Schlechtes widerfuhr. Umso bestürzter war Ren, als er nun ein unerwartetes Ziehen in seiner Brust verspürte, welches unmöglich von dem Schlag des Ainus stammen konnte. Es schien ihm – so befremdlich es auch auf ihn wirkte – als würde sich sein Herz vor Leid zusammenziehen. Das Pochen in seiner getroffenen Wange war nichts gegen diesen reißenden Schmerz in seinem Inneren. Er hob den Blick, den er starr auf den Boden gerichtet hatte und sah langsam zu Horohoro auf. Zögernd suchte er den Blick des Ainus, während er eine Hand hob und sie ungläubig auf seine getroffene Wange legte.Erst jetzt sickerte die Erkenntnis vollständig zu ihm durch. Horohoro hatte ihn geschlagen. Seit ihrem ersten Aufeinandertreffen waren sie schon oft aneinander geraten. Zwischen ihnen gab es unzählige Auseinandersetzungen und mehrfache Handgemenge bis hin zu heftigen Konfrontationen. Sie hatten sich bereits oft scherzhafte Kopfnüsse verpasst, Ren hatte mit seiner Waffe im Zorn den Ainu mehrfach nur knapp verfehlt. Doch geschlagen – richtig geschlagen – hatten sie sich noch nie. Sein Blick wanderte das Gesicht des Stirnbandträgers hinauf, suchte seine Augen und er hielt inne. Rens Magen verkrampfte sich, als er sich der unterdrückten Wut in Horohoros Augen gegenübersah. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich dem anderen gänzlich unterlegen. Dies war ein Gefühl, das er nicht kannte. Mit dem er nicht klarkam. Er konnte vieles verkraften, doch die offene Abneigung des Ainus machte ihm mehr zu schaffen, als er jemals befürchtet hatte. Es war, als hätte man ihm des Bodens unter den Füßen beraubt. Ungläubig schüttelte er den Kopf, als würde er durch diese Handlung den Zorn aus Horohoros Augen vertreiben können. „Warum -“, setzte er zu einem kläglichen Versuch an, realisierte jedoch bereits im selben Moment welche Sinnlosigkeit sich dahinter verbarg und brach ab. Horohoro lag im Recht mit dieser Reaktion. Wahrscheinlich hasste ihn der Ainu bereits abgrundtief, weil er über alles Bescheid wusste und Ren für das, was er getan hatte, verurteilte. Er wandte den Blick ab und starrte auf den hellen steinernen Boden des flachen Daches. Der Schmerz in seinem Inneren drohte ihn zu überwältigen. Ruckartig drehte er sich um. Nicht vor Horohoro. „Tut mir Leid.“ Nur diese Worte. Mehr brachte er nicht mehr hervor, dann setzten sich seine Beine wie von alleine in Bewegung, geleitet von dem unbändigen Schmerz in sich, welcher ihm gebot, sich so weit wie möglich von Horohoro zu entfernen, nur um diesem Blick nicht mehr ausgesetzt zu sein. Blind rannte er los, bemerkte nicht einmal Yoh und Chocolove, die durch seine Reaktion aufgeschreckt, versuchten, ihn aufzuhalten, ihm etwas hinterher riefen. Er hörte nichts. Er sah nichts. Er spürte lediglich ... Schmerz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)