Die Weiße Schlange von MorgainePendragon ================================================================================ Kapitel 14: Hijikata Toshizo ---------------------------- Takeo, Shido, Yasha und der alte Izuka Shizen hatten Kyoto zusammen mit einem Trupp ausgesuchter Kämpfer bereits am Mittag des folgenden Tages erreicht. Sie hatten sich aufgeteilt, um Nachforschungen im Stadtteil Nogushi anzustellen, waren allerdings nirgends auch nur auf die kleinste Spur der Shinsengumi gestoßen. Yasha musste zu diesem Zweck in eine Verkleidung schlüpfen, die ihm so ganz und gar nicht zusagte: Er sah mit dem weiten, sackleinenen Lumpengewand, dem bis in die Stirn gezogenen Kopftuch und mit der gebeugten Haltung, in der er sich fortbewegte, wirklich so aus wie ein greises Mütterchen, das nicht mehr die Kraft hatte gerade zu gehen. Es hatte die beiden jungen Männer all ihre Überredungskünste gekostet, Yasha dazu zu bringen diese Sachen anzuziehen. Letztendlich war aber auch dem sturen Halbdämon klar, dass er nicht einen einzigen Schritt in die Stadt hätte setzen können, wenn er seine lange Mähne - ganz zu schweigen von den doch recht auffälligen Hundeohren - NICHT verhüllt hätte. Frustriert und erschöpft fanden sie sich am frühen Abend in einer billigen Absteige ein, um ihre Lage zu besprechen. Sie verteilten sich möglichst weitläufig über den gesamten Schankraum, damit ihre Zusammengehörigkeit wenigstens auf den ersten Blick nicht allzu sehr auffiel. Takeo hatte das Gesicht in beide Hände gestützt und hatte sicher seit zwanzig Minuten nicht ein Wort mehr gesagt. Er vermied es an Madoka zu denken. Und wenn er es doch tat, spürte er eine rasende, kochende Wut auf ihre Entführer in sich aufsteigen, die ihm selbst Angst machte. Er bemühte sich ruhig zu bleiben, konnte jedoch nicht verhindern, dass seine Hände nervös zitterten, als er nun nach der flachen, kleinen Schale mit Sake vor sich griff. Nur Shido-san fiel auf, wie es seinem Freund wirklich ging. Er war sehr besorgt, wollte ihn zugleich aber auch nicht bedrängen oder gar bemuttern. Daher schwieg er, aber GEFALLEN tat ihm Takeos Zustand nicht. Sollte er Madoka dafür nun hassen? Er erforschte seine Gefühle und stellte fest: Nein. Das konnte er nicht. Und unwillkürlich drängte sich ihm ein Bild auf: Madoka, wie sie am ersten Abend nach ihrer Ankunft weinend in seinen Armen lag... Ihm wurde mit einem Mal ganz warm und er bemühte sich, nur auf seine Hände hinunterzuschauen. Dann schüttelte er den Kopf und zugleich den Gedanken ab. Es gab nun wahrhaft wichtigere Dinge, die es zu bedenken galt. Yasha hatte auch lange Zeit nichts gesagt - wohl aber aus dem offensichtlichen Grund, eben NICHT als Mann oder gar das aufzufallen, was er wirklich war. Der einzige der halbwegs normal dreinschaute, beinahe gelangweilt, war Izuka-san. Der alte Mann bestellte sich nun schon den zweiten Krug Sake. Shido bewunderte insgeheim die Trinkfestigkeit des alten Haudegens. "Ich würde mir keine Sorgen machen.", sagte er gerade ruhig. "Wenn es wirklich so ist, dass dein Bruder es darauf anlegt dich zu sehen, dann werden sie UNS finden. Wir brauchen sie nicht zu suchen." "Mpf...", machte Yasha unter seiner Kapuze hervor. "Weshalb haben sie dann die Mädchen entführt? Sie hätten doch einfach lieb darum bitten können, dann hätten wir ihnen bestimmt ohnehin einen Besuch abgestattet..." "Gaaanz bestimmt...", brummte Shido sarkastisch. "Du bist so naiv." "WER ist hier naiv, Gockelkopf?", fauchte der Halbdämon böse. "Es liegt doch auf der Hand warum er die Frauen entführt hat.", ließ sich nun doch auch Takeo vernehmen. Der junge Samurai sah zwar in Shidos Richtung, der ihm direkt gegenüber saß, sein Blick schien jedoch durch ihn hindurchzugehen. "Sie wollen uns wütend machen, rasend vor Wut. Wir sollen leichtsinnig werden..." Jemand klatschte in die Hände - langsam und demonstrativ provozierend. Plötzlich wurde es in dem verrauchten Raum des Gasthauses sehr still. Alle Blicke richteten sich auf die schlanke, hochgewachsene, ganz in einen schwarzen Kimono gehüllte Gestalt, die an der rückwärtigen Wand neben dem Durchgang zur Küche im Schatten lehnte. Als sich die Person sicher war, sämtliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben, trat sie effektvoll ins Licht - und Izuka sog erschrocken die Luft ein. "Hijikata! Hijikata Toshizo!" Sofort brach Tumult in dem Schankraum aus. Sämtliche Personen im Raum, die NICHT zu Takeos Gruppe gehörten, sprangen auf und versuchten wild durcheinanderlaufend hektisch die Tür zu erreichen, um am besten alle zugleich nach draußen zu drängen. Angstvolle Blicke wurden zurückgeworfen, hektisch geflüsterte Stimmen behaupteten, das dies der gefährlichste, schlaueste und gerissenste Kämpfer der Shinsengumi war. Hijikata war sehr schlank und sehr groß. Sein Haar, dass er zu einem hohen Zopf gebunden trug, war ebenso schwarz wie sein Kimono, und fiel ihm lang und glänzend über die Schulter. Sein Gesicht war blass, die Augen schmal und ein beinahe lauernder Ausdruck darin verhinderte, dass man mehr als nur dunkle Pupillen, beinahe schon schwarze Abgründe, erkennen konnte. Er hatte steile Augenbrauen und eine beständige Zornesfalte schien seine Stirn zu verunzieren. Dennoch: Auch dieser Kämpfer der Shinsengumi war alles andere als schlecht aussehend. Er war vielleicht Mitte dreißig, wirkte zwar äußerst bedrohlich - aber er war nicht hässlich. Er hatte das Gebaren und Aussehen eines grazilen, schwarzen Panthers auf der Jagd. Jetzt hatte er ihren Tisch erreicht und blickte auf Takeo hinunter. Er ignorierte Izuka-san, der ihn immer noch mit großen Augen anstarrte. "Das ist gar nicht so falsch gedacht, Kleiner.", sagte er leise - seine Stimme schnitt dennoch mühelos durch jedes andere Geräusch, das zu hören war. "Mamoru-san möchte schließlich den berühmt-berüchtigten Hitokiri treffen - nicht den verweichlichten Jammerlappen von einem Mann, der du jetzt bist. Da ist es doch nur nachvollziehbar, wenn er dich ein wenig... sagen wir "wütend" machen möchte..." Ein süffisantes, falsches Lächeln stahl sich auf seine Züge. Takeo erwiderte den Blick aus den schwarzen Augen vollkommen regungslos, als wolle er die letzten Worte des Mannes Lügen strafen. Dafür war Shido wohl nahe daran, dem Fremden an den Kragen zu springen. "Ganz und gar wunderbar. Wir haben jemanden gefunden, der für uns den Fremdenführer mimt.", zischte er böse, seine braunen Augen blitzten. "Ist es nicht so, Toshi-SAN?" Er betonte die letzte Silbe dermaßen überzogen, dass es einer Beleidigung gleichkam, und fuhr unbeirrbar fort: "So sehen wir uns also wieder. Schön. Dann werden wir nun zweifellos den Mann hinter den letzten... "Übergriffen" kennen lernen, oder? Seit wann tanzt die Shinsengumi nach der Pfeife irgendeines dahergelaufenen größenwahnsinnigen Emporkömmlings wie Yamazaki Mamoru?" Für eine Sekunde blitzte es gefährlich auf in jenen schwarzen, grundlosen Augen, doch dann blickte Hijikata auf Shido hinunter, als hätte er ein besonders ekliges oder doch zumindest lästiges Insekt entdeckt, das nicht einmal lohnte zertreten zu werden. Er ließ sich auch nicht zu einer Antwort herab, wandte den Kopf und sah nun doch Izuka an. "Dass wir uns noch einmal begegnen hätte ich auch niemals für möglich gehalten, Shizen-san." Sein Blick wurde schmal. "Alt bist du geworden. Was hast du dir nur dabei gedacht, mit diesen Kindern hier herzukommen? Du weißt, dass du nicht lebend aus dieser Geschichte herauskommst - wo auch immer sie hinführen mag. Ich werde dich nicht gehen lassen." "Und du? Scheinst immer noch genau der kleine, unvernünftige Junge von einst zu sein. Du hast dich überhaupt nicht verändert, bist noch genauso böse, wie du es schon als Kind immer warst. Einfach nur böse. Dazu hast du nie einen besonderen Grund gebraucht. Dir hat es einfach immer schon gefallen, andere Menschen zu quälen." Izuka schüttelte den Kopf. Dann fügte er ohne Angst in der Stimme hinzu: "Ja, ich weiß, dass ich noch einen Kampf in meinem Leben auszufechten habe und von dem Moment an, als ich dich zum ersten Mal sah, wusste ich, dass dieser Tag irgendwann kommen würde da ich dir gegenüberstehen werde und wir beide auf verschiedenen Seiten kämpfen. Aus diesem Grund bin ich hier. Vielleicht war mir das von Anfang an bestimmt." Er erwiderte den Blick des schwarzhaarigen Hünen fest. Shido sah mit wachsender Verwirrung von einem zum anderen. Was hier vor sich ging musste auf ein Ereignis aus der Zeit zurückgehen, BEVOR er selbst zur Shinsengumi gestoßen war, vielleicht aus der Bakumatsu-Ära, der Zeit der Bürgerkriege. "Alter Narr!", zischte Hijikata böse. "Du weißt nicht was du sagst. Der Tod ist nicht das erlösende Schicksal, das du dir erhoffst! Das ist der Tod nie!" "Da hast du etwas falsch verstanden, Toshizo. Der Tod ist die Erlösung. Immer. Das STERBEN ist das, wovor der Mensch Angst hat. Aber selbst DIESE Angst habe ich im Krieg hinter mir gelassen..." "Sehr gut. Dann lass es uns doch jetzt gleich hier hinter uns bringen. Das hätte ich schon lange tun sollen." Hijikata trat einen Schritt zurück und zog das längste Schwert, das zumindest Yasha je gesehen hatte - wie man an seinem ungläubigen Blick unschwer erkennen konnte. Mannsgroß und äußerst biegsam, nichtsdestotrotz jedoch sehr scharf, fing seine Klinge die tanzenden Lichter der Laternen im Schankraum ein. Und jetzt erinnerte Shido sich wieder: Hijikata Toshizo, Vize-Kommandant der Shinsengumi von Kyoto, war ein Meister im Umgang mit dem No-Dachi. Hierfür war er bekannt und gefürchtet. Allerdings hatte er selbst ihn nie zuvor - auch nicht, als er noch selbst ein Mitglied der Shinsengumi war - damit kämpfen sehen. Wie es aussah würde sich das jetzt ändern. Hijikata schien sich nicht darum zu kümmern, dass er eigentlich gar nicht genug Platz hatte das Schwert zu ziehen, geschweigedenn es zu führen, aber er war wohl wild dazu entschlossen eine alte Rechnung zu begleichen, von der die übrigen Anwesenden nichts wussten. Der sonst so besonnene, alte Izuka erhob sich langsam, schien wohl tatsächlich auf die Forderung eingehen zu wollen. Er zog in einer betont langsamen Bewegung sein Schwert. Hijikata hob die Klinge über seinen Kopf und ließ sie flach über sich kreisen, unmittelbar unter der Decke des Zimmers. Als die Schneide nach vorn zuckte traf sie plötzlich funkensprühend auf Widerstand. Takeo stand direkt vor ihm und hatte den Schwung des riesigen No-Dachi mit seinem eigenen Schwert abgefangen. Sekundenlang standen beide Kontrahenten ganz still, sahen sich gegenseitig über die gekreuzten Klingen hinweg an, ein jeder den jeweils anderen abschätzend. Takeo war beileibe nicht klein - aber Hijikata war ein wahrer Riese. Er musste selbst Shido oder Saito an Größe noch überragen. Takeo musste aufsehen. Seltsamerweise tat das seinem eindrucksvollen Auftritt jedoch keinerlei Abbruch. Seine Haltung und Kleidung waren durch und durch die eines Kriegers und jeder in diesem Raum wusste, dass er nicht weichen würde, ganz unabhängig davon als wer er nun vor Hijikata stand: Einfach nur als ein entschlossener Samurai oder als ein zu allem fähiger Hitokiri. Das schien Toshizo genauso zu sehen. "Sieh an. Der "Rote Schatten". Ich hatte dich eben gar nicht erkannt. Interessant dich kennen zu lernen. Gar so schwach, wie Saito behauptet, scheinst ja nun doch nicht zu sein." Er trat einen Schritt zurück, die Klinge wurde scharrend zurück in die Scheide geschoben. "Aber gut, ich will es jetzt einmal dabei belassen. Man ist zu dem Entschluss gekommen, euch LEBEND zu fassen - daher möchte ich euch nun einfach bitten mir zu folgen. Dies ist zwar keine Bitte, doch bat man MICH wiederum, euch nichts zu tun, falls ihr ablehnen solltet - obwohl ich mir das in Anbetracht der überzeugenden Argumente, die sich momentan in unserer Obhut befinden, nicht denken kann." Er warf Izuka einen kalten Blick aus seinen schmalen Augen zu. "Aber merke dir eines, alter Mann, jener Tag, von dem du gesprochen hast, wird kommen. So oder so. Unsere Klingen werden sich einmal mehr kreuzen. Wenn nicht hier, dann eben an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit. Glaube mir, ich vergesse niemals etwas." Er drehte sich geschmeidig auf dem Absatz herum und verschwand nach draußen, während die anderem ihm alle noch entgeistert nachblickten. Am überraschtesten war wahrscheinlich Izuka. "Er... hat tatsächlich auf einen Kampf verzichtet? Ich kann es kaum glauben. Früher ließ er keine Gelegenheit aus..." "Hör mal, Alterchen. Es ist mir eigentlich ziemlich egal woher du diesen unheimlichen Kerl kennst und was ihr früher erlebt habt, aber er ist unsere einzige Verbindung zu den Mädchen. Wir sollten ihm folgen. JETZT. Ich bin mir nicht sicher, dass er auf uns warten würde." Shido hatte sich bereits erhoben und war schon an der Tür. Auch Takeo schob sein Katana zurück in die Scheide. Er wirkte erleichtert. Nicht, dass er Angst vor einem Kampf mit Hijikata verspürt hätte. Noch nie hatte er wirklich ANGST bei einem Kampf empfunden. Da waren immer viel zu viele andere Emotionen, die über die mögliche Angst triumphierten. Nein, Angst war es nicht, eher die Befürchtung, dass er in einem Kampf ohne Kompromisse wieder zum Mörder werden könnte. Es war unwichtig, dass er sich in diesem Moment nur verteidigen würde. Ein weiteres Mal stünde ein Leben auf dem Spiel - DAS war es, was zählte. Takeo zog auch nicht eine Sekunde lang die Möglichkeit in Erwägung SELBST zum Opfer werden zu können. Er sah immer nur den Mörder in sich und das Blut, das an seinen Händen klebte. Er war buchstäblich blind für alles andere. Das wusste er sehr wohl. Und DAS machte ihm doch Angst. Er war froh, dass er nicht hatte kämpfen müssen. Die Gruppe beeilte sich das Gasthaus zu verlassen. Zurück blieb ein in Schweiß gebadeter Wirt, der sich beinahe die Hose nass gemacht hätte, so erleichtert war auch ER, dass es nicht zum Kampf gekommen war. Seine Einrichtung war einmal mehr unversehrt geblieben. Er ließ den Fremden keinen Abschiedsgruß zukommen und verschwand dann, nachdem sie gegangen waren, sehr schnell im Hinterzimmer, wo er sein stilles Örtchen wusste und erstmal einen klaren Kopf bekommen konnte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)