Lost in a Nightmare von SoraNoRyu (YamiXYugi) ================================================================================ Kapitel 11: Wächter der Nacht ----------------------------- Kapitel 11: Wächter der Nacht *Yugis PoV* Als ich langsam wieder zu mir komme, habe ich das Gefühl, noch immer zu träumen. Ich liege ganz klein zusammengerollt in den Armen meiner Mutter, geborgen wie ein kleines Kind. Es ist ein gutes Gefühl. Aber irgendwie ist es schon seltsam. Ich mag zwar klein sein, aber so klein bin ich schon lange nicht mehr. Und irgendetwas war da noch… Aus irgendeinem Grund war ich doch schon lange nicht mehr zu Hause. Und dann fällt es mir wieder ein. Die Entführung. Das Labyrinth. Die Mumie. Erschrocken wache ich auf. Die Arme, die mich halten, sind nicht die meiner Mutter. Es ist eine Statue, die des Schwarzen Magiers. Hatte der nicht zuletzt noch gestanden? Vielleicht ist es eine andere Statue. Dieser Magier hier sitzt im Schneidersitz, die Arme locker wie zur Meditation auf die Knie gelegt. Der imposante Stab lehnt locker an seiner rechten Schulter. Das lange Gewand ist so über seinen Schoß drapiert, dass das glatte Metall dort eine bequeme Mulde formt. Hier habe ich bis jetzt geschlafen. Mein Bauch tut höllisch weh. Das weiße T-Schirt unter meiner Jacke ist ganz dunkel von getrocknetem Blut. Irgendjemand hat es mir ausgezogen und zu einem Verband gewickelt. Frische Verbände waren keine mehr in meiner Tasche… Für einen zweiten Verletzten waren wir nicht ausgerüstet. Die Luft um mich her ist eiskalt, vermutlich war es das, was mich geweckt hat. Wie lange ich wohl geschlafen habe? Vor mir auf dem Boden liegt ein dunkelvioletter Mantel. Ich ziehe den schweren Stoff über mich, das Material ist schön warm und ganz weich. Ich lehne mich zurück in die Arme der Statue und versuche, mir die letzten Ereignisse nochmal in Erinnerung zu rufen. Das Gewicht des Puzzles um meinen Hals fehlt mir. Und wie ich es auch drehe und wende; die Mumie hat mich gerettet. Ich mache es mir so bequem wie möglich in den Armen der Statue. Etwas klimpert an ihrem Arm, ich sehe nach, was das sein könnte. Es ist mein Armband. Das billige Plastikteil, das ich dem Magier auf unserem ersten Rundlauf umgebunden habe. Es ist dieselbe Statue. Etwas weiter am Gang kann ich den Weißen Drachen sehen, und mir gegenüber ist die Schiebetafel. Was hat Marik nochmal dazu gesagt? Der kürzeste Weg nach draußen liegt direkt gegenüber des Magiers… Ich will aufstehen und mir die Tafel ansehen, aber der Schmerz in meinem Bauch hält mich zurück. Ich gebe auf und lehne mich wieder an die Brust meines Magiers, dick in den warmen Stoff eingepackt. Ich schlafe nicht besonders tief. Genaugenommen schlafe ich gar nicht wirklich, verlasse nicht den Raum, in dem ich liege. Ich ruhe mich lediglich mit geschlossenen Augen etwas aus. Deswegen bemerke ich diesmal auch, wie sich jemand vorsichtig heranschleicht. Nicht so wie jemand, den ein schlechtes Gewissen zum Schweigen verdammt. Eher wie jemand, der nur niemanden wecken will, wie mein Großvater, wenn er nachts nochmal in mein Zimmer kommt, um das Licht auszumachen. Der Jemand hier bleibt still neben der Statue stehen. Ich kann seinen Blick auf mir spüren. Das Gefühl kommt mir vertraut vor, aber ich traue mich nicht, die Augen zu öffnen. Ohne so wirklich zu wissen wieso, vielleicht auch einfach nur aus Müdigkeit, stelle ich mich weiter schlafend. Eine dünne Hand greift nach der Decke und zieht sie vorsichtig wieder über meine kalte Schulter. Noch so ein Gefühl, das mir bekannt vorkommt. Letztendlich siegt die Neugier dann doch über die Müdigkeit. Der geheimnisvolle Jemand hat sich zurückgezogen, ist aber noch immer im Raum. Er müsste jetzt etwas weiter weg an der Wand sitzen, aber immer noch so, dass er mein Gesicht sehen kann. Langsam, als wäre ich tatsächlich gerade aufgewacht, öffne ich blinzelnd die Augen. Ich kann spüren, wie sich die verschwommene Gestalt vor mir anspannt und lasse meine Augen wieder zufallen. Während ich mir mit einer zitternden Hand den Sand aus den Augen reibe, steht der Jemand leise auf, um sich davonzuschleichen. „Warte.“ Meine Stimme klingt fürchterlich. Genaugenommen bin ich fast erstaunt, dass überhaupt ein Ton herauskommt. Trotzdem scheint der Mann mich verstanden zu haben; er bleibt stehen. Ich blinzle den Schlaf aus den Augen, langsam kann ich etwas sehen. Die Gestalt, die sich jetzt langsam wieder zu mir umdreht, ist die Mumie. Nur, dass sie jetzt und hier nicht mehr so selbstbewusst auftritt. Sie wirkt auch gar nicht mehr gefährlich, eher wie ein kleines Kind, das aus Versehen einen großen Hund geweckt hat. Sie hat Angst. Die Situation scheint grotesk, und wäre der brennende Schmerz in meinem Bauch nicht, würde ich annehmen, ich träumte nur. Aber ich bin wach. Ich muss fürchterlich verplant aussehen, wie ich da mit vom Schlaf verwuschelten Haaren in die Decke gewickelt sitze und müde vor mich hin blinzle. Die Mumie sieht mich abwartend an, mit denselben blutroten Augen, die mir bisher solche Angst gemacht haben. Und zum ersten Mal fällt mir wirklich die Veränderung auf, die sie durchgemacht hat, und nicht nur in ihrem Verhalten. Die Mumie scheint sich zu erholen. Sie wirkt gesünder, kräftiger als am Anfang. Statt der glühenden Lichter sitzen jetzt richtige Augen in den vorher leeren Höhlen, die Haut ist vollständig und darunter sind dünne Muskeln sichtbar. Allerdings sehen die lockeren Bandagen zunehmend schlimmer aus; ein Wunder, dass sie sich überhaupt noch bewegen kann, ohne umzufallen. Mir fällt auf, dass ich starre, und ich blinzle ein paarmal verlegen. Die Mumie steht noch immer vor mir, als würde sie ein hartes Urteil erwarten, entspannt sich aber langsam, als keines kommt. Die Situation ist mir neu; niemand misst mir so viel Autorität bei. Der Einzige, dem mein Urteil je so nahe gegangen wäre, war mein Anderes Ich, und er ist… Warte mal. Mit einem Gefühl, als würden die letzten Puzzlestücke langsam an die ihnen zugedachte Stelle fallen, wird mir die Situation plötzlich klar wie das vorher so verworrene Bild. „Yami?“ Einen Moment lang sieht der Pharao aus, als wüsste er nicht, ob er weglaufen soll. Letztlich entscheidet er sich dafür, einfach wortlos zu nicken. Mir steigen die Tränen in die Augen. Ich will aufspringen und ihm um den Hals fallen, aber mein Körper bewegt sich nicht. Außer meinem Bauch schmerzt inzwischen auch der Rest meines Körpers, es tut schon weh, einfach nur hier zu sitzen. Weinen scheint aber auch den gewünschten Effekt zu haben. Yami kommt zu mir, nimmt mich vorsichtig in den Arm. Er passt ganz genau auf, mich nur durch die Decke zu berühren, als hätte er Angst, ich würde vor ihm zurückschrecken. Ich komme mir fürchterlich dumm vor, solche Angst vor ihm gehabt zu haben. Ich will irgendwie meine Arme freibekommen, um die Umarmung zu erwidern, aber ich kann nicht. Letztendlich schaffe ich es nur, meinen Kopf auf seine Schulter zu legen. Er riecht fürchterlich, aber irgendwo hinter dem Moder und Dreck der Jahrtausende ist noch immer der vertraute Geruch, den ich so vermisst habe. Ich bin froh, ihn zurück zu haben. „Ich hab dich vermisst.“ „Ich dich auch, Yugi. Es tut mir Leid, dass ich…“ „Ist schon okay.“ Ich weiß nicht, wofür genau er sich entschuldigen will, aber es ist mir auch egal. Mein Anderes Ich ist zurück, das ist alles, was jetzt zählt. Ich glaube, es ist auch alles, was ich jetzt gebraucht habe. Yami fängt an, mir sachte über den Rücken zu streichen, und endlich kommt der ersehnte Schlaf und gönnt mir etwas Ruhe von all der Aufregung. Yami ist wieder zurück. Jetzt ist alles gut. Es ist kalt, als ich wieder aufwache, und wieder liegt meine Decke am Boden. Die Ruhe hat mir gut getan, die Schmerzen – außer dem im Bauch – sind fast verschwunden. Yami sitzt in seiner üblichen lässigen Haltung an der Wand neben der Schiebetafel. Er lächelt mir zu, ich grinse zurück. Ich stehe vorsichtig auf, um zu ihm zu gehen, aber Yami ist schneller. Bevor ich auch nur meine Füße auf den Boden bekomme, ist er schon an meiner Seite und hält mich mit sanfter Gewalt zurück. Ich soll mich nicht zu viel bewegen, meint er. Er macht sich Sorgen… Kein Wunder, ich bin ja auch angeschossen worden. Mir fällt ein, wie schlecht es Marik zuletzt gegangen ist, und mir kommt ein schrecklicher Gedanke. „Die anderen… weißt du, was mit ihnen passiert ist?“ Yami zögert, er hat die Frage wohl nicht erwartet. „Ich weiß es nicht.“, gibt er schließlich zu. Er schweigt eine Weile nachdenklich, dann meint er: „Die Statuen werden sie beschützen. Sie sind auf eurer Seite.“ Das beruhigt mich nicht wirklich. Sicher, die Statuen haben nie gegen uns gearbeitet, aber vor den Waffen der Männer können sie uns nicht schützen. Wenn Yami mich nicht gefangen hätte… „Du wärst nicht gestorben.“, versichert Yami, als könne er meine Gedanken lesen, „der Raum unter dir ist weich gepolstert. Du hättest dir aber wohl sicher ein paar Knochen gebrochen, deswegen…“ Deswegen hat er meinen Fall gebremst. „Ich kann nach deinen… unseren Freunden sehen, wenn du willst.“, bietet er mir an. „Das kannst du?“ „Ja. Der Weg ist recht weit, sie bewegen sich zielsicher Richtung Ausgang. Zumindest den aktivierten Fallen nach zu schließen.“ Der Ausgang… Dahin muss ich auch, besser früher als später. Yami scheint natürlich auch das wieder zu wissen. „Siehst du die Tafel dort?“ Er deutet auf die Schiebetafel. „Wenn du das Rätsel lösen kannst, kommst du fast direkt draußen an. Ich bringe dir Wasser und etwas zu essen, dann kannst du daran arbeiten, während ich den langen Weg nehme.“ Er sieht mich prüfend an. „Ich traue dir zu, dass du sie in ein paar Stunden schaffen kannst, also brauchst du dich nicht zu beeilen. Ruh dich aus, schlaf, so viel du kannst. Streng dich nicht zu sehr an und…“ Ich kann nicht anders, ich muss einfach lachen. Nicht lange, dafür tut mein Bauch zu sehr weh, aber Yami ist einfach zu süß, wenn er sich um mich sorgt. „Ist schon gut, ich pass auf mich auf.“, versichere ich ihm. Er glaubt mir. „Komm mal kurz her.“ Yami wollte gerade aufstehen, die verworrenen Bandagen machen es ihm nicht leicht. Ein Wunder, dass er bis jetzt nicht gestolpert ist. Folgsam setzt er sich wieder zu mir. „Ich mach dir das mal lieber ab.“ Die alten Bandagen sind erstaunlich zäh und reißfest, wenn auch an einigen Stellen von den Kugeln zerrissen. Das stabile Material scheint ihn wohl auch vor den Schüssen geschützt zu haben; die Kugeln sind einfach stecken geblieben. Gut, ein bisschen Magie war vielleicht auch dabei, normale Mumien sind eigentlich nicht so kugelsicher verpackt. Yami hält ganz still, während ich mich durch das Chaos an Schlaufen und Knoten wühle. Irgendwo in dem Gewirr muss ein loses Ende sein, mit dem ich anfangen kann, bis dahin kann ich nur versuchen, die Schlaufen etwas zu ordnen. Blöd, dass ich keine Schere dabei habe, aber die Herausforderung reizt mich. Geduldspiele waren schon immer meine Stärke, und ich habe schon einige verworrene Knoten gelöst, an denen andere verzweifelt sind. Hier sind es eben ein paar mehr Knoten, aber das macht auch nichts. Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben; wenn ich mich damals von dem Kabelsalat hinter unserem Fernseher hätte abschrecken lassen, hätten wir heute noch kein vernünftiges Bild. Es wird schon langsam warm, als ich das Bandagenchaos soweit sortiert habe, dass ich ein loses Ende finde. Es ist nicht das eigentliche Ende, der Stoff ist an der Stelle lediglich von den Kugeln zerrissen, aber es reicht. Damit kann ich arbeiten. Ich fädele das Ende vorsichtig über und unter den verschiedenen Schlaufen durch. Während ich den Weg durch das Chaos suche, rollt Yami schon mal das Ende auf, damit ich den Stoff nicht der ganzen Länge nach durchfädeln muss. Ein kompaktes Röllchen ist leichter zu bewegen als ein langes Stück Verband, erst recht auf dem kurvigen Weg durch das Chaos. Der Körper unter den Bandagen sieht nicht so schlimm aus, wie ich befürchtet habe. Ein bisschen Sonne und Luft würde der Haut gut tun, aber das muss warten, bis wir draußen sind. Ebenso ein gründliches Bad mit Seife und Shampoo, das haben wir alle nötig. Langsam kommt so etwas wie Ordnung in das Chaos. Die konzentrierte Arbeit hat etwas Beruhigendes, das mich selbst von der steigenden Temperatur ablenkt. Nach ein paar Stunden ist die erste Stoffbahn ab. Ich lege die Rolle erst mal beiseite und suche nach dem nächsten Anfang. Diesmal geht es deutlich schneller; die verbleibenden Bandagen sitzen jetzt lockerer, das Ende fällt mir nach kurzer Suche schon entgegen. Yami hält die ganze Zeit geduldig still. Das Warten scheint ihm nichts auszumachen, im Gegenteil. Er genießt es richtig, sich von mir auswickeln zu lassen. Ich schätze, wenn man erstmal dreitausend Jahre in einer kleinen Kiste gewartet hat, hat man es generell nicht mehr so eilig. Unter den Bandagen trägt er nur einen dünnen Lendenschurz, da bin ich ganz froh, dass es noch warm ist, als die letzten Bandagen endlich herab sind. Yami wäscht sich kurz an einem kleinen Brunnen, dann lässt er sich wieder ordentlich einwickeln. Diesmal so, wie man eine Mumie zu Halloween einwickeln würde. So, dass sie sich eben auch bewegen kann. Bei Einbruch der Nacht hat Yami dann auch den provisorischen Verband um meinen Bauch erneuert. Die Wunde sieht nicht besonders gut aus. Ein klarer Durchschuss, das heißt, die Kugel ist wenigstens nicht mehr in der Wunde. Dafür blutet es leider auch sehr stark. Yami wickelt mich wieder in seinen warmen Umhang. Ich soll erst mal versuchen, ein wenig zu schlafen, nachdem ich mich jetzt so angestrengt habe. Ich widerspreche nicht, ich bin tatsächlich ziemlich müde. Ergeben lasse ich mich an meinen Schlafplatz zurücktragen. Yami verabschiedet sich vorläufig, verspricht mir, unsere Freunde zu finden. „Wir treffen uns dann beim Ausgang.“ „Ja. Bis dann.“ „Schlaf gut, Yugi.“ Ich komme nicht mehr dazu, etwas zu antworten, da fallen mir schon die Augen zu. Es ist noch kalt, als ich wieder aufwache, diesmal habe ich mich noch nicht freigestrampelt. Ich fühle mich gut erholt, aber der Schmerz in meinem Bauch ist noch da. Es tut zu sehr weh, um wieder weiterzuschlafen, also gebe ich auf. Noch immer in den warmen Umhang gehüllt stehe ich auf und sehe mir die Schiebetafel an. Sie ist riesengroß und besteht aus vielen Teilen; Marik hat sicher nicht übertrieben, als er sagte, sie sei kompliziert. Die oberste Reihe ist so hoch, dass ich die Teile nur stehend bewegen kann, die unterste ist ganz am Boden. Ich stöhne, die Kniebeugen werden mir mit der Verletzung sicher nicht so guttun. Besser, ich plane so weit wie möglich voraus, bevor ich die Teile verschiebe. Bei manchen Schiebepuzzles sind die Randteile mit einem Rahmen gekennzeichnet, den Vorteil habe ich hier nicht. Das Puzzle ist etwa eineinhalb Meter hoch und breit, jedes Teil etwa fünfzehn Zentimeter. Zehn teile hoch, zehn quer, eines frei… macht insgesamt neunundneunzig Teile. Nicht gerade einfach, das wird Zeit brauchen. Soweit ich das aus Erfahrung beurteilen kann, zeigt die Tafel sicher ein Monster. Ich kann hören, wie der Schwarze Magier hinter mir wieder aufsteht; sicher nimmt er seine normale Haltung ein. Welches Monster steht wohl ihm gegenüber? Der Weiße Drache ist es nicht, der steht ja schon weiter unten am Gang. Ich betrachte die Linien auf den einzelnen Teilen und versuche, mir darauf einen Reim zu machen. Und langsam glaube ich, in dem Gewirr an Linien etwas zu erkennen. Die doppelte Reihe Zähne. Die geballten Fäuste. Die gefiederten Flügel. Dieses unverwechselbare Gesicht. Es ist nicht ein Monster, es sind vier. Die drei Göttermonster. Und Exodia. Exodia steht vermutlich in der Mitte, versuche ich das Bild im Kopf zusammenzusetzen. Seifers Körper windet sich um ihren Körper, ich kann die Kurven auf verschiedenen Teilen sehen. Rah dürfte oben in der Mitte sein, seine Flügel symmetrisch ausgebreitet. Seifers Kopf ist links am Rand, Obelisk steht rechts. Gut, damit kann ich arbeiten. Das fertige Bild im Kopf fange ich langsam an, die Teile zu sortieren. Bald ist es schon wieder so warm, dass ich den Mantel abwerfen kann. Manche der Teile lassen sich nur mit Mühe verschieben, das Puzzle ist lange nicht mehr bewegt worden. Ich unterbreche ab und zu, um den Sand zwischen den Teilen zu entfernen, und so geht die Arbeit doch ganz leicht voran. Wegen meiner Verletzung muss ich mich vorsichtig bewegen, und Yamis Rat folgend bewege ich die Teile lieber etwas langsamer, um mich nicht zu überanstrengen. Gegen Mittag muss ich wegen der Hitze eine Pause einlegen. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, irgendwohin zu krabbeln, sondern strecke mich einfach hier auf dem Boden aus. Bei der Hitze tut es gut, einfach nur alle viere von sich zu strecken. Ein paar Stunden bin ich komplett weg, mein Hirn will bei den Temperaturen einfach nicht arbeiten. Ich komme zu mir, als die Temperatur wieder erträglich wird, und mache weiter, wo ich aufgehört habe. Die linke Seite des Bildes nimmt langsam Gestalt an. Ich bewege die verbleibenden Teile weiter fleißig im Kreis, bis jedes an seine Stelle rutscht. Bald ist es wieder so kalt, dass ich den Umhang brauche. Der Erfolg treibt mich an, wie immer bei solchen Spiele treten die Schmerzen langsam in den Hintergrund. Schon immer habe ich mich mit Rätseln und Geduldsspielen abgelenkt, wenn es mir schlecht gegangen ist; der Zauber wirkt auch heute. Wie erwartet ist das freie Teil rechts unten in der Ecke. Kaum dass das letzte Teil an seinen vorgesehenen Platzt rutscht, bewegt sich die ganze Bildtafel zur Seite. Dahinter ist alles dunkel. Das Licht, das den Gang erhellt, reicht nicht bis dort hinein, aber es scheint sich um eine Art Rutsche zu handeln. Ich packe meinen Rucksack und wickle mir den Mantel fest um die Schultern, dann klettere ich mit den Füßen voraus in das Loch. Es ist eine Rutsche. Die Fahrt kommt mir elend lang vor. Ich schließe vor Angst die Augen, so schnell wollte ich mich eigentlich gar nicht bewegen. Zu meiner Überraschung komme ich weich auf. Jemand hat ein Bett vor den Ausgang gestellt. Ich muss blinzeln, meine Augen sind das helle Licht der Fackeln hier drin nicht mehr gewohnt. Ich höre jemanden in einer fremden Sprache reden, erwachsene Männer hauptsächlich. Auch eine Frauenstimme ist dabei, sie kommt mir bekannt vor. Einer der Männer beugt sich über mich, ruft seinen Kollegen etwas zu. Das dunkle Gesicht wirkt fremdartig, aber nicht unfreundlich. „Not be afraid.“, sagt der Mann in schlechtem Englisch, „We help. Doctor.“ Die Männer sind Sanitäter. Kurz wundert mich, wo die so schnell hergekommen sind, dann fällt mir die Frau wieder ein, die vorhin gesprochen hat. Isis. Natürlich. Ich lasse zu, dass der Sanitäter die Wunde an meinem Bauch untersucht. Er redet weiter in gebrochenem Englisch mit mir, ich antworte ebenso unbeholfen. Isis muss gewusst haben, wann und wie ich hier auftauchen würde. Sie mag die Zukunft nicht ändern können, aber niemand kann den Notarzt so schnell rufen wie jemand, der schon vorher weiß, wann er gebraucht wird. Während ich untersucht werde, kommt Isis an mein Bett. „Es ist alles in Ordnung.“, erklärt sie mir, „Die anderen werden auch gleich kommen.“ Ich nicke dankbar. „Wundern sich die Sanitäter nicht, wenn du sie so früh rufst?“ Isis lächelt nur geheimnisvoll. „Die Menschen hier kennen mich schon.“ Sie erklärt mir, dass sie für uns alle bereits den Transport nach Hause veranlasst hat. Die Kaiba Corporation hat, unter der vorläufigen Leitung von Vize-Präsident Mokuba, großzügig Flugzeuge zur Verfügung gestellt. Auch Marik soll erst mal mit nach Japan kommen, weil die medizinische Versorgung bei uns besser ist als hier in Ägypten. Ich versichere ihr, dass wir gut auf ihn aufpassen werden, aber das hat sie auch schon gewusst. Ich ergebe mich vertrauensvoll in die Hände der Sanitäter, die mich jetzt erst mal in ein ägyptisches Krankenhaus bringen werden. Mit dem guten Gefühl, dass spätestens jetzt alles gut werden wird, schließe ich die Augen. Im Krankenhaus werde ich dann erst mal mit Opa telefonieren und ihm sagen, dass es mir gut geht. Sicher hat Isis ihm das auch schon gesagt, aber er will es vielleicht trotzdem nochmal von mir hören. Isis‘ Hellseherei stößt ja nicht überall auf so viel Vertrauen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)