Lost in a Nightmare von SoraNoRyu (YamiXYugi) ================================================================================ Kapitel 7: Grund zur Hoffnung? ------------------------------ So, nach langer Zeit geht es jetzt endlich weiter. Und diesmal wirklich - ich habe inzwischen alle noch ausstehenden Kapitel geschrieben, lediglich beta gelesen müssen die meisten noch werden. Sprich: Ich sollte es auf jeden Fall schaffen, die neuen Kapitel ab jetzt doch in vernünftig kurzen Abständen hochzuladen. Notfalls auch unkorrigiert, wenn es sonst zu lange dauert. Kapitel 7: Grund zur Hoffnung? Als die aufkommende Wärme des Wüstentages mich sanft weckt, brauche ich erst eine Weile, um zu begreifen, warum die üblichen morgendlichen Schreie ausbleiben. Das plötzliche Auftauchen der Mumie hatte uns von unseren Entführern getrennt; wir sind alleine, frei aufzustehen, wann wir es wollen. Ich gähne einmal herzhaft und drehe mich noch einmal um. Kaiba hatte mich erst recht spät zu meiner Nachtschicht geweckt, und ich selbst war fast genauso lange wach geblieben. Eigentlich wollte ich den gesamten Rest der Nacht Wache halten, aber Anzu war nach einer Weile aufgestanden, um mich abzulösen. Zwar war ich sicher gewesen, vor all der Aufregung ohnehin nicht schlafen zu können, aber letztendlich war die Müdigkeit wohl doch stärker gewesen als die Angst… Angst… Sie war seit dem Beginn unseres seltsamen Abenteuers ein treuer Begleiter gewesen. Eigentlich sollte sie jetzt, da wir unsere Entführer abgehängt haben, langsam in den Hintergrund treten – Marik kannte sich aus und konnte uns sicher nach draußen führen, er wusste, wo wir Wasser und vielleicht auch Nahrung finden konnten. Der Brunnen, aus dem wir gestern Wasser geschöpft hatten, war ein klarer Hinweis darauf, dass hier doch nicht ganz auf lebenswichtige Grundlagen verzichtet worden war. Schließlich sollte es dem Toten in seinem Grab an nichts fehlen; oft gab man den Verblichenen noch ein paar Töpfe gut haltbarer Speisen mit auf den Weg. Aber genau dieser Tote ist es, der mir Sorgen bereitet. Sicher, er war bestimmt kein schlechter Mensch, aber… Er war ein Mensch. Und Menschen neigen dazu, etwas ungehalten zu reagieren, wenn sie unsanft geweckt werden oder zu ungewohnten Verhältnissen erwachen. Ich selbst… ich selbst habe mein anderes Ich, Yami, einen meiner wichtigsten Freunde, so sehr angebrüllt, dass er sich für Tage von mir ferngehalten hat. Und das, obwohl ich nur etwas zu verschlafen war, um gefasst reagieren zu können. Obwohl ich vielleicht nur ein paar Stunden geschlafen hatte. Die Mumie dagegen hatte sicher mehrere tausend Jahre lang tief geschlafen. Nach so langer Zeit, von grässlichem, fremdartigem Lärm aufgeschreckt und bewegungsunfähig in einer dunklen Kiste aufzuwachen, muss grausam sein. Ganz zu schweigen von dem Kugelhagel, mit dem sie anschließend begrüßt wurde… Kein besonders guter Start in den Tag. Ob Marik ihm wohl erklären könnte, dass wir keine Schuld an all dem tragen? Wahrscheinlich nicht. So gut wie Marik sich hier auskennt, untersteht dieses Grab wohl auch dem Schutz seiner Familie. Egal, ob wir freiwillig hier sind oder nicht; er hätte verhindern müssen, dass überhaupt jemand hier eindringt. Ich weiß nicht, ob die Mumie mit sich reden lassen wird… „Yugi?“ „Hm?“ Anzus Stimme lässt mich aufmerken. Sie lächelt mich zuversichtlich an und ich merke erst jetzt, wie verzweifelt ich eigentlich ausgesehen haben muss. „Wir wollten dann weiter.“, meint sie leise, „Marik sagt, es ist noch ziemlich weit bis zum Ausgang, wir wollen aufbrechen, sobald alle halbwegs wach sind.“ „Okay.“, antworte ich schnell, „Meinetwegen können wir sofort los.“ Sie lächelt zuversichtlich und geht weiter, um die anderen zu wecken. Honda schnarcht noch immer wie ein ganzes Sägewerk, und auch Jonouchi scheint sich noch vehement gegen das Aufwachen zu wehren. Vielleicht hofft er, wieder in seinem Zimmer aufzuwachen… irgendwo weit weg von lebenden Statuen und Mumien. Letztendlich stellt aber auch er sich der Realität. Das frische Wasser aus dem Brunnen hat uns alle gestärkt und motiviert. Mariks Fieber ist etwas gesunken, und nachdem Bakura seine Verbände ausgewaschen und erneuert hat, sieht er auch schon wesentlich gesünder aus. Mit etwas Unterstützung seitens Bakura kann er nun auch wieder selbst gehen; das macht es ihm leichter, uns den Weg durch die zahlreichen Gänge zu zeigen. „Ihr habt ja schon gesehen“, beginnt er seine Führung, „Wie viele Fallen hier eingebaut sind. Am besten ist, ihr fasst einfach gar nichts hier drinnen an. Solange ihr Respekt zeigt und euch ruhig und bedacht bewegt, sollte euch eigentlich nichts passieren, aber man kann nie vorsichtig genug sein.“ Er atmet einmal tief durch, um neue Kraft zu schöpfen, dann fährt er fort: „Die Wände hier bewegen sich oftmals von selbst, das Labyrinth verändert sich also ständig. Es kann sein, dass wir ein paar Mal vor Wänden zum Stehen kommen; auch ich weiß nicht sicher, wann die beweglichen Wände wo sind, ich kann nur versuchen, sie so weit wie möglich zu umgehen. Wenn alles gut geht, sind wir in ein paar Tagen wieder draußen.“ „In ein paar Tagen erst?“, protestiert Honda schockiert, „Wieso erst in ein paar Tagen?“ „Weil wir viel zu tief drin sind.“, antworte ich, bevor Marik es tut, „Wir sind zwar lange im Kreis gelaufen, aber wir sind sicher auch weit hinein geraten. Es dauert eben, bis wir den ganzen Weg wieder zurück können.“ „Das auch“, bestätigt mich Marik, „Außerdem haben wir eine Abkürzung genommen… Das Loch über dem weißen Drachen war nie als Durchgang nach oben gedacht, es soll Grabräuber nur in das Maul des Drachen locken. Allein dieses Stockwerk wieder herunterzukommen, dauert mindestens einen Tag… es sei denn, ihr wollt von da springen.“ „Lieber nicht“, versichert Honda, „Da kommen wir ja eh nur wieder zu dem fiesen Drachen.“ Ich werfe einen verstohlenen Blick auf Kaiba. Der sieht tatsächlich so aus, als würde ihm die Option gefallen – allein um den Drachen noch einmal zu sehen, würde er wohl die Kletterpartie auf sich nehmen, von der Zeitersparnis ganz zu schweigen. Gut, dass er hier eindeutig überstimmt ist. „Dem Drachen werden wir vielleicht trotzdem wieder begegnen.“, bemerkt Marik nachdenklich, „Der kürzeste Weg nach draußen ist direkt vor dem Schwarzen Magier im selben Gang. Er ist zwar nicht leicht zu öffnen, aber ein geschickter Spieler wie Yugi…“ Wie bitte? Ich, geschickt? Ohne Yamis Hilfe bin ich doch… Obwohl… „Meinst du etwa die Schiebetafel?“, frage ich vorsichtig. In solchen Spielen war ich schon immer gut gewesen. „Ich wollte die die ganze Zeit schon ausprobieren, aber…“ „Selbst wenn du die Zeit gehabt hättest, es hätte immer noch eine Falle sein können.“, fällt Kaiba mir ins Wort. „Genau.“ Marik sieht ziemlich nachdenklich drein. Er scheint über etwas genau nachzudenken, legt sich vorsichtig die richtigen Worte zurecht. „Falls wir wieder getrennt würden…“ fängt er an, offensichtlich etwas verunsichert dadurch, dass wir ihm alle konzentriert zuhören, „Falls wir, aus welchem Grund auch immer, wieder getrennt werden, oder ich euch nicht weiter führen kann, solltet ihr vielleicht zumindest ungefähr wissen, wie dieses Grab funktioniert.“ Er bleibt neben einer Statue des Elfenkriegers stehen und lässt sich vorsichtig auf deren Sockel nieder. Bakura eilt sofort an seine Seite, doch Marik scheint es noch halbwegs gut zu gehen. Vermutlich fällt es ihm im Sitzen einfach leichter zu sprechen. Wir folgen seinem Beispiel und sammeln uns in einem lockeren Halbkreis vor ihm auf dem sandigen Boden. Eine Weile lang ist es so still, dass wir hinter dem stetigen Rieseln des Sandes leise die Schreie unserer Entführer hören können, die viele Gänge entfernt vielleicht noch immer mit der Mumie kämpfen. Mariks Zustand scheint sich auf seine Konzentration auszuwirken; er braucht eine Weile, bis ihm die richtigen Worte auf Japanisch einfallen. „Am wichtigsten zu wissen ist, dass Gierigkeit und Respektlosigkeit hier schwer bestraft werden. Nehmt nichts Wertvolles von seinem angestammten Platz weg und beleidigt nicht die… ähm…“ Er deutet zitternd auf den Elfenschwertkrieger. „Duel Monster?“, rät Honda. „Statuen?“ Anzu liegt vermutlich näher am gesuchten Wort, Mariks Nicken könnte jedoch auch beiden gelten. „Statuen.“ Wiederholt er dann, „Die Statuen beschützen diesen Ort, sie sind…“ Wieder sucht er nach dem richtigen Wort, diesmal gehen unsere Vermutungen erstmal ins Blaue. Wichtig? Heilig? Wertvoll? „Wach.“ Versucht es Marik dann, „Sie sind… wach.“ Er scheint nicht ganz zufrieden mit dem Wort, zumal es uns nur fragende Blicke entlockt. Die Statuen sind wach? Kaiba scheint kurz davor, eine blöde Bemerkung loszulassen, da kommt mir ein Gedanke. „Du meinst… Sie können erkennen, was um sie herum vorgeht?“ Mir fällt ein, wie der schwarze Magier einen der Männer umgebracht hat, und dass ich dieselbe Statue vorher selbst öfter angefasst habe. Vermutlich trägt er noch immer mein Armband… „Können sie unterscheiden, wer sie respektiert und wer nicht?“ Marik nickt erleichtert. „Sie nehmen ihre Umgebung wahr. Ich weiß nicht, wie es funktioniert, aber die Fallen an den Statuen aktivieren sich nur, wenn die Statue so entscheidet. Wenn ihr sie mit Respekt behandelt, tun sie euch nichts.“ Ich blicke in die Runde. An den Gesichtern meiner Freunde sind sehr schön die verschiedenen Stufen der Ungläubigkeit abzulesen; außer mir und Bakura scheint keiner so recht glauben zu wollen, dass die Statuen denken können. Ich finde es ehrlich gesagt leichter, mich mit lebenden Statuen anzufreunden als mit lebenden Mumien. Der Gedanke jagt mir noch immer einen kalten Schauer über den Rücken… „Das andere Wichtige ist“, fährt Marik unbeirrt fort, „Dass Spiele euch immer helfen.“ Er macht eine kurze Pause, um sich die Hand vors Gesicht zu halten. Ihm ist wohl immer noch etwas schwindelig. „Die Spiele sind nicht einfach, aber die meisten kann man mit Geduld gut lösen. Verlieren geht hier nicht; ihr könnt jederzeit aufhören, wenn ihr es nicht schafft.“ „Das heißt, wir haben so viele Versuche, wie wir wollen?“, fragt Anzu skeptisch. „Ihr könnt spielen, so lange ihr wollt.“ bestätigt Marik, „Hier unten habt ihr alle Zeit der Welt.“ Er sagt es nicht direkt, aber ich verstehe, was er meint. Dieser Ort ist für die Ewigkeit gemacht. Es kommt mir selbst wie eine kleine Ewigkeit vor, in der wir Mariks Worte auf uns wirken lassen. Die drückende Hitze lähmt meine Gedanken, mein Hirn fühlt sich langsam an wie ein zähflüssiger Brei, der langsam vor sich hin gart. Um der lähmenden Wirkung zu entgehen, dränge ich dazu, weiter zu laufen. Marik braucht etwas Hilfe beim Aufstehen, führt uns dann aber zielsicher weiter. Bakura bleibt dicht an seiner Seite, um ihn im Notfall zu stützen, der Rest von uns trottet aufmerksam hinterher. Mit Mariks Führung und ohne unsere Entführer ist der Weg durch das Labyrinth gleich viel angenehmer. Wir rennen nicht mehr im Kreis, es wird niemand geschubst und keiner pöbelt betrunken herum. Stattdessen nimmt Marik sich manchmal die Zeit, die Texte und Bilder an den Wänden zu erklären, und wann immer wir eine Pause machen, liest er sogar ein Stückchen für uns vor. Es ist nur eine kurze Geschichte über ein verirrtes Kuriboh, und Mariks Übersetzung ist sehr stockend, aber es lässt unseren unfreiwilligen Ausflug wie eine Klassenfahrt wirken und hebt die Moral. Und so langsam wird auch die Temperatur wieder angenehmer. Ich fange langsam an, die kurze Zeit der Dämmerung, in der es weder zu heiß noch zu kalt ist, extrem zu schätzen. So faszinierend Ägypten auch sein mag, auf das Klima hier könnte ich wirklich gut verzichten… Anders als unsere Entführer besteht Marik darauf, vor allem Nachts zu wandern. Die Kälte sei durch die Bewegung leichter erträglich, das Risiko zu erfrieren nicht so groß wie im Schlaf. Körperliche Anstrengung in der Tageshitze sei dagegen tödlich und besser zu vermeiden. Mariks Argumente leuchten mir ein; vermutlich wäre ich selbst darauf gekommen, hätte man mir die Wahl gelassen, wann ich mich bewegen will und wann nicht. Marik erklärt gerade, dass das Labyrinth, in dem wir uns befinden, tatsächlich im Inneren einer Art Pyramide aufgebaut ist. Im Vergleich zu den großen Pyramiden auf den Postkarten sei diese hier allerdings recht klein, und im Laufe der Jahrtausende im Sand versunken. Dennoch lägen mehrere Stockwerke zwischen Spitze und Sockel, und viele Treppen und Gänge waren geschickt zu einem dichten Netz verwebt worden. Der Architekt hatte sicher seinen Spaß gehabt, aber auch der Innenausstatter war nicht zu kurz gekommen. Statuen, Bilder, Säulen – alles hier drinnen scheint vorsichtig platziert und ins richtige Licht gerückt worden zu sein. Ich erkenne viele der Duel Monster wieder, die in Nischen und Ecken stehen. Sandstein, Gold, Marmor… ich kann nicht alle Materialien benennen, zumal viele Monster wohl auch mit Farbe verschönert worden sind. Das gleißende Licht, dass die Wände in manchen Gängen nahezu überirdisch beleuchtet, ist auch ein geschickter Trick: Eine Reihe sorgfältig ausgerichteter Spiegel fängt das Tageslicht durch die offene Spitze ein und leitet es dorthin weiter, wo es gebraucht wird. Ich kann es kaum erwarten, Opa von all dem zu erzählen… Ob er wohl auch schon mal im Inneren einer Pyramide gefangen war? Die Kälte der Nacht ist tatsächlich recht erträglich, solange man sich bewegt. Als es langsam wieder zu warm wird um weiter zu gehen, sucht Marik uns einen geschützten Raum zum Schlafen aus. Wieder wird mir klar, wie wertvoll seine Ortskenntnis für uns ist – der Raum ist voll mit teuren Decken und Teppichen, die uns ein weiches Quartier bieten. Die Mystische Elfe steht mit gefalteten Händen an der Stirnseite des Raumes. Honda erklärt sich bereit, die erste Wache zu übernehmen, und ich kann ihm gerade noch anbieten, danach mich zu wecken, als mir auch schon die Augen zu fallen. Im Traum finde ich mich wieder in meinem Seelenraum. Die Tür zu meinem Anderen Ich ist nach wie vor verschwunden. Langsam kommt es mir so vor, als wäre sie nie da gewesen. Als wäre er nie da gewesen… Die sengende Hitze begleitet mich in meine Träume. Um mich her scheint alles zu brennen… Ich rufe um Hilfe, aber niemand hört mir zu. Yami steht außerhalb des Feuerkreises, er sieh mich an, aber er reagiert nicht auf meine Rufe. Sein Blick ist vollkommen ausdruckslos, dasselbe Pokerface, das er sonst in der Duellarena trägt. Er wird mir nicht helfen. Ich bin allein. Die Art, wie Honda mich wachrüttelt, sagt mir gleich, dass etwas nicht stimmt. Dass das hier nicht die erwartete Wachablösung ist. Dass irgendetwas nicht stimmt. Mit einem Finger an den Lippen bedeutet er mir, leise zu sein, und wir wecken vorsichtig die anderen. Inzwischen höre auch ich die lauten Flüche und das Gegröle auf dem Gang. Unsere Entführer – oder zumindest ein paar von ihnen, die Gruppe scheint kleiner geworden zu sein – sind direkt auf dem Gang neben unserem Zimmer. Den schrägen Siegesparolen nach zu urteilen, haben sie die Mumie wohl abgewehrt und den Erfolg mit etwas mehr Bier begossen. In dem Zustand möchte ich ihnen jetzt nicht unbedingt begegnen… Dummerweise sitzen wir hier in einer Sackgasse, die einzige Tür in unserem Raum führt direkt auf den Gang, dem die Rüpel gerade folgen. Bevor jedoch einer von uns in Panik geraten kann, macht sich Kaiba über die Decken und Teppiche her. Seinem Wink folgend, verstecken wir uns unter den ausladenden Rollen. Irgendwie bin ich trotz der gefährlichen Situation erleichtert. Ich war so fixiert darauf, mein Anderes Ich verloren zu haben, dass ich mich ganz alleine geglaubt hatte. Aber das stimmt so nicht ganz. Meine Freunde sind bei mir, und nicht nur die. Und Kaiba steht Yami in nichts nach, wenn es darum geht, Wege aus einer aussichtslosen Situation zu finden. Auch er gehört zu den Duellanten, die mit dem Rücken zur Wand erst so richtig in Fahrt kommen. Ob Kaibas Plan tatsächlich funktioniert hat, kann ich nicht sicher sagen. Leider scheinen die Kerle den Raum mit den Teppichen genauso bequem zu finden wie wir und machen hier glatt eine kleine Pause. Zum Glück bemerkt keiner von ihnen den leisen Aufschrei, als einer von ihnen sich prompt auf den Teppich fallen lässt, unter dem Bakura liegt… Ich merke, wie Kaiba neben mir die Luft anhält, als die vier Kerle die Unterhaltung einstellen, um ihre Ausrüstung zu prüfen. Sie scheinen die Zugkarre verloren zu haben, haben aber noch je ein Sechserpack Bier und eine Waffe dabei. Die Munition dafür scheint allerdings komplett verschossen, jedenfalls pfeffern drei von ihnen ihre ungeladenen Waffen frustriert in die Ecke. Durch eine Falte im Teppichrand kann ich sehen, wie die Decke, in die sich Anzu gewickelt hat, gerade noch rechtzeitig zur Seite zuckt. Unter meinem Teppich ist es noch heißer als so schon. Dass Kaiba direkt neben mir liegt, hilft auch nicht, obwohl sein Blick ohne Weiteres die ganze Wüste hätte einfrieren können. Trotzdem… bleibt uns wohl nichts übrig, als zu warten, während die dreckigen Rüpel über uns sich in die haarsträubendsten Geschichten verstricken, wie wer von ihnen die dreckige Mumie überwältigt hätte. Den Erzählungen nach muss die Mumie vorher allerdings noch etwas gewachsen sein – sie war nicht viel größer als Anzu, als ich sie gesehen habe, den Erzählungen nach maß sie allerdings schon mindestens zwei oder drei Meter. Bei der ersten Erwähnung, wohl gemerkt. Auch die Anzahl der Mumien ist nicht ganz so konsequent, aber das kann am Alkohol liegen. Angeblich vervielfältigt sich da ja schon mal so einiges, wenn die Wahrnehmung erstmal etwas benebelt ist. Das größte Streitthema, und das einzige, dessen Widersprüchlichkeit auch den Rüpeln auffällt, ist die Frage, WER von den vieren die Mumie denn nun erledigt hat. Dass zwischenzeitlich von einer ganzen Armee von Mumien die Rede war, wonach jeder locker ein paar hätte erledigen können, ist jetzt nicht mehr von Belang – plötzlich haben wir wieder nur eine einzige Mumie, und nur einen Helden. Das laute Streiten macht mir Angst. Sicher, eine Schlägerei mit tödlichem Ausgang wäre von Vorteil für uns. Aber eine Schlägerei in einem engen Raum, in dem wir noch versteckt liegen… Selbst ohne absichtliche Gewalt war Bakura bereits getroffen worden, und Anzu war einem Angriff nur knapp entgangen. Wenn die vier hier drinnen eine Prügelei anfangen, haben wir sicher alle was davon. Ich suche verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser Situation, da wird es über uns plötzlich still. „Hast du das gehört?“ „Was?“ „Na das.“ „Das Was?“ „Psst, hör halt mal hin.“ Die vier schweigen. Erstmal höre ich nichts außer meinem lauten Herzklopfen. Ich hoffe, das ist es nicht, was sie gehört haben… Das höre ich doch nur so gut, weil es in mir drin schlägt. Sonst würde ich Kaibas Herz sicher auch laut schlagen hören. Außerdem würde ihnen mein Herzschlag kaum solche Angst machen. Nein, das Geräusch kommt vom Gang her. Es ist kein Herzschlag, aber etwas sehr Ähnliches. Jemand atmet dort draußen. Jemand, dessen Herz vielleicht gerade genauso schnell schlägt wie meines. Jemand, der die staubige, abgestandene Luft hier drin mühsam durch seinen trockenen Hals presst. Jemand, dessen Lungen schon seit Jahrtausenden keine Luft mehr gefiltert haben. Jemand, der eigentlich gar nicht atmen sollte. Und er tut es trotzdem. Obwohl sein Herz nicht schlagen sollte. Obwohl sein Hals so trocken ist wie der Sand um ihn herum. Obwohl seine Lungen gar nicht mehr vorhanden sein dürften. Obwohl die feigen Kerle sich bis eben noch gebrüstet haben, ihn umgebracht zu haben. Obwohl er eigentlich schon seit Jahrtausenden tot gewesen war. Die Mumie bleibt stehen, schnaufend wie nach einem Marathonlauf. Ich kann sehen, wie seine dürre Brust sich unter den losen Bandagen hebt und senkt. Wie er die Luft durch den ausgemergelten Hals presst. Wie er an den Bandagen reißt, die ihn immer noch fesseln, obwohl die Kugeln mehrere Löcher durch den trockenen Stoff gebrannt haben. Das blutrote Licht flammt wieder in seinen leeren Augenhöhlen auf, als er sich aufrichtet. Die anfängliche Benommenheit scheint verflogen zu sein, die Mumie bewegt sich jetzt viel normaler, fast menschlich. Ich unterdrücke einen Aufschrei, als er in unsere Richtung sieht – die Bandagen vor seinem Gesicht sind verrutscht. Natürlich weiß ich schon seit langem, wie das ausgemergelte Gesicht einer Mumie aussieht, aber in den Museen ist immer Glas dazwischen, und die Mumien dort atmen nicht. Und sie sehen einen nicht direkt an. Ich versuche mir einzureden, dass wir unter den Teppichen gut genug versteckt sind, aber es klappt nicht. Die Mumie lässt ihren Blickt durch den ganzen Raum streifen, und sie sieht jeden von uns direkt an. Die Bewegung lässt die Bandagen um seinen Kopf weiter verrutschen, so dass ein paar dunkle Haarsträhnen zum Vorschein kommen. Ich versuche, meinen Atem zu beruhigen, immerhin sieht die Mumie jetzt nur noch die drei zitternden Rüpel an, die wohl gerade die gleiche Erkenntnis gefunden haben wie vorher wir – sie sitzen in einer Sackgasse. Und drei von ihnen haben ihre Waffen achtlos in die Ecke geworfen. Nicht, dass ihnen die viel genützt hätten. Der vierte von ihnen, der, der seine Waffe noch bei sich hat, wirft diese mit einem lauten „Geronnimo!“ auf seinen Gegner. Es gibt ein unschönes Geräusch von Stahl auf Knochen, dann fällt die Waffe klappernd zu Boden. Die Mumie ist unversehrt. Mit einem wohl bedachten Schritt steigt sie auf die Pistole und zerbricht sie. Ich kann Kaiba neben mir scharf einatmen hören. Durch die Waffenfabrik seines Stiefvaters weiß er sicher, wie viel Kraft es normalerweise braucht, eine Pistole zu zerbrechen. Ich selbst kann nichtmal eine Pistole von einem Revolver unterscheiden, aber ich glaube, ich würde so oder so nicht ohne Schuhe versuchen, eine Waffe zu zertreten. Aber ich bin ja auch erst sechzehn, und noch keine wasweißichwievieletausend Jahre alt. Opa sagt auch immer, dass mit dem Alter eine gewisse innere Ruhe kommt. Und in der Ruhe liegt die Kraft. Mit aller Ruhe und Autorität einer unantastbaren Gottheit geht die Mumie jetzt quer durch den Raum, vorbei an den vier angsterstarrten Männern, die sie allesamt um mindestens zwei Kopflängen überragen, und direkt auf die Statue der Mystischen Elfe zu. Diese breitet ebenso langsam die Arme aus. Wie auf ein stummes Signal hin schießen dutzende von Pfeilen aus allen Wänden. Die vier Männer haben keine Chance, sie sinken sofort tot zu Boden. Nur wir, die wir flach auf dem Boden gelegen oder wie Anzu direkt in der Ecke saßen, blieben verschont. Keiner der Teppiche wurde auch nur gestreift. Wortlos, und genauso ruhig, wie sie es betreten hatte, verlässt die Mumie das Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)