Abandoned von Lyessa ================================================================================ Kapitel 2: Distance ------------------- Stille. Dunkelheit. Leere. Und dann - "Wo warst du denn schon wieder?" Eine Stimme. Halb tadelnd, halb lachend. Ein fröhliches Gesicht, hübsch, von nussbraunen Locken eingerahmt. "Du bist ja voller Schmutz. Komm her, ich mach das sauber." Eine einladend ausgestreckte Hand. Ein freundlicher Blick. Ein warmes Lächeln. Und dann - Schreie. Blut. Angst. "Varis? Varis! Wach auf!" Eine neue Stimme zerriss die Eindrücke und zerrte den Angesprochenen aus seiner Starre. Leicht benommen blinzelte er und blickte den mit einem besorgten Gesichtsausdruck über ihn gebeugten Kheros fragend an. "Was ist?" "Das sollte ich dich fragen.", begann sein Freund, richtete sich auf und strich sich unruhig über die Haare. "Wieso, stimmt etwas nicht?", erkundigte sich Varis betont beiläufig und setzte sich auf, während ein leises Echo des Traumes immer noch in seinem Kopf widerhallte. "Ob etwas nicht stimmt? Ich komme herein um dich zu wecken und finde dich völlig verkrampft und schweißgebadet liegend vor. Sag du mir doch, was nicht stimmt!" Varis starrte seinen Gegenüber zunächst perplex an, dann hob er langsam die Hand und strich sich zögernd einige nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er überhaupt geschwitzt hatte. Verdammt, es war doch nur ein Traum gewesen... "Varis, was ist los?" "Nichts", versetzte er den ratlosen Kheros und erhob sich ruckartig vom Bett. "Varis, ich bitte dich, du -" "Ich sagte doch, es ist nichts.", unterbrach er ihn unwirsch und legte seinen Umhang an. "Zumindest nichts, mit dem ich dich belasten möchte.", fuhr er ruhiger fort und lächelte Kheros leicht an. "Das beruhigt mich nun nicht gerade, mein Freund." "Etwas anderes.", lenkte Varis schnell ein. "Du kennst dich doch hier aus, oder?" Als er aus dem Wirtshaus in die kühle Morgenluft trat, zog er leicht fröstelnd seinen Umhang enger um sich. Er warf einen kurzen Blick die Fassade des Gebäudes hoch und wandte sich dann langsam ab, verließ die Seitengasse und schlenderte in Richtung Stadttor. Seine Gedanken aber kreisten weiterhin bei Kheros. Dessen Schwester hatte noch geschlafen, als die beiden Männer sich verabschiedet hatten und würde wohl auch nie merken, dass Varis überhaupt dort gewesen war. Zumindest etwas Positives. Dabei wollte er Kheros doch gar nicht so viele Sorgen machen. Varis wusste, dass die Geschäfte für seinen Freund nicht besonders gut liefen, aber trotzdem wurde er immer wieder mit offenen Armen - und einem üblichen spöttischen Kommentar - empfangen. Es tat Varis leid, ihn nicht ins Vertrauen ziehen zu können, aber er hätte gar nicht gewusst, wie er das anfangen sollte. Er hatte noch nie jemandem mehr als nötig von sich erzählt - und meistens ging das eben nicht über die Nennung seines Namens hinaus. Und doch... Kheros kannte ihn - ohne ihn wirklich zu kennen. Er wusste nur, dass Varis Aufträge erledigte, die sich irgendwo jenseits der gesetzlich auferlegten Grenzen abspielten und hielt sich heraus, so gut er konnte. Gerade deswegen ging es Varis besonders gegen den Strich, ihm nun auch noch zusätzliche Sorgen zu bereiten, doch jetzt ließ sich das auch nicht mehr rückgängig machen. Unmutig schritt er zum Stadttor hinaus und folgte dem Weg nach Westen. Die aufgehende Sonne warf seinen Schatten lang voraus und vertrieb allmählich die Kälte der Nacht, während der wolkenlose Himmel einen warmen, sonnigen Tag versprach. Doch immer noch hatte Varis das besorgte Gesicht seines Freundes vor Augen und musste wieder an seinen Traum denken - dabei hatte er noch nie schlecht geträumt, wenn er bei Kheros schlief. Nachdenklich strich sein Blick über die Felder. Er hatte nicht zum ersten Mal einen Traum dieser Art, doch dass er nun auch bei Kheros nicht mehr davon verschont blieb, versetzte ihm schon einen Stich, hatte er sich doch im Heim seines Freundes sicher gefühlt. Doch früher oder später hatte das passieren müssen, dessen war sich Varis sicher. Immerhin waren all diese Szenen, die er in seinen Träumen des öfteren ein weiteres Mal durchlebte, ein unauslöschbarer Bestandteil seines Lebens und mit ein Grund, warum er sich überhaupt hier auf dieser Straße befand. Inzwischen hatte die Sonne es geschafft, in ihrer vollen Größe über den Horizont zu ragen und setzte ihren Weg gemächlich fort. Varis hob den Beutel an, den Kheros ihm mitgegeben hatte. Normalerweise reiste er nur mit leichtem Gepäck, doch sein Freund ließ es sich nie nehmen, ihm ein ganzes Festmahl mit auf den Weg zu geben. Leicht lächelnd untersuchte Varis den Inhalt, der die Mahlzeiten für die nächsten Tage abgeben würde, denn trotz seines nicht gerade florierenden Geschäftes war Kheros ein sehr großzügiger Mann. Doch gerade diese Großzügigkeit wollte Varis nicht ausnutzen und hatte wie immer einige Goldmünzen hinterlassen, auf die Kheros früher oder später stoßen musste. Er wusste, dass sein Freund das Geld nicht annehmen würde, wenn er es ihm persönlich gäbe, aber so blieb ihm keine andere Wahl. Immerhin konnte Varis sich nicht über einen Mangel an Geld beklagen. Er führte ein recht bescheidenes Leben und war ständig auf Reisen, doch mit jedem weiteren Auftrag wuchs sein Vermögen um eine nicht zu verachtende Summe. Ausgaben hatte er meist nur wenige, da sie sich hauptsächlich auf Unterkunft und Verpflegung beschränkten. Schließlich kam Varis an die Kreuzung, die Kheros ihm beschrieben hatte und bog in nördlicher Richtung ab. Nun musste er nur noch dem Verlauf des Weges folgen und würde schließlich an seinem Zielort ankommen. Immer noch wunderte er sich, weshalb er ausgerechnet in ein Kloster geschickt wurde, aber Auftrag war Auftrag und mit den Hintergründen hatte er sich nicht zu befassen. Dennoch interessierte es ihn, war doch sein Auftraggeber kein anderer als Vandros, der Hohepriester und damit das amtierende Oberhaupt des Reiches - auch wenn der sich alle Mühe gegeben hatte, seine Identität geheim zu halten. So hatte es Varis einiges an Zurückhaltung gekostet, seinem neuen Klienten nicht gleich selbst die Kehle durchzuschneiden. Die Gelegenheit war perfekt gewesen, doch dann wäre in ganz Narvon nach ihm gefahnded worden. Im Grunde war das ja jetzt schon der Fall, doch eigentlich wollte ihn niemand schnappen, dazu war er viel zu nützlich - mal abgesehen davon, dass niemand einen Hinweis hatte, wo und wie man ihn überhaupt hätte erwischen können, denn Varis wusste seine Spuren zu verwischen. Eigentlich wäre das gar nicht nötig, denn viele der Mächtigen hatten bereits auf seine Dienste zurückgegriffen - oder hatten das noch vor -, doch er wollte kein Risiko eingehen. Trotzdem blieb noch die Frage, was Vandros gegen eine einfache Nonne haben konnte. Hatte sie sich etwa gegen die Regierung ausgesprochen? Dabei kannte Varis die meisten Nonnen nur als stille, zurückhaltende Frauen, die mit Politik und überhaupt allem, was sich außerhalb ihres jeweiligen Ordens abspielte nichts am Hut hatten. Weshalb sollte sich also eine dieser weltfremden Damen gegen die derzeitigen Herrscher wenden? Dadurch würden sie sich doch ins eigene Fleisch schneiden, da alle Orden durch die Regierung finanziert wurden. Was außerdem dagegen sprach, war schlicht und einfach die Tatsache, dass Vandros ausgerechnet ihn beauftragt hatte, diese Nonne verfrüht zu ihrem Gott zu schicken - ein Unterfangen, das dann ja auch durch jeden beliebigen Soldaten hätte ausgeführt werden können. Also hatte sie wohl etwas gröberes angestellt. Vielleicht hatte sie ein Verhältnis mit dem Hohepriester? Jede derartige Verbindung war den Geistlichen strengstens untersagt und wurde hart geahndet - eine Regelung, die seit Ewigkeiten bestand und deren Abschaffung wohl hohen Widerstand hervorgerufen hätte. Immerhin sorgte die Regierung mit Erfolg dafür, dass die Bürger Narvons sich gegen jede Neuerung sträubten und an ihren alten Gebräuchen festhielten. Damit versuchten sie wohl zu verhindern, dass ihnen ihre Macht aus den Fingern gerissen wurde. Seufzend zuckte Varis mit den Schultern, denn die Hintergründe seiner Aufträge gingen ihn schließlich nichts an. Einzig die Tatsache, dass er sie erledigte zählte. Immerhin wurde er gut bezahlt und dafür erwarteten seine Kunden auch eine gewisse Professionalität, auch wenn Varis nicht unbedingt Stolz darauf war, als Profikiller zu gelten. Andererseits brachte es gutes Geld und er kam weit herum, was ihm nur nützlich sein konnte. Mit einem kurzen Blick auf die bereits recht hoch am Himmel stehende Sonne hielt Varis auf den Schatten eines am Wegrand stehenden Baumes zu und setzte sich zwischen zwei dicke, aus der Erde ragende Wurzeln. Er hatte es nicht eilig, da er ohnehin erst nach Einbruch der Nacht loslegen konnte. So sah er keinen Sinn darin, schon Stunden vorher am Kloster anzukommen. Während er sein Mittagessen aus Kheros Beutel fischte, ließ er seinen Blick über die Landschaft schweifen. Ringsum bot sich seinen Augen ein Feld nach dem anderen dar, hin und wieder unterbrochen durch vereinzelte oder auch in Gruppen stehende Bäume. Aber Varis Erinnerung zeigte ihm ein anderes Bild: ein üppiger Mischwald erstreckte sich meilenweit in alle Richtungen, der Weg auf dem Varis sich gerade befand nur als ein kleiner Pfad von vielen vorhanden. Doch wie an so vielen anderen Stellen auch musste der Wald dem Ackerbau und einer besseren Infrastruktur weichen. Dabei liebte Varis die Wälder und musste nun ständig mitansehen, wie immer mehr von ihnen verschwanden. Resigniert biss er in einen Apfel und ließ seinen Blick weiter umherwandern. Allmählich besserte sich seine Laune wieder, immerhin war er gut im Zeitplan, bislang hatten sich keinerlei Schwierigkeiten ergeben und er hatte alle Informationen die er brauchte. So war er sehr zuversichtlich, seinen Auftrag noch diese Nacht erfolgreich abschließen zu können. Zufrieden lehnte er sich zurück und legte den Kopf in den Nacken, seine Augen auf die dicht belaubte Baumkrone über ihm gerichtet, deren Blätter sich bereits im langsam aufkommenden Wind beugten. Bei Beginn der Dämmerung kam das Kloster schließlich in Sichweite. Innehaltend betrachtete Varis eine Weile das von hohen Mauern umgebene Gebäude und setzte sich dann wieder in Bewegung. Mehrere hundert Meter vor dem Kloster verließ er die Straße und setzte seinen Weg durch das anliegende Maisfeld fort, einen Bogen um sein Ziel schlagend. Die bereits schulterhoch aufragenden Stauden boten ihm, wenn er den Kopf einzog, einen guten Schutz vor den Blicken eventueller Beobachter und machten es ihm so möglich, ungesehen an das Gebäude heranzukommen. Nachdem er sich eine Zeit lang durch das Feld gearbeitet hatte, drangen allmählich lauter werdende Hufschläge an seine Ohren. Er hielt inne und lauschte angestrengt den nun langsamer werdenden Reitern. Varis schätzte, dass sie sich nun etwa auf der Höhe des Klosters befanden und befürchtete, dass sie dort wohl für die Nacht einkehren würden. Um sicher zu gehen hob er vorsichtig seinen Kopf weit genug, um durch die Spitzen der Maisstauden sehen zu können und machte dort die Umrisse von etwa einem Dutzend Reiter aus, die auf das große Tor des Klosters zuhielten. Ihrer Anzahl und dem zielstrebigen Verhalten nach zu urteilen, vermutete Varis, dass es sich um Soldaten handelte. Seufzend duckte er sich wieder und setzte seinen Weg vorsichtig fort. Diese Neuankömmlinge stellten zwar eine Schwierigkeit dar, aber kein allzu großes Hindernis. Es bedeutete lediglich, dass er besonders wachsam sein musste, denn Varis wollte nicht, dass sie ihm womöglich noch in die Quere kamen. So arbeitete er sich behutsam durch das Feld in Richtung Kloster vor, während um ihn herum die Nacht hereinbrach. Schon bald verließ er die Deckung des Maisfeldes, die ohnehin aufgrund der inzwischen herrschenden Dunkelheit kaum mehr nötig war, und erblickte vor sich vage die Umrisse der hohen Mauer, die das Grundstück eingrenzte. Langsam, fast bedächtig, öffnete er den Beutel, der links an seinem Gürtel hing und holte zwei lederne Handschuhe heraus, die durch ihre schwarze Farbe im Dunkel der Nacht kaum zu erkennen waren. Ein leichtes Lächeln umspielte Varis Lippen, während er die beiden Stücke anlegte und dabei den Blick an der grob aus Stein gehauenen Mauer nach oben wandern ließ. Perfekt zum Klettern... ~~~~~~~~~~~ Lys Laberecke ~~~~~~~~~~~ So, das war es nun, das zweite Kapitel von Abandoned ^^ ich wäre euch sehr dankbar, wenn ihr mir euer Feedback hinterlasst, wie es euch gefallen hat... Das nächste Kapitel ist bereits in Planung ^^ ich freu mich schon richtig drauf *g* mein armer Varis ^^" Dieses Kapitel hat mir persönlich nicht so sonderlich gefallen... zwischendurch hatte ich Schwierigkeiten, meinen Protagonisten voranzubringen. Aber nun ist er ja wieder in seinem Element, die Arbeit ruft und er flüstert lautlos und tödlich zurück... *höhö* denkste XDD~ waaah, ich will ja nicht zu viel verraten XDD~ *lieber Klappe halt und schnell das Thema wechsel* öhm... An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bisherigen Kommischreibern bedanken, die natürlich immer einen Ansporn geben, weiterzuschreiben ^^ Dann möcht ich das Kapitel noch schnell jemandem Widmen: Jerra ^^ *ganz fest durchknuff* für ihr geniales Varis-Fanart *__________* last but noch least: Wie bin ich eigentlich zu Abandoned gekommen? Ganz einfach: ich saß mit Kyran in einem Chat. Wir wollten unbedingt ein gemeinsames Projekt starten und gingen auf Ideensuche. Dabei stellte sich mittendrin heraus, dass gerade zufällig bei uns beiden das selbe Lied lief: Abandoned von Ensiferum. Passend zum Lied (wobei ich hier sowohl Melodie als auch Text meine ^^) formte sich dann das Grundgerüst für die jetzige Geschichte. Leider musste Kyran dann aussteigen, aber er drängte mich, die Geschichte dann alleine zu verwirklichen - was ich ja im Moment tue ^^ Allerdings hat die jetzige Geschichte nicht mehr sooo viel mit der ursprünglichen zu tun *lach* Nur noch der Hauptcharakter und sein Beruf sind geblieben, wobei aber der Hauptcharakter nun auch einen etwas anderen Charakter hat als in der ursprünglichen Form ^^" Verzeih mir Kyran, ich wollte es dir zu Ehren originalgetreu umsetzen, aber die Geschichte hat inzwischen eine solche Eigenbewegung, dass sie mich einfach mitreißt XD Varis zum Beispiel, der mochte wohl die Eigenschaften, die wir ihm erst zugedacht haben, nicht so sehr ;] Wenn jemand zumindest den Text des Liedes lesen will, den gibt's u.a. hier: http://www.ensiferum.de/ger/st_lyrics.html#abandoned Wer das Lied hören will: kauft euch die CD ;] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)