Todesengel von HasiAnn ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Das ist eine Kurzgeschichte. Sie hat also einen offenen Anfang und auch Schluss, deswegen muss man viel für sich selbst interpretieren. Auch wenn man die Geschichte nicht gleich versteht, mir kommt es viel eher darauf an, dass man sich dafür eine eigene Antwort bastelt und ein bisschen nachdenkt. Ich muss noch dazu sagen, dass die Zeit, in der die Geschichte spielt, etwa 1850 ist. Also wundert euch nicht, wenn euch einige Sachen etwas "altmodisch" vorkommen. Todesengel Es war um zwei nachts. Ganz allein und vom harten Arbeitstag vollkommen erschöpft schleppte ich mich zu meinem Haus. Die Straßen waren leer. Kein Laut drang aus ihnen heraus. Nichtmal ein leiser Katzenjammer von den Streunern, die sich hier ständig herumtreiben und die immer um ein Stück altes, verwesendes Fleisch betteln. Aber sie hätten ja auch keine andere Chance zu überleben. Von Menschen verstoßen und von allen mit Füßen getreten, ist man froh, wenn man das Licht des nächsten Tages erblicken darf. Und jede Nacht hat man Angst, es könnte die letzte sein. Mir geht es da nicht viel anders. Ich wurde von der Gesellschaft genauso verstoßen. Und warum? Nur wegen dieser einen kleinen Macke. Seit meiner Geburt ragen mir zwei zehn Zenitmeter lange Wucherrungen aus den Schulterblättern. Es sind nur zwei kleine unbedeutende Fortsetze und sofort halten mich alle für ein Monster. Von meinen Eltern verlassen, wurde ich in einem Heim aufgenommen. Widerwillen, versteht sich. Und selbst da wurde ich von jedem anderen schief angesehen. Warum machte ich mir eigentlich noch die Mühe weiterzuleben? Seit dreiundzwanzig Jahren quäle ich mich bereits mit meiner "Behinderung" am Leben. Warum muss ausgerechnet ich diese, ..., diese Dinger an meinem Rücken haben? Es ist nicht fair. Der Wind wehte mir um meinen Mantel. Ich hatte immer noch Kopfschmerzen, weil mich mein Meister wiedermal zugeschissen hat. Eine dreistündige Standpauke. Das muss man erstmal durchhalten. Am liebsten würde ich ihm, ... Aber, was denke ich denn da? Wenn ich mich an jemandem rächen wollte, dann nur am Schicksal, das mir mein Handicap verschafft hat. Gedanken verloren ging ich immer noch durch die dunklen, leeren Straßen. In dem Kaff, in dem ich zwangsläufig leben musste, war sowieso nicht viel los. Das einzige, was ich noch an Abenteuer erlebe, ist, wenn mich wieder mal einer diskriminieren will. Wenn's wenigstens nur bei Worten bleiben würde, aber ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft man mir die Nase blutig geschlagen hat. Und sobald ich die Schuld von mir weisen will, sieht wieder jeder nur in mir den Außenseiter, der immer an allem Schuld ist. Warum erkennt mich denn nur keiner als Mensch, als ein Wesen, das genauso ist, wie alle anderen? Als ich vierzehn Jahre alt war, schickte man mich zu einem Pfarrer. Aber seine Worte, von "Alles wird gut...", und "Auch du wirst dein Glück erfahren", waren in meinen Ohren auch nur leere Versprechungen. Doch, als ich aus der Kirche wieder herraus trat, bereit, meinen schrecklichen, nie enden wollenden Alltag wieder aufzunehmen, stand an die Wand gelehnt eine junge Frau. Sie war von der Kirche weggedreht und starrte nur in den Himmel. Sie schien etwas darin zu suchen. Ihre schwarzen Augen sahen traurig aus. Sie fing langsam an mir leid zu tun, weil sie nicht fand, was sie suchte in dem endlos grauen Himmel, der jede glücklichste Freude hätte ersticken können. "Alle reden sie, du seist, wie sie...", hauchte sie in den Himmel. Ich fühlt mich sofort angesprochen, obwohl sie mir nicht einen Blick schenkte. "...doch sie wissen alle, dass du nicht einer von ihnen bist..." Ihr regloser, blasser Körper schien mir plötzlich in dem Grau des Himmels zu verschwimmen. "...du bist..." Mit einem Schlag drehte sie ihren Kopf und blickte mir punktgenau in die Augen "...du...!" Ihr Blick trauf mich kälter als Eis. Er bohrte sich mir in den Kopf und ich krümmte mich vor Schmerzen. Ich meinte eine Messerspitze in meiner Stirn spüren zu können. Alles ging so furchtbar schnell. Ich bekam Panik. Ich presste mir die Hände so fest ich konnte an die Stirn. Ein Schmerzensschrei drang aus meinem Hals und ich sakte auf den Boden. Ich nahm verkrampft eine Hand von der Stirn. Ein eisiger Schock durchzog meinen Körper. Sie war voller Blut. Das Blut schoss mir ein einem gewaltigen Strom aus dem Kopf. Ich schrie so laut ich konnte um Hilf. Ich war noch nie so hilflos und hätte in meiner Verzweiflung sogar die Hilfe des Pfarrers in Anspruch genommen. Es sollte nur dieser grausame Schmerz aufhören. Doch dann hörte ich wieder die Stimmer dieser Frau, zwar nur leise, aber ich verstand das Wort so deutlich, wie ich den Schmerz in meinem Kopf spürte: "...akzeptiere..." Das nächste an das ich mich erinnern konnte, war, dass ich in einem Hospital wieder aufwachte. Um meine Stirn war ein Verband gewickelt. Ich versuchte mich an die letzten Stunden zu erinnern, aber mir kam nur dieses eine Wort in den Sinn: Akzeptiere. Die Narbe an meiner Stirn verschwand allmählich und mein Leben ging seinen gewohnten Weg. Aber bis heute habe ich diese Frau nie wieder gesehen. Doch um mir darüber Gedanken zu machen war es zu kalt und zu spät am Abend. Ich war müde und wollte nur noch in mein Bett. Aber, was erwartet mich schon am nächsten Tag? Nichts, genau das gleiche, wie heute und gestern und vorgestern und der Tag davor. Ich lief noch immer über den kalten Asphalt. Die Straßen kamen mir endlos vor. Die Kerze, die ich in der Hand hielt war schon fast heruntergebrannt. Doch plötzlich kam ein Windstoß, der mir die Kerze ausblies. Ich blieb stehen. Dieser Hauch... Ich vertraute den Straßen nicht mehr. Irgendetwas war in diesem Windstoß. Ich versuchte den Gedanken zu verdrängen, dass es eine tiefere Bedeutung haben könnte, und doch bekam ich es mit der Angst zu tun. Ein Schauer der mir von meinen Wucherungen an den Schultern sich an meiner Wirbelsäule entlangquälte lähmte meinen Körper und lies mich keinen Schritt mehr tun. Der Wind wehte wieder kurz auf und durch ihn getrieben sah ich in einen bestimmte Richtung. Ich erblickte ein Stück von einem Kleid gerade hinter einer Hausmauer verschwinden. Ein innerer Zwang wurde stärker als meine Angst und zog mich hinter diesem Kleiderfetzen her. Doch so sehr, wie meine Beine zitterten war es mir ein Rätsel, dass ich nicht in mich zusammenbrach. Fast hatte ich das Ende der Mauer erreicht. Ich bog um die Ecke. Da stand sie wieder. In ihrem langen, weinroten Kleid, das leise im Wind flatterte. Mit ihren langen schwarzen Haaren, die wie Wellen bis zu ihren Füßen glitten. Sie schaute mich nicht an. Sie starrte nur in den Himmel. Auf die gleiche Weise, wie vor neuen Jahren. Ich atmete schwer, weil ich das Stück zur Hausmauer gerannt war. Aber ich war unnormal stark aus der Puste. So anstrengend kann dieses kurze Stück doch nicht gewesen sein. Ich war vollkommen fertig, als wäre ich mindestens eine halbe Meile gerannt. Die junge Frau stand immer noch an die Mauer gelehnt und starrte nach oben. Stille. Ich traute mich nicht, meinen Mund aufzumachen. Ich war von ihrem Anblick zu fasziniert. Diese grenzenlose Schönheit und Anmut. Sie war überwältigend. Jetzt schloss sie die Augen und atmete einen tiefen Zug ein. Ich bemerkte, dass es jetzt gar nicht mehr so kalt war. Ja, es wurde sogar richtig angenehm auf meiner Haut. Sie drehte ihren Kopf zu mir. Ich zuckte zusammen, weil ich mich an die selbe Situation von vor neun Jahren erinnerte und fürchtet, es könne wieder der selbe Schmerz auftreten. Aber ganz im Gegenteil. Sie starrte mich unentwegt mit ihren traurigen, schwarzen Augen an. Je länger sie mich so ansah umso mehr verspürte ich eine gewisse Wärme in mir. Ein Gefühl voller Zufriedenheit. Sie öffnete ihren Mund. "Akzeptierst du...?..." Das Gefühl der Wärme konzentrierte sich jetzt auf meinen Rücken. Genau auf meinen Auswuchs. Die Antwort, die ich schon mein ganzes Leben suchte kam wie ein Blitz auf mich zugeschossen. Zögerlich und mit zitternder Stimme antwortete ich: "J-ja, jetzt schon... Glaube ich..." Die Augenbrauen der Frau verängten sich. Ihr trauriger Blick wurde ernst, wütend, zornig. "Du sollst nicht glauben, du sollst akzeptieren!!!", schrie sie mir entgegen. Das Wärmegefühl auf meinem Rücken wurde zu einem Schmerz, als ob mir jemand den Rücken verbrennen würde. In meiner Verzweiflung und Angst jammerte ich: "Ich akzeptiere! ICH AKZEPTIERE!!!" Es wurde wieder still. Der Ausdruck in ihrem Gesicht war wieder genauso traurig, wie vorher. Doch sie fing an zu lächeln. "Er weiß, dass du dich widersetzt hast. ... Und er weiß auch, dass du es gewissenhaft getan hast. ... Du hast dein Wort nicht gehalten und er wird dich bestrafen. ..." Sie sprach ruhig und langsam. Ich wusste nicht, wovon sie sprach, aber ich wusste, dass etwas in mir existierte, das alles davor dagewesene über den Haufen werfen könnte. "Du musst die Nachfolge unter einer Strafe antreten. ... Du weißt nicht, was dich erwartet. ... Vertraust du ...?" Vertrauen... Ja, ich vertraue auf mich und auf das, was ich bin. Selbst, wenn ich dafür bestraft werde, etwas getan zu haben, was für jeden Menschen natürlich ist. Der Wille zu leben... Die Frau kam auf mich zu. Die Hitze auf meinem Rücken schlug in einen stechenden Schmerz um. Ich schrie unter den Qualen auf. Der Schmerz schien immer mehr zu wachsen bis ich schließlich fühlte, wie mein Rücken zerplatzte. Blut und einige Hautfetzen verteilten sich vor mir auf dem Boden. Das Blut rann mir über die Arme, an meinem Körper entlang und an meinen Beinen nach unten zum Asphalt. Sie waren da. Zwei mächtige schwarze Schwingen stachen aus meinem Rücken. Der Schmerz war weg. Ich fühlte gar nichts mehr. Kein Schmerz, kein Leid, keine Freude oder Glück konnte noch meiner Seele entspringen. Es war nur eine endlose Leer in mir. "Nun zu deiner Strafe..." Die junge Frau kniete sich vor mich. "Dein erstes Ziel und gleichzeitig deine ewige Last..." Ich hob meine Hand, es hing immernoch etwas Blut dran, und setzte sie ihr an die Stirn. Ein kleiner Energiestoß schoss mir durch meinen Arm. Und noch bevor er ihren Kopf erreichte, flüsterte sie zu mir: "Ich liebe dich, mein Sohn..." Ich zuckte zusammen und noch bevor ich meine Hand von ihrer Stirn reißen konnte, hatte der Energiestoß sie schon längst erreicht. Ihr Kopf zerbarst in tausend Stücke, die sich im Raum verteilten. Ich stand starr und geschockt auf der kalten Straße und beobachtete, wie der Körper des letzten Todesengel in sich zusammensakte und auf dem Asphalt aufschlug. Ich starrte noch lange auf den leblosen Körper und die blutigen Hautfetzen drumherum. Das war meine Strafe. Ich werde für immer damit leben müssen, meine eigene Mutter getötet zu haben. Und es ist meine Schuld. MayaAnn Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)