Eine kleine Geschichtensammlung von LovelyAnima ================================================================================ Kapitel 1: Bahnfahrt -------------------- Ich sitze im immer dem gleichen Abteil, 2 Klasse, Blick aus dem Fenster. Diese Strecke fahre ich 6 Tage in der Woche, um zu meiner langweiligen Arbeitsstelle zu kommen und abends wieder um in mein leeres, zu Hause zurück zu kehren. In meinem Leben passiert nichts, meine Arbeit bringt nichts neues, aber wenn ich jeden Tag diese Strecke fahre und jeden Tag andere und manchmal die selben Leute sehe und wiedersehe, kann ich ein bisschen an ihrem Leben teilhaben. Wie ein Vampir speichere ich mir etwas von ihrem Leben, von ihre Freunde und ihren Problemen um auch mich ein wenig lebendig zu fühlen. Seit Jahren sehe ich sie am Bahnhof dieses kleinen Dorfes, drei Stationen bevor ich aussteigen muss, stehen und nie in einen Zug einsteigen. Gestern hatte sie wieder ihr rotes Trägerkleidchen an, für das sie eigentlich bereits viel zu alt ist, und die weißen Turnschuhe. Sie sah, wie jeden Tag den Zug an, als könne sie sich nicht entschließen einzusteigen. Gleichzeitig sieht ihr Blick so verträumt und verloren aus, und jeder ihrer kleinen Bewegungen sieht man an, dass sie so gerne woanders wäre. Aber sie ist hier. Sie ist hier, wann immer ich an diesem Bahnhof vorbeifahre. Ich könnte ihr Leben ändern. Bahnfahrt für Bahnfahrt, habe ich mich in sie verliebt. Und jedes Mal bin ich kurz davor auf zu stehen und auszusteigen, um mit ihr zu reden. Ich tue es nie. Heute ist es anders. Erst denke ich, dass sie nicht da ist. Das erschreckt mich. Dann entdecke ich sie am Ende des Bahnhofes, wie sie Gedanken verloren auf die Gleise schaut. Heute wäre ich ausgestiegen. Aber sie stand woanders. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und da tat sie, worauf ich so lange gewartet hatte. Sie machte einen Schritt nach vorn. Kapitel 2: Das letze Schulfest ------------------------------ Das letzte Schulfest in meinem Leben. Meine beste Freundin Anja, ihr Freund und ich lachen die ganze Zeit, - wir werden uns sehr vermissen, während es langsam Abend wird. Wind zerrt an meinem Rock und Anja und ich gehen zum Auto um unsere Jacken zu holen. Irgendwie kommen wir auf das Thema Küsse zu sprechen, und weil ich gerade Labello benutze und sie ihn auch haben will, erwähne ich beiläufig, dass ich "Labello-Küsse" mag und sie genau durchschaut hätte. Sie lächelt mich nur an und stellt nüchtern fest: "Tja, dann müssen wir uns wohl küssen..." Ich lege lachend meine Arme um ihre Taille und möchte ihr ein Komplement machen. Mir fällt leider nur eine Phrase ein "Du bist die schönste Frau der Welt" Sie lächelt und wiederspricht mir. "Nein,...dann müßte ich ein Spiegel sein ..." Mein Herz macht einen Freudensprung und ich beginne sie zu küssen und mich küssen zu lassen. Eine Ewigkeit scheint zu vergehen bis und bewußt wird, dass wir noch immer mitten auf der Straße stehen und uns einige Passanten nur zu deutliche Blicke zuwerfen. Wir lassen uns los und in diesem Moment erscheint ihr Freund am Ende der Straße. Sie geht ihm entgegen. Ich bleibe... Kapitel 3: REGEN VS. ICH ------------------------ Seit 7 Tage fällt fast ununterbrochen Regen vom Himmel. Die ersten Tage finde ich es immer ganz toll. Ich suche begeistert aus meiner Sammlung den passenden Schirm zu meiner Kleidung, ich spiegele mich in Pfützen und strecke zwischendurch einige Male meine Hand unter dem Schirm hervor, um Tropfen auf meiner Hand zerschellen zu spüren. Ich kann Konvektionsregen und Frontregen unterscheiden und die Fallgeschwindigkeit von Regen mit einer Formel berechnen. Am Anfang wirkt Regen so befreiend. Aber diesmal hört er einfach nicht auf. Mehr als eine Woche Niederschlag ist zu viel. Es kommt mir wie ein ständiger Angriff von oben vor. Dauernd fällt etwas auf einem herab. Nächtelang schlägt der Regen gegen mein Fenster, als wolle er hinein. Wir sind im Krieg. Der Regen oder ich. Ich werde selber niedergeschlagen, so zusagen niedergeschlagen durch Niederschlag. Nicht nur die Tropfen ändern ihre Form, auch in ändere mich. Montag Es regnet seit letzter Woche. Ich versuche mir die Welt ohne Regen vorzustellen. Kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich nehme sicherheitshalber den grünen und den gelben Regenschirm mit. Bestimmt hat die Klimaerwärmung Schuld an den gefühlten Billiarden Regentropfen pro Sekunde. Nach der Arbeit stelle ich mich mit einem Schild „Stoppt den Regen“ vor das Rathaus. Kaum jemand kommt vorbei. Eine Windböe zerstört meinen gelben Schirm, der grüne hält sich wacker. Ich stehe da laut Rathausuhr 4 Stunden und 37 Minuten lang und sehe in der Zeit zwei Betrunkene, eine ältere Dame mit ihrem Hund und ein Rudel Jugendliche, die sich über mich lustig machen. Weder der Bürgermeister, noch jemand von der Presse erscheint. Ich hätte mich so gern in „RTL explosiv“ gesehen. Enttäuscht gehe ich nach Hause. Dienstag Ich bin viel zu nett für diese Welt. Immer viel zu nett. Aber heute hat das ein Ende. Ist die Welt denn nett zu mir? Wenn die Welt nett zu mir wäre, würde es ja nicht regnen. Und der Regen ist definitv nicht nett zu mir. Ich nehme den schwarzen Schirm mit dem giftgrünen Spinnennetz darauf. Ich ziehe meine alte schwarze Lederjacke an. Ich spare weder am schwarzen Nagellack noch an Schminke. Später schmeiße ich mit Erde um mich, weine und schreie. Meine Tante Claudia versucht mich zu beruhigen. Ich sage ihr, was für ein herzloses Miststück sie ist und das doch jeder von ihrer Affäire mit Onkel Hans wusste. Daraufhin sind alle sehr betroffen und schweigen. Ich bin immer noch wütend. Ich darf später nicht mit zum Leichenschmaus. Will ich auch gar nicht. Abends kommen mir Zweifel, ob Hans Beerdigung der richtige Ort war, um dieses Geheimnis zu offenbaren. Mittwoch Ich mag Regen eigentlich. Ich werde ihn positiv betrachten. Regen ist schön. Ohne Regen kein Regenbogen. Mit Regen gerade auch kein Regenbogen, aber es wäre theoretisch möglich. Daher nehme ich den regenbogenfarbenen Schirm. Alles wird gut. Alles ist schön. In der Straßenbahn riecht es muffig nach nassem Hund und nassem Menschen. Als die Straßenbahn schlagartig bremst, rutsche ich auf dem nassen Boden aus und schlage geschickt mit meinem Kopf gegen die Haltestange. Mein Gesicht tut weh und mein linkes Auge schwillt an. Die übliche Durchsage. Verzögerungen im Ablauf. Wissen noch nicht, wann die Bahn weiterfährt. Gerüchte über „Personenschaden“ gehen um. Und ich kann´s verstehen. Wer will bei Regen schon leben…? Ich sitze weinend in der S-Bahn, die anderen Fahrgäste schauen mich seltsam von der Seite an. Morgen denke ich, ja morgen! Donnerstag Ich beschließe den Regen zu ignorieren. Wenn ich den Regen ignoriere, ist er nicht da. Ich ziehe einen kurzen Rock, meine hellblaue Bluse und meine schicken Pumps an. Keine Jacke. Kein Schirm. Wer ist schon Regen. Ich beschließe mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Bereits an der ersten großen Kreuzung haben sich Maskara, Kajal und Schminke großzügig über meine Wangen verteilt. Gegenüber von Karstadt lege ich mich beinah aufs Maul, weil meine Schuhe nur noch aus Wasser zu bestehen scheinen. Völlig haltlos. Ein Kommentar der Obdachlosen am Bahnhof verrät mir, dass nicht nur weiße Oberteile bei Kontakt mit Wasser durchsichtig werden. Mir egal. Es gibt keinen Regen. Die Sonne scheint. Mir ist auch nicht kalt. Auf der Arbeit angekommen werde ich inklusive Ermahnung von meinem Chef wieder weg geschickt. So lässt er mich nicht auf die Kunden los. Fragt immerhin netterweise nach, ob ich Fieber habe. Ich sage, ich habe Regen und fahre wieder nach Hause. Freitag Ich bin krank. Ich werde sterben. Ich skizziere meinen Grabstein. „Regen ist tödlich“ oder „Regen tötet“. Kann mich nicht entscheiden. Samstag Ich wandere aus. Ich schreibe die Kündigung für meine Wohnung. Ich setze meine Regenschirmsammlung bei Ebay rein. Ich überlege, wem meiner Freunde ich das Fahrrad und wem die Kücheneinrichtung schenke. Ich muss weg. Möglichst bald. Ich google „Niedrige Regenwahrscheinlichkeit“ und stelle fest, dass ich nach Armenien ziehen werde. Klingt doch ganz nett. Ich fange an zu packen. Das Fieber wird gegen Abend wieder stärker und ich schlafe in meinem Kleiderschrank. Sonntag Beim Aufwachen merke ich bereits, dass mein Rücken nicht daran gewöhnt ist, halb im Schrank und halb auf dem Fußboden zu schlafen. Mein linkes Bein liegt merkwürdig verdreht im Koffer. Mir tut so ziemlich alles weh. Meine Nase ist ganz rot, meine Augen geschwollen und das eine blau, meine Haltung krumm, meine Haare seit Tagen nicht mehr gewaschen.Ich schleppe mich ins Bad und denke an Armenien. Mein Blick fällt aus dem Fenster. Die Sonne scheint. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)