Magenta I von Maginisha (Willkommen in der World of Warcraft) ================================================================================ Kapitel 8: Spuk und Trug ------------------------ Die Schatten wurden bereits länger, als die drei Nachtelfen sich eine Rast am Ufer eines Flusses gönnten. Ein kleiner Wasserfall rauschte nicht weit von ihnen zwischen ein paar alten Stücken längst vergessener Elfenarchitektur hindurch. Eine leichte Brise kam auf und ließ die großen Bäume um sie herum ein leises, friedliches Lied anstimmen. Mit halb geöffneten Augen lauschte Abbefaria dem Rauschen und Raunen und versuchte zu verstehen, was sie zu sagen hatten. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir haben uns verlaufen.“, stellte Ceredrian fest. Es war nicht zu übersehe, dass ihm dieser Zustand missfiel. „Ach was verlaufen.“, brummelte Easygoing. „Wir sind nur ein wenig vom Weg abgekommen. Die ehemalige Heimstätte der Druiden müsste in dieser Richtung liegen.“ Er wies mit dem Arm nach Süden den Flusslauf hinab. „Wollen wir es hoffen.“, antwortete Ceredrian. „Aber wir sollten den Fluss überqueren und auf der anderen Seite weiterreisen. Das sollte unsere Spuren endgültig verwischen.“ „Warum.“, wand Easygoing ein. „Die Orks folgen uns schon seit einer Weile nicht mehr und unser Ziel liegt auf dieser Seite des Flusses.“ Ceredrian sah aus, als wolle er noch etwas erwidern, schwieg dann aber. Stattdessen drehte er sich um und begann am flachen Ufer entlang zu wandern. Mit einem triumphierenden Blick folgte Easygoing ihm und Abbefaria bildete das Schlusslicht der drei Freunde. Wenig später überquerten sie gemeinsam einen Pfad, ließen eine alte Brücke auf der anderen Seite des Flusses links von sich liegen und folgten dem Wasser weiter flussabwärts. Dicke Baumwurzeln behinderten sie jetzt beim Vorankommen und zwangen sie, ein Stück des Weges schwimmend zurückzulegen. Easygoing trug dabei den Schaft der magischen Rute zwischen den Zähnen, weil er fürchtete, ihn in den trüben Fluten zu verlieren. Es war Abbefaria ein Rätsel, wie er es geschafft hatte, etwas so Großes vor den Orks geheim zu halten. Abbefarias Gedanken glitten von dem Versteck der Rute zu dem kleinen Kästchen, das er selbst an der Innenseite seines Gürtels verborgen trug. Sie konnten von Glück sagen, dass es ihm bei seiner Gefangennahme nicht zusammen mit seinen restlichen Habseligkeiten abgenommen worden war. Irgendwann würden sie sicherlich das ursprüngliche Ziel ihrer Reise weiter verfolgen können. Vielleicht würde er sogar Navala wieder sehen, bevor sie sich auf die Suche nach dem zweiten Teil des Seelöwenanhängers machten. Er vermisste seine kleine Schwester, obwohl er lieber einen ganzen Krug bitteren Diestelstees geschluckt hätte, als ihr das zu verraten. Die Reise der drei Nachtelfen stockte, als eine weitere Brücke in Sicht kam. Auch sie verband dieses mit dem jenseitigen Ufer, doch ihre Bauart war völlig anders als die der ersten. Die erste Brück war schmal gewesen und hatte sich in einem eleganten Bogen ans andere Ufer geschwungen. Die verwendeten, kunstvoll bearbeiteten Stämme und die filigranen Intarsien, die mit blauen und grünen Schmucksteinen verziert gewesen waren, hatten es als ein Bauwerk der Elfen gekennzeichnet, auch wenn die Zeit an ihm nicht spurlos vorüber gegangen war. Die zweite Brücke jedoch war neuerer Bauart und ein frischer Holzgeruch haftete noch an den grob behauenen Stämmen, die mehr praktisch, als schmückend zusammengebunden worden waren. Schwere Kriegsgeräte mit dem blutroten Zeichen der Horde lagen zu wertlosen Trümmern zerschmettert und verbrannt auf dieser Seite des Flusses. Der Übergang war mit in den Boden gerammten Holzstämmen befestigt worden, deren wehrhafte Spitzen alle auf das jenseitige Ufer deuteten. Es sah aus, als habe jemand ein Lager sehr schnell verlassen und sei nur noch einmal zurückgekehrt um sicherzustellen, dass, wer immer ihn auch überfallen hatte, im nicht folgen konnte. Oder um die Toten zu bergen, dachte Abbefaria schaudernd. Dieser Ort war besudelt und das, was auf der anderen Seite des Flusses lag, gefiel ihm noch weniger. Er fühlte, wie sich die Haare in seinem Nacken sträubten. Den anderen schien es nicht besser zu gehen. „Ich weiß nicht, was dort drüben ist, aber es bedeutet nichts Gutes.“, knurrte Easygoing leise. „Wir sollten von hier verschwinden.“ „Und zwar schnell.“, setzte Ceredrian hinzu. „Was immer auch hier war, könnte wieder kommen.“ Den Nachtelfen war nicht wohl, als sie der Region auf der anderen Seite der Brücke den Rücken zukehrten. Etwas lauerte auf der anderen Seite, das so falsch war, dass es eigentlich nur eines bedeuten konnte, doch keiner der drei erlaubte sich, den Gedanken daran zu Ende zu führen. Easygoing verkniff sich sogar seinen Cousin darauf hinzuweisen, wie gut es doch gewesen war, dass sie den Fluss nicht überquert hatten. Dessen ungeachtet würden sie nach ihrer Rückkehr nach Astranaar Meldung von ihren Beobachtungen machen müssen. Schneller als vorher drängten sich die Freunde nun in den Wald, als könne die lebende Gemeinschaft von Tieren und Pflanzen ihnen Schutz bieten vor den Dingen auf der anderen Seite des Flusses. Schweigend wanderten sie über inzwischen mondbeschienene Lichtungen und schlugen sich durch dichtes Unterholz, bis sie schließlich an den Hügel kamen, in dessen Tiefen die Druiden von Dor´Danil einst ihr Heim gehabt hatten. Ein mächtiger Baum streckte auf der Spitze des Hügels seine Äste weit hinauf in den Himmel und in ihn hinein und aus ihm heraus wuchs ein großes Tor. Es gewährte den Besuchern Einlass in die dunklen Gänge und war unverkennbar elfischer Bauart. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, dort hinein zu gehen.“, sagte Abbefaria und senkte dabei unbewusst seine Stimme. „Außerdem war da noch irgendetwas in Teronis´ Tagebuch. Lasst mich noch einmal überlegen, was das war, bevor wir uns dort hinunter wagen.“ „Du hast doch wohl nicht etwa Angst?“, grinste Easygoing breit und knuffte seinen Freund spielerisch in die Seite. Offensichtlich hatte er seinen gute Laune angesichts der Tatsache, endlich etwas tun zu können, wieder gefunden. „Natürlich nicht.“, empörte sich Abbefaria und ließ seinen Blick sorgenvoll über die dunkle Umgebung schweifen. „Ich möchte nur kein unnötiges Risiko eingehen.“ „Ich fühle mich auch nicht wohl dabei.“, bemerkte Ceredrian und legte seinem Freund in einer verständnisvollen Geste die Hand auf den Arm. „Aber wenn wir hier draußen herumstehen, werden wir nie erfahren, was dort unten geschehen ist.“ „Na meinetwegen.“, brummte Abbefaria mehr überredet, denn überzeugt. „Schauen wir eben nach.“ Entschlossen traten die Nachtelfen durch den verfallenden Eingang in einen unbeleuchteten Gang der sich vor ihnen in die Tiefe wand. Fackeln und andere Lichtquellen fehlten völlig, so dass sich die Elfen nur auf ihre gute Nachtsicht verlassen konnten. Im Vorbeigehen bemerkte Abbefaria die Spuren, die die Waffen der Angreifer im hölzernen Rahmen und an den Wänden dahinter zurückgelassen hatten. Einige von ihnen waren mit Blut durchsetzt, das bereits zu einer schwärzlichen Kruste eingetrocknet war. Auch auf dem Boden befanden sich Blutspuren, aber nicht ein einziger Körper bedeckte den Boden auf ihrem Weg hinunter in die kalte, erdige Stille. Jemand musste die Druiden bestattet haben, auch wenn es ihn wunderte, dass sie in Astranaar nichts davon mitbekommen hatten; vor allem, da diese Gräueltat noch nicht sehr lange zurückliegen konnte. Es hätte frische Gräber geben müssen… Tiefer und tiefer hinab trug sie der Pfad, bis sie schließlich auf einer Art Plattform ankamen, unter der sich eine größere Höhle erstreckte. Weitere Gänge führten ihnen gegenüber in den Berg hinein und waren über Brücken miteinander und mit der Plattform verbunden. An der Außenseite der Haupthöhle führte ein etwas breiterer Weg in einem sanften Bogen zum Fuß des Baus. Auch hier sah man Kampfspuren, hier und da eine zerbrochene Waffe, von denen Easygoing einen noch einigermaßen erhaltenen Dolch auflas, aber ansonsten herrschte Grabesstille. Nicht einmal Insekten oder Würmer schien es zu geben; dieser Ort war tot. Umso mehr schraken die drei Freunde zusammen, als auf einmal eine geisterhafte Stimme durch die Halle wehte. „Was wollt ihr hier?“, wimmerte sie. „Verlasst diesen Ort!“ „Habt ihr das gehört?“, wollte Abbefaria wissen und sah sich vorsichtig nach der Quelle der Stimme um. „Ja.“, flüsterte Ceredrian tonlos. „Was bei Elune ist das?“ „Geht!“, wiederholte die Stimme und schien dabei von überall zugleich zu kommen. „Stört nicht unsere Ruhe! Geht!“ Die letzten Worte waren beinahe geschrieen und ihr Echo hallte hundertfach von den Wänden wieder. Doch als die Laute verebbten herrschte wieder dieselbe Stille wie zuvor. Schwarze, wattige Stille, die einem auf die Ohren drückte und Dinge sehen ließ, die gar nicht da waren. „Vielleicht sollten wir wirklich gehen.“, flüsterte Abbefaria. „Ich glaube immer noch, dass wir hier falsch sind.“ „Nein.“, sagte Ceredrian entschlossen und trat einen Schritt vor. Sogleich erklang wieder die Stimme und eine zweite, die an fernen Donner erinnerte, schloss sich ihr an. „Ihr seid hier nicht willkommen.“, wetterte sie und rollte wie ein Gewitter über die Freunde hinweg. „Und doch sind wir hier.“, sprach Ceredrian mit klarer Stimme gegen die Dunkelheit. „Wir sind auf der Suche nach etwas und erbitten Eure Hilfe.“ „Hilfe?“, lachte eine dritte Stimme bitter und ein milchiges Leuchten stieg aus einer der Höhlen empor. „Ihr seid zu spät. An diesem Ort erwartet euch keine Hilfe mehr.“ Eine schemenhafte Gestalt bewegte sich durch die Luft auf die drei Freunde zu. Beim Näherkommen erkannte man, dass es sich um einen Nachtelfen handelte. Seine Brust war blutüberströmt und sein Hals schien von einer Klinge förmlich zerfetzt worden zu sein. Doch kein Tropfen rann mehr aus den Venen der Gestalt, denn sie war nicht mehr als eine Erinnerung, ein Geist gefangen am Ort seines Todes. Ein zweiter Druide schwebte heran und seine Gestalt wechselte stetig zwischen dem eines Bären und dem eines Nachtelfen hin und her. In seinem blutverklebten, braunen Fell steckte eine abgebrochene Lanze, deren Klinge in seiner Bauchgegend wieder zu Tage trat. Sie musste mit großer Kraft in den Rücken des auf allen Vieren kämpfenden Tieres gestoßen worden sein und der Druide war in dem Moment gestorben, als er sich zurückverwandelt hatte, um sich selbst zu heilen. Aus den Tiefen stieg eine dritte, leuchtende Gestalt empor. Sie schien körperlich unversehrt, doch vor ihrem Mund hatte sich grünlicher Schaum gebildet, der bis zu ihrem Kinn gelaufen war. „Wir dulden keine Fremden.“, grollte der tote Druide. „Schon einmal ließen wir das Böse in unsere Mitte und bevor wir uns versahen, lagen unsere Brüder im Todeskampf zuckend am Boden. Und auch ihr werdet diese Hallen nicht wieder lebend verlassen.“ Geisterhafte Hände streckten sich nach den Freunden aus, doch Ceredrian wob mit flinken Gesten und Worten einen Zauber, den er über den toten Druiden warf. Goldene Ketten schienen aus dem Nichts hervorzuspringen und schlossen den hilflosen Geist völlig ein. Unfähig sich zu bewegen, stierte er die drei Nachtelfen aus blutunterlaufenen Augen an. „Ihr werdet mich nicht ewig gefangen halten.“, lachte er böse. „Uthil! Taneel! Ergreift die Eindringlinge und reißt sie in Stücke!“ Die beiden anderen Geister schwebten heran und griffen nach den Freunden. Abbefaria spürte, wie sich die kalten Finger des Geistes mit der zerfetzten Kehle in seinen Arm bohrten. Entsetzt riss er sich los und stolperte einen Schritt rückwärts. Er stieß gegen etwas Weiches, Pelziges und drehte sich in der Annahme um, vor Easygoing zu stehen. Stattdessen verwandelte sich der Geisterdruide vor ihm gerade wieder in eine Nachtelfen zurück. Er griff mit einem Zähnefletschen nach der Lanze in seinem Rücken und zog sie mit einem Ruck heraus. Blitzschnell wirbelte er die Waffe herum und zielte damit auf Abbefarias Kopf. Gerade noch rechzeitig ging der in Deckung, so dass er nur einen eisigen Luftzug spürte. Easygoing versuchte derweil ebenfalls sein Glück, den Geistern beizukommen, doch seine Zauber prallten nutzlos an ihnen ab und sein Dolch glitt durch sie hindurch wie durch leere Luft. Nur Sekunden nach seinem ersten Angriff wurde er durch die Luft geschleudert und landete mit einem dumpfen Schlag auf der schräg nach unten verlaufenden Rampe. Abbefaria wehrte sich gegen den Eindruck, er habe Knochen brechen hören. Er musste sich einfach getäuscht haben. Allerdings hatte er auch keine Zeit, sich lange um seinen Freund Gedanken zu machen, denn der Geist mit der Lanze trieb ihn immer weiter auf den gähnenden Abgrund zu. Schon sehr bald würde er den Halt verlieren und auf den Grund der Höhle stürzen. „Du musst die anderen auch fesseln.“, rief er Ceredrian zu, während er einem weiteren Lanzenhieb auswich. „Das geht nicht.“, antwortete Ceredrian und duckte sich unter einem Hieb hinweg, mit dem der blutige, erste Druide auf ihn gezielt hatte. „Ich kann nicht mehr als einen von ihnen bannen.“ „Und auch dieser Zauber erlischt.“, spottete eine tiefe Stimme und mit einem Klirren fielen die goldenen Ketten von dem dritten der Geisterdruiden ab. Sogleich begann ein Sturm durch die Höhle zu fegen. Er wirbelte zunächst nur Erde und Staub auf, doch mit zunehmender Stärke begannen auch die ersten Teile der zerstörten Waffen sich in die Luft zu erheben und wurden somit zu tödlichen Geschossen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ein noch lebendiges Ziel trafen. „Sie sind wahnsinnig geworden.“, brüllte Abbefaria gegen den Sturm an. „Wir müssen hier raus.“ „Ihr werdet nicht gehen!“, kreischte der erste Druide wieder und stürzte sich auf Ceredrian. Der warf die Arme empor und beschwor ein leuchtendes Schild aus reinem Licht um sich herum. Geblendet wich der Geist ein Stück zurück und der junge Priester nutzte die Gelegenheit um in Richtung des Ausgangs zu stürzen. Er kam jedoch nicht sehr weit, denn der Bärendruide ließ von Abbefaria ab, verwandelte sich und warf sich mit heiserem Brüllen in seinen Weg. Aus den Augenwinkeln bemerkte Abbefaria, dass Easygoing wieder zu sich gekommen war. Erleichterung überkam ihn, als er sah, wie sein Freund sich ebenfalls in einen Bären verwandelt hatte und drauf und dran war, sich für seinen Cousin in die Bresche zu werfen. Trotzdem wusste Abbefaria, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnten. „Nicht!“, rief er daher und zeigte hektisch auf den Ausgang. „Wir müssen hier weg. Cere, fessle ihn und lauf!“ Der junge Priester überlegte nicht lange. Goldene Ketten schossen erneut hervor und bannten den Geisterbären an Ort und Stelle. Wie ein weißer Blitz sprintete der Nachelf daraufhin an ihm vorbei und auf einen der Gänge zu, von dem Abbefaria nur hoffen konnte, dass es der Ausgang war. Der Geist mir der zerfetzten Kehle heulte auf und setzte zur Verfolgung an. Er verschwand und materialisierte sich kurz darauf zwischen Ceredrian und dem Ausgang. Seine Klauenhände griffen nach dem Nachtelfen. Abbefarias Gedanken überschlugen sich. Nichts von dem, was er gelernt hatte, erschien ihm geeignet um mit dieser Bedrohung fertig zu werden. Er hatte gelernt, die Natur als Verbündeten zu nutzen, mit ihrer Kraft Wind und Regen zu rufen. Er konnte unter freiem Himmel die Pflanzen dazu bringen, seine Feinde festzuhalten und das Licht des Mondes aus dem Nichts beschwören, um es wie eine Waffe gegen seine Feinde einzusetzen. Er konnte Gifte heilen und Tiere besänftigen ja sogar…mit einem Mal hatte er eine Idee. „Bann ihn!“, rief er seinem Freund zu und deutete auf den Geist mit der blutigen Kehle. „Aber dann…“, begann Ceredrian. „Frag nicht, tu es einfach“, rief Abbefaria und begann gleichzeitig sich zu konzentrieren. Es war einen minimale Chance und er war sich nicht sicher, ob dieser Trick, den er schon manchmal in spielerischen Kämpfen gegen Easygoing eingesetzt hatte, auch so wirken würde, wie er gehofft hatte. Andererseits würde er, wenn sein Plan fehlschlug, nicht viel Zeit damit verbringen müssen, es zu bereuen. Er suchte nach dem Bewusstsein des Bärendruiden, was an sich schon merkwürdige genug war, da er damit sozusagen nach dem Geist des Geistes griff. Zu seiner Erleichterung fand er jedoch, was er suchte und in dem Moment, als die goldenen Ketten sich um den Geist mit der blutigen Kehle legten und so den ersten Gefangenen freiließen, verfiel dieser in einen tiefen Schlaf. Mitten in der Bewegung erstarrt stand der Geisterbär zwischen ihnen und schnarchte laut und vernehmlich vor sich hin. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte es fast komisch gewirkt. Somit hatten die drei Nachtelfen zwei ihrer Gegner ausgeschaltet, es blieb jedoch immer noch einer übrig. Außerdem war zu befürchten, dass der Zauber, mit dem Abbefaria schon öfter kleinere Tiere zum Einschlafen gebracht hatte, den Geisterbären nicht lange halten würde. Wie zur Bestätigung, dass die Gefahr noch lange nicht vorbei war, bohrte sich eine umherfliegende Schwertspitze nur Millimeter neben Abbefarias Füßen in den Höhlenboden. Er überlegte nicht lange und sprintete los. Der übrig gebliebene Geist heulte und tobte und verstärkte den Sturm noch, der durch die Halle brauste. Blitze zuckten von der Höhlendecke herab und Abbefaria musste trotz der Gefahr anerkennend zugeben, dass dieser Druide noch im Tod ein mächtiger Gegner war. Er bereute, ihn nicht früher kennen gelernt zu haben, sicherlich hätte man viel von ihm lernen können. Jetzt jedoch wollte er nur noch so viel Entfernung zwischen sich und den durchgedrehten Geist bringen, wie möglich war. Abbefaria stürzte den Gang hinauf, der sich spiralförmig vor ihm auftat. Hinter ihm hörte er die Schritte seiner Freunde, die ebenfalls vor dem infernalischen Sturm davon liefen. Nur noch wenige Meter und sie würden es geschafft haben. Der Eingang tauchte vor ihnen auf und der vom Mondlicht bestrahlte Fußboden wirkte wie eine rettende Insel aus dem Höllenabgrund der hinter ihnen lag. Doch gerade als Abbefaria auf der obersten Plattform ankam, legte sich jedoch ein gewaltiger Schatten vor die Tür. Er hatte die Umrisse eines Bären. „Nein.“, murmelte Abbefaria. Das durfte einfach nicht wahr sein. Ein gewaltiges Krachen und Klirren ließ Magenta aus dem Schlaf hochfahren. In einem schon wachen Teil ihres Gehirns registrierte sie, dass dies nun schon die zweite Nacht war, in der sie so unsanft erwachte. Der Rest schwindelte einfach nur aufgrund der unsanften Unterbrechung ihrer Nachtruhe. Etwas rumorte und rumpelte in einer Ecke des Zimmers herum, in dem sich die Waschschüssel befand. Magentas Augenbrauen zogen sich ärgerlich zusammen. „Mach gefälligst nicht so einen Lärm.“, fauchte sie die Dunkelheit an. „Ich will schlafen.“ Das Rumoren hörte auf und verwandelte sich in leises Tappen, das zwischen Magentas Atemzügen schon fast unhörbar war. Dann hörte auch dieses Geräusch auf. Unsicher starrte Magenta in die Richtung, in der das Geräusch stehen geblieben war. „Pizkol?“, fragte sie vorsichtig und auf einmal gar nicht mehr so sicher, dass es wirklich der Wichtel war, der sie geweckt hatte. Sie fühlte eine Bewegung am Ende ihres Bettes. Etwas war darauf gesprungen. Magentas Mund wurde trocken, als es begann langsam über das Federbett zu klettern. Bedrohliche Augen leuchteten in einem verirrten Strahl des Mondlichts auf. Näher und näher schlich das Gewicht und verursachte ein Knistern der Bettfüllung. „Das ist nicht komisch, Pizkol.“, sagte Magenta laut und sie merkte selbst, wie ihre Stimme dabei zitterte. Das etwas kam immer noch näher und knurrte leise. „Was´n los?“, erklang die verschlafene Antwort der Wichtels…aus einer völlig anderen Ecke des Zimmers. Das genügte. Die Bettdecke flog in hohem Bogen durch das Zimmer und das Etwas mit ihm. Man hörte ein überraschtes Kreisch und Fauchen. Blitzschnell sprang Magenta dem Ding hinterher und griff in der gleichen Bewegung nach einer Waffe. Sie erwischte allerdings nur das Buch, in dem sie vor dem Schlafengehen noch gelesen hatte. Verzweifelt warf sie es in Richtung der schrecklichen, glühenden Augen. Ein unheimlicher Laut antwortete ihr. Es klang, als habe man ein Kind geschlagen. Etwas huschte über den Fußboden und unter das Bett. Vor Schreck sprang Magenta auf das Bett, diesmal bewaffnet mit einem Kerzenständer. Unter dem Bett hörte man ein Fauchen und Kreischen, dann Stille. Erst jetzt kam Magenta auf die Idee, etwas Licht in die Sache zu bringen. Die Kerze in dem Ständer flammte auf und warf einen kleinen Kreis aus Helligkeit auf eine zerbrochene Waschschüssel und einen ungehaltenen Wichtel. „Sag mal, spinnst du?“, maulte Pizkol. „Was soll denn der Lärm mitten in der Nacht?“ „D-d-da ist etwas unter meinem Bett.“, stotterte Magenta. „Ein Monster!“ „Ein Monster?“, echote Pizkol ungläubig. „Ja sicher.“ „Erst habe ich gedacht, du wärst es.“, versuchte Magenta zu erklären. „Aber das da war gruselig.“ Pizkol sah aus, als habe er auf etwas Unangenehmes gebissen. „Sehr schmeichelhaft.“, knurrte er. „Und wie bitte sah das Monster aus.“ „Das weiß ich doch nicht.“, empörte sich Magenta. „Es war schließlich dunkel.“ Es war dem Wichtel anzusehen, was er von seiner Meisterin hielt. Seufzend kam er aus dem Korb hervor, in dem er es sich für die Nacht bequem gemacht hatte, und näherte sich dem Bett. Das darunter knurrte. „Da ist ja wirklich etwas.“, stellte er überrascht fest. „Ja sicher ist da etwas.“, schnaubte Magenta und kletterte nun ebenfalls vom Bett. „Ich hab doch nicht nur schlecht geträumt.“ „Auszuschließen wäre es nicht.“, frotzelte Pizkol und äugte neugierig unter das Bett. Kurz darauf hielt er sich die krumme Nase und starrte missmutig in Magentas Richtung. „Mistvieh.“, maulte er und warf der kleinen Katze auf Magentas Schoß einen giftigen Blick zu. „Du hast sie eben erschreckt.“, tadelte Magenta ihn. „Ach ja.“, fauchte Pizkol. „Als wenn ich wie eine besengte Sau durch das Zimmer gesprungen und mit Sachen um mich geworfen hätte.“ Magenta überging diese Bemerkung. Sie strich sanft über das schwarze Fell des Tiers, das sein Fauchen inzwischen gegen ein sanftes Schnurren eingetauscht hatte. Wenn sie nicht gewusste hätte, dass das unmöglich war, hätte sie gesagt, dass es das Tier war, was sie bei ihrem ersten Besuch in Stormwind auf dem Marktplatz gesehen hatte. Die Katze warf ihr einen spöttischen Blick zu, sprang von ihrem Schoß und stiefelte mit der ihr eigenen Selbstverständlichkeit zu ihrem Kopfkissen. Dort tretelte sie in paar Mal auf der Stelle und ließ sich höchst zufrieden mit sich und der Welt dort zum Schlafen nieder. „Wie es aussieht, haben wir heute Nacht einen Gast.“, murrte Pizkol und sprang ebenfalls wieder in seinen Korb. Seine Meisterin würde schon sehen, was sie davon hatte. Immerhin wusste jeder, dass schwarze Katzen nichts als Unglück brachten. Magenta hingegen schob ihren Bettgast leicht zur Seite, was ihr ein protestierendes Maunzen einbrachte und löschte das Licht. Mit der Nase tief im Fell der Katze vergraben driftete die junge Hexenmeisterin wieder ins Reich der Träume…aus dem sie etwa fünf Minuten - wie es ihr schien - eine fröhliche Stimme wieder herausriss. „Einen wunderschönen guten Mooorgen.“, trällerte Emmanuelle und Magenta beschloss, dass sie sich daran nie im Leben gewöhnen würde. Abbefaria versuchte noch, seinen Lauf zu bremsen, doch es war bereits zu spät. Mit voller Wucht rannte er in sein pelziges Hindernis. Seinen Freunden erging es nicht viel besser, denn auch sie konnten dem Etwas vor der Tür nicht mehr ausweichen. Ein Knäuel aus Armen, Beinen und Pfoten stürzte durch die Tür hinaus und rollte den Abhang vor dem Eingang hinunter. Ein Busch beendete schließlich ein wenig unsanft die unkontrollierte Bewegung und ließ Abbefaria Zeit, trotz des Schwindels in seinem Kopf zwei Dinge zu bemerken: Zum einen hatte der Sturm, durch den sie sich so eben noch gekämpft hatten, in dem Moment aufgehört, als sie die Schwelle am Fuß des großen Baumes überquert hatten. Und zum zweiten war das Fell des Bären, über den sie gefallen waren, schneeweiß. Im letzten Moment fiel er Easygoing in den Arm, der in Ermangelung einer besseren Idee schon mit seinem Dolch ausgeholt hatte. „Nicht!“, rief er. „Das ist nicht unser Feind!“ In diesem Moment fiel der Bär zur Seite und war mausetot. Entsetzt fuhr Abbefaria zu seinem Freund herum. „Was hast du getan?“, keuchte er. Verstört ließ Easygoing seine Waffe sinken. „Gar nichts.“, antwortete er und machte eine abwehrende Bewegung mit den Händen. „Wirklich nicht. Sieh doch, das Messer ist ganz sauber.“ Tatsächlich war nicht ein einziger Blutstropfen auf der Klinge zu sehen. „Aber wie…“, begann Abbefaria. „Dort!“, unterbrach Ceredrian ihn aufgeregt. Er deutete in Richtung des großen Baumes. An seinem Eingang war ein Nachtelf erschienen. Er führte immer wieder die halb geschlossene Hand zum Mund, während sein Blick die Umgebung absuchte. Schon fiel sein Blick auf den Eingang zu dem Geisterhügel und er schien zu überlegen, ob er hineingehen sollte. Wieder führte er die Hand zum Mund und kurz darauf brachte der Wind einen hohen Pfeifton an Abbefarias Ohr. Der Druide betrachtete den Fremden genauer: Einfache, lederne Kleidung, einen Köcher und einen Bogen über seiner Schulter und offensichtlich auf der Suche nach einem Begleiter. „Das ist ein Jäger.“, schloss er aus seinen Betrachtungen. „Und ich fürchte, wir haben sein Tier getötet.“ „Und wenn wir ihn nicht gleich warnen, haben wir seinen Tod ebenfalls zu verschulden, Dummschwätzer.“, fauchte Easygoing, verwandelte sich in einen Panther und preschte auf vier Pfoten auf den Jäger zu, der bereits einen Fuß auf die ersten Stufen gesetzt hatte. Im letzten Moment sprang Easygoing ihn an und warf ihn zur Seite. Nur Sekunden später bohrte sich ein Speer an die Stelle, wo der Elf so eben noch gestanden hatte. Offensichtlich warteten die Geister auf die Rückkehr ihrer Beute, konnten den Baum aber nicht verlassen. „Das ist ja gerade noch mal gut gegangen.“, seufzte Ceredrian, dem der Schreck über die unheimliche Begegnung in der Höhle immer noch ins Gesicht geschrieben stand. „Wie man es nimmt.“, murmelte Abbefaria und warf einen Blick auf den toten Bären. Jäger hatten meist eine sehr enge Beziehung zu ihrem tierischen Begleiter und reagierten manchmal unberechenbar, wenn dieser verstarb. Allerdings schien das dieses Mal nicht der Fall zu sein, denn als der Fremde mit Easygoing zurückkehrte, erlebten sie etwas sehr Seltsames. „Hallo!“, rief der Jäger und winkte fröhlich. „Wie ich sehe, hat sich Benny zu Euch gesellt. Und ich suche den Racker schon überall.“ Die drei Freunde tauschten erstaunte Blicke. Kümmerte es den Jäger denn überhaupt nicht, dass sie… „Och komm schon. Hör auf mit dem Quatsch.“, rief der Jäger dem Bären zu und knuffte ihn in die Seite. Das weiße Tier rührte sich nicht. „Ich fürchte, ich…“, begann Easygoing zögernd, doch der Jäger beachtete ihn gar nicht. „Stur wie Zwerg beim Baden.“, lachte und stellte sich aufrecht hin. „Dann eben anders.“ Er begann einige seltsame Gesten in die Luft zu schreiben und leierte einen schiefen Singsang vor sich hin. Es war ein höchst merkwürdiger Anblick. “…und so erheeebe dich wieder und sei mit miiiiir.“, schloss er nach einigen Zeilen und wedelte entschieden mit den Armen in die Richtung des toten Bären. Im selben Moment, als das Lied endete, sprang der Bär auf alle vier Pfoten gleichzeitig und war wieder quicklebendig. Und nicht nur lebendig, sondern offensichtlich auch hungrig, denn er setzte sich sofort wie ein gehorsamer Hund auf die Hinterschinken und bettelte mit den Vorderpfoten. Der Jäger kramte seufzend etwas aus seine Tasche hervor, das dem Geruch nach zwei Wochen alter Fisch sein musste, und warf es dem Bären hin. Der fing den widerlichen Brocken gierig auf und begann schmatzend ihn zu verzehren. Abbefaria schwankte zwischen Ekel und Faszination. „Wie habt Ihr das gemacht.“, fragte er neugierig. Er hatte schon davon gehört, dass sehr begnadete Heiler Tote wieder ins Leben zurückgeholt hatten, aber die Leichtigkeit, mit der der Jäger das Tier wieder belebt hatte, erstaunte ihn. „Ich weiß nicht.“, antwortete der Jäger mit einem Stirnrunzeln. „Irgendwas muss ich bei seiner Erziehung falsch gemacht haben. Sobald er das Wort ´Feind`…oh nein, nicht schon wieder.“ Der weiße Bär lag im mitternächtlichen Gras und hatte alle Viere von sich gestreckt. Der Jäger stöhnte auf. „Benny, jetzt hör endlich auf dich tot zu stellen…ach vergiss es.“ In etwas schnellerem Ton wiederholte der Jäger den Singsang und die Gesten, die er bereits beim ersten Mal benutzt hatte, und wieder sprang der Bär beim letzten Ton auf und lechzte nach einer Belohnung. Halb lachend, halb ärgerlich rückte der Jäger noch einen Brocken Fisch heraus und streckte dann den anderen seine Hand zur Begrüßung hin. „Ich heiße übrigens Coffee.“, strahlte er und war sehr erstaunt, dass keiner seine Geste erwiderte. Wie sich bei einem Gespräch an einem eilig entzündeten Lagerfeuer herausstellte, war Coffee ebenfalls im Auftrag eines Anderen unterwegs. Ein Eremit namens Kayneth Stillwind hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Machenschaften einiger Untoter aufzuklären, die im östlichen Ashenvale gesichtet worden waren. Seine Information zur Folge planten sie, eine schreckliche Seuche über die Gegend zu bringen. Er hatte Coffee gebeten, ihm dabei zu helfen, diese Theorie zu untersuchen und ihm, wenn möglich, eine Probe von der Giftmischung zu bringen, die die Untoten zusammenbrauten. „Ich war allerdings noch nicht sehr erfolgreich.“, schloss Coffee seinen Bericht und zwirbelte seinen blauen Schnurrbart. „Aber wie soll das auch gehen, wenn sich dieser Nichtsnutz alle fünf Meter tot stellt, wenn er nur das Wort…“ „Sagt es lieber nicht!“, unterbrach Ceredrian ihn. „Ich denke, wir können auf eine weitere Demonstration dieses Kunststücks verzichten.“ „Und auf die stinkende Belohnung.“, nuschelte Abbefaria in seinen Bart. „Wie wahr.“, lachte Coffee und Abbefaria fragte sich, ob der fremde Elf seine Bemerkung nun tatsächlich nicht gehört hatte oder er einfach sehr höflich war. „Das einzige Verdorbene, das ich in dieser Gegend entdeckt habe, waren einige seltsame Schleimkreaturen.“, bemerkte Coffee beiläufig. „Die allerdings scheinen alles zu verschlingen, was kleiner ist als sie selbst. Ich habe einen ganzen Rucksack an diese Geschöpfe verloren. Womöglich wurden sie von dem magischen Talisman angezogen, den ich darin aufbewahrt hatte, denn den Rest meines Vorrats haben sie ihn Ruhe gelassen. Ein Glück, denn sonst hätte ich gar keinen Fisch mehr für Benny gehabt.“ Er tätschelte dem Bären den Kopf. „Schleim mit Geschmack.“, grinste Easygoing und Ceredrian kämpfte offensichtlich damit, nicht laut mit einem Lachen herauszuplatzen. Abbefaria hingegen hatte mit einem Mal das Gefühl, so etwas schon einmal gehört oder gelesen zu haben. Hatte Teronis diesen Schleim nicht in seinem Tagebuch erwähnt? Vielleicht war das eine Möglichkeit, endlich den letzten Teil der magischen Rute zu bekommen. Womöglich hatte der Schleim auch diesen verschluckt. Leise unterrichtete er die beiden anderen über seine Vermutung, während Coffee vergeblich versuchte, seinem Bären beizubringen auf Kommando zu brüllen. Immer wieder rollte das Tier sich stattdessen auf den Rücken und wollte gekrault werden. Dabei erzählte Coffee den nicht sehr interessierten Anwesenden, dass er den Bär von einem Freund aus einem Ort aus Dun Morogh mitgebracht bekommen hatte. „Das ist auf der andere Seite des Meeres.“, fügte er stolz hinzu. „In Azeroth, dort wo die Zwerge herkommen.“ „Mhm, sehr interessant.“, wiegelte Easygoing die Unterhaltung ab, was Abbefaria fast schade fand, denn jetzt schienen die Erzählungen des Jägers endlich interessant zu werden. „Also sind wir uns einig.“, flüsterte Easygoing seinen Freunden zu. „Wir lassen uns zeigen, wo dieser Coffee die Schleimwesen gesehen hat und sehen dann zu, dass wir ihn loswerden. Ich fürchte, er könnte uns sonst schnell zu einem Klotz am Bein werden.“ „Ich muss dir da leider zustimmen, Cousin, auch wenn es nicht sehr höflich ist.“, wisperte Ceredrian zurück und warf einen kritischen Blick auf Coffee, der mittlerweile unter dem Bären lag und von ihm hingebungsvoll abgeschleckt wurde. „Wer sagt es ihm?“, meinte Abbefaria und sah Ceredrian hoffnungsvoll an. Der rollte nur mit den Augen und machte sich dann daran, dem Jäger taktvoll beizubringen, was sie von ihm wollten. Coffee war darüber allerdings nicht im Geringsten böse, sondern brachte sie zu ihrem Erstaunen sogar sehr zielstrebig an eine Talsenke, wo mehrere etwa hüfthohe Hügel unter schmatzenden Kriechgeräuschen über den Boden glitten. Sie glänzten eigenartig feucht und verbreiteten einen süßlichen Fäulnisgeruch, der unangenehm in der Nase stach. „Das sind sie.“, erklärte Coffee und deutete auf die Hügel. „Irgendwo dort drinnen befindet sich mein Rucksack und vielleicht auch eure magische Rute.“ Überrascht sahen die drei Freunde ihn an. Der Jäger zwinkerte ihnen zu und meinte lächelnd: „Jäger haben gute Ohren. Viel Glück bei eurer Suche und möge Elune mit Euch sein.“ „Habt Dank für eure Hilfe.“, sagte Ceredrian und verneigte sich leicht. „Und seid vorsichtig. Der Eingang, vor dem wir Euch vorhin getroffen haben, führt in eine Höhle die von drei irrsinnigen Geisterdruiden bewacht wird.“ „Ich werd´s mir merken.“, antwortete Coffee. „Habt Ihr sonst noch etwas Auffälliges dort beobachtet?“ „Es waren keine Leichen zu finden.“, warf Abbefaria ein. Diese Tatsache bereitete ihm immer noch Kopfzerbrechen. Der Jäger überlegte kurz. „Untote haben die Angewohntheit, sich von den Toten zu ernähren.“, sagte er ernst. „Womöglich sind auch die Druiden Opfer der Verlassenen geworden. Ich werde Kayneth Stillwind davon berichten.“ Er legte in einer lässigen Geste Zeige- und Mittelfinger an die Schläfe, schulterte dann seinen Bogen, pfiff den Bären herbei und schritt querfeldein auf den Wald zu. Schon bald hatte ihn die Nacht verschluckt und nur ab und an sah man noch das weiße Fell seines Begleiters im Mondlicht aufleuchten. „Man sollte sich eben nicht vom ersten Eindruck täuschen lassen.“, fasste nachdenklich Ceredrian zusammen, was sie alle dachten, bevor sie sich daran machten, eine Kiste mit einem magischen Knauf zu finden, die irgendwo in einem der unappetitlichen Schleimwesen verborgen sein musste. Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Elfen eine ganze Weile brauchten, bis sie tatsächlich fündig wurden, und erst spät am nächsten Morgen zu Shael´dryns Mondbrunnen zurückkehrten. Aber während die drei sich eine erholsame Pause von ihren anstrengenden Abenteuern gönnten und der Dryade Zeit ließen, die drei magischen Gegenstände zu untersuchen, hatte auch jemand anderes etwas gefunden, das sehr lange dauern konnte. Dieser Jemand war Magenta und ihre Beschäftigung hieß: Zu Fuß gehen. Sie und die vier anderen zogen zunächst westwärts durch den Wald von Elwynn und obwohl Emmanuelle anmerkte, dass es ihrer Meinung nach einen schnelleren Weg zu ihrem Ziel gäbe, folgten alle den Anweisungen Abumoahams, der sie durch das heiße und staubige Westfall führte. Magenta hatte berechtigte Zweifel, ob das eine wirklich gute Wahl gewesen war, denn ungeachtet der Tatsache, dass sie bereits früh am Morgen aus Stormwind aufgebrochen waren, war die Sonne bereits einige Zeit hinter dem Horizont verschwunden, als sie die Grenze zu Duskwood überschritten. Fast wünschte Magenta, sie hätten es nicht getan… Schon von weitem war ihr die Brücke, über die sie dieses merkwürdige Land betraten, seltsam vorgekommen; wie ein Tor in eine andere Welt. Im Rücken hatten sie noch die drückende Hitze gehabt, die in Westfall den Tag beherrscht hatte und die gegen Abend in eine angenehme, milde Wärme umgeschlagen war, als sich vor ihnen drohend und abweisend der Übergang in das dunkle Duskwood offenbarte. Dumpf klangen ihre Schritte auf den halb verrotteten Eichenbohlen wider und es wurde dunkler, als sie die Brücke auf der anderen Seite wieder verließen. Um sie herum stieg modrige Kälte mit den Nachtnebeln aus dem Boden hervor und legte sich wie eine bleierne Decke über den Weg. Geräusche der Nacht und des Schatten wehten durch die Luft und man glaubte, die Klagen der Toten darin zu vernehmen. Durch Duskwood zu wandern war, als höre man das Echo eines alten, makaberen Kinderliedes. Man erinnerte sich zwar nicht mehr genau an den Text, aber irgendwas sagte einem, dass es nicht gut ausgegangen war und die Erinnerung an das mulmige Gefühl, mit dem man nach dem Verlöschen des Lichtes in die dunklen Zimmerecken gestarrt hatte, ließ einem erneut die Sinne kribbeln. Alles schien Augen zu haben und einen anzustarren. Dinge bewegten sich immer nur dann, wenn man gerade nicht hinsah. Die spinnenwebenverhangenen Bäume griffen mit spitzen Zweigen nach Magentas Haaren und stöhnten in einem nicht vorhandenen Wind. Nachtvögel schrieen klagend durch die Dunkelheit und jedes Gebüsch enthielt offensichtlich etwas, das es meisterlich verstand verdächtig zu rascheln. Um das, was Magenta hatte, noch eine Gänsehaut nennen zu können, hätte es Gänse von etwa vierzig Pfund Lebengewicht geben müssen. „Ganz schön dunkel hier.“, bemerkte sie leise an Emmanuelle gewandt. „Woher das wohl kommt?“ „Keine Ahnung, aber es gefällt mir auch nicht besonders.“, antwortete die Gnomin und starrte abschätzend in die Krone eines besonders von Spinnen heimgesuchten Baumes. Anscheinend gab es doch etwas, dass der unerschrockenen Magierin Angst machen konnte. „Wir gleich kommen an Friedhof von Raven Hill.“, erklärte Abumoaham. „Ihr etwas habt gegen kleine Abstecher?“ Magenta erstarrte, bis sie begriff, dass Abumoaham nicht von jemandem mit einem Messer, sondern von einem Umweg gesprochen hatte. Entschlossen atmete sie durch und schalt sich selbst einen Dummkopf. Diese Gegend war wirklich wie geschaffen dafür, Paranoia zu züchten. Da jedoch niemand etwa gegen den Vorschlag des Magiers einzuwenden hatte, machten sie sich also auf den Weg zum Friedhof von Raven Hill. Sie folgten einem von schwarzem, struppigem Gras bewachsenen Weg zu etwas, das einmal ein Rastplatz für Reisende gewesen sein musste. An einem der Gebäude hing noch ein Schild, mit dem Namen eines Gasthauses, das die Zeit vergessen und der Regen längst fortgespült hatte. Wie auch die umliegenden Häuser war es vollkommen verfallen. Sämtliche Fenster waren gesprungen und seine zersplitterte Tür quietschte in den Angeln. Der Wind heulte unheimlich in einem Kamin, der den kümmerlichen Rest eines anderen Hauses darstellte. Er klapperte mit zerbrochenen Dachschindeln und ließ morsche Balken stöhnen und wimmern. Dichte, weiße Spinnenweben zeugten davon, dass die Häuser nicht ganz verlassen waren, aber Magenta spürte wenig Verlangen, die neuen Besitzer zu ihrem Erwerb zu beglückwünschen. Womöglich hatten sie die Nachbarn mit den spitzen Zähnen und den hässlichen, nackten Schwänzen eingeladen oder erwarteten gar Gastgeschenke in Form eines Abendessens. In der Mitte der kleinen Siedlung stand die schiefe Statue eines Ritters, der unter Moos und Flechten bedrohlich auf die kleine Truppe hinabsah und wenn man wollte, konnte man sich einbilden, er folge mit den steinernen Augen jeder ihrer Bewegungen. Ein Pfad führte hinter einem der Häuser weiter in den aufsteigenden Nebel hinein und ließ sie über gebrochenes Kopfsteinpflaster an ein verrostetes Gittertor gelangen. Im Grunde genommen war es sinnlos, dieses als Eingang zu benutzen, denn große Stücke der Einfriedung waren bereits fast vollständig im schwammigen Erdreich versunken und ließen große Lücken entstehen, die von scharfkantigen Metallspitzen gespickt waren. In der Ferne ragte eine weitere Statue aus den weißen Schwaden hervor. Sie hatte die Arme zu beiden Seiten gestreckt, doch Magenta fühlte sich nicht willkommen, sondern eher als würde sie offenen Auges in eine Falle laufen. „Sag, Abu, was wollen wir eigentlich hier?“, fragte sie den Magier, der wieder einmal mit seinem silbernen Messer auf der Erde herumkroch. Er drehte sich um und hielt ihr eine graue, nach Friedhof riechende Flechte unter die Nase. „Grabmoos.“, erklärte er gewichtig. „Wächst nur auf Friedhof. Sehr kostbar.“ Ungeniert stiefelte der schreibunte Magier nun zwischen den verwitterten Grabsteinen hin und her und sammelte die Pflanzen, die hier und dort auf den verwahrlosten Gräbern wuchsen. Allerdings schien dieses Grabmoos wirklich sehr selten zu sein, denn Abumoaham wagte sich immer tiefer auf den ehemals heiligen Boden. Der Nebel um sie herum wurde, auch wenn das fast unmöglich schien, immer dichter und verschluckte alles, was sich weiter als fünf Meter von ihnen entfernt aufhielt. Besonders beunruhigten Magenta jedoch die Geräusche, die aus dem Boden zu dringen schienen. Ein beständiges Wühlen und Graben ließ sie immer wieder nach allen Seiten Ausschau halten. Konnte es sein, dass es hier mehr gab als nur tote Tote? Ein spitzer Schrei gellte durch die Nacht und ließ Magentas Herz einen gewaltigen Hüpfer machen. Hätte man ihr einen Eimer Eiswasser über den Rücken gegossen, wäre der Schreck nicht größer gewesen. Der Schrei erklang erneut und es war deutlich, dass es sich dabei um eine Frau handelte. Sofort war Bladewarrior hellwach. „Eine Jungfrau in Not.“, rief er mit Heldenmut in den Augen und eilte seine beiden Äxte schwingend in Richtung des Schreis. „Hey!“, protestierte Magenta empört. „Was ist mit dieser Jungfrau hier? Wer beschützt die?“ Aber niemand beachtet sie, denn alle rannten bereits in Richtung des Schreis. Das letzte, was sie sah waren Emmanuelles Zöpfe, die im Nebel verschwanden. „Verflucht, alles muss man selber machen.“, fauchte Magenta, raffte die Röcke und folgte den anderen auf den Fersen. Sie näherten sich einem immer lauter werdenden Kampfeslärm, der in unregelmäßigen Abständen von weiteren Schreien übertönt wurde, bis sie schließlich an einem eingestürzten Grabmal ankamen. Ein gähnender Abgrund lauerte dort, wo einst ein prächtiger Bau die Toten in ihrer Ruhe beschützt haben mochte Und es stand dort das, was Magenta schon die ganze Zeit hatte kommen hören: Untote. Eine scheußliche Horde hatte sich vor dem Eingang des steinernen Tunnels versammelt. Ihre Körper waren bereits von Verwesung zerfressen, die Rippen stachen bleich aus den leeren Brustkörben hervor und in dem verrottenden Fleisch, das in Fetzen an ihren Knochengerüsten hing, bewegten sich Aaswürmer. Ein fauliger Geruch stieg in einer Wolke von jedem einzelnen auf und trieb einen die Tränen in die Augen. Zumindest war es das, was Magenta zunächst dachte, doch als sie sich die Tränen wegblinzelte, sah sie, was wirklich die Ursache ihrer Blendung war. Inmitten der Schar von abstoßenden, blutrünstigen Ghulen kämpfte eine junge, blonde Frau. Sie war in schimmerndes Gold und strahlendes Rot gewandet und ihr gewaltiger Kriegshammer schien im Dunkeln zu leuchten. Als sie ihn wieder und wieder gegen die untoten Unholde schwang, umgab sie eine zart leuchtende Aura wie ein Schild, das die Angriffe ihrer Feinde wie leichten Frühlingsregen an sich abperlen ließ. Es war ein göttlicher Anblick, wie die Untoten unter ihren Angriffen ewigen Frieden fanden und mit gurgelnden Schreien zu Boden gingen. Einer nach dem Anderen fiel und als auch der letzte von ihnen besiegt war, strich sich die junge Frau die üppige Haarpracht aus der perfekten Stirn und lächelte die Neuankömmlinge liebreizend an… …so in etwa lautete die Übersetzung dessen, was sich Magenta anhand von Bladewarriors Gesichtsaudruck zusammenreimen konnte. „Ich grüße Euch.“, sagte die junge Frau und strich sich erneut die Haare aus den Augen. Magenta begann sich zu fragen, warum sie sich nicht einfach hochband, wenn es sie doch so störte. „Wir Euch grüßen.“, sagte Abumoaham und wenn sich Magenta nicht sehr täuschte, war er gerade um ein paar Zentimeter gewachsen. Er deutete eine Verbeugung an. „Tach.“, sagte Schakal und nickte der jungen Frau zu, während seine Augen ihre gesamte Gestalt taxierten. „Das war eine reife Leistung.“, beglückwünschte Emmanuelle und deutete auf die reglosen Untoten. „Wirklich sagenhaft. Ihr müsst mir erklären, wie Ihr das gemacht habt.“ Bladewarrior hatte seine andächtige Starre inzwischen überwunden und war dazu übergegangen, wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft zu schnappen. Die Atemfrequenz steigerte sich zu Magentas Unmut noch, als sich der Blick der Schönheit auf ihn richtete. Mit Mühe brachte er schließlich einen vollständigen Satz hervor. „Wie heißt Ihr?“, krächzte er und wurde dunkelrot bis unter die Haarspitzen. „Mein Name ist Risingsun.“, antwortete die blonde Frau, die Magenta inzwischen als weiblichen Paladin identifiziert hatte und von der sie sich ab diesem Moment sicher war, dass sie sie nicht leiden konnte. „Und wer…“ Risingsun verstummte und ihre Augen wurden schmal, als sie Magenta bemerkte. Ihre Hände griffen fester nach ihrem Kriegshammer und mit einem spitzen Kriegsschrei stürzte sie sich auf die Hexenmeisterin. Unfähig sich zu bewegen sah Magenta hilflos zu, wie eine Welle heiligen Zorns auf sie zuraste und fragte sich, warum sie heute morgen nicht einfach im Bett geblieben war. Und warum eigentlich die kleine Katze nicht mehr da gewesen war, als sie aufgestanden war. Und warum sich ihre Füße nicht in die Richtung bewegten, die sie ihnen gerade panisch signalisierte. „Dämon!“, kreischte die Paladina und hämmerte ihre Waffe ein winziges Stück neben Magenta in die Erde. Sie traf dabei genau die Stelle, an der sich Sekundenbruchteile vorher noch ein gewisser Wichtel befunden hatte. „Hilfääää!“, rief Pizkol verzweifelt und brachte sich hüpfend und springend in Sicherheit, während eine wildgewordene Furie hinter ihm herraste und versuchte, ihn buchstäblich dem Erdboden gleich zu machen. „Nimm doch mal einer das Ding da weg.“ Endlich kam Magenta wieder zu sich. Dieses Weibsstück war nicht nur ein Paladin, sondern zudem auch noch vollkommen verrückt und wollte ihren Wichtel umbringen. Fieberhaft überlegte Magenta, wie sie Pizkol retten konnte. Das Geschrei entfernte sich immer weiter von ihr und so nahm sie zunächst einmal die Beine in die Hand und folgte dem ungleichen Gespann. Die Jagd ging über umgestürzte Grabsteine und bösartig aus dem Boden hervorragende Erdhügel. Mehr als einmal wäre Magenta beinahe gestürzt, während sie versuchte mit dem rot-goldenen Schatten vor sich Schritt zu halten. Die Grabsteine um sie herum wurden weniger kostspielig und wichen nach und nach einfachen Steinkreuzen, die windschief in alle Richtungen ragten. Dann schließlich passierte, was passieren musste: Magenta übersah eine fast unter Moos und Gras verschwundene Wegbegrenzung, ihr Fuß verhakte sich dahinter und Sekunden später war ihr Mund gefüllt mit krümeliger Friedhofserde. Pizkols Schreie verklangen irgendwo vor ihr im Nebel und ließen Magenta allein und mit schmerzenden Knien zurück. Hustend und spuckend setzte Magenta sich auf und rieb sich die dreckigen, verschrammten Handflächen. Eine Prüfung des restlichen Körpers ergab, dass Nichts gebrochen schien; ihr einer Knöchel protestierte jedoch schmerzhaft, als sie versuchte, ihn zu belasten. „Na wunderbar.“, murmelte sie. „Mich mit verstauchtem Knöchel auf einem von düsteren Nebelschwaden umwölkten, von unheimlichen Untoten bevölkerten und von gefährlichen Spinnen heimgesuchten Friedhof zu verirren war schon immer mein großer Wunschtraum.“ Wenn sie es sich recht überlegte, war es vielleicht nicht sehr klug gewesen, ihre missliche Lage sich selbst gegenüber in so deutliche Worte zu fassen. Andeutungen wären durchaus genug gewesen, um die Kälte, die in diesem Moment ihren Rücken hinauf kroch, zu nähren. Unsicher warf sie einen Blick über die Schulter und beschloss, diese Überlegungen woanders weiterzuführen. Humpelnd stolperte Magenta durch den Nebel, der - auch wenn das eigentlich unmöglich schien - noch dichter wurde und eine eigenartige, schwer in Worte zu fassende Färbung annahm. Er wabberte und pulsierte in einem Blau-Violett-Ton und ließ die Vermutung zu, dass hier irgendetwas in Gange war, das absolut nicht in Ordnung war. Der Anblick einer besonders dicken, blauen Wolke ließ Magenta stehen bleiben. Wo hatte sie eigentlich ihren Verstand gelassen? Sie zog Jhazdoks Armschienen aus ihrem Rucksack und murmelte die Beschwörungsformel. In dem Moment, da der Leerwandler mit einem unheimlichen Laut neben ihr erschien, hörte sie ein erschöpftes Keuchen in ihrem Kopf. Danke, schnaufte ein völlig aus der Puste geratener Pizkol in Magentas Kopf. Beinah hätte mein letztes Stündlein geschlagen. Wieso zur Hölle hat das so lange gedauert? Ich war beschäftigt, antwortete Magenta knapp. Womit denn? , knurrte Pizkol. Nagelpflege? Kaffeekränzchen? Schönheitsschlaf…ach nein, der hätte ja eh nichts genützt. Mit dir und der durchgedrehten Pala-Dame nachlaufen, fauchte Magenta. Aber wenn dir das lieber ist, halte ich mich eben beim nächsten Mal zurück. Schon gut, ich sag ja nichts mehr, antwortete der Wichtel in versöhnlicherem Ton. Aber wo in drei Teufels Namen bist du eigentlich? „Tja wenn ich das wüsste…“, sagte Magenta laut und blickte sorgenvoll auf die Umrisse eines Gebäudes, das sich aus dem blauen Dunst herausgeschält hatte. Irgendetwas ging in diesem Haus vor, aber Magenta war sich sicher, dass sie nicht herausfinden wollte, was es war. Entschlossen drehte sie sich um und wollte diesen Ort verlassen, als ein herannahender Luftzug ihre Sinne zum Kreischen brachte. Gerade noch rechtzeitig duckte sie sich unter einem Schwertstreich hinweg und stolperte ungeschickt ein paar Schritte vorwärts. Einen Grabstein als Stütze benutzend fuhr sie herum und erstarrte. Vor ihr stand ein riesiger Krieger mit einem gehörnten Kettenhelm, einer goldenen, an einen Paladin erinnernden Rüstung und einem gewaltigen, kostbar aussehenden Schwert. Man hätte ihn schlank nennen können, wenn diese Beschreibung für ein Skelett nicht untertrieben gewesen wäre. Ein grünes, unheiliges Leuchten füllte die Augenhöhlen des bleichen Schädels, als er erneut mit dem riesigen Zweihänder ausholte und den Grabstein, gegen den Magenta sich gerade noch gelehnt hatte, in zwei Hälften zerteilte. „Stirb!“, brüllte das Skelett und holte erneut zu einem Schlag aus. Es pulverisierte einen weiteren Grabstein und funkelte Magenta voller Mordlust an. Dann begann es sich Schritt für Schritt auf sie zuzubewegen. Magenta wich im gleichen Takt zurück, immer darauf bedacht, keine hastigen Bewegungen zu machen oder gar erneut zu fallen. Sie wusste, wenn das geschah, war sie tot. „W-was habe ich Euch denn getan und w-wer seid Ihr überhaupt?“, versuchte sie verzweifelt stotternd Konversation mit dem untoten Paladin zu betreiben. Sie glaubte zwar nicht daran, dass ihr das etwas nützen würde, aber in manchen Situationen bewegte sich ihr Mund eben schneller als ihre Gedanken. Ein Grinsen schien den Totenschädel noch weiter in die Breite zu ziehen. „Ich bin dein Tod.“, antwortet das Skelett hämisch. „Doch wenn du mit deiner Frage meinen Namen meinst, so darfst du mich in den letzten, jämmerlichen Sekunden deines Lebens Mor´Ladim nennen.“ In diesem Moment wirbelte Magenta herum und begann zu laufen. „Es ist vollbracht.“, verkündete Shael´dryn und winkte die drei Nachtelfen heran. In ihren schlanken Händen trug sie die wieder zusammengebaute, eiserne Rute, an deren Spitze jetzt wieder der rote Edelstein befestigt war. „Die Rute ist wieder zusammengesetzt und…“ „Jetzt werden wir endlich sehen, ob dieses Ding die ganze Aufregung auch wert war.“, unterbrach Easygoing sie und griff ungeachtet des empörten Gesichtsausdrucks des Dryade nach der Rute. Er wedelte ein paar Mal damit und zuckte dann mit den Schultern. „Ich sehe nicht, wie uns das helfen soll.“, brummte er ungeduldig. „Mir scheint, sie hat ihre Kraft, wie immer die auch ausgesehen haben mag, bei ihrer Zerteilung verloren.“ „Gut beobachtet.“, lächelte die Dryade dünn. Sie stolzierte auf ihren schmalen Hufen zum Rand des Mondbrunnens und drehte ihnen dabei den puscheligen, weißen Schwanz zu. „Und schlau wie ihr seid, werdet ihr ja sicherlich herausfinden, wie ihr das ändern könnt.“ Ceredrian warf Easygoing einen vorwurfsvollen Blick zu und nahm ihm die Rute aus der Hand. „Bitte, schönste aller Naturgeister, ich entschuldige mich für meinen Freund.“ Easygoing schnitt hinter seinem Rücken Grimassen und rollte mit den Augen, doch Ceredrian fuhr unbeirrt fort: „Bitte gewährt uns Euren umsichtigen Rat, wie wir die Rute wieder zu ihrer alten Kraft verhelfen können.“ Die Dryade rückte und rührte sich jedoch nicht, so dass sich Ceredrian schließlich auf ein Knie sinken ließ. „Wenn ihr es wünscht, so werde ich Eure Ohren mit einem Lied erfreuen, als Austausch gegen Eure Weisheit, Mylady.“ In diesem Moment sah Abbefaria die Notwendigkeit einzuschreiten. „Entschuldigt, dass ich nicht so gewählt daherrede wie mein Freund, aber wenn ihr uns und Euch einen Gefallen tun wollt, dann sagt Ihr ihm, was er wissen will, bevor er anfängt zu singen.“ „Was willst du damit sagen?“, wollte Ceredrian beleidigt wissen. „Dass uns dein Geplärre auf die Nerven geht.“, übersetzte Easygoing gönnerhaft. „Das nimmst du sofort zurück.“, verlangte Ceredrian. „Sonst…“ „Ruhe!“, donnerte die Dryade und einige Nachtvögel flogen verschreckt und einige Stunden zu früh aus ihren Nestern auf. „Wenn ich noch ein Wort höre, lasse ich die Rute von einer Krähe auf die Spitze des Berges Hyal bringen.“ Diese Drohung wirkte und die drei Nachtelfen ließen betreten die Köpfe sinken. Den Tag in Nichtstun verbringen zu müssen hatte ihre Ungeduld in einem Maße gesteigert, das sie selbst nicht vermutet hatten. Es war eine Sache kämpfend in eine Schlacht zu ziehen, eine ganz andere darauf zu warten, dass jemand einem ein Puzzelspiel zusammensetzte, dessen Nützlichkeit sich erst noch erweisen musste. „So hört denn.“, fuhr die Dryade wesentlich leiser und sanfter fort. „Die Rute muss in der Tat wieder aufgeladen werden. Es gibt nicht viele Orte, deren magische Quelle auch den Ungeübten zugänglich sind, doch ich denke, ich kenne einen von ihnen. Südöstlich von hier liegt ein Schrein, in dem einst ein Urmondstein aufbewahrt wurde. Wenn der Stein immer noch da ist, so könntet ihr seine Kraft nutzen, um der Rute einen Teil ihrer Magie wiederzugeben.“ „Habt Dank für diesen Rat, edle Dryade.“, sagte Ceredrian und diesmal spottete niemand über seine Ausdrucksweise. Die drei Nachtelfen machten sich auf den Weg den geheimnisvollen Schrein zu finden, der sich, wie Shael´dryn ihnen noch verraten hatte, irgendwo am Ende eines schmalen Pfades in den umliegenden Bergen befinden musste. Dort angekommen sollten sie die Rute in den Stein legen, was ihnen zunächst einmal seltsam vorkam. Als sie jedoch den Pfad gefunden und erklommen hatten und vor dem zerstörten Schrein standen, fanden sie schnell heraus, was der Naturgeist mit dieser Formulierung gemeint hatte. Der Urmondstein stellte sich nämlich als großer, weißgrauer Felsbrocken heraus, in dessen Mitte sich ein kreisrundes Loch befand. Darin schwebten eigenartige Lichtpunkte, die einen funkelnden, bläulichen Widerschein auf den Waldboden warfen. Es war ein gerade zu hypnotisierender Anblick. „Also dann…“, sagte Ceredrian, nachdem sie das Loch einige Minuten lang ergriffen angestarrt hatten. „Wer macht es?“ „Ich.“, sagte Easygoing bestimmt und steckte die Rute ohne zu zögern in die runde Öffnung. Es passierte überhaupt nichts. „Es funktioniert nicht.“, stellte Ceredrian fest. „Bist du dir sicher, dass man das so macht?“ „Für mich sieht das gut aus.“, bemerkte Abbefaria, wenngleich auch er zugeben musste, dass der Erfolg mehr als mäßig war. „Vielleicht muss man sie noch ein bisschen hin und her bewegen.“ „Jetzt sei nicht albern.“, knurrte Easygoing. „Das Ding ist doch drin, das muss reichen.“ „Vielleicht wenn man…“, sagte Ceredrian und wollte nach der Rute greifen, als ein milchiges Leuchten sie erfüllte. Lichtsterne tanzten über die Oberfläche des Stabes und ein sphärisches Klingeln kündigte an, dass der Prozess der Aufladung abgeschlossen war. „Siehst du.“, rief Easygoing triumphierend. „Alles nur eine Frage der Technik.“ „Technik…“, spottete Ceredrian. „Du meinst eine Kombination aus Glück und roher Gewalt. Sowas liegt dir doch eher.“ „Könnt ihr endlich mal aufhören, euch anzumachen?“, fuhr Abbefaria dazwischen. „Wir haben die magische Rute und deswegen kehren wir jetzt zu Shael´dyn zurück und fragen sie, was wir damit machen sollen.“ „Wieso wundert mich jetzt nicht, dass du das nicht weißt.“, antwortete Easygoing und begann verhalten zu grinsen. „Sei nicht immer so fies.“, wies Ceredrian ihn zurecht, konnte dann aber sein Lachen ebenfalls nicht zurückhalten. „Ach ihr könnt mich beide mal.“, fauchte Abbefaria und stürmte mit dunkler werdenden Wangen den Berg wieder hinunter, während ihm das Lachen seiner Freunde in den Ohren widerhallte. Jedes Kind kannte die Geschichte von Mor´Ladim oder auch Morgan Ladimore, wie er früher geheißen hatte. Mütter erzählten sie ihren Kindern in langen Winternächten, wenn die Schneestürme an den Fensterläden rüttelten und die hungrigen Wölfe näher und näher an die Siedlungen heran schlichen. Niemals hatte Magenta geglaubt, dass diese Erzählung von dem tapferen Ritter, der einst an der Seite von Uther Lightbringer gekämpft hatte und nach seiner Rückkehr über den Tod seiner Familie den Verstand verloren hatte, wirklich wahr sein konnte. Man erzählte sich, dass er einst in seinem Wahn ein Blutbad angerichtet und sich danach aufgrund dieser Schande selbst getötet hatte. Wie es schien, hatte ihn aber selbst dieser Freitod nicht davon abgehalten, weiter Leid unter den Lebenden zu verbreiten. Im Moment fühlte sich Magenta auf jeden Fall ziemlich leidend, denn ihr Knöchel schmerzte mehr und mehr, während sie auf der Flucht vor einem blutrünstigen Skelett über den Friedhof von Ravenhill stolperte. „Bleib stehen!“, rief Mor´Ladim zornig und hieb mit seinem Schwert mehrere Fuß große Löcher in die Luft. „Du zögerst nur das Unvermeidliche heraus.“ „Fällt mir gar nicht ein.“, keuchte Magenta und lief so schnell es ihre Beine hergaben. Wo waren nur die anderen? Irgendwo auf diesem verdammten Friedhof mussten sie doch stecken. Warum greifst du ihn nicht an? , wollte Pizkol wissen. Warum? , echote Magenta. Vielleicht weil er ein Schwert hat, das mir bis zur Hüfte reicht? Oder weil er sich garantiert nicht erschrecken und ergeben wird, wenn ich ihn anbrülle? Oder weil ihm meine mickrigen Schattenzauber wahrscheinlich höchst egal sind, selbst wenn ich dazu komme noch einen von ihnen auszusprechen, bevor er meinen Kopf von meinen Schultern schlägt? Ok, das ist ein Argument, meinte der Wichtel. Dann benutz den dicken Blauen, um ihn abzulenken und verschwinde von hier. Magenta hätte sich ohrfeigen können, dass sie nicht selbst darauf gekommen war. Sie gab Jhazdok einen entsprechenden Befehl und sofort drehte sich der Leerwandler um und griff das rasende Skelett an. Voller Freude, endlich auf einen Gegner gestoßen zu sein, den er zerhacken konnte, stürzte sich Mor´Ladim auf ihn. Es schepperte, als die Klinge des Knochen-Ritters zielsicher die Armschienen des Dämons trafen. Dessen blaue Gestalt erbebte, doch er hielt dem Angriff stand. Magenta überlegte nicht lange und rannte so schnell sie konnte in die entgegengesetzte Richtung. Hinter ihr konnte sie das Skelett brüllen hören und ahnte, dass ihr nur ein minimaler Vorsprung bleiben würde. Ein nach zwei Seiten offenes Gemäuer tauchte kurz darauf vor ihr aus dem Nebel auf und ohne lange zu überlegen, stürmte sie durch den Eingang und wäre fast die Treppe, die gleich hinter dem Eingang unter die Erde führte, hinuntergefallen. Im letzten Moment erwischte sie noch das steinerne Geländer und klammerte sich daran fest. Ihre Füße flogen daraufhin förmlich die Stufen hinunter, während die zornigen Rufe des Skeletts sie zu noch größerer Schnelligkeit anspornten. Unten angekommen war es dunkel wie…nun ja wie in einem Grab. Ein wenig vorsichtiger bewegte Magenta sich weiter vorwärts und erreichte so eine weitläufige Kammer. Hastig tastete sie sich an der Wand entlang, als die Wand unter ihren Händen auf einmal verschwand. Sie war an eine Tür oder einen Durchgang gekommen. Über sich konnte sie Mor´Ladim toben hören. Ihr blieb keine Wahl und so nahm sie allen Mut zusammen und ging mit nach vorne ausgestreckten Händen weiter. Die Schreie des Skelett-Ritters wurden immer leiser, je tiefer sie kam, und Magenta erlaubte sich schließlich aufzuatmen. Anscheinend war sie ihm mit dieser List tatsächlich entkommen. Das Geräusch von Wassertropfen mischte sich jetzt unter die letzten Echos des Wutanfalls und Magenta meinte ein dunkles Wispern und Scharren dazwischen zu vernehmen. Schlagartig wurde der jungen Hexenmeisterin bewusst, dass sie sich wahrscheinlich in einem Grabmal befand und das konnte bedeuten, dass sie hier - soweit man dem Gesetz der Regelmäßigkeit für verfluchte Friedhöfe glauben konnte - ebenfalls Untote erwarteten. „Ich brauche Licht.“, murmelte sie und die einzig verfügbare Lichtquelle, die ihr einfiel, war nicht sehr begeistert darüber. „Na toll.“, schimpfte Pizkol. „Jetzt werde ich schon als Laterne missbraucht.“ „Mecker nicht und schein heller.“, befahl Magenta ärgerlich. Grummelnd verstärkte der Wichtel seine Feueraura und der flackernde Schein fiel auf feuchte, schimmelige Steinwände, in deren leeren Ausbuchtungen einmal Särge gelegen haben mussten. Immer die Wand als Orientierung benutzend, ging Magenta zögerlich weiter. Sie hörte klappernde beunruhigende Geräusche und hoffte, dass diese nicht, wie sie vermutete, von weiteren Skelett-Kriegern stammten. Schließlich kam sie an eine Öffnung, aus der ihr ein erdiger Geruch entgegenschlug. Wurzeln hingen von der Decke des Ganges, der sich vor ihr auftat, herab und er schien gerade breit genug, dass Magenta sich hindurchquetschen konnte. Sie musste sich inzwischen sehr tief im Inneren des Grabmals befinden. „Was meinst du, sollen wir den mal ausprobieren?“, fragte sie Pizkol. Der Wichtel verschränkte die Arme vor der haarigen Brust und antwortete beleidigt: „Als wenn meine Meinung überhaupt interessieren würde. Ich bin doch hier nur der Lichtbringer.“ Magenta musterte ihn amüsiert. „Also Uther habe ich mir immer größer vorgestellt.“ „Sehr witzig.“, fauchte Pizkol. „Aber wir irren schon so lange hier im Dunkeln herum, dass ein Weg nach vorne auch nicht schlimmer ist als einer zurück. Los geht´s!“ Dem Lichtschein des Wichtels folgend, zwängte Magenta sich in den Gang und hoffte, dass sie hier weiterhin von den Untoten verschont blieben. Als hätte dieser Gedanke ihn herbeigerufen, tauchte natürlich prompt hinter der nächsten Kurve ein Ghul auf. Seine trüben, toten Augen blitzten heimtückisch auf, als er Magenta bemerkte. Augenblicklich ließ er das Leichenteil fallen, an dem er gerade genagt hatte - wenn Magenta das richtig sah, war es einmal ein menschliches Bein gewesen - und wandte sich einer lohnenderen Beute zu. „Fleisch.“, grunzte er und musterte Magenta hungrig. „Fleisch!“ „Ja, äh, Fleisch genau.“, stotterte die junge Hexenmeisterin. „Aber wenn du nichts dagegen hast, würde ich das gerne da lassen, wo es ist. Sonst sehe ich ja nachher aus wie du.“ „Fleisch?“, machte der Ghul und legte den Kopf schief. „Ja genau, guter Ghul.“, plapperte Magenta einfach weiter. „Ich mach dir einen Vorschlag: Du lässt mich hier raus und ich schick dir dann ein schönes, dickes Paket vom Metzger. Per Post, wenn´s recht ist.“ „Fleisch.“, sabberte der Ghul und streckte begierlich die Hand nach Magenta aus. „Fl…“ „Du gehst mir auf die Nerven.“, rief Pizkol und jagte dem Ghul einen Feuerball mitten zwischen die Augen. Die Kreatur heulte auf wie ein geprügelter Hund, als die Lappen, mit denen sie umwickelt war, in Flammen aufgingen. „FLEISCH!“, brüllte sie zornig und ging ohne weitere Vorwarnung zum Angriff über. Messerscharfe Klauen griffen nach Magenta, während die mahlenden Kiefer nach ihrer Kehle schnappten. Zudem bildeten die brennenden Stofffetzen eine zusätzliche Gefahr. „Tu was!“, bellte die Hexenmeisterin, während sie selbst einen Schattenblitz zwischen ihren Händen beschwor. Diesen feuerte sie genau an die Stelle, die Pizkol schon mit seinem Feuerball traktiert hatte. Der Ghul stolperte von der Wucht des Aufschlags rückwärts und schüttelte sich, so dass brennende Teile von ihm in alle Richtungen flogen. Trotz er Tatsache, das sein rechter Arm bereits nutzlos am Boden lag und sein Gesicht langsam unter der Einwirkung von Schatten und Feuer zu schmelzen begann, wollte er immer noch fressen. „Fl..sch.“, artikulierte er mit zerstörter Luftröhre und griff unkontrolliert nach Magenta. Diese überlegte nicht lange und schleuderte erneut einen Schattenblitz in Richtung des abnormen Geschöpfes. Mit einem Gurgeln brach der Kadaver endlich in sich zusammen und fiel in zwei Hälften gespalten zu Boden. „Das war knapp.“, keuchte Magenta und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Das nächste Mal, wenn ich deine Einmischung wünsche, sage ich dir bescheid.“ „Oh bitte! Du glaubst doch nicht wirklich, dass er sich auf das Geschäft mit der Briefwurfsendung eingelassen hätte oder?“, stöhnte Pizkol, doch Magenta zog es vor, nicht zu antworten. Ohne zu überlegen, wie eklig sie das eigentlich fand, zog sie eine der Rippen aus dem leblosen Ghul. „Als Waffe.“, erklärte sie dem fassungslosen Wichtel. „Und damit seine Kumpel wissen, was wir mit ihnen anstellen, wenn sie uns zu nahe kommen. „Und du meinst, das funktioniert?“, argwöhnte Pizkol. „Keine Ahnung.“, meinte Magenta. „Aber immerhin kann ich damit notfalls Wichtel verprügeln, die zu viele blöde Fragen stellen.“ „Das nehme ich persönlich.“, maulte ihr Diener und gemeinsam machten sie sich auf den Weg nach draußen. Dort angekommen erlebten die beiden gleich zwei Überraschungen. Erstens waren sie wieder dort angekommen, wo die wilde Jagd ihren Anfang genommen hatte und zweitens schien der Rest der Gruppe inzwischen dicke Freundschaft mit Risingsun geschlossen zu haben. Zwar hielt Abumoaham sie erfolgreich davon ab, ihrem Hammer wieder gegen Pizkol zu erheben, jedoch war jeder sofort der Meinung, dass Magenta ihre Trophäe aus dem Kampf gegen den Ghul an die Paladina abzugeben hatte. „Aber das ist meine Rippe.“, protestierte die Hexenmeisterin schwach. Im Grunde genommen hatte Magenta die Ghulrippe auch gar nicht behalten wollen, aber jetzt, da sie sie abgeben sollte, fühlte sie sich irgendwie um ihren Erfolg betrogen. „Es ist doch für einen guten Zweck.“, erklärte Emmanuelle. „Dieser Calvinius scheint ein vom Schicksal gebeutelter Mann zu sein. Wir sollten ihn darin unterstützen, sich und sein Heim vor diesen Kreaturen zu schützen.“ „Und wir kriegen Geld dafür.“, meinte Schakal. Für den Zwerg schien das das ultimative Argument für alles zu sein. „Korrigiere.“, flötete Risingsun dazwischen. „Ich bekomme Geld dafür und werde euch etwas davon abgeben.“ „Siehst du, sie teilt sogar mit uns.“, strahlte Bladewarrior und Magenta fragte sich, ob eigentlich nur ihr dieser Handel faul vorkam. „Also schön.“, seufzte sie und händigte Risingsun das widerwärtige Körperteil aus. „Aber nur, weil ich sehen will, wie dieser Calvinius, von dem ihr erzählt habt, daraus eine Vogelscheuche gegen Ghule baut. Es gibt nämlich Leute, die behaupten, das ginge gar nicht.“ Sie warf Pizkol einen vielsagenden Blick zu. „Ich wasche meine Hände in Unschuld, wenn das schief geht.“, entgegnete er und trottete zusammen mit seiner Herrin hinter den anderen her. Calvinius stellte sich als der alte Mann heraus, den Magenta sich bei der Beschreibung der anderen vorgestellt hatte. Er hatte einen grauen Bart, trug eine verwaschene, blaugraue Robe und sah irgendwie verbittert aus. Als Risingsun ihm jedoch die Ghulrippen reichte, glitt ein schmales Lächeln über sein faltiges Gesicht. Irgendetwas störte Magenta daran, sie konnte nur leider nicht den Finger darauf legen, was es war, denn schon wartete der alte Mann mit einer neuen Aufgabe auf. „Wisst ihr, ich danke euch wirklich für eure Hilfe.“, sagte er und hustete schwach. „Wenn ich euch vielleicht noch um einen weiteren Gefallen bitten dürfte? Ich wurde vor ein paar Wochen von einer Bande von Ogern angegriffen und sie entwendeten eine Kiste mit wertvollen Kräutern und Werkzeugen. Wäret Ihr wohl so gut, sie mir wieder zu beschaffen?“ „Oho.“, rief Abumoaham sofort. „Fiese Kräuterdiebe nix gut. Wir wiederholen Kiste.“ „Vielleicht könnten wir erstmal nach den Armschienen meines Leerwandlers suchen?“, warf Magenta hoffnungsvoll ein. „Damit ihr ein neues dieser Höllengeschöpfe in diese Welt rufen könnt?“, vermutete Risingsun und musterte Pizkol mit mordlüsternem Blick. „Wisst Ihr denn nicht, dass Dämonen die Wurzel allen Übels sind und ausgerottet werden müssen?“ „Da hat sie Recht.“, pflichtete ihr Bladewarrior bei. „Ach ja?“, fauchte Magenta beleidigt. „Bis vor ein paar Stunden hat dich das aber noch nicht gestört. Außerdem ziehe ich bestimmt nicht mitten in der Nacht los um irgendwelchen Ogern irgendwelche Kisten mit dubiosem Inhalt abzuknöpfen.“ „Ihr könnt gerne bei mir übernachten.“, bot der Einsiedler lächelnd an. Der Ausdruck, den er dabei auf seinem Gesicht hatte, gefiel Magenta immer noch nicht, aber die Aussicht, auf dem Friedhof zu übernachten, gefiel ihr noch viel weniger. „Mir egal.“, murmelte sie resignierend. „Bleiben wir eben über Nacht.“ Bevor Magenta in dieser Nacht die Augen schloss, vergewisserte sie sich dreimal, dass alle ihre Habseligkeiten auch wirklich mit ihr zusammen unter der gut festgesteckten Decke lagen, dass Risingsun auch wirklich schon schlief und ihren Hammer vor der Tür gelassen hatte und dass nicht etwa doch ein Untoter sich in die kleine Hütte des Einsiedlers geschlichen hatte. Deren Fußboden war allerdings auch übersäht mit Schlafgästen, so dass ein Untoter schon hätte fliegen müssen, um an Magenta heran zu kommen, die ihr Lager in der hintersten Ecke aufgeschlagen hatte. Aber so was gab es sicherlich auch. Aus dem Nebenraum, in dem der Einsiedler sein Bett stehen hatte, drangen merkwürdige Geräusche, die Magenta nach einer Weile als Sägen identifizierte. Aber was sägte Calivinius dort mitten in der Nacht? Magenta versuchte, diese Frage sowie die Geräusche zu ignorieren, doch es half alles nichts. Sie musste nachsehen, was er dort trieb. Leise schälte sie sich aus ihrer Bettstatt und wollte sich zur Tür schleichen, als etwas im Dunkeln aufglühte. Ein einzelnes, rotes Auge starrte Magenta an und sie fühlte, wie ihr Mund trocken wurde. „Kannst auch nicht schlafen, eh?“, fragte Schakal und zog erneut an seine Pfeife. „Du hast mich erschreckt.“, zischte Magenta vorwurfsvoll. „Musst du dich so anschleichen?“ „Soll nicht wieder vorkommen.“, grinste der Zwerg. „Aber wenn du nachsehen willst, was der Kerl da treibt, kann ich dir nur raten: Lass es!“ „Wieso?“, fragte Magenta verdutzt. „Weil du es gar nicht wissen willst.“, antwortete Schakal ruhig. „Manche Dinge sind nichts für schwache Nerven und der Anblick eines Mannes, der mit einer Knochensäge hantiert, gehört ganz sicher dazu.“ Ein Bild tauchte vor Magentas innerem Auge auf, doch sie schob es lieber schnell wieder dahin zurück, wo es hergekommen war. „Du meinst, dieser Calvinius baut seine Vogelscheuche mitten in der Nacht?“, vergewisserte sie sich. „Sowas in der Art.“, entgegnete Schakal. „Los, Mädel, geh schlafen. Ich pass schon auf, das nichts hier reinkommt, dass bereits tot ist.“ „Danke.“, flüsterte Magenta. „Und gute Nacht.“ Sie wusste nicht, ob sie von Schakals Aussage wirklich beruhigt sein sollte. Irgendetwas ging hier vor, das nicht so war, wie es schien, und sie hatte vor herauszufinden, was es war. Gleich morgen früh. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)