Magenta I von Maginisha (Willkommen in der World of Warcraft) ================================================================================ Kapitel 1: Im Wald von Elwynn ----------------------------- Stormwind. Gefallen im ersten Krieg gegen die übermächtigen Kräfte der Horde. Wieder aufgebaut nach dem Ende des zweiten großen Krieges. Geführt von dem fünfjährigen Kindkönig Anduin Wrynn. Letzte Bastion der stolzen Rasse der Menschen. Wie ein blank poliertes Juwel lag die Hauptstadt der südlichen Königreiche von Azeroth mitten in den fruchtbaren, grünen Wäldern des Waldes von Elwynn… Das alles jedoch war Magenta in diesem Moment herzlich egal. Diese Haltung war vielleicht nicht besonders edel, aber dennoch durchaus verständlich, wenn man gerade - lediglich mit der Absicht ein dringliches Bedürfnis nur ein kleines Stückchen abseits des normalen Weges zu verrichten - über einen räudigen Waldwolf gestolpert war. Der Wolf, nicht eben erfreut über diese Störung, hatte sich jedoch schnell wieder seiner raubtierhaften Natur besonnen und schien Magenta im Gegenzug zu seinem Mittagessen erkoren zu haben. Wieder und wieder schnappte das Tier bedrohlich nach ihr, während sie mit ihrem geradezu lächerlich wirkenden Dolch versuchte, ihn auf Abstand zu halten. „Verzieh dich!“, schrie Magenta den Wolf an. „Na los! Lass mich in Ruhe! PIZKOL!“ Ihr dämonischer Diener schien auf beiden seiner riesigen Ohren stocktaub zu sein. Wieder wagte der Wolf einen Ausfall und stieß sich mit beiden Hinterbeinen kräftig ab, sodass seine Vorderpfoten gegen Magentas Brust prallten und sie zu Boden rissen. Mit der Macht der puren Verzweiflung stieß die junge Hexenmeisterin blindlings mit ihren Dolch zu. Der Wolf gab ein seltsam dünn wirkendes Jaulen von sich und brach tot über Magentas Körper zusammen. Offensichtlich hatte sie seinen Kehlkopf oder eine andere empfindliche Stelle an seinem Hals erwischt. Schnaufend und ächzend kroch sie unter dem toten Tier hervor und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Da war ein gutes Stück Arbeit gewesen. Jetzt, da der Wolf tot war, sah er eigentlich nicht mehr sehr bedrohlich aus. Wenn Magenta ehrlich war, war er eigentlich noch nicht einmal besonders kräftig. „Aber es reicht für ein paar Handschuhe“, brummte sie und machte sich im umliegenden Wald auf die Suche nach ihrem Rucksack. Irgendwo da drin war ein Kürschnermesser und das brauchte sie nun mal, wenn sie den Wolf häuten wollte. Sie fand Rucksack und ihren nutzlosen Wichteldiener am Straßenrand wieder. „Na“, grinste Pizkol, „war's schön?“ „Ach halt dein vorlautes Maul!“, fauchte Magenta. „Sag mir lieber, warum du mir nicht geholfen hast! Und überhaupt wirst du mich mit 'Herrin' oder 'Meisterin' anreden.“ „Aber du - Verzeihung- Ihr habt doch gesagt, ich soll hier warten und wenn ich Euch nachkommen würde, würdest Ihr aus mir ein Futteral für Euren Zauberstab machen.“ Der Dämon grinste scheinheilig. „So in etwa waren doch Eure Worte, oder?“ „Klugscheißer!“, war alles, was Magenta dazu einfiel. „Dann komm jetzt, ich will den Wolf abziehen. Vielleicht kann ich das Fleisch später auch verkaufen. Oder braten. Oder so.“ „Solange ich es nicht essen muss …“, stichelte Pizkol weiter, erhob sich aber gehorsam und trottete hinter Magenta her zu der Stelle, wo der verendete Wolf lag. Dort angekommen, erwartete die beiden eine Überraschung. „Hey!“, rief Magenta ärgerlich. „Das ist mein Wolf. Den hab ich selber getötet. Pfoten weg!“ Der junge Mann, der da neben dem toten Tier im Gras kniete, schien sich hingegen nicht im Geringsten an ihrem Geschrei zu stören. Seelenruhig zog er dem Wolf im wahrsten Sinne des Wortes das Fell über die Ohren und wandte sich zum Gehen. Schnell sprintete Magenta an ihm vorbei und stellte sich ihm in den Weg. Zornesfunkelnd streckte sie die Hand aus. „Das Fell!“, sagte sie barsch. „Es gehört mir. Gib es zurück!“ Der Mann zog eine seiner blonden Augenbrauen nach oben, grunzte spöttisch und ging dann wortlos um Magenta herum. „Hast du das gesehen?“, raunte sie Pizkol zu. „Der beklaut mich und dann ignoriert er mich einfach. So eine bodenlose Frechheit.“ „Liegt vielleicht daran, dass Ihr von oben bis unten mit Wolfsblut vollgeschmiert seid“, überlegte Pizkol laut. „Oder daran dass er ein Schwert und Ihr nur ein Kürschner-Messer in der Hand habt.“ „Ha! Das könnte dem so passen“, schäumte Magenta. „Dem zeige ich, dass man sich besser nicht mit einer Hexenmeisterin anlegen sollte. Ich will dieses Fell.“ Schnurstracks folgte sie der Fährte des blonden Hünen, um sich ihre Beute zurückzuholen. „Als wenn es nicht noch mehr Wölfe geben würde“, seufzte Pizkol und folgte seiner Herrin gelangweilt. Über eine halbe Stunde verfolgten sie den Kerl durch den Wald. Das Einzige, was sie dabei jedoch herausfanden, war, dass sein Name 'John Raw' war und dass er außer diesen zwei Worten der menschlichen Sprache nicht besonders zugetan war. Weder Drohungen und Verwünschungen noch Betteln und Bitten zeigten irgendeinen Erfolg. Irgendwann ließ Magenta sich erschöpft ins Gras sinken. „Ich mag nicht mehr“, maulte sie. „Ich habe Hunger und Durst und außerdem keine Ahnung, wo wir sind.“ „Ach …! Und wessen dumme Idee war es denn, hinter diesem Kerl herzustiefeln“, stänkerte Pizkol. „Meine jedenfalls nicht.“ Magenta schickte ihm einen bösen Blick. „Konstruktive Vorschläge?“ „Wie wär's mit nach Stormwind gehen?“, schlug Pizkol vor. „Da wollten wir schließlich ursprünglich mal hin.“ „Sehr witzig“, gab Magenta zurück. „Und wo bitteschön ist Stormwind?“ „Woher soll ich das wissen?“, antwortete der Dämon. „Ich habe nicht die Landkarte zugunsten eines zusätzlichen Kleides aus dem Rucksack geschmissen.“ „Das ist kein Kleid, sondern meine höchst kleidsame, purpurrote Akolytenrobe“, wies Magenta ihren Wichtel zurecht. „Die brauche ich während meiner Ausbildung. Und außerdem sind doch sonst immer überall Wegweiser.“ „Mitten im Wald?“ Pizkol zog die borstigen Augenbrauen nach oben. „Also schön, ich gebs auf“, murmelte Magenta und stellte sich wieder auf die Füße. Dann drehte sie sich dreimal um sich selber. Als sie wieder stehen blieb, streckte sie aufs Geratewohl den rechten Arm aus. „Da geht's lang!“, verkündete sie grimmig und marschierte in die angegeben Richtung davon. „Okayyy!“, ächzte Pizkol. „Da geht's lang … Fragt sich nur, wohin?“ Eine ganze Weile irrten die beiden Abenteurer noch durch den Wald, bis Magenta so abrupt stehen blieb, dass Pizkol, dessen spitze Nase fast auf dem Erdboden schleifte, fast in sie hineingerannt wäre. „Wa…“, begann er. „Psst …“, zischte Magenta leise. „Da ist etwas.“ „Noch ein Wolf?“, flüsterte Pizkol hoffnungsvoll, aber dann hörte er das Geräusch ebenfalls. Das konnte unmöglich ein Wolf sein. Es sei denn, ein Wolf wäre neuerdings in der Lage, Wanderlieder zu singen, denn um genau so etwas musste es sich bei dem Gehörten handeln. Verstehen konnte man es zwar nicht, aber eine solche Melodie war einfach unverkennbar. Der Rhythmus zwang einen geradezu dazu, fröhlich voranzuschreiten, und der begleitende Gesang diente vortrefflich dazu, sämtliche Waldbewohner in Hörweite in die Flucht zu schlagen. Stumm bedeutete Magenta dem Wichtel ihr zu folgen. Die beiden krochen durch das Unterholz, bis es sich schließlich zu einer kleinen Lichtung ausdünnte. Der Ursprung des Gesangs bewegte sich langsam aber kontinuierlich aus der entgegengesetzten Richtung auf sie zu, sodass es nur noch eine Frage der Zeit sein konnte, bis sie ihn sahen. „Friiiiiieeeeedensblume“, röhrte der Sänger mit einem Mal und stürmte bis ausladenden Schritten auf die Waldlichtung. Bei seinem Anblick hätte Magenta beinahe laut losgelacht. Mitten auf der Wiese stand ein Mann mittleren Alters. Seine wettergegerbte Haut zeigte einen tiefbraunen Farbton, seine schon etwas angegrauten Haare fielen ihm bis auf die Schultern herab und auf dem Rücken trug er einen langen Kampfstecken. Seine Robe jedoch erstrahlte in einem derartig giftigen Grün, dass Magenta im hellen Sonnenlicht angestrengt blinzeln musste, um überhaupt die violetten Absäumungen daran erkennen zu können. Noch dazu freute sich der Mann offensichtlich geradezu diebisch über eine Blume, die blau und unschuldig genau vor seinen Füßen wuchs. Vorsichtig pflückte er sie, hielt sie gegen das Licht und nickte ernsthaft. „Ja, Abu hat Friedensblume erwischt“, verkündete er stolz. Daraufhin verstaute er die Pflanze vorsichtig in einer kleinen Tasche und sah sich suchend um. Hastig duckte Magenta sich wieder in das schützende Dickicht. „Was ist denn das?“, raunte sie Pizkol zu. „Der Typ ist ja total hohl. Zieht hier singend im Wald umher und sammelt Blümchen. Warum nur?“ Pizkol grinste so breit es sein Gesicht erlaubte. „Nun, dafür, dass ein Mann, der solch bunte Kleidung trägt, so verzückt Blumen sammelt, gibt es eigentlich nur eine mögliche Erklärung.“ „Und welche?“, fragte Magenta ungeduldig. „Nun …“, zögerte Pizkol erneut. „Ich weiß ja nicht, inwieweit Drusilla Euch aufgeklärt hat, aber …“ Er schwieg und ließ Magenta ihre eigenen Schlüsse ziehen. Einige Minuten lang hörte man förmlich die Münzen durch Magentas Gehirn rollen, dann schüttelte sie entsetzte den Kopf. „Das kann nicht dein Ernst sein.“ „Na sicher“, proklamierte Pizkol bedeutungsvoll. „Er ist ein Magier und hier auf Kräutersuche.“ „WAS?“ Erschrocken schlug Magenta sich die Hand vor den Mund. Doch der inzwischen wieder fröhlich mit dem Kräutersammeln beschäftigte Magier hatte sie offensichtlich nicht gehört. Wütend starrte sie Pizkol an, der ein Gesicht machte, als könnte er kein Wässerchen krümmen und kein Härchen trüben. Was konnte er denn dafür, wenn seine ach-so-schlaue Herrin falsche Schlüsse zog? „Egal was oder wer er ist, ich glaube nicht, dass ich nähere Bekanntschaft mit ihm schließen möchte“, zischelte Magenta ungehalten und robbte langsam über den Waldboden zurück. Da erklang mit einem Mal ein markerschütterndes Gebrüll aus der Richtung des Magiers. Dem Klang nach zu urteilen handelte es sich um ein ziemlich ausgewachsenes Exemplar der Gattung Bär. Alarmiert sprang Magenta auf. In ihrer Brust rangen zwei Stimmen innig miteinander. Die eine bestand darauf, sofort möglichst viel Abstand zwischen sich und den Bären zu bringen und den vermaledeiten Magier mitsamt seinen Blümchen zum Teufel zu wünschen. Es sei absoluter Wahnsinn, sich mit einem Tier dieser Größe alleine anzulegen, kreischte sie förmlich. Die andere hingegen war der Meinung, dass ein Bär sicherlich ein Paar ordentliche Handschuhe ergeben würde. Und vielleicht auch noch ein Paar neue Schuhe. Beide Stimmen verstummten schlagartig, als Magenta beobachtete, was auf der Lichtung vor sich ging. Der Magier war nämlich nicht etwa, wie sie vermutet hatte, in heller Panik auf der Flucht, sondern hatte kampfbereit die Beine gespreizt und brüllte fast genauso laut wie der Bär: „Du wollen mich angreifen? HAH! Ich dir zeigen, dass du haben keine Chance gegen Abu.“ Er begann einen Zauber zu wirken. Wie aus dem Nichts erschienen Flammenbälle in seinen Händen, die er dem Bären entgegenschleuderte. Den Flammenbällen folgte ein eisiger Windstoß, der Eiszapfen an der Nase des Bären erscheinen ließ. Schlussendlich brachten mehrere hellviolette Lichtblitze den Bären endgültig zu Fall. Das Tier war tot, noch bevor sein massiger Körper auf dem Boden aufschlug. Mit offenem Mund starrte Magenta den Mann an, der noch einmal mit dem Fuß gegen den Tierkadaver stieß, zufrieden brummte und dann seine Sachen wieder vom Boden aufsammelte. Fröhlich pfeifend setzte er seinen Weg vor, als wäre nichts passiert, und stürzte sich mit einem inbrünstigen „Siiiilberblaaaatt!“ hinter den nächsten Busch. „Ha-hast du das gesehen?“, fragte Magenta nach einer Weile. „Ja, klar, ich bin ja nicht blind“, antwortete Pizkol. „Ganz nett, was? Die arkanen Geschosse am Schluss waren wirklich nicht von schlechten Eltern.“ „Ach was“, fauchte Magenta, „Das meine ich nicht. Aber der hat lauter Löcher in den Pelz des Bären gemacht. So kann ich da doch keine Handschuhe daraus machen. Also ehrlich.“ Augenrollend und sich ebenso wie Magentas Lehrmeisterin die Stirn massierend, folgte Pizkol seiner Herrin daraufhin weiter durch den Wald. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als sie schließlich in der Ferne einen kleine Festung entdeckten, über dessen Spitze das strahlend blaue Banner Stormwinds sanft im Wind flatterte. „Endlich!“, schnaufte Magenta und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Eigentlich handelte es sich dabei weniger um Schweiß, als vielmehr um Wasser, das aus ihren Haaren lief, seit sie vor rund einer halben Stunde eine Böschung hinabgefallen und in einem Fluss gelandet war. Aber wenigstens war mit diesem unfreiwilligen Bad auch ein Großteil des Wolfsblutes verschwunden, das bis dato noch ein gefundenes Fressen für sämtliche Fliegen des Elwynn-Waldes dargestellt hatte. Eine deutliche Verbesserung, wie sie befriedigt festgestellt hatte. Trotzdem wäre es nett gewesen, nun endlich aus den klatschnassen Klamotten herauszukommen, und so beschleunigte sie ihre Schritte noch einmal, bis sie bei dem Turm angelangt waren. „Also irgendwie habe ich mir Stormwind ja größer vorgestellt“, murmelte sie. „Naja, man kann nicht alles haben. Hey da!“ Die angesprochene Wache drehte sich zum Magenta um und musterte die junge Frau missbilligend. In der schimmernden Silberrüstung steckte, wie man jetzt sehen konnte, ein feister Mann mit Schnauzbart, dem an seinem sonnigen Wachplatz wohl ziemlich warm zu sein schien. Sein rötliches Gesicht glänzte feucht, während seine Augen sich an Magentas nasser Bluse festzusaugen schienen. Nur nicht einschüchtern lassen, dachte Magenta und schob trotzig ihr Kinn vor. „Ich suche Gakin Dunkelbinder“, sagte sie rasch. „Mächtiger Hexenmeister. Ihr habt sicherlich schon von ihm gehört.“ Die Wache runzelte die Stirn und fasste ihr Schwert ein wenig fester. „Nein, hab ich nicht. Aber wenn er hier auftaucht, kann er sich auf etwas gefasst machen Wir von der Westbrook-Garnison mögen Hexenmeister nämlich überhaupt nicht. Und wenn einer von ihnen oder einer ihrer schändlichen Höllendiener auch nur ihre Nasenspitze sehen lassen, dann werden wir sie daran an der höchsten Spitze des Turmes aufhängen.“ Mit dieser Reaktion hatte Magenta nicht gerechnet. Hektisch versuchte sie Pizkol hinter ihrem Rücken Zeichen zu geben. Wenn man sie mit einem Dämon an ihrer Seite erwischte, konnte sie nach ihrer Frage eher nicht damit rechnen, nicht mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Als sie sich rasch umschaute, war der Wichtel verschwunden. Magenta hätte einiges dafür gegeben, mit ihm tauschen zu können. Doch es half nichts, hier musste sie jetzt durch. Sie setzte ein gewinnendes Lächeln auf und versuchte möglichst überzeugend die Figur eines Mädchens Typ 'scheues Reh' abzugeben. „Ah, das ist gut, dass mich hier so brave, königstreue Männer beschützen“, strahlt sie den Wachposten an, der sie mehr als misstrauisch ansah. „Dann könnt Ihr mir sicherlich verraten, wo eine sittsame, junge Magd wie ich, eine Bleibe in Stormwind finden kann.“ Die Wache blinzelte etwas verblüfft und fing im nächsten Moment schallend an zu lachen. Während der Mann sich die Tränen aus den Augen wischte, kam ein zweiter Wachmann dazu. Dieser war etwas größer als sein Kollege, hatte keinen Schnauzbart, dafür aber buschige, schwarze Augenbrauen. „Was ist den hier los?“, knurrte er den ersten Soldaten an. „Die Kleine will nach Stormwind“, feixte der und stieß den anderen in die Seite. „Erklärst du ihr, dass sie hier völlig falsch ist, oder soll ich das machen?“ Der Soldat mit den Augenbrauen grinste nun ebenfalls. „Oh ja, da hat sie noch einen ganz schönen Fußmarsch vor sich.“ Noch bevor Magenta auf diese Eröffnung reagieren konnte, bellte plötzlich eine barsche Stimme über den Hofplatz vor dem Turm: „Mulbrow! Ashford! Auf Eure Plätze! Mittagspause ist vorbei. Wenn die Gnolle uns wieder das Vorratslager ausräumen, ziehe ich Euch das von Eurem Sold ab.“ Die beiden Wachen schraken zusammen und nahmen augenblicklich Haltung an. Hinter ihnen schritt ein Mann, auf dessen Brust ebenfalls das Wappen Stormwinds prangte, mit zügigen Schritten über den Platz. Er zeigte die Gestalt eines Kriegers, der in jüngeren Jahren einmal ein starker Kämpfer gewesen war, die Kraft der Jugend jedoch inzwischen mit einigen Narben und jeder Menge Erfahrung vertauscht hatte. Offensichtlich bekleidete er ein höheres Amt als die beiden anderen, denn sein Schwert war deutlich prächtiger verziert, an seinem Rücken bauschte sich ein Umhang, ebenfalls mit dem Wappen des Königs, und auf seinem Helm saß ein blauer Federbusch. Er taxierte Magenta und schien ihre Einordnung irgendwo bei 'merkwürdig' bis 'harmlos' vorzunehmen. „Wer seid ihr?“, fragte er in einem wachsamen, aber nicht unfreundlichen Ton. „Meine Name ist Magenta“, antwortete Magenta automatisch. „Und eigentlich bin ich auf dem Weg nach Stormwind.“ „So, so, Stormwind“, wiederholte der Mann. „Nun, da seid Ihr hier falsch, junges Fräulein. Wenngleich es auch wünschenswert wäre, wenn unser Verbindungen zur Hauptstadt etwas besser wären. Aber unser Los kümmert die hohen Herren ja nicht besonders. Wir plagen uns Tag aus, Tag ein mit dem Defias-Gesindel aus Westfall und den Gnollen aus den umliegenden Wäldern herum, da sollte man doch meinen, dass Stormwind uns etwas Unterstützung zukommen lässt.“ Noch während der Vorgesetzte der Wachmänner sich über die mangelnden Unterstützung seiner Truppen beklagte, war auf der Straße Hufgetrappel zu hören und kurze Zeit später ritten zwei Männer auf prächtigen, gepanzerten Streitrössern auf den Hofplatz. Die Pferde schnaubten und scharrten tatendurstig mit den Hufen. Sie bildeten das perfekte Abbild ihrer beiden, jungen Reiter, die nun absaßen und mit forschen Schritten auf den Mann neben Magenta zuschritten. „Deputy Rainer?“, blaffte der größere von den beiden und gönnte Magenta und allen anderen Anwesenden ganz nebenbei einen Blick auf seine, perlweißen, makellosen Zähne. „Ja“, antwortete der Angesprochenen, „der bin ich. Was wollt ihr, Paladin?“ Der Paladin ließ sich von seinem Begleiter eine Schriftrolle geben und gab diese an Deputy Rainer weiter. „Ich bringe Befehle aus Stormwind“, erklärte er. „Dem König ist zu Ohren gekommen, dass es mit der Gnoll-Plage immer schlimmer wird und hat beschlossen auf das größte dieser Untiere eine hohe Belohnung auszusetzen. Hier ist der Aushang, durch den er der Bevölkerung seinen Willen mitteilen will.“ Stirnrunzelnd nahm Deputy Rainer das Pergament entgegen, brach das königliche Sigel und begann halblaut vorzulesen: „Gesucht wird Hogger! Ein riesenhafter Gnoll mit Namen Hogger wurde mehrfach in den südwestlichen Wäldern Elwynns gesichtet. Bis jetzt hat er sich jeglichen Versuchen, seiner habhaft zu werden, widersetzt. Die Armee Stormwinds hat nun ein Kopfgeld auf die Ergreifung des Untieres ausgesetzt. Jeder, der die Pfote des Gnolls als Beweis für seinen Tod zu Marschall Dughan nach Goldshire bringt, soll eine fürstliche Belohnung erhalten.“ Der Deputy ließ das Pergament wieder sinken und starrte die beiden jungen Paladine an. „Ich frage mich“, grollte er leise, „warum Stormwind uns nicht einfach etwas mehr Verstärkung schickt, damit wir diesen Gnoll selber beseitigen können. Oder warum nicht einer von Euch Herren, sich die Hände schmutzig machen will, bei dem Versuch in den Wald zu reiten und diesen Gnoll irgendwo zu finden.“ „Wir sind nicht hier, um Eure Unfähigkeit auszugleichen“, wiegelte der Paladin diese Bemerkung ab, „sondern überbringen lediglich die Befehle seiner Majestät. Für ein solches Unternehmen fehlt uns die Zeit. Und die Bevölkerung wird froh sein, sich für die Sache des Königs einsetzen zu können. Wenngleich auch viele sicherlich nur die Belohnung und nicht das edle Ziel im Auge haben werden.“ Bei den letzten Worten war sein Blick unmerklich zu Magenta geglitten, die gleich als sie hörte, dass es sich bei den Angekommenen um einen Paladin handelte, nach einem Fluchtweg umgesehen hatte. Paladine, die unermüdlichen Verteidiger der Allianz gegen die Truppen der Horde, waren besonders erbitterte Streiter im Namen des Ordens des Heiligen Lichts. Sie hassten im besonderen Maße alles, was mit Untoten zu tun hatte … oder eben mit Dämonen. Insofern konnte Magenta nur hoffen, dass Pizkol nicht nur hinter den nächsten Baum, sondern gleich ein ganzes Stück weiter weg gelaufen war. Diesen eingebildeten Laffen mit ihren tollen Pferden und ihrer goldschimmernden Rüstung traute sie nicht einen Meter über den Weg. Da sich der Paladin jetzt jedoch wieder dem grollenden Deputy zuwandte, ergriff Magenta flugs die Gelegenheit, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen. Möglichst unauffällig trat sie ein paar Schritte rückwärts und schob sich dann an der Mauer der kleinen Festung entlang zu deren Rückseite. Dort drehte sie sich dann um und schoss blindlings in den Wald hinein. Erstmal weg von hier. Um ganz sicher zu gehen, umrundete sie die Festung in einem großen Bogen, überquerte die Straße und schlug sich auf der gegenüberliegenden Seite neben einem weiteren, frei stehenden Wachturm in die Büsche. So marschierte sie einige Zeit querfeldein, bis sie sich sicher war, dass sie sich auch wirklich außer Hörweite des Turms befand, und rief nach Pizkol. Sogleich erschien ihr Wichteldiener wieder auf der Bildfläche. „Das war knapp“, maulte er. „Habt Ihr denn diese Kerle nicht kommen hören? Da macht man Zeichen und reißt sich fast ein Bein aus, aber nein! Frau Hexenmeisterin weiß es ja wieder besser und bleibt gemütlich stehen, um noch schnell ein Schwätzchen zu halten.“ „Natürlich hab ich sie gehört“, murrte Magenta verschnupft. „Aber wer kann denn ahnen, dass das ausgerechnet Paladine sind. Außerdem hätte das doch wohl noch verdächtiger ausgesehen, wenn ich bei ihren Anblick gleich Reißaus genommen hätte. Sag mir lieber, wo wir jetzt lang müssen.“ „Woher soll ich das wissen?“, gab Pizkol patzig zurück. „Wenn ihr schon mit den Wachen plauschen musstet, hättet Ihr sie ja wenigsten gleich mal nach dem Weg fragen können.“ Magenta zog es vor, darauf einfach nicht zu antworten. Denn dummerweise hätte sie dann zugeben müssen, dass Pizkol recht hatte und das schmeckte ihr gar nicht. Also wanderte sie schnurstracks drauf los, immer in der Hoffnung, doch wieder auf den Weg und somit auf einem Wegweiser zu stoßen. Einige Zeit später ließ sie sich erschöpft ins Gras fallen. „Mittagspause“, erklärte sie entschieden und begann, in ihrem Rucksack nach ihrem Proviant zu wühlen. „Wohl eher Kaffeestunde“, bemerkte Pizkol und beäugte spöttisch Magentas mageres Picknick. „Sag mal“, mampfte Magenta zwischen zwei Bissen schon etwas zähen Brotes, „was sind eigentlich Gnolle?“ Pizkol überlegte einen Moment. „Gnolle sind große, haarige Biester, die unglaublich hässlich sind und denen man am Besten nicht begegnet. Außerdem stinken sie.“ „Also so was wie du in groß“, schloss Magenta triumphierend. „Nein, anders … und was soll das überhaupt heißen?“ Magenta grinste in sich hinein und legte sich träge auf den Rücken. Um sie herum war alles so herrlich friedlich, die Bienen summten, die Sonne schien zwischen den Bäumen hindurch, Pizkol ärgerte sich. Das Leben war doch gar nicht so schlecht. Entschlossen liegen zu bleiben, bis ihre Kleider völlig getrocknet waren, schloss sie die Augen und dämmerte langsam aber sicher in einen leichten Halbschlaf hinüber. Sie träumte, sie selbst besäße ein eigenes Pferd. Jedoch nicht so ein Schlachtross, wie es die Paladine gehabt hatten. Nein, ihr Pferd sollte schlank und wahrhaft feurig sein. Aus seinen Nüstern sollten Flammen emporschlagen, seine Hufe brennen. Bei dem Gedanken lächelte Magenta im Schlaf. Doch wie es nun einmal bei allem Träumen der Fall ist, so war auch hier das Erwachen weniger angenehm. Ärgerlich versuchte Magenta ihren Traum festzuhalten, aber eindringlich geflüsterte Worte vertrieben auch die letzten Gedanken an ihr wunderbares Ross. „Wa…?“, wollte sie schon auffahren, als Pizkol ihr energisch Zeichen machte, still zu sein. Er deutete leicht hektisch auf das Gebüsch hinter Magenta und sie lauschte mit angehaltenem Atem. In der Luft lag ein Schnüffeln und Schnaufen. Zänkisches Geknurre und kläffend klingende Befehle erklangen hinter der schützenden Blattmauer. „Sucht!“ „Findet den Mensch!“ „Fleisch!“ „Mehr Knochen zum Nagen …“ Magenta rutschte sprichwörtlich das Herz in die Hose. Mit absoluter Sicherheit wusste sie jetzt, dass sie nicht wissen wollte, was Gnolle waren. Das Einzige, was sie jetzt interessiert, war ein schneller, diskreter Weg um von hier zu verschwinden. Hilfesuchend sah sie Pizkol an. Der zuckte die mageren Schultern und schien ebenfalls keine Lösung parat zu haben. Möglichst ohne ein auffälliges Geräusch zu verursachen, griff Magenta nach ihrem Rucksack und fing an, langsam auf allem Vieren in die entgegengesetzte Richtung der Geräusche zu kriechen. Noch schien niemand ihre Anwesenheit bemerkt zu haben. Ein Ast brach mit einem schier ohrenbetäubenden Krachen unter ihrem rechten Knie entzwei. Magenta gefror in ihrer Bewegung und lauschte angestrengt, ob das Geräusch irgendeine Änderung in der Suchrichtung der Gnolle verursacht hatte. Die schienen sich allerdings immer weiter von ihr zu entfernen, sodass sie es schließlich wagte, ihren Weg fortzusetzen. Als das Geknurre und Gejaule der Gnolle nur noch mit einem Bruchteil seiner anfänglichen Lautstärke zu hören war, richtete sie sich schließlich auf und schnaufte vernehmlich. „Puh, das war knapp. Ich dachte schon, jetzt ist es aus mit mir.“ „Mit uns“, erinnerte Pizkol sie. „Wir sollten vielleicht besser von hier verschwinden. Gnolle tauchen immer in Rudeln auf.“ „Jaha, und das ist gerade dahinten verschwunden.“, konterte Magenta. „Aber du hast Recht. Gehen wir.“ Sie schulterte ihre Tasche, drehte sich um … und stand vor dem größten Gnoll, den sie je gesehen hatte - wenn man mal davon absah, dass sie überhaupt noch nie einen Gnoll gesehen hatte. Das Untier war wirklich riesig. Es überragte Magenta um mehr als Haupteslänge und in gewisser Weise ähnelte es einem auf zwei Beinen laufenden Hund, mit geflecktem Fell, den man in eine Art Rüstung gequetscht hatte. Unterstrichen wurde dieser Eindruck noch durch das gewaltige Stachelhalsband, das sich in den muskulösen, leicht nach vorne gebeugten Hals schnürte. Seine blutunterlaufenen Augen funkelten Magenta bösartig an und von den riesigen Zähnen tropfte der Geifer. Hogger - denn um niemand sonst konnte es sich bei dieser scheußlichen Kreatur handeln - stieß ein gutturales, knurrendes Geräusch aus, das man bei einem Menschen wohl ein Kichern genannt hätte. „Hogger dich töten, Mensch. Viel Fleisch.“ Magenta war wie gelähmt vor Schreck. Sie starrte unermüdlich auf die riesigen Hauer und fragte sich in einem anscheinend völlig unbeteiligten Teil ihre Gehirns, warum ein Wesen, das solche Zähne hatte, eigentlich noch eine Rüstung und obendrein auch noch ein Beil mit sich herumtrug, mit dem man mühelos ein fünfjähriges Kind hätte in zwei Hälften teilen können. Nun ... vermutlich zu eben diesem Zweck, schoss es ihr durch den Kopf. „L-liebes Hundchen“, stammelte sie. „Braver Hund! Mach 'Sitz'! Na komm, dann bekommst du auch eine schöne Belohnung.“ Unterdessen war ihre Hand wie von selbst in ihren Rucksack geschlüpft und hielt dem riesenhaften Gnoll nun zitternd eine glänzenden, roten Apfel entgegen. Die schwarze Nase des Untieres zuckte kurz in Richtung der Frucht, bevor einer der riesigen Pranken Magenta den Apfel mit voller Wucht aus der Hand schlug. Der Apfel prallte mit einem dumpfen Klatschen gegen einen nahe gelegenen Baum und zerbarst zur eine Fontäne aus Apfelmus, das klebrig von dessen Stamm hinabtropfte. „D-du magst keine Äpfel, hab ich Recht?“, versuchte Magenta noch einmal die Aufmerksamkeit des Gnolls von seinem Magen auf seine Ohren zu lenken. Lediglich ein kehliges Knurren antwortete ihr. Zu allem Unglück war sie auch noch soweit zurückgewichen, dass sie jetzt den rauen Stamm eines weiteren Baumes im Rücken hatte und bei einem Fluchtversuche unvermeidbar dagegen gelaufen wäre. Schon spürte sie den heißen, stinkenden Atem der Kreatur an ihrem Gesicht. Ihre Hand glitt zu ihrem Dolch. Sie würde sich nicht ohne Kampf ergeben. Hogger sollte seine Abendessen auf jeden Fall nicht allzu billig bekommen, schwor sie sich noch, als plötzlich eine wohlbekannte, meckernde Stimme hinter dem Gnoll erklang. „He, du da! Ja du! Der Hässliche mit den großen Ohren. Lass gefälligst meine Herrin in Frieden.“ Es zischte und knallte und roch statt nach verfaultem Fleisch mit einem Mal nach angesengtem Hundehaar. Hogger wirbelte herum und stürzte sich mit einem lauten Aufheulen auf Pizkol. Der formte noch einen letzten Feuerball, den er dem Untier direkt in die hässliche Fratze warf, und verschwand dann blitzartig zwischen den Bäumen. Dabei veranstaltete er einen derartigen Wirbel, dass damit anscheinend Hoggers Beutetrieb geweckt wurde und er, ohne noch einen weiteren Gedanken an Magenta zu verschwenden, dem Wichtel nachsetzte. Ungläubig starrte Magenta dm ungleichen Paar hinterher bis ihr schlagartig bewusst wurde, dass Pizkol nicht die geringste Chance gegen den Gnoll hatte. Sicherlich, diese Mini-Feuerbälle gerade waren ganz nett gewesen, um Hogger ein bisschen den Hintern anzukokeln, doch sie würden beileibe nicht ausreichen, um ihn umzubringen. So schnell sie konnte, setzte sie den beiden nach. Immer wieder musste sie haarscharf plötzlich in den Weg springenden Bäumen ausweichen und mehr als einmal wäre sie dabei beinahe zu Boden gestürzt. Aber irgendwie schafft sie es immer wieder, das Straucheln in ein leidliches Gleichgewicht zu verwandeln und den wutschnaubenden Gnoll nicht aus den Augen zu verlieren. Als sich das Unterholz zu lichten begann, dachte Magenta zunächst, dass sich ihre Lage damit verbessern würde und sie endlich die Möglichkeit bekam, ihre magischen Fähigkeiten einzusetzen, um das Untier so weit im Schach zu halten, dass sie und ihr Diener fliehen konnten. Doch als sie schließlich auf dem freien Platz am Rande des Waldes hinauslief, fiel ihr lediglich das berühmte Sprichwort 'Vom Regen in die Traufe kommen' ein. Auf der Wiese lagerten rund zwei Dutzend Gnolle und jeder von ihnen starrte Magenta mit dem gleichen mordlustigen Ausdruck in der hinterhältigen Hundeschnauze entgegen. Auch Pizkol schien seinen Irrtum bemerkt zu haben und rief in den höchsten Tönen kreischend: „Lasst mich frei! Mir langt es! Ich kündige!“ Magenta wirbelte auf dem Absatz herum und wollte schon wieder auf den Wald zulaufen, als sie auf dem Boden etwas Grauenhaftes entdeckte. Dort lagen im Gras Knochen- menschliche Knochen! - teilweise in der Mitte durchgebissen, das Mark herausgesaugt und dann achtlos beiseite geworfen. Auf den ersten Blick hätte man vielleicht nicht einmal erkennen können, dass die Knochen von einem Menschen stammten, wenn nicht der abgetrennte Kopf ihres Besitzers noch daneben gelegen hätte. Es war der junge Mann, den Magenta am Vormittag im Wald getroffen hatte und der sich so uncharmant an ihrem toten Wolf vergriffen hatte. Wenngleich Magenta diesem John Raw noch vor wenigen Stunden die Pest an den Hals gewünscht hatte, so war sie doch jetzt nicht weniger erschüttert durch seinen Tod, als über den jedes anderen; zeigte es ihr doch, was ihr selbst offensichtlich für ein Schicksal bevorstand. Magentas Gedanken jagten durch ihren Kopf und versuchten verzweifelt einen Ausweg zu finden, solange dieser noch auf ihrem Hals saß. Ihr Blick wanderte ziellos über die bedrohliche Masse an sich langsam auf sie zu bewegender Hundemonster und blieb schließlich an dem abgetrennten Kopf hängen. Die toten Augen starrten sie an, als wollte sie ihr etwas mitteilen und plötzlich hatte sie eine Idee. Sie dachte nicht lange darüber nach, wie eklig sie diese jetzt fand, denn innerhalb weniger Sekunden würde sie wahrscheinlich nie wieder etwas eklig finden. Kurzerhand griff sie in den blonden, blutüberströmten Haarschopf, hob den Kopf hoch und schwenkte ihn vor den gierig schnüffelnden Nasen der Gnolle hin und her. „Hierher, braves Hundchen. Hol's dir“ Mit den letzten Worten hatte sie den Kopf soweit sie konnte in die Mitte der Wiese geworfen und wie sie gehofft hatte, stürzten sämtliche Gnolle einem ungeschriebenem Gesetz gehorchend der fliegenden Beute nach. Magenta hingegen nahm die Beine in die Hand und stürmte mit gerafftem Rock dem Wald entgegen in der unsinnigen Hoffnung, dieser Bande blutdurstiger Monster dort irgendwie entgehen zu können. Schon hörte sie hinter sich den hechelnden Atem ihrer Verfolger. Ihr Bellen und Knurren schien von überall zugleich zukommen und eigentlich schien es bereits besiegelte Sache zu sein, wo Magenta ihren heutigen Abend verbrachte: im Magen eines Gnolls. Wie von Sinnen hetzte Magenta durch den Wald, ignorierte stoisch ihr Seitenstechen und das Verlangen ihrer Lunge, mehr als ein paar Minuten auszuruhen, als sie vor sich ein vertrautes Rauschen vernahm. Vor ihr lag der Fluss und damit vielleicht eine Chance, der gefräßigen Gnollbande zu entkommen. Mit letzter Kraft setzte Magenta noch einmal zu einem Spurt an, als sie mit einem Mal den Boden unter den Füßen verlor und kopfüber in den Fluss stürzte. Kaltes Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen und presste auch noch den letzten Rest der vorhandenen Luft aus ihren Lungen. Kurz bevor sie ihr Bewusstsein verlor, murmelte sie die entscheidende Formel, die ihr das Atmen unter Wasser mit Hilfe von Dämonenatem erlaubte. Erschöpft ließ sie sich ganz bis zum Grunde des Flusses sinken und dankte ihrer Meisterin im Stillen, dass diese so darauf bestanden hatte, dass Magenta diese eigentlich recht nutzlos wirkenden Zauber aus dem Effeff beherrschte. Doch gerade als Magenta glaubte, den Gnollen endgültig entkommen zu sein, platschte es über ihr und etwas Riesiges sank in einem großen Luftblassenschwall nur wenige Meter neben ihr auf den Flussboden. Es war Hogger. Entsetzt wollte Magenta erneut zur Flucht ansetzten, als sie bemerkte, dass Hogger ihr gegenüber zwei entscheidende Nachteile hatte. Er konnte nicht wie sie, unter Wasser atmen … und er trug eine schwere Rüstung, die ihn wie ein Wackerstein nach unten zog. Aus den eben noch kraftvoll erscheinenden Bewegungen, wurde binnen Sekunden ein panisches Gepaddel, dass schließlich immer schwächer und schwächer wurde, bis der leblose Körper des Gnolls an den Flussboden gekettet liegen blieb und das Einzige, das sich noch an ihm bewegte, die aus dem Maul hängende, rosa Zunge war. Angewidert wollte Magenta sich abwenden, als ihr die Belohnung einfiel, die auf seine Pranke ausgesetzt war. Schweren Herzens langte sie im Wasser nach ihrem Rucksack und packte den Griff ihres Kürschner-Messer fester. Das würde nicht nett werden. Nein, ganz und gar nicht nett. Erst Stunden später erreichte eine müde, hungrige und mit der Welt für diesen Tag ziemlich fertige Magenta das kleine Dorf Goldshire. Sie knallte dem vor dem einzigen wichtigen Gebäude (der Schmiede) stehenden Marshal Dughan die riesenhafte Gnolltatze vor die Füße und kassierte ihre Belohnung. Danach ignorierte sie die Bewohner des Dorfes, die in Erwartung einer Sensation auf dem Dorfplatz zusammenliefen, und ließ sich in dem gleich gegenüber liegenden Gasthof ein reichhaltiges Abendessen servieren. Erst als sie das Gefühl hatte, bei dem nächsten Krümel, den sie aß, buchstäblich platzen zu müssen, drängte sie sich durch die schaulustige Menge nach oben in ihr für diese Nacht gemietetes Zimmer. „Und wenn ich heute noch ein einziges Mal das Wort 'Gnoll' höre, schreie ich.“, murmelte sie müde in ihr Kissen, bevor sie in einem tiefen, traumlosen Schlaf versank. Pizkol, der es sich auf der Fensterbank gemütlich gemacht hatte, schüttelte den Kopf. „Sie hätte wenigstens mal danke sagen können“, murmelte er, bevor auch er sich in einen Zustand begab, den die Dämonen als Schlaf bezeichneten; immer ein Auge auf die Tür und ein Ohr zu dem losen Dielenbrett auf dem Flur. Man konnte nie wissen, was für Gesindel eine hohe Belohnung noch so anlockte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)