Yonin no johou von Jim (Die Legion der Andersartigen) ================================================================================ Kapitel 4: New but unknown device --------------------------------- Chapter 03: New but unknown device Yukito bog auf einen Landweg ein und Ryuchi sowie auch Sono sahen interessiert aus dem Fenster. Sie waren inzwischen schon seit zehn Minuten aus der Stadt heraus gefahren und fuhren nun irgendwo zwischen Feldern und Landwegen umher. Sono kannte diese Gegend... er war hier schon einmal gewesen und seit diesem Tag an, hatte er sich diese Gegend vollkommen eingeprägt. Und selbst wenn er es gewollt hätte, so wäre er nicht in der Lage gewesen, diese Gegend zu vergessen. Ryuchi hingegen sah das hier zum ersten Mal. Er hatte noch nie ein Feld aus der Nähe gesehen... was in der jetzigen Zeit aber auch kein Wunder war. Die Stadt und der Fortschritt waren seit Jahren nicht mehr aufzuhalten und so breiteten sich die Städte aus, wie einst die Wüsten wanderten. Die Wüstenwanderung hatte man inzwischen mit stabilen Wänden aufgehalten. Schließlich fuhr der Wagen in ein großes Abflussrohr hinein und schlagartig wurde es dunkel. Nur noch die Scheinwerfer des Wagens gaben ein wenig Licht ab, aber das sahen nur noch Ryuchi und Yukito. Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und steckte sie in die Brusttasche ihres Kostüms. "Ich hoffe ich kann davon ausgehen, dass ihr den Weg an niemanden weitergebt... dafür wäre ich euch sehr verbunden." Nach gut zwei Minuten Fahrt kamen sie an einem Tor an. Vor dem Tor stand ein Apparat mit einem Tastenfeld. Yukito hielt, kurbelte das Fenster herunter und tippte lange Zahlenfolge ein. Seltsamerweise zog gar kein Gestank durch das Fenster hinein. Im Gegenteil... es roch nach frischer Luft, wie nach einem langen Regenfall. Das Tor öffnete sich und sie fuhren weiter. Einiger Meter später hielten sie wieder und nur Augenblicke später setzte sich eine Maschine in Bewegung. Der Wagen fuhr auf einer Art Lift nach unten wie es schien. Vollkommen fasziniert beobachtete Ryuchi den Vorgang. Als der Lift stoppte waren sie in einem weiteren Tunnel. Yukito fuhr weiter vor und sie kamen bei einem zweiten, massiv erscheinenden Metalltor. Erneut wurde dieses Tor über ein Tastenschloss geöffnet. Was sich dahinter verbarg, sprengte jede Vorstellung die sich Ryuchi und Sono gemacht hatten. Es kam ihnen so vor als würden sie sich in einem Film befinden: hinter diesem Tor hatte sich eine Art unterirdische Stadt verborgen. In der Mitte befand sich ein See dessen Wasser erstaunlicherweise sehr klar erschien. Um den See herum befanden sich mehrere Häuser. Diese waren zwar nicht das modernste was es gab, aber nichts desto trotz erschienen sie nicht schlechter als das Haus, in dem Ryuchi und Sono gemeinsam gewohnt hatten. Über den See führten einige Stege. Yukito parkte ihren Wagen und sie stiegen aus. "Willkommen in unserer Untergrundbasis!", verkündete sie stolz und Sono sowie auch Ryuchi sahen sich nun genauer um. An der Decke befanden sich ganz offensichtlich einige Strahler, denn hier unten war es taghell. Allerdings kam von der Decke zuviel Licht, als das sie dort oben hätten etwas erkennen können. Auf dem Parkplatz befanden sich gut ein Dutzend Wagen, aber Yukito schien den besten und neusten gehabt zu haben. Im See badeten einige Leute. "Wir haben hier unten eine eigene Stromversorgung. Diese Basis kann vollkommen autark existieren. Die Lampen an der Decke simulieren die Sonne und laufen in einem 24 Stunden Zyklus sodass Tag und Nacht simuliert werden. Es befinden sich auch kleine Lampen an der Decke die einen Sternenhimmel simulieren können. Die Häuser besitzen ebenfalls Strom und fließend Wasser. Hier unten passen bis zu achthundert Menschen hinein.", erklärte Yukito, während sie die beiden Neulinge umherführte. "Was ist das?" Ryuchi deutete auf einen Platz, der beinahe wie ein Feld aussah und auf dem Feld befanden sich Steine und teilweise auch Kreuze. "Das... ist unser Friedhof. Zwar versuchen wir Kämpfe zu vermeiden wo immer es nur möglich ist, aber auch wir müssen Verlust hinnehmen." Yukitos Stimme war um eine Nuance ernster geworden. Sono ging durch die Reihen und musterte die Daten auf den Grabsteinen genauestens. Nach einigen Reihen blieb er stehen und drehte sich um. "Hier sind ziemlich viele die nur 21 Jahre alt geworden sind... warum?" Yukitos Blick senkte sich und sie seufzte. "Wie schon erwähnt bekommen die Esper im ungefähren Alter von zwanzig Jahren einen enormen Kraftschub. Allerdings... allerdings sterben sie auch ein Jahr darauf." "Was?!" "Wir selbst wissen nicht wieso. Aber ziemlich genau im Alter von 21 Jahren sterben die Esper. Wir versuchen heraus zu finden warum... aber wir wissen es nicht. Das einzige was wir wissen ist, dass zu diesem Zeitpunkt nach und nach die Organe ihren Dienst versagen. Das Datum liegt bisher immer bei plus-minus zwei Wochen." "Heißt das... ich werde in ein paar Jahren mit Sicherheit sterben?", wollte Ryuchi wissen. Die junge Frau seufzte und schüttelte dabei ihren Kopf. "Ich hoffe nicht... aber nach unserem derzeitigen Stand ist das wohl wahrscheinlich. Wir wissen einfach nicht woran dieses multiple Versagen liegt. Natürlich ist es allgemein bekannt, dass die anderen Organe versagen, wenn eines voran geht. In den meisten Fällen ist es das Herz. Bisher scheiterte auch jeder Versuch einer Wiederbelebung und wir haben schon alles probiert. Und ich weiß das mitunter am besten, denn ich war bei sehr vielen Beerdigungen und Toden dabei. Das einzige Positive was ich aus diesem Punkt zu sagen habe, ist das hier ein Esper immerhin noch ein Jahr länger lebt, als bei Taigai." Sie blickte in Sonos Augen und verstand auf Anhieb was er dachte. "Das ist zwar nur ein kleiner Trost, aber es ist besser als nichts." "Gehen wir weiter...", forderte Sono. Ryuchi schwieg. Dieser Tag war ohnehin nicht sein Bester gewesen, aber nun auch noch zu erfahren, dass er keine fünf Jahre mehr zu leben hatte, verursachte ein sehr mulmiges Gefühl in seinem Magen. Er hatte dieses Gefühl noch nicht oft gehabt, und es war anders als das Stechen, dass er noch heute Morgen verspürt hatte, aber es war mindestens genauso angenehm. Sono ging schweigend neben Ryuchi her, folgte Yukitos Erzählung nur halbhörig, und sah seinen Freund aus den Augenwinkeln heraus an. Am liebsten hätte er jetzt etwas gesagt wie "Alles wird gut" oder "Ich werde nicht zulassen das du schon so früh stirbst", aber das konnte er einfach nicht. Er konnte es nicht deswegen, weil er die Worte nicht aussprechen konnte, sondern weil er Ryuchi keine Versprechungen machen wollte, die er womöglich nicht halten könnte. Er war eine Person die einfach gerne hielt was sie sagte. Ryuchi sackte zur Seite und stützte sich auf Sono. Ihm war heiß und kalt und seine Haut im Gesicht war total bleich geworden. Seine Beine fühlten sich an als wären sie aus Pudding und schließlich wurde es ihm schwarz vor Augen. "Ryuchi!" *** "Die Zielperson sowie auch der Unbekannte sind ihnen also entkommen?" "Ja." "Und sie bekamen Unterstützung von einer Unbekannten Person in einem blauen Sportwagen, dessen Modell sie nicht erkennen konnten und der zumindest hinten über kein Nummernschild verfügte." "Genau." "Mit anderen Worten ist diese Mission ein totaler Fehlschlag." Itai sowie auch Iwaku schweigen darauf nur. Sie hatten nicht oft eine Predigt von Usura bekommen, aber dieses Mal konnten sie es beiden verstehen. Vor allem Itai selbst ärgerte sich. Hätte er nur ein wenig mehr aufgepasst und schneller reagiert, dann hätten sie ihre Zielperson jetzt womöglich schon. Hauptsächlich gab er sich selbst die Schuld am Scheitern der Mission. "Nun ja... ihr beider Freund Sora sucht bereits über das Sicherheitsnetz der Stadt nach den beiden." Das bedeutete nicht anderes als das er sich über einen Computer in den Großrechner der Stadt eingeklinkt und somit die Sicherheitskameras angezapft hatte, die überall in der Stadt standen. "Doch bisher ohne Erfolg. Auch haben wir keinerlei Daten gefunden, die auf den Beschützer ihrer Zielperson weisen. Dasselbe ist es bei dem von ihnen beschrieben Fluchtwagen. Es gibt 25 Wagen die auf ihre Beschreibung passen, aber keiner der Halter kommt für die von ihnen beschriebene Aktion in Frage. Auch kein Diebstahl wurde gemeldet. Mit anderen Worten sind Aufenthaltsort ihrer Zielperson, der unbekannten Person und der Frau, die ihnen zur Flucht verholfen hat unbekannt." "Und was wird nun als nächster Schritt..." "Darüber muss ich mit den anderen Führungskräften diskutieren." Das bedeutete nichts anderes als "Ich habe keine Ahnung". "Mit Verlaub.", schaltete sich Iwaku ein, "Es ist nicht allein unsere Schuld das die Zielperson entkommen ist. Wäre diese Frau nicht aufgetaucht hätten wir sie jetzt und wüssten auch, wer der Unbekannte ist." "Davon bin ich überzeugt. Ich weiß es sogar. Aber es ist einfach Tatsache das diese Frau aufgetaucht ist." "Wenn selbst Sora nichts findet...", dachte sie Itai, "... muss dieser Kerl einiges auf dem Kasten haben. Er hat Zugriff auf nahezu jede Datei die auf einem Computer gespeichert ist, ferner dieser an einem Netzwerk hängt. Und selbst wenn nicht stellt das nur ein geringfügiges Hindernis für ihn dar." Seine Gedanken schweiften zum letzten Abend zurück, wo Sora versucht hatte, sich in den Satelliten von Taigai einzuhacken. "Er ist einfach ein Genie auf seinem Gebiet. Wenn er die beiden nicht findet sind sie verschwunden... dann findet sie niemand, bis sie wieder auftauchen." Usura seufzte. Der Aschenbecher auf seinem Schreibtisch war bereits am überquellen, so viele Zigaretten hatte er darin ausgedrückt. Daneben lag eine leere Zigarettenschachtel die so aussah, als wäre sie zerquetscht worden. "Also gut... das war's. Ich möchte das ihr beiden euch bereit haltet die Mission jederzeit wieder aufnehmen zu können. Bis dahin werdet ihr keinen neuen Auftrag erhalten." "Jawohl." *** Sono saß im hohen Gras eines Feldes und genoss die milde Nacht. In der Wolkendecke über ihm gab es einige Löcher, sodass hin und wieder volle Mond hindurch schien oder man ein paar einzelne Sterne sehen konnte. In seiner Rechten hielt er seinen Revolver. So wenig er sich auch an diesen Ort erinnern wollte, so wenig konnte er etwas dagegen tun, dass die Erinnerungen wieder kamen. Zu viel verband ihn mit diesem Ort, zu viel hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt was nicht einmal die Zeit zu löschen vermochte. "Du kennst dich hier aus?" Yukito stand hinter ihm. Immer noch trug sie das Kostüm vom Morgen, als sie Ryuchi und ihn gerettet hatte. "Ja... kann man so sagen. Ich war schon einmal hier." Sie nickte stumm darauf, obwohl Sono das nicht sehen konnte. "Wie geht es Ryuchi?" "Er schläft jetzt. Wir haben ihm ein Mittel gegeben sodass er vor dem Morgen nicht aufwachen wird. Aber seine Werte sind alle normal, er ist stabil." "Hört man gern." Er war gleich nach seinem Zusammenbruch ins Krankenhaus geschafft worden. Jetzt sollte er eigentlich in dem Bett liegen das in der Wohnung stand, in dem Sono und er nun leben würden - zumindest fürs erste. "Das mit dem sterben war vermutlich einfach nur ein großer Schock für ihn." "Kann ich verstehen. Ich weiß nicht wie ich reagiert hätte, wenn man mir gesagt hätte, dass ich vor sechs Jahren hätte sterben sollen..." "Tja... so ist wohl das Leben was?" "Ich kann verstehen das du deswegen keine besonders gute Stimmung hast, aber wie schon gesagt: wie forschen so gut wir können. Zwar sind die Fortschritte ziemlich gering im Moment, aber vielleicht habe wir etwas herausgefunden bevor Ryuchi..." Rasch legte er ihr einen Finger auf den Mund und sie verstummte. "Sprich es nicht aus.", verlangte Sono mit Grabesstimme und für einen Moment schwiegen sie beide. "Tut mir leid.", entschuldigte sie sich, "Aber wie schon gesagt, ich kann dich durchaus verstehen. Auf diesem Friedhof liegen zwei Geliebte und eine ganze Menge Freunde von mir. Ich habe keinen Bedarf daran, noch mehr zu Grabe zu tragen. Glaub mir... du bist nicht der einzige der einen geliebten Menschen verliert. Und bei dir gibt es immer noch die Chance einer Rettung. Sei lieber froh darüber." Das waren zwar keine Worte die Sono wirklich aufheiterten, aber im Grunde hatte Yukito recht. Sie wusste vermutlich auch wie es ist einen geliebten Menschen zu verlieren. Aber das alles half Sono auch nicht weiter. Was nützte es ihm im Moment, wenn Yukito bereits um jemanden geweint hatte. "Ist es bekannt ob Taigai etwas darüber weiß?" "Mhmh...", machte Yukito und schüttelte den Kopf, "Es gibt nichts was darauf hinweisen würde, aber möglich ist es. Auch wenn ich es allein deswegen schon nicht glaube, weil kein Esper bei Taigai das 21te Lebensjahr erreicht." Yukito wand sich wieder von ihm ab. "Dein Ryuchi ist etwas besonderes... das merkt man an der Art, wie ihr euch zueinander verhaltet. Pass nur gut auf ihn auf... besondere Dinge verliert man sehr schnell." Er drehte sich nicht zu ihr um. Stattdessen hörte er nur die Luke, die sich leise quietschend hob und wieder schloss. Seit er das letzte Mal hier gewesen war... es hatte sich nichts verändert. Das Feld war immer noch ungepflegt, anschienend war der Besitzer schon seit längerer Zeit tot... oder es war inzwischen ein Neuer gekommen, welcher sich aber genauso wenig um sein Gut kümmerte wie der Erste. Aber eigentlich scherte das Sono wenig... er hatte lediglich gehofft, nie wieder hier her kommen zu müssen und nun konnte er sich von diesem Platz einfach nicht lösen. Er nahm einen tiefen Atemzug durch die Nase, sog den Geruch der Umgebung ein, und binnen weniger Nanosekunden hatte sein Gehirn sämtliche Erinnerungen die mit diesem Geruch zusammen hingen wieder abgerufen. Es roch sogar noch genau so wie damals. Der junge Mann hatte das Gefühl, als wäre hier seit Jahren nichts geschehen... als wäre die Zeit hier nicht vorbeigekommen und alles wäre noch so wie damals. Aber sein Verstand rief ihm immer wieder zu, dass alles woran er sich erinnerte, nur zehn Jahre alte Erinnerungen waren. Außer ihm war niemand mehr hier und es würde hier auch keine blutüberströmte Leiche herumliegen. "Komm schon!" Der kleine Junge hastete durch das Feld und folgte der Schneise, die die Person vor ihm geschlagen hatte. Das war die einzige Möglichkeit für ihm, dem Vordermann zu folgen, denn sehen konnte er ihn schon nicht mehr. Sein Atem ging schnell und kurz. Schließlich stoppte sein Vordermann, fuhr herum und riss den Jungen hinter sich. Gleichzeitig zog er seine rechte Hand nach oben, in der er einen großen, silbernen Revolver hielt. Das Mondlicht wurde von dem glänzenden Stahl reflektiert. "Schöne Grüße!", brüllte der Erwachsene und Schüsse lösten sich. Sono schüttelte seinen Kopf. So lange hatte er es vermieden daran zu denken... und nun? Nun kam alles wieder hoch. Doch vielleicht war es auch gut so, denn diese Erinnerungen ließen ihn den Schmerz wieder spüren, den er so lange nicht mehr gefühlt hatte. Vielleicht war es ja wirklich gut wieder daran erinnert zu werden, was einmal war... was einmal wichtig war. Der Mensch neigt eben dazu so etwas zu vergessen, wenn er daran nicht erinnert wird. "Hey..." Über die Wangen des Jungen kullerten leere Tränen. "Hey..." Sanft schüttelte er den Körper in dem einige Löcher deutlich zu erkennen waren. Aus den Löchern war Blut heraus geflossen und die hellblaue Uniform die die Person trug, war an vielen Stellen tiefrot gefärbt. Das Gesicht hatte eine starre, schmerzverzerrte Miene angenommen und blickte starr gen Himmel. Über die bleiche Haut war Blut gelaufen und inzwischen dort geronnen. "Hey!" Das Schütteln wurde stärker und aggressiver. Die Person am Boden sollte sich bewegen, sollte zeigen das sie noch da war, dass sie den Jungen nicht allein ließ. Er wollte nicht allein sein! "Er ist tot Junge." , informierte ihn eine Männerstimme. Er sah auf und blickte in das kalt grinsende Gesicht eines Mannes, welcher mit einer Pistole auf ihn zielte. "Genau wie du." Ein Schuss löste sich und die Augen des Jungen weiteten sich. Ein Loch wurde in sein T-Shirt auf Brusthöhe gerissen und schleuderte ihn nach hinten. Er verlor den Boden unter den Füßen, flog ein Stück weit nach hinten und verlor den am Boden liegenden Mann aus seinen Augen. Den Aufschlag auf dem Boden spürte er kaum. Sein Blick war glasig auf den Himmel gerichtet. Der Mann mit der Pistole, aus dessen Lauf etwas Rauch aufstieg trat über den Jungen. Zwei weitere Kugeln rissen Löcher in das T-Shirt des Jungen und die leeren Hülsen kamen nahezu lautlos auf dem Erdboden auf. Der Mann grinste auf das Kind herab, steckte seine Waffe weg und schritt davon, ohne das Kind oder die Leiche noch eines weiteren Blickes zu würdigen. Seine Arbeit war getan und er hatte hier nichts mehr verloren. Das Kind hatte jegliches Zeitgefühl verloren als es sich wieder aufrichtete. "Ich lebe...", schoss es ihm durch den Kopf, "... immer noch..." Die Brust des Jungen hob und senkte sich unter Schmerzen. Er streifte schnaubend das T-Shirt ab, ließ es achtlos ins Gras fallen und sah an sich herunter. Die kugelsichere Weste hatte ihm das Leben gerettet. Erneut blickte er den Leichnam an, welcher nur unweit von ihm entfernt lag. SEINE kugelsichere Weste... Müde und geschafft riss er die Klettverschlüsse an seinen Schultern auf und die Weste fiel von seinem Körper ab. Auf seiner Brust hatten sich drei blaue Flecken gebildet. Wenn er die Weste nicht gehabt hätte, hätten die Schüsse alles was hinter seiner Haut lag gnadenlos zerrissen. Kurz sammelte er den Speichel in seinem Mund, nur um ihn dann aus zu spucken. Der Geschmack von Blut klebte in seinem gesamten Rachenraum. Mit emotionsloser Miene erhob er sich vom Boden und trat näher an die Leiche heran. Mit zittriger Hand hob er den Revolver auf. Obwohl die Waffe eigentlich viel zu schwer für ihn war, ließ er die Patronenkammer mit einer lockeren Bewegung aus dem Handgelenk aufschnappen. Es befanden sich noch zwei Kugeln in der Kammer. Mit einer ähnlichen Bewegung wie zuvor ließ er die Patronenkammer wieder zuschnappen. "Tut mir leid...", wisperte er der Leiche zu, "Ich sollte da liegen... an deiner Stelle..." Immer noch zeichnete sich kein eindeutiges Gefühl in seinem Gesicht ab. "Aber ich werde versuchen deinen Wunsch wahr werden zu lassen... ich werde es versuchen... weiter zu leben." Schweigend schlurfte er durch das ausgetrocknete Maisfeld davon. Sono besah sich die Waffe in seiner Hand. In den Lauf war in einer kunstvollen Handschrift das Wort "Hope" eingraviert worden, zusammen mit einem genauso kunstvoll gemachten Flügel, der neben dem Wort eingearbeitet worden war. Genau dasselbe Motiv zierte seinen Oberarm an der Stelle, wo er zur Schulter überging. Ryuchi hatte sie sich auch eintätowieren lassen. Sono hatte dies zwar nicht gewollt, aber Ryuchi hatte es ihm gewollt. Die Tätowierung war ein Geschenk zum 16ten Geburtstag gewesen. Es hatte eine ganze Menge Geld gekostet, aber Sono war es das Wert gewesen - zumal Ryuchi sich die Tätowierung sonst selbst gekauft hätte. Er kannte Ryuchi nun seit gut vier Jahren. Damals war Ryuchi ein Straßenjunge gewesen und hatte gebettelt, während Sono hingegen ein einfacher Kleinkrimineller war. Er hat geklaut und hin und wieder Diebe beraubt. Dabei hatte er sich wenigstens nicht schlecht gefühlt, wie wenn er einen Passanten um sein Geld und seine Habe erleichtert hatte. Immerhin hatte es der Dieb selbst geraubt - so gesehen war es nichts anderes als ausgleichende Gerechtigkeit. Wieso er Ryuchi mit sich genommen hatte, als er ihn das erste Mal gesehen hatte, konnte er sich bis heute nicht erklären. Aber auf jeden Fall war es kein Fehler gewesen, soviel stand bereits fest. Es gab kaum eine Person die sein Leben so geprägt hatte wie Ryuchi. *** Ryuchi schlug die Augen wieder auf. Im ersten Moment hatte er das Gefühl, als hätte ihn jemand gerufen, doch als er sich im Zimmer umsah, war dort niemand. "Sono?", fragte er durch den Raum, doch er bekam keine Antwort. Er setzte sich auf die Bettkante. Das Zimmer war recht simpel eingerichtet, aber es enthielt alles, was auch ihre alte Wohnung enthalten hatte. Einen Tisch, ein paar Stühle, einen Küchenteil, ein Doppelbett, ein Nachttisch, einen Kleiderschrank und eine Tür, die vermutlich in ein Badezimmer führte. Das Zimmer roch noch ungewohnt neu... nach Plastik. Vermutlich lag das daran, dass dieses Zimmer mit Kunstboden ausgelegt war, der noch sehr neu aussah. Ryuchi stand auf und ging zum Kleiderschrank. Da er nichts anhatte wollte er sich erst mal anziehen, danach konnte er immer noch überlegen, was er als nächstes tat. Während er über den Boden schritt, welcher sich unter seinen nackten Füßen auch noch neu anfühlte, kehrten seine Erinnerungen wieder zu ihm zurück. Sie waren mit Yukito gegangen, sie waren herumgeführt worden und dann war er zusammengebrochen. Er öffnete den Kleiderschrank, konnte aber nicht seine eigene Kleidung entdecken. Satt dessen nahm er sich ein paar Kleidungsstücke heraus, von denen er annahm das sie ihm gefielen, und zog sie an. In einer grauen Stoffhose und einem schwarzen, ärmellosen Shirt ging er an das Fenster. Er wusste nicht genau wo er war, aber von seiner jetzigen Position aus konnte er die gesamte Untergrundbasis überblicken. Inzwischen war es offensichtlich Nacht geworden, denn an der Decke war der künstliche Mond aufgegangen. Es war nur noch wenig los, aber dennoch schwammen einige Personen im Wasser. Obwohl es hier unten garantiert nicht so luxuriös war wie in der Stadt, so hatte er schon lange kein so glückliches Bild mehr gesehen... zumindest nicht mit mehreren Menschen auf einmal. Es schien so, als würde es hier gar keine Probleme geben. Auf dem Steg saßen zwei Mädchen. Von der Art her wie sie zu der anderen saßen und wie sie sich ansahen, glaubte Ryuchi sich und Sono wieder zu erkennen. Das eine Mädchen tauchte seine Hände ins Wasser und zog sie wieder heraus. Als sie ihre Hände jedoch wieder aus dem Nass hervorholte, schwebte zwischen den Handflächen eine Kugel aus Wasser. "Ach ja... die Esper...", schoss es ihm wieder durch den Kopf. Für einen Moment hatte er diese Sache komplett vergessen. Er hatte vergessen was mit ihm war und warum er hier war... doch nun war alles binnen einer Sekunde wieder zu ihm zurück gekommen, auch wenn er darauf hätte verzichten können. Denn im Moment überwogen die schlechten Erinnerungen... und auch die Angst. Ja... er hatte seit langem wieder richtig Angst. Die Ungewissheit hatte sich wie ein Mantel auf ihn gelegt und hatte begonnen an ihm zu zehren. Im Moment wünschte er sich Sono wäre bei ihm. Aber wahrscheinlich war irgendwie mit Yukito und ließ sich etwas zeigen oder erklären... jedenfalls hoffte er das. Wenn ihm nun etwas zugestoßen wäre... er wüsste nicht was er tun würde. Ryuchi wandte sich vom Fenster ab und sah einen Zettel auf dem Tisch liegen. Mit schnellem Schritt ging er zu dem Holztisch und hob den Zettel auf. Er war mit einem Füller handschriftlich beschrieben worden. "Bin mal raus an die frische Luft. Essen ist im Kühlschrank, mach dir was immer du willst ~ Sono" Erleichtert atmete Ryuchi aus. Dieser Zettel beruhigte ihn und erlöste ihn rasch von den schlimmen Gedanken, die sich ihm irgendwie aufgedrängt hatten. Es waren nun mal leider solche Gedanken, die sich ihm als erstes aufdrängten. Er war eben viel zu leicht zu beunruhigen. Ryuchi schritt aus der Wohnung heraus, ein Treppenhaus hinunter und trat ins Freie - wenn man es so nennen wollte. Kaum war er draußen erblickte er Sono. "Sono!" Der junge Mann sah auf und seine Miene hellte sich schlagartig auf. Es freute ihn zu sehen das sein Freund wohlauf war. Ryuchi rannte auf Sono zu, fiel ihm um den Hals und riss ihn dadurch zu Boden. "Ist ja gut." Er klopfte ihm auf den Rücken und musste kurz lachen. "Ich bin ja da..." *** "Ich habe mit Yukito geredet. Da du offensichtlich ein Esper bist darfst du in nächster Zeit diese Basis hier nicht verlassen, da dich sonst Taigai orten könnte. Demnächst werden deine Fähigkeiten untersucht werden und wenn sie herausgefunden haben, was du kannst, wird deine Fähigkeit trainiert werden, damit du sie lernst zu kontrollieren." Ryuchi lauschte den Worten. Sie saßen beide am Ufer des Sees und Sono hatte erzählt, was Yukito ihm erzählt hatte. Ryuchi lauschte diesen Worten interessiert, immerhin ging es dabei um ihn und seine Zukunft, an welche auch das Schicksal von Sono geknüpft war. "Und wie wird es danach weiter gehen?" "Tja... das müssen wir dann sehen.", seufzte Sono. "... sterben sie auch ein Jahr darauf." Sono gefiel dieser Gedanken nicht, und er war sich sicher das auch Ryuchi damit nicht glücklich war, aber im Moment konnten sie nichts an dieser Tatsache ändern. Immerhin bestand eine kleine Hoffnung, dass Ryuchi nicht sterben musste - auch wenn dieser nicht wirklich daran dachte. Seine Gedanken kreisten um die Tests die ihm blühten, um seine Fähigkeiten zu entdecken. "Ryuchi?" Sie fuhren herum. Hinter ihnen stand ein Mann in einem weißen Mantel. Er hatte eine Glatze und trug eine Brille mit großen Gläsern. In einer Hand hielt er ein Brett auf dem einige Blätter festgeklemmt waren. "Ja?" "Ich bin Doktor Aszuse. Ich bin damit beauftragt deine Fähigkeiten zu entdecken." *** "Also ich bin wirklich ratlos.", seufzte der Doktor, "Ryuchi sprang bei keinem einzigen Test an." Sono, Aszuse, Yukito und natürlich Ryuchi saßen in einem Raum, der voller Gegenstände war. Unter anderem ein Fernseher, ein Radio oder Bauklötze. Er hatte nun drei Stunden lang versucht, etwas über Ryuchis Kraft heraus zu finden, aber ohne Erfolg. "Und dir sind auch nie irgendwelche... ungewöhnlichen Dinge aufgefallen?" Ryuchi schüttelte den Kopf und der Mann seufzte. "Dann weiß ich auch nicht weiter." "Könnte es sein das ich gar kein Esper bin?" In Ryuchis Stimme klang Hoffnung durch. "Das ist sehr sehr unwahrscheinlich. Bisher hatte Taigai bedauerlicherweise noch immer Recht gehabt.", antwortete Yukito, "Vielleicht hast du eine neue Kraft... eine die uns bisher nicht bekannt ist. Wir müssen sehen was sich rausfinden lässt, aber nicht mehr heute. Es kann aber auch sein, dass deine Kräfte nur so tief verborgen liegen." *** Ryuchi seufzte. Er hatte also eine Kraft die niemand kannte oder definieren konnte. Wach lag er in seinem Bett. Er konnte einfach nicht mehr schlafen... vielleicht lag es auch daran, dass künstliches Licht durch das Fenster hineinschien. Sono ging es nicht viel anders, allerdings beruhte seine Schlaflosigkeit auf anderen Gründen. "Sag mal Ryuchi... was... willst du tun, wenn du deine Fähigkeit entdeckt hast?" Normalerweise war er nicht die Person, die solche Fragen stellte, aber im Moment wusste er nicht, was er sonst hätte zu seinem Freund sagen sollen. Und ganz nebenbei bemerkt interessierte es ihn auch wirklich. "Ich weiß es nicht.", beantwortete er die Frage ehrlich, "Ehrlich gesagt weiß ich kaum was... seit diese Sache losgegangen ist. Alles geschieht so Schlag auf Schlag... ich weiß nicht was ich danach tun soll." Sono nickte stumm. Im Moment fühlte er sich schlechter als je zuvor. Er wusste nicht genau wieso, er konnte den Ursprung dieses Gefühls nicht in sich ausmachen. Eigentlich wünschte er sich jetzt nichts weiter, als Ryuchi in die Arme zu schließen und ihn erst wieder los zu lassen, wenn das alles vorüber war. Aber dummerweise zeigte sich hier etwas, das Sono schmerzhaft gelernt hatte: die Liebe konnte nur wenige Probleme lösen. Und wenn sie Problem löste, dann entstanden diese auch erst durch sie selbst. Im Grunde war die Liebe nichts anderes als ein Störfaktor in seinem Leben... aber dennoch konnte er ohne Ryuchi einfach nicht mehr leben. Wenn Ryuchi weg wäre, würde ihm etwas Großes in seinem Leben fehlen. Aus den Augenwinkeln beobachtete Ryuchi. Selbst wenn er vor sich hin starrte und nachdachte, sah er immer noch irgendwie süß aus und dieses Wort pflegte Sono nicht oft zu benutzen. Und doch machte ihm irgendetwas in seinem Kopf Vorwürfe, dass er an Ryuchis derzeitiger Situation Schuld war. "Unsinn!", schrie er sich selbst in Gedanken an, "Du kannst für nichts etwas! Red dir so etwas nicht ein!" Vor seinem Inneren Auge sah er sich zwei Mal. Einmal an eine Wand gedrückt, zurückgedrängt... und einmal vor dem Ich an der Wand stehend und schreiend. "Ohne dich würde es ihm jetzt besser gehen!" "Ohne mich wäre er jetzt vielleicht schon tot!" "Eben deshalb!" "Was?!" "Du hast nie darüber nachgedacht das es ihm ohne dich vielleicht viel besser ginge oder? Noch nie... du denkst immer nur an dich!" "Das stimmt nicht!" "Wieso hast du ihn damals mitgenommen?!" "Ich..." "Du wolltest nicht mehr allein sein! Das ist alles! Du hast ihn nicht mitgenommen um ihm zu helfen, oder weil du ihn gemocht hast, du wolltest nur deinen Egoismus befriedigen." "Nein!" "Du belügst dich selbst! Sieh der Wahrheit ins Gesicht!" "Sono!" "Du bist nichts weiter als Dreck! Du bist es gar nicht wert geliebt zu werden!" "Sono!" "Ohne dich wäre er besser dran... und das war schon immer so!" "Sono!" Der junge Mann mit den roten Haaren schrak auf und fand sich plötzlich in dem Zimmer wieder, welches Yukito ihm zugewiesen hatte. Konfus sah er sich um und sah in Ryuchis besorgtes Gesicht. "Was....?", brachte er bloß raus. "Du hattest die Augen zu und hast plötzlich angefangen zu zittern und zu schwitzen.... ich habe versucht dich zu wecken, aber du hast nicht gleich reagiert." Für ein paar Sekunden blickte er Sono an, welcher immer noch nicht so ganz begriffen hatte, was vorgefallen war. "Hey Sono, alles in Ordnung." "Ja... ja es geht schon." Er stand vom Bett auf. "Ich brauche nur mal einein Augenblick Frischluft, dann geht es schon wieder." Er zog sich seine Schuhe und eine Jacke an und ging schnellen Schrittes aus der Wohnung heraus. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen lehnte er sich daran und kniff die Augen zu. Wie eine heiße Nadel in seinem Kopf hallten die Worte nach, die er gerade eben gehört hatte. "... oder weil du ihn gemocht hast..." Sie hatte Recht... die Stimme hatte Recht. Er hatte Ryuchi damals nicht aufgenommen, weil er ihn mochte oder weil er Mitleid hatte. Im Moment konnte er noch nicht einmal genau sagen, warum er ihn überhaupt mitgenommen hatte. Mitgenommen... er dachte ja schon von Ryuchi wie von einem Hund, der im Tierheim darauf wartet, abgeholt zu werden. "Verflucht!", zischte er und ging davon. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)