Was bin ich wert? von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Eine Nacht, wie jede andere -------------------------------------- Seufzend schlüpfte Saline in den rechten ihrer hochhackigen Schnürstiefel. Hurenstiefel, wie sie auch genannt werden, wegen der doppelten Sohle, die billig mit zu langen und rostigen Nägeln zusammengezimmert waren. Die Spitzen der Nägel scheuerten einem ständig die Fußsohlen wund und blutig. Tatsächlich wurden sie hauptsächlich von den leichten Mädchen in den Straßen getragen, da sie di billigste alternative zu en unförmigen und nicht wirklich aufreizenden Fellstiefeln, und dabei noch wenigstens annähernd warm hielten. Leichte Mädchen - was eine ironische Bezeichnung einer Schicht armer Gestalten, die es in der zwielichtigen Unterwelt einer jeden Stadt überhaupt nicht leicht hatten. Langsam schnürte sie den ersten Schuh zu. Dann den zweiten. Es war eine Art Ritual. Sie tat jeden Abend genau dasselbe. Erst den einen, dann den anderen. Und sie schnürte sorgfältig, so sorgfältig es ging. Denn mit jeder neuen Reihe der kleinen silbrig glänzenden Nieten, um die die groben Senkel sich spannten, näherte sie sich dem Augenblick, da sie ihre mickrige, aber doch schützende Behausung verlassen musste. Hinaus auf die Straße, hinaus in die Nacht! Sie fürchtete nicht die Kälte, nein, sie spüre sich schon kaum noch. Was sie fürchtete, war der Schmerz. Der Schmerz und die Demütigung. Und die Angst! Schmerz, Demütigung, Angst - Dinge, denen sich die Menschen für gewöhnlich nicht aussetzten, nicht freiwillig. Und doch lebte sie mit ihnen. Sie brauchte sie, sie waren ihr Geschäft. Nacht für Nacht. Immer wieder ging sie hinaus in die Dunkelheit, setzte sich den gierigen Blicken der Freier aus, ertrug Schläge und Demütigungen. Und daneben immer Angst. Diese Angst! Angst vor dem nächsten Freier, der sein letztes Silber für Rum aus dem Fenster geschmissen hat und trotzdem eine Nacht verlangte, Angst vor dem Freier, der sich schließlich nicht scheut, für eine einzige Nacht in einem billigen Hotel einen Mord zu begehen. Und doch ging sie immer wieder hinaus. Nacht für Nacht. Für immer! Schließlich hatte sie es geschafft. Beide Stiefel waren fest verschnürt. Nur noch wenige Augenblicke, dann.... Saline holte ihren Flickenbesetzten Umhang von dem Stuhl, auf den sie ihn am Morgen achtlos geworfen hatte. Noch ein letztes Aufatmen... Entschlossen öffnete sie die Tür und trat hinaus ins Freie. Aber dort, in der unebenen kleinen Gasse am Hintereingang des Hotels, stand nicht mehr wirklich sie. Tauchte Saline in die Dunkelheit einer jeden Nacht ab, ließ sie die vom Leben gebeugte, gedemütigte und geschändete Hure hinter sich. Über die Jahre hatte sie sich eine starke und schützende Maske aufgebaut. Eine Mauer, die nichts nach außen ließ, nichts ihrer wahren Persönlichkeit. Und vor allem ließ sie nichts nach innen. Diese Mauer, erbaut aus schierer Verzweifelung und Angst, sich selbst zu verlieren, ließ nichts an ihr wahres Ich heran, kein Schmerz, keine Demütigungen, keine Angst. Sie wehrte jedes böse Wort, jede noch so schlimme Beleidigung ab und ließ ihr innerstes unberührt. Zumindest bildete sich Saline das ein. Aber diese Maske war nicht nur reiner Selbstschutz.. Sie war wichtig. Wichtig für ihren "Job". Ebenso wichtig wie ihre hochhackigen Stiefel, die ihre Beine so wunderbar streckten, ebenso wichtig, wie das weinrote Kleid mit seinem weit mehr als nur aufreizendem Ausschnitt und dem an der Seite so weit hochgesteckten Röcken, die bereits die Ansätze ihrer Strumpfhalter hervorblitzend ließ. Denn die Männer, die zu ihnen kamen wollten keine kleinen verschüchterten 17-jährigen, die kaum einen Ton herausbrachten, ständig flennten, und sich bei dem Anblick des Geschlechts ihrer Freier erbrachen. Sie wollten kein Mädchen, das nach so kurzer Zeit auf dieser Erde schon erart geschunden und verbraucht war, dass sie weder zum Leben, noch zum Sterben fähig war und sich nur noch in einem einzigen depressiven Wehklagen gerade noch so am Leben erhalten konnte. Sie wollten die Realität nicht sehen. Ja, natürlich wollten sie die Jugend, aber sie wollten die unkomplizierte, freudestrahlende, erfrischende, kokettierende und flirtende Jugend. Und wollte man überleben, musste man sich anpassen. So betrat eine verführerisch lächelnde, ihre Reize deutlich zur Schau stellende Saline einige Zeit später eine kleine abgewrackte Kneipe, die erste einer ganzen Reihe, die sie in dieser Nacht noch besuchen würde. Während ihrem Weg zur Bar lie0 sie schon fast unbewusst den Blick über die Besucher schweifen. Etwas entmutigt, aber wie immer ein leichtes, aufreizendes Lächeln auf den Lippen, setzte sie sich an die Bar du bestellte ein Glas Rum. Nur eines. Sie trank es langsam, in kleinen Schlucken. War es dann leer und hatte sich das Publikum noch nicht soweit gebessert, dass sie dabei etwas rausschlagen konnte, verließ sie die Bar wieder und machte sich auf den Weg zur nächsten. Sie hatte schon früh begriffen, dass es nichts bringt, einen ganzen Abend in einer einzigen Kneie auf lohnende Freier zu warten. Es gab einfach orte, an denen man es in manchen Nächten vergessen konnte. Das wiederholte sie in jeder ihrer Stammkneipen. Die "guten" hielt sie sich bis zum Ende auf. Sie wusste, wo sie ihre Kunden zu suchen hatte, und je länger sie sie warten ließ, desto mehr sprang meist am Ende für sie raus. So zog sie weiter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)