Fatal Frame Gaiden von Zuckerfee (the chosen ones) ================================================================================ Chapter 1 || Die Nachricht ~the tower~ (3 von 3) ------------------------------------------------ Die Tage vergingen. Jin wartete jetzt immer auf Miyako, damit sie nicht mehr von Sawako belästigt wurde. Die hat sich sicher schon ein neues Opfer auserkoren, dachte Miyako auf dem Hinweg zur Schule. Wie an jedem Schultag stand Jin schon am Hof und wartete auf sie. Jungs, die sich an sie heranmachen wollten, wehrte sie tapfer ab und wartete geduldig auf ihre neue Freundin. "Hier für dich!" Jin ließ ein kleines Päckchen in Miyako's Hände fallen. "Was ist das?" "Ein Geschenk?", grinste Jin. "Mach es auf, ich dachte das wär ganz gut für dich." Die Zwei spazierten gerade in Richtung ihrer Klasse. Miyako löste im Gehen das bunte Papier von dem Päckchen und brachte ein in einem schwarzen Satin-ähnlichen Stoff gebundenes Buch zum Vorschein. Schwarz....wie meine Seele. Miyako entdeckte am unteren Rand zwei kleine Schmetterlinge, der eine in einem saftigen Kirschrot, der andere in einem fast Safranorange. "Oh...." Sie staunte und schlug das Buch auf. Es war leer. "Ein Tagebuch, oder so was ähnliches. Damit kannst du ja in Zukunft Deutungen aufschreiben oder was du auch immer festhalten willst." Jin klopfte Miyako auf die Schulter. Miyako und Jin bogen um die Ecke und gerade als Jin die Schiebetür zum Klassenzimmer öffnen wollte, spazierten zwei wesentlich jüngere Mädchen an ihnen vorbei und unterhielten sich. "Hey Aiko! Sag mal, weißt du wo Rie steckt? Ich hab sie gestern schon nicht mehr in der Schule gesehen." "Ach, die ist wohl krank," meinte die Andere und fuhr sich prüfend durch die Haare. "Ich konnt sie gestern nicht am Handy erreichen, also hab ich ihr eine SMS geschickt. Vielleicht hat sie geschlafen." Aiko drehte sich zu dem anderen Mädchen um. "Die wird schon wieder auftauchen! Jetzt mal nicht den Teufel an die Wand." Miyako ließ in diesem Moment das Buch fallen. Oh Nein!.....Sie wird doch nicht?! Jin bückte sich schnell um das Buch aufzuheben. "Was ist denn in dich gefahren? Seit wann bedan....." Jin beobachtete Miyako. Diese zitterte und ihre Augen waren weit aufgerissen, soweit man es unter den dichten Stirnfransen sehen konnte. "Ich hab es vergessen..." Miyako sank am Türrahmen zusammen. "Was vergessen?" Jin setzte sich neben sie und hielt das Buch in ihren verschränkten Armen. "Meine Tante zu fragen..." In dem Moment fiel es auch Jin wieder ein. "... Du glaubst also, sie...", meinte die Chinesin vage und gerade so laut, dass ihre Freundin sie hören konnte. "Das wäre jetzt aber echt ein bisschen... gruselig..." Die beiden Mädchen bemerkten die Szene und fragten ob es Miyako gut ging. Jin winkte ab. "Sie hat nur grad bemerkt, dass sie zu wenig für unseren Geschichte-Test gelernt hat!" versuchte sie fröhlich diese dramatische Situation zu überspielen. Die Mädchen gingen weiter. "Hör mal,", meinte Jin dann nach einem Moment der Stille. "es gibt, soweit ich denke, mehrere Rie auf dieser Schule. Es muss ja nicht unsere Rie sein. Oder vielleicht ist das nur ein Spitzname gewesen und die beiden Mädels haben ihn beiläufig benutzt." Miyako seufzte. Dieser Trost war wie ein Strohhalm für sie, an den sie sich wirklich krampfhaft festhalten wollte. Aber sie schüttelte nur den Kopf. "Gehen wir rein, der Lehrer kommt gleich", versuchte sie sich abzulenken und stand auf, um in den großen Raum zu gehen. Die Glocke läutete in dem Moment und ließ sie wissen, dass der Unterricht gleich begann. Zu ihrer Überraschung betrat ihr Klassenlehrer das Zimmer, der laut Plan heute gar nicht dran war. "Bitte setzt euch alle hin und seid still, ich habe eine wichtige Meldung zu machen.", sagte der für seine 42 Jahre noch relativ jung aussehender Lehrer und wartete, bis alle seiner Aufforderung Folge geleistet hatten, ehe er weitersprach. "Rie Surugawa aus der 4b ist seit zwei Tagen nicht mehr nach Hause gekommen und gilt als vermisst. Falls ihr irgendetwas über ihren Aufenthaltsort oder möglichen Aufenthaltsort wisst oder jemanden kennt, der sie innerhalb dieser beiden Tage gesehen hat, meldet euch bitte bei einem Lehrer oder dem Direktor." Kaum waren die Worte verklungen begannen die Schüler zu tuscheln, während Jin und Miyako nur besorgte Blicke austauschten. Miyako schlug die Hände vors Gesicht. "Das ist alles meine Schuld...", wimmerte sie und Jin nahm sie in die Arme. "Das stimmt nicht, du hast es zwar vorausgesehen aber du bist nicht Schuld!" "Wenn wir doch nur was machen könnten...." Miyako fing an zu Schluchzen. Jin stand abrupt auf. "Herr Lehrer, meiner Nachbarin geht es nicht gut, ich bitte darum, sie zur Schulärztin begleiten zu dürfen." Der Lehrer, der ohnehin schon ziemlich gestresst aussah, nickte nur stumm und versuchte den Tumult in der Klasse etwas zu mindern. Jin geleitete Miyako nach draußen. Beide gingen erst einmal zur Mädchentoilette, wo Miyako sich das Gesicht wusch. Dann zog sie ein Päckchen aus ihrer Rocktasche. Die Tarotkarten. "Ich habe..." Sie wischte sich übers Gesicht. "Ich habe eine Idee..." Sie setzte sich auf den kühlen Kachelboden und suchte nach den Karten, die Rie gezogen hatte. "Meine Tante sagt, man kann durch Dinge, die mit einer Person in Verbindung stehen, sehen wo diese Person sich aufhält...vielleicht...vielleicht finde ich Rie damit." Sie legte die Hände auf die Karten und schloss die Augen. Eine Weile lang kniff sie nur fest die Augen zusammen um sich auf das, was sie wissen wollte, zu konzentrieren. Dann waren sie da: Bilder. Ja sie konnte sie sehen. Wirre Bilder, in schneller Reihenfolge, wie ein Blitzgewitter an Emotionen, schien es ihr. Ihre Augenlider zuckten bei dem gewaltigen Eindruck den die Bilder hinterließen. Blut. Überall Blut. Ein Waldstück. Eine zerfetzte weiße Bluse, mit Blut und Erde besudelt. "Aah...Aaaah...Hilfeeee....Warum hilft mir keiner? Hilfe!!" Hörte es Miyako aus den Karten rufen. Rie! Dann war die Vision vorbei. Miyako sank erschöpft gegen die Wand. Ihr aschfahles Gesicht war von einem dünnen Schweißfilm überzogen. "Sie ist tot." Miyako strich sich die Haare aus dem Gesicht. Zum ersten Mal sah Jin Miyako's Augen. Die selben Augen wie die ihren... "Sie ist tot." Miyako's Augen strahlten Kälte und Unruhe zugleich aus. Dann fing sie an zu weinen. Da Jin nicht wirklich wusste was sie sonst tun sollte, bückte sie sich einfach hinunter, legte ihre Arme um ihre Freundin und strich ihr über den Rücken. Sie wusste nicht wieso, aber sie zweifelte keine Sekunde lang an Miyako's Worten. "Es gibt nichts, was wir hätten tun können.", meinte sie nur. "Es war nicht deine Schuld.", hörte sie sich selbst sagen. "Du hast sie schließlich nicht umgebracht..." "Das stimmt schon..." Miyako's Augen schimmerten. "Wir gehen da hin, vielleicht lebt sie ja doch noch." "Was?" Jin schüttelte Miyako. "Bist du verrückt? Was hast du denn gesehen? Und was noch interessanter ist: Wie zum Himmel hast du das gemacht?" Miyako antwortete nicht gleich. "Einen Wald...in der Nähe eines großen Tempels. Eine zerfetzte Bluse...Blut und Rie's Hilferufe...." "Einen Wald?" "Ja, einen reinen Laubwald...." Jin überlegte. Miyako sprach weiter. "Psychometrie....ich kann Erinnerungen an Personen von Gegenständen sehen. Das konnte ich schon immer. Meine Tante... sie hat mir geholfen diese Wahrnehmung zu sensibilisieren..." Das Mädchen rappelte sich auf, sammelte die Karten ein, mit einer Abscheu, als klebte Rie's Blut daran. "Der einzige reine Laubwald in ganz Kyoto liegt außerhalb, in Uiji, in der Nähe des Tofukuji-Tempels." Auf der Hinfahrt ins Ostviertel hatten Jin und ihr Vater dort eine Pause eingelegt, die Aussicht auf dem Tempel war herrlich, die vielen Bäume, die Steingärten... Jin verwarf die Gedanken schnell wieder und folgte Miyako, die schon durch die Tür nach draußen verschwunden war und fast wie ferngesteuert in Richtung Ausgang lief. "Hey, warte!", meinte Jin und hielt sie zurück. "So gern ich auch gleich dahin möchte... Wir haben noch Schule, also sollten wir uns eine gute Ausrede einfallen lassen bevor wir gehen. Für den Fall, dass man uns erwischt.", erklärte sie. "Sag du bringst mich nach Hause, das verstehen die schon." Miyako's Stimme war seltsam fremd. Jin ging zurück ins Klassenzimmer und verbeugte sich vor dem Lehrer. "Entschuldigung, aber meiner Nachbarin geht es leider immer noch nicht besser. Erlauben Sie mir, sie nach Hause zu begleiten?" Sie sah den Lehrer freundlich an, so freundlich es Angesichts dieser obskuren Situation möglich war. Der Pädagoge nickte nur und machte ein Handzeichen, welches Jin als "In Ordnung, geh jetzt." deutete. Sie schloss die Türe und eilte zu ihrer Freundin. Diese ging langsam aber schnurgerade auf den Ausgang zu. "Wir müssen da hin...wir müssen sie..." Miyako drehte sich um. "AAAAH!!!" Jin hörte ein dumpfes Geräusch. Sie sah das schwarzhaarige Mädchen auf dem Boden sitzen, deren Schulsachen quer über dem langen Gang verstreut. "Was ist passiert, um Himmels Willen?" Sie sammelte Stifte und Zettel ein, die umherflatterten. "Siehst du das nicht?" Miyako starrte aus dem Fenster. "Was?" Jin drehte sich um. Ihre Augen weiteten sich als sie die durchsichtige Gestalt sah und ihr Mund öffnete sich, doch kein Laut glitt über ihre Lippen. Eine junge Frau mit einem Kimono schwebte vor ihnen, deren lange Haare einen Schatten auf ihr Gesicht warfen, so dass man dieses nicht erkennen konnte. Jetzt hob sie eine Hand und deutete zuerst auf Miyako, dann auf Jin, dann streckte sie beide Hände so aus als wolle sie, dass man ihr folgte, bevor sie sich langsam auflöste... "Was zur... ", begann die Chinesin, brach dann jedoch ab. "Das hat mir ja noch gefehlt.", murmelte sie dann mürrisch. Sie half Miyako auf und bückte sich darauf hin nach ein paar verstreuten Gegenständen. Dabei stieß sie erneut auf derer Tagebuch. "Sollen wir vorher noch bei mir zu Hause vorbei schauen und was zu Essen einpacken oder so.", schlug sie vor Miyako traute ihren Augen nicht. Die Chinesin reagierte, als sei es das normalste auf der Welt, wenn einem ein GEIST begegnet... Oh ihr Götter! Sie rappelte sich auf. "Du...du hast es gesehen?!", fragte sie und half beim Zusammensuchen der Schulutensilien. "Du meinst die Lady, die auf uns gedeutet hat und dann wollte das wir ihr folgen, was wir aber nicht können, da wir keine Geister sind? Wenn's die war, dann ja.", gab Jin gelassen zurück. "Schön langsam komm ich mir vor wie ein Geistermagnet... Du hast sie doch auch gesehen, oder?", meinte sie dann und stand wieder auf, als sie alles eingesammelt hatten. "Und ehrlich gesagt, jetzt bin ich noch mehr der Meinung, dass wir bei mir vorbei schauen sollten. Es gibt da ein Buch, dass ich unbedingt mitnehmen will und ich glaube, mit andere Kleidung kommen wir auch besser voran. Schuluniform fällt auf.", setzte Jin noch hinzu und deutete dabei auf Miyako's Bluse. Miyako schüttelte kurz verwirrt den Kopf hin und her, dann antwortete sie auf Jin's Frage: "Ich hab sie gesehen, natürlich, aber woher sollte ich wissen, dass DU so was auch sehen kannst?" Sie war etwas verblüfft und folgte Jin nach draußen. Das japanische Mädchen schloss ihr Fahrradschloss auf und schob das Vehikel vor sich her. "Jin?" Jin drehte sich um. "Sag mal...." Jin tippte mit dem Fuß. "Woher hast du das gelernt?" Miyako wischte sich wieder über die Stirn. "Und... und was für ein Buch ist das, dass du es unbedingt haben willst?" Die Schwarzhaarige schüttelte den Kopf und starrte ihre chinesische Freundin an. "Eine Frage nach der anderen. Hier entlang.", antwortete die Chinesin und begann Miyako in die richtige Richtung zu leiten. "Du kannst Sachen von mir haben, wir finden sicher was in meinen Sachen, was dir passt... Das Buch ist so eine Sache... Am Besten zeig ich dir das, wenn wir dort sind... Und woher hab ich was gelernt? Du meinst, dass ich Geister sehen kann oder?" Sie verstand dass Miyako verwirrt war, was sie eigentlich überraschte. Immerhin konnte die andere Tarot Karten lesen, andere Leute aufspüren und sogar im Todesfall deren letzte Minuten sehen, also wieso war sie von einem Geist überrascht? Genau diese Frage stellte sie ihrer Freundin auch, während sie unterwegs waren. "Danke für das Angebot mit den Klamotten..." Miyako war etwas verunsichert. Sie hatte bisher gedacht, Geister seien nur aus den Sagen ihrer Tante und Oma entsprungen, aber sie hatte nie wirklich einen gesehen. Sie fragte sich, warum gerade jetzt. "Meine Oma redet andauernd davon, dass unsere Familie verflucht ist...", erzählte Miyako und schob ihr Fahrrad vor sich her. "Aber ich hab nie so recht dran glauben können. Immer hin ich hab mich noch nie mit einem Toten auf `nen Tee getroffen.", witzelte sie. Jin schwieg. Miyako wurde rot. "Entschuldige, das sollte lustig klingen." Sie blickte zu Boden. "Ich hoffe, wir können Rie finden...", wechselte Miyako das Thema. Jin seufzte. "Das hoffe ich auch... Ich habe bisher an drei Orten Geister getroffen. Glücklicherweise hatte nur einer etwas gegen mich. Aber das hat mir ehrlich gesagt schon gereicht. Ich bin noch nie so schnell gerannt wie damals... Wir sind gleich da.", erklärte sie, während sie eine Ecke umrundeten. "Dort oben im 13. Stock...", deutete sie und ging auf das Gebäude zu. "Dein Rad können wir im Eingang stehen lassen." Während Miyako das Rad absperrte holte Jin den Lift, der sie auch rasch nach oben brachte. Die Haustür öffnend, schlüpfte sie auch schon aus den Schuhen und schob sie, wie gewohnt, zur Seite. "Mach's dir bequem. Möchtest du irgendwas spezielles an Kleidung? Lang, kurz? Hell, dunkel? Ne Lieblingsfarbe?", fragte sie, während sie in ihr Zimmer schlenderte und in die Tiefen ihres Kleiderschranks abtauchte. "Äh...äh...STOPP! Was soll das heißen, einer hatte was gegen dich? Ich dachte Geister rächen sich, wenn überhaupt, an ihren Peinigern?" Jin steckte den Kopf aus dem Kleiderschrank. "Naja... Dachte ich auch. Aber Geister, die eines unnatürlichen Todes gestorben sind, wollen sich meiner Meinung nur generell rächen, dich ihren Schmerz spüren lassen, hundertfach mehr, als sie ihn damals erlebt haben..." Sie schüttelte ihre Haare nach hinten. "Also welche Farbe jetzt oder was willst du genau?" Miyako entschied sich für eine schwarze Hose mit vielen Reißverschlüssen und für ein weinrotes Shirt auf das in verschiedenen Sprachen "I'm your worst Nightmare" gedruckt war. "Nette Wahl..." Jin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und begann sich die Schuluniform abzustreifen, was Miyako ihr gleichtat. "Was nehmen wir noch mit? Taschenlampe? Funkgeräte?" Miyako hakte gerade ihren Rock auf und hielt mitten im Tun inne. "Du....du hast Funkgeräte??" Sie ließ den Rock zu Boden gleiten und stieg in die schwarze Combat-Hose. "Ja, die stammen noch aus der Zeit, als ich mit meinen Geschwistern verstecken gespielt habe," erklärte sie, während sie sich eine schwarze Lederhose über ihre wohlgeformten Pobacken streifte. "Die müssten aber noch einwandfrei funktionieren." Die Bluse von Jin's Uniform landete auf dem Bett. Kurz darauf war das Outfit komplett: Ein weißes T-Shirt, das hinten schwarze Teufelsschwingen aufgedruckt hatte und eine passende schwarze Lederjacke die hinten bestickt war, mit Engelsflügeln diesmal. Miyako schmunzelte beim Anblick von Jin's Kleiderwahl. Zwar hatte sie nichts anderes erwartet, aber dennoch war sie erstaunt über die Sachen. "Wo hast du die her?" Sie öffnete ihr Oberteil und schlüpfte aus dem Shirt. Verstohlen schielte sie in Jin's Richtung mit dem Gedanken daran, dass ihr Busen nicht mit dem ihrer chinesischen Freundin mithalten konnte und steckte ihren Kopf durch den Halsausschnitt des weinroten Oberteils. "Meine Geschwister genießen es, mir Sachen aus Amerika zukommen zu lassen. Weißt du, sie studieren in Amerika, was ein großes Glück für meine Mutter ist. Naja, jedenfalls denken sie, dass sie mir stehen und gefallen würden. Woher sie immer so genau wissen welche Größe mir passt, würd ich allerdings auch gerne mal wissen." Jin füllte gerade ihre schwarze Umhängetasche mit Taschenlampe, Funkgerät, Ersatzbatterien und sicherheitshalber ihren Kontaktlinsen sowie ein paar Schreibutensilien. "Hier, eine Jacke ist immer gut!" mit diesen Worten warf Jin Miyako eine weitere schwarze Lederjacke zu, ohne Flügel diesmal. Beide waren nun vollständig umgezogen und Miyako packte auch ihrerseits ihre Tasche, die sie sich von Jin geliehen hatte. Die Japanerin erhielt eine Taschenlampe und eines der Funkgeräte. Außerdem nahm sie ihre Tarot-Karten mit, man wusste ja nie. Zettel und ein Stift sowie das neue Buch, dass ihr Jin geschenkt hatte, komplettierten den Inhalt der Tasche und beide schlichen, Verbrechern gleich, aus dem Haus und begaben sich zur nächsten U-Bahn-Station. "In etwa 35 Minuten müssten wir in Uiji sein...ist ziemlich weit bis zum Tofukuji-Tempel." Jin lächelte und zog für sich und ihre Freundin ein Ticket. "Irgendwie fühlt es sich an, als würden wir was Verbotenes tun", schmunzelte Jin. "Meinst du?" Miyako lächelte unsicher. Dann stiegen beide in die Bahn und nahmen Platz. Es war 21:15. Bis sie an der Endhaltestelle in Uiji waren, würde es knapp 22 Uhr sein. "Ich finde, wir tun was Gutes. Wir wollen doch nur Rie finden. Oder nicht?" Miyako kramte aus ihrer Tasche ein Stück Papier und schrieb mit ihrem Kuli einen Spruch darauf. "Ich bin gespannt, was wir finden werden." Ihre Finger krampften sich um den Kuli und als ihr Werk vollbracht war steckte sie den Zettel zurück in ihre Tasche. "Hmm...weck mich, wenn wir in Uiji sind...." Jin gähnte hinter vorgehaltener Hand. Oh Rie... Wo bist du nur? Geht es dir gut? Wer hat dir das angetan? Hoffentlich lebst du noch. Halte durch! Miyako's Augen wurden schwer. Schwerer... "Das rechte Kind... Wir werden uns... holen... Quelle der Götter... schließt... Kreis" WACH AUF!! Miyako schreckte aus ihrem Halbschlaf hoch. "Sind wir schon da?", fragte sie Jin, die aus dem Fenster starrte. "Hmm?", fragte Jin, als sie sich ihr zuwandte, mit einem Blick auf die Uhr fügte sie dann noch rasch hinzu. "Nein, aber in 10 Minuten... Zahlt sich also nicht mehr aus noch mal ein Nickerchen einzulegen." Plötzlich viel ihr etwas ein: "Wir werden vermutlich über Nacht weg sein, musst du niemanden Bescheid geben? Ich hab meinen Dad einen Zettel da gelassen, dass ich weg bin, damit er sich keine Sorgen macht." "Äh....oh nein...ich muss meine Tante noch anrufen! Die schaltet sonst das Militär ein, wenn sie nicht weiß wo ich bin." Miyako holte eilig ihr Handy hervor und tippte die Nummer ihrer Tante ein. "Hallo Tante Michiko!...Nein...Nein! Mir geht es wirklich gut. Tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde. Ich hab die Zeit übersehen... Mir ist nichts passiert. Ich wollte dich fragen, ob ich heute bei einer Freundin übernachten darf. Jaa...nein du kennst sie noch nicht, ihr Name ist Jin... Sie kommt aus China und ich verstehe mich... Ihr Name ist Jin Lien Fen Li-Sun.... Tante, darf ich heute bei ihr übernachten? Sie hat mich eingeladen, wir waren bis jetzt unterwegs, im Kino und... Nein, keine Jungs. Ja, Tante... Wirklich? Oh danke!! Vielen Dank. Ja ich bin morgen wieder in der Schule... ich komme danach heim. Was? Ja sicher...also dann...." Miyako klappte das Handy zusammen und stöhnte. Jin verkniff sich ein Kichern. "Deine Tante ist eine ziemliche Glucke, kann das sein?" "Naja..." Miyako fasste sich an die Stirn. "Sie ist es eben nicht gewohnt, dass ich eine Freundin hab, ich war immer alleine... darum." "Nächste Haltestelle - Uiji - Takamine Park. Bitte alles aussteigen, die Linie endet hier!" tönte es aus dem Lautsprecher. Jin und Miyako begaben sich zum Ausgang. "Okay... Mal sehen. Zum Tempel geht es... in diese Richtung.", überlegte die Chinesin und deutete dann in die Richtung in der das besagte Gebäude lag. "Eigentlich tust du mir leid.", meinte sie dann plötzlich. "Die ganze Zeit hast du deine Ruhe gehabt und jetzt bin ich in dein Leben getreten, hab Gefallen an deiner Gesellschaft gefunden und du hast mich für den Rest deines Lebens am Hals... Vorbei ist es mit der Ruhe..." Jin grinste ihre Freundin an und bückte sich dann, um ihre Schuhe zu binden. "Ach...solang du mir nicht irgendwann offenbarst, dass du selbst ein Geist bist und mich irgendwann vernichten wirst...." Was rede ich da eigentlich, dachte Miyako. Beide liefen Richtung Tempel und sahen sich aufmerksam um. Niemand war mehr da. Um diese Zeit waren ja auch alle Touristen schon längst weitergezogen oder befanden sich in ihren Hotels. Endlich erblickten sie den Laubwald. Gespenstisch sah es dort aus, trotzdem strahlte der Wald eine Ruhe aus, die man in Kyoto Stadt selten fand. "Was meinst du... ob wir hier noch einen Anhaltspunkt finden?" Jin blieb stehen. "Psst! Da vorn!" Sie deutete auf eine Lichtung. Dort bewegte sich etwas. Miyako merkte wie ihr das letzte bisschen Farbe aus dem Gesicht wich. "Wa...wa...was denkst du ist das?" Sie schluckte. Jin ging todesmutig weiter. "Zumindest ist es nicht böse.", kam es nach ein paar Sekunden von der Anderen. Jin drehte sich um. "Woher...?" Dann winkte sie ab. "Ach ich wunder mich über gar nichts mehr." Sie lächelte in sich hinein. Und ging weiter. Langsam näherte sie sich der Lichtung und spähte hinter einem Baum hervor bevor sie ein Kichern unterdrückte und Miyako herbei winkte. "Sieh dir mal unseren 'Geist' an.", grinste sie, während ihre Schultern vor unterdrücktem Lachen zitterten. Auf der Lichtung hob gerade ein schwarzer Hund sein Beinchen um sein Revier an einer Straßenlaterne zu markieren. Gut gelaunt trat sie auf den Weg hinaus und begann erneut in die Richtung des Tempels zu schreiten. Kurz blieb sie stehen um sicher zu gehen, dass das andere Mädchen ihr folgte, dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit jedoch wieder der Umgebung vor ihr. Schließlich gelangte Jin an eine Reihe von Stufen an und seufzte, bevor sie begann raschen Schrittes die Treppen hinter zu bringen. Oben angelangt wirbelte sie herum und sah Miyako zu, während sie langsam rückwärts ging. "Komm schon, sonst geh ich ohne dich!", flüsterte sie gespielt ernst. Dabei bemerkte sie die Glasflasche nicht die am Boden lag und stieß nur überrascht einen Schrei aus, als sie das Gleichgewicht verlor und nach hinten fiel. Sie kniff die Augen zu in Erwartung des Schmerzes, hörte jedoch nur die Flasche über die Stufen davon kullern, als sie jemand auffing. Als sie die Augen überrascht aufriss, blickte sie in das Gesicht eines jungen Mannes, der sie fragend mit seinen hellen grünen Augen ansah. "Jiiiin!!!" Miyako stürzte aus dem Schatten eines Baumes hervor, als Jin plötzlich nach hinten umfiel. Panisch lief sie in ihre Richtung die Treppe hinauf. "Jin?!" Sie fand Jin...in den Armen eines jungen Mannes. Miyako schaute ungläubig von einem zum anderen und fing dann unweigerlich an zu Lachen. "Die Grusel-Inszenierung von ,Romeo und Julia' heute Abend für Sie am Rande des Tempels Tofukuji!" Jin rappelte sich hoch und nickte dem jungen Mann dankbar zu. "Sag mal bist du bescheuert?! Ich bin hingefallen! Gut, dass mir jemand geholfen hat, sonst müsstest du jetzt ALLEIN da reingehen...." Ups... Zuviel gesagt. Jin drehte sich um. Der junge Mann hatte alles mitgehört. Verdammt! Miyako lächelte entschuldigend. "Wir... machen einen Nachtspaziergang und haben uns... verlaufen." Miyako, du konntest schon immer schlecht lügen, schalt sie sich. Der junge Mann räusperte sich. "Wohin allein?", fragte er mit dunkler Stimme. Miyako merkte in diesem Moment, dass sie die schlechteste Lügnerin aller Zeiten war. Jin hob die Augenbrauen, so glaubte Miyako es im fahlen Licht der Straßenlaterne sehen zu können. "Was macht ihr hier mitten in der Nacht?" Der Junge beugte sich harsch vor um Jin und Miyako mit seinen grünen Augen zu durchbohren. Aus welchem Grund auch immer hatte er das Gefühl zu wissen wohin die beiden Mädchen wollten. "Ihr seid unterwegs zum Tempel, nicht wahr?" Jin blinzelte überrascht und blickte verwirrt zu Miyako, dann wieder den Fremden an. "Kannst du hellsehen oder was?", platzte es ihr schließlich heraus. Der Junge zuckte nur mit den Schultern. "Nein, aber offensichtlich gut Raten.", gab er zurück. "Ihr solltet das lieber sein lassen und nach Hause fahren... In dieser Gegend geht derzeit ein Serienmörder um der es auf hübsche Mädchen wie euch abgesehen hat." Jin versuchte ein Lächeln, verzog aber dann das Gesicht. "Danke für deine... Besorgnis, aber ich kann ganz gut auf uns beide aufpassen.", fauchte sie. "Das hab ich gemerkt.", konterte der junge Mann gelassen, beinahe schon spöttisch. "Aber... woher weißt du das mit dem Serienmörder?" Miyako ging - entgegen allem was ihr Verhalten wiederspiegelte - auf den Jungen zu und wischte sich herausfordernd über die Stirn. "Mi..." Jin wollte etwas einwenden, zog es aber dann doch vor zu Schweigen. "Was weißt du darüber?" Miyako stellte sich vor dem Jungen auf, der sie um etwa 12 cm überragte und blinzelte. "Nettes T-Shirt...Trifft das auch im realen Leben auf dich zu?" Der junge Mann lächelte weiter. "Ack!" Miyako drehte sich um und ging wieder zu Jin. "Komm wir gehen, der Typ macht hier einen auf Jet Lee..." "Woher kennst DU bitteschön Jet Lee?" Jin sah Miyako herausfordernd an, während sie die Stufen zum Tempelhaupteingang emporstiegen. "Ach, ich hab da mal einen Film..." "Hallo? Ich bin auch noch da... Hallo??" Der Fremde stand immer noch unter der Laterne. "Wartet! Das ist echt gefährlich, was ihr da tut!" Er lief den beiden nach. "Du musst ja nicht mitkommen... Ist ja SO gefährlich.", äffte Jin ihn nach, bevor sie weiter ging. Plötzlich wurde sie an der Schulter gepackt und herumgewirbelt. "Hör jetzt mal genau zu! Ich mache keine Witze! Der Serienmörder hat bereits ein paar andere umgebracht und wurde laut Augenzeugen HIER in der Nähe von DIESEM Tempel gesehen!" Der junge Mann ließ sie los. "Man könnte meinen, ihr wärt alt genug um zumindest die Nachrichten zu hören, dann wüsstet ihr das nämlich selbst!" Jin fixierte ihn mit ihren grünen Augen und verschränkte die Arme. "Tja, da ich aber genug mit der Schule zu tun hab, hab ich nun einmal keine Zeit für so was... Und wieso sollte ich überhaupt jemanden glauben, der nicht einmal einen Namen hat?!" Der Rothaarige seuftze und fuhr sich durch das Haar. "Okay, das ist ein Argument..." Trotzdem machte er jedoch keine Anstalten, sich vorzustellen. "Entschuldigung..." Miyako trat hinter Jin nach vorn und ging auf den Jungen zu um seine Hand zu nehmen. "Freut mich dich kennen zu lernen... Mein Name ist Miyako Chou Suzuhara. Das ist Jin Lien Fen Li-Sun. Wir gehen beide auf die Seishin-Cho Uni." Miyako lächelte entwaffnend während sie seine Hand weiter in ihrer hielt. "Möchtest du uns begleiten... Kin... Rai... Akagawa...." Sie schloss fest die Augen als sie diesen Namen murmelte. Stille. Weder Jin noch der junge Mann bekamen ein Wort heraus, Miyako jedoch ließ die Hand von dem Fremden los und setzte ruhig ihren Weg zum Tempel fort. "Die Kleine ist etwas....äh....gespenstisch." meinte der Junge. "Das denke ich mir auch jedes Mal, wenn sie so was macht..." Jin strich sich ihre Haare glatt. "Gehen wir?" Miyako drehte sich zu den beiden um. "Oder wollt ihr mich tatsächlich alleine hier reingehen lassen?" Jin rollte mit den Augen und folgte ihr. "Wenn du so weiter machst, überlege ich es mir noch mal." Auch Kin stieß ein Seufzen aus. "Eigentlich wollte ich ja meine Ruhe haben... Aber was soll's... jetzt muss ich wohl mit, auf euch aufpassen..." Zu dritt gingen sie weiter, bis sie vor dem Tempel standen. "Würdet ihr mir jetzt bitte verraten, was ihr hier wollt?" durchbrach Kin die Stille. "Vielleicht...", meine Jin und zuckte mit den Schultern. "Was meinst du, Miyako? Können wir ihm vertrauen?" "Er sucht auch nach etwas.... Richtig, Kin?" Miyako legte den Kopf schief, so dass ihr die Haare etwas aus dem Gesicht fielen. "Wir können ihm schon vertrauen, er kann uns helfen, Rie zu finden." Oder viel mehr, dachte Miyako. Sie betrat als erste die große Halle im Tempel. Irgendetwas ist hier anders als in unserem Schrein. Sie holte die Taschenlampe aus ihrer Umhängetasche und knipste sie an. "Wow... der Tempel ist wunderschön!" Miyako drehte sich einmal im Kreis und leuchtete dabei an die Decke. "Schaut mal, so viele schöne Ornamente! Wenn meine Tante das sehen könnte..." Sie ging weiter. Jin und Kin folgten ihr widerwillig. "Pst!", ermahnte sie Jin. "Um die Zeit ist normalerweise der Tempel geschlossen. Wenn uns jemand hört, sind wir geliefert... Und deine Tante lässt dich nie wieder in meine Nähe..." Sie und Kin schalteten ihre eigenen Taschenlampen ein und leuchteten vorsichtig das Innere aus. "Irgendwas stimmt hier nicht...", murmelten Beide plötzlich gleichzeitig. Es lag eine merkwürdige Spannung in der Luft. So unnatürlich... Jin fühlte wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Sie mochte so etwas absolut gar nicht...Abwesend strich sie über einen Kimono, der and er Wand hing und zuckte erschrocken zurück. "Miyako... Rie, sie war hier... Sie hat diesen Kimono genau so angefasst wie ich..." "Hmm... so was hab ich mir auch schon gedacht. Aber nicht nur Rie war hier. Da ist noch viel mehr Energie in dieser Halle." Hinten im Tempel glitzerte etwas im schein der Lampe. "Da liegt was auf dem Boden.", flüsterte die Japanerin. Kin sah es im selben Moment wie Miyako. Beide gingen hin um den Gegenstand näher zu untersuchen. Eine Kette mit einem Jadedrachen-Anhänger. "Da...Das ist die Kette, die Rie immer getragen hat!" Miyako war bestürzt. Jin kam den Beiden nach und sah sich die Kette besorgt an. Auf ihr waren Blutspritzer zu sehen und einige Glieder der Panzerkette waren verbogen, andere gebrochen, als hätte jemand mit Gewalt an der Kette gerissen. Plötzlich hörten die drei hinter sich ein Geräusch. Es war, als wäre etwas Schweres auf den Boden gefallen. Miyako drehte sich ängstlich um. In der rechten hinteren Ecke sah sie im Licht der Taschenlampe einen Spiegel. Mindestens 2 Meter hoch und fast genau so breit. Aber das Licht aus der Taschenlampe wurde seltsamerweise nicht reflektiert, wenn man auf die Spiegeloberfläche leuchtete. Miyako ging langsam ein paar Schritte in die Richtung. "Miharu....wo bist du? Miharu?.....Du sollst dich doch nicht immer verstecken, Papa wird böse sein!" hörte es das Mädchen in seinem Kopf hallen. "Miyako?" Jin drehte sich um. Miyako war verschwunden. "Sie ist weg! Oh, ich wusste, das geht nicht gut! Ack!" Jin machte am Absatz kehrt und leuchtete den Raum weiter aus. Endlich fand sie ihre Freundin. Sie stand vor einem riesengroßen Spiegel, der an einer Vorrichtung angebracht war, dicht neben einem Gebetsschrein im Tempel. "Mensch, hast du mich erschreckt!", rief sie aus und ging auf sie zu. "Was denkst du dir eigentlich dabei einfach zu verschwinden, wenn wir gerade diese zerschlissene Kette voll mit Blut gefunden haben?!" Kin folgte ihr zögernd. "Findet ihr es nicht viel merkwürdiger das der Tempel um diese Uhrzeit noch offen ist? Normalerweise gibt es einen Mechanismus, der am Ende eines Abends betätigt wird und die Türen dann bis zum nächsten Morgen verschließt..." Jin nickte zustimmend, während ihre Freundin abwesend die Hand Richtung Spiegel ausstreckte. Je näher sie der glänzenden Oberfläche kam, desto mulmiger wurde ihr. Eine plötzliche Vision schüttelte sie. =*=*= Überall waren eingestürzte Häuser zu sehen, beim genaueren Hinsehen sah man auch Leichen, verstreut auf dem Boden, gegen Hauswände lehnend, in den Häusern. Kinder rannten umher und spielten Fangen. "Miharu! Miharu komm raus, Papa macht sich Sorgen!" Eine Frau, deren Kimono voll mit Blut war, stolperte durch die Trümmer. Dann sah sie direkt in Miyako's Richtung, direkt in ihre Augen. =*=*= Miyako prallte zurück. "Aaah!!" Sie fiel auf ihren Hintern und krabbelte rückwärts in die Mitte des Tempels während die Taschenlampe immer noch in den Spiegel leuchtete, dessen Oberfläche jetzt nachtschwarz war. Jin und Kin stürzten in die Richtung, aus der sie ihre Freundin schreien hörten. Als Jin die Lampe aufhob, traute sie ihren Augen kaum: Aus dem Spiegel ragte eine Hand. Eine weiße, mit verkrustetem Kratzern bedeckte Hand... Vor lauter Schreck fiel Jin fast die Lampe aus der Hand und sie stolperte rückwärts wo sie, wieder einmal gegen Kin prallte. "Woha...", meinte er auch der, besonders als die Hand weiter nach draußen glitt. Von einem Beschützerinstinkt übermannt schob er plötzlich beide Mädchen hinter sich und seine Augen fixierten das Wesen, das jetzt schon den mit zerzausten schwarzen Haaren bedeckten Kopf durch den Spiegel steckte und sich nach vorne krümmte. "Miha..ru... Wo bist du...?", hauchte sie. Langsam und schleppend näherte sich der Geist der Frau dem Trio, bis es Kin zu viel wurde und sich seine Augen verengten. Plötzlich wurde der Geist zurückgeschleudert, doch es schien ihm nicht allzu viel auszumachen, denn er begann den ganzen Prozess einfach noch mal. "Ach du heilige Scheiße...", murmelte er. "Mi...ha...ru..." die Stimme des Geistes war verzerrt und hallte in der riesigen Eingangshalle des Tempels, als würde ein ganzer Schwall Frauen immer wieder das Selbe sagen. Jin und Miyako erschienen hinter Kin's starken Rücken und rissen die Augen auf. Die Frau...besser das was von ihr übrig geblieben war, schwebte ihnen entgegen. Ihr Torso und ihr rechter Arm waren heil geblieben, der Rest allerdings schien abgerissen worden zu sein. Ihr Kopf war verdreht und ihre Haare, lang und schwarz, bewegten sich fast wie ein eigenständiges Wesen um ihr zerschmettertes Gesicht herum. "Papa...wird böse sein... wo bist du?" krächzte es aus jedem Winkel der großen Halle. Miyako schnappte ihre Tasche und zog eilig den Zettel heraus, den sie in der U-Bahn beschrieben hatte. "Stellt euch im Kreis auf! Bleibt dicht zusammen!" Mit diesen Worten legte sie den Zettel auf den Boden und wich dann zurück. Der Zettel fing an zu brennen, blaue Flammen verzehrten das naturweiße Papier. "Das war ein Schutzspruch..." raunte Miyako Jin zu. Alle drei standen mit dem Rücken zu einander im Kreis und beobachteten ihre Umgebung so gut es eben ging. Plötzlich, ein kalter Hauch kam von rechts und zog an Jin vorbei. Die Frau, deren Kopf so verdreht war, dass sie genau in Jin's Richtung starrte, schwebte wenige Zentimeter an der Chinesin vorbei, immer wieder die gleichen Worte mit krächzender hallender Stimme ausspuckend. Jin bemühte sich ziemlich, nicht plötzlich in Panik auszubrechen. Miyako drückte Kin's Hand und flüsterte, so leise es ging: "Sie tut uns nichts, sonst hätte sie uns schon lange bemerkt." Dann stieg sie aus dem "Schutzkreis" und schlich der hellen fliegenden Gestalt nach. "D-Dieses Mädchen treibt mich noch in den Wahnsinn...", murmelte Jin und folgte ihr nach einer Sekunde des Zögerns. Kin starrte ihr baff einen Moment lang nach, bevor auch er den Beiden nacheilte. "Du Glückliche... Ich hab das Gefühl, mir wachsen schon weiße Haare - Dank euch BEIDEN..." Er stapfte den Mädchen hinterher und beobachtete gespannt die Bewegungen des Geistes. Während Jin sich noch ärgerte und Kin den Kopf schüttelte, war Miyako schon aus dem Tempel getreten, immer noch der Spur dieser Frau folgend. Seit ihrem vierten Lebensjahr war Miyako nun mit Geistern konfrontiert worden, aber noch nie hatte sie einen echten, "realen" Geist gesehen. Ihre Oma hatte ihr als Kind immer von solchen Erscheinungen erzählt, ihre Tante kannte viele Sagen und Miyako konnte diese mittlerweile schon fast auswendig. "Was willst du mir damit sagen?", murmelte das Mädchen während die zerschmetterte Frau weiter Richtung Wald schwebte, immer noch wehklagend. Jin trat inzwischen auch aus dem Tempel mit runzelnder Stirn und der Taschenlampe starr auf Miyako gerichtet. "Wenn du diesmal wieder abhaust, dann werd ich mir eine Hundeleine für dich besorgen" zischte sie. Kin, der dem ganzen Spektakel nicht wirklich viel abgewinnen konnte hatte inzwischen seinen Rucksack geöffnet und trug in einem Buch ein paar Notizen über diesen Vorfall ein. Es könnte wichtig sein, dachte er sich. Vielleicht haben die Mädchen recht und zwischen dem Geist, ihrer Freundin und meinem Bruder besteht eine Verbindung. Die Frau schlich langsam auf eine Lichtung im Wald zu. Dort verweilte sie, so als würde sie auf jemanden warten. Das Wehklagen war mittlerweile auch verstummt. Miyako ging langsam in Richtung der Stelle wo der Geist innehielt. Jin erreichte Miyako mit schnellen Schritten, beäugte den Geist jedoch mistmaurisch. Nach ihrem letzten Aufeinandertreffen mit einem solchen Wesen fand sie das Motto "Vorsicht ist besser als Nachsicht" äußerst angebracht. "Was glaubst du will sie von uns?", flüsterte sie ihrer Freundin zu, während sie die Taschenlampe ausschaltete. Im Moment war es absolut nicht notwendig, der abnehmende Mond spendete genügend Licht. Kin ging in die Hocke und zog abwesend einen anderen Stift hervor (sein alter hatte soeben den Geist aufgegeben). Er lehnte nun an einem Baumstamm am Rande der Lichtung. Von hier aus hatte der Halbjapaner einen guten Überblick und konnte auch mit seinen Fähigkeiten eingreifen - sollte es erforderlich sein. Die Frau drehte sich unerwartet um. Miyako schreckte erst zurück, ging dann aber wieder langsam in Richtung des Geistes auf der Lichtung. Das Bild, dass sich Jin bot, war einfach... bizarr. Der Geist, heller als das Mondlicht und dabei so durchsichtig, dass er fast nicht zu erkennen war und Miyako die sich anschlich. "Warum...Wa...rum?" Die Frau bückte sich und verschwand plötzlich. "Ah?" Miyako stutze. "Jin, was meinst du? Will sie dass ich hier was suche?" Miyako kratzte sich etwas hilflos. Kin nickte: "Ich denke ja, wenn sie weggeht, meint sie wohl du fürchtest dich nicht so sehr. Mich würde aber interessieren, warum sie WEISS, dass sie schon tot ist. Geister wissen das ja oft nicht, darum irren sie ja umher..." Jin legte den Kopf schief. "Also ich glaube... " Da hatte das japanische Mädchen schon angefangen, im feuchten, bemoosten Boden herumzuwühlen. Irritiert von den ganzen Eindrücken die sie wahr nahm, wühlte sie so lange weiter, bis sie einen verdreckten Gegenstand aus der Erde zog. Schlagartig kam die Erinnerung des Stückes: Eine Kamera, eine uralte Kamera, sie hatte mal einem Wissenschaftler gehört. Dieser hatte sie hier zurückgelassen, weil er angegriffen worden war... Von... "Was ist denn das?" Jin ging näher auf Miyako zu. "Äh...äh eine Kamera, denke ich." Das Mädchen kratzte die lehmige Erde von dem Gehäuse. "Die wird bei all dem Dreck und der Feuchtigkeit da unten ja wohl kaum noch funktionieren...", meinte Jin nachdenklich und zweifelnd, während der Rothaarige Kin in der Zwischenzeit weitere Notizen schrieb. Etwas reflektierte im silbernen Licht und die Chinesin bückte sich danach. "Hey, schau mal! Die Linse ist rausgefallen!", meinte sie. "Falls die Kamera wirklich kaputt ist, kann ich sie sicher reparieren.", bot Kin abwesend an, während er weiter vor sich hinschrieb. Dann hörten die Mädchen wieder ein seltsames Krächzen. Die zerdrückte Frau stand direkt neben ihnen. Jin und Miyako rissen die Augen auf. Miyako schluckte. Die zerdrückte Frau hob ihren Arm und deutete auf Kin... nein daneben - ihre Bewegungen ziemlich waren fahrig. "Sollen wir in den Tempel zurück?" Miyako flüsterte es in die Richtung, wo der Geist stand. Ein lautes Heulen war die Antwort. Dann war sie wieder auf dem Rückweg, hinein in den Tempel, schlurfend, wehklagend... Miyako musste unweigerlich lachen. "Die Arme. Irgendwie würde mich das etwas nerven, hier so rumzuwandern und zu jammern... " Jin hob verächtlich eine Augenbraue und setzte sich, die Linse in der Hand, in Bewegung, riss Kin beim Vorbeigehen mit und schaltete ihre Taschenlampe wieder an. Die Frau stand vor dem Spiegel, den Rücken... oder eher die zerfetzten Überreste dem Trio zugewandt. "Okaaay..." Jin zog dieses Wort wie einen Kaugummi in die Länge, sie war entnervt, immerhin ließ sich dieser Geist alle Zeit der Welt... die er ja auch hatte. "Pssst!" Miyako zischte. "Irgendwas will die doch... oder?" Kin murmelte hinter ihnen in sein Notizbuch und schrieb weiter. "Gebt mal die Teile her...", meinte er dann plötzlich und schon drückte ihm Jin auch die Linse in die Hand. In dem Moment in dem seine Hand die alte Kamera umschloss sah er vor seinem inneren Auge den Mechanismus und jeden einzelnen Handgriff mit der das Teil zusammen gebaut wurde. "Ach du...", murmelte er und begann es Stück für Stück auseinander zu nehmen. "Hier, putzt das mal, sonst funktioniert da gar nichts.", bat er sie und legte ihnen einige Teile aus dem Inneren hin. Schließlich war das Ding völlig zulegt und er beeilte sich alles wieder richtig und sauber zusammen zu setzten. Kin hob das alte Gehäuse in die Luft um es noch mal einem prüfenden Blick zu unterziehen. Dann seufzte er und begann widerwillig zu erklären: "Die Kamera wurde dazu gemacht um Geister einzufangen... Diese kleinen Kugeln an der Seite hier sind sogenannte Geistersteine... Mit ihrer Kraft kann man Geister auf Fotos bannen..." "Jaaa...genauu...." Jin hatte eine neue Beschäftigung gefunden: Worte so lange wie möglich ziehen um ihnen einen gedehnt coolen Effekt zu verschaffen. "Verarsch uns hier nicht, McGuyver. Das dieses rostige Ding überhaupt irgendwas knipsen kann bezweifle ich nämlich. Du nicht auch oder Mi?" Miyako nahm ehrfürchtig die Kamera in die Hand. "Obskura... Das ist..." Sie schluckte. "Die Camera Obscura von Professor Aso..." "Bitte was?!" Kin und Jin waren beide bemüht diese Worte nicht zu schreien. "Was soll das heißen? Camera Obscura, Geister einfangen, bla ..." Jin begann wild zu gestikulieren. "Das was es heißt, Jin" Kin kritzelte wieder etwas in sein Notizbuch. Dessen Seiten müssen sich ja ins unendliche erstrecken, schmunzelte Miyako. Dann blätterte er zurück. "Hier steht es: ,Die Camera Obscura wurde von Professor Doktor Kunihiko Aso erfunden. Er hatte sich der paranormalen Folklore zugeschrieben und erforschte Geistererscheinungen in den frühen 30'igern. Mit der Kamera wollte er Fotografien von Spektralwesen machen. Deren verbliebene Gedanken können die Vergangenheit enthüllen. Die Kamera kann Dinge erscheinen lassen, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind. Von diesen unsichtbaren Wesen ein Foto zu machen hat eine austreibende Kraft, er-zeugt aber auch eine Art Verbindung. Wenn die Camera Obscura achtlos eingesetzt wird, können diese Wesen sogar den Benutzer überwältigen. Seiner Meinung nach ist diese Kamera aber ein Teufelswerkzeug. Seit 1965 gilt er als vermisst. Auch seine Aufzeichnungen sowie die Kamera wurden nie gefunden..' " Kin schlug sein Notizbüchlein zu. "Wow... cool... das ist..." Miyako umarmte die Kamera regelrecht. "Wisst ihr was das heißt?" Ihre Augen glänzten beim Anblick dieses paranormalen Artefaktes. "Japp...wir haben ne Menge Ärger am Hals." Jin schielte zum Spiegel hin, die zerdrückte Frau war noch immer am selben Ort. "Und was machen wir jetzt mit ihr? Einfangen?" Sie stupste Kin an. "Du weißt doch sicher eine Lösung für dieses...." sie deutete zum Geist. "Problem, oder?" Er hob eine Augenbraue. "Ist das nicht offensichtlich? Mach ein Foto!", meinte er und rollte dabei die Augen. "ARGH! Du gehst mit auf die Nerven mit deinem "Ich-bin-allwissend" Getue!", stieß Jin frustriert aus und warf ihre Hände in die Luft. Kin zuckte mit den Schultern. "Kann auch nichts dafür, dass ich mehr weiß als du...", kommentierte er. Die Schwarzhaarige verdrehte genervt die Augen, wandte sich dann aber wieder dem Hauptproblem zu. Dem Geist. "Okay, einen Versuch ist es jedenfalls wert...", seufzte sie schließlich. "Ich mach das. Ich glaube nämlich, dass sie bei mir weiß, dass ich das Richtige tue." Miyako schnappte sich die Kamera und ging mutig auf die zerdrückte Frau zu. Diese zeigte mit ihrem verbliebenen Arm wieder auf den Spiegel und verschwand dann langsam darin. Miyako drückte den Auslöser. "Zuff!" ein kreischendes Geräusch erklang. Das Foto fiel zu Boden und Miyako bückte sich, um es aufzuheben. Jin und Kin gingen ihr zögerlich hinterher und Jin riss die Augen auf, als Miyako sich gerade wieder aufrichten wollte. "Da! Der Spiegel!" Sie zeigte auf den Spiegel. Er schlug kleine Wellen! "Was ist auf dem Foto?" wollte Kin wissen. Das Foto zeigte einen Torbogen, einen Shinto-Bogen um genau zu sein. Und die Frau, die unter dem Bogen hindurch ging. "Da ist ein Shinto-Tor drauf." Miyako nahm das Bild an sich. "Sollen wir da durch?" ihre Stimme klang etwas verzweifelt. Die Wellen der Spiegeloberfläche im Auge, nahm Jin diesmal die Kamera an sich. "Hmm..." Sie visierte den wellenschlagenden Spiegel an und schoss das zweite Bild. "Zuff!!" Ein grelles Licht umhüllte alle drei, eine dichte Wolke von Staub und Rauch brachte Kin zum Husten und als sich alles wieder gelegt hatte, waren die Mädchen nicht mehr da. "Was zum... Jin?? Miyako??" Er leuchtete den großen Tempel mit seiner Taschenlampe aus. "Hallo??" Er ging zum Spiegel hin. Dort lagen die beiden Fotos, das mit dem Bogen und das zweite, das Jin geschossen hatte. Auf dem zweiten Foto wurde langsam das Bild sichtbar. Kin ließ es fast fallen vor Schreck: darauf waren die Mädchen zu sehen. Auf der anderen Seite des Spiegels, eingehüllt in alten traditionellen Kimonos und mit hochgesteckten Haaren... "Ich will gar nicht darüber nachdenken was das heißt..." Er nahm die Fotos und steckte sie in sein Notizbuch. "Solang ich nicht weiß was dieser Spiegel ist, kann ich euch ohnehin nicht helfen..." murmelte er und verließ lautlos die große Halle um hinaus in die Nacht zu laufen, mit wirren Gedanken und bizarren Bildern im Kopf... *** Author's Notes: Sooo.... das wäre erledigt. Das erste Kapitel dieser (wahrscheinlich unendlichen) Geschichte ist beendet. Nici und ich hatten zuerst vor, sie in drei eigenständige Kapitel zu verwandeln, doch ich finde "the chosen ones" passt ganz gut zu Kin, Jin und Mi, da die drei ja auch grüne Augen haben (oh was ein Zufall ;-) ) Ich hoffe, euch Lesern gefällt es und ihr habt den Überblick behalten können. Ich finde zumindest den Schluss des dritten Teiles sehr gelungen, die "woman out of mirror" (zerdrückte Frau) hat einen grandiosen Auftritt.. der sich aber dann leicht ins komische zieht *g* -- Unsere Ghostlist (an er wir noch arbeiten, da wir viiiiiiele vieele Geister brauchen werden *smirk*) ist auf englisch, darum nehme ich immer die englischen Namen, wenn ich mit Nici rede...es ist gut, dass wenigstens wir zwei wissen, was wir tun - oder? *g* Kin hatte auch einen sehr eleganten Auftritt... wer weiß was aus Jin und Kin noch wird, wenn wir so weiterschreiben? *hehe* Nichts desto trotz, es geht NATÜRLICH weiter, im zweiten Kapitel... denn wer würde nicht gerne wissen, was den beiden Mädchen passiert? Was Kin macht um sie da rauszuholen? Was mit dem Jungen passierte, der am Anfang des Kapitels sein Erlebnis schlildert? Fragen über Fragen... gut so! Es kann wohl etwas dauern, bis wir das zweite Kap. (also mal den ersten Teil *teilefeetischistin*) hochladen, aber wir geben uns Mühe, so schnell wie möglich was auf die Beine zu stellen, der Plot für das nächste Kapitel steht nämlich schon in groben Zügen fest *smirk* Also lasst euch überraschen - und danke für's Lesen! - Danke an Nici für's Fehlerfinden *drück* - Danke an die Kommentare bis jetzt *raffidrück* *g* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)