Der Dämon eines Mannes von Alexej_Axis (Schatten, die das Mondlicht bringt / Eigene Erzählung mit eigenen Charakteren vor dem Hintergrund des Rollenspiels Cyberpunk2.0.2.0.) ================================================================================ Kapitel 3: Virtual Fighter - Ryu -------------------------------- Es klopfte dreimal an der dicken Sicherheitstür. Ryu ignorierte es geflissentlich. Glasige, braunen Augen starrten auf den gigantischen Bildschirm, der pulsierende, kleine, grüne Punkte zeigte, die immer wieder wie Pilzsporen in einem altmodischen Computerspiel zerplatzten. Es klingelte dreimal. Ryus Iris bewegte sich schnell und zitternd, sein Mund stand ein wenig offen und die Zigarette im Aschenbecher war längst zu Asche zerfallen. Er bewegte einen Finger blitzschnell zur Tastatur und gab das Kürzel ein, dass ihm die Kameraansicht der Linse vor der Haustür auf den linken kleinen Bildschirm warf. Die Schwarzweißaufnahme zeigte ihm ein bekanntes Gesicht, dass er nur zur Hälfte wahrnahm. Der andere Zeigefinger betätigte den Knopf für den selbstgebauten Lautsprecher. "Passwort?" "Schneegestöber." Er öffnete die Tür mit einem anderen Schalter und seine Iris kam zum Stillstand. Er verabschiedete sich von seiner Spielgefährtin im virtuellen Bordell und seine Lippen formten ein "Sayonara, Miriu-chan", dann tasteten seine Finger nach dem Stecker an seiner Schläfe und er steckte aus. Neben dem schmächtigen Jungen mit dem gelben T-Shirt viel eine milchig weiße Plastiktüte auf den Tisch. "Hast du Hunger?" "Immer", sagte Ryu langsam und rieb sich die Augen, während sein Geist allmählich wieder in seinen Körper kroch und sich wie Alkohol in einem Wasserglas darin verteilte, um die Kontrolle wiederzuerlangen. "Nani?", "Was ist los", fragte er und grabschte sich einen weißen Styroporeimer aus der Tüte, brach die Stäbchen aus pinkem Plastik in der Mitte durch und drehte sich mit seiner Mahlzeit auf dem Schoß in dem gigantischen und abgefetzten Bürostuhl aus schwarzem Kunstleder zu seinem einzigen Freund um. Kira stand vor ihm, mit vor dem Körper gekreuzten Armen und schief gelegtem Kopf, wie fast immer, wenn er ihn besuchte trug er eine schwarze Gibson-Jeans, die leicht gepanzert war und hauteng an seinen muskulösen, langen Beinen saß. Dazu hohe, feste Keramikstiefel, ein weißes, ärmelloses Kevlar-T-Shirt und eine kurze, leicht gepanzerte, schwarze Motorradlederjacke mit weißem Fellkragen. Der Killer setzte sein schüchternes Lächeln auf, dass Ryu so faszinierte. Ein Lächeln, dass er selten Fremden zeigte, und dass einen zum Nachdenken brachte. "Ich habe Arbeit für dich", sagte Kira und drehte sich einen schwarzen Plastikstuhl um, um sich neben den siebzehnjährigen Netrunner zu setzen. "Was kann der Technomancer für dich tun?" Ryu grinste. Er war ein hübscher Junge, doch wie alle Netrunner verlor er seinen Sinn für die Realität. Sein Leben spielte sich hauptsächlich im Netz ab, und so kam es, dass er selten vor die Tür ging und kaum auf seinen Körper achtete. Die mandelförmigen Augen lagen tief in den Höhlen, Augenringe untermalten seine schwachen Kieferknochen und seine kinnlangen Haare, die ein bisschen verfilzt waren trugen ein ausgewaschenes Rot. In dicken Socken und einer viel zu großen Jeans, die letzten Monat noch nicht so weit auf seinen Hüften gehangen hatte, saß er in dem viel zu großen Chefsessel, und wirkte auf Kira viel jünger als er war, und erschreckend verbaucht. "Ich denke ich brauche heute nicht die Hilfe des Technomancers, sondern die von Itto Ryu." Der Killer neigte den Kopf auf die andere Seite und eine rot-schwarze, feine Haarsträhne viel ihm ins Gesicht und verdeckte das linke Auge. Er griff sich ebenfalls einen Becher kantonesischen Fast Foods und brach die Stäbchen um mit seinem Freund zu essen. "Was liegt an?" Ryu stopfte grüne Nudeln in sich hinein und grinste den Solo verschmitzt an. "Hast du dich wieder zerschießen lassen?" Kira sah geschäftig in seinen Reis und gab erst keine Antwort. Dann nickte er langsam, und ohne aufzusehen, steckte sich den Bissen in den Mund, und wies mit den Stäbchen auf eine Plastiktüte, die auf dem langen, verchromten Arbeitstisch hinter dem gigantischen Monitoraufbau stand. Ryu klemmte sich die Stäbchen zwischen die Zähne und hievte sich mit einer Hand aus dem Sessel. Er tapste zum Tisch herüber und fummelte an der Tasche herum. Kiras kirschroter Sicherheitsmantel lag sauber darin zusammengefaltet und daneben entdeckte Ryu nun auch den Hartplastikschalenkoffer mit den runden Ecken, auf dem abgekratzt und in Mitleidenschaft gezogen das Arasaka-Logo prangte. Der Junge zog eine Augenbraue hoch. "Was hastn mit der Rapid Ass gemacht, Kira?" Die Haare vielen ihm strähnig ins Gesicht als er seine Hand wie ein schiefes Fragezeichen in die Hüfte stemmte und den Oberkörper zu dem Solo umdrehte. "Ist mir vom Motorrad gefallen, während der Fahrt", sagte dieser ohne aufzusehen. "Vom Motorrad gefallen?" Ryu betrachtete den verkratzten Koffer ungläubig. "Wieso das? In dem Koffer?" "Nein", erwiderte Kira. "Ich habe damit geschossen und bin dann mit der Shiva ausgerutscht -in voller Fahrt." "Hat das nicht wehgetan?" Ryu hob spöttisch eine Augenbraue und kicherte erstickt. "Sorry, aber... na ja das sollte die Flinte aushalten, die ist sehr zuverlässig." Kira hielt inne und starrte in die Luft. "Ja, aber es ist auch ein Auto drübergefahren", sagte er vorsichtig und machte sich daran weiterzuessen. "Äh..." Ryu kratzte sich am Kopf und stellte den halbvollen Becher beiseite um mit flinken, etwas schmutzigen Fingern den Koffer zu öffnen und das Arasaka Rapid Assault Rifle herauszunehmen. "Na gut, DAFÜR ist sie nicht gedacht. Das ist nicht gut." "Sie sind wenigstens auch über mich gefahren", meinte Kira gedankenverloren nach einer kurzen Pause. "Oh." Ryu kicherte wieder, als er die halbautomatische Schrotflinte auf dem Tisch mit dem Inhalt seines Wekzeugtäschchens zerlegte. "Und, wie hat es sich angefühlt? Das wollte ich immer schon mal fragen..." "Es war nicht angenehm." Kira stand geschmeidig auf und ging mit verschränkten Armen zu dem Jungen herüber, der den Lauf auf eine unnatürliche Krümmung untersuchte. Es überraschte den Solo jedes mal, wie Ryu, der fast fünf Jahre jünger war, als er, es verstand mit technischem Gerät umzugehen. Er hatte diesbezüglich eine erkennbare Begabung. Vor einem Jahr hatte Kira dem Halbjapaner das Leben gerettet, als sich dieser mit einem seiner illegalen Geschäfte verkalkuliert hatte. Die andere Hälfte mochte nach Kiras Schätzung koreanisch sein, aber sie beide unterhielten sich nicht darüber. Es war ein Zufall gewesen, dass der Solo vor Ort gewesen war, doch Ryu erinnerte ihn an seinen Bruder Toji. Er mochte den Jungen. Seit dieser Sache waren sie so etwas wie Freunde geworden und Kira hatte wenige Vertrauenspersonen, nachdem er der Hölle in Alaska entkommen war. Kaum jemand wusste von seiner Regenerationsfähigkeit. Auf der Straße kannten ihn wenige, aber die erzählten sich Geschichten über den Roten Teufel, der kein Mann war, sondern ein Dämon, den man nicht töten konnte. Ryu und Van Berge waren seine einzigen Freunde. Der Junge half ihm bei allen technischen Problemen mit seinen Waffen, und seiner Ausrüstung, beschaffte ihm hin und wieder Dinge und Informationen übers Netz und im Gegenzug dazu leistete ihm Kira hin und wieder Gesellschaft in seiner einsamen Kellerwohnung in der Kampfzone, die eine kalte Werkstatt war. Kira konnte nicht nachvollziehen, wie man seinen Körper und sein Leben so vernachlässigen und nur noch im Netz zu Hause sein konnte, aber Ryu hatte keine Eltern mehr, und er war ein talentierter Netrunner und Techniker. Er hielt sich mit zwielichtigen Geschäften übers Netz über Wasser und verkehrte kaum mit Kunden. Die waren ihm zu gefährlich, genauso wie die ganze Welt dort draußen vor seiner Sicherheitstür, die er nur selten betrat. Er war, wie gesagt, ein schmächtiger Junge, der sich in der fleischlichen Wirklichkeit nicht zur Wehr setzen konnte - im Netz aber, war er der Technomancer, ein inzwischen ernstzunehmender, aufgehender Stern unter den Konsolenjockeys. Kira fragte sich, wie vielen Teenagern er schon die Weihnachtsgeschenke zerschrotet hatte, die es gewagt hatten, sich "Technomancer" zu nennen, wenn sie im Netz unterwegs waren. Ryu baschte sie gnadenlos vom Platz, zerschredderte ihnen die Programme, versaute ihnen den Netzzugang und schmorte ihnen manchmal sogar das Deck, also die Hardware, weg. "So, jetzt dürfte es wieder gehen." Ryu legte die Schrotflinte an, er hielt sie zittrig in beiden Händen. Kira nahm sie ihm weg und strubbelte ihm durch die Haare. "Ey!" Der Junge beschwerte sich. "Ich bin kein Kind, okay?" "Sorry, Macht der Gewohnheit", murmelte Kira und legte an, um sich zu vergewissern, das alles wieder in Ordnung war. Ryu wusste nichts von seiner Familie. Niemand wusste etwas davon. "Sonst noch was?", maulte der Junge und griff wieder nach seinem kalten Essen. "Der Mantel..." Ryu seufzte. "Kira, diesen Mantel habe ich innerhalb eines Jahres so oft geflickt, dass es jetzt schon nicht mehr derselbe ist, den du mir beim ersten mal gebracht hast. Willst du dir nicht einfach einen neuen kaufen?" Kira nahm das Gewehr herunter und starrte weiter auf einen imaginären Feind in der anderen, dunklen Hälfte des Lagerraums. "Nein. Bitte reparier ihn einfach." "Na gut, aber das mache ich nicht jetzt, da brauche ich Zeit für. Komm in zwei Tagen wieder." Der Junge tapste zu seinem Sessel herüber und schlürfte die Nudelsuppe aus dem Styroporbecher. "In Ordnung," erwiderte der Solo und packte das Gewehr wieder in die Schaumstoffschablone des Koffers. "Hast du heut Abend noch was vor?" Ryu hatte den Monitor schon wieder angeworfen und legte die Beine auf den Tisch. "Ich habe noch eine Verabredung." Kira ließ die Hartplastikschnallen an dem Gewehrkoffer zuschnappen und machte sich auf zur Tür. "Oh, viel Glück." Kira zögerte auf seinem Weg zur Tür. Er warf dem Netrunner einen Blick über die Schulter zu. "Nur mit einem Mädchen." "Na wenn das so ist..." "Bis dann. Vielleicht schau ich danach noch mal rein." "Man sieht sich." Der Solo verließ den Raum und schloss leise die Sicherheitsstahltüre. Der Technomancer war schon wieder eingechippt, als das elektronische Schloss zuschnappte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)