Der Dämon eines Mannes von Alexej_Axis (Schatten, die das Mondlicht bringt / Eigene Erzählung mit eigenen Charakteren vor dem Hintergrund des Rollenspiels Cyberpunk2.0.2.0.) ================================================================================ Kapitel 1: Enter The Game ------------------------- "Du solltest dich beim nächsten mal von Schrotflinten fernhalten. Wenn du dir schon nicht den Gefallen tun willst, tu ihn zur Hölle mir!" Eine weitere kleine schwarze Kugel fand ihren Weg klingelnd in die chromfarbene Nierenschale. "Ich werd mir Mühe geben, Doc." "Das will ich auch meinen. Zur Hölle noch mal ist das eine Scheißarbeit. Und das mit dem Rauchen mag ich immer noch nicht!" "Sorry, aber das ist eine Angewohnheit, die man nicht loswird." "Nicht, während ich dich aufmache, verdammt!" Surren vom Laserskalpell und der Geruch von verbranntem Fleisch. "Die Wunden entzünden sich nicht." "Herrgott ich weiß." Ein weiteres Klingeln, eine weitere Kugel. Van Berge manövrierte den kleinen Röntgenmonitor vor die Brust seines Patienten und rückte die Brille zurecht. "So, fertig." Der junge holländische Arzt schob den Monitor wieder zur Seite und knippste ihn aus. Die Wunden auf Kiras Körper waren schon wieder rückstandslos verheilt. "Danke, Doktor." Der junge Japaner richtete sich auf und sah prüfend auf den Biomonitor, der unter der Haut des rechten Unterarmes grün aufleuchtete und ihm anscheinend strahlend mitteilte, dass alles in Ordnung war. Der Arzt zog die weißen Gummihandschuhe aus und griff nach seiner Zigarettenschachtel. Er wischte sich mit dem Handrücken etwas Schweiß von der Stirn und strich sich eine rotblonde Locke aus den Augen. "Willst du was trinken?", fragte Van Berge mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck und steckte sich die Zigarette an. Kira nahm den Aschenbecher, stand auf und nickte. "Komm ins Wohnzimmer." Der junge Solo setzte sich auf die breite Lederimitatcouch und fischte sich einen Keks aus der Dose auf dem niedrigen Designerglastisch. Neben ihm schwamm ein Hammerhai vorbei und er beobachtete fasziniert, wie das ausgestorbene Tier in der Wand verschwand. Van Berge kam mit zwei Gläsern Gin von der Minibar und dimmte die Helligkeit des Vidscreens, der das Fenster ausfüllte, mit der Fernbedienung. Es wurde Nacht im Riff und Kira schenkte seine Aufmerksamkeit dem synthetischen aber sündhaft teuren Alkohol. "Ich habe das Gefühl, dass du die Vorsicht verlierst." Van Berge setzte sich ihm gegenüber und massierte sich die sorgenvoll in Falten gelegte Stirn. Kira sah ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der für den Arzt unergründlich war. Er schätzte den jungen Japaner auf etwa Anfang bis Mitte 20, konnte das aber nicht genau sagen. Wenn man in Europa aufgewachsen war, sah man eine Menge Menschen verschiedener Nationalitäten, aber mit Asiaten kannte er sich nicht aus. Sie sahen für ihn alle gleich aus. Kiras Mimik konnte er nicht deuten, er war für ein Mysterium und Mysterien faszinierten ihn. Kira war ein solches in einer Zeit, die stolz behauptete, dass es keine Geheimnisse gab, die man nicht mit Hilfe der Wissenschaft begreifen könnte - und dem nötigen Kleingeld. Er war zum einen ein wunderschöner Mensch, und das, obwohl keine chirurgischen Veränderungen an ihm durchgeführt worden waren, und zum anderen hatte er einen unglaublich mysteriösen Charakter. Van Berge empfand diesen Mann als faszinierend und war froh seine Bekanntschaft gemacht zu haben. "Ich?" Kira tippte mit dem Zeigefinger auf seine eigene Brust und zog die Augenbrauen zusammen. Van Berge grummelte und interpretierte das als eine Unschuldsmiene sondergleichen. Ein Blick, der Frauen würde schmelzen lassen. Wie ein junger Hund! Man wollte ihm Kekse zuwerfen. Kira lächelte verstohlen und sah dann wieder in seinen Drink. Der Arzt schüttelte den Kopf und nahm einen tiefen Zug aus seinem Ginglas. "Vergiss nicht, wir wissen nicht, ob es nicht einfach irgendwann aufhört!" Kira nickte und nahm den Schluck, ohne seinen Freund anzusehen. Van Berge rieb sich wieder die Augen. Es war spät. "Ich geh mich umziehen." Kira stellte das leere Glas ab und ging aus dem Raum. Er hatte immer ein paar Kleidungstücke bei seinem Arzt deponiert, da er meist mit einer Menge Einschusslöchern hier auflief. Der Rückweg führte durch die gute Moderate Zone, so dass es besser war ein sauberes Erscheinungsbild zu haben, wenn man nicht kontrolliert werden wollte. Thy van Berge ließ den Kopf in den Nacken fallen und trank sein Glas leer. Was war dem Jungen bloß zugestoßen? Der Arzt konnte sich die Nanoviren, die er in seinem Blut gefunden hatte nicht erklären und die Geschichte, die Kira ihm dazu erzählt hatte, war nicht minder beunruhigend als alles andere, was er über die Struktur der Proteinteilchen herausgefunden hatte. Irgendwer hatte den jungen Mann benutzt, um die Viren zu testen. Was auch immer diese Leute mit ihm vorgehabt, und angestellt hatten, er konnte nicht sagen wie sich sein Leben entwickeln würde. Sein Körper wurde von den kleinen, programmierten Arbeitern immer wieder regeneriert. Egal, was er auch anstellte, jede Wunde verheilte innerhalb von wenigen Minuten. Knochenbrüche, Fleischwunden, Blutverlust, selbst beschädigte Organe - Kira war nahezu unsterblich, solange das Rückenmark sein Gehirn mit dem restlichen Körper verband. Die Nanos stellten den Originalzustand innerhalb von wenigen Minuten wieder her, egal, wie schwer die Verletzung bislang gewesen war. Kein Test, den Van Berge gemacht hatte, hatte auch nur irgendeinen Aufschluss darüber gegeben, wie die Viren genau arbeiteten, wo sie herkamen, oder wie sich die Symbiose mit Kiras Körper weiterentwickeln konnte. Sie waren zu komplex und ähnelten nichts, was der Arzt bislang gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte irgendein Konzern den jungen Solo als Testobjekt benutzt und Van Berge wollte sich nicht ausmalen, was man mit solcher Technik weltweit anrichten konnte, wenn sie in Serie ginge. Doch so sehr ihn diese kleinen Wundermaschinen auch wissenschaftlich reizten, er musste immer wieder daran denken, was eine Fehlfunktion oder eine Selbstzerstörung der Viren mit Kira anstellen würden. Er kniff die Augen zusammen und stand dann auf, um sich einen weiteren Drink zu nehmen. Kira griff sich ein neues schwarzes T-Shirt aus dem Schrank und streifte es sich über, als er Hels stimme in seinem Kopf hörte. "Du hast einen Anruf, Kira." Wie immer höflich und kühl, mit ein bisschen Vorfreude auf Dinge, die nicht passieren würden. "Wer ist es?" "Unbekannte Nummer." "Durchstellen." Sein rechtes Ohr zuckte kurz, als die Stimme des Anrufers mittels des eingebaute Cellphones durch seinen Kopf schallte. "Kira?" "Einen wunderschönen guten Abend, Mr. Hase." "Ich habe einen Auftrag für dich." "Ich höre." "Es geht um etwas Persönliches." "Oh." "Du musst jemanden wiederbeschaffen. Ein junges Mädchen, ihr Name ist Elizabeth. Meine Nichte. Sie ist sechzehn Jahre alt. Ich habe gestern eine Lösegeldforderung erhalten - sie ist entführt worden. Ich habe aber Grund zu der Annahme, dass diese Forderung nicht von den Leuten stammt, die 'unterschrieben' haben, wenn du verstehst, was ich meine. Es geht nicht ums Geld. Das ist persönlich. Ich denke ich weiß, wer sie entführt hat." "Und wer ist es?" "Marc Hung. Ein junger Triadenboss, der sich zu weit in mein Gebiet gewagt hat. Macht mir mein Geschäft mit seinen billigen Drogen kaputt, denkt er könnte sich alles erlauben. Triaden. Und ihre Drogen. Wie ich sie hasse." "Sind sie sicher, dass es Hung war?" "Ich bin zu ihm gegangen und habe ihm gesagt, dass er sich aus meinen Geschäften raushalten soll. Eine Warnung. Das hat nicht gereicht. Dafür, dass er sich weiter in meine Geschäfte eingemischt hat, habe ich ihm ein Ohr abgeschnitten." "Oh." Kira war etwas schockiert. Junge Triaden waren rasende Affen. Und Hung war jung, rasend und vielversprechend. Er hatte nur einige Geschichten gehört, aber wenn sich Hase auf solche Weise an ihm vergriffen hatte, war das Mädchen vielleicht sogar schon tot und in Stücken zu ihm unterwegs. Hase war weit davon entfernt ein Asiate zu sein. Er war aber auch kein Italiener, kein Russe... Kira hatte keine Ahnung, wo seine Wurzeln lagen, für ihn war er einfach ein Amerikaner. Aber Amerikaner hatten wenig Ahnung von den Asiaten und Hase hatte dauernd Ärger mit der Mafia, besonders den Tongs. Er selbst war hart genug, um keine Mafia zu brauchen, was Kira an sich bewundernswert fand. Mit was für Geschäften er sein Geld genau verdiente, wusste er nicht, aber meistens bekam der junge Solo von Hase Aufträge, bei denen man das Gefühl hatte, die richtigen Leute zu töten. Der Henchman, wie sein Kodename lautete, war sicherlich selbst kein Unschuldslamm, aber Kira bewunderte seine Stärke und er zahlte gut. Außerdem war er der einzige Auftraggeber, dem er nach seiner Rückkehr nach Night City einigermaßen über den Weg traute. Jeder seiner früheren Klienten hätte ihn verraten können, damals, und Henchman war bislang der einzige, der auf ihn erst nach seiner Yomireise aufmerksam geworden war. Und das wichtigste war, er fragte nicht warum. Kira hätte auch keine Antwort gegeben, sondern den Kontakt einfach abgebrochen. Doch Hase war gerissen und hart, er hatte erkannt, dass der Junge anscheinend einige; 'Talente' hatte, die ihn außergewöhnlich machten. Er war ein TopSolo, er wusste was er tat, er arbeitete eigenständig und konzentriert, schnell und effektiv, obwohl er noch jung war. Aber sein größter Vorteil war seine Widerstandsfähigkeit. Wenn er angeschossen wurde, erholte er sich innerhalb weniger Tage. Henchman wusste nichts von Alaska, aber er hatte wohl gemerkt, dass Kira ein paar Asse im Ärmel hatte, die ihn Aufträge in einer Präzision und Schnelligkeit erledigen ließen, die ansonsten mehrere Leute von Nöten gemacht hätten. Also bezahlte der Henker den Roten Teufel gut und nahm seine Dienste meist dann in Anspruch, wenn er jemanden richtig bluten sehen wollte. So wie jetzt. "Ich brauche alle Daten, die sie haben. Wann ist das Mädchen verschwunden?" "Vor drei Tagen. Du hast bereits eine E-mail mit allen Daten erhalten. Tausend im voraus sind Spesen, du hast das Geld schon auf dem Konto, wie immer." "Geht klar, Mr. Hase." "Kira..." "Ja?" "Ich erwarte von dir, dass du sie zurück bringst. Du musst sie finden. Sag mir wo sie ist und ich zahle 20.000. Wenn du sie mir bringst, zahle ich 50.000." "Bin schon dran." "Gut. Hung sollte morgen Abend im 'Goldenen Singvogel' anzutreffen sein. Das Restaurant gehört ihm, es ist seine Zentrale. Bring sie heil zurück, Kira." Kurze Stille. "Ich zähl auf dich." Das Gespräch wurde beendet. Kira sah kurz in die dunkle Leere des Flurs, dann ging er ins Wohnzimmer zurück. "Ich muss gehen, ich hab noch was zu erledigen." Van Berge sah auf. "Arbeit?" Kira nickte nur. "Schon wieder?" "Es muss sein." Der Arzt grummelte, während Kira seinen roten Panzermantel überzog, der einige Einschusslöcher davongetragen hatte. "Ja, sicher." Thy sah ihn scharf an. "Du weißt, das kann jeden Moment zu Ende sein. Wir wissen nicht, wie lange die Nanos arbeiten, und überhaupt, du könntest..." Kira drehte sich zu ihm um und sah ihn mit einem stoischen, asiatischen Blick an, den der junge Arzt hasste. Einen Moment schaute der Killer seinem Vertrauten fest in die Augen, bis dieser zu Boden sah. Dann lächelte der Japaner und Van Berge fühlte sich ein wenig unbehaglich bei dem verstörenden Anblick des androgynen Gesichtes ohne Lidfalte. "Keine Panik, Doc." Kira ließ die sieben verchromten Schnallen geräuschvoll zuschnappen und wandte sich zum Gehen. "Wenn ich draufgehe, hast du immer noch Gewebeproben von mir." "Ja", knirschte Van Berge, "damit kann ich nur nichts anfangen." Kira hielt kurz inne, nickte nur und stapfte aus der Tür. Der Arzt blieb im Wohnzimmer zurück. Qualm hing in der Luft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)