Dunkle Dämmerung von Perro (Kampf um die Götterschwerter *abgeschlossen*) ================================================================================ Kapitel 1: Erwachen ------------------- So, ich versuche mich nach langer, langer Zeit mal wieder an einer Fantasy-Geschichte. Lest euch einfach mal das erste Kapitel durch und seht, ob es euch gefällt. Diesmal ist das ganze so mehr in der Neuzeit angesiedelt, wollte mal vom Clssic-Fantasy weg^^! Könnten einige von euch vielleicht mit Chrno Crusade verbinden, ich lese gerade die Mangas und sie sind einfach mein großes Vorbild!Aber naja... Viel Spaß jedenfalls^^ ---------------------------------------------- Kapitel I - Erwachen Man hat mir in meinem Leben schon viele Namen gegeben: Partnerin, Freundin, Geliebte, Feind, Schülerin und Hexe. Viele Menschen in meiner Umgebung sagten mir auch häufig, dass ich eine gute Erzählerin wäre, denn ich habe den jungen Auszubildenden an meiner Schule gerne Geschichten erzählt und sie so zu begeistern gewusst. Auch die Ereignisse, von denen ich nun berichten werde, sind inzwischen eine Geschichte. Eine Geschichte, die auf jeden Fall erzählt werden muss. Wahrscheinlich werdet ihr mir nicht glauben, doch das verlange ich auch gar nicht. Ich selbst habe oft an meinem Verstand gezweifelt und Dingen ins Auge geblickt, die über das Fassungsvermögen der gewöhnlichen Menschen hinausgeht. Es geht um Magie, um Überwesen wie Dämonen und Monster und über Hexen, so wie ich eine bin. Ja, ich bin eine Hexe. Schon früh in meinem Leben habe ich bemerkt, dass vieles an mir anders war, als an den normalen Mädchen in meinem Alter. Es machte ihnen teilweise Angst, dass ich immer wusste, was in dem tiefsten Inneren ihrer Herzen vorging und dass ich Sachen sehen konnte, noch bevor sie geschahen. An meinem sechsten Geburtstag hatte ich es sogar geschafft, ungewollt einen Blitz in unsere Scheune einschlagen zu lassen... Meine Mutter hat dies nie gestört. Sie wusste, dass ich etwas Besonderes war, denn ich hatte es von ihr geerbt. Sie besaß ebenfalls übernatürliche Fähigkeiten, so zum Beispiel das Brauen von Tränken, die in dem winzigen Dorf irgendwo in England, in dem ich aufwuchs, als äußerst effektive Medizin verwendet wurde... Soviel hat sich seitdem geändert. Ich zähle inzwischen siebzehn Lebensjahre und habe die jugendliche Naivität schon lange hinter mir gelassen. Lange habe ich geglaubt etwas verändern, etwas erreichen zu können. Doch mit den Opfern vieler geliebter Menschen musste ich lernen, dass alle Bemühungen umsonst sind, wenn sie nicht das bewirken, was man eigentlich beabsichtigt. Es starben so viele, dass es mir Mal um Mal heiße Tränen über die Wangen rinnen lässt. Aber das ist nicht der Anfang meiner Geschichte. Eigentlich begann es nach meinem fünfzehnten Geburtstag. Ich hatte inzwischen gelernt meine Fähigkeiten halbwegs unter Kontrolle zu bekommen, obwohl es dennoch häufige Zwischenfälle gab, als ein Mann in den mittleren Jahren in unser Dorf kam. Er war von einer Organisation, die ihr Quartier auf einer kleinen Insel an der englischen Ostküste hatte, und suchte nach mir. Durch Gerüchte hatte er von meinen Fähigkeiten gehört. Nach meiner Zustimmung und der meiner Mutter nahm er mich mit, da man mir bei seiner Organisation helfen konnte mit meiner Begabung fertig zu werden... Zeliarina genoss es, wie der erfrischende Fahrtwind ihr Gesicht streifte und die schulterlangen, blonden Haare einem Schweif gleich hinter ihr herumwehten. Das Gefühl verdrängte den Kummer, der die ganze Zeit während der Autofahrt zum Hafen von Scarborough in ihr getobt hatte. Schließlich würde sie ihre geliebte Mutter, die einzige Person, die ihr trotz ihrer abnormen Fähigkeiten vollkommen vertraut hatte, für eine lange Zeit nicht wieder sehen. Außerdem war sie sich nicht ganz sicher, ob es wirklich klug gewesen war, einem fremden Mann zu einem fremden Ort zu folgen, nur weil dieser versprochen hatte ihr alles zu lehren... "Siehst du die kleine Insel dort? Das ist Falcaniar, die Hochburg der Lancelor!" Ihr Begleiter deutete mit der freien Hand, die nicht das Steuer des kleinen Motorbootes hielt, auf steile Klippen, die in der Ferne aus dem Meer ragten. Schnell wie ein Pfeil schoss ihr Gefährt über das blaue Meer und ließ die Gischt zu allen Seiten sprühen. Zeliarina bekam ein paar Tropfen auf ihr blasses Gesicht, doch auch das störte sie nicht, sondern entspannte. Schon immer hatten die unbändigen Gewalten des Meeres sie fasziniert. Zeliarina betrachtete wohl zum hundertsten Mal den Mann, der sie aus ihrer Heimat gelockt und zu einer riesigen Festung der Lancelor-Organisation mitten auf See geführt hatte, dorthin, wo übernatürlich Begabte ausgebildet wurden. Er war groß und kräftig, seine starken Hände lagen locker am Steuer des Bootes. Man erkannte, dass er an der Küste lebte, denn sein Gesicht war braun und von Wind und Wetter stark geprägt. Trotzdem umspielte ein fröhliches Lächeln seinen Mund und ließ ihn glatte zehn Jahre jünger erscheinen. Erste Silbersträhnen zeichneten sich auf seinem dunkelbraunen Haar und seinem dunkelbraunen Vollbart ab. Er hatte sich als Peter Pendrian, Lancelor zweiten Ranges, vorgestellt. "Wir sind jeden Augenblick da. Du bekommst ein Zimmer und einen Mentor, der sich darum kümmern wird, dass deine Fähigkeiten von dir zukünftig kontrolliert werden können..." "Herr Pendrian, wieso tun diese Lancelor das für Leute wie mich?", fragte Zeliarina verschüchtert, ohne den Blick von der imposanten Burg abzuwenden, die sich immer klarer auf den Felsklippen abzeichnete. Pendrians Lächeln schien schmaler zu werden. "Eigentlich ist es Eigennutz. Wir hoffen einige der Schüler später als Mitglieder der Lancelor aufnehmen zu können. Unsere Organisation braucht nämlich übersinnlich Begabte für...bestimmte Aufträge..." "Was für Aufträge?" "Das wirst du noch früh genug erfahren. Keine Angst, es gibt keinerlei Verpflichtungen für dich. Fürs erste brauchst du dir darüber keine Gedanken machen", blockte der Lancelor mit gespielter Fröhlichkeit. Zeliarina hob skeptisch eine Augenbraue, doch sie fragte nicht weiter nach, denn Pendrian war bereits dabei die Geschwindigkeit zu drosseln und ihr Boot in eine schmale, halbmondförmige Bucht zu fahren. Hier, an der Ostseite, wurden sie nicht wie an der Westseite von steilen Felsen, sondern von einem breiten Strand begrüßt. Mehrere Boote schaukelten gemächlich an einem weit ins Wasser führenden Steg. Pendrian legte zielsicher an, befestigte ihr Gefährt mit mehreren Tauen und stieg aus, ehe er auch Zeliarina mit ihrem Gepäck auf den Steg half. "Also, da wären wir, Zeliarina Heartstrong. Willkommen auf der Insel der Lancelor und Falcaniar!" Einladend machte Pendrian eine weit ausschweifende Geste auf den weißen Sand des Strandes, auf das saftige grüne Gras und den schmalen Weg, der sich stetig bergauf bis zu der alten Festung hinaufschlängelte, die am Rande der westlichen Klippen thronte. Zeliarina musste unwillkürlich lächeln und nahm die Hand, die ihr Begleiter anbot. Sie hoffte ein bisschen, dass dieser nette Mann vielleicht ihr Mentor werden könnte. "Es ist schön", meinte das Mädchen begeistert. Sie schritt furchtlos und neugierig neben Pendrian den Weg zu Falcaniar hinauf, während das sanfte Rauschen der Wellen beruhigend in der Luft hing. Genussvoll sog sie die frische Seeluft ein und schloss die Augen. Pendrian führte sie gemächlichen Schrittes zu ihrer neuen Heimat. Als sie vor dem großen Tor Falcaniars ankamen, blieb Zeliarina ehrfürchtig stehen. "Das ist ja phantastisch!" Ihre grünen Augen wanderten voller Begeisterung über die unzähligen, kunstvollen Verzierungen, die den Torbogen und die Fensterränder schmückten. Zwei hohe, runde Türme aus schwarzem Stein erhoben sich wie ausgestreckte Finger hoch in den Himmel, wo ein paar Möwen kreischend ihre Kreise zogen. "Falcaniar hat schon viel gesehen, sie ist sehr alt", erklärte Pendrian ruhig. Zeliarina gab ihm im Stillen Recht, auch wenn sie nicht die geringsten Anzeichen von Verfall oder wachsendem Moos an den dunklen Wänden erkennen konnte. Trotzdem strahlte die Burg ein weit zurückliegendes Alter aus, was nicht zuletzt von den Darstellungen von Rittern und Schwertkämpfern über dem Tor bewiesen wurde. "Seit über eintausendfünfhundert Jahren liegt sie hier und überdauert Reiche, Kriege und Schlachten..." Zeliarina war beeindruckt. Staunend folgte sie ihrem Begleiter weiter durch das Tor in einen großen, quadratischen Innenhof mit einem prunkvollen Brunnen in der Mitte. Er war noch intakt und auf seinem Rand saßen ein Junge und ein Mädchen, die kaum zehn Jahre alt sein konnten. Beide unterhielten sich ausgelassen. Als Zeliarina an ihnen vorbeiging, warfen sie ihr interessiert Blick zu. Pendrian schob ihren Schützling lächelnd durch eine Tür ins Innere des Gebäudes und führte sie über mehrere verwirrende Treppen und Gänge in einen der hohen Türme. Dort fanden sie sich vor einer Zimmertür wieder. "Du teilst dir dein Zimmer mit Melissa. Sie ist sehr nett und kommt aus Deutschland." "Deutschland?", wiederholte Zeliarina verwirrt. Pendrian nickte. "Die Lancelor sind international. Falcaniar und diese Insel sind den Länderregierungen vollkommen unbekannt. Wir sind unabhängig von allen. Dadurch kann jeder zu uns kommen, ganz gleich von wo er stammt, solange er hier leben möchte. Aber keine Angst, Melissa spricht fließend englisch." Der Lancelor wollte nach seiner Erklärung an die Tür klopfen, doch noch bevor er es getan hatte, drang eine Stimme aus dem Zimmer: "Jetzt kommt schon rein, ich kann euch sehen!" Pendrian lachte und öffnete die Tür. Auf einem der zwei gemütlichen Betten, die in dem kreisrunden Zimmer standen, saß erwartungsvoll ein fünfzehnjähriges Mädchen mit langen, weinroten Haaren. Sie trug eine schwarze Dreivierteljeans und ein dunkelblaues Top ohne Ärmel. "Darf ich vorstellen? Melissa Westphal. Sie hat ein Silberauge." Das Mädchen hob begrüßend die Hand. Ihr rechtes Auge war tatsächlich silbern, obwohl das linke eine eisblaue Farbe hatte. Doch wie hatte sie es geschafft damit durch die Tür zu sehen? "Und das hier ist Zeliarina Heartstrong. Wir müssen erst herausfinden, was ihre Talente sind, doch solange wird sie deine Zimmergenossin sein, Melissa." "Das ist toll!", rief Melissa glücklich. "Es wurde langsam echt langweilig hier. Komm schon, du kannst deine Sachen dort reinpacken", meinte sie mit einem Fingerzeig auf den großen leeren Schrank neben dem freien Bett. "Und danach zeige ich dir alles! Woher kommst du?" "Ich sehe schon, dass ich hier überflüssig bin", lachte Pendrian belustigt. "Morgen werden wir nach dem Frühstück einige Tests machen, Zeliarina. Danach bekommst du deinen Mentor zugeordnet." Und schon schloss sich die Tür hinter dem Lancelor. Melissa schien ihm mit ihrem Silberauge noch eine Weile zu folgen, ehe sie sich aufgeregt ihrer neuen Zimmergenossin zuwandte. "Du heißt also Zeliarina...ziemlich ungewöhnlicher Name." Obwohl sie aus Deutschland stammte, konnte Zeliarina nicht den Ansatz eines Akzents erkennen. Sie nickte. "Meine Mutter hat ihn mir gegeben. Ich weiß auch nicht, wie sie darauf kam." "Zeliarina war vielleicht eine der größten tatsächlich existierenden Hexen der Neuzeit. Es ist ein Name mit großer Bedeutung und sehr bekannt", erklärte Melissa. Zeliarina machte große Augen. "Woher weißt du so etwas?" "Ich habe die Ausbildung mit meinen Fähigkeiten hinter mir und versuche nun ein Lancelor zu werden. Als Anwärter lernt man viele Dinge von den übernatürlichen Wesen dieser Erde, ihrer Feinde und ihrer Geschichte. Man muss für die unterschiedlichen Aufträge eines Lancelor bestens gerüstet sein." Zur Erläuterung zeigte das Mädchen mit dem Silberauge eines der Bücher, die überall auf ihrem Bett verstreut lagen: ,Bekannte Techniken der Magie'. "Die Lancelor verfassen diese Bücher selbst für ihre Leute." "Was für Aufträge machen die Lancelor?", fragte Zeliarina wieder. Melissa schüttelte langsam den Kopf. "Es steht Anwärtern nicht frei mit Neuen darüber zu reden, tut mir Leid. Sicher erzählt einer der Palas, die Lancelor des ersten Ranges, dir bei deiner Untersuchung davon." Mit plötzlichem Enthusiasmus warf Melissa ihr Buch zurück aufs Bett und sprang auf. "Und jetzt los, Falcaniar ist groß! Wir wollen noch bis zum Abendessen alles gesehen haben!" Es ist merkwürdig, wie stark manche Erinnerungen im Gedächtnis haften bleiben. Obwohl meine erste Begegnung mit Melissa schon über zwei Jahre hinter mir liegt, erinnere ich mich noch genau an ihre langen roten Haare, auf denen sich das Licht brach, an ihr fröhliches Lächeln und sogar an das Parfüm, das ganz schwach und lieblich im Raum hing. Doch das wohl Markanteste an ihr war sicher das Silberauge, mit dem sie durch alles sehen konnte, egal ob Stein oder Erde oder Fleisch. Oft haben wir das genutzt, um uns unbemerkt durch Falcaniar zu schleichen und ein bisschen Pudding aus der Küche zu stibitzen. Damals waren die Zeiten so schön. Melissa zeigte mir begeistert die ganze Burg: den Innenhof mit dem Brunnen, die Schlafräume der Mitglieder, die sich je nach Rang irgendwo anders befanden, den großen Speisesaal, die Aufenthaltsräume, die Duschen mit ihren kunstvollen Fließen und Wandmosaiken, die vielen unterschiedlich ausgerüsteten Trainingsräume und die große Umgebung der Insel mit ihrem Strand und den beeindruckenden Felsklippen. Von Melissa erfuhr ich auch den Namen des Gründers des Lancelor-Ordens: Lancelot. Auch ich hielt es zunächst für einen Witz, doch es handelte sich tatsächlich um den legendären Ritter Lancelot aus unzähligen Geschichten, denn die Tafelrunde und Arthur existierten wirklich. Nur ihre Abenteuer wurden von Erzählern so sehr verzerrt, dass kaum etwas aus der Legende den richtigen Tatsachen entspricht. Diese Erkenntnis führte wohl dazu, dass ich begann den unzähligen Mysterien und der Magie der Welt Glauben zu schenken. Es gab soviel, dass ich nicht verstand. So auch den völlig skurrilen Test, den man am nächsten Tag mit mir machte. Zeliarina fühlte sich äußerst unwohl. Sie lag auf einer Art Krankenhauspritsche und war an mehrere Geräte angeschlossen, als befände sie sich auf der Notambulanz. Um sie herum hantierten drei Lancelor. Einer von ihnen war die junge Ärztin Fossil, die die summenden und piepsenden Geräte, die offenbar Informationen ausspieen, analysierte, während die beiden anderen Zeliarina Fragen stellten und die Antworten notierten. "Du heißt also Zeliarina Heartstrong, bist fünfzehn Jahre alt und 1,68 groß. Gewicht: 55 Kilo. Blonde, schulterlange Haare, grüne Augen und stark helle Hautfärbung." Außerdem fügte der jüngste von ihnen, maximal zwei Jahre älter als Zeliarina, nach einem Blick auf ihre Hand hinzu: "Merkwürdige Symbole auf dem Rücken der rechten Hand. Vielleicht Insignien der alten Hexen." "Seit wann hast du sie?", fragte der andere freundlich. "Schon immer..." Zeliarina mochte diese Symbole nicht sonderlich, denn für sie waren sie ein Zeichen, dass sie nicht normal war. Außerdem sahen sie aus wie die Verzierungen auf einer Elfenrüstung eines billigen Fantasyromans. "Das ist interessant", rief Fossil, "Ich verzeichne an dieser Hand ungewöhnlich starke magische Konzentrationen...und elektrische Spannungen...doch diese sind überall in ihrem Körper..." "Also eine Donnerhexe?", fragte der Junge stirnrunzelnd. Fossil nickte langsam. "Das könnte durchaus sein. Miss Heartstrong, hattest du je irgendwelche merkwürdigen Zwischenfälle, bei denen Elektrizität eine Rolle spielte?" Zeliarina nickte. "Ich habe einen Blitz in unsere Scheune einschlagen lassen..." "Dann ist alles klar. Wir hatten lange keine Elementarhexe mehr auf Falcaniar. Wir werden wohl Dunkan als deinen Mentor aussuchen, er hat Erfahrung damit." Erleichtert wurde Zeliarina von den vielen Geräten gelöst und durfte den Untersuchungsraum verlassen. An der Tür wartete schon Melissa, die mit ihr zum Mittagessen ging. Bereits am Nachmittag wurde Zeliarina in den Übungsraum 3 geschickt, wo ihr Lehrer auf sie wartete. John Dunkan war ein großer Mann in den jungen Zwanzigern mit einem hübschen Gesicht und strohblonden Haaren. Um seinen Oberarm trug er ein dunkelblaues Band mit weißen Zeichen, so wie Zeliarina es schon bei vielen Lancern gesehen hatte. "Hallo Miss Heartstrong. Ich habe also endlich einmal wieder die Ehre jemanden auszubilden." Sein Lächeln wirkte auf sie vom ersten Augenblick an sympathisch. "Ich habe gehört sie sind eine Donnerhexe. Es ist lange her, dass ich einen Schüler mit solchen Kräften bei mir hatte, denn diese Gabe ist selbst bei Übersinnlichen sehr selten. Es wird eine Weile dauern, bis sie mit ihren Fähigkeiten umgehen können, doch in bin zuversichtlich. Nach meiner Ausbildung wird es ihnen nie wieder passieren, dass ein Blitz in ihre Scheune einschlägt...außer sie wollen es..." Zeliarina errötete etwas unter seinem wissenden Lächeln. "Ähm...ich hätte vorher noch eine Frage, Mister Dunkan." "Nur Dunkan, bitte. Dies hier ist keine Schule wie du sie kennst und ich bin auch nicht wirklich dein Lehrer, sondern eher ein Freund, der dir unter die Arme greifen wird." Mit verschränkten Armen setzte er sich auf den großen Mahagonitisch hinter ihm und deutete seiner Schülerin einen Stuhl zu. "Also stelle ruhig immer deine Fragen, wenn dir danach ist..." Zeliarina nickte, ehe sie die Frage aussprach, die sie schon seit ihrer Ankunft nervös machte: "Ich will den wahren Zweck der Lancelor erfahren. Mister Pendrian hat mir gesagt, dass hier die Leute nur ausgebildet werden, um sie als potenzielle Mitglieder anzuwerben...für Aufträge..." Dunkan seufzte kurz und strich sich durch das kurze Haar. Seine freundlichen Züge waren für einen Augenblick von einem namenlosen Schatten durchzogen, so wie Zeliarina es bereits bei Pendrian gesehen hatte. "Das ist richtig, Miss Heartstrong. Ich muss zugeben, dass es tatsächlich darauf hinausläuft. Die Aufträge unseres Ordens sind sehr weit gefächert, doch sie befassen sich alle mit übernatürlichen Geschehnissen, bei denen normale Menschen überfordert sind. Es begann bereits zu der Zeit unserer Gründung, zu der Zeit von Lancelot, dass Britannien und andere europäische Länder häufig angegriffen wurden...von dunklen Kreaturen wie Teufeln oder Dämonen...Deswegen wurde dieser Orden gegründet und deswegen sind wir hier: Zum Wohle der Menschheit beseitigen wir Wesen der Finsternis..." "Es gibt keine Dämonen!", protestierte Zeliarina voreilig. Dunkan lächelte mild. "Sicher ebenso wenig, wie es Hexen gibt, nicht wahr Miss Heartstrong?" Für einen Moment verschlug es dem Mädchen vollkommen die Sprache. Irgendwie schien alles, was sie je für Märchen und Fantasie gehalten hatte, wahr zu werden. Dämonen? Es bereitete ihr eine Gänsehaut, wenn sie sich vorstellte, dass es tatsächlich solche Albtraumgestalten gab. "Und da viele dieser Dämonen über enorme Kräfte verfügen, brauchen wir ebenso begabte und fähige Mitglieder, die es durch ihre Kräfte mit ihnen aufnehmen können", erklärte Dunkan sachlich. Als er sah, wie jegliche Farbe aus Zeliarinas Gesicht wich, fügte er noch hinzu: "Aber wie gesagt sind dir jegliche Freiheiten gegeben. Sobald du deine Kräfte beherrscht, hält dich hier niemand. Du darfst gehen wohin du willst und zu wem du willst, du kannst tun was du willst." Schwungvoll stieß sich der junge Lancelor von dem Tisch ab. "Es ist wichtig, dass du dich nur auf das konzentrierst, was wir jetzt machen, okay?" Zeliarina nickte noch immer etwas betäubt und begann mit dem Training. Am Anfang kam sie sich dabei ziemlich albern vor, da sie mehrere merkwürdige Entspannungsübungen machen musste. Sie sollte die magische Kraft in ihrem Körper zirkulieren lassen und sie dann in ihrer Hand zusammen mit der elektrischen Spannung, die dort angeblich vorlag, zu Energie schmieden. Genauso gut könnte man jemanden sagen, dass er mit den Ohren wackeln soll, obwohl er es nicht kann. Nach einer halben Stunde hatte Zeliarina es immerhin geschafft, dass ihre Handfläche von der Ladung ein wenig kribbelte, doch mehr passierte nicht. Schließlich brach Dunkan das Training ab und beschwichtigte sofort die Enttäuschung, die sich offen auf Zeliarinas Gesicht abzeichnete. "Magie ist ein schwieriger Prozess, du wirst es nicht von heute auf morgen lernen. Es ist, als ob man einen Muskel bewegt. Man tut es einfach, ohne erklären zu können wie. Glaube mir, du kommst noch dahinter..." Mit diesen Worten entließ ihr Mentor sie. Zeliarina machte sich ein wenig niedergeschlagen auf den Weg zu ihrem Zimmer hoch im Turm. Auch Melissa war da. Sie brütete wieder über ihren Lehrbüchern für die Lancelor-Ausbildung. Auf einem stand tatsächlich: ,Enzyklopädie der Dämonen'... "Gibt es tatsächlich so viele Dämonen auf der Welt?", fragte Zeliarina mit einem erstaunten Blick auf den dicken Wälzer. Melissa las ungestört weiter, während sie kaum merklich die Schultern hob. "Ich glaube es sind auch ein paar ausgestorbene Arten drin, aber eigentlich schon..." "Dunkan hatte Recht", meinte Zeliarina seufzend, als sie sich auf ihr eigenes Bett warf und alle Viere von sich gestreckt an die Decke starrte. Sie war gerade dabei in Gedanken zu versinken, als sich Melissa schlagartig über sie beugte. "Sag bloß, Dunkan ist dein Mentor!" Zeliarina nickte bloß. "Das ist doch nicht zu fassen, hast du ein Glück! Das ist wohl der beste Meister, den man sich überhaupt vorstellen kann!" Ihre verschiedenfarbigen Augen funkelten begeistert. Zeliarina runzelte nur die Stirn. Dann lächelte sie aber ein wenig. "Vielleicht..." In den nächsten Tagen hielt sich Zeliarina fast ununterbrochen mit John Dunkan im Übungsraum 3 auf und arbeitete an ihren Fähigkeiten. Es war schwierig, anstrengend und zeitaufwendig, doch nach und nach konnte man einen zunehmenden Unterschied bemerken. Nach einer Woche hatte Zeliarina es geschafft, genug magische Energie und Elektrospannung in ihrer Hand zu sammeln, dass sie den Leuten gezielte Stromschläge verpassen konnte. Natürlich war das nur ein kleiner Schritt bis zur endgültigen Beherrschung ihrer Kräfte, doch es machte sie trotzdem ein wenig stolz, als Dunkan ihr die Hand reichte und sofort wieder losließ, als hätte er sich verbrannt. Nach kurzer Überraschung stimmte er mit in das Lachen ihrer Schülerin ein. "Das war gut, sehr gut...ein bisschen gemein seinen Mentor mit einem Stromschlag zu attackieren...auf der anderen Seite eine tolle Leistung, wirklich! Meine anderen Schüler haben viel länger gebraucht, um so etwas zu schaffen. Von jetzt an musst du nur noch trainieren und trainieren, um eine stärkere Intensität zu erlangen." Grinsend und kopfschüttelnd rieb sich Dunkan die Hand. "Ich denke, wir können heute mal früher Schluss machen. Es ist so ein schöner Tag...Vielleicht solltest du mit Melissa an den Strand gehen..." "Oh, wirklich?! Vielen Dank!" Glücklich lachend wollte die Hexe ihrem Mentor die Hand geben, doch dieser wehrte diesmal gewarnt ab. Zeliarina lachte nur noch mehr darüber und umarmte Dunkan stattdessen fröhlich, ehe sie schnell wie der Wind aus dem Übungsraum verschwand. "Sie hat soviel Talent", murmelte der Lancelor leise, "soviel Talent..." Seine Schülerin war längst in das Turmzimmer hoch gerannt, ohne sich in den wirren Gängen Falcaniars zu verirren, und unterbreitete Melissa den Vorschlag. Auch sie schien von der Idee sehr begeistert, also packten die beiden Mädchen schnell Badesachen und ein bisschen zu essen ein, bevor sie aus der Feste rannten. Da Zeliarina soviel mit ihrem Training zu tun hatte, war sie zum ersten Mal seit ihrer Ankunft wieder an dem wundervollen Strand der Ostküste. Ein breiter Streifen aus makellosem, weißem Sand breitete sich über die halbmondförmige Bucht. Das Wasser, grünblau und kristallklar, rauschte in sanften Wellen heran. "Irgendetwas stimmt hier nicht!" Melissas Stimme klang vor Angst ganz schrill und riss Zeliarina sofort aus ihrer träumerischen Starre. Die Donnerhexe konnte nichts Ungewöhnliches erkennen, doch sie vertraute den Fähigkeiten ihrer Freundin mit dem Silberauge. Auch ihr lief es schlagartig kalt den Rücken runter. Der Wind, der vorher so erfrischend wirkte, schnitt jetzt unangenehm über ihr Gesicht. "Woher weißt du das?" "Ich sehe drei nicht menschliche Gestalten. Eine versteckt sich in einem der Boote am Steg, die anderen beiden sind unter Wasser." Die silberfarbene Iris von Melissas rechtem Auge blitzte im Sonnenlicht auf. Zeliarina krallte die Hände in den Stoff ihrer Hosen und schluckte hart, denn das Gefühl an der schrecklichen Spannung zu ersticken war fürchterlich. "Was tun wir jetzt?", wisperte sie leise, ohne ihre Freundin anzusehen. Melissas Züge wurden hart wie Stein. "Kaum zu glauben, dass es Dämonen schon wagen bis nach Falcaniar vorzudringen...Es wimmelt hier doch von Lancelors..." Möglichst unauffällig ließ sie ihre Hand in ihre Tasche wandern und wühlte vorsichtig nach ihrem Handy. Zeliarina spürte, dass es nun wichtig war auf keinen Fall das Misstrauen der Lauernden zu erregen, also lachte sie kurz gekünstelt und redete leise weiter: "Bitte, mach schnell..." "Ist ja gut", zischte Melissa nicht weniger nervös. Endlich fand sie ihr Mobiltelefon, zog es elegant hervor und tippte eine Nummer ein. Sie hatte jedoch kaum drei Ziffern eingegeben, als zwei Wesen unter einer aufspritzenden Fontäne aus dem Wasser brachen. Wenn man davon absah, dass sie gut drei Meter hoch gesprungen waren, hätte man sie fast für Menschen halten können. Auch der Dritte stürmte jetzt kreischend aus seinem Versteck. Zeliarina sah angewidert und angsterfüllt ein drittes Auge, das sich auf der Stirn jedes Untiers befand und wie die zwei anderen rot glühte. "Tryclonns...", zischte Melissa zornig. "Lauf!" Zeliarina nahm sofort die Beine in die Hand. Hinter sich hörte sie skurriles und abstoßend unnatürliches Gekreische aus grausamen Kehlen. Es kam rasch näher. "Melissa, sie sind viel zu schnell! Es ist noch soweit bis Falcaniar, das schaffen wir nie!", rief Zeliarina den Tränen nah. In diesem Augenblick hätte sie wohl alles gegeben, um wieder Zuhause in ihrem Bett zu sein. In ihrem Nacken waren die trampelnden Schritte der Dreiaugen und ihr Geschrei, das einem die Todesangst einflösste. Nur Melissa, die immer neben ihr war, auch wenn sie wohl schneller rennen könnte, machte ihr ein Fünkchen Mut. Sie nickte verbissen. "Ich weiß, das schaffen wir nicht...aber es gibt das Hügelgrab auf halbem Weg. Dort können wir uns verstecken..." Mit einem trockenen Lachen gab sie weiter die Nummer in ihr Handy ein, während sie einen kurzen Blick nach vorne warf. "Dort ist es schon! Es ist zwar verboten, aber hier geht es um Leben und Tod!" Zeliarina hetzte hechelnd hinterher. Die Angst spornte sie zu Höchstleistungen an, sodass die Wölbung auf der Grasfläche rasch näher kam. Ein kreisrundes Loch gab den Weg in das Hügelgrab frei. Melissa hatte es bereits erreicht, riss die lockeren Bretter, die den Eingang versperrten, grob weg und machte mit hektischen Bewegungen klar, dass sich Zeliarina beeilen sollte. Die Tryclonns hatten sie fast erreicht. "Lauf schon! Lauf! Lauf!!!" Endlich erreichte die Donnerhexe keuchend das Hügelgrab. Melissa stieß sie unsanft ins Innere, ehe sie die schwere Eisentür hinter den Holzbrettern hinter ihnen zustieß. Kaum drei Herzschläge später krachten mehrere Fäuste ohrenbetäubend gegen das alte Metall. Es knarrte, doch die Tür hielt. "Erstmal sind wir sicher!", schnaufte Melissa über den Lärm der rasenden Dämonen hinweg. Zeliarina konnte nicht antworten. Vor Erschöpfung knickten ihre Beine ein. Sie taumelte kurz, fiel schwer auf die Knie und legte sich schließlich sogar ganz hin. Unter ihrer erhitzten Haut fühlte sich der kühle sandige Boden an wie ein Himmel auf Erden. "Was...zum Teufel...war...das?" "Tryclonns. Es sind niedrige Dämonen ohne viel Verstand, doch ihre Klauen und Zähne sind verflucht scharf." In der Dunkelheit konnte Zeliarina das Gesicht ihrer Freundin nicht sehen, doch sie spürte das düstere Lächeln beinahe. "Die Lancelor werden sie zur Hölle jagen. Ich sollte endlich Hilfe rufen..." Zur Erleichterung der beiden hatten sie in diesem Hügel Empfang. Zeliarina wusste nicht, mit wem sich Melissa unterhielt, doch offensichtlich war es ihr Mentor. Als sie auflegte, hatten sich die Augen der Donnerhexe genug an die Finsternis gewöhnt, um ihr zufriedenes Gesicht zu sehen. "Sie kommen jeden Augenblick..." Ihre Worte wurden unterlegt von einem schrecklichen Schmettern. Die Tür knarrte wieder und Erde rieselte von der Decke. Man konnte nur hoffen, dass die Lancer tatsächlich schnell kommen würden. Melissa schien sich darüber keine Gedanken zu machen. Sorglos entzündete sie eine der in der Wand steckenden Öllampen mit ihrem Feuerzeug. "ich frage mich echt warum diese Höhle verboten..." Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Völlig aufgelöst und stotternd deutete sie auf etwas hinter Zeliarinas Rücken. Die Donnerhexe erhob sich verwirrt. Ihre schulterblonden, blonden Haare hingen ihr verdreckt und strähnig im Gesicht, so dass sie nicht sofort entdeckte, was Melissa meinte. Doch schließlich weiteten sich auch ihre Augen voller Entsetzen...denn an der Wand hing ein Junge. Zeliarina schätzte ihn auf etwa achtzehn. Seine Hände waren ihm über dem Kopf mit Ketten zusammengebunden, zahllose Lederriemen hielten seine Arme zusammen. Auch die Beine wurden mit Fesseln zur vollkommen Bewegungsunfähigkeit verdammt. Man konnte kaum noch den merkwürdigen schwarzen Mantel, den er trug, erkennen, so viele Riemen wanden sich um seinen Körper. Nur das Gesicht war frei, doch seine pechschwarzen Haare hingen ihm weit über die Augen. "W-wer tut so etwas Schreckliches?", flüsterte Zeliarina vollkommen in den Bann gezogen. Sie erkannte nur noch diesen gefangenen Menschen, nicht Melissa und auch nicht das Trommeln und Kratzen furchtbarer Dämonenklauen. Dann traf sie ein weiterer Schlag. Ein wunderschönes Schwert steckte tief in seinem Leib wie ein silberner Splitter. Es funkelte selbst unter den vielen dunklen Blutspritzern unnatürlich hell. "Deswegen ist dieser Ort verboten. Es ist sein Grab", hauchte Melissa fassungslos, "wie können die Lancelor davon wissen...und ihn hier so hängen lassen?" Sie machte eine hilflose Geste und schüttelte den Kopf, während Zeliarina vor Ekel krampfhaft würgte, ohne sich zu übergeben. Schweiß stand ihr in feinen Tropfen auf der Stirn. "Ich muss hier raus...ich muss hier raus..." Der Leichnam schien sie zu beobachten, als sie erneut zu Boden fiel. Heiße Tränen rannen ihr über die blassen Wangen und perlten von ihrem Kinn auf den sandigen Boden ab. "Wie kann man nur...ich muss...raus..." Aufgelöst quälte sich Zeliarina auf die Füße. Sie stolperte vor Tränen fast blind auf die bebende Eisentür zu, doch auf dem Weg wurde sie von Melissa aufgehalten, die sie in den Arm nahm. "raus...wie...kann man nur...ich..." Die Hexe nahm kaum noch etwas wahr außer den tröstenden Worten ihrer Freundin, auch wenn sie an ihr sinnlos abprallten. Nichts konnte dieses ungeheure Vergehen gutmachen, diese Tat, die jemand begangen hatte. Der Gedanke machte ihr fast noch mehr Angst als die unheimlichen Dämonen vor der Tür. "Gleich kommen die Lancelor und holen uns raus...glaub mir, sie kommen gleich..." Sprach Melissa diese Worte für sie oder tröstete sie sich selbst? Alles drehte sich vor Zeliarinas Augen, schwarze Punkte tanzten in ihrem Sichtfeld, Farben verschwammen. Sie versank beinahe in der Bewusstlosigkeit, als plötzlich die Tür zerschmettert aus den Angeln gehoben wurde. Mehrere Metalltrümmer der einzigen Barriere gegen die Dämonen flogen durch die Luft. "Und jetzt?", schrie Zeliarina starr vor Angst, die geweiteten Augen panisch auf die Tryclonns gerichtet, die brüllend eintraten. "Fleisch! Frischfleisch!", jauchzte einer von ihnen dümmlich. Seine drei roten Augen brannten in der schwach erleuchteten Höhle wie brennende Kohlen und beleuchteten den Geifer, der aus seinem Maul troff. Seine Zähne waren spitz wie scharfe Messer. "Fleisch! Fleisch! Fleisch!" Seine zwei Artgenossen stimmten schaurig lachend in den Singsang ein. Melissa und Zeliarina wichen in Todesangst an die Wand zurück, auch wenn das hieß, dass sie sich genau neben der aufgespießten Leiche befanden. Von Widerwärtigkeit geschüttelt presste sich Zeliarina so nah es ging an die lehmige Innenseite des Hügels. "Weg, ihr Untiere! Haut ab! Verschwindet!", kreischte sie schrill. Die Tryclonns lachten nur noch lauter und leckten sich die dünnen Lippen. "Fleisch redet dumm! Wir töten euch!" "Nein!", brüllte Zeliarina in all ihrer Verzweiflung. Zitternd tastete sie suchend nach irgendetwas, was sie gegen die Dämonen richten konnte, irgendetwas zum Verteidigen. Tatsächlich schloss sich ihre Hand um etwas kaltes Metallisches. Das Schwert! Die Donnerhexe überwand all ihre Abneigungen und riss die Klinge schmatzend aus dem gefesselten Leib. Sofort zögerten die Dreiaugen. Ihre Blicke wanderten zwischen dem Jungen an der Wand und der funkelnden Waffe hin und her. Dann lachten sie jedoch wieder. Zeliarina schrie vor Zorn auf und schwang das schwere Schwert in einem unförmigen Bogen, doch sie traf statt der Dämonen nur die erdige Wand. Ein Tryclonn sprang sofort vor, um ihr die Waffe zu entreißen. Sie wollte wieder nach ihm schlagen, doch der Dämon schlug ihr bereits die Klinge klirrend aus der Hand und versetzte ihr mit seiner Kralle einen schmerzhaften Hieb, der ihre Kleidung an der Hüfte vollkommen zerfetzte. Warmes Blut lief sofort über ihre Haut, ehe sie zu Boden stürzte. Der Tryclonn beugte sich über sie und riss ihren Kopf grob an den blonden Haaren in die Höhe. Zeliarina schrie auf. "Dummes Kind! Stirb!" Das Dreiauge formte seine Hand zu einer tödlichen, scharfen Klaue. Entsetzt kniff die Donnerhexe die Augen zusammen, während der Schmerz an ihrer Kopfhaut sie um den Verstand brachte. Melissa schrie von irgendwo, doch Zeliarina war bereits dabei mit ihrem Leben abzuschließen. Jeden Augenblick würde sich die Kralle in ihren Hals bohren... Nichts. Verwirrt öffnete Zeliarina wieder ihre Augen. Der Dämon sah sie nicht mehr an, sondern starrte mit allen drei roten Augen entsetzt an die Wand, an der der Junge hing. "Blutträne..." Ketten rasselten. Nun blickte auch Zeliarina auf zu dem Toten...und hielt nun nichts mehr für wirklich. Der Junge hatte die Augen geöffnet und bewegte sich leicht unter seinen Fesseln. "Wer...weckt mich...?", flüsterte er schwach. Seine schwarzen Haare warfen dunkle tanzende Schatten auf sein Gesicht und ließen ihn traurig, aber auch unheimlich wirken. "Wer...stört mich...?" Die dunklen Augen in seinen Höhlen wanderten langsam über die Leute, die sich in dem Hügelgrab befanden, ehe sie sich vor Kummer schlossen. "Das Sternenschwert..." Zeliarina sah verunsichert auf die glitzernde Klinge in der Ecke und bereute bereits es geführt zu haben. Die Augen des Jungen verengten sich zu düsteren schmalen Schlitzen. "Dämonen...legen Hand an...das Sternenschwert...? Wie...töricht..." Einer der Tryclonns wollte davonrennen, doch der Junge zerriss plötzlich mit nur einer Bewegung alle Lederriemen und Ketten, die seine Arme zusammengebunden hatten. Noch ein Ruck und auch die Beine waren frei. "Kein Niederdämon... berührt...das Sternenschwert..." Zeliarina sah nur noch, wie der eigentlich Tote los stürmte, dann ging alles für sie viel zu schnell. Melissa schien mit ihrem Silberauge halbwegs folgen zu können, doch die Donnerhexe sah den Jungen nur als schemenhaften Schatten, der durch die Höhle jagte. Dann sah sie drei Schläge, hörte ein Gurgeln und spürte, wie schwarzes Blut ihr Gesicht besprenkelte. Die drei Tryclonns lagen als dunkle Umrisse in der Finsternis tot am Boden. "Wer...bist du...?", wisperte Zeliarina immer noch völlig verängstigt, als der Junge mit dem Rücken zu ihr stand, die Hände bis zu den Gelenken besudelt. Er wandte ihr seinen Kopf zu. "Man nennt mich Dymeon..." Er seufzte. "Dymeon...der Dämon mit den Bluttränen..." In diesem Moment, als ich die von unendlicher Trauer getränkte Stimme des Jungen hörte, der sich selbst einen Dämon nannte, verschwand meine Angst einfach. Ich weiß nicht warum, doch das klebrige Blut an seinen Fingern und die Emotionslosigkeit, mit der er getötet hatte, konnten mich einfach nicht erschrecken. Und noch während Melissa misstrauisch Abstand hielt, spürte ich bereits, dass sich das Schicksal des Erwachten unzertrennlich mit meinem verbunden hatte... Kapitel 2: Das Schicksal ein Lancelor zu sein --------------------------------------------- Kapitel II - Das Schicksal ein Lancelor zu sein "Man nennt mich Dymeon...Dymeon...der Dämon mit den Bluttränen..." Noch bevor irgendjemand etwas Weiteres sagen konnte, hörte man lautes Fußgetrappel vor dem Hügelgrab. Mehrere Lancelor in Kampfkleidung kamen mit entsicherten Pistolen in den unterirdischen Raum gestürmt und richteten die Läufe aktionsbereit auf den vollkommen ruhigen Dämon, von dessen Händen noch immer das schwarze Tryclonnblut tropfte. "Keine Bewegung, Dämon!", schrie ein Palas, ein Mitglied des ersten Ranges, in strengstem Befehlston. Er trug eine schwarze Hose und eine weiße Weste mit unzähligen Taschen über schwarzem Shirt. Um seine Hüfte wand sich ein ebenfalls weißer Gürtel, an dem weitere Halfter und Taschen für die benötigte Ausrüstung hingen. Wie fast alle Lancelor besaß er auch noch das nachtblaue Band mit den schneeweißen Symbolen, das um sein Handgelenk gebunden war. "Keine Bewegung!!!" Auch wenn der Palas nichts gesagt hätte, wäre Dymeon vermutlich an Ort und Stelle stehen geblieben. Seine dunklen Augen flackerten kühl, als er die Lancelor anblickte. Schließlich hielt Zeliarina die knisternde Spannung, die sich jeden Augenblick entladen konnte, nicht mehr aus und stellte sich entschlossen zwischen den Jungen und die Bewaffneten. "Hört auf, er hat nichts getan! Im Gegenteil, er hat uns sogar gerettet!" "Tritt zur Seite, Miss Heartstrong! Diese Angelegenheit liegt nun nicht mehr in deinem Bereich! Eigentlich hättet ihr beide niemals herkommen dürfen!", meinte nun Pendrian, der mit ernstem Gesicht neben dem Palas stand. Zum ersten Mal konnte man bei Dymeon eine kurze Gefühlsregung erkennen. "Peter...", lächelte der Dämon leicht spöttisch, "du siehst älter aus...Wie lange habe ich geschlafen? Zwanzig Jahre?" "Fünfundzwanzig", berichtigte Pendrian ungerührt. Er schob Zeliarina nicht grob, aber bestimmt zur Seite und richtete seine Waffe genau zwischen Dymeons dunkle Augen. Der Dämon lächelte leicht, so dass seine makellos weißen, leicht spitzen Zähne aufblitzten. "Und du bist immer noch einer vom zweiten Rang, Peter?" "Schweig!" Zornig riss Pendrian einmal an seiner Waffe und entsicherte sie so. Der schwarz lackierte Lauf glitzerte im Schein der Fackeln. "Verdammt, Dymeon, du hättest einfach in dem verdammten Bann des Schwertes bleiben sollen!" "In dem Bann, den du mir auferlegt hast?", fauchte der Dämon zurück. Er hatte sich noch immer nicht gerührt, doch er strahlte eine bedrohliche Aura aus, die die Lancelor zurückweichen ließ. Nur der Palas und Pendrian blieben ungerührt stehen. "Kein Dämon darf frei auf der Welt herumlaufen! Es war richtig dich zu versiegeln!", schrie Pendrian wütend. Sein gegerbtes freundliches Gesicht verwandelte sich in eine abstoßende Grimasse. "Du hattest noch nie eine Ahnung von den Dingen, die sich im Untergrund tun! Diese Menschen waren besessen, ich musste sie töten!" "Lüge! Du warst im Blutrausch!", brüllte Pendrian mit hochrotem Gesicht. Völlig außer sich nahm er die Pistole in beide Hände, um sein Zittern zu unterdrücken und drückte ab. Melissa und Zeliarina schrieen auf, als sich die Kugel schmatzend in Dymeons Brust bohrte. Ein Ruck ging durch den Körper des Dämons. Er taumelte kurz, fiel jedoch nicht zu Boden. Seine Miene veränderte sich gar nicht. "Mit Runenmunition, Peter? Ich bin doch kein niedriger Tryclonn..." "Schweig!", schrie Pendrian wieder. Einer der Lancelor legte ihn zur Beruhigung die Hand kameradschaftlich auf die Schulter, doch Pendrian schlug sie grob weg. Rasend sprang der Lancelor zweiten Grades auf das Silberschwert in der Ecke zu, ergriff es und stürmte damit auf Dymeon zu. Der Dämon wich dem Stich jedoch durch eine geschickte Hüftdrehung so aus, dass er Pendrian direkt ins Gesicht starrte. "Ich lasse mich nicht noch einmal einfangen..." Schnell wie der Blitz rannte er zwischen der Gruppe Lancelor hindurch. Als er am Ausgang angelangt war, deutete er mit seinem Finger kurz auf Zeliarina. "Hab Dank, Mädchen...Lebe wohl..." Dymeon tippte sich noch einmal kurz an die Stirn, dann rannte er weg. Noch während Zeliarina ihm sprachlos hinterher blickte, wurde sie von Pendrian mit grober Gewalt am Handgelenk gepackt. "Komm mit, Miss Heartstrong!" Der Lancelor schleifte sie den ganzen Weg bis zu Falcaniar hinauf hinter sich her und stieß sie in einen Raum, den sie in der ganzen Aufregung nicht erkannte. Zu ihrer Überraschung sah sie sich John Dunkan gegenüber, der unkonzentriert an der Holzarbeit eines historischen Segelschiffes arbeitete. Als die beiden eintraten, ließ er seine Bastelei sofort liegen und stand auf. "Miss Heartstrong! Ein Glück, dass nichts passiert ist! Melissas Mentor hat mir alles erzählt. Wenn ich gewusst hätte, dass Dämonen am Strand gewesen wären, hätte ich euch nie vorgeschlagen dorthin zu gehen!" "Also hast DU sie zu Unterrichtszeiten gehen lassen, John?", schnaufte Pendrian anklagend. Dunkan nickte ganz selbstverständlich und schenkte Zeliarina ein kurzes Lächeln. "Meine Schülerin machte so gute Fortschritte, dass ich es für richtig hielt ihr ein wenig Zeit zum Entspannen zu geben. Beklag dich nicht, Peter...es ist doch alles gut gegangen..." "Er ist erwacht!", schleuderte Pendrian seinem Kollegen zusammenhangslos entgegen. Dunkan verstand sofort, Zeliarina erkannte es an der Art, wie seine hellen Augenbrauen kurz zuckten. Trotzdem bewahrte er eine ähnliche, kühle Ruhe wie Dymeon sie gehabt hatte, so dass man nicht aus seinem Gesicht lesen konnte, ob er darüber wirklich so bestürzt war. "Nun, hat Dymeon jemanden angegriffen? Ich denke nicht, dass er eine große Gefahr darstellt. Auch seine damalige Versiegelung halte ich bis heute für unnötig..." "Du misstraust meinem Urteil?! Ich sah mit eigenen Augen, wie er ein ganzes Dorf auslöschte!" "Ich sage nur", widersprach Dunkan sanft, "dass es damals gewisse Ungereimtheiten gab und er nicht hätte verurteilt werden dürfen, bis alles aufgeklärt war..." "Er ist ein Dämon!" Pendrian spie jedes einzelne Wort erbost aus, als wären sie Gift, das er abstoßen musste. Als er erkannte, dass auch dieses Argument bei seinem Gegenüber keine Überzeugung brachte, stürmte er brodelnd aus dem Zimmer und schlug die Tür krachend hinter sich zu. Zeliarina sah dem Lancelor erschrocken hinterher, während sie sich das wunde Handgelenk rieb, das er die ganze Zeit mit eisenhartem Griff zermalmt hatte. "Sei ihm nicht böse, Peter ist eigentlich ein guter Kerl. Doch der Anblick des zerstörten Dorfes, seiner Heimat, war ein traumatisches Ereignis für ihn...er wird sich wieder beruhigen..." "Mister...Dunkan...", begann Zeliarina vorsichtig, "Bin ich...schuld? Ich zog dieses Schwert aus seinem Körper...Bin ich schuld, dass dieser Dämon wieder frei ist?" "Du wusstest nichts von dem Bann und von Dymeon..." "Bin ich schuld?", wiederholte die junge Hexe fester. Sie sah ihren Mentor mit ernstem Blick an und spürte seinen inneren Konflikt, der im Herzen zu toben schien. Schließlich seufzte Dunkan geschlagen, direkt bevor er den Blick senkte. "Der Dämon wurde in dem Augenblick befreit, da die Silberklinge des legendären Sternenschwerts aus seinem Leib genommen wurde..." Zeliarina schlug die Augen nieder. "Ich...verstehe..." "Aber eigentlich...eigentlich ist es nicht so einfach das Siegel zu lösen...nicht für jeden...", murmelte Dunkan so leise, dass es kaum zu verstehen war. Zeliarina horchte auf. "Wie?" "Nichts..." Er starrte mit unergründlichem Blick auf seine Schülerin und runzelte die Stirn. "Nichts..." Melissa lag verloren auf ihrem Bett, als Zeliarina auf ihr Zimmer zurückging. Sie hatte bei den Ereignissen im Hügelgrab einen ziemlichen Schock erlitten, auch wenn sie als Anwärterin zum Lancelor schon mehrmals mit Dämonen konfrontiert war. Trotzdem hatte Dymeons Anblick, zur Unbeweglichkeit gefesselt und aufgespießt, scheinbar in ihr die Frage geweckt, ob es tatsächlich das Richtige war einer Organisation beizutreten, die zu solchen Mitteln griff. "Kriegen wir Ärger, Zeliarina?", fragte sie gedämpft durch ihr Kissen. Zeliarina hob ahnungslos die Schultern und setzte sich nachdenklich auf die Kante ihres Bettes. Sie selbst war noch ein wenig verwirrt. "Ich hab keine Ahnung...Ich weiß nicht einmal, was genau passiert ist..." "Der ganze Orden ist auf den Beinen, um diesen Dämon zu suchen. Mein Mentor meint aber, dass sie ihn wahrscheinlich nicht finden werden, dafür ist er zu clever. Er soll vor seiner Verbannung viel mit den Lancelor zu tun gehabt haben... Manchmal hat er ihnen sogar geholfen..." "Geholfen?", wiederholte Zeliarina skeptisch. "Ein Dämon, der den Lancelor hilft?" "Ich weiß auch nichts Genaues. Aber als Neuling oder Anwärter werden wir wohl auch kaum noch einmal mit diesem Fall konfrontiert werden. Ich jedenfalls konzentriere mich weiter auf meine Prüfung..." Obwohl sich Melissa nicht auffällig verhielt, spürte Zeliarina, dass ihre Freundin wie Dunkan irgendetwas wusste, was ihr nicht erzählt worden war. Es hatte mit dem Hügelgrab zu tun und mit dem Schwert. Die Donnerhexe sprach es nicht aus, doch sie war sich sicher, dass sie in Zukunft wieder mit Dymeon zu tun haben würde... Wie erwartet war der junge Dämon unauffindbar. Die Lancelor setzten alle Hebel in Bewegung und gründeten sogar eine eigene Abteilung, die sich nur mit ihm beschäftigte. Trotzdem ging der Sommer zu Ende, ohne dass auch nur die geringste Spur von Dymeon zu finden war. Ich kümmerte mich kaum darum, da mich mein Training zu sehr einnahm, obwohl es immer wieder Nächte gab, in denen ich von dem silbernen Sternenschwert, dem gefesselten Leib des Dämons und Pendrian mit seiner unbändigen Wut träumte. Mitte August absolvierte Melissa dann erfolgreich ihre Aufnahmeprüfung, so dass sie fortan ein offizielles Mitglied der Lancelor darstellte. Von diesem Tag an sah ich sie weniger, denn ein Lancelor hatte viel mit seinen Aufträgen, Fortbildungen und Kampfvorbereitungen zu tun. Außerdem gab es viele Dinge, die man einem Neuling wie mir nicht anvertrauen durfte. Ich glaube damals hat mich die viele Geheimniskrämerei wirklich mitgenommen. Darum freute ich mich umso mehr, dass Dunkan mir sagte, ich wäre nun weit genug um einen Besuch in meiner alten Heimat zu machen. Melissa bot sich trotz unserer damaligen Differenzen als Begleitung an. Wie in meinen ersten Tagen fuhren wir als beste Freundinnen mit einem kleinen Motorboot an die englische Küste und von dort aus mit dem Auto in mein Heimatdorf... Zeliarina konnte kaum glauben, wie wenig sich ihre gute alte Heimat verändert hatte. Schon von Weitem sah sie die weiten Grasfelder und die altmodischen Häuser, die verstreut und ungeordnet an der Hauptstraße entlang verliefen. Viele Bewohner saßen in diesem ungewöhnlich warmen Herbst immer noch kurzärmlich in ihren Gärten. Kaum ein Auto fuhr. Zeliarina kam dies entgegen, denn Melissa fuhr einen äußerst gewöhnungsbedürftigen Fahrstil. Die Hexe war sich nicht einmal sicher, ob ihre Freundin überhaupt einen Führerschein hatte oder mit sechzehn alt genug dafür war. "Ein schöner Ort", rief Melissa. Der Fahrtwind ließ ihre langen, weinroten Haare tanzen. Zeliarina konnte einfach nur nicken und lächeln. "Über drei Monate ist es her, seit ich hier war...", murmelte sie ergriffen. Melissa preschte lachend über die unbelebte Straße und parkte jenseits jeder Regeln in einer kleinen Einfahrt. Äußerst erleichtert und mit dem merkwürdigen Wunsch sich zu übergeben stieg Zeliarina aus. "Also...das hier ist mein Haus...und dort..." Sie deutete auf verkohlte Trümmer. "...war einmal unsere Scheune. Wir haben sie nie wieder aufgebaut..." Langsam ging Zeliarina auf die Haustür zu. "Nichts hat sich verändert..." Sie hatte gerade den Absatz erreicht und wollte klingen, als die Tür von Innen aufging. Miss Heartstrong, eine kleine Frau mit den blonden Haaren und der blassen Haut ihrer Tochter, stand überrascht auf der Schwelle. Einen Augenblick lang starrten sich die beiden einfach nur überrascht an. Dann: "Liebling! Was machst du denn hier? Warum hast du nicht bescheid gesagt, dass du kommen würdest?!" Eilig schob sie ihre Tochter und Melissa in den Hausflur und schüttelte den Kopf. "Wie geht es dir? Ist das deine Freundin? Wie ist die Schule? Ich habe mir oft Gedanken gemacht, aber du meldest dich ja nicht!" "Ja, Mum..." "Wie lange bleibt ihr denn? Habt ihr Hunger? Ich könnte euch etwas Schönes machen, obwohl ich kaum etwas im Haus habe. Ich wusste ja nicht, dass ihr kommt! Hättest du doch was gesagt!" Aufgeregt eilte Miss Heartstrong in die kleine Küche und stöberte verzweifelt nach etwas Essbarem. Melissa warf Zeliarina einen erstaunten Blick zu. "Sie ist sehr lebendig..." "Ja...na los, holen wir unser Gepäck rein..." Nachdem die beiden Mädchen ihre Taschen aus dem Auto geholt hatten, hörten sie bereits Geklapper und Geschnippel aus der Küche. Miss Heartstrong kochte fröhlich, während sie ihre Tochter weiterhin sorglos mit Fragen löcherte, bis diese ihr wirklich alles erzählt hatte, von den Lancelor, ihrer Feste Falcaniar, wie sie Melissa kennen gelernt hatte und was sie alles bei ihrer Ausbildung lernen musste. Nach über einer halben Stunde dampfte ein Mahl aus Kartoffeln und Fisch auf dem Tisch, gerade rechtzeitig als Zeliarina nichts mehr zu erzählen wusste. "Nun...und jetzt bin ich hier...", schloss sie achselzuckend. Ihre Mutter nickte eifrig und häufte den Mädchen einen heftigen Nachschlag auf, obwohl sie kaum die erste Portion geschafft hatten. Melissa und Zeliarina zwangen sich alles runter, ehe sie schwer aufatmeten und ihre Teller gleichzeitig von sich schoben. "Kein Bissen mehr, bitte...es ist einfach zu lecker...", seufzte Melissa. Mit einem warmen Lächeln auf den Lippen räumte Miss Heartstrong das Geschirr weg. Sie schien eine wirklich gutherzige und freundliche Frau zu sein, der man das langsam ansetzende Alter kaum ansah. Melissa erinnerte sich kaum an ihre eigene Mutter, da sie schon vor langer Zeit nach Falcaniar gekommen war, doch sie hatte ein strenges Aussehen gehabt und ein ebenso strenges Verhalten. Eigentlich war Melissas Mutter so ziemlich genau das Gegenteil von Miss Heartstrong. "Was wollen wir jetzt machen?", fragte Zeliarina unternehmungslustig. Melissa hob nur ahnungslos die Schultern. "Es ist dein Dorf. Wieso zeigst du mir nicht alles?" "Klar." Ungewöhnlich lebendig sprang Zeliarina von ihrem Platz auf und zog ihre Freundin mit sich. Es war einer der seltenen Momente, in denen Melissa sah, dass Zeliarina etwas von dem Charakter ihrer Mutter hatte... Mehrere Stunden später bereute Zeliarina es fürchterlich so begeistert zugestimmt zu haben. Da Melissa kaum von der Insel der Lancelor weg kam, bereitete ihr selbst die kleine Einkaufsmeile des Dorfes soviel Vergnügen, dass sie jeden einzelnen Laden aufs Gründlichste durchstöbern musste. Zeliarina bekam die ehrenvolle Aufgabe zugetragen Melissas Einkäufe aufzubewahren. Seufzend ließ sich die Donnerhexe auf eine mit abblätternder blauer Farbe gestrichene Bank nieder. Obwohl es bereits Herbst war, schien die Sonne so ungewöhnlich warm, dass ihr der Schatten der großen, neben ihr stehenden Eiche gerade recht kam. Bevor ich zu den Lancern kam, trug dieser Baum noch eine schöne, grüne Krone... Zeliarina warf einen kurzen Blick auf die roten, braunen und gelben Blätter am Straßenrand und streckte die Beine. Mit einem leisen Gähnen schloss sie die Augen. Es dauerte nicht lange, bis sie in einen Halbschlaf gefallen war, obwohl sie dank ihrer übernatürlichen Fähigkeiten noch immer gestochen scharf wahrnehmen konnte, was um sie herum geschah. So entging es ihr auch nicht, dass jemand plötzlich im Schatten der Eiche an dem mächtigen Baumstumpf lehnte und sie offenkundig beobachtete. "Bist du alleine, Mädchen?" Zeliarina erkannte die Stimme sofort, denn sie hatte sich schon beim ersten Mal auf Immer in ihr Hirn gebrannt. Ohne die Augen zu öffnen spürte die junge Hexe, dass der Junge im Schatten abwartend die Arme verschränkte. "Der ganze Orden sucht nach dir, Dymeon...Was willst du hier?" Sie blickte ihm nun doch mit ihren grünen Augen entgegen. Auch wenn der Dämon keine Miene verzog, er war überrascht. "Hast du keine Angst vor mir?", wisperte er kühl, während sein Blick über die kaum belebten Straßen wanderte. Ein blutrotes, breites Stirnband hielt die verfilzten, schwarzen Haarsträhnen aus seinem Gesicht, so dass er besser sehen konnte. Trotzdem wirkte er nicht viel gepflegter als im Hügelgrab. Außerdem hatte er noch immer diesen düsteren Ausdruck der Einsamkeit und Trauer, der ihn sehr distanziert aussehen ließ. "Warum sollte ich Angst haben? Du hast mir nichts getan, im Gegenteil, du hast mich sogar vor diesen drei Tryclonns beschützt...", antwortete Zeliarina schlicht. Dymeons Augen wurden schmal. "Alle Menschen haben Angst vor Dämonen...Allein das Wort reicht für viele aus..." Ohne dass Zeliarina antwortete, besah sie sich ihre rechte Hand, die vollständig mit den merkwürdigen Runen und Symbolen übersät war. Ich bin kein normaler Mensch...Ich war es noch nie... "Man hat mir erzählt, du hättest Pendrians Heimatdorf vernichtet..." Dymeon schnaubte abfällig und vergrub die spitzen Fingernägel ins Fleisch seiner Arme. Merkwürdig, dass seine Hände heute wie die eines Menschen aussahen, wo sie doch im Hügelgrab richtige Klauen gewesen waren. "Peter hat keine Ahnung", zischte der Dämon leise. "Wie alle Menschen sieht er Dämonen nur als das vollkommene Böse, das aus Vergnügen tötet und zerstört. Dabei haben auch wir Motive und Gefühle, auch wenn sie im Gegensatz zu denen der Menschen stehen wie Tag und Nacht. Deswegen fürchten die Menschen uns so: weil sie uns nicht verstehen. Genauso sind sie zu Raubtieren. Erst greifen sie unberechtigt in ihr Leben ein und wundern sich dann, wenn sie angefallen werden...Natürlich sind die Tiere daran schuld, also jagt sie erbarmungslos und tötet sie!" "Was willst du mir damit sagen?", wisperte Zeliarina verwirrt. Sie sah feine Blutfäden an seinen Armen hinab laufen, dort wie die Klauenhände die gebräunte Haut durchstoßen hatten. "Ich habe nie gefallen daran gefunden diese Leute zu töten! Niemals!", spie Dymeon plötzlich so heftig, dass Zeliarina zurück zuckte. Sie dachte eine Weile nach. "Also stimmt es..." Dymeon schwieg. Es war merkwürdig. Er konnte einfach nicht wie sonst in das Herz dieses Mädchens sehen. Warum nur fürchtete sie sich nicht vor ihm? Und wieso konnte sie einfach so, ohne richtige Magieausbildung den Bann des Sternenschwertes lösen, der ihn ganze fünfundzwanzig Jahre festgehalten hatte? Dymeon hatte sie seitdem immer beobachtet, sie steckte noch am Anfang ihrer Ausbildung, war nicht einmal ein Lancelor. "Es ist wunderbar friedlich nicht wahr? So ruhig und still...", murmelte Zeliarina unbeschwert. Dymeon blickte sie erstaunt an, beeindruckt davon, dass sie das Thema so selbstverständlich ändern konnte, obwohl sie erfahren hatte, dass er Menschen getötet hatte. Getötet. Er hatte sie abgeschlachtet. Warum fragte sie nicht nach dem Grund? Wieso machte es ihr keine Angst oder gab ihr den Eindruck, dass er ein grausamer Mörder war? "Ja...es ist still..." Kein Mensch war auf den Straßen, nicht einmal Melissa, die irgendwo in den Läden verschwunden war. Kein Lüftchen wehte. Kein Auto fuhr. "Sehr still..." Dymeons Haut begann langsam ganz merkwürdig zu prickeln. Er hatte es schon oft genug erlebt um zu wissen was geschah. Überall waren dunkle Energien zu spüren. "Dämonen..." "Dämonen?", wiederholte Zeliarina schockiert, obwohl auch sie die Kräfte auf gewisse Weise wahrnehmen konnte. Dymeon nickte knapp und sah sich überall um, doch nirgendwo war einer seiner Art zu sehen. Nur ein alter Mann kam aus einem Lebensmittelgeschäft. Weder Dymeon noch Zeliarina schenkten ihm Aufmerksamkeit, bis er auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen blieb, sie anstarrte und etwas Kleines nach ihnen warf. Zelarina sah entsetzt, dass es ein kleines Küchenmesser war, das rasend schnell durch die Luft zischte. Mit unvorstellbarer Wucht rammte es sich bebend in Dymeons Brust und riss ihn beinahe um. Einzelne Tropfen seines dunklen Blutes spritzten ihm ins Gesicht. Mit seinem düsteren Blick sah er nun so schaurig aus, dass Zeliarina doch fast etwas Angst bekommen hätte. "Oh nein, Dymeon! Bist du in Ordnung?" "Ja..." Unwirsch riss er das Messer aus seinem Körper und warf es klappernd zu Boden, als würde er sich nur einen kleinen Pflanzendorn aus der Haut ziehen. Als er Zeliarinas entsetztes Gesicht sah, meinte er kühl: "Ich bin ein Dämon...Unsere Körper sind bei Weitem robuster..." Während er den Alten ruhig ansah, kamen weitere Leute aus verschiedenen Geschäften. Sie alle hatten mehr oder weniger Waffen in der Hand, sei es eine Schere, ein Stein oder ein schlichtes Holzbrett. Zeliarina kannte sogar einige dieser Menschen noch von früher. "Sie sind besessen...Irgendwo versteckt sich ein Dämon, der von anderem Kaliber ist als kleine Tryclonns...Wo ist deine Freundin? Sie ist ein Lancelor, oder? Ich habe dieses Band gesehen, das blaue mit den weißen Symbolen..." Als wäre sie gerufen worden kam Melissa gehetzt aus einem der vielen Läden. Sie blutete leicht an der linken Augenbraue. "Zeliarina, die Leute sind wahnsinnig geworden! Sie haben mich angegriffen und..." Erstarrt blickte sie auf die vielen angriffsbereiten Menschen auf der Straße. Ihre Augen glühten feuerrot. "Zeliarina, was geht hier vor? Sie strahlen schwarze Energie aus, doch es können unmöglich alles Dämonen sein!" Ein wenig hysterisch stellte sich Melissa neben ihre Freundin, ehe sie Dymeon erspähte. Der Dämon musterte sie kühl. "Als Lancelor solltest du wissen, dass sie besessen sind, ausgehend von einem Steuerdämon, einem so genannten Marionetter..." "DU?", kreischte Melissa nun vollkommen durcheinander. Zeliarina versuchte ihre Freundin zu beruhigen und wies sie darauf hin, dass Dymeon nicht gegen sie war. "Hör mir gut zu, Lancelorin. Du musst jetzt Signalmunition nehmen. Einer von diesen Leuten ist der Dämon. Die Munition wird den Besessenen nicht Schaden, doch sie wird uns verraten, wer der Marionetter ist..." "Ich habe meine Waffe nicht bei mir..." "Was?", zischte Dymeon, ohne dass man die Unruhe heraushören konnte, die sich in seinen Augen widerspiegelte. "Ein Lancelor hat seine Waffe immer bei sich zu tragen. Sogar ich kenne den Kodex. ,Sei immer bereit, sei immer aufmerksam und auf alles gefasst' " Plötzlich sah er etwas Grünes an Melissas Finger funkeln. Es war ein Ring. "Den hattest du vorher noch nicht... Woher hast du diesen Ring?", fragte Dymeon ernst, ehe er die Lancelorin grob am Handgelenk packte und ihr den Finger unter die Nase hielt. Melissa schrie empört auf, doch antwortete vom Dämon eingeschüchtert: "Ein Mann gab ihn mir..." Sie deutete auf einen hoch gewachsenen Kerl mit schwarzem Haar, der sich geschickt hinter den anderen Menschen verbarg. "Der dort!" "Er ist der Marionetter...Du hättest den Ring niemals annehmen dürfen...zieh ihn ab...sofort..." Als sich Melissa nicht rührte, packte er ihr Gelenk noch fester. "Sofort..." Den Tränen nahe versuchte das Mädchen das grüne Schmuckstück abzuziehen, doch es schien an ihrem Finger wie festgewachsen. Und noch während sie rüttelte und zerrte, färbte sich die Haut um den Ring herum tief schwarz. "Ein Parasit...", keuchte Melissa aufgelöst "Er breitet sich aus und tötet einen von Innen..." Rasend riss sie an dem Ring. Tränen liefen ihr über die Wangen. "Warum spielst du diese Spiele, Marionetter?" Dymeons Stimme hallte laut und klar durch die ganze Straße. Bei seinen Worten teilte sich die Menge, um den Blick auf den Steuerdämon und sein grässliches Grinsen freizugeben. "Dymeon mit den Bluttränen...Der Verräter...Welch Ehre, dich zu sehen", höhnte er boshaft. "Entferne sofort diesen Parasiten von ihr, Puppenspieler!" "Du weißt genau, dass niemand das kann. Er wird sich immer weiter ausbreiten, bis er ihren Körper vollkommen ausgefressen hat..." Der Marionetter warf einen kurzen Blick auf Melissa, die sich inzwischen in schrecklichen Krämpfen am Boden quälte. Sie schien nur noch mit fiebrigen Augen zu sehen und schrie irgendetwas. Ihr Arm war bis zu dem Ellenbogen pechschwarz befallen. Zeliarina war mit der Situation so überfordert, dass sie am liebsten weggerannt wäre. "Ich töte dich..." Kalt schritt Dymeon auf den anderen Dämon zu, der jedoch sorglos weiter lächelte. Die Hände beider Dämonen verformten sich zu grausamen Klauen. Das Gesicht des Puppenspielers verwandelte sich außerdem zu einer Teufelsfratze mit spitzen Reißzähnen und schwarzen Perlaugen. "Ein Kampf unter Dämonen!" "Das glaube ich kaum. Sieh dir all diese Menschen an..." Der Marionetter machte eine weit ausschweifende Geste auf die Menge, die sich jetzt ihre Waffen an die eigenen Hälse hielt. "Es bedarf nur eines kleinen Befehles von mir und sie bringen sich ohne mit der Wimper zu zucken selbst um. Also tritt zurück..." Dymeon blieb wie angefroren stehen. Seine Fäuste waren so angespannt, dass die Knöchel weiß hervortraten. "Tritt...zurück!", schrie der Marionetter zornig. Dymeon rührte sich nicht. Kopfschüttelnd schnippte der Steuerdämon einmal mit dem Finger, woraufhin sich ein junger Mann das Messer in seiner Hand quer über den Hals zog und in einer Fontäne aus Blut tot zu Boden fiel. "Du bist krank! Lass diese Leute in Frieden", brüllte Dymeon außer sich. Ein weiteres Schnippen. Der alte Mann, der zuerst aufgetaucht war, zog eine Pistole und schoss. Mit einem dumpfen Schlag stürzte er nieder. "Ich bring dich um, kranker Puppenspieler!" Geradezu gelangweilt hob der Marionetter ein weiteres Mal die Hand um den Befehl zum Selbstmord zu geben, doch er kam nie so weit. Ein greller, heller Lichtblitz züngelte aus dem Nichts heran, umschloss ihn, verzerrte ihn, verbrannte ihn. Dymeon musste geblendet die Augen schließen. Als er sie wieder öffnete, hatte sich der Marionetter in eine lebende Fackel grünen Lichtes verwandelt. Schreiend ging der Dämon in die Knie. Er versuchte noch die Flammen an seinem Körper zu löschen, doch es dauerte nur wenige Sekunden, ehe er von dem Wind als Asche über die Straße verstreut wurde. Der Puppenspieler war gefallen...und gleichzeitig fielen alle Besessenen von seinem Bann befreit bewusstlos zu Boden... "Wer...?" Am Straßenrand hockte Zeliarina mit ausgestrecktem rechtem Arm über der zuckenden, wimmernden Melissa. Die Runen, die sich um ihre Hand schlängelten, leuchteten in einem orangefarbenen Licht, als hätte man Eisen in einem Feuer zum Glühen gebracht. Dymeon war beeindruckt. Offensichtlich hatte die Hexe in ihrer Zeit auf Falcaniar mehr gelernt, als er beobachtet hatte, denn der Blitz stammte ohne Zweifel von ihr. Zeliarina jedoch erfreute sich nicht an ihrem verheerenden Angriff, denn der Parasit war Melissa inzwischen den ganzen Oberarm hinauf gekrochen. "Was können wir tun?", wisperte die Donnerhexe leise. Dymeon ließ sich neben ihr auf die Knie fallen. Die Wunde auf seiner Brust blutete bereits nicht mehr, doch der Tod der zwei Zivilisten lag wie ein dunkler Schatten in seinen Augen. "Sobald der Parasit ihren Oberkörper erreicht hat, ist jede Hilfe zu spät..." Plötzlich war sein Gesichtsausdruck wieder fürchterlich kalt. "Entweder ihr Leben...oder ihr Arm..." Zeliarina wich entsetzt von ihm zurück. "Du willst doch nicht etwa..." "Es ist der einzige Weg...", murmelte Dymeon mit echter Betroffenheit in der Stimme. Widerwillig hob er seine Hand, die noch immer die schreckliche Form einer tödlichen Klaue hatte, und schloss die Augen. "Es wird eine harte Lektion für sie, doch auch eine lehrreiche. Sie hätte ihre Bürde nicht auf die leichte Schulter nehmen sollen...denn wer ein Lancelor wird, verschreibt sich diesem Schicksal mit seiner Seele...und es kann sein, dass er diesem Leben alles opfern muss: seine Wünsche, Träume und Kräfte...vielleicht sogar ein Körperteil..." Und mit diesen Worten schlug er zu. Melissas Schrei hallte durch die Straße. Überall war Blut. Blut... Nichts als Blut... Als Dymeon Melissa den Arm mit seiner unvorstellbar scharfen Klaue problemlos abschlug, bekam ich einen so großen Schock, dass ich mich augenblicklich erbrechen musste. Bis heute bereitet mir Melissas blutiger Stumpf, aus dem das Blut wie eine rote Flut hervorquoll, schreckliche Albträume. Die Verwundete selbst verlor sofort das Bewusstsein. Ich glaube, sie wäre ansonsten wahnsinnig geworden. Während Dymeon sein Shirt auszog und es Melissa auf die Wunde presste, befahl er mir sofort die Nummer der Lancelor zu wählen, die in Melissas Handy eingespeichert war. Das weiße Oberteil hatte sich noch bevor ich die Nummer wählen konnte vollständig mit Blut voll gesogen. Heute weiß ich, dass Dymeon irgendetwas getan hatte damit sie nicht verblutete, denn ihr Lebenssaft war literweise aus dem Arm geflossen... Er blieb solange, bis die Lancelor aus der nahen Umgebung nur fünf Minuten später eintrafen. Das Netz des Ordens war so dicht gewoben, dass es eigentlich jeden Punkt auf der ganzen Welt umspannte. Trotzdem war ich damals fasziniert und gleichzeitig entsetzt, dass so eine Organisation unbemerkt agieren konnte. Völlig verstört wurde ich mit einem Helikopter zurück nach Falcaniar gebracht, während Melissa in ein von Lancelor genutztes Krankenhaus gebracht wurde. Dymeon war irgendwann irgendwie verschwunden, obwohl ich mir sicher war, dass er wegen seinen bisher unklaren Beweggründen in meiner Nähe blieb. Merkwürdig... Bevor ich nach Falcaniar gekommen war, las ich viele Fantasybücher, in denen solche Szenen mit Dämonen und Monstern an der Tagesordnung standen. Die Helden blieben bei noch soviel Blut und Tod cool und verhinderten am Ende, dass irgendein Unschuldiger verletzt oder gar getötet wird. Doch die Realität ist um Vieles grausamer als die fiktive Fantasie jedes Autoren. An diesem Tag waren zwei Menschen gestorben, obwohl sie nichts mit den Ereignissen zu tun gehabt hatten. Sicher hatten sie Familie und Freunde, die um sie trauern würden. Sie waren normale Menschen gewesen, ohne irgendwelche Verbindungen zu dem Übernatürlichen, trotzdem lagen sie nun leblos auf der Straße. Und als dieser Gedanke damals durch meinen Kopf schoss, wurde mir klar, dass ich nie wieder so ein normaler Mensch sein würde. Ich war es noch nie. Die Rotoren des Helikopters dröhnten... Trotz der Sonne wurde mir schrecklich kalt... Kapitel 3: Kampf um Thundenstar ------------------------------- Kapitel III - Kampf um Thundenstar Das Zimmer im Krankenflügel von Falcaniar war trostlos und grau, genau wie das Mädchen mit den weinroten Haaren, das auf dem langen Bett lag. Es schenkte Zeliarina beim Eintreten nicht die geringste Aufmerksamkeit, sondern starrte mit ihren verschiedenfarbigen Augen stur an die Decke. Ihre Haut war so grau wie Stein. "Hallo Melissa", grüßte Zeliarina nervös. Die Lancelorin sah noch immer nicht zu ihr. "Bist du gekommen, um mich wie all die anderen zu bemitleiden? Wenn ja, kannst du gleich wieder gehen", murmelte sie abweisend. Mit der linken Hand fuhr sie nachdenklich über den dick bandagierten Stumpf an ihrer rechten Schulter, dort wo einst ihr Arm angesetzt hatte. Nach dem tragischen Vorfall in Zeliarinas Heimatdorf wurde sie nach fünf Wochen, als sich ihr Zustand stabilisierte, nach Falcaniar verlegt. Eigentlich könnte sie schon wieder gesund sein, doch durch ihre angekratzte Seele blieb sie kränklich und schwächelnd und jedem gegenüber unfreundlich. "Bemitleiden? Ich bin deine Freundin, da kann ich mir doch Sorgen machen." "Sorgen...Mitleid...wo liegt da schon der Unterschied? Jedenfalls sieht mich jeder mit diesem unerträglichen Blick an. Ich weiß, dass ich ein Krüppel bin. Ich brauche keine Sorge oder Mitleid oder wie auch immer du es nennen willst..." "Melissa...", begann Zeliarina zart, bevor sie sofort wieder unterbrochen wurde. "Hör auf so mit mir zu reden! Hör auf mich so anzusehen! Ich weiß nicht warum der Marionetter uns angegriffen hat, doch es ist eben geschehen!" Melissas Stimme donnerte mit ungeahnter Kraft durch den Raum. Zum ersten Mal wandte sie sich ihrer Besucherin mit glänzenden Augen zu. "Wäre ich doch besser gestorben, als so ein Krüppel zu sein! Aber Dämonen lieben es ja die Menschen zu quälen, ohne Grund, nur zum Vergnügen!" Zeliarina fuhr zusammen. In ihrem Kopf erschien plötzlich wieder der Satz, den Dymeon ihr kurz vor dem Angriff entgegengeschleudert hatte: Wie alle Menschen sieht er Dämonen nur als das vollkommene Böse, das aus Vergnügen tötet und zerstört. Dabei haben auch wir Motive und Gefühle, auch wenn sie im Gegensatz zu denen der Menschen stehen wie Tag und Nacht... "Es muss einen Grund für diesen Angriff gegeben haben...", murmelte Zeliarina leise, "Ich glaube nicht, dass der Marionetter zufällig kam. Und was Dymeon angeht...er hat dich mit der Amputation nicht gequält, sondern dein Leben gerettet..." "Dymeon..." Melissa sprach den Namen aus, als wäre er ein giftiges Insekt. Ihre Hand, die die ganze Zeit über ihren Armstumpf gestreichelt hatte, verkrallte sich plötzlich fest in die Bandagen. "Dymeon ist nicht anders als andere Dämonen...Er hat mir den Arm abgerissen, verstehst du? Den Arm abgerissen!!! Wegen ihm bin ich ein Krüppel...ein verfluchter Krüppel..." Mit aller Kraft presste das Mädchen die Kiefer aufeinander. Auch wenn sie sich noch so dagegen wehrte, sie konnte die heißen Tränen des Zorns und der Trauer nicht unterdrücken. Unaufhaltsam kullerten sie über ihre grauen Wangen, bis sie hart schluchzen musste und das Gesicht in ihren Kissen vergrub. "Geh...", presste Melissa mühsam hervor. "Geh..." Zeliarina rührte sich nicht, doch Doktor Fossil, die Leiterin des Krankenflügels, kam kopfschüttelnd zur Tür herein und schob sie aus dem Zimmer. "Sie wird sich in den Schlaf weinen...Ich wünschte, ich könnte dich bei ihr lassen, doch sie würde nie wieder jemanden an sich ran lassen, wenn man ihre Zerbrechlichkeit und Hilflosigkeit sehen würde..." Niedergeschlagen schlurfte Zeliarina ziellos durch die Gänge Falcaniars. Sie wusste nicht wohin sie ging, sondern folgte einfach spontanen Entscheidungen, bog mal links, mal rechts ab, lief hier eine Treppe hoch oder durchschritt dort einen kunstvoll verzierten Torbogen. Am Ende stand sie plötzlich in einer Sackgasse. Zeliarina wollte schon wieder umkehren, als ihr der silberne Strich auffiel, der durch das Sonnenlicht, das durch mehrere Fenster schien, glitzerte. "Das Sternenschwert..." Kühn und funkelnd hing es mit der Spitze nach unten an der Frontwand, umrahmt von einem großen Kreis aus schwarzem Holz, der mit unzähligen weißen Verzierungen, so wie sie auf dem blauen Band der Lancelor vorkamen, bemalt war. Wie von unsichtbarer Hand geleitet schritt Zeliarina langsam näher. Etwas ging von dem Schwert aus, ähnlich wie die spürbare, dunkle Aura der Dämonen, doch gleichzeitig völlig anders und blendend hell. Die silberne Klinge schien von unsichtbaren Feuern umringt zu sein, obwohl sie gleichzeitig kalt wie gewöhnlicher Stahl war. Dann hatte Zeliarina plötzlich das Gefühl ein Summen von dem Schwert zu hören. Es erhob sich wie ein wunderschönes Lied in die Lüfte und sollte für immer einen Platz in dem Herz der Donnerhexe finden. Zeliarina konnte es nicht erklären, doch sie fühlte sich als sehe sie einen alten Freund nach langer Zeit endlich wieder. Liebevoll berührte sie die Waffe am Heft, strich mit der Hand über den Griff aus perfekt verarbeitetem Leder und ließ ihre Fingerspitzen über die unbeschreibliche, silberne Klinge wandern. Dann verharrte sie schlagartig. Direkt über dem goldenen Stichblatt, in dessen Mitte ein riesiger, ovaler Rubin leuchtete, befand sich eine Gravur. Jeder einzelne eingeritzte Buchstabe war mit dunkelblauem Saphir aufgefüllt worden. Sie bildeten einen Namen. "Excalibur", las eine Stimme hinter ihr ehrfürchtig. Zeliarina wirbelte herum und sah direkt in die dunklen Augen Dymeons, der etwas abseits hinter ihr stand. Er trug ungewöhnlich menschliche Kleidung, bestehend aus einer am Knie zerfetzten Jeans und einem nachtschwarzen T-Shirt, das einen merkwürdigen Einklang zu seinem ungepflegten Haar bildete. "Es ist das Schwert aus der bekanntesten Legende Britanniens, das Schwert des Königs Artus, dessen treuester Ritter Lancelot diesen Orden gründete...", wisperte der Dämon vorsichtig, als würde eine laute Stimme den Zauber des silbernen Schwertes zu Nichte machen. "Was machst du hier Dymeon, mitten im Lager der Leute, die es verstehen Dämonen zu bekämpfen...? Wie bist du an den schützenden Warnzaubern vorbeigekommen und warum verfolgst du mich?" "Ziemlich viele Fragen auf einmal", meinte Dymeon tonlos. "Ich wusste nicht, dass du bereits dämonische Auren erfühlen kannst..." "Das konnte ich schon immer..." "Tatsächlich?" Der Dämon schaute wieder unergründlich und düster auf das Schwert an der Wand. "Du bist tatsächlich etwas Besonderes...Das ist auch der Grund, wieso ich dich begleite wie ein Schatten...Ich will wissen, wie du das Schwert aus meinem Leib ziehen konntest..." Seufzend schloss er die Augen. "Fünfundzwanzig Jahre lang trocknete auf dieser Klinge mein Blut...ruhte meine Seele...trotzdem glänzt es so wunderschön..." Als Dymeon seine Augen wieder öffnete, lag in ihnen ein Glanz, wie ihn manche Menschen hatten, wenn sie sich tief in ihre Erinnerungen sinken ließen. Zeliarina konnte sich nicht vorstellen was es hieß fünfundzwanzig lange Jahre einfach zu verschlafen, während das Leben für Bekannte, Freunde oder Geliebte weiterging...Die Donnerhexe warf dem Dämon einen skeptischen Blick zu. War es möglich, dass Dymeon zu seiner Zeit solche Leute gehabt hatte? "Excalibur...Ist es tatsächlich das legendäre Schwert? Ist es...verzaubert?" "Diese Klinge wurde in den Feuern geschmiedet, die am Anbeginn der Zeit tobten. Die Legende von König Artus war nur eine von vielen Stationen, die sie im Laufe ihrer Existenz durchlebte. Excalibur ist eines der Götterschwerter... Ein Relikt aus alten Zeiten. Es sah die Anfänge von Dämonen und Menschen, beobachtete ihre unzähligen Kriege und tötete viele Angehörige beider Parteien. Im damaligen Britannien waren die Dämonen so zahlreich, dass Artus gegen sie in die Schlacht zog und Lancelot den Lancelor-Orden gründete." "Ich kenne diese Geschichte so, dass Artus die Waffe am Ende zurück in die Hände der Herrin vom See gab, damit niemand Anspruch auf Excalibur, das nicht für Menschenhand gemacht war, erheben könnte..." Zeliarina drehte sich wieder dem ,Sternenschwert' zu und fuhr über die lange, silberne Klinge. Auch Dymeon trat näher, um es zu berühren, doch als er den Griff anfasste, zuckte er zurück, als hätte er sich verbrannt. "Schutzzauber", murmelte er mit einem Blick auf den kreisrunden Rahmen aus schwarzem Holz und weißen Symbolen. Abwesend rieb er sich die Hand, die heute nichts mit einer Dämonenklaue gemein hatte. "Eine nette Abwehr...Doch die Lancelor glauben nicht wirklich, dass sie die Dämonen damit auf lange Zeit abhalten können..." "Was meinst du?", fragte Zeliarina schüchtern. Die Gegenwart des Dämons machte sie nicht nervös, doch er hatte so eine kühle Ruhe, von der sie glaubte, dass sie jeden Augenblick wie eine Maske abbröckeln und seine Verletzlichkeit freilegen könnte, wenn sie das Falsche sagte. Dymeons Mundwinkel hoben sich kaum merklich. "Excalibur ist der wohl gefährlichste Gegenstand der Welt...Ein Götterschwert verfügt über unglaubliche Macht, vor allem verbunden mit den anderen...Keiner weiß wie viele Götterschwerter in Dämonenhand sind...vielleicht ist Excalibur sogar das einzige, das sie noch brauchen. Wenn alle Klingen beisammen sind, wird einer alten Weißsagung nach der größte Wunsch der Dämonen wahr..." "Welcher Wunsch...?" "Endlich alleine auf der Erde zu sein...Endlich die Spezies Mensch, die ihr Leben ausrotten will, für immer los zu sein...Endlich...frei...zu sein...", antwortete Dymeon zischend. Er sah weiterhin auf das Schwert, beinahe hungrig oder sehnsüchtig. Zeliarina konnte ein Zittern nicht unterdrücken. Er ist auch ein Dämon, wie kann ich mir sicher sein, dass er es nicht stehlen will...aber nein, das hätte er damals im Hügelgrab tun können...Außerdem hat er mir einmal das Leben gerettet, es gibt keinen Grund ihm zu misstrauen... "Excalibur ist der Schlüssel zu dem, was die Dämonen als Freiheit ansehen...Bis zu dem Augenblick, in dem es meinen Leib durchstieß und mich in ewigen Schlaf verbannte, anstatt mir den Tod zu bescheren, wusste niemand, dass es sich um ein Schwert der Götter handelte. Danach konnte niemand mehr das Schwert aus mir nehmen...niemand außer dir..." Zeliarina war von dieser Erkenntnis völlig gelähmt. Also war sie daran schuld, dass Dämonen wieder nach dem Schwert trachteten, da es jetzt wieder für sie erreichbar war. Vielleicht hatte es der Marionetter, der Melissa den Parasiten einpflanzte, in Wirklichkeit nicht auf Dymeon, sondern auf sie selbst abgesehen... "Wieso ich...?" "Das weiß ich nicht...Doch jetzt wo das Götterschwert befreit ist, geht die Jagd danach weiter...Der Krieg von Dämonen und Lancelor, der vor mehr als fünfzig Jahren seine Ende fand, weil keine weitere Klinge der Götter gefunden werden konnte, wird wieder entfachen..." Obwohl kein Wind in den Gängen von Falcaniar wehen konnte, wirbelten seine Haare umher. "Ein Krieg?", wisperte Zeliarina verstört. Sie sah mit geweiteten, ängstlichen Augen auf Dymeon, als sie bemerkte wie John Dunkan, ihr Mentor, hinter einer Ecke hervorkam und zu ihnen stieß. Er schien nicht überrascht davon zu sein, dass er bei Zeliarina auch auf Dymeon traf. "Ich hatte gehofft, dass du hier bist. Deine Aura ist gut zu spüren, wenn man sich in der Nähe dieses Ganges befindet, Dymeon..." Mit einem lockeren Schwung warf er dem Dämon eine Kette zu. Sie hatte einen silbernen Drachenanhänger und ein Band aus schwarzem Leder. "Es löscht deine Aura...Pendrian und andere Lancelor wären nicht erfreut hier auf einen Dämon zu treffen...vor allem nicht auf dich..." Dymeon lächelte merkwürdig bedrückt und nickte, ehe er sich die Kette um den Hals legte und sie durch seine Finger gleiten ließ. "Vor fünfundzwanzig Jahren trug ich sie zum letzten Mal...Damals, als ich euch noch half meine Artgenossen zu bekämpfen und von dir Freund genannt wurde..." "Glaube mir, ich wollte nicht, dass es so weit kommen musste...", antwortete Dunkan betrübt, "Doch Pendrian war außer sich, als du sein Dorf zerstörtest...Viele Lancelor waren auf seiner Seite...Sie hielten es für besser dich zu töten. Keiner konnte ahnen, dass Excalibur ein Götterschwert ist und dich versiegeln würde..." "Ich habe fünfundzwanzig Jahre verloren! Vor einer Woche habe ich in London Jessica und Dragon besucht. Keiner der beiden hat mich erkannt. Jessica hat sogar Kinder! Kannst du dir vorstellen wie es ist nach fünfundzwanzig Jahren in einer Welt aufzuwachen, die nicht mehr die ist, die du gekannt hast?!" "Bitte Dymeon, ich habe wirklich versucht dem Entschluss des Ordens entgegen zu wirken...", verteidigte Dunkan schwach. Dymeon zischte irgendetwas. Sein spitzer Eckzahn biss dabei voll Zorn in die Lippe, dass es blutete. Schließlich schüttelte er jedoch seinen Kopf wie ein am frühen Morgen Erwachender und meinte nach einem resignierenden Seufzer: "Tut mir Leid, ich weiß du hast sicher alles getan..." "Trotzdem war es zu wenig..." Dunkan machte eine lange Pause, ehe er sich zum Weiterreden zwang. "Ich weiß, ich habe kein Recht dich um etwas zu bitten...Doch würdest du mir dennoch bei einem Auftrag zur Seite stehen...?" "Nein..." "Ein weiteres Götterschwert wurde gestern gefunden...", erklärte Dunkan unaufgefordert weiter. Zeliarina und Dymeon schenkten ihm mit einem Schlag ungeteilte Aufmerksamkeit. "Bei Bauarbeiten in Italien wurde ein alter Tempel freigelegt, der Inschriften über die verschiedenen Schwerter enthielt. Außerdem befand sich in einem tief liegenden Altarraum Thundenstar, die Klinge des Donners. Den Inschriften zufolge ist es das siebte und damit letzte Götterschwert. Fünf befinden sich in dem Besitz der Dämonen, Excalibur gehört uns. Ich will einen Trupp zu diesem Tempel schicken, um auch Thundenstar in unseren Besitz zu bringen." Dymeon blickte auf das silberne Excalibur an der Wand, dann flüchtig zu Zeliarina und wieder zurück auf Dunkan. "Götterschwerter sind nicht für die Hände der Menschen gedacht. Nur wenige Mitglieder des Ordens können diese Waffen benutzen...Und soweit ich weiß gibt es keinen Lancelor unter euch, der stark genug wäre solch ein Schwert langfristig zu verteidigen..." Dymeon bemerkte, wie der Lancelor Zeliarina aus den Augenwinkeln beobachtete. Die Donnerhexe stand aufmerksam, vielleicht auch ein bisschen nervös neben ihnen und nahm jedes gesprochene Wort auf, um die vergangenen Geschehnisse zwischen den beiden besser verstehen zu können. Dann verstand Dymeon, was Dunkan dachte. "Das Mädchen...", murmelte der Dämon fassungslos. "Mag sein, dass sie schon Excalibur führen konnte...doch sie hat keine Kampferfahrung! Sie ist kein Lancelor! Du weißt genau, dass bei dieser Mission Dämonen auftauchen werden...Es ist viel zu gefährlich!" "Sie hat mehr Kraft als viele neu aufgenommene Lancelor!" "Dieser Auftrag ist selbst für Palas schwierig!" "Aber ohne sie geht auch Thundenstar an die Dämonen!" "Ihr habt noch Excalibur!" "Excalibur wird auf Falcaniar niemals sicher sein!", schrie Dunkan zornig. "Du weißt selbst am besten, dass wir dieses Götterschwert nicht lange halten können! Wir brauchen Thundenstar um jeden Preis! Es geht hier um das Schicksal der gesamten Menschheit!!!" Dymeon wollte zu einer scharfen Antwort ansetzen, als sich Zeliarina mit entschlossenem Blick zwischen die beiden stellte. "Seid jetzt ruhig, alle beide...Ich kann selber entscheiden, was ich tue..." Angespannt fuhr sie sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. "Wenn ich tatsächlich der einzige Mensch bin, der dieses Schwert für euch aus dem Tempel holen kann, werde ich mit dir gehen, Dunkan... für das Wohl der Menschheit..." "Das kannst du nicht tun, John! Sie weiß nicht, worauf sie sich dabei einlässt!" Dymeon deutete zornig auf das silbern glänzende Excalibur. "Diese Schwerter bringen nur Unheil! In dem Tempel wird es zu einer schrecklichen Schlacht um Thundenstar kommen, die mehr Opfer und Blut fordern wird, als du es dir je vorstellen könntest, Mädchen! Der Kampf in deinem Dorf war dagegen nur ein kleines Geplänkel!" "Dennoch werde ich gehen..." Dunkan sah voller Achtung und Stolz auf die junge Hexe, während Dymeon vor Wut am ganzen Körper bebte. Er schien irgendetwas schreien zu wollen, doch nach mehreren Herzschlägen beruhigte er sich wieder und legte seine gewohnte Maske der kühlen Ruhe an. "Dann bleibt mir wohl keine andere Wahl als dich zu begleiten. Damit begleiche ich die offene Rechnung, die entstand als du mir das Sternenschwert aus dem Leib zogst und mich von dem Bann befreitest... Doch glaube mir, Mädchen, du wirst diese Entscheidung noch bereuen..." Mit diesen Worten hüpfte Dymeon auf den Sims eines geöffneten Fensters, machte eine knappe Geste zum Abschied und sprang ins Freie... Noch am selben Tag landete ein Mannschaftshelikopter mit dem Symbol der Lancelor, drei gekreuzte Silberspeere, auf der weiten Grasfläche vor Falcaniar, um die für den Auftrag ausgewählte Gruppe nach Italien zu bringen. Zeliarina war fürchterlich aufgeregt. Neben ihr standen nur bis zur Perfektion ausgebildete Palas, Lancelor vom ersten Rang, die mit versteinerten Mienen ernst und unerschrocken beobachteten, wie der von den langen Rotoren des Helikopters verursachte Wind an Kleidung, Haaren und Gras zerrte. Sie alle trugen die traditionelle Kleidung eines Lancelor: schwarzes Shirt und schwarze Hose, darüber eine weiße Weste mit unzähligen Taschen und einen weißen Gürtel, vollgehängt mit Beuteln, Seilen und weiteren Taschen. Außerdem besaß jeder von ihnen das nachtblaue Tuch mit den schneeweißen Symbolen, das jeder Lancelor beim erfolgreichen Bestehen seiner Prüfung erhielt. Sie sind Profis... Sie sind die Elite... Unter ihnen war auch John Dunkan. Zeliarina hatte bis jetzt nicht gewusst, dass ihr Mentor ebenfalls ein Palas war. Außerdem erkannte sie auch noch den Kämpfer, der damals im Hügelgrab an Pendrians Seite gestanden hatte, wieder. Keiner wusste seinen wirklichen Namen, man nannte ihn nur Storm. Mit ihm und Dunkan zählte Zeliarina fünf Palas. Von Dymeon fehlte jede Spur. Nachdem ihr Mentor alle Lancelor mit seiner Schülerin bekannt gemacht hatte, stiegen sie wortlos in den Helikopter ein und flogen schon bald über den blauen Tiefen der Nordsee. Zeliarina sah gedankenverloren aus dem Fenster. Falcaniar ist ein so unwirklicher Ort. Niemand außer den Eingeweihten weiß von der kleinen Insel mitten in diesem unendlichen Blau. Sie wusste nicht wie lange sie unterwegs waren, denn sie war trotz des schrecklichen Lärms ihres Transportmittels kurzzeitig eingeschlafen. Als sie erwachte, lag Frankreich bereits hinter ihnen und in der einbrechenden Dunkelheit leuchteten am Boden die Lichter Italiens. Jetzt gibt es kein zurück mehr... Der Helikopter landete nordöstlich von Mailand, irgendwo in den Weiten der Alpen. Zeliarina sah schon aus weiter Entfernung die große Baustelle, bei der der geheimnisvolle Tempel des Götterschwertes Thundenstar freigelegt wurde. Offensichtlich sollte hier ursprünglich ein Strommast für Spannungsleitungen aufgestellt werden. Die Palas und Zeliarina betrachteten erstaunt den Eingang des alten Tempels aus ihnen unbekanntem, rotem Stein. Obwohl - oder gerade weil - dieser Ort seit sehr, sehr langer Zeit unter der Erde lag, schien er vom Zahn der Zeit beinahe unberührt geblieben zu sein. "Eigentlich sollten uns hier die Kollegen aus Italien empfangen...", meinte Dunkan nachdenklich, während er misstrauisch seine Pistole aus dem Halfter zog. Auch bei dieser Waffe handelte es sich um eine Spezialanfertigung für Lancelor, genau wie die dazugehörige Munition. Die Palas legten ihre Magazine mit geübten Fingern in die Pistolen. "Dämonenaura...aus dem Tempel", knurrte Storm leise. "Vielleicht sind wir schon zu spät..." Ein schreckliches Stöhnen drang an ihre Ohren, gefolgt von grausamen Todesschreien. Irgendetwas ging innerhalb des Tempels vor sich. Ohne noch ein Wort zu verschwenden zog Dunkan Zeliarina dicht an seine Seite und entsicherte die Waffe. "Bleib immer hinter mir. Egal was du sehen oder hören wirst, bleibe bei mir, es sei denn ich befehle dir etwas anderes..." Bereits jetzt wünschte sich Zeliarina lieber doch auf Falcaniar geblieben zu sein, doch sie beschwerte sich nicht, sondern schluckte nur einmal hart und nickte. Sie hatte sich so entschieden. Nun gab es keinen Weg zurück. Ich wünschte Dymeon wäre hier...Es wäre sicherer, einen Dämon mit solchen Kräften an meiner Seite zu haben...Doch ich mache ihm keinen Vorwurf...Er hat keinen Grund für die Sache der Menschen zu kämpfen, die ihn fünfundzwanzig Jahre lang in einem dunklen Grab versiegelten... Storm und zwei weitere Palas sicherten routiniert den Eingang und drangen in dem leicht abfallenden Tunnel vor. Zeliarina und Dunkan gingen hinter ihnen, aber vor den letzten zwei Lancelor, so dass sie von beiden Seiten geschützt waren. Offensichtlich mussten die Partner aus Italien noch vor kurzem hier gewesen sein, denn es leuchteten mehrere frisch installierte Lampen an den Wänden. Das flackernde Licht erzeugte tanzende Schatten, die an dem unbekannten, roten Stein ein unheimliches Eigenleben zu entwickeln schienen. Zeliarina begann zu zittern. Es war nicht die schreckliche Angst, sondern vielmehr die durchdringende Kälte, die durch ihren Körper schlich und ihr das Atmen erschwerte. Eigentlich musste es doch im Süden bei Italien selbst im Herbst noch warm sein. Voller Unbehagen lauschte Zeliarina den kaum hörbaren Schritten ihrer Begleiter. Warum konnten sie so ruhig bleiben, während diese Kälte, dieser eisige Hauch, sie innerlich zu zerreißen schien? Dann bemerkte Zeliarina plötzlich wie warm Dunkans Hand im Vergleich zu ihrer war und sie musste feststellen, dass sie die Einzige war, die es spürte... Storm drehte sich lautlos zu ihnen um und machte ein Zeichen, ehe er dem Gang weiter folgte. "Er sieht in kurzer Entfernung einen großen Raum", wisperte Dunkan seiner Schülerin zu, ohne die Umgebung auch nur einen Moment lang aus den Augen zu verlieren. Sie folgten dem Weg noch etwa hundert weitere Schritte, ehe die Decke immer höher wurde und der Gang schließlich in einen breiten Saal überlief. Er war bis auf einen Sockel in der Mitte vollkommen leer. Unendliche Glyphen und Zeichen wanden sich wie Schlangen über die feuerroten Wände. Doch die Aufmerksamkeit der Lancelor galt nicht den wirren Zeichen, sondern mehreren leblos am Boden liegenden Körpern. Dunkan versperrte Zeliarina sofort geschickt den Blick auf die schrecklichen vernichteten Leichen der italienischen Lancelor, während sich seine Augen mit einem herzzerreißenden Glanz der Trauer füllten. "Wir sind wirklich zu spät...Doch wo sind die Dämonen?" Storms Blickte schweifte schnell und hektisch umher, genau wie der Lauf seiner Pistole. "Die Dämonenaura ist so deutlich zu spüren, als stünden sie genau neben uns", fluchte der Palas ungeduldig. Zeliarina sah sich um. Auch ihr Kopf platzte beinahe vor negativer Energie, die weder bei Dymeon noch bei dem Marionetter so intensiv gewesen war. Dann schaute sie in einem merkwürdigen Moment des Wissens an die hohe Decke...und sah ein Dutzend schwarze Schatten wie Fledermäuse daran hängen. Einer der Schatten rekelte sich. Drei rote Augen blitzten auf. Da sind sie! Alle Palas folgten Zeliarinas Blick als hätten sie ihren Gedanken gehört. Dann hallten Schüsse und Schreie durch den Saal, Menschen brüllten, Dämonen kreischten. "Tryclonns! Ein Zyank und ein Hochdämon!", schrie Storm unter dem Donnern seiner Schüsse und dem Klirren seiner am Boden aufschlagenden Patronenhülsen. Dunkan stieß einen Fluch aus, ehe er Zeliarina unwirsch in den Gang zurückstieß und sich selbst in den Kampf stürzte. Die Dämonen regneten wie schwarze Sternschnuppen von der Decke, ohne sich beim Aufschlag auf den Boden auch nur irgendetwas zu tun. "Zuerst die Tryclonns! Tötet erst die Tryclonns!" Ein Hagel aus Projektilgeschossen trommelte auf die Niederdämonen ein. Die Geschosse zogen glitzernde Schweife aus silbernem Staub, der die Haut der Tryclonns zu verätzen schien, hinter sich her. Zeliarina sah zwei Dreiaugen von Kugeln durchbohrt zu Boden stürzen, während sich die anderen kreischend auf die Lancelor stürzten. Storm fegte wie im Rausch durch die Reihen der Dämonen und feuerte ohne Pause Magazin auf Magazin leer. Schließlich lag das Dutzend Tryclonns verendet am Boden. Dunkan blutete etwas am Oberarm, wo ihn eine Dämonenklaue gestreift hatte, Storm stand grimmig und keuchend mit erhobener Pistole da. "Eure Untergebenen sind auch nicht mehr das was sie einmal waren, Hochdämon", stellte der Palas mit einem spöttischen Lächeln fest. Der Lauf seiner Waffe deutete auf eine vermummte Gestalt, die regungslos und gleichgültig zwischen den toten Dämonen stand. Hinter ihm befand sich der Sockel, den Zeliarina schon am Anfang gesehen hatte. Doch erst jetzt erkannte sie, dass in diesem Sockel ein Schwert mit breiter Klinge steckte. Thundenstar...? "Auch die Lancelor von heute sind nicht mehr, was sie einmal waren...", erwiderte der Vermummte spöttisch, ehe er dem Leichnam eines italienischen Lancelor einen beiläufigen Tritt verpasste. Zeliarina spürte beim Klang seiner unirdischen, schneidenden Stimme wieder die unerträgliche Kälte in sich aufsteigen. Dieser Dämon war anders... Er sah zwar aus wie ein normaler Mensch mit glühend roten Augen, doch die Aura seines Hasses schien beinahe greifbar zu sein. Hinter ihm stand ein vier Meter hohes Ungetüm mit blassgelber Lederhaut und einem großen Auge mitten im Gesicht. Zeliarina hatte auf Falcaniar genug gehört, um ihn als Zyank zu erkennen. "Nun, ich denke es gibt nicht viel zu bereden...wir wollen alle Thundenstar", sagte Dunkan, als er sich neben Storm stellte und seine Waffe ebenfalls auf den Hochdämon richtete. Nach und nach taten es ihm die drei übrigen Palas gleich. Der Hochdämon grinste diabolisch, bevor er sich mit einem lässigen Schwung den Umhang abstreifte. "So ist es...im Namen des Däezander, dem Orden der Dämonen, beanspruche ich, Xicanh mit dem Schattenspieß, dieses Götterschwert für uns!!!" Der Hochdämon stieß einen spitzen Schrei aus, wie Zeliarina es noch von keinem Lebewesen dieser Erde gehört hatte. Die Palas hüllten Xicanh auf Kommando mit einem Sperrfeuer ein, doch die Kugeln mit den silbernen Schweifen prallten wie an einer unsichtbaren Wand ab. "Keine Runenmunition! Keine Runenmunition! Nehmt die Heiligen!!!" Sofort holten die Lancelor aus ihren Westentaschen andere Magazine und legten sie ein. Xicanh wartete jedoch nicht, bis sie damit fertig waren, sondern stürmte plötzlich auf sie zu. Dabei stieß er eine Art Gebet aus. Er hatte den ersten Palas noch nicht erreicht, als sich in der Luft ein mächtiger, schwarzer Speer materialisierte. Alle waren zu überrascht um etwas zu unternehmen, als der Hochdämon seinen langen Speer ergriff, ihn in den Körper des Lancelor rammte und sich an dem auf ihn nieder regnenden Blut ergötzte. "Gebt Thundenstar auf! Die Götterschwerter sind nicht dafür bestimmt in Menschenhand gelegt zu werden!", brüllte Xicanh noch bevor der aufgespießte Mann tot zu Boden stürzte. Ein irrer Glanz lag in den Augen des Dämons, der sich dazu bereit machte einen weiteren Gegner zu attackieren. Soviel Hass... Was zerfrisst diesen Dämon so...? Was macht ihn bösartig? Dunkan schrie von Wut geschüttelt auf und rammte ein Magazin mit voller Wucht in seine Waffe, ehe er sie kalt gegen die Stirn des Hochdämons presste. Xicanh lächelte nicht sonderlich eingeschüchtert, als auch schon der riesige Zyank ein ohrenzerfetzendes Brüllen ausstieß, sich zu voller Größe aufbäumte und Dunkan mit einer gewaltigen Pranke davon schleuderte. Es war nur ein dumpfer Knall zu hören, dann lag der Palas mit einer mächtigen Platzwunde stöhnend an der blutroten Tempelwand. Storm fluchte und drückte mehrmals mit der neuen Munition ab, doch Hochdämon und Zyank schienen die Bewegung vorauszusehen, sodass sie schnell ausweichen konnten. Während ein weiterer Schwall aus Schüssen den Ungeheuern folgte, wurden bereits die Knochen eines weiteren Lancelor von dem Hieb des Zyank zertrümmert. "Tötet ihn doch! Tötet ihn!" Die Worte wurden Storm von den Lippen gerissen, als Xicanh ihn den Speer in den Oberschenkel stieß. Zeliarina sah den Hochdämon etwas flüstern, sah Storm keuchend und blutend zu Boden sinken, sah Dunkan bewegungsunfähig voller Qual an der Wand lehnen. Die Kälte in ihr wurde unerträglich. Dymeon hat mich gewarnt. Er wusste, wie schrecklich dieser Kampf werden würde und dass normale Menschen keine Chance gegen solche Monster haben. Thundenstar wird in die Hände der Dämonen fallen...und wir...wir werden alle sterben... Die Erkenntnis schüttelte den ganzen Körper der jungen Hexe. Von Angst und Entsetzen gepackt ließ sie sich an der kalten Wand herabrutschen, bis sie auf dem Boden saß und die Hände fest um die Knie schlang. Wäre Dymeon doch hier... Warum war er nicht bei ihr, wo er doch versprochen hatte sie zu beschützen, um die Rechnung zu begleichen, die zwischen ihnen stand? Er war stark und den Feinden sicherlich gewachsen. Doch er war nicht hier und Zeliarina war zu schwach, um mit ihren Donnerkräften zu helfen. Dunkan hatte vor dem Einsatz geschworen, dass ein Hochdämon bei ihrer Magie nur müde lächeln würde. Jetzt hatte wirklich ein Hochdämon ihren Weg gekreuzt und nicht einmal die Palas waren ihm gewachsen. Inzwischen lag jeder einzelne Lancelor geschlagen am Boden. Xicanh schritt mit besudeltem Speer gemächlich auf Dunkan zu. Wäre Dymeon doch hier... Plötzlich spürte Zeliarina einen heftigen Luftzug an ihr vorbeiziehen, begleitet von einem schwarzem Schatten. Dann prallte jemand mit dem Zyank zusammen. Zeliarina sah überall nur noch Blut und das Aufblitzen von Klauen und hörte Schreien und Brüllen. Nach mehreren endlosen Herzschlägen erkannte das Mädchen die ungepflegten, rabenschwarzen Haare des Wesens, das sie sich um alles auf der Welt an diesen Ort gewünscht hätte: Dymeon, der Dämon mit den Bluttränen... "Dymeon!" Er sah sich nicht um. Mit Händen, die die Form von schrecklichen Dämonenkrallen hatten, sprang er dem Zyank mitten ins Gesicht und schlitzte die lederne Haut auf wie dünnes Pergament. Ein wahrer Blutstrahl besprenkelte den ungewöhnlich geschnittenen, schwarzen Mantel, den Dymeon auch damals bei seinem Erwachen im Hügelgrab getragen hatte. "Du hier, Blutträne?", zischte Xicanh erzürnt. "Der Verräter wagt sich vor den Augen eines Angehörigen des Däezander für die Seite der Dämonentöter zu kämpfen? Es wäre besser gewesen, wenn dich Excalibur damals getötet hätte! Thundenstar gehört uns, Blutträne!!!" "Dieses Götterschwert darf nicht in die Hände des Dämonenordens gelangen, denn sonst würde es dazu beitragen, dass der Plan zur Löschung der Menschheit weiter fortschreitet..." "Was gehen dich die Menschen an?", brüllte Xicanh so ungehalten, dass er Speichel versprühte. Dymeons Worte schienen ihn mehr in Rage zu bringen als die Tatsache, dass seine Untergebenen, einschließlich des Zyanks, geschlagen waren. "Was gehen dich die Menschen an, die uns schon immer verfolgt und unterdrückt haben? Egal ob durch Gruselgeschichten oder Religion, sie fürchten und töten uns, obwohl wir das gleiche Recht haben auf dieser Erde zu leben wie sie! Was geht dich diese Spezies an, die unserer Freiheit im Weg steht???" "Ich bin ein Teil von ihr...", antwortete Dymeon knapp. Zeliarina verstand nicht, doch Xicanh schien die merkwürdige Anspielung deuten zu können. Seine roten Augen glühten. "Dann wirst du mit ihnen untergehen... Thundenstar gehört dem Däezander!" Der Hochdämon drehte sich mit einer schnellen Bewegung von dem Verräter ab und stürmte auf den Sockel zu, indem die begehrte Klinge mit der Spitze nach unten steckte. "Nein!" Dymeon rannte Xicanh hinterher und brachte ihn mit einem Sprung zu Fall. Wutentbrannt und voller Hass rangen die beiden mit zerreißenden Klauen. Keiner schien überlegen zu sein, so dass sie schon bald mit Kratzern und Wunden, die ein normaler Mensch niemals ertragen hätte, übersät waren. Nach mehreren Minuten, in denen Zeliarina nur ängstlich in ihrem Versteck gehockt hatte, schlug Xicanh Dymeon schreiend mitten ins Gesicht und packte ihn schnaufend am Hals. Lachend drückte er die Hand sadistischer Weise langsam aber sicher immer enger um die Kehle des Dämons. "Ich weiß nicht aus welchem Loch du gekrochen bist, doch du hättest dort bleiben sollen..." Der lange, dunkle Speer war längst vergessen, als Xicanh Dymeon mit zum Sockel schleifte und eine blutverkrustete Klaue um den sauber erarbeitenden Griff des Götterschwertes legte. Die andere raubte dem Dämon mit den Bluttränen inzwischen die Luft. Zeliarina ertrug nicht, wie ihr Lebensretter, der tatsächlich bis hierher mitgekommen war, in Todesqual röchelte. Mit all ihrem Mut trat sie aus dem Gang. "Noch eine Made...", zischte Xicanh ungeduldig. Zeliarina spürte, obwohl sie es nicht für möglich gehalten hätte, noch mehr Kälte in sich aufsteigen. Dymeon würgte, als würde er ihr klar machen wollen, dass sie fliehen sollte. Doch sie hatte sich genug versteckt, hatte genug Kameraden verletzt oder getötet werden sehen. Entschlossen hob sie die rechte Hand, auf dessen Rücken sich die verschlungenen Runen wanden, und richtete sie mit gespreizten Fingern auf Xicanh. Der Hochdämon lächelte abfällig. "Eine Elementarhexe...und auch noch so jung..." Für einen Moment vergas er Dymeon, der angespannt in seinem Griff lag. Das genügte dem ,Verräter' um seine Klaue in Xicanhs Unterleib zu stoßen. Der Hochdämon taumelte, ließ los und stürzte, zog Dymeon jedoch gleichzeitig mit sich und schlug seinerseits zu. "Nimm das Schwert", brüllte Dymeon, ehe ihm Blut aus dem Mund tröpfelte. "Nimm es!" Zögernd trat Zeliarina an den Sockel. Xicanh schrie fassungslos auf und versuchte sich aus dem Kampf zurückzuziehen, um die Donnerhexe daran zu hindern, doch Dymeon ließ ihm nicht einen Augenblick lang Ruhe. "Nimm es!" Zeliarina berührte zögerlich den weichen Ledergriff. Das Götterschwert strahlte eine ähnliche Kraft aus wie Excalibur, doch diese schien kein wundervolles Lied des Lichtes zu sein, sondern eine Art aufgebauschte Spannung, die ihr die Härchen an den Armen zu berge stehen ließ. Zeliarina beschlich das unbeschreibliche Gefühl, dass die Klinge von ihr ergriffen werden wollte. Mit einem letzten Seufzer schloss sie die Augen und zog Thundenstar aus dem roten Steinsockel... Blitzen züngelten durch die Halle... Überall war Licht... Als ich in diesem Moment das letzte, verschollene Götterschwert in der Hand hielt, durchströmte mich eine unvergleichliche Kraft. Aus meinem Mund drangen Worte, die ich erst dann verstand, als ich sie aussprach, so als würde nicht ich, sondern das Schwert aus mir sprechen. Ich sprach: "Ich habe meinen Träger gewählt...Sie soll mich als Zeichen der Hoffnung für die Menschheit tragen und gegen den Däezander, den hohen Orden der Dämonen, kämpfen..." Mehrere Blitze zischten funkensprühend und hell wie die Sonne aus der Klinge. Einer traf Xicanh den Hochdämonen und tötete ihn sofort, ein anderer zerstörte den Sockel des Schwertes. Doch als mich Dymeon erstaunt ansah, als Dunkan stöhnend erwachte, um mich stolz mit Thundenstar zu erblicken, wurde alles vor meinen Augen plötzlich schwarz. Danach weiß ich nichts mehr, nur dass mich Dunkelheit umgab... Kapitel 4: Wofür kämpst du? --------------------------- Kapitel IV - Wofür kämpfst du? Als die Dunkelheit langsam von Zeliarina wich, durchzog ein gleichmäßiges Piepsen die wohltuende Stille und leise Stimmen unterhielten sich neben ihr gedämpft. Das Mädchen stöhnte schwach, bevor sie zögerlich versuchte die Augen zu öffnen. Grelles Licht brannte ihr sofort tanzende Flecken auf die Netzhaut, so dass sie sich nach mehreren Blinzeln dafür entschied doch noch eine Weile die schützenden Lider zu schließen. Vermutlich wäre sie noch einmal eingeschlafen, wäre da nicht dieses nervende Piepsen an ihrem Ohr. Warum hörte es nicht auf, sie war so schrecklich müde...und so schrecklich schwach... "Es ist ein Wunder, dass sie noch lebt. Thundenstars Macht muss in voller Stärke auf sie niedergegangen sein", flüsterte eine tiefe Stimme, die eindeutig Dunkan gehörte, mitfühlend. Zeliarina spürte seine Hand, die ihr vorsichtig mehrere schweißnasse Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. "Sie ist noch viel zu jung. Sie sah bereits Tryclonns, einen Zyank und einen Marionetter...und vor allem spürte sie bereits die dunkle Aura eines Hochdämons... Das alles war zu viel für sie..." "Thundenstars entfesselte Macht hätte ein gewöhnliches Mädchen sofort getötet...Sie ist etwas Besonderes...ein Messias, der das Götterschwert tragen soll...Thundenstar selbst hat sie zu seinem Wächter erwählt...", murmelte Storm ruhig. Zeliarina spürte die Blicke der beiden Palas deutlich auf sich. Dunkan schien zu seufzen. "Sie ist zu jung...und hat keinen Grund sich den Lancelor zu verschreiben..." "Wir brauchen das Mädchen...", erwiderte Storm entschlossen. "Thundenstar hat sie erwählt, verstehst du? Du hast es doch gesehen...Zeliarina umklammerte das Schwert solange, bis sie in diesem Krankenflügel war, als hätte sie gewusst, dass sie nun die Einzige ist, die die Götterklinge in Händen halten kann...Außerdem könnten wir durch sie auch Dymeon wieder für unsere Sache gewinnen..." "Du darfst Zeliarina nicht zwingen...Verschreibt man sich einmal den Lancelor, gibt es nie wieder einen Weg in die Normalität. Und es kann sein, dass ihr Körper oder ihre Seele an dem, was noch kommen mag, zerbricht..." Mit einem unüberhörbaren Seufzen rekelte sich Zeliarina erneut und richtete sich behutsam auf. Sie lag in einem Bett des trostlosen, grauen Krankenzimmers, in dem auch Melissa lag. Mehrere Schläuche von messingfarbenen, das schreckliche Piepsen ausstoßenden Geräten führten in ihren Körper. Durch ein Fenster strömte silbernes Mondlicht in dem Raum und beschien Storm und Dunkan, die überrascht auf zweien Stühlen an ihrem Bettrand saßen, auf unnatürliche Weise. "Du bist wach", flüsterte ihr Mentor lächelnd. Zeliarina nickte, doch bereits diese Bewegung bereitete ihr fürchterliche Kopfschmerzen und zerrte an ihren Kräften. "Was ist...passiert...?" "Als du Thundenstar in dem Tempel an dich nahmst, nutzte es deinen Körper um seine Macht zu entfesseln, Xicanh zu töten und eine Nachricht für uns zu hinterlassen. Es erwählte dich zu seinem Wächter. Nur du allein kannst es jetzt benutzen, kein anderer Mensch, nicht einmal ein Dämon..." Storm hatte die Arme verschränkt und die Augen geschlossen. "Das ganze war vor sieben Tagen...du verlorst das Bewusstsein, brachtest das Schwert jedoch intuitiv mit nach Falcaniar...Dymeon, der sich die ganze Zeit mit uns im Helikopter versteckte und dann zur Hilfe kam, verschwand nachdem wir hier wieder ankamen..." "Und die anderen?" "Nur Storm und ich haben es geschafft...", wisperte Dunkan betroffen. Er zeigte keine Reaktion, doch Zeliarina sah wieder diesen Schatten in seinen Augen, diesen unerträglichen Schatten der Trauer und des Kummers. Drei exzellente Mitglieder des Ordens und gute Freunde waren in den Hallen des italienischen Tempels gefallen. Zeliarina verkrallte ihre Hände zitternd in die dicke Daunenbettdecke und warf einen Blick hinüber zu der schlafenden Melissa. "Ich will ein Lancelor werden, Dunkan", meinte die Hexe plötzlich. "Seit diese Leute in dem Tempel verletzt wurden...nein...eigentlich schon in dem Augenblick, da der Marionetter zwei Bewohner meines Dorfes tötete und den Verlust von Melissas Arm verschuldete, habe ich mir geschworen, dass ich meine Kräfte dazu einsetzen werde gegen so etwas vorzugehen..." Storm bewegte sich nicht, doch ein heimliches Lächeln umspielte seine harten Züge. Im Gegensatz zu Dunkan schien er von dieser Wendung erleichtert. "Das ist nicht nötig", widersprach Dunkan freundlich, ehe er seine Schülerin sanft zurück in den Kissen drückte. "Du bist geschwächt und verletzt und weiß nicht was du sagst. Schlaf eine Weile..." "Es wird nichts an meiner Entscheidung ändern", meinte Zeliarina schlicht. Sie sah wie sich Dunkans Züge verhärteten und er sich verzweifelt durch das strohblonde Haar fuhr. "Bitte, Zeliarina, du hast keinerlei Verpflichtungen. Es gibt andere Wege Thundenstar zu verteidigen, auch wenn du seine Wächterin bist. Niemand erwartet es von dir..." "Ich erwarte es von mir..." "Aber das Leben eines Lancelor ist unglücklich und voller Leid!", wisperte Dunkan mit flehendem Blick. "Du wirst in ständiger Angst leben, ständig um deine Freunde fürchten! Du wirst Dinge sehen, die die psychischen Abgründe der Menschen um Einiges übersteigen! Du wirst nie wieder ein normales Leben führen können! Nie wieder!" "Ich war nie normal...", murmelte Zeliarina, während ihr Blick verträumt zu den verschlungenen Symbolen auf ihrer Hand wanderte. Ihre Gedanken wanderten zurück zu all der Einsamkeit, die sie durch ihre Abstammung durchlitten hatte. Sie wanderten zu der Furcht und der Abneigung gegenüber ihren Kräften, die die Leute ihr entgegengebracht hatten. "Bitte, Dunkan, erlaube mir ein Lancelor zu werden...Du bist mein Mentor, du musst es mir erlauben...Ich tue dies auch nicht für den Orden, sondern nur für mich, für mich und die Menschen, die ich schützen möchte..." Zeliarina wusste, ihre Worte zeigten Wirkung. Dunkan hatte zwar noch immer diesen verzweifelten Glanz in den Augen, doch schließlich schoben sich seine Lider davor und er seufzte. "Wenn es wirklich dein Wille ist, darf ich ihn dir nicht verwehren...als Mentor nehme ich deinen Antrag zum Anwärter an...Doch bedenke...bedenke, dass du damit deinen Körper, deine Seele...dein ganzes Leben für den Orden gibst..." "Das weiß ich..." Zitternd umarmte Dunkan seine Schülerin auf traditionelle Weise. Er hatte schon damals in diesem Augenblick gewusst, dass das Leben der jungen Donnerhexe ein schweres Schicksal werden würde. Nach der Unterhaltung mit Dunkan und Storm fühlte sich Zeliarina entsetzlich ausgelaugt, als wären alle Knochen aus ihrem Körper entfernt worden. Müde verfiel sie schon bald wieder in die traumlose Dunkelheit des Schlafes. Doch sie erwachte, noch bevor die Sonne aufgegangen war. Das Licht des silbernen Mondes schien unverändert durch die großen Fenster, Melissas gleichmäßiges Atmen im Nebenbett durchzog die Stille im gleichen Takt wie das schwache Piepsen der messingfarbenen Körperfunktionsmessgeräte. Doch was hatte sie nur geweckt? Es war nicht das Piepsen und auch nicht Melissa. Verwirrt fiel Zeliarinas Blick auf die weißen Vorhänge, die leicht vom hereinwehenden Wind umher gewirbelt wurden. Das Fenster war bei ihrem ersten Erwachen noch nicht offen gewesen. "Du kriegst langsam wieder etwas Farbe im Gesicht, auch wenn du immer sehr blass bist, Mädchen." Obwohl Zeliarina durch die Drachenhalskette Dymeons Dämonenaura nicht spüren konnte, hatte sie sich nicht erschrocken, als er plötzlich gesprochen hatte. Mit seinem unergründlichen, dunklen Blick saß er auf einem der beiden Stühle neben ihrem Bett und betrachtete sie nachdenklich. Sein langer, schwarzer Mantel leuchtete im Schein des Mondes. "Dymeon..." "Shht, du solltest nicht zuviel sprechen...Dein Körper ist immer noch sehr schwach. Es tut mir Leid, ich hätte wissen sollen, dass es zuviel für dich ist ein Götterschwert in seiner vollen Macht zu tragen...", murmelte der Dämon mit einer weit entfernten Stimme. Wie in Trance hob er eine von Verbänden umwickelte Hand und strich damit über ihre blasse Wange. "Diese Dinge sind nichts für ein junges, unschuldiges Wesen wie dich..." "Ich habe mich entschieden Lancelor zu werden", erwiderte Zeliarina knapp. Dymeon zog seine Hand sofort weg und blickte an die Decke. "Tatsächlich...? Du überrascht mich immer wieder, Mädchen. Erst befreist du mich von Excaliburs Bann, dann tötest du Xicanh mit Thundenstars Donner. Inzwischen bin ich dir bereits zwei Leben schuldig..." Der Dämon lächelte heimlich. Die Schatten seiner ungepflegten, schwarzen Haarsträhnen verbargen seine Augen, so dass Zeliarina seinen Gesichtsausdruck nicht wirklich erkennen konnte. Aber auch im hellen Licht der Sonne hatte sie sein Verhalten noch nie wirklich deuten können. "Dymeon...was hat das zu bedeuten? Was hat all das, die Schwerter, die Dämonen, die Kämpfe, zu bedeuten? Warum ist all das geschehen...?" Dem Dämon entging nicht, dass Zeliarina ihrer schlafenden, einarmigen Zimmergenossin aus feuchten Augen einen kurzen Blick zuwarf. Dymeon seufzte zögernd. "Der Krieg, der vor mehr als fünfzig Jahren sein Ende fand, tobt wieder auf dieser Erde zwischen den Lancelor und Dämonen. Er wird gnadenloser denn je. Denn die Existenz aller sieben Götterschwerter ist nun gelüftet, auch die von Excalibur, das sich offenbarte als es mich versiegelte. Jetzt braucht der Däezander nur noch Thundenstar, nur noch diese eine Klinge um die Welt in die Dunkle Dämmerung zu stürzen, die die Menschheit auslöschen wird..." "Was ist... mit Excalibur...?" "Es wurde vor drei Tagen gestohlen. Wir haben nichts anderes erwartet", meinte Dymeon leichthin. Zeliarina blieb vor Überraschung die Luft weg, doch der Dämon blieb unverändert ruhig. "Jetzt ist Thundenstar die Hoffnung der Menschen. Die Dämonen dürfen es niemals bekommen. Es ist deine Aufgabe als Wächterin das Schwert zu schützen. Denn der Däezander wird kommen, um dich zu töten, damit dein Status als Wächterin verlischt und sie das Schwert an sich nehmen können... Doch keine Angst, diese Last ruht nicht nur auf dir... Der gesamte Orden wird mit zahllosen Schutzzaubern, Verteidigungsmechanismen, Wachen und so genannten ,Fängern' ausgebessert... Und ich werde immer an deiner Seite bleiben, bei dir und Thundenstar..." Zeliarina konnte nicht antworten. Sie folgte Dymeons Blick und sah das breite Schwert, das sie aus dem Sockel im Tempel gezogen hatte, mitten auf dem Boden liegen, vermutlich dort, wo sie es in ihrer Bewusstlosigkeit hatte fallen lassen. Wieso war sie die Einzige, die es berühren konnte? Dunkan hatte gesagt sie habe keine Verpflichtungen, doch die Dämonen wären immer wieder in ihr Leben getreten, wenn sie nicht auf Falcaniar geblieben wäre. "Wieso?", wisperte das Mädchen leise. Vorsichtig griff sie nach einer Hand des Dämons und strich mit sanften Fingern über die dicken Verbände darum. Sein Gesicht war übersät mit mehreren kleinen und großen Blessuren, die in der Woche trotz der schnellen Dämonenregeneration noch nicht ganz abheilen konnten. "Wieso nimmst du all das auf dich? Wieso kämpfst du gegen den Orden deiner eigenen Spezies? Was ist an dir anders als an den anderen Dämonen...?" Sie richtete sich wieder kraftlos in ihrem Bett auf, legte seine verarztete Hand an ihre Brust und starrte ihn fragend mit ihren leuchtend grünen Augen an. "Sag mir, Dymeon, warum bist du anders? Was macht dich zu einem Teil der Menschheit?" Sie wiederholte bewusst seine eigenen Worte, die er im Tempel zu Xicanh gesprochen hatte, und sah, dass es wirkte. Dymeon blickte verloren und traurig auf seine Hand an Zeliarinas Brust, ehe er sich die nicht weniger verletzte Innenfläche der anderen Hand begutachtete. Dann begann er zu sprechen, versunken in alte Erinnerungen und der Qual seines Lebens: "Genau wie du war ich bereits seit meiner Geburt anders...Nein, Geburt ist das falsche Wort... Dämonen werden nicht geboren, sondern erschaffen..." Dymeon drehte und wendete seine Hand, als suche er daran einen verborgenen Makel. "Es ist im Däezander kein seltenes Ritual. Man nimmt verschiedene Dinge, Knochen oder Dämonenfleisch, bei Marionettern auch einfache Puppen, und gibt sie in einen Beschwörungszirkel. Natürlich bedarf es je nach Stärke des zu Erschaffenen mehr Zeit und Kraft und Macht. Heraus kommt ein Dämon. Auch ich bin auf diese Weise erschaffen worden... Doch bei mir geschah etwas, das noch nie zuvor da gewesen war..." Zeliarina hing gebannt an seinen Lippen. Während seiner Sprechpause konnte sie es sich kaum verkneifen sofort weitere Fragen zu stellen, sondern abzuwarten bis er von sich aus weiter sprach. "Denn bei meiner Erschaffung wurde eine lebende Menschenfrau an meinen Beschwörungszirkel gebracht. Es ist normal, dass man einem Menschen bei dem Ritual die Kehle durchschneidet und das Blut auf den Bannkreis spritzen lässt, denn der rote Lebenssaft ist wichtig dafür, dass wir Dämon uns äußerlich nicht von den Menschen unterscheiden... Die mir zu opfernde Menschenfrau ließ sich ihrem Schicksal ergeben vor dem Beschwörungszirkel auf die Knie fallen. Der Erschaffer riss ihr den Kopf in den Nacken, lehnte den Kopf über den Kreis und setzte ihr einen Dolch an die Kehle. Die Frau weinte. Auch das war nichts Ungewöhnliches, selbst die tapfersten Männer vergießen in diesem Moment Tränen der Angst. Doch bei mir weinte die Frau nicht aus Angst. Sie weinte aus Mitleid...aus Mitleid für das aus ihrem Blut entstehende Wesen, dass für immer ein Leben in der Dunkelheit führen würde..." Es schien Dymeon immer mehr Überwindung zu kosten weiter zu erzählen. Seine Stimme wurde nicht brüchig, aber immer leiser, bis sich Zeliarina zu ihm beugen musste um etwas zu verstehen. "Es war unvorstellbar. Diese Frau kümmerte sich nicht um ihr Leben, sondern nur um die traurige Existenz, die ein Dämon durch sie führen würde. Ihre Tränen des Mitleids tropften silbern und klar auf den Boden des Beschwörungszirkels, ehe ihr Blut in einer roten Fontäne folgte. Die Menschenfrau starb, doch sie hinterließ mit diesen Tränen ein Mal in meiner Seele, das mich für immer prägen sollte. Ich fing an Mitleid für die Menschen zu empfinden, fing an den Krieg gegen sie und das Ziel mithilfe der Götterschwerter die Menschheit zu löschen als falsch zu empfinden. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und floh zu den Lancelor, bei denen ich hoffte Frieden stiften zu können...Für diesen Wunsch verriet ich sogar meine eigenen Artgenossen..." Entschlossen entwand Dymeon seine Hand wieder aus Zeliarinas Griff und betrachtete sie ein weiteres Mal. An ihr klebte das Blut unzähliger Dämonen, das Blut von Kameraden, Artgenossen und Familie. Er hatte gehofft auf der Seite der Lancelor für das Gute zu kämpfen, doch die Menschen waren in diesem Krieg ebenso grausam wie die Dämonen. Und Dymeon empfand durch die Tränen der Frau Mitleid für sie alle. Beide Seiten kämpften für ihre Überzeugungen und für das, was sie als richtig empfanden. Es war ein absurder Traum gewesen diesen Kampf friedlich beenden zu können. "Hass führt zu Tod und Tod führt zu Hass. Der endlose Kreislauf dieses Krieges wird niemals enden", wisperte Dymeon bitter. Zeliarina hielt den Atem an. "Warum bleibst du dann trotzdem bei den Lancelor und kämpfst weiterhin gegen den Däezander...?" "Ihr Ziel ist falsch. Sie dürfen die Menschheit nicht löschen. Jede Spezies hat das Recht auf dieser Erde zu leben und obwohl auch die Menschen Dämonen töten, war es anfangs nicht ihr Hauptanliegen die Dämonen vollkommen zu vernichten. Die Menschen verteidigten sich einfach nur. Deswegen ist ihr Kampf in meinen Augen edler, wenn auch nicht weniger gnadenlos." "Dymeon...der Dämon mit den Bluttränen...du trägst diesen Namen also wegen deinem Erschaffungsritual...weil das Menschenopfer vor ihrem Blutzoll Tränen vergoss..." "So ist es...", stimmte der Dämon zu. Zeliarina hatte eigentlich noch so viele Fragen. Sie wollte mehr über Dymeon und sein Leben wissen, wie genau er ein Feind der Dämonen geworden war und warum er vor fünfundzwanzig Jahren Pendrians Heimatdorf vernichtete. Sie wollte mehr über das Erschaffungsritual der Dämonen, über den Däezander und über Hochdämonen wissen, doch plötzlich befiel sie wieder schreckliche Müdigkeit. Dymeon sah es ihr an, denn er erhob sich lautlos von seinem Stuhl. Der lange, schwarze Mantel umgab ihn ohne das geringste Rascheln. "Verzeih, du bist immer noch sehr schwach. Schlaf jetzt weiter..." "Wirst du wiederkommen?", flüsterte Zeliarina mit bereits halb geschlossenen Augen. Der Dämon hatte bereits das offene Fenster erreicht und huschte wie ein Schatten auf das schmale Fensterbrett, als er sich noch einmal umdrehte. "Wenn es dir nichts ausmacht einen Dämon um dich zu haben...?" Zeliarina lächelte und schüttelte den Kopf. Sie sah genau, wie etwas der distanzierenden Kälte aus seinem Gesicht wich, während er meinte: "Dann komme ich gern...Zeliarina..." Obwohl die junge Hexe bereits beinahe eingeschlafen war, registrierte sie noch, dass Dymeon sie zum ersten Mal bei ihrem Namen genannt hatte. Er sprang wie eine Katze von der Fensterbank und war verschwunden. Nur das Rauschen der Wellen, die gegen die steile Felsküste rollten, und das Piepsen der Geräte waren zu hören, bevor Zeliarina auch schon einschlief. In ihrer Erschöpfung merkte sie nicht mehr, dass Melissas gleichmäßiges Atmen fehlte. Denn das Mädchen lag wach auf der Seite. Ihre verschiedenfarbigen Augen glitzerten in einer beunruhigenden Mischung aus Trauer, Verwirrung und Hass, als sie aus dem Fenster blickte... Erst nach drei weiteren Tagen der Beobachtung durfte Zeliarina den Krankenflügel endlich verlassen. Sie fühlte sich immer noch ein wenig schwach, doch Frau Dr. Fossil hatte gemeint, dass sie nach einem kleinen Mahl im Speisesaal wieder vollkommen genesen sein würde. Zeliarina war froh darüber nicht mehr in dem grauen, trostlosen Krankenzimmer zu liegen. Melissa hatte es auf Teufel komm raus gemieden irgendwelche Gespräche mit ihr anzufangen. Es hatte eine Stimmung wie bei einer Beerdigung geherrscht, die nur hin und wieder von Dunkans Besuchen durchbrochen werden konnte. Ihr Mentor hatte den Antrag Zeliarina zum Lancelor auszubilden an den Leiter Falcaniars weitergereicht, der prompt bewilligt wurde. Es wunderte Zeliarina nicht sonderlich, immerhin war sie nun die Wächterin Thundenstars und musste für die Zukunft stark werden, um sich auch ohne die Hilfe Dymeons behaupten zu können. Aus diesem Grund hatte sie bereits einen Trainingsplan bekommen, der weitaus härter war als die Ausbildung gewöhnlicher Anwärter. Ihr blieb keine Zeit für etwas anderes, nicht einmal für einen kurzen Besuch bei Melissa. Irgendwie war Zeliarina erleichtert darüber, denn die Besuche verliefen entweder in eiskaltem Schweigen oder Melissa schrie sie fuchsteufelswild an und warf sie aus dem Krankenzimmer. Ansonsten musste Zeliarina täglich ihre Elementarhexenkräfte trainieren, die Eigenarten verschiedener Dämonenarten lernen, Schießübungen mit einer der speziellen Lancelorwaffen machen und sogar den Schwertkampf üben. Letzteres wurde von Storm übernommen, der bei seinen Einsätzen ebenfalls manchmal diese mittelalterliche Waffe einsetzte. Angeblich waren einige Dämonen anfälliger gegenüber dem Stahl eines geweihten Schwertes, als der Feuerkraft einer Pistole. Nach vier anstrengenden Wochen beherrschte Zeliarina ihre Donnerkräfte um ein Vielfaches besser als jemals zuvor. Nur das Training mit Schwert und Pistole bereiteten ihr starke Schwierigkeiten... "Es ist nicht schlimm, dass du Thundenstar nicht richtig führen kannst, das Schwert ist viel zu schwer und breit für ein Mädchen deiner Größe", tröstete Storm eines Morgens, nachdem Zeliarina frustriert ihr Götterschwert davon geschleudert hatte. Sie hatte bereits seit einiger Zeit aufgehört das Artefakt mit samtenen Handschuhen anzufassen, denn es blieb makellos schön und unversehrt, egal was man damit anstellte. "Eigentlich ist der Schwertkampf sowieso nur für den Notfall. Solange du deine Magie und die Lancelorwaffe richtig beherrscht, musst du Thundenstar nicht ziehen. Also mach dir keinen Kopf." Zeliarina fühlte sich ein wenig getröstet, auch wenn sie den Kopf immer noch hängen ließ, Thundenstar unwirsch zurück in die Schlaufe an ihrem Gürtel rammte und den Trainingsraum verließ, um zu den Schießplätzen tief unter Falcaniar zu gehen. Weit unter der Grundfeste der uralten Burg war zu Zeiten von Lancelot eine große Höhle unter der Insel errichtet worden. Heute befanden sich dort die geheimen Trainingsorte, die nur für Lancelor und Anwärter genutzt werden durften. Die Schießplätze selbst sahen aus, als kämen sie direkt aus einer typischen Krimiserie. Vereinzelte Lancelor standen mit Schutzbrillen in nebeneinander gereihten Kabinen und schossen auf Ziele, die durch Knopfdruck auf unterschiedliche Entfernungen gebracht werden konnten. Vom Schwerttraining geknickt holte Zeliarina Waffe und Schutzbrille aus einem für sie angelegten Schließfach, beobachtete die zwei übenden Palas eine Weile und begab sich schließlich in die dritte Kabine, wo bereits Jürgen Siviusson, ihr Lehrer, auf sie wartete. Siviusson war ein kleiner Mann aus der skandinavischen Gegend mit weißblonden Haaren und einem dichten, gut gepflegten Vollbart. Er war nie über den zweiten Rang hinaus gekommen, doch wenn es um das Schießen ging, machte ihm niemand etwas vor. Mit schwarzer Stoffhose, makellos gebügeltem Hemd und verkniffenem Gesichtsausdruck wirkte er furchtbar ernst. Zeliarina hatte immer ein wenig Respekt vor ihm, auch wenn er ihr nie Grund zur Furcht gegeben hatte. Wortlos deutete Siviusson auf das Ziel in gut zwanzig Metern Entfernung. "Alles wie gehabt, Miss Heartstrong. Bitte, legen sie ein Magazin der Trainingsmunition ein...dann anfangen." Sein Englisch war von einem schwachen Akzent durchzogen. Ein bisschen zittrig griff Zeliarina nach einem der vielen fein säuberlich gestapelten Magazine und drückte es in den Griff ihrer Waffe. Dann setzte sie sich zögerlich die Schutzbrille auf, stellte sich langsam hin und umfasste die Pistole mit beiden Händen. Wie ein schwerer, schwarzer Stein lag sie dort. Der Lauf wackelte durch ihre zittrigen Finger. "Ganz ruhig, Miss Heartstrong..." Es war nicht nur Siviusson, der Zeliarina nervös machte. Schon von klein an hatte sie Feuerwaffen verabscheut. Der Gedanke, dass ein Mensch, auch sie, jemanden mit nur einer kleinen Fingerbewegung töten konnte, ließ ein flaues Gefühl in ihrem Magen entstehen. Die Lancelor kämpften zwar gegen Dämonen und sie benutzten nur Ziele, die zu unförmig für Menschen waren, doch auch Dämonen waren Lebwesen. Und wie Dymeon erzählt hatte, waren sie nur wegen ihrer Existenz nicht automatisch böse, sondern verteidigten einzig und allein ihr Recht. Jeder Mensch würde das Gleiche tun. Der erste Schuss verfehlte das Ziel um Längen. Zeliarina spürte Siviussons aufmerksamen Blick hinter sich. Als sie tief einatmete und erneut auf das Ziel anlegte, zitterte ihre Hand noch um Einiges mehr. Sie wollte keine Feuerwaffe benutzen, wollte nicht die Fähigkeit haben mit einem Finger zu töten. Eigentlich wollte sie überhaupt nicht töten. Es war eine erschreckende Vorstellung, dass ein Lebewesen durch sie qualvoll blutend verenden könnte. Inzwischen hatten ihre Augen soviel Tod gesehen, dass sie nicht dazu beitragen wollte weitere Leichen in Tempeln oder Straßen erblicken zu müssen. Damals, bei dem Marionetter, hatte sie kaum gewusst was sie tat und die schreiende grüne Fackel, in die er sich durch ihren Blitzstrahl verwandelt hatte, verfolgte sie noch mehrere Tage. Auch der zweite Schuss ging mit einem gedämpften Knall weit daneben. Jetzt ließ Siviusson endlich etwas von sich hören, nämlich ein gedehntes, betrübtes Seufzen. Er stellte sich neben seine junge Schülerin, nahm ihr überraschend sanft die Pistole aus den Händen und drückte einhändig ab. Das Projektil bohrte sich präzise zwischen die Augen des schwarzen Dämons, der ihnen auf dem Ziel teuflisch zugrinste. "Zeige keine Furcht...", erklärte Siviusson ruhig, während er Zeliarina ihre Waffe wiedergab. "Es ist normal, dass man Furcht hat, du musst dich ihrer immer bewusst bleiben, denn dich Furcht macht uns zu Menschen. Doch wenn du kämpfst, darfst du dich nicht von ihr beherrschen lassen. Du musst entschlossen sein und daran denken, wofür du kämpfst. Erinnere dich daran, als du dich zum ersten Mal gegen einen Dämon behaupten musstest..." "Es war in meinem Dorf...Gegen einen Marionetter..." Eine alte Wunde, die bereits beinahe verheilt war, riss mit aller Kraft von neuem auf. Zeliarina erinnerte sich an das schreckliche Blutvergießen, an den grausamen Parasiten, der Melissas Arm auffraß...Melissa...Durch den Marionetter hatte sie ihren Arm und beinahe ihr Leben verloren...zwei Menschen waren gestorben... Noch während Zeliarina zurückdachte, flammte in ihr ein wilder Funke auf. Mit vor Zorn brennenden Augen riss sie ihre Pistole in die Höhe, visierte an und feuerte sofort. Doch auch der dritte Schuss traf nicht sein Ziel... "Nein...Hass ist nicht dein Weg, Miss Heartstrong...", murmelte Siviusson kopfschüttelnd. "Auch Hass ist eine menschliche Eigenschaft. Einige Mitglieder des Lancelor-Ordens mögen Hass tatsächlich als Motiv für ihre Taten und ihren Aufenthalt hier nehmen, doch sie ist nicht dein Weg...Du bist nicht wegen des Hasses hier...Erinnere dich Miss Heartstrong, was bewog dich damals zu kämpfen? Warum bist du hier?" Eine weitere Flut von Bildern zog an Zeliarinas geistigem Auge vorbei: Dymeon, wie er in Ketten und Lederriemen gefesselt und von Excalibur durchbohrt an der Wand hing...Melissa, durch den Parasiten von Krämpfen geschüttelt...später mit aschgrauer Haut freudlos in einem der Betten des trostlosen Krankenzimmers liegend, den verbundenen Armstumpf umklammert...Lancelor, überall verstreut auf dem roten Steinboden des italienischen Tempels...Dymeons einsames Gesicht, Dunkans leidender Blick, Pendrians und Storms von Trauer ausgelöste, ohnmächtige Wut...Melissas lebloser Ausdruck in den verschiedenfarbigen Augen... "Sie haben Recht, Mister Siviusson, Hass ist nicht mein Beweggrund. Mein Beweggrund liegt woanders", wisperte Zeliarina kaum hörbar. Plötzlich wusste sie, was zu tun war. Mit völlig ruhiger Hand zielte sie auf das grinsende Dämonenziel und betätigte den Abzug. Die leere Patronenhülse fiel klappernd zu Boden. Noch bevor die Kugel irgendwo ankam, wusste das Mädchen, dass sie das Papier genau in der Mitte, genau an der Stelle, wo ein Dämonenherz lag, treffen würde. Ich will meine Freunde und Mitmenschen schützen...Ich will nicht zulassen, dass sie leiden müssen...Dafür bin ich sogar bereit diese Waffe zu benutzen... Von diesem Tag an ging nicht nur das Schießen wesentlich leichter. Thundenstar schien über Nacht leichter geworden zu sein, so als wollte es sagen: ,nun bist du bereit, meine Wächterin, nun kannst du mich tragen'. Zeliarina war noch immer keine geborene Schwertkämpferin, doch zumindest konnte sie im Notfall die Götterklinge ziehen ohne sich dabei selbst aufzuspießen. Nach zwei weiteren Wochen war sie fähig Storm eine Zeit lang mit ihrem Schwert in Schach halten zu können und weit entfernte Ziele sicher mit ihrer Pistole zu treffen. Schließlich eröffnete Dunkan, der sie in ihren Hexenkräften und dem Lernen der verschiedenen Dämonenarten unterrichtet hatte, dass sie nun soweit war, die Prüfung der Lancelor abzulegen. "Du kannst stolz auf dich sein, hinter dir liegt eine harte Ausbildung. Einige Anwärter verzweifeln vor der Prüfung und geben auf. Doch du hast die erforderliche Leistung in Rekordzeit gebracht." "Melissa hat über zweieinhalb Monate gelernt und trainiert...", murmelte Zeliarina fast ein wenig vorwurfsvoll. Dunkan schüttelte nur traurig den Kopf. "Melissa war nie zum Kämpfen geboren. Wegen ihrem Silberauge sollte sie als Spionin eingesetzt werden oder Parasiten erkennen können. Eine schreckliche Ironie, dass ausgerechnet sie, die Parasiten eigentlich in Dingen erkennen kann, von einem befallen wurde..." Der Lancelor seufzte tief und rieb sich über die Augen. "Doch wir sollten jetzt nicht über solche Dinge reden. Die Prüfung liegt vor dir, du musst einen klaren Kopf bewahren." "Was muss ich tun?", fragte Zeliarina aufgeregt, während sie mit einem Finger an einer langen, blonden Haarsträhne herumzwirbelte. Dunkan bedeutete ihr zu folgen. Er ging zielstrebig über mehrere Treppen in den Untergrund, dort wo die Schießplätze waren. Allerdings schritt er nicht durch die große Tür, die dorthin führte, sondern wandte sich nach links in einen Gang. Auch hier war eine Tür. Es war Zeliarina noch nie aufgefallen. "Bitte tritt ein..." Nervös legte die Junghexe ihre Finger um den kalten Griff und öffnete die Tür. Dahinter befand sich ein großer Raum mit einer Frontwand vollkommen aus Glas, so als hätte man ihn einmal aufgeschnitten und eine Scheibe an die offene Seite angebracht. Unzählige Geräte, ähnlich denen im Krankenzimmer, piepsten, blinkten und leuchteten an den anderen Wänden. Zeliarina sah Monitore in verschiedenen Größen von der Decke hängen, doch sie verstand nicht, was darauf gezeigt wurde. Sowieso schien soviel High-Tech auf einem Fleck eher zu einem Flughafentower zu gehören und nicht in einem tief unter der Erde liegenden Raum Falcaniars, einer Feste, die sich für Zeliarina bis jetzt immer sehr altmodisch gezeigt hatte. Doch es gab etwas, dass das Mädchen noch stärker in den Bann zog als all die Technik. Mit angehaltenem Atem ging sie wie in Zeitlupe zu der Glaswand herüber, legte ihre Hände vorsichtig an die Scheibe und sah hinaus. Ihr fehlten die Worte. Man sah das Innere der riesigen unterirdischen Höhle der Insel. Genau hinter dem Technikraum, der seinen Platz auf einem Vorsprung knapp unter der Decke hatte, schien die Seitenwand beinah in einem Neunziggradwinkel in die Tiefe zu stürzen, bis man kaum noch etwas außer Dunkelheit erkennen konnte. Ein beklemmendes Gefühl beschlich Zeliarina, als sie vergeblich versuchte den Boden zu erspähen. Stattdessen sah sie eine schmale Treppe genau von ihrem Raum aus an der Wand entlang hinunterführen. "Es macht einen sprachlos, nicht wahr?", meinte Dunkan, als er sich mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben sie an die Glaswand stellte. "Sie misst von der Decke bis zum Grund zweihundert Meter und befindet sich zum Teil bereits unter dem Meeresspiegel. Wie der Schießplatz ist es ein geheimer Ort, der nur von Mitgliedern und Anwärtern genutzt werden darf..." "Was...ist es...?", wisperte Zeliarina leise. Es war als befände sich dort unten noch eine andere Dunkelheit außer der wirklich sichtbaren, fast wie ein schwarzer Vorhang, der nicht wollte, dass man diesen Ort von ihrem Platz aus sehen konnte. Aus den Augenwinkeln bemerkte Zeliarina, dass Dunkan an etwas Vergangenes zu denken schien. "Dies ist die Höhle der Prüfungen...Ein jeder Lancelor, selbst zu Zeiten des Mittelalters, legte hier seine letzte Herausforderung der Ausbildung ab... Es ist eine uralte Tradition..." "Und heute wirst du diese Herausforderung annehmen..." Zeliarina schreckte bei der unerwarteten, neuen Stimme im Raum zusammen. Als sie sich umdrehte, standen Pendrian, Storm, Siviusson und zwei ihr unbekannte Palas im Zimmer. Doch es war ein anderer Mann, der gesprochen hatte. Zeliarina hatte den Leiter des Lancelor-Ordens erst wenige Male flüchtig gesehen, nun stand er in all seiner Pracht vor ihr. Er war nicht anders als die übrigen Lancelor und doch wirkte er auf eine Art vollkommen unterschiedlich von allen Menschen... beinahe unwirklich... und irgendwie... majestätisch. "Willkommen zur Prüfung, Zeliarina Heartstrong, Wächterin von Thundenstar..." Seine Stimme klang merkwürdig vertraut und doch so fremd, jung und alt, naiv und weise. Einen Moment lang fragte sich Zeliarina ob es sich bei ihm wirklich um einen Menschen handelte. Seine hüftlangen Haare waren weiß, nicht grau wie die eines Alten, sondern in der Farbe des Schnees an einem reinen Wintermorgen. Zeitlos... Ja, Zeitlos war das Wort, was der jungen Hexe beim Anblick des Ordensoberhauptes einfiel. Sie wagte es nicht sein Alter auch nur ansatzweise zu schätzen, obwohl seine klugen, blauen Augen in einem jungendlichen Glanz zu strahlen schienen. Anmutig berührte er mit den Fingerspitzen den Griff des Götterschwertes, das wie immer in der Schlaufe ihres Gürtels hing, ohne jedoch zu versuchen es an sich zu nehmen. Jeder, selbst Storm oder Dunkan, hatte schon einmal versucht Thundenstar in die Hand zu nehmen, doch für sie wurde es dann schwer wie Blei, als würde es plötzlich der Welt entrücken. "Du trägst einen ruhmreichen Namen, Miss Heartstrong. Zeliarina war im 19. Jahrhundert die wohl größte Hexe der Welt. Doch du fängst an in ihre Fußstapfen zu treten...Eine Donnerhexe, die das Donnerschwert trägt...Vielleicht wirst du einmal so mächtig wie sie..." Die blauen Augen des Oberhauptes wanderten zu den Runen auf Zeliarinas rechter Hand. "Doch um Lancelor zu werden, musst du nun in die Höhle der Prüfungen gehen..." Siviusson trat vor und reichte seinem Schützling einen ledernen Pistolenhalfter mitsamt schwarzer Waffe. Es war eine echte Pistole, nicht wie sie beim Training verwendet wurde, sondern eine für richtige Spezialmunition. Auch diese wurde ihr von Siviusson gegeben: zehn unscheinbare Magazine mit kaum sichtbaren Markierungen. "Jürgen lehrte dich das Schießen...Storm lehrte dich das Schwert...John lehrte dich Wissen und Magie..." Jetzt gab Siviusson Zeliarina einen gepackten Rucksack, an dessen Seiten zwei Wasserflaschen befestigt waren, und ein silbernes Headset. "Du musst nun die Endlose Treppe hinab gehen, bis du am Grund der Höhle ankommst. Zwanzig echte Tryclonns lauern irgendwo dort. Dies ist ein Überlebenstest. Es ist deine freie Entscheidung, zu jeder Zeit aufzuhören. Wir werden deine Bewegungen mit einem in den Rucksack eingebauten Sender immer verfolgen und per Headset Funkkontakt haben. Wenn du aufgeben möchtest oder Hilfe brauchst, rufe einfach. Doch bedenke, dass die Prüfung dann als gescheitert gilt..." Wie betäubt nahm Zeliarina die Sachen entgegen, setzte das Headset auf und schulterte den Rucksack. Sie würde kämpfen müssen, in der unsagbaren Dunkelheit der Höhle der Prüfungen würde sie gegen echte Dämonen kämpfen müssen. Eigentlich hatte sie mit ein paar Schießübungen oder Testfragen gerechnet...Doch sie beklagte sich nicht. Wortlos verstaute sie die Patronenmagazine in einer Seitentasche ihres Rucksacks. "Vertraue deiner Fähigkeit die dunkle Dämonenaura spüren zu können", sprach das Oberhaupt, während er Zeliarina mit den Fingern an die Stirn tippte. "Dies ist ein Überlebenstest, keine Übung. Sei immer wachsam in der Dunkelheit. Es ist deine letzte Prüfung, deine allerletzte Prüfung um ein Lancelor zu werden...Wächterin von Thundenstar..." Er lächelte. "Geh nun mit der Hoffnung des gesamten Ordens..." Kapitel 5: Die Höhle der Prüfungen ---------------------------------- Kapitel V - Die Höhle der Prüfungen Wahre Krieger zeigen nie Furcht und egal wie sehr sie leiden oder zweifeln, sie kehren niemals um. Das ist die Grundregel, die uns jedes noch so unbekannte Fantasybuch vermitteln will. Als ich vor meinen Lehrern, die zu Freunden geworden waren, stand, versuchte ich genau dieses Motto mit aller Härte zu verfolgen, auch wenn ich am liebsten sofort aufgegeben hätte. Wie konnten sie von mir verlangen hinunter in die Höhle der Prüfungen zu gehen, an einen Ort der Dunkelheit, voller tödlicher Dämonen? Als Anwärterin weiß man nichts über den letzten Test der Ausbildung. Damals dachte ich noch, dass jeder diese Art der Prüfung über sich ergehen lassen musste, sonst hätte ich mich vermutlich geweigert so etwas Gefährliches zu tun. Doch ich war fünfzehn und noch zu naiv für das Leben eines Lancelor. Ich dachte niemals darüber nach, dass man diese Aufgabe nur mir mit solch einem Schwierigkeitsgrad aufgetragen hatte. Entschlossen nahm ich Rucksack, Headset und Waffe, verabschiedete mich von meinen Trainern und trat durch die unauffällige Tür an einer Seite des Technikraums, die direkt zu der Endlosen Treppe ging. Die uralten Stufen führten tiefer und tiefer in die Finsternis, wo sie sich irgendwann in dem schwarzen Nebel verloren... Zeliarina stand voller Unbehagen am oberen Absatz der Endlosen Treppe und blickte mit ihren grünen Augen an ihr herab. Die Stufen aus hartem Stein waren in der Mitte von unzähligen Füßen abgenutzt und mit schmierigem Moos bewachsen. Nur zögerlich wagte Zeliarina es einen Schritt zu setzen und den Abstieg zu beginnen. Eigentlich hatte sie noch nie Probleme mit Höhe gehabt, doch bei dem Anblick der steilen Treppe fing ihre Haut an unangenehm zu prickeln. Ein eisiger Windhauch stieg aus dem Tiefen empor, um ihr die schulterlangen, blonden Haare durcheinander zu wirbeln. Es war, als würden in ihrem Kopf Stimmen wispern... Dunkelheit liegt hinter dir...Dunkelheit liegt vor dir...Dunkelheit umgibt dich überall... Zeliarinas Herz begann schmerzhaft schnell zu klopfen, bis es ihr schwer fiel zu atmen. Zitternd setzte sie einen weiteren Fuß auf die nächste, verfallene Stufe, während ihre Gedanken bangend darum schweiften, was passieren würde wenn sie den Halt verlöre. Eigentlich war es nur eine ganz normale Treppe, aber im Anbetracht der schrecklichen Höhe schien selbst sie eine bedrohliche Gefahr darzustellen. Dunkelheit liegt in deinem Herzen...Du versteckst sie, Mädchen, versuchst sie für andere unsichtbar zu halten...Doch die Dunkelheit wird immer bleiben, unsichtbar, aber dennoch quälend... Der Abstieg schien sich tatsächlich bis zur Endlosigkeit auszudehnen. Zeliarina versuchte mehrmals die Stufen zu zählen, doch irgendwie verlor sich ihr Vorhaben sofort wieder, als wäre es ihr nicht bestimmt die Länge der Treppe zu verfolgen. Der kalte Wind ließ sie frösteln, brachte sie nach einiger Zeit sogar fast um den Verstand. Doch noch schlimmer waren die wispernden Stimmen, die immer wieder in ihren Ohren dröhnten und sie zu verspotten schienen. Schwarze Hexe, dunkle Hexe...in dir liegt Dunkelheit, du kannst es nicht leugnen...Und egal wie sehr du dich quälst um sie zu besiegen, sie wird deinen Weg bis zum bitteren Ende begleiten...Dunkelheit... Frierend stieg Zeliarina tiefer und tiefer hinab in die Höhle. Manchmal spürte sie kurz das Aufblitzen einer schwarzen Aura, fern, doch deutlich zu spüren. Die Tryclonns warteten am Grund auf sie. Zeliarina spürte den schrecklichen Hass, der in den Dämonen tobte. Seit einer Ewigkeit waren sie eingesperrt gewesen, nun wurden sie in diese Höhle gesteckt, abgeschottet vom Rest der Welt. Der Hass war so intensiv, dass die junge Hexe jedes Mal zusammenzuckte, wen sie eine Aura erfühlte. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihre rechte Hand. Du kannst es nicht leugnen...Du kannst es nicht leugnen... Erst jetzt bemerkte Zeliarina, dass sie all die Zeit über Pistole und Headset fest umklammert hatte. Mit dem wachsenden Gefühl dem Wahnsinn zu verfallen setzte sie sich vorsichtig das silberne Headset auf den Kopf und schnallte den Waffengürtel um. Nach kurzem Überlegen nahm sie die schwere Pistole aus der Halterung, zog ein Magazin aus dem Rucksack und schob es in den Griff. Zeliarina erkannte inzwischen die verschiedenen Arten der Munition, Siviusson hatte sie ihr tausendmal eingebläut. Du kannst es nicht leugnen... Runenmunition, die einfachsten Projektile der Lancer. Sie waren gefüllt mit geweihtem Silberstaub und konnten Niederdämonen wie Tryclonns beinahe Problemlos beseitigen. Es gab noch viele andere Arten, doch Zeliarina hatte bis auf Signalmunition, die Leuchtkugeln abfeuerte, nur diese Runenmunition. Schwarze Hexe! Warum gingen die Stimmen nicht weg, egal wie sehr sie sich versuchte abzulenken? Warum wurde sie verspottet auf dem Weg zu ihrer Prüfung in der Finsternis? Dunkle Hexe!!! Plötzlich berührte Zeliarinas Fuß festen Boden, der unter ihrer Sohle wie eine dünne Sandschicht knirschte. Ihre Augen hatten sich genug an die Dunkelheit gewöhnt um die Umrisse von zerfallenen Mauern, Steinhügeln und umgestürzten Säulen zu erkennen. Das Headset schien sich wie ein Schraubstock um ihren Kopf zu pressen. Zeliarina wusste, ihre Trainer konnten sie oben hören, doch kein Wort ging über ihre Lippen. Storm und die anderen würden nur mit ihr reden, wenn sie in Not war. Ansonsten war sie auf sich alleine gestellt... "Na dann", flüsterte das Mädchen mit dünner Stimme, "Ich bin bereit..." Ab diesem Punkt der Geschichte werde ich auch von Momenten reden, in denen ich nicht anwesend war. Vieles davon habe ich durch die Erzählung anderer rekonstruiert, manches werde ich auch einfach nur so berichten, wie ich glaube dass es passiert ist. So geschah nun meiner Meinung nach, während meinem Abstieg in die Höhle der Prüfungen folgendes im Technikraum: "War das wirklich nötig? Zwanzig Tryclonns? Für die normale Prüfung schaffen wir kaum fünf von ihnen in die Höhle der Prüfungen!", protestierte Dunkan zweifelnd, als er seiner Schülerin durch die große Glaswand hindurch dabei zusah, wie sie langsam die Stufen zu ihrer letzten Aufgabe hinab stieg. Neben ihm hatte sich Storm bereits auf einem bequemen Drehstuhl niedergelassen, um den Peilsender an Zeliarinas Rucksack zu checken. Wie von Sinnen hackte er auf der Tastatur vor ihm ein. "Ja, es war nötig...", antwortete das Oberhaupt klar, "Die Wächterin Thundenstars muss in die Dunkelheit gehen und sich der Gefahr gegenüber sehen. Sie muss ihre Existenz neu entdecken, um als starke Lancelorin geboren zu werden. Nur wenn sie stark und entschlossen kämpfen kann, haben wir eine Chance das Götterschwert des Donners und seine Wächterin gegen den Orden der Dämonen zu halten..." "Aber...sie ist doch erst fünfzehn..." "Das Alter ist egal, wenn ihr Herz und ihr Geist die richtigen Entscheidungen treffen. Glaube mir, John Dunkan, ich habe jeden Schritt von Zeliarina Heartstrongs Ausbildung beobachtet und weiß ganz genau, was ich ihr zumuten kann..." Das Oberhaupt wurde niemals laut, doch seine unirdische Stimme konnte auf eine merkwürdige Weise so fest werden, dass niemand wagte zu widersprechen. Genauso erging es Dunkan, der nun langsam nickte, dabei jedoch weiterhin hinaus zu der Höhle der Prüfungen starrte. "Zwanzig Tryclonns...", murmelte er immer wieder. "Zwanzig..." "Ich finde ihr mutet dem Mädchen ganz schön viel zu...", ließ sich nun eine neue Stimme vernehmen. Dunkan wirbelte herum und erkannte Dymeon mit verschränkten Armen in dem Schatten einer Zimmerecke stehen. Sein schwarzer, langer Mantel schien ihn beinahe eins mit der schwachen Dunkelheit werden. Peter Pendrian war sofort auf den Beinen, riss seine Waffe aus dem Gürtel und richtete sie auf den Dämon "Blutträne!", brüllte er hasserfüllt. "Du wagst es hier mitten unter uns zu erscheinen, direkt auf Falcaniar? Wieso spüre ich deine widerwärtige Aura nicht?!" Pendrian warf Dunkan einen schnellen Blick zu. "Du hast ihm seine alte Kette wiedergegeben, nicht wahr? Du hast dich mit ihm getroffen und dem Orden verschwiegen, wo sich der gesuchte Dämon aufhält!" "Ruhig, Peter...Ja, ich habe ihm den Auraunterdrücker zurückgegeben. Doch du musst endlich aufhören deinen Hass gegen ihn zu richten, er steht auf unserer Seite, er kämpft gegen den Däezander...gegen seine eigene Spezies..." "Er hat mein Dorf getötet, meine Freunde, meine Familie! Nur aus diesem Grund trag ich heute diese Waffe, nur deswegen kämpfe ich bei den Lancelor! Ich will Blutträne endlich tot sehen!!!" Rasend vor Wut schoss Pendrian sein ganzes Magazin leer. Dymeon wich nicht aus. Jeder konnte genau dabei zusehen, wie sich die einzelnen Projektile einem Hagel gleich in seinen Körper bohrten und hässliche Löcher in Mantel und Brust brannten. Keuchend ging Dymeon in die Knie und fing seinen weiteren Sturz geradeso mit einer Hand ab. "Schon wieder...nur Runenmunition...du hast einfach nichts dazugelernt...Peter..." "Ich bring dich um!" "Dann...tue es doch endlich...ich nehme jede Strafe für die Zerstörung deines Dorfes an...doch dann wirst du nie die Wahrheit wissen...die Wahrheit, warum ich deine Freunde töten musste..." Dymeons Worte schienen gar nicht bei Pendrian anzukommen. Mit einem irren Glanz zog er ein weiteres Magazin aus der Tasche und richtete seine neu geladene Waffe genau zwischen die dunklen Augen des Dämons. Doch gerade als er den Abzug betätigen wollte, erklang die Stimme des Oberhauptes, die keinen Widerspruch zuließ: "Hört sofort auf..." Selbst Pendrian, durch seinen Hass blind und tobend, gehorchte ohne ein weiteres Wort und steckte mit großem Widerwillen seine Waffe weg. Dymeon erhob sich mühelos, so dass Dunkan gerade noch erkennen konnte, wie sich die Brandwunden der Runenmunition bereits wieder schlossen. Das Oberhaupt schritt bedächtig auf den Dämon zu. "Dymeon Blutträne...der uns vor fünfundzwanzig Jahren gute Dienste leistete...warum bist du hier...?" "Ich wollte dem Mädchen bei ihrer Prüfung zusehen. Es interessiert mich, wie sie abschneiden wird." Das Oberhaupt nickte bedächtig und berührte mit seinen Finger Dymeons Stirn, die wie immer von dunklen, verfilzten Haarsträhnen verdeckt war. Dann deutete er auf einen freien Platz neben Storm. "Es sei dir gestattet..." Als sich Dymeon setzte, stürmte Pendrian fauchend aus dem Raum. Schweigend und nachdenklich wanderte Zeliarina durch die verfallenen Überreste eines Gebäudes, das in vergangen Zeiten vielleicht einmal einen Tempel oder eine Opferstätte dargestellt hatte. Heute wuchs schleimiges Moos auf den einst prachtvollen Säulen und Staub bedeckte die wundervollen Gravierungen in Stein und Marmor. Zeliarina schauderte von einer nicht identifizierbaren Trauer ergriffen. An diesem Ort haftete ein beinahe greifbarer Kummer, der sich in das Herz der jungen Hexe setzte. Nach den hämischen, flüsternden Stimmen auf der Endlosen Treppe tat er merkwürdig gut. Es ist hier wie auf einem Friedhof...Eine bedrückende und doch friedliche Atmosphäre... Der Staub der Höhle machte Zeliarina schnell durstig, so dass sie ihre trockene Kehle mit einem Schluck aus der Mineralwasserflasche aus ihrem Rucksack anfeuchtete. Gerade als sie das Behältnis zurück in das Seitenfach steckte, schien ein scharfer Schmerz durch ihre Schädeldecke zu schießen, sich in der Brust zu gabeln und durch beide Arme bis in die Fingerspitzen zu fahren. Dämonenaura... Hastig zog Zeliarina ihre Waffe und sah sich um, doch in der Dunkelheit war nichts zu erkennen. Die Aura schien von überall zu kommen. Dann vernahm sie hinter sich ein Knirschen von Schritten, gefolgt von einem bedrohlichen Knurren. Zeliarina wirbelte herum, richtete ihre Pistole irgendwo in die Dunkelheit und rutschte über den Schotter der zerstörten Tempelanlage rückwärts. "Zeig dich!" Es knisterte in ihrem Ohr und für einen Moment wusste sie nicht mehr ob sie wirklich etwas gehört hatte oder es nur aus dem Headset gekommen war. "Zeige dich!" Wieder trat irgendjemand auf Sand und Steinen herum, diesmal jedoch in einer ganz anderen Richtung. Erschrocken fuhr Zeliarina wieder herum, ihre Augen suchten verzweifelt nach irgendeiner flüchtigen Bewegung in den Schatten. Wurde sie wahnsinnig? Wo waren die Tryclonns, sie spürte die Aura der Dämonen überall. "Zeigt euch!!!" Ihre Stimme hallte allein und verloren durch die Höhle. Wieder knurrte es irgendwo, an einer anderen Stelle rollte Schotter über eine Senke. Aus den Augenwinkeln erkannte Zeliarina tatsächlich jemanden, eine Armbewegung, dann ein Aufblitzen von Krallen. Das Mädchen konnte gerade noch so der Attacke des Tryclonns ausweichen, verlor auf dem unsicheren Grund jedoch sofort den Halt und stürzte heftig zu Boden. Ein Schmerz, ähnlich dem schrecklichen Gefühl in ihrem Kopf, durchzuckte ihr linkes Knie. Als sie aufsah, erkannte sie drei blutrote Augen in der Dunkelheit glühen. Der Tryclonn grinste schaurig, entblößte dabei seine grauenvollen, mit Speichel getränkten Reißzähne und setzte zu einem weiteren tödlichen Schlag an. Zeliarina stieß einen zornigen Schrei aus: "Ich bin jetzt ein Lancelor! Ich bin bereit zu kämpfen!" Dann knallte es unangenehm laut, als sich der Schuss löste. Die Augen des Tryclonns weiteten sich in einem einzigen Moment soweit, dass das Weiße deutlich zu sehen war. Zeliarina fühlte heißes Dämonenblut über ihre Hände fließen und roch den Gestank verkohlten Fleisches, weil der Schweif gesegneten Silberstaubs seinen Körper an manchen Stellen bis zu den Knochen heruntergebrannt hatte. Der Dämon stieß noch ein paar letzte, unverständliche Worte zusammen mit blutigem Speichel aus, dann sackte er leblos hintenüber. Einen Herzschlag lang erfüllte Schweigen die Höhle der Prüfungen. Zeliarina erhob sich trotz ihrem aufgeschlagenen Knie und starrte auf den Körper des Tryclonns hinab, ehe plötzlich ein weiterer Dämon aus der Dunkelheit angesprungen kam. Die Hexe riss entsetzt die Augen auf. In ihrer Überraschung konnte sie dem Angriff nur ganz knapp ausweichen, so dass eine Klaue des Tryclonns ihre Hüfte streifte und blutige Striemen auf ihre Haut zeichnete. Keuchend vor Schmerz ließ sich Zeliarina ein weiteres Mal fallen, machte eine seitliche Rolle und feuerte wütend ihr ganzes Magazin auf den Dämon leer. Während der Tryclonn wortlos in sich zusammenbrach, presste das Mädchen ihre Hände auf die Wunde an der Hüfte. Die Schnitte waren zum Glück nicht besonders tief, doch sie brannten trotzdem wie Hölle. Was ist das nur für ein schrecklicher Test? Es reicht ein Moment der Unachtsamkeit um zu sterben...Wie viele fähige Anwärter wurden wohl bei dieser Prüfung schon getötet? Zeliarina biss die Zähne zusammen, damit ihre Prüfer nicht über das Headset hören konnten, dass sie verletzt war. Jetzt, wo sie einmal so weit war, wollte sie keine Hilfe und auch kein Mitleid. Sie musste sich nur den schrecklichen Anblick der aschgrauen, gequälten Melissa ins Gedächtnis rufen um zu wissen, dass sie diese Aufgabe alleine bewältigen musste. Nur so werde ich eine richtige Lancelorin...Nur so werde ich Thundenstar würdig... Zeliarina blieb noch lange am Boden liegen, bis sich ihr rasender Puls etwas beruhigt hatte. Als ihre Hand endlich aufgehört hatte zu zittern, steckte sie die schwere Pistole zurück in den Halfter und setzte ihren Rucksack ab. Wie sie erhofft hatte befand sich genug Verbandszeug für eine ganze Armee darin. Nachdem sie ihre Hüfte und das aufgeschlagene Knie sorgsam verbunden hatte, schüttelte sie den kompletten Inhalt des Rucksacks vor sich auf den sandigen Boden. Zum Vorschein kamen außer dem Erste Hilfe Set einige Sandwichs, ein Feuerzeug, eine Taschenlampe, ein Schreibblock mit Stift, mehrere Meter Seil, Nadel, Faden und etwas, das wie ein riesiger Silvesterböller aussah. Ein Notsignal-Feuerwerkskörper... Zeliarina hatte die Dinger oft genug im Fernsehen gesehen. Vermutlich die letzte Rettung wenn das Headset versagte und sie in eine Lage geriet, die nicht mehr alleine zu bewältigen war. Die junge Donnerhexe drehte den Feuerwerkskörper nachdenklich in ihren Händen, ehe sie ihn zurück in den Rucksack steckte. Hoffentlich würde sie ihn erst gar nicht brauchen... Melissa lag gedankenverloren auf ihrem Bett und starrte an die Decke des Krankenzimmers. Ihre verschiedenfarbenen Augen, die ihre Mitmenschen sonst immer mit einem lebenslustigen Funkeln begeistert hatten, folgten trübe einer kleinen Spinne, die hoch oben an einem unsichtbaren Faden hin und her pendelte. Verfilzte, rote Haarsträhnen hingen ihr mitten in dem aschgrauen Gesicht herum, während sie ihren rechten Armstumpf streichelte. Die dicken Bandagen hatte Melissa inzwischen abnehmen können, doch eine große Stelle mit abblätterndem, alten Schorf erinnerte noch immer an den schrecklichen Augenblick vor 12 Wochen, an dem der Dämon Dymeon ihr ihren Arm nahm. Warum? Warum hatte sich ihre einstige Freundin ausgerechnet mit diesem boshaften Wesen verbündet? Melissa hatte die beiden oft während Zeliarinas Aufenthalt im Krankenzimmer beobachtet. Es war qualvoll gewesen ihren Todfeind mit dem Mädchen zu sehen, das selbst nach drei Monaten immer wieder zu Besuch kam um sie aufzumuntern. Dymeon und Zeliarina hatten sich oft unterhalten. Der Dämon war mehrmals an ihr Bett gekommen, sie waren nett zueinander...beinahe...wie Freunde... Nun hatte Melissa niemanden mehr auf der Welt. Alle taten ihr Bestes um ihr trotz ihrer Behinderung das Gefühl zu geben normal zu sein, doch sie hatte die mitleidigen Blicke immer gesehen, wenn sie vergebens versucht hatte ordentlich zu schreiben oder auch nur ein Buch einhändig zu lesen. Nichts war schlimmer als dieses Mitleid. Keiner der Menschen auf Falcaniar wusste was in ihr vorging. Melissa hatte niemanden. Wer würde auch schon etwas mit einem Krüppel zu tun haben wollen? Eigentlich wollte sie nur noch schlafen. Die Spinne pendelte hin und her. Trotzdem richtete sich Melissa plötzlich in ihrem Bett auf und tapste mit nackten Füßen über den kratzenden Teppich des Krankenzimmers. Die junge Doc Fossil, die gerade die leeren Betten für andere mögliche Verletzte machte, warf ihr einen fragenden Blick hinterher. Es war sehr selten, dass Melissa aufstand und wenn sie es tat, dann verließ sie doch niemals das Zimmer. Durch die zwölf Wochen des Liegens zerrten bereits ein paar Schritte heftig an den Kräften des Mädchens. Schlafen...Hin und her... Obwohl sie sich bereits schwach fühlte bevor sie die Tür erreichte, ließ sie das Zimmer mit Doc Fossil ungeachtet hinter sich. Die langen, weinroten Haare hingen ihr immer noch wirr vor dem Gesicht herum, doch Melissa machte keine Anstalten sie wegzuwischen. Wahrscheinlich bot sie einen erbärmlichen Anblick. Die wenigen Lancelor, die ihr entgegenkamen, warfen ihr unfreiwillig diese mitleidigen Blicke zu, die sie so hasste. Zornig presste das Mädchen mit dem Silberauge ihre Kiefer hart aufeinander und schluckte die Tränen, die sich anzubahnen drohten, trotzig herunter. Sie würde nicht weinen. Vielleicht war sie ein einsamer Krüppel, doch sie würde weder Dymeon noch sonst wem den Gefallen tun und nun auch noch weinen. Tapfer quälte sich Melissa trotz des ansteigenden Schwindelgefühls weiter durch die Gänge Falcaniars, bis sie an der geheimen Tür im Keller angekommen war. Eigentlich wusste sie gar nicht, was sie hier wollte. Zeliarina, die Verräterin, die sich mit Dymeon verbündet hatte, absolvierte gerade den letzten Test in der Höhle der Prüfungen. Melissa legte ihre blasse Hand auf den Türgriff, atmete tief durch und vertrieb die schwarzen Punkte, die vor ihren Augen herumtanzten, mit einem Kopfschütteln. Ich gebe nicht auf! Ich werde nicht schlafen, ich will nicht schlafen! Entschlossen trat das Mädchen in den Technikraum, der weit oben auf einem Felsvorsprung knapp unter der Decke der Höhle der Prüfungen lag. Sofort kam ihr grelles grünes und blaues Licht unzähliger Computermonitore entgegen, so dass sie einen Moment brauchte, ehe sie das Innere des Zimmers erkannte. Storm, ein großer Palas mit blonden Haaren und einer Narbe quer über Wangen und Nase, saß gebannt vor den Bildschirmen. Hinter ihm standen der junge Dunkan mit dem hübschen Gesicht, der kleine Siviusson aus Norwegen und das ehrenwerte Oberhaupt, dessen Haare schneeweiß bis zur Hüfte hinab fielen. Ein pulsierendes, rotes Leuchten aus einem der Monitore beschien ihre angespannten Gesichter auf unheimliche Weise. Als Melissa eintrat, wandten sich die vier Lancelor überrascht zu ihr. Das Mädchen jedoch starrte erschrocken auf die rote, blinkende Anzeige in der unteren linken Ecke des Bildschirmes. Zwei Zahlen wurden dort angezeigt, getrennt mit einem Schrägstrich. Die erste Zahl war eine Achtzehn, die andere eine Zwanzig. "18...von 20?", keuchte Melissa mit brüchiger Stimme. "Ihr...lasst Zeliarina dort unten...mit zwanzig Tryclonns...? Bei mir waren...es nur...fünf!" "Melissa! Um Gottes Willen, du darfst doch nicht so weit laufen! Wo ist Doc Fossil?" Dunkan hatte mit nur wenigen Schritten den Raum durchquert und blockierte den Eingang, so dass Melissa kaum ins Innere sehen konnte. Außerdem schien er bewusst nicht auf ihre Frage eingegangen zu sein. "Wieso...zwanzig...?" Zitternd stützte sich Melissa an dem Türrahmen ab, um nicht augenblicklich zusammenzubrechen. Dunkan griff ihr freundlich unter den Arm und sicherte ihren Stand, doch Melissa hatte nur Augen für das Oberhaupt, das sie geduldig im Raum stehen sah. Bei ihrer Prüfung war der weißhaarige Mann mit der überirdischen Ausstrahlung nicht anwesend gewesen, aber damals hatte sie auch nur gegen fünf Tryclonns kämpfen müssen. Dabei war ihr damals schon die Schlacht gegen fünf Dämonen wie ein Albtraum vorgekommen. "Wieso...? Sag mir wieso!" Von einem plötzlichen Zorn erfasst stieß Melissa Dunkan beiseite. Beinahe hätte sie dabei den Halt verloren und sie musste gegen eine Wand taumeln, doch in der Macht ihrer Verzweiflung konnte sie sich auf den Beinen halten. "Wie konntet ihr das tun? Sie wird sterben!" Für einen Moment vergaß das Mädchen, dass Zeliarina sie verraten, sie hintergangen hatte. Zumindest solange, bis sie plötzlich IHN mit ihrem Silberauge in dem dunklen Schatten einer Ecke sah. Stolz und unnahbar stand er dort, die Arme verschränkt, den langen, schwarzen Mantel locker um seinen Körper. Melissa bildete sich ein bei dem Anblick ihres Armstumpfes einen kurzen Glanz in den dunklen Augen Dymeons entdecken zu können. "DU?", stieß sie fassungslos hervor, ehe sie auf die Knie fiel. Erneut musste sie gegen die heißen, aufsteigenden Tränen ankämpfen, die sich diesmal aus Zorn anbahnten. "DU!!!", schrie sie mit all ihrer Kraft verzweifelt durch den ganzen Raum, so dass selbst Storm erschrocken zusammenzuckte. "Wieso ist Dymeon hier? Was zum Teufel geht hier vor? Es gibt eine ganze Abteilung, die nur für die Jagd nach ihm gegründet wurde!" Völlig außer sich kämpfte sich Melissa wieder auf die Beine, blickte mit fiebrigen Augen durch den ganzen Raum und verdrängte die Schwindelattacken, die nun immer heftiger auf sie eindrangen. "Die Abteilung für die Suche nach Dymeon, dem Dämon mit den Bluttränen, ist an dem heutigen Tag abgeschafft worden...", erklärte das Oberhaupt ruhig. Melissa wurde auf einen Schlag furchtbar schlecht. Wutentbrannt verkrallte sie ihre Finger um den rechten Armstumpf, so dass der Schorf an einigen Stellen abbröselte und sich Blut unter ihren Fingernägeln ablagerte. Die schwarzen Punkte vor ihren Augen tanzten wieder. "Ich...er...aber...er hat mir den Arm abgerissen!!! Er ist ein Dämon!" Noch während sie die Worte aussprach fragte sie sich, wieso sie eigentlich nicht die Aura Dymeons erspüren konnte, doch die flimmernden Punkte verdichteten sich in ihrer Sicht zu einer undurchdringlichen Schwärze, die ihr die Bewusstlosigkeit zu rauben drohte. Melissa kämpfte verzweifelt dagegen an, wehrte sich gegen die bleierne Müdigkeit, die ihre Augenlieder schloss. "Ich...will nicht! Bitte, ich will...doch...nicht...", wisperte sie kraftlos. Dann fiel sie vorne über. Statt der Härte des kalten Metallplattenbodens spürte sie jedoch nur noch die wohlig weichen Wolken der Bewusstlosigkeit, die sie liebevoll empfingen und jeglichen Zorn und Kummer beiseite schoben... Zeliarina seufzte zufrieden und steckte das Nähzeug, mit dem sie ihre zerschlissene Kleidung notdürftig geflickt hatte, zurück in ihren großen Rucksack. Sie wusste nicht wie viel Zeit inzwischen seit dem Beginn der Prüfung vergangen war, doch sie verspürte nach dem Kampf einen schrecklichen Hunger. Sparsam aß sie eines der Sandwichs um wenigstens etwas im Bauch zu haben. "Wenn ich gewusst hätte was auf mich zukommen würde, hätte ich mich vorher noch einmal ordentlich voll gefressen." Eigentlich führte Zeliarina nie Selbstgespräche. In der Dunkelheit dieser schrecklichen Höhle fühlte sie sich jedoch so einsam, dass sie einfach das Geräusch einer menschlichen Stimme brauchte, selbst wenn es nur ihr eigene war. Nachdem das Mädchen ihr Essen beendet hatte, warf sie die Frischhaltefolie achtlos beiseite, schulterte ihren Rucksack und erhob sich langsam. Ihr Knie und ihre Hüfte brannten noch etwas, aber in letzter Zeit war sie an schlimmere Verletzungen und Schmerzen gewöhnt worden. Mit klopfendem Herzen schritt Zeliarina über die leblosen Körper der zwei Tryclonns, deren rote Augen in der Totenstarre weit aufgerissen waren und blicklos an die Decke starrten. Der Schotter und der Sand knirschten laut unter ihren Sohlen. Plötzlich fiel ihr ein, dass ihr ganzes Magazin leer geschossen war. Sie nahm also ein neues Magazin aus dem Rucksack und steckte es in ihre schwere, schwarze Pistole, nachdem sie sich des alten entledigt hatte. Aus Sicherheitsgründen ließ sie die Waffe gleich in ihrer Hand und schlich weiter durch die dichte Dunkelheit. Einen flüchtigen Augenblick lang dachte Zeliarina an die Taschenlampe in ihrer Tasche, verwarf jedoch den Gedanken sie zu benutzen schnell wieder. Wahrscheinlich würde sie damit zu sehr auf sich aufmerksam machen. Solange noch achtzehn Dämonen in ihrer Nähe herumliefen, wollte sie nicht das Risiko eingehen, dass ihr wohlmöglich alle auf einmal entgegenkamen. Seufzend lief die junge Hexe also weiterhin im Dunkeln herum. Es dauerte nicht lange, da war Zeliarinas vorübergehende Sorglosigkeit wieder vollkommen verschwunden. Das Zittern ihrer Hände meldete sich wieder, begleitet von einem schrecklichen Gefühl der Übelkeit. Ich werde trotzdem nicht aufgeben! Ständig jagte das Gefühl von einer dunklen, hasserfüllten Aura durch ihren Kopf, die irgendwo in der Umgebung aufblitzte. Die Dämonen lauerten noch immer auf sie, sie warteten in der Finsternis. Vielleicht waren Tryclonns nur verstandlose Niederdämonen, doch ihr Verlangen nach menschlichem Fleisch machte sie ebenso gefährlich wie andere Kreaturen des Däezander. Ängstlich richtete Zeliarina ihre Waffe nach vorne und ging an einer zerfallenen Tempelmauer entlang, als sie plötzlich ein tiefes Knurren hörte. Entsetzt hielt sie inne und schlich bis zum Ende der Mauer. Trotz ihrer unbändigen Furcht zwang sie sich hinter ihrer Ecke hervorzulugen, nur um auf den Rücken eines weiteren Tryclonns zu blicken. Der Dämon stand scheinbar ein wenig unschlüssig in der Gegend herum, während er mit seinen Klauen Fleisch von einem einzelnen Knochen riss. So entsetzlich es auch schien, scheinbar wurden diese Kreaturen vor der Prüfung gefüttert. Ich muss ihn töten, ehe er mich entdeckt... Angespannt lehnte sich Zeliarina zur Seite, so dass eine Hälfte ihres Körpers hinter der Mauer zum Vorschein kam und sie ihre Pistole mit beiden Armen vor sich ausstrecken konnte. Der glänzende, schwarze Lauf zielte genau zwischen die Schulterblätter des Dämons, die sich beim Fressen kräftig hoben und senkten. Zeliarina musste schlucken und zitterte heftiger als je zuvor. Schwarze Hexe...Dunkle Hexe... Woher kamen schon wieder diese Stimmen, die sie an der Endlosen Treppe beinahe in den Wahnsinn gerissen hatten? Was meinten sie mit ihren Worten? Was wollten sie von ihr? Der Dämon schien noch immer vollkommen mit seiner Mahlzeit beschäftigt zu sein, sein grauenvolles Schmatzen füllte die ganze Höhle. Es wäre so einfach ihn zu töten. Sie musste nur schießen, einfach nur einmal kurz abdrücken. Doch es war anders als bei den ganzen anderen Kämpfe zuvor. Bisher hatte sie immer nur aus Notwehr gehandelt, weil sie oder jemand anders in Lebensgefahr schwebte. Diesmal jedoch stand der Dämon unbekümmert da, nicht einmal ahnend, dass sich der Lauf einer Waffe auf seinen Rücken richtete. Zeliarina zweifelte daran, ob es tatsächlich richtig war den Tryclonn feige von hinten zu erschießen. Schwarze Hexe... Der Schuss donnerte laut durch die ganze Halle, als Zeliarina angewidert mit zusammengepressten Augen trotz all ihrer Zweifel abdrückte. Ein schwarzer Punkt zeichnete sich auf dem Rücken des Dämons ab, dann brach Blut an der Stelle hervor und er fiel ohne ein weiteres Wort auf die Knie. Zeliarina dagegen atmete schwer. Der Schweiß lief ihr von der Stirn, als wäre sie gerade eine Meile gerannt. Und wieder habe ich eine schreckliche Grenze überwunden... Es dauerte unnatürlich lange, bis sich ihre Atmung wieder halbwegs beruhigt hatte und sie sich über den Tryclonn beugte. Die drei roten Augen starrten wie bei den anderen zuvor trübe ins Nichts. Kaum zu glauben, dass ich jemals soweit gehen würde...Auch Dämonen sind Wesen mit Seele...und auch wenn dieser Tryclonn mich sicher ohne zu zögern töten würde, war er doch auf gewisse Weise mir gegenüber hilflos...und allein... Bei ihrem letzten Gedanken schoss Zeliarina plötzlich eine wichtige Lektion von Dunkan in den Kopf, die er immer wieder wiederholt hatte, als hätte er schon damals versucht sie auf diese Prüfung vorzubereiten. Er hatte damals gesagt, dass Tryclonns niemals alleine unterwegs waren...niemals... Hektisch wollte die junge Hexe herumwirbeln, doch sie spürte bereits, wie sich jemand von hinten auf sie stürzte und sie umklammerte. Ohne die Chance sich abzufangen stürzte Zeliarina nach vorne hart auf Brust und Stirn, die schwere Pistole schlitterte über den Boden davon. Auf ihr lag ein Tryclonn. Da sie auf dem Bauch lag und somit nichts sehen konnte, nahm sie nur seinen verfaulten Atem und das rote Glimmen seiner Augen war. "Lass mich los!", kreischte Zeliarina panisch. Der Dämon lachte sein unheimliches Lachen, riss sie unter sich einmal herum, so dass sie ihn anblicken musste, und hob eine Klaue für den tödlichen Schlag. Zeliarina riss entsetzt die Augen auf. Mit der Übung unzähliger Trainingsstunden presste sie die magische Energie im Inneren ihres Körpers zusammen mit elektrischer Spannung in ihre rechte Hand. "Lass mich in Ruhe!" Ein greller, gelber Blitz schoss aus ihrer Handfläche mitten in den Unterleib des Tryclonns. Von der Wucht des Angriffs wurde er ein, zwei Meter davon geschleudert, so dass Zeliarina sich mühsam erheben konnte. Panisch rannte sie zu ihrer Pistole herüber, doch der Dämon hatte sie mit einem Satz bereits wieder eingeholt und schlug sie kraftvoll zur Seite, so dass sie taumelte und gegen die kaputte Tempelmauer klatschte. Benommen sah sie die Klaue des Dämons auf ihr Gesicht zusausen, so dass sie gerade noch genug Zeit hatte sie unter dem Schlag hinweg zu ducken. Die Wand hinter hier verwandelte sich in Trümmer. Steinsplitter flogen durch die Luft. Eine dichte Staubwolke umgab die beiden Kämpfenden wie Nebel. Während der Tryclonn rasend vor Zorn kreischte und seine Klaue aus den Überresten der Mauer zog, verpasste Zeliarina ihm einen weiteren, heftigen Magieblitz. Überrascht flog der Dämon mit einer Schraube zu Boden. Wieder rannte das Mädchen nach ihrer Pistole, wieder sprang der Tryclonn schnell auf die Füße zurück. Gerade als sich Zeliarina nach ihrer Waffe bückte, erreichte der Dämon sie und trat ihr ohne Rücksicht mit voller Kraft in den Magen. Röchelnd sackte sie in sich zusammen. Blutiger Speichel bahnte sich einen Weg von ihren Lippen. Der Tryclonn ließ ihr jedoch keine Ruhe zur Erholung, sondern riss sie an den blonden Haaren grob in die Höhe, packte ihren mit Symbolen übersäten Arm und schleifte sie daran hinter sich her. Zeliarina schrie und zerrte und verpasste dem Dämon mehrere heftige Stromschläge über ihren Arm, doch ohne Erfolg. Gnadenlos zog der Tryclonn sie über den steinigen Boden bis zu einem zerstörten Tempel und schmiss sie dort schmerzvoll auf einen noch fast vollständig erhaltenen Opfertisch. Als sich Zeliarina verängstigt umsah, erkannte sie um sich herum lauter weitere Dämonen. Sie zählte siebzehn...Alle Feinde hatten sie in ihrer Gewalt... "Scheiße!" Völlig außer sich stieß Storm den Computer vor sich mitsamt Tastatur und Maus vom Tisch, so dass er am Boden an den Metallplatten zerschellte und orangegelbe Funken versprühte. Der Bildschirm hatte das gleiche Bild gezeigt wie alle anderen im Technikraum: Die Karte der Höhle der Prüfungen mit einem weißen Punkt, Zeliarina, umgeben von siebzehn roten Punkten, Tryclonns. "Einer der Dämonen hat sie geschnappt und als Festschmaus zur ganzen Familie gebracht! Scheiße!", fluchte der Palas, während er sich nervös durch die blonden Haare fuhr. Dann drehte er sich auf seinem Drehstuhl um hundertachtzig Grad, so dass er den ernsten Mienen seiner Kollegen entgegensah. "Zeliarina ist auf einen Dämon gestoßen und wurde scheinbar gefangen genommen. Wir hören sie über Funk noch atmen, also lebt sie noch... Doch nun sieht sie sich siebzehn Tryclonns gegenüber." Storm starrte das Oberhaupt an. "Die Situation gerät außer Kontrolle...Wir müssen sofort eingreifen!" "Sie verlangt noch keine Hilfe", erwiderte der Weißhaarige schlicht. Dunkan und Dymeon, die nebeneinander an der Glasfront standen und in die Tiefe stierten, spannten merklich ihre Muskeln an um ruhig zu bleiben. Siviusson hatte sich bereit erklärt Melissa nach ihrem Zusammenbruch zurück in den Krankenflügel zu bringen und war von dort noch nicht zurückgekehrt. In diesem Moment hätten sie jedoch seine beruhigende, sachliche Art dringend gebraucht, denn Storm war kurz vor dem Ausrasten. "Verdammt, vielleicht ist sie bewusstlos und kann gar keine Hilfe rufen! Vielleicht ist sie vollkommen verstört und verwirrt! Vielleicht haben die Dämonen ihr auch das Maul gestopft! Bitte, wertes Oberhaupt, wir müssen sofort eine Einheit runter in die Höhle schicken und der Prüfung ein Ende machen, sonst stirbt Zeliarina!" "Jeder muss diese Prüfung alleine machen. Solang der Geprüfte keine Hilfe verlangt, wird nicht eingegriffen..." Die Stimme des Oberhauptes klang so unwirklich wie eh und je, doch sie hatte ihre autoritäre Kraft verloren, zumindest bei Storm. Der Palas ließ sich kein bisschen einschüchtern, er fürchtete ernsthaft um seine junge Schülerin. "Scheiße, sie ist erst fünfzehn! Niemandem ist geholfen, wenn sie jetzt einen sinnlosen Tod stirbt! Es würde den Untergang für uns alle bedeuten! Wir haben zwar ein paar Leute, die Thundenstar tragen könnten, doch keinen richtigen Wächter! Die Dämonen würden es sich früher oder später einfach nehmen!" "Wenn sie diese Aufgabe nicht bewältigen kann ist es besser, wenn sie jetzt schon stirbt. Sie würde das Leben als Wächterin Thundenstars sonst nie schaffen. Wenn sie diese Aufgabe nicht schafft, wird sie auch das Danach nicht schaffen. Dann wird die Dunkle Dämmerung genauso über uns hereinbrechen..." "Wie kann man nur so kalt sein?", wisperte Dunkan ohne Rücksicht darauf, dass er mit seinem Vorgesetzten sprach. Das Oberhaupt schloss kurz die Augen und seufzte schwach. "Ich habe auch Mitleid mit diesem Mädchen, doch ich kann ihr die Last ihres Schicksals nicht abnehmen...Sie muss diese Prüfung einfach bestehen...ohne Hilfe...nur dann haben wir die Chance die Menschheit vor dem Däezander zu retten..." "Das ist totaler Wahnsinn...", beteuerte Storm noch einmal, jedoch ohne die bisherige Wut. Kraftlos drehte sich der Palas zurück zu seinen Monitoren. Noch immer blinkten der weiße und die roten Punkte unheil verkündend... Dymeon legte eine Hand an die Glasscheibe und blickte hinaus in die alles verschlingende Finsternis. Halte durch, Zeliarina...Du hast genügend Kraft um das durchzustehen...Denn du bist genau wie deine Namensvetterin, die große Hexe Zeliarina...Wenn du nur wirklich willst, kannst du alles erreichen... Kapitel 6: Schatten und Silber ------------------------------ Kapitel VI - Schatten und Silber Während all der ganzen Zeit, die ich auf Falcaniar verbracht habe, fühlte ich mich in kaum einem Moment so einsam wie bei meinem Überlebenstest in der fürchterlichen Höhle der Prüfungen. Nachdem ich mich tapfer gegen drei dämonische Tryclonns behauptet hatte, wurde ich von einem vierten letztendlich überwältigt und zu einem alten Opferaltar tief in den zerstörten Tempelanlagen gebracht. Dort sah ich mich sechzehn weiteren Dämonen gegenüber, allen, die für meine Prüfung in die tiefen Gefilde gebracht worden waren. Ich erinnere mich genau an meine schreckliche Angst vor dem Tod und vor der Erkenntnis, dass ich als Anwärterin vollkommen versagt hatte. Die Dämonen hatten mich in der Hand. Ich hätte über Funk um Hilfe schreien können, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Thundenstar mich in dem Augenblick, in dem ich aufgab, als Wächterin ablehnen würde. Ich fürchtete das Götterschwert des Donners nach meinem Versagen nie mehr nutzen zu können, so dass es für die Dämonen ein Leichtes sein würde es an sich zu reißen und somit ihren Plan zur Löschung der Menschheit in die Tat umzusetzen. Also blieb ich stumm... Zitternd vor Angst kauerte Zeliarina auf dem kalten Stein des Opferaltars, den Rücken so eng wie möglich an die Wand hinter ihr gepresst. Scheinbar war ihre Lage aussichtslos. Selbst wenn sie Hilfe anfördern würde, gäbe es wahrscheinlich bei der Ankunft der Einheit nicht mehr viel zu retten außer einigen abgenagten Knochen. Kein Dunkan, keine Melissa, kein Pendrian, kein Storm...Diesmal bin ich allein... Niemand kann mich noch retten...nicht einmal Dymeon... Der Gedanke an den tapferen Dämon erfüllte Zeliarinas Herz mit dumpfem Schmerz. Sie hatte ihn wirklich gemocht und wollte eigentlich als Wächterin Thundenstars in Zukunft dafür kämpfen, dass der Krieg zwischen seiner Spezies und den Lancelor endlich ein Ende haben würde. Doch stattdessen verendete sie alleine in einer dunklen Höhle, zerrissen von den Fängen und Klauen mordlustiger Tryclonns... Dymeon...Ich wollte dir wirklich helfen...Ich wollte deine Qual und dein Leiden wirklich beenden... Dein Gesicht erscheint soviel lebendiger, wenn darauf nicht der Schatten deines Schmerzes liegt... Es wirkt einfach hübscher und heller... Eine unförmige Dämonenkralle griff nach Zeliarina, doch sie stieß sie hektisch beiseite und verpasste ihr gleichzeitig einen ordentlichen Stromschlag. Der Tryclonn schrie überrascht auf und taumelte ein wenig zurück. Es war nur ein kurzer Akt der Gegenwehr, doch zumindest zögerten die Dämonen einen Augenblick. Zeliarina wusste jedoch, dass es kein Entkommen gab und presste sich voller Verzweiflung gegen die grobe Steinwand, als hoffe sie einfach von ihr verschluckt zu werden. Das nasse, glitschige Moos klebte an ihrer zerrupften Kleidung und in ihrem Nacken. Es fühlte sich so an wie der eisige Griff des Todes, der sich gnadenlos um ihr Genick schloss... Ich...Ich will noch nicht sterben...Es gibt noch so viele Dinge, die ich zu erledigen habe...Ich will Melissa ihre Lebenslust zurückgeben, ich will herausfinden, was damals in Pendrians Heimatdorf passierte...Ich will Storms und Dunkans Vergangenheit erfahren, will erleben wie andere junge Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten in Falcaniar aufwachsen... Und vor allem will ich an Dymeons Seite stehen und gegen die Dämonen kämpfen, damit das ewige Leid um die Götterschwerter ein Ende findet... Dymeon...Ich will nicht sterben, nein, ich DARF nicht sterben... Wenn ich etwas gegen den Däezander bewirken will, darf ich nicht schon bei meiner Prüfung sterben... Sie ist nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu meiner wahren Bestimmung... Von einem merkwürdigen, inneren Drang gepackt griff Zeliarina an ihre Hüfte, wo normalerweise der Halter ihrer Pistole hing. Doch anstatt das weiche Leder der Waffenhülle zu berühren, schlossen sich ihre schlanken Finger um den Griff Thundenstars. Mit einem kräftigen Ruck riss sie das Schwert aus der Schlaufe an ihrem Gürtel, machte sich mit einem weiten Schwung platz und hielt die breite Klinge vor sich ausgestreckt. Die roten Augen der Tryclonns glimmten unsicher auf, während die entsetzlichen Dämonenschreie wilder und verwirrter zu werden schienen. Einige der Dreiaugen schienen sich sogar fragend anzustarren. "Verschwindet von hier oder euer trauriges Dasein hat ein Ende", sprach Zeliarina mit der gleichen ruhigen Stimme, die sie damals im italienischen Tempel gehabt hatte. Die Worte schienen ihr wie von selbst über die Lippen zu gleiten, als spräche sie einen tausendmal geübten Satz aus. Und obwohl es doch nur eine Drohung war, wusste Zeliarina, dass sie die Wahrheit sprach. Die Tryclonns, die sie vor einigen Momenten noch in Todesangst versetzt hatte, waren nun keine Gefahr mehr. Sie musste nichts befürchten. Sie war sicher. Noch während diese Gedanken durch ihren Kopf gingen, begann Thundenstar in einem weißen Licht zu strahlen, das immer heller und heller wurde, bis sich Zeliarina sicher war, dass man es selbst hoch oben im Technikraum noch sehen konnte. Kreischend pressten die Tryclonns ihre hochempfindlichen Augen zusammen, doch die unglaublich intensive Helligkeit des Donnerschwertes brannte selbst durch die Augenlider hindurch noch schmerzvoll auf der Netzhaut. "Verschwindet, verdammte Dämonen! Verschwindet einfach!" Wie zum Trotz stürzte sich ein Tryclonn brüllend auf Zeliarina, doch ein sengender Blitz schoss aus der Klinge Thundenstars direkt in seinen Schädel und schleuderte ihn mit ungeheurer Wucht ans andere Ende der Höhle. Seine Artgenossen folgten dem herumwirbelnden Leib einen Moment lang mit geweiteten Augen, dann gab es für sie kein Halten mehr. Berserkern gleich warfen sie sich mit ihren Krallen halb blind gegen die Wächterin Thundenstars, die immer noch ruhig auf dem Altar saß und ihnen entgegenblickte. Sie musste ihre Augen zwar nicht geblendet schließen, doch als die Dämonen zum Angriff übergingen, erkannte sie nichts anderes außer weißem Licht, gelben Blitze und einer unendlichen Wärme, die die Strapazen der Prüfung von ihr nahm. Nacheinander brachen die Tryclonns in sich zusammen, verbrannten unter weißgelben Blitzen, flogen durch die ganzen Ruinen und rissen dabei veraltete Wände und Säulen mit sich oder wurden von den vereinzelten Hieben Zeliarinas erfasst. Schließlich verwandelten sich die unerträglichen Todesschreie der Dämonen in schwaches, immer leiser werdendes Stöhnen, das nach ein paar weiteren Herzschlägen endgültig verstummte. Vor Zeliarinas grünen Augen breitete sich ein wahres Schlachtfeld aus zerschmetterten, verbrannten und niedergestochenen Leibern aus. Überrascht blickte das Mädchen auf die Klinge Thundenstars, an der das heiße Blut der Tryclonns klebte. Sie hatte gar nicht richtig bemerkt, dass sie es geführt hatte. Alles war so schnell gegangen. Schwarze Hexe...Dunkle Hexe... Das weiße Licht des Schwertes flackerte kurz, ehe es auf einen Schlag erlosch und Zeliarina wieder in vollkommener Dunkelheit zurückließ. Da sich ihre Augen schon an die gleißende Helligkeit gewöhnt hatten, blieb ihr nichts anderes übrig als zu warten, bis sie wieder halbwegs sehen konnte. Danach ließ sie sich zögerlich vom Opferaltar gleiten und schritt über die Gefallenen, wobei sie sorgsam darauf achtete möglichst wenig von ihrem angerichteten Chaos zu sehen. Auch wenn sie sich damit abgefunden hatte töten zu müssen, sie tat es auf keinen Fall gern... "Verdammt Storm, was passiert dort?", fluchte Dunkan unbeherrscht, ehe er sich von dem Anblick der in gleißendes, weißes Licht getauchten Höhle der Prüfungen abwendete und sich hinter den Stuhl des kriegerischen Lancelor stellte. Storm starrte angestrengt auf die vielen blinkenden Anzeigen auf seinem Monitor, doch die Angaben schienen ihn zu verwirren. Bis zum äußersten angespannt runzelte er die Stirn und kam seiner Mattscheibe dabei so nah, dass er sie fast mit der Nasenspitze berührte. "Das alles ergibt keinen Sinn! Die Sensoren nehmen einen Anstieg magischer Aktivitäten von 400% auf! Der Generator fängt Blitze in zwanzig Sekunden Impulsen auf! Außerdem erlischt eine Dämonenaura nach der anderen! Dort unten scheint eine regelrechte Bombe in die Luft geflogen zu sein!" Weitere rote Lampen und Lichter leuchteten alarmierend auf seinem Bildschirm auf. "Die Magieintensität steigt weiter an! Sie kann schon nicht mehr auf der Skala erfasst werden! Es wird die Sensoren überlasten!" Storm hatte die Worte kaum ausgesprochen, da knackte der Deckenlautsprecher plötzlich auf und ein tiefer Sirenenton hallte kurz durch den ganzen Raum. "Sensor 1 ausgefallen!", erklärte Storm fassungslos. Das Geräusch kam noch fünf weitere Male in ungleichmäßigen Abständen, bis der Lancer die Ellenbogen auf den Schreibtisch abstützte und die Stirn gegen seine ineinander gefalteten Hände drückte. "Sensoren 2 bis 6 ebenfalls ausgefallen... Wir haben nun keinerlei Möglichkeiten mehr zur Überwachung..." "Scheiße!" Frustriert riss Dunkan die Arme über den Kopf. "Okay das reicht, wenn diese Magie von Thundenstar ausging müssen wir damit rechnen, dass Zeliarina wie damals einen Zusammenbruch erleidet... wir schicken da sofort eine Truppe runter!" "Nicht nötig...", unterbrach Dymeon leise, ohne den Blick von der Höhle zu nehmen. Es war das erste Mal, dass er wieder sprach, nachdem ihm gestattet wurde bei der Prüfung zuzusehen. Dunkan, Storm und der wiedergekehrte Siviusson sahen sich verwirrt an, ehe ihre Blicke dem des Oberhauptes begegneten. Der weißhaarige Mann nickte mit einem schwachen Lächeln. "Zeliarina Heartstrong wird gleich aus der Höhle zurückkehren..." Die drei Ausbilder sahen sich nur noch verständnisloser an. Dann jedoch ließ sich Storm geschlagen in seinen Drehstuhl zurücksinken. Siviusson zog ruhig mehrere Pappbecher aus dem Behälter neben der aufgestellten Kaffeemaschine und füllte sie mit der schwarzen Flüssigkeit. Seine Kameraden dankten ihm, als er die dampfenden Getränke verteilte. "Wir können eh nur warten...und dem Mädchen vertrauen", stellte der kleine Norweger auf seine typisch sachliche Weise fest. Dunkan und Storm nickten widerwillig. "Du hast Recht...Wir können leider nur warten...Sei es bei dieser Prüfung...oder bei dem Kampf gegen den Orden der Dämonen, dem Däezander..." Niemandem entging die Bitterkeit, die in Storms Stimme mitschwang, bevor er halbherzig an seinem Kaffee nippte... Als Melissa wieder erwachte, starrte sie auf das trostlose Grau der Krankenzimmerdecke. Ihr Kopf brummte ein wenig und ihr lag noch der schwere, metallische Geschmack der Übelkeit im Mund. Murrend wälzte sich das Mädchen auf die Seite, so dass ihre Decke vom Bett rutschte und das geschmacklose, ebenfalls irgendwie graue Nachthemd entblößte, das sie zu ihrem Bedauern im Krankenflügel tragen musste. Doc Fossil meinte immer es wäre steriler, doch Melissa würde lieber in einem verdreckten T-Shirt schlafen, als in diesem Fetzen, der ihr zudem nur bis zu den Knien reichte. Sie hasste wirklich alles an diesem Zimmer. Vor allem die grüne Plastikschüssel auf einem der Nachtschränke, die offensichtlich bereitstand falls sie sich übergeben musste, erweckte einen äußerst abstoßenden Eindruck, der ihr tatsächlich fast das Essen wieder hochgebracht hätte. Nicht das sie in den letzten Wochen und Monaten besonders viel gegessen hätte. Im Gegenteil, ihre Appetitlosigkeit war einer der bedeutendsten Faktoren, dass sie trotz Genesung kränklich und schwach blieb. Zum ersten Mal seit dem Verlust ihres Armes verfluchte Melissa sich dafür, dass ihr ihre Gesundheit so egal geworden war. Nur weil sie jetzt so einen schwachen Kreislauf hatte, war sie im Angesicht ihres Feindes zusammengebrochen. Warum war Dymeon zwischen all den Lancelor gewesen? Wieso war die Abteilung, die sich mit der Suche und Verurteilung gegen ihn beschäftigte, aufgelöst worden? Was lief da hinter ihrem Rücken ab? Sie hasste alle dafür, dass man sie so rücksichtslos hintergangen hatte, dass man einfach den Dämon, der ihren Arm geraubt hatte, ohne Strafe oder Konsequenzen begnadigte. Dunkan, Zeliarina und das Oberhaupt dachten nicht einen Augenblick an sie. Es war einfach nicht fair! "Es quält dich, nicht wahr? Abgeschoben und verraten von den Menschen, die eigentlich zu dir halten sollten...Niemand versteht, was in deinem Inneren vor sich geht...Niemand beachtet dich mehr, sei es als Mensch...oder als das Mädchen, das Dymeon für seine Grausamkeiten zur Rechenschaft ziehen will...", wisperte eine wohlklingende Stimme eindringlich. Melissa drehte sich erschrocken auf die andere Seite und sah sich einer merkwürdigen Gestalt gegenüber. Es war ein Mann, vom Aussehen her in den jungen Zwanzigern, mit gut gepflegten, pechschwarzen Haaren, die im Nacken durch ein altes Band stramm zusammengehalten wurden. Seine Augen hatten die Farbe eines unnatürlichen, aber unvorstellbar schönem Dunkelrot. Er trug einen langen schwarzen Mantel, ähnlich dem Dymeons, und einen schwarzen Kapuzenumhang mit einem ziemlich zerrissenen Saum, der seinen Körper völlig verschleierte. "Wer bist du?", stieß Melissa überrascht hervor. Der Mann lächelte kaum merklich und richtete seinen Blick auf sie. Auch wenn Melissa es unter dem Mantel und dem Umhang nicht genau sehen konnte, war sie sich sicher, dass er genau wie Dymeon die Arme verschränkt hatte und lässig an der Wand lehnte. "Mein Name ist Ereos...Dämon mit den Purpur-Augen..." "Dämon? Unmöglich!" "Unmöglich? Wieso sollte das unmöglich sein?" Wieder blitzte Ereos' kurzes Lächeln auf und entblößte dabei seine makellosen, weißen Zähne, die tatsächlich ein wenig zu spitz für die eines Menschen zu sein schienen. Trotzdem wirkte es nicht herablassend, sondern vielmehr aufmunternd. Melissa richtete sich trotzig in ihrem Bett auf, obwohl ihr der Kopf dröhnte. "Du kannst kein Dämon sein. Ich würde deine dunkle Aura spüren!" "So wie du den Verräter Dymeon hier fühlen kannst?" Auf Melissas verblüfftes Gesicht hin musste Ereos schon wieder mit einiger Genugtuung grinsen. "Es gibt Möglichkeiten eure ach so toll trainierten Lancelorsinne spielend zu umgehen. Zum Beispiel eine der drei berühmten Drachenketten..." Ein Arm erschien unter der schwarzen Kleidung des Dämons und zog das dünne Schmuckstück hervor, das an einem schwarzen Lederband um seinen Hals hing. "Diese praktischen Dinger unterdrücken unsere schwarze Aura... Dymeon hat seins höchstpersönlich von einem Mitglied eures Ordens bekommen..." Melissa konnte ihren Zorn nur schlecht verbergen. Sicher war es jemand wie Dunkan gewesen, vielleicht sogar Zeliarina, der sie so vertraut hatte. Doch noch viel erschreckender als diese grauenvolle Ungerechtigkeit war die Tatsache, dass ein Dämon frei und unbemerkt nach Falcaniar kommen konnte, wie es ihm beliebte. Wusste der Däezander was bei den Menschen vor sich ging, konnten seine Mitglieder frei zu den Lancelor gehen? "Sei unbesorgt, ich bin eine Ausnahme...Eure hübsche Feste hier ist seit dem Erwachen der Wächterin Thundenstars mit Schutzzaubern und Abwehrsystemen dermaßen voll gestopft, dass es für andere Dämon unmöglich ist hierher zu gelangen. Eigentlich raubt auch mir bereits dieser kurze Aufenthalt beinahe alle Kräfte. Nur einem Umstand ist zu verdanken, dass ich überhaupt hier sein kann..." Melissa war gefesselt von der Erkenntnis, dass der Dämon gerade ihre Gedanken gelesen haben musste. So entging ihr wie Ereos mit seinem sichtbaren Arm über den noch immer verborgenen strich, während sich seine purpurnen Augen ununterbrochen auf sie richteten. Melissa musste gegen die erneut aufsteigende Übelkeit ankämpfen, die durch die verwirrenden Fragen in ihrem Kopf nur noch verstärkt wurden. Als sie zu dem Dämon aufsah, lächelte dieser wieder. Es war ein sanftes, freundliches Lächeln, wie sie es sich bei einem Dämon nie vorgestellt hätte. "Du musst nicht stark tun, ich kann in deiner Seele lesen wie in einem Buch...", murmelte Ereos einfühlsam. "Es geht dir schlecht, sowohl körperlich als auch geistig. Jeder in diesem Orden hat dich verraten...sie beherbergen den Dämon, der dir deinen Arm und damit deinen Traum stahl..." "Was weißt du schon davon?", zischte Melissa zornig und gleichzeitig erschrocken darüber, wie genau Ereos ihre Erinnerungen betrachten konnte. Der Dämon starrte weiterhin in ihre Augen, als würde sich in dem Silber und dem Blau ihr ganzes Leben widerspiegeln. "Ich weiß mit einem Blick alles über einen Menschen...auch über dich...Manchmal ist es anstrengend die Wünsche, Gefühle und Ziele jedes einzelnen Wesens wahrnehmen zu können...Doch deine Seele ist wunderschön...Auch wenn sie nach dem Verlust deines Armes mit viel Trauer getränkt ist..." "Du wirst mich trotzdem nie verstehen!" "Ich verstehe, dass es dein Traum war, neben dem Leben als Lancelor Künstlerin zu werden...", sprach Ereos ungeachtet weiter. "Es macht dich fertig, dass du nun nicht mehr malen und zeichnen kannst, dass du sogar nur noch krakelnd schreiben kannst, dass dein Leben einfach nicht mehr normal ist und du glaubst es niemals wieder ordnen zu können..." Ereos machte eine kurze Pause, ehe er anfügte: "Doch du wirst es wieder ordnen können..." Melissa lachte witzlos auf und vergrub gleichzeitig ihre Hand in das graue Bettlaken. "Du kannst also doch nicht alles in meinem Kopf sehen...Sonst wüsstest du, dass es durch den Parasiten unmöglich war meinem Arm wieder anzunähen...und dass ich selbst mit einer Prothese niemals wieder so zeichnen können werde wie früher...Ohne meinen Hass auf Dymeon hätte mein Leben nicht mal mehr einen Sinn..." "Ich kenne einen Weg, wie du wieder so schön zeichnen kannst wie früher...nein...wie du sogar noch besser zeichnen kannst als jemals zuvor...und nicht nur das...du wirst einen neuen Arm erhalten, dessen Fähigkeiten weit über die Grenzen der Menschlichkeit hinausreichen...", wisperte Ereos eindringlich. Ohne den Blick von der jungen Lancelorin zu nehmen, hob er langsam Mantelärmel und Umhang hoch, so dass auch sein rechter Arm zum Vorschein kam. Doch Melissa starrte auf einen Arm, der selbst für einen Dämon nicht normal war. Etwa ab der Mitte des Oberarmes bestand er nämlich vollkommen aus reinem, glänzendem Silber. "Ich bin vielleicht der Einzige, der dich aus ganzem Herzen versteht...Denn nicht nur du warst das Opfer von Dymeon dem Verräter..." "Wie...ist...das möglich...?" "Der Verräter riss mir meinen Arm ab", erklärte Ereos. Zum ersten Mal flackerte ein wenig Zorn in seinen purpurnen Augen auf, so dass es aussah, als würde ein Feuer in ihnen lodern. "Für einen verkrüppelten Dämon im Däezander ist das Leben verdammt hart. Eine Zeit lang siechte ich einfach vor mich hin, bis ich es nicht mehr aushielt und nach einem Weg suchte meine Verletzung zu heilen. Aber auch ein Dämon kann keine abgetrennten Körperteile regenerieren...Irgendwann fand ich schließlich etwas in dem uralten Wissen unserer Ahnen..." Wieder strich Ereos über seinen Silberarm. Melissa konnte ihre Neugier nicht zurückhalten und streckte ihre Hand vorsichtig aus, um den Arm ebenfalls zu berühren. Als ihre Fingerspitzen die glänzende Haut berührten, erschrak sie darüber, wie natürlich sie sich anfühlte. Melissa hätte die Kälte von Metall erwartet und nicht die völlig normale Wärme lebendiger Haut. Berührte sie tatsächlich Silber? Ihr kam es vor wie Fleisch und Blut. "Fantastisch, nicht wahr?", flüsterte Ereos lächelnd. Er legte seine Hand auf die der jungen Lancelorin, woraufhin diese ein wenig verlegen rot wurde. "Ich könnte dir auch so einen Arm geben...Eigentlich ist es ganz leicht..." Die Stimme des Dämons war nur noch ein Hauch, als er sein Gesicht ganz nahe an ihres brachte. Mit seinen purpurnen Augen fing er wieder ihre Gedanken auf und lächelte schwach. "Warum ich das tue? Ich tue es, weil ich weiß wie du leidest. Dymeon der Verräter hat so viele gequälte Existenzen geschaffen...Ich will dir nur helfen...Wie heißt es so schön? Der Feind des Feindes ist dein Freund... Ich will keine Gegenleistung..." "Lüge!" Plötzlich stieß Melissa Ereos von sich und krabbelte so weit wie möglich an den anderen Bettrand, wo sie verunsichert und zitternd sitzen blieb. "Du bist ein Dämon!" Sie schrie es mehr für sich selbst, um sich daran zu erinnern welchem gefährlichen Wesen sie eigentlich gegenüberstand. "Ihr seid alle gleich! Alle, auch du und Dymeon! Als ich das letzte Mal das Geschenk eines Dämons annahm, hat mich das meinen Arm gekostet!" Ereos stieß sich unbeeindruckt von der Wand ab und legte ein Knie auf das Bett, so dass er sich über Melissa lehnen konnte. "Dieser Marionetter war ein dummer Niederer. Diese Wesen haben nicht vielmehr im Sinn als ein wenig Blut und Tod. Aber wir Hohen sind anders...Bei unseren Erschaffungsritualen werden so viele Dinge benutzt, dass wir eine volle Persönlichkeit entwickeln. Wir sind nicht vollkommen böse...wir sind einfach...anders..." Vorsichtig strich Ereos mit seiner silbernen Hand einige von Melissas roten Haarsträhnen hinter ihr Ohr. Die junge Lancelorin rührte sich nicht, doch ihr Zittern nahm ab. "Ich würde es nie wagen etwas so Schönes wie dich zu zerstören... Bitte nimm mein Geschenk an...Mit deinem neuen Arm wirst du in der Lage sein Dymeon seiner gerechten Strafe zuzuführen... Dieser Dämon wütet bereits zu lange auf der Erde... Er ist sogar im Begriff den gesamten Orden der Lancelor so zu manipulieren, dass er auf seiner Seite steht..." "Dymeon...manipuliert sie...?" Melissa wusste nicht wie ihr geschah. Die Wärme seiner Silberhand kribbelte auf ihrer Haut und ihr Herz schlug unnatürlich schnell. Sie errötete wieder, ohne dagegen anzukommen. Auch wenn das Angebot verlockend klang, konnte sie doch keinem Dämon trauen! Andererseits schien Ereos wirklich aufrichtig zu sein. Sie fühlte sich auf merkwürdige Weise von ihm angezogen, von ihm und seinem Schicksal, das ihrem so ähnlich war. Ereos konnte den inneren Kampf Melissas so genau mitverfolgen, als würde sie ihre Gedanken laut aussprechen. Er musste schon wieder unwillkürlich lächeln, denn er wusste bereits, dass das Mädchen ihm erlegen war und im enddefekt zustimmen würde. Ohne den Blick abzuwenden oder damit aufzuhören ihre Wange zu streicheln, sprach er die entscheidenden Worte aus: "Willst du dein geraubtes Leben nicht zurück? Willst du keine Vergeltung?" Ereos wusste, wie eindringlich diese Worte waren. Melissa schloss tief einatmend die Augen und kämpfte zornig gegen einige Tränen an. Doch sie wehrte sich trotzdem nicht gegen die wohltuende Umarmung des Dämons, seine warme Berührung, sein ruhiger Atem an ihrem Ohr. Es war ihr egal, dass Ereos von der Spezies ihrer Feinde war. "Ich will mein Leben zurück... Und ich will Vergeltung...", hauchte sie im kraftlos ins Ohr, "Bitte, Ereos, gib mir diesen Arm..." Der Dämon drückte Melissa noch enger an sich. Seine Augen blitzten zufrieden auf und sein Lächeln wurde plötzlich berechnend, doch Melissa sah es nicht. Dymeon der Verräter würde bald bezahlen müssen... Dunkan schritt nun schon seit über zwei Stunden immer wieder im Raum auf und ab und warf dabei aller fünf Minuten einen ungeduldigen Blick auf seine Armbanduhr. Es war bereits halb sechs und draußen musste es inzwischen dunkel geworden sein. Von Zeliarina gab es jedoch immer noch kein einziges Lebenszeichen. Durch die Überlastung der Energiesensoren hatte es das ganze Computersystem gecrasht, so dass nun weder Computer noch Funk funktionierte. "Ich werde noch verrückt! Bitte gestattet doch endlich eine Einheit runterzuschicken! Keine Prüfung der Welt ist es wert, dass wir Zeliarina verlieren! Sie ist viel zu wertvoll für den Orden, sowohl als Lancelorin, als Wächterin Thundenstars und vor allem als Mensch!" Dunkan blickte sich Hilfe suchend im Zimmer um, doch nur Storm schien seine Meinung zu teilen. Das Oberhaupt des Ordens saß völlig ruhig auf einem der Drehstühle, während Siviusson mit einem unerschütterlichen Vertrauen in die Entscheidung des Meisters an der Wand lehnte. Die drei Lancelor wichen den Augen Dunkans trotzdem geschickt aus. Nur Dymeon erwiderte den sorgenvollen Blick des Palas mit seinen dunklen Augen. Der Dämon starrte den Menschen lange Zeit wortlos an, ehe sich plötzlich ein kaum merkliches Lächeln über seine Züge stahl. Auch wenn das Lächeln niemals die Augen Dymeons erreichte, war es eine so seltene Geste, dass sich Dunkan augenblicklich beruhigt fühlte. "Sie kommt gerade...", murmelte der Dämon leise. Kaum einen Moment später schwang die Seitentür des Technikraumes, die zu der Endlosen Treppe führte, plötzlich auf und gab die Sicht auf Zeliarina frei. Dunkan fiel ein Stein vom Herzen. Doch als er auf seine junge Schülerin zulief um sie zu umarmen, blieb er nach einigen Schritten abrupt stehen. Sie hatte sich verändert. Ihre zerfetzte Kleidung war an mehreren Stellen mit blauem Faden notdürftig zusammengenäht, blutgetränkte Verbände bedeckten ihr Knie und ihre Hüfte. Schlamm und Staub überzogen ihren ganzen Körper und die völlig zerzausten Haare. Offensichtlich hatte sie viel durchgemacht, denn sie stützte sich nur noch mit letzter Kraft gegen den Türrahmen. Trotzdem waren es nicht die Spuren der Kämpfe, die Zeliarina so anders aussehen ließen. Äußerlich wirkte sich wie das fünfzehnjährige Mädchen, das Dunkan kennen gelernt hatte, doch in ihren grünen Augen lag etwas unheimlich Reifes, Erwachsenes. Es schien, als hätte die Höhle der Prüfungen Zeliarina schlagartig älter werden lassen. Dunkan erlebte nicht zum ersten Mal, dass sich ein Anwärter nach seinem Test für immer vollkommen verändert hatte, doch noch nie war der Unterschied so stark zu erkennen wie bei Zeliarina. "Ich gratuliere, Zeliarina Heartstrong, Wächterin Thundenstars...", sprach das Oberhaupt feierlich, als es sich von seinem Stuhl erhob und mit sanften Schritten auf das Mädchen zuschritt. Er baute sich vor ihr auf, ein glückliches Lächeln auf dem ruhigen Gesicht. "27. November, 17.37 Uhr...Von diesem Tag an, ab dieser Zeit...bist du eine vollwertig anerkannte Lancelorin...als solche bist du dem Orden zu Treue verpflichtet...Bist du dazu wirklich bereit? Willst du uns bei dem Kampf gegen den Däezander beistehen?" "Ja, das will ich..." "Dann lege jetzt den Schwur ab", bat das Oberhaupt langsam und doch eindringlich. Zeliarina ließ sich unkontrollierter als gewollt auf ihr gesundes Knie herabsinken, ehe der Meister ihre Stirn mit seiner Hand berührte, als wolle er sie segnen. Die junge Hexe schloss die Augen. Ihre Stimme klang von den Strapazen der Prüfung leise und brüchig, doch alle Anwesenden waren vor Anspannung so ruhig, dass sie trotzdem den ganzen Raum erfüllte. "Ich, Zeliarina Heartstrong, Wächterin des Götterschwertes Thundenstar, schwöre, beim Namen des ehrenwerten Gründers Ritter Lancelot, dem Orden zum Wohle der Menschheit zu dienen. Ich werde den Kampf gegen den grausamen Däezander antreten, um ein für alle mal Frieden auf die Erde zu bringen. Und solange es in meiner Macht steht, soll kein Lancelor und kein Zivilist durch diesen Krieg Leid erdulden müssen..." Zeliarina ließ die Augen noch eine Weile geschlossen. Sie spürte, wie das Oberhaupt ihr etwas Samtweiches um die Stirn legte. Auch ohne es zu sehen, wusste sie, dass es sich um das blaue Tuch mit den schneeweißen Symbolen handelte, das Zeichen der bestandenen Prüfung. Nachdem der Meister ihr das Band umgebunden hatte, half er ihr vorsichtig beim Aufstehen. Zeliarina lächelte matt, als er die letzten Worte sprach. Eigentlich nur ein Satz, eigentlich nur ein paar aneinander gereihte Silben. Doch dieser einfache Satz konnte ein ganzes Schicksal definieren. Er konnte die Zukunft eines Menschen für immer besiegeln: "Du bist nun ein Lancelor..." Nach den Anstrengungen der Prüfung und der seelischen Anspannung bei der Aufnahme in den Orden brachte Dunkan Zeliarina zum Krankenflügel. Die junge Elementarhexe musste von ihrem Mentor gestützt werden, doch ihre Schmerzen wurden von dem Glück verdrängt, dass sie durchströmte, wenn ihr ein vorbeilaufender Lancelor fröhlich zur bestandenen Prüfung gratulierte. Natürlich waren sie nicht so enthusiastisch wie Storm, Dunkan und Siviusson gewesen waren, doch jeder wusste wie schwer die Prüfung war und erkannte diese Leistung, vor allem da Zeliarina überdurchschnittlich viele Tryclonns in einer Rekordzeit besiegt hatte, mit großen Respekt an. Selbst Dymeon hatte ihr auf seine Weise gratuliert. Zeliarina war überrascht gewesen den Dämon mitten unter ihren Lehrern zu sehen und hatte ihn nach der Weihung des Oberhauptes offenkundig angestarrt. Dymeon hatte nur zurückgeblickt. Dann jedoch hatte er für sie gelächelt, nur kurz, doch wahrhaft aufrichtig. Sein düsteres Gesicht schien sich in diesem Moment aufzuhellen und ihr einen Herzschlag lang einen tiefen Einblick in sein Innerstes zu gewähren. Auch wenn das Lächeln rasch wieder erlosch und der Dämon nur noch achtungsvoll den Kopf neigte, war Zeliarina so glücklich, dass sie kurz auflachen musste, ehe sie ihm ein lautloses ,Danke' zuhauchte und von Dunkan aus dem Raum geführt wurde. Er hat für mich gelächelt...Woher wusste er, dass ich mir genau das gewünscht habe...? "Dunkan...Wie viele sind bereits an dieser Prüfung gestorben?", fragte Zeliarina plötzlich aus dem Zusammenhang gerissen. Die Schritte ihres Mentors wurden langsamer und er warf ihr einen schnellen Blick zu, ehe er seufzend nach vorne stierte. "Genug...", war seine knappe Antwort. "Doch bisher musste noch niemand gegen mehr als zehn Tryclonns kämpfen...bei dir waren es doppelt so viele. Ich finde, diese Gefahr war eine zu drastische Maßnahme..." Zeliarina schwieg unbehaglich und betrachtete ihre Hand, mit der sie in der Höhle mal um mal Pistole oder Schwert geführt hatte. Sie hatte ihre Waffe beim Rückweg zur Endlosen Treppe wieder gefunden, doch als Lancelor würde sie bald eine Extraanfertigung erhalten. Irgendwie fühlte sich Zeliarina verändert, so als wäre viel ihrer früheren Kindlichkeit von ihr gewichen. Hatte die Prüfung soviel Macht? Eigentlich war es doch nur eine Art Überlebenstraining. Trotzdem waren da noch diese Stimmen gewesen. Sie hatte nicht verstanden, was sie ihr sagen wollten, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es etwas Wichtiges gewesen war. Es hatte etwas in ihrem tiefen Unterbewusstsein geweckt... Geschwächt taumelte Zeliarina ein wenig und musste sich noch stärker auf Dunkan stützten. Der Palas packte sie schützend am Arm und führte sie weiter durch Falcaniar. Sie hatten bereits den Gang des Krankenflügels erreicht. "Doc Fossil hat sicher ein Bett bereitgestellt. Es ist eine gewöhnliche Vorsichtsmaßnahme, denn es gab nach den Prüfungen schon schlimmere Verletzungen als ein aufgeschlagenes Knie..." Sorglos öffnete Dunkan die Tür und schob Zeliarina vor sich in das Krankenzimmer. Als sie beide in der Türschwelle standen, blieb ihnen vor Überraschung förmlich die Luft weg. "Was zum-" Melissa stand alleine neben ihrem Bett und starrte fasziniert auf ihren rechten Arm, den sie eigentlich vor einiger Zeit verloren hatte. Sie spannte die Hand mehrmals an und ließ wieder locker, um zu testen ob das Körperteil tatsächlich funktionierte. Mit der anderen strich sie über die silbern glänzende Haut ihres Unterarmes. "Melissa! Was ist das?", stieß Dunkan mit unverschleiertem Misstrauen aus. Die junge Lancelorin sah zu Zeliarina und ihrem Mentor auf. Dabei schien ihr Blick besonders an dem Lancelortuch, das Zeliarina noch immer als Stirnband trug, zu hängen. "Du hast also bestanden...Du siehst verändert aus...Die Prüfung ist wie eine Wiedergeburt, nicht wahr? Eine Wiedergeburt aus den Schatten..." Sie lachte kurz auf und streckte ihren Silberarm gut sichtbar vor sich aus. "Und so wie du aus den Schatten wiedergeboren wurdest, bin auch ich endlich wiedergeboren worden... wiedergeboren durch das Silber, mit dem ich Gerechtigkeit einfordern kann..." Ich verstand damals nicht viel von der Welt, in der ständig irgendwelche übernatürlichen Dinge geschahen, doch ich erkannte an Dunkans Gesicht, dass der Silberarm nicht das Werk eines Menschen gewesen sein konnte. Mit meinen Hexenfähigkeiten sah ich im Herzen Melissas, dass der unbändige Wunsch nach Vergeltung sie zu diesem Arm geleitet hatte. Dieser Wunsch füllte ihre ganze Seele vollkommen aus, so als gäbe es in ihrem Leben keinen anderen Sinn...so als würde sie alles dafür tun...sogar den falschen Pfad beschreiten... Einen Pfad, von dem sie nun nicht mehr abkommen konnte... Kapitel 7: Die neue Generation ------------------------------ Hi, sorry, dass es solange gedauert hat, aber ich habe die Story nicht vergessen, sie wird weitergehen! Hier ist erstmal Kapitel 7. Acht ist auch schon fertig, aber mal sehn wann ich Zeit finde um das hochzustellen. Vielleicht spornen mich ja ein paar Kommis an diesmal etwas schneller zu sein?! ^.o Viel Spaß erstmal jedenfalls: ----------------------------- Kapitel VII - Die neue Generation Die Nachricht von Melissas Silberarm verbreitete sich in Falcaniar wie ein Lauffeuer. Eine Woche lang redete man über nichts anderes, egal ob frischer Neuling oder erfahrener Palas. Man versuchte den Grund für dieses Phänomen zu erfahren, doch Melissa schwieg mit einem geheimnisvollen Lächeln, dass jeden eine Gänsehaut bereitete. Auch ich habe damals oft gefragt wie sie zu diesem Arm gekommen war, zumal Melissa wie durch Zauberhand genas und so wieder in unser gemeinsames Zimmer zog. Keine meiner Fragen wurde von ihr je beantwortet. Und da auch keiner der Tests, die die Lancelor mit ihr reihenweise durchführten, den Silberarm je auch nur im Entferntesten mit Dämonen in Verbindung bringen konnte, musste man sie in Ruhe lassen und als Lancelorin arbeiten lassen. So vergingen drei Wochen. Dunkan, Storm und einige andere erfahrene Ordensmitglieder hatten immer ein wachsames Auge auf Melissa, denn sie waren sich sicher, dass der Silberarm von Dämonen stammen musste. Das Mädchen entwickelte mit ihm schon bald so ungeheure Kräfte, dass sie wohl mit Abstand die Stärkste der Leute vom fünften Rang wurde und jeden Auftrag spielend im Alleingang erledigen konnte. Manche munkelten, sie wäre in den drei Wochen bereits mächtiger als einige Palas geworden. Melissa nahm solche Behauptungen immer mit einer gelassenen Zurückhaltung zur Kenntnis, so als würde es sie gar nicht richtig interessieren. Stattdessen sorgte sie für Neulinge und Anwärter, half einigen sogar beim Lernen. Für einen Moment war ich beinahe der Versuchung erlegen an der Illusion festzuhalten, dass Melissa wieder vollkommen die Alte geworden war... Zeliarina saß nachdenklich am Rande der hohen Klippen, die an der Westseite der Insel beinahe senkrecht ins dunkle Meer hinabstürzten, und ließ ihre Beine sorglos baumeln. Es war kalt geworden und ihr sanfter Atem stieg als neblige Wölkchen in den abendlichen Sternenhimmel. Die ersten Schneeflocken leiteten nun endgültig den Anfang des Dezembers ein. Auch wenn sie noch nicht liegen blieben, verschafften sie einen ersten Vorgeschmack auf den bevorstehenden, tiefen Winter, der in diesem Jahr über ganz Europa hereinbrechen sollte. Es war fast windstill, doch Zeliarina hatte trotzdem das Gefühl, dass die weißen Flocken sie in fantastischen Spiralen und Wirbeln umtanzen würden. Sie liebte die Gewalten der Natur, sei es das wilde, blaue Meer mit seinen rauschenden Wellen im Sommer oder der schwarze Wasserteppich, in das es sich im Winter verwandelte und auf das das Mädchen gerade gedankenverloren starrte. "Setz dich zu mir, Dymeon...", murmelte sie lächelnd, während eine schwache Eiswindböe mit ihren blonden Haaren spielte. Der Dämon hatte seine Aura mit der Drachenkette unterdrückt und keiner seiner Schritte war zu hören, doch Zeliarina schien inzwischen einen sechsten Sinn dafür entwickelt zu haben zu wissen, wann Dymeon in ihrer Nähe war. Tatsächlich saß der Dämon keine fünf Sekunden später wie durch Geisterhand plötzlich neben ihr. "Es ist kalt...", stellte er ruhig fest. Seine dunklen Augen schweiften in die Ferne. Er trug wie so oft seinen langen, schwarzen Mantel und das breite, blutrote Stirnband, das seine verfilzten, schwarzen Haarsträhnen wenigstens ein wenig aus dem Gesicht hielt. "Du solltest lieber rein gehen. Diese Temperaturen sind für Menschen ungesund..." "Ich friere nicht...Guck doch, ich habe dicke Sachen an", erwiderte Zeliarina ruhig. Sie breitete die Arme aus, so dass Dymeon ihre moosgrüne Daunenjacke besser sehen konnte. "Außerdem kann ich hier besser nachdenken, als in Falcaniar..." Thundenstars Wächterin warf einen kurzen Blick hinter sich, wo sich die mittelalterliche Feste dunkel gegen die leuchtenden Sterne abzeichnete. In vielen Fenstern brannte Licht und man sah die Silhouetten mehrerer Zimmerbewohner, die ihren ganz normalen Beschäftigungen nachgingen. Zeliarina zog seufzend ihre Knie an die Brust, ehe sie die Arme darum schlang, ihr Kinn darauf ablegte und wieder aufs Meer blickte. Ein kleines Atemwölkchen entwich dabei ihrer Kehle. Dymeons Augen wurden düster, so als hätte er selbst genug zum Nachdenken. "Es geht um Melissa...nicht wahr?" "Ja...Die ganze Sache mit ihrem Arm...Irgendwie hoffe ich ja, dass sie endlich wieder die Alte geworden ist und ich freue mich für sie...doch ich traue dem Ganzen nicht...Ist das nicht schrecklich, Dymeon? Ich traue nicht der Möglichkeit, dass ein Wunder meiner Freundin einen Neuanfang geschenkt hat...Ich schäme mich dafür..." "Kein Wunder...sondern ein Dämon...ich weiß nicht wer oder wie, doch es war ganz sicher jemand meiner Spezies...Obwohl ich noch nie von jemandem gehört habe, der so etwas vollbringen kann...Andererseits bin ich seit über siebzig Jahren kein Mitglied des Däezander mehr..." Auch Dymeon seufzte jetzt. Seine Atemwolke hing eine Weile als weißer Nebel in der kalten Luft, ehe er sich unter den Berührungen der wirbelnden Schneeflocken auflöste. "Wir können leider nur abwarten..." Daraufhin schwiegen Mensch und Dämon eine Weile, während die Wellen leise rauschend gegen die Klippen rollten und der Schnee unaufhaltsam Flocke um Flocke auf sie niederging. Es war ein hypnotisierender Moment und Zeliarina fühlte sich augenblicklich ein wenig müde. So bemerkte sie durch halb geschlossene Augenlieder nur flüchtig, wie Dymeon über seine Schulter blickte. Schritte waren von Richtung Falcaniar zu ihnen gekommen. Die schweren Sohlen des Ankömmlings ließen das Gras, das seit einiger Zeit an jedem Abend von dünnem, weißem Frost überzogen war, wie sprödes Holz knirschen. "Nicht zu fassen, dass sie dich tatsächlich frei auf dem Gelände herumlaufen lassen...Sogar mit Auraunterdrücker und dem Ring, der dir erlaubt ungestört durch die Abwehrsysteme zu kommen..." Beim Klang der Stimme drehte sich auch Zeliarina um. Melissa stand in einer dunkelblauen Jeansjacke über schwarzem Pullover ernst und emotionslos vor ihnen. Einzelne Schneeflocken lagen auf ihrem glatten, weinroten Haar und ihr rechter Ärmel war vollkommen abgerissen, so dass ihr Silberarm bis zum Schulteransatz zu erkennen war. Das glänzende Körperteil war völlig resistent gegen Wärme oder Kälte oder gegen die meisten Schmerzen. Zeliarina fand, dass der Arm an Melissa noch unnatürlicher aussah als der verbundene Stumpf, den sie vor einiger Zeit noch gequält tragen musste. "Und an seiner Seite ist wie so oft Zeliarina... Mach dir keinen Kopf, ich hege keinen Groll mehr gegen dich, denn Ereos hat mir erzählt, dass Dymeon den Orden für seine Zwecke manipuliert... Dieser Dämon ist geschickt darin die Menschen tückisch auf seine Seite zu ziehen...", zischte das Mädchen mit dem Silberauge eindringlich. Zeliarina schüttelte den Kopf. Wie sehr hatte sich ihre einst so lebendige Freundin doch verändert. "Wovon redest du? Bitte, Melissa, Dymeon kämpft für den Orden! Er ist nicht böse, er hat dir das Leben gerettet, indem er dir den Arm nahm! Es gab keinen anderen Weg! Dymeon würde so etwas sonst nie jemandem antun!" Melissa würdigte Zeliarina keines Blickes mehr, sondern starrte den schweigenden Dämon mit flammenden Augen an. "Ach ja? Ereos hat mir anderes erzählt! Ihm wurde ebenfalls sein Arm geraubt! Und zwar von ihm!!!" Anklagend deutete Melissa mit ihrem Silberfinger auf Dymeon. "Ereos?", wiederholte der Dämon ungläubig. Seine dunklen Augen blitzten besorgt auf und er sprang auf die Füße. "Ereos lebt? War er es, der dir diesen Arm gab?" Melissa wich instinktiv einen Schritt von dem aufgebrachten Dymeon weg, doch dieser hatte ihr linkes Handgelenk sofort gepackt und hielt sie entschlossen fest. "Sag es mir! Lebt Ereos? Lebt er noch?" Unbeeindruckt ergriff Melissa Dymeons Hand, die sie festhielt, mit ihrer eigenen silbernen und brach spielend den eisenharten Griff. Dymeon wollte überrascht zurücktreten, doch plötzlich war er derjenige, der von seinem Gegenüber festgehalten wurde. Sein Handgelenk knirschte, als würden alle seine Knochen zermalmt werden. "Ja, Ereos lebt noch und er hat mir alles erzählt", wisperte Melissa schlagartig so eisig, dass Zeliarina zusammenzuckte. "Genau wie ich verlor er seinen Arm durch dich...und du wirst dich kaum rausreden können, dass er von einem Parasiten infiziert war...Macht es dir Spaß, die Leute so zu quälen...?" Dymeon unterdrückte ein Stöhnen, als sie sein Handgelenk noch heftiger quetschte und sich so nahe an ihn hereinbeugte, dass ihr Mund an seinem Ohr lag. "Du hast es nicht verdient zu leben, du Monster... Ich schwöre dir, mit meinem neuen Arm werde ich dich töten, sobald sich mir auch nur die geringste Möglichkeit bietet...Selbst wenn ich mich dadurch gegen Zeliarina und alle Lancelor dieser Welt stellen muss...Ich werde Gerechtigkeit einfordern..." Mit diesen Worten ließ Melissa den Dämon wieder los und ging zurück zu Falcaniar, ohne sich noch einmal umzudrehen. Dymeon rieb sich mit dunkler Miene die blauen Male von Melissas Fingern, die durch seine Fähigkeiten schnell wieder verschwanden. Und Zeliarina saß immer noch betroffen am Rande der Klippen. Ihre grünen Augen wurden traurig, als sie zu Dymeon aufsah und das Leid sah, das sich nun noch tiefer in sein Gesicht gegraben zu haben schien. "Sie geht einen Pakt mit Dämonen ein und ist sogar bereit alles in ihrem Leben zu opfern... Nur weil sie mich so abgrundtief hasst..." Er starrte auf seine Hände. "Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Excaliburs Bann niemals von mir genommen worden wäre... Seit ich wieder wach bin, bringe ich nur Leid... für Melissa... und für die gesamte Menschheit, die durch Excaliburs Befreiung erneut in den Krieg um die Götterschwerter gezogen wird... Mein Schicksal setzt sich genauso fort, wie es damals vor fünfundzwanzig Jahren schon immer gewesen war..." Zeliarina wollte etwas sagen, doch sie wusste beim besten Willen nicht was Dymeon Trost spenden könnte. Also standen die beiden schweigend im Schneegestöber und beobachteten wieder das Meer. Die hochrangigen Lancelor und Palas hielten es geheim, dass Melissas Arm tatsächlich von einem Dämon stammte, der scheinbar sogar direkt in den Orden eingedrungen war. Wie Dunkan erzählte, gehörte Ereos mit den Purpuraugen zu den gefährlichsten und mächtigsten Dämonen des Däezander. Wenn das Gerücht umgehen würde, dass jemand wie er unbemerkt ins Krankenzimmer gelangen konnte, würde es wahrscheinlich zu einer Panik kommen. Deshalb ließ das Oberhaupt des Ordens die Wachen unter dem Vorwand des endgültigen Kriegsbeginns noch einmal verdoppeln, befahl den Ausbau von Aurasensoren und weiteren Abwehrsystemen und setzte einen Kontaktmann an, der die Daten der Sensoren rund um die Uhr überwachte. "Wir müssen damit rechnen, dass Ereos einen ähnlichen Silberarm besitzt wie Melissa. Bei Tests hat sich eine sehr starke Konzentration von Magie in diesem Körperteil gezeigt, besonders eine hohe Konzentration an dicht gewobenen Schutzzaubern. Durch diese ist der Silberarm gegen Schmerzen immun. Und diese setzen wahrscheinlich auch die Verteidigung Falcaniars kurzfristig außer Kraft", erklärte Doc Fossil sachlich, als sie mit Dunkan, dem Oberhaupt, Pendrian, Storm und vielen anderen angesehenen Mitgliedern eine Besprechung abhielt. "Wir müssen also damit rechnen, dass Ereos noch einmal hierher kommen könnte... wenn es nicht sogar noch andere Dämonen mit Silberarmen gibt...", stellte das Oberhaupt nachdenklich fest. Fossil schürzte kurz die Lippen, nickte schließlich jedoch zaghaft. "Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber nicht auszuschließen..." "Dann werden wir unser Vorgehen ändern. Bis jetzt haben wir es gemieden Miss Heartstrong bei irgendwelchen Aufträgen auszusenden, doch wir müssen der Wahrheit ins Auge blicken, dass sie auch hier niemals vollkommen sicher sein wird. Deswegen soll sie von nun an wie jeder andere Lancelor Missionen erfüllen und Erfahrung sammeln. Die Wächterin Thundenstars dient uns als starke Kämpferin mehr als irgendwie sonst..." Alle Augen richteten sich auf die eingeschüchterte junge Hexe, die sich stumm in einem Stuhl zusammenkauerte und sich weit, weit weg von der Besprechung wünschte. Als Wächterin war sie verpflichtet allen Versammlungen beizuwohnen, doch neben den perfekt ausgebildeten Palas, den Profis, der Elite, fühlte sie sich schrecklich unwohl. Außerdem warfen ihr Pendrian und einige andere vereinzelte, abfällige Blicke zu. Kein Wunder. Sie mussten sich damit abfinden, dass das Schicksal der gesamten Menschheit, um das sie ihr ganzes Leben gekämpft hatten, allein auf den Schultern eines fünfzehnjährigen Mädchens ruhte. Sie mussten sich damit abfinden, dass sie nichts tun konnten, als den sinnlosen Versuch dieses Mädchen auf ewig zu beschützen. Trotzdem würde jeder Einzelne von ihnen ohne das geringste Zögern sein Leben für sie geben. Wie soll ich meine Mitmenschen beschützen, wenn ich diejenige bin, die um jeden Preis beschützt werden muss...? "John, Peter, ihr werdet sie bei der geplanten Mission für die Jüngsten vom fünften Grad mitnehmen... Der Auftrag ist erst einmal nicht so schwer und sie kann Bekanntschaft mit Lancelor in ihrem Alter machen..." Das Oberhaupt schenkte Zeliarina ein aufmunterndes Lächeln, das diese halbherzig erwiderte. Sie warf einen kurzen Blick zu Dunkan herüber, der mit düsterem Blick ihre Geste erwiderte und gar nicht begeistert davon schien, dass seine Schülerin nun doch der Gefahr ausgesetzt wurde. Pendrian auf der anderen Seite vermied es dagegen sorgfältig die Lancelorin auch nur irgendwie anzusehen. Sein braunes Haar und sein brauner Vollbart schienen mit viel mehr grauen Strähnen durchzogen zu sein als noch vor acht Monaten bei ihrer ersten Begegnung mit ihm. Man sagt oft Stress lässt die Haare ergrauen. Wenn das stimmt, war es kein Wunder, dass sich Pendrians Haar so stark verfärbt hatte, denn seit dem Erwachen Dymeons fraß sich ein alter Hass wieder erneut in sein Herz und drohte ihn in einer Flut von Verzweiflung, Zorn und Wut zu ersticken. Auf gewisse Weise ähnelte er damit Melissa, auch wenn diese bereit war sich für ihren Hass gegen den gesamten Orden zu stellen. Manchmal fragte sich Zeliarina, ob Pendrian auch so weit gehen würde... Erschöpft von den vielen Fragen, auf die es keine Antworten zu geben schien, wurde die junge Hexe aus der Besprechung entlassen. Seufzend beschloss sie, dass es nicht die richtige Zeit für Fragen und Antworten war, sondern die Zeit für Taten. Morgen würde sie im Namen der Lancelor endlich etwas tun. Was Dymeon, Pendrian und Melissa anging, die mussten ausnahmsweise einmal noch etwas warten... Ich schlief an diesem Abend sehr unruhig, denn in mir wuchs das Verlangen nach meiner ersten Mission als Lancelorin bis ins Unerträgliche. Irgendwie freute ich mich darauf, nicht weil es spaßig werden würde - denn das würde es garantiert nicht werden -, sondern weil ich endlich etwas für die Menschen tun konnte, die mich bedingungslos in ihre Mitte aufgenommen hatten. Ich wollte Dunkan, Storm, dem Meister, Pendrian, Dymeon und sogar Melissa zeigen, dass ich fähig war auch einmal diejenige zu sein, die andere beschützte, und nicht immer nur wie ein rohes Ei behandelt werden musste. Am nächsten Morgen band ich mir meine Haare mit dem Tuch der Lancelor zusammen und legte das allererste Mal die Kampfkleidung des Ordens an: die schwarze Hose und das schwarze Shirt aus besonders stabilen Kunstfasern und darüber die weiße Weste mit unzähligen Taschen, in denen ich Pistolenmagazine und einige speziell für den Dämonenkampf angefertigte "Fänger" aufbewahrte. An dem Gürtel um meine Hüfte hing Thundenstar und daneben die Pistole, die man nach der Prüfung extra für mich angefertigt hatte. Ich weiß noch, dass ich mich im Spiegel betrachtet hatte und erstaunt über mein Aussehen gewesen war. Mit der Kleidung und den Waffen wirkte ich wie ein richtiger Lancelor. Ich lächelte über die Naivität meiner Worte, denn schließlich war ich tatsächlich einer. Enthusiastisch verließ ich mein Zimmer, das ich mir trotz allem noch mit Melissa teilte, und ging in die Eingangshalle Falcaniars, wo mich die anderen Mitstreiter dieser Mission bereits erwarteten... Zu Zeliarinas Überraschung bestand ihr Team mit ihr zusammen aus gerade mal sechs Leuten. Dunkan und Pendrian waren die leitenden Köpfe der Aktion, die dafür sorgen sollten, dass es bei der Mission nicht zu ernsthaften Schwierigkeiten kommen konnte. Die beiden erfahrenen Lancelor standen vor einer Säule in der Eingangshalle und redeten nur mit knappen Sätzen miteinander, um den Einsatz zu besprechen. Ihre verschiedenen Meinungen zu Zeliarina und Dymeon hatte die beiden Männer deutlich voneinander entfernt. Einst hatten sie als gute Freunde Seite an Seite gekämpft, heute schwiegen sie sich fast nur noch an. Nur wegen mir... Weil ich Dymeon befreite und somit den Krieg um die Götterschwerter erneut in Bewegung gebracht habe... Der zweite Lancelor, der deutlich darunter litt, dass der Dämon mit den Bluttränen nicht mehr vom Orden verfolgt wurde, stand weit entfernt von den anderen in einer Ecke des Saals. Ihre verschiedenfarbigen Augen, silbern und blau, sahen kurz zu Zeliarina rüber, ehe sie zurück an die hohe Decke wanderten. Obwohl Melissa mit ihr in einem Zimmer lebte, wechselten sie nicht ein Wort miteinander. Trotzdem war es der jungen Donnerhexe aufgefallen, dass das Mädchen mit dem Silberarm ihr Lancelortuch nicht mehr so sichtbar und stolz trug wie früher. Mit einem erschöpften Seufzer begutachtete Zeliarina zur Ablenkung die zwei anderen Lancelor vom fünften Rang, die nur etwas älter sein konnten als sie selbst. Der erste war ein Junge, hoch gewachsen und etwas zu dünn für seine Größe. Auf seinem linken Arm prangte die farbenfrohe Tätowierung eines Drachens, die sich von den Fingerspitzen bis weit über die Schulter zog und wahrscheinlich irgendwo zwischen den Schulterblättern aufhörte. Das Gesicht des Jungen hatte weiche Züge und in den braunen Augen lag das Funkeln einer unbesiegbaren Lebensfreude. Doch das Erstaunlichste an ihm war weder die aufrichtige, gute Laune, noch das riesige Abbild des Drachens auf seinem Arm, sondern seine Haare, die in alle Richtungen abstanden, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen. Sie waren so intensiv weiß, dass sie beinahe von innen heraus zu leuchten schienen. Beim Oberhaupt wirkte diese Haarfarbe bereits unnatürlich, doch bei diesem Jungen schien sie geradezu wie aus einer anderen Welt zu kommen. Keine Haartönung der Erde könnte solch eine Farbe entstehen lassen. Der junge Lancelor redete gutmütig auf ein etwa siebzehnjähriges Mädchen ein, das den Wortschwall stumm an sich abtropfen ließ. Sie war so unvorstellbar hübsch, dass sich Zeliarina absurder Weise mit einem Schlag furchtbar hässlich vorkam. Langes, rabenschwarzes Haar, in das einzelne dünn geflochtene Strähnen eingestreut waren, umrahmte ihr liebliches Gesicht. Zeliarina wusste, dass sie selbst schon sehr helle Haut hatte, doch bei diesem Mädchen hatte sie die Farbe von Marmor, beinahe so hell wie die Haare des anderen Lancelorjungen. Nur in ihren eisblauen Augen lag ein merkwürdiger Glanz von Gleichgültigkeit, der ihr ganzes Auftreten etwas kalt und distanziert wirken ließ. Zeliarina war sich sicher, dass diese kühle Ausstrahlung sie auf Jungen nur noch anziehender wirken lassen musste. Die Donnerhexe versuchte in das Herz des Mädchens zu sehen, doch aus irgendeinem Grund gelang es ihr nicht. Es schien, als wäre es von außen abgeschirmt, so dass nicht auch nur der kleinste Einblick gewährt wurde. Bei Dämonen war Zeliarina daran gewöhnt, nicht jedoch bei Menschen. Natürlich konnten einige ihre Gefühle besser vor ihren Hexenfähigkeiten abschirmen als andere, doch nicht einmal dem höchsten Lancelor gelang das vollkommen. Wie ist es diesem Mädchen möglich ihr Herz abzuschirmen? Sie kann kein Dämon sein, sie strahlt weder eine Aura aus, noch hat sie eine Drachenkette zum Auraunterdrücken... Aber sie ist auch kein gewöhnlicher Mensch... Plötzlich drehte das Mädchen ihren Kopf so zur Seite, dass sie Zeliarina in die Augen blickte. Die junge Hexe konnte es sich nicht erklären, doch es war als hätte sie sie aufgrund ihrer Gedanken angesehen. "Telepathie...", meinte die Schönheit so einsilbig und ohne jeden Zusammenhang, dass Zeliarina einen Augenblick brauchte um zu begreifen, dass sie tatsächlich ihre Gedanken gelesen hatte. Auch der Junge mit den weißen Haaren bemerkte die Wächterin Thundenstars jetzt. Grinsend kam er auf sie zu und streckte ihr sofort die Hand entgegen. "Zeliarina, nicht wahr? Ich habe schon viel von dir gehört! Du hast die Abschlussprüfung mit einer der besten Zeiten der letzten Jahre abgehalten und konntest deine elementaren Kräfte bereits nach wenigen Wochen vollkommen beherrschen..." Zeliarina errötete verlegen, schüttelte seine Hand jedoch freundlich. "Ich bin übrigens Kevin", fügte der Lancelor noch hinzu, als wäre es ihm gerade eingefallen. "Ich wollte dich schon immer kennen lernen, denn ich bin auch ein Elementarer, einer des Feuers. Allerdings beherrsche ich meine Kräfte so gut wie gar nicht..." Kevin lachte unbekümmert und kratzte sich dabei am Hinterkopf, so dass Zeliarinas Blick wieder auf die Tätowierung fiel. "Ziemlich cool, oder?", grinste Kevin, als er ihren Augen folgte. "Es ist ein polynesischer Drache, der vor jeglichem Unheil schützen soll. Also so etwas wie mein Schutzpatron." Zeliarina nickte ehrlich fasziniert und bewunderte das Bild noch eine Weile, ehe sie sich dem schwarzhaarigen Mädchen zuwandte. Diese schien bereits zu wissen, was die Donnerhexe fragen wollte und antwortete einsilbig: "Victoria..." Zeliarina hob überrascht die Augenbrauen, während Kevin verwirrt zwischen den beiden hin und her blickte. Schließlich trat Dunkan zu den jungen Lancelor und klopfte Kevin freundschaftlich auf die Schulter. "Wie gut, ihr macht euch schon einander bekannt. Trotzdem der Förmlichkeit halber: das ist Kevin Douglas, gebürtiger Kalifornier. Er ist erst vor einem Monat nach Falcaniar gekommen und wurde als Elementarer des Feuers mir zugewiesen. Da er bereits früher ein Hobbyschütze war, mussten wir weniger Zeit in seine Ausbildung investieren, so dass er bereits vor einigen Tagen die Prüfung ablegen konnte..." Kevin deutete zufrieden grinsend auf das Lancelortuch, das lose an einer Gürtelöse seiner Hose festgebunden worden war. Zeliarina betrachtete den Jungen verwirrt, denn obwohl er in Amerika geboren war, hörte sie nicht den leisesten, amerikanischen Akzent in seinem etwas schwerfälligen Englisch. "Und das ist Victoria Sommerset", sprach Dunkan fröhlich weiter, "Sie besitzt die Fähigkeit der Telepathie. Inzwischen wohnt sie seit über sechs Jahren in Falcaniar." Erneut war Zeliarina verwirrt. Wieso habe ich sie dann noch nie hier gesehen...? Victoria sah sie wieder aus ihren eisblauen Augen an und setzte ein schwaches Lächeln auf, das weder Freude noch Häme noch sonst irgendetwas ausdrückte. "Nachdem ich vor drei Jahren, also mit meinem vierzehnten Lebensjahr, die Prüfung ablegte, hatte ich bei einer meiner ersten Einsätze einen Unfall. Ich musste lange für meine Gesundheit kämpfen und meide seitdem die Menschen... Ich verlasse mein Zimmer kaum..." Kevins Miene wurde noch verwirrter, ehe er endlich verstand, dass Telepathie nichts weiter war als Gedankenlesen und Victoria gerade auf Zeliarinas Gedanken geantwortet hatte. "Und schließlich Zeliarina Heartstrong." Dunkan redete so abrupt weiter, dass sich die junge Donnerhexe sicher war ein heikles Thema angeschnitten zu haben. "In den acht Monaten, die sie inzwischen hier ist, lernte sie bereits überdurchschnittlich viel über ihre Fähigkeiten und das Kämpfen. In der Höhle der Prüfungen besiegte sie innerhalb eines halben Tages zwanzig Tryclonns. Natürlich nicht zu vergessen, dass sie die Wächterin des Götterschwertes Thundenstar ist..." "Die, auf deren Schultern das Schicksal der gesamten Menschheit lastet...", fügte Victoria ganz selbstverständlich hinzu. Sie lächelte wieder ihr schwaches Lächeln, das keine Spur von Häme zeigte. Auch ihre Stimme war jenseits jeglicher Empfindungen, so dass sie beinahe wie ein seelenloser Roboter wirkte. Kevin sah die telepathisch veranlagte Lancelorin einen Moment lang überrascht an, dann grinste er wieder unbekümmert und fuhr gut sichtbar über seinen merkwürdig unförmigen Waffenhalfter. "Nun, scheinbar sollten wir dann auf dich besonders acht geben, nicht wahr?" Zeliarina wusste, dass es nicht böse gemeint war, (vermutlich war Kevin gar nicht in der Lage irgendwie unfreundlich zu werden) doch diese Bemerkung verletzte sie. Eigentlich wollte ich von nun an doch andere beschützen, anstatt diejenige zu sein, die immer wieder verteidigt werden muss... Aber scheinbar ist das nur ein Wunschtraum... Betrübt wich sie Kevins gütigen, braunen Augen aus und blickte stattdessen in die eisblauen Victorias, die ein weiteres Mal dieses wissende Funkeln trugen. Zeliarina musste sich daran erinnern, dass das Mädchen ihre Gedanken spielend lesen konnte und somit auch alles Gedachte so deutlich verstand, als hätte man es laut ausgesprochen. Nun gut, Victoria... Es freut mich mit dir diese Mission erfüllen zu dürfen... Die Lancelorin nickte wortlos, zum Zeichen, dass sie den Gedanken gehört hatte, ehe Dunkan sie endlich zum Aufbruch scheuchte. Zeliarina fiel auf, dass er es geschickt übergangen hatte Melissa ebenfalls vorzustellen. Das Mädchen mit dem Silberarm schritt langsam von ihrer Ecke zu ihnen herüber und folgte stumm, als Dunkan und Pendrian durch das Eingangstor ins Freie traten. Zeliarina ging neben dem fröhlichen Kevin, während Victoria stumm die Hände in ihre Hosentaschen steckte und folgte. Draußen erwartete sie bereits ein dick in Winterkleidung gehüllter Helikopterpilot vor seiner großen Maschine, auf dessen Seiten die drei gekreuzten Silberspeere prangten. "Schönes Wetter für einen kleinen Hubschrauberflug", meinte Pendrian sarkastisch, während dicke Schneeflocken unaufhörlich vom Himmel fielen und schneidende Windböen an ihren Haaren und ihrer Kleidung zerrten. Der Helikopterpilot murrte irgendetwas Unverständliches, ehe er seine Passagiere nach und nach in den Mannschaftstransporter einsteigen ließ. Als sie alle angeschnallt und mit Kopfhörern vor dem Rotorenlärm geschützt dasaßen, hob die Maschine mit einem ohrenbetäubenden Lärm ab, bis sie beinahe augenblicklich von der ersten Schneewehe verschluckt wurde... Normalerweise liebte ich die langen Helikopterflüge über das weite Meer, doch an diesem eiskalten Dezembertag erkannte man weder das blaugrüne Wasser, noch die Wolken oder den Himmel. Der Schnee war so verdammt dicht, dass man kaum die Hand vor Augen erkennen konnte. Um ehrlich zu sein hatte ich ziemlich Angst, dass der Pilot genauso wenig sehen würde wie ich. Die kreidebleiche Victoria blickte mich wieder auf ihre geheimnisvolle Art an, so dass ich im ersten Augenblick dachte sie würde über meine Angst spotten. Doch wie sie nun einmal war tat sie es nicht. Melissa sagte den ganzen Flug über gar nichts, während Dunkan und Pendrian uns unsere Mission genauer erklärten. Eigentlich war es viel zu laut um sich zu unterhalten, doch unsere Kopfhörer waren diesmal mit zusätzlichen Mikrophonen ausgestattet, die es uns erlaubten trotz des Lärms zu kommunizieren. "Wir fliegen nach Chester. Irgendein amateurhafter Beschwörer hat versucht einen Golem als Wächter für sein Firmengebäude zu erschaffen. Es sind schon mehrere seiner Angestellten durch Dämonenhand verschwunden, doch er hätte gut daran getan sich an die Lancelor zu wenden, anstatt auf eigene Faust etwas zu unternehmen. Jeder weiß, dass alle Beschwörungsriten von dem Däezander stammen und daher mit sehr genauer Sorgfalt auszuführen sind... Jedenfalls ist der Golem aufgrund der ungenauen Beschwörung ausgerastet..." "Golem?", warf ich ein wenig verhalten ein. Kevin lachte ein bisschen und klopfte mir belustigt auf die Schulter. "Da hast du wohl bei den vielen Unterrichtsstunden auf Falcaniar etwas geschlafen... Ein Golem ist ein aus Stein geformter Krieger, der zwar dumm, aber ziemlich zerstörerisch sein kann. Der Däezander nutzt sie neben Tryclonns und Oggrons oft als Fußsoldaten. Aber auch die Lancelor und einige hohe Tiere, die von uns wissen, nutzen sie als Wächter und Leibgarde..." "Sehr gut, Kevin." Dunkan schenkte seinem Schüler ein flüchtiges Lächeln, ehe er weitererzählte. "Man konnte den Golem glücklicherweise durch Fänger im Gebäude festhalten, so dass keine weiteren Zivilisten mit in die Angelegenheit rein gezogen wurden." "Also sind wir nichts weiter als das Müllbeseitigungskommando", ließ sich Melissa ein wenig abfällig vernehmen. "Für diese Angelegenheit brauchen wir nicht einmal die Hilfe eines Dämons, nicht wahr?" Sie warf mir einen schnellen Blick zu und ich fühlte mich schlecht. Die Ereignisse der Vergangenheit fraßen sie auf, machten ihr Herz hart und kalt. Das einst so fröhliche Mädchen hatte sich in eine Rächerin so seelenlos wie Victoria verwandelt. Mit einem miesen Gefühl im Magen wich ich den Augen aller aus und starrte stur aus dem Helikopterfenster, obwohl draußen nur das ewige Weiß des Schnees zu sehen war... Irgendwie hatte ich damals gewusst, dass das Ganze nicht reibungslos ablaufen würde... Ich hatte es gewusst... Kapitel 8: Melissas Entscheidung -------------------------------- Kapitel VIII - Melissas Entscheidung Das Gebäude der Firma ,Caplin und Partner' war ein Paradebeispiel der neuzeitigen Glasklötze, die sich in den letzten Jahren über die ganze Welt verbreitet hatten, und ragte weit über die anderen Häuser von Chester hinaus. Unzählige, riesige Glasscheiben bildeten eine dichte Facette aus gläsernen Fensterfronten, vom Erdgeschoss ab rundherum um das Gebäude bis hinauf zu dem flachen Dach, auf dem das gewaltige Firmenlogo aus Stahl thronte. Wenn Licht im Inneren brennen würde, hätten Zeliarina und ihre Ordensgeschwister mit Leichtigkeit jegliches Detail der wertvollen Möbelausstattung sehen können. Doch es brannte keine einzige Lampe im Inneren. Obwohl es ein Wochentag war und die Sonne gerade erst unterging, wirkte das Firmengebäude vollkommen ausgestorben. Drei schwarze Kleinbusse, ebenfalls mit dem Logo von `Caplin und Partner', standen in einem weiten Halbkreis um die große Eingangstür aus Glas, die in die Vorhalle führte. Als der Mannschaftshelikopter der Lancelor in kurzer Entfernung auf einem großen, leeren Platz gelandet war, hatten ein paar Schaulustige interessiert innegehalten, um die Szene zu verfolgen. Sie konnten beobachten, wie ein paar stämmige Leute mit schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen aus den schwarzen Autos stiegen, während aus dem Hubschrauber eine Gruppe gleich gekleideter Menschen zum Vorschein kam. Einige waren sogar noch halbe Kinder. Zeliarina fragte sich insgeheim was sie wohl für einen Eindruck auf diese ahnungslosen Zivilisten hatten. Immerhin waren sie nicht einmal volljährig und trugen schon Pistolen an ihren Gürteln. Pendrian und Dunkan störten sich nicht an den Blicken der Passanten, sondern steuerten geradewegs auf einen untersetzten Mann mit aschblonden Haaren und einer auffälligen Hakennase zu, der von den Sonnenbrillenträgern, offensichtlich Bodyguards, flankiert wurde. "Mister Caplin", begrüßte Dunkan förmlich, als er dem Mann kurz die Hand gab. "Wir haben bereits miteinander telefoniert, mein Name ist John Dunkan. Wir sind hier um uns ihrem Problem anzunehmen." "Ich hoffe doch, wir können das Ganze heute hinter uns lassen?", fragte Caplin mit einem hörbaren Nachdruck in der Stimme. Er schien sich mehr für die Passanten rings herum als für Dunkan zu interessieren. "Gehen sie möglichst diskret vor, ich möchte keinen Skandal oder irgendetwas Auffälliges, das mich in den Medien schlecht dastehen lässt. Ich verliere bereits mehr als genug Geld, nur weil ich die Firma seit gestern schließen musste." "Schuld eigene", murmelte Pendrian so leise, dass Caplin es nicht hören konnte. Zeliarina fühlte sich unwohl. Sie sah sich ihre neuen Gefährten an und bekam sofort ein aufmunterndes Grinsen von Kevin geschenkt, während Victoria das Gespräch ihrer Übergeordneten offensichtlich lustlos verfolgte. Melissa hörte gar nicht zu. Sie hatte die Augen geschlossen und die Arme verschränkt, so dass ihr Silberarm deutlich zu sehn war. Doch die Schaulustigen schienen das Gespräch von Dunkan und Caplin spannender zu finden, auch wenn sie von weitem gar nichts hörten. "Wenn es sich nur um einen Golem handelt, sollte die Angelegenheit in gut zwei bis drei Stunden erledigt sein. Trotzdem würde ich gerne mehr über das Beschwörungsritual erfahren, mit dem sie ihn erschaffen haben. Nur um sicher zu gehen, dass keine unerwarteten Komplikationen auftreten. Ich denke, dass liegt in unser beider Interesse..." "Natürlich...", stimmte Caplin zu. Er warf ein paar weitere nervöse Blicke zu den Schaulustigen. "Doch könnten wir das womöglich etwas unbeobachteter tun? Ich habe die Aufzeichnungen der Beschwörung in einem der Wagen, genau wie die Baupläne des Gebäudes, nach denen sie verlangt haben." Er deutete auf einen der schwarzen Kleinbusse. Dunkan nickte zustimmend, winkte die ganze Eskorte hinter sich her und folge Caplin zu dem Wagen. Die zwei Bodyguards öffneten die Hintertür des Autos, die seitlich aufschwang und die Sicht auf einen großen Laderaum, wie es sie bei Gefangenentransportern gab, freigab. Offensichtlich handelte es sich hierbei, ähnlich wie bei ihrem Helikopter, um einen Mannschaftstransporter. Der Hinterraum war so groß, dass die zwei Leibwächter, Caplin, Dunkan, Pendrian, Melissa, Kevin, Victoria und Zeliarina problemlos Platz fanden. Caplin schlug die Tür erleichtert hinter sich zu. "Verdammtes Pack. Wenn irgendetwas Schlechtes in der Zeitung erscheint, kann ich meinen Laden dicht machen. Die Konkurrenz sitzt mir schon im Nacken seit dem mehrfachen Verschwinden meiner Angestellten. So eine Chance für Gerüchte lassen die sich nicht entgehen..." "Keine Sorge", murmelte Melissa leise mit einem hämischen Lächeln. Sie lehnte mit verschränkten Armen an der Innenwand des Autos und starrte nach draußen. "Die Passanten gehen bereits wieder. Ihre Firma interessiert scheinbar niemanden..." Verwirrt wollte Caplin ebenfalls aus dem Fenster sehen, doch durch die getönten Scheiben war es weder möglich rein, noch hinaus zu sehen. Der Firmenleiter warf Melissa einen fragwürdigen Blick zu, doch diese schien tatsächlich durch das Fenster hindurch nach draußen blicken zu können. Zum ersten Mal erspähte er das silberne Auge des Mädchens und erschauderte. Zeliarina beobachtete den äußerst gehetzt wirkenden Mann beinahe mitleidig. Er schien langsam zu begreifen, dass er sich mit Mächten eingelassen hatte, die weit über seine Vorstellungskraft hinausgingen. "Wie auch immer", grummelte Caplin und schüttelte seinen Kopf, als wolle er sich von einem bösen Gedanken befreien. "Hier sind die Beschwörungsformel, die ich benutzt habe, und die Architekturpläne." Er holte eine alte vergilbte Rolle und mehrere neuer aussehende hervor. Dunkan griff sofort nach dem verschlissenen Fetzen, während sich Pendrian die Baupläne geben ließ. "Hmm..." Dunkans junges Gesicht wurde nachdenklich. "Sieht tatsächlich nach einer gewöhnlichen Beschwörung aus...Dinge für den Beschwörungszirkel sind einfache Sandsteine, ein paar Pflanzendornen und Erde und... Menschenblut...?" Dunkan sah angeekelt zu Caplin auf, doch dieser schüttelte sofort und heftig den Kopf. "Ich...ich habe niemanden getötet oder dergleichen...Es war mein eigenes Blut..." Zur Unterstützung seiner Worte hob er die Hand, auf deren Innenfläche sich eine lange Wunde mit roten Rändern befand. Zeliarina fand, dass die Selbstsicherheit eines Firmenbosses mit jedem Wort mehr von ihm abfiel wie eine Maske. "Aha, das war schon mal der erste Fehler", erklärte Dunkan nicht gerade begeistert, "Ein Schnitt in der Hand ist viel zu wenig Blut für einen Beschwörungszirkel. Dadurch hat der Golem kein richtiges Bewusstsein, er kann nicht denken, nicht gehorchen und wird somit...vollkommen unberechenbar." "Das Gebäude ist auch nicht gerade der beste Kampfort. Vier Treppen, zwei Aufzüge, hunderte Räume und Lagerhallen...In dem scheiß Ding gibt es geradezu unendliche Möglichkeiten zum Fliehen oder Verschanzen..." "Tja, vielleicht wird das Ganze ja doch noch ganz interessant", lächelte Melissa. Kevin grinste begeistert und rieb sich in unerträglicher Vorfreude die Hände. Nachdem Pendrian die Nachwuchslancelor mit einem strengen Blick zur Ruhe gebracht hatte, starrte Caplin sie völlig sprachlos an. Er öffnete ein paar Mal den Mund, unfähig zu sprechen, und nahm schließlich stumm die Papiere von Dunkan und Pendrian zurück. Victoria begutachtete ihn mit diesem stechenden Blick ihrer eisblauen Augen, der Zeliarina sagte, dass sie wieder einmal ihre telepathischen Kräfte einsetzte. "Ich würde nicht sagen, dass wir vollkommen durchgeknallt sind, Mister Caplin... Es ist unser Job die dummen Entscheidungen von Menschen wie ihnen wieder geradezubiegen..." Caplins Entsetzen steigerte sich immer mehr, als ihm die Fähigkeit Victorias bewusst wurde. Mit zitternder Hand ließ er sich von einem seiner Leibwächter mehrere Funkgeräte geben und händigte sie abwesend aus, unfähig den Blick von Victoria zu nehmen. Das wunderschöne Mädchen nahm ihr Funkgerät mit einem kurzen Nicken entgegen, befestigte es elegant an ihrer Hose und zog ihr Lancelortuch aus der Hosentasche um es sich um ihr zierliches Handgelenk zu binden. "Ein guter Gedanke, uns mithilfe des Planes durch das Gebäude zu lotsen", meinte die Telepathin als Antwort auf einen weiteren Gedanken Caplins. "Victoria, es ist unhöflich die Gedanken unseres Auftraggebers zu lesen...", rügte Pendrian sie zu Recht, obwohl er sich ein amüsiertes Lächeln kaum verkneifen konnte. Auch er nahm sich eines der Funkgeräte, die Caplin ihnen angeboten hatte. "Dennoch ist es äußerst praktisch, falls ein Vorgesetzter einmal irgendetwas vor uns verbergen möchte", fügte er mit einem viel sagenden Blick hinzu. Caplin wich bleich im Gesicht zurück und schüttelte heftig den Kopf, ehe er die Lancelor erschöpft aus dem Wagen winkte. "Geht jetzt bitte und macht eure Arbeit, ihr erhaltet euren Sold, wenn die Angelegenheit zu meiner Zufriedenheit beendet wurde..." "Sold... Das klingt, als wären wir Söldner", grummelte Pendrian leise in seinen Bart hinein, ohne dass ihn jemand hörte. Er verließ den schwarzen Kleinbus als erster, steckte sich sein Funkgerät an die weiße Weste und wartete darauf, dass auch die anderen seinem Beispiel folgen würden. Als alle ihre Funkgeräte irgendwo befestigt hatten und vor dem großen Glaseingang des Firmengebäudes standen, fiel Zeliarinas Blick auf einen kleinen metallenen Gegenstand in Form eines Eishockeypucks, der an der Tür klebte. Die Donnerhexe kannte ihn aus ihrer Ausbildung zum Lancelor. Es war ein ,Fänger', verwendet um Dämonen an einem Ort festzuhalten oder sie zu schwächen. Der Grundstein der Dämonenmacht, ein unbekanntes Element namens Aramea, wird durch diese ,Fänger' aus dem Körper des Dämons gezogen, um ihn zu schwächen. Gelingt es einem Lancelor den ,Fänger' direkt an einen Dämon zu platzieren, verliert dieser durch den plötzlichen Entzug des Aramea meist sofort das Bewusstsein. Pappt man ihn dagegen an eine Tür, wagt es kein Dämon diese zu berühren, da ihm auch so der überlebenswichtige Grundstoff seines Körpers entzogen werden würde. "Scheinbar ist er doch kein völliger Narr, wenn er sich solche Mittel für den Notfall besorgt hat." "Belassen wir es dabei, Peter. Wir sollten den Auftrag schnell über die Bühne bringen und uns nicht mehr als nötig um Caplin kümmern", erwiderte Dunkan leichthin. Er nahm sein Funkgerät in die Hand und sprach einmal zum Test hinein. Als Antwort kam ein lautes Knacken, gefolgt von Caplins nervöser, gehetzter Stimme. "Gut, na dann los." Kevin entfernte den ,Fänger' von der Tür und ließ die anderen ins Innere das Gebäudes, bevor er ihn wieder an der Innenseite befestigte, um jegliche Flucht des Golem unmöglich zu machen. Mit einer auffälligen Sorglosigkeit zog er seine Waffe aus dem Halfter. Doch es war keine gewöhnliche Pistole, sondern eine etwa dreißig Zentimeter lange Schrotflinte mit abgesägten Läufen. Zeliarina sah die Waffe in seinen tätowierten Fingern skeptisch an. Kevin ließ sie ein paar Mal spielerisch in der Hand kreisen und grinste. "Wie Dunkan gesagt hat, besitze ich schon einige Erfahrung im Schießen. Deswegen wurde mir diese besondere Waffe anvertraut, die normalerweise nicht in die Hände von Neulingen gelegt wird...", erklärte er zufrieden. Danach verfiel die Gruppe eine Zeit lang in tiefes Schweigen, um irgendein verräterisches Geräusch in der Nähe zu erhaschen, das den Aufenthaltsort des Golems verraten würde. Pendrian und Dunkan mussten es als Mentoren von nun an den Neulingen überlassen den Auftrag zufrieden stellend zu Ende zu bringen. Victoria nahm gleichgültig ihr Funkgerät in die Hand und sprach: "Mister Caplin, wo haben sie die Beschwörung denn durchgeführt oder besser, wo hat der Golem gewütet? Das würde die Sache deutlich einfacher machen..." Ein plötzliches Geräusch ließ alle erschrocken herumfahren, doch es war nur Kevin, der sich ein paar Sonnenblumenkerne in den Mund gestopft hatte und die Tüte mit einem peinlichen "Sorry" schnell wieder in seiner Weste verstaute. Caplins Stimme war so stark von einem Rauschen unterlegt, dass nur Victoria selbst sie hören konnte. "Wir sollten es in der Lagerhalle der sechsten Etage versuchen", berichtete sie monoton. Zeliarina fiel wieder dieser kalte Blick ohne das geringste Anzeichen von Emotionen in ihren Augen auf, der eine heftige Welle von Mitleid in ihr aufsteigen ließ. Wie konnte ein Mensch so leben? Victoria wirkte wie eine leere Hülle, der bereits jegliche Menschlichkeit ausgesaugt worden war. Auch Kevin betrachtete sie eingehend, doch in seinen braunen Augen lag nicht die Verwirrung, die in Zeliarina tobte, sondern etwas anderes. "Der Strom ist abgeschaltet. Wir müssen wohl die Treppe nehmen", stellte Melissa ein wenig ungeduldig fest, ehe sie auch schon zu der nächstgelegenen Treppe ging und die ersten Stufen überbrückte. Sie wartete nicht auf ihre Ordensgeschwister, die jetzt alle ihre Waffen zogen und durchluden. Victoria hatte eine ähnliche Pistole wie Zeliarina. Beide Mädchen legten ihre Magazine inzwischen routiniert ein, während Kevin zwei dicke Patronen in die Läufe seiner abgesägten Schrotflinte einlegte. "Ein Schuss feuert vierzehn Kugeln in einem Streuradius von 5 Metern ab. Ein ungeübter Schütze kann damit leicht eigene Leute treffen", erklärte der junge Elementare leise, während sie hinter Melissa, aber vor Pendrian und Dunkan die Treppe bis zum sechsten Stockwerk hinaufstiegen. Zeliarina fiel jetzt deutlich auf, dass Kevins Aufmerksamkeit überwiegend Victoria galt, obwohl diese ihn keines Blickes würdigte. "Seid jetzt endlich ruhig!", zischte Melissa eisig. Sie hatte ihre Waffe immer noch nicht in der Hand, doch ihr Silberarm strahlte eine beruhigende, wenn auch unmenschliche Aura aus. Was auch immer jemals auf Melissa zukommen würde, sie könnte keine bessere Waffe besitzen als diesen Arm, dass wusste Zeliarina. Sie hatte Lancelor oft genug reden gehört, mit welchen überirdischen Kräften Melissa Dämonen besiegen konnte. "Ist die auf einmal unsere Anführerin, oder was?", murmelte Kevin ein wenig verwundert und mit mehreren Seitenblicken zu seinem Mentor oder Victoria. Melissa tat so als hätte sie die Worte überhört und trat aus dem Treppenhaus in die sechste Etage. Hier war es genauso still wie überall. Die Dunkelheit des Gebäudes wurde nur von ein wenig Mondlicht, das durch die riesigen Fenster schien, vertrieben. Mehrere kostbare Mahagonimöbel und einige Zierpflanzen säumten den Gang, den sie betreten hatten. Zu beiden Seiten führten unzählige Türen in kleine Büros, die mit dünnen Wänden voneinander getrennt waren. ,Caplin und Partner' war eine Anwaltskanzlei. Hier saßen die juristischen Verteidiger rund um die Uhr, um sich um ihre Fälle zu kümmern. Vorsichtig sicherten die jungen Lancelor jedes einzelne Büro. Ihre Schritte waren lautlos auf dem weichen Teppich, beinahe geisterhaft. Zeliarina schauderte, als ihr der Gedanke kam, dass der Golem sich vermutlich genauso lautlos bewegen konnte und vielleicht in diesem Augenblick genau hinter ihr stand. Sie unterdrückte das lächerliche Verlangen über ihre Schulter zurück zu blicken und sicherte ein weiteres Zimmer. Als sie auch dieses Büro unangetastet vorfand und wieder zurück in den Gang trat, bemerkte sie wie Melissa völlig furchtlos bis zum Ende des Ganges lief, ohne auch nur einmal zur Seite zu sehen. Im ersten Augenblick war Zeliarina ernsthaft beeindruckt, bis ihr plötzlich Melissas Silberauge einfiel. Kein Wunder, dass sie nicht in die Büros schauen musste. Wahrscheinlich hatte sie schon von Anfang an durch alle Wände hindurch in jedes Büro geblickt. "Warum sucht sie dann nicht einfach das ganze Gebäude mit ihrem Silberauge ab?", fragte Victoria verwundert. Wieder einmal waren alle verwundert, dass sie so sorglos die Gedanken von jemandem gelesen und darauf reagiert hatte. Zeliarina spürte, wie sie beschämt rot wurde, doch zum Glück schenkte man ihr keine Aufmerksamkeit. "Das stimmt!", rief Kevin erfreut, "Ich dachte mit diesem Silberauge kann man durch alles hindurch sehen!" Melissa hielt in ihrer Bewegung inne und wandte sich ihnen zu. Ein schmales Lächeln lag auf ihren Lippen. "Das wäre doch viel zu einfach. Ich muss mein Können nicht mehr beweisen, deswegen dachte ich, es wäre sinnvoll die Sache euch zu überlassen..." "Ganz schön selbstbewusst", bemerkte Kevin mit hochgezogener Augenbraue. Zeliarina schrak bei Dunkans und Pendrians leisem Lachen zusammen, denn sie hatte die beiden Lancelor hinter ihr beinahe vergessen. "Ich sage nur die Wahrheit...", antwortete Melissa spöttisch. Sie kehrte ihnen wieder den Rücken zu und ging mit gemächlichen Schritten bis zum Ende des Ganges. Eine große Metalltür versperrte den weiteren Weg in die große Lagerhalle der Etage. "Die ist abgeschlossen", knirschte Caplins Stimme aus den Funkgeräten, "An der Seite befindet sich ein Öffnungsmechanismus, der Code ist-" Der Firmenchef konnte den Satz niemals beenden, denn Melissa ballte ihre Silberhand unbeeindruckt zur Faust und zerschmetterte die schwere Metalltür mit einem einzigen gewaltigen Hieb. Kevin und Zeliarina sprangen schockiert zur Seite, selbst Dunkan und Pendrian duckten sich hastig unter den umher fliegenden Metallsplittern. Nur Victoria blieb ruhig, so als hätte sie bereits gewusst was kommen würde. Vermutlich hat sie das auch... Zitternd kam Zeliarina aus ihrer Deckung hervor, hinter die sie instinktiv gesprungen war. Trotzdem hatte ein kleiner, scharfer Splitter ihre blasse Wange aufgeritzt, so dass ein wenig Blut daran herab lief. "Du hättest uns ruhig vorwarnen können", keuchte die Donnerhexe fassungslos, während sie sich die kleine Wunde mit den Fingern befühlte. Kevin stand nur reglos neben ihr und glotzte. "Hey, ihr seid Lancelor, so was müsst ihr abkönnen..." Melissa schenkte ihnen ein weiteres, kaltes Lächeln, ehe sie ihren Arm zum Test ein paar Mal anspannte und wieder locker ließ. Dem silbernen Körperteil war nichts passiert, nur die große Schiebetür lag eingebeult und zersplittert zu ihren Füßen. Zufrieden wandte sich das Mädchen mit dem Silberauge dem Inneren der Lagerhalle zu... Die ganze Welt um sie herum schien plötzlich explodieren zu wollen. Etwas Riesiges brach mit ungeheurer Kraft aus der Halle hervor und sprengte dabei den leeren Türrahmen, so dass Putz und weitere Wandstücke durch die Luft wirbelten. Der Boden unter ihnen bebte, die Decke drohte einzustürzen und das gigantische Etwas stieß einen schrecklichen, dröhnenden Schrei von sich. Zeliarina sah nur noch eine Wolke aus Staub, die sie alle einhüllte und die Sicht versperrte. Vage nahm sie das wilde Fluchen von Pendrian hinter sich wahr und sah die Umrisse einer anderen Gestalt vor ihr. Der Staub war so dicht, dass Zeliarinas Augen tränten und sie halbblind durch den Gang taumelte, um irgendjemanden Vertrautes zu erreichen. Dunkan schrie ihren Namen, doch sie konnte ihn weder sehen, noch wusste sie aus welcher Richtung seine Stimme kam. Der einzige Anhaltspunkt in dieser Welt aus Staub und Geschrei war der undeutliche Schemen vor ihr. Sie musste bis auf zwei Meter herankommen, um zu erkennen, dass es Melissa war, die mit ihrem Silberauge einen bestimmten Punkt vor ihr genau fixierte. Gerade als Zeliarina die Lancelorin fragen wollte, was sie in dem ganzen Durcheinander entdeckt hatte, durchbrach plötzlich ein riesiger Arm die Wolke aus Putz und Staub und traf Melissa mit voller Härte. Das Mädchen riss zwar noch ihren Silberarm schützend von sich, doch die Wucht des Schlages ließ sie einmal quer durch den ganzen Gang fliegen. "Melissa!" Blankes Entsetzen durchflutete den ganzen Körper der Donnerhexe. Hilflos sah sie mit an, wie Melissas Körper von der undurchsichtigen Wand aus Staub verschluckt wurde, ehe sie hastig zurückwich, um sich selbst vor dem Etwas aus der Lagerhalle zu retten. Während sich der Nebel einfach nicht lichten wollte, warf sich Zeliarina verzweifelt in eines der Seitenbüros. Sie wagte es nicht bei einer minimalen Sicht um sich zu schießen und hatte gleichzeitig Angst, ein anderer von ihnen könnte es tun und sie dabei treffen. Hier konnte sie wieder klar sehen und die Geräusche vom Gang drangen nur noch gedämpft zu ihr. Mit klopfendem Herzen sah sich Zeliarina um. Ein Spiegel hing in diesem Büro an einer Seitenwand neben dem Schreibtisch. Als sie hinein sah, blickte ihr ein Mädchen mit zerzausten blonden Haaren und vom Staub geröteten, hellgrünen Augen entgegen. //Zeliarina, komm zu uns. Wir brauchen die Wächterin Thundenstars.\\ Die junge Donnerhexe zuckte zusammen und sah sich hastig in dem kleinen Büro um, doch die Stimme war nur in ihrem Kopf. Victorias Stimme. Auch wenn sie wie immer frei jeglicher Gefühle war, wusste Zeliarina irgendwie, dass darin Bitten lag. Ohne Nachzudenken verstärkte die Hexe den Griff um ihre Pistole und rannte wieder nach draußen. Der Staubnebel hatte sich inzwischen gelegt, nur eine dicke Schicht aus flockigem Putz bedeckte noch die Erde. Der Eingang zur Lagerhalle war vollständig zerstört, der Türrahmen von riesigen Schultern gesprengt und die Metalltür von gigantischen Füßen zertreten. Und zwischen all dem Chaos stand ein großer Krieger aus gelbem Sandstein mit breiten Schultern und dicken Armen, der ihr den Rücken zuwandte. Er sah beinahe menschlich aus, wenn man einmal davon absah, dass er dreifach so groß war wie ein gewöhnlicher Mann, so dass er nur gebeugt in den Gang passte. Ein Golem. "Nein!" Der Golem holte zu einem gewaltigen Schlag gegen Dunkan aus, der besorgt neben der offensichtlich reglosen Melissa kniete. Victoria schoss ihr ganzes Magazin auf den Feind, doch dieser blockte die Runenmunition mit seinem Arm ab. Der dicke Sandsteinkörper schien dabei kaum Schaden davonzutragen, aber es war für Kevin zu riskant ebenfalls seine Waffe einzusetzen. Ein Schuss mit der abgesägten Schrotflinte hatte eine zu große Streuung. "Zeliarina! Vorsichtig, geh zurück in Deckung! Es ist zu gefährlich! Das Ganze ist ein wenig außer Kontrolle geraten!", schrie Dunkan, als er seine Schülerin entdeckte. Pendrian spuckte zornig auf den Boden, riss seine Waffe aus dem Halfter und schoss wütend auf den Golem ein. Gegen die Feuerkraft von zwei Pistolen musste das Ungetüm langsam zurückweichen. Dicke Stücken splitterten aus seinem Steinkörper heraus, doch trotzdem schien das noch nicht zu genügen. Mit einem dröhnenden Schrei stürzte sich der Golem auf die Lancelor. "Haut ab!", schrie Zeliarina panisch. Pendrian und Victoria schossen unbeeindruckt weiter, während Dunkan verzweifelt versuchte das Klirren der auf den Boden aufschlagenden Patronenhülsen zu übertönen: "Wir können Melissa hier nicht liegen lassen! Und solange wir nicht wissen, ob sie sich nicht irgendetwas mit dem Genick getan hat, können wir sie auch nicht wegtragen!" Plötzlich verstummte das Trommeln der Pistolenkugeln. Den beiden Kämpfenden war gleichzeitig das Magazin leer gegangen. "Scheiße!" Verzweifelt stellte sich Dunkan schützend vor Melissa und die anderen und zog nun seinerseits seine Waffe, doch Kevin stieß seinen Mentor grob zur Seite. "Aus dem Weg! ALLE!" Energisch ließ sich der Elementare des Feuers auf ein Knie fallen und legte seine Flinte an. Zeliarina konnte gerade noch rechtzeitig zurück in das Büro hechten, bevor der gewaltige Knall des Schusses durch das ganze Gebäude hallte. Als die junge Hexe wieder in den Gang trat, fehlte dem Golem der halbe Arm und Kevin lag vom Rückstoss umgeworfen auf dem Rücken. Feiner Rauch kräuselte sich aus seiner Waffe. Einen Augenblick lang war es unheimlich still. Dann brüllte der riesige Steinkrieger ein weiteres Mal und ging auf seine Feinde los. Alle mussten nachladen. Dunkan schoss noch ein paar vereinzelte Kugeln ab, doch sie richteten nichts aus... Das konnte es doch nicht sein... Ein einziger rasender Golem konnte doch nicht ihr Ende sein... Plötzlich spürte Zeliarina ein Kribbeln in ihrem Körper, ein Kribbeln, das aus ihren Füßen und aus dem Kopf, den Armen und den Beinen kam und über den rechten Arm bis in ihre Fingerspitzen wanderte. Dort staute es sich immer und immer mehr, bis die ganze Luft um sie herum durch die elektrisierende Spannung knisterte. Die verschnörkelten Symbole auf ihrer Hand begannen in einem orangefarbenen Licht zu glühen, als würde man Eisen in brennendes Feuer halten. "Du wirst ihnen nichts tun!" Ein blendend heller, weißer Lichtstrahl brach aus ihrer Handfläche hervor und traf den Golem mit solch einer Wucht, dass dieser auf die Knie fiel und letztendlich völlig zu Boden stürzte. Die anderen Lancelor mussten vor dem Licht die Augen schließen, so dass im ersten Augenblick nur Zeliarina den schwarz verkohlten Rücken des Steinkriegers sah. //Ist er besiegt?\\ Diesmal erschrak die Hexe nicht, als sie wieder Victorias Stimme in ihren Gedanken hörte. Die Telepathin hielt die Pistole immer noch vor sich ausgestreckt und wartete wohl darauf, dass Zeliarina Entwarnung gab, bevor sie bereit war ihren Schutz zu vernachlässigen. "Ja, er scheint erledigt..." Sie sprach bewusst laut, damit auch die anderen sich entspannen konnten. Es dauerte noch einige Sekunden, ehe sie ihre geblendeten Augen wieder langsam öffneten. Kevin pfiff angesichts des heftigen Magieangriffs von Zeliarina anerkennend, ehe er seinem Mentor Dunkan verzeihend auf die Schulter klopfte. "Sorry, dass ich dich wegschubsen musste..." "Kein Problem", antwortete Dunkan mit einem Lächeln, "Besser, als wenn du schießt ohne mich aus der Bahn zu werfen..." Der Palas begutachtete den Gang, der sich durch ihren Kampf in ein gewaltiges Trümmerfeld verwandelt hatte. Kevins Schrotkugeln hatten große Löcher in die Wände geschlagen, die Decke war angerissen, der Boden mit Staub bedeckt, die Metalltür kaputt und Teile der Wand niedergerissen, so dass die dahinter liegenden Büros zu sehen waren. "Caplin wird sich freuen", lachte Kevin fröhlich, ehe er seine Tüte mit Sonnenblumenkernen aus der Westentasche zog und einige locker in seinen Mund warf. Er bot auch Victoria welche an, doch das Mädchen lehnte dankend ab. "Schön, dass ich schon vergessen wurde", brummte eine weitere Stimme sauer. Melissa hatte das Bewusstsein wiedererlangt und richtete sich auf, während ihr Silberarm ihren Hinterkopf befühlte. Als sie sich die Hand ansah, klebte ein wenig Blut an den glänzenden Fingern. "Mein Schädel...", stöhnte sie nur. Dunkan zog ein schmales Reagenzglas gefüllt mit einer dunkelroten Flüssigkeit aus seiner Tasche, entkorkte den Stöpsel und gab es dem Mädchen mit dem Silberauge. "Trink das... Damit werden deine Wunden schneller heilen..." "Was ist das?", fragte Melissa misstrauisch, ohne den Blick von dem Fläschchen lösen zu können, "Es sieht aus wie Blut..." Dunkan sagte nichts, sondern wartete geduldig, bis sich das Mädchen überwunden hatte es zu trinken. Obwohl Zeliarina neugierig war, fragte sie nicht, was das für ein Mittel war. Ihre grünen Augen trafen sich mit den eisblauen Victorias. //Es ist Blut... Ich lese es aus Dunkans Gedanken...\\ Auch die kühle Schönheit zog jetzt ein kleines Fläschchen mit ein paar dunkelblauen Kapseln hervor und schluckte zwei davon nach einem Blick auf die Uhr. "Und was ist das?", fragte Kevin interessiert, während er weitere Sonnenblumenkerne mampfte. Der ganze Boden zu seinen Füßen war bereits voll mit den hauchdünnen Schalenresten. "Ich muss sie seit meinem Unfall vor drei Jahren täglich aller fünf Stunden nehmen." Zeliarina spürte, dass Victoria ihnen nichts über ihren Unfall erzählen wollte, denn sie wandte sich schnell ab und schluckte die Kapseln. Kevin beobachtete sie noch eine ganze Weile lang. Zeliarinas Blick dagegen wanderte zu dem gefallenen Golem. Ihr Herz setzte fast aus, als sie dabei sah, dass einer seiner sandgelben Finger kurz zuckte. "Er bewegt sich! Er lebt noch!", stieß sie panisch hervor. Kevin, Victoria, Pendrian und Dunkan starrten sie kurz verständnislos an, dann sahen sie ebenfalls die Bewegungen der Steinhand, legten innerhalb von Sekunden neue Magazine oder Schrotpatronen in ihre Waffen und richteten sie blitzartig auf den sowieso schon zerstörten Rücken des Golem. "Bringen wir es zu Ende, ehe er sich wieder erholt", zischte Pendrian energisch. Er wollte gerade das Kommando zum Feuern geben, als sich Melissa hastig erhob und den Kopf schüttelte, dass ihr rotes Haar flog. "Nicht! Schießt auf keinen Fall!" Verwirrt ließ Zeliarina ihre Pistole sinken. "In seinem Inneren sind zwei Menschen. Einer von ihnen ist schon durch uns verletzt!", meinte Melissa schließlich bitter. Dabei sah sie Kevins Schrotflinte viel sagend an. "Wieso sollten Menschen in dem Golem sein? Du musst dich irren...", murmelte der Elementare schwach. Melissa sah ihn zornig an, ihre Augen funkelten bedrohlich. "Ich kann mich vielleicht mal irren, aber mein Silberauge irrt sich niemals, okay? In dem Golem sind Menschen!" Mit einem verächtlichen Schnauben beugte sie sich über das Steinwesen, fixierte es kurz mit ihrem Auge und stieß schließlich ihre Silberfaust mit Leichtigkeit durch die zentimeterdicke Außenhülle oberhalb des linken Schulterblattes. Ein schrecklicher Sterbelaut entfuhr dem Golem, doch Melissa riss nun unbeeindruckt an der dicken Sandschicht, bis sie Risse bekam und abbrach. Das abgerissene Stück warf das Mädchen ungeachtet zur Seite. Durch den Körper des Golems ging nur noch ein schwaches Beben. "Tatsächlich...", hauchte Kevin ehrfürchtig. Der Steinkrieger war im Inneren hohl. Melissa riss weiterhin mit ihrem Arm große Stücke aus dem gelben Rücken, bis sie eine bewegungslose menschliche Hand freigelegt hatte. Der Hand folgten ein Arm und ein Oberkörper und schließlich ein ganzer Mann, der scheinbar in einer ungemütlichen Position mit einem anderen Mann im Inneren des Golems eingesperrt war. Beide regten sich nicht mehr. Einer von ihnen blutete stark am Oberschenkel, dort wo eine von Kevins Kugeln den Golem durchschlagen und dadurch den Menschen getroffen hatte. "Es sind Angestellte der Firma, sie tragen die Krawattennadel von ,Caplin und Partner'... Was hat das zu bedeuten?", murmelte Dunkan grübelnd. Victoria starrte unbeeindruckt auf den zerstörten Steinkörper und die geborgenen Gefangenen. "Der Golem ist fast tot und die Gedanken von solchen Wesen sind auch so meist zu stupide um gelesen zu werden, aber diesmal kann ich daraus erkennen, dass er für den Däezander handelt. Er wurde von ihm umgepolt. Sein Auftrag war es Menschen zu sammeln, damit ihr Blut für die Beschwörungszirkel vergossen werden kann..." "Der Feind ist also nicht untätig. Er bereitet sich darauf vor eine Dämonenarmee für den Krieg um die Götterschwerter aufzubauen", schnaubte Pendrian. Plötzlich klatschte jemand hinter ihnen. Erschrocken fuhren sie herum und starrten auf den jungen Mann, der locker an einem noch nicht zerstörten Teil der Wand lehnte und abfällig in die Hände klatschte. Sein rechter Arm bestand ab der Hälfte des Oberarmes aus Silber und seine Augen hatten die Farbe eines wunderschönen Rots. Auf seinem jungen Gesicht lag ein gehässiges Lächeln, während er jeden einzelnen Lancelor genau musterte. "Schön, schön... habt ihr also einen unserer Sammler ausgeschaltet. Macht nichts, es gibt davon noch genug andere auf der Welt..." "Ereos mit den Purpuraugen...", zischte Dunkan mit einem plötzlichen Abscheu in der Stimme, der Zeliarina verblüffte. Sie blickte den Hochdämon verwirrt an, doch dieser nahm seine roten Augen nicht von dem Palas und nagelte ihn mit einem stechenden Blick regelrecht fest. "John... lange nicht gesehen, nicht wahr? Scheinbar hast du nach all der Zeit endlich Ersatz für deine verlorene Liebe gefunden..." Ereos sah einen Herzschlag lang zu Zeliarina, so kurz, dass sie es fast gar nicht bemerkte. "Sie sieht ihr sehr ähnlich, oder?" "Halt's Maul!", schrie Dunkan außer sich vor Wut, während er seine Waffe auf den Dämon richtete. Ereos jedoch breitete unbeeindruckt seine Arme aus, als wolle er den Palas dazu einladen ihn niederzuschießen. "Tu es doch, John. Aber du hast genau wie alle anderen noch Runenmunition in deiner Pistole, also wird das kaum was bringen. Gott, alle Lancelor versuchen diesen Bluff immer wieder... Ihr seid alle... so kaputt..." Seine Augen wanderten von einem zum anderen und streiften schließlich Melissa. Aus dem hämischen Grinsen wurde ein ehrliches Lächeln, das das Mädchen vollkommen in seinen Bann zog. "Außer meiner Lieben hier. Ihre Seele ist wunderschön..." Melissa errötete. Als Ereos ihr einladend eine Hand anbot, nahm sie sie scheu an. "Bist du des Wahnsinns, Melissa? Er ist ein Dämon!" "Na und? In einem Augenblick gab er mir mehr, als der ganze Orden der Lancelor es je vermocht hatte. Er gab mir Verständnis und einen Arm und er gab mir mein Leben zurück." Ohne weiter auf die Worte ihrer Kameraden zu hören, ließ sich Melissa von Ereos auf die Füße helfen, ehe sie behutsam von seinen Armen umschlossen wurde. "Geh mit mir, Liebes. Entsage dich dem Orden der Menschen, der von unserem gemeinsamen Feind Dymeon unterwandert wurde, so dass wir mit aller Kraft gegen ihn kämpfen können." Seine Worte waren hauchzart, doch gleichzeitig so eindringlich, als hätte er sie angeschrieen. Sie spürte seinen warmen Atem sanft an ihrem Ohr und vergaß alles um sie herum, vergaß die Lancelor, vergaß den Orden. "Melissa, tu es nicht! Du hast dem Orden Treue geschworen!" Pendrians Brüllen schien in unerreichbarer Ferne zu liegen, unbedeutend, ungehört. Ja, sie hatte dem Orden geschworen, doch selbst dieser Schwur geriet bei Ereos' Berührung in Vergessenheit. Sie wollte nur noch bei ihm sein und an seiner Seite gegen Dymeon kämpfen, koste es was es wolle. "Melissa! Nein!", schrie jetzt sogar Zeliarina mit ängstlicher Stimme. Melissa konnte Tränen an ihren blassen Wangen herab laufen sehen, auch wenn sie nicht verstehen konnte warum. Keiner der Lancelor wusste, dass ihre Entscheidung die richtige war. Mit Ereos zu gehen und Dymeon zu richten war der einzige Weg. Doch die Lancelor klammerten sich in einer Zeit, in der die ganze Welt auseinander fiel, an einen sadistischen Mörder. Es waren Wesen wie Dymeon, die dem Begriff ,Dämon' seine schreckliche Bedeutung gaben, nicht solche wie Ereos. "Melissa, geh nicht mit ihm! Es ist alles nur ein Plan uns gegeneinander auszuspielen! Sie wollen Dymeon unschädlich machen und Zeliarina töten, um ihr Thundenstar abzunehmen. Der Däezander hat schon tausende Menschenleben ausgelöscht und wenn sie erst einmal alle Götterschwerter besitzen, werden sie mit der Dunklen Dämmerung die gesamte Menschheit auf diesem Planeten ausradieren! Das kannst du nicht wollen! Du selbst bist ein Mensch!" Dunkans Stimme überschlug sich mehrmals und er sah sich gehetzt um, als hoffe er auf irgendein Wunder, das Melissa umstimmen würde. Doch das Mädchen schmiegte sich entspannt an Ereos und als sie sprach, war ihre Stimme völlig ruhig. "Wenn Ereos Zeliarina tatsächlich töten will, warum hat er es dann noch nicht getan? Wir wären für ihn kein Hindernis..." Dunkan schüttelte fassungslos den Kopf. Alle waren in ein entsetztes Schweigen verfallen, denn es dämmerte ihnen langsam, dass Melissa tatsächlich freiwillig mit einem der gefährlichsten Dämonen der Welt mitgehen wollte. "Aber... Oh Melissa... Sei doch nicht so blind! Er kann unsere Gedanken lesen... Verstehst du nicht, dass er genau deswegen nicht angreift?! Er sieht in deinen Gedanken, dass du ihm dann nicht folgen würdest!" "Lüg nicht, John. Lügen ist eine schwere Sünde, deine Geliebte würde sich im Grabe umdrehen...", neckte Ereos mit einer schrecklichen Belustigung in der Stimme, dass in Zeliarina die heiße Wut aufstieg. Sie hatte gedacht, auch Dämonen folgten nur einem in ihren Augen richtigen Pfad, doch die Intrigen dieses Exemplars ekelten sie an. Sie sah genau die Siegesgewissheit in den roten Augen des Dämons. Er hatte es geschafft. Er hatte einen ersten Keil zwischen sie getrieben. "Die Lügen sind schon immer ein schweres Laster der Menschen gewesen", sinnierte Ereos ungestört weiter. Dunkan blieb nur mit größter Anstrengung beherrscht. "Ich...lüge...nicht! Du...bist...ein...Monster!" Der Palas betonte jedes einzelne Wort zwischen schweren, wütenden Atemzügen, denen er kaum noch Herr wurde. "Einst habe ich dich geachtet, John Dunkan", meinte Melissa plötzlich traurig. In ihren Worten lag eine Endgültigkeit, die schwerer zu ertragen war als alles andere zuvor. "Ich habe dich sogar in meiner naiven Art angeschmachtet. Doch jetzt sehe ich klar. Du und der Orden, ihr konntet mir nie genug Verständnis entgegenbringen, da jeder zu sehr mit sich selbst beschäftigt war und niemanden an sich ranlässt... Wie Ereos gesagt hat, wir alle sind kaputt... Auch du hast ein Geheimnis, dass dich innerlich von den anderen abschottet, nicht wahr? Wie sonst könntest du Dymeon bereits vor seiner Verbannung kennen, obwohl das schon fünfundzwanzig Jahre zurückliegt?" Dunkan schwieg unbehaglich. Zum ersten Mal erkannte Zeliarina die Unlogik, die darin steckte. Vor Dymeons Verbannung dürfte Dunkan noch gar nicht geboren gewesen sein. Auch Kevin starrte seinen Mentor fassungslos an, während Melissa langsam den Kopf sinken ließ. Ereos beugte sich zu ihr herab, küsste ihre Wange und strich durch ihr rotes Haar. "Du hast Recht, Liebste... Sie alle haben tief in ihrem Herzen ein geheimes Laster... Ich sehe es deutlich in ihren Seelen... Pendrians Hass auf Dymeon, Victorias Gefühllosigkeit, alles hat Gründe, von denen sie nicht erzählen. Selbst dieser Kevin trägt eine schreckliche Vergangenheit mit sich..." Der junge Elementare zuckte wie durch einen unsichtbaren Schlag getroffen zusammen. Beruhigend legte Victoria eine weißhäutige Hand auf seine Schulter. "Willst du uns mit ein wenig Gedankenlesen beeindrucken, Hochdämon? Auch ich bin eine Telepathin und könnte ohne weiteres von deinen schrecklichen Taten und Erlebnissen berichten..." "Vergleiche mich nicht mit dir, gefühlskaltes Kind! Du kannst vielleicht ein paar gerade ausgeführte Gedanken mithören, doch ich kann mit einem einzigen Blick in deine Seele sehen! Ich kann dir alles von dir erzählen, dein Leben, deine Ängste, deine Wünsche...und was in deinen blauen Kapseln ist..." Auch Victoria verstummte jetzt schlagartig. Ein siegreiches Lächeln zeichnete sich auf Ereos' dünnen Lippen ab. "Siehst du, Liebste?", säuselte er ihr ins Ohr, "Das ist der Unterschied zwischen den Lancelor und dem Däezander... Wir erzählen uns alles, wir teilen alles. Das macht uns stark. Ein Orden, in dem jeder seinen eigenen Weg geht, kann nicht die richtigen Entscheidungen treffen. Deshalb komm mit mir in eine Welt des Vertrauens und der Hilfe, in der du Unterstützung gegen Dymeon finden wirst. Es ist egal, dass du kein Dämon bist. Es kommt nicht darauf an, ob du deine Hände zu Klauen formen kannst oder ob Aramea durch dein Blut fließt. Komm mit mir..." "Nein, Melissa! NEIN!" Doch Dunkans Worte blieben unerwidert. Melissa schlang ihre Hände hinter Ereos' Hals zusammen und ließ sich von ihm auf die Arme nehmen. Noch ein letztes Mal starrte der Hochdämon Victoria merkwürdig durchdringend an, dann schritt er gelassen davon. Er war mit dem Mädchen mit dem Silberauge verschwunden, noch ehe Dunkans abgefeuerte Pistolenkugel ihn erreichte... Entsetztes Schweigen breitete sich über die Lancelor aus wie ein dunkler Vorhang... Gott, ich glaube ich hatte damals noch nie soviel geweint wie an diesem Tag. Die Tränen flossen und flossen, während mich irgendeine Hand sanft an der Schulter ergriff und aus dem Gebäude führte. Dann folgten Worte, gequälte Worte von gequälten Menschen, die an meinem Ohr vollkommen leer und sinnlos ankamen. Irgendwer, ich glaube Pendrian, übergab dem erleichterten Caplin seine zwei entführten Mitarbeiter, ließ beiläufig etwas über den etwas mitgenommenen Zustand der sechsten Etage fallen und nahm ihr Honorar für die Beseitigung des Golems entgegen. Als ich meine Umwelt wieder halbwegs durch tränenverschmierte Augen erkennen konnte, saß ich bereits mit Kevin, Victoria, Dunkan und Pendrian in dem Helikopter, der uns nach Chester gebracht hatte. Mit einem lauten Aufkreischen der Rotoren erhob er sich und flog schon bald durch dichte, endlose Schneeböen. "Er hat uns eine Warnung gesandt", murmelte Victoria plötzlich mit ihrer emotionslosen, in diesem Augenblick beinahe unerträglichen Stimme. Es waren die ersten Worte, die die Lancelor seit der Begegnung mit Ereos wieder miteinander wechselten, denn der Hochdämon hatte alte Seelenwunden gnadenlos in jedem von ihnen neu aufgerissen. "Er hat sich, kurz bevor er gegangen ist, von mir in den Kopf schauen lassen und gesagt: ,Seid froh, dass ich heute nicht gekommen bin um Thundenstars Wächterin zu töten, denn es wäre zweifellos in meiner Macht gewesen. Also bereitet euch vor. Bei unserer nächsten Begegnung werde ich sie, Dymeon und euch alle mit Freuden in Stücke reißen...'" Kapitel 9: Plötzlich Partner ---------------------------- Hi Leutz, nach einer Ewigkeit habe ich also mal wieder zeit gefunden ein neues Kapitel hochzuladen! Glaubt nicht, dass diese Geschichte schon tot ist, sie steht erst in den Startlöchern und wird meiner Meinung nach bald besser. Zurzeit schreibe ich an Kapitel 17. Wenn ihr also schnell mehr Lesestoff haben wollt, müsst ihr mir nur ein bissel Feedback geben, dass mich motiviert!^^ *erpress* Aber ich danke auch natürlich für die Kommis, die bis jetzt schon eingegangen sind. ---------------------------------------------- Kapitel IX - Plötzlich Partner Nachdem Melissa von Ereos zum Däezander verführt worden war, verschlechterte sich die Atmosphäre in Falcaniar wie noch nie zuvor. Selbst den Jüngsten wurde mit diesem Ereignis bewusst, dass der Krieg um die Götterschwerter eine gnadenlose Schlacht mit allen Mitteln werden würde, der auch sie unmittelbar betraf. Ich selbst trauerte tagelang um meine einstige Freundin, die sich durch Missverständnisse und Lügen zu meinem Feind entwickelt hatte. Zuerst hoffte ich, dass die Lancelor alles unternehmen würden um sie aus den Klauen Ereos' zu befreien, doch je mehr Tage verstrichen, ohne dass irgendetwas getan wurde, desto mehr wurde ich mir bewusst, dass man Melissa aufgegeben hatte. Also suchte ich den Menschen auf, dem ich von allen Lancelor am meisten vertraute: Dunkan... Das Zimmer des jungen Palas war äußerst behaglich eingerichtet, ein gemütliches Bett in der Ecke, dem gegenüber ein Schreibtisch mit Computer, ein kleiner Fernseher auf dem Nachtschränkchen am Kopf des Bettes und mehrere Grünpflanzen im Zimmer verteilt. Sogar ein eigenes kleines Bad gehörte zu seiner Behausung. Es sah so aus, als würde er schon sehr lange hier wohnen und als hätte er viel Zeit, denn unzählige detaillierte Modellbauten von historischen Schiffen standen auf einem Holregal, das bis zur Decke reichte. Auch jetzt saß Dunkan an seinem Schreibtisch über solch eine Bastelei gebeugt. Er sah nur kurz auf, als Zeliarina verlegen eintrat und unschlüssig an der Tür stehen blieb, ehe er wieder an dem Miniaturschiffsmast weiterklebte. "Was gibt's, Zeliarina?" Seine Stimme war nicht so enthusiastisch wie sonst und er wirkte im Schein seiner Tischlampe merkwürdig blass. Was auch immer Ereos dem Palas vorgehalten hatte, es musste schrecklich an ihm nagen. "Darf...darf ich mich kurz setzen?", fragte die Schülerin unsicher. Ihr Mentor nickte und deutete auf sein Bett, vermied dabei jedoch sorgfältig ihren Blick. "Ich...ich kann auch später wiederkommen", meinte Zeliarina vorsichtig. Irgendwie schien Dunkan nicht in der Stimmung fürs Reden zu sein, er klebte nur stumm an seinem Werk herum. Plötzlich jedoch wirbelte er in seinem Drehstuhl einmal um 180 Grad herum und betrachtete seine erschrockene Schülerin mit einem schweren Seufzen. "Es ist nicht, dass ich dir nie vertraut hätte...", sagte er so selbstverständlich, als würde er eine vor kurzem geführte Unterhaltung wieder aufgreifen. Seine Stimme hatte einen herzzerreißenden Klang, wie Zeliarina es noch nie von ihrem Mentor gehört hatte. Dunkan war immer voller Hoffnung. Dunkan hatte immer einen untrügerischen Optimismus. Wenn jetzt sogar der Palas in depressive Stimmung verfiel, wie lange würde es dauern bis der ganze Orden von der hoffnungslosen Stimmung erfasst werden würde? "Es ist nicht, dass ich dir mein Geheimnis verheimlichen wollte, es weckt nur eine Vielzahl von schlechten Erinnerungen, die mich auch so schon jeden Tag und jede Nacht heimsuchen..." "Du musst nicht..." "Ich weiß, dass ich nichts erzählen muss, doch ich will es. Du bist meine Schülerin, Zeliarina, und bald vielleicht sogar ein ebenbürtiger Kamerad. Es ist mir wichtig, dass du einer der wenigen Menschen bist, der die Wahrheit über mich weiß." Er durchbohrte ihre hellgrünen Augen mit seinen blauen, wie es sonst nur Victoria beherrschte. "Ich bin bereits 159 Jahre alt..." Zeliarinas Mund öffnete sich für einen überraschten Laut, doch Dunkan ließ ihr erst gar keine Zeit zu sprechen, sondern redete selbst weiter. Erst waren seine Worte stockend, dann immer schneller, als würde ein Damm in seiner Seele brechen und die schlechten Erfahrungen einer Flut gleich freilassen. "Geboren bin ich im Jahre 1845 in einem kleinen Dorf nahe London... Ich führte ein einfaches Leben, meine Eltern waren unbedeutende Menschen der Mittelschicht. Wir waren nicht arm und auch nicht reich, sondern hatten gerade genug um friedlich zu leben...Dann habe ich mit zwanzig Jahren zum ersten Mal Dämonen gesehen..." Dunkans Blick verdüsterte sich. "Noch nie zuvor habe ich soviel Hass erlebt wie bei diesen Wesen. Sie kämpften auf dem freien Feld gegen eine Truppe uniformierter Krieger, die damals existierenden Lancelor. Sie zerhackten sich, zerfleischten sich, zerfetzten sich. Da war so unglaublich viel Blut..." Wieder veränderten sich seine Augen, doch diesmal wurden sie von einem träumerischen Glanz erfüllt. "Und dann habe ich SIE gesehen", hauchte er fasziniert. "Sie kämpfte mit einer unvorstellbaren Grazie inmitten des Blutnebels. Ein weißes, grelles Licht umgab sie wie eine schützende Aura, ihr blondes Haar wehte im Wind und ihre grünen Augen konnte ich noch aus weiter Entfernung leuchten sehen wie Smaragde. Obwohl sie ununterbrochen attackiert wurde und eigenes Blut ihre Kleidung bedeckte, kümmerte sie sich zuerst um ihre verletzten Kameraden, ehe sie Befehle rief. Die Lancelor um sie herum schienen wie verzaubert, sie kämpften voller Hoffnung für sie, als wäre sie ein Messias wie die heilige Maria persönlich..." "Wer war sie?", flüsterte Zeliarina fasziniert. Dunkan lächelte schwach. "Sie trug deinen Namen, Zeliarina... Sie war die größte Hexe des neunzehnten Jahrhunderts, nach der du von deiner Mutter benannt wurdest. Ihre Macht war so groß, dass sie drei Hochdämonen gleichzeitig in Schach halten konnte. Eine Lichtelementare war sie, eine Hexe des mächtigsten Elements, das man gegen Dämonen in den Kampf führen kann...Von ihr haben wir viele Erkenntnisse, auf die sich unsere heutigen Waffensysteme stützten. Sie erforschte das Aramea..." Dunkan zog ein eingerahmtes Bild aus einer Schreibtischschublade hervor und gab es Zeliarina. Es war eine Kohlezeichnung, die eine junge Frau von vielleicht zwanzig Jahren zeigte, wie sie entschlossen zwischen mehreren gefallenen Dämonen stand und schreiend ein Schwert in die Höhe streckte. Ihre Augen brannten voller Leidenschaft und ihr langes Haar umrahmte ihr wunderschönes Gesicht. Zeliarina war überrascht, denn ihr fielen zwei Dinge auf: zum einen die erstaunliche Ähnlichkeit mit ihr, die bereits Ereos erwähnt hatte, und zum anderen die merkwürdige Vertrautheit des Schwertes, das die Frau führte. Dunkan schien ihre Gedanken zu erraten. "Es ist Excalibur. Damals wusste niemand, dass es ein Götterschwert ist. Durch Zeliarina gelangte es in unseren Orden. Und auch ich gelangte durch sie zu den Lancelor... Sie gewann zwar die Schlacht, die ich beobachtet hatte, doch sie wurde dabei verletzt. Ich habe sie bei mir aufgenommen und sie behandelt. Doch nachdem ich die Wunden halbwegs verbunden hatte, wollte sie nicht bleiben. Es wäre für mich zu gefährlich. Gott, für diese Frau hätte ich sogar die Hölle auf mich genommen, nur um bei ihr bleiben zu können. Ich habe sie unsterblich geliebt. Und auch sie verliebte sich in mich, doch sie verbarg es, versuchte mich loszuwerden. Sie wollte nicht riskieren, dass ich, frei jeglicher übernatürlicher Fähigkeiten, mit Dämonen konfrontiert werde." Wieder seufzte Dunkan mit einem traurigen Lächeln. "Sie hat sich immer nur um andere gekümmert. Sie gab erst auf, als ich mich als Anwärter durch die Höhle der Prüfungen schlug und zum Lancelor erhoben wurde. Ich war der erste und bis heute einzige Mensch, der dies ohne jegliche besondere Fähigkeit tat. Alles für Zeliarina. Danach kämpften wir Seite an Seite und mit vereinten Herzen. Es waren die glücklichsten Monate meines Lebens..." Plötzlich wusste Zeliarina mit einer schrecklichen Gewissheit, dass Dunkans Geschichte eine grausame Wendung nehmen würde. Und es hatte etwas mit Ereos zu tun. Nur die unbändige Liebe zu der damaligen Zeliarina konnte einen derart unbändigen Hass auf Ereos verursachen... "Dann kam der Tag, der mein ganzes Leben für immer verändern sollte. Zeliarina und ich waren mit ein paar anderen hochrangigen Lancelor nach Lettland gereist, um in den schneebedeckten Gipfeln eines kleinen Gebirges nach dem zweiten Götterschwert zu suchen. Damals waren wir uns noch nicht den vollen Ausmaßen dieser mächtigen Klingen bewusst und planten deswegen keine allzu großen Schwierigkeiten ein. Doch als wir den Ort, an dem das Götterschwert verborgen lag, endlich fanden, erwarteten die Dämonen uns bereits..." Zeliarina wusste, was nun kommen würde, und hätte Dunkan am liebsten gebeten die Erzählung zu beenden. Doch sie wusste auch, wie wichtig es für ihren Mentor war, dass sie alles erfuhr. Er hatte mit der Geschichte angefangen und musste sie nun zu Ende bringen. "Ereos war es, der uns diese Falle stellte. Ereos war es, der die meisten Lancelor tötete und Ereos war es, der Zeliarina so schrecklich verletzte, dass sie nicht mehr wegrennen konnte", zischte Dunkan hasserfüllt. "Ich selbst war ohne außergewöhnliche Fähigkeiten zu schwach um irgendetwas zu unternehmen. Sobald Dämonen mir meine Waffe entwendet hatten, war ich hilflos wie ein Kind. Immer und immer wieder rannte ich gegen sie an, doch sie schlugen mich jedes Mal mit einer Leichtigkeit zurück, die mich nur noch rasender machte als zuvor. Schließlich konnte ich erst aufhören, als mich Zeliarina darum bat. Sie krabbelte mit letzter Kraft zu mir, drückte mir Excalibur in die Hand und wob einen Lichtschutzzauber über mich, ehe sie mich das letzte Mal küsste." Dunkan lachte witzlos auf. "Selbst im letzten Augenblick dachte sie nur an die anderen und nicht an sich. Der Schutzzauber sorgte dafür, dass die Dämonen mich nicht töten konnten. Und da ich keine besonderen Fähigkeiten hatte, war ich ihnen als Opfer für die Beschwörungszirkel nicht wertvoll genug. Sie ließen mich einfach liegen. Zeliarina jedoch, die mächtigste Hexe des neunzehnten Jahrhunderts, vielleicht sogar aller Zeiten, nahmen sie mit, um mit ihrem Blut einen besonders mächtigen Dämon zu erschaffen. Die Mehrheit der Lancelor stirbt nicht auf dem Schlachtfeld, sondern kniend vor einem Beschwörungszirkel. Keiner, der vom Däezander verschleppt wird, kommt jemals lebend wieder..." Zeliarina verstand die Anspielung. "Melissa?" "Der Orden hat vor langer Zeit unter großem Protest beschlossen nach niemandem zu suchen, der vom Däezander entführt wurde. Es ist eine harte Regel, doch sie ist nötig, damit nicht auch noch Suchtrupps verloren gehen. Es tut mir Leid, doch kein Lancelor wird losziehen um sie zurückzuholen. Sie wird aufgegeben..." "Aber...aber das ist nicht fair!", schrie Zeliarina. Wie so oft in den letzten Tagen bahnten sich Tränen an, doch sie schluckte sie eisern herunter und fixierte ihren Mentor mit ihren hellgrünen Augen. "Ihr lasst sie also einfach bei Dämonen? Ihr lasst sie sterben?!" "Glaubst du mir macht das Spaß?", brüllte Dunkan erregt zurück. "Glaubst du mir macht es Spaß ein junges Mädchen wie Melissa dem Feind zu überlassen? Ich wollte nicht einmal dich als Lancelor! Ich wünschte man würde so junge Menschen wie dich nicht aufnehmen! Ich bin 159 Jahre alt und selbst mich verfolgen die Grausamkeiten dieses Lebens Tag um Tag!" "Ich...ich..." Zeliarina konnte nicht mehr sprechen. Ein hartes Schluchzen schüttelte ihren Körper und weitere Tränen, die sie krampfhaft zu unterdrücken versuchte, brachen mit aller Härte hervor, bis die Donnerhexe in den Armen ihres Lehrers zusammenbrach und weinte. Sie weinte um Melissa und ihr Schicksal, weinte um den Verlust einer Freundin und weinte um Dunkans grausame Vergangenheit. Sie weinte so lange, bis ihre Augen verquollen waren und keinen weiteren Tränen kommen wollten. In ihr schien alles so entsetzlich leer. "Es tut mir leid, Zeliarina...Alles...tut mir leid...", flüsterte der Palas beruhigend, ohne die Umarmung von seiner Schülerin zu lösen. "Verzeih mir, dass ich dich nicht vor all dem Leid beschützen konnte... Ich habe als Beschützer versagt...Ob heute oder vor 134 Jahren...Trotz der Unvergänglichkeit meines Blutes, die unfreuwillig durch den Schutzzauber meiner Geliebten entstand, die mich vor Krankheit und Alter schützt und meine Wunden so schnell wie bei einem Dämon heilen lässt...habe ich erneut versagt..." "Das hast du nicht... So vielen Menschen hast du schon geholfen, Menschen wie mir oder Kevin... Du warst ein guter Lehrer... Und du warst immer freundlich zu mir..." Dunkan drückte seine Schülerin. "Du bist ihr so ähnlich... Der anderen Zeliarina, meine ich... Wenn ich nicht vorgewarnt worden wäre, hätte ich bei unseren ersten Begegnung wohl gedacht, sie wäre wieder auferstanden und stünde nun vor mir..." "Doch ich bin nicht sie... Ich werde so eine großartige Frau niemals ersetzen können..." Dunkan sagte nichts mehr, doch Zeliarina spürte, wie seine Finger zitterten. Melissa erwachte nur langsam aus ihrer dämmrigen Bewusstlosigkeit. Sie wusste nicht wo sie war oder wie sie dort hingekommen war oder wann genau sie weggetreten war. Eigentlich wusste sie nur noch, dass sie nach dem Kampf gegen den Golem bei der Firma ,Caplin und Partner' mit Ereos gegangen war. Der Dämon hatte sie auf den Armen getragen und sie hatten sich liebevoll unterhalten, hatten von ihren vergangen Erfahrungen erzählt und Pläne geschmiedet um Dymeon zu vernichten. Doch irgendwann musste sie eingeschlafen sein. Jetzt jedenfalls lag sie auf einer schmalen Pritsche in einem dunklen Zimmer. Auf alten Regalen standen fremdartige Gegenstände und Substanzen, die Melissa noch nie gesehen hatte. Blutiges, rotes Licht, das aus einem faustgroßen Kristall strömte, erfüllte den Raum. "Bist du wach, Liebste?", fragte eine zarte Stimme. Melissa sah sich im Zimmer um und erkannte neben dem Lichtkristall Ereos, wie er geduldig auf einem Stuhl saß um sie zu beobachten. Sie nickte und richtete sich auf. Verwirrt versuchte sie seinen Gesichtsausdruck zu erkennen, doch das rote Licht im Raum schien wie eine Dämmerung zu wirken, so dass ihr Sichtfeld nur sehr klein war. "Wo...wo sind wir?", flüsterte sie leise. Der Dämon erhob sich von seinem Stuhl und setzte sich zu ihr auf die Bettkante, damit sie ihn sehen konnte. Seine silberne Hand strich sanft über ihre Wange. "Du befindest dich in meinem Heim in der großen Zuflucht des Däezander. Ich darf dir nicht verraten wo genau das ist oder wie du hier hergekommen bist... Tut mir Leid..." "Das macht nichts", erwiderte sie lieb. Ein paar Augenblicke lang saß sie einfach nur da und genoss Ereos' Berührungen, ehe sie sich wieder in dem Zimmer umsah. "Mein Silberauge kann nicht durch die Wände schauen... Dafür spüre ich, wie das Zimmer beinahe aufschreit vor Trauer und Einsamkeit... Habt ihr Dämonen keine Fenster?" "Du würdest nicht viel sehen, denn die Zuflucht liegt unter der Erde. Es ist kein schöner Ort zum Leben und wir verabscheuen ihn genauso wie die Menschen, doch zum Schutz vor den Lancelor müssen wir uns hier verstecken." Ein kurzes schauriges Flackern ging durch Ereos' purpurne Augen, doch Melissa merkte es nicht. "Außerdem sind die Wände von Aramea durchsetzt. Hier können wir neue Kraft schöpfen, wenn der Kampf zu heftig war..." "Trotzdem bleibt es ein trostloser Ort..." "Du wirst nicht lange hier bleiben müssen", versprach der Dämon liebevoll. Seine Hand wanderte zu ihrem Nacken und zog sie ganz nah zu sich. "Denn schon bald werden wir Dymeon zur Strecke bringen... Und die Pläne des Däezander werden wahr werden..." Ein hungriger Ausdruck erschien in Ereos' Augen, diesmal sogar deutlich genug für das Mädchen mit dem Silberauge. Sie wollte ihn genauer zu den Plänen fragen, doch der Dämon überbrückte plötzlich den Abstand zwischen ihren Gesichtern und brachte sie mit einem Kuss auf die Lippen zum Schweigen. Melissa wehrte sich nicht. Sie genoss das kribbelnde Gefühl in ihrem Bauch und vergaß schon bald alle Fragen und alle Ungereimtheiten, die noch offen standen... Die Hoffnung Melissa jemals wieder zu sehen schwand mit jedem Tag mehr. Einige Lancelor kamen sogar bereits zwei Tage nach dem Verschwinden des Mädchens in mein Zimmer, um ihre Sachen raus zu tragen. Ich war ihnen dafür dankbar, weil ich so nicht so sehr an meine ehemalige Wohnpartnerin erinnert wurde, doch gleichzeitig auch furchtbar traurig, denn dadurch war ihr Verlust endgültig. Nichts würde mehr daran erinnern, dass Melissa Mitglied dieses Ordens gewesen war. Für kurze Zeit fragte ich mich wie die Lancelor es ihren Eltern erklären würden. Melissas Eltern schienen nie besonders gut für ihre Tochter gesorgt zu haben, doch würden sie nicht trotzdem wissen wollen, was mit ihr geschehen war? Und wenn ich sterben würde, würde man meine Mutter ebenfalls informieren? Ich hatte ihr seit der letzten Begegnung nur ein paar Mal Nachrichten von Ordensmitgliedern überbringen lassen, denn anrufen wollte ich sie nicht. Wenn ich ihre Stimme gehört hätte, wäre Heimweh in mein Herz gedrungen und ich hätte wieder geweint wie ein schwaches Kind, das beschützt werden musste. Das wollte ich nicht mehr. Auch als die Lancelor Melissas Sachen wegbrachten, versuchte ich stark zu sein. Doch irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und verließ das Zimmer, um irgendwo nach einem Ort zu suchen, der vielleicht etwas Ruhe und Trost spenden konnte. Als erstes fiel mir Dunkan ein, doch der Palas hatte genug eigene Probleme. Dann dachte ich an Dymeon, doch ich kannte seinen Wohnort nicht. Nach vielerlei überlegen suchte ich schließlich nach Kevins Zimmer. Der Junge schien jemand zu sein, der noch voller Freude und Hoffnung war. Kevin Douglas wohnte gar nicht weit von Zeliarinas Turmzimmer entfernt in einem Flur der höheren Stockwerke. Man konnte sein Zimmer bereits an der Tür erkennen, denn sie war bemalt mit einem großen Bild des farbenfrohen polynesischen Drachens, der auch auf seinem Arm prangte. Schnelle Punkmusik kam aus dem Inneren. Zeliarina blieb eine Weile schweigend vor der Tür stehen und dachte nach, ehe sie vorsichtig anklopfte. Nur eine Sekunde später riss Kevin enthusiastisch die Tür auf. Er wirkte überrascht sie vor seiner Tür zu treffen, winkte sie jedoch freudig herein und schloss die Tür wieder hinter ihr. "Hey, schön dass du vorbeischaust. Was verschafft mir denn die Ehre?", lächelte er. Zeliarina sah sich erstaunt in dem Zimmer um. Eine große Musikanlage und Tonnen von CDs stapelten sich in einer Ecke, ein Fernseher und DVDs in einer anderen. Selbst das breite Bett und die Schränke und die Bücher darin wirkten äußerst wertvoll. Kevins Familie musste wohlhabend sein, denn vermutlich hatte er diese Sachen von Zuhause mitgebracht oder sich im Nachhinein schicken lassen. Doch was Zeliarina noch viel mehr erstaunte, war, dass sich Victoria ebenfalls im Zimmer befand. Sie saß ruhig auf der Bettkante und beugte sich konzentriert über ein einfaches Schachbrett. Ihr schwarzes Haar mit den geflochtenen Strähnen fiel glänzend von ihren Schultern und der eisblaue Blick vermittelte die gewöhnliche kühle Gleichgültigkeit gegenüber alles und jedem, auch wenn Victoria das Spiel nicht aus den Augen ließ. Statt der Kampfkleidung trug sie nur ein schlichtes weißes Top mit kurzen Ärmeln und schwarze Jeans. //Hallo Götterschwertträgerin...\\ Victoria machte sich erst gar nicht die Mühe aufzusehen, sondern sprach mit Hilfe der Telepathie zu Zeliarina. Dann wanderten ihre Finger langsam zu der schwarzen Turmfigur des Brettes und führten sie ein paar Felder voran. "Schachmatt", murmelte sie einsilbig. Kevin wandte seine Aufmerksamkeit erstaunt zu dem Spiel und kratzte sich nachdenklich den Hinterkopf. "Nicht zu fassen. Das waren höchstens fünfzehn Züge..." Mit einer schwungvollen Gebärde räumte er das Spiel beiseite und warf sich auf das Bett, ehe er Zeliarina ansah. "Also, was gibt's?" Noch während die Donnerhexe überlegte, warf Victoria ihr einen schnellen Blick zu und stutzte bei den Gedanken, die sie dabei lesen konnte. "Lass sie einfach eine Weile hier bleiben, Kevin", meinte sie schließlich schlicht. Der Feuerelementare schien ein wenig verwirrt, zuckte jedoch schließlich nur mit den Achseln. "Gerne. Ich habe kein Problem mit Besuch. Ihr könnt so oft kommen wie ihr wollt." Zeliarina dankte ihm und nahm ebenfalls auf dem Bett platz. Es war groß genug, dass sie drei bequem darauf sitzen konnten. Danach setzte die Elementare zum Sprechen an, entsann sich jedoch wieder und dachte stattdessen ihre Frage nur. Was machst du hier, Victoria? Die Telepathin beobachtete Kevin, wie er aus einem Minikühlschrank unter dem Schreibtisch eine Wasserflasche hervorzauberte. Trotzdem war sich Zeliarina sicher, dass sie ihr zuhörte. //Er hat mich eingeladen... Irgendwie verstehe ich diesen Jungen nicht... Er versucht mich schon den ganzen Tag aufzuheitern und mir irgendwelche ,Emotionen' zu entlocken... Und er will, dass ich wenigstens einmal lächle... Seine Gedanken sind so durcheinander...\\ Zeliarina wusste darauf nichts zu antworten, also schwieg sie und konzentrierte sich wieder auf Kevin. Der weißhaarige Junge wirkte tatsächlich noch aufgedrehter als sonst. Er verfehlte beinahe die plötzlich aufgetauchten Gläser mit der Wasserflasche, lachte über sein Ungeschick und balancierte die Getränke schließlich zu den zwei Mädchen. Beide bedankten sich, doch nur Zeliarina trank einen Schluck. Victoria behielt ihr Glas schweigend im Schoß, während sie mit einer Hand das kleine Fläschchen mit den blauen Kapseln aus der Hosentasche zog. Sie nahm zwei der Kapseln heraus und spülte sie mit dem Wasser herunter. "Wieso musst du die nehmen?", fragte Kevin interessiert. Die Telepathin musterte ihn verständnislos. "Das habe ich doch schon erzählt... Ich hatte bei einer Mission einen Unfall..." "Ja, aber wogegen sind die Kapseln? Was bewirken sie?" "Sie halten mich am Leben...", erwiderte Victoria schlicht. Sie schien dieses Thema damit für erledigt zu halten und setzte sich vor die Musikanlage, um nach einem Ersatz für die CD zu suchen, die soeben im Hintergrund verstummt war. Zeliarina konnte keine Gedanken lesen, doch sie wusste, dass Victoria nicht darüber sprechen wollte. Selbst Kevin ging nicht mehr darauf ein. Stattdessen fragte der Elementare Zeliarina ein wenig über ihr Leben, was sie vor der Zeit bei den Lancelor gemacht hatte und wie sie mit ihren Kräften umgegangen war und auch jetzt noch damit umging. Zeliarina antwortete, erfreut über eine kleine Ablenkung von den vielen Geheimnissen um Victoria und von der Trauer um Melissa. Und auch sie erfuhr viel von Kevin. Geboren wurde er in Kalifornien, doch da sein Vater ein beschäftigter Schauspieler war, mussten sie oft umziehen. Kevin sprach mit seinen sechzehn Jahren bereits fünf verschiedene Sprachen. "Na ja...und jetzt bin ich hier, weil meine Elementarkräfte mit zunehmenden Alter immer unkontrollierter wurden. Mein Vater nahm die Chance wahr mich hierher zu schicken..." //Er...er verheimlicht etwas... etwas Schreckliches... Ich will es nicht lesen... Ich will es nicht sehen...\\ Zeliarina sah mit Erstaunen, dass sich zum ersten Mal etwas in Victorias Gesicht veränderte. Ein Hauch von Trauer ließ die Maske der Emotionslosigkeit bröckeln. Doch so schnell wie es gekommen war, verschwand es auch schon wieder, so dass sich die Donnerhexe nicht sicher sein konnte es wirklich gesehen zu haben. Zumindest nicht bis sie bemerkte, dass Victoria deutlich schneller atmete. "Ich...ich gehe jetzt lieber...Vielen Dank für die Bewirtung..." Noch im Hinausgehen fuhr ihre zierliche Hand zum Herzen, während die andere schon wieder in der Hosentasche nach den blauen Kapseln kramte. Kevin hatte nicht einmal mehr Zeit sich zu verabschieden, da war sie auch schon weg. "Merkwürdig...", murmelte er. Zeliarina verstand nicht so recht was eben geschehen war. Kevin sah nicht so aus, als hätte er etwas Schreckliches zu verbergen, was Victoria so aus der Ruhe bringen konnte. Doch hatte nicht Ereos mit den Purpuraugen das Gleiche gesagt? Hatte er nicht gesagt, dass selbst Kevin eine schreckliche Vergangenheit mit sich trug? Zeliarina betrachtete den Jungen noch einmal, doch er wirkte eigentlich recht fröhlich, wenn auch ein wenig traurig darüber, dass Victoria sie verlassen hatte. Er sah auf seine Armbanduhr, ließ einen überraschten Laut vernehmen und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. "Meine Güte! Mein Training mit Dunkan beginnt in zehn Minuten!" In Windeseile war er auf den Füßen. "Tut mir Leid, Zeliarina, ich will dich garantiert nicht rauswerfen!" "Kein Problem", erwiderte sie verständnisvoll. Kevin ging mit ihr hinaus auf den Flur und verabschiedete sich fröhlich, ehe er so schnell wie möglich davon stürmte. Die Donnerhexe lächelte ihm noch eine Weile hinterher, dann wandte auch sie sich zum Gehen. Doch noch bevor sie den ersten Schritt setzte, bemerkte sie plötzlich den Jungen, der auf einer Fensterbank saß und sie beobachtete. "Was gibt's, Dymeon?" Der Dämon blickte wachsam aus seinen dunklen Augen hervor. Das blutrote Stirnband, das die schwarzen, verfilzten Haarsträhnen aus dem Gesicht hielt, war von einer Kruste aus Dreck und echtem, schwarzem Dämonenblut überzogen. "Es gibt einen neuen Beschluss des Oberhauptes. Nachdem Ereos euch während des letzten Auftrages gestellt hat, habe ich ein paar Niedere aufgespürt und ausgefragt." Die Blutflecke auf dem Stirnband verrieten, was mit diesen Dämonen geschehen war. "Sie werden nicht damit aufhören nach dir zu suchen. Deswegen setzt der Orden eine neue Sicherheitsmaßnahme in Kraft, um dich und Thundenstar zu schützen... Ich bin ab jetzt nach alter Tradition des Ordens dein Schutzritter. Meine Aufgabe ist es dich um jeden Preis zu verteidigen. Wo auch immer du hingehst, ich werde dabei sein..." Zeliarina sah Dymeon einen Augenblick lang einfach nur sprachlos an. Dann lächelte sie scheu. Sie wusste nicht warum, doch sie war seit ihrer bestandenen Prüfung in der unterirdischen Höhle nicht mehr so glücklich gewesen. "Ich freue mich, Dymeon. Vielen Dank..." Und plötzlich war Dymeon mit den Bluttränen mein Schutzritter. Diese kurzen Worte, so mir nichts dir nichts ausgesprochen, banden ihn für immer an meine Seite. Ich weiß nicht was er damals gefühlt hat, ob er es als Pflicht ansah oder vielleicht als Buße für seine vergangenen Gräueltaten gegen Pendrians Dorf und Melissa. Jedenfalls nahm er die Maßnahme des Oberhauptes hin. Und er blieb an meiner Seite, Tag für Tag und Monat für Monat. Egal wohin ich ging, er folgte mir. Egal was ich tat, er unterstützte mich. Seither musste jeder Abgesandte des Däezander erst an dem Hochdämonen Dymeon vorbei, um die Wächterin Thundenstars zu bekommen... Kapitel 10: Die Ruinen von Tradan --------------------------------- Kurz und knackig: Hier das neue Kapitel. Viel Spaß damit und besonderen Dank an Elayne für ihr liebes Kommi! ------------------------------------------ Kapitel X - Die Ruinen von Tradan Der Einsatz eines Schutzritters ist eine uralte Tradition, die noch auf die Zeit der Gründung von dem legendären Lancelot zurückzuführen ist. Damals wählte man besonders mächtige Krieger aus, um ihnen die Verteidigung einmaliger, unentbehrlicher Wesen anzuvertrauen. Diese Krieger wurden Schutzritter genannt. Sie mussten all ihre Kraft und all ihre Stärke aufbringen um ihren Schutzbefohlenen zu schützen, egal ob sie dabei das Leben verloren oder persönliche Dinge aufgeben mussten. Sie waren große Märtyrer der Welt. Zum Wohle von Vielen verzichteten sie auf ihre Individualität und begaben sich in ein endloses Leben des Kampfes. Denn Schutzritter konnten nur von ihrer Pflicht enthoben werden, wenn sie starben oder der Orden ihre Aufgabe als beendet ansah. Dieses Schicksal stand nun also auch Dymeon bevor. Tag um Tag folgte er mir, als wäre er mein Schatten, der menschliche Gestalt angenommen hatte. Tag um Tag ließ er mich nicht aus den Augen, folgte jedem meiner Schritte und schien überall, selbst in Falcaniar, auf einen plötzlichen Angriff vorbereitet zu sein. Selbst in der Nacht wenn ich ins Bett ging wachte er auf einem Stuhl sitzend über meinen Schlaf. Anfangs verstand ich Dymeons Bedeutung als mein Schutzritter nicht richtig und war einfach froh über seine Anwesenheit. Doch schon bald wurde mir bewusst, dass es mehr Arbeit für Dymeon geben würde als ein paar schöne, aber bedeutungslose Gespräche... Schreckliche Arbeit... Als Zeliarina am nächsten Morgen erwachte, war das Tageslicht noch grau und gelangte nur schwach durch das Zimmerfenster. Zum ersten Mal seit vielen Tagen hatte es aufgehört zu schneien, doch es lag noch immer eine hohe weiße Schicht auf dem Fensterbrett. Die Donnerhexe wühlte sich aus ihren Decken, hob ein paar herumliegende Kleidungsstücke vom Boden auf und tauschte sie gegen ihr langes Schlafshirt ein. Dymeon saß zusammengesunken auf seinem Stuhl am unteren Bettende, doch Zeliarina zog sich ungeniert um. Erstens respektierte der Dämon so gut es ging ihre Privatsphäre und sah in solchen Situationen unaufgefordert an die Decke, zweitens schlief er an diesem Morgen selbst noch. Zeliarina hatte ihn noch nie schlafen gesehen und musste bei seinem Anblick lächeln. Ohne das rote Stirnband fielen die schwarzen Haare weit über seine Stirn bis vor die geschlossenen Augen. Auf seinem Gesicht lag ein merkwürdiger Ausdruck, den sie sonst noch nie wirklich bei ihm ausmachen konnte. Es wirkte friedlich, unbeschwert, beinahe sorglos. Die sonstige eingegrabene Verbitterung und Trauer schien sich gelöst zu haben. Vielleicht träumte er irgendetwas Schönes, zumindest falls Dämonen Träume haben konnten, oder aber er träumte einfach gar nichts und wurde nicht an die grausamen Dinge erinnert, die er in seinem langen Leben bereits erlebt haben musste. Einen Moment lang fragte sich Zeliarina wie alt der Dämon wohl war. Soweit sie in ihrer Ausbildung richtig gelernt hatte, konnten Dämonen nicht an ihrem Alter sterben, sie hatten bereits direkt nach ihrer Erschaffung das Aussehen, das sie immer tragen würden. Nachdenklich zog sich Zeliarina ihre Hose an und blieb mit ihrem Blick weiter an ihrem Schutzritter hängen. Sie konnte deutlich erkennen wie sich seine Kiefer krampfhaft aufeinander pressten und die dazugehörigen Muskeln zuckten. Der Frieden schien aus Dymeons Gesicht zu weichen und den alten Schmerz zurückzulassen, während sich sein Körper ein wenig regte. Wachte er auf und wurde wieder von seinen Gedanken verfolgt oder hatte sich der Traum gewandelt? Hatte er einen Alptraum? Konnten Dämonen Alpträume haben, wo sie doch selbst als dunkle Schreckgestalten kleine Kinder um ihren Schlaf brachten? Die Decke, die Zeliarina Dymeon jeden Abend aufs Neue einredete, rutschte unter seinen unruhigen Bewegungen von seinen Schultern. Das Mädchen seufzte, hob sie leise vom Boden auf und legte sie dem Dämon vorsichtig wieder um. Einen Augenblick lang blieb die junge Hexe in dieser Position, unfähig sich zu bewegen. Als sie ihm sanft eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht wischte, schlug er plötzlich seine dunklen Augen auf, die aufmerksam in ihren Höhlen glommen. "Habe ich geschlafen?" "Ja... Du wurdest gerade unruhig und hast deine Decke verloren und ich wollte nur-" Zeliarina überlegte warum sie sich so für eine simple Geste rechtfertigen wollte, fand dafür keinen triftigen Grund und verstummte wieder. "Ja...ja du hast geschlafen..." "Schlechte Träume..." Murmelnd raufte Dymeon sich durch das wirre Haar. Er schien über etwas nachzudenken, doch sein Gesichtsausdruck wurde in Bruchteilen von Sekunden wieder ernst und verbarg seine innere Aufgewühltheit. Abwesend stand er auf und legte die Decke ordentlich zusammengefaltet auf Melissas altes Bett. Zeliarina wartete bereits an der Tür auf ihn. Zusammen verließen sie das Zimmer in Richtung Speisesaal, ohne dass sie ein weiteres Wort darüber verloren, dass Dymeon eingeschlafen war. Normalerweise wachte er in der Nacht immer über seine Schutzbefohlene und schlief am Tag wenn überhaupt zwei bis drei Stunden. Vielleicht hatte er es deswegen so nötig gehabt, auch wenn der Schlaf offensichtlich nicht gerade erfrischend gewesen schien. Zeliarina jedenfalls bemerkte wie ihr Schutzritter nachdachte. Bis zum Speisesaal verlor er kein Wort und keinen Blick mehr an sie. Als sie die Halle erreichten, war die junge Hexe erleichtert, dass sie Kevin schlaftrunken an einem Tisch sitzen sah und sich zu ihm gesellen konnte. Dymeon holte ihr währenddessen ohne Aufforderung ein Brötchen und etwas Schinken mit Ei von der Ausgabe. "Guten Morgen." "Mor'n", nuschelte Kevin müde zurück. Seine schneeweißen Haare wirkten noch zerzauster als sonst und die Augen schienen jeden Augenblick wieder zufallen zu wollen. Eigentlich war der ganze Kopf dabei in Kevins Frühstück zu sacken, so dass er seine Arme als Stützen unter das Kinn schieben musste. Wie aufgeweckt der Elementare auch war, er war kein Morgenmensch. "Wieso bist du schon auf, obwohl du noch so müde aussiehst?", fragte Zeliarina mit einem belustigten Grinsen. Der Junge sah matt zu ihr auf und gähnte. "Dunkan wollte unser Training heute so früh beginnen... Ich glaube er verliert die Geduld mit mir. Nachdem er dich als Schülerin hatte, muss ich ihm wie ein Volltrottel vorkommen, der zu doof ist seine Kräfte in den Griff zu bekommen..." "Deine Zeit wird kommen", erwiderte Dymeon, der mit einem gefüllten Frühstückstablett für Zeliarina zurückkam und es ihr zuvorkommend servierte. Kevin sah den Dämon fasziniert aber unerschrocken an, denn wie jeder andere Lancelor hatte er bereits davon gehört, dass Dymeon mit den Bluttränen wieder ein Mitglied des Ordens war. Während Zeliarina glücklich ihr Essen mampfte, versuchte der Elementare Dymeon zögerlich in ein Gespräch zu verwickeln: "Isst du nichts?" "Dämonen müssen nichts essen. Wenn, dann machen sie es einfach nur wegen dem Geschmack." "Und trinken?" "Flüssigkeit muss ich aufnehmen, doch nicht so häufig. Das Aramea hält mich grundsätzlich am Leben, Flüssigkeit lässt nur den Kreislauf besser zirkulieren." "Willst du dann ein bisschen Kaffee? Ich glaube ohne dieses Zeug überlebe ich den heutigen Tag nicht." Ohne auf eine Antwort zu warten nahm Kevin erst einen großen Schluck aus seiner Tasse, ehe er nach der bereitstehenden Kanne griff und etwas von dem heißen Getränk in eine andere Tasse goss. Doch Dymeon nahm den Kaffee nicht an, sondern schob ihn unangetastet weiter zu Zeliarina. "Danke, aber Koffein bringt in meinem Körper nichts..." "Es ist das Aramea", fügte Zeliarina erklärend hinzu, "Es sorgt für die Energie der Dämonen. Eigentlich scheint es bei ihnen für alles zuständig zu sein. Aber ich trinke gerne Kaffee. Danke." Sie nahm zufrieden eine Gabel voll Ei in den Mund und spülte sie mit dem dampfenden Getränk hinunter. Auf ihrem blassen Gesicht machte sich etwas Farbe breit. "Du siehst heute wieder besser aus als in den letzten Tag. Als du neulich vor meiner Zimmertür standest, wirktest du ziemlich zerstört. Ich dachte schon du würdest krank werden, doch daran lag es nicht, oder?", fragte Kevin freundlich. Zeliarina ließ ihr Besteck langsam sinken und erwiderte den verständnisvollen Blick des Jungen mit einem dankbaren Lächeln. "Es geht mir besser... Melissas Verrat war ein schwerer Schlag und reicht tief, doch ich werde es wohl akzeptieren müssen... Zumindest muss ich nach vorne sehen... ich glaube nicht, dass der Däezander sie töten will, denn dafür ist ein Mensch in ihren Reihen viel zu wertvoll." Dymeon nickte zustimmend. "Sie werden sie in ihren Plan mit einbeziehen... Vielleicht soll sie Falcaniar ausspionieren, denn die Verteidigungsanlagen sind nicht auf Menschen abgestimmt... Irgendwann sehen wir sie wieder..." Dankbar schenkte Zeliarina ihrem Schutzritter ein besonders schönes Lächeln, ehe sie sich wieder an Kevin wandte. "Und dann werde ich bereit sein sie wieder von ihren falschen Überzeugungen abzubringen." Der letzte Satz schien mehr ihr selber zu gelten als dem Elementaren. Mit einer frischen Zuversicht, die unverkennbar in den hellgrünen Augen aufblitzte, aß die junge Hexe das letzte Bisschen ihres Frühstücks und lehnte sich zufrieden in ihrem Stuhl zurück. "Und wann ist heute dein Training?" "Um neun", meinte Kevin langsam, während er nachdenklich auf seine Armbanduhr blickte und sich vor Schreck völlig an seinem Kaffee verschluckte. Hustend griff er sich mit beiden Händen an die brennende Kehle. Dymeon entglitten die Gesichtszüge zu einem schmalen, spöttischen Lächeln, Zeliarina dagegen konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Nur Kevin schien das Ganze nicht allzu lustig zu finden, denn sein Blick war verzerrt zu einer entsetzten Grimasse. "Ich komme schon wieder zu spät! Dunkan killt mich!" Ohne ein weiteres Wort oder auch nur eine Verabschiedung abzuwarten rannte der Junge hektisch davon. "Er ist ein wenig...wild...", stellte Dymeon belustigt fest, während er Kevin noch eine Weile hinterher sah, bis dieser hinter einer Tür aus seinem Sichtfeld verschwunden war. Zeliarina nickte zustimmend, doch in ihren Augen lagen unerschöpfliches Vertrauen und tiefe Freundschaft, die innerhalb nur weniger Tage entstanden waren. "Aber wir werden Menschen wie ihn, die einem in den Momenten der Verzweiflung Hoffnung geben können, in Zukunft besonders brauchen..." Erstaunt betrachtete der Dämon sie, als sähe er sie zum ersten Mal. "Du hast dich verändert. Ich dachte nach der Höhle der Prüfungen wärst du bereits erwachsen geworden, doch in den letzten Tagen scheinst du noch mehr Reife gewonnen zu haben als zuvor..." "Ich habe nur gelernt, dass es nichts bringt im Weinen und Trauern alles zu vergessen. Man sollte die schrecklichen Dinge, die geschehen sind, niemals vergessen, doch sie dürfen einen nicht daran hindern sein Leben weiterzuleben..." Zeliarina wandte sich ihm voll zu und betrachtete ihn mit einer merkwürdigen Mischung aus Entschlossenheit und Mitleid. "Ihr alle musstet in eurer Vergangenheit soviel erleiden und seit doch immer wieder aufgestanden und habt weitergekämpft... Dunkan hat es mir gezeigt... Er ist so stark... Nicht weil er geschickt kämpft oder schwere Verletzungen dank seines besonderen Blutes überleben kann, sondern weil er mit aller Kraft weitergeht, obwohl sein Herz so unendlich schwer ist und schmerzt..." Zeliarina seufzte und schob den leeren Teller von sich. Sie wirkte wieder ein wenig bedrückter, wenn auch nicht so wie in den letzten Tagen. "Vielleicht könnten wir ein bisschen bei Kevins Training zusehen. Kevin wird sich über meine Erfahrungen mit Elementarkräften freuen und Dunkan kann auch etwas Gesellschaft gebrauchen. Ich glaube er ist sehr einsam..." "Das ist kein Wunder. Er hat ein Leben wie wir Dämonen, endlos und unveränderlich. Er muss dabei zusehen wie alle, die er kennt, immer älter werden und schließlich irgendwann sterben. Er weiß, dass jede Person, der er begegnet, letztendlich wieder von ihm gehen wird..." "Also wollen wir zu ihm gehen?", fragte Zeliarina vorsichtig. Eigentlich war es überflüssig, denn Dymeon würde ihr immer widerstandslos folgen, wenn sie entschied irgendwo hinzugehen. Trotzdem hielt sie es für richtig den Dämon nicht dazu zu zwingen ihr zu jemandem zu folgen, den er nicht besuchen wollte. "Ich kenne Dunkan schon sehr lange. Zu kaum einem anderen Lancelor habe ich solchen Respekt..." "Wie alt bist du eigentlich, Dymeon?" Die Frage kam wie von selbst als Zeliarinas Mund. Sie hatte sie sich schon oft gestellt, war jedoch nie mutig genug sie zu stellen. Vielleicht verband der Dämon sein Alter mit schlechten Erinnerungen. Doch der Schutzritter antwortete nur mit einem schwachen Achselzucken. "Ich weiß es nicht. Zeitmessung, Tage, Monate, Jahre sind im Däezander ohne viel Bedeutung... Mindestens ein Jahrhundert. Vielleicht sogar zwei..." "Kanntest du die andere Zeliarina? Die Elementarhexe des Lichts?" "Ja...", murmelte Dymeon, plötzlich in Gedanken gefangen. "Ich habe nie einen Mensch gekannt, der sich mehr für andere aufopferte..." Dann verstummte der Dämon und sagte kein Wort mehr. Sein Blick hing merkwürdig glasig im Nichts, so dass Zeliarina es schon bereute ein Thema angeschnitten zu haben, dass dem Dämon unangenehm war. Doch davon gab es einfach zu viele. Mit einem Seufzen erhob sich die Donnerhexe und steuerte auf die Tür zu, hinter der Kevin vorhin verschwunden war. Dymeon folgte nach ein paar Sekunden, still und lautlos wie ihr Schatten. Kevin übte mit Dunkan im gleichen Trainingszimmer, in dem früher auch Zeliarina über ihre Fähigkeiten unterrichtet wurde. Es war nur relativ klein, ziemlich leer und mit feuerfesten Materialien ausgekleidet. Eigentlich ähnelte es einer dieser Gummizellen, in denen sich die Verrückten einer Anstalt austoben konnten. So vermied der Orden, dass bei unkontrollierten Ausbrüchen der Elementarkräfte halb Falcaniar abbrennen konnte, denn in Kevins derzeitigem Zustand schien das nicht allzu unwahrscheinlich. Als Dymeon und Zeliarina nämlich vorsichtig eintreten wollten, schoss bereits eine Walze von Flammen und unerträglicher Hitze dicht an ihnen vorbei gegen die Wand. "Sorry!" Kevin stand unschlüssig im Raum herum und beobachtete schuldbewusst, wie Dunkan mit einem Feuerlöscher im Raum herumlief und kleinere Brandherde löschte, die an den Wänden und sogar an seinem eigenen Ärmel leckten. Der Palas schien darüber nicht besonders erbost zu sein, doch ein nachdenklicher Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. "Du musst deine Gefühle mehr unter Kontrolle bekommen, Kevin. Deine Kräfte sind sehr stark an sie gebunden, viel stärker als ich es je bei einem Elementaren gesehen habe. Wenn du Wut oder Trauer oder ein anderes negatives Gefühl in dir ausbrechen lässt, könntest du mehr zerstören als nur deine Feinde..." Jetzt erst bemerkte Dunkan die beiden Neuankömmlinge. Er lächelte erfreut und winkte sie hinein. "Ah, Zeliarina! Und Dymeon! Kommt ihr Kevin besuchen? Ich glaube er könnte ein wenig Unterstützung gebrauchen." Kumpelhaft raufte er dem etwas geknickten Elementaren durch die weißen Haare, während sein Lächeln noch breiter wurde. Zeliarina bewunderte ihren Mentor dafür, dass er trotz der Schmerzen seiner Vergangenheit so heiter sein konnte, um sogar noch anderen Lancelor neuen Mut zu schenken. "Ja, wir würden gerne sehen, was er kann...", bestätigte die Donnerhexe. "Ich weiß, dass Kevin sehr gut mit seiner Waffe umgehen kann, doch von seinen Kräften hat er letztes Mal keinen Gebrauch gemacht." "Sie sind schwer zu beherrschen", gestand Kevin deprimiert. Er fischte seine Tüte mit Sonnenblumenkernen aus der Hosentasche und stopfte sich ein paar davon in den Mund. Noch während er kaute, umschloss er sein linkes Handgelenk mit den Fingern der rechten Hand und ließ die Innenfläche nach oben an die Decke zeigen. Zeliarina lehnte sich gespannt zwischen Dunkan und Dymeon an die schwarz angeschmorte Fensterbank. "Dann leg mal los..." Kevin antwortete mit einem gellenden Schrei, der tief aus seinem Inneren zu kommen schien und von Zorn getränkt war. Sein Gesicht verkrampfte sich vor Anstrengung, während der Schrei immer und immer lauter wurde, als schreie er alles aus sich heraus, was ihn jemals frustriert hatte. Dunkan schien nicht überrascht, Dymeon schenkte dem Jungen mildes Interesse und Zeliarina zuckte überrascht zusammen. Doch Kevin hatte alles um sich herum vergessen. Schließlich fingen seine Finger an rot zu glühen, ehe sie eine Sekunde später unter einer zweiten Haut aus knisternden, orangefarbenen Flammen verschwanden. Das Feuer schien Kevin keine Schmerzen zu bereiten und er lächelte zufrieden, doch als könnten die Flammen damit nicht überleben, verpufften sie bei seiner Zufriedenheit sofort wieder. Erschöpft sackte der Junge auf die Knie. "Er ist gut", erklärte Dunkan seiner Schülerin ruhig, "Seine Kräfte könnten zu einer der stärksten Waffen des Ordens werden. Doch bis jetzt kann er sie nur in Wut oder Trauer oder Hass einsetzen. Wenn wir diese Umstände nicht wegbekommen, könnte Kevin genau wie das Feuer unberechenbar werden und sich in Rage gegen uns wenden..." "Er ist ein guter Mensch, seine Augen sind rein. Seine Zeit wird kommen..." Dymeons Worte hingen eine Weile unbeantwortet in der Luft. Kevin stopfte sich, noch immer etwas keuchend, noch ein paar Sonnenblumenkerne in den Mund, während Zeliarina ihn mit verschränkten Armen beobachtete. "Und wie geht es dir?", fragte sie schließlich, so dass nur Dunkan sie hören konnte. Der Palas zuckte die Achseln. "Ich wollte dich damals in meinem Zimmer nicht erschrecken, Zeliarina. Es gibt einfach Tage, an denen das Lancelorleben zu einer echten Qual werden kann und selbst ich mich nicht unter Kontrolle halten kann. Es geht mir gut. Der Verlust meiner Zeliarina bleibt für mich nie vergessen, doch ich habe schon genug Tränen geweint..." "Ich bin immer für dich da." "So wie ich für dich... Wie ich sehe, geht es dir ein bisschen besser." "Wie ich Kevin bereits erzählt habe, Melissas Verlust ist schmerzvoll, doch ich werde sie zurückholen. Und bis dahin werde ich mit aller Kraft weiter gegen den Däezander kämpfen." Sie sah kurz zur Seite, doch Dunkan beobachtete stur seinen Schützling, der am Boden versuchte seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. "Das ist gut...", murmelte der Palas leise, "Denn der Däezander wird keine Rücksicht auf dich nehmen...Finden wir keinen Weg gegen die drohende Dunkle Dämmerung vorzugehen, wird er dich auf ewig jagen..." Die Art wie sich Dunkans Stimme plötzlich hoffnungsvoll veränderte und seine Augen zu leuchten begannen, ließ Zeliarina aufmerksam werden. "Gibt es...etwa einen Weg?" "Vielleicht... An einem fast vergessenen Ort. Man nennt ihn die Ruinen von Tradan. Er liegt verborgen in den Pyrenäen, die Frankreich und Spanien trennen, und soll angeblich über die Macht verfügen den Götterschwertträgern ihr Schicksal offen zu legen. Wir fanden die Ruinen bereits vor langer Zeit, doch es war uns nie möglich sie zu erkunden, da der Weg versperrt war. Zumindest für uns Menschen, die keine Götterschwerter trugen... Doch da du nun die rechtmäßige Wächterin Thundenstars bist, hat das Oberhaupt beschlossen, einige Lancelor noch einmal dorthin zu schicken... Es könnte uns neue Hoffnung für den Kampf geben... Es könnte aber auch die Verzweiflung noch mehr wachsen lassen..." "Hoffnung ist Hoffnung", meinte Kevin ohne zu zögern. Er hatte seine Atmung wieder normalisieren können und seitdem dem Gespräch von Zeliarina und Dunkan aufmerksam zugehört. "Und man muss ihr nachgehen, damit sie nicht einfach verblasst. Wir müssen zu diesen Ruinen!" "Das denke ich auch", stimmte Zeliarina entschlossen zu. Sie stieß sich von der Fensterbank ab und reichte Kevin hilfsbereit die Hand. Der Elementare nahm sie dankbar an, ließ sich aufhelfen und blieb kurz unschlüssig im Raum stehen, während sich Zeliarina einmal drehte, so dass sie Dunkan ansehen konnte. Sie lächelte zuversichtlich. "Wann geht's los?" "In zwei Tagen. Wir müssen erst einen Helikopter anfordern und die sind gerade alle unterwegs bei anderen Missionen. In letzter Zeit kommen so viele Hilferufe, dass wir kaum allen folgen können..." Der Palas seufzte kurz. "Wie auch immer. Das Oberhaupt möchte, dass du in dieser Zeit eine Gruppe bestimmst, die mitkommen soll. Dabei spielt es keine Rolle ob sie Palas oder Neuankömmlinge sind. Wichtig ist nur, dass es Menschen sind, denen du vertraust und zu denen du gehen kannst, wenn du Probleme hast. Sie sollen dein Schicksal kennen, falls es dir in den Ruinen von Tradan offenbart wird, damit sie dich besser verstehen und dir gute Freunde sein können. Wir wollen nicht, dass du wegen der Last Thundenstars einsam wirst. Ich weiß, diese Verantwortung muss schwer auf dir liegen, deswegen sollst du Lancelor wählen, die dir etwas dieser Verantwortung abnehmen können, die mit dir bis zum bitteren Ende kämpfen würden..." "Du sollst mitkommen...und Kevin...und-" "Nehme dir für diese Entscheidungen Zeit", unterbrach Dunkan sanft. Zeliarina nickte und wurde still, um über ihre Wahl nachzudenken. Als sie sich geistesabwesend eine Strähne blonden Haares hinter das Ohr strich, spürte sie wie Kevins Hand leicht ihre Schulter berührte und sie drückte. "Ich würde mit dir gehen, egal was uns in diesen Ruinen erwartet..." "Danke", hauchte sie gerührt. Dann blickte sie wieder zu Dunkan, der ihr aufmunternd zulächelte. In ihren hellgrünen Augen spiegelte sich die neu gewonnene Hoffnung wider, die die Ruinen von Tradan geschaffen hatten. "Einverstanden. In zwei Tagen werde ich mich entschieden haben..." "Gut..." Die ernste Stimmung verschwand mit einem Schlag aus Dunkans Stimme. Er lächelte, nicht mehr aufmunternd, sondern geradezu belustigt. "Dann können wir ja weitermachen, Kevin. Glaube nicht, dass ich dein Training vergessen habe..." Der Elementare seufzte betrübt und fing ein weiteres Mal an seine Hände mit Flammen zu umhüllen... Obwohl ich mir Dunkans Vorschlag zu Herzen nahm und intensiv darüber nachdachte, wen ich für die Reise zu den Ruinen von Tradan mitnahm, fiel mir die Entscheidung recht leicht. Dass Dymeon und Dunkan mich begleiten würden, stand außer Frage. Der Dämon musste mir als Schutzritter folgen und mein Mentor hatte sich scheinbar dazu verpflichtet mich zu beschützen. Vielleicht glaubte er so wieder gutzumachen, dass er seine Zeliarina nicht verteidigen konnte. Außerdem waren die Beiden stark, sie konnten im Notfall sogar Hochdämonen die Stirn bieten. Nach ihnen wählte ich noch Storm aus, der mich liebevoll ausgebildet hatte und einen extremen Hass auf den Däezander hegte, den ich ihm nicht verwehren wollte. Auch wenn ich bei ihm noch keine übernatürlichen Kräfte bemerkt hatte, wusste ich, dass er beinahe genauso mächtig war wie Dymeon oder Dunkan. Als letztes wünschte ich mir Kevin und Victoria als Begleiter. Es fiel mir schwer die zwei Lancelor tatsächlich mitzunehmen, da wie immer die Gefahr eines feindlichen Angriffes bestand und sie noch nicht so gut mit ihren Fähigkeiten fertig wurden. Doch nachdem Kevin mir zugesichert hatte, dass er mir beistehen würde, fragte ich auch Victoria. Die Telepathin stimmte mir wie es nun mal ihre Art war mit einem knappen Nicken zu. Sie nahmen es in Kauf, dass ihnen Gefahr drohte, weil sie sich bereits nach so kurzer Zeit zu meinen Freunden entwickelt hatten. Siviusson, der kleine skandinavische Meisterschütze, blieb nach meiner Wahl in Falcaniar. Er war ein geschickter Lancelor, doch er war kein kraftvoller Kämpfer und musste sich schon genug auf die Ausbildung anderer und den Kampf gegen die Dämonen konzentrieren. Auch Pendrian ließ ich aus meiner gewählten Gruppe raus, denn er hätte nicht gut mit Dymeon harmoniert. Meine Gefährten waren bestimmt. Dunkan ließ noch einen anderen, etwa dreißigjährigen Lancelor, der im Orden als Spezialist für die Alte Welt und ihre Aufzeichnungen galt, mitkommen. Er kannte sich mit der Geschichte der Götterschwerter und dem Beginn des Krieges aus wie kein zweiter. Sein Name war Titus McCain, Lancelor zweiten Ranges. Zusammen mit ihm, Dymeon, Dunkan, Storm, Victoria und Kevin machte ich mich am 22. Dezember auf den Weg zu den Ruinen von Tradan. Das Ganze liegt inzwischen über ein Jahr zurück. Doch der Tag blieb mir so frisch in Erinnerung, als wäre er erst gestern gewesen. Denn an diesem Tag bekam ich die Möglichkeit mein Schicksal kennen zu lernen. Es sollte der Wendepunkt des Krieges um die Götterschwerter werden... --------------------------------------------- Nächstes Mal: Eine Begegnung in den eisigen Höhen der Berge... Die verzweifelte Suche nach Antworten... Und ein entbrennender Kampf um die "Wahrheit", auf die die Lancelor schon so lange hoffen... Kapitel 11: Feuer, Blitz und blaues Sonnenlicht ----------------------------------------------- Hey, ein weiteres Dankeschön an nilfen und Elayne für ihre mutmachenden Kommis^^ (Ihr seid zwei echte Liebis, bitte weiter so^^) Als Belohnung gibts bereits nach einer Woche dieses neue, ziemlich lange Kapitel. Genießt es einfach. Ich hoffe natürlich auch weiterhin auf tatkräftige Unterstützung :P -------------------------------------------------- Kapitel XI - Feuer, Blitz und blaues Sonnenlicht Die Ruinen von Tradan lagen irgendwo versteckt in einem unbegangenen Areal der Pyrenäen, über eintausendfünfhundert Meter über dem Meeresspiegel. Die verwitterten, blattlosen Bäume standen dicht und der Schnee lag einen halben Meter hoch. Als Zeliarina aus dem Helikopter der Lancelor nach unten sah, entdeckte sie keinen Pfad, der auch nur annähernd in die nähere Umgebung führte. Nicht einmal die Spuren eines Tieres waren in der weißen Schneedecke zu erkennen. "Hier ist es! Wir müssen hier landen!", gab Dunkan dem Piloten über Funk zu verstehen. Er war damals dabei gewesen, als die Lancelor die alten Ruinen gefunden hatten. Zeliarina nickte und setzte sich wieder ordentlich hin, während der Helikopter allmählich an Höhe verlor und auf einem kleinen Platz zwischen verkrüppelten Baumgerippen landete. Dabei wirbelte der Luftdruck der langen Rotorenblätter den Schnee so heftig umher, dass man kaum noch etwas sehen konnte. "Wir sind da!" Die Ansage des Piloten tönte noch eine ganz Weile nachdem sie über die Ohrenschützer erklungen war in den Ohren der Lancelor nach. Dymeon war der Erste, der sich von seinem Platz löste und sich seiner Kopfhörer entledigte. Unwirsch legte er sie zur Seite, öffnete die Schiebetür des Hubschraubers mit einem metallischen Klappern und sprang hinaus in den Schnee. Nach und nach folgten die Lancelor, Dunkan und Storm unerschrocken, die anderen etwas zögerlicher. Besonders Titus McCain, der einen kleinen Laptop auf seinem Rücken trug, schien nervös. Er sah sich angespannt um, lauschte jedem Geräusch und zuckte ungewollt zusammen, als Storm brummend das Wort erhob. "Und wo sind die Ruinen nun?" "Direkt vor dir." Ernst deutete Dunkan auf ein steiles Felsmassiv, das sich keine hundert Meter vor ihnen in den Himmel erhob. Wie ein spitzer Miniberg auf dem eigentlichen Berg sah es aus. Storm und die anderen runzelten die Stirn und blickten den Palas verwirrt an, denn sie konnten keinen Eingang entdecken, sondern nur mit Schnee übersäte Steinwände. "Wir müssen den Schnee schon beiseite räumen. Der Eingang ist zugeschneit", erklärte Dunkan schmunzelnd. Er sah zurück zu dem Piloten, der unbeweglich in seinem Cockpit saß und ihnen den Daumen entgegenstreckte. Der Mann war kein Kämpfer und kein hochrangiger Lancelor. Er zog es vor in der warmen Sicherheit seiner Maschine zu bleiben. Zeliarina verübelte es ihm nicht, denn die Umgebung wirkte tatsächlich nicht sehr einladend. Die verkrüppelten Bäume, das Fehlen der Tiere und die entsetzliche Totenstille schlugen ihr schwer aufs Gemüt. Obwohl die speziellen Fasern ihrer Lancelorkleidung sie vor den Witterungen schützten, breitete sich in ihr eine eisige Kälte aus, die nicht vom Schnee stammte. Fröstelnd schaute sich die junge Donnerhexe um, doch offensichtlich ging es nur ihr so. Kevin kaute zufrieden an seinen letzten Sonnenblumenkernen, während Victoria mit verschränkten Armen an seiner Seite stand und schwieg. Neben ihnen streichelte Storm mit dunkler Miene seine Pistole und sein Schwert, die an seiner Hüfte hingen. Dymeon und Dunkan gingen mit Titus im Schlepptau zu dem kleinen Berg, der angeblich den Eingang zu den Ruinen von Tradan verbarg. Als sie davor stehen blieben, setzten sich auch die anderen Lancelor in Bewegung und gesellten sich zu ihnen. Kein Wind wehte, obwohl sie sich so hoch in den Bergen befanden. Trotzdem fröstelte Zeliarina wieder und zog die weiße Jacke, die sie diesmal zusätzlich zu ihrer Standartkleidung bekommen hatte, enger um den Körper. "Die Schneeschicht ist dick und hart zusammengepresst", murmelte Dunkan, als er nachdenklich darüber strich. Er warf Kevin einen kurzen Blick zu. "Ich denke, Feuer löst das am besten..." Der Elementare nickte, trat vor und legte seine Handfläche an den Schnee. Sofort schmolz das Weiß ein wenig, als es seine Haut berührte. Dann spannte der Junge mit aller Kraft seine Muskeln an und schrie wie schon damals im Trainingsraum voller Zorn auf. Seine Finger verwandelten sich in gleißendes Feuer, das die Wand aus Schnee zum Schmelzen brachte wie heiße Butter. Kaum dreißig Sekunden vergingen ehe ein mannsgroßes Loch entstanden war. Dahinter lag kein Fels, sondern bodenlose Schwärze. Ohne Zweifel führte der Weg tief ins Innere des Berges. "Gut gemacht", lobte Dunkan lächelnd. Kevin nickte nur keuchend und mit schweißüberströmter Stirn. Er taumelte ein wenig als er versuchte zu gehen, aber Victoria stand ohne Aufforderung sofort an seiner Seite und stützte ihn mit einer Hand. Erstaunt sah der Elementare sie an. Seine Atmung erholte sich schneller als beim Training und schon bald grinste er von Ohr zu Ohr. Victoria distanzierte sich abrupt wieder von ihm, doch das Grinsen auf Kevins Gesicht schien festgeklebt worden zu sein. "Okay, dann mal los. Ich gehe voran, du kommst als letzter, Storm. Seid auf alles gefasst. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Däezander uns überraschend auflauert", warnte Dunkan ernst. Er zog eine starke Taschenlampe aus einer Westentasche und knipste sie an. Der Lichtstrahl viel hell und weit in die Dunkelheit, um einen schmalen Gang zu entblößen. Er bestand aus dem gleichen roten Gestein wie Thundenstars Tempel. Auch Zeliarina und die anderen wagten sich in den Tunnel. Sie holten ebenfalls ihre Taschenlampen hervor, so dass der Weg schon bald von sechs Lichtstrahlen erhellt war. Keiner wagte es ein Wort zu sprechen. Die Stimmung war bis zum Zerreißen gespannt, obwohl nichts darauf hindeutete, dass Dämonen ihnen auflauerten. Keine schwarze Aura war zu spüren. Nach einer uneinschätzbaren Zeit, die sich endlos dahin zog, wurde der Tunnel langsam breiter und höher, bis er in eine Höhle überging, die zu perfekt geformt war um natürlich zu sein. Von ihr gingen zwei weitere Wege ab, doch Dunkan blieb unbeeindruckt in der Mitte des Raumes stehen. "Die zwei Pfade führen nirgendwo hin. Sie sind Sackgassen, die wir schon früher erkundet haben", meinte er leise. "Und wieso sind wir dann hier?", fragte Victoria tonlos. Wortlos leuchtete der Palas auf eine kreisrunde gelbe Fläche, die zwischen den roten Steinen eingelassen worden war. Sie musste einen Durchmesser von mehr als drei Metern haben. Die Lancelor hielten gespannt den Atem ein, als Dunkans Lampenstrahl zu einem Schlitz wanderte, der genau im Zentrum des Kreises war und von verschnörkelten Runen umschlungen wurde. Zum ersten Mal gab Titus einen verblüfften, geradezu erfreuten Laut von sich. "Alte Sprache!" Sofort lief er auf die Fläche zu und strich mit den Fingern zart über die Einkerbungen. "Ganz klar, das ist Alte Sprache. ,Tritt ein, Träger des Götterschwerts'..." "Und genau das wird sie tun", lächelte Dunkan. Er klopfte Zeliarina aufmunternd auf die Schulter und schob sie sanft nach vorne. Einen Augenblick lang stand die Donnerhexe unschlüssig da und wusste nicht was sie tun sollte. Ihr Blick glitt über den gelben Stein der runden Fläche, über den begeisterten Titus, über den Schlitz und die Runen. Dann verstand sie plötzlich. Mit einer fließenden Bewegung zog sie Thundenstar aus der Schlaufe ihres Gürtels. Das Götterschwert strahlte seine ungeheuer mächtige Spannung aus, die ihr die Haare zu Berge stehen ließ und ihr den Atem raubte. Kleine Miniaturblitze zuckten über die breite Klinge. "Ich bin Thundenstars Wächterin!" Entschlossen steckte sie die Spitze ihres Schwertes in die Ritze, doch die Klinge war zu breit um sie vollkommen darin verschwinden zu lassen. Dann aber schien sich die Öffnung schließlich zu verbreitern, bis sie wie geschaffen für das Götterschwert war. Die Klinge versank bis zum Heft und erzeugte ein schabendes Geräusch, das alle die Hände über die Ohren schlagen ließ. Bereits einen Augenblick später klickte es weit hinter dem gelben Stein und die runde Platte schwang auf wie eine gewöhnliche Tür. "Gut gemacht!", lobte Dunkan. Er und Storm wollten bereits durch den neu entstandenen Eingang treten, doch plötzlich blieben sie wie angewurzelt stehen. In dem Raum, der zum Vorschein gekommen war, hatte sich ein alter Mann gemächlich im Schneidersitz niedergelassen. Völlig ruhig hockte er da, uneingeschüchtert von der plötzlichen Gesellschaft, und hob grüßend einen Arm. "Hallo." Erschrocken rissen die beiden Palas ihre Waffen aus den Halftern und richteten sie auf den Fremden. Der Alte zeigte keine Anzeichen, dass es ihn störte. Im Gegenteil, er gähnte sogar ein wenig gelangweilt. "Seid ihr Menschen? Ja, natürlich seid ihr Menschen. Ihr müsst welche sein, denn einer von euch trägt die Sieben und der schwarze Drache ist noch nicht auferstanden..." Auch Kevin stellte sich jetzt neben Storm und Dunkan und richtete seine abgesägte Schrotflinte auf den merkwürdigen Greis. "Wovon zum Teufel, redet der?" Der Alte seufzte schwer und schloss seine dunklen Augen, ehe er sich erstaunlich fit auf die Beine schwang. Sein weißer Bart und das verfilzte Haar waren so lang, dass er beim Aufstehen beinahe darauf getreten wäre. "Oh je, ich muss wohl viel erklären... Wer von euch trägt die Sieben?" Die Lancelor tauschten verwirrt und zunehmend misstrauisch Blicke aus. Wieder entglitt dem Alten ein schweres Seufzen. "Ach ja, ihr nennt es nicht die Sieben... Also wer von euch trägt... Thundenstar?" Obwohl niemand wusste wer der Fremde überhaupt war, schauten alle gleichzeitig zu Zeliarina, die unsicher das Götterschwert vor sich hielt, so dass der Alte es sehen konnte. Schwache Überraschung spiegelte sich in seinen Augen wider. "Noch so jung...selbst für einen Menschen..." Langsam schritt er auf die Donnerhexe zu, bis Dunkans Pistole schlagartig gegen seine Schläfe gedrückt wurde. "Es reicht jetzt! Sag wer du bist!" Der Alte wirkte ein wenig gestresst, so wie eine Mutter von ihren quengelnden Kindern gestresst ist. Mit seinem Zeigefinger schob er den Lauf der Waffe sanft von sich weg, ohne dabei den Blick von Zeliarina zu lösen. "Ich bin ein Shetan... Mein Name ist Sabiduría..." "Das bedeutet Weisheit", warf Titus ein. "Was ist ein Shetan?", fragte Victoria kurz. Sie schien einen Moment lang in den Gedanken des Alten zu lesen, schüttelte bereits nach ein paar Sekunden jedoch ein wenig verwirrt den Kopf. "Das verstehe ich nicht... Ich kann nicht in seinen Kopf sehen..." "Sei doch froh, das wäre ziemlich eklig..." Sabiduría lachte kurz über seinen eigenen Witz, erkannte jedoch schnell, dass er damit nicht gut gelandet war und in finstere Mienen guckte. "Nun ja, was soll ich dazu sagen? Ich bin eben ein Shetan. Und ein Shetan ist ein Shetan. Er ist kein Dämon und auch kein Mensch, sondern einfach ein Shetan..." Nur Titus schien zu verstehen was der Alte ihnen sagen wollte, denn seine Augen weiteten sich verblüfft. Er schnappte merkwürdig hastig nach Luft und deutete mit zitterndem Zeigefinger auf ihn. "Ich habe in alten Schriften davon gelesen. Sie sind das alte Volk, die Vorfahren der Menschen. Sie haben damals die sieben Götterschwerter versteckt, als sie von deren Macht erfuhren. Sie haben die Tempel gebaut...und diese Ruinen hier. Sie gebrauchten die Alte Sprache..." Sabiduría nickte bei jedem Punkt mit einem kleinen Lächeln. "Der Junge ist gut", gestand er fröhlich. "Er hat Recht, ich bin einer vom alten Volk. Es gibt heutzutage nur noch wenige von uns und diese haben sich zurückgezogen, um Platz für die Menschen und Dämonen zu machen. Wir kümmern uns nicht mehr um eure Angelegenheiten und mischen uns eigentlich auch nicht in sie ein. Ich bin nur ein Beobachter des Geschehens..." "Warum bist du dann hier?", fragte Zeliarina zögerlich. "Weil mich der Ausgang der Geschichte interessiert... Und die Schlüsselfiguren, die die Götterschwerter tragen. Es interessiert mich warum diese Personen für ihre Sache kämpfen, was sie fühlen, warum sie ihrem Orden treu sind, was sie sich von ihrem Schwert erhoffen. Bis jetzt habe ich sechs von ihnen kennen gelernt. Sie waren allesamt Dämonen. Du bist die siebte." Er deutete auf Zeliarina und winkte sie lächelnd zu sich heran. Die junge Donnerhexe zögerte nicht einen Augenblick, obwohl Dunkan und Storm ihr warnende Blicke zuwarfen. Irgendwie wusste sie, dass von Sabiduría keine Gefahr ausging. Der Shetan kehrte ihr derweil wortlos den Rücken zu und schlenderte in die Mitte des freigelegten Raumes. Dort verharrte er einen Moment. "Ich kann dir Dinge zeigen, die dir neue Hoffnung im Kampf gegen den Däezander schenken werden, Trägerin der Sieben..." Seine Stimme klang plötzlich gedämpft. Eine versteckte Aufforderung lag in seinen Worten, auch wenn sie einen warnenden Unterton bargen. Zeliarina fühlte wieder diese Frösteln in sich aufsteigen, ignorierte es jedoch tapfer. "Ist das nicht dann doch eine Einmischung in die Angelegenheiten der Menschen?", wisperte sie unsicher. Der Shetan sah über seine Schulter zu ihr zurück. Ein schelmisches Lächeln lag auf seinen Lippen. "Vielleicht", flüsterte er zischend. "Doch ich habe diese Dinge auch den anderen sechs gezeigt... Ihr könnt sie euch auch selber ansehen... Mit meiner Hilfe wird das Verständnis nur schneller gehen... Also mische ich mich nicht direkt ein, ich beschleunige nur die Prozedur..." "Das verstehe ich nicht..." "Folge mir", erwiderte Sabiduría nur. Zeliarina blickte unsicher auf ihre Begleiter, die genau wie sie nicht richtig zu wissen schienen was sie mit dem alten Shetan anfangen sollten. Dunkan und Storm wirkten immer noch skeptisch, Kevin dagegen einfach nur sehr verwirrt. Victoria und Dymeon zeigten keine äußerlichen Reaktionen, doch Zeliarina wusste, dass es auch in ihren Köpfen arbeitete. Nur Titus nickte ihr enthusiastisch zu. Dann begutachtete das Mädchen Thundenstar, welches noch immer in ihrer Hand lag. Die breite Klinge schien ganz schwach zu glühen und ihre Finger zu wärmen. Vertraue ihm... Die Worte wurden nicht gesprochen und auch nicht in ihren Kopf projiziert, so wie Victoria das konnte. Trotzdem hatte Zeliarina sie wahrgenommen, als hätte man sie ihr ganz zart und leise ins Ohr gehaucht. Thundenstar, das Schwert des Donners, hatte zu ihr gesprochen. Und Zeliarina vertraute diesem Schwert. Also vertraute sie auch Sabiduría. "Gut, ich werde dir folgen." Entschlossen lief sie zu dem Shetan und folgte ihm zu einer weiteren, gelben Kreistür. Sabiduría öffnete sie indem er eine merkwürdige Geste in der Luft ausführte und das gelbe Gestein anschließend mit Zeige- und Mittelfinger flüchtig berührte. Ohne das geringste Geräusch legte die Tür einen weiteren, von Fackeln erleuchteten Gang frei. Die anderen Lancelor machten Anstalten der Donnerhexe und dem Shetan zu folgen, doch Sabiduría warf ihnen nur einen beiläufigen Blick zu und schüttelte den Kopf. "Was ich zu zeigen habe, ist nur für die Augen der Wächterin Thundenstars bestimmt..." "Aber alleine wird sie nicht gehen", antwortete Storm trocken, "Wir wissen immer noch nicht, ob wir dir wirklich trauen können. Warum sollten wir die letzte Hoffnung der gesamten Menschheit einfach mit einem Fremden davonziehen lassen...?" Sabiduría hob seine Augenbrauen ein wenig. Er schien das Gesagte abzuwägen, ließ seine dunklen Augen zwischen den Ordensmitgliedern hin und her wandern und nickte schließlich kaum merklich. "Nun gut, ich verstehe euer Misstrauen. Doch dann wählt einen der Eurigen, der die Wächterin begleiten darf. Alle können nicht mit..." Dunkan setzte zum Sprechen an, doch Dymeon begab sich bereits ganz selbstverständlich neben Zeliarina, um ihren Jackenärmel mit seiner Hand zu streifen. "Ich bin ihr Schutzritter. Es ist meine Aufgabe sie vor jeglichem Unheil zu beschützen und sie überall verteidigen zu können..." Die Stimme des Dämons ließ keine Widersprüche zu. Unter seinen verfilzten Haarsträhnen beobachteten seine dunklen Augen jede noch so kleine Bewegung des Shetan mit unvergleichlicher Aufmerksamkeit. Sabiduría schien es zu bemerken, sich jedoch nicht daran zu stören. "Ein Dämon", merkte er interessiert an. Dymeons dunkle Augen verengten sich in Überraschung und Misstrauen zu schmalen Schlitzen. Er packte Zeliarina instinktiv am Arm und schob sie sanft hinter sich, so dass er zwischen ihr und dem Shetan stand. Sabiduría schmunzelte nur. "Na, kein Grund zur Unruhe. Ich erkenne einen Dämon, wenn ich vor ihm stehe, auch wenn seine Aura von einer der drei Drachenketten unterdrückt wird...", meinte er leise. Sein Blick wanderte zu Dunkan und Storm, die ihre Waffen für einen Moment wieder auf ihn gerichtet hatten. "Wie interessant... Mir misstraut ihr also... Aber von den Dämonen, die ihr für ihre Mordlust und Brutalität verabscheut, erwählt ihr einen zu ihrem Schutzbefohlenen... Ihr legt also die ,letzte Hoffnung der gesamten Menschheit' in die Hände eines Wesens, dessen Orden ihr bekämpft..." "Das ist was anderes!", stieß Zeliarina hervor. "An seinen Händen klebt das Blut Unschuldiger...", sprach Sabiduría ungerührt weiter. Er nagelte Dymeon mit einem solch intensiven Blick fest, dass es Zeliarina eine Gänsehaut bereitete. Alle Lockerheit und Fröhlichkeit war aus dem alten Gesicht gewichen. In seinen dunklen Augen lag nur noch endlose Weisheit. Eine Weisheit, die in tausenden und abertausenden Jahren erworben wurde. Jetzt verstanden die Lancelor, wieso Sabidurías Name diese Bedeutung trug. "Ich kann es nicht leugnen...", flüsterte Dymeon heiser. Seine Stimme klang traurig und gebrochen. "Ich kann das Blut der Unschuldigen nicht leugnen... Doch ich habe das nie gewollt... Ich habe es nie gewollt..." Die Hände des Dämons fingen an sich zu verformen und die spitzen Enden seiner Klauen gruben sich in seinen schwarzen Mantel und in Zeliarinas weiße Jacke. "Der Däezander hat mich dazu gezwungen..." Zärtlich strichen die Finger der Donnerhexe über Dymeons angespannte Hände. Er schien sich unter ihrer Berührung ein wenig zu entspannen, doch ein Hauch von Trauer blieb dennoch in seinem Gesicht zurück. "Dymeon würde mich niemals betrügen... Er gibt alles dafür mich zu beschützen und die Opfer des Krieges gering zu halten..." Sie funkelte Sabiduría an. Der Shetan entgegnete dem Blick eine Weile schweigend, ehe er Dymeon genauso wortlos betrachtete. "Eure Augen sind rein...", stellte er leise fest. "Doch wie werden sie nach den Dingen aussehen, die ich euch nun zeigen möchte...?" "Niemand sieht sich hier irgendetwas an!", schrie plötzlich eine unbekannte Stimme aus der Richtung des Ganges, der sie in die Ruinen geführt hatte. Alle Köpfe, sogar der von Sabiduría, fuhren überrascht herum, doch sie sahen zunächst niemanden. Erst nach einigen unerträglich langsamen Sekunden trat eine Gestalt aus dem dunklen Schatten des Tunnels. Es war eine Frau mit langen, glatten und rabenschwarzen Haaren. Auf ihrem hübschen Gesicht zogen sich je drei parallel verlaufende Narben über jede Wange, zu gleichmäßig um bei einem Unfall entstanden zu sein. Sie war eine Kriegerin. Sie trug einen altmodischen Brustpanzer aus dunklem Metall, so wie die Ritter des Mittelalters welche gehabt haben mussten. Außerdem umfassten ihre geschmeidigen Finger ein dünnes, blau schimmerndes Schwert. "Ein Dämon!", warnte Dymeon düster. Die Lancelor hätten diese Tatsache auch ohne ihn erkannt, denn obwohl die Fremde keine dunkle Aura verbreitete, wirkte sie nicht menschlich. Die Pupillen ihrer giftgrünen Augen waren geschlitzt wie bei einem Raubtier und auf ihren Armen und ihrem Hals glitzerten Geflechte aus rotschwarzen Schuppen. Zeliarina wurde bei ihrem Anblick ungewollt an eine Schlange erinnert. "Warum spüren wir deine Aura nicht?", zischte Kevin angespannt. Seine Hand krallte sich um den Griff seiner Waffe, doch die Dämonin schenkte ihm keinerlei Aufmerksamkeit. Ihre Augen waren stur auf Dymeon, Zeliarina und Sabiduría gerichtet. "Ein Dämon?", wiederholte sie Dymeons Worte gespielt beleidigt, als hätte Kevin gar nicht gesprochen. Sie schnaubte abfällig und warf ihr langes Haar mit einer eleganten Bewegung in den Nacken zurück. "Der Verräter Blutträne nennt mich ,Dämon', als wäre ich ein Tier? Bist du so sehr wie die Menschen geworden? Haben diese Leute das aus dir gemacht?" "Warum spüren wir deine Aura nicht?", erwiderte Dymeon schlicht. Die Fremde lächelte spöttisch und zog mit ihrer freien Hand wortlos einen silbernen Drachenkettenanhänger unter ihrem Brustharnisch hervor. "Einer der drei berühmten Auraunterdrücker. Du hast einen, Ereos den anderen. Ich habe den lange zerstört geglaubten dritten...", säuselte sie zuckersüß. Der Anhänger verschwand wieder unter ihrer Kleidung, doch das Lächeln blieb auf den Lippen der Dämonin. Storm riss der Geduldsfaden. Außer sich vor Abscheu drückte er auf den Knopf an seinem Pistolengriff, der das Magazin herausfallen ließ, während er mit der anderen Hand gleichzeitig ein anderes Magazin aus seiner Weste zog und es in die Waffe rammte. Bereits den Bruchteil einer Sekunde später richtete er den Lauf der Pistole auf die Dämonin und schoss ein halbes Dutzend Kugeln gegen sie ab. Bereits die erste riss die Kriegerin von den Füßen, doch auch die anderen bohrten sich in ihre Brust noch ehe sie zu Boden stürzte. "Du hättest aufpassen sollen. Wir Lancelor sind nicht so wehrlos wie der Däezander immer denkt und unsere Heiligen-Munition kann selbst Hochdämon vernichten!" Kevin jubelte dem Palas zu. Storm schien zufrieden. Dymeon jedoch wirkte noch immer angespannt und nahm seine Augen nicht von der am Boden liegenden Dämonin. "Es ist noch nicht vorbei", zischte er unheilverkündend. Tatsächlich zuckt bereits einen Augenblick später der gestiefelte Fuß der Fremden. Leise ächzend rappelte sie sich wieder auf, die schwarzen Haare wirr im Gesicht. Auf ihrer Panzerung befanden sich sechs Einschüsse, doch keiner von ihnen hatte das schwarze Metall durchschlagen. "Nachtstahl. Zentimeterdick. Keine eurer Waffen kommt da durch..." Sie klopfte sich zufrieden auf den Harnisch und strich sich das Haar zu Recht. Dann lächelte sie wieder. "Ihr seid so hilflos wie Menschensäuglinge... Du kennst diese Situation, nicht wahr Dunkan?" "Schweig, Assessina mit den Toxinklauen... Ich kenne dich und deine gespaltene Zunge", erwiderte Zeliarinas Mentor ruhig. Mit ein paar Handgriffen hatte er wie Storm seine Runenmunition gegen die Heiligen ausgetauscht und die Pistole auf die Dämonin gerichtet. "Ich weiß, dass du eine Hochdämonin bist und eine der Schattenklingen und dass du diese Rüstung aus Nachtstahl trägst... Doch würdest du deswegen eine Heilige in deinem Kopf aushalten?" "Wohl kaum", gab sie uneingeschüchtert zurück. "Doch dafür müsstest du erst einmal treffen..." Plötzlich rannte Assessina los. Dunkan schoss nach ihr, verfehlte ihren Kopf jedoch ein gutes Stück und traf stattdessen die Wand aus rotem Gestein. Kalt lachend stürmte die Dämonin durch die Reihen der Lancelor, ließ die beiden Palas jedoch unbeachtet stehen. Auch an Melissa und Kevin fegte sie innerhalb eines Wimpernschlages vorbei. Dymeon ging sofort in Verteidigungsstellung und schubste Zeliarina hinter sich, doch das brachte Assessina nur noch mehr zum Lachen. Denn sie ließ auch diese Beiden Links liegen. "Der Shetan wird niemandem mehr auch nur irgendetwas zeigen können!" Alles ging viel zu schnell für die Augen der Menschen. Sabiduría riss überrascht die Augen auf, Assessina stieß triumphal zu, Dymeon sprang dazwischen. Blut besprenkelte den Boden. Als der Angriff sein Ende gefunden hatte, schienen alle wie Statuen erstarrt zu sein. Keiner rührte sich. Zeliarina wagte kaum zu atmen. "Du Narr!", stieß Assessina gereizt hervor. Ihre Worte galten Dymeon, der sich noch rechtzeitig zwischen sie und Sabiduría gestellt hatte. Der Shetan war unversehrt, doch der Dämon blutete irgendwo an seiner Hüfte. Die Lancelor konnten nichts Genaues erkennen, denn Assessina hatte ihre Hand davor. Mit was hat sie zugeschlagen? Es war nicht das Schwert... Verzweifelt versuchte Zeliarina zu verstehen was passiert war. Dymeon stöhnte schwach und presste seine Kiefer hart aufeinander. Mit einem bedrohlichen Fauchen stieß er seine Klaue in den Leib der Dämonin. Assessina taumelte benommen zurück, doch nicht einmal die scharfen Krallen des Hochdämons hatten es geschafft ihre Rüstung zu durchdringen. Nur lange Kratzspuren erinnerten an seine Attacke, während sich die Dämonin selbst schnell wieder fing. Ihre freie Hand war verschmiert mit Dymeons dunklem Blut, obwohl sie nicht zur Klaue geformt war oder eine Waffe hielt. Wie hatte sie den Dämon mit den Bluttränen trotzdem so stark verletzen können? "Dein berüchtigtes Mitleid...", zischte Assessina leise. Ihre Art erinnerte immer mehr an eine tödliche Schlange. Dymeon brach vor ihr auf die Knie und presste seine Hände vor die Wunde an seiner Hüfte, doch das Blut rann ungebremst zwischen seinen Fingern hindurch. "Du quälst dich für fremdartige Wesen, die nicht deiner Spezies angehören! Warum?" Dymeon schwieg. Vermutlich erwartete Assessina gar keine Antwort von ihm, denn sie wandte sich wieder mit einem berechnenden Blick Sabiduría zu. "Und nun stirb, alter Mann!" Wieder bewegte sich die Dämonin auf den zurückweichenden Shetan zu. Pistolenschüsse schlugen im Rückenteil ihrer Rüstung ein, doch sie störte sich nicht weiter daran. Unaufhaltsam machte sie Schritt für Schritt. Dymeon spuckte blutigen Speichel aus und zwang sich zurück auf die Füße. Seine Augen waren mit Schmerz vernebelt. Was war das nur für ein Schlag? Wie konnte er Dymeon dermaßen schädigen? Zeliarina ertrug es kaum den Dämon so leiden zu sehen. Jeder Atemzug kostete ihn ungeheure Anstrengung, jeder Schritt war eine neue Überwindung. Trotzdem schaffte er es Assessina grob am Arm zu packen. "Wieso hast du es so eilig? Was ist es, dass er uns zeigen will und dass der Däezander fürchtet?" Mit mildem Interesse riss sich die Dämonin aus seinem Klammergriff frei, verpasste ihm einen brutalen Tritt, der ihn erneut zu Boden brachte, und ging weiter auf Sabiduría zu. "Das ist bedeutungslos. Keiner von euch kommt hier lebend raus..." Zeliarina ließ sich erschrocken neben dem zusammen gekrümmten Dymeon auf die Knie fallen und drehte ihn auf den Rücken. Noch immer blutete seine Hüfte unaufhörlich, so als hätte sich seine dämonische Regenration ausgeschaltet. Auf seiner Stirn klebten verschwitzte Haarsträhnen. "Zeliarina... Halte...sie auf...", keuchte er, während sein Körper von unkontrollierten Zuckungen geschüttelt wurde. Zeliarina vergaß alles um sich herum. Sie wusste nicht einmal wen Dymeon meinte. In ihrem Kopf waren alle Namen und Gedanken weggefegt worden. "Was hat diese Dämonin mit dir angestellt?", hauchte sie leise. "Aramea-Entzug...unwichtig...bald besser..." Jedes Wort kostete ihn Kraft. "Aufhalten... du musst sie... aufhalten... Wir brauchen... den Shetan..." Das Mädchen verstand und nickte tapfer. Mit einem letzten kurzen Blick auf ihren dämonischen Schutzritter erhob sich Zeliarina und visierte Assessina an. Doch sie hatte bereits zu lange gezögert. Die Hochdämonin stieß ihre Hand gnadenlos in den Leib des wehrlosen alten Sabiduría, während ihr ein belustigtes Lachen entglitt. Der Shetan dagegen gab keinen Laut von sich. Sein Gesicht zeigte keine Anzeichen von Schmerzen, nur die dunklen, wissenden Augen verloren schnell ihr Leuchten. "Nein!" Plötzlich verwandelte sich das Geschehen in eine unübersichtliche Ansammlung von Schreien, Bewegungen und entsetzten Gesichtern. Selbst Victoria zog ihre Waffe und verabreichte Assessina zusammen mit Storm und Dunkan ein wahres Trommelfeuer aus Heiligen. Viele Kugeln prasselten wirkungslos von ihrer Rüstung ab, die anderen zischten knapp an ihr vorbei und ließen die roten Wände zerspringen. Zeliarina konnte nur ihre Arme schützend über den Kopf halten, um die herumfliegenden Steinsplitter abzuwehren. "Victoria! Versuch noch einmal Sabidurías Gedanken zu lesen, ehe er stirbt! Du musst so viel wie möglich über die Dinge erfahren, die er uns erzählen wollte!" Die Telepathin nickte und stellte ihr Feuer ein, während Storm und Dunkan mit grimmigen Gesichtern näher und näher zu Assessina herankamen. Die Dämonin riss ihre Klaue emotionslos aus dem Körper ihres Opfers, ließ es zu Boden gleiten und schenkte den beiden Lancelor ihre Aufmerksamkeit. Ihr blaues Schwert erstrahlte in gleißendem Licht und ihre giftgrünen Augen leuchteten. "Sterbt!" "Haltet euch bereit, Lancelor!", brüllte Storm über die Pistolenschüsse hinweg. Er hörte nicht auf zu schießen und erwartete grimmig den Angriff Assessinas. Dieser kam auch, schneller und härter als er es sich jemals vorgestellt hätte. Mit Schwert und Klaue stürzte sie sich auf den Lancelor. Ihre Schläge waren berechnet und fanden immer wieder jede noch so kleine Abwehrlücke, die Storm kaum mit seinem eigenen Schwert und Ausweichmanövern schließen konnte. Dunkan wollte seinem Kameraden helfen, doch er konnte seine Pistole nicht einsetzen ohne Gefahr zu laufen den eigenen Mann zu treffen. Hilflos sah er mit an wie Assessinas Schwert klirrend auf Storms Klinge niederging und blaue Funken aufblitzen ließ. "Azuransas, die blaue Sonne", raunte Dunkan düster, "Eines der Götterschwerter... Assessina mit den Toxinklauen ist tatsächlich eine Schattenklinge, wie der Orden schon immer vermutet hatte..." Storm geriet zunehmend in Bedrängnis und wurde von Assessina mit gezielten Schlägen vor sich her getrieben. Er war außer sich vor Wut und kämpfte blind vor Zorn. Seiner Gegnerin entlockten seine Bemühungen jedoch nur ein überlegendes Lächeln, das ihn noch rasender machte. "Ich werde das beenden..." Einen Augenblick später hatte die Dämonin Storm plötzlich mit der freien Hand am Genick gepackt und schleuderte ihn davon, dass er gegen eine Wand klatschte und benommen neben ihr zusammenfiel. Assessina ergötzte sich noch eine Weile stumm an dem Anblick des Besiegten und strich ihr schwarzes Haar mit einer anmutigen Bewegung zurecht, ehe sie sich wieder den anderen Lancelor zuwandte. Sie hatte gerade noch Zeit ihre Augen aufzureißen. Dunkan hatte bereits zum Angriff angesetzt, als sie Storm gepackt hatte, und warf sich nun verzweifelt mit aller Kraft gegen sie. Beide stürzten und schrieen und rangelten sich auf dem Boden. Nach einer Weile hatte Dunkan es geschafft Assessina das Knie gegen die gepanzerte Brust zu stemmen und den Lauf seiner Waffe genau gegen die weiche Haut ihres Halses zu drücken. "Es ist aus..." "Für uns Dämonen wird es niemals aus sein", zischte Assessina giftig zurück. Ihre Mund war leicht geöffnet, so dass der Palas ihre spitzen Reißzähne sehen konnte. "Niemals wird sich der Däezander vor den Menschen beugen... Niemals werden wir die Schlacht gegen die Menschheit aufgeben!" Blaue Flammen umhüllten Azuransas' Schneide. Dunkan erkannte die Gefahr, die das Götterschwert der Dämonin darstellte, konnte jedoch nichts mehr dagegen machen. Eine gewaltige Druckwelle aus blauem Licht riss ihn von ihr aus quer über den Boden des Raumes. Auch Storms bewegungsloser Körper und Kevin rutschten ein Stück davon, obwohl sie sich einige Meter von dem Kampf entfernt befanden. Nur Victoria, Dymeon und Zeliarina spürten nicht mehr als einen starken Luftzug, der an ihren Kleidern zog und die langen Haare der Mädchen herum wirbeln ließ. Zeliarina hatte sich wieder besorgt zu ihrem verletzten Schutzritter gesetzt, Victoria beugte sich konzentriert über das blasse Gesicht Sabidurías. Aus einer schrecklichen Wunde auf seiner Brust schoss das Blut zum Takt seines Herzens aus dem Körper. "Alter Shetan, denke an die Dinge, die die uns berichten wolltest. Denke einfach an sie. Öffne mir den Weg zu deinen Erinnerungen..." Sabiduría setzte zu einer Antwort an, doch kein Laut drang aus seiner Kehle. Dann nickte er schwach. "Nein!", kreischte Assessina außer sich. Ein merkwürdiger Hauch von Angst lag in ihrer Stimme, machte jedoch schon bald wieder der vertrauten, kalten Selbstsicherheit platz. "Kümmere dich lieber um dich selbst, Telepathin..." Sie richtete das blau glühende Schwert Azuransas mit der Spitze voran auf die schöne Lancelorin. Die Klinge entsandte eine weitere Schockwelle, die diesmal zielgenau auf Victoria zuschoss, ihr jegliche Luft aus den Lungen presste und sie davon schleuderte. Noch während die Lancelorin hilflos durch die Lüfte flog und mit dem Rücken voran gegen eine Wand knallte, sprang ihr Assessina hinterher. "Victoria! Weich aus!", brüllte Kevin panisch. Die Telepathin war noch nicht einmal die Wand herabgerutscht, da durchschnitt plötzlich ein hohes Sirren die Szene wie ein Gewehrschuss. Aus Assessinas Handgelenk war oberhalb des Handrückens ein langer, spießähnlicher Stachel zum Vorschein gekommen, dick wie ein Finger und lang wie ein Unterarm. Mit aller Härte rammte die Dämonin ihre organische Waffe erbarmungslos oberhalb Victorias linker Brust durch die weiße Haut. So also konnte sie Dymeon dermaßen verletzen... Die Lancelorin stöhnte. Kevin schrie. Assessina lachte. "Du bist die Telepathin mit dem Herzgefängnis, nicht wahr?", flüsterte die Dämonin kaum hörbar. Victoria presste die Hände auf die Einstichstellte. Sie blutete nicht so stark wie bei Dymeon, doch auf ihrer Stirn brach ebenfalls eiskalter Schweiß aus, der ihre schwarzen Haare verklebte. "Ich wollte schon immer einmal sehen, was mit dir passiert, wenn der Gefangene erwacht...", wisperte Assessina genüsslich. Victorias Augen weiteten sich. Zeliarina wusste nicht ob aus Angst oder Schmerz, doch sie wusste, dass sie das Mädchen noch nie so aus der Fassung erlebt hatte. Und plötzlich schrie die Telepathin, sie schrie und schrie und wand sich wie von Sinnen am Boden. "Gift!", rief Zeliarina entsetzt. "Aramea...", verbesserte Dymeon schwer atmend, "Assessina...hat es mir... entzogen...und ihr...eingeflößt..." Der Dämon versuchte auf die Füße zu kommen, scheiterte aber kläglich. "Wozu soll das gut sein?" "Es wird etwas in ihr... erwecken, das nie hätte... erweckt werden dürfen... Zeliarina... Sie brauch die Pillen, die blauen in ihrer Tasche... sofort... sonst stirbt sie..." Schwach griff er nach ihrer Hand und drückte sie zur Unterstreichung seiner Worte. Die junge Donnerhexe erhob sich mit einem Nicken, entschlossen ihrer Freundin zu helfen. Gerade als sie sich furchtlos auf Assessina zu bewegte, erfüllte ein weiterer Schrei den ganzen Saal. Kevin. Der Elementare brüllte aus voller Kehle. Rote Flammen schossen aus seinem Körper und umhüllten ihn vollständig. Binnen Bruchteilen von Sekunden hatte er sich eine einzige, riesige Fackel verwandelt. "Nicht auch noch das...", stöhnte Dunkan, der sich ächzend zu Assessina und Victoria schleppte, während er sich die untersten Rippen hielt, die bei der Schockwelle Azuransas' etwas abbekommen zu haben schienen. "Wenn Kevin ausrastet, könnte er mehr Schaden anrichten als ihm lieb ist..." Kaum jemand hörte den Palas, da er von Kevins endlosem Gebrüll übertönt wurde. Der junge Elementare kreischte wie eine wild gewordene Bestie. Sein ganzer Körper brannte, doch er schien keine körperlichen Schmerzen zu haben. Als die Flammen immer höher über ihm zusammenschlugen und sich mit einem besonderen, weißen Feuer, das aus seinen Haaren entsprungen war, verbanden, knurrte er vor unterdrücktem Zorn. "ASSESSINA!" Jeder einzelne Buchstabe des Namens war mit solch einem Hass ausgesprochen, dass es Zeliarina schier den Atem raubte. Aus dem sonst so freundlichen Kevin war die Inkarnation des Zorns geworden. Unkontrolliert ließ er Feuerbälle in alle Richtungen fliegen, versengte Boden und Decke mit gewaltigen Stichflammen und hinterließ eine Spur der Verwüstung. Assessina ließ von der zuckenden Victoria ab und stellte sich Kevin furchtlos entgegen. Sie hielt ihr glühendes Götterschwert gut sichtbar vor sich ausgestreckt, um ihm zu zeigen, dass sie sich mit der blauen Sonne überlegen fühlte. "ASSESSINA!" Ein Hagel aus Feuerkugeln entsprang den Händen des Elementaren und hämmerte schneller als jede Pistolenkugel auf die Dämonin ein. Assessina war von der Intensität des Angriffes überrascht, schlug ein paar glühende Geschosse mit ihrem Schwert beiseite und wich zwei Schritte zurück. Das blaue Licht Azuransas' beschien ihr Gesicht und die Unsicherheit darin auf unnatürliche Weise. "FAHR ZUR HÖLLE, DÄMONIN!!! BRENNE!!! BRENNE!!!" Immer neue Angriffswellen gingen auf die Dämonin nieder. Die Serie der Feuerbälle riss nicht ab und zwang Assessina immer mehr in die Defensive, während Kevin immer weiter schrie, auch wenn es keine Worte mehr waren, die seinen Mund verließen. Irgendwann wurde Assessina mit dem Rücken gegen eine Wand gedrückt. Der Feuerhagel versengte ihre schwarzen Haare, zerschlug an ihrer Rüstung, prallte an ihrem Schwert ab, traf ihre Beine. Die Wand um sie herum war ein einziges Trümmerfeld, doch sie konnte sich beim besten Willen nicht aus Kevins hartnäckiger Attacke befreien. "Das reicht", zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Azuransas entflammte in seinem blauen Licht, heller als jemals zuvor. Das Licht breitete sich wie ein schützender Schirm vor Assessina aus und ließ die Brandgeschosse bereits vor ihr zerbersten. Trotzdem schien es der Dämonin Schwierigkeiten zu bereiten den Schutzzauber aufrecht zu erhalten. Die Mächte eines Götterschwertes waren selbst für einen Hochdämon schwer zu beherrschen. "GIB AUF! GIB AUF! GIB AUF!" "Niemals!", schrie Assessina aufgebracht zurück. Azuransas Licht war kaum noch zu ertragen und brannte in den Augen. Es schien durch die Erwiderung der Dämonin an Kraft zuzunehmen. "Du jämmerlicher Wurm wirst mich niemals in die Knie zwingen! Für den Däezander!" Langsam aber sicher setzte Assessina einen vor den anderen Fuß und kam so trotz des Sperrfeuers immer näher an Kevin heran. Der Elementare biss die Zähne zusammen, doch es wirkte so, als hätte er bereits alle Energie verpulvert. Assessina schien wieder die Oberhand gewonnen zu haben, als plötzlich ein gleißender, weißer Lichtblitz von der Seite heran schoss und hart gegen Azuransas Schutzzauber prallte. Asessina wurde zur Seite gedrückt, fing sich jedoch wieder ab, indem sie ihr Bein gegen den Boden stemmte. "Wer...?" Zeliarina umklammerte Thundenstar mit einer Hand und richtete die andere auf die Dämonin. Die Zeichen auf ihrem Unterarm glühten. Kleine Blitze züngelten über die Klinge ihres Götterschwertes, als wäre es unter Spannung. Kevin verstand nicht wie die Elementare so viel Magie entfesseln konnte, doch durch Thundenstar schienen in ihr wohl besondere Mächte zu zirkulieren. Einen Moment war er Zeliarina für die Hilfe unendlich dankbar, doch als er bemerkte, dass dadurch seine Wut genau wie die Flammen um ihn herum abnahmen, konzentrierte er sich wieder völlig auf Assessina und vergaß seine Gefährten. Vor seinem geistigen Auge sah er nur das hübsche, vor Schmerz verzerrte Gesicht Victorias. "DU WIRST NIEMANDEM MEHR LEID ZUFÜGEN!!!" "Du wirst mich nie bezwingen", erwiderte Assessina energisch. Immer noch wild entschlossen und kämpferisch hielt sie den Schutzzauber ihres Götterschwertes aufrecht, um den andauernden Feuerattacken zu entgehen. Auch Zeliarina feuerte einen neuen Blitz ab, der ihre Verteidigung erschütterte. Blitz, Feuer und blaues Licht vereinten sich zu einer bizarren Mischung aus grellen Farben. "Ihr...bezwingt mich nicht!", stöhnte Assessina widerspenstig. Ihre Haare hingen ihr in wirren Strähnen vor dem Gesicht. "Niemals! Niemals!" Kevin lächelte plötzlich ein schmales Lächeln, das jedem eine Gänsehaut bereiten konnte. Sein Feuer verebbte langsam, um wieder zu Haut und Kleidung zu werden, bis auf die Hände, die stärker zu brennen schienen als bei seinen vorherigen Angriffen. Zeliarina glaubte er hätte sich endlich beruhigt, doch der harte Ausdruck seiner Augen belehrte sie eines Besseren. "Merke dir, dass die Menschen sich nicht vor euch beugen werden! Wir alle lassen niemals zu, dass die Dunkle Dämmerung über die Welt zieht!" Noch einmal entsandte der Elementare einen gewaltigen Feuerball. Zeliarina hielt unter Anstrengung ihren Blitz aufrecht. Assessina schrie in einem Anflug von Verzweiflung und Wahnsinn auf, so dass Azuransas in ihrer Hand zu vibrieren und zu summen anfing. "Ihr könnt mich nicht besiegen! Ich bin eine Hochdämonin, eine Schattenklinge! Das ist gegen die Natur, ihr könnt kein Götterschwert bezwingen!" Dann erschütterte eine gewaltige Explosion aus Rot, Weiß und Blau den ganzen Saal. Die Lancelor und Dymeon wurden von der Druckwelle gegen die Wände gepresst, während Schutt und Rauch den Raum vernebelten. "Es ist aus", flüsterte Kevin erleichtert. Erschöpft ließ er sich flach auf den Bauch fallen, ohne darauf zu achten, dass der Staubnebel auf ihn nieder rieselte und ihn mit einer Schicht des roten, zermahlten Gesteins bedeckte. Er lachte sogar ein wenig, auch wenn es sehr müde klang. Danach legte sich Schweigen über die Ruinen von Tradan, einzig und allein unterbrochen von Victorias kraftlosem Aufschreien. Kevin seufzte und schloss für einen Moment die Augen. Es war zu früh um sich über den Sieg zu freuen. Was auch immer Assessina mit der Telepathin getan hatte, es hinterließ nach dem Kampf seine Spuren. Kurz genoss der Elementare noch das angenehme Gefühl einfach nur dazuliegen, dann rappelte er sich kraftlos auf und humpelte zu seiner Gefährtin. Zeliarina hockte bereits neben ihr und fischte in ihren Westentaschen nach dem kleinen Fläschchen mit den blauen Kapseln. Als Kevin Victoria erreichte, bekam er vor Schreck kaum noch Luft. Die junge Telepathin krümmte sich noch immer ununterbrochen auf dem Boden, stöhnte und brabbelte und schrie wirres Zeug. Ihre Hand krampfte sich so stark auf die Wunde, die Assessina hinterlassen hatte, dass er befürchtete sie würde sich ihre Fingernägel ins Fleisch graben. Ihr anderer Arm war in die Luft gestreckt, als würden ihre leeren, fiebrigen Augen irgendetwas erkennen, nach dem sie greifen wollte. Ein paar ihrer schwarzen, teilweise geflochtenen Haarsträhnen klebten an ihren Armen, an ihrer Stirn und in ihrem Gesicht. Durchsichtige Schweißperlen überzogen ihre weiße Haut. "Was hat Assessina nur gemacht?", flüsterte Kevin traurig. Vorsichtig ließ er sich auf die Knie sinken und nahm Victoria in die Arme. Beinahe beiläufig griff er dabei nach dem Pillenbehälter, den Zeliarina gefunden hatte, öffnete ihn einhändig und zog zwei der Kapseln hervor. "Was ist nur mit dir passiert, damals bei diesem Unfall? Wieso bist du so...gefühlsarm? Wieso brauchst du diese Medizin und warum kann dich Aramea so quälen?" Victoria öffnete den Mund, wurde jedoch sofort von einer weiteren Schmerzwelle erfasst und geschüttelt. Sanft schob Kevin ihre verkrampften Kiefer auseinander, um ihr beide Kapseln in den Mund legen zu können. "Bitte, Victoria, du musst sie schlucken..." Tapfer versuchte die Telepathin sie herunterzubekommen. Beim ersten Mal scheiterte sie und spuckte sie während eines würgenden Hustenanfalls sofort wieder aus. Kevin hob die Pillen geduldig auf und legte sie ihr wieder zurück in den Mund. Diesmal schaffte es Victoria sie herunter zu schlucken. Bereits ein paar Sekunden später schienen ihre Schmerzen wieder etwas nachzulassen und ihr fiebriger Blick klarte auf. "D...Danke..." "Nicht der Rede wert", murmelte Kevin lächelnd. Seine Augen hatten wieder diesen alten, gutmütigen Ausdruck angenommen. Trotz der ernsten Situation wurde er sogar etwas rot um die Wangen. "Ich würde es jederzeit wieder tun..." Victoria strich mit ihren Fingern gedankenverloren über seine lächelnden Lippen und seufzte dabei. "Ich...beneide dich...", konnte sie gerade noch sagen, ehe sie die Erschöpfung mit einem Schlag übermannte und in den Schlaf zog. Kevin blieb noch lange mit ihr in den Armen sitzen, während er zart ihr schwarzes Haar streichelte... Immer wenn ich an diese Zeit zurückdenke, betrauere ich das schwere Schicksal, das meine beiden Freunde zu tragen hatten. Sowohl Kevin, als auch Victoria hatten eine dunkle, tief in ihrem Inneren verborgene Vergangenheit gehabt, die sie bis heute beeinflusste. Doch in diesem Augenblick hatten sie einen kleinen, ganz persönlichen Moment des Friedens, der nur ihnen galt. Sie nahmen überhaupt nichts mehr von der Außenwelt wahr, weder die langsam zusammenkommenden Lancelor, noch die geschlagene Assessina, noch Dymeon, der seinen Aramea-Entzug nur ganz langsam in den Griff bekam und sich schwer erholte. Doch ein ganz bestimmtes Geräusch weckte nach einiger Zeit sogar Kevins Aufmerksamkeit. Ein Röcheln und schwaches Atmen: Sabiduría lebte noch... ------------------------------------------------------ Der Kampf zweier Götterschwerter hinterlässt ein Feld der Verwüstung... Was wird aus den siegreichen Lancelor und ihrer "neuen Hoffnung", die sie sich durch Sabiduría erhofft hatten? Gibt es Aussicht auf Rettung? Zwei Pfade öffnen sich für eine weitere Suche... Kapitel 12: Dymeons Suche: Traumwandlerin ----------------------------------------- So, hab mich beeilt diese neue kapitel hochzustellen. Zum Glück hatte ich gerade sowohl Bio- als auch Deutschdoppelstunde Ausfall, so dass ich mich mal wieder ein bisschen der geschichte widmen kann. Ich will ja nicht, dass Elayne wirklich stirbt :P Auch nilfen und Tikal ein riesiges Lob für ihre Treue^^ *freut sich wie ein Schnitzel* ------------------------------------------------- Kapitel XII - Dymeons Suche: Traumwandlerin Für einen Moment wagte sich niemand in den Ruinen von Tradan zu rühren. Sabiduría schnappte nach Luft und ächzte gequält, während immer neues Blut aus seinem Mund und aus der Wunde auf seiner Brust sickerte, um sich unter ihm in einer gewaltigen dunkelroten Lache zu sammeln. Zeliarina war als Erste bei ihm und verstand somit auch als Erste, dass es für den alten Shetan keine Hoffnung mehr gab. Assessina hatte ihre Klaue zu tief in seinen Leib geschlagen. "Ich...Ich..." Er versuchte zu sprechen, doch seine Worte verstummten schnell wieder. Mit rasselndem Atem schnaufte er mehrmals, jedoch ohne sich damit wirklich sammeln zu können. "Shh...Sprich nicht", flüsterte Zeliarina einfühlsam. "Muss...zeigen...muss..." Energisch versuchte sich Sabiduría aufzurappeln, doch wie sehr er sich auch bemühte, sein gepeinigter Körper wollte seinem Willen nicht mehr gehorchen. Hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken lag der Shetan da. Auch Dunkan, der sich noch immer seine Rippen hielt und gleichzeitig den etwas benommenen Storm stützte, wankte nun zu ihnen herüber. Kevin hielt die bewusstlose Victoria still an sich gepresst und beobachtete das Geschehen betrübt aus einiger Entfernung. Seine Hand strich unbewusst über das pechschwarze Haar der schönen Telepathin. "Muss...zeigen...muss..." "Keine Angst. Alles ist gut. Du musst dir keine Sorgen machen, du hast deine Aufgabe erfüllt. Wir können uns in dem Inneren der Ruinen selber ansehen, was du uns sagen wolltest, es ist nicht nötigt, dass du uns führst. Ruhe dich einfach aus..." Dunkan sprach die Worte gelassen, auch wenn in seinen Augen deutlich Mitleid stand. Er wusste genau wie alle anderen Lancelor und wie Sabiduría selbst, dass es mit dem Shetan zu Ende ging. Er zog eine kleine Glasphiole, gefüllt mit roter Flüssigkeit, aus seiner Weste und beugte sich zu dem Verletzten herab. "Hier, trink das. Es wird deine Schmerzen etwas mildern..." Er ließ die Flüssigkeit in Sabidurías Mund tropfen, doch anstatt es zu schlucken, spuckte der Shetan es sofort wieder aus. "Nicht... Muss... zeigen..." Wieder versuchte der Alte sich aufzurappeln, wieder erfolglos. "Muss...Muss..." "Was ist los, Sabiduría? Was hast du?" "Muss..." Erschöpft und matt bewegte er seinen zitternden Arm ein wenig, so dass er auf die Tür deutete, zu der er Zeliarina und Dymeon führen wollte. Obwohl er sie bereits vor Assessinas Erscheinen mit einer merkwürdigen Geste geöffnet hatte, war sie nun wieder geschlossen. "Offen... nur...durch mich... muss..." "Wenn Victoria nur bei Bewusstsein wäre, damit sie seine Gedanken lesen könnte", meinte Storm mit einem nachdenklichen Blick zu der Telepathin, die in Kevins Armen schlief. Dunkan schüttelte den Kopf. "Sie ist nur knapp dem Tode entkommen und wird sich nicht so einfach wecken lassen... Beinahe hätte das Aramea ihren schlimmsten Feind entfesselt..." "Er will sagen, dass sich die Tür ohne ihn nicht öffnen lässt", erklärte Titus McCain, der plötzlich aus dem Vorraum trat. Er war sehr blass im Gesicht und sah aus, als wäre ihm furchtbar schlecht. Er war eben kein Kämpfer. Die Schlacht gegen Assessina mit den Toxinklauen und ihrem Götterschwert Azuransas hatte ihn vermutlich sehr verstört. "Die Tür ist basierend auf einer alten Art der Shetan-Magie. Sabiduría ist so etwas wie ein Wächter, der dafür da ist sie zu öffnen. Ohne ihn kommen wir da niemals rein." "Blödsinn!", stieß Storm hervor. Blitzschnell hatte er seine Pistole wieder in der Hand und schoss auf die sandgelbe, kreisrunde Tür. Die Kugeln prallten davon ab wie Wassertropfen. McCain seufzte resignierend. "Siehst du? Das will uns Sabiduría klar machen." "Aber er hat gesagt, hinter dieser Tür liegen Antworten! Hinter dieser Tür finden wir neue Hoffnung für den Kampf! Es kann nicht sein, dass es an ein bisschen Magie und Gestein scheitert, nachdem wir eine der Schattenklingen bezwungen haben!" Wütend fing Storm an mit bloßer Faust auf die Tür einzuhämmern, immer und immer wieder, bis seine Hände voll von Kratzern und blutigen Schrammen waren. "Das kann nicht sein! Das darf nicht sein!" "Muss...zeigen...", flüsterte Sabiduría wieder, diesmal so leise, dass nur Zeliarina es verstehen konnte. Die Donnerhexe beugte sich ein Stück zu ihm herab, um kein Wort zu verpassen. "Muss...zeigen...dir...zeigen..." "Mir?" Der Shetan machte eine knappe Bewegung mit seinem Kopf, die man als ein Nicken deuten konnte. "Dir...zeigen... muss...zeigen... In der Illusag..." Seine gequälten Worte wurden von einem Hustenkrampf beendet, der weiteres Blut aus seinem Mund hervorbrachte. Niemand außer Zeliarina bemerkte, dass Sabiduría noch dermaßen danach rang ihnen etwas mitzuteilen. Die Lancelor waren gefangen in einer Art Paralyse, ausgelöst von der Mutlosigkeit und der Verzweiflung, die eine einfache Tür in ihnen ausgelöst hatte. Storm, inzwischen auf die Knie gesackt, hämmerte immer noch halbherzig auf das gelbe Gestein ein, während sich Dunkan und McCain an die Wand gesetzt hatten und ins Leere starrten. Dymeon kämpfte mit seinem Aramea-Entzug, bekam das Problem jedoch nur allmählich unter Kontrolle. "Illusag?", wisperte Zeliarina verstört. Selbst sie, eine Lancelorin niedrigen Ranges, hatte von diesem Ort so oft gehört, dass sie nicht einen Augenblick darüber nachdenken musste. Sie sprach den Namen nur als Frage aus, weil sie nicht begreifen konnte was Sabiduría ihr anbot. "Die Illusag ist eine Zwischenebene der Realität. Dort gehen wir hin, wenn wir träumen. Es ist der Ort der Illusion, der Irrealität. Viele von uns ziehen ihre übernatürlichen Kräfte aus ihr..." "Ja...", keuchte der Shetan zustimmend. "Doch wie kannst du mir dort etwas zeigen? In meinen Träumen? Man kann nicht einfach in die Illusag gelangen, sie ist eine Zwischenwelt, ein Paralleluniversum, dicht verwoben mit der Realität. Selbst ich weiß, dass man nur als Traumwandler oder Prophet einen kurzen Einblick in diese Sphäre gewinnen kann..." Nach einem kurzen Blick in Sabidurías dunkle, endlos weise Augen, die wirklich alles zu wissen schienen, fügte sie noch kleinlaut hinzu: "Oder?" Der Shetan zwang sich wieder zu der kaum erkennbaren Nickbewegung und öffnete seine blutbesudelten Lippen. "Ich...kann...dir zeigen... Willst du?" Zeliarina biss sich unbehaglich auf die Unterlippe. Sie sah sich Hilfe suchend nach den anderen Lancelor um, doch anstatt aufmunternde Gesichter zu erblicken, starrte sie nur in die Antlitze hoffnungsloser Menschen. Sie brauchten neue Hoffnung. Und wenn Sabiduría die Wahrheit sprach, woran Zeliarina nicht zweifelte, dann konnte er ihnen diese geben. Trotzdem zögerte sie aus gutem Grund, denn man wandelte in der Illusag auf einem schmalen Pfad zwischen Leben und Tod. Propheten und Traumwandler, die einen Einblick in die Zwischenwelt gewannen, konnten leicht verloren gehen. Sie wurden verrückt, verwirrt, manchmal sogar seelenlos. Die Bilder der Illusag konnten so unnatürlich sein, dass es einen für immer prägte. "Willst...du?" Zeliarina wusste, dass sie nicht viel Zeit hatte. In jeder Sekunde floss mehr Blut und somit das Leben aus Sabiduría. Wenn sie noch lange zögerte, gäbe es so oder so keine Möglichkeit mehr, dass der Shetan sie in die Illusag führte. Doch konnte sie es wagen? Sollte sie nicht erst die anderen Lancelor fragen, alles in Ruhe beraten? Die Hexe wollte sich schon abwenden und Dunkan oder Storm rufen, doch Sabiduría griff überraschend kraftvoll nach ihrer Hand. "Keine Zeit..." Zeliarina hockte unschlüssig da. Ihre grünen Augen wanderten immer wieder herüber zu Dymeon, zu Storm, zu Dunkan, Kevin und Victoria. Doch sie konnten ihr die Entscheidung nicht abnehmen. Sie konnten sich nicht schon wieder schützend vor sie stellen, während sie im Hintergrund blieb. Dieses Mal war es ihre alleinige Aufgabe den Orden voranzubringen. "Kannst du...Kannst du mir versprechen, dass ich in der Illusag etwas finden kann, was der Menschheit und den Lancelor neue Hoffnung schenkt? Gibt es dort Antworten? Werde ich einen anderen Weg finden, als mich mein Leben lang zu verstecken und mich zu verteidigen?" Sabiduría nickte schwach. "Wenn...du es... wirklich... willst..." "Nun gut... Bringe mich dorthin", murmelte Zeliarina seufzend. Sabiduría hob verzweifelt seinen Arm und versuchte Thundenstars Wächterin mit der Hand zu berühren, doch sein Körper war erschöpft. Sanft half sie ihm, indem sie seine Hand ergriff und langsam zu ihrem Gesicht führte. Sabiduría bedankte sich mit einem verzerrten Lächeln, während seine Finger die blonden Haare von ihrer blassen Stirn schoben und komplizierte Zeichen darauf nachfuhren. "Finde deine Antwort, Trägerin der Sieben..." Dymeon und die anderen bemerkten wohl erst, dass etwas Außergewöhnliches vorging, als ich aufschrie und hintenüber zu Boden fiel. Zumindest sagten sie es im Nachhinein so. Ich nahm bereits nichts mehr wahr, als Sabiduría meine Stirn zum ersten Mal berührte. Ein eisiger Hauch ging von seinen Fingerkuppen aus und breitete sich fächerförmig über meine Stirn und mein Gesicht aus. Ich fühlte ein schmerzhaftes Ziehen in meinem Hinterkopf, gefolgt von einem Brennen, ehe alles wieder taub vor Kälte wurde. Ich wurde nicht bewusstlos, doch ich befand mich auch nicht mehr in den Ruinen von Tradan, sondern ging durch einen Tunnel aus nie gesehenen Farben, Bildern und Erinnerungen. Alles wirkte versetzt, als habe sich die gesamte Welt um mich herum verschoben. Nichts war mehr wirklich, alles nur noch ,anders'. Es gab kein Zeitgefühl mehr oder ein Gefühl für irdische Dinge oder physikalische Gesetze. Ich hätte einen Ball loslassen können und er wäre vielleicht nach oben gefallen. Es... es ist schwer die Geschehnisse in der Illusag zu beschreiben. Vielleicht ist es das Beste, sie in einem Wort zusammenzufassen: Sie waren ein ,Wunder'... Doch während ich erstaunt in der Illusag angekommen war, geschahen in der wirklichen Welt Dinge, an die ich in all meiner Faszination gar nicht dachte: Meine Freunde machten sich Sorgen. Und nicht umsonst, denn mein Leben schwebte jetzt genau wie bei jedem Traumwandler an einem dünnen seidenen Faden... "Zeliarina! Wach auf! Verdammt noch mal, wach auf!" Storm schüttelte den leblosen Körper der jungen Donnerhexe schon ein oder zwei Minuten, doch von ihr kam kein Lebenszeichen. Die Lancelor wussten nicht was vorgefallen war. Zeliarina war einfach mit einem erstickten Schrei zu Boden gesunken. Sabiduría schien ihnen noch kurz erklären zu wollen, was das alles zu bedeuten hatte, doch er hauchte kaum dreißig Sekunden später sein Leben aus. "Sie muss doch verdammt noch mal aufwachen!", rief Storm in schrecklicher Angst. Dunkan hatte ihr bereits seine rote, gesundheitsfördernde Flüssigkeit verabreicht, doch das hatte nichts genutzt. Auch alle anderen Weckversuche scheiterten. "Was ist passiert? Assessina war es nicht, die ist tot!", schrie Storm weiter. Er hatte der Dämonin sofort nach Zeliarinas mysteriösem Schlaf einen brutalen, aber notwendigen Kopfschuss verpasst, um sicherzugehen, dass sie nicht nur so tat, als würde sie besiegt sein. "Wir hätten dem Shetan nicht vertrauen sollen!" Dymeon wankte heran. Schwarzes Blut klebte an seinem dunklen Mantel, doch die Wunde hatte sich endlich mit schließendem Schorf verklebt. Auch das Aramea schien langsam wieder im Körper des Dämons zu zirkulieren. Seine unergründlichen Augen blickten zu Zeliarina herab und entdeckten geöffnete Augen, die mit einem merkwürdigen Nebel verschleiert schienen, so dass man kaum die Pupillen erkennen konnte. Trotzdem pulsierte ihr Herz völlig gleichmäßig und ruhig. "Er hat ihren Geist zur Illusag geführt, der Traumebene", erkannte der Dämon plötzlich. Die Lancelor sahen ihn verständnislos an. "Das ist Wahnsinn", hauchte McCain fassungslos. "Sie kann nicht gewusst haben, was es mit dieser Ebene auf sich hat! Das ist ein Tanz mit dem Feuer! Vielleicht kommt sie nie mehr zurück! Vielleicht findet sie nicht zurück!" "Sie kann nicht zurückfinden...", knurrte Storm, "Sie ist nicht vertraut mit der Illurag. Sie hat den Weg dorthin nur gefunden, weil sie Sabiduría als Führer hatte. Doch nun ist er tot und sie ist allein. Wer soll sie jetzt zurückholen?" "Wir müssen zurück nach Falcaniar", bestimmte Dunkan hart. Er wirkte genau wie Storm niedergeschlagen und hoffnungsloser denn je, versuchte jedoch wenigstens ein wenig Ordnung in die Gruppe zu bringen. "Vielleicht weiß Doc Fossil ein Mittel. Oder irgendein Traumwandler unseres Ordens..." Der Palas wirkte nicht wirklich überzeugt. Storm und Dymeon auch nicht, denn sie schüttelten gleichzeitig die Köpfe, als wäre Dunkans Aussage lächerlich. Ungeachtet seiner Kameraden hievte sich Dunkan Zeliarina über die Schulter. Seine Rippen schienen ihm bereits keine Probleme mehr zu machen. "Gott sei Dank hält sie wenigstens wieder Thundenstar fest..." Tatsächlich klammerten sich die blassen schlanken Finger der Donnerhexe verzweifelt um den Ledergriff der Götterklinge, als wüsste sie selbst im Schlaf, dass es sonst schutzlos in den Ruinen von Tradan bleiben müsste. "Was machen wir mit dem anderen Götterschwert?", fragte Kevin in die Runde, während er sich ebenfalls erhob. Er schien Azuransas, die blaue Sonne, in all dem Durcheinander als Einziger nicht vergessen zu haben. Victoria lag noch immer in seinen Armen. Ihre schwarzen Strähnen hingen weich über den Armen des Elementaren. "Wir können es doch nicht hier lassen..." "Natürlich nicht", stimmte Dunkan zu. Er sah sich einen Augenblick unschlüssig um, dann deutete er mit einem erschöpften Nicken auf Dymeon. "Ich weiß nicht, was das Oberhaupt beschließen wird", begann er vorsichtig, "Doch da du uns bis hierher so selbstlos geholfen hast und außer Zeliarina und dir eh keiner von uns mächtig genug ist, um es langfristig zu tragen, sollst du es vorläufig an dich nehmen..." Dymeon zögerte lange. Doch nach einem Blick in all die zustimmenden Gesichter der Lancelor, ging er langsam zurück zu dem Schwert und hob es auf. Die blaue Klinge, die nach dem Kampf gegen Assessina erloschen war, begann sofort hell aufzuleuchten, um seinen neuen Besitzer zu begrüßen. "Was für eine Ironie... Bei dem Däezander sollte ich einst eine Schattenklinge werden, einer der Dämonen, der ein Götterschwert besitzt. Nun trage ich tatsächlich eines von ihnen, kämpfe jedoch für die Lancelor..." "Du bist bei uns immer willkommen, Dymeon", sagte Dunkan ehrlich. "Ich danke euch für dieses Vertrauen... Ich werde es nicht enttäuschen..." Dymeons schwarze, ungepflegte Haare fielen trotz des blutroten Stirnbands über seine Augen, so dass die Lancelor seinen Gesichtsausdruck nicht richtig erkennen konnten. Doch ein schmales, glückliches Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab... Die Freude über den Gewinn Azuransas' verblasste bei den Lancelor schnell, als ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich und Victoria fiel. Wir waren beide bewusstlos, schwer verletzt und schwebten lange Zeit am Rande des Todes, selbst dann noch als wir uns bereits wieder in Falcaniar befanden und von Doc Fossil professionell behandelt wurden. Die Sorge um mich, die Wächterin Thundenstars, und Victoria, eine mächtige Kämpferin des Ordens, hing über den Mitgliedern der Lancelor wie ein dunkler Schatten. Vor allem Kevin schien von den Ereignissen schwer gezeichnet. Tag und Nacht wachte er an unseren Betten... Der abnehmende Mond schien silbern in das Krankenzimmer der Lancelor-Festung Falcaniar und fiel auf die schlafenden Gesichter von zwei Mädchen. Eines von ihnen hatte schulterlange, blonde Haare und grüne Augen, die unter den geschlossenen Lidern nicht zu erkennen waren. Ein halbes Dutzend Elektroden klebten an den wichtigsten Stellen ihrer Stirn, um ihre vom Illusag beeinflussten Gehirnströme beobachten zu können. Das andere Mädchen im Bett neben ihr war an viele verschiedene Geräte angeschlossen, die durch Schläuche mit ihrem Herzen verbunden waren. Ihre pechschwarzen, teilweise geflochtenen Haare breiteten sich auf ihrem Kissen aus. "Was für beschissene Weihnachten..." Kevin saß seufzend auf einem Stuhl an den Fußenden der beiden belegten Krankenbetten. Mit einer Hand warf er sich ein paar Sonnenblumenkerne in den Mund, die andere spielte mit der Fernbedienung seiner Musikanlage, die er aus seinem Zimmer mitgebracht hatte. Ruhige, für den Elementaren eher untypische Musik erfüllte den Raum. "Von wem ist das?" Kevin drehte sich zum Fenster. Dymeon saß auf einem der Fensterbretter, die Augen auf den Schnee gerichtet, der an diesem Tag wieder unaufhörlich vom Himmel fiel. Unter seinem Mantel strömte das blaue Licht Azuransas hervor, als hätte er eine Neonlampe unter seiner Kleidung versteckt. Der Dämon strich manchmal nachdenklich über das Götterschwert, nur um sich zu vergewissern, dass es noch da war. Kevin wusste nicht, ob es Dymeon wirklich gefiel vom Oberhaupt zum neuen Träger der blauen Sonne bestimmt worden zu sein, doch nach ihrer Ankunft vor zwei Tagen war es nötig gewesen Azuransas in größtmöglicher Sicherheit zu wissen. Jetzt da Zeliarina in der Illusag gefangen war, musste man den stärksten Kämpfer für das zweite Götterschwert der Lancelor erwählen. Das war nun einmal Dymeon. "Du meinst die Musik? Das ist eine gebrannte CD mit verschiedenen Musikern. Ich habe sie mir gemacht für Zeiten, in denen ich genug von meinem lauten Punk habe. Daher sind es alles ruhige Songs: Red Hot Chili Peppers, 3 Doors Down, Evanescence..." Kevin fing an die verschiedenen Musiker und Titel an den Fingern abzuzählen, doch Dymeon unterbrach ihn mit einem leisen, ein wenig tonlosen Lachen. "Das sagt mir alles nichts..." Kevin wirkte verlegen. "Ja, natürlich, tut mir Leid..." "Macht nichts...", erwiderte der Dämon leichthin, "Weißt du, vor der Zeit meines Schlafbanns habe ich mich sogar gelegentlich über die Musik auf dem Laufenden gehalten. Ich mag diese Art von Kunst der Menschen... Sie gibt Gefühlen eine Form, verleiht ihnen Ausdruck... Nach der Einsamkeit und Finsternis des Däezander hat sie mir immer gut getan..." Ein Song verebbte im Hintergrund und machte einem neuen Platz. "When I'm gone von 3 Doors Down", erklärte Kevin lächelnd. Eine Zeit lang hörten sie der Musik einfach nur still zu, während Victoria und Zeliarina gleichmäßig vor sich hin atmeten. Der Blick des Elementaren fiel dabei immer wieder auf die junge Telepathin, ihr schwarzes Haar, ihre weiße Haut und ihr zierliches, friedliches Gesicht. "Wann sie wohl aufwacht? Sie schläft schon seit über einem Tag..." "Es stand schlimmer um sie, als du vielleicht geglaubt hast. Assessina hätte beinahe etwas in ihr geweckt, gegen das sie bereits seit Ewigkeiten ankämpft... Ihr Körper ist einfach nur überbelastet." Kevin seufzte wieder und aß noch ein paar Sonnenblumenkerne. Nach einem kurzen Blick auf Dymeon warf er dem Dämon die Tüte zu. "Wir war das bei euch mit Essen? Nur aus Vergnügen richtig? Probier die, ich nehme sie auch nur zur Beruhigung..." Skeptisch griff Dymeon nach ein paar Sonnenblumenkernen und zerkaute sie langsam in seinem Mund. Er wandte den Blick immer noch nicht vom dichten Schneetreiben ab, doch Kevin konnte seine Reflexion im blausilbern beschienen Fensterglas sehen. "Schmeckt gut", meinte der Dämon irgendwann mit einer ungewöhnlichen Betonung auf dem Wort ,Schmecken', die klar machte, dass er es nicht oft in den Mund nahm. Er gab Kevin die Tüte mit den Sonnenblumenkernen zurück. Kevin grinste zufrieden, dann fiel sein Blick zurück auf die beiden Mädchen. "Was geschieht jetzt mit Zeliarina? Victoria wird irgendwann wieder aufwachen, sie dagegen könnte nach einiger Zeit in der Illusag zu Grunde gehen...", murmelte Kevin betroffen, auch wenn seine Augen dabei nicht von Victoria weichen wollten. Dymeon seufzte und legte eine Wange matt an die Fensterscheibe. Das Glas war kalt. "Der Orden arbeitet rund um die Uhr, damit die Lancelor eine Lösung finden, doch es gab noch nie jemanden, dessen Führer in die Illusag während des Aufenthalts dort gestorben ist. Das ist so als würdest du jemanden in einen riesigen Wald führen und dann wegrennen, um ihn ganz alleine zu lassen..." "Haben wir Ordensmitglieder, die sich mit der Traumebene auskennen?" "Ein paar schon, aber die meisten sind nur Anwärter oder Unerfahrene. Sie können uns nicht weiterhelfen. Ich persönlich hoffe, dass Victoria einen Einblick in Zeliarinas Gedanken gewinnen kann. Vielleicht bringt uns das irgendwie etwas..." "Dazu müsste sie erstmal aufwachen...", flüsterte Kevin traurig. "Dazu müsste sie erstmal aufwachen", stimmte Dymeon zu. Die Beiden verfielen wieder in Schweigen und lauschten der beruhigenden Musik, die gemächlich im Raum lag. Kevin fühlte sich nach jedem Lied müder als vorher. Die beleuchteten Zahlen seiner elektronischen Armbanduhr zeigten ihm, dass es bereits halb vier am Morgen war, doch er dachte nicht daran schlafen zu gehen. Genau wie Dymeon würde er über die beiden Mädchen wachen. Plötzlich hörte Kevin ein schwächliches und zähes Stöhnen, so leise, dass er sich im ersten Augenblick gar nicht sicher sein konnte es tatsächlich wahrgenommen zu haben. Doch kurz darauf bewegte sich Victorias Decke und ihr blasses, von schwarzen Haaren umrahmtes Gesicht kam zum Vorschein. Ihre eisblauen Augen wirkten im Schein Azuransas' etwas dunkler und nicht ganz so distanziert. Kevin fand, dass die Telepathin noch schöner aussah als sonst, besonders mit dem leicht verwirrten Gesichtsausdruck, den sie aufsetzte. Selbst dieses winzige Anzeichen von Gefühl, das bei jedem anderen Menschen völlig normal gewesen wäre, schien bei ihr etwas Seltenes, Wundervolles zu sein, das man sich in Erinnerung behalten musste. Victoria betrachtete Kevin skeptisch und dem Elementaren wurde schlagartig wieder bewusst, dass sie seine Gedanken lesen konnte. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und grinste unsicher. "Endlich bist du wach... Wie geht es dir?" "Was ist geschehen?", fragte Victoria, als hätte sie Kevins Worte gar nicht mitbekommen. Sie blickte Dymeon ausdruckslos an und schaute in seine dunklen Augen, die sich bei ihrem Erwachen endlich von dem draußen fallenden Schnee gelöst hatten. Eine Zeit lange kreuzten sich so ihre starren Blicke, ehe Victoria in das Bett neben ihr sah. Zeliarina schlief still darin, die Stirn voll mit weißen Elektroden, die die daran angeschlossenen Geräte zum Piepsen brachten. "Zeliarina...in der Illusag? Assessina besiegt? Azuransas in unserer Hand?" Sie schaute zu Kevin auf, als brauchte sie von ihm die Bestätigung, dass sie Dymeons Gedanken richtig gelesen und somit die vorgefallenen Ereignisse wahrheitsgetreu mitbekommen hatte. Kevin nickte nur. "Das ist schlimm... sehr schlimm... Wie kann man jemanden zurückholen, der unvorbereitet in der Illusag gestrandet ist, führerlos, erfahrungslos? Haben wir einen Lancelor, der Traumwandler ist?" Victorias Stimme hatte wieder ihren alten, emotionslosen Ton angenommen. Kevin fragte sich, wieso sie nach Assessinas Attacke so gefühlsgeladen war, doch er unterdrückt vorerst den Wunsch danach zu fragen. Dymeon strich sich nachdenklich ein paar schwarze Haare aus dem Gesicht. "Es gibt einen vom vierten Rang, der die Illusag schon ab und zu mal besucht hat. Doch er hat Zeliarinas Geist nicht gefunden. Sowieso ist die Illusag kein Ort, den man einfach bereisen kann, um dann dort eine Person zu suchen. Das Ganze ist viel komplizierter..." "Also kann der Orden nicht helfen", fasste Victoria knapp zusammen. Kevin und Dymeon nickten langsam. Der Dämon strich ohne es zu merken über Azuransas und beobachtete Victoria aufmerksam. "Ich hatte gehofft du könntest Zeliarinas Gedanken lesen und darin irgendetwas finden, dass uns weiterhelfen wird..." "Ihre Gedanken sind leer", erwiderte Victoria sofort. War da Trauer in ihren Augen? Kevin betrachtete die Telepathin, doch er fand nichts, das auf eine Gefühlsregung hinwies. Sauer ertappte er sich, dass er ihr mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem eigentlichen Gespräch und konzentrierte sich wieder auf ihre Worte. Doch die Momente, in denen er ihren schlanken, zerbrechlichen Körper in den Armen gehalten hatte, wollten ihm nicht aus dem Kopf. "Zeliarinas Geist wandelt in der Illusag und bleibt dort für mich unerreichbar...", erzählte Victoria weiter, offenbar unbeeindruckt von Kevins Gedanken, die sie sicherlich mitbekam. Dymeon seufzte nur verstehend und ließ sich von dem Fensterbrett gleiten. "Nun, ich danke dir dennoch. Ruhe dich aus und nimm deine Medikamente... Ich muss euch einen Moment verlassen, es gibt wichtige Dinge, um die ich mich jetzt kümmern muss... Und befestigt einen Fänger am Fenster, nur zur Sicherheit..." Kevin nickte und verabschiedete sich freundlich von dem Dämon. Er spürte ein leichtes Ziehen in seiner Brust, denn die Tatsache, dass der Dämon im Gegensatz zu ihm offensichtlich von Victorias Problemen wusste, wurmte ihn. "Ich habe es ihm nicht erzählt. Er ist ein Dämon, er hat es erspürt", antwortete die Telepathin auf seine Gedanken, kaum dass Dymeon das Krankenzimmer verlassen hatte. Kevin fühlte sich erneut ertappt, doch Victoria wirkte nicht eingeschüchtert. Sie war einfach nur ruhig und emotionslos. Eine Weile lang verharrten die beiden schweigend und lauschten der Musik, bis Kevin es nicht mehr aushielt. Waren die leisen Klänge seiner selbst zusammengestellten Lieder vorhin noch beruhigend gewesen, so machten sie ihn jetzt irgendwie nervös. "Du solltest deine Medikamente nehmen, sowie Dymeon gesagt hat. Sie haben dir zwar hin und wieder so ein blaues Zeug gespritzt, doch Doc Fossil meinte, du musst so schnell wie möglich wieder anfangen die Kapseln zu nehmen." Victoria nickte kurz und griff sich an die Brust, doch sie trug nicht mehr ihre Lancelorkleidung, in der sich ihr Kapselfläschchen befand, sondern ein schlichtes, weißgraues Nachthemd mit dünnen Trägern. "Wo?" Hilfsbereit ging Kevin zu ihrem Nachtschränkchen und zauberte das Behältnis aus einer Schublade hervor. Er reichte es ihr grinsend. Victoria dankte ihm höflich, doch sie schien kurz zu zögern und sich die blauen Kapseln nur stumm anzusehen. Erst als Kevin sie fragend ansah, nahm sie zwei der Pillen und spülte sie schnell mit einem Schluck bereitstehendem Wasser hinunter. Dann schwiegen Telepathin und Elementarer wieder. "Was hat das Aramea mit dir gemacht?", fragte Kevin plötzlich. Er machte keine Anstalten sich zurück auf seinen Stuhl zu setzen, sondern blieb einfach neben ihrem Bett stehen. "Ich weiß, dass Aramea nicht gut für den menschlichen Körper ist, doch niemand reagiert darauf so heftig..." "Es war mit Gift gemischt. Assessina ist nicht umsonst die Dämonin mit den Toxinklauen", antwortete Victoria knapp. Sie zeigte wieder keine Regung, doch Kevin erkannte trotzdem, dass sie ihm ausgewichen war. "Doch hauptsächlich war es Aramea... Und Assessina selbst hat gesagt, sie wolle schon immer einmal sehen, was geschieht wenn der Gefangene in deinem Herzen erwacht... Und auch Dymeon wusste etwas, dass ich nicht erkennen kann. Sagtest du nicht selbst, er hat es an dir gespürt, da er ein Dämon ist...?" Kevin war fast ein wenig stolz auf seine niederschmetternde Argumentation, doch sofort als er in Victorias eisblaue Augen sah, fühlte er sich deswegen schlecht. Wie konnte er sich darüber freuen sie in die Ecke zu drängen? "Fühle dich nicht schuldig", meinte Victoria, nachdem sie seine Gedanken gelesen hatte. "Ich kann nur... Ich kann nur nicht darüber reden... Ich beneide dich, Kevin. Ich beneide dich wirklich..." "Wofür?" "Für dein Leben. Du kannst dich freuen, du kannst glücklich sein, traurig und ängstlich. Ich kann das alles nicht. Ich kann einfach keine richtigen Gefühle empfinden. Ich beneide dich sogar dafür, dass du vor Wut auf alles losgehst, was dir im Wege steht." Victoria versuchte über Kevins unbeholfenes Gesicht zu lächeln, doch irgendetwas in ihr blockierte. Sie konnte nur dasitzen und zugucken, wie der Elementare nach ihrer Hand griff und sie sanft mit seinen Fingern umschloss. "Aber das kannst du auch! Jeder Mensch kann das!" Regungslos betrachtete Victoria Kevins Hand. Sein Daumen strich verhalten über ihre weiße Haut, doch sie spürte dabei einfach nichts, so wie es sein sollte. "Tut mir Leid, Kevin, doch ich kann dir nicht das geben, das du dir von mir wünschst. Ich habe dich gern, zumindest soweit mir das meine eingeschränkten Gefühle erlauben. Aber mehr ist da nicht. Selbst wenn ich es wollte..." Nicht grob, aber bestimmt entzog die Telepathin ihm ihre Hand. Kevin trat betrübt ein paar Schritte zurück und ließ sich schwer in den Stuhl zurückfallen. "Kannst du mir nicht von deinen Problemen erzählen?", versuchte er es noch einmal. Victoria schüttelte ruhig den Kopf und legte ihre Hände in den Schoß. "Ich wünschte ich könnte jetzt auch Gedanken lesen...", meinte Kevin leise lachend. Victoria schien es nicht lustig zu finden, doch wahrscheinlich würde sie auch keine Miene verziehen, wenn es so wäre. "Du würdest dich wundern, wie viele Menschen das denken. Doch Telepathin zu sein, ist nicht wirklich so toll, wie diese Leute sich das vorstellen..." Kevin hob verwirrt die Augenbrauen, kratzte sich nachdenklich am Kopf und grinste schließlich das Grinsen eines Geschlagenen. Wieder trat Schweigen ein. Keiner nahm mehr wirklich die traurige Musik im Hintergrund wahr, die wie aufs Stichwort einsetzte. Irgendwann mitten im Lied atmete Kevin einmal tief ein. "Ich... Ich hatte es in der Vergangenheit auch nicht leicht..." "Du musst nichts erzählen", bremste Victoria sofort, "Du weißt, ich kann es in deinen Gedanken lesen. Schon damals, als du mich auf dein Zimmer eingeladen hast, habe ich es gesehen." "Ich weiß. Doch ich möchte es dir persönlich erzählen... Denn ich vertraue dir. In Zeiten wie diesen müssen wir zusammenhalten..." Kevin lehnte sich in seinem Stuhl zurück und spielte an der Fernbedienung, um die ausgegangene Musikanlage wieder anzustellen. "Aufgewachsen bin ich in vielen verschiedenen Ländern, da mein Vater Schauspieler war und wir oft umziehen mussten. Fünf verschiedene Sprachen musste ich bereits lernen: Englisch, Spanisch, Koreanisch, Deutsch und Portugiesisch. Ich konnte keinen Ort wirklich mein Zuhause nennen." Er seufzte und hielt seine Hände vor sich, um sie zu betrachten. "Doch es gab noch einen Grund, warum wir ständig umzogen: Mich... Ich hatte meine Elementarkräfte, die stark an Emotionen gebunden sind, nie richtig im Griff. Oft kam es heraus, dass ich ,anders' war und die Menschen mieden uns. Meine ganze Familie litt sehr darunter, wir konnten selten länger als ein Jahr in einer Stadt bleiben..." Nachdenklich fuhr sich Kevin durch die weißen Haare und hielt eine Strähne zwischen Daumen und Zeigefinger vor sein Gesicht. "Weißes Haar", murmelte er, "bekommt man einer japanischen Legende nach, wenn man als Kind einen sehr emotionalen, starken Schock durchlebt. Meine Haare hatten früher die Farbe von Schokolade. Doch an meinem achten Geburtstag... an meinem achten Geburtstag..." Er suchte nach den richtigen Worten, doch sie schienen seinem Hirn entschlüpft zu sein. Erst als er Victoria wieder in die eisblauen, aufmerksamen Augen sah und Verständnis in ihnen entdeckte, redete er weiter. "Er war mein bester Freund. Wir haben uns gestritten, wegen irgendetwas ganz Banalem. Ich wollte meine Wut wirklich unterdrücken, denn ich wusste, was dann passieren konnte. Doch es ging einfach nicht. Alles fing an zu brennen. Mein Freund stand im Feuer, beinahe wäre er gestorben. Seine Brandnarben sind nie ganz verheilt. Ich habe sie kurz nach dem Zwischenfall gesehen. Sie färbten meine Haare weiß..." Lautlos glitt Victoria aus ihrem Bett und tapste mit nackten Füßen zu ihm herüber, um ihn wortlos von hinten zu umarmen. "Das tut mir Leid." Ihre Stimme klang monoton, doch Kevin wusste, dass sie es ehrlich meinte. Dankbar berührte er ihre Arme. Für einen Moment war es egal, dass die Beiden in ihrem Leben bereits schreckliche Dinge erlebt hatten und dass Victoria noch immer etwas verheimlichte. Kevin wusste, die Telepathin begann ihm zu vertrauen und würde irgendwann vielleicht aus eigenem Antrieb hinaus zu ihm kommen, um von ihrem Unfall zu erzählen. Und solange das auch noch dauern mochte, er würde warten können. "Danke", hauchte Victoria ehrlich. Sie drückte sich noch etwas mehr an ihn und legte ihr Kinn auf seine Schulter. Unbeholfen erwiderte Kevin das Danke, auch wenn Victoria nicht wirklich wusste warum. Und zum ersten Mal schien der Elementare auch ihre Gedanken erraten zu können. "Danke dafür, dass du jetzt hier bist. Dafür, dass ich dich treffen durfte. Du, Dunkan, Zeliarina, ihr alle seid mein Zuhause, nach dem ich schon so lange gesucht habe... Und für euch würde ich alles tun. Ich würde für euch bis in die Hölle gehen..." Kevin kannte viele Menschen, die diese Worte sagten, ohne ihnen wirklich bewusst zu sein. Doch er meinte alles genauso, wie er es sagte. Für die Lancelor würde er durch die Hölle gehen, er würde gegen jeden Hochdämon kämpfen, er würde die Zuflucht des Däezander betreten, er würde alles ertragen, was ihm im Kampf um die Götterschwerter noch bevor stand. Victoria rührte sich nicht, doch der Elementare spürte ihr weiches, schwarzes Haar auf seiner Schulter. Und er wusste, er hatte sein Zuhause gefunden. Und er würde es niemals aufgeben... Kapitel 13: Interludium I ------------------------- Interludium I Zeliarina stand im Nichts. Um sie herum war nur endloses, ewiges Grau. Es gab keinen Boden, keine Decke und auch keinen Horizont, sondern einfach nur diese graue Farbe, die überall den gleichen Farbton vorwies. Zeliarina lief ein paar Schritte, doch es veränderte sich rein gar nichts, als hätte sie sich nie bewegt. Verwirrt suchte sie nach irgendetwas Besonderem, irgendeine der vielen Farben, die sie vorher gesehen hatte. Doch da war einfach nur das Nichts. Plötzlich veränderte sich die Umgebung. Ein schwarzer Schatten, ihr schwarzer Schatten, breitete sich aus und kroch über das endlose Grau, bis es zu einer ebenso endlosen Dunkelheit geworden war. Ein junger Mann mit purpurfarbenen Augen stand vor ihr. "Die Welt wird untergehen... Du kannst nichts tun..." Obwohl er aussah wie Ereos, hörte sich seine Stimme nach der Melissas an. Tränenblind und von plötzlicher, unbegreiflicher Wut gepackt stürmte Zeliarina auf den Dämon zu und stieß im Thundenstar in den Leib. Schwarzes Blut besprenkelte den Boden und bildete eine riesige Pfütze, die noch dunkler war als die Umgebung und mit einem Rauschen Zeliarinas Füße umspülte. "Du wirst die Welt nicht retten...Schwarze Hexe..." Innerhalb eines Wimpernschlages stand plötzlich Dymeon an Ereos' Stelle und klammerte seine besudelten Hände an Thundenstars Griff, der aus seinem Körper ragte. Mit fassungslosen Augen starrte er die Wächterin des Götterschwertes an, während das Blut weiter lief und bis an Zeliarinas Waden stieg. "Wieso? Wieso tust du das? Erkennst du denn die Wahrheit nicht?" Zeliarina wollte antworten, doch Dymeons Körper löste sich plötzlich in unzählige Raben auf, die ihr kreischend entgegen flogen und sie mit ihren scharfen Schnäbeln hackten. Zeliarina versuchte sie vergeblich weg zu schlagen, während das Geschrei in ihren Ohren widerhallte wie Jubelrufe. Schließlich verlor sie unter sich den Halt und stürzte verstört in die gewaltige Blutpfütze zu ihren Füßen. Die schwarzrote Flüssigkeit schlug über ihrem Kopf zusammen, schien auf einmal tief wie ein Meer. Zeliarina strampelte und versuchte an die Oberfläche zu gelangen, doch es gab einfach keine. Das Blut brannte in ihren grünen Augen, die verzweifelt nach einem Lichtschein suchten, ihn aber einfach nicht fanden. Die Luft wurde knapp. Schlagartig konnte sie wieder atmen. Das Blutmeer war weg, ersetzt von einem einsamen, hölzernen Pflock. Grobe Seile schlängelten sich aus der Dunkelheit heran, verknoteten ihre Arme und Beine an den Mast. Menschen standen um sie herum, brüllend, ihren Tod erwartend. "Schwarze Hexe! Schwarze Hexe! Schwarze Hexe!" Auch die Raben waren wieder da und stimmten mit krächzenden, menschlichen Stimmen in den Singsang ein. Zeliarina fühlte den gleichen Hass wie gegen Ereos. Spielend riss sie ihre Hände frei, als wären ihre Fesseln nur Spaghetti, griff nach Thundenstar, das wie auf Kommando vor ihr in den Luft schwebte, und schwang es einmal. Alles Menschen fielen, alle Raben fielen. Nur Ereos stand wieder da, lachte Zeliarina aus, verhöhnte sie, verspottete sie. Zeliarina ließ Thundenstar fallen, als hätte sie sich verbrannt und schrie. "Nein!" "Du rettest nicht die Welt! Nein, du rettest sicher nicht die Welt, Schwarze Hexe! Das ist die Wahrheit, die du noch früh genug erkennen wirst!" Ereos verschwand, die Dunkelheit verschwand, die Raben und Menschen verschwanden. Wieder war Zeliarina alleine in dem endlosen Grau des Nichts... ---------------------------------------- Zeliarina wandelt leidend durch die Illusag... Dymeons Suche nach Rettung beginnt... Kapitel 14: Dymeons Suche: Auf offener Straße --------------------------------------------- Yo, da bin ich wieder mit nem neuen Kapitel und Interludium II. Endlich kommt Dymeons Soloauftritt, ich wollte schon lange, dass wieder etwas mehr Fokus auf ihn gelegt wird^^ Viel Spaß. ------------------------------------------------------ Kapitel XIII - Dymeons Suche: Auf offener Straße Als Dymeon wieder das Krankenzimmer betrat, fand er alles noch genauso vor wie er es verlassen hatte. Zeliarina schlief gefangen in der Illusag, während die Geräte, die mit Elektroden an ihrer Stirn angebracht waren, unaufhörlich und gleichmäßig piepsten. Im Bett daneben lag Victoria, erschöpft und im Gesicht weiß wie Marmor. Kevin saß wachend an ihrer Seite und hielt ihre zierliche Hand. Er sah nur kurz auf, als das Knarren der Tür Dymeons Erscheinen ankündigte. "Etwas Neues?", fragte der Elementare knapp. Dymeon blieb im Türrahmen stehen, so dass seine kräftige Gestalt das Licht aus dem Flur nur spärlich ins Zimmer scheinen ließ. "Ich habe mit John Dunkan und mit dem Oberhaupt des Ordens gesprochen. Beide haben mir für die Suche nach einem Ausweg aus unserer komplizierten Lage freie Hand gelassen. Ich darf alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, um Zeliarina wieder aus der Illusag zu holen...alle..." "Und hast du schon irgendeinen Plan?", fragte Kevin halbherzig. Wie zu erwarten schüttelte Dymeon langsam den Kopf, auch wenn in seinen Augen ein nachdenklicher Ausdruck lag, der nicht so ganz dazu passte. "Ich werde ein paar kleine Unterschlüpfe und Lager der Dämonen besuchen und die Unterwelt abklappern, doch ich mache mir nicht die falsche Hoffnung damit etwas erreichen zu können... Wenn das nicht klappt, werde ich jemanden aufsuchen, der uns vielleicht weiterhelfen kann..." "Gibt es tatsächlich jemanden?", erkundigte sich Kevin hoffnungsvoll, "Soll ich dich begleiten?" Erneut schüttelte Dymeon den Kopf, diesmal deutlich energischer. "Nein. Ich mache das alleine. Ich bin Zeliarinas Schutzritter, es war meine Aufgabe sie zu beschützen. Ich muss mein Versagen wieder gutmachen." Die Augen des Dämons verengten sich zu schmalen Schlitzen und betrachten den Elementaren plötzlich mit einer ungewohnten, eisigen Schärfe. "Außerdem kann ich dich nicht brauchen... Du beherrscht deine Kräfte nicht..." Kevin sprang erbost von seinem Stuhl auf, doch Victorias blasse Hand griff schnell nach seinem Arm und hielt ihn zurück. Als der Elementare sie verwirrt ansah, formte sie mit ihrem Mund wortlos das Wort ,nicht'. Widerwillig gehorchte er der Telepathin und setzte sich wieder hin, auch wenn er es sich nicht nehmen ließ Dymeon zornig hinterher zu schauen, als dieser das Krankenzimmer verließ. "Wieso hältst du mich zurück?", fragte er leise, kaum dass sie die Tür hinter dem Dämon geschlossen hatte. Victoria betrachtete weiter die Tür, als könne sie wie Melissa hindurch sehen und dadurch Dymeon weiter beobachten. "Er meinte es nicht böse... Ich habe es in seinen Gedanken gelesen. Er will dich nur nicht mit in das hineinziehen, zu dass er möglicherweise gezwungen sein könnte... Er will dich auf Abstand halten." "Tz, das könnte er doch einfach auch so sagen...", meinte Kevin, während er trotzig die Arme vor der Brust verschränkte. Victoria versuchte zu lächeln, doch ihr Gesicht blieb ausdruckslos. "Komm, wir sollten einen Fänger am Fenster anbringen..." Siviusson hatte Dunkans Zimmer vor mehreren Jahren das letzte Mal betreten und war erstaunt, dass es noch genauso aussah wie er es in Erinnerung hatte. Nur ein weiteres Regal und zahllose neue Holz- und Plastikbasteleien waren zu der Ausstattung hinzugekommen. Sie schienen zu verdeutlichen wie viel Zeit Dunkan in seinem Leben hatte. 159 Jahre... Siviusson wagte sich nicht vorzustellen was es bedeutete eine solch lange Zeitspanne auf der Erde zu verbringen, trauernd um eine Liebe, die bereits seit über einhundert Jahren tot war. Jeden Tag aufs Neue kämpfte er mit dieser Trauer im Herzen für das Glück der Menschheit, obwohl er selbst kein Glück erfahren durfte. Viele hielten Dunkans ,Blut der Macht' für ein Geschenk. Siviusson hielt es für eine Folter. "Die Neuankömmlinge sind da...", erklärte der kleine Norweger ruhig, während er in der Tür zum Zimmer des Palas stehen blieb. Dunkan saß auf seinem Drehstuhl, die gekreuzten Beine ausgestreckt auf dem Tisch, und las eine Zeitung mit aktuellem Datum. "Wie viele?" "Insgesamt dreizehn neue Begabte, davon sind sieben bereits gewillt Anwärter zu werden..." "Alter?", fragte der Palas knapp, ohne wirklich an den vorherigen Daten interessiert zu sein. Siviusson runzelte ein wenig verwundert die Stirn, antwortete jedoch anstandslos: "Die Jüngste ist gerade zehn geworden. Der Älteste ist einundzwanzig..." "Viel zu jung..." "Wir müssen uns auf den Kampf vorbereiten. Wir müssen alle verfügbaren Begabten ausbilden und zu Lancelor machen, um der wachsenden Dämonenarmee entgegenzuwirken...", gab Siviusson zu bedenken. Er versuchte einen Blick auf den Artikel zu werfen, den Dunkan zu lesen schien, doch von der Tür aus konnte er die Überschrift nicht richtig lesen. Dunkan seufzte leise und warf ihm die Zeitung von selbst zu. "Sieben weitere Vermisste in London, dreizehn in Berlin, neun bei Rom und sechsundzwanzig in den Staaten... Der Däezander schickt seine Sucher tatsächlich in der ganzen Welt aus... Wie sollen wir da mithalten? Die Dämonen nehmen sich Menschen und erschaffen mit deren Blut innerhalb von Stunden neue Artgenossen. Wir dagegen müssen die Begabten monatelang ausbilden, und selbst dann sind sie nur Grünschnäbel..." "Doch irgendwas müssen wir tun..." "Aber nicht auf Kosten von Kindern! Sie können nicht unseren Krieg führen! Sie sind zu jung, zu unerfahren, zu unreif! Sie werden nicht mehr als Kanonenfutter sein! Ich bin 159 Jahre alt, habe das Blut der Macht in mir und kenne den Däezander fast so gut wie Dymeon, doch selbst ich kann kaum etwas gegen die Dämonen tun!" "Dann sag mir was wir sonst tun sollen? Unsere Reihen werden immer schwächer und hoffnungsloser, Zeliarina ist in der Illusag gefangen und Dymeon, selbst ein Dämon, trägt im Falle ihres Todes das letzte Götterschwert! Jeden Monat klagen wir über Verluste, die wir nicht ersetzen können! Erfahrene Palas werden immer seltener! Und die verdammten Sammler können tun und lassen was sie wollen, weil wir nicht genug Männer haben um sie alle zu vernichten! Also sag mir gefälligst was wir tun können, außer unsere Reihen zu vergrößern?" "Dymeon und Zeliarina vertrauen..." "Und unser Schicksal damit in die Hände eines Dämons und eines fünfzehnjährigen Mädchens legen? Dymeon und Zeliarina! Dymeon und Zeliarina! Verstehe mich nicht falsch, ich vertraue Dymeon vollkommen, doch das kann man nicht von allen Lancelor weltweit behaupten. Einige wären immer noch zufriedener, wenn er aufgrund dieser Geschichte mit Pendrians Dorf in Excaliburs Bann geblieben wäre..." Siviusson sah, wie sich Dunkans Augenbrauen erhoben und der Palas zu einer gewaltigen Gegenrede ansetzen wollte, doch der Norweger ließ das erst gar nicht zu, sondern sprach unbeirrt weiter. "Und Zeliarina wacht vielleicht nie wieder auf. Ich war auch ihr Lehrer, ich weiß auch was für Kräfte in ihr schlummern, doch du hoffst, dass sie ein Wunder nach dem anderen vollbringt. Soll sie sich selbst aus der Illusag befreien? Soll sie selbst den ganzen Däezander bezwingen? Du musst endlich anfangen zu verstehen, dass sie ein Kind ist und nur den Namen der legendären Lichthexe trägt. Sie ist sie aber nicht!" Die Worte saßen. Siviusson fühlte sich schuldig, dass er Dunkans verstorbene Liebe ins Spiel bringen musste, doch nur so konnte er den Palas endlich überzeugen. Ohne ein weiteres Wort erhob er sich von seinem Stuhl und stellte sich gegenüber von Siviusson auf. "Dann zeig mir unsere neuen Schüler", meinte er mit getrübter Stimme. Siviusson nickte, doch bevor er das Zimmer verließ, fragte er noch: "Was ist mit..." "Dymeon kümmert sich darum", unterbrach Dunkan wissend, "Er schafft das schon..." Dymeon verließ Falcaniar noch am selben Tag, indem er sich von den Lancelor unbemerkt eines der Motorboote nahm und damit über die kalte, unruhige See fuhr. Obwohl England in einiger Entfernung lag, wusste der Dämon genau wohin er sein Boot zu steuern hatte, so dass sich schon bald die Küste in der Ferne abzeichnete und er den Hafen von Scarborough ohne Zwischenfälle erreichte. Von dort hielt er sich südlich, Richtung London. Obwohl die Hauptstadt Englands weit im Süden der großen Insel lag und sich Scarborough nahe der Grenze zu Schottland im Norden befand, hatte Dymeon auf die Transportmittel und Unterstützung der Lancelor verzichtet. Er ging zu Fuß. Als Dämon hatte er keine Schwierigkeiten damit rund um die Uhr schnell und lautlos zu rennen, doch die Strecke die vor ihm lag war selbst für Seinesgleichen zeitaufwendig. Mehrmals ging die Sonne auf und wieder unter, während Dymeon ununterbrochen lief, vorbei an kleineren Dörfern, belebten Städten, weiten Feldern und den Straßen und Autobahnen, die sich wie graue Adern durch das Land zogen. Erst am vierten Tag holte die Erschöpfung sogar den unermüdlichen Dämon ein, so dass er für einige Zeit im langsamen Gang am Rand einer zweispurigen Schnellstraße entlang wanderte. Das Aramea in seinem Körper war durch die körperliche Anstrengung ständig in Bewegung gewesen. Jetzt forderte es zumindest eine kurze Regenrationsdauer, ehe es wieder mit alter Stärke zirkulieren konnte. Dymeon verfluchte die erzwungene Pause. Der Gedanke an Zeliarina ließ den Dämon ungewöhnlich ungeduldig werden. Jede Pause war eine verschenkte Kostbarkeit, die er sich eigentlich nicht leisten durfte, wenn er Thundestars junge Wächterin rechtzeitig aus der Illusag befreien wollte. Er musste schnell weiter, doch sein Körper konnte nicht. Zähneknirschend und durchnässt vom bitterkalten Regen, der wie zum Spott plötzlich einsetzte, lief der Dämon weiter. Der Regen war noch weniger erträglich als Schnee, denn das kalte Wasser drang durch seine Kleidung und weichte diese vollkommen durch. Dämonen waren nicht sonderlich anfällig gegen Kälte, trotzdem zog Dymeon seinen Mantel enger um sich. "Soll ich dich mitnehmen?" Überrascht von der plötzlichen Stimme neben ihm wandte der Dämon seinen Kopf zur Seite. Eine junge Frau lächelte ihm gütig aus ihrem quietschorangefarbenen Golf zu, der trotz der Schnellstraße im Lauftempo neben ihm herfuhr. Dymeon war einen Augenblick lang ehrlich verwundert von der offenen Hilfsbereitschaft dieser Frau und starrte sie einfach nur an, während er neben ihrem Auto herlief. Er wog seine Möglichkeiten ab: entweder einfach weiterzulaufen oder aber ihr Angebot anzunehmen und etwas Zeit zu sparen, während sich sein Aramea sammeln konnte. "Ja...Vielen Dank." "Hüpf rein." Die Frau öffnete ohne zu zögern die Verriegelung der Beifahrertür und ließ Dymeon einsteigen. Obwohl der Dämon völlig verwildert in strömendem Regen an der Straße entlang gelaufen war und nun mit seinen nassen, schwarzen Haaren, die ihm tief ins Gesicht hingen, sicherlich einen ziemlich unheimlichen Anblick bot, machte sie sich keine Sorgen. Pfeifend beschleunigte sie ihren Wagen auf ein angemessenes Tempo, während sie gleichzeitig eine CD einlegte. Fröhliche Westernmusik, die so gar nicht zu dem sintflutartigen Regen passte, erfüllte das Auto. "Wohin willst du?" "London." Dymeon hielt seine Antwort knapp und sah sich nur flüchtig in dem orangefarbenen Golf um. Mehrere Country-CDs lagen auf dem Rücksitz neben einem schokoladenbeschmierten Babysitz, leere oder angefangene Fruchtgummitüten stapelten sich auf dem Armaturenbrett. Die junge Fahrerin verstand Dymeons untersuchenden Blick falsch und bot ihm von den Süßigkeiten an, doch er lehnte sie mit einem Kopfschütteln ab. Sein Blick wanderte dabei weiter über das geöffnete Handschuhfach, das gefüllt war mit Familienfotos, Energiedrink-Flaschen und einem einziehbaren Regenschirm. Ein Duftbäumchen pendelte am Rand seines Blickfeldes hin und her und verbreitete einen schwachen Duft von Pfirsich und Maracuja, der zusammen mit der Musik gemütliche Atmosphäre schaffte. "Bist du ohne Gepäck und zu Fuß nach London unterwegs?" Sie lachte über diese Vorstellung. "Da hättest du aber noch eine ganze Weile laufen müssen. Warum trampst du nicht, obwohl du noch solch eine Entfernung zurücklegen musst?" "Warum hältst du bei mir, obwohl ich nicht trampe? Hast du keine Angst, dass dir etwas passieren könnte, dass ein Verbrecher in dein Auto steigt?", stellte Dymeon als Gegenfrage. Die Frau wirkte verdutzt, lächelte jedoch schnell wieder und wank leichtfertig mit der Hand ab. "Du wolltest ja gar nicht, dass jemand für dich anhält. Deswegen brauche ich keine Angst davor zu haben, dass du dich als Verbrecher entpuppst, der hilfsbereiten Menschen etwas antut..." Dymeon blickte ohne Erwiderung hinaus auf die Straße. Der Regen prasselte mit unveränderter Stärke auf die Frontscheibe, so dass man nur etwas erkennen konnte, weil die Scheibenwischer pausenlos arbeiteten und das Glas immer wieder vom Wasser befreiten. Die Fahrerin schien ihre eigentliche Frage vergessen zu haben und starrte eine Zeit lang schweigend wie ihr Begleiter nach vorne. Dann lächelte sie wieder. "Was willst du in London?" Ich will einen Weg finden, um eine fünfzehnjährige Hexe mit Donnerkräften und einem legendären Schwert, das die einzige Hoffnung der Menschen gegen die Dämonen darstellt, aus der mit der Realität verwobenen Traumebene zu befreien. Dazu muss ich in der Unterwelt Londons einige Dämonen aufspüren, ausfragen und vielleicht ihr Blut vergießen. Außerdem gibt es eine alte Freundin von mir, die ich als letzte Alternative besuchen muss... Der Gedanke hing eine Weile in Dymeons Kopf, doch er sprach ihn natürlich nicht aus. Er hatte keinen Grund eine Zivilistin einzuweihen. Um sie nicht zu beunruhigen antwortete er trotzdem auf ihre Frage, indem er sich etwas nahe Liegendes aussuchte: "Ich will eine alte Freundin besuchen..." ",Alte Freundin'? Du sprichst wie ein alter Mann, dabei bist du doch erst...19?" 134 Jahre... Doch für die Frau nickte er nur. Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile, wobei Dymeon nur hin und wieder etwas Gelogenes einwarf, während die Frau offenherzig von ihrem Leben und ihrer Familie erzählte. Dymeon erfuhr, dass sie Caroline hieß und einen zweijährigen Sohn hatte. Es fiel ihm schwer ihrer beruhigenden Stimme nicht mit ehrlichem Interesse zuzuhören. Etwas von dem Frieden und dem Glück ihres Lebens schien Dymeon vor Augen zu führen, was es bedeutete die Menschheit zu retten und ihren Krieg gegen die Dämonen zu beenden. Es bedeutete den Frieden eines jeden Menschen, so wie diese Frau einer war, zu bewahren. Die Erkenntnis wusch das viele Blut nicht von Dymeons Händen, doch sie machte es etwas erträglicher. Selbst als es bereits Nacht wurde und Caroline ihn schon viele Stunden und etliche Meilen näher an London gebracht hatte, unterhielten sich die beiden immer noch. "Glaubst du die Menschen sind böse?" Die Frage rutschte Dymeon völlig ohne Absicht über die Lippen. Er wusste nicht einmal warum er sie stellte. Caroline sah äußerst verwundert kurz von der Fahrbahn weg und betrachtete ihn eingehend. "Was ist das für eine Frage?" "Ich hatte eine sehr lange Zeit lang nicht sehr viel mit den Menschen..." Er stutzte und verbesserte sich schnell: "mit anderen Menschen zu tun... andere... Jedenfalls war ich dann, als ich doch mit ihnen konfrontiert wurde, gezwungen, Partei für sie zu ergreifen. Doch manchmal weiß ich nicht, ob das so richtig ist. Sind die Menschen gut...oder böse? Lohnt es sich sie zu schützen?" Die junge Frau dachte lange nach, ehe sie antwortete, denn offenbar war sie es nicht gewöhnt solch tief greifende Gespräche mit einem aufgegabelten Wanderer zu führen. "Du klingst wirklich wie ein alter Mann...oder wie jemand, der die Last der ganzen Welt auf den Schultern trägt..." Sie schmunzelte kurz, wurde jedoch schnell wieder ernst, weil sie bemerkte, wie wichtig das Thema für Dymeon war. "Das ist schwierig zu beantworten. Es gibt viele gute Menschen, voller Lebensfreude, voller Gefühl, Verständnis und Mitleid... Doch es gibt auch viele schlechte Eigenschaften, die Menschen prägen können: Jähzorn, Gier, Brutalität, Erbarmungslosigkeit... Einige Menschen sind wahre...Dämonen." Dymeons dunkle Augen trübten sich bei diesem Vergleich kurz. "Doch wenn du mich fragst, ob es sich lohnt Menschen zu schützen und ihnen zu helfen, so sage ich dir ja. Jeder einzelne Mensch mit seinen Gefühlen und Empfindungen ist viel wert. Er ist einzigartig. Er ist ein Wunder des Lebens und er ist es wert auf dieser Welt zu wandeln. Wenn du also jemals die Chance bekommst einem Menschen zu helfen, tue es mit all deiner Kraft. Stehe für deine Freunde ein, beschütze deine Liebsten..." Dymeon sah schweigend aus dem Fenster. Es hatte endlich aufgehört zu regnen und die Dunkelheit der Nacht wurde von den beiden Scheinwerfern des Autos auf einige Meter vertrieben. Häuser schnellten an ihnen vorbei. Jedes schien klein und bedeutungslos, zumindest solange bis man sich vor Augen hielt, dass jedes dieser Häuser mindestens ein Menschenleben enthielt, so nahe und wirklich wie das der Frau, die neben ihr saß, oder ihres Sohnes. "Danke..." "Du bist ein komischer Junge", stellte Caroline lächelnd fest. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. Als sie ihre Augen dann wieder auf die Straße richtete, stand dort plötzlich direkt vor ihrem Auto ein Mann. Schockiert trat sie das Bremspedal mit aufgerissenen Augen bis zum Anschlag durch und kurbelte hektisch an dem Lenkrad, um der Person auszuweichen. Die Hinterräder blockierten sofort, kamen mit quietschenden Reifen zum Rutschen und sorgten dafür, dass sich der Wagen um neunzig Grad drehte, so dass die Beifahrerseite nun haltlos auf den auf der Straße stehenden Mann zusteuerte. Dieser machte keine Anstalten zu fliehen. Im Gegenteil, er fing an zu grinsen und ballte seine Hände zu Fäusten. Gleichzeitig explodierte die Schwingung einer Dämonenaura so schlagartig, dass Dymeon sich fühlte als hätte man ihm einen Schlag verpasst. Von seinem Instinkt geleitet riss er den Sicherheitsgurt grob von seiner Schulter und baute sich so gut es ging vor Caroline auf. Der Mann auf der Straße, ohne Zweifel ein Dämon, hob seine geballte rechte Faust und schlug zu, gerade einen Augenblick ehe die Seite des Autos in ihn krachte. Der Schlag durchbrach das Metall der Seitentür mühelos und brachte den Wagen mit einem Ruck zum Stehen. Wahrscheinlich hätte er Carolines Schädel zersplittert, wenn Dymeon ihn nicht mit seiner flachen Hand abgeblockt hätte. "Was zum..." Caroline stammelte ein paar unverständliche Worte, während ihre Augen zwischen dem Mann, der den Wagen durchschlagen und ohne Verletzung zum Stillstand gebracht hatte, und Dymeon, der eben diesen Schlag spielend abgewehrt hatte, hin und her. Das Lächeln war von ihrem Gesicht gewischt. "Wer?", begann der aufgetauchte Dämon verwirrt, als er erkannte, dass seine übermenschliche Attacke geblockt worden war. Dann schien er plötzlich zu verstehen wen er vor sich hatte: er riss die Augen in einer merkwürdigen Mischung aus Angst und Abscheu auf und knurrte wie ein tollwütiger Hund. Dymeon schätzte die Situation in Bruchteilen von Sekunden ein, analysierte das Widererkennen in dem Blick des unbekannten Dämons und stieß Caroline mit einer schnellen Bewegung zur Tür heraus. Sie war kaum über den grauen Asphalt gerollt, als der Dämon auch schon anfing wild zu brüllen und beide Hände an die Unterkante des Autos zu legen. Das Metall knirschte unter dem Griff seiner dämonischen Klauen. Er schrie noch einmal mit aller Kraft, dann riss er die Arme mit dem Auto in die Höhe, so dass der orangefarbene Golf davon geschleudert wurde und nach einem Dutzend Überschlägen in einiger Entfernung zu Boden krachte. Carolines Fassungslosigkeit verwandelte sich in panische Angst. Der zerstörerische Dämon beobachtete die Trümmer des Wagens einen Augenblick lang atemlos, ehe er die vor Spannung angehaltene Luft erleichtert ausstieß. Dann fing er an zu lachen, voller Grausamkeit und Bosheit und einer sadistischen Freude und unendlicher Erleichterung. Im Hintergrund krachte ein silberner Renault mit voller Wucht in die Vorderfront des auf dem Rücken liegenden Golfs, dann auch noch ein nachtblauer Skoda, der nicht rechtzeitig bremsen konnte. Caroline stieß bei jedem neuerlichen Zusammenprall ein schwaches Wimmern von sich. Der Dämon lachte immer noch. "Blutträne ist tot! Blutträne ist tot! Ich habe Blutträne getötet! Ich habe ihn getötet! Ich ganz allein! Ich! Ich!" Erst ein plötzliches Knirschen in dem Haufen aus Autowracks ließ ihn schlagartig innehalten. Er sah sich misstrauisch um. Der Renault verlor an der Unterseite eine durchsichtige Flüssigkeit, die sich mit den am Skoda entstehenden Flammen verband und den Renault in Brand setzte, doch die Aufmerksamkeit des Dämons gehörte nicht dem Feuer. Dymeon schob sich aus einem zerbrochenen Fenster des Golfs wie der Schmetterling aus seinem Kokon. Tiefe Schnitte verunstalteten sein Gesicht und seine Kleidung und dunkles Blut lief ihm von Stirn und Nase. Als er sich aus dem Metallschrott befreit hatte, erhob er sich schwerfällig von der Straße und richtete sich mit bedrohlichem Blick zu voller Größe auf. "Ein Angriff auf offener Straße? Ist der Däezander bereits so dreist geworden?" Ein Schauer jagte durch den Körper des unbekannten Dämons. Dymeon schleppte sich verletzt weiter, ließ den Feind jedoch links liegen und kniete sich stattdessen trotz offensichtlicher Schmerzen neben Caroline. "Bist du in Ordnung?" "Was......Wie......?" Die junge Frau war völlig aufgelöst. Als sich Dymeon geistesabwesend eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischte und somit ein weiterer, fürchterlich tiefer und langer Schnitt oberhalb des linken Auges zum Vorschein kam, fuhr sie ihn mit zittrigen Fingern nach. "Ob ich in Ordnung bin? Was ist mit dir? Diese Wunden... Dieser Unfall..." Sie beobachtete den Dämon im Hintergrund, der sie lauernd beobachtete, mit Verwirrung und Unverständnis. "Das macht nichts. Aber du bist doch ein Mensch..." "Natürlich", meinte sie, bevor ein Ausdruck schrecklicher Gewissheit auf ihrem Gesicht erschien. "Du nicht... oder? Du bist kein Mensch... Und er auch nicht. Das mit dem Auto. Und deine merkwürdigen Fragen..." Dymeon nickte geduldig und brachte schließlich ein schwaches Lächeln zustande, auch wenn es von einem Hauch Traurigkeit untermalt war. "Ich beschütze die Menschen, aber ich bin keiner von ihnen... Ich kämpfe gegen meine eigene Art...gegen Dämonen..." "Aber..." "Bleib ruhig liegen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dir wird nichts geschehen..." Sie nickte ihm trotz dem Durcheinander in ihrem Kopf ohne weitere Fragen zu und verharrte an Ort und Stelle, während sich Dymeon wieder erhob und den Blick mit eisiger Kälte auf den Dämon legte. "Abgesandter des Däezander! Was willst du hier?" "Die Frage ist doch eher, was du hier willst, Blutträne! Der berüchtigte Verräter fährt mit einer gewöhnlichen Menschin herum? Solltest du nicht in Falcaniar hocken und der Wächterin Thundenstars ein gutes Schoßhündchen sein?" "Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig! Aber solltest DU nicht wie jeder vernünftige Dämon des Däezander in der Zuflucht hausen und Angriffe still und heimlich durchführen, statt auf offener Straße? Ist eure Mordlust bereits so groß geworden, dass ihr die alten Prinzipien vergesst?" "Alte Prinzipien gibt es nicht mehr, denn so wie sich unser Verhalten wandelt, wird sich dadurch auch schon bald die Welt wandeln", lachte der Dämon kalt zurück, "Ihr Lancelor habt uns doch schon lange nicht mehr unter Kontrolle! Eure Reihen werden immer schwächer, während unsere Sammler immer mehr Menschen fangen und ihr Blut unsere Armee weiter stärkt! Siehst du das nicht Blutträne? Ihr steht auf verlorenem Posten! Das Einzige, was die Dämonen von der völligen Vernichtung der Menschheit abhält, ist ein Menschenkind! Ein Kind! Wie naiv seid ihr um zu glauben, dass sie euer einziges Götterschwert hüten kann!" Ein plötzliches Lächeln huschte über Dymeons Züge. "Das einzige? Ihr solltet eure ausgesandten Abkömmlinge vielleicht etwas besser im Auge behalten." Mit diesen Worten zog der Dämon mit den Bluttränen Azuransas unter seinem Mantel hervor. Als er die leuchtende blaue Klinge vor sich ausgestreckt hielt, blieb seinem Gegenüber die Luft weg. "Das ist Assessinas Waffe! Woher...?" "Aus den Ruinen von Tradan. Sie hat sich dort auf die Lauer gelegt, nicht wahr? Solange bis Zeliarina mit Thundenstar dort auftauchen würde, hatte sie im Hinterhalt gewartet. Ich habe das Götterschwert ihrem Leichnam abgenommen..." "Nein!", brüllte der Dämon mit Hass, Fassungslosigkeit und echter Trauer in der Stimme. "Wieso? Du hättest im Däezander alles haben können, Blutträne! Der Dämonenvater persönlich hat dein Erschaffungsritual überwacht, er hat dich neben Ereos und Cenior zum stärksten Dämon weltweit gemacht! Du hättest eine Schattenklinge werden können! Du hättest Assessina, die schönste Dämonin, haben können, denn sie war dir vor deinem Verrat verfallen! All das bedeutet dir nichts! All das lässt du fallen für diesen...diesen Abschaum!" Er deutete mit vor Zorn zitternder Hand auf Caroline, die dem Gespräch der Beiden schockiert lauschte. Dymeon sagte nichts. Sein Schweigen schien den namenlosen Dämon nur noch mehr zu reizen, bis dieser sich nicht mehr halten konnte und wutschnaubend auf ihn losging. Dymeon ließ das Schwert in seiner Hand elegant wirbeln und richtete es so aus, dass die Spitze genau auf die Brust des Angreifers zeigte. Eine blaue Energiewelle entfuhr der Schneide Azuransas', traf den Dämon unbarmherzig und brachte ihn zu Fall. "Du kannst nicht gegen mich gewinnen, das weiß du ebenso gut wie ich... Erzähle mir alles, was der Däezander über die Illusag weiß, und ich verschone dein Leben..." "Die Illusag?", keuchte der Namenlose benommen. "Ja, die Illusag, die Traumebene. Schon als ich noch dem Däezander gedient habe, wurde in unseren Reihen über diesen Ort geforscht. Sicher habt ihr größere Erkenntnisse über sie als die Menschen. Sag mir alles, was du weißt, und du kannst gehen... Ich verspüre keinen Drang dich zu töten, doch wenn du nicht redest, werde ich es tun..." Der unbekannte Dämon lachte witzlos. "Ich bin nur ein Oggron. Wir Oggrons sind neben den Tryclonns die Fußsoldaten des Däezander, das weißt du so gut wie ich. Ich weiß nichts über die Angelegenheiten und Forschungen der Hohen. Und selbst wenn, würde ich es dem Verräter niemals verraten! Niemand würde das!", brüllte er energisch. Wieder stürmte er auf Dymeon zu. Der Dämon mit den Bluttränen schlug die Augen nieder. "Ich verstehe...", murmelte er betrübt. Sein Feind legte alle Kraft in einen gewaltigen Schlag gegen Dymeons Kopf, doch dieser wehrte den Angriff ohne große Probleme ab, indem er seinen Unterarm schützend vor sich hielt. Ohne die Reaktion des Oggrons abzuwarten, stieß Dymeon Azuransas in seinen Gürtel und packte das Handgelenk des unbedeutenden Dämons mit seiner nun freien Hand. Er drehte sich einmal um sich selbst, den Gegner fest im Griff. Dann schleuderte er ihn kraftvoll von sich, so dass er nach mehreren Metern Flug in das Wrack des orangefarbenen Golfs krachte. Der Wagen bog sich unter dem Einschlag und besaß plötzlich nur noch zwei Drittel seiner ehemaligen Breite, während Funken in der Luft herumwirbelten und die auslaufende Flüssigkeit des Renaults endgültig entzündeten. Alle drei Autos explodierten. Brennende Trümmer wirbelten durch die Luft und gingen auf die Straße nieder wie Regen. Ein Türstück verfehlte Caroline nur um wenige Armlängen. Doch sie bemerkte es kaum, denn ihre Augen hingen an Dymeon, der unbeweglich auf der Straße stand. Seine schwarzen Haare verbargen den Blick in seinen Augen, aber sie wusste trotzdem aus den Gesprächen mit ihm, dass ihm diese Tat Schmerz bereitete. "So geht es also nicht", flüsterte Dymeon leise in den späten Nachtwind. "Vom Däezander werde ich nichts erfahren..." Er wandte sich mit ausdrucksloser Miene um, ehe er sich zu einem gespielten Lächeln zwang. Das Licht der rotgelben Flammen von den niedergebrannten Autos beschien sein Gesicht und ließ es unwirklich aussehen, so dass Caroline zum ersten Mal daran glauben konnte einen Dämon vor sich zu haben. "Es ist alles in Ordnung. Seine Aura ist erloschen... Er ist tot... Es besteht keine Gefahr mehr, du kannst Polizei und Feuerwehr rufen..." "Was soll ich ihnen sagen?" "Sag ihnen du hast die Kontrolle über den Wagen verloren... Doch erwähne nichts von mir oder dem anderen Dämon. Sie werden dir nicht glauben, denn es gibt nirgendwo Beweise, dass wir hier waren. Ein Dämon verbrennt in Feuer vollständig..." "Was ist mit dir? Du hast mich gerettet, die Menschen müssen davon erfahren!" "Nein", unterbrach Dymeon leise, "Ich kämpfe bereits mit tapferen Menschen, die dieser Aufgabe gewachsen sind. Doch die Welt soll nichts von diesem Kampf erfahren, denn sie könnte nichts ausrichten und würde aus Angst vor dem Unbekannten nur in Panik verfallen. Vergesse einfach alles, was hier geschehen ist. Du wirst mich oder die Dämonen wohl nie wieder sehen..." Es sei denn ihnen gelingt die Dunkle Dämmerung... Caroline wollte noch mehr sagen, wollte so viel wissen und hören, doch Dymeon wandte sich ohne ein weiteres Wort des Abschieds von ihr ab und setzte seinen Weg nach London fort. Ein letzter Blick zurück zum Unfallort verriet ihm, dass niemand außer Caroline ihn gesehen hatte. Die Fahrer des Skodas und des Renault waren den Flammen zum Opfer gefallen... "Arme Seelen..." Dymeon seufzte, riss seinen Blick von den brennenden Trümmern los und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. "Vom Däezander werde ich nichts erfahren... Also gibt es nur noch einen Weg... Es tut mir Leid, doch es geht nicht anders... Jessica..." Kurz darauf in der geheimen Zuflucht der Dämonen: Das blutrote Licht, das von einem faustgroßen Kristall in der Zimmerecke ausging, erhellte Ereos' Heim nur spärlich und vermochte die schwarze Dunkelheit kaum zu durchbrechen. Es leuchtete gerade hell genug um die Umrisse einer einfachen Pritsche und den Schatten einer einzelnen Gestalt sichtbar zu machen. Ein silberner Arm warf das dämmrige Licht mit einem kurzen Funkeln zurück. Dunkelrote Augen, die dem Kristall an Farbe erschreckend ähnlich waren, starrten unentwegt geradeaus, ohne dass ihr Besitzer irgendetwas sagte. Ereos dachte nach. Seine Gedanken waren von Hass und Rache getränkt, während sie endlos um den Orden der Lancelor, um Dymeon und um deren völlige Vernichtung schweiften. Nichts anderes hatte in seinem Kopf platz wenn er alleine war, nichts anderes zählte dann in seinem Leben. Wenn Ereos nachdachte, herrschte in seinem Heim eine unerträgliche Stille, doch die Luft war gleichzeitig erfüllt von einer ungeheuren Spannung, so als würde jeden Augenblick jemand mit aller Kraft aufschreien, um die Ruhe zu zerreißen. Erst als sich schwere Schritte näherten und jemand den schwarzen Vorhang, der vor dem Eingang seiner Behausung hing, zur Seite schob, erwachte Ereos langsam aus seinen düsteren Gedanken. Er sah gerade rechtzeitig auf, um zu beobachten wie der Ankömmling den Vorhang hinter sich gewissenhaft wieder fallen ließ, so dass er den Türrahmen bedeckte und niemand von außen in das Zimmer blicken konnte. Das rote Kristalllicht fiel auf stolze, stahlgraue Augen und nachtblaues Haar, das in der Finsternis der Zuflucht eher schwarz wirkte. "Was willst du hier, Cenior?", murmelte Ereos müde, während er wieder an die Wand starrte. Cenior verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust und fixierte den Dämon auf der Pritsche eisern. "Das könntest du doch mit einem einzigen Blick erfahren. Ich verspüre keine Lust dir alles erzählen zu müssen..." "Ich lese nicht gern in deinem Kopf. Ich hasse deinen Kopf. Der Dämonenvater hat dich so erschaffen, dass du keine Gefühle empfindest außer die Kampfeslust, dass du keine Erinnerungen behältst außer die Kämpfe, die du gefochten hast, und dass du nichts tust, außer den Befehlen des Dämonenvaters zu folgen. Du bist eine Marionette, du bist innen völlig leer..." Cenior antwortete nicht. Völlig unberührt von den Beleidigungen wartete er, bis sich Ereos genervt zu ihm hindrehte. "Also was willst du nun?" "Auf einer Schnellstraße nach London wurde einer der Oggrons, den ich erschaffen habe, von dem Verräter Blutträne getötet. Jeder meiner Oggrons ist so mit mir verbunden, dass ich alles miterlebe, was sie erleben... Dadurch konnte ich in Erfahrung bringen, dass er Informationen über die Illusag sucht. Warum ist noch unklar." "Was willst du dann von mir?", fauchte Ereos ungeduldig. Eine merkwürdige Mischung aus Schadenfreude und Wut zog plötzlich über Ceniors Gesicht, als er ungerührt fortfuhr: "Er hatte ein Götterschwert bei sich. Azuransas, die blaue Sonne. Der Lancelor-Orden besitzt nun also schon zwei der heiligen Klingen..." Der blauhaarige Dämon ließ seine Worte eine Zeit lang im Raum stehen und beobachtete mit schwacher Genugtuung, wie Ereos vor Verwirrung und Ungläubigkeit von seiner Pritsche aufsprang. "Aber Azuransas gehört..." "Assessina. Beziehungsweise gehörte es ihr", beendete Cenior ruhig. Ereos purpurfarbene Augen weiteten sich entsetzt. Einen Moment lang konnte der Dämon den Überbringer der Nachricht einfach nur fassungslos anstarren, nicht fähig das gehörte zu glauben. Doch als er schließlich einen Blick in die Gedanken Ceniors warf, erkannte er, dass dieser die Wahrheit sagte. "Nein... Nein das kann nicht... das kann nicht..." Schockiert schweiften Ereos' Augen hin und her, als könne er in diesem Zimmer irgendetwas entdecken, dass Cenior und seinen Bericht für falsch, für unwirklich erklären konnte. Dabei stammelte er ein paar kaum verständliche Worte, während er sich immer wieder durch die Haare fuhr, bis sie schon ganz durcheinander waren. "Nein... Das ist nicht... Wie konnte..." Cenior beobachtete den Dämon mit den Purpuraugen gelassen. Ich weiß, er hat Assessina geliebt, zumindest soweit ein Dämon eine Dämonin lieben kann. Trotzdem verspüre ich kein Mitleid. Er ist selber Schuld an diesem Unglück. Hätte er nicht damals im Gebäude von ,Caplin und Partner' darauf verzichtet Zeliarina zu töten und Thundenstar an sich zu nehmen, wären die Lancelor nie in die Ruinen von Tradan gegangen. Assessina hätte sich nicht mehr auf die Lauer legen müssen. Sie wäre nie gestorben. Doch statt die schlecht verteidigte Zeliarina zu überwältigen, entschied er sich dafür dieses Silbermädchen zu bezirzen... Ereos fuhr herum und begegnete Ceniors grauem Blick mit wilden, glühenden Augen, die vor Zorn zu schmalen Schlitzen verengt waren. Wütend wollte er eine Antwort auf Ceniors Gedanken, die er gelesen hatte, brüllen, als Melissa plötzlich wie aufs Stichwort den schwarzen Vorhang vom Eingang zog und eintrat. Ihre langen roten Haare klebten ihr nass im Nacken und einzelne Wassertropfen bedeckten ihre Haut. Sie hatte sich zwei Handtücher umgebunden, eines um die Hüften, das andere über der Brust, so dass der Großteil ihres Körpers verschleiert blieb. "Diese unterirdische Quelle ist ja besser als jede..." Sie stoppte abrupt als sie bemerkte, dass noch jemand anderes als Ereos in dem dunklen Zimmer stand. Während sie den Fremden interessiert begutachtete, warf Cenior ihr nur einen kurzen, abfälligen Blick zu, ehe er sich wieder Ereos mit dem Bewusstsein zuwandte, dass dieser jeden seiner Gedanken genau mitverfolgte. Halte dir immer genau vor Augen, dass Assessina gestorben ist, weil du lieber dieses Mädchen aufgenommen hast, anstatt Thundenstar zu erobern. Ich hoffe das ist dir für die Zukunft eine Lehre. Stelle deine persönliche Rache an Dymeon nie wieder über die Dunkle Dämmerung... Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, machte Cenior auf dem Absatz kehrt und ließ Ereos mit Melissa allein. Der Dämon mit den Purpuraugen spürte Zorn und Hass wie heißes Gift durch jede Faser seiner Körpers strömen. Er wollte irgendetwas zerstören, irgendjemanden verletzen. Ein Nebel aus ohnmächtiger Wut schien ihn umschließen und festhalten zu wollen, so lange bis er diesem unbändigen Drang nachgab. Dann zerschnitt eine Stimme den Nebel und half Ereos dabei die Flut aus negativen Gefühlen zurück in die Tiefen seines Unterbewusstseins zu sperren. Melissa war an ihn herangetreten und schaute fragend in seine purpurnen Augen. "Was ist los?" "Nichts", erwiderte Ereos tonlos. Mit einer schnellen Bewegung hatte er seine Hände auf die Hüften des Mädchens gelegt und zog es nah an sich heran, so dass er ihren Körper an seinem spüren konnte. "Nichts", wiederholte er, diesmal leiser und zärtlicher. Seine Lippen streiften sanft ihr Ohr, wanderten an ihrem Hals entlang und trafen schließlich auf ihren Mund. Gleichzeitig löste seine Hand gekonnt den Knoten ihres Handtuchs, so dass es zu Boden glitt. Assessina... Während sie langsam hinüber zum Bett gingen, sah Ereos vor seinem geistigen Auge nur die schwarzhaarige Dämonin mit dem stolzen, schönen Gesicht... Das wirst du büßen, Dymeon mit den Bluttränen! Kapitel 15: Interludium II -------------------------- Interludium II Mit einem erstickten Schrei brach Zeliarina in sich zusammen und blieb als zusammengerolltes Häufchen liegen, um den Strom von Empfindungen, der ohne Pause auf sie eindrang, auszusperren. Niemals hätte die junge Donnerhexe gedacht, dass es etwas Schlimmeres in der Illusag geben könnte als die unendliche, graue Weite, in der sie vor einiger Zeit herumgeirrt war. Doch die Traumebene hatte sie eines Besseren belehrt. Als Zeliarina beinahe vom Wahnsinn verschlungen worden war, hatte sich ihre Umgebung plötzlich verändert und endlich etwas anderes gezeigt als das Nichts. Doch wie zum Hohn schien dies noch schlimmer zu sein als alles, was bisher in der Traumebene geschehen war. Zeliarina war plötzlich von Farben umgeben, die sie nicht kannte und die ihre Sehnerven nicht verarbeiten konnten. Schreie hallten in ihren Ohren, unmenschlicher als sie sich jemals auch nur im Entferntesten hätte vorstellen können. Die Illusag sprengte das Bewusstsein. Die Illusag überflügelte Zeliarinas Vorstellungskraft spielend und präsentierte Dinge, Reize, Bilder und Töne, die über das Fassungsvermögen der Menschen oder sogar aller Lebewesen der Erde hinausging. Diese Dinge waren nicht schrecklich, doch so unirdisch, dass Zeliarina sie nicht ertragen konnte. "Aufhören... Aufhören... Aufhören!" Zeliarinas Stimme durchdrang die surreale Umgebung wie Licht das Dunkel, doch gleichzeitig wurde durch sie nur noch deutlicher wie unverständlich anders der Rest der Illusag wirkte. Zeliarina stolperte zurück auf die Füße, die Hände fest auf die Augen gepresst, und tastete sich ein paar Schritte nach vorne. Sie wusste gar nicht wieso sie das tat, denn es gab kein Ziel, zu dem sie gehen konnte. Sie wusste auch nicht wie sie die Illusag verlassen sollte. Vielleicht würde sie für immer hier bleiben müssen. Vielleicht war sie sogar bereits immer hier gewesen! Vielleicht waren es in Wirklichkeit die Lancelor, die nur ein Traum waren... "Beruhige dich Mädchen... Lass dich nicht von deinen Emotionen überwältigen..." Zeliarina erschrak beim Klang der Stimme genau vor ihr, wagte jedoch nicht zu gucken wem sie gehörte. Zu oft hatten Stimmen sie an diesem Ort bereits getäuscht, zu oft hatte sich die Lancelorin einfach nur wieder dem unbeschreibbaren Wirrwarr der Illusag gegenüber gesehen. "Sie hin, Trägerin der Sieben! Sie hin!" Die Stimme wurde eindringlich. Zeliarina fürchtete sich noch immer, doch die Eindringlichkeit der gehörten Worte zeigte ihre Wirkung. Zitternd öffnete das Mädchen langsam ihre Augen. Zu ihrer Überraschung sah sie niemanden, der zu ihr gesprochen hatte, und die verwirrende Umgebung, die die Sinne vernebelte, hatte sich aufgelöst. Stattdessen blickte Zeliarina nun aus der Vogelperspektive auf eine kleine Insel, die am Osten eine halbmondförmige Bucht mit weißem Sandstrand besaß und nach Westen hin sanft anstieg, bis sie dort an zackigen Felsklippen wieder abrupt endete. Auf ihr thronte eine mittelalterliche Burg. Falcaniar... Das Licht der Sonne fiel freundlich auf den grauen Stein der Feste und wurde von den Zinnen zurückgeworfen. Alles wirkte friedlich. Die Motorboote schaukelten sanft in der Landebucht, sogar einige Lancelor lagen zufrieden im Gras. Innerhalb eines Wimpernschlags veränderte sich das Bild vollkommen. Der Himmel war plötzlich schwarz, die See unruhig. Blitzschläge erhellten die grausigen Trümmer eines zerstörten Falcaniars und die sich sonnenden Lancelor waren ersetzt worden von reglosen Leichen. Der Geruch von Blut lag schwer in der Luft. "Was...", keuchte Zeliarina, ehe sie zum Boden gezogen wurde und dort ein bekanntes Gesicht entdeckte: Dunkan. Der Palas stand stumm zwischen all seinen gefallenen Kameraden und starrte Zeliarina ausdruckslos an, als könne er sie zwar erkennen, jedoch nicht verstehen wieso sie bei ihm war. "Die Hoffnung ist zerschmettert. Der Versuch, Thundenstar zu halten, gescheitert. Nun gibt es nichts mehr zu beschützen... Kein Götterschwert, keine Trägerin, keine Menschheit..." Dunkans Worte hallten unnatürlich lange in Zeliarinas Ohren wieder. Dann veränderte sich das Bild wieder. Zeliarina sah eine große Kreuzung inmitten eines zerstörten Londons. Brennende Autowracks und zerbombte Häuser umgaben die Weggabelung, auf der zwei einsame Lancelor von einem Ring dunkler Gestalten eingeschlossen wurden. Bei genauerem Hinsehen entpuppten sie sich als Peter Pendrian und Titus McCain. Beide bluteten aus verschiedenen Wunden, ihre Gesichter waren hart und kalt und ohne Hoffnung. Pendrian vergoss Tränen der Wut. Er sagte etwas, doch Zeliarina sah nur wie sich seine Lippen bewegten und das Bild verschwand, noch ehe er geendet hatte. Dymeon befand sich nun vor ihr. Er stützte sich schwer atmend auf Azuransas und sank langsam auf die Knie. Sein Gesicht war blutüberströmt. "Ich gebe nicht auf. Für dich würde ich alles tun, Zeliarina... Alles..." "Was meinst du damit? Was würdest du für mich tun?", flüsterte Zeliarina verstört. Sie verstand all das nicht, diesen Traum, diese Worte. Sie wollte, dass die Bilder ihrer verletzten Freunde endlich aufhörten. Sie wollte nichts mehr von alle dem sehen oder hören, vor allem nicht von Dymeon, der sich mit verzerrtem Gesicht bemühte wieder auf die Beine zu kommen. Doch die Illusag schien bei ihr keine Gnade walten zu lassen. Zeliarina setzte einen ersten Schritt in Richtung Dymeon, um ihren Schutzritter festhalten und seine Anwesenheit spüren zu können, selbst wenn es nur im Traum war. Schon beschworen sich immer neue Bilder schneller und schneller aus dem Nichts herauf: Melissa, beide Arme blutig abgeschlagen... Victoria, die ihre Hand aufs Herz gepresst hatte und vor Schmerz das Gesicht verzog... Kevin mit Verbrennungen an seinem ganzen Körper... Storm mit dem eigenen Schwert in der Brust... Sie alle starrten Zeliarina durchdringend an, genau wie schon Dunkan zuvor. Und sie alle weinten... "Warum weint ihr? Was geht hier nur vor sich, was ist los mit euch? Was wollt ihr mir sagen?" Die letzte Frage schrie Zeliarina regelrecht, als wolle sie die unbekannten Mächte der Illusag selbst erreichen. Ihre Frage hallte ein paar Mal wieder, ehe sie verstummte. Die Bilder verschwanden. "Sie sind verzweifelt... weil sie wissen, was geschehen wird...weil sie die Wahrheit kennen", lautete die Antwort der Stimme, die schon am Anfang beruhigend auf die Donnerhexe eingeredet hatte. Zeliarina sah sich erschrocken um. "Wer ist da? Was bedeutet das alles? Welche Wahrheit meinst du?" "Wenn du das nicht verstehst, bist du noch nicht bereit...", verkündete die Stimme. Zeliarina wusste, dass sie ganz und gar nicht bereit war für irgendwelche neuen Spielereien der Illusag, doch die Art, wie die Stimme redete, weckte in ihr ein unbestimmtes Interesse. Fast so, als wäre es wirklich wichtig diese "Wahrheit" zu erfassen. "Wofür bin ich nicht bereit?", fragte Zeliarina vorsichtig. Die Stimme ließ sich Zeit, ehe sie diesmal antwortete. "Du bist noch nicht bereit in die Welt zurückzukehren. Dies alles hier ist von Sabiduría geschaffen worden, um dir die Wahrheit zu verkünden, die er dir nicht mehr verraten konnte. Der Weg, den du auf der Illusag beschreitest, ist nicht zufällig. Du musst nur die Bedeutung erkennen. Du musst die Wahrheit verstehen. Du musst erkennen, warum Sabiduría dich hierher geführt hat, was er dir vermitteln wollte." Zeliarinas Herz raste plötzlich vor Aufregung. "Du sprichst von der Hoffnung, die er uns versprochen hatte, oder? Ist die Wahrheit, von der du sprichst, die Hoffnung für die Lancelor? Ist es etwas um den schrecklichen Krieg endlich zu beenden und die Dämonen aufzuhalten?" "Es liegt nicht an mir, dir das zu sagen. Du musst es selbst verstehen. Ich kann nur zeigen..." Stille senkte sich über die Traumebene. Eine Zeit lang blieb es vollkommen ruhig. Schließlich jedoch hob Zeliarina zuversichtlich ihren Kopf und setzte ein leicht gezwungenes, aber hoffnungsvolles Lächeln auf. "Gut. Wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht den Orden irgendwie zu retten, bin ich bereit weiter zu machen. Wer auch immer du bist... zeig mir die Wahrheit..." Die grünen Augen des Mädchens brannten entschlossen, als sich die Illusag erneut wandelte... ---------------------------------- Zeliarina beschreitet den Weg zur Wahrheit... Dymeon sucht Jessica, einen Namen aus seiner Vergangenheit... Sie werden beide etwas verändern... Der Dämon die Gegenwart... Das Mädchen die Zukunft... Kapitel 16: Dymeons Suche: Jessica ---------------------------------- So, ohne viel Gerede ein weiterer Teil^^ Wieder super vielen Dank an Elayne (ich hoffe dieses Kapi kann dich auch wieder so begeistern wie die anderen^^) und auch an Schattenthron und an alle, die diese Geschichte sonst noch mitverfolgen und sich vielleicht dazu erweichen lassen auch mal ein Kommentar zu schreiben *lieb guck* ^^ Und zu den Charakterbeschreibungen: Ich hadere auch jedes mal mit mir wie viel ich da reinschreiben soll, aber irgendwie sind sie ja doch eher so eine Art Feedback oder... Summary... Diejenigen, die die Geschichte eben noch ohne Spoiler lesen wollen, dürfen also nicht schon in die Charalterbögen gucken :P Jetzt aber viel Spaß beim Lesen: ------------------------------------------------------------------ Kapitel XIV - Dymeons Suche: Jessica Dymeon wanderte nach dem Zwischenfall an der Schnellstraße noch zwei Tage lang durch England, ehe er Londons erste Vororte und Randbezirke erreichte. Die Gassen, Straßen und Fußgängerwege waren von dem schweren Regen, der seit seiner Trennung von Caroline wieder tobte, überflutet. Überall huschten vereinzelte Passanten mit großen Schirmen beladen durch die Stadt, immer auf der Hut vor dem schrecklichen Unwetter von oben oder dem braunen Wasser, das aufspritzte wenn ein Auto zu schnell durch die nassen Straßen rauschte. Dymeon beachtete die Menschen kaum, sondern erhob seinen Blick zum gewaltigen Big Ben, der hinter den dichten Schleiern aus Regen nur schemenhaft zu erkennen war. Trotzdem erkannte er das riesige Ziffernblatt mit den großen Zeigern. Etwa 14.40 Uhr. Ich kann es nicht länger vor mir herschieben... Mit ausdruckslosem Gesicht beschleunigte Dymeon seine Schritte ein wenig, denn der kalte Regen wurde immer heftiger und ließ selbst durch den robusten Dämonenkörper eisige Schauer fahren. Frierend bog er in die Halm-Street ein. Hier reihten sich mehrere Einfamilienhäuser in einer langen Linie aneinander, so dass sich ihre Seiten berührten und sie eine undurchdringliche Fassade aus Gebäuden bildeten. Dymeon steuerte zielsicher auf ein weißes, zweistöckiges Haus mit überdachter Veranda und der Hausnummer 17 zu. Es hatte eine himmelblaue Tür und Fenster mit ebenso blauen Vorhängen. Trotz des Unwetters strahlte es eine spürbare Wärme und Friedlichkeit aus. Zögernd blieb Dymeon einen Augenblick lang davor stehen, ehe er seufzte und über ein halbes Dutzend Treppen auf die hölzerne Veranda trat. Seine schlammverkrusteten Stiefel hinterließen dunkle Abdrücke auf dem Boden und das Wasser tropfte gleichmäßig von seinen klatschnassen Haaren und den Enden seines Mantels. Er betrachtete die Flecken, die er anrichtete. Irgendwie schienen sie sein Auftauchen auf grausame Weise zu verkörpern... Plötzlich öffnete sich die Haustür noch bevor der Dämon geklopft hatte. Ein Mann mit kurzen, dunklen Haaren stand zwischen dem Türrahmen, einen gelben Müllbeutel in jeder Hand, und wirkte offensichtlich verwundert darüber jemanden auf seiner Veranda vorzufinden. "Hallo", begrüßte er verdutzt. "Wollen sie zu uns?" Helles Licht aus dem Inneren des Hauses drang nach draußen, begleitet von dem Lachen einer glücklichen Mutter, die mit ihren Kindern spielte. Dymeon bewegte sich einen Augenblick lang nicht, dann nickte er. "Ja. Ich möchte zu Jessica Mathuen." Der Mann runzelte nachdenklich die Stirn, warf einen Blick über seine Schulter und wollte gerade nach seiner Frau rufen, als diese auch schon von Neugier getrieben die Treppe herunterkam. "Wer ist denn da, Schatz?" Sie blickte über ihn hinweg auf ihren Gast. Sofort wich jegliche Farbe aus ihrem Gesicht und alle weiteren begrüßenden Worte, die sie an den Ankömmling richten wollte, blieben ihr augenblicklich im Hals stecken. "Hallo Jessica", grüßte Dymeon tonlos. Das Prasseln des Regens verblasste im Hintergrund zu einem kaum hörbaren Geräusch. Es schien die Ohren des Dämons und die der beiden Bewohner der Halm-Street 17 nicht mehr zu erreichen. "Hallo... Dymeon", erwiderte Jessica leise. Sie schien mit aller Kraft zu versuchen die Überraschung und unbestimmte Furcht aus ihrer Stimme zu bannen. Ihr Mann bemerkte trotzdem, dass etwas nicht stimmte und sah seiner Frau in die Augen. Jessica verstand die unausgesprochene Frage, zwang sich zu einem Lächeln und strich ihm flüchtig über den Arm, um zu verdeutlichen, dass er sich keine Sorgen machen musste. "Er ist ein alter Freund... Lass ihn rein..." Offenbar widerwillig und immer noch misstrauisch machte Jessicas Ehemann die Tür frei, während er ganz leise den ungewöhnlichen Namen des Ankömmlings wiederholte. Erst dann fielen ihm wieder die beiden Müllbeutel in seinen Händen ein, die er zögerlich in einen Container auf der gegenüberliegenden Straße schmiss. Als er wieder zurückkam, ging er mit seiner Frau und Dymeon ins Haus, wo sofort das Lachen von Kindern aus dem zweiten Stock herunterschwebte. "Schatz, lässt du uns allein?" Jessicas Mann nickte und begab sich langsam nach oben. Dymeon und Jessica sahen sich einen Moment lang einfach nur schweigend an. "Lass uns... lass uns ins Wohnzimmer gehen", meinte Jessica schließlich unsicher. Der Dämon nickte zustimmend und legte vorsichtig seine schlammbespritzten Schuhe und seinen durchnässten Mantel im Eingangsbereich ab. Dann folgte er der Londonerin in das geräumige Wohnzimmer gleich nebenan und ließ sich dort auf einen olivgrünen Sessel nieder, während sie auf einem Sofa der gleichen Farbe Platz fand. Wieder herrschte schweigen zwischen Dämon und Mensch. Dymeon wusste, dass es eigentlich an ihm war das Gespräch zu beginnen, da er schließlich zu ihr gekommen war und sie um etwas bitten musste. Doch kein Wort kam über seine Lippen, während seine Augen interessiert über die Einrichtung des Zimmers wanderten, über die olivgrünen Polstermöbel, die hellen Holzmöbel auf denen Familienfotos lagen, die mit Büchern gefüllten Regale und der ovale Tisch, auf dem sich eine einzelne weiße Rose in einer Vase befand. Schließlich streifte sein Blick über Jessica, die die Hände in den Schoss gelegt hatte. Sie trug ein schlichtes, besches Oberteil und bequeme, dunkelblaue Jeans. Ihre Haare waren mit einer rubinroten Tönung gefärbt und fielen ihr glatt über Schultern und Rücken. Obwohl sich erste Anzeichen des Alters in ihrem Gesicht abzeichneten, war sie dennoch noch sehr attraktiv. "Seit wann... bist du aus Excaliburs Bann befreit?", fragte Jessica leise. Dymeon strich sich das feuchte Haar zurück, so dass sein blutrotes Stirnband unter den verfilzten Strähnen zum Vorschein kam. "Ich weiß es nicht genau... Es war Ende letzten Frühlings, also vielleicht vor sieben Monaten..." "Wieso kommst du dann gerade jetzt?" "Ich war schon einmal hier", gestand der Dämon, "Ich habe mich, kurz nachdem Excalibur aus meinem Leib gezogen wurde, auf den Weg hierher gemacht und blickte damals von draußen durch eines eurer Fenster. Ich habe dich gesehen. Und ich habe deine Kinder gesehen. Ihr saht so friedlich aus, dass ich euer Glück nicht mit meiner Anwesenheit zerstören wollte. Du hast die Lancelor vor langer Zeit, während ich schlief, verlassen und dir eine neue Existenz aufgebaut. Ich gehörte dort nicht hinein..." "Und doch bist du jetzt hier", meinte Jessica leise. "Und doch bin ich jetzt hier", wiederholte Dymeon gequält. Er lehnte sich zurück und seufzte und überlegte wo er mit seiner Geschichte anfangen sollte. Soviel war bereits seit seiner Erweckung geschehen... "Hat es etwas mit dem blonden Mädchen zu tun, das seit einer Weile auf Falcaniar lebt?" Dymeon war völlig überrascht von dieser plötzlichen Frage. Offensichtlich waren ihm seine Gefühle offen vom Gesicht ablesbar, denn Jessica hob leicht erstaunt die Augenbrauen. "Dieses Mädchen muss eine erstaunliche Wirkung auf dich haben. Früher konntest du deine Gefühle nicht so offen preisgeben..." "Woher kennst du sie?" Jessica lachte leise, auch wenn es nichts gab was sie wirklich witzig fand. "Ich bin vielleicht heute Mutter zweier Kinder und Ehefrau eines liebevollen Mannes, doch ich bin auch gleichzeitig immer noch Lancelorin des dritten Ranges, Traumwandlerin und Expertin der Illusag, so wie vor fünfundzwanzig Jahren. In letzter Zeit hatte ich viele dunkle Träume, erhellt einzig und allein von diesem blonden Mädchen und einem breiten Schwert in ihren Händen. Man kann die Vergangenheit als Lancelor vielleicht hinter sich lassen, doch man kann sie niemals ganz ausblenden..." Sie betrachtete Dymeon eindringlich und fügte mit einem resignierenden Seufzer hinzu: "Nun, scheinbar kann man sie nicht einmal wirklich hinter sich lassen..." "Du hast also Zeliarina in deinen Träumen gesehen?" "Ist das der Name des Mädchens? Ja, ich habe sie gesehen. Viele Dinge offenbarten sich mir in letzter Zeit, doch das wundert mich nach deinem Erscheinen nicht mehr. Wenn du befreit wurdest, ist Excalibur wieder zugänglich für die Dämonen. Der Kampf um die Götterschwerter tobt wieder, deswegen war die Illusag in letzter Zeit so unruhig, nicht wahr? Sie spiegelt die Umstände in der Realität wieder. Sicher hat der Lancelor-Orden in den letzten Monaten fiel durchleben müssen..." "Ja, der Krieg ist in vollem Gange..." Der Satz hing eine Weile wie eine düstere Wolke im Raum, ehe Jessica endlich die Frage aussprach, die ihr schon die ganze Zeit im Kopf herumschwirrte: "Also Dymeon, was genau willst du jetzt von mir? Du bist sicherlich nicht nur gekommen, um nach sieben Monaten unser Wiedersehen zu feiern." "Nein, das stimmt... Der Orden braucht deine Hilfe..." Ohne eine Reaktion abzuwarten, zog Dymeon Azuransas aus der Gürtelschlaufe und legte es quer auf seine Oberschenkel, so dass Jessica es betrachten konnte. Die blaue Klinge glühte hell wie eh und je. "Die Lancelor und der Däezander kennen inzwischen die Identität aller Götterschwerter. Es sind sieben. Die Dämonen besitzen fünf, mir gehört die blaue Sonne Azuransas. Du sagtest, du hättest Zeliarina in deinen Träumen mit einem breiten Schwert gesehen. Das war das Donnerschwert Thundenstar, die siebte und letzte heilige Götterklinge. Als sie es aus einem Tempel der Alten Welt barg, wurde sie zur Wächterin Thundenstars. Das heißt, dass nur sie es nun führen kann. Nicht einmal Dämonen können es mehr in die Hände nehmen, es sei denn Zeliarina stirbt und ihr Wächterstatus erlischt. Vor kurzem sind wir deswegen mit ihr in die Ruinen von Tradan gegangen, um das Schicksal, das ihr als Schwertträgerin auferlegt wurde, zu erfahren. Dort begegneten wir einem Shetan und Assessina mit den Toxinklauen. Wir konnten die Dämonin töten, doch nicht bevor sie den Shetan schwer verletzte. Dieser nahm Zeliarina mit in die Illusag. Dann starb er, während sie sich dort aufhielten..." "Sie ist also ohne erfahrenen Führer in der Illusag?", überlegte Jessica nachdenklich. "Dann ist sie gefangen... Wie lange ist sie schon in der Traumwelt?" Ihr Interesse war plötzlich geweckt. Dymeon lächelte innerlich, denn auch wenn ihre Zeit als Lancelorin fünfundzwanzig Jahre zurücklag, konnte sie ihre Neugier über die Illusag scheinbar nicht ablegen. "Seit einer Woche..." "Das ist zu lang. Wenn ihr sie nicht bald wieder wach bekommt, wird sie sterben..." "Deswegen bin ich hier", bemerkte Dymeon. Er steckte Azuransas wieder weg und beugte sich in seinem Sessel ein Stück nach vorn, um seinen Worten mehr Eindringlichkeit zu verleihen. "Die Lancelor haben derzeitig keine fähigen Traumwandler mehr. Einige sind bei den andauernden Kämpfen gegen die Dämonen gefallen und die anderen sind zu unerfahren, um Zeliarina aus der Illusag zu holen. Wir brauchen deine Fähigkeiten. Du musst uns helfen..." Jessica wich dem Blick des Dämons aus, indem sie die Fotos auf den Holzregalen anstarrte. Das Lachen ihrer Kinder schwebte dabei zu ihnen herunter. Die ehemalige Lancelorin seufzte. "Ihr wollt also, dass ich wieder zum Orden komme?" "Ja... Schließe dich uns an. Die Lancelor ziehen alle ihre Kräfte zusammen. Sie rekrutieren immer jüngere Begabte und reaktivieren die alten Mitglieder, die wie du ausgestiegen sind. Wir brauchen jeden Mann, jede Frau, sogar jedes Kind für diesen Kampf." Angespannt verkrallte Dymeon seine Hände in die weichen Sessellehnen und stieß dabei beinahe durch den olivgrünen Stoff. "Ein Lancelor muss viel opfern. Ich weiß, du hast jetzt eine Familie und ein friedliches Leben, doch ich muss dich bitten mitzukommen." Das Gesicht des Dämons wurde hart, als würde er entgegen seines Gewissens handeln. "Ich wäre nicht hier, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe..." "Ich weiß", flüsterte Jessica beruhigend. Sie stand vom Sofa auf und strich Dymeon kurz über die verhärteten Muskeln seiner Wange. "Du warst schon immer so lieb, dass es einem wehtat dich zu sehen. Immer wolltest du die Qualen aller anderen auf dich nehmen. Solange nur du gelitten hast war alles in Ordnung... Doch du kannst nicht die ganze Welt beschützen. Auch ich muss meinen Beitrag dazu beisteuern..." Langsam ging sie hinüber zu den Holzregalen und nahm ein Foto ihres Mannes in die Hand. "Außerdem...welche Wahl habe ich denn? Wenn ich diesem blondhaarigen Mädchen nicht helfe, stirbt sie. Dann geht mit ihr die Hoffnung für die Lancelor und die Flut der Dämonen wird die Welt überschwemmen. Kein Mensch wird dann sicher sein. Alle werden ausgelöscht." Ihre Hand fing an zu zittern und sie legte das Bild schnell zurück auf seinen Platz, ehe sie es fallen lassen konnte. "Ich habe es in meinen Träumen gesehen... Ein siebenzackiges Steinpodest, aus dem ein schwarzer Drache fährt und die ganze Welt verdunkelt und alles zerstört, was an die Menschheit erinnert... Das kann ich nicht zulassen... Meine Familie soll leben..." Jessicas Stimme, die immer leiser geworden war, versagte nun ganz. Mit einem erstickten Schluchzen wandte sie sich von Dymeon ab. Obwohl sie die roten Haare vor ihre Augen fallen ließ, wusste der Dämon, dass sie weinte. Er erhob sich von seinem Sitz und bewegte sich auf sie zu, als plötzlich zwei kleine Gestalten an seinen Beinen vorbeihuschten. Lachend hängten sich Jessicas Kinder, ein Junge und ein Mädchen von etwa sechs Jahren, an ihre Mutter und blickten aus großen Augen zu ihr auf. Als sie die Tränen erkannten verzogen sie verwundert ihre Münder. "Warum weinst du denn, Mama?" "Es ist nichts", hauchte sie schwach zurück. Ihr Blick fiel wieder zurück auf Dymeon. Dabei floss eine Träne ihre Wange herab und ihr Mund war zu einem traurigen Lächeln verzogen. "Was bin ich nur für ein wandelndes Klischee? Ich könnte das Produkt eines zweitklassigen Mysteryromans sein. Die Kämpferin im Ruhestand..." Sei beugte sich zu ihren Kindern herunter, strich dem Mädchen sanft über die Wange und nahm dem Jungen sanft sein Halstuch ab. Dymeon erkannte das blaue Tuch mit den schneeweißen Symbolen. Es war das Tuch der Lancelor, das jeder nach erfolgreicher Prüfung erhielt. Jessica hatte es all die Jahre über aufbewahrt, so als hätte sie gewusst, dass es eines Tages noch gebraucht werden würde. Ihre zittrigen Finger banden es unsicher in ihre Haare. "Man kann die Vergangenheit nicht abschütteln. Das ist das Schicksal eines Lancelor, so wie ich einer bin..." Sie blieb kurz mit geschlossenen Augen stehen und atmete tief ein. "Ich komme mit dir. Aber vorher will ich mich verabschieden..." "Natürlich..." Unaufgefordert verließ Dymeon das Wohnzimmer, zog im Flur Stiefel und Mantel wieder an und ging hinaus auf die Veranda. Es regnete noch immer in Strömen. Die Tropfen klatschten hart auf das Dach der Veranda, rollten an ihm herab und liefen an der Kante herunter wie ein kleiner Wasserfall. Erschöpft vom Anblick der geplagten Jessica sank Dymeon an der Hauswand herab und blieb dort sitzen. Er konnte Stimmen wahrnehmen, nur leise, aber voller Liebe, und dazwischen immer wieder lange, schweigende Pausen. Schließlich kam Jessica eine Viertelstunde später aus dem Haus, einen dunkelgrünen Rucksack auf dem Rücken, das Band der Lancelor im Haar. Sie kam allein. Ihre Augen waren rot und verquollen von den vielen Tränen, die sie geweint haben musste. "Alles okay?", fragte Dymeon, auch wenn es offensichtlich nicht so war. Jessica nickte tapfer, wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und setzte wieder ihr trauriges Lächeln auf. "Ja... Mein Mann hat es nicht verstanden, aber trotzdem akzeptiert. Er wusste schon immer von meinen Träumen und dass ich... "besonders"... bin. Er hat immer befürchtet, dass irgendetwas aus meiner Vergangenheit, von der ich nie erzählt habe, kommen und mich einholen würde..." Sie sah durch den Regenschleier hindurch in die Ferne. "Also los... gehen wir nach Falcaniar..." Sie fuhren mit Jessicas schwarzem Nissan zurück zum kleinen Hafen von Scarborough. Obwohl die Fahrt mehrere Stunden dauerte, sprachen sie nur wenig miteinander und wenn, dann über die zukünftigen Pläne der Lancelor und dem derzeitigen Stand des Kriegs gegen den Däezander. Kein Wort über die Vergangenheit fiel. Nur einmal, als die Autoinsassen in ein besonders langes und unangenehmes Schweigen gefallen waren, schnitt Jessica ein etwas weniger neutrales Thema an: "Es ist eine komische Ironie, dass ich ausgerechnet von dir zu den Lancelor zurückgeholt werde... Schließlich habe ich sie wegen dir verlassen..." Dymeon hielt seine dunklen Augen nachdenklich auf die Straße gerichtet, als Jessica ihm einen kurzen Seitenblick zuwarf. "Als du zum Tod verurteilt wurdest, habe ich tagelang geheult wie ein Baby. So sehr habe ich dich, deinen Mut, deine Stärke und deine Hilfsbereitschaft verehrt..." Die Augen der Lancelorin verdunkelten sich, doch sie sah wieder nach vorne, sodass es Dymeon entging. "Hasst dich Pendrian immer noch?" "Mehr als jemals zuvor... Es hat ihn schwer getroffen, dass er mich mit Excalibur aufspießen durfte und ich trotzdem noch lebe und jetzt sogar noch für die Lancelor arbeite." "Wer kann es ihm verdenken? Es war für alle ein großer Schock, als du sein Heimatdorf zerstört und ihn zum Orden gebracht hast. Ich erinnere mich noch heute daran. Du warst voller Blut..." Sie schauderte sichtbar und hielt das Lenkrad des Wagens fest umklammert. Sie warf wieder einen kurzen Seitenblick auf den schweigenden Dämon, ehe sie das Auto über einen kleinen Kiesweg lenkte. Er führte zu einer kleinen Anlegestelle mit vier Stegen, die in einiger Entfernung neben der eigentlichen Hafenanlage von Scarborough lag. Dichtstehende Birken, die sich mit ihren weißen Stämmen kaum vom umliegenden Schnee unterschieden, säumten ihn. "Wir sind da..." Der Kiesweg knirschte geräuschvoll, als die Reifen des schwarzen Nissans zum Stehen kamen. Jessica und Dymeon stiegen langsam aus und sahen sich um. Selbst jetzt, wo die Bäume in der Umgebung keine Blätter trugen, wurde der geheime Anlegeplatz gut vor neugierigen Augen verborgen. Nur die Lancelor und einige Einheimische kannten den Ort. An den Stegen schaukelten ein kleines Segelboot, zwei Ruderboote und ein schwarzes Motorboot mit dem Zeichen der Lancelor - drei gekreuzte Silberspeere - im Wasser. Dymeon sah außerdem schwere Fässer, die am Meerboden angebunden sein mussten und sich unruhig in den Wellen bewegten. Sie sollten verhindern, dass sich an diesem Ort zu leicht Eis bildete. Jessica steuerte ohne viel Umschweife auf das Boot der Lancelor zu, machte es vom Steg los und wartete, bis sich Dymeon im hinteren Teil ihres Transportmittels niedergelassen hatte. Jessica selbst übernahm das Steuer. Sie gab kräftig Gas, so dass hinter ihnen eine Wasserfontäne aufspritzte, und sauste schnurstracks aufs offene Meer. Sie war als Kind oft mit einem der Ordensboote gefahren und kannte deshalb selbst nach fünfundzwanzig Jahren noch den genauen Standort der Insel, die keinem Land der Welt angehörte und auf keiner Karte verzeichnet war. Bald ragte Falcaniar vor ihnen auf. Jessica hielt gespannt den Atem an, auch wenn ihre Hand das Boot sicher zur großen Anlegebucht navigierte. Wie lange hatte sie den Anblick des imposanten, grauen Bollwerks zur Verteidigung der Menschheit nicht mehr gesehen? Sie fürchtete sich vor dem, was dort auf sie wartete, doch gleichzeitig wuchs auch eine unbewusste Erregung und Freude darauf, endlich wieder dort zu sein, wo sie als "Besondere" hingehörte. Auch als sie die Bucht erreicht hatten, konnte Jessica dieses Gefühl nicht abschütteln. Am Strand ging sie sogar in die Knie und schöpfte liebevoll ein wenig von dem weißen, eiskalten Sand in die Hände. "Wie früher..." Mit geschlossenen Augen sog sie die frische Meerluft ein und lauschte dem Rauschen der Wellen, die an der Westseite gegen die hohen Felsklippen brandeten. Sie hatte es tatsächlich vermisst. Tränen wollten sich wieder in ihren Augen sammeln, ohne dass sie wusste warum. Erst nach einer Ewigkeit hatte sie sich weit genug gesammelt, um weiterzugehen. Dymeon beobachtete sie schweigend mit unergründlichem Blick und brachte Jessica dazu vor Verlegenheit leicht rot zu werden. Hastig lief die Londonerin in zügigem Tempo zur alten Feste. Dymeon folgte in kurzem Abstand. Als sie das Eingangsportal mit den altertümlichen Verzierungen erreichte, wartete dort bereits ein bekanntes Gesicht auf sie. "Dunkan!" Lächelnd begrüßte der Palas die Traumdeuterin mit einer freundschaftlichen Umarmung. "Es ist gut, dass du gekommen bist. Du siehst fabelhaft aus..." "Und du erst! Du bist keinen Tag gealtert!", erwiderte Jessica freudestrahlend. Dunkan nickte beiläufig, während er Dymeon mit einem kurzen, dankbaren Kopfnicken bedachte. "Das Blut der Macht, meine Liebe. Das Blut der Macht. Es scheint meine Zeliarina hat noch Großes für mich vorhergesehen, denn sie will mich einfach nicht gehen lassen..." Jessicas Lächeln verblasste ein wenig. Sie wusste von dem magischen Geschenk, das Dunkans Geliebte ihm vor langer Zeit vermacht hatte: Blut, das ihm ein unnatürlich langes Leben verlieh und alle Krankheiten und Verletzungen ebenso unnatürlich schnell besiegte. Seit 134 Jahren kämpfte der Palas nun bereits mit diesem Blut in den Adern, ohne sich jemals zu beschweren. Noch während sie sich von Dunkan ins Innere Falcaniars geleiten ließ, fühlte sie sich auf einmal schlecht. Was waren ihre Probleme schon gegen seine? Wenn er mit seinem schwierigen Schicksal fertig werden konnte, konnte sie das auch! "Wenn du nichts dagegen hast, würde ich dich gerne sofort zu Zeliarina bringen..." Jessica nickte, war mit ihren Gedanken jedoch noch immer woanders. Sie betrachtete eingehend Dunkans Gesicht, das vom Alter völlig verschont geblieben war und friedvolle Wärme ausstrahlte. Vermutlich konnte der Palas deswegen soviel Hoffnung säen. Jeder, der seinen unerschöpflichen Willen kannte, setzte ihn sich zum Vorbild und wollte ebenso ohne Klagen weiterkämpfen. "Wir sind da..." Jessica sah überrascht auf. Sie standen vor der Tür zum Krankenzimmer, ohne dass sie richtig bemerkt hatte, wie sie dorthin gelaufen waren. Dymeon stand immer noch an ihrer Seite, doch als Dunkan die Tür öffnete, betrat der Dämon den Raum als Erster und setzte sich sofort auf das Fensterbrett neben dem einzigen belegten Bett. Ein junges Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren mit langem, blondem Haar lag darin. Nichts wies daraufhin, dass sie verletzt war, außer den knopfförmigen Elektroden, die an den wichtigsten Stellen von Stirn und Kopf angebracht waren um die Gehirnströme zu messen. Ihre Haut war kalkweiß. "Sie hatte schon immer helle Haut, doch jetzt wird sie von Tag zu Tag noch blasser", erklärte Dunkan bedrückt. Er betrachtete das Mädchen traurig, ehe er Jessica einen hoffnungsvollen Blick schenkte. "Meinst du, du kannst sie aus der Illusag befreien?" "Ich werde es versuchen", antwortete die Traumdeuterin unsicher. Vorsichtig ließ sie sich neben Zeliarina auf die Bettkante nieder und betrachtete ihr Gesicht mit ganzer Aufmerksamkeit. Die Blässe war leicht zu erklären. Ein Besuch in der Illusag war anstrengend und entzog einem das Leben aus dem Körper. Wenn man zulange dort blieb, wurde man entweder von den dortigen Erscheinungen verrückt oder starb daran, dass das Blut abkühlte und der Körper innerlich erfror. Jessica griff nach Zeliarinas Hand und nickte wie zur Bestätigung ihrer eigenen Vermutung. Die Hand, die mit merkwürdigen Runen überzogen war, fühlte sich an wie Eis. "Sie ist schon sehr lange in der Illusag... Ich muss ehrlich sein, ich weiß nicht ob ich sie erreichen kann. Sicher ist sie schon sehr tief in die Traumebene geraten. Es wird eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen..." Sie sah auf zu Dunkan, dessen Lippen ein schmaler, ernster Strich waren, und zu Dymeon, der seine Schutzbefohlene merkwürdig traurig musterte. Sie schenkte beiden ein aufmunterndes Lächeln. "Doch die Nadel ist nicht unerreichbar..." Zuversichtlich schob Jessica die blonden Haarsträhnen aus Zeliarinas Stirn und legte dort ihre Hand auf. Dann schloss sie die Augen und begann Worte in einer unbekannten Sprache zu sprechen. Es schien als verbänden sich diese Worte zu einer unzerreißbaren Kette, die Jessica mit Zeliarina verband. Immer weiter und immer länger schmiedete die Londonerin das Band zwischen sich und ihrer Patientin, bis sie plötzlich abrupt damit aufhörte. Ihr Gesicht verhärtete sich. Ihre Augenlider fingen an zu flattern, doch sie behielt sie energisch geschlossen und bewegte nur noch ihre Lippen, als würde sie noch immer die fremden Worte sprechen. Dann fing plötzlich das messingfarbene Gerät, das Zeliarinas Gehirnströme maß, wie wild an zu piepsen. Die elektronischen Anzeigen sprengten jegliche Skalen, während Zeliarina einen Augenblick später wie Jessica mit den Augenlidern zu flackern begann. Bei ihr wanderte das unkontrollierte Zucken jedoch schnell weiter und erfasste ihren gesamten Körper, der sich unter schweren Krämpfen auf dem Bett wälzte. Dymeon sprang herbei und versuchte sie festzuhalten, doch in ihrem Anfall entwickelte Zeliarina übermenschliche Kräfte. Sie entwand sich dem Griff des Dämons mit purer Muskelkraft und verpasste ihm gleichzeitig noch einen Elektroschock, der ihn gegen die Wand warf. Jessica bewegte noch immer lautlos ihren Mund, ihre Hand auf Zeliarinas Stirn, ihr Gesicht verzerrt als leide sie Schmerzen. Doch genauso schnell wie der Anfall gekommen war, verging er auch wieder. Zeliarinas Körper erschlaffte mit einem Schlag auf dem Krankenbett, Dymeon hielt ihre Hand besorgt noch eine Weile fest und Jessica brach auf der Bettkante in sich zusammen. Sie schien sich nur mit Mühe aufrecht halten zu können. Ihre Stirn war mit Schweiß benetzt und ihre Haut hatte die ungesunde graue Farbe von Haferschleim angenommen. "Ich...nein..." Dunkan beugte sich besorgt vor der Lancelorin auf ein Knie herab und blickte ihr einfühlsam in die weit aufgerissenen Augen. "Was ist passiert, Jessica? Ist alles in Ordnung mit dir?" Ein schwaches Nicken kam als Antwort. "Ich habe sie gesehen, die Nadel im Heuhafen", wisperte die Traumdeuterin kraftlos. "Sie sandte ein solches Strahlen aus, dass ich sie gar nicht wirklich suchen musste... Ich berührte sie... Und ich sah ein unsagbares Leid, dass jemand ihr in der Illusag zufügte... Ich spürte es, als wäre es mein eigenes Leid... Gefallene Freunde, verwundete Kameraden..." Jessica versagte kurz die Stimme. "Man fügt ihr Leid zu?", wiederholte Dymeon, ohne den Zorn aus seinen Worten verbannen zu können. Dunkan sah den Dämon kurz verwundert an, sagte jedoch nichts. Als er sich wieder Jessica zuwandte, schien sich diese etwas gefasst zu haben. "Ja, man fügt ihr Leid zu. Es ist als hätte jemand bei ihrem Eintritt in die Illusag einen Weg festgelegt, den sie beschreiten muss. Ich kann sie nicht von diesem Weg zurückholen, denn der, der ihn geschaffen hat, war mächtiger als ich. Doch dort erfährt sie nur Leid... Ich verstehe es nicht..." "Sabiduría?", mutmaßte Dymeon mit gerunzelter Stirn. Dunkan hob ahnungslos die Schultern. "Möglich... Vielleicht hat er vor seinem Tod diesen Weg in der Illusag erbaut, damit Zeliarina auch ohne seine Hilfe die Wahrheit erkennt, die er uns erst zeigen wollte..." "Sollten wir sie also vielleicht gar nicht zurückholen?", überlegte Dymeon weiter. Er schien mit dieser Idee keine wirkliche Freude haben, genauso wenig wie Jessica, die heftig den Kopf schüttelte. "Unmöglich! Noch mehr von dieser Qual und sie stirbt. Ich habe ihre Empfindungen nur kurz in der Illusag geteilt, doch sie haben mich beinahe zerstört..." "Was tun wir dann? Wir müssen Zeliarina endlich in die Realität zurückholen!", rief Dunkan. Keiner, nicht einmal die Traumdeuterin Jessica, wusste darauf eine Antwort. Schweigend betrachteten die drei Mitglieder des Lancelor-Ordens, wie die Wächterin Thundenstars erneut friedlich in ihrem Bett lag und zu schlafen schien. Nach einer Weile trat Dymeon an ihr Bett und strich ihr sanft über die eiskalte Haut und die blauen Lippen. "Ich habe als Schutzritter versagt...Ohne, dass ich etwas dagegen tun kann, verwelkt sie vor uns wie ein Blume", hörten sie ihn murmeln. Es war nur dieser eine kleine Satz, der etwas in Jessicas Erinnerung rief. Sie setzte sich ruckartig auf, als hätte sie einer von Zeliarinas elektrischen Schlägen getroffen "Es gibt eine Pflanze, die Zeliarina helfen könnte... Es ist mir erst jetzt eingefallen, aber sie könnte helfen. Sie soll jeden aus der Illusag holen können, egal wie tief derjenige in der Traumebene versunken ist..." Dunkan strahlte sie begeistert an und Dymeon hielt in seiner Bewegung inne, um ihr einen undefinierbaren Blick seiner dunklen Augen zu schenken. "Es gibt nur ein Problem", murmelte Jessica vorsichtig. "Es ist die weiße Sternenblume und sie wächst nur an einem Ort auf der Welt: auf der Spitze des Mount Everest..." Kapitel 17: Interludium III --------------------------- Interludium III Zeliarina stand plötzlich auf einem breiten Bürgersteig. Menschen liefen achtlos an ihr vorbei und Autos brausten mit aufheulendem Motor über die Straßen, die die hohen Gebäude der Umgebung wie Adern durchzogen. Sonnenlicht reflektierte auf den Fassaden aus Glas oder Metall und stach ihr unangenehm in den Augen. Ohne Zweifel befand sie sich im Zentrum einer gewaltigen Weltmetropole wie London, Chicago oder Tokio. Die Hektik der Stadt schien allgegenwärtig und erfasste jeden umliegenden Menschen, als wäre es ein Fieber, das zur Eile zwang. Zeliarina selbst blieb von dieser Krankheit unbetroffen, als gehöre sie nicht an diesen Ort. Sie beobachtete die vorbeihuschenden Menschen, ohne sich ihre Gesichter merken zu können. Dann schien ein Knall, so laut wie tausend brüllende Stürme, die Grundfesten der Erde zu erschüttern. In der Ferne fuhr ein blendend weißer Lichtstrahl in den Himmel. Wo er die Wolken traf, färbten sie sich schwarz, als verbrannten sie unter dem intensiven Gleißen. Nachdem sich die Schwärze über den gesamten Himmel ausgebreitet hatte, erbebte die Welt unter einem zweiten Donnerschlag. Blitze zuckten. Eine Druckwelle, die in der Luft deutlich sichtbar war, breitete sich kreisförmig von dem Quellpunkt des Lichtstrahls aus, um alles im Weg zu zerstören oder mit sich zu reißen. Ganze Autos wirbelten meterweit durch die Luft. Häuserwände und Fenster explodierten, Menschen wurden zu Boden gerissen und Wolkenkratzer brachen unter den freigesetzten Kräften dröhnend in sich zusammen. Nur Zeliarina blieb davon erneut unberührt. Die Donnerhexe hob langsam vom Boden ab und wurde entgegen der Ausbreitungsrichtung der Zerstörung zum Zentrum des Lichts getragen, das alles ausgelöst hatte. Es kam neben ein paar Häusern direkt aus dem Asphalt einer großen Hauptstraße. Zeliarina tauchte unbeeindruckt durch die brennende Säule in den Untergrund hinab. Als sie unten angelangt war, befand sie sich in einer weiten, augenscheinlich uralten Halle wieder. In der Mitte dieser Halle stand ein siebenzackiges Podest, umringt von sieben dunklen Gestalten, die an jeder Ecke Stellung bezogen hatten. Ein Schwert steckte vor jedem in einer Öffnung am Rande der Plattform und sendete ein immer unterschiedliches Farblicht aus, das sich in der Mitte mit den anderen Lichtern verband und weiß in den Himmel emporschoss. Als Zeliarina an einer Ecke Ereos erkannte, verstand sie plötzlich... Dämonen... Sie beschwören mit den Götterschwertern die Dunkle Dämmerung... Eine fremde weibliche Stimme sprach in ihr Ohr. Sie hatte das Gefühl diese Stimme bereits ein paar Mal in ihren normalen Träumen gehört zu haben, schüttelte diesen absurden Gedanken jedoch schnell wieder ab. Ein siebenzackiges Steinpodest, aus dem ein schwarzer Drache fährt und die ganze Welt verdunkelt und alles zerstört, was an die Menschheit erinnert... Die Worte klangen noch in ihren Ohren, da wurde sie schon wieder in die Lüfte gehoben und an die Oberfläche zurück getragen. Die Straßen und Gebäude der Stadt waren zu Trümmern zerfallen, unzählige Menschen trauerten fassungslos neben den Leichen anderer. Zeliarina wollte gerade zu ihnen hinunter schweben, als sich die weiße Lichtsäule plötzlich vor ihren Augen verdunkelte und tatsächlich die Form eines schlangenartigen Drachen annahm. Das Ungetüm war unbeschreibbar groß, so dass es beinahe aus dem Weltraum zu sehen sein musste, und schwarz wie die Nacht. Mit einem unirdischen Schrei stürzte es sich auf die Metropole nieder und attackiertes alles, was seinen Klauen zu nahe kam. Ganze Stadtviertel fielen seiner Wut zum Opfer. Es machte sich gerade über einen blinkenden Funkturm her, als ein zweiter Lichtstrahl den ersten ersetzte. Dieser verwandelte sich sofort in einen riesigen, schneeweißen Raubvogel, der sich ohne Umschweife auf den schwarzen Drachen warf. Wild rangelten beide Ungetüme miteinander, ohne dass eines die Oberhand gewinnen konnte. Zeliarina wurde wieder in die Tiefe gezogen. Dort, wo sich vorher die Dämonen um das Podest getummelt hatten, standen nun sieben stolze Lancelor mit ihren traditionellen weißblauen Bändern. Einer von ihnen war Dunkan. Er hatte einen befreiten Ausdruck in seinen Augen und hielt den Griff des Schwerts vor ihm umklammert. "Wir haben es geschafft, Zeliarina... Wir haben getan, was du wolltest..." Und von oben durchdrang eine helle Stimme die Menschen bis ins Herz. Auch ohne ihn zu sehen, wusste Zeliarina, dass es die Stimme des weißen Vogels war. "Ich beende den Krieg..." Und Zeliarina verstand... Sie verstand die Wahrheit... Schwarz und Weiß... Dämonen und Menschen... Drache und Vogel... Das Mädchen zitterte vor unterdrückter Begeisterung, als ihr klar wurde was das für den Orden und die Lancelor bedeutete. Endlich gab es wieder Hoffnung! Endlich konnten sie wieder etwas unternehmen, anstatt sich zu verkriechen und Zeliarina zu beschützen! Dunkel und Hell... Die daraus resultierende Schlussfolgerung war nur allzu logisch. Dunkle Dämmerung und Helle Dämmerung... Die Antwort war so simpel, dass Zeliarina beinahe aufgelacht hätte, weil sie es nicht vorher verstanden hatte. Wenn die Dämonen die Götterschwerter in das Steinpodest steckten, würde der Drache über die Welt kommen und die Menschen auslöschen. Doch wenn die Menschen die Götterschwerter besäßen, wäre die Wirkung entgegengesetzt. Sie würden den Vogel beschwören und so die Dämonen ein für alle mal besiegen. Sie würden den Krieg endlich beenden können. "Das ist die Wahrheit, nicht wahr?", fragte Zeliarina glücklich. Die andere unbekannte Stimme, die sie nicht in ihren normalen Träumen heimgesucht hatte, aber ihren Weg in der Illusag beobachtet haben musste, antwortete: "Es liegt nicht an mir, dir das zu sagen... Ich kann nur zeigen..." Doch am Klang der ausgesprochenen Worte wusste Zeliarina, dass der Besitzer der Stimme gutmütig lächeln musste... ----------------------------------------- Ein neues Jahr, eine neue Hoffnung... Dymeon trifft auf einen unerwarteten Gegner und muss die blaue Sonne gegen seine Brüderschwerter in die Schlacht führen... Kapitel 18: Dymeons Suche: Die weiße Sternenblume ------------------------------------------------- Suuuuper vielen Dank an meine Leser! Ich freue mich ehrlich über jedes einzelne Kommi!^^ Es macht auch nichts für jedes Kapitel eins zu schreiben, Elayne, im Gegenteil mehr Kommis lassen die Geschichte doch für Außenstehende attraktiver aussehen^^ Danke auch an Schattenthron, Renesati und Tikal! Ich nehme mir eure Kritik zu Herzen, versuche weiterhin schnell neue Kapitel zu schreiben/hochzuladen und hoffe Dunkle Dämmerung wird euch noch ne Weile begeistern!^^ Hier jetzt erstmal der letzte Teil von Dymeons Reise: (Bleibt mir gewogen^^) ------------------------------------------------- Kapitel XV - Dymeons Suche: Die weiße Sternenblume Kevin Douglas lag in seinem Zimmer auf dem großen, gemütlichen Bett und starrte an die Decke. Neun Tage waren seit der Schlacht gegen Assessina und der Verwundung seiner zwei Freundinnen vergangenen. Victoria hatte sich inzwischen wieder vollständig von ihrem durch Aramea verursachten Anfall erholt, Zeliarina dagegen befand sich noch immer in einem komaartigen Zustand und wandelte durch die unergründlichen Tiefen der Illusag. Es gingen Gerüchte um, dass Dymeon im Namen des Ordens eine frühere Lancelorin neu rekrutiert haben soll, doch auch diese schien mit dem Problem nicht fertig zu werden. Nichts konnte Zeliarina zurückholen. Viele Leute in Falcaniar hatten die Hoffnung auf ihre Genesung bereits aufgegeben, denn nach neun Tagen war noch nie jemand aus der Traumebene zurückgekehrt. Kevin seufzte und drehte seinen Kopf, so dass er aus dem Fenster gucken konnte. Schnee lag in einer dicken Schicht über dem Weg, der zum östlichen Strand der Insel führte. Der Winter hatte die Welt noch immer fest im Griff und das Thermometer, das Kevin draußen angebracht hatte, zeigte rekordverdächtige Minusgrade. Wenigstens schneite es nicht, denn Kevins Kalender verkündete den 31. Dezember, also Sylvester. Man wollte den Tag in Falcaniar feierlich begehen, um den Ordensmitgliedern zumindest den geringen Eindruck zu geben, dass das Leben normal weitergehen würde. Einige Lancelor hatten sogar Feuerwerkskörper gekauft, während sie im Rahmen eines Auftrags am Festland gewesen waren. Kevin musste dafür nicht einen Finger krümmen. Perfekt zum Frühstück brachte ein Lancelor im Auftrag von Kevins Vater ein Pakt mit Knallern. Kevin hätte es beinahe sofort weggeschmissen. Diese Art von Geschenken kam häufig von seinem Vater. Er hatte es nie ausgesprochen, doch als weltberühmter Schauspieler war er auf gewisse Weise erleichtert seinen schwierigen Sohn nicht bei sich haben zu müssen. Kevin hatte das Paket lange betrachtet, ehe er es schließlich doch an sich nahm. Was nützte es die Feuerwerkskörper abzulehnen, wenn er sie zum Wohle seiner wahren Heimat einsetzen konnte? Schließlich sollte Sylvester nicht genauso ein trübsinniger Feiertag wie vergangenes Weihnachten werden, nachdem man die im Geist gefangene Zeliarina aus den Ruinen von Tradan zurückgebracht hatte... Es klopfte an der Tür. Kevin stellte mit der Fernbedienung die Punkmusik leiser, die aus seiner Anlage hämmerte, und stand auf, um die Tür zu öffnen. Victoria stand auf der Schwelle und betrat das Zimmer wortlos. Sie war in den letzten Tagen oft zu ihm gekommen. Manchmal spielten sie dann ein wenig Schach oder unterhielten sich über die Zukunft, manchmal saß sie jedoch auch einfach nur schweigend neben ihm auf dem Bett und lauschte der Musik. "Irgendetwas Neues?", fragte Kevin die Telepathin. Victoria ließ sich auf dem Bett nieder, betrachtete ihn eine Weile aus ihren unergründlichen, kühlen Augen und nickte schließlich. "Wie die meisten Lancelor sagen, ist Dymeon gestern mit einer Frau zurückgekehrt. Sie heißt Jessica und war zu ihrer Zeit wohl eine mächtige Traumwandlerin des Ordens. Doch als ich heute Doc Fossil getroffen habe, konnte ich aus ihren Gedanken lesen, dass selbst Jessica nichts unternehmen konnte. Nun ist Dymeon auf der Suche nach einer Pflanze, die vielleicht zu einem hilfreichen Serum verarbeitet werden könnte..." "Also gibt es immer noch Hoffnung", beendete Kevin lächelnd. Der Gedanke gab ihm irgendwie Mut, denn obwohl der Lancelor-Orden jetzt zwei Götterschwerter besaß, schien die Stimmung bedrückter als sonst. Es schien fast so, als würden einige nicht mehr voll dabei sein, so als kämpften sie nicht mehr mit so viel Energie wie früher. So als würden sie resignieren... "Es ist nur das gewaltige Atemholen vor dem Angriff", erklärte Victoria, die wie so oft schamlos seine Gedanken las. "Die Lancelor warten auf das, was mit Zeliarina geschehen wird. Die Dämonen dagegen haben Azuransas verloren und brüten vermutlich darüber, wie sie es zurückbekommen. Es ist eine Pattsituation..." "Dann sollten wir die kurze Ruhe genießen, solange sie uns gewährt bleibt..." Victoria nickte zustimmend und lehnte ihren Hinterkopf mit geschlossenen Augen gegen die Wand. Kevin fand, dass irgendetwas in letzter Zeit anders an ihr war, konnte jedoch nicht mit dem Finger darauf zeigen. Nachdenklich glitt sein Blick über ihre schwarzen Haare, den weißen Nacken, die zarten Hände und die Brust, die sich gleichmäßig hob und senkte. Als er den Gedanken nicht verdrängen konnte, dass sie - egal was anders war - noch schöner war, errötete er. Schnell versuchte er den Gedanken mit irgendetwas anderem zu überdecken und erinnerte sich an das Päckchen Feuerwerkskörper, das ihm geschenkt worden war. Mit überschwänglicher Begeisterung zeigte er es Victoria, auch wenn er dabei das Gefühl hatte, dass ihre Augen mehr auf ihm lagen als auf dem Paket... Die Zeit verflog und Dunkelheit brach herein. Einige Lancelor, unter anderem der Palas Storm, wuselten auf dem weiten Feld vor Falcaniar herum und bereiteten alles für ein Feuerwerk vor, an dass man sich noch lange erinnern würde. Schließlich gab es auch junge Begabte, die nur zur Ausbildung in der Feste waren und deswegen nichts mit den Lancelor und ihrem Krieg gegen die Dämonen zu tun hatte. Natürlich wünschte man sich, dass möglichst viele von ihnen die Höhle der Prüfungen durchschritten, um ein Ordensmitglied zu werden, doch man zwang niemanden. Storm war gerade damit beschäftigt eine Reihe silbergoldner Raketen mit dem Hauptzünder zu verbinden, als Dunkan vor ihm auftauchte. Der Mann mit dem Blut der Macht lächelte ihn gutmütig an. "Du bist also tatsächlich hier..." "Ich kann nicht nur kämpfen, falls du das meinst", erwiderte Storm mit grimmigem Stolz, während er die letzten Kabel verband. "Ich habe in der Armee auch mit Sprengstoff gearbeitet. Ohne mich würde das Ganze hier doppelt solange dauern..." "Dann ist es ja gut, dass es dich gibt, denn es ist bereits fast zwölf. Die Zeit für den Aufbau ist knapp bemessen", meinte Dunkan mit einem Blick auf seine Armbanduhr. "Außerdem habe ich mir eingebildet, heute Nachmittag bereits einige Raketen durch die Luft zischen zu sehen..." Storm wank lässig ab. "Ja, das waren ein paar Fehlzündungen..." Der Palas erhob sich, betrachtete seine Arbeit zufrieden und rief einem jüngeren Lancelor zu, er solle die letzten Tests durchführen. Dann wandte er sich wieder seinem Freund zu und ging mit ihm unaufgefordert ein Stück zum Strand herab. Der Sand war selbst durch die Schuhe hindurch spürbar kalt. Ihre Atem stiegen als Wölkchen in den klaren Nachthimmel hinauf, während sie wortlos den rauschenden Wellen dabei zusahen, wie sie gleichmäßig in die Bucht rollten. Storm zog eine Zigarette aus der Tasche und steckte sie an. Als er den Rauch einmal kräftig inhalierte und dann wieder ausstieß, sah ihn Dunkan überrascht an. "Du rauchst wieder?" "Ja, seit heute", erklärte Storm mit einem verzerrten Lächeln. Er nahm noch einen Zug und ließ den blauen Dunst bewusst langsam aus seinem Mund steigen. "Wahrscheinlich werde ich eh nicht lange genug leben, um das irgendwann mal zu bereuen... Vielleicht ist das schon mein letztes Sylvester..." "Wieso sagst du das?" "Ich weiß nicht. Eine Vorahnung vermutlich. In letzter Zeit bin ich meinem Ruf, selbst Hochdämonen bekämpfen zu können, nicht mehr gerecht geworden... Xicanh in Thundenstars Tempel und Assessina in den Ruinen von Tradan hätten mich töten können, wenn sie gewollt hätten. Ich sehe unseren Nachwuchs kämpfen und fühle mich dabei selber schrecklich alt..." Dunkan lachte nur, als wolle er andeuten, dass er wohl mehr Grund hatte sich alt zu fühlen. Doch auch er spürte die zunehmende Kraft des Däezander und die immer aggressiveren Verhaltensweisen der Dämonen. Nach Dymeons Erzählungen wurde man inzwischen sogar auf offener Straße angegriffen. "Dieses Jahr wird heftig...", stimmte der Palas schließlich zu. "Und vielleicht unser letztes", ergänzte Storm. Dann ließ ein Knall ihn herumfahren. Bunte Lichtkaskaden, Raketen und Blitzfeuerwerke erhoben sich in der Luft und erhellten den Himmel in allen erdenklichen Farben. Storm beobachtete das Schauspiel zufrieden. "Schönes Neues", brummte er leise. "Hast du irgendwelche Vorsätze?" "Den gleichen wie jedes Jahr: Endlich den Krieg beenden..." Storm beobachtete lächelnd, wie sich Dunkans Gesichtszüge spannten und Entschlossenheit seine Augen entflammen ließ. Egal wie angeschlagen der Orden sein würde, solange dieser Mann noch lebte, gab es jemanden, der sich gegen den Däezander wehrte. Er war ein Stützpfeiler der Hoffnung und würde das auch immer sein. "Es wird ein heftiges Jahr... Doch nicht nur für uns, sondern auch für unsere Feinde..." Victoria und Kevin beobachteten das gewaltige Feuerwerk von einem anderen Ort aus. Nachdem sie am Tag noch eine Weile in Kevins Zimmer geblieben waren, hatte die Telepathin plötzlich ganz überraschend geäußert, dass ihre Wohnung direkt in einer der beiden Turmspitzen lag und sie sich die Sylvesternacht von dort aus angucken konnten. Kevin hatte begeistert zugestimmt. Jetzt hockte er bei den Zinnen des runden Turmdachs und ließ von dort aus seine eigenen Raketen starten, um die große Flut von Farben, Lichtern und Blitzen zu vervollkommnen. Victoria saß daneben, ließ die Beine furchtlos über den Rand hinaus baumeln und beobachtete den Elementaren, wenn dieser die Lunten mit seinen Feuerkräften anzündete. "Praktisch. Bei dieser Kälte würde kaum ein Feuerzeug funktionieren", murmelte Kevin zufrieden, während er wieder zu Victoria sah. Er bemerkte deutlich wie sie ihren Blick schnell von ihm nahm, als sich seine braunen Augen auf sie richteten, und hob darüber verwirrt die Augenbrauen. "Ist alles in Ordnung?" "Ja", murmelte sie ruhig, doch ihre bebende Stimme strafte das Gesagte lügen. Auch ihr Körper zitterte. Es dauerte ein Weile bis Kevin verstand, dass sie in der beißenden Kälte frieren musste. Hastig zog er sich seine Jacke aus und stellte sich hinter Victoria, um sie ihr wärmend um die Schultern zu legen, als ihre Stimme ihn stoppte. "Mir ist nicht kalt...", flüsterte sie leise. Kevin setzte sich jetzt noch verwirrter neben ihr auf die graue Zinne und betrachtete das Profil ihres weißen Gesichts, das vom Mondlicht und den Farben des Feuerwerks beschienen wurde. Ihre Schönheit raubte ihm den Atem und er verdrängte rasch den absurden Vergleich mit einem Engel, ehe Victoria ihn in seinem Kopf finden würde. "Was ist es dann?" "Ich habe Angst vor der Zukunft", erklärte die Telepathin mit einer merkwürdigen Freude in der Stimme. "Und das macht mich so unendlich froh... Ich kann es nicht erklären, doch wenn ich bei dir bin, rumoren so viele Gefühle in mir, dass ich glaube zu platzen..." Kevin war dankbar für die Dunkelheit der Nacht, die sein rotes Gesicht versteckte. "Ich danke dir Kevin... Ich danke dir dafür, dass ich deinetwegen endlich wieder fühle. Ich danke dir dafür, dass ich endlich wieder wirklich lebe..." Sie drehte ihm das Gesicht zu und schenkte ihm ein seltenes, unendlich reines Lächeln, das Kevins Herz zum Aussetzen brachte. Der Elementare glaubte vor Glück laut schreien zu müssen. Niemals hatte Victoria so gelächelt, niemals hatte sie eine echte emotionale Reaktion gezeigt außer in den Stunden, in denen Assessina sie verwundet hatte. Doch nun saß sie neben ihm auf dem Turm Falcaniars und lächelte ihn an. Der Moment schien wie aus einem Traum zu sein und wollte nicht enden. "Woher... woher kommt dieser plötzliche Wandel?", hauchte Kevin ehrfürchtig. Er konnte sich an Victorias Lächeln nicht satt sehen und hatte Angst, wenn er irgendetwas Falsches sagte, würde es verschwinden. Doch es verschwand nicht, obwohl die Telepathin wieder in den Himmel blickte, sondern schien mit einem Mal ein Teil ihres ohnehin schon schönen Gesichtes zu werden, um es noch wundervoller wirken zu lassen. Kevin spürte, wie ihre zarten Finger seine Hand suchten und sie sanft umschlossen, während ihr Kopf auf seine Schulter sank. Er hätte laut gejubelt, wenn das den Augenblick nicht zerstört hätte. Sein Herz schlug unendlich schnell, sein Grinsen schien festgeklebt. Vorsichtig drückte er ihre Hand und beobachtete mit ihr die andauernden Lichtblumen am Himmel, ohne noch einmal darauf einzugehen, dass sie seine Frage nicht beantwortet hatte... Ich würde gern noch mehr von meinen beiden Freunden berichten, doch da ich heute alle Hintergründe kenne und um ihr zukünftiges Schicksal weiß, erscheint mir dies zu schmerzlich... Stattdessen wandert meine Erzählung zu Dymeon, meinem Schutzritter, der weit entfernt von jeglichen Feierlichkeiten seinen einsamen, verzweifelten Kampf gegen den größten Berg der Welt antrat. Der Preis des Siegers war die weiße Sternenblume, die gleichbedeutend mit meinem Überleben war. Doch der Berg wollte sie nicht freiwillig herausgeben. Und er war nicht der einzige Feind, der sich Dymeon entgegenstellte... Allein der eigentliche Weg zum Mount Everest erwies sich für Dymeon schwierig. Er ließ sich diesmal zwar von den Lancelor mit allen Mitteln unterstützen und wurde mit einem der schweren, schwarzen Helikopter zum Flughafen von London gebracht, doch der früheste Flug in die Umgebung von Südasien ging erst in einer guten Woche. Der Dämon war gezwungen die Beziehungen des Ordens stärker zu beanspruchen als geplant. Erst nach mehreren Telefonaten mit dem Oberhaupt, den Mitgliedern in Asien und einigen hohen Tieren Englands, die den Lancelor noch den ein oder anderen Gefallen schuldeten, gelang es ein Flugzeug der Lancelor zu chartern, das frei über das Gebiet des Himalaja fliegen durfte. Nach vier Tagen sah Dymeon endlich aus dem Fenster eines Privatflugzeugs mit dem Zeichen der drei gekreuzten Silberspeere und beobachtete wie mehrere Länder flüchtig unter ihm vorbei zogen. Erst Belgien, Deutschland, Österreich und Ungarn, dann immer weiter südöstlich, bis Europa hinter ihnen lag und einigen anderen, weitflächigen Ländern Platz machte, die Dymeon nicht kannte. Sieben Stunden lang starrte der Dämon nach draußen, ehe das riesige Himalajagebirge am Horizont auftauchte, südlich davon Nepal, im Norden das sagenumwobene Land Tibet. "Da wären wir", verkündete der Lancelor-Pilot fröhlich. Dymeon starrte weiterhin auf die braungraue Bergkette mit den schneebedeckten Wipfeln, die so hoch in den Himmel stieg, dass ihre Spitzen von den Wolken verschluckt wurden. Ihre Maschine sank herab und landete in etwa eintausend Metern Höhe zielgenau auf einem schmalen, vegetationslosen Streifen, der so perfekt ausgelegt aussah, als wäre er hier mit Absicht für ankommende Flugzeuge geschaffen worden. Dymeon bedankte sich kurz bei seinem Piloten, stieg aus und ging alleine weiter. Seine dunklen Augen wanderten hinauf in die Schwindel erregenden Höhen des Berges, auf dem er sich befand. Eintausend Meter hatten sie bereits abkürzen können, also blieben noch etwa 7850 weitere. Der Dämon seufzte und stapfte los. Welch eine grausame Ironie, das die weiße Sternenblume ausgerechnet auf einem der am schwierigsten erreichbaren Orten der Welt wuchs. Das Schicksal stellte den Lancelor harte Prüfungen... Auch der Süden Asiens lag im gandenlosen Griff des kalten Winters. Schwere Schneestürme und gewaltige Minusgrade hatten bereits im Herbst große Reisernten zerstört, während sie nun das Land verwüsteten und viele Dörfer tagelang von der Außenwelt abschnitten. Selbst Dymeon spürte die betäubende Kälte durch seine Stiefel dringen. Er wusste, er konnte den Witterungen trotzen, doch er brauchte dafür einen starken Willen und musste sich immer wieder vor Augen halten, wofür er das tat... Für Zeliarina... Mit diesem Gedanken, der ihm in jeder noch so verzweifelten Lage neue Kraft gab, stapfte er los. Seine Beine sackten bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln im Schnee ein und die dünne Luft machte ihn deutlich kurzatmiger. Am ersten Tag kam Dymeon noch halbwegs gut voran, doch danach meldeten sich seine Muskeln schmerzhaft. Der eisige Wind fegte ihm über die Haut, als würden tausend winzige Nadeln auf ihn einstechen. Es hatte wieder angefangen zu schneien. Dichte Wehen und sein eigener Atem versperrten Dymeon die Sicht, während er Schritt für Schritt auf den zunehmend steileren Berg setzte. Für Zeliarina... Der dritte Tag folgte, noch schlimmer als der zweite. Inzwischen hatte sich der Schnee bis zu Dymeons Taille aufgetürmt und schien ihn mit eisigen Fingern festhalten zu wollen, als ließe der Berg nicht zu, dass ein sterbliches Wesen diese Wege lebend beging. Doch der Dämon kämpfte tapfer weiter und näherte sich stur dem Gipfel, selbst als er immer häufiger mit bloßen Händen über Felswände klettern musste. Für Zeliarina... Inzwischen hatte er bereits die Wolkendecke erreicht. Grauen Nebelschwaden, der andauernde Schneesturm und grausiger Eiswind tanzten um ihn herum, als wollten sie ihn verspotten. Es gab nichts mehr auf der Welt als Schnee und Kälte, nichts mehr außer dem andauernden Weiß oben und unten, das Dymeon völlig benommen machte und seinen Orientierungssinn zerstörte. Einmal glaubte er eine Weile im Kreis zu laufen, ein anderes Mal ging er versehentlich wieder bergab. Der Gipfel verschwand hinter einer undurchdringlichen Nebelwand, so dass sich Dymeon nur noch nach dem Gebirgsgefälle richten konnte. Dann am vierten Tag oder fünften Tag nahm der Dämon es zum ersten Mal wahr. Zuerst war es nur ein ganz schwaches Ziehen in seinem Kopf, dem er keine große Beachtung beschenkte. Doch nach und nach kehrte es immer stärker wieder, bis Dymeon seine schlimmste Befürchtung nicht mehr leugnen konnte: er spürte die Präsenz von Dämonen... Die Aura flackerte an verschiedenen Orten kurz auf und verschwand wieder, als befänden sich irgendwo mehrere Späher, die beauftragt wurden nicht einzugreifen. Dymeon blieb kurz stehen, formte seine Hände angriffsbereit zu Klauen und lauschte. Nur der Wind heulte. Entgegen seines guten Gewissens versuchte er seine Wahrnehmung zu leugnen, zu leugnen dass man ihn bemerkt hatte. Vorsichtig führte er seinen Weg fort, ohne auf die Dämonenaura zu achten, die immer wieder aufflackerte. Er hatte das Gefühl den Gipfel bald erreicht haben zu müssen. Vielleicht konnte er verschwinden, ehe Gefahr aufzog... Doch diese Illusion wurde schnell zunichte gemacht, als eine weitere schwarze Präsenz auftauchte, unendlich mächtig, gefährlich und tödlich... Dymeon stand da wie erstarrt, nicht mehr fähig einen klaren Kopf zu bewahren. Er versuchte seine frühere Gelassenheit anzunehmen, doch die Befürchtung er könne bei seiner Suche nach der Sternenblume scheitern, ließ ihn unwillkürlich schaudern. Zeliarina tauchte vor seinem geistigen Auge auf, blass und ohne Bewusstsein im Krankenflügel Falcaniars. Für Zeliarina... Dymeon spielte mit seiner Drachenkette, die seine Aura und damit auch seine Anwesenheit unterdrückte. Auch Assessinas Kette hing um seinen Hals. Er fuhr mit steif gefrorenen Fingern über die zwei silbrigen Anhänger und wog seine Chancen ab. Sicherlich war er noch nicht entdeckt worden... Doch vielleicht kannte der Däezander sein Vorhaben, vielleicht hatte Ereos irgendwann in den letzten Tagen einen eingeweihten Lancelor gesehen und seine Gedanken gelesen... Vielleicht wartete er jetzt auf ihn... Doch die Wahrscheinlichkeit war nicht sehr hoch, denn der Hochdämon, den er spürte, trug keine Drachenkette wie Ereos. Außerdem war die Aura nicht von Hass durchzogen, sondern einfach kalt. Wie der Schnee um uns herum... Aber egal was für ein Hochdämon sich auf dem Mount Everest befand, er war gefährlich. Und er rührte sich nicht von der Stelle, an der Dymeon ungefähr den Gipfel vermutete. Es konnte kein Zufall sein, der Däezander hatte ihm eine Falle gestellt und wartete geduldig darauf, dass er hineintappte... Grimmig ging Dymeon weiter. "Nun, wenn er ihr es so wollt! Ich komme!" Die letzten Stunden des Anstiegs vergingen für den Dämon so schnell, dass er selber darüber verblüfft war bereits das Ende seiner Reise zu sehen; der Gipfel zeichnete sich kaum zwanzig Meter von ihm entfernt gegen das graue Schneetreiben ab. Dymeon konnte die blasse Silhouette eines Mannes im Sturm erkennen. Sein langes Haar peitschte im Wind, doch er selbst blieb unbeweglich wie ein Fels in der Brandung. Als Dymeon noch näher trat, wurde er schließlich bemerkt. Der Unbekannte wartete, bis sie kaum zwei Manneslängen zwischen sich hatten, dann glomm Erkennen in seinen stahlgrauen Augen auf. "Blutträne", wisperte er verwundert. Seine Worte gingen im Heulen des Berges unter, doch Dymeon hatte seinen Feind auch ohne dessen Stimme erkannt. "Cenior..." "Du bist also tatsächlich hierher gekommen", meinte Cenior, diesmal fast schreiend, um den Sturm zu übertönen. "Durch meine Oggrons, die hier überall herumstreifen, wusste ich von dir. Doch dass du tatsächlich kommst um gegen mich zu kämpfen ist beachtlich. Auch wenn ich es nicht ganz verstehe. Hast du den Kampf nicht immer verabscheut?" "Du weißt, warum ich hier bin..." "Um mich zu töten, vermutlich. Warum sonst suchst du mich, einen der gefährlichsten Gegner deiner Lancelor, ausgerechnet an dem Ort auf, an dem ich mich alleine abhärte und stärke...?" Dymeon ließ ein Zischen vernehmen. Er konnte es beinahe nicht glauben, doch Cenior schien den wahren Beweggrund seiner Reise nicht zu kennen. Es war nichts als ein grausamer Zufall, dass die Hochdämonen hier aufeinander trafen. Es war nur ein Zufall, dass Cenior zu seiner Stärkung ausgerechnet auf den Gipfel des Mount Everest stieg. Unter seinen Füßen glitzerten die hellen zackigen Blüten der weißen Sternenblumen, die sich an diesem Ort trotzig gegen alle Witterungen behaupteten... Unvorstellbar, dass diese zarten Gewächse die Hoffnung der gesamten Menschheit sein sollten... Dymeon lachte auf. Wie heimtückisch war das Schicksal... "Nun gut, dann fordere ich dich heraus", rief der Dämon mit den Bluttränen fest. Einen Moment lang verharrten er und Cenior schweigend in dem tobendem Schneegestöber auf dem höchsten Berg der Erde und starrten sich durch eine Wand aus Kälte und eisiger Luft hindurch einfach nur an. Dann zerbrach der Augenblick. Cenior warf sein langes, schwarzblaues Haar zurück und stürzte sich mit dämonischen Klauen auf seinen Gegner. Dymeon reagierte rechtzeitig, indem er Azuransas aus dem Gürtel zog. Das blaue Licht der Klinge durchbrach Schnee und Wolken und brachte Cenior dazu mit geblendeten Augen stehen zu bleiben. "Weiche zurück, Cenior... Du bist vielleicht der stärkste Dämon überhaupt, doch selbst du kannst dich nicht gegen ein Götterschwert behaupten", schrie er warnend. Cenior lächelte nur nachsichtig. "Ach ja, Azuransas... Du hast es von der Dämonin, die dich einst liebte und die Ereos liebt... Er würde dich dafür gerne töten, aber das ist ja nichts Neues..." Dymeon erwiderte nichts. Er hatte gehofft, dass Cenior zumindest ein bisschen eingeschüchtert sein würde, doch der Hochdämon blieb cool wie ein Eisblock. Schließlich griff er mit beiden Händen in seinen langen Mantel. "Du hast Recht, ein Götterschwert ist eindrucksvoll... Doch es ist nicht so gut wie zwei Götterschwerter...", zischte er genüsslich, während seine Hände zwei eindrucksvolle Klingen zum Vorschein brachten, die eine aus reinem Gold, die andere silbern wie der Neumond. "Das sind Goth, das Goldschwert, und Luna, die Waffe des Mondes... Glaubst du dich gegen mich und diese zwei Prachtstücke behaupten zu können...?" Dymeon rührte nicht einen Muskel und ließ seine dunklen Augen über die heiligen Waffen wandern. Also war auch Cenior eine Schattenklinge, ein Dämon mit einem Götterschwert... Doch um den Kampf geht es nicht... Es ging nie darum... Vorsichtig setzte Dymeon einen Schritt nach vorn. Sein Blick huschte kurz zu den Blumen, die überall um Ceniors Beine herum aus dem Schnee lugten. Ich brauche diese Sternenblume... Er machte noch einen Schritt auf den Gegner zu. Cenior kreuzte seine Klingen und ließ sie mit einem sirrenden Geräusch übereinander gleiten, ehe er zu einem weiteren Angriff überging. Dymeon schoss ihm Azuransas' blaue Druckwelle entgegen, doch Cenior hielt Luna vor sich und ließ die Magie an sich abprallen wie Wasser von Porzellan. Gleichzeitig ließ er Goth auf den Dämon mit den Bluttränen niedergehen. Dymeon parierte den Hieb im letzten Augenblick mit seiner eigenen Waffe. Goldblaue Funken fielen in den Schnee und schmolzen Löcher in die dichte weiße Decke, während die beiden Dämonen Schlag um Schlag austeilten, ohne den Feind zu treffen. Cenior schwang Luna und Goth in schnellen weiten Spiralen und Bögen, die Dymeons Verteidigung jedes Mal beinahe durchbrachen. Dymeon selbst kämpfte sich verbissen vorwärts, um den Sternenblumen näher zu kommen. Er hatte es gerade geschafft Cenior auf den Gipfel zurückzutreiben, als er eine blendend blaue Druckwelle aussendete. Diesmal traf sie ihr Ziel. Cenior keuchte, wurde davon geschleudert und rutschte den Abhang ein Stück herunter, wobei er Schnee und Geröll mit sich riss. Dymeon nutzte die Zeit um sich auf die Knie fallen zu lassen und so viele Sternenblumen wie möglich in seine Taschen zu stopfen. "Blutträne!!!" Cenior stapfte wieder zu ihm hoch, diesmal mit Augen, in deren Grau eine unbezähmbare Kampfeslust schwelgte. Wie ein dunkler Berggott kam er mit beiden Schwertern in der Hand, das Haar als langer Schweif hinter ihm. Dymeon wollte sich schnell erheben, doch Cenior war bereits bei ihm und versetzte ihm einen heftigen Tritt. Noch ehe er vor Schmerz aufstöhnen konnte, durchdrang Goth sein Fleisch mit unvorstellbarer Wucht. "Du bist kein Gegner..." Blut spritzte. Dymeon schrie. Selbst als Dämon konnte er diese Verletzung nicht ertragen, doch der Wind verschluckte sein Leiden erbarmungslos. Kälte drang hart auf ihn ein, der Schnee rieselte unerbittlich weiter. Dymeon zitterte, versuchte sich wieder zu erheben, doch die Kraft wich zusammen mit dem Blut aus seinem Körper. "Bedauerlich, dass der Däezander dich noch immer als ernste Bedrohung ansieht... Du warst den Kampf kaum wert..." Ohne eine Gefühlsregung steckte Cenior seine Schwerter wieder ein, nahm Azuransas aus Dymeons klammem Griff und spuckte seinem Gegner zum Abschied ins Gesicht. Dann verpasste er ihm einen Tritt, der ihn ein Stück den Abhang hinunterrollen ließ. "Ich weiß nicht, warum Ereos einen solchen Wirbel um dich macht..." Und mit diesen Worten verschwand er im Schneegestöber. Dymeon blieb in einem Feld aus schwarzrotem Schnee allein zurück. Sein Geist war gebrochen und sein Körper verwundet, doch die Einzigen, die davon Notiz nahmen, waren der andauernde Wind und der stille Berg... Der Orden wartete nach Sylvester täglich auf ein Lebenszeichen von Dymeon. An jedem Morgen suchten sie mein Bett auf und vergewisserten sich, dass ich nicht an der inneren Kälte der Illusag gestorben war, so wie es eigentlich nach so langer Zeit hätte sein müssen. Doch auch ich kämpfte einen Kampf gegen die Kälte, genau wie mein dämonischer Schutzritter. Da ich nun die Lösung für die Probleme der Lancelor kannte, klammerte ich mich mit aller Macht an das letzte Fünkchen Leben in mir und kämpfte, wie ich noch nie gekämpft hatte. Doch die Tage gingen und gingen, Lancelor besuchten mich, vergewisserten sich, ich klammerte und kämpfte. Schließlich betete man sogar um Dymeons Rückkehr... Der Dämon kehrte nicht zurück. Und draußen rieselte der Schnee herab wie der Sand eines ablaufenden Stundenglases, während er zu wispern schien: "Keine Zeit mehr... Keine Zeit mehr..." -------------------------------------- Ein weißer Vogel und ein schwarzer Drache... Die Kreaturen der Dämmerungen... Was... sind sie eigentlich? Kapitel 19: Ein Neuanfang ------------------------- So Leutz, sorry dass ich euch habe warten lassen, vor allem mit so einem Cliffhänger *muahaha* Aber jetzt geht es endlich weiter. Und Schattenthron, den gefundenen Fehler habe ich gleich korrigiert, falsche Rechtschreibung (und natürlich andere Kritik) könnt ihr mir jederzeit melden. --------------------------------------------- Kapitel XVI - Ein Neuanfang Kevin saß schweigend auf einer Zinne der Haupttormauer und starrte hinaus in die Dunkelheit. Über ihm hing die blasse Sichel eines Neumondes, teilweise verborgen von dicken Winterwolken, die jeden Augenblick neuen Schnee abwerfen konnten. Sein Atem hing in der Luft, als er seufzte. "Dymeon, du Idiot! Wo steckst du nur?" Er musste kein Telepath wie Victoria sein um zu erkennen, dass in Falcaniar niemand mehr an die Rückkehr des Dämons glaubte. Einige sagten er sei getötet worden, andere behaupteten der Mount Everest habe selbst ihn in die Knie gezwungen. Es gab sogar vereinzelte Lancelor wie Pendrian, die die These vertraten er sei im Endeffekt vom Däezander bekehrt worden. Nur die Menschen, die wirklich eng mit Dymeon zu tun hatten, wollten nicht wahrhaben, dass er in seiner Rolle als Schutzritter versagt hatte. Dunkan wachte Tag und Nacht an Zeliarinas Bett. Storm rauchte Zigarette um Zigarette, während er leise Verwünschungen grummelte. Und Kevin selbst saß mit Victoria den siebenundzwanzigsten Abend über dem Tor Falcaniars, während er hoffnungsvoll und endlos geduldig die Insel beobachtete. "Ich weiß, er kommt zurück... Ich habe es in seinen Augen gesehen, als er sie angeschaut hat... Er würde Zeliarina nicht enttäuschen, nichts könnte ihn aufhalten...", murmelte er leise. Hinter ihm hörte er Bewegungen, ehe sich zwei zierliche Arme von hinten um seinen Oberkörper legten und Victorias Kopf an seiner Schulter auftauchte. Die Telepathin lächelte. Auch wenn sie es seit Sylvester häufiger tat, glaubte Kevin jedes Mal ein ehrenvolles Privileg zu erhalten, wenn er sie dabei beobachten konnte. Auch ihre Berührungen erfüllten ihn mit unendlicher Freude. Sie schien endlich aufzutauen, so wie er es sich seit ihrer ersten Begegnung gewünscht hatte. Manchmal, wenn sie so dasaßen und er ihren warmen Atem an seinem Ohr spüren konnte, fragte er sich sogar, ob sie vielleicht mehr für ihn werden könnte als ein Freund, auch wenn sie das damals im Krankenzimmer indirekt abgelehnt hatte. Kevin biss sich hart auf die Zunge, als ihm bewusst wurde, dass der Gedanke zu lange in seinem Kopf haften blieb. So schnell es ging verdrängte er es, auch wenn er sich sicher war, dass es dafür zu spät war. Doch Victoria wandte sich nicht ab. Im Gegenteil, Kevin glaubte ihre Arme noch fester um sich zu spüren. "Dymeon kommt zurück", stimmte sie flüsternd zu. "Seine Gedanken sind so klar wie deine, voller Gefühl, voller Hoffnung und Mut, voller Liebe..." Liebe für dich, Victoria... Kevin konnte nicht sprechen. Mit klopfendem Herzen starrte er weiter hinaus in die dunkle Bucht, unfähig sich zu rühren oder die um Victoria kreisenden Gedanken zu verbergen. Er glaubte schon all ihr Vertrauen mit diesen geheimen Wünschen zu zerstören und sie für immer zu verlieren, als er plötzlich eine einsame Gestalt aus einem der Motorboote klettern sah. Mit aller Kraft konzentrierte er sich völlig auf diesen Ankömmling. Er war in schwarz gekleidet, so dass man ihn kaum erkannte. Seine Bewegungen wirkten schwerfällig, beinahe gequält, als würde er eine große Last tragen oder Schmerzen haben. Er kam nur langsam näher. Es handelte sich eindeutig nicht um einen Lancelor mit seiner weißen Weste und seinem blauen Mitgliedsband, sondern um einen unheimlichen, schwarzhaarigen Wanderer. Kevin erkannte ihn, als Mondlicht für einen winzigen Moment auf ein dunkelrotes Stirnband fiel... "Dymeon!" Erleichterung durchflutete den Elementaren mit solch einer Wucht, dass er beinahe glaubte sich in dem gewaltigen Gefühl zu verlieren und zu Feuer zu werden. Nur die Sorge um Victoria hielt seinen Körper davon ab sich den überwältigenden elementaren Kräften hinzugeben. Begeistert und lachend drehte sich Kevin in der Umarmung der Telepathin, um ihr in das wunderschöne lächelnde Gesicht schauen zu können. "Er ist zurück! Er ist endlich zurück!" Ohne zu überlegen legte er seine Arme um ihre Taille, drückte sie an sich und lachte, bis ihm der Bauch wehtat. "Er ist da! Er ist da!" Er schrie ohne Rücksicht auf die Lancelor, die zu dieser Stunde bereits schliefen. Hastig ließ er von Victoria ab, schnappte sich ihre weiche Hand und rannte zusammen mit ihr ins Innere Falcaniars, dort ein paar Treppen runter, verschiedene Gänge entlang. Unentwegt schrie Kevin aus vollem Halse "Er ist da! Er ist da!", während er mit der Faust an die vorbeiziehenden Zimmertüren hämmerte, ohne auf den Protest der Bewohner zu achten. "Er ist da! Er ist da!" Als sie den Innenhof mit dem Brunnen durchquert hatten und vor dem Haupttor standen, schnappten beide nach Luft. Kevin gönnte sich trotzdem keine Pause, ehe er an den schweren Metallringen zerrte, mit denen man die gewaltigen Tore öffnete. Hinter ihm spürte er Victorias Augen auf sich ruhen und hörte ihr leises, unterdrücktes reines Lachen, das sein Herz zum Schlagen brachte wie eine Buschtrommel. Sie ist so süß, wenn sie offen ist... Kevin war so glücklich über Dymeons Rückkehr und Victorias immer häufigere Gefühlsregungen, dass er sich nicht einmal die Mühe machte seinen Gedanken zu unterdrücken. Stattdessen blickte er kurz über seine Schulter zurück zu seiner Begleiterin. Ihre Brust hob und senkte sich schnell zu jedem Atemzug und ihre Hände lagen auf ihrem Herz. Einen Augenblick wunderte sich der Elementare über diese Haltung, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass sie von diesem kurzen Sprint Herzschmerzen hatte. Doch die Überlegung verschwand schnell. Enthusiastisch riss er die Tore auf, gerade als der Ankömmling es von außen erreichte. Vor ihnen stand Dymeon. Seine Lippen waren blau vor Kälte und rot vor verkrustetem Blut. Schwarze Haarsträhnen hingen ihm nass vor den matten dunklen Augen. Er schaffte es gerade noch seine Mundwinkel ein wenig hochzuziehen und "Geschafft..." auszustoßen, dann kollabierte er augenblicklich vor Victorias und Kevins Füßen... "Ach du scheiße..." Sofort war der Elementare bei ihm und hievte ihn hoch. Der Dämon hatte das Bewusstsein verloren. Schwankend legte sich Kevin einen der kräftigen Arme über die Schulter, ehe er versuchte den schweren Körper über den Innenhof zu transportieren. Er stöhnte unter der Anstrengung und war davon so eingenommen, dass er gar nicht bemerkte, wie sich einige frisch aufgewachte Lancelor um ihn versammelten. "So helft ihm doch!", fuhr Victoria sie an. Kevin lachte über ihre ungewohntes Aufbrausen, auch wenn er dadurch seine Körperspannung verlor und von Dymeons Gewicht beinahe zu Boden gedrückt wurde. Tatsächlich teilte sich auf den Ruf der Telepathin jedoch die Menge. Storm drängte sich zwischen ihnen hindurch, erfasste die Situation sofort und befreite Kevin von seiner Last. Beinahe lässig warf sich der Palas den Dämon über die Schulter. "Kommst du also doch noch zurück", meinte er mit einem grimmigen Lächeln, während er den regungslosen, schwarzen Haarschopf auf seiner Schulter betrachtete. Mit seiner freien Hand deutete er auf Victoria und Kevin. "Ihr zwei, Sommerset und Douglas, kommt mit. Wir besuchen jetzt Doc Fossil." Und schon stapfte er los. Selbst mit Dymeons Körper lief er so schnell, dass die beiden Jüngeren hastig Anschluss suchten. Victoria hielt sich wieder mit einer Hand krampfhaft die Brust, doch als sie Kevins fragenden Blick auf sich spürte, ließ sie den Arm schnell an ihre Seite fallen und schenkte ihm ein kurzes Lächeln, das Röte in seine Wangen schießen ließ. Er nahm kaum noch etwas anderes als ihre perfekten Lippen wahr, bis sie den Krankenflügel erreicht hatten. "Doc Fossil!", brüllte Storm ungehalten über den Korridor. Er näherte sich dem Zimmer, in dem Zeliarina lag, als die Ärztin aus ihrer gegenüberliegenden Wohnung trat. Sie trug einen cremefarbenen Nachtpyjama und schien gar nicht erfreut über die späte Störung. "Bist du noch ganz bei Trost, du Ochse? Was schreist du..." Die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie sah, wen er bei sich trug. "Dymeon...?" Von einer Sekunde auf die andere wirkte sie hellwach. "Seit wann ist er hier? Ist er verletzt? Hat er die Sternenblume bei sich? Storm, trödele doch nicht so herum, wir müssen ihn hinlegen!" Storm grinste nur still vor sich hin, während die junge Fossil ihn grob in das Krankenzimmer stieß. Dunkan schreckte von dem Stuhl hoch, auf dem er neben Zeliarinas Bett geschlafen hatte, doch die anderen Lancelor hatten keine Zeit ihm alles zu erklären. Ächzend legte Storm Dymeon auf ein freies Bett. Fossil rannte zu einem Arzneischrank, riss scheppernd die Schubladen auf und wühlte in den unzähligen Instrumenten, ehe sie eine glänzende Stoffschere hervorzog. Mit dieser machte sie sich sofort daran Dymeons zerfetzte Lumpen zu zerschneiden, um den Oberkörper freizulegen. "Grundgütiger...", stieß sie hervor. Quer über seine Brust zog sich ein gewaltiger Schnitt. An einigen Stellen hatte die Dämonenregenration bereits angefangen zu arbeiten, doch der Großteil der Wunde war nur von einer dunklen Blutkruste bedeckt. "Jemand scheint ihm einen spitzen Gegenstand in den Leib gestoßen zu haben. Und noch während die Waffe in ihm steckte, hat der Angreifer sie ihm durch die Brust gezogen. Selbst ein Dämon überlebt eine solche Verletzung nicht ohne weiteres..." "Es war Cenior mit den Seelenbändern... Dymeon denkt in seinen Träumen an ihn", flüsterte Victoria so leise, dass nur Kevin sie verstehen konnte. Stumm drückte er sie an sich, während er wie die anderen Doc Fossil beobachtete. Die Ärztin schüttelte den Kopf und suchte in dem Arzneischrank nach weiteren Utensilien. "Die Wunde ist alt, doch seine Regeneration funktioniert nur spärlich... Offensichtlich hat Dymeon kein Aramea mehr im Körper. Er hat es verbraucht, vermutlich bei Kraftanstrengungen und um seinen Körper warm zu halten. Er kann es nicht schnell genug nachproduzieren..." Sie kramte immer noch, bis sie endlich eine Spritze und eine Flasche mit grüner Flüssigkeit gefunden hatte. Sie zog die Flüssigkeit in die Spritze und injizierte sie Dymeon in den Hals. "Was ist das?", fragte Dunkan atemlos. "Aramea", antwortete Doc Fossil leichthin. "Eigentlich sind die Proben für verschiedene Untersuchungen gedacht, doch sie werden auch jetzt gute Dienste leisten. Eigentlich müsste es Dymeon bald besser gehen..." Sie betrachtete das Gesicht des Dämons noch eine Weile, nickte dann zur Bestätigung ihrer eigenen Worte und ließ ihren Blick über Dymeons Kleidung gleiten, die nun größtenteils auf dem Boden herumlag. Doch Dunkan wühlte bereits in ihr herum. Nach einer Ewigkeit, in der die anderen Lancelor ihm nur mit angehaltenem Atem zuguckten, zog er etwas aus dem schwarzen, zerschnittenen Mantel hervor. Seine zitternden Finger umklammerten mehrere dünne Pflanzen mit sternenförmigen, schneeweißen Blüten... "Er hat es geschafft... Er hat es tatsächlich geschafft... Trotz der extremen Unterkühlung und der schweren Verwundung...", wisperte Doc Fossil stolz, während sie Dunkan vorsichtig die Blumen abnahm. Alle Lancelor im Raum sahen erst Zeliarina, dann die junge Ärztin an. In ihren Augen stand Hoffnung, Glaube und neue Zuversicht. Kevin legte einen Arm um Victorias Taille, als sie ihren Kopf wieder auf seiner Schulter ablegte. Dunkan lächelte einfach. Storm hielt der Ärztin stumm den hoch gestreckten Daumen entgegen. "Ich mache mich sofort an die Arbeit. Holen wir Zeliarina zurück in die Wirklichkeit!" Die Herstellung des Heilserums dauerte überraschenderweise nur ein paar Stunden. Doc Fossil gewann in anstrengender Handarbeit eine dunkle Flüssigkeit aus den Stielen der weißen Sternenblume, während sie die Blütenblätter in einem altertümlichen Porzellanmörser zermahlte. Dazu gab sie noch einige andere Zutaten, von denen die anderen Lancelor noch nie gehört hatten und deren Funktion ihnen verborgen blieb. Es schien, als hätte sich die attraktive junge Ärztin, die Falcaniars Krankenflügel leitete, plötzlich in eine geheimnisvolle Zaubertrankbrauerin aus dem Mittelalter verwandelt. Sie lächelte über diesen Vergleich, den Kevin offen aussprach, und dankte ihm für die Bezeichnung als jung und attraktiv. Storm riss darüber sofort einen derben Witz, der Fossil zwar zu einem bösen Blick verleitete, ihr gleichzeitig aber auch etwas von der ungeheuren Anspannung nahm, die sie die ganze Zeit beim Herstellen des Serums begleitet hatte. Immerhin hatte Dymeon seine Leben für diese Sternenblumen riskiert. Sie durfte nichts falsch machen. Es war etwa um drei in der früh, als die Ärztin erleichtert seufzte und das fertige Serum in einem kleinen Reagenzglas vor ihr Gesicht hielt. "Endlich..." Sie holte eine andere saubere Spritze, zog die durchsichtige Flüssigkeit auf und injizierte Zeliarina das Heilmittel direkt in den Wirbelsäulenansatz ihres Nackens, um die Nervenbahnen zu erreichen. Danach hieß es nur noch warten. Ganz Falcaniar schien auf den Beinen und wartete ungeduldig darauf, dass die Wächterin Thundenstars aus der Illusag zurückkehren würde. Storm, Dunkan, Doc Fossil, Jessica, das Oberhaupt persönlich und Kevin wachten an ihrem Bett. Victoria war irgendwann gegen ein Uhr ins Bett gegangen, weil sie sich erschöpft fühlte. Kevin hatte ihr angeboten sie zu ihrem Zimmer zu begleiten, doch sie hatte abgelehnt. Auch als Doc Fossil sie aus irgendeinem Grund besorgt zur Seite ziehen wollte, hatte sie nur abgeblockt und war gewohnt ruhig und kühl aus dem Krankenzimmer gegangen. Kevin hatte der Ärztin einen fragenden Blick zugeworfen, doch diese schien bereits wieder mit dem Serum beschäftigt. Jetzt wartete der Elementare mit den anderen, ohne noch einmal daran zu denken. "Möchte jemand Kaffee?" Zustimmendes Gemurmel und Nicken kam als Antwort. Kevin verschwand kurz, ehe er mit mehreren Pappbechern voll dampfender Koffeingetränke zurückkam. Dankbar nahmen die Wartenden sie in Empfang und tranken schweigend. Keiner sprach. Die Ruhe wurde nur durchbrochen von dem Piepsen des Gehirnstrommessers und dem gleichmäßigen Ticken einer Wanduhr, die nach und nach von um vier auf um fünf wanderte. Falcaniar lauschte. Und schließlich, als Kevin kaum noch die Augen aufhalten konnte und er glaubte, dass die Sonne jeden Augenblick draußen am Fenster erscheinen musste, bekam Falcaniar seine Antwort. Erst veränderte sich das Piepsen im Zimmer, dann rührte sich einer von Zeliarinas Armen unter der Bettdecke. Alle im Zimmer hielten den Atem an. Niemand schenkte mehr Dymeon Aufmerksamkeit, der im Nachbarbett lag und den man während der ganzen Zeit des Wartens gepflegt, gewaschen, von Blut befreit und in frische Krankenkleidung gesteckt hatte. Zeliarina stöhnte kraftlos. Dunkan sprang sofort von seinem Stuhl auf und war an ihrer Seite, seine Hand beruhigend auf ihrer. "Zeliarina? Kannst du mich hören?", fragte er hoffnungsvoll. "Du...nkan...?" "Ja... ja ich bin hier", antwortete der Palas. Er lachte leise und drückte ihre Hand. Kevin glaubte, dass seine Augen in Tränen schwammen. "Du glaubst gar nicht wie froh wir alle sind, dass du endlich wieder wach bist. Es ist ein Wunder. Du scheinst ein Magnet dafür zu sein..." "Wie... la...nge...?" "Sprich nicht soviel, du hast deine Stimme lange nicht benutzt. Und überanstrenge dich nicht, Doc Fossil meint, dass du deine Kraft erst ganz allmählich wieder zurückbekommen wirst. Deine Muskeln müssen erst wieder aufgebaut werden..." "Wie... lange...?", wiederholte Zeliarina stur. Sie griff mit erstaunlicher Härte nach Dunkans Handgelenk und umklammerte es eisern, als hätte sie Angst davor, dass der Palas wieder wegging. Dunkan hatte damit gerechnet, dass ihr Geist nach dem Aufwachen noch etwas durcheinander sein würde und schenkte ihr deswegen ein verständnisvolles Lächeln. "Heute ist der 27. Januar, fünf Uhr morgens um genau zu sein. Du warst 36 Tage in der Illusag gefangen..." Zeliarina schnappte rasselnd nach Luft. Ihre Augen weiteten sich ungläubig bei der Vorstellung, dass über ein Monat seit dem Kampf mit Assessina vergangen war. Dunkan drückte ihr wieder die Hand, lächelte ihr zu und strich ein paar Haare aus ihrer Stirn. "Es kommt alles in Ordnung. Schlaf jetzt, denn der Schlaf in der Illusag war sicher alles andere als erholsam. Du musst Kraft sammeln. Morgen sehen wir weiter..." Zeliarina nickte nur schwach, zu mehr war sie nicht fähig. Ihre grünen Augen wanderten gerührt von Kevin und Storm zu Doc Fossil. Die Ärztin entfernte zärtlich die Elektroden von ihrer Stirn und küsste ihr auf die Haare. "Es ist schön, dass du wieder da bist", hauchte sie. Zeliarina nickte noch einmal, auch wenn sie merkte, wie die schwere Müdigkeit bereits wieder an ihr nagte. Sie war so erschöpft, als hätte sie gegen tausend Dämonen gekämpft oder als hätte sie Thundenstars Macht entfesselt. Mit einem letzten Blick auf die vielen Lancelor, die mit gütigen, freundlichen Augen zu ihr herabsahen, entglitt sie in den Schlaf. Diesmal jedoch in einen Schlaf, aus dem sie am Morgen wieder sicher erwachen würde. Das Oberhaupt des Ordens, bisher vollkommen still, lächelte sein mystisches Lächeln. "Ruhe dich aus, Zeliarina Heartstrong, Wächterin Thundenstars, Trägerin der Sieben..." Die folgenden Tage waren schwer für mich. Die Erlebnisse in der Illusag hatten sich für immer in meinen Kopf gebrannt und es war so schwer wie verwirrend sich wieder von der Traumebene an die reale Wirklichkeit zu gewöhnen. Außerdem wurden alltägliche Dinge zur Herausforderung. Das Trinken viel mir schwer, denn meine Kehle hatte seit sechsunddreißig Tagen kein Wasser bekommen. Essen viel mir schwer, denn mein Magen hatte seine Arbeit durch künstliche Ernährung auf ein Minimum reduziert. Jede Bewegung viel mir schwer, denn meine Muskeln hatten sich seit sechsunddreißig Tagen nicht gerührt, ausgenommen von dem Augenblick, an dem ich nach Jessicas Kontaktversuch einen Anfall gehabt hatte... Doch schließlich wurden auch diese Dinge wieder zur Gewohnheit. Ich lebte mich wieder in der Realität ein und verdrängte die Illusag zu dem Rest meiner Vergangenheit, auch wenn ich mir jeden Augenblick darin genau einprägte, ja sogar aufschrieb. Ich verbrachte meine Tage wieder wie früher mit meinem Mentor Dunkan, mit den gewohnt kalten Blicken Pendrians und mit den sorglosen Nachmittagen zusammen mit Victoria und Kevin, die offensichtlich während meiner Abwesenheit ein enges Verhältnis zueinander aufgebaut hatten. Die Telepathin schien die Einzige, die sich deutlich verändert hatte. Sie lächelte jetzt manchmal, zeigte offener ihre Überraschung oder ihre Freude, vor allem wenn Kevin in der Nähe war. Ich freute mich für sie, doch es machte mich auch stutzig, dass sie sich so gewandelt hatte. Ein oder zweimal bekam ich mit, wie Doc Fossil deutlich besorgt auf sie einredete, doch damals verstand ich noch nicht, was dahinter steckte... Ich besuchte auch so oft es ging Dymeon. Es erfüllte mich einem merkwürdigen Gefühl des Glücks wenn ich daran dachte, dass er für mich auf den höchsten Berg der Welt geklettert war. Ich fühlte eine enge Bindung zu ihm und war froh darüber, dass auch er so zu fühlen schien. Doch es dauerte weitere vier Tage nach meinem Erwachen, ehe ich endlich wieder das erste Mal mit ihm reden konnte... Zeliarina saß mit ausgestreckten Beinen auf einem gemütlichen Sessel und blickte auf die gespannt wartenden Gesichter der jungen Kinder, die sich um sie herum auf dem Teppich ihres Zimmers versammelt hatten. Es war das zweite Mal, dass die Jüngsten, die noch nicht zu den Lancelor gehörten sondern nur in ihren Kräften unterrichtet wurden, zu ihr gestoßen waren und darauf hofften, dass die Donnerhexe ihnen eine Geschichte erzählte. Zeliarina war mehr zufällig zu der Erzählerin der Kleinen geworden. Am zweiten Tag nach ihrem Erwachen hatte sie mit Victoria und Kevin draußen auf dem Brunnen des Innenhofs gesessen und ihnen von ihren Erlebnissen in der Illusag berichtet. Dabei waren vereinzelte Kinder, die mutig genug waren bei der Kälte draußen herumzutoben, interessiert stehen geblieben um zu lauschen. Sie waren so begeistert von der Geschichte gewesen, dass sie es an andere weitererzählt und zusammen mit ihnen am nächsten Tag Zeliarinas Zimmer gestürmt hatten. Die Donnerhexe hatte erst ihre Ruhe gefunden, als sie ihnen die Geschichte ,Der Junge im Hügelgrab' erzählt hatte. Die Kinder hatten mit offenen Mündern an ihren Lippen gehangen, hatten sich hinter anderen versteckt, wenn es unheimlich wurde, und gaben vereinzelte Kommentare und Fragen ab. Zeliarina mochte ihre Zuhörer und hatte sie eingeladen doch mal wieder vorbeizuschauen. Jetzt saßen sie wieder um sie herum und starrten, ohne dass sie es wagten Zeliarina, die große Wächterin Thundenstars, endlich zu einer weiteren Geschichte anzustacheln. Irgendwann lächelte das Mädchen endlich. Sie holte tief Luft, baute eine anfängliche Spannungspause auf und berichtete schließlich von ,Dem Mädchen aus Silber'. Die Kleinen wussten nicht, dass es Melissas Weg war, dem sie gespannt mitfieberten, dass Melissa von einem Parasiten befallen worden war, dass Melissa ihren Arm durch Dymeon verlor und dass Melissa durch Lügen gelockt mit einem dunklen Dämon einen Pakt geschlossen hatte. Keiner von ihnen verstand, warum Zeliarina am Ende der Geschichte Tränen in den Augen hatte, doch sie trösteten sie aufgeregt und blieben lange Zeit bei ihr. Als der letzte von ihnen am späten Nachmittag das Zimmer verließ, kam Doc Fossil herein. Die Ärztin lächelte sie vom Türrahmen aus aufmunternd an. "Schön, dass du dich so schnell erholt hast. Und danke dafür, dass dich um die kleinen Stöpsel kümmerst. Sie sind vielleicht noch sehr jung und wissen nicht viel von den schrecklichen Dingen, die den Lancelor passieren, doch sie spüren die gedrückte Stimmung in Falcaniar. Das macht sie nervös..." "Ich mach das gerne. Ich hätte nicht gedacht, dass ich eine gute Erzählerin bin, doch meine nahe Vergangenheit ist so fantastisch, ich könnte ein Buch darüber schreiben", erwiderte Zeliarina mit einem wackeren Lächeln. "Außerdem hilft es mir dabei alles Geschehene mit der gerechtfertigten Aufmerksamkeit zu verarbeiten..." "Vielleicht solltest du das Buch wirklich schreiben, damit man sich in ferner Zukunft an unsere und deine Taten erinnert", meinte Fossil mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Sie seufzte kurz und schüttelte den Kopf. "Aber deswegen bin ich gar nicht hier. Ich wollte dir nur sagen, dass Dymeon endlich aufgewacht ist. Ich dachte, du willst ihn bestimmt sehen. Außerdem hat er nach dir gefragt..." Zeliarinas Gesicht hellte sich auf. "Wirklich? Ich komme sofort!" Blitzschnell sprang das Mädchen auf, dankte Fossil aufrichtig für die gute Nachricht und stürmte davon. Sie rannte beinahe ein paar der Kinder um, die sie vor kurzem noch unterhalten hatte. Bei der Treppe nahm sie zwei Stufen auf einmal und die Gänge legte sie im Sprint zurück, bis sie den Krankenflügel keuchend erreichte. Sie wartete kurz mit den Händen auf den Knien bis sich ihre Atmung wieder beruhigt hatte, dann betrat sie das Zimmer. Es sah so aus wie immer, ein gewisses bedrückendes Grau an den Wänden und ein leichter Geruch von Desinfektion und Sterilität in der Luft. Zwei Betten waren derzeitig belegt, das eine von Titus McCain, der sich in Barcelona bei einem Kampf gegen mehrere Tryclonns das Bein gebrochen hatte, das andere von dem aufrecht und ruhig dasitzenden Dymeon. McCain grüßte Zeliarina flüchtig, ohne die Augen von dem Laptop auf seinem Schoß zu nehmen, und das Mädchen grüßte ebenso abwesend zurück, weil ihre Aufmerksamkeit voll und ganz Dymeon galt. Der Dämon trug nicht sein gewöhnliches Stirnband, so dass ihm die schwarzen Haare ungezähmt bis zu den Schultern herab fielen. Eines der überlangen grauen Krankenhemden bedeckte seinen Körper. "Wie geht es dir?", fragte Zeliarina vorsichtig. Dymeon bewegte sich nicht sichtlich und ließ sich mit seiner Antwort Zeit. "Gut... Meine Wunde ist verheilt und Aramea strömt gleichmäßig durch meinen Körper. Doch das ist nur nebensächlich im Vergleich zu deiner Genesung." Er zeigte die kurze, verhaltene Andeutung eines Lächelns. "Ich bin froh, dass du wieder bei uns bist und ich dir helfen konnte..." "Ich bin auch froh", stimmte Zeliarina glücklich zu. "Vor allem weil mit dir alles in Ordnung ist... Ich habe dich in der Illusag oft leiden oder sterben sehen, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte... Als ich dann aufgewacht bin und du tatsächlich verwundet neben mir lagst, war das ein schlimmer Schock..." Dymeons Augen verdunkelten sich ein wenig, doch Zeliarina konnte nicht sagen ob es an der Erwähnung der Illusag oder seines kritischen Zustandes lag. "Ja... ich hatte eine Auseinandersetzung mit einem Mitglied des Däezander, oben auf dem Gipfel des Bergs", erklärte er ruhig, als würde er vom Picknick am letzten Osterwochenende reden. "Es war ein grausamer Zufall, dass er ausgerechnet dort sein Training vollzog. Die Niederlage kam schnell und war bitter, doch ich hatte Glück, dass er mich nicht sofort tötete. Er glaubte mir die Ehre zu nehmen, wenn er mir den Tod im Kampf versagte und blutend liegen ließ. Diese Unachtsamkeit konnte ich nutzen, um mit den Sternenblumen zu fliehen..." "Sie sagen, du bist lange weg gewesen", meinte Zeliarina mitfühlend. Dymeon nickte, sein Blick unbestimmt und noch etwas dunkler als zuvor. "Ich bin ziellos umhergeirrt durch endlosen Schnee und endlose Kälte. Mein Aramea war fast vollständig ausgebrannt. Und ich selbst wanderte durch diese Umgebung wie eine flackernde Kerze, die jeden Augenblick von den Urgewalten des Berges verschlungen werden konnte. Ein Wunder, dass ich überlebt habe..." "In letzter Zeit geschehen oft Wunder. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen", murmelte Zeliarina. Sie ließ sich neben ihrem Schutzritter auf die Bettkante sinken, lächelte aufmunternd und griff nach seiner Hand. Die Finger hatten noch nicht genug Zeit sich zu heilen und waren übersät mit kleineren Blessuren durch die extreme Kälte oder das Klettern. Dymeon betrachtete die schlanken, blassen Finger, die verhalten über seine strichen, lange. "Es sind keine Wunder", flüsterte er schließlich mit einem eindringlichen Zischen. "Sondern du bist es. Du vollbringst unglaubliche Dinge, um deine Mitmenschen zu beschützen und gibst genau das auch an sie weiter. Sie kämpfen mit aller Kraft, gehen an ihre Grenzen, weil sie durch dich endlich etwas haben, an das sie glauben können... Selbst ich habe nur überlebt, weil mich der Gedanke an dich immer und immer weitergetrieben hat..." Dymeon nahm ihre Hand in seine, brachte sie an seine Lippen und strich mit ihnen flüchtig über ihre Fingerspitzen. "Ich bin glücklich dein Schutzritter sein zu dürfen. Ich würde mein Leben für dich geben, freiwillig, nicht weil mein Pakt es verlangt. Und doch bin ich es, der dir abermals sein Leben verdankt. Zum dritten, vielleicht sogar vierten Mal..." "Spielt das denn eine Rolle?" "Vermutlich nicht... Es nagt nur ein bisschen an mir...", gestand der Dämon. Er legte Zeliarinas Hand wieder neben sich auf die Bettdecke und blickte aus dem Fenster, das noch immer einige Eiskristalle an den Rändern zeigte, auch wenn der Schnee inzwischen nicht mehr so häufig und kräftig fiel. Zeliarina dagegen saß ein wenig unschlüssig herum, die Wangen gerötet von der unerwarteten Berührung seiner Lippen. "Möchtest du etwas essen?" "Nein, nicht nötig." "Kann ich sonst etwas Gutes für dich tun...?" "Du könntest mir erzählen, was du in der Illusag erlebt hast", schlug Dymeon schließlich vor. Er versteckte es gut, doch Zeliarina spürte deutlich, dass er schon die ganze Zeit darauf wartete davon zu erfahren. Sie lächelte nachsichtig, räusperte sich kurz und begann in ihrer langsam gewohnten Rolle als Erzählerin zu berichten. Anfänglich verlor sie sich in den Schilderungen der surrealen Eindrücke in der Traumebene, dann ging sie langsam zu den qualvollen Erinnerungen an die Bilder ihrer gepeinigten Freunde über. Hier unterbrach Dymeon sie kurz um seinerseits zu erzählen wie Jessica versucht hatte zu ihr durchzudringen, doch seine Worte waren knapp bemessen um Zeliarina nicht aus dem Redefluss zu bringen. Die junge Donnerhexe sprach schon bald über die entscheidenden Szenen am Ende ihres langen Traumes, von der führenden Stimme, der Zerstörung durch die Dunkle Dämmerung, von dem Drachen und dem Vogel. "Die zwei Kreaturen kämpften gegeneinander. Der Drache kam, als die Dämonen die Götterschwerter hatten, die Lancelor dagegen beschworen mit ihnen den Vogel. Und dieser Vogel bekämpfte den Drachen und beendete den Krieg..." Dymeon hatte bis auf seinen Teil der Geschichte still zugehört und grübelte jetzt nach. Zum ersten Mal wurde Zeliarina dabei wirklich bewusst, dass er ein Dämon war. Wenn der schwarze Drache der Dunklen Dämmerung die Menschen löschte, würde der weiße Vogel der Hellen Dämmerung auch alle Dämonen auslöschen... So wie ihn... "Ein weißer Vogel und ein schwarzer Drache?" Zeliarina schrak zusammen, als sie plötzlich McCains Stimme hörte. Sie hatte ganz vergessen, dass der Lancelor neben ihnen an seinem Laptop arbeitete, doch die ungewöhnliche Aufregung in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Er hörte zum ersten Mal von dieser Geschichte und schien irgendwie etwas zu wissen, das das Oberhaupt oder Dunkan, denen sie ihre Illusagerlebnisse ebenfalls erzählt hatte, nicht wussten. "Ein weißer Vogel und ein schwarzer Drache..." Mit einem Schlag flogen McCains Finger wie wahnsinnig über die Tasten seines tragbaren Computers. Man konnte seinen Bewegungen und Aktionen kaum folgen, bis er scheinbar das Gesuchte gefunden hatte, innehielt und atemlos auf das Bild auf seinem Monitor starrte. Nach kurzem Staunen drehte er den Laptop auf seinem Schoß so herum, dass auch Zeliarina und Dymeon den Bildschirm erkennen konnten. Zu sehen war die Zeichnung von zwei Tieren, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen und so einen perfekten Kreis bildeten. Es waren ein schwarzer Drache und ein weißer Vogel. "Es ist ein uraltes Bildnis und heiliges Symbol des Alten Volks, das auf vielen Ruinen, Inschriften und Tempeln gefunden wurde. Auch im Tempel des Thundenstar und den Ruinen von Tradan habe ich es entdeckt. Es zeigt ihren Glauben, die zwei Götter ihrer Religion: den Nachtdrachen, Gott des Todes, und den Schneephönix, Gott des Lebens. Der Kreis zeigt den endlosen Wechsel dieser zwei und ihren Kampf, den keiner jemals gewinnen wird." "Wir beschwören also einen Gott?", keuchte Zeliarina ehrfürchtig. Titus McCain nickte mit einem fiebrigen Blick und strahlendem Gesicht, während er wieder auf den Monitor starrte. "Ja... Unvorstellbar, nicht? Doch damit sind die letzten Zweifel an deiner Geschichte weggewischt. Du hast den Schneephönix gesehen. Er steht für Wiedergeburt, einen Neubeginn und Frieden. Es muss einfach wahr sein, dass wir mit seiner Hilfe den Däezander besiegen..." "Noch brauchen wir die Götterschwerter...", erinnerte Zeliarina mahnend, doch Titus war nicht mehr von seinem Enthusiasmus abzubringen. "Wir haben bereits zwei!" "Eins", korrigierte Dymeon sofort bitter. "Cenior hat mir Azuransas nach dem Kampf abgenommen..." Daraufhin schwiegen die Anwesenden unbehaglich, denn niemandem war der Zorn in Dymeons Stimme entgangen oder auch nur die schicksalhafte Bedeutung seiner Worte... "Dann entbrennt der Krieg heftiger als je zuvor... Doch diesmal schlagen die Menschen zurück!" ------------------------------------------ Verborgen im Dunkeln... Wächst eine neue Kreatur im Däezander heran... Rishak, Bote der Zerstörung... Kapitel 20: Rishak ------------------ Kapitel XVII - Rishak Nach Titus McCains Erkenntnis über die Götter der Alten Welt flog die Zeit nur so dahin. Immer häufiger tauchten in den Zeitungen Berichte über ungeklärte Morde, mysteriöse Unfälle und anderer Dinge auf, denen man nicht mehr Herr wurde. Polizei und Sonderbehörden tappten im Dunkeln, während sich die Dämonen auf der ganzen Erde zunehmend dreister austobten, bis sogar die ersten Augenzeugen in Klatschblättern auspackten. Noch schenkte man diesen "Irren" keinen Glauben, doch die Aussagen häuften sich jeden Tag mehr, so dass die Bevölkerung schon bald von einer unausgesprochenen dunklen Angst befallen wurde. Die Lancelor versuchten nach allen Kräften die Situation unter Kontrolle zu halten und mithilfe der eingeweihten Regierungen dafür zu sorgen, dass nichts an die Öffentlichkeit drang. Falcaniars Gänge erschienen leer, die Zimmer unbewohnt. Nur der Krankenflügel barg so viele Mitglieder des Ordens wie schon lange nicht mehr... Ich selbst bekam oft die Möglichkeit die Feste der Lancelor zu verlassen, auch wenn man genau darauf achtete nur sichere Missionen für mich auszuwählen und mir eine schlagkräftige Truppe mitzugeben, die im Falle eines Hinterhalts nicht zu leicht fallen würde. Die Wochen zogen unbemerkt vorbei. Wenn ich nicht unterwegs war, verbrachte ich meine freie Zeit mit Dymeon, Kevin und Victoria. Der Elementare befand sich inzwischen rund um die Uhr an der Seite der Telepathin, so als hätte man ihn wie Dymeon zu einem Schutzritter befohlen, der seine Partnerin nicht aus den Augen lassen durfte. Ich gönnte den beiden ihre innige Freundschaft, beobachtete jedoch mit einem unerklärbaren Unbehagen, wie sich Victorias Verhalten weiter veränderte. Früher emotionslos und kalt, schien sie inzwischen ihr Leben zu genießen. Man sah sie lächeln, manchmal sogar lachen. Freude oder Angst spiegelten sich sichtbar in ihren Augen. Ich konnte nie sagen warum es mich störte, doch die plötzliche Wandlung erschien mir unnatürlich. Dazu jedoch später mehr. Ich könnte noch von vielen Dingen berichten, die während dieser Etappe meiner Geschichte geschahen, doch wenn ich jemals irgendwann zum Ende kommen will, muss ich mich an die wirklich bedeutenden Augenblicke halten. Kämpfe tobten täglich in den Seitengassen der Welt, Lancelor starben, Dämonen wurden getötet. Vor den Fenstern schmolz der Schnee des Winters, grünes Gras und erste Frühlingsblumen sprossen, dann folgte die sanfte Wärme des Sommers. Es gibt nur eine Sache aus dieser Zeit von der ich noch berichten will. Unter der Erde, in der Dunkelheit der Dämonenzuflucht, hielt man ein Ritual ab. Ich kenne niemanden, der dabei gewesen war, nicht einmal Melissa, doch so muss es sich abgespielt haben: Der Raum der Rituale war ein großer, kreisrunder Saal mit spiegelglatten Wänden aus unbekanntem schwarzem Stein. Einzelne grünliche Kristalle durchzogen die perfekte Oberfläche und glommen in einem kränklichen Licht, das die Dunkelheit ein Stück beiseite schob und somit den Blick auf ein merkwürdiges Symbol am Boden frei gab. Es war ein Kreis mit zwei Metern Durchmesser, darin ein siebenzackiger Stern und eine verschnörkelte Rune aus längst vergangenen Zeitaltern, alles geformt durch feine Linien aus gemahlenen Edelsteinen. Dunkles Blut war an dieser Stelle überall in die finstere Erde eingezogen. Lautlos schritten drei Gestalten Schulter an Schulter durch den einzigen Eingang in den Raum der Rituale. Der Linke von ihnen hatte brennende purpurne Augen, der rechte nachtblaues Haar und ein ernstes Gesicht mit Augen in der Farbe eines tobenden Sturms. Ereos, Dämon mit den Purpuraugen, und Cenior, Dämon mit den Seelenbändern. Die Person in der Mitte blieb durch eine Robe mit weiter Kapuze verschleiert. Sie lief gebeugt, als trage sie eine schwere Last. In ihrer Hand lag ein längliches rotes Samtbündel. "Seid ihr euch sicher, dass ihr das tun wollt, Vater? So etwas haben wir bisher nie versucht", gab Cenior zu bedenken. Er schien diese Frage nicht zum ersten Mal zu stellen, denn das Schweigen der verschleierten Gestalt schien ihm als Antwort zu genügen. Ereos schnaubte nur abfällig, offensichtlich ebenso wenig überzeugt von ihrem Vorhaben. Aus den Tiefen der Kapuze des Unbekannten drang jetzt eine Stimme, müde und ebenso schwerfällig wie sein Gang: "Hättet ihr bisher nicht so inkompetent gearbeitet, wäre dieser Schritt nicht nötig... Ereos, du hattest bereits die Möglichkeit Thundenstar zu erobern, doch aufgrund deiner persönlichen Fehde gegen Dymeon nahmst du nur diese Menschenschickse... Und du Cenior... Du hast Dymeon mit weißen Sternenblumen entkommen lassen... Nicht zuletzt, weil du genau wusstest, dass Ereos außer sich sein würde, weil du ihn nicht getötet hast... Ihr beide habt eure nichtigen Interessen über die des Däezander gestellt..." Cenior und Ereos setzten zu Erklärungen an, doch ihr offensichtlicher Führer hob nur schwach die freie Hand und holte rasselnd Luft. Die beiden vielleicht gefährlichsten Dämonen der Geschichte verstummten sofort wie zurechtgewiesene Kinder. "Genug jetzt...", zischte der Vermummte erschöpft. Er trat an den Rand des Symbols am Boden. Grünes Licht schien auf ihn, erzeugte jedoch unter seiner Kapuze einen schwarzen Schatten, der sein Gesicht weiterhin verbarg. "Ich werde nichts mehr dem Zufall überlassen..." Er wickelte den roten Stoff von seinem langen Paket und entblößte die glänzende rote Klinge eines beeindruckenden Schwerts. "Urrurdoc, das vierte Götterschwert, gefertigt aus einem einzelnen riesigen Kristall..." Unter den argwöhnischen Augen seiner Untergebenen kniete sich der Mann in der Robe hin und legte die Waffe liebevoll in die Mitte des Beschwörungszirkels. Danach faltete er die knochigen Hände ineinander, als würde er beten. Ereos verließ kurz den Raum, ehe er keine Minute später wieder kam und einen bewusstlosen braunhaarigen Kerl in der Kleidung eines Lancelors hinter sich her schleifte. Brutal packte er den Mann am Haaransatz, überstreckte seinen Nacken, so dass die Kehle gute Angriffsfläche bot, und zog ein einfaches Messer. Eine schnelle fließende Bewegung und Blut ergoss sich über das Schwert in dem Beschwörungszirkel. "Geboren aus Blut, Dunkelheit und Kristall sollst du auferstehen", murmelte der Dämonenführer beschwörend. Er behielt die Hände weiter gefaltet und senkte dazu noch den Kopf. Eine einzelne, graue Haarsträhne fiel aus der Kapuze bis zum Boden herab. "Geboren aus Blut, Dunkelheit und Kristall sollst du in unsere Reihen treten... Das Aramea dieser Hallen soll durch deine Adern rauschen... Und dein Schwert soll einen blutigen Pfad durch die Menschen mähen, der uns direkt zur Dunklen Dämmerung führt..." Rote und graue Nebelschwaden stiegen aus dem Nichts auf, türmten sich im Beschwörungszirkel höher und höher, bis sie zu einer dichten Säule verschmolzen waren, die alles verschluckte. Ereos sah ganz schwach die dunkle Silhouette des Götterschwertes Urrurdoc, das sich in dem Nebel schwerelos erhob. Dann veränderten sich sehr langsam die Konturen. Aus dem leblosen, heiligen Schwert wurde nach und nach die Figur eines Mannes. Als die erschaffene Person deutlich zu erkennen war, fiel der Turm aus Nebeln schlagartig in sich zusammen. Ereos, Cenior und der Vermummte blickten auf einen jung aussehenden Mann mit blonden kurzen Haaren und dunklen Augen. Sein rechter Arm war von kristallinen roten Flecken durchzogen. Er war nackt. "Willkommen", säuselte der kniende Beschwörer mit einem hörbaren Lächeln. Der frisch Beschworene sah sich verwirrt um, betrachtete den Raum der Rituale und die Leute darin und starrte dann fasziniert auf seine eigene Hand, als er sie bewegte. "Wer...?" "Dein Name sei Rishak... Du bist der Kriegerdämon des Götterschwerts... Mein Meisterwerk..." Der Beschworene runzelte nachdenklich die Stirn, hörte jedoch weiterhin zu. "Ich weiß, du spürst Dinge und hast Erinnerungen, die dir fremd sind. Vieles ist dir noch unbekannt und die meisten deiner Körperfunktionen müssen sich erst nach und nach einstellen, doch das ist völlig normal... Cenior, suche für ihn Kleidung und mache ihn mit allem vertraut. Ereos, stelle für ihn ein Heim in der Zuflucht bereit..." Die beiden Hochdämonen nickten wortlos. Ereos verschwand hastig und offensichtlich empört über die niedere Arbeit, die man ihm aufgetragen hatte, während Cenior den perplexen Rishak langsam aus dem Raum der Rituale führte. Nur der Erschaffer blieb alleine zurück. Ein dunkles Lächeln lag verborgen im Schatten seiner Kapuze, als er flüsterte: "Bald wirst du vollkommen sein... Und dann werden die Lancelor nicht wissen wie ihnen geschieht..." Während in der dämonischen Zuflucht unbemerkt der wohl gefährlichste Gegner der Lancelor heranreifte, ging in Falcaniar das Leben wie gehabt weiter. Leute kamen und gingen im Krankenflügel, neue Begabte wurden zur Ausbildung aus allen Teilen der Welt zusammengezogen und die älteren Veteranen des Ordens hatten alle Hände voll zu tun die Geschicke der Menschen zu leiten. Inzwischen hatten die Zeitungen doppelt so viele Seiten wie früher, weil so viel Ungeheuerliches geschah. Man sprach flüsternd von einem heraufziehenden Übel und die Propheten, die schon im Jahre 2000 das Ende aller Dinge gesehen hatte, verkündeten nun erneut mit aller Kraft und größerer Zuschauerschar den Weltuntergang... Und diesmal hatten sie gar nicht mal so Unrecht, denn das Überleben der Menschheit lag jeden Tag wieder auf Messers Schneide. Ihre beschriebenen Nachrichtenbanner erschienen überall vor den überfüllten Kirchen, die zu ihren Sonntagsmessen inzwischen mehr Besucher zählten als sie eigentlich fassen konnten, oder auf dem weiten vatikanischen Petersplatz, auf dem die Gläubigen um eine Besserung der Weltsituation beteten und denen gedachten, die bei den unzähligen merkwürdigen Ereignissen ihr Leben lassen mussten... Inzwischen stand der Herbst vor der Tür. Ich hatte im Mai meinen sechzehnten Geburtstag erlebt. Seit der Zeit in der Illusag war gut ein halbes Jahr vergangen... Als Zeliarina an diesem Morgen erwachte, war das Tageslicht noch grau und der Wecker neben ihrem Bett verkündete mit leuchtendroten Ziffern die Uhrzeit 07:30. Gähnend schälte sie sich aus ihrer Decke, kramte in einem Schrank nach ihrer gewaschenen Lancelorkleidung und zog sie mit steifen Gliedern an, während ihr Blick auf Dymeon fiel. Der Dämon schlief inzwischen häufiger in ihrer Gegenwart, ein Beweis von tiefem Vertrauen für diesen verschlossenen Dämon, und seine Träume waren nicht mehr so aufgewühlt wie zu Beginn ihrer Partnerschaft. Zeliarina konnte nicht umhin zu lächeln, als sie ihn in Melissas altem Bett beobachtete. Vorsichtig trat sie an ihn heran, um ihn nicht zu wecken. Mit einem einzelnen Finger strich er ihm das wirre Haar aus dem Gesicht, wanderte weiter seine Wange hinab und hielt schließlich bei der scharfen Kieferlinie inne. Es war komisch wie normal es geworden war ihn um sich zu haben. "Morgen Dymeon", hauchte sie lächelnd. Der Dämon rührte sich sofort und schlug die Augen auf. "Morgen Zel", erwiderte er aufgeweckt, ehe er sich ruhig aus dem Bett schwang und auf den gleichen Wecker schaute, den Zeliarina benutzte. Die Donnerhexe dagegen betrachtete ihren Schutzritter freudestrahlend. Sie liebte es, wie er sie seit einiger Zeit "Zel" nannte. Auch wenn er es nur tat, weil es seiner Meinung nach leichter war die Verwirrungen mit den beiden verschiedenen Zeliarinas zu beseitigen, war der Spitzname für die Donnerhexe ein Beweis ihrer engen Bindung, den niemand sonst gebrauchen durfte. Sie lächelte noch immer darüber, als sie sich die blonden Haare mit dem blauweißen Lancelortuch zu einem Zopf zusammenband. Danach suchte sie nach ihren Waffen: Thundenstar lag griffbereit an einen Stuhl gelehnt, auf dem auch die schwarze Pistole mit den unterschiedlichen Munitionsmagazinen und die Fänger lagen. Sie steckte alles in ihren Gürtel oder in die Taschen ihrer weißen Weste, ehe sie fragend zu Dymeon blickte. Der Dämon nickte nur, alles was er brauchte trug er am Körper. Seine Kleidung bestand inzwischen aus einer normalen Jeans und verschiedenen, meist dunkelfarbigen Shirts, die deutlich freundlicher aussahen als der schwarze Mantel von früher, der von Cenior ruiniert worden war. Als er sich der Tür zuwandte und sie öffnete, steckte Zeliarina auch noch unbemerkt eine Spritze und mehrere Glasphiolen mit teils grüner, teils roter Flüssigkeit ein. Aramea und Dunkans Serum, das er immer für schnellere Heilung verteilte, beides nur für den Notfall. "Kommst du?" "Ja." Sie folgte dem Dämon durch die verschiedenen, inzwischen längst vertrauten Gänge Falcaniars zum Speisesaal und hielt dort nach ein paar bekannten Gesichtern Ausschau. Tatsächlich saßen außer einigen müden Anwärtern und Auszubildenden, die in dieser Herrgottsfrühe zum Training bestellt wurden, auch Victoria und Kevin an einem Tisch direkt neben der Eingangstür. Die Telepathin betrachtete den Teller vor ihr ausdruckslos, Kevin schmierte sich träge ein Marmeladenbrötchen, während er versuchte die Augen aufzubehalten. Sein weißes Haar war völlig zerzaust und stand in alle Richtungen ab. "Guten Morgen. Seid ihr fit?", begrüßte Zeliarina fröhlich, als sie sich auf einen freien Stuhl neben die beiden setzte. Victoria nickte, während Kevin nur ein undefinierbares Brummen ausstieß und sich sein Brötchen in den Mund schob. Nach der ersten Nahrungsaufnahme schien allmählich etwas Wachsamkeit in seine Züge zu kommen. "Warum nur immer so früh?", klagte der Elementare. Zeliarina und Dymeon antworten ihn mit einem belustigten Gesichtsausdruck. Nur Victoria legte ihm zusätzlich noch kurz die Hand auf die Schulter, eine einfache Geste, die ihn immer wieder aufs Neue aufmunterte. Mit einem Schlag war er wieder quicklebendig. "Okay, wir können losziehen!" "Jetzt lass mich doch auch erstmal etwas essen!", erwiderte Zeliarina mit einem Lachen, das noch heftiger wurde als Kevin verlegen rot wurde. Schnell nahm die Donnerhexe ein Brötchen und etwas Frühstücksmüsli zu sich, packte noch etwas als Proviant in eine Tasche an ihrem Gürtel und machte sich mit ihren Freunden auf zur Eingangshalle. Dunkan, Storm und Pendrian warteten schon auf sie, genau wie zwei andere Lancelor, die Zeliarina nicht mit Namen kannte. Der eine war ein Mann mit kurzen braunen Locken, der betont lässig an einer Säule lehnte. Seine rechte Gesichtshälfte war vollständig von schwarz tätowierten Mustern bedeckt. Der zweite Lancelor, eine Frau mit Haaren, die von Nachtblau zu Veilchenblau in allen nur erdenklichen Blautönen gefärbt waren, saß in Storms Nähe auf dem glatten Boden, die Beine gemütlich übereinander geschlagen. Als Zeliarina sie neugierig musterte, warf die Lancelorin ihr sofort einen schnellen Blick zu und zeigte ihre makellos weißen Zähnen in einem Lächeln. //Als hätte sie gewusst, dass du sie ansiehst...\\ Victorias Stimme erklang häufig in Zeliarinas Kopf, doch die Donnerhexe erschrak trotzdem jedes Mal aufs Neue und tadelte die Telepathin mit einem kurzen Seitenblick, der ihr erklären sollte, dass sie auch ganz normal mit ihr reden konnte. Victoria nickte daraufhin kurz, ehe sie wieder die blauhaarige Lancelorin betrachtete. Als jedoch Dunkan zu ihnen herüberkam, galt ihm die Aufmerksamkeit aller Anwesenden. "Gut, wir sind jetzt vollzählig. Der Helikopter draußen wartet schon. Wir besprechen den Ausflug in aller Ausführlichkeit wenn wir in der Luft sind." Er winkte den Rest der Truppe aufmunternd aus der Eingangshalle hinaus in den strömenden Regen, der bereits seit der letzten Nacht ohne Unterbrechung tobte. Obwohl ihr Hubschrauber nur zwanzig Meter von Falcaniar entfernt stand, waren sie alle durchnässt bis auf die Haut, als sie angeschnallt, mit den üblichen Kopfhörern bewaffnet und startbereit auf den Bänken im Bauch der Maschine saßen. "Verfluchtes Wetter", grummelte Storm leise, während Kevin seine Haare schüttelte wie ein Hund und sie alle mit einer Extraportion Wasser beglückte. Die Lancelor warfen ihm strenge Blicke zu, so dass er sich schnell ein paar Sonnenblumenkerne in den Mund warf um nichts sagen zu müssen. Victoria drückte ihm wieder aufmunternd die Schulter. "Nun zu unserem Job", unterbrach Dunkan ruhig, "Ich hoffe ihr wurdet bereits alle informiert, doch ich will alles noch einmal wiederholen, nur zur Sicherheit. Der Pilot bringt uns jetzt nach London. Es gibt Hinweise auf eine Gruppe von Sammlern, die im Auftrag des Däezander nahe des westlichen Stadtrandes Menschen entführt hat. In den letzten vier Tagen sind zwölf Londoner in dieser Gegend als vermisst gemeldet worden und die Behörden werden langsam unruhig. Wir sollen dem Problem Einhalt gebieten ehe es zu offenen Ausschweifungen mit Zivilsten kommt, die das Interesse der Medien auf sich zieht. Es gibt bereits genug Ärger, da brauchen wir nicht auch noch ein paar Fotos von dämonischen Kidnappern in der Zeitung..." Zustimmendes Gemurmel und grimmiges Kopfnicken kam als Antwort. "Das Ganze sollte eine Routinemission werden, doch bleibt dennoch wachsam. Man weiß nicht was der Däezander in letzter Zeit alles ausheckt, vor allem wenn Zeliarina bei uns ist..." Dunkan blickte die Donnerhexe kurz an und gab ihr stumm zu verstehen, dass er sie mit seinen Worten keineswegs verletzen wollte. Trotzdem verspürte sie einen Moment lang heftige Scham in sich aufsteigen. Ich bin nichts als ein Sicherheitsrisiko... "Tz... Ich hoffe sie schicken uns eine Schattenklinge vorbei", murmelte der Lancelor mit dem tätowierten Gesicht leise, während er seine Finger knacken ließ und ein unheimliches Lächeln auf sein Gesicht zauberte, "Ich wollte schon immer einen von ihnen bekämpfen, besonders jetzt wo wir wissen, dass wir ihre Götterschwerter ebenso dringend brauchen wie sie unseres..." "Batista!", zischte die blauhaarige Kämpferin entsetzt. Der Tätowierte hob nur gleichgültig die Schultern, als wolle er sie fragen was an seiner Aussage so schockierend sei. Doch Zeliarina konnte sehen, wie er dabei beinahe hoffnungsvoll über ein langes Messer an seinem Gürtel strich. //Er ist ein ehemaliger Söldner...\\ Zeliarina stimmte Victorias mentalem Beitrag zu. Die Kampfeslust in den Augen dieses Mannes, der Wunsch nach einem starken Gegner um des Gegners Willen konnte von keinem anderen kommen als einem Mann, der in den Krieg zog um zu kämpfen und nicht um zu schützen. Es war das erste Mal, dass sie jemanden wie ihn bei den Lancelor sah, jemanden ohne dunkle Vergangenheit oder einem grausamen Schicksal. Victoria erzählte ihr noch mehr von dem was sie in den Köpfen der anderen sah, so dass der Flug schneller vorbei war als sonst und nicht mit der üblichen Voranspannung verbunden war. Die hohen Gebäude der Stadt zogen unter ihnen vorbei, dann der Big Ben, London Eye und einige andere Sehenswürdigkeiten, ehe sich der Häuserteppich wieder unter ihnen ausbreitete, diesmal jedoch spärlicher und mit mehr Lücken, je weiter sie nach Westen flogen. Menschen blieben auf der Straße stehen und schauten neugierig zu ihnen hoch, die Hände über den Augen, um das Sonnenlicht abzuschirmen. "Wie kann es sein, dass sie immer noch nicht erkennen was wir Tag für Tag für sie tun?", flüsterte Storm. Er hatte etwa ab der Hälfte ihres Fluges eine Seitentür des Helikopters aufgeschoben und saß knapp am Rand, so dass er ein Bein über die Kante baumeln lassen konnte. Seine linke Hand lag lässig auf seinem angezogenen linken Knie, die andere hielt eine halb heruntergebrannte Zigarette. Er zog tief daran, blies den blauen Dunst aus seinen Lungen aus der offenen Tür und folgte den Rauchschwaden mit seinem Blick, bis sie sich aufgelöst hatten. "Sie sind blind", antwortete Pendrian mürrisch. "Sie sind nur sorglos...", widersprach die blauhaarige Lancelorin, die Zeliarina inzwischen als Selen kannte. Sie strich ihre Haare, die vom Fahrtwind aufgepeitscht wurden, mit einer eleganten Bewegung hinter ihr Ohr und ließ ein Lächeln aufblitzen. Pendrian knurrte mürrisch, sagte aber nichts mehr. Dunkan grinste. Bald darauf knirschte die Stimme des Piloten in ihren Kopfhörern und verkündete, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Mit dröhnenden Motoren sank der Hubschrauber langsam zu Boden und setzte sein Gestänge geschmeidig auf dem Boden nahe einer großen Fabrik mit metallenen Lagerhäusern. "Da wären wir..." Das Brausen der Rotoren verstummte, doch die Lancelor wurden augenblicklich von einer anderen Welle lauter Geräusche erfasst. Menschen schrieen durcheinander, Fotoblitze schossen durch die Luft und ein Mann mit einem Megafon versuchte erfolglos über den schrecklichen Lärm zu rufen. Zwei andere Helikopter standen bereits auf dem freien Platz vor den vielen Lagerhallen, auf ihren Seiten die Logos der größten britischen Nachrichtensender. Ihre Besatzung versuchte sich mit schweren Videokameras an einer Meute Journalisten und Schaulustiger vorbeizudrängeln, während sie alle schrieen und brüllten und versicherten, dass sie das größte Recht auf einen guten Platz hätten. Vier Polizeiwagen standen in einiger Entfernung. "Tja... Wir sind wohl ein bisschen zu spät, denke ich...", gestand Dunkan überrascht. Man schenkte den angekommenen Lancelor keine Aufmerksamkeit, denn die Menschenansammlung tummelte sich an der gelben Plane einer Polizeiabsperrung, die den Zugang zu einer halb offenen Lagerhalle versperrte. Alle versuchten einen Blick in das Innere des Gebäudes zu werfen, während Polizisten in Dienstkleidung den Weg versperrten und die Masse zurückzudrängen versuchten. "Scheinbar ist hier inzwischen mehr passiert..." "Ich spüre Gier, Wut und Rivalität von den Menschen hier, doch darunter liegt ein deutlich extremerer Hass mit Todesangst vermischt. Heute früh hat hier ein Kampf stattgefunden, oder zumindest das, was die Dämonen darunter verstehen, wenn sie wehrlose Menschen töten. Es ist nicht bei Entführungen geblieben...", raunte Selen. "Das ist schlecht... Ich hatte gehofft ungestört arbeiten zu können..." Dunkan verzog ärgerlich das Gesicht und schien einen Augenblick nachzudenken. Dann zog er ohne ein weiteres Wort ein Handy aus der Tasche, wählte eine Nummer und sprach schnell und eindringlich auf jemanden ein. Das Gespräch war schnell beendet. "Was hast du...?" "Ich habe mit dem Oberhaupt geredet und dafür gesorgt, dass man diesen Leuten von uns berichten wird. Wir haben gute Beziehungen zu hohen Tieren in jeglichen Ländern und die Queen ist eine unserer besten Kunden. Sie wird uns da schon irgendwie reinboxen..." "Die Queen?", lachte Kevin ungehalten. Victoria gab ihm einen Klaps, der ihn schlagartig damit aufhören ließ. Auch Pendrian, Storm und Batista grinsten belustigt, allerdings nicht über die Queen sondern über das junge Duo, und gaben vereinzelte derbe Kommentare über den ,Knirps unterm Pantoffel' ab, während Dunkan nur schweigend auf seine Uhr starrte. Als Selen die scherzenden Männer endlich zur Ruhe gebracht hatte und Kevin bereits knallrot im Gesicht war, tippte Dymeon Zeliarina sacht auf die Schulter und deutete stumm auf einen der Polizisten, der den Eingang bewachte. Er klappte gerade sein Handy zusammen und wirkte verwirrt und nicht besonders erfreut von dem was er gehört hatte. "Wir können gehen", murmelte der Dämon ihr zu. Dunkan nickte zustimmend. Mit einem letzten kameradschaftlichen Klopfen auf Kevins Schulter setzten sich die sieben Lancelor und der Dämon in Bewegung, um sich einen Weg durch die sensationsbegierige Menge zu bahnen. An der Spitze stieß der hünenhafte Batista die Leute mit einer Leichtigkeit unwirsch zur Seite, die nichts Normales mehr an sich hatte. Menschen schrieen empört und warfen ihm Beleidigungen an den Kopf, doch selbst der wildeste unter ihnen zog bei einem Blick von Batistas stechenden grauen Augen den Schwanz ein. Innerhalb weniger Augenblicke standen sie an der Absperrung, eine ungewöhnlich anzuschauende Truppe von gleich gekleideten Gestalten, die in all dem Gewirr völlig ruhig blieb. Als die Polizisten sie entdeckten, hoben sie fragend die Augenbrauen, besonders als Dunkan völlig ruhig über die Absperrung stieg. Inzwischen lag die Aufmerksamkeit der Medien auch auf ihnen. "Wir sind die Spezialisten von denen ihnen sicher vor einigen Minuten erzählt wurde. Wir werden uns der Sache annehmen...", erklärte er geschäftsmäßig. Von Verwirrung und Misstrauen getrieben stellten sich die Wachen schützend vor den Eingang, die Hände griffbereit an ihren Pistolenhalftern, einer von ihnen schon wieder mit dem Handy in der Hand. "Das ist nicht nötig", versicherte Dunkan gelassen. "Aber unter euch sind noch Kinder. Lächerlich zu glauben sie könnten irgendetwas tun..." Der Polizist wählte jetzt deutlich verunsichert eine Nummer auf seinem Mobiltelefon, doch Dunkan griff nach seiner Hand und ließ ihn damit innehalten. "Ich wiederhole: das ist nicht nötig. Ich übernehme für alles die volle Verantwortung... Und außerdem sind das keine normalen Kinder..." Der Mann mit dem Blut der Macht sah sich kurz um, versicherte sich dass niemand sie direkt sehen konnte und deutete auf die Zigarette eines anderen Polizisten, die ihm im Mundwinkel hing. "Kevin, die Zigarette dieses Mannes ist aus... Er brauch Feuer..." "Verstehe", grinste Kevin erfreut. Mit einer schnellen Bewegung schlug er Daumen und Zeigefinger aneinander und ließ somit eine kleine Flamme erblühen, die den Zigarettenstummel sofort entzündete. Der Polizist sprang vor Schreck einen ganzen Meter zurück und stieß mit dem Rücken hart gegen die Lagerhauswand, sein Gesicht kalkweiß vor Entsetzen. "Und jetzt lasst uns rein, damit wir uns ansehen können was der Däezander getan hat..." Keiner widersprach. Unter den Protestschreien der Zivilsten, die Kevins Feuerkräfte nicht bemerkt hatten, traten die Lancelor in die Lagerhalle... ----------------------------------- Es sollte eine Routinemission werden... Sie entpuppte sich schnell als Albtraum... Kapitel 21: Konfrontation ------------------------- So, lang lang ist's her, doch ich melde mich schließlich wieder, zurück aus dem Klausurenstress und bereit neue Kapitel zu schreiben^^... Schattenthron, falls du dich noch erinnerst, deinen gesichteten Fehler habe ich sofort berichtigt, du hattest voll recht. Und du musst dich nicht entschuldigen, wenn du deine Meinung kundtust... Wozu sind Kommis denn sonst da?^^ Auch Laynchen wieder supaa-vielen Dank für ihre Kommi (Bin ich bekloppt oder hast du dich umbenannt? *confused*). Dann lest ma schön: --------------------------------------- Kapitel XVIII - Konfrontation Der Anblick, der sich den Lancelor im Inneren des Lagerhauses bot, war mit Worten nicht mehr zu beschreiben. Bei den täglichen Kämpfen gegen die Dämonen hatten sie alle bereits viel gesehen, doch die immense Brutalität, die in diesem Fall an den Tag gelegt worden war, ließ selbst Batista, den wohl Tapfersten unter ihnen, erschaudern. Selen schlug sofort erschrocken die Hände vor den Mund und stieß einen kurzen erstickten Laut aus, während Dunkan, Storm und Victoria nur dumpf auf die Szene starren konnten, die sich vor ihnen ausbreitete... Ein Massaker musste hier stattgefunden haben, anders ließ es sich einfach nicht mehr beschreiben. Zeliarina zählte alleine mehr als ein Dutzend Leichen, die nicht hinter den hunderten bis an die Decke reichenden Lagerregalen verborgen waren. Blut klebte am Boden, an den Wänden und an den Artikeln auf den Regalen. Ein Gabelstapler lag zertrümmert auf seiner Seite, wobei er ein weiteres der Regale vorher noch umgestoßen haben musste und es zusammen mit einem weiteren toten Arbeiter unter sich begrub. Andere Opfer lagen mit eklig verrenkten Körpern da, die erstarrten Gesichter von Grauen erfüllt. In den meisten Augen glaubte Zeliarina noch die Angst sehen zu können, die sie in den letzten Augenblicken ihres Lebens empfunden haben mussten. Kevin wandte sich mit einem ungewohnten Fluch auf den Lippen ab. Das Szenario ekelte sie alle an und die schrecklichen Momente, die diese armen nichts ahnenden Seelen erlebt haben mussten, erschütterten sie bis ins Innerste. "Was zum Teufel ist das hier?", rief Storm mit ausgebreiteten Armen, "Was haben diese Dämonen sich gedacht? Das ist sinnloses Abschlachten, kein Kampf gegen Feinde! Sie haben nicht einmal das Blut für ihre Beschwörung genommen! Dies hier hatte keinen Sinn!" Das Gesicht des Palas war blass vor Zorn, während sich nun auch Victoria und Selen angewidert abwandten. Nur Dymeon und Dunkan, der kühl mit den Polizisten am Eingang verhandelte, um sie draußen zu halten, wirkten noch halbwegs ruhig. Und Zeliarina. Es erschreckte die Donnerhexe selber für einen Augenblick, dass sie die Toten um sich herum ertrug, doch alles was sie bisher in den eineinhalb Jahren mit dem Orden der Lancelor erlebt hatte, hatte sie verändert. All die aussichtslosen Kämpfe, bei denen ihre Freunde verletzt worden waren, die Wanderung durch die Höhle der Prüfung und vor allem die Zeit in der Illusag hatten sie abgehärtet, sie stärker gemacht. Als sie in der Traumebene gefangen gewesen war, hatte sie ihre Freunde hunderte Male ähnlich sterben sehen, in allen nur erdenklichen Weisen und jedes Mal grausam. Dagegen erschienen ihr diese Fremden auf merkwürdige Weise entrückt, obwohl es ihr natürlich noch nahe ging. Doch der mitleidige Schmerz in ihrem Herz war stumpf, nicht so intensiv wie früher. Passiert das wenn man stärker wird? Ist dieses Abstumpfen notwendig? Zeliarina fand keine Antwort. Stumm starrte sie mit traurigen grünen Augen auf die getöteten Arbeiter, ohne sich davon abzuwenden. Dymeon stand lautlos neben ihr, während er kurz mit seinem Arm ihren streifte und sie fragend ansah. "Bist du in Ordnung, Zel?", erkundigte sich der Dämon besorgt. Zeliarina nickte nur, hin und her gerissen zwischen der neuerlichen Freude über ihren Spitznamen und dem ungeheuren Entsetzen der gegenwärtigen Situation. "Es geht mir gut", versicherte sie schließlich, als Dymeon seine Augen nicht von ihr nahm. "Aber wir müssen den Däezander hierfür zur Rechenschaft ziehen..." "Ja...", stimmte ihr Schutzritter zu. Er wirkte nachdenklich, ließ sich jedoch Zeit, ehe er vorsichtig sprach: "Weißt du noch, was ich dir einst über Dämonen erzählt habe? Sie sind anders, aber keine blutrünstigen Tötungsmaschinen... Zumindest hätte ich das noch vor einiger Zeit gedacht... Doch dies hier ist... Irgendetwas ist nicht richtig..." "Das stimmt...", murmelte Selen leise, "Ich spüre den intensiven Hass von Dämonen, doch direkt an den Körpern der Ermordeten ist nur Angst. Normalerweise bleiben die Gefühle des Mörders am Opfer haften, wenn's es mit ihm im Kontakt kommt. Man könnte sagen... Wer auch immer hier am Gange war, er hat dabei nichts gefühlt..." "Cenior?", knurrte Pendrian. Selen schüttelte den Kopf, die Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen. "Nein... Cenior mit den Seelenbändern besitzt eine Gefühlsmischung aus ruhigem Stolz und Kampfeslust, die ich überall erkennen würde. Doch hier sind keine Gefühle... Rein gar nichts..." "Also jemand bar jeglicher Gefühle? So etwas gibt es nicht einmal im Däezander...", grummelte Pendrian ungläubig. Er verschränkte die Arme und ließ seinen Blick weiter umherschweifen. "35 Tote, davon 7 Frauen und 28 Männer... Zusammen mit den 12 Leuten, die bereits aus dieser Gegend vermisst werden, macht das beinahe fünfzig Opfer... Ziemlich aggressives Vorgehen... Was haben diese verdammten Dämonen vor...?" "Ich weiß es nicht...", raunte Batista. Eine Sekunde später verzogen sich seine Lippen zu einem grimmigen Lächeln, während seine Finger mit einer geschickten Bewegung das lange Messer aus seinem Gürtel lösten. Die stählerne Klinge blitzte in dem trüben Sonnenlicht, das durch die teilweise aus Glas bestehende Decke strömte. "Vielleicht kann der da uns ja etwas mehr verraten...", knurrte der Palas, ehe er auf eine Gestalt deutete, die langsam hinter einem der voll gepackten Regale hervortrat. Melissa saß allein auf der Pritsche in Ereos' Heim und starrte nachdenklich an die gegenüberliegende Wand, ohne sich zu rühren. Der faustgroße Kristall in der Ecke verteilte sein spärliches rotes Licht an den Steinwänden, ohne die Finsternis wirklich vertreiben zu können. Stimmen waren draußen zu hören, einige wispernd, andere schreiend, doch allesamt vereint durch ihren unmenschlichen dämonischen Klang. Melissa schauderte kurz. Sie versuchte sich einzureden, dass es an den Wassertropfen lag, die noch immer ihre Haut benetzten, weil sie vor ein paar Minuten wie so oft in der unterirdischen Quelle der Dämonenzuflucht gebadet hatte, doch in Wahrheit wusste sie, dass es daran nicht lag. In Wahrheit hasste sie diesen trostlosen, dunklen Ort und sehnte sich nach Licht, nach anderen Menschen und nach Wärme, die nicht von einer Wasserquelle stammten. Melissa hatte beinahe das Gefühl langsam zu vergessen wie die Sonne aussah... Mit einem Kopfschütteln griff die ehemalige Lancelorin nach einem Handtuch zu ihrer Rechten und begann sie das rote Haar trockenzureiben. Sie würde eh nicht mehr lange hier bleiben müssen, bald würde Ereos die letzten Vorbereitungen für ihren gemeinsamen Kampf gegen Dymeon abgeschlossen haben... Dann würde ihre Rache endlich vollzogen werden... Plötzlich zog jemand den schwarzen Vorhang vom Eingang des Heims beiseite, so dass ein dünner Strahl roten Lichts von draußen durch die Dunkelheit schnitt. Der Streifen beleuchtete ihre blanke Schulter und das Handtuch, das sie sich um ihre Brüste geschlungen hatte. Er glitzerte auch auf ihrem silbernen Arm, dem Geschenk ihres geliebten purpuräugigen Dämons. "Wer ist da?" "Hier treibt sie sich also herum!", murmelte eine ihr unbekannte Stimme belustigt. Eine dunkle Gestalt schob sich in den Eingang, drei blutrote Augen blitzten auf. Dem Tryclonn folgte ein zweiter Dämon, der genau wie sein Begleiter nur eine kaum spürbare Aura nach sich zog. Melissa schnaubte und richtete den Blick wieder auf die Wand. Nur ein Tryclonn und ein Oggron, schwache dazu. "Was wollt ihr?" "Hätte mich auch gewundert, wenn er sie mitgenommen hätte", raunte der Oggron dem Tryclonn zu, als hätte er Melissas Fragen gar nicht gehört. Das Mädchen knirschte ungeduldig mit den Zähnen, erhob sich von ihrem Platz und richtete ihre verschiedenfarbigen Augen kalt auf die zwei Besucher. "Sagt was ihr wollt oder verschwindet, sonst wird euch Ereos zerquetschen, wenn er zurück ist und ich ihm davon erzähle..." "Glaub ich kaum", erwiderte der Tryclonn hämisch, "Ereos wird nach dem heutigen Abend keinen Pfifferling mehr auf dich geben..." Melissa hob verwirrt die Augenbrauen, so dass der Dämon nur noch breiter grinste und seine scharfen Zähne entblößte, die das Licht widerspiegelten. "Sie hat keine Ahnung, wie naiv..." Er legte eine kleine Atempause ein, um seine folgenden Worte noch besser zur Geltung zu bringen. "Ereos ist mit anderen auf dem Weg, um der Wächterin Thundenstars eine endgültige Falle zustellen... Der Verräter Blutträne wird unweigerlich auch dabei sein... Bald ist er tot..." "Nein...", hauchte Melissa fassungslos, "Eine Lüge..." Sie starrte die beiden Dämonen sprachlos an und versuchte die Lüge in ihren Augen zu sehen. Doch sie sah nur Genugtuung, während sich beide Dämonenmäuler zu einem Grinsen verzerrten. Mit unsicheren Schritten bewegte sie sich auf die Angehörigen des Däezander zu und hielt beinahe sofort wieder inne, weil ihre Knie weich wurden. "Nein... Unmöglich..." Die ehemalige Lancelorin strauchelte, musste sich an der Wand abstützen und schnappte nach Luft, ohne auch nur ein einziges Mal den Blick von den zwei Dämonen abzuwenden. Der Tryclonn erwiderte nichts, versuchte sich nicht zu rechtfertigen. Er wusste bereits, dass er die ehrlose Menschin in ihrer Mitte mit dem Gift der Wahrheit infiziert hatte und aalte sich genüsslich in ihrem Leiden, das es auslöste. Sein Blick folgte Melissa aufmerksam. Ihr Körper krümmte sich als habe sie Schmerzen, ihr Gesicht war nur noch eine verzerrte Maske und in den Augen erlosch das letzte Fünkchen Vertrauen, das sie zu jemals zu irgendjemandem gehabt hatte. "Nein...", wiederholte sie verzweifelt. Tränen liefen ihre Wangen herab. "Du bist nur benutzt worden, nicht mehr als ein Spielzeug, eine Dirne von Ereos! Hast du geglaubt er würde dich als Gefährtin betrachten oder sogar lieben? Wie dumm warst du das zu glauben! Er hat immer nur eine geliebt und die wurde von der Wächterin Thundenstars getötet. Du warst nur eine Ablenkung von ihr, er hat dich nie geachtet! Alles Scharade, alles Show, nur ein Lügengebilde, indem du gefangen wurdest! Er würde sich die Rache an Dymeon nie nehmen lassen! Er würde sie nie auch nur teilen, schon gar nicht mit einer wie dir!" Jedes Wort drang auf Melissa ein wie ein Faustschlag, wie ein Dolchstoß. Die Tränen flossen immer weiter, während sie von Trauer und gewaltiger Wut rettungslos verschlungen wurde. Blind von den überwältigenden Gefühlen schlug sie mit bestialischer Wucht auf die beiden Dämonen ein, so dass sie aus Ereos' Heim flogen. Dann brach sie auf die Knie, die Hände am Kopf. Sie krümmte sich wieder und schrie einen lang gezogenen, hasserfüllten Schrei der Verzweiflung... Geh mit mir, Liebes. Entsage dich dem Orden der Menschen, der von unserem gemeinsamen Feind Dymeon unterwandert wurde, so dass wir mit aller Kraft gegen ihn kämpfen können... Diese Worte von ihm waren eine Lüge gewesen, das wusste sie plötzlich, hatte es vielleicht sogar immer gewusst und sich dennoch an den letzten Strohhalm geklammert, der ihr geblieben war... Ich würde es nie wagen etwas so Schönes wie dich zu zerstören... Bitte nimm mein Geschenk an...Mit deinem neuen Arm wirst du in der Lage sein Dymeon seiner gerechten Strafe zuzuführen... All die gesagten Liebenswürdigkeiten, all die Heuchelei... Von nun an würde sie niemandem mehr vertrauen, weder den Lancelor noch Ereos. Sie würde alleine gegen Dymeon kämpfen und ihm seine gerechte Strafe zuführen, wenn das der einzige Weg war um von der herzzereißenden Enttäuschung durch andere verschont zu bleiben... Deshalb komm mit mir in eine Welt des Vertrauens und der Hilfe, in der du Unterstützung gegen Dymeon finden wirst. Es ist egal, dass du kein Dämon bist... Zitternd erhob sich Melissa vom Boden und wischte sich die Tränen grob aus den Augen. Schluss mit den Lügen! Das Mädchen zog sich schnell ihre Sachen an und griff nach dem blutroten Stein, der dem Zimmer das Licht spendete. Ihre Augen hatten sich gelöst von jeglicher Trauer, zurück blieb nur eine nicht zu stoppende Entschlossenheit. "Dieser Mistkerl!" Dann rannte sie los, raus aus dem Zimmer, durch die dunklen Gänge der Zuflucht und hinein in das Labyrinth von Tunneln, das sich tief unter der Erde befand und zu jedem nur erdenklichen Winkel Englands führte. "Wie dumm von dir mir zu zeigen, wie ich die Symbole der Tunnel deuten muss, Ereos! Und noch dümmer von dir zu sagen, wo du heute hingehst um unsere gemeinsamen ,Vorbereitungen' weiterzuführen! Du hast mich unterschätzt, Mistkerl, du nimmst mir meine Rache nicht weg!" Der Stein in ihrer Hand glomm schwach, doch das Licht würde für ihren Weg ausreichen... Ohne zurückzublicken ließ Melissa die Zuflucht der Dämonen hinter sich... Die Gestalt, die den Lancelor gegenüberstand, blickte sie der Reihe nach abschätzend an. Es war ein Dämon, kein Zweifel. Auch wenn der Krieger keine schwarze Aura mit sich zog, konnte jemand wie er an diesem Ort des Todes nur so gelassen bleiben, wenn es sich um einen Dämon handelte. Eine Wolke aus kurzen blonden Haaren umgab seinen Kopf, die Augen waren schwarz mit dünnen roten Rändern um die Pupille und auf seiner Haut zeichneten sich rote Flecken ab, die aussahen wie Splitter eines unbekannten Kristalls oder Glases. Seine Kleidung war schlicht und unauffällig, helles Shirt mit dunkler Hose. "Wer bist du?", schrie Storm stürmisch. Instinktiv riss er seine Pistole aus dem Halfter, noch ehe sein Schrei in der Halle verhallt war, und das charakteristische Klicken der entsicherten Waffe vermischte sich mit denen von Selen, Batista, Dunkan und Pendrian. Sie waren wahre Lancelor, durch und durch. "Wieso spüre ich deine Aura nicht?" Der Fremde antwortete nicht, doch Selen schnalzte nervös mit der Zunge. "Er kann keine Drachenkette haben, Dymeon besitzt zwei und Ereos die dritte... Es ist pure Gleichgültigkeit... Die Aura eines Dämons ist nichts anderes als ein Gemisch von negativen Gefühlen, die man lernen kann wahrzunehmen. Ich besitze die Fähigkeit alle Gefühle von Natur aus spüren zu können, doch diesmal spüre ich gar nichts..." Die Pistole in ihrer Hand fing an zu zittern, so dass sie die andere Hand ebenfalls um den Griff legte. "Unheimlich..." "Wer bist du?", schrie Storm noch einmal. Diesmal kam die Antwort, kaum mehr als ein heiseres Flüstern ohne jegliche Emotion, das ihnen die Haare zu berge stehen ließ. Victoria lief es eiskalt den Rücken runter, denn nicht einmal sie ist früher so ungeheuer gefühllos gewesen... "Rishak... Eine Schattenklinge des Ordens der Dämonen... geboren aus Blut, Dunkelheit und Kristall..." "Eine Schattenklinge?" "Ja..." Die Lancelor warfen Dunkan aus den Augenwinkeln fragende Blicke zu, doch der Mann mit dem Blut der Macht schüttelte nur kurz den Kopf. Keiner von ihnen hatte jemals von einem Dämon namens Rishak gehört, der zu alledem ein Götterschwert trug, obwohl die meisten Hochrangigen des Däezander in einem speziellen Archiv in Falcaniar verzeichnet waren. Doch alleine die Tatsache, dass es sich bei dem Feind um eine Schattenklinge handelte, ließ sie alle besonders vorsichtig werden. Batista drehte sein Messer unruhig in der Hand. "Wo ist dein Schwert?", fragte der Exsöldner herausfordernd. Rishak antwortete, indem er seinen rechten Arm in einer fließenden Bewegung vor seinen Körper gleiten ließ und ihn nach ihnen ausstreckte, als wolle er sie aus der Distanz berühren. Eine wahrnehmbare Veränderung spielte sich daraufhin in dem Lagerhaus ab, ein kurzer Windhauch, der nicht sein dürfte, und eine Zunahme des Drucks in der Luft. Victoria und Selen, die als Telepathin und Emotionenspürerin die beste Wahrnehmung aus der Gruppe hatten, wichen instinktiv einen Schritt zurück. Als das komische Gefühl alle Lancelor mit einer merkwürdigen Unruhe erfasst hatte, begann sich Rishaks Arm schließlich zu verändern. Die kristallenen Flecken auf seiner Haut schienen zu wandern, indem sie von ihren ursprünglichen Positionen zu den Fingern herunter krochen, sich dort vollständig zu einer roten Schicht anordneten und nach und nach auch den restlichen Arm restlos mit rotem Glas überzogen. Die Fingerkuppen des Dämons schienen zusammenzukleben, sie verschmolzen zu einer einzelnen großen Fläche, die sich wiederum zu einer Spitze formte. Die Lancelor hatten schon hunderte Mal etwas Ähnliches erlebt wenn die Dämonen ihre Hände zu Klauen formten, doch aus Rishaks Arm wurde keine Klaue, sondern ein langes, rotes Schwert... "Hier ist mein Schwert...", antwortete Rishak. Von einer Sekunde auf die andere stürmte er auf die immer noch überraschten Lancelor zu. Die Gruppe stob auseinander und entkam dem Angriff teilweise nur um ein paar Zentimeter, während ein Kugelhagel den Weg des Dämons begleitete. Leere Patronenhülsen klirrten auf den Boden, es knallte und knallte und draußen hörte man verwunderte Schreie, die auf die Kampfgeräusche im Lagerhaus reagierten. Storm und Pendrian hatten bereits ihr erstes Magazin verschossen, es rutschte aus den Griffen ihrer Pistolen, ehe sie sofort neue hineinpressten. Dunkan versuchte Ordnung in das entstandene Chaos zu bringen. "Nehmt die Heiligen und bewahrt Ruhe! Achtet auf die eigenen Männer! Kevin, auf keinen Fall feuern! Selen und Pendrian zum Eingang, bietet ihm keine Fluchtmöglichkeit!" Die zwei Lancelor stürmten zu der großen, abgesperrten Metalltür, doch Rishak war bereits vor ihnen dort und zerschlug das Hindernis mit einem einzigen gewaltigen Hieb seines Armschwerts. Funken sprühten zu den Seiten weg und das Metall glühte an den Rändern des Einschnitts, den die Schattenklinge angerichtet hatte. "Lasst ihn nicht entkommen!" Weitere Kugeln prasselten auf Rishak ein. Die meisten verfehlten ihn und gruben Krater in das dicke Eingangstor. Zwei Projektile prallten mit weiteren Funken von seinem Kristallarm an, Selen erwischte die Schulter des Dämons mit Runenmunition, ohne jedoch sonderlichen Schaden anzurichten, außer ihn kurz aus dem Gleichgewicht zu bringen. "Bleib hier, du Mistkerl!", schrie Storm außer sich. Rishak reagierte überhaupt nicht, riss die Überreste der Tür wie Spielzeug aus den Angeln und rannte ins Freie. Die Lancelor stürmten ohne zu zögern hinterher. Blitzlichtgewitter empfing sie, wilde Schreie, Kameras wurden auf sie gerichtet, die Polizisten brüllten und Schüsse, die von keiner Lancelorwaffe stammten, zerschlugen die Luft. Vor ihnen gingen Passanten schreiend und verwundet zu Boden, wenn Rishak sie im Vorbeigehen niederstreckte. Der Dämon schien dabei völlig willkürlich vorzugehen, ohne Sinn, ohne Gewissen, ohne Vorsicht vor den Medien, die jede Sekunde des Geschehens aufzeichneten. "Aus dem Weg!" Diesmal musste Batista ihnen keinen Weg bahnen, denn die Menschen stoben vor ihnen kreischend auseinander wie ein aufgewühlter Stamm Ameisen, nur um in einiger Entfernung wieder stehen zu bleiben und weitere Fotos zu schießen. Das Durcheinander war nicht mehr unter Kontrolle zu bringen. Dunkan, der als Missionsleiter eigentlich für die Diskretion zuständig war, ließ einfach alles links liegen und rannte mit den anderen Lancelor Rishak hinterher, der inzwischen den Mopp hinter sich gelassen hatte und zwischen zwei anderen Lagerhäusern hindurch zu der großen Fabrik rannte. Alle Gedanken waren nur noch auf das Götterschwert des Dämons gerichtet. Was zum Teufel war das, Victoria? Sein Arm war das Schwert! Zeliarina benutzte bewusst nur ihre Gedanken um sich ihren Atem zu sparen. Victoria rannte neben ihr her, nah genug um alles in ihrem Kopf genau mitzubekommen. //Ich weiß es nicht... Ich konnte seinen Gedanken nicht sehen...\\ "Du konntest seine Gedanken nicht sehen?", wiederholte Zeliarina verwirrt, diesmal vor Schreck versehentlich laut ausgesprochen. Mit keuchendem Atem wandte sie sich an Dymeon, der ein kleines Stückchen hinter ihnen lief um seine Schutzbefohlene im Auge behalten zu können. "Was war das für ein Dämon, Dymeon? Wie kann er weder Gedanken noch Gefühle haben?" "Ich habe ihn noch nie gesehen, Zel!", rief der Hochdämon ebenso ratlos. Rishak hatte die Fabrik erreicht, Storm und Batista dicht auf den Fersen, kurz dahinter Dunkan, der wieder sein Handy in der Hand hielt und hastig hinein schrie: "Hatten Kontakt mit einem unbekannten Hochdämon, der sich als Schattenklinge zu erkennen gab! Außerdem spüre ich mehrere andere schwarze Energien! Schickt sofort Verstärkung! Die Zentrale in London soll das Gebiete sperren, hier sind überall Reporter und mindestens dreizehn weitere Verwundete!" Zeliarina schluckte... Wo waren sie da bloß wieder reingerutscht? Rishak verschwand jetzt im Inneren der Fabrik, doch als Storm und Batista ihm hinterher setzen wollten, befahl Dunkan den beiden Männern barsch zu warten. Widerstrebend blieben sie vor dem Eingang stehen, bis alle zu ihnen aufgeschlossen hatten und keuchend um sie herum verstreut nach Atem rangen. "Warum hältst du uns auf?", blaffte Batista sofort. Dunkan besah ihn mit einem ernsten, abgeklärten Blick und tippte sich zur Verdeutlichung seiner Worte mit dem Zeigefinger an die Schläfe. "Spürst du das nicht? Da sind noch weitere schwarze Energien drin und ihr wärt ihnen in die offenen Arme gerannt!" "Wir haben nicht viel Zeit!" "Ich weiß!", zischte Dunkan wütend zurück. Sein Kopf arbeitete auf Hochtouren um nicht eine kostbare Sekunde zu verschwenden, während er die ganze Situation eifrig analysierte, angefangen bei ihrem Feind und dem Ziel ihn zu schnappen, bis hin zu den Passanten in der Nähe. "Also, zwei Teams!", erklärte Dunkan hastig, als er sich einen kurzen Überblick über ihre Truppe verschafft hatte. "Standartgemäßes Scherenmanöver. Kevin, Victoria, Storm und Pendrian gehen nach dem Eindringen auf die linke Seite, der Rest übernimmt mit mir die rechte! Alles klar?" Die Lancelor nickten nur. "Dann los!" Unter Dunkans Startsignal trat Batista die Tür auf und huschte sofort mit angelegter Waffe in das Gebäude, der Rest dicht hinter ihm. Kaum hatten sie die Empfangshalle erreicht, teilten sie sich wie beschlossen auf, so dass eine Hälfte in einem kleineren Lageraum zur Rechten verschwand und die andere eine Art Aufenthaltsraum für die Arbeiter zur Linken sicherte. Zeliarina hatte ein ungutes Gefühl dabei Kevin und Victoria gehen zu lassen, wagte es jedoch nicht etwas gegen Dunkans Befehle zu sagen, vor allem weil der Palas ihr Mentor war und deutlich mehr Erfahrung besaß als jeder andere des Ordens. Er würde wissen was zu tun war. Leise raunte die Donnerhexe ihren Freunden noch "Viel Glück" zu, ehe sie ihrer Gruppe lautlos folgte. Dymeon blieb dabei dicht an ihrer Seite. Inmitten der hochkonzentrierten, angespannten Palas verkörperte er eine unerschütterliche Ruhe von der er wusste, dass sie gebraucht wurde. "Sei unbesorgte, Zel... Ich schulde dir noch ein paar Leben... Ich beschütze dich...", flüsterte Dymeon ihr sanft zu, während seine Hand ihre ergriff, sie umschloss und aufmunternd drückte. "Danke..." "Für dich immer..." Die beiden verstummten schlagartig, als Dunkan sie mit einem warnenden Blick zur Ruhe mahnte. Die Lagerhalle war jetzt vollkommen still. Kein Arbeiter hantierte irgendwo herum, keine Gespräche drangen an ihre Ohren, keine Maschine stand in Betrieb. Man hatte die Fabrik wegen dem Massaker in der Lagerhalle vorübergehend gesperrt, dennoch war es unheimlich ein so großes Gebäude völlig leblos vorzufinden. Sie sicherten nach dem kleinen Lager einen weiteren Raum. Die Aura von Dämonen wurde immer stärker, je weiter sie vordrangen, bis Zeliarina von einem inzwischen fast vertrauten Gefühl von Kälte und Kopfschmerzen erfasst wurde. Sie drängte das Gefühl mit aller Kraft in ihr Unterbewusstsein zurück, drückte jedoch dabei gleichzeitig Dymeons Hand, die ihre Finger immer noch umschloss, um sich seiner Gegenwart bewusst zu machen. So durchquerten sie einen Gang, in dem eine Treppe ins obere Stockwerk führte, und eine Abzweigung zu den Technikräumen der Fabrik. Dunkan und Batista ignorierten beides. Stur folgten sie den dunklen Energien, die sie immer weiter in die komplizierten Gänge führten. Schließlich blieben die beiden männlichen Lancelor stehen. Vor ihnen baute sich eine geschlossene Tür mit zwei metallenen Flügeln und einem großen Fensterausschnitt in der oberen Hälfte auf. Dunkan gab seiner Gruppe ein flottes Zeichen mit der Hand, so dass sich alle schnell duckten und an die Backsteinwände drückten, um aus dem Inneren des folgenden Raumes nicht zu sehen zu sein. Danach folgte eine Reihe von schnellen Anweisungen, die alle stumm abliefen. Erst deutete er auf Selen und machte ein fragendes Gesicht, während seine Hand mit Zeigefinger und Mittelfinger einen laufenden Menschen symbolisierten. ,Zivilisten?' Selen schüttelte nur den Kopf. Dunkan schien ihrem Urteil ohne Zweifel zu vertrauen und machte sofort einige weitere, für Zeliarina unbekannte Zeichen, diesmal an Batista gerichtet. Mit einem wölfischen Grinsen kramte der Exsöldner lautlos in seinen Westentaschen herum, bis er zwei runde Gegenstände hervorzog. Zufrieden nickten sich die beiden Lancelor gegenseitig zu. Zeliarina sah, wie sich Dunkans Muskeln am Hals und den Oberarmen anspannten, als mache er sich auf einen unvermeidlichen Schlag gefasst. Noch einmal gab der Mann mit dem Blut der Macht ein Zeichen. Diesmal war es so einfach, dass selbst Dymeon, der sich mit den stummen Lancelorbefehlen nicht auskannte, es verstand. Fünf Finger wurden ihnen entgegengestreckt, dann vier, dann drei... ,3... 2... 1...' Als Dunkan den letzten Finger einzog, stieß Batista die Tür mit einem lauten Knall auf und warf die zwei runden Gegenstände in den Raum, ehe er sich sofort wieder zurückzog und seitlich der Tür verbarg. Zeliarina sah zwei silberne Ringe auf den Boden fallen und wusste plötzlich, noch ehe Dymeon sie schützend mit sich neben die andere Seite der Tür zog, um was es sich handelte... Ein Knall zerriss die Luft mit bestialischem Geschrei, lauter als alles was Zeliarina je zuvor in ihrem Leben gehört hatte. Die Wände wurden von zwei aufeinander folgenden Explosionen erschüttert, Licht brandete durch das Türfenster, weißblau und so unendlich grell, dass Zeliarina geblendet die Augen schließen musste. Gleichzeitig wurde der Krach der wütenden Granaten übertönt von einem eindringlichen Fiepen in ihren Ohren. Eine Druckwelle traf vom anderen Raum aus die Tür, drückte sie zusammen und schleuderte sie aus den Angeln wie einen Fetzen Papier. Sie flog an ihnen vorbei und knallte gegen eine Wand, Zeliarina konnte den Luftzug und die folgende Erschütterung spüren, doch sie konnte nicht hören. Blinzelt öffnete sie wieder ihr inzwischen tränenden Augen. Lichtpunkte flimmerten in ihrem Blickfeld, doch die unerträgliche Helligkeit, die aus den Granaten hervor gebrochen war, hatte sich wieder verflüchtigt. Dunkan brüllte Befehle, Zeliarina konnte seine Lippenbewegungen sehen. Doch sie hörte nichts. Sie hörte gar nichts außer dem Fiepen. Plötzlich packte eine Hand ihren Arm. Vor Schreck riss sie sich davon los, zog in der gleichen Bewegung ihre Pistole und richtete sie auf denjenigen, dem sie gehörte. Es war Dymeon, die dunklen Augen besorgt aufgerissen. Sein Mund bewegte sich unaufhörlich, als würde er auf sie einreden, wenn auch nicht so laut wie Dunkan. "Ze...! Kan............u gehen? W.........in............nung!" Zeliarina hörte nur ein paar Bruchstücke seiner Worte, wusste mit ihnen jedoch nichts anzufangen. Mit hektischen Gesten, die Pistole immer noch in der Hand, deutete sie auf ihre Ohren, während sie langsam aber sicher die Panik befiel. "Ich höre dich nicht! Ich verstehe kaum etwas!", brüllte sie mit aller Kraft, beängstigt davon, dass sie ihre eigenen Worte nicht verstand. Dymeon brachte sie mit einer hektischen Geste zum Schweigen, zog sie schnell an sich und strich ihr beruhigend über das Haar. Der schwache, warme Atem an ihrer Wange verriet ihr, dass er ihr leise Dinge zuflüsterte. "Kei.........org..., ...kay?" Auch wenn Zeliarina nur erahnen konnte was der Dämon ihr zuraunte, nickte sie eisern und schob ihren Schutzritter von sich um sich entschlossen in den Kampf zu stürzen. Batista stürmte bereits in den Raum, in den er die Granaten geworfen hatte, wurde jedoch einen Augenblick später wieder zurückgedrängt, als sich zwei schwarz gekleidete Gestalten auf ihn stürzten, die Haut an vielen Stellen zu Fetzen heruntergebrannt, die drei roten Augen gierig. Batista schoss grimmig auf sie. Jeder seiner Schüsse wurde begleitet von einem kurzen Lichtblitz, einer Rauchwolke und einer leeren Patronenhülse, die lautlos zu Boden fiel. Die beiden Tryclonns brachen schnell in sich zusammen, schwarzes Blut verschmierte den Boden. Zusammen mit Dunkan und Selen verschwand Batista im angrenzenden Zimmer. Nur Dymeon blieb noch bei Zeliarina, in seinen Augen sah die Donnerhexe eine immer stärker werdende Unruhe, die scheinbar durch sie ausgelöst wurde. Unwirsch schlug sie die Hand beiseite, die er ihr wieder anbieten wollte, und deutete auf die drei voran gepreschten Palas. "Hinterher!" Alles lief seltsam verlangsamt ab, die ganze Situation schien surreal, ihre eigene Stimme, die sie nicht hörte, Dymeons stumme Lippenbewegungen, seine Gesten. Einem inneren Drang folgend schloss sich die freie Hand der Donnerhexe langsam um Thundenstars Griff. Wärme floss augenblicklich durch ihre Finger in den ganzen Körper und befreite ihre Ohren von dem monotonen Piepen in ihren Ohren, so dass sie mit einem Schlag wieder all das Durcheinander um sich herum hörte, die Schüsse, die menschlichen Schreie und das unheimliche, unmenschliche Gekreische von Dämonen. Danke Thundenstar... Das Schwert sang zu ihr, führte sie. Erlöst von Blind- und Taubheit schritt Zeliarina von einem unerklärbaren inneren Frieden erfüllt durch die Gänge der Fabrik und folgte ihren Gefährten, die in der großen Halle vor ihr verschwunden waren. Dort kämpften sie Rücken an Rücken gegen die Feinde des Ordens. Viele Dämonen lagen bereits am Boden, erfasst von dem weißen Feuer der zwei Granaten oder durchlöchert mit Runenmunition. Die Pistolen der Lancelor ließen die Kugeln fliegen, während sich ihre harten Knalle zu einem eigenen tödlichen Lied verbanden. "Zeliarina! Was zum Teufel tust du da?" Die Donnerhexe lief ohne Deckung auf das Dutzend Tryclonns zu, das ihnen noch Widerstand leistete. Dymeon stürzte ihr hinterher, doch sie ließ ihm erst gar keine Gelegenheit dazu diesen Kampf für sie zu übernehmen, sondern hob ihre göttliche Klinge vor sich und deutete mit der Spitze auf die Abgesandten des Däezander. Drei gelbe Blitze entfuhren dem Schwert, schnell, präzise und tödlich. Die Dämonen wirbelten durch die Luft und klatschten mit dumpfen Geräuschen auf den Hallenboden. Ich bin stärker geworden... Thundenstar ist bei mir... Keiner der Tryclonns oder Oggrons rührte sich noch. Zeliarina sah gebannt auf ihre Hand hinab, die Thundenstar hielt. Das Schwert glühte orange, genau wie die Runen, die sich wild um ihren Unterarm schlangen, so als gehörte es inzwischen zu ihrem Körper. Donnerschwert und Donnerhexe hatten zueinander gefunden, um zu einer Einheit zu verschmelzen. Sie spürte nicht einmal mehr den geringsten Hauch von Erschöpfung, der sie sonst immer so heftig befallen hatte, wenn sie Thundenstars Kräfte hatte nutzen müssen. Dymeon stürzte an ihre Seite, berührte sie an der Schulter und machte sich offenbar darauf gefasst einen Schwächeanfall seiner Schutzbefohlenen zu erleben, doch Zeliarina lächelte ihm nur verständnisvoll zu. Ihre grünen Augen strahlten. "Mir geht es gut, keine Sorge. Ich höre wieder alles und fühle mich fit." Der Dämon betrachtete sie skeptisch, ohne seinen Griff von ihr zu lösen. Dunkan schaute aus einiger Entfernung stolz auf seine Schülerin und ihren Schutzritter, während sich Batista dank einer Klauenwunde am Oberschenkel von Selen stützen lassen musste. Die drei Palas humpelten langsam zu ihnen herüber. "War's das?", grummelte der Exsöldner leiser als gewohnt. Es schien ihm peinlich zu sein als Einziger verletzt worden zu sein und sich von den beiden weiblichen Mitgliedern ihrer Truppe helfen lassen zu müssen. Mit einer unwirschen Bewegung zog er seinen Arm von Selens Schultern, um sich vorsichtig auf den Boden gleiten zu lassen. Dort kramte er lautlos in seinen Westentaschen nach Verbandszeug und trank etwas von der roten Heilflüssigkeit, die Dunkan immer in schmalen Reagenzgläsern mit sich führte. "Dieser Dämon mit dem komischen Arm war hier nicht dabei", gab Selen zu bedenken. Sie schob ihre Pistole zurück in den Halfter an ihrer Hüfte, sah sich nachdenklich um und deutete kurz mit dem Daumen auf eine rote Backsteinwand zu ihrer Linken. "Dahinten sind noch Dämonen zu spüren, vielleicht brauchen die anderen unsere Hilfe. Wir sollten nach ihnen sehen..." "Aber der Typ mit dem Schwertarm wird uns verborgen bleiben, wenn er das will. Wir konnten seine Aura nicht wahrnehmen, nicht einmal du, Selen..." Die Palas nickte bedrückt, ihr blaues Haar fiel in langen verschiedenfarbigen Strähnen über ihren Rücken und die Schultern, ein paar vereinzelte Haare hatten sich in ihrem Gesicht verirrt. Sie strich sie abwesend beiseite, während ihr Blick ziellos durch die Halle schweifte. Zeliarina tat es ihr gleich und sah sich zum ersten Mal richtig in dem Raum um, in dem vor einigen Minuten noch der Kampf getobt hatte. Es war eine große Halle, mindest zehn Meter hoch und etwa dreißig Meter breit. Maschinenroboter, Fließbänder und Werkzeuge lagen durch die Wucht der Granaten überall verstreut, teilweise in die Bestandteile zersprungen. Ein Gang mit metallenem Geländer war etwa in vier Metern Höhe an den Wänden angebracht, so dass man ihn betreten und auf die Arbeit unten blicken konnte. "Wir sollten gehen..." Die Sorge um Kevin und Victoria schob die Erleichterung einer gewonnenen und überstandenen Schlacht langsam beiseite, um wieder auf sich aufmerksam zu machen. Zeliarina spürte genau wie die anderen Lancelor die vielen dunklen Auren in einiger Entfernung, die bisher nicht an Stärke abgenommen hatten. Im Gegenteil, sie verbanden sich eher zu einer einzigen, gewaltigen Woge von Hass, die ihnen entgegenschlug wie ein eisiger todbringender Wind... Die Donnerhexe wollte sich schon in Bewegung setzen, Pistole und Schwert noch in den Händen, als sie aus den Augenwinkeln eine schattenhafte Bewegung wahrnahm. "Bleibt stehen!" Die Lancelor zuckten beim Klang dieser Stimme zusammen, einige von ihnen erkannten sie. Mit gehetzten, umherschweifenden Blicken durchkämmten sie die Umgebung, ohne den Besitzer der dunklen Stimme zu sehen. Erst Batista entdeckte ihn auf dem Hochgang stehen, die Arme lässig auf das Geländer gestützt. Silber blitzte auf, schwarzes Haar umwirbelte ein scharf geschnittenes Gesicht, ohne von einem Haarband gezähmt zu werden, und purpurfarbene Augen starrten mit unverschleiertem Hass auf sie hinab... "Ereos!", stieß Dunkan hervor. Der Hochdämon schwang sich über das Geländer, sprang furchtlos vier Meter in die Tiefe und landete unheimlich leise auf dem harten Metallnetzboden. "Weint vor Verzweiflung, ihr Narren, denn diesmal gibt es für euch kein Entrinnen... Ich bin gekommen um alle Feinde des Däezander zu töten... Besonders dich, Blutträne..." Ereos' Augen hafteten an Dymeon, lösten sich nicht eine Sekunde von ihm, fixiert wie die Augen eines Jägers auf die Beute. "Ich werde dich töten, besonders jetzt wo du sie hast sterben lassen! Ich verzeihe dir nie! ICH VERZEIHE DIR NIE!" Ohne Umschweife zog der Dämon mit den Purpuraugen ein silbern funkelndes Schwert unter seinem zerschlissenen schwarzen Umhang hervor. Zeliarina atmete scharf ein, denn sie kannte diese Waffe. "Diesmal, Verräter Blutträne, wird dich dieses Schwert nicht nur schlafen legen..." ---------------------------------------- Nächstes Kapitel: "Das Silbermädchen" Ereos und Dymeon, zwei alte, dämonische Todfeinde... Melissa, "die Abtrünnige des Ordens"... Rishak, Bote der Zerstörung... Ihre Wege werden sich kreuzen... Kapitel 22: Das Silbermädchen ----------------------------- Ein neues Kapitel, lang lang ist es her, seit das letzte hochgeladen wurde, doch jetzt gibt es endlich ein neues und weitere werden folgen. Viel Spaß damit. ----------------------------------------- Das Silbermädchen Mit einem Kampfschrei riss Storm sein einfaches Stahlschwert aus dem Gürtel und streckte einen heranstürmenden Tryclonn nieder, während er mit der Pistole in der anderen Hand zwei weitere der Dreiaugen in Schach hielt. Schwarzes Blut spritzte überall um sie herum. Es besprenkelte den glatten Holzboden zu ihren Füßen und machte ihn so schlüpfrig, dass der Palas mehr als einmal beinahe darauf ausgerutscht wäre. Neben ihm kämpfte Pendrian mit der Kraft der Verzweiflung, die alle in die Ecke gedrängten Tiere besaßen. Sie waren in die Falle getappt. Victoria hatte sie gewarnt, dass sie nicht in den Raum, aus dem sie die Energien mehrere Dämonen wahrgenommen hatten, betreten sollten. Doch Pendrian hatte einfach die Tür aufgetreten und war in einer gewagten Kamikazeaktion in den großen Verpacksaal gerannt, so wie es sonst dem aufbrausenden Storm selbst eigen war. Doch kaum hatten sie den Raum betreten, wurden sie von mehreren Tryclonns begrüßt, die wie Kometen von der Decke fielen. Es hatte Storm auf schreckliche Weise an den Tag in Thundenstars Tempel erinnert. Und er wusste, dass keiner von ihnen lebend aus diesem Kampf herauskommen würde, wenn es wieder so ablaufen würde wie damals... Grimmig stieß Storm sein Schwert mit der Spitze voran in einen weiteren Dämonenleib. Der Tryclonn fiel zu Boden wie ein gefällter Baum, riss dabei jedoch die Klinge in seinem Körper mit sich, so dass sie dem Palas aus der Hand glitt. Dieser duckte sich unter einer heransausenden Klaue hinweg, schlug dem Angreifer den Griff seiner Pistole mit aller Kraft gegen die Nase bis sie brach und stieß in zu Boden. Ehe ihm noch jemand zu nahe kommen konnte, riss er schnell wieder sein Schwert schmatzend aus dem Fleisch des toten Tryclonns. "Es sind zu viele!", schrie Victoria über den Lärm des Kampfes hinweg. Trotz ihres jungen Alters blieb sie im Angesicht des Feindes ruhig und holte die Dämonen mit präzisen Schüssen von den Füßen. Kevin kämpfte an ihrer Seite. Seine Schrotflinte zerriss mit einem Schuss drei Tryclonns gleichzeitig, doch die häufigen langen Nachladezeiten bescherten ihm Deckungslücken, die Victoria unter Aufbietung all ihrer Fähigkeiten schließen musste. Sie sind ein gutes Team, perfekt aufeinander eingestellt... Storm erlaubte sich ein kurzes nachsichtiges Lächeln, hatte jedoch keine Zeit zum Luftholen, denn neue Gegner kamen aus allen Ecken herbei. Die Wellen des Däezander brachen sich an ihnen, doch sie kamen immer wieder, ohne dass ein Ende in Sicht war. Tryclonns regneten noch immer von der Decke nach, Oggrons strömten aus den entlegenen Winkeln des Raumes herbei und immer wenn ein Dämon fiel, schienen zwei an seine Stelle zu treten. Sie hatten einen Ring um sie gezogen, den Ausgang verbarrikadiert. Die Falle war zugeschnappt. "Kämpft! Kämpft weiter!", brüllte Storm und versuchte dabei etwas Zuversicht in seine Worte zu legen. Er sah Pendrian eine ganze Salve aus Kugeln abfeuern, sah Kevin gewaltige Projektilwolken in den Reihen der Feinde explodieren lassen, sah Victoria mit einer Besorgnis kämpfen, die noch nie jemand bei der Telepathin erlebt hatte. Doch es war sinnlos, der Massenunterschied war niederschmetternd. Es würde nicht gut ausgehen... "Kämpft weiter! Haltet durch bis Dunkan und die anderen eintreffen! Haltet durch!" Ereos stand vor Zeliarina und ihren Gefährten und seine purpurfarbenen Augen bohrten sich in Dymeons dunkle, als wolle er den Dämon mit den Bluttränen bereits allein mit seinen Blicken töten. Seine Kiefer bewegten sich unruhig und seine freie Hand zuckte. In der anderen hielt er das Sternenschwert, das legendäre Götterschwert mit dem berühmten Namen ,Excalibur', der in verschlungener Saphirschrift in der Klinge eingearbeitet war. Es sang leise seine Melodie von Licht, die sich im Raum erhob und die Lancelor mit seiner Schönheit ungewollt beinahe zu Tränen rührte. Zeliarina verkrampfte ihren Griff um Thundenstar. Sogleich antwortete das Donnerschwert mit seinem eigenen Lied, einem Lied von aufgestauter Spannung, von ungezügelter Kraft und der Urgewalt eines auf die Erde schmetternden Blitzes. Die Klänge vermischten sich mit der Melodie Excaliburs, Donner umarmte Licht brutal und zart zugleich. Die Götterschwerter sehnten sich nacheinander, jeder konnte das fühlen. "Das also ist ein wahrer Kampf von göttlichen Klingen", zischte Ereos ehrfürchtig, während er das unbeschreibliche Gefühl der verflochtenen Schwerterkräfte mit ausgebreiteten Armen genoss und in sich aufnahm. Ein Schauder durchfuhr seinen Körper, doch nicht vor Angst sondern aus Vorfreude, aus Lust. "ihr Ruf wird erhört werden: man wird sie zusammenführen und zu ihren fünf Geschwistern bringen um zu tun was sich der Däezander seit seiner Gründung wünscht... Die Dunkle Dämmerung..." Er sprach das Ende der Menschheit aus wie einen ersehnten Wunschtraum. Mit einer langsamen Bewegung hielt er sein Schwert dicht vor sein Gesicht und entblößte seine weißen Zähne in einem schmalen Lächeln, das unter die Haut fuhr. "Bereit, Wächterin Thundenstar?", flüsterte der Dämon. Zeliarina nickte wortlos, während sie es Ereos gleichtat und das Götterschwert des Donners vor sich hielt, ein breiter Strich, der den Großteil ihres Gesichtes verdeckte und nur eines ihrer leuchtenden grünen Augen zeigte. Sie war bereit sich ihm zu stellen... Doch plötzlich stellte sich Dymeon schützend vor sie. "Mich willst du doch, Ereos... Halte die anderen aus dem Spiel und lass uns das hier und jetzt endgültig beenden..." "Nein...", antwortete der Dämon mit den Purpuraugen unerwartet, "Ich werde dich töten, keine Frage, aber zuerst nehme ich dir dieses Mädchen, sowie du mir meine Assessina genommen hast. Schon im Däezander beachtete sie mich nicht, weil sie nur Augen für dich hatte... Und dann lässt du sie einfach sterben..." Ereos zitterte wieder, diesmal vor Wut... "Ich kann dir nicht vergeben für deinen unaussprechlichen Verrat, für den Verlust meines Armes, für den Verlust meiner Liebe. Ich werde dich töten und ausweiden und am Ende deine Überbleibsel mit diesem Schwert an eine Wand der Dämonenzuflucht hängen, damit jeder den Dämon sehen kann, der sich mit Ereos angelegt hat! Der sich mit dem gesamten Däezander angelegt hat!" Seine Augen brannten, als würde hinter ihnen ein Feuer lodern. Die Knöchel der Finger, die sich um Excaliburs Griff geschlungen hatten, traten weiß hervor, während er die Wut und das Zittern kaum noch unterdrücken konnte. "Du wirst leiden! Und am Ende deiner Qual, wenn du glaubst dir zerspringt vor Schmerz das Herz, erst dann werde ich dich töten! Also LEIDE!" Mit einem Satz sprang Ereos auf Dymeon zu und holte zu einem vernichtenden Schlag aus, der dem Dämon mit den Bluttränen den Schädel spalten sollte. Dymeon wich instinktiv zur Seite aus, machte sich darauf gefasst den misslungenen Angriff zum Konter zu nutzen und war daher umso mehr überrascht, als Ereos ihm plötzlich den Ellenbogen in die Seite rammte um anschließend an ihm vorbeizulaufen. "Nein!" Erst jetzt erkannte Dymeon, dass Ereos es tatsächlich nicht auf ihn, sondern auf Zeliarina abgesehen hatte. Der Schwertarm des Dämons mit den Purpuraugen war noch immer zum Schlag erhoben, so dass die Donnerhexe so schnell es ging ihre eigene Klinge zum Blocken hob. Batista, Dunkan und Selen waren zum Zuschauen verdammt, sie konnten nicht schießen ohne zu riskieren die eigenen Leute zu treffen. Doch bevor Ereos' Hieb Zeliarina erreichen konnte, wirbelte Dymeon auf dem Absatz herum, packte den Saum des schwarzen Umhangs von Excaliburs Träger und riss den Dämon zurück. Noch während Ereos ihm entgegentaumelte, stieß er ihm die Faust ins Gesicht. Blut schoss dem Dämon mit den Purpuraugen aus der Nase. Er taumelte einen Augenblick, fing sich jedoch wieder und wischte das schwarze Blut grob beiseite. "Halte...mich...nicht...auf!", schrie er so laut er konnte. Der Wahnsinn hatte ihn nun völlig gepackt, er schrie wie ein tollwütiges Tier und bebte vor Wut, in seinen Augen glomm die Mordlust. Seine Aura explodierte vor Hass und war beinahe körperlich zu spüren. Dann sahen sie alle verwirrt wie zwei einzelne Tränen aus Ereos' Purpur flossen. "Du hast sie mir genommen! Ich bring dich um! Ich zerreiße dich!" Excalibur sauste plötzlich auf Dymeon herab, diesmal viel zu schnell um auszuweichen. Zeliarina riss entsetzt die Hände vor die Augen, so dass sie nur das Geräusch hörte als Stahl auf Fleisch traf, gefolgt von mehreren entsetzten Lauten der Lancelor. Ängstlich fächerte sie die Finger ein Stück auf, damit sie durch sie hindurch gucken konnte. Was sie sah schockierte sie, ließ aber auch gleichzeitig Erleichterung durch ihren Körper fluten... Dymeon hatte den Schwerthieb mit der bloßen Hand abgefangen. Die Schneide von Excalibur hatte sich mindestens zwei Zentimeter tief in seine Handfläche gegraben, doch der Dämon mit den Bluttränen machte keine Anstalten sich von der Klinge loszureißen. Im Gegenteil, er drückte sogar noch mit ausdrucksloser Miene dagegen. Sein dunkles Blut lief in dünnen Rinnsalen an seinem Unterarm herab und tropfte schließlich vom Ellenbogen aus auf den Boden. "Wieso?", fragte Dymeon ernst. Er drückte noch ein Stück mehr gegen Ereos' Götterschwert und umschloss es mit der ganzen Hand, so dass sich auch seine Finger an der Klinge schnitten und weiteres Blut an seinem Arm herunter sickerte. "Wieso? Wenn du so für jemanden empfinden kannst, wenn dir tatsächlich jemand soviel bedeutet, dass du weinst...", murmelte der Dämon leise. Er schien die Verletzung gar nicht richtig wahrzunehmen, während er sein Gegenüber mit einer Mischung aus Mitleid und Verständnislosigkeit musterte. "Wieso kannst du dann nicht meine Gefühle oder die der Lancelor und Menschen verstehen? Wieso tut ihr so etwas Schreckliches wie in dieser Lagerhalle heute?" Dymeon verlieh seiner Frage Nachdruck, indem er wieder auf Ereos einschlug. Sein erster Hieb traf ihn im Magen und ließ ihn auf die Knie sinken, sein folgender Tritt traf seinen Kopf und schleuderte ihn samt dem Rest des Körpers zurück. Betäubt von den Treffern blieb Ereos stöhnend liegen. Nur seine Hand, in der er die blutbeschmierte Götterklinge hielt, bewegte sich noch leicht. Er stieß kaum hörbare Flüche aus. "Mistkerl... Verdammter Bastard... Menschensklave..." "Gib auf Ereos. Du kannst Excalibur überhaupt nicht kontrollieren und dein Hass macht dich blind. Du kannst mich in deiner Rage nicht besiegen..." "Halt's Maul! Ich bin Ereos mit den Purpuraugen. Ich bin eine Schattenklinge, ein Günstling des Dämonenvaters und der Krieger mit dem Silberarm! Ich verliere nicht gegen dich Verräter!", stieß der Träger des Sternenschwerts mühsam hervor. Ein wenig Blut schwappte über seinen Lippen und er wischte es mit dem Ärmel beiseite, ehe er versuchte sich aufzurappeln. Es gelang ihm tatsächlich wieder auf die Beine zu kommen, doch seine Bewegungen wirkten abgehackt und die Hand mit Excalibur hielt den Griff des Schwerts nur noch schwach. Trotzdem hob er die Klinge weit über den Kopf, um einen neuen Angriff zu starten. Dymeon stieß ihm seine Faust gegen die Kehle. Excalibur fiel aus der erschlafften Hand und landete klirrend auf dem Metallboden, dem demolierten Hals entrangen sich weitere stockende Beleidigungen und verzweifelte Schreie. "Stirb... Ich... bring..." Noch ehe Ereos aussprechen konnte, packte Dymeon ihn am Handgelenk und schleuderte ihn gegen die nächste Wand, so dass er dagegen prallte und bewusstlos zu Boden sackte. "Unfassbar...", wisperte Selen, "Besiegt, so einfach...und trotz Götterschwert..." "Das Gift namens Hass wütet bereits zu lange in ihm", gab Dymeon tonlos zurück. Er betrachtete den daliegenden Dämon ruhig. Die schwarzen Haare fielen ihm weit über die Stirn und die dunklen Augen, so dass niemand das Mitleid in seinem Blick sehen konnte. "Sein Geist ist zerfressen mit dem Verlangen nach Rache. Er wird nie aufhören mich zu hassen. Er wird immer weiter kämpfen..." Er blickte fragend hinter sich zu den Lancelor. "Was tun wir jetzt mit ihm?" Als Antwort zog Batista an dem Schlitten seiner Pistole und entsicherte sie so. "Wir müssen ihn töten. Wie du gesagt hast, er wird niemals aufhören zu kämpfen... Es ist zu gefährlich ihn am Leben zu lassen..." "Keine Gnade?", murmelte Selen. "Wir können uns in diesem Krieg keine Gnade leisten... Schon gar nicht bei einem Monster wie er es ist", stimmte Dunkan zähneknirschend zu. Dymeon nickte bedrückt und richtete eine seiner scharfen Klauenhände genau auf die Mitte von Ereos' Brust, dem Punkt, an dem sich das Herz eines Dämons befand. Zweimal atmete der Dämon mit den Bluttränen tief ein und aus, ehe er zustieß. Gleichzeitig zerschnitt ein Schuss die Luft. Dymeon schrie auf vor Schmerz und wurde von der Wucht einer Kugel zur Seite gerissen, bevor seinen Krallen den Dämon mit den Purpuraugen erreichen konnten. Er schlug mit dem Kopf hart auf den Boden auf, presste seine Hände auf das verschmorte Einschussloch an seiner Hüfte und brachte seinen Drang zu schreien nur mühsam unter Kontrolle, in dem er sich auf die Lippe biss, dass es blutete. Gleichzeitig schoss weiteres Blut in gewaltigen Mengen aus seiner plötzlichen Wunde und zwischen seinen Finger hindurch, um sich in einer Pfütze um ihn herum zu sammeln. "Eine Heilige!", schrie Zeliarina schockiert. Innerhalb weniger Sekunden kniete sie an Dymeons Seite und drückte ihn an sich, ohne darauf zu achten, dass sein dunkles Blut ihre Kleidung augenblicklich durchtränkte. "Wer war das?" Verwirrt ließ die Donnerhexe ihren Blick umherschweifen, ohne ihren Schutzritter loszulassen. Sie brauchte nicht lange zu suchen. Auf einem unbeschädigten Fliessband gut sichtbar stand Melissa. Sie schwitzte und war ein wenig außer Atem, doch ihre verschiedenfarbigen Augen, das silberne und das blaue, lagen zufrieden auf der schwarz lackierten Pistole in ihren Händen. Aus dem Lauf kräuselten sich immer noch dünne Rauchschwaden. "Es war eine gute Idee sie die ganze Zeit über zu behalten", sagte die ehemalige Lancelorin. "Kämpft weiter! Gebt nicht auf! Haltet durch!" Storms Kehle war trocken vom vielen Schreien, doch er hörte trotzdem nicht auf seine erschöpften Kameraden anzufeuern, während er gleichzeitig mit den Dämonen um ihn herum kämpfte. Seine Pistole hatte bereits das letzte Magazin verschossen, so dass er die Waffe achtlos beiseite warf und nur mit seinem Schwert ausgerüstet weitermachte. "Haltet durch! Verstärkung ist unterwegs!" Inzwischen galten die Rufe sogar Storm selber, denn seine Hoffnung schwand in jeder Sekunde mehr. Mit der Unterstützung, die Dunkan angefordert hatte, rechnete der Palas in frühestens einer Stunde. Sie würde wahrscheinlich nicht mehr vorfinden als ein paar Leichen, zumindest wenn ihnen nicht bald Dunkan und die anderen zur Hilfe kommen würden. Doch die ließen sich dafür, dass sie den erloschenen Energien in der Ferne nach ihre Feinde bezwungen hatten, beunruhigend viel Zeit. Vielleicht waren sie diesem unheimlichen Typ mit dem Schwertarm begegnet, vielleicht gab es bereits niemanden, der ihnen zur Hilfe kommen konnte... Storm zog einem weiteren Dämon das Schwert quer über die Brust und ließ Victoria einen Schuss ihrer Runenmunition auf ihn abgeben, um ihm den Rest zu geben. Der Tryclonn kreischte auf in seiner Qual, ehe er auf ewig verstummte. Victoria wandte sich einem weiteren Feind zu und betätigte den Abzug. Es klickte, doch kein Schuss war zu hören. Auch sie hatte all ihre Munition verbraucht... Mit einem Jubelschrei und vom Drang nach menschlichem Fleisch geleitet hechtete ein weiteres Dreiauge auf die Telepathin zu, die Klauen gierig nach vorne gestreckt. Kevin sprang gerade noch rechtzeitig heran und stieß Victoria aus der Bahn, so dass er plötzlich das Ziel des Tryclonns war und von ihm umgerissen wurde. Triumphierend versengte der Dämon seine Krallen tief in die Brust des Elementaren. "Kevin!", schrie Victoria schrill. Sie packte die Schrotflinte ihres Kameraden, richtete den abgesägten Lauf auf den Unterleib des Tryclonns und drückte ab. Die Wucht des Schusses riss den Dämon von Kevin, ließ ihn durch die Luft fliegen und schließlich bestialisch verwundet auf den Boden aufschlagen. Die drei roten Augen erloschen beinahe augenblicklich, während sich Kevins braune vor Schmerz vernebelten. "Kevin!" Der Elementare tastete nach ihrer zarten Hand, die die zwei Wunden auf seinem Brustkorb untersuchen wollte, und umschloss sie krampfhaft. "Alles in Ordnung", keuchte er entkräftet. Sein Körper zuckte, als plötzlich eine Welle von Schmerz über ihn hinwegrollte. "Scheiße... Das tut ganz schön weh..." Als er Victorias aufgerissene blaue Augen sah, rang er sich zu einem schwachen Schmunzeln durch und berührte ihr langes schwarzes Haar, das über ihm herabhing. "Keine Angst... so schlimm... ist es auch nicht..." "Du Lügner... Du weißt, dass ich deine Gedanken lesen kann...", erwiderte Victoria mit erstickter Stimme. Sie legte ihre zweite Hand über seine, beugte sich weit zu ihm herab und ließ dem merkwürdigen Gefühl hinter ihren Augen freien Lauf, die eine nasse Berührung auf ihren Wangen zur Folge hatte. Tränen... "Du... weinst...", hauchte Kevin atemlos. Victoria beobachtete still wie der Elementare langsam einen Finger hob und ihr die Tränen beiseite wischte, während in seinem Kopf merkwürdig widersprüchliche Gedanken tobten. Einerseits war er traurig darüber, dass sie traurig war, doch gleichzeitig dachte er daran, dass er nie etwas Schöneres als diesen gewaltigen emotionalen Ausbruch gesehen hatte. Sie verstand ihn nicht... Ein weiterer Schmerzanfall schüttelte ihn unkontrolliert. "Kevin, bitte... Bleib bei mir..." "Es sind nur Fleischwunden... Ich habe nicht vor zu gehen..." Doch die Stimme des Elementaren wurde immer leiser, sein Griff um ihre Hand schwächer. Seine Gedanken schweiften jetzt stark von dem Geschehen um ihn herum ab, wurden verwirrt und verloren jeden Zusammenhang. Viele Dinge kreisten dabei um seine Vergangenheit, seine Familie, die Lancelor und den Freund, den er fast mit seinem Feuer getötet hätte. Doch am meisten tauchte Victoria in seinen Gedanken auf, ihr seltenes Lächeln, ihr Anblick, die Gespräche mit ihr, flüchtige Berührungen... "Kevin!", schrie die Telepathin wieder. Sie ohrfeigte den Elementaren panisch und rüttelte an seinen Schulter ohne auf die grauenvollen Wunden auf seiner Brust zu achten. Einzelne Bluttropfen besprenkelten sie dabei, doch sie nahm es gar nicht war. In ihr war ein Schmerz, wie sie ihn noch nie gespürt hatte und der von keiner körperlichen Wunde stammte. Wie flüssiges Feuer breitete er sich in ihrem Körper aus, schnürte ihre Kehle zu und ließ die Tränen weiter fließen. Als er ihr Herz erreichte, schien er dieses mit einer Explosion in zwei Teile zu reißen. Victoria griff sich an die Brust und verkrallte ihre Finger in den weißen Stoff ihrer Weste, während sie kaum noch Luft bekam. Der Schmerz wandelte sich, er war plötzlich nicht mehr nur die Angst und Trauer in ihr, sondern durchaus real. Jeder Herzschlag drückte ihr qualvoll gegen die Rippen, als wolle er sie von innen heraus zerquetschen. Schweiß brach auf ihrer Stirn aus und lief eiskalt über ihren Hals an ihrem Rücken und zwischen den Brüsten herab. Ihr war so kalt und doch so heiß. "Vic...toria...was...", stöhnte Kevin, während seine Hand ihre fragend drückte. Doch die Telepathin nahm ihn gar nicht mehr war, sie nahm ihre ganze Umgebung nicht mehr war. Der Schmerz in ihr war so gewaltig, dass sie nicht mehr an sich halten konnte und schreiend hintenüber kippte. Sie schrie so laut sie konnte, während sich ihre Hände wie Klauen um ihre Brust verkrampften. Es war wie damals, als Assessina ihr das Aramea in den Körper gejagt hatte. Victoria sträubte sich gegen die fürchterliche Vorahnung, die sich ihr aufdrängte. Nein, ich will das nicht... Bleib ruhig und schlaf weiter! Schlaf weiter! Doch der Schmerz wurde immer stärker, bis Victoria es nicht mehr aushielt und sich für den Bruchteil einer Sekunde wünschte, sie würde einfach sterben. Ihr Herz tat weh, es tat so unendlich weh. Sie konnte nicht mehr, sie wollte nur noch, dass es aufhörte. Als sie die schattenhaften Bewegungen von mehreren Tryclonns sah, die ihre Schwäche ausnutzten um sich auf sie zu stürzen, war es ihr beinahe egal. Wenn er erwachte, würde es für sie eh keine Hoffnung mehr geben... "Nein!", brüllte eine vertraute Stimme. War es Kevin? Die Hand des Elementaren riss sich von ihr los und sie spürte Bewegungen neben sich, doch sie konnte nichts mehr sehen. Der Schmerz hatte sie blind gemacht, alles war nur noch eine verschleierte Welt, die sie nicht richtig fassen konnte. Ihr Geist sank bereits in die Dunkelheit, während ihr Herz immer schneller schlug. Kevin... Die vertraute Stimme schrie wieder, diesmal ohne dabei ein Wort zu formen, ehe Victoria eine gewaltige Woge von Hitze entgegenschlug. Es knisterte ganz nah an ihrer Seite, Tryclonns kreischten, Storm und Pendrian schrieen Befehle, die nicht in ihren Kopf vordrangen. Die Hitze wurde intensiver, füllte den ganzen Raum aus und sorgte dafür, dass sich noch mehr Schweiß auf ihrer Haut bildete. Zischende Geräusche waren zu hören, begleitet von wildem Geschrei und dämonischem Gekreische. Irgendetwas ging hier vor, Victoria wollte es sehen, doch sie driftete ab in eine Finsternis, aus der sie vielleicht nie wieder heraustreten würde. Angst schnürte ihr den Atem ab, doch sie sorgte nur dafür, dass ihr Herz noch schneller schlug und er noch schneller erwachte... Schlaf weiter! Schlaf gefälligst weiter! Zeliarina sah fassungslos zu ihrer früheren Kameradin, die mit starrer Miene zu ihnen hinabschaute und die rauchende Pistole in ihrer silbernen Hand hielt. Sie hatte sich deutlich verändert in all der Zeit, die sie bei den Dämonen verbracht hatte. Ihre roten Haare waren länger geworden, so dass sie ihr jetzt beinahe bis zur Hüfte reichten, und ihr Gesicht hatte schärfere, erwachsene Züge bekommen. Trotzdem war es ohne Zweifel Melissa, das deutsche Mädchen mit dem Silberauge, das ihr in ihrer ersten Zeit in Falcaniar immer zur Seite gestanden hatte und ihre Freundin und Zimmergenossin gewesen war. Jetzt hielt sie die Waffe in der Hand, die ihren Schutzritter fast getötet hätte. Ihr Blick war hart. "Ihr Dämonen seid seltsam... Man kann euch mit Blei voll pumpen, ohne dass auch nur das Geringste passiert, doch mit einer von diesen Heiligen kann man euch sofort an den Abgrund des Todes schicken...", stellte Melissa ausdruckslos fest. Mit einer schnellen Bewegung sprang sie von dem Fließband und machte ein paar Schritte auf Zeliarina zu, die den zuckenden Dymeon immer noch liebevoll im Arm hielt. Doch Melissas Blick galt nicht den Beiden, sondern dem bewusstlos an einer Wand liegenden Ereos. "Und man kann euch den Arm abhacken und ihr erschafft einfach einen silbernen Ersatz dafür, doch von ein paar einfachen Schlägen werdet ihr bewusstlos..." "Ich habe bei jedem Schlag... seine Arameabahnen getroffen... und die Zufuhr blockiert, wenn du... es genau wissen willst", stieß Dymeon zwischen seinen krampfhaft zusammengebissenen Zähnen hervor. Zeliarina strich ihm beruhigend die Haare aus der Stirn und brachte ihn mit ein paar kurzen geflüsterten Worten zum Schweigen. Melissa seufzte nur. "Ach ja, das Aramea, Urquell des dämonischen Lebens... Deswegen bist du auch von einer einzelnen Heiligen so fertig, nicht wahr? Ich weiß inzwischen was in diesen Kugeln drin ist: Kajium, oder der Einfachheit halber auch Anti-Aramea genannt..." Sie blickte kurz zu Ereos herüber und ihre Augen füllten sich bei seinem Anblick mit einer merkwürdigen Mischung aus Abscheu und Sehnsucht. "Ich sollte dir auch eine Kugel verpassen für das, was du mir angetan hast", flüsterte die ehemalige Lancelorin. Der Lauf ihrer Waffe richtete sich auf den Punkt zwischen seinen zwei geschlossenen Purpuraugen und verharrte dort. Melissas Hand fing sofort an zu zittern. Noch ein paar weitere Sekunden zielte sie auf den bewusstlosen Dämon, ehe sie die Pistole mit einem lästerlichen Fluch von ihm löste und stattdessen auf Dymeon richtete. "Doch du bist mir wichtiger..." Bei Melissas Worten löste sich Zeliarina vorsichtig von ihrem Schutzritter, schob sich vor ihn und hielt ihr Schwert vor dem Körper ausgestreckt, so dass sich ein paar einzelne Sonnenstrahlen aus einem Fenster darauf brachen. "Melissa, bitte hör auf mit diesem Irrsinn... Dymeon hat dir das Leben gerettet, er wollte dir in keiner Weise schaden..." "Genug... Zeliarina...", keuchte Dymeon. Durch Mobilisierung all seiner verbliebenen Kräfte schaffte er es sich auf die Beine zu stemmen. Blut spritzte bei jeder Bewegung seiner Muskeln auf den Boden, doch er hielt sich tapfer aufrecht und bewegte sich sogar langsam mit schleppenden Schritten auf Melissa zu. Als er nur noch einen Meter von ihr entfernt stand, blieb er wieder stehen, die Klauen zu harmlosen Händen zurückverwandelt und die dunklen Augen ohne jegliche Aussage auf sie gerichtet. Sein Blut verfärbte T-Shirt und Jeans. "Schieß", verlangte er plötzlich. Zeliarina stieß einen fassungslosen Schrei aus, die Palas wussten nicht was sie tun sollten und selbst Melissa war die Überraschung deutlich anzusehen. Sie betrachtete den Dämon vor ihr misstrauisch, als erwarte sie jeden Augenblick einen Angriff, und richtete ihre Waffe unsicher geworden auf seine Brust. "Ich kann nicht wieder gutmachen, was ich getan habe", redete Dymeon weiter, die Stimme getränkt von Schmerz, Anstrengung und Trauer. "Und ich kann auch nicht ändern, dass du wegen mir so leiden musstest. Ich habe versucht das zu tun, was ich damals für richtig hielt, dein Leben stand für mich über deinem Arm... Wenn du anderer Meinung bist, stelle ich mich deinem Urteil... Schieß, wenn du schießen willst..." "Nein Dymeon!" "Dymeon, du widersetzt dich damit dem Orden! Als Schutzritter ist es deine Pflicht Zeliarina zu beschützen! Es ist dir nicht gestattet dein Leben auf andere Weise zu opfern!" Der Dämon mit den Bluttränen wandte sich kurz zu den Lancelor um und lächelte traurig. "Ich weiß", hauchte er leise. Sein Blick wanderte zu Zeliarina und wurde bei ihrem Anblick noch trauriger, ehe er sich wieder auf Melissa richtete. "Und?" "Das ist ein Trick...", flüsterte das Silbermädchen leise. Ihre Stimme zitterte genauso heftig wie ihre Hände, die die Pistole verzweifelt umklammerten, während sich Tränen in ihren Augen sammelten. "Du hast mir den Arm geraubt..." Melissa schien mehr zu sich selbst zu sprechen, um ihre Entscheidung zu rechtfertigen. "Ich habe zu lange für diesen Tag gekämpft... Ich habe nur dafür gelebt dich zu töten... Ich kann nicht anders..." "Dymeon!" Ein Schuss löste sich. Die Kugel bohrte sich schmatzend durch die Brust des Dämons und schlug hinter ihm ein Loch in den Boden. Dann fiel Dymeon ohne einen Laut von sich zu geben hintenüber, Blut spritzte aus seinem Rücken und der Brust, klatschte Melissa ins Gesicht und bedeckte das Metallnetz zu ihren Füßen. Zeliarina schrie ungläubig auf, als der Körper des Dämons mit einem dumpfen Aufschlag nur ein paar Zentimeter vor ihr landete. Selen, Batista und Dunkan hoben gleichzeitig ihre Waffen und ließen weitere Schüsse durch die Luft zischen. Zwei verfehlten Melissa knapp, einer durchbohrte ihre linke Schulter. Das Silbermädchen verzog nur kurz das Gesicht als der Schmerz ihren Arm herab schoss, dann ließ sie sich blitzschnell auf die Knie fallen, vollführte eine geschickte Rolle und erwiderte das Feuer ohne Nachzudenken. Zeliarina nahm gar nicht wahr, wie die Kugeln sie umgaben. Hemmungslos schluchzend krabbelte sie zu Dymeon herüber und nahm ihn wieder in die Arme. Seine dunklen Augen waren geschlossen, die schwarzen Haare zerzaust. Seine Brust hob und senkte sich nicht, doch sie spürte den ganz schwachen, kaum wahrnehmbaren Luftzug seiner Atmung. Weinend drückte sie den reglosen Körper ihres Schutzritters ganz nah an sich, so dass sie ihr Gesicht in seinem Haar vergraben konnte. "Dymeon..." Weitere Kugeln flogen hin und her, prallten von Stahlmaschinen ab, gruben Krater in die Wände, zerlegten alles um sie herum in Einzelteile. Dann schrie Selen hinter ihr auf und sie hörte das Geräusch von einer Pistole, die mit einigen Drehungen über den Boden rutschte. Widerwillig warf Zeliarina einen Blick über ihre Schulter. Die blauhaarige Palas kroch auf allen Vieren, eine Hand auf eine heftig blutende Schusswunde an ihrem Bauch gepresst, während die andere Batistas leblosen Kopf stützte. Der Exsöldner mit dem tätowierten Gesicht rührte sich nicht mehr. Ein schwarzrotes Loch durchzog seinen Hals... Er war tot... "Batista... Oh Gott, Batista..." Das Feuer war eingestellt worden, alle Anwesenden starrten nur noch betroffen auf den erschossenen Palas und die Lancelorin, die ihn weinend an sich presste. "Was hast du getan, Melissa?", murmelte Zeliarina schockiert. Sie hatte an diesem Tag bereits Schlimmes ertragen und Grauenvolles gesehen, doch diese Tat übertraf alles. "Ist es das was du wolltest? Ist dir deine Rache der Tod von anderen Menschen wert? Wiegen sie nicht mehr als eines deiner Körperteile?" Bei jeder Frage erhob sich die Donnerhexe mehr vom Boden. Thundenstar knisterte in ihrer Hand, doch sie warf es achtlos beiseite und trat ihrer ehemaligen Freundin mit leeren Händen gegenüber. Die Tränen, die sie um Dymeon weinte, wurden nun auch zu Tränen um Melissa. "Was du hier tust, hat nichts mehr mit Gerechtigkeit zu tun! Dein Hass ist völlig unbegründet und er ist eigentlich gar nicht auf Dymeon gerichtet, sondern es ist ein Hass auf dich selbst! Denn du warst es, die den Parasiten damals annahm, du bist Ereos verfallen! Es war niemals Dymeon, er war nur das Ziel, das du dir gesucht hast um deinem Selbsthass irgendwie ein Ventil zu verschaffen!" Außer sich vor Zorn ballte Zeliarina die Hand zur Faust. "Und jetzt wach endlich auf! Akzeptiere die Vergangenheit und lasse sie hinter dir, damit du wieder nach vorne sehen kannst! Damit dein Hass aufhören kann! Damit das unnötige Blutvergießen in dieser Zeit, wo eh schon genug Blut vergossen wird, endlich aufhört!" Melissa ließ die Pistole sinken und wehrte sich nicht, als Zeliarina ihr eine schallende Ohrfeige verpasste, die sie zu Boden riss. Als sie zu der Donnerhexe aufsah, lag in ihren verschiedenfarbigen Augen ein unendliches Grauen, kurz darauf vermischt mit ebenso unendlicher Reue. Angeekelt warf sie ihre Pistole in hohem Bogen davon, Tränen glitzerten auf ihren Wangen. Sie zog die Knie an die Brust, umschlang sie mit den Armen und versteckte ihr Gesicht zwischen ihnen. Mit einem letzten Blick auf das zusammengekauerte Mädchen kniete sich Zeliarina wieder vor Dymeon. Der Dämon mit den Purpuraugen blutete aus den zwei großen Schusswunden an Hüfte und Brust, doch er hatte das Bewusstsein verloren und spürte so zumindest die Verletzungen nicht. Erschöpft und müde zog Zeliarina die Spritze mit dem puren Aramea aus einer ihrer Westentaschen und setzte sie an der Hauptarameabahn kurz unterhalb des Halsansatzes an, so wie Doc Fossil es ihr gezeigt hatte. Nachdem sie die grüne Flüssigkeit injiziert hatte, warf sie die Spritze einfach irgendwo hin und nahm Dymeon wieder in die Arme... Kevin stand mit ausgebreiteten Armen mitten im Verpacksaal, drehte sich langsam und ließ dabei Flammen in alle Richtungen schießen, so dass er aussah wie ein gewaltiger Feuerkreisel. Alle Dämonen, die dumm genug waren nicht sofort den Rückzug anzutreten, vergingen in den verheerenden Bränden des Elementaren, der seiner Wut freien Lauf ließ. Sie verebbte erst als der letzte Tryclonn in die Flucht geschlagen war und sich Kevins mit Zorn gefüllte Augen auf Victoria richteten. Die Telepathin wand sich noch immer in ständigen Schmerzen und Krämpfen am Boden, die Stimme vor Erschöpfung zu einem schwachen Wimmern verstummt, die Hände um die Brust verkrampft, als wolle sie ihr Herz darunter packen. Schweiß bildete einen glitzernden Film auf ihrer hellen Haut. Die eisblauen Augen glänzten fiebrig. Kevin ließ sich wie ein Stein neben sie fallen und beugte sich besorgt über sie, ohne zu wissen was er tun konnte. Er konnte sich nicht einmal erklären was geschehen war. Er erinnerte sich nur noch daran, dass er verwundet worden war, was der Schmerz in seiner Brust bewies, und dass Victoria kurz darauf ohne sichtbaren Grund zusammengebrochen war. Daraufhin hatte die Wut Kevin ein weiteres Mal verzehrt und in eine lebendige Fackel verwandelt, die die Dämonen um sie herum vernichten konnte. Jetzt fühlte er sich ausgelaugt vom Blutverlust und dem Einsatz seiner elementaren Kräfte. "Sie braucht ihre Pillen...", entschied der junge Lancelor instinktiv. Behutsam suchte er in Victorias Westentaschen nach dem Fläschchen mit den blauen Kapseln, doch er fand nur ein paar Fänger, leere Pistolenmagazine, eine Minitaschenlampe und ein zusammengefaltetes Foto. Die Pillen waren nicht da. Kevin ließ seine Augen noch einmal über die vor ihm verstreuten Gegenstände wandern, als hätte er das Gefäß nur übersehen, doch es war definitiv nicht da. Hektisch und ein wenig rot im Gesicht griff der Elementare in Victorias Hosentaschen und betastete anschließend ihren ganzen bebenden Körper wie ein Zollbeamter auf der Suche nach versteckten Waffen. Nichts... Victoria stöhnte wieder auf, ihre Hände verkrallten sich noch mehr im Stoff ihrer Kleidung. Sie wölbte ihren Rücken durch als ihre Muskeln gleichzeitig verkrampften, ließ sich auf die Seite rollen und schrie gedämpft. Das schwarze nasse Haar fiel ihr dabei wie ein Vorhang ins Gesicht. Kevin ertrug es kaum die schöne Telepathin so zu sehen, er musste sich zwingen den Blick nicht einfach entsetzt abzuwenden. "Storm! Pendrian!" Peter Pendrian humpelte mit einer hässlich aufgeschlitzten Wange und einer blutigen Schramme quer über das Nasenbein zu ihm herüber und blieb ebenso hilflos vor Victoria stehen wie sich Kevin fühlte. Storm dagegen, der nur einen Augenblick später zu ihnen stieß, ließ sein mit schwarzem Dämonenblut überzogenes Schwert sofort zu Boden fallen und kniete sich schnell und entschlossen neben die Lancelorin. "Sie braucht ihre Medikamente!" "Sie hat sie nicht dabei!" Storm warf ihm einen hastigen ungläubigen Blick zu, die blonden Augenbrauen grimmig zusammengezogen. "Nicht dabei... Was für ein Narr du bist, Victoria, du musst die verdammten Teile mehrmals am Tag nehmen! Du weißt das besser als wir alle!", schrie er ohne sie damit zu erreichen. Er legte seine Hände flach auf ihre Brust und befühlte ihren Herzschlag einen Moment lang, ehe sich sein Gesicht besorgt verzog. "Scheiße..." Ungeduldig riss der Palas eine Spritze aus der Tasche, zog sie voll mit einer klaren blauen Flüssigkeit aus einem Fläschchen, das er ebenfalls irgendwoher hervorgezaubert hatte, und injizierte sie der Telepathin genau an die Stelle, wo er vorher noch seine Hände aufgelegt hatte. "Scheiße, Victoria... Doc Fossil hat so was schon befürchtet und mich gewarnt, doch ich wollte nicht glauben, dass du wirklich zu so einer Dummheit fähig bist..." Kevin verstand überhaupt nicht was vor sich ging, als sich Victorias Körper wieder ein bisschen beruhigte, während Storm aufsprang, sein Schwert packte und auf die Spritze und das Fläschchen zeigte. "Kevin, sie brauch aller zehn Minuten eine neue Spritze, bis sie wieder bei Doc Fossil in Falcaniar ist. Ich werde die anderen zur Hilfe holen! Bleibt auf jeden Fall bei ihr! Alles klar?" Der Palas rannte bereits davon, noch ehe Kevin verstört nicken konnte. Neben ihm setzte sich Pendrian mit überschlagenen Beinen auf den Boden und beobachtete ihn uninteressiert aus den Augenwinkeln, doch Kevin hatte nur Augen für die blaue Flüssigkeit und die Spritze. Er nahm beides kurz in die Hände, spürte ihre Kälte in seine Finger kriechen und stellte sie mit einem hilflosen Gefühl wieder ab. Dann legte er wie Storm zuvor neugierig die Hände auf Victorias Brust, was bei ihm selbst in dieser Situation wieder zu Schamesröte führte. Doch ihr Herz schlug ganz normal... Verwirrt strich der Elementare der Telepathin das schwarze Haar liebevoll hinter das Ohr, so dass das wundervolle Gesicht wieder zum Vorschein kam, lehnte sich zurück und wartete, ohne den Blick von ihr zu nehmen... Was ist das nur für ein Geheimnis, das dich umgibt...? Storm rannte wie von Sinnen durch die Räume der leergefegten Fabrik. Sein Atem kam stoßweise und seine schweren Schritte hallten mehrfach von den Wänden der ausgestorbenen Räume wieder, nur ab und zu unterbrochen wenn er mit einem langen Satz über ein Hindernis springen musste, das seinen Weg blockierte. In der Hand hielt er sein bluttriefendes Schwert, das in gleichmäßigen Abständen schwarze Tropfen auf dem Boden hinterließ. Halte durch, Victoria... Wenn ich mich nicht irre hat Doc Fossil Dunkan ein paar Pillen für den Notfall mitgegeben... Sie hat schon gespürt, dass in letzter Zeit etwas in dir vorging... Storm hüpfte im Rennen über einen weiteren Karton, der in einer der Lagerhallen im Weg herumlag, und schoss durch die Tür hindurch in einen schmalen Flur. Zu seiner Linken führte eine metallische Treppe in das nächste Stockwerk, während es geradeaus weiter zum Ende des Ganges ging. Dort sah er eine von Ruß geschwärzte Tür verbeult auf dem Boden liegen, umgeben von unzähligen roten Backsteinsplittern, die mit aus der Wand gebrochen sein mussten, als man das Tor aus den Angeln gerissen hatte. Hier hatte wohl die Schlacht von Dunkan und den anderen getobt, denn es war auch der Raum, indem er vor einer Weile die schwarzen Energien gespürt hatte. Zufrieden darüber das Ziel endlich gefunden zu haben legte Storm noch einen Zahn zu und fegte über den Boden. Er hatte bereits fast die kaputte Tür und den dahinter liegenden Raum erreicht, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte und mit den klauenbewehrten Fingern zupackte. Storm wurde so gewaltsam gestoppt, dass er beinahe nach hinten fiel und ihm fast das Schlüsselbein brach. In voller Alarmbereitschaft wirbelte der Palas mit dem Schwert herum und betrachtete denjenigen, der ihn aufgehalten hatte. Es war der Dämon mit dem Schwert als Arm... Rishak ließ sich Zeit, während seine Augen Storm ohne ein Anzeichen von Feindseeligkeit eingehend betrachteten. "Du bist dieser so genannte Storm, nicht wahr?", murmelte er mehr zu sich selbst als zu dem Palas. Er erwartete nicht einmal eine Antwort, sondern redete sofort mit schleppender, ausdrucksloser Stimme weiter. "Im Däezander hört man viele Geschichten über dich... Cenior respektiert dich und will gerne mit dir kämpfen... Der Dämonenvater selbst will dich tot sehen, weil du ihm zu viele seiner Kinder nimmst... Und die Niederen können kaum ihre Furcht verbergen, wenn man deinen Namen ausspricht... Du bist bei uns... eine Legende..." Das letzte Wort war kaum mehr als ein weiches Flüstern, das zwischen spitzen Zähnen hervorwehte. Storm antwortete dem Dämon nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt die Wut, die bei jeder Begegnung mit Dämonen in seinen Kopf steigen wollte, unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig noch darüber nachzudenken was er als nächstes tun sollte... Er ist ein unberechenbarer Gegner und ich weiß fast gar nichts über seine Fähigkeiten... Ich sollte versuchen die letzten Meter zu den anderen zurückzulegen... Storm hielt seine Augen auf Rishak gerichtet um nichts von seinen Gedankengängen zu entblößen, doch innerlich versuchte er einzuschätzen wie weit es noch zu der zerborstenen Tür und dem dahinter liegenden Raum war. Wenn er das Überraschungsmoment richtig nutzen würde, müsste er es eigentlich schaffen die zerborstene Tür hinter ihm zu erreichen ehe der Dämon ihn einholen konnte... Dieser Freak mit dem Schwertarm mochte schnell sein, doch es waren nur eine halbe Drehung und ein paar Schritte, die ihn von Dunkan und den anderen trennten... Kein Problem... Storm wusste nicht, warum er im Angesicht des Feindes diesmal so nervös war. Er hatte noch nie den Kampf gegen einen Dämon gescheut, nicht einmal gegen eine Schattenklinge, doch an Rishak war etwas, dass selbst sein leidenschaftliches Kämpferherz erzittern ließ. Einen Moment lang redete er sich ein es läge an Victoria, doch er verwarf den Gedanken ebenso schnell wie er gekommen war, denn sie schwebte nicht in unmittelbarer Lebensgefahr, solange Kevin bei ihr war und sie versorgen würde. Und darum machte er sich nun wirklich keine Sorgen... "Also... Storm... ich will sehen ob an deiner legendären Gestalt etwas dran ist..." Wie bereits einmal zuvor verformte sich Rishaks gefleckter Arm innerhalb von ein paar Sekunden in ein langes, rotes Kristallschwert. Storms Griff um seine eigene Waffe verhärtete sich und er behielt die Augen weiterhin stur auf den Dämon gerichtet. "Eine Frage", gab der Palas unwirsch von sich, "Bist du eine Schattenklinge?" "Ja... und nein... Ich bin nicht nur ein Träger eines Götterschwertes... Ich selbst bin das Götterschwert..." Nachdenklich fuhr Rishak mit seiner unverwandelten Hand über die glitzernde und glatte Oberfläche seines Schwertarms. "Urrurdoc ist der Kern, aus dem ich erschaffen worden bin, und es singt in mir und verlangt danach seine Kräfte gegen große Krieger zu behaupten, gegen Legenden wie dich zu behaupten..." Storm nickte ernst und verhärtete seinen Griff um seine Stahlwaffe, während er seine Mundwinkel zu einem schwachen spöttischen Lächeln hob. "Es gibt wohl nicht mehr zu sagen... kämpfen wir..." Blitzschnell holte der Palas zu einem gewaltigen Streich aus, doch anstatt ihn zu Ende zu führen, wirbelte er schlagartig auf dem Absatz herum, ließ den verwunderten Rishak einfach stehen und rannte zu dem Raum, in dem er seine Ordensgeschwister vermutete, während sich sein Mund öffnete um einen Schrei auszustoßen, der auf ihn aufmerksam machen sollte. Storm kam keine zwei Meter weit. Als er es fast zum leeren Türrahmen geschafft hatte, packte ihn abermals Rishaks Hand mit der Kraft eines Schraubstockes und zerbrach ihm diesmal wirklich das Schlüsselbein, als wäre es nur ein Streichholz. Gleichzeitig langte der Dämon dem Palas mit dem Schwertarm über die andere Schulter und zog ihm diesen quer über den Hals, so dass der Schrei in seiner Kehle stecken blieb um von scharfem Schmerz ersetzt zu werden. Blut sprudelte aus seinem zerrissenen Hals. Dunkan! Selen! Storm konnte nicht schreien, nicht einmal mehr atmen. Betäubt vom Schmerz ließ er sein Schwert fallen, um beide Hände an seinen Hals zu pressen, doch das Blut lief dennoch weiter zwischen seinen Fingern hervor. Ich muss weiter! Victoria! Die Beine gaben entkräftet unter ihm nach, als die Muskeln nicht mehr mit genügend Sauerstoff versorgt wurden und kollabierten. Trotzdem zwang sich der Palas verzweifelt auf allen Vieren weiter, um die anderen Lancelor zu erreichen. Schwarze Punkte fingen an vor seinen Augen zu tanzen, sein Brustkorb wollte zerspringen vor Gier nach Luft. Dann zogen Bilder in einer irren Geschwindigkeit vor seinem inneren Auge vorbei, blitzten kurz auf, vermischten sich mit alten Erinnerungen und zogen ihn in einen unergründlichen bunten Strudel von Gesichtern, Namen, Orten und Erlebnissen, die er einmal zu kennen geglaubt hatte. In diesem Augenblick wusste Storm mit grausamer Gewissheit, dass es keine Hoffnung mehr für ihn gab und er sterben würde... Ich will hier nicht sterben, nicht so! Ich will den verdammten Däezander zerschlagen, um Dunkan die zeitlose Last von der Schulter zu nehmen! Ich will diesen gutmütigen Knaben Kevin mit Victoria sehen, wie sie in einer friedlichen Welt ohne den Götterschwertkrieg zusammenleben! Ich will nicht sterben! Ich darf nicht sterben! Zitternd vor Anstrengung versuchte Storm seinen Körper mit seinen Händen vorwärts zu ziehen, doch der Boden war so glatt, dass seine Finger an ihm abrutschten und blutige Spuren hinterließen. Die rote Flüssigkeit klebte überall um ihn herum an den Wänden und an seiner eigenen Kleidung, teilweise verschmiert von seinen Händen. Es war zuviel davon. Zuviel Blut und zu wenig Luft... Scheiße... Ich wusste es an Sylvester... Ich hatte diese Vorahnung, dass es mein letztes Jahr wird... Zum letzten Mal wallte die Wut in Storm auf und ließ ihn die Kiefer aufeinander pressen so hart es ging. Dann verließen ihn alle Kräfte und er sackte zusammen, so dass er hilflos mit ansehen musste wie sich Rishak gemächlich vor ihn stellte und Urrurdoc, die Kristallklinge seines Armes, auf ihn richtete. Der Dämon seufzte. "Du bist nicht das was ich mir vorgestellt habe... Ein Mann, den man aufgrund seiner Kampffähigkeiten ,Storm' nennt, ist im Endeffekt doch mehr Mann als Sturm...", stellte Rishak ruhig fest, das Schwert zum Schlag bereit gehoben. Doc Fossil wird wütend auf mich sein, wenn ich nicht zurückkomme... Rishaks Stimme war in merkwürdig irreale und bedeutungslose Ferne gerückt, sie erreichte Storms Ohren nur schwach und sein Gehirn überhaupt nicht. Nur seine Gedanken waren in diesem letzten Augenblick seines Lebens noch von Bedeutung. Sie verdrängten das unerträgliche Verlangen nach Luft, die Schmerzen in seinem Hals und jegliche andere Gefühle seines gepeinigten Körpers. Er spürte nicht einmal mehr die Tränen, die ihm die kräftigen Wangen herab liefen... Ich wollte... Ich wollte nicht unverrichteter Dinge gehen... Als Urrurdoc schließlich seinen Körper durchstieß, blitzten nur noch zwei Bilder in seinem Kopf auf, ein letzter von den höheren Mächten gegönnter Einblick in die Gegenwart, die er für immer verlassen würde. Das erste zeigte Kevin, wie er ungeduldig mit den Fingerspitzen auf dem Boden trommelte und vergeblich darauf wartete, dass Storm zurückkehren würde. Das andere galt Dunkan, seinem wohl besten Freund. Verzweifelt stand der Mann mit dem Blut der Macht in einer gewaltigen Halle und versuchte seine zerstreute Truppe wieder aufzubauen... "Ereos ist verschwunden... er ist weg..." Storm wusste, dass nur einen einzelne Wand den Palas von ihm trennte, er konnte die Stimme des echten Dunkan zu ihm herüberwehen hören... Trotzdem würden sie sich in diesem Leben nie mehr wieder sehen... Ich wollte länger mit den anderen zusammen sein... Ich wollte nicht... sterben... Dann wurde alles dunkel... -------------------------------- Im nächsten Kapitel: "Wie Feuer und Eis... Dein Feuer hat mein Eis zum Schmelzen gebracht... Ich will nie wieder, dass das aufhört, ich will deine Wärme immer bei mir haben..." Inmitten des täglichen Überlebenskampf erblüht die tragische Liebe zweier junger Lancelor, die verschiedener nicht sein könnten... Kapitel 23: Wie Feuer und Eis ----------------------------- Ahh, Hallo an alle tapferen Leser, die trotz meiner unregelmäßigen Uploads tapfer durchhalten und noch weiter zu mir stehen und vorallem natürlich Kommis schreiben. Seid euch gewiss, ich werde diese Geschichte auf JEDEN FALL zu einem Ende bringen, keine Sorge. Natürlich freut es mich, dass es euch noch gefällt, und ich hoffe, dass es euch euch weiterhin gefallen wird. Hier das neue Kapitel: ---------------------------------------- Kapitel XX - Wie Feuer und Eis Der 3. Oktober war für die Lancelor ein schwarzer Tag... Als die von Dunkan angeforderte Verstärkung den Schauplatz der erbitterten Kämpfe von Dämonen und Menschen erreichte, fanden sie neben dem blutigen Massaker in einer der Lagerhallen jede Menge tote Tryclonns vor, sowie die Leiche des hochgeschätzten Palas Batista. Selen musste mit einer Schusswunde in der Bauchdecke sofort zu einer Not-OP in eines der Londoner Krankenhäuser gebracht werden, während Victoria und Dymeon schwer verletzt nach Falcaniar geflogen wurden, um dort von Doc Fossil versorgt zu werden. Kevin und ich blieben die ganze Zeit über bei unseren zwei Mitstreitern, die uns soviel bedeuteten, und ließen uns mit dem Helikopter der Lancelor ebenfalls zurück in die Ordensfeste bringen. Melissa war auch bei uns. Wir hatten viel verloren und Ereos samt Excalibur entkommen lassen, doch zumindest das Mädchen mit dem Silberauge konnten wir aus dem Lügengewirr des Däezander befreien. Sie saß schweigend in einer Ecke des Helikopterinnenraumes, schweigend und zitternd und in eine dicke Wolldecke gehüllt. Ihr Gesicht war weiß wie Schnee, sie hatte sich bereits seit dem Kampf in der Lagerhalle zweimal übergeben. Bis heute weiß ich nicht was in ihrem Kopf vor sich ging. Als ihr damals der Arm abgeschlagen worden war, musste sie einen Schock erlitten haben, der so unvorstellbar groß war und sie innerlich so verwirrt hatte, dass nur ein noch größerer Schock ihren Kopf wieder klar werden ließ... Nachdem sie schließlich diesen Schock beim Mord an Batista erlebt hatte, waren all ihre schrecklichen Taten der Vergangenheit zum ersten Mal wirklich auf sie eingedrungen: der Verrat an den Lancelor, das Bündnis mit Ereos, die falsche Wut auf Dymeon und die begangenen Gräuel gegen ihre ehemaligen Kameraden. Nun saß sie da mit diesen schrecklichen Erkenntnissen, ohne dass ihr irgendjemand etwas davon abnehmen konnte... Sie starrte einsam aus dem Fenster der Schiebetür, während Kevin und ich nur Augen für die zwei Verwundeten hatten, die auf weißen festgeschnallten Tragen zu unseren Füßen lagen... Dunkan und Pendrian waren mit dem Rest der Unterstützungseinheit am Ort des Geschehens geblieben, um die örtlichen Behörden und die Presse von dem Gedanken an ein übersinnliches Phänomen abzubringen. Außerdem wollte Dunkan nicht eher gehen, ehe er den spurlos verschwundenen Storm gefunden hatte... Dunkan kam erst nach vier Tagen zurück nach Falcaniar... Storm wurde nie gefunden... Schon seit Stunden hörte Kevin nichts anderes als das regelmäßige Summen und Piepsen der Maschinen, die durch Schläuche mit Victoria verbunden waren, vermischt mit dem leise rauschenden Geräusch, das immer dann auftrat wenn ein Schwall blauer Flüssigkeit aus dem Tropf über ihr in ihren Körper strömte. Die Telepathin schlief bereits seit vier Tagen und wurde notdürftig mit einer speziellen Nährstofflösung und dem blauen Medikament versorgt, das den gleichen Wirkstoff wie ihre Pillen enthielt, doch sie schwebte nicht mehr in Lebensgefahr. Eigentlich hatte Doc Fossil sogar vorausgesagt, dass sie wahrscheinlich noch diese Nacht aufwachen würde. Gähnend starrte Kevin auf seine Uhr. Die leuchtenden Ziffern verschwammen vor seinen müden Augen, sodass er sie nur undeutlich erkennen konnte. Kurz nach drei. In Falcaniar schliefen die meisten Lancelor sicher schon, doch Kevin dachte nicht dran ins Bett zu gehen. Er würde bei Victoria sein wenn sie aufwachte und sie fragen warum sie ihre Kapseln, die sie selber als überlebenswichtig bezeichnet hatte, zu einer wichtigen Mission nicht mitgenommen hatte. Der Elementare gähnte noch einmal, während sein Blick jetzt langsam aus dem Fenster schweifte. Am klaren Sternenhimmel hing ein halbvoller Mond, der sein silbernes Licht zu ihnen schickte und die ruhigen Wellen unten am Strand und an den Klippen beleuchtete. Die bunten Blumen auf dem Weg zu den Booten hatten ihre prächtigen Farben beinahe gänzlich verloren und gingen in den kalten Herbstnächten nach und nach ein, obwohl die Tage noch angenehm warm blieben. Trotzdem rückte der Winter deutlich spürbar näher. Victoria ist wie der Winter... Anhaltende Kälte, durch die man die kurzen Augenblicke der Wärme erst wirklich zu schätzen lernt... Doch sie ist ein Winter der langsam auftaut... Was war nur an diesem Mädchen, das ihn so anzog, ihn immer an sie denken ließ? Es zerriss ihn beinahe vor Angst wenn sie in Gefahr geriet und es machte ihn wahnsinnig, dass es etwas an ihr gab was er nicht kannte. Er hasste es ahnungslos zusehen zu müssen wie sie unter einem grausamen, schmerzhaften Anfall litt, aus dem sie nur von Storm geholt werden konnte. Was verbirgst du vor mir, Victoria? Kevin löste seinen Blick wieder vom Fenster und betrachtete die schöne Telepathin. Zu seiner Überraschung lag sie mit geöffneten Augen da und erwiderte seinen erstaunten Blick völlig ruhig, ehe sie ihm ihr seltenes, bezauberndes Lächeln schenkte. "Déjà vu..." Kevin schmunzelte kurz, doch ganz entgegen seiner Art wurde er schnell wieder ernst. Mit einer knappen Bewegung seines Kopfes deutete er auf eine kleine Flasche mit blauen Kapseln, die neben ihrem Bett auf dem Nachtschränkchen stand. "Hi, schön dass du wach bist. Du sollst sofort deine Medizin nehmen, Anweisung von Doc Fossil..." Victoria gönnte dem Fläschchen nur einen ganz kurzen Blick, ehe sie sich in ihrem Bett aufsetzte und Kevin weiter beobachtete. "Was ist passiert?", fragte sie leise, während sie sich mit einer Hand durch ihr schwarzes Haar fuhr und es versuchte etwas zu ordnen. "Kannst du das nicht in meinen Gedanken sehen?" "Schon...", murmelte die Telepathin kaum hörbar, "...aber ich will es von dir hören. Ich mag deine Stimme..." Ihre Augen füllten sich mit einem Gefühl, das Kevin noch nie bei ihr gesehen hatte und das ihm den Atem raubte. Ein überwältigendes Glück rauschte durch seine Venen, stieg ihm zu Kopf und machte sich bemerkbar, indem es seine Wangen erröten ließ. Erst als die Erinnerungen an die vergangene Schlacht wieder aufzogen, verblasste die Fröhlichkeit wieder und das Gesicht des Elementaren wurde düster. "Kurz gesagt: Storm ist verschwunden, Batista ist tot. Selen erholt sich von einer schweren Schusswunde in einem Londoner Krankenhaus, du bist zusammengebrochen, Melissa ist zu uns mit einem seelischen Schock zurückgekehrt und Dymeon muss um sein Leben kämpfen... Er sieht schrecklich aus, Victoria, ich durfte ihn einmal ganz kurz sehen... Man hat ihn in einen für Besucher unzugänglichen Raum gebracht und an dutzende Geräte und Schläuche angeschlossen. Doc Fossil spritzt ihm die verschiedensten Flüssigkeiten um seine Lebensfunktionen aufrecht zu halten. Zeliarina ist die Einzige, die ihn sehen darf..." Kevin seufzte und raufte sich das weiße Haar. Eine Weile lang schwiegen die beiden Lancelor, so dass der Raum wieder erfüllt war mit dem Summen und Piepen der chromfarbenen Maschinen. Nach einer Weile setzte sich Kevin schließlich auf Victorias Bettkante und nahm vorsichtig ihre Hand. Die schlanken Finger waren kalt, doch das wunderte ihn nicht, denn als Feuerelementarer lag seine Körpertemperatur über dem Normalwert anderer Menschen. "Doch was ich noch viel schrecklicher fand war dein Zustand, Victoria...", flüsterte er zurückhaltend, "Du hattest deine Pillen nicht dabei und ich konnte dir nicht helfen, weil ich nicht wusste was los war..." Kevins Stimme fing an zu zittern, genau wie seine Hände. Victoria bemerkte es und beruhigte ihn mit einem liebevollen Lächeln, während sie ihre Finger mit seinen verschränkte. "Es ist jetzt alles gut..." "Nimm bitte deine Medikamente, Victoria... Du warst diesmal viel länger bewusstlos als beim ersten Mal. Doc Fossil meinte das deutet auf die ersten Anzeichen einer Herzrhythmusstörung hin, die bei einem weiteren Anfall nur noch schlimmer wird. Das heißt du wirst nach einer weiteren Attacke sicherlich sterben... Und das will ich nicht... Ich will dich nicht verlieren..." "Ich dich auch nicht..." Trotzdem machte Victoria keine Anstalten nach ihren Kapseln zu greifen, im Gegenteil, sie schob sie sogar so weit wie möglich auf dem Nachtschränkchen von sich weg. Kevin runzelte verwirrt die Stirn und schrie schließlich überrascht auf, als sich die Telepathin auch noch den Tropfschlauch mitsamt Nadel unwirsch aus ihrem Arm rupfte. "Victoria!" "Ich will das nicht mehr, verstehst du nicht? Ich will dich nicht verlieren, aber wenn ich wieder anfange diese Pillen zu nehmen, werde ich dich verlieren! Du wirst wieder zu einem Gesicht unter hunderten und ich werde nicht mehr dieses besondere Kribbeln spüren wenn ich dich sehe..." Sie schleuderte den Schlauch weg, so dass er gegen die Wand flog und durch die Wucht den gesamten Tropf mit Metallständer scheppernd umriss. Kevin konnte sie nur sprachlos anstarren. "Victoria, was...?" "Hast du es denn noch nicht erraten?", hauchte sie schwach, während sie sich ein Stück nach vorne beugte und mit dem Zeigefinger über Kevins Wange strich. Der Elementare rührte sich nicht, doch er drückte sanft ihre andere Hand, die mit seiner verschlossen war. "Diese blaue Substanz nimmt mir meine Gefühle... Wenn ich sie nehme, werden im Gehirn bestimmte Bereiche blockiert, so dass ich keine Enzyme und Hormone wie Adrenalin produzieren kann. Dadurch verliere ich die Fähigkeit emotional zu sein..." "Das ist doch... unmöglich..." "Ist es nicht... In vielen Dingen ist die Forschung der Lancelor weiter als die normale Welt... Sie haben bereits restlos erkundet, dass auch Gefühle nur chemische Prozesse im Körper sind..." Victoria hielt kurz inne um Luft zu holen. Sie redete sonst nicht so viel und besonders jetzt, nachdem sie gerade erst aus einem schwachen Koma erwacht war, kostete ihr jedes Wort große Anstrengung. Trotzdem gönnte sie sich nur eine kurze Pause, in der sie nicht aufhörte Kevins Wange zu streicheln. Der Elementare war immer noch völlig gelähmt, auch wenn er geistesabwesend mit dem Daumen über Victorias Handrücken strich. "Warum... tut der Orden das? Wieso wird dir etwas gegeben, das dir die Gefühle stiehlt?" Ein schwacher Anflug von Wut glomm kurz in Kevins Augen auf, doch er verschwand schnell wieder und machte dem Mitgefühl für seine geliebte Telepathin platz. Er wusste nicht genau wann es angefangen hat, wahrscheinlich schon als er sie das erste Mal gesehen hatte, doch seine Liebe zu ihr war so stark geworden, dass er es sich nicht mehr vorstellen konnte ohne sie auf Falcaniar zu leben. Er liebte alles an ihr, ihre eisblauen Augen, die hinter einer Wand aus Undurchdringlichkeit eigentlich so viel Gefühl bargen, ihre Art jedes Lächeln zu einem Geschenk zu machen, ihre Tapferkeit und ihre stille doch unzerstörbare Treue. Er wusste dass sie all das in seinem Kopf lesen konnte, doch in diesem Augenblick war es ihm egal. Eigentlich wollte er sogar, dass sie es sah, damit sie verstand was sie ihm bedeutete. "Ich danke dir, Kevin", murmelte Victoria als Antwort auf seine Gedanken. Sie beugte sich noch weiter zu ihm vor und umarmte ihn mit ihrer freien Hand, so dass er ihren warmen Atem an seinem Ohr spüren konnte. Es bereitete dem Elementaren eine Gänsehaut. "Du warst es, der mir nach drei Jahren das erste Mal wieder ein Gefühl geschenkt hat, damals in den Ruinen von Tradan. Ich gebe zu es war nur Neid. Doch dieser Neid, das Verlangen ein Leben so zu führen wie du es führst, hat mir geholfen meine Medikamente heimlich abzusetzen... Du hast in mir den Wunsch nach Gefühlen geweckt, damit ich dir das zurückgeben kann, was du empfindest..." Kevin verschwamm für einen Augenblick die Sicht, als ihn eine unglaubliche, berauschende Mischung aus Furcht und Freude überschwemmte, der er kaum noch Herr wurde. Trotzdem bemühte er sich mit aller Kraft ruhig zu bleiben, denn er wollte den Moment, in dem Victoria sich ihm öffnete, nicht zerstören. "Und seitdem ist jeder Tag ein Erlebnis. Mein Leben ist so wundervoll und so schrecklich zu gleich, ich fühle jeden Tag neue Dinge: Angst, Freude, Verwirrung. Es füllt die Leere in mir und macht mich unendlich froh... Ich will nichts anderes als das. Ich will nie wieder diese Pillen nehmen... Ich will mit dir zusammen sein... richtig zusammen..." Victoria löste sich wieder ein bisschen von Kevin, so dass sich ihre Augen begegnen konnten. Eisblau starrte erwartend in dunkelbraun und dunkelbraun erwiderte den Blick mit einer brennenden Sehnsucht, die danach verlangte gestillt zu werden. Ohne noch weiter darüber nachzudenken lehnte sich Kevin plötzlich nach vorn, um den Abstand zwischen ihren Gesichtern zu überbrücken und seine geliebte Telepathin zu küssen. Zuerst blieb es bei einer flüchtigen Berührung, einem Aneinanderstreifen ihrer Lippen, das bereits ausreichte um einen wohligen Schauer über seinen Rücken zu schicken, doch schnell wurde es mehr. Kevin küsste Victoria mit all der Zuneigung und Liebe die er aufbringen konnte, während er mit einer Hand sanft durch ihr seidiges, schwarzes Haar fuhr. Als sie sich nach einer Ewigkeit wieder voneinander lösten, blickten sie sich wieder gebannt in die Augen. "Ich habe mir das immer gewünscht, seit ich dich kennen gelernt habe", murmelte Kevin glücklich, "Nie habe ich mich wohler gefühlt..." Der Elementare nahm die Telepathin in seine Arme und sie lehnte ihren Kopf an seine Halsbeuge, während er weiter ihre Haare streichelte. Victoria schloss die Augen, als sie Kevins schnellen Herzschlag spürte. "Wie Feuer und Eis... Dein Feuer hat mein Eis zum Schmelzen gebracht... Ich will nie wieder, dass das aufhört, ich will deine Wärme immer bei mir haben..." "Ich werde bei dir sein, das verspreche ich", erwiderte Kevin mit einer Entschlossenheit, die keinen Zweifel daran ließ, dass er alles tun würde um dieses Versprechen zu halten. "Aber bitte sag mir, warum du diese blauen Kapseln nehmen musst..." Einen Moment lang spürte der Elementare wie sich Victorias Körper in seinen Armen verkrampfte, ehe er sich mit einem kaum hörbaren Seufzer wieder entspannte. "Es ist weil ich eine Telepathin bin... Mit meinen Fähigkeiten nimmt man so viele Gedanken und Emotionen auf, dass es den Kopf völlig überlastet und dabei die eigenen Gedanken untergräbt... Deswegen bleib ich in Falcaniar von Menschenmassen fern..." "Und die Sache mit Assessina?" Victoria befreite sich ein wenig aus Kevins Umarmung und sah ihn mit einem seltsamen Lächeln an. "Sie hat versucht mich mit dem Aramea zu töten, weil es den Wirkstoff meiner Pillen neutralisiert und so die vielen starken Kampfgefühle völlig unvorbereitet über mich hereingebrochen sind... Doch eigentlich hat sie mir damit ein Geschenk gemacht, denn dadurch war ich in der Lage den Neid wahrzunehmen, der alles verändert hat..." Ihre blassen Finger zogen nachdenklich Kevins Kinnlinie nach, doch der Elementare wirkte besorgt und rührte sich nicht. "Bist du sicher, dass du ohne die Pillen zurecht kommst?" "Ja", antwortete die Telepathin ohne zu zögern, "Ich werde auf sie verzichten... Nur wenn ich merke, dass ich wieder drohe zusammenzubrechen, werde ich eine von ihnen nehmen... Genug um mich für den Augenblick zu schützen, doch zu wenig um meine Gefühle auszublenden..." Victorias Finger erreichten Kevins Mund und fuhren ganz sanft über seine Lippen, so dass ihm ein neuerlicher Schauer durch den Rücken jagte. Dann beugte sich die Telepathin leicht nach vorne, ehe sich ihre Lippen ein weiteres Mal zu einem Kuss trafen. Kevin spürte ihre weichen Hände in seinem Nacken, ihr schwarzes Haar an seinen Fingern und ihren süßen Duft in seiner Nase. Nichts auf der Welt hätte diesen Augenblick vollkommener machen können und nichts hätte ihn zerstören können, denn er gehörte ihnen allein. Und so saßen sie zusammen in dem dunklen, stillen Krankenzimmer, beschienen von silbernem Mondlicht und unberührt von den schrecklichen Dingen des Götterschwertkrieges, der in ihrer Zeit tobte... Die Flasche mit den blauen Kapseln lag vergessen auf dem Nachtschränkchen, größtenteils verborgen von einem schwarzen Schatten... Die folgenden Tage waren für Kevin wie ein wahr gewordener Traum, der sich völlig der Realität entzog. Wenn die Lancelor in Falcaniar mit gehetzten, düsteren oder niedergeschlagenen Mienen an ihm vorbeiliefen, nahm er sie kaum zur Kenntnis, denn seine Augen und Gedanken blieben ständig bei Victoria, mit der er soviel Zeit wie möglich verbrachte. Nicht einmal Zeliarina, die er nur dann sah wenn sie zwischen dem Krankenbett Melissas zu Dymeon oder umgekehrt wechselte, konnte seine Laune völlig trügen. Natürlich war die Donnerhexe seine Freundin und er bemühte sich darum auch ein wenig mit ihr zu unternehmen, doch meistens hielt sie sich in Dymeons Krankenzimmer auf, das ihm verwährt blieb, so dass er stattdessen bei Victoria blieb und mit ihr die letzten warmen Herbsttage am Strand oder den Klippen genoss. Er wusste, dass man als Lancelor nicht wusste wie viel Zeit einem gegeben war, das hatte er erst bei der letzten Mission auf grausame Weise lernen müssen. Selen hatte sich zwar inzwischen von ihrer Verletzung erholt und war nach Falcaniar zurückgekehrt, doch Storm blieb weiterhin spurlos verschwunden. Neunzehn Tage lagen bereits seit den Zwischenfällen in der Londoner Fabrik hinter ihnen und die Hoffnung den leidenschaftlichen Kämpfer lebend wieder zu sehen war so gut wie erloschen. Keine Suchtrupps wurden ausgesandt, denn die alte Ordensregel verbot dies. Batista hatte man kurz nach seinem Tod den Ordensgräbern beigelegt, den Hügelfriedhöfen, die seit Dymeons Erweckung aus Excaliburs Bann wieder begehbar waren. Schon Generationen von tapferen Kriegern, Männer und Frauen jeden Alters, hatte man an diesem Ort die letzte Ruhe erwiesen. "Was hast du?", fragte Victoria leise, als Kevin bei einem ihrer Inselspaziergänge vor dem Grab stehen blieb und stumm auf die kreisrunde Öffnung des mit Gras bewachsenen Hügels starrte. Es dämmerte bereits langsam und ein kühler Wind zog auf, so dass sich die Telepathin die Jacke enger um den Körper zog. Ihre schwarzen Haare tanzten leicht, während sie ihren Freund fragend ansah und sich fragte was er wohl dachte. Sie hatte Kevin versprochen keine Gedanken mehr unnötig zu lesen, um die Gefahr einer Überbelastung durch die fehlende Medikamenteneinnahme zu minimieren, doch es fühlte sich seltsam an ohne ihre Kräfte auszukommen. Seit sie sich den Lancelor angeschlossen hatte, war sie sich nicht mehr so normal vorgekommen... "Vorgestern kam ein Brief von meinem Vater... Er hat geschrieben, dass mein Urgroßvater auch in diesem Orden gekämpft hat... Er liegt hier, Dunkan hat mir erzählt wie er von Assessina mit den Toxinklauen bei einem Großangriff auf ein verborgenes Zweigquartier des Däezander irgendwo in Hamburg getötet wurde... Man weiß bis heute nicht ob und wie sich übersinnliche Kräfte vererben, doch ich glaube von ihm habe ich meine Bestimmung zum Lancelor geerbt..." Victoria lächelte kurz und drückte seine Hand. "Eine komische Ironie... Assessina hat mir vor langer Zeit ein Familienmitglied geraubt und ich habe es unwissentlich gerächt... Gleichzeitig hat sie mir dich am Ende geschenkt... Und dafür bin ich ihr dankbar..." Auch er drückte jetzt leicht ihre Hand und beugte sich für einen Kuss zu ihr herab. Ein weiterer Windstoß zog an ihnen vorbei, sodass sich ihre Haare, weiß und schwarz, für einen Augenblick miteinander vermengten, ehe die beiden Lancelor wieder voneinander abließen und sich wortlos anlächelten. "Komm, lass uns zurückgehen..." Victoria und Kevin ließen sich Zeit damit den Pfad nach Falcaniar zurückzugehen, auch wenn es jetzt schnell kälter wurde und die Sonne als rotgelbe Scheibe am Horizont unterging. Während sie mit gleichmäßigen Schritten zum Haupttor liefen, sah Kevin mehrmals zurück zu dem Hügelgrab. "Ich werde nicht zulassen, dass du dort landest, Victoria...", murmelte der Elementare plötzlich merkwürdig nachdenklich und tief entschlossen. Die Telepathin drückte als Antwort wieder seine Hand. "Ich weiß..." Dem jungen Lancelor entging der bedrückte Unterton in Victorias Stimme, denn Dunkan trat in diesem Augenblick aus den Toren Falcaniars und kam zielstrebig auf die beiden zugelaufen. Als er sie erreicht hatte, bedachte er sie mit einem knappen, ernsten Nicken zur Begrüßung, während seine Augen von Victoria zu Kevin und schließlich zu ihren ineinander verhakten Händen wanderten. "Kevin, kann ich dich kurz sprechen?" "Natürlich", antwortete der Elementare seinem Mentor verdutzt. Er verabschiedete sich mit einem Kuss schnell von Victoria, die sich auf den Weg in ihr Turmzimmer machte, bevor er Dunkan durch ein paar Gänge folgte, die sie in einen unbenutzten Trainingsraum führten. Er war für all die Lancelor angelegt, die verschiedene Arten von Tarnungs- oder Verwandlungskräften besaßen. Ein gewaltiger Spiegel, der auf seiner Seite beinahe die ganze weiße Tapete verbarg, hing an einer der Wände um dem Anwender der Kräfte das Ergebnis seiner Formwandlung zu zeigen. "Was gibt's?", fragte Kevin ein bisschen nervös, kaum zwei Sekunden nachdem Dunkan die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Es entsprach sonst gar nicht dem Charakter seines Mentors zuerst neugierigen Augen zu entgehen, ehe er mit seinem Schüler sprach. Und noch weniger typisch war es für ihn Kevin mit einem unergründlichen Blick anzustarren, während er sich schweigend an einen Heizköper lehnte, die Hände in den Hosentaschen vergraben. "Geht es um eine Mission? Von mir aus kann man mich wieder einsetzen, ich habe die letzten Ereignisse verarbeitet und bin jederzeit bereit..." Dunkan schwieg weiter und blickte Kevin direkt in die braunen Augen, als suche er darin verzweifelt nach Antworten auf eine Frage, die der Elementare nicht kannte. Die Sehnen am Hals des Palas zuckten mehrmals und seine Finger pressten sich hart an die Heizung hinter ihm, bis die Knöchel weiß hervortraten. "Oder ist es Training?", versuchte Kevin weiter. Langsam machte ihn die Erscheinung seines Mentors nervös. Mit einer schnellen Bewegung fischte er ein paar Sonnenblumenkerne aus seiner Tasche, löste sie geschickt mit einer Hand von ihrer hauchdünnen, nicht essbaren Außenschale und warf sie sich anschließend in den Mund, um abwesend darauf herumzukauen. Dunkan antwortete immer noch nicht. Erst als Kevin seine Nervennahrung heruntergeschluckt hatte, gab der Palas endlich ein Lebenszeichen von sich, indem er lang und gedehnt seufzte, wie jemand, der sich dazu durchrang etwas anzusprechen was er eigentlich nicht wollte... "Ich muss mit dir über Victoria reden..." "Was?" "Ich wünschte, ich müsste das nicht tun, doch als dein Mentor ist es meine Pflicht..." Dunkan senkte den Blick zu Boden, so dass die blonden Haare seine Augen verbargen. "Doc Fossil, Victorias Mentor, hat schon versucht mit ihr zu reden, doch sie wollte nicht zuhören und Doc Fossil hat zurzeit zuviel mit Dymeon zu tun um sich auch noch um dieses Problem zu kümmern..." "Welches Problem denn?", fragte Kevin hastig, besorgt um die schöne Telepathin. Mit einer langsamen Bewegung zog Dunkan ein Fläschchen mit blauen Kapseln aus seiner Tasche und wedelte damit herum, seine Augen erneut auf Kevin gerichtet. "Eure Beziehung. Das Oberhaupt will, dass ihr sie beendet..." "Wa...?" Kevin starrte seinen Mentor fassungslos an und glaubte sich verhört zu haben. Was eben ausgesprochen wurde, konnte nicht ernst gemeint sein. Warum sollte der Kopf des Ordens etwas gegen die Beziehung zweier junger, relativ unbedeutender Lancelor haben, warum sollte er die Beziehung, die den beiden wenigstens einen Hauch Frieden schenkte, verbieten wollen? "Wie..." Der Elementare war völlig vor den Kopf gestoßen und fand einfach keine Worte. "Weißt du, warum Victoria diese Pillen nehmen muss?", fragte Dunkan ernst, das Fläschchen immer noch deutlich sichtbar in den Händen. Kevin nickte langsam. "Dann bin ich ernsthaft enttäuscht von dir, dass du sie in solch eine Gefahr bringst und es zulässt, dass sie sie nicht mehr nimmt! Sie nimmt sie nicht mehr wegen dir!" "Das weiß ich auch!", schoss Kevin zurück, "Ich weiß, dass es schwer wird, doch es war ihre Entscheidung auf die Medikamente zu verzichten, um ein normales Leben führen zu können! Ich kann nicht glauben, dass ich mich mit dir darüber streiten muss!" "Ich kann nicht glauben, dass du so stur bist und Victorias Leben aufs Spiel setzt!" "Es ist ihre Entscheidung und ich respektiere sie, okay? Ich weiß, dass es schwer wird, dass wir Probleme haben werden, doch ich will es mit ihr versuchen! Sie hat versprochen gut auf sich aufzupassen! Und ich liebe sie, Dunkan!" Der Palas schnaubte, doch Kevin ließ sich davon nicht beirren. "Mag sein, dass es für dich merkwürdig aussieht wenn ein Junge wie ich von richtiger Liebe redet, doch ich weiß wovon ich spreche! Ich benutze solche Worte nicht leichtfertig!" Das ist es nicht, Kevin... "Das ist ein Befehl, Kevin. Darüber wird nicht diskutiert!" Ich verstehe das Gefühl, wenn man jemanden aufrichtig liebt... Wenn man alles andere vergisst, nur um sie haben zu können... Wenn man alle Regeln und jegliche Moral über Bord wirft... "Das ist lächerlich! Der Orden hat nicht die Macht über unsere Gefühle zu richten! Du redest als würden unsere Seelen euch gehören! Ich kann nicht glauben, dass wir dieses Gespräch hier tatsächlich führen, ich dachte du wärst mein Freund, Dunkan. Ich dachte gerade du verstehst mich!", schrie Kevin von gewaltiger Wut erfasst. Eine Stichflamme entzündete sich kurz an seinem linken Arm und Funken sprühten von seinen Fingern. Ich verstehe dich doch... Aber es geht nicht... Du wirst dich nur ins Unglück stürzen... "Ich wiederhole: das ist ein Befehl von deinem Vorgesetzten! Du hast einen Eid abgelegt!" "Ich scheiß auf den Eid! Niemand wird mir Victoria wegnehmen! Niemand von euch hat das Recht über unser Schicksal zu bestimmen, nicht einmal das Oberhaupt!", brüllte der Elementare weiter. Noch ehe sein Mentor ihm antworten konnte, machte er plötzlich auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Zimmer. Dunkan blieb alleine zurück, das Fläschchen mit den blauen Kapseln immer noch erstarrt in den Händen. So hätte das Gespräch nicht verlaufen sollen, eigentlich hatte der Palas mit seiner barschen Vorgehensweise Kevin brutal klarmachen wollen, dass der Orden seine Beziehung zu der jungen Telepathin nicht tolerierte, doch er hatte den Jungen damit nur angestachelt. Er hätte es besser wissen müssen, in seiner lang zurückliegenden Jugend hätte er nicht anders gehandelt. "Scheiße..." Kevin, es wird nicht funktionieren... Eure Liebe wird euer Untergang sein... Sie wird Victoria töten... und dir anschließend das Herz brechen... Ohnmächtig von der Erkenntnis, dass er Kevin das Leid nicht ersparen konnte, schleuderte Dunkan die Flasche mit aller Kraft gegen den riesigen Spiegel an der Wand, so dass dieser in tausende Scherben zersplitterte und das Spiegelbild des Palas mit gewaltigen Rissen durchschnitt. Blaue Kapseln verteilten sich klappernd auf dem Fußboden. Das sind Augenblicke, in denen ich mein Leben hasse... Der Lancelor blieb noch lange stumm an seinem Platz, die Augen trüb auf den kaputten Spiegel, die Gedanken bei seinem Schüler und schließlich bei einer längst vergangenen Liebe, die vor über hundert Jahren durch den Däezander vernichtet worden war... Kevin lief noch immer völlig außer sich ohne wirkliches Ziel durch die Gänge Falcaniars. Sein Blut rauschte beängstigend laut in seinen Ohren und er wusste, dass er die glühende Wut zurückdrängen musste, wenn er nicht einen Teil der Feste bei einem plötzlichen Anfall abfackeln wollte. Obwohl er für einen Augenblick lang echt Lust dazu gehabt hätte... Eine weitere Welle des Zorns schwappte über ihn hinweg, doch er brachte sich langsam unter Kontrolle und bohrte seine Fingernägel in die Handflächen, damit die Schmerzen seinen aufgewühlten Kopf durchstießen. Schließlich blieb der Elementare mitten auf einer weiten Treppe stehen. Seine Atmung beruhigte sich langsam wieder und sein unkontrollierbarer Zorn verwandelte sich in stille, trotzdem sehr deutlich spürbare Wut, die in seinem Bauch vor sich hin waberte. Zähneknirschend und mit geballten Fäusten verdrängte er den Wunsch auf irgendetwas loszugehen, irgendetwas zu zerstören. Am besten etwas, das dem Oberhaupt gehörte... Wie konnte der Anführer der Lancelor es wagen? Er hatte kein Recht ihn und Victoria wie Untertanen zu behandeln. Dunkan hatte es aussehen lassen als wären sie Eigentum des Ordens, das zu tun hatte was man ihnen befahl, und das machte ihn wütend und schmerzte zugleich, denn er hatte seinen Mentor immer für einen anständigen Kerl gehalten. Wahrscheinlich war dieser das auch. Bei ihrem Gespräch hatte der Palas gleich zu Beginn gesagt, dass er dieses Gespräch nicht gerne führte, also gehorchte er vielleicht auch nur dem Willen des Oberhauptes. Trotzdem konnte Kevin nicht glauben, dass man ihn von Victoria trennen wollte... Nichts würde sich zwischen sie drängen... "Kevin?" Der Elementare fuhr herum. Einen Augenblick lang befürchtete er Dunkan hätte ihn eingeholt, doch es war nur Selen, die gutmütige Lancelorin mit den verschiedenen Blautönen in ihren Haaren. Die Blässe in ihrem Gesicht wurde durch die Beleuchtung an der Decke stark betont und ihr Lächeln wirkte nicht so freundlich wie sonst. Ohne Frage trauerte sie noch immer um den verstorbenen Palas Batista, mit dem sie seit Jahren eng befreundet gewesen war. "Hi Selen..." "Was stehst du hier rum?", fragte die Lancelorin. Kevin konnte spüren, dass ihr Lächeln nur aufgesetzt war um ihre Trauer zu verbergen. Als sie ihn kameradschaftlich mit der Faust gegen die Schulter puffte, verschob sich ihr Shirt für einen Augenblick etwas nach oben, so dass der Elementare einen Blick auf die Verbände um ihren Bauch erhaschte. Mit einem Schlag verflog Kevins ganzer Ärger und er schenkte Selen ein aufrichtiges Lächeln. "Ich habe nur nachgedacht, es geht mir gut. Wie steht's mit dir?" "Die Wunde heilt", erwiderte Selen tonlos, während sie eine Hand nachdenklich auf ihren Bauch legte. "Ich habe unsagbares Glück gehabt. Die Ärzte in London konnten mich gerade noch rechtzeitig wieder zusammenflicken. Obwohl die Kugel keine wichtigen Organe verletzt hat und das Anti-Aramea darin den Körper nicht schädigt, dauerte die OP über drei Stunden. Ziemlich viel Blutverlust und so..." Sie strich sich nachdenklich über den bandagierten Bauch, doch ihr Blick ruhte dabei auf Kevin. "Und warum stehst du nun wirklich hier? Ich bin eine Gefühlstelepathin, ich kann deine versteckte Wut deutlich spüren... Was ist los?" Kevin war überrascht von der Fürsorge der Lancelorin. Obwohl sie sich kaum kannten und Selen mit eigenen Problemen zu kämpfen hatte, schien sie ein ernsthaftes Interesse an dem Frust zu haben, der im Inneren des Elementaren tobte. "Ich", begann Kevin ohne wirklich zu wissen was er sagen wollte. "Ich... ich bin seit kurzem mit Victoria zusammen..." "Der Telepathin? Das freut mich." "Dann bist du die Einzige", murmelte der junge Lancelor bitter, "Denn Dunkan hat mir erst vor wenigen Minuten deutlich klargemacht, dass der Orden diese Beziehung nicht duldet..." "Lächerlich", stieß Selen hervor, ehe sie in ein kurzes Lachen verfiel, das schnell wieder verstummte, als sie Kevins harten Gesichtsausdruck sah und den wachsenden Zorn in ihm wahrnahm. "Das muss ein Irrtum sein." Der Elementare schüttelte nur den Kopf. "Wieso sollte es ein Problem geben wenn zwei Lancelor eine Beziehung eingehen? Das wäre doch nicht das erste Mal... Geh zum Oberhaupt und rede mit ihm. Ich bin sicher das wird helfen." "Das Oberhaupt...besuchen?", murmelte Kevin leise zu sich selbst, als teste er die Idee anhand des Klangs seiner Stimme. Wie jeder Lancelor wusste er natürlich wo das Büro des Oberhauptes lag, doch wie jeder Lancelor scheute er sich auch davor den Anführer des gesamten Ordens mit seinen kleinen Problemen zu stören, während dieser tagtäglich versuchte den Fortbestand der Menschheit zu sichern... Andererseits war es das Oberhaupt gewesen, das offensichtlich mit der ganzen Sache angefangen hatte. Vielleicht würde Kevin von ihm endlich ein paar klare Antworten bekommen. Den Versuch war es wert. "Gute Idee, Selen! Danke!" Die Lancelorin schaffte es nicht mehr noch irgendetwas zu erwidern, denn Kevin rannte bereits die Treppe hinauf, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm und nur kurz zurückblickte um Selen zum Abschied hastig zuzuwinken. Das Büro des Oberhauptes lag in einem abgelegenen Teil Falcaniars, der nicht sehr häufig begangen wurde. Keine Trainingsräume hatte man hier eingerichtet und keine Quartiere wurden hier besetzt, so dass über dem Ort immer eine ruhige Stille lag. Als Kevin vor der Tür des Büros stand, fühlte er wie sich die aufgewühlten Emotionen in seinem Kopf ungewollt legten und nur Platz für Sachlichkeit ließ. Trotzdem trat der Elementare ohne zu zögern ein. Das Innere des Büros verstärkte die beruhigende Wirkung auf den Besucher. Die Wände waren hell gestrichen, der Fußboden mit weißem Teppich bedeckt. Auf großen Regalen aus hellbraunem Holz reihten sich verschiedene Archive aus Aktenordnern und Heftern, auf verschiebbaren Korkwänden klebten per Rotstift bearbeitete Karten und an den Wänden hingen säuberlich angebrachte Landschaftsbilder und drei altertümliche Speere, die sich in einem Punkt trafen und somit dem Symbol der Lancelor erstaunlich ähnlich sahen. Ein hohes Wasserspiel stand in einer freundlich beleuchteten Ecke. Die leise plätschernden Geräusche vermischten sich harmonisch mit altmodischer Musik aus unsichtbaren Lautsprechern. Doch Kevins Blick wurde sofort auf den gewaltigen Schreibtisch in der Mitte des Zimmers gelenkt, der beladen war mit einem Computer, mehreren Schreibablagen, Stifthaltern, Notizzetteln, einer schlichten weißen Kaffeetasse und einer angerissenen Kekstüte. Das Oberhaupt saß an dem Schreibtisch und brütete über einigen Formularen, unbeeindruckt von dem unangekündigten Besucher. Er sah nicht einmal auf, sondern schrieb schweigend weiter, während seine freie Hand nach einem Keks tastete. Kevin räusperte sich. Das Oberhaupt hielt in seiner Bewegung inne, legte den Stift schließlich beiseite und zog gleichzeitig die Hand aus der Kekstüte ohne etwas daraus genommen zu haben. Als es den Kopf hob und Kevin anblickte, glaubte der Elementare von den tiefblauen Augen durchbohrt zu werden. Schneeweißes Haar umrahmte sein feines Gesicht und fiel beinahe bis zum Boden herab. Der Leiter des Ordens hatte nichts von seiner unwirklichen, majestätischen Erscheinung verloren und schien eine Aura mit sich zu tragen, die ihn völlig immun gegen den Zahn der Zeit machte. Niemand kannte sein wahres Alter oder wagte es auch nur zu schätzen. Kevin hatte noch nicht einmal seinen wirklichen Namen gehört. Für ihn hieß es immer nur ,Das Oberhaupt' oder ,Der Meister'. "Kevin Douglas, nicht wahr?", fragte der Anführer der Lancelor freundlich. Sein Lächeln entblößte perfekte und weiße Zähne. "Ich dachte mir fast, dass du hier auftauchen würdest..." "Tatsächlich?", schnappte Kevin, während er darum bemüht war trotz der Ruhe des Ortes und dem charmanten Auftreten des Oberhauptes seine Wut heraufzubeschwören. Victorias liebliches Gesicht tauchte vor seinem geistigen Auge auf und erweckte langsam den Zorn, den er bei Dunkans Worten empfunden hatte. "Ja, tatsächlich", fuhr der Meister fort, während er die glitzernden blauen Augen weiter auf den jungen Lancelor gerichtet hielt. "Ich weiß, dass es schwer ist eine Liebe loszulassen, doch zum Wohle von Victoria Sommerset musst du eure Bande auflösen... Wenn du sie wirklich liebst, dann weißt du, dass dies die einzige Möglichkeit ist..." "Wovon zum Teufel redet ihr eigentlich die ganze Zeit?", schrie Kevin aufgebracht, "Wieso wollt ihr uns die Chance nehmen glücklich zu sein? Wieso wollt ihr Victoria die Chance nehmen ein normales Leben zu führen, ein Leben mit Gefühlen? Ich weiß auch, dass es schwer wird und dass es gefährlich ist, aber doch nicht unmöglich! Wenn sie es vermeidet zu viele Gedanken zu lesen und immer ein paar ihrer Pillen für den Notfall bereit hält, können wir einen neuen Anfall vermeiden! Sie wird ihre Kräfte unter Kontrolle kriegen!" "Kräfte?", wiederholte das Oberhaupt mit hochgezogenen Augenbrauen. Lange starrte es den erregten und schwer atmenden Kevin an, ehe es kaum hörbar seufzte. "Ich kann dir nicht ganz folgen, doch du musst leider einsehen, dass es für Victoria eben nicht diese Chance auf ein normales Leben gibt. Ohne ihre Medikamente wartet auf sie nur der Tod." "Wieso sagt ihr das?" Kevin konnte nicht mehr klar denken. Wenn er daran dachte, dass man ihn tatsächlich von seiner geliebten Victoria trennen wollte, wurde ihm übel und weiß glühende Wut stieg in seinen Kopf. Er würde nicht zulassen, dass man sie auseinander riss. Er verstand nicht was Dunkan und das Oberhaupt die ganze Zeit redeten, doch er würde es nicht zulassen! "Wieso wollt ihr unsere Beziehung kaputtmachen?" "Wir wollen sie nicht kaputtmachen, wir wollen euch schützen", erklärte der Meister ruhig. Seine weißen Haare glitzerten und seine blauen Augen leuchteten. Ohne den Augenkontakt auch nur für eine Sekunde zu brechen nahm er einen Keks in seinen Mund und kaute geduldig darauf herum. Als er alles heruntergeschluckt hatte, seufzte er gedehnt. "Ich denke ich verstehe, wo das Problem liegt... Was hat dir Victoria über ihre Anfälle erzählt?" "Alles. Dass sie bei einer zu intensiven Aufnahme verschiedener Gedanken überbelastet wird und deswegen zusammenbricht. Dass sie die Kapseln nimmt um Gefühle zu unterdrücken, damit sie nicht von den heftigen Empfindungen anderer überwältigt werden kann..." "Und du hast dich nicht gefragt, wieso sie immer schreckliche Schmerzen im Herz hat, anstatt einfach so bewusstlos zu werden?", hakte das Oberhaupt geduldig nach. Kevin trat herausfordernd näher an den Schreibtisch, hielt jedoch schließlich inne und schüttelte den Kopf. "Kein Wunder, dass du so aufgebracht bist. Du weißt gar nicht um was es hier geht. Victoria hat dich angelogen..." "Lüge!", brüllte Kevin in Rage. Wütend schlug der Elementare mit der Faust auf den Tisch und entzündete so ein paar Funken, die in der Luft herumwirbelten. Als er die Hand wieder hob, war sein Faustabdruck als schwarzer Brandfleck in die glatte Holzoberfläche eingebrannt. Er wusste, dass er sich unter Kontrolle halten musste, doch in diesem Augenblick wollte er sich nicht zügeln. Er schämte sich auch nicht dafür die Einrichtung des Oberhauptes zu beschädigen. "Das ist keine Lüge. Die einzige Lüge hier ist die Geschichte von Victoria", meinte der Leiter des Ordens weiter, unbeeindruckt von der Brandstelle in seinen Möbeln. "Victoria hat ihre Probleme wegen etwas ganz anderem... Vor über vier Jahren gab es nämlich einen Einsatz, bei dem eine damals dreizehnjährige Lancelorin schwer zugerichtet wurde. Ein Dämon pflanzte ihr an der Schulter einen Parasiten ein. Das Mädchen reagierte schnell und besser als jeder Palas, indem sie sich selbst an eben dieser Stelle mit einer Heiligen anschoss. Das Anti-Aramea in der Kugel schwächte den Parasiten so stark, dass dieser nur zu ihrem Herz kam und dort in eine Art Koma verfiel... Die Lancelorin war Victoria und der Parasit liegt nach vier Jahren noch immer an der gleichen Stelle in ihrem Körper..." Das Oberhaupt nippte kurz an seinem Kaffee, während Kevin versuchte das Gehörte zu verarbeiten. "Das ist doch...unmöglich...", versuchte der Elementare verzweifelt, ohne selber daran zu glauben, dass das Oberhaupt log. Die Augen des Ordensführers füllten sich mit aufrichtiger Trauer. "Ja, eigentlich ist es unmöglich... Es ist ein einmaliger Fall, der noch nie zuvor aufgetreten ist und sicher auch nie mehr auftreten wird... Viele verschiedene Zufälle haben zusammengespielt, doch ob man glaubt oder nicht, der Parasit steckt in ihrem Herzen und ,schläft' dort sozusagen..." Gequält beobachtete Kevin wie das Oberhaupt nachdenklich mit dem Stift auf der Tischplatte herumtrommelte und schließlich ein paar Unterlagen hervorkramte. Er blätterte die Seiten kurz durch und überflog sie halbherzig. "Man hat schon versucht den Parasiten operativ zu entfernen, doch er hat ein Stück aus der äußeren Herzwand gerissen, als er in ihr gewütet hat, und blieb anschließend dort liegen. Er ist also sozusagen ein Teil ihres Herzens geworden. Man kann ihn nicht mehr entfernen ohne dass es Victoria umbringt..." Bei einer bestimmten Seite verharrte er länger. "Das Mädchen musste zig Untersuchungen über sich ergehen lassen und es stand lange Zeit in den Sternen ob sie überhaupt überleben würde. Dann hat Doc Fossil ein Serum entdeckt, eine spezielle Mischung aus verschiedenen Substanzen und Kajium, dem so genannten Anti-Aramea... Es blockiert in Victoria die Emotionen und hält den Parasiten weiter in seinem Schlaf..." Das Oberhaupt reichte Kevin die Unterlagen über den Fall Victoria Sommerset, doch der Elementare nahm sie nicht an. Er war gelähmt vor Schrecken und ein schwerer Kloß saß in seinem Hals, um ihm das Atmen zu erschweren. Eigentlich wollte er raus aus dem Büro, weg von dem Oberhaupt, denn in ihm keimte langsam die beängstigende Angst, dass diese Geschichte zu einem schrecklichen Schluss führen würde... Ohne ihre Medikamente wartet auf sie nur der Tod... Die Worte hallten immer und immer wieder in seinem Kopf. "Wieso... wieso muss dieses Serum ihr die Gefühle nehmen?", brachte Kevin schließlich zwischen zusammengepressten Kiefern hervor. Das Oberhaupt verstaute die Unterlagen wieder, ehe er antwortete: "Gefühle steigern den Puls. Empfindet man Angst, Trauer, Wut...oder Liebe...dann fängt das Herz an schneller zu schlagen. Der Parasit in ihrem Körper nimmt das wahr und wird dadurch langsam aus seinem Schlaf gerissen. Wenn das geschieht, würde er damit weitermachen Victorias Körper von innen aufzufressen, angefangen bei dem Herz. Sie würde sterben..." Sterben... Entsetzt wich Kevin einen Schritt zurück und starrte das Oberhaupt an, flehend und hoffend, dass irgendetwas an der Geschichte nicht stimmte. Doch in den blauen Augen des mysteriösen Mannes fand er nur Mitleid. Ohne ihre Medikamente wartet auf sie nur der Tod... "Nein..." Sie würde sterben... "Nein, nein, nein! Nein!" Wieder wurde Kevin von einem Gefühl völlig überschwemmt, doch es war nicht die ihm vertraute Wut, sondern eine grausame Hilflosigkeit, die ihn von innen heraus auffraß wie ein Parasit des Däezander. Der Elementare wusste worauf die Erzählung des Oberhauptes hinauslief. Victoria durfte keine Gefühle haben wenn sie am Leben bleiben wollte, doch durch ihn wollte sie wieder Gefühle haben. Sie wollte Liebe spüren, eine verlorene Liebe, eine Liebe von der sie wusste, dass sie sie töten würde... Kevin konnte sich kein grausameres Schicksal vorstellen. "Es tut mir Leid, Kevin, doch vielleicht verstehst du jetzt warum ich anordnen musste eure Beziehung zu beenden... Victoria läuft in ihr Verderben... Bei ihrem ersten Anfall war es nur das Aramea, das Assessina ihr eingeflößt hatte um den Parasiten zu stärken, doch beim zweiten Mal lag es an dem bewussten Verzicht auf die Medikamente... Es wird wieder geschehen, wenn sie die Kapseln nicht nimmt..." Sie würde sterben... "Das ist nicht fair... DAS IST NICHT FAIR!" Kevin verlor die Kontrolle. Ohnmächtig vor Verzweiflung griff er nach dem erstbesten Aktenordner und schleuderte ihn quer durch den Raum, so dass die Blätter im ganzen Zimmer herumflogen. Er wusste, dass es falsch war, doch er musste sich irgendwie austoben, er musste seinen Gefühlen ein Ventil geben. "Warum können wir in diesem Krieg kein Glück finden?" Ein zweiter Aktenordner flog, dann ein dritter, der gegen die Wand klatschte und ein Bild mit zu Boden riss. Das Oberhaupt zuckte nicht einmal ein bisschen zusammen, seine mitfühlenden Augen waren traurig auf den tobenden Elementaren gerichtet. "Warum? Warum?" Nachdem Kevin schließlich den vierten Aktenordner gegen das plätschernde Wasserspiel geschmissen hatte und kaltes Wasser durch das Zimmer spritzte, war der Anfall plötzlich vorbei. Erschöpft brach der Elementare zwischen seinem angerichteten Chaos auf dem Fußboden zusammen. Tränen wollten sich in seinen Augen sammeln, zum ersten Mal seit er seinen alten Freund vor vielen, vielen Jahren beinahe verbrannt hatte. "Warum... darf ich sie nicht lieben...?" Nach diesen Worten weinte Kevin Douglas. Er weinte hemmungslos und heftig wie ein kleines Kind und hatte nicht einmal mehr den Willen das Schluchzen zu unterdrücken, während die Tränen ungehindert von seinem Kinn auf den Teppich tropften. "Victoria opfert ihr Leben für mich... Und ich würde alles für sie geben... Trotzdem...dürfen wir uns nicht lieben..." Ohne sich umzusehen zwang sich der Elementare zurück auf seine Füße. Seine Schritte waren so unsicher, dass er schwankte und sich einen Augenblick lang mit verkrampften Fingern am Türrahmen abstützen musste. Die Salzspuren seiner Tränen glitzerten noch auf seinen Wangen. "Danke... für die Wahrheit...", murmelte Kevin zum Abschied kraftlos, ehe er mit hängenden Schultern aus dem Büro ging... An diesem Abend lag Kevin lange in seinem Bett und starrte im Dunkeln an die Decke, während im Hintergrund aus seiner Musikanlage die letzten Töne von Audioslave verhallten. Danach war es bis auf sein gleichmäßiges Atmen still im Zimmer des Elementaren. Nur wenn man ganz genau hinhörte konnte man noch das leise Rauschen der Wellen wahrnehmen, doch Kevin war dafür viel zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Die Worte von Dunkan und dem Oberhaupt schwirrten in seinem Schädel herum bis er Kopfschmerzen bekam und eine Frage tauchte immer wieder von neuem zwischen ihnen auf: Was wirst du nun tun? Kevin wusste, dass es nur zwei Möglichkeiten gab und jede von ihnen grausam sein würde. Wenn er weiter mit Victoria zusammen sein wollte, hatte sie auf kurz oder lang keine Überlebenschance mehr, doch wenn er die Beziehung aufgab, würde er seinen meistgeliebten Mensch auf Erden für immer verlieren. Es war unmenschlich so eine Entscheidung treffen zu müssen... Plötzlich wurde Kevin aus seinen Gedanken gerissen. Seine Zimmertür öffnete sich leise knarrend und ließ ein wenig Licht aus dem Flur herein, so dass er die schwarze Silhouette einer Person sehen konnte, die vorsichtig in den Raum trat. "Kevin?", flüsterte eine weibliche Stimme unsicher, "Schläfst du schon?" Das Herz des Elementaren machte einen Hüpfer. "Victoria?" Er beobachtete die Telepathin verwirrt, während sie die Tür wieder lautlos hinter sich schloss und unschlüssig mitten in seinem Zimmer stehen blieb. Sie trug nur ein weites weißes T-Shirt und eine blaue kurze Hosen, die sie offenbar zum Schlafen benutzte. Ihre eisblauen Augen leuchteten in der Dunkelheit. "Ist alles in Ordnung?" "Ich konnte nicht schlafen... Und irgendwie hab ich mich alleine gefühlt...", murmelte Victoria, als wären es Worte, die sie nicht gewohnt war auszusprechen. "Möchtest du... hier bleiben?", fragte Kevin sanft. Allein bei ihrem Anblick spielten die Gefühle in ihm wieder verrückt. Die ganzen positiven Empfindungen der letzten Tage vermischten sich mit den ebenso schrecklichen Emotionen, die ihn heute heimgesucht hatten, bis dem Elementaren gar nicht mehr wusste wo ihm der Kopf stand. Als Victoria auch noch zögerlich nickte, schien sich ein Stein in seinem Magen festzusetzen. Trotzdem versuchte er sich nichts anmerken zu lassen, als er die Decke ein Stück anhob und auf seinem geräumigen Bett nach hinten rutschte, so dass die Telepathin neben ihm Platz hatte. Sie kroch schnell unter die Decke und kuschelte sich an sie, während ihre Finger nach Kevins Hand tasteten und sie festhielten. "Danke..." "Kein Problem", hauchte der Feuerelementare, ehe er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn tupfte und ihre Hand drückte. Dabei bemerkte er, dass sie sich kälter anfühlte als sonst und ihre Haut selbst im schwachen Licht des Mondes blasser war. Fragend schaute er seiner Freundin in die Augen, doch sie wich dem Blick schnell aus und legte sich mit dem Rücken zu ihm auf die Seite. Er folgte ihrer Bewegung, drückte sich ganz leicht mit dem Bauch gegen ihren Rücken und schloss ihre Arme um sie, um die Telepathin mit seiner Körpertemperatur zu wärmen. Die Kälte Victorias war ein starker Kontrast zu seiner Hitze. Eine Weile blieben sie einfach nur so liegen und Kevin genoss das Gefühl seine geliebte Telepathin bei sich zu haben, doch die Stille zwischen ihnen wurde schließlich unangenehm, so dass er das Gefühl hatte sie brechen zu müssen. "Was ist los?", flüsterte er ihr ins Ohr. "Mir ist kalt..." Sie kuschelte sich noch etwas enger an ihn. "Und ich habe Angst..." "Angst?" "Ja... Du hast mit Dunkan über mich geredet, oder?" Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Kevin wusste, dass sie wieder seine Gedanken gelesen haben musste und deswegen über alles bescheid wusste, was ihm im Kopf herumschwirrte: die Gespräche mit seinem Mentor und dem Oberhaupt und die grausame Wahl, die sich daraus ergeben hatte. Er nickte schwach und murmelte ein Wort der Zustimmung. Victorias Körper verkrampfte sich spürbar in seinen Armen. "Du hättest mich nicht belügen sollen..." "Ich hatte Angst vor deiner Entscheidung... Ich habe immer noch Angst davor", gestand die Telepathin zitternd. "Ich weiß, dass du niemanden für dich sterben lassen würdest, deswegen habe ich dir mein Problem verschwiegen und für mich selbst entschieden... Du kannst mich nicht davon abbringen zu fühlen... Ich will lieber nach ein paar Wochen mit dir sterben, als ein ganzes Leben lang einsam und gefühllos zu verbringen..." Victoria schluchzte kurz und griff schutzsuchend nach Kevins warmen Händen, während dieser sie noch fester an sich drückte und sein Gesicht in ihrem schwarzen Haar vergrub. Draußen rollten die Wellen wieder murmelnd gegen die Brandung und die gedämpften Stimmen zweier einzelner Lancelor wehten kurz ins Fenster herein. Dann war es wieder ruhig, abgesehen von der Wanduhr, die in der Dunkelheit gleichmäßig vor sich hintickte. "Was denkst du...?" "Ich... habe keine Ahnung...", seufzte Kevin ausgelaugt. Er fühlte sich plötzlich ausgebrannt und innen völlig leer, verloren und hoffnungslos. Victoria war das Einzige, das er sich bei den Lancelor je gewünscht hatte. Nun musste er sich darauf gefasst machen bald von ihr Abschied zu nehmen, so oder so... "Ich will dich nicht verlieren... Doch egal was ich tue, ich werde dich verlieren... Wir haben keine gemeinsame Zukunft..." "Ich weiß...", wisperte Victoria traurig. "Aber ich will, auch wenn es schwer fällt, die letzten Tage und Wochen genießen, die mir gegeben sind... Der Parasit soll mein Herz ruhig fressen wenn es soweit ist, aber bis dahin werde ich es so gut es geht mit Gefühl füllen..." Mit einer schnellen Bewegung drehte sich die Telepathin in Kevins Umarmung herum, sah ihm in die Augen und küsste ihn liebevoll. Der Elementare schloss die Augen und genoss die Berührung, auch wenn sie innerlich schrecklich wehtat, denn er wusste, dass Victoria schon bald nicht mehr da sein würde. Es hatte keinen Sinn darüber zu streiten. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen und nichts was er sagen würde, könnte sie umstimmen... Sie wird sterben... Und noch während sie sich küssten, liefen Kevin zum zweiten Mal an diesem Tag Tränen über die Wangen. Auch Victoria weinte. Trotzdem hielten sie sich fest, klammerten sich aneinander und suchten Trost in den Armen des anderen. Wer konnte schon sagen, wie viel Zeit ihnen überhaupt noch blieb? -------------------------------------- Nächstes Mal: Die Wege der jungen Lancelor trennen sich... Und einer von ihnen wird dabei gänzlich verloren gehen... Kapitel 24: Getrennte Wege -------------------------- Ein weiteres mal danke ich meinen Lesern und meinen treuen Kommischreibern Schattenthron, nilfen und Tikal, die mir trotz der unregeläßigen Uploads immer beistehen^^ Schreibe übrigens im Moment am LETZTEN KAPITEL! Ihr könnt euch also wahrscheinlich bald auf schnellere und regelmäßige Uploads freuen^^ Sonst ohne viele Umschweife: ----------------------------------- Kapitel XXI - Getrennte Wege Zeliarina kaute krampfhaft an ihrem Marmeladenbrötchen herum, obwohl sich ihr Magen mit aller Macht dagegen sträubte etwas aufzunehmen. Sie fühlte sich müde und schlecht und wollte eigentlich einfach nur irgendwo schlafen, trotzdem zwang sie sich dazu vorher wenigstens ein bisschen zu essen. In den letzten Tagen hatte sie so besorgt über Dymeon gewacht, dass sie weder besonders viel gegessen oder getrunken, noch besonders viel geschlafen hatte. Jetzt bereute die Donnerhexe das langsam, denn ihr Körper zeigte ihr deutlich, dass sie damit zu weit gegangen war. Einerseits schrie er nach Nahrung, andererseits rebellierte er angewidert gegen das Brötchen und dessen Geschmack und Geruch, die dank der langen Zeit im sterilen Krankenzimmer unerträglich intensiv auf sie eindrangen. "Mir ist schlecht...", klagte sie, während sie einen weiteren Bissen hinunterquälte. Melissa, die ihr gegenüber saß und mit herzzerreißender, ausdrucksloser Miene an einer Bleistiftzeichnung arbeitete, reagierte nicht darauf. Das Mädchen mit dem Silberauge hatte seit ihrer Rückkehr in den Orden fast gar nicht geredet und wirkte immer merkwürdig abwesend, so als befände sich ihr Geist nicht in der wirklichen Realität. Doc Fossil kümmerte sich zwar so gut es ging um diese offensichtliche Folge ihres Schocks, doch bis jetzt hatte sie keine Erfolge erzielt. Melissa blieb in sich gekehrt und ihre Haut besaß immer noch eine ungesunde grauweiße Farbe. "Dieses Bild", murmelte sie schließlich mit matter Stimme, "ist schrecklich..." Unzufrieden legte sie den Bleistift beiseite und schob das Papier soweit wie möglich von sich. Zeliarina erhaschte dabei einen Blick auf das Bild. Es zeigte Dymeon, gefesselt an Händen und Füßen und durchbohrt von dem silbernen Schwert Excalibur. Schatten lagen auf seinem Gesicht, die schwarzen Haare fielen weit über seine Stirn, längst getrocknete Blutflecken zierten den Mantel. Die Szene wirkte so echt, dass Zeliarina nur ein Wort dafür einfiel: "Perfekt..." "Ja... Es ist perfekt...", zischte Melissa, als wäre es eine Beleidigung. "Und das ist, was ich daran so hasse... Es ist einfach nicht von mir, sondern von diesem verfluchten Silberarm... Das bin nicht ich, das ist nicht meine Kunst, das ist ein verdammtes Werk von diesem verdammten Ereos..." Ohne ein weiteres Wort erhob sich die Lancelorin und ließ Zeliarina alleine zurück. Die Donnerhexe sah ihr nach, bis sie hinter einer Tür verschwunden war, und machte sich wie so oft in letzter Zeit Sorgen um sie. Gleichzeitig bemerkte sie Victoria und Kevin, die Hand in Hand auf ihren Tisch zusteuerten. Das Pärchen grüßte sie freundlich und setzte sich zu ihr. Victoria sah sich nachdenklich in dem Essensaal um, während Kevin ein gezwungenes Lächeln aufsetzte und anfing ein bisschen an seinem mitgebrachten Essen zu knabbern. Zeliarina wusste sofort, dass ihn irgendetwas beschäftigte. Sie war keine Telepathin, doch im Laufe ihrer Karriere als Lancelorin hatten sich ihre Hexenkräfte deutlich verstärkt, so dass sie problemlos in Kevins Herz schauen konnte und dort sah, dass er letzte Nacht vor Trauer geweint hatte. Victoria Herz blieb wie immer von einer dunklen Aura, die Zeliarinas Fähigkeiten abwehrte, abgeschirmt. "Wie geht's euch?", fragte die Wächterin Thundenstars möglichst beiläufig. "Gut", antwortete Kevin knapp. Er log. Zeliarina verstand nicht was mit ihren beiden Freunden passiert war, denn in den letzten Tage schwebten sie noch vollkommen glücklich auf Wolke Sieben, doch sie war bereits so fertig von ihrer Angst um Dymeon und Melissa, dass sie sich nicht dazu bringen konnte zu fragen. Stattdessen setzte sie ein freundliches Lächeln auf und spielte die Scharade mit. "Das ist schön..." Victoria stand auf und gesellte sich kurz an einem anderen Tisch zu Doc Fossil, die von ihren langen Schichten dunkle Ringe unter den Augen hatte. Zeliarina hörte nicht was sie besprachen, doch die Ärztin wirkte gar nicht begeistert, während Victoria ihr irgendetwas in ihrer typischen monotonen Art zu erklären schien. Seufzend schaute Zeliarina wieder zurück zu Kevin und sah gerade noch wie der Elementare irgendetwas mit Victorias Frühstücksmüsli anstellte, ehe er seine Hand unter ihrem Blick schlagartig wieder wegzog. "Wie geht es Dymeon?", erkundigte sich Kevin mit einem nervösen Grinsen, offensichtlich darauf bedacht abzulenken. Was ist hier los...? Als sich die Übelkeit wieder kurz bemerkbar machte, entschied Zeliarina sich nicht in das Ganze einzumischen. Kevin wusste was er tat, das hoffte sie zumindest. In seinem Herz jedenfalls las sie nicht die geringsten Anzeichen einer bösen Einstellung. "Weder besser noch schlechter... Doc Fossil versucht alles um ihn zu retten, aber wir haben bei der Entwicklung unserer Waffensysteme gute Arbeit geleistet. Ein Dämon, der zwei Heilige abbekommt, ist so gut wie tot..." "Das tut mir Leid..." "Dymeon schafft das schon... Ich vertraue ihm", antwortete Zeliarina mit mehr Zuversicht als sie eigentlich besaß. Trotzdem schenkte sie Kevin ein weiteres freundliches Lächeln, auch um ihn ein wenig aufzumuntern. Als Victoria zu ihnen zurückkehrte, aßen alle drei jungen Lancelor schweigend. Kevin warf Victoria immer wieder aus den Augenwinkeln unauffällige Blicke zu, die nur Zeliarina sehen konnte, weil sie ihm gegenüber saß. Irgendwie machte sie das nervös... Und ihr Verdacht bestätigte sich, als Victorias Kopf plötzlich völlig unerwartet herumfuhr. Die Telepathin hatte noch den letzten Löffel ihres Müslis in der Hand, ließ ihn jedoch klappernd zurück in die Schüssel fallen und starrte Kevin und Zeliarina mit einer Intensität an, die keinen Zweifel daran ließ, dass sie ihre telepathischen Kräfte einsetzte. Nach ein paar Sekunden Blickkontakt mit Kevin weiteten sich ihre Augen schließlich entsetzt. "Nein...", hauchte die schöne Lancelorin. "NEIN!" Kevin erwiderte ihren Blick traurig, bis Victoria von ihrem Stuhl aufsprang und dabei ihre Schüssel umriss. Milch und letzte Müslireste vergossen sich auf dem Boden, gefolgt von der weißen Schale, die zerschellte und sich in Scherben über den Boden verteilte. Victoria reagierte gar nicht darauf, ihre Augen waren fassungslos auf Kevin gerichtet, so wie die Augen vieler anderer Lancelor im Saal, einschließlich Zeliarinas. "Was hast du getan?", wimmerte die Telepathin aufgelöst. Ihre Stimme bebte und ihre Hände zitterten so heftig, dass sie sie zur Beruhigung in den Stoff ihres Oberteils verkrallen musste. Sogar Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln. "Wieso... hast du das getan...?" "Es war richtig so...", meinte Kevin nicht weniger traurig, "Ich bin dein Leben nicht wert..." "Nach all dem, was wir gestern gesagt haben... Nach all dem, was wir in den letzten Tagen geteilt haben... Nach all dem, was wir füreinander empfinden... Wie konntest du mich so hintergehen und diese Teufelsdinger in mein Essen tun?", weinte Victoria ungeniert. "Die Kapseln werden gleich wirken...", stellte Kevin fest. Zeliarina konnte den Elementaren nur fassungslos anstarren. Auch wenn sie überhaupt keine Ahnung hatte worum es ging, sah sie doch wie viel Anstrengung es ihn kostete gefasst zu bleiben. Ruhig stand er auf, küsste die überraschte Victoria kurz und kehrte ihr anschließend den Rücken zu. "Es tut mir Leid... Ich liebe dich..." Damit verließ er den Speisesaal. Melissa hätte mit ihrem Silberauge gesehen wie er verzweifelt vor dem Brunnen im Innenhof Falcaniars zusammenbrach, kaum dass er den Essenraum hinter sich gelassen hatte... Es tut mir Leid, Victoria... Aber ich will, dass dein Herz weiter schlägt... Du sollst leben... Der Grabhügel der Lancelor war nur spärlich mit ein paar Fackeln und dämmrigen Lampen beleuchtet. Ruhestätten und Gräber zogen sich in einem weitläufigen unterirdischen System aus Gängen, Nischen und versteckten Ecken weit über die Insel, so dass den Trauernden bei ihren Besuchen eine gewisse Privatsphäre gegönnt wurde... Selen mochte den Friedhof. Sie besuchte ihn schon seit sie denken konnte und jedes Mal wurde sie dabei mit einer angenehmen Ruhe erfüllt, die ihre vielen Sorgen und Probleme wenigstens für eine Weile aus ihrem Kopf bannte. Wenn sie vor den Gedenksteinen ihrer Liebsten stand und frische Blumen brachte, war das für sie eigentlich nie ein qualvoller Moment bei dem sie Tränen vergoss. Doch seit ein paar Tagen hatte sich das alles verändert. Neben den Gräbern ihrer Großeltern und Eltern, die alle tapfer für die Ideale des Ordens gestorben waren, befand sich nun auch eine kleine Marmorplatte, in die der Name Batista Rodrigez eingraviert war. Immer wenn sie diesen Namen las, brachen plötzlich alte Erinnerungen mit einer beängstigenden Kraft auf sie ein und zerstörten ihre Ruhe, bis sie zitternd und schluchzend weinte. Sie konnte nicht vergessen wie Melissas Kugel seinen Hals durchschlagen hatte, wie er direkt neben ihr tot zu Boden gestürzt war. Der brennende Schmerz in ihrem Bauch kam ihr in den Sinn und sie fuhr sich nachdenklich über die bandagierte Schusswunde. Es war so plötzlich geschehen... Sie hatte nichts mehr zu ihm sagen können und er hatte keine letzten Worte an sie richten können. Es war nicht wie in diesen theatralischen Filmen, bei denen sich der Todgeweihte noch einmal mit großen Worten aus dem Leben verabschiedete. In der Realität waren nur ein Knall und ein Blinzeln vergangenen, bis Batista gestorben war... Selens Hand verkrampfte sich um die weißen Rosen in ihrer Hand und sie musste sie schnell vor den Gräbern ihrer Familie und ihres besten Freundes ablegen, damit sie sich nicht die Dornen ins Fleisch drückte. Mit der anderen Hand wischte sie grob die Tränen weg, nur damit diese von Neuen ersetzt werden konnten. "Es ist so schwer ohne dich, Batista...", flüsterte sie mit erstickter Stimme, "Nie habe ich mich so allein gefühlt... Ich wünschte ich hätte deinen Tod verhindern können... Und das Schlimmste ist, dass deine Mörderin auch noch frei in Falcaniar herumläuft, weil sie wegen Ereos' Einfluss für unzurechnungsfähig erklärt wurde... Zum ersten Mal kann ich Pendrians Gefühle verstehen. Es macht einen wahnsinnig keine Rache nehmen zu können..." Sie zog ihren schweren dunklen Mantel enger um den Körper und versuchte die zunehmende Kälte in den Katakomben zu ignorieren. "Doch ich werde nicht in endlose Trauer verfallen, keine Angst...", meinte sie schließlich mit dem plötzlichen Anflug eines grimmigen Lächelns. "Bei den Lancelor ist es die Aufgabe der Lebenden weiterzugehen und weiterzukämpfen... Das Oberhaupt sagt immer: ,Man darf nicht die Asche in einer Kiste verwahren, sondern man muss die Flamme weiter brennen lassen...'" "Und die Flamme wird brennen...", stimmte jemand neben ihr zu. Selen starrte weiter auf die weißen Grabsteine zu ihren Füßen, doch aus den Augenwinkeln konnte sie Kevins schneeweißes Haar sehen und die Wärme spüren, die von einem flackernden Feuerball in seiner Hand ausging. Sie musste lächeln, als sie bemerkte wie die Kälte um sie herum langsam verschwand und sie den Mantel wieder etwas lockern konnte. "Die Flamme der Lancelor wird fortbestehen, ihr Mut, ihre Hoffnung, ihre Ideale und Lieben werden brennen und brennen und brennen, bis der Däezander darunter zu Staub zerfällt..." Bei seinen Worten wurde Kevins Feuerkugel ständig größer, bis ihre ausgehende Wärme zu intensiver Hitze wurde. Selen spürte in dem Elementaren die unerschöpfliche Hoffnung, die alle so an ihm schätzten, vermischt mit Entschlossenheit und einer aus Trauer geborenen Wut, die sich versuchte selbstständig zu machen. Schließlich bemerkte Kevin seine Rage. Sie verging schnell, während der Flammenball in seiner Hand wieder auf eine angenehme Temperatur herabsank. "Sorry... In letzter Zeit geht's öfter mal mit mir durch..." "Kein Problem..." Selen löste den Blick immer noch nicht von den in Marmor stehenden Namen. Sie fühlte Hoffnung und Zuversicht in Kevin bis zu einem Grad ansteigen, den sie bei einem Menschen nie für möglich gehalten hätte. Trotz der Trennung, die er erst kürzlich mit Victoria durchlebt hatte, zeigte er keine Anzeichen davon, dass er verzweifelte. In dieser Hinsicht ähnelte er irgendwie seinem Mentor Dunkan. Sie waren Motivatoren und Vorbilder und immer wenn Selen in ihrer Nähe war, spürte sie auch ihre eigenen Gedanken positiver werden. "Hoffnung..." Selen probierte das Wort auf der Zunge. "Sie ist das Einzige, das uns bleibt wenn alles andere um uns herum vergeht..." In unendlich dunkleren Gefilden lehnte Rishak, die Reinkarnation Urrurdocs, an einer glatten Wand aus schwarzem Stein und grünem Kristall, während seine dunklen Augen den Beschwörungszirkel in der Mitte des Raums der Rituale betrachteten. Hier war er geboren worden. Innerhalb des Runenzirkels hatte man ihn aus einem Götterschwert und Blut erschaffen, um den Däezander mit seiner ungeheuren Macht zu unterstützen. Eine kranke, unnatürliche Existenz, die wir führen... Eigentlich nahm Rishak nur an dieser Beschwörung teil, um einmal selbst zu sehen wie ein Dämon aus leblosen Dingen kreiert wurde. Außerdem hatte der Dämonenvater, der jetzt vor dem Zirkel kniete um seine Kräfte für die bevorstehende Zeremonie zu sammeln, ihn ausdrücklich darum gebeten anwesend zu sein. Auch die anderen Schattenklingen warteten geduldig auf den Beginn des Rituals. Cenior stand aufrecht mitten im Raum, die Arme vor der Brust verschränkt, während Ereos unaufhörlich auf und ab schritt. Als der Dämon mit den Purpuraugen von dem Vorhaben des Dämonenvaters erfahren hatte, war zum ersten Mal ein Gefühl an ihm zu spüren gewesen, das stärker war als sein Hass... Der Dämonenvater erhob sich lautlos, die Hände in seiner weiten Kutte verborgen. "Bringt die Bestandteile", flüsterte er mit rauer Stimme, ohne den Blick von dem Beschwörungszirkel zu nehmen. Cenior nickte, lief zu einer unbeleuchteten Ecke des Raumes und hob dort einen schwarzen Beutel, ein kleines Fläschchen und ein Holzkästchen vom Boden auf. Mit den Utensilien trat er unaufgefordert an die Seite des Dämonenvaters. "Geboren aus Gift sollst du auferstehen...", zischte der Vermummte eisig. Cenior zog die Kordel des schwarzen Beutels auf und stellte ihn auf den Kopf, so dass verschiedenste Schlangen, Spinnen, Pilze, Pflanzen und Insekten heraus fielen und auf den harten Obsidianboden des Beschwörungszirkels klatschten. "Geboren aus Blut sollst du auferstehen..." Als nächstes entkorkte Cenior das kleine Fläschchen und ließ die rote Flüssigkeit darin aus möglichst großer Höhe auf die giftigen Dinge tropfen. Noch bevor der Dämonenvater weiter sprach, platzierte er außerdem den Inhalt des Kästchens in der Mitte des Zirkels. Es handelte sich um ein Stück vergilbten Knochen... "Das Aramea dieser Hallen soll durch deine Adern rauschen... Und deine dämonische Seele soll zurückkehren aus dem Jenseits und in die neue Hülle fahren, die wir dir darbieten... Kehre zurück zu uns, Schwester... Kehre zurück zu uns, nimm deinen Platz in unseren Reihen ein und verbrenne die Menschheit mit der blauen Sonne..." Die Stimme des Dämonenvaters war nur noch ein kaum hörbarer Hauch. "Kehre zurück... Assessina..." Rote und grüne Rauchschwaden brodelten am Boden, türmten sich auf, wirbelten herum, verbanden sich, teilten sich, vermehrten sich. Die Silhouette eines nackten, weiblichen Körpers war in dem farbigen Rauch zu erkennen, ehe die Stille im Raum der Rituale von einem unirdischen Schrei des Triumphes zerrissen wurde... Zeliarina vertrieb sich ihre Zeit an Dymeons Seite damit ein Buch zu schreiben. Sie wusste nicht mehr genau wie lange es her war, dass Doc Fossil ihr vorgeschlagen hatte die vielen unglaublichen Geschehnisse um den Götterschwertkrieg festzuhalten, doch irgendwann während des endlosen Wartens am Krankenbett ihres Schutzritters hatte sie einfach Stift und Papier in die Hand genommen und geschrieben. Es war ganz einfach gewesen. Durch die vielen Geschichten, die sie den jungen Begabten regelmäßig erzählte, hatte sie sich einen guten, spannungsvollen Schreibstil angewöhnt. Ideen brauchte sie keine, es reichte völlig aus die letzten eineinhalb Jahre aufzuschreiben um eine fantastische Geschichte von epischen Ausmaßen zu kreieren, die jeden Leser fesseln würde. Außerdem half ihre Arbeit ihr dabei die vergangenen Erlebnisse weiter zu verarbeiten und einige Zusammenhänge bewusster wahrzunehmen. Sie hatte schon einen halben A4-Block voll. Während sie über ihre erste Begegnung mit Kevin und Victoria schrieb, hielt sie kurz inne und dachte zurück an die Szene im Essensaal, die sich vor ihren Augen zwischen den zwei jungen Lancelor abgespielt hatte. Seitdem hatten sie sich ziemlich verändert. Victoria hatte sich in ihr emotionsloses Selbst von früher zurückverwandelt und Kevin saß tagelang nur noch in seinem Zimmer oder besuchte den Grabhügel. Zeliarina hatte kaum ein Wort mit den beiden gewechselt, genauso wenig wie mit Melissa. Seufzend schrieb sie weiter. Nur ab und zu machte sie kurze Pausen, um einen Blick auf Dymeon zu werfen. Der Dämon hatte sein Bewusstsein noch nicht zurückerlangt, auch wenn es nach Doc Fossils Meinung mit ihm langsam wieder bergauf ging. Er lag in einem Bett, das am Kopfende deutlich erhöht worden war, damit das körpereigene Aramea des Dämons leichter von seinem Kopf abwärts fließen konnte. Die Schusswunden waren mit Verbänden umwickelt und mehrere Schläuche führten nah an den Verletzungen in Dymeons Haut, damit die von Kajium zerstörte Dämonenregenration durch verschiedene Substanzen wieder in Gang gebracht werden konnte. Auch seine Augen waren verbunden und die Ohren zugestöpselt. "Ach Dymeon... Das kommt dabei heraus wenn du immer versuchst alles und jeden zu retten... Du hast dich selbst geopfert, um Melissa wieder auf unsere Seite zu ziehen..." Als Antwort rührte sich der Dämon plötzlich. Zeliarina ließ vor Überraschung den Block aus ihrer Hand gleiten und zu Boden fallen, ohne ihn zu beachten. Ihr Blick war auf ihren Schutzritter gerichtet. Atemlos wartete sie darauf, dass er sich noch einmal bewegte. "Ze...", begann Dymeon schließlich kraftlos, ehe er verwirrt wieder abbrach, weil er durch die Stöpsel in seinen Ohren seine eigene Stimme nicht hören konnte. Zeliarina kniete sich schnell neben sein Bett und befreite ihn liebevoll von dem Hörschutz. "Hallo Dymeon", flüsterte sie lächelnd. Der Dämon folgte ihrer Stimme und drehte seinen Kopf ein Stück zu ihr, auch wenn deutlich zu sehen war wie viel Anstrengung ihn das kostete. "Zel...?" "Ja... Keine Angst, ich bin hier...", murmelte sie beruhigend, während ihre mit Runen überzogene Hand vorsichtig über seine Stirn strich. Sie war kalt. "Ich... kann nichts sehen...", stellte Dymeon nüchtern fest. "Doc Fossil hat dir die Augen verbunden und die Ohren verstopft. Sie meinte es würde den Verbrauch deines Aramea minimieren, weil es durch jede Aufnahme äußerlicher Reize genutzt wird... Außerdem sollst du noch nicht so viel sprechen..." Dymeon lächelte kurz. "Cleveres Mädchen..." Zeliarina erwiderte sein Lächeln, auch wenn er es nicht sehen konnte, und griff nach seiner Hand, als diese suchend nach ihren Fingern tastete. Danach blieben sie einfach eine Weile so sitzen, schweigend, friedlich und die Finger immer noch ineinander verhakt. Keiner von ihnen hatte das Bedürfnis zu sprechen, sondern sie genossen einfach einen dieser seltenen Momente des Friedens, in denen man alles um sich herum zumindest für kurze Zeit vergaß... Nach ein paar weiteren Tagen ging es Dymeon deutlich besser. Er musste zwar immer noch blind im Bett bleiben und durfte sich nicht zu sehr bewegen, damit die Wunden, die nur nach und nach heilten, nicht wieder aufbrachen, aber ich denke meine Gesellschaft machte ihm den Aufenthalt zumindest ein bisschen angenehmer. Ich wusste, dass er es hasste hilflos zu sein. Ich wusste, dass er es nicht aushielt wenn er seiner Aufgabe als Schutzritter im Notfall nicht gerecht werden konnte, auch wenn er das nie zugab. Nach all der gemeinsamen Zeit kannte ich ihn in und auswendig... Doch in der Zeit, in der ich mich um Dymeon kümmerte, verlor ich meine menschlichen Gefährten gleichzeitig für eine Weile aus den Augen und bemerkte deswegen nicht ihren zunehmenden seelischen Verfall... Kevin blieb weiterhin allein in seinem Zimmer, außer er stellte sich einer Mission, die er jetzt immer häufiger antrat. Victoria war von ihrer Trennung mindestens genauso betroffen, doch durch den neuen Einsatz ihrer Medikamente spürte sie nicht die Trauer, die sie sich gewünscht hatte. Sie konnte die Kapseln auch nicht noch einmal absetzen, Doc Fossil achtete nun genau auf die regelmäßige Einnahme... Und Melissa... Sie blieb weiterhin völlig in sich zurückgezogen, sie redete kaum, aß wenig. Die ganze Zeit über zeichnete sie nur wunderschöne Bilder, die sie schlussendlich alle wieder vernichtete, weil sie die Perfektion ihres silbernen Armes nicht aushielt. Ich glaube in diesen Wochen ekelte sie sich vor ihrem Silberarm und wünschte sich lieber den bandagierten Stumpf zurück. Es war ein Fehler sie alleine zu lassen, genau wie es ein Fehler war Kevin und Victoria alleine zu lassen... Ich dachte ich würde noch viel Zeit mit ihnen verbringen können, ich dachte unsere Freundschaften würden ewig halten... Doch das Schicksal kannte kein Erbarmen... Heute bereue ich, dass ich mich nicht mehr um die drei gekümmert habe... Ich wünschte, uns wären mehr gemeinsame Tage geblieben... Die blitzende Klinge war klein, aber makellos scharf und schnitt problemlos durch das süße Fleisch des grünen Apfels, den Zeliarina in der Hand hielt. Sie ließ sich Zeit damit die Frucht mit dem Obstmesser in gleichgroße Stücke zu teilen und summte nebenbei leise ein Lied vor sich hin, das ihr zufällig in den Sinn gekommen war. Neben ihr lagen der dicke Schreibblock und die neueste Ausgabe einer englischen Zeitung, die Jessica am Morgen vorbeigebracht hatte. "Der Däezander ist also immer noch sehr aktiv...", stellte Dymeon fest, während er die Nachrichten aus der Zeitung noch einmal geistlich Revue passieren ließ: fünf weitere mysteriöse Morde in Kanada und mehr als ein Dutzend Vermisste über ganz Europa verteilt. Die Welle der unerklärbaren Gewalt hielt weiter an und überschwemmte die ganze Welt mit Schrecken. Selbst der Papst hatte sich bereits in einer Ansprache über die derzeitige Situation geäußert und an die Menschen appelliert zu ihrem Glauben und ihrer Hoffnung zurückzufinden. Gott stelle sie vor eine harte Prüfung und es läge an ihnen sich als würdig zu erweisen... Zeliarina legte die säuberlich geschnittenen Apfelstücke auf einen Teller und das kleine Obstmesser gleich daneben auf den Tisch. Es gab in der Tat eine Prüfung der Menschen, auch wenn sie anders aussah als es sich die christliche Religion vorstellte. Nicht Gott forderte sie heraus... "Du bist so still...", stellte Dymeon fest, während er seinen Kopf unbestimmt in ihre Richtung drehte. Auch wenn sich der Zustand des Dämons verbessert hatte, musste er noch immer die Augenbinde tragen und im Bett bleiben... "Tut mir Leid..." Zeliarina wusste, dass er ihre Stimme hören wollte um bei Laune gehalten zu werden. "Ich hatte nur gerade einen seltsamen Gedanken..." "Einen Gedanken?" "Ja...", meinte die Donnerhexe unsicher, "Ich dachte gerade an die Rede des Papstes. Und dabei habe ich mich irgendwie gefragt woher die Dämonen kommen wenn sie nicht aus der Hölle entspringen, so wie die Kirche es behauptet. Wenn es Gott nicht gibt, wieso gibt es dann die zwei Gottheiten der Shetan? Wer hat die Dämonen erschaffen? Wer hat den ersten Beschwörungszirkel erbaut und Leben kreiert...?" Dymeon zögerte lange, ehe er schlicht antworte: "Der Dämonenvater..." "Aber wer ist das? Was ist das? Ist er ein Shetan?" "Ich denke nicht... Ich habe ihn noch nie richtig gesehen, doch er hat die gleiche durch Aramea und Gefühle verursachte Aura wie ein Dämon, also denke ich, dass auch er einer ist..." "Ein Dämon, der die erste Dämonenbeschwörung vollzogen hat? Klingt irgendwie nicht sehr logisch... Fast wie die Frage von dem Huhn und dem Ei..." Dymeon zuckte nur mit den Achseln und lehnte sich in seine Kissen zurück. Als er hörte wie Zeliarina an sein Bett trat, öffnete er automatisch den Mund und ließ sich geduldig mit den Äpfeln füttern, die Doc Fossil verordnet hatte. Ihre Vitamine sollten dabei helfen das Aramea schneller wieder herzustellen. Nachdem er das letzte Stück heruntergeschluckt hatte, wischte er sich unbeholfen den Mund mit dem Ärmel seiner weißgrauen Krankenkleidung ab und fummelte schließlich mit den Fingern an seinem Augenverband herum. Zeliarina schlug ihm tadelnd auf die Hand. "Nicht! Du sollst ihn noch nicht abnehmen! Du würdest von dem plötzlichen Licht erblinden und deine Wunden könnten wieder aufgehen... Du wärst mir ein schöner Schutzritter... blind und halbtot..." Dymeon seufzte gequält, so dass Zeliarinas Stimme sofort weicher wurde. "Tut mir Leid... Ich will doch nur das Beste für dich..." "Ich weiß... Aber ich will endlich wieder sehen... Ich will...dich... sehen...", murmelte der Dämon, ehe er abrupt verstummte und seinen Kopf wieder von ihr wegdrehte. Zeliarina blieb wie betäubt neben dem Krankenbett stehen. Zum ersten Mal war sie dankbar für die Binde ihres Schutzritters, denn auf ihren Wangen zeichnete sich eine zarte Röte ab. "Dymeon..." Plötzlich wurde die Tür des Zimmers mit solch einer Wucht aufgerissen, dass sie hart gegen die Wand flog. Doc Fossil stürmte außer Atem herein, beugte sich Luft schnappend nach vorne, die Hände auf den Knien, und wartete solange bis sie wieder halbwegs sprechen konnte, bevor sie Zeliarina mit unruhigen Augen anstarrte. "Melissa ist weg!", stieß die Ärztin hervor. Dymeons Kopf schoss herum und Zeliarina warf Fossil verwirrte Blicke zu. "Weg?" "Wir haben schon die ganze Insel auf den Kopf gestellt, doch es ist als wäre sie vom Erdboden verschluckt worden. Es fehlen kein Boot und kein Hubschrauber. Trotzdem hat man sie seit über vierundzwanzig Stunden nicht mehr gesehen..." "Das ist doch unmöglich...", widersprach Zeliarina. "Gibt es Aufzeichnungen der Verteidigungssysteme?", fragte Dymeon ruhig. Die Donnerhexe warf ihm einen schnellen Blick zu, doch der Dämon ,sah' immer noch aus dem Fenster. Trotzdem verstand sie was der Dämon befürchtete und musste beim Anblick von Doc Fossil feststellen, dass diese dasselbe dachte. Sie glaubten Melissa könnte wieder zum Däezander zurückgekehrt sein... "Nein, keine dämonischen Aktivitäten... Doch bei Ereos..." Ereos trägt eine Drachenkette, er hat keine Aura... Zeliarina spürte wie sich ihre Eingeweide schmerzhaft verkrampften und ihr Herz anfing vor Aufregung schneller zu schlagen. Melissa war in den letzten Tagen tatsächlich sehr niedergeschlagen gewesen. Keiner wollte etwas mit ihr zu tun haben, nichts band sie noch an die Lancelor... Konnte es sein, dass das Mädchen mit dem Silberauge tatsächlich zurück zum Orden der Dämonen gegangen war, weil sie sich dort wohler fühlte? Befand sie sich wieder bei Ereos? Plötzlich befiel Zeliarina ein noch schrecklicher Einfall: vielleicht war Melissa nicht freiwillig gegangen. Vielleicht hatte Ereos sie verschleppt, weil sie den Lancelor hätte verraten können wo die Dämonenzuflucht lag... "Wir müssen sie suchen! Sofort!" "Aber wir haben schon..." "Dann sucht alles noch einmal ab! Stellt die ganze Festung auf den Kopf, durchsucht die Grabhügel, den Strand, die ganze Insel! Es kann doch nicht sein, dass ein Mädchen einfach unter unseren Augen verschwindet!" In ihrer Rage bemerkte Zeliarina nur flüchtig wie Doc Fossil nickte und das Zimmer wieder eilig verließ, während sie selbst nach ihrer Jacke griff. Dymeon wollte sich ebenfalls erheben, doch Zeliarina stieß ihren Schutzritter entschlossen zurück ins Bett. "Du bleibst schön hier liegen und ruhst dich weiter aus!" Und damit war auch sie aus dem Zimmer gerannt. Erschrockene Gesichter schwirrten an ihr vorbei, als sie durch den Flur des Krankenflügels rannte, verwunderte Lancelor, als sie in ihrem Tempo fast auf einer Treppe stürzte. Doch die Menschen um sie herum kümmerten sie in diesem Augenblick wenig, sie nahm sie gar nicht richtig war, sondern sie stürmte einfach weiter ziellos durch die Gänge, während sie versuchte irgendwo das Aufblitzen eines silbernen Armes oder lange weinrote Haare zu entdecken. Einmal glaubte sie an Jessica vorbeigelaufen zu sein und einmal rief ihr Selen eine Frage hinterher, doch sie rannte stur weiter, bis sie von Seitenstechen gequält wurde. Schließlich trat die Donnerhexe hinaus in den Innenhof. Dunkan und Siviusson standen mit Doc Fossil an dem schönen Brunnen und redeten erregt aufeinander ein. Zeliarina schloss schnell zu ihnen auf, während sie versuchte den heißen Schmerz in ihren Rippen zu ignorieren. "Gefunden?" Die drei älteren Lancelor schüttelten gleichzeitig den Kopf. "Keine Spur..." "Dann sucht weiter!" Ohne auf weitere Worte zu warten rannte Zeliarina an ihnen vorbei quer über den Hof, stieß die großen Eingangstore Falcaniars auf und raste Richtung Hügelgrab. Als sie dort niemanden fand, sprintete sie rastlos zum Strand und untersuchte jedes festgebundene Boot. Die Sonne ging inzwischen unter und färbte die Insel rotorange, doch Zeliarina sah sich weiterhin stundenlang nach Melissa mit dem Silberauge um. Erst als sie jeden nur erdenklichen Ort zweimal durchkämmt hatte und die Schmerzen in ihrer Seite zuviel für sie wurden, ließ sie sich in den kühlen Sand der Inselbucht fallen und rang nach Luft. Melissa... Wo bist du nur...? Jede Minute, die ergebnislos verstrich, ließ die Angst in Thundenstars Wächterin wachsen. Erinnerungen an eine Zeit, die ein ganzes Leben her zu sein schien, tauchten in ihrem Kopf auf, Erinnerungen an ihre ersten unbeschwerten Tage auf Falcaniar, Erinnerungen an wertvolle Momente, die sie mit ihrer Freundin Melissa geteilt hatte. Waren sie wirklich erst eineinhalb Jahre her? Ihr kam es vor wie eine ganze Ewigkeit... Und plötzlich, während sie keuchend und völlig verschwitzt im Sand lag, wusste sie plötzlich, wo sie Melissa finden würde. Wie in Trance erhob sich Zeliarina vom Boden und schritt nun langsamer über den Weg zurück nach Falcaniar, doch anstatt in die Feste zurückzukehren, lief sie einfach an dieser vorbei und näherte sich den steilen Klippen. Es wehte an diesem Tag nur ein schwaches Lüftchen und das Rauschen der Wellen war kaum zu hören. Zwei Möwen kreisten in einiger Entfernung über dem Wasser und kreischten. Zeliarina blieb eine Weile einfach nur am Rand des Abhanges stehen. Dann suchte sie nach dem kleinen Pfad, der sich verborgen durch die scharfen Felsen zog, und folgte ihm vorsichtig bis an den Fuß der Klippen. Ein schmaler Streifen nassen Sandes, der in gleichmäßigen Abständen von den Ausläufern der Wellen überspült wurde, umgab an dieser Stelle die Insel. Er war nur an wenigen Tagen des Jahres begehbar, da die Gewalten des Meeres meistens zu stark waren und jeden Menschen gegen die spitzen Felsen schmettern würden. Doch heute blieb die See ruhig, eine ideale Möglichkeit diesen geheimen Ort, den ihr Melissa irgendwann einmal gezeigt hatte, aufzusuchen... Melissa... Ich weiß, dass du hier bist... Unsere Zuflucht vor den nichtigen Problemen, die wir damals hatten bevor wir unsere Kindheit im Angesicht des brutalen Götterschwertkrieges verloren... Hier versteckten wir uns, wenn wir niemanden sehen wollten... Zeliarina musste nur ein kleines Stück gehen, um das zu finden was sie suchte... Schon von weitem sah sie Melissa auf einem großen Fels sitzen, den Rücken an die hohe Felswand gelehnt, die Augen unbestimmt in die Ferne gerichtet. Obwohl sich die Donnerhexe weiter näherte, reagierte Melissa nicht auf sie, sondern starrte weiter auf den fernen Horizont, an dem gerade die letzten Spuren roten Sonnenlichts verschwanden. Das Gesicht des deutschen Mädchens wirkte blass, fast ungesund wächsern. Erst als Zeliarina nur noch ein paar Meter von ihr entfernt war, bemerkte sie das getrocknete Blut an ihren Handgelenken... Melissa musste schon seit Stunden tot sein... Und wieder war eine mir teure Seele davongegangen... ---------------------------------- Nächstes Kapitel: Eine Beerdigung ohne Tränen... Letzte Worte des Abschieds... "Danke..." "Verzeih..." "Lebe wohl..." Kapitel 25: Lebe wohl... ------------------------ Hallo meine Lieben, neues kapitel im Anschmarsch. Die Geschichte ist jetzt endlich zuende, deswegen kann ich dich folgenden Kapitel sehr viel schneller hochladen^^ Viel Spaß damit. -------------------------------- Kapitel XXII - Lebe wohl... Als ich Melissa Westphal fand, war sie bereits elf Stunden lang tot. Sie hatte sich ihr nichtsilbernes Handgelenk aufgeschnitten und in Einsamkeit darauf gewartet, dass sie an dem Blutverlust sterben würde... Neben ihr lag noch das rot verschmierte Messer und ein Abschiedsbrief, den sie auf die Klinge gespießt hatte, damit der Wind ihn nicht davontragen konnte... Ich konnte mich zuerst nicht überwinden ihn zu lesen. Ich konnte einfach nur schweigend auf meine Freundin herabsehen, während die salzige Küstenbrise durch meine Haare wehte und das weißblaue Lancelortuch aufbauschte, das Melissa an den Griff ihres Messer gebunden hatte... Erst nachdem der Mond aufgegangen war und sein silbernes Licht auf ihr weißes Gesicht schien, konnte ich mich wieder genug fassen um Dunkan mit meinem Handy zu uns zu führen. Er blieb einen Moment lang wie angewurzelt stehen, als er zu uns stieß, ehe er mich ohne ein Wort in eine feste Umarmung schloss... Zwei Tage später fand Melissas Beerdigung statt... Die Zeit zwischen meinem grausigen Fund und dieser Beerdigung hat sich irgendwie völlig aus meinen Bewusstsein gelöscht. Ich weiß nicht mehr was ich in diesen zwei Tagen gemacht oder gesagt habe, alles ist nur ein unklarer Brei aus Gesichtern und Worten, den ich bis heute nicht entwirren konnte. Doch als ich dann in den Hügelgräbern vor Melissas Sarg stand und in ihr Gesicht blickte, das im Tod soviel friedlicher wirkte als im Leben, war mein Geist völlig klar. Es waren nur wenige zu der Beerdigung gekommen, nur Menschen, die Melissa aus der Zeit vor ihrem Aufenthalt beim Däezander kannten. Die meisten Lancelor sahen in ihr nur die Verräterin mit dem silbernen Arm, die sich Ereos angeschlossen hatte. Sie sahen in ihr nur das Mädchen, das den Palas Batista mit einem Schuss in die Kehle getötet hatte... Mir fiel auch auf, dass nicht eine Träne um sie vergossen wurde. Selbst meine Augen blieben trocken, denn obwohl mich Melissas Tod sehr mitnahm, fühlte ich mich gleichzeitig auf makabere Weise von einer schweren Last befreit, als der Deckel über ihren Sarg geschoben wurde und man sie im heiligen Boden des Grabhügels zur Ruhe bettete... Kevin und Victoria standen in sicherem Abstand zueinander neben mir, ihre Gesichter angespannt, doch nicht von Trauer gezeichnet. Ich glaube sie waren nur mir zu Liebe zu der Beerdigung gekommen. Dunkan nahm mich wieder in den Arm, doch ich erwiderte die Geste nicht. Meine Hand klammerte sich an Thundenstars Griff. Ich konnte fühlen, wie eine ungewohnte Ausstrahlung von dem Götterschwert ausging und es mir etwas mitteilen wollte. Es hatte schon mehrmals zu mir gesprochen, nicht mit Worten, sondern mit einer abstrakten Mischung aus Gefühlen und lautlosen Klängen, die direkt in meinem Hirn entstanden und sich dort zu einem Sinn formten. Auch damals spürte ich Thundenstars Lied. Es war melancholisch und von Kummer durchzogen. In meinem Kopf bildeten sich einen kurzen Augenblick lang Bilder von anderen Menschen, die die Klinge des Donners getragen und verschiedenste geliebte Menschen auf verschiedenste Weise bestattet hatten. Thundenstars Geschichte war mir genauso unbekannt wie die Geschichte seiner unzähligen Träger aus längst vergangenen Epochen, doch ich verstand die Aussage des Schwerts, als würde es flüstern: ,Tod säumt meinen Weg... Es ist das Schicksal meines Trägers allein zu sein...' Während ich die Klänge Thundenstars in mich aufnahm und die Kälte von Stahl und trockenem Leder an meinen Fingern spürte, zerdrückte meine andere Hand Melissas Abschiedsbrief in meiner Tasche. Kein anderer Lancelor hatte ihn je gelesen oder würde es in Zukunft tun, deswegen kamen sie nicht zu ihrer Beerdigung und sahen in ihr nur den Verräter... Sie würden Melissas Schmerz niemals so verstehen, wie ich ihn verstand... ,Liebe Zeliarina, wenn du das hier liest, werde ich längst nicht mehr sein... Ich habe keine großen letzten Worte zu sagen, denn das Messer wird für mich nicht mehr sein als eine feige Flucht aus den Qualen des Lebens, denen ich einfach nicht mehr entgegentreten kann. Jeden Tag wenn ich das silberne Glitzern meines Armes sehe, werde ich an die Gräuel erinnert, die ich in meiner Verzweiflung begangen habe. Jeden Tag muss ich daran denken wie ich unter den Feinden der Menschheit gelebt habe, wie ich es sogar einem erlaubte mein Bett zu teilen und wie ich den Einzigen von ihnen, der es gut mit mir meinte, beinahe getötet hätte... Und besonders kann ich mir nicht verzeihen, dass ich einem Menschen das Leben genommen habe. Die Erinnerungen quälen mich. Wahrscheinlich würden mir viele sagen, dass ich meine Taten im Leben büßen soll, doch ich bin nicht stark genug mich ihnen zu stellen. Ich bin nicht stark genug weiterzukämpfen... Für mich gibt es nur noch das zu sagen: Danke... Verzeih... Und lebe wohl... Ich weiß, dass du stärker sein wirst als ich. Du wirst weiterkämpfen... ~ Melissa ' Ich konnte genau sehen an welchen Stellen Melissas Tränen ihren Brief benetzt hatten... "Bald...", flüsterte Ereos leise in die Stille hinein. Er stand unbeweglich in einer weiten unterirdischen Höhle, so tief verborgen in den verworrenen Gängen des Däezander, dass sich selbst Dämonen nur selten an diesen Ort verirrten. Faules Wasser tropfte in gleichmäßigen Abständen von den Stalaktiten, die an der hohen, dunklen Decke hingen wie steinerne Fangzähne. Beleuchtet wurde die Halle nur von einem schwachen Glühen, das von mehreren ordentlichen nebeneinander gereihten Kästen aus transparentem grünen Aramea ausging, jeder etwa drei Meter hoch und breit. Ereos stand vor einer dieser Kammern, hatte die Hand an die leuchtende grüne Wand gedrückt und starrte mit ausdruckslosen Augen auf die regungslose Gestalt, die darin auf einer steinernen Barre lag. "Bald Assessina..." Sein Blick glitt über das rabenschwarze Haar der Dämonin, dann zu ihren Augen, die unter den geschlossenen Lidern giftgrün und geschlitzt waren, und weiter über den glänzend geschuppten Nacken und die wohlgeformten Kurven ihres Körpers. In Ereos' Augen erschien etwas Hungriges und Sehnsüchtiges, doch der Dämon blieb weiter an seinem Platz und beobachtete Assessina mit einer für ihn untypischen Geduld. Plötzlich zog das Gefühl einer näher kommenden Dämonenaura in Ereos' Kopf auf. Die Schattenklinge schaute nicht nach wem sie gehörte, selbst dann nicht als er leise Schritte über den felsigen Boden knirschen hören konnte und jemand unaufgefordert neben ihn trat. "Wie sieht's aus?", fragte Cenior ruhig. "Was willst du hier, Cenior?", knurrte Ereos taktlos zurück. Die Sehnsucht in seinen Augen erlosch so schnell wie eine ausgeblasene Kerze und hinterließ nur einen berechnenden harten Ausdruck, der dem Träger von Goth und Luna unfreundlich begegnete. Cenior schnaubte kurz und schüttelte spöttisch lächelnd den Kopf. Ereos erkannte, dass er nicht nur seine zwei üblichen Götterschwerter an der Hüfte trug, sondern auch noch Azuransas in der Hand hielt. Die blaue Sonne leuchtete jedoch nicht. "Freundlich wie immer, nicht wahr, Ereos?" "Was willst du?", wiederholte der Dämon mit den Purpuraugen stur. Einen Augenblick lang starrte er einfach nur auf Azuransas, dann wandte er sich wieder gleichgültig ab und beobachtete Assessina erneut durch die grüne Scheibe ihrer Arameakammer. "Ist sie inzwischen schon aufgewacht?", hakte Cenior unbeeindruckt nach, während er seinen Blick nicht von Ereos löste. Der Dämon mit den Purpuraugen nickte widerlich, als würde er mit sich ringen diese Information weiterzureichen. "Ja, sie ist wach. Sie ruht sich nur aus und sammelt die Kraft aus der Regenerationskammer... Bald wird sie wieder völlig einsatzbereit sein..." "Das wird unseren Vater freuen", stellte Cenior zufrieden fest, ehe er seinen Blick kurz über die verwundeten und frisch erschaffenen Dämonen schweifen ließ, die wie Assessina mit geschlossenen Augen auf einer Steinbarre innerhalb der Kammern lagen, um aus der Arameastrahlung der Wände neue Energie zu schöpfen. So funktionierte das im Däezander. Man benötigte keine Verbände oder Nadeln oder Mediziner, sondern nur das seltsame Gestein, das die Regenration der Dämon um ein Vielfaches beschleunigte. "Es gab in letzter Zeit viele Ausfälle...", murmelte Cenior, als er wieder Ereos und anschließend Azuransas in seinen Händen begutachtete. "Assessina wird uns stärken..." Ereos sagte nichts. Er wartete ungeduldig darauf, dass Cenior ihn wieder alleine lassen würde, doch der Dämon mit den Seelenbändern blieb ebenfalls an Ort und Stelle stehen, so dass beide Dämonen in völliger Stille die weibliche Schattenklinge in der Regenerationskammer betrachteten. "Du hast immer noch nicht gesagt, warum du eigentlich hier bist... Normalerweise gibt es hier keine Besucher...", sagte Ereos etwas weniger feindselig. Cenior hielt als Antwort Azuransas vor sich ausgestreckt. "Befehl vom Dämonenvater. Ich soll das Schwert wieder mit der ehemaligen Besitzerin vereinen, wenn diese wach geworden ist..." Seine Mundwinkel zuckten leicht. "Und was machst du hier?" "Geht dich nichts an...", fauchte Ereos unwirsch zurück. Cenior hob gleichgültig die Schultern. "Ganz wie du meinst..." Der Dämon mit den Seelenbändern machte einen Schritt auf Assessinas Arameakammer zu, hielt jedoch plötzlich wieder inne und fixierte Ereos erneut. Das Sehnsüchtige war wieder in die purpurnen Augen des Hochdämons zurückgekehrt. Dass ein Dämon tatsächlich zu solchen Empfindungen fähig ist... Vor allem ein Dämon wie er... Cenior zögerte einen Moment lang, ehe er Azuransas seufzend vor Ereos' Füße warf. Das dumpfe Klirren von Stahl auf Stein erfüllte die Halle, prallte mehrmals von den Wänden ab und verebbte schließlich wieder in der Stille. "Hier, nimm..." "Was soll das?", zischte Ereos misstrauisch. Bei dem plötzlichen Geräusch, das das aufschlagende Götterschwert verursacht hatte, war seine Hand automatisch unter seinen Mantel gewandert, um Excaliburs Griff zu umklammern. Ceniors Mundwinkel zuckten wieder, so als könnte er sich nur schwer ein Lächeln verkneifen. "Ich dachte nur, dass dir mehr dran liegt ihr das Schwert zu bringen..." Damit machte er auf dem Absatz kehrt und schritt langsam davon. "Du wirst doch wohl nicht rührselig, auf deine alten Tage!", rief Ereos ihm hinterher. Cenior blieb nicht stehen oder schaute zurück, sondern hob nur die Hand und winkte zum Abschied kurz. "Halt's Maul... Und bring Assessina ja das Schwert, sonst bekomme ich echte Probleme..." "Fahr zur Hölle, Cenior..." Obwohl keiner der beiden Dämonen auch nur ein freundliches Wort gesprochen hatte, fingen sie unabhängig voneinander an zu lächeln, so als hätten sie sich gelobt. "Es gibt keine Hölle... Und wenn doch, so wird sie eine echte Erholung von dem Chaos sein, das schon sehr bald auf dieser Erde tobt..." In der verborgenen Zuflucht reiften weiterhin dunkle Pläne heran... Ich dagegen trauerte um den Verlust von Melissa. Ich trauerte lange um sie, trauerte während Lancelor um mich herum in Missionen umkamen, trauerte während der Götterschwertkrieg immer länger andauerte. Das schlimmste Weihnachten, das ich je erleben sollte, zog an mir vorbei, dann schmolz der Winterschnee und ein neuer Frühling brach heran. Wie die ersten Blumen blühte auch ich zu dieser Zeit endlich wieder auf. Der Schmerz in meinem Herz war noch da, ein nagendes Gefühl des Verlustes, doch er verlor an Stärke, so dass ich wieder langsam nach vorne sehen konnte. Thundenstar sang ein leises Klagelied, das mich seit der Beerdigung ständig begleitete und immer dann besonders deutlich zu spüren war, wenn ich an Melissas Grab stand oder versuchte mit Kevin und Victoria zu sprechen... Die beiden waren mir irgendwie entrückt, jeder auf seine Weise... Oft fühlte ich mich daher allein und nur Dymeon und Dunkan konnten dieses Gefühl verdrängen. Dymeon durfte Anfang Januar seinen Augenverband abnehmen und war im Februar wieder völlig geheilt. Während mein Schutzritter mir wieder auf Schritt und Tritt folgte, sah ich Dunkan nur selten, da dieser immer häufiger unterwegs war, um für den Orden zu arbeiten, begleitet von Kevin, der zu dieser Zeit die Lancelorprüfungen für den vierten und dritten Rang bestand. Der Elementare schien von einem unerschöpflichen inneren Drang gepackt und kämpfte soviel es nur ging. Erste Narben von dämonischen Klauen bedeckten seine Haut, doch es schien ihn nicht zu kümmern... "Sag mir was du weißt!", schrie Kevin dem Tryclonn ins Gesicht, während er ihn am Kragen gepackt hielt und wild schüttelte. Um ihn herum lagen weitere tote Dämonen. Flammen fraßen Bücherregale auf, die in dem kleinen Dämonenquartier aufgestellt worden waren und zahllose dunkle Künste und Geheimnisse in sich bargen. Der Tryclonn lachte nur wahnsinnig, schwarzes Blut blubberte aus seinem Mund und zischende Rauchschwaden stiegen an der Stelle auf, an der Kevin den Oberarm des Dämons mit seiner freien Hand umklammert hielt. "Hörst du dich reden, Mensch? Weißt du eigentlich, was du da fragst?", brüllte der Tryclonn immer noch lachend, obwohl der Schmerz seiner versengenden Haut jetzt bis zu seinem Gehirn vordrang und er sich versuchte von Kevin zu befreien. Der Elementare stieß den Dämon schreiend von sich, dass dieser in eines der brennenden Regale krachte und das Holz zersplitterte. "Ich frage dich ein letztes Mal!", fauchte Kevin schwer atmend. Er hatte sich bei dem Kampf einen schweren Schnitt an der Stirn zugezogen, der frei blutete. "Wie entferne ich einen Parasiten aus dem Körper eines lebenden Wesens? Sag es mir und ich verschone dein Leben!" "Dämonen verhandeln nicht mit Menschen, sie haben es nie getan! Doch ich gebe dir deine Antwort..." Ächzend befreite sich der Tryclonn aus dem eingedrückten Regal und lachte wieder mit hohler Stimme. "Du musst den Parasit ihrer Leiche abnehmen! Ihr Leben ist nicht zu retten!" "Nein!", kreischte Kevin hasserfüllt. Er richtete beide Handflächen offen auf den Dämon und ließ einen Strahl wirbelnder Flammen daraus hervor schießen. Die Feuermagie verbrannte den Tryclonn in nur wenigen Sekunden. Kaum einen Herzschlag später kamen Dunkan und Siviusson in den Raum gestürmt. Sie erfassten das Geschehen schnell, sahen die Dämonenleichen und die tanzenden Flammen um sie herum. "Unglaublich...", stieß Siviusson hervor. Dunkan trat an Kevins Seite. "Du hättest nicht vorrennen sollen. Es hätte dir etwas zustoßen können..." Doch Kevin hörte seinem Mentor kaum zu. Er hatte die Augen noch immer auf die Überbleibsel des letzten Dämons gerichtet und das grausame Lachen klang in seinen Ohren. Es muss eine Möglichkeit geben und wenn ich sie alle dafür jagen muss... Ich weigere mich alles einfach hinzunehmen... "Lasst uns gehen...", murmelte der Elementare schließlich erschöpft, als der Gebrauch seiner Fähigkeiten anfing an seinen Kräften zu zerren. "Hier gibt es nichts mehr zu tun..." Auch wenn Kevin für den Orden kämpfte und ihm in vielen Missionen half, führte er doch innerlich seine eigene Schlacht, die unmöglich zu gewinnen war. Der Marionetter, der Melissa den Arm geraubt hatte, und Dymeon hatten mir erzählt, dass man einen Parasiten nicht aus einem lebenden Körper entfernen konnte. Kevin versuchte Victoria zu retten, ihre Liebe zueinander zu retten, doch es war eine Liebe ohne Zukunft und ohne Hoffnung. Soviel er auch kämpfte, er konnte dem Däezander kein Heilmittel abpressen, das nicht existierte... Die Zeit zog weiter vorbei. Kevin war fast nur noch in Falcaniar anzutreffen, wenn er sich im Krankenflügel von den Strapazen einiger Verletzungen erholen musste... Einmal lag er wochenlang mit lebensgefährlichen Verletzungen nieder und musste von Doc Fossil vor dem Tod bewahrt werden... Dennoch hielt ihn nichts davon ab weiterzumachen... Er hatte eine Besessenheit erreicht, die der von Dämonen in nichts nachstand... Nachdem sich Kevin von seinem bedrohlichen Zustand erholt hatte, nahmen die Aktivitäten des Däezanders schlagartig ab. Der Elementare war gezwungen ohne Aufgabe in Falcaniar warten zu müssen, während einige Lancelor die Hoffnung hegten, dass die Dämonen zu viele Streitkräfte verloren hatten und sich erholen mussten. Doch die Lancelor mit der meisten Erfahrung, Leute wie Dunkan, Pendrian oder das Oberhaupt, schienen angespannter denn je. Sie glaubten nicht daran, dass der Däezander den Kampf ohne Grund einstellte... Wie recht sie hatten... Es gab eine Höhle in der Zuflucht des Däezander, größer als die Regenrationshalle mit den unzähligen Arameakammern, größer als die Beschwörungssäle, in denen die neuen Dämonen erschaffen wurden, sogar größer als die verschiedenen Orte, an denen sich die Heime der Ordensmitglieder befanden. Man nannte diese Halle Shigay di Alea'rania, "Platz des Ursprungs". Ein dichtes Netz aus grün leuchtenden Arameagesteinslinien und blutrot flackernden Kristallen zog sich über die unebenen Felswände der Halle und tauchte alles in ein helles zweifarbiges Licht. Trotzdem blieb die Decke in Schatten getaucht, so dass man nur erahnen konnte in welch gewaltiger Höhe sie sich befinden musste. Auch die Ränder der Shigay di Alea'rania lagen im Dunkeln, denn das meiste Licht war in gebündelten Strahlen auf die Mitte der Halle gerichtet. Ein hohes Podest aus seltsam glattem Gestein stand dort wie eine einsame Insel. Perfekt gearbeitete Treppen waren auf allen vier Seiten in das Podest gehauen, so dass man es mühelos betreten konnte, und aus dem Podest wiederum stieg eine mehrere Meter hohe, spitze Säule in die Höhe wie ein Dorn aus grauem Stein. Normalerweise betrat kein Dämon die Shigay di Alea'rania, denn sie galt unter ihnen als heiliger Ort, der nur dem Dämonenvater persönlich zugänglich war. Doch heute hallte das Gewisper und Gemurmel hunderter Dämonen von den Wänden wieder, wie das unentwegte Summen innerhalb eines Bienenstocks... Ein schöner Vergleich... Ereos lächelte grimmig, als sein Blick über das Meer von Dämonen schweifte, das sich zu seinen Füßen vor ihm ausbreitete und die gesamte Halle einnahm. Er erkannte Tryclonns, Oggrons, Marionetter, Golems aus den verschiedensten Materialien und ernst aussehende Hochdämonen, die überall verstreut zu ihm aufschauten und darauf warteten, das etwas geschah. Es erfüllte Ereos mit Stolz, dass er einer von den fünf Auserwählten war, die in diesem glorreichen Moment auf dem Podium standen und vom strahlenden rotgrünen Licht überflutet wurden. Neben ihm warf Assessina unter den Blicken Tausender ihr schwarzes Haar in einer eleganten Bewegung zurück in den Nacken. Sie genoss es ebenso wie er auf dieser Plattform zu stehen, gemeinsam mit den anderen Schattenklingen und dem Dämonenvater kreisförmig um die Dornensäule angeordnet zu sein, so dass jeder Dämon in der Halle etwas von ihnen sehen konnte. Noch nie hat es solch eine Versammlung gegeben... Die Welt wird erzittern vor der gebündelten Macht des Däezander... Ereos purpurne Augen loderten. Er warf Assessina einen schnellen Blick zu, den sie mit einem zufriedenen Lächeln beantwortete. Dann ertönte ein einzelnes, trockenes Räuspern. Sofort wurde es in der Halle so unnatürlich still, dass es tatsächlich so wirkte, als befände sich niemand in dem heiligen Platz des Ursprungs. "Meine Kinder...", begann der Dämonenvater müde. Seine Stimme war rau und gezeichnet vom Alter, doch sie schwebte auf seltsame Weise durch die gesamte Shigay di Alea'rania und erreichte jeden noch so weit entfernten Dämon. Der Anführer des Däezander hatte sein Gesicht wie immer im Schatten seiner weiten Kapuze verborgen, die knochigen Hände unter den Ärmeln der dazugehörigen Kutte. Nur ein paar graue Haarsträhnen kamen unter dem schwarzen Stoff zum Vorschein und fielen dem Dämonenvater bis zur Hüfte herab. "Meine Kinder...", wiederholte er leise. "Ich habe euch hier her beordert und ihr seid meinem Ruf gefolgt..." Zustimmendes Geraune ging durch die Menge, doch es erstarb schnell, um dem Dämonenvater die Möglichkeit zu geben weiter zu sprechen. "Hier hat alles begonnen... Hier beginnt auch der Anfang vom Ende...", murmelte er so leise, dass selbst Ereos ihn kaum verstand. Dann reckte er den Kopf weit in die Höhe, Licht durchbrach den Schatten der Kapuze und die Versammelten erzitterten vor dem Anblick ihres Anführers. "Ein jeder von euch ist für diesen Moment geschaffen worden...", sprach er weiter, diesmal lauter. "Ein jeder von euch kennt seine Aufgabe auf dieser Erde. Wir sind hier, um die Existenz der Menschheit zu beenden... Wir sind hier, um uns unseren rechtmäßigen Platz auf dieser Welt zu holen..." Ein kurzer, jubelnder Schrei aus tausenden Kehlen, dann wieder Stille. "Es war eine harte Zeit für uns. Wir wurden gejagt und getötet, doch wir haben niemals aufgegeben und in dieser unterirdischen Finsternis geduldig auf den Zeitpunkt gewartet, an dem wir uns erheben würden... Wir haben eintausendfünfhundert Jahre auf den heutigen Tag gewartet..." Der Dämonenvater machte eine kurze Geste zu den vier Schattenklingen an seiner Seite. "Bis heute waren diese hier meine Boten des Krieges... Ereos mit den Purpuraugen, Cenior mit den Seelenbändern, Rishak von Urrurdoc und Assessina mit den Toxinklauen. Sie waren meine Boten des Krieges, meine Hände und Füße, meine Träger der Götterschwerter... Doch es ist nun die Zeit gekommen, an dem jeder von euch zu einem Boten wird... Wir sind nun stark genug uns offen zu zeigen...", wisperte der Dämonenvater. Wieder ging Geraune durch die Menge, doch diesmal flaute es nicht so schnell ab, sondern verbreitete sich eher in der Halle wie ein Fieber. Der Dämonenvater ließ seine Worte eine Weile lang einwirken, ehe er seine Stimme gegen das Summen erhob. "Der Plan, den wir nun schon so lange verfolgen, findet seine Entscheidung. Wir sind stark genug uns zu zeigen. Wir werden Chaos in der Welt der Menschen schaffen... Dann holen wir uns das siebte Götterschwert und vollziehen das Ritual der Dunklen Dämmerung..." Mit den letzten Worten hob der Dämonenvater das Götterschwert Schwarz in die Höhe. Dunkler Nebel waberte um die Nachtstahlschneiden herum, nahm hin und wieder eine seltsame Gestalt an und zerfiel schließlich wieder zu formlosem Rauch. Cenior tat es seinem Herrn gleich und riss Luna und Goth sirrend über den Kopf. Silber und Gold blitzten einen Augenblick auf, dann hatte auch Rishak seinen Arm zu dem roten Kristallschwert verwandelt und erhoben. Die Dämonen in der Halle jubelten inzwischen wieder, diesmal so laut es nur ging, so dass ein berauschendes und ohrenbetäubendes Kreischen gegen die Schattenklingen prallte. Ereos' und Assessinas Blicke trafen sich, ehe sie, mit einem Lächeln, gemeinsam ihre Schwerter reckten. Excaliburs Lied klirrte gegen die Felswände. Dann ging die blaue Sonne auf und tauchte alles in blendendes blaues Licht. "Niemand wird uns aufhalten!", brüllte Ereos lachend über die Schreie seiner Mitdämonen hinweg... Es dauerte nur zwei Wochen bis sich die Dämonen, die für die Versammlung in der Zuflucht von überall herbeigeströmt waren, wieder über die ganze Welt verteilt hatten. Die Lancelor bemerkten zwar die alarmierenden Bewegungen des Däezanders, da dämonische Aura immer häufiger in der Öffentlichkeit zu spüren war, doch ihre Handlungsmöglichkeiten waren begrenzt. Solange die Dämonen von Zivilisten umgeben unerkannt durch Städte wanderten, konnten die Lancelor es nicht wagen sie anzugreifen... Doch man spürte, dass etwas im Gange war. Und tatsächlich steuerte der Götterschwertkrieg nur wenig später auf eine letzte unumgängliche und alles entscheidende Konfrontation zu... Der Sommer brach in Europa an. Ein wolkenloser blauer Himmel spannte sich über den Trafalgar Square in London und Sonnenlicht ließ die Dächer schwach glitzern. Ereos ließ die warmen Strahlen auf sein Gesicht scheinen, während er mitten auf dem weiten Platz stand und die geschäftigen Menschen unbeachtet an sich vorbeilaufen ließ, selbst wenn sie ihm skeptische Blicke zuwarfen. Er trug unauffällige Kleidung, bestehend aus einer einfachen Jeans und einem kurzärmligen weißen T-Shirt, und seine langen schwarzen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Nur seine purpurfarbenen Augen verrieten noch, dass er ein Dämon war, doch die Leute um ihn herum musterten ihn nicht aufmerksam genug um das zu bemerken. Ereos schaute hinauf zu dem Big Ben, der über die Häuser hinausragte, und lächelte bei der angekündigten Uhrzeit still in sich hinein. Bald ist es soweit... Der Dämon mit den Purpuraugen schloss genüsslich die Augen, holte einmal tief Luft und breitete die Arme aus. Mehrere Passanten warfen ihm nun zunehmend misstrauische Blicke zu, doch der Dämon ignorierte sie, so wie sie versuchten ihn zu ignorieren. "Du solltest wirklich nicht so melodramatisch sein...", meinte eine weibliche Stimme nicht weit von seinem Ohr entfernt. Ereos lächelte kurz, öffnete die Augen wieder und erhaschte einen Blick auf Assessina. Die Dämonin mit den Toxinklauen war genau wie er in einfache Hosen gekleidet und trug dazu ein ärmelloses dunkelgrünes Top. Ihre rotgrünen Schuppenflechten an Armen und Nacken hatte sie nicht verdeckt, so dass sie aussahen wie Tätowierungen, doch über ihren reptilienartigen Augen lagen blaue Kontaktlinsen mit runden Pupillenlöchern. "Lass mir doch mein Vergnügen", murmelte Ereos zurück. "Ich genieße es diese nichts ahnenden Blinden zu beobachten, bevor sie unsanft gezwungen werden zu sehen..." "Du machst auf dich aufmerksam..." "Wen kümmert das noch?", erwiderte Ereos immer noch lächelnd. Er deutete mit einer unauffälligen Kopfbewegung auf ein paar kleine Tische, die auf der Terrasse eines Cafes standen. "Da sind zwei Lancelor, die mich schon die ganze Zeit beobachten, doch auch sie wissen nicht was auf sie zu kommt... Keiner von denen ist auf das Folgende vorbereitet..." Assessina schnaubte, während sie einen kurzen Blick zu den zwei zivilgekleideten Lancelor herüberwarf. "Noch ist es nicht so weit, Ereos..." "Ein paar Minuten..." "Halte dich ja genau an den Plan! Ich habe gehört du hast ziemlich viel Mist gebaut, während ich tot war und ich habe keine Lust es auszubaden, wenn du wieder in der Klemme steckst..." "Mit dir an meiner Seite kann mir gar nichts passieren", erwiderte Ereos leichthin. Assessina schnaubte wieder abfällig und murmelte irgendetwas Unverständliches, doch Ereos schien sich nicht daran zu stören. Er wandte sich der Dämonin zu, betrachtete ihr schwarzes Haar, das in der Sonne glänzte, und schaute schließlich wieder hoch zum Big Ben. "Ich bin froh, dass du wieder da bist..." Ein dröhnender Glockenschlag drang plötzlich vom berühmten Uhrenturm zu ihnen herüber und zauberte ein weiteres, viel düsteres Lächeln auf Ereos' Gesicht. "Es geht los!" "Benutze Excalibur nicht, du kannst seine Kraft nicht beherrschen! Es würde dich nur aufhalten!", befahl Assessina, während sie selber Azuransas aus dem Gürtel zog. Gleichzeitig brach je ein langer dünner Stachel aus ihren Handgelenken. Die beiden Lancelor sprangen alarmiert von ihrem Tisch auf und bahnten sich einen Weg durch die Menge, doch Ereos scherte sich nicht darum. In wenigen Sekunden verformten sich seine Hände zu messerscharfen Klauen. Er stürmte nach vorne und riss sie dem erstbesten Menschen quer über die Brust. Alles verwandelte sich augenblicklich in Chaos. Irgendwo stieß jemand einen schrecklichen Schrei der Angst aus, Menschen liefen sofort in Panik durcheinander, Assessina und Ereos griffen wahllos weitere Passanten an, während der erste noch zu Boden fiel, und die Lancelor machten sich nun mit Rufen bemerkbar. "Keine Bewegung!" Sie zogen ihre Waffen und machten den erschrockenen Menschen, die jetzt in alle Richtungen davon stoben, nur noch mehr Angst. Assessina sprang mit einem einzigen gewaltigen Satz auf die beiden Lancelor zu und stieß ihnen ihre Giftstachel triumphierend in die Körper. "Haltet uns nicht auf!", fauchte die Dämonin sie an, obwohl sie schon tot waren, als die organischen Waffen ihre Herzen durchbohrten. Ereos lachte. "Für den Däezander! Für die Gemeinschaft der Dämonen! Seht unsere Stärke und weint vor Verzweiflung! Wir werden uns jetzt nehmen was uns zusteht!" Der 12. Juni würde in die Geschichtsbücher eingehen. Nicht nur in London, sondern überall auf der Welt fingen Dämonen um Punkt zwei Uhr an aktiv zu werden. Sie krochen aus den Tiefen der Erde, griffen Unschuldige an und begaben sich in offenen Krieg gegen die Lancelor. Man nannte diesen Tag später "Tag des Grauens"... Er läutete ein neues Zeitalter ein... Ein Zeitalter, indem nichts mehr je wieder so sein würde wie es einmal gewesen war... -------------------------------------- Nächstes Kapitel: Der Tag des Grauens wird die Reifeprüfung der Lancelor... Und besonders Zeliarina muss sich entscheiden, wofür sie kämpft und wie weit sie dafür gehen würde... Kapitel 26: Aufbruch ins Unbekannte ----------------------------------- Kapitel XXIII - Aufbruch ins Unbekannte Zeliarina saß gebannt in einem Aufenthaltsraum Falcaniars und starrte fassungslos auf die Bilder, die im flackernden Monitor eines Fernsehers zu erkennen waren. Eine Nachrichtensprecherin sprach bemüht ruhig und mit starrer Miene in ihr Mikrofon, während über ihr ein blasser roter Streifen erschien, indem gelbe Lettern vorbeizogen und eine Mitteilung bildeten: ,Monsterangriff'... "Die folgenden Aufnahmen sind weder digital bearbeitet noch gestellt. So unglaublich es erscheinen mag, was sie nun sehen passiert tatsächlich...", verkündete die Nachrichtensprecherin ernst. Das Bild flackerte kurz und zeigte nun eine verschwommene Kameraaufnahme von zwei dunklen Gestalten, die mit bedrohlichen Klauen und Schwertern auf einem großen Stadtplatz Terror verbreiteten. Menschen schrieen aufgeregt durcheinander und rannten immer wieder durch das Bild. Der Hobbyfilmer, der die Szene eingefangen hatte, konnte das Zittern seiner Hände nicht unterdrücken, genauso wenig wie sein gemurmeltes "Großer Gott...". Das Bild veränderte sich wieder und zeigte diesmal eine Aufnahme aus der Luft. Auch ohne den auftauchenden Informationsstreifen, der ,Berlin' aufblitzen ließ, hätte man die gezeigte Stadt erkannt, denn das Brandenburger Tor und die Straße, die hindurch führte, waren zu erkennen. Ein aufgescheuchter Mob floh vor vier dunklen Gestalten. Wieder ein Szenenwechsel, diesmal nach ,Tokio'. Mehrere Oggrons verbreiteten Angst und Schrecken, schleuderten Autos durch die Strassen, zertrümmerten Schaufenster von Geschäften, setzten Gebäude mit lodernden Fackeln in Brand. Das Hin und Her der Ortswechsel ging noch eine ganze Weile weiter, ehe die Nachrichtensprecherin wieder zu sehen war, blass im Gesicht, die Hand verkrampft um ihr Mikro. "Vor zwei Stunden begannen die Angriffe der Kreaturen, ohne dass bisher ein Sinn oder ein Motiv festgestellt werden konnte. Genauso unbekannt bleibt die Identität dieser Wesen. Polizei und Militär starten bereits erste Gegenmaßnahmen, bisher jedoch ohne Erfolg. Augenzeugen wollen gesehen haben, dass die Kreaturen von mehreren Schüssen getroffen wurden, ohne dass es ihnen schadete... Wir haben dazu-" Dunkan, der unbeweglich neben Zeliarina gestanden hatte, nahm nun die Fernbedienung in die Hand und schaltete auf einen anderen Sender. Überall wurde das Gleiche berichtet und dieselben Bilder gezeigt. Der einzige Unterschied schien in den Überschriften zu bestehen, die versuchten sich in ihrer Dramatik gegenseitig auszustechen. "Bestien in Barcelona!" "Monster bedrohen Menschheit!" "Tag des Grauens!" Zeliarina wagte kaum zu atmen, während sie die Augen weiter auf den Bildschirm gerichtet hielt. Inzwischen waren sie wieder bei dem ursprünglichen Programm mit der blassen Nachrichtensprecherin angekommen. "Erste Tote sind in Paris, Moskau, Kalifornien und Chicago zu verzeichnen... Man spricht bereits von einer-" Dunkan schaltete den Fernseher aus. Seine Hand verkrallte sich um die Fernbedienung, sein Mund war nur ein dünner Strich und die Muskeln in seinen Wangen zeigten deutlich, dass er die Kiefer aufeinander presste. "Wir hätten es kommen sehen müssen... Großer Gott, wir hätten es bemerken müssen, es war unsere Aufgabe das zu verhindern! Dämon frei auf den Straßen! Was zum Teufel denken die sich?" Zeliarina starrte noch immer dumpf auf den schwarzen Fernseher, ohne wirklich zu begreifen was sie da eben gesehen hatte. Dämonen, die die gesamte Welt terrorisierten? Die Wächterin Thundenstars sah sich in dem Aufenthaltsraum um und betrachtete die Gesichter anderer Lancelor, viele, darunter Kevin, zornentbrannt wie Dunkan, andere ängstlich, wieder andere verwirrt. Dymeon, der schweigend neben ihr gesessen hatte, gab überhaupt nichts von sich und sein Ausdruck erschien Zeliarina so leer und undurchschaubar wie schon lange nicht mehr. "Warum sitzen wir hier noch? Wir müssen etwas tun!!!", brüllte Kevin, bevor er von seinem Stuhl aufsprang und den Raum mit großen Schritten durchquerte. Dunkan hielt ihn halbherzig zurück, doch im gleichen Augenblick ertönte die Stimme des Oberhauptes aus versteckten Lautsprechern in der Decke. "Alle Lancelor sofort in die Eingangshalle! Alle Lancelor sofort in die Eingangshalle, es ist der Ernstfall eingetreten!" "Allerdings!", knurrte Kevin, während er vor Dunkan, Zeliarina und den anderen Lancelor zur Eingangshalle stürmte. Von allen Richtungen stießen andere Ordensmitglieder zu ihnen, so dass der Saal schon bald gefüllt war mit einer großen Menge, gekleidet in schwarzen Anzügen und weißen Westen, das blaue Symboltuch in den Haaren oder irgendwo sonst am Körper. Zeliarina hatte vorher nicht gewusst, wie viele Lancelor eigentlich auf Falcaniar lebten. Sie erspähte hinter einer Gruppe nervöser Neulinge Victoria und Selen, zu ihrer Rechten irgendwo Pendrian, der an einer Säule lehnte, und noch schwerer zu erkennen, in einer abgelegenen Ecke, Siviusson und Titus McCain. Alle wirkten sie grimmig und entschlossen und nicht wenige hatten die Hände um ihre Pistolen gelegt. "Der schlimmste annehmbare Fall ist eingetreten. Der Däezander hat sich der öffentlichen Welt gezeigt und ist gegen sie in den Kampf gezogen! Wir müssen sofort unsere Truppen überall ausschicken!", donnerte die Stimme des Oberhauptes durch die Eingangshalle. Zeliarina konnte den Anführer der Lancelor nicht sehen, doch sie spürte die Ehrfurcht einflößende Präsenz, die allein durch die Worte ausgelöst wurde. "Ich will Truppen in allen betroffenen Gebieten! Siviusson, Garbeth, Schweizer und Lee, nehmt euch alle Schüler und Kameraden, die ihr bei euren Missionen normalerweise als Truppführer leitet, zwei Helikopter mit soviel Ausrüstung wie ihr für nötig erachtet, und stoßt zu den Kollegen in Berlin! Brondik, Slavkov, Westerman und Brown, dasselbe gilt für euch, ihr übernehmt Moskau!" Die Aufgerufenen trommelten augenblicklich ihre Schüler und Kampfgefährten zusammen, ehe sie aus der Halle strömten. "Pendrian, Mathuen, Silverin, Dunkan, euch gehört London!" Pendrian stieß sich von seiner Säule ab und kam auf Dunkan zugelaufen. Ein paar Sekunden später traten Jessica und Selen dazu. "Peter, kümmere du dich bitte um die Ausrüstung. Wir brauchen genug Fänger und Heilige. Selen und Jessica, ihr holt alles andere, was wir noch so gebrauchen können, Seile, Proviant, Stadtkarten und Ähnliches. Ich kümmere mich um unsere Helikopter und die Leute, die uns begleiten werden", befahl Dunkan schnell. Die zwei Frauen in der Gruppe nickten knapp und machten sich sofort auf um alles zu packen. "Du willst sicher McCain dabeihaben, oder Pendrian?" Pendrian nickte. "Und Crow", fügte er nach kurzem Schweigen hinzu. Dann warf er Kevin und Zeliarina einen schnellen Blick zu, schaute Dunkan fragend an und verließ schließlich, offenbar zufrieden mit dem was er im Gesicht des Palas gelesen hatte, den Raum. Das Oberhaupt teilte im Hintergrund weitere Lancelor für ihre Aufgabenbereiche ein, doch Zeliarina kümmerte sich inzwischen mehr um Dunkan und starrte ihn erwartend an. "Und was tun wir?", fragte sie und deutete dabei auf sich und Kevin. "Nichts", erwiderte Dunkan streng, "Ihr werdet nichts tun, denn ihr kommt nicht mit!" "Was?", riefen beide Elementare so laut, dass sich einige Lancelor in der Nähe erschrocken umdrehten. Zeliarina griff Hilfe suchend nach Dymeon, der die ganze Zeit still neben ihnen gestanden hatte, doch es brauchte nur einen Blick in sein Gesicht um zu begreifen, dass er bereits ein stummes Einverständnis mit Dunkan getroffen hatte. "Wir können es nicht riskieren dich mitzunehmen, Zeliarina", versuchte der Palas zu erklären. Kevin sah aus, als hätte man ihn tödlich beleidigt. Zeliarina jedoch fühlte die gleiche Verzweiflung und Hilflosigkeit in sich aufsteigen, die sie schon begleiteten seit sie Thundenstar trug. Immer musste sie anders behandelt werden und durfte nicht in dem Maße helfen wie andere. "Ich kann kämpfen!", beharrte Zeliarina zornig, "Ich bin stärker geworden! Ich kann sogar Thundenstar kontrollieren! Wenn ich mich wirklich konzentriere, kann ich es sogar mit einem Hochdämon aufnehmen und euch unterstützen!" "Nein!", gab Dunkan ruhig, aber entschlossen zurück. "Was uns in London erwartet, ist keine geplante Mission mehr, sondern eine offene Schlacht, in der alles passieren kann. Wir wissen nicht wie viele Dämonen dort sind. Wir wissen nicht was für Dämonen dort sind. Das Risiko, dass du getötet werden könntest, ist einfach zu groß..." "Wozu habe ich dann Thundenstars Kräfte? Wozu bin ich dann überhaupt hier? Wir könnten das verdammte Teil auch einfach irgendwo vergraben und ich könnte euch helfen zu-" "Ich habe jetzt keine Zeit zu diskutieren, Zeliarina", schoss Dunkan ungeduldig zurück, "In dieser Sekunde sterben vielleicht Menschen! Bleib einfach hier, vertraue mir! Und was dich angeht", fügte er schnell hinzu, als er sah wie Kevin ebenfalls zum Protest ansetzen wollte, "du hast dich noch nicht genug von deinen Verletzungen erholt, das weiß ich von Doc Fossil. Ich kann nicht verantworten, dass die Wunden wieder aufbrechen. Wenn es soweit ist, werde ich dich nachfliegen lassen... Solange könntest du dich ja vielleicht ein bisschen um Victoria kümmern..." Beim Klang des Namens verzog Kevin das Gesicht, als hätte man ihm in den Bauch geschlagen. Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen oder sich auch nur zu verabschieden, trottete er davon. Zeliarina dagegen hatte beschlossen dieses eine Mal nicht so schnell aufzugeben. "Dunkan, bitte..." "Keine Zeit, Zeliarina", blockte Dunkan mit einem Blick auf die Uhr ab, "Pendrian braucht sicher nicht lange und Selen und Jessica werden sich auch beeilen. Ich muss jetzt los, jeder Moment ist kostbar..." Als er wieder aufblickte und Zeliarinas verzweifelte Miene sah, wurden seine Züge etwas weicher. "Sieh mal, ich weiß, dass das hart für dich ist, aber es geht nicht anders... Alles wird gut, du wirst hier in Sicherheit sein und ich werde bald zurückkommen..." Er schaute sich schnell um, ob sie beobachtet wurden, ehe er hastig zwei dünne Glasphiolen mit roter Flüssigkeit aus seiner Westentasche zog und ihr in die Hand drückte. "Ich sollte eigentlich immer alle in den öffentlichen Bestand geben, doch diese beiden habe ich für solche Fälle heimlich behalten... Für den Tag, wenn ich dich nicht mehr beschützen kann..." Er zwinkerte Dymeon kurz zu. "Doch du passt sicher auf sie auf, oder?" "Ich bin ihr Schutzritter", erwiderte der Dämon ruhig und schien die Frage damit für erledigt zu halten. Dunkan lächelte kurz, während er Zeliarinas Finger sanft um die Glasgefäße in ihrer Hand schloss. "Pass auf dich auf, Zeliarina..." "Pass du lieber auf dich auf, Dunkan", meinte die Donnerhexe gequält. Sie hatte das Gefühl schon wieder einen lieben Menschen zu verlieren, auch wenn es lächerlich klang. Doch vielleicht würde sie ihren Mentor nicht wieder sehen. Vielleicht würde er diesmal nicht aus dem Kampf zurückkehren, vielleicht würde ihm diesmal nicht einmal mehr sein Blut der Macht helfen... "Dunkan", murmelte Zeliarina plötzlich mit einer merkwürdigen Ahnung, "Dieses Heilserum... Victoria meinte einmal, es wäre Blut... Es ist dein Blut, nicht wahr? Das Blut der Macht..." Dunkan lächelte noch einmal. "Ja, es unterstützt die natürlichen Regenerationskräfte des Körpers... Doc Fossil nimmt es mir so oft wie möglich ab und verteilt es an die Lancelor... So hat es wenigstens Sinn, dass ich es habe..." Plötzlich wirkte Dunkans Lächeln gezwungen und er drückte seine Schülerin einmal kurz, damit sie nicht sehen konnte wie es gänzlich verschwand. "Ich muss jetzt wirklich los..." "Ja, ich weiß...", würgte Zeliarina hervor. "Bis bald..." "Bis... bald...", murmelte sie, während Dunkan ihr bereits den Rücken zugekehrt hatte und nun in schnellem Tempo aus der zunehmend leereren Halle stürmte. Jetzt war nur noch Dymeon bei ihr... Der Dämon verstand ohne ein Wort oder eine Frage was in seiner Schutzbefohlenen vorging, und zog sie in eine tröstende Umarmung. Zeliarina dankte ihm leise. Doch ihre grünen Augen waren auf einen unbestimmten Punkt an der Wand gerichtet. Sie hörte Thundenstar zu ihr singen, deutlicher als jemals zuvor... Es ist das Schicksal meines Trägers allein zu sein... Und noch während die Worte in ihren Ohren klangen, noch während sie sah wie die Türen der Eingangshalle hinter Dunkans Gestalt ins Schloss fielen, begriff sie plötzlich was zu tun war. Der Gedanke brach so stark über sie herein, dass sie das Gefühl hatte schon wochenlang darüber gebrütet zu haben und nun genau zu wissen, was sie tun musste. Mit einer kurzen Bewegung löste sie sich aus Dymeons Armen. "Lässt du... lässt du mich kurz allein?" Der Dämon betrachtete sie nachdenklich, so dass Zeliarina schon befürchtete er würde sie durchschauen, doch schließlich nickte er schwach und verschwand in Richtung Hügelgräber, so wie er es manchmal tat wenn er allein war. Ohne zu überlegen rannte Zeliarina derweil aus einem anderen Ausgang, schlüpfte unbemerkt in die Küche neben dem Essensaal und griff sich soviel Essbares wie nur möglich. Anschließend rannte sie die Treppe hoch und bis in ihr Zimmer, schmiss alles unbeachtet auf ihr Bett, nur um sofort wieder durch die Gänge zu fegen. Überall huschten geschäftige Lancelor an ihr vorbei um alles für ihre Abreise zu packen, so dass sich niemand um Zeliarina kümmerte, als sie vor der Waffenkammer stand. Auch hier tummelten sich unzählige Lancelor. Zeliarina schlüpfte geschickt an einigen von ihnen vorbei, drängte sich durch die Tür in das Waffenlager und schloss das Schrankfach in einer stillen Ecke auf, das ihr gehörte. Mehrere unterschiedlich markierte Pistolenmagazine standen ordentlich nebeneinander gereiht neben einigen eishockeypuckförmigen Fängern, ihrer Pistole, einer zweiten Ersatzwaffe, einer Spritze und den dazugehörigen gefüllten Glasphiolen. Unwirsch und sich immer wieder umschauend stopfte sie alles in ihre Westentaschen, bevor sie wieder verschwand, ehe jemand Notiz von ihr nehmen konnte. Als sie zurück in ihrem Zimmer war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete sie schwer, war jedoch zufrieden mit sich... Ich werde es tun, Thundenstar... Vorsichtig schüttelte sie den kompletten Inhalt aus ihren Taschen aufs Bett. Die Munitionsmagazine verteilten sich ungeordnet auf dem Laken, doch Zeliarina konnte ihre Bedeutung noch an den kleinen eingravierten Symbolen erkennen. Geduldig teilte sie sie wieder in Gruppen auf, ein kleiner Haufen für Runenmunition, einen für Heilige, einen dritten für Signalschüsse. Als sie fertig war, betrachtete sie ihre Beute, die Waffen und das Essen, einen Moment lang. Ich habe genug davon beschützt zu werden... Ich werde nicht mehr zurückbleiben, ich werde diejenige sein, die die anderen beschützt... Dazu habe ich Thundenstar... Es war Schicksal, dass ich dieses Schwert erhielt... Es ist meine Bestimmung die Helle Dämmerung zu beschwören, und zwar meine allein... Sabiduría hat es mir damals durch die Illusag offenbart... Ihr Blick blieb in Gedanken versunken an der Spritze und den mit Aramea gefüllten Fläschchen hängen, die im Schein einer untergehenden Sonne funkelten. Seufzend ließ sie die Dinge in der Schublade ihres Nachtschränkchens verschwinden. Ich werde ihn nicht mitnehmen... Den Rest verstaute sie wieder in ihren Westentaschen und in dem Rucksack aus der Zeit in der Höhle der Prüfungen, den sie behalten hatte. Zusätzlich stopfte sie noch einen schwarzen Schlafsack mit dem Emblem der drei gekreuzten Silberspeere dazu und kramte ein paar Wasserflaschen aus ihrem persönlichen Vorrat hervor, um sie in die Seitentaschen zu stecken. Es ist mein Test, ob ich mich in dieser mit Krieg überzogenen Welt behaupten kann... Es gab einen Grund, dass ich Thundenstar bekam, einen Grund für meine Reise in der Illusag... Thundenstar sang bei ihren Gedanken erregt. Die Melodie schien wie ein Zwang, der Zeliarina dazu bewog nicht zu zweifeln, sondern genau das zu tun was sie sich vorgenommen hatte. Lächelnd versteckte sie ihren gepackten Rucksack unter dem Bett. Es war inzwischen Nacht geworden und die hellen Sonnenstrahlen waren vom blassen Licht des silbernen Mondes ersetzt worden, das das Zimmer nur spärlich erhellte. Zeliarina vergewisserte sich noch einmal, dass der Rucksack unter ihrem Bett nicht zu sehen war, ehe sie sich ihr Schlafshirt anzog und unter ihre Decken kroch. Es vergingen kaum fünf Minuten, bis Dymeon das Zimmer betrat. Er blieb ihm Türrahmen stehen, als er sah, dass sämtliche Lichter im Zimmer gelöscht waren und Zeliarina reglos in ihrem Bett lag. Die Donnerhexe atmete bemüht gleichmäßig und lang, so dass Dymeon denken musste, dass sie schlief. Schließlich, nachdem der Dämon seine Schutzbefohlene eine weitere Minute angestarrt und den Fänger am Fenster überprüft hatte, schloss er leise die Tür hinter sich und legte sich in Melissas ehemaliges Bett. Zeliarina horchte sehr lange auf Dymeons Bewegungen, bis sie sich nach einer Stunde wirklich sicher war, dass ihr Schutzritter eingeschlafen sein musste. In letzter Zeit tat er das täglich, um seinem noch immer etwas angeschlagenen Körper ein wenig Ruhe zu gönnen. Lautlos schlüpfte Zeliarina aus dem Bett, zog den Rucksack unter dem Bett hervor und zog sich erneut ihre Lancelorkleidung an. Sie betrachtete sich dabei in dem großen Spiegel, der an ihrer Wand hing, und legte jedes Teil mit sorgfältiger Präzision und Geduld an, so als führe sie ein geheimes Ritual durch. Zuerst streifte sie sich die schwarze Hose über die Beine und fuhr in das ebenso schwarze, langärmlige Oberteil. Beides schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihren Körper, beides hatte sie schon in der Vergangenheit vor Kälte, Hitze und Regen geschützt, ohne dass die Farbe auch nur ein wenig ausgeblichen wäre. Dann folgten die weiße Weste mit den unzähligen Brust- und Bauchtaschen, und das blauweiße Lancelortuch, mit dem sie liebevoll ihre blonden Haare im Nacken zusammenband. Zeliarina verstaute die Munition und Dunkans Blut in den Taschen ihrer Weste, verstaute die zwei Pistolen in Halfter an ihrer Hüfte, schulterte den gepackten Rucksack und steckte Thundenstar in ihren Gürtel. Es ist alles erledigt... Ich bin bereit... Ihr Blick traf eine Kommode, die direkt neben dem großen Spiegel stand, und auf der mehrere eingerahmte Fotos vom Mondlicht beschienen wurden. Zeliarina trat näher, nahm das erste in die Hand und starrte mit einem melancholischen Lächeln auf es herab. Eine jüngere Zeliarina grinste ihr entgegen, den Arm um die Schulter einer Melissa gelegt, die noch beide Arme besaß. Es musste sehr früh aufgenommen worden sein... So viel war seit diesen Tagen geschehen... So viel hatte sich verändert... Zeliarinas grüne Augen wanderten wieder zurück zu dem Spiegel. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie sehr sie sich in diesen zwei Jahren auf Falcaniar verändert hatte. Sie war größer geworden und ihr Haar länger. Das kindliche Mädchengesicht, das sie auf dem Foto gesehen hatte, war im Spiegel das herangereifte Gesicht einer jungen Frau. Und ihre Augen... Selbst für eine Siebzehnjährige erschienen ihr ihre grünen Augen viel zu weise, so als wäre sie im Angesicht der vielen Erlebnisse und den vielen Verlusten zu schnell gealtert. Zeliarina schaute sich nun auch die anderen Fotos an, die sich auf der Kommode reihten. Viele ihrer Freunde und Bekanntschaften waren abgebildet: Kevin, Victoria, Dunkan, manchmal auch Storm oder Dymeon. Eines war ein großes Gruppenbild, auf dem sich alle Lancelor befanden, die sie je gekannt hatte. Schweigend nahm Zeliarina noch ein zweites Bild in die Hand. Es war größer als die anderen und lag in einem wunderschönen dunklen Holzrahmen. Nach einem kurzen Moment des Zögerns ließ sie es in ihrem Rucksack verschwinden und machte sich auf den Weg. Als sie der Kommode und dem großen Spiegel jedoch den Rücken zukehrte, entdeckte sie, dass Dymeon auf seinem Bett saß und sie aus dunklen Augen wach und abwartend musterte. "Dymeon...", murmelte Zeliarina traurig. Dann, fast nicht zu hören: "Halte mich nicht auf..." Der Dämon erhob sich ruhig, ohne den Blickkontakt zu brechen, und kam mit langsamen Schritten näher. "Ich werde dich nicht aufhalten", sagte er schließlich leise, als er nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt stand. "Ich wusste bereits, dass du dieses Mal nicht einfach still die Hände in den Schoß legen würdest, dafür kenne ich dich zu lange... Doch ich werde dich auch nicht gehen lassen, zumindest nicht alleine. Es ist meine Aufgabe als Schutzritter deine Begleitung zu sein, ganz egal wohin du auch gehen wirst... Und wenn du wirklich den Pfad nach London einschlägst, so werde ich an deiner Seite stehen... Als Schutzritter... als Kamerad... und als Freund..." Dymeons Worte füllten den Raum und reichten bis an Zeliarinas Herz. Die Donnerhexe lächelte dankbar, wischte sich einmal schnell über die wässrigen Augen und nahm Dymeons Hand. "Du musst noch deine Sachen zusammenpacken..." Wortlos zeigte der Dämon ihr die Spritze mit den Arameafläschchen, die er in der Hosentasche verstaut trug. Zeliarina hatte gar nicht gemerkt, wie er sie aus der Schublade ihres Nachtschränkchens geholt hatte, doch sie verkniff sich das Verlangen danach zu fragen, denn offensichtlich war sie beim Anblick der alten Fotos tiefer in Gedanken versunken als sie bemerkt hatte. "Okay...", nuschelte sie schnell und löste ihr Hand wieder von Dymeon, als hätte sie sich daran verbrannt. "Dann lass uns gehen..." Sie verließen das Zimmer und stiegen die Turmtreppe hinab ohne sich zu unterhalten. Zeliarina spürte Dymeons Blicke in ihrem Rücken, vermied es jedoch beharrlich sich umzuschauen. Mit unnötiger Konzentration hielt sie nach anderen Lancelor Ausschau, obwohl Falcaniar wie ausgestorben schien und sie auf dem Weg zu der inzwischen leeren Eingangshalle und dem Innenhof der Feste niemandem begegneten. Als sie jedoch den Hof durchqueren wollten, ließ sie der Anblick einer Gestalt erstarren, die bewegungslos am Rand des silbernen Brunnens saß. Noch ehe sie sich zurückziehen konnten, sprang die Gestalt auf und kam ihnen langsam entgegen. Silbernes Mondlicht fiel auf schneeweißes Haar... "Kevin...", erkannte Zeliarina ein wenig erleichtert. "Was machst du hier?" "Das Selbe wie du, vermutlich", erwiderte der Elementare mit einem Grinsen, während er auf den gepackten Rucksack auf seinen Schultern deutete. "Und da ich irgendwie das Gefühl hatte, dass du bald hier vorbeikommen würdest, dachte ich mir, dass wir am besten zusammen aufbrechen..." "Du willst auch nach London?" "Natürlich...", meinte Kevin, "Ich lasse nicht zu, dass man mich hier zurücklässt... Deswegen bist du doch auch hier, oder? Du willst auch nicht in Sicherheit hocken, während Dunkan und die anderen draußen ihr Leben riskieren..." Zeliarina nickte langsam, betrachtete dabei aber besorgt die vielen sichtbaren Verbände, die Kevin noch am Körper trug. Sie erinnerte sich daran, wie er vor mehreren Wochen auf einer Trage aus einem gelandeten Helikopter gebracht wurde, die Kleidung durchweicht von rotem Blut, die Haut an vielen Stellen mit tiefen Rissen zerfetzt. Auch wenn er inzwischen wieder von Doc Fossil zusammengeflickt worden war, so hatte Dunkan doch klar gemacht, dass die Wunden jederzeit wieder aufbrechen konnten. "Ist das nicht gefährlich, Kevin?", murmelte Zeliarina vorsichtig, "Vielleicht solltest du wirklich-" "Halte mir keine Predigen, Zeliarina", brummte Kevin leichthin, während er versuchte die Verbände an seinen Händen und Fingern mit dem Ärmel zu. "Außerdem solltest gerade du mich verstehen. Du bist ebenso unvernünftig wie ich, vielleicht sogar mehr als ich. Bei mir geht es um mein persönliches Wohl, doch wenn du nach London gehst, bringst du die ganze Welt in Gefahr! Vielleicht bist du diejenige, die lieber hier bleiben sollte..." Dymeon trat bedrohlich vor, doch Zeliarina hielt ihren Schutzritter zurück und starrte Kevin stur in die Augen. "Du weißt nicht, was es bedeutet die gesamte Last dieses Krieges zu tragen. Ich bin diejenige, die ihn wieder neu entfacht hat. Ich habe Excalibur befreit und Thundenstar an mich genommen, wegen mir ist der Däezander neu aktiv geworden! Wegen mir sterben diese Menschen da draußen, deswegen muss ich etwas tun! Ich will niemandem mehr leiden sehen, nicht wenn ich etwas dagegen tun kann!" Zeliarinas grüne Augen bohrten sich in Kevins braune. Einen Augenblick lang schien es so, als würden beide Freunde aufeinander losgehen. Doch dann verzog sich Kevins Mund zu einem weiteren, breiten Grinsen. "Nun dann, wollen wir jetzt gehen? Du hältst mich nicht auf, ich halte dich nicht auf... So einfach ist das Ganze..." Zeliarina spürte, wie ihre Augenwinkel plötzlich anfingen zu brennen. Grob wischte sie sich kurz darüber und fragte sich verärgert, wieso sie schon wieder wegen solchen Worten anfangen wollte zu weinen. Kevin war nie ein großer Redner gewesen und drückte sich manchmal etwas ungeschickt aus, doch egal wie einfach seine Worte waren, sie bedeuteten Zeliarina unendlich fiel. Neben Dymeon war er der Einzige, der ihre Entscheidung akzeptierte, selbst wenn sie auf den ersten Blick falsch erschien. Aber es ist nicht falsch... ich bin die Wächterin eines Götterschwertes, nur ich kann im Götterschwertkrieg gegen die Feinde bestehen... "Danke, Kevin...", würgte Zeliarina hervor, immer noch mit den Tränen kämpfend. Kevin lächelte nur. "Es gibt nichts zu danken... Komm, wir hauen ab, ehe uns noch jemand findet... Ich kann uns mit einem Motorboot ans Festland bringen. Von dort aus können wir dann einen der Kleinbusse der Lancelor für die Fahrt nach London nehmen..." Zeliarina nickte nur. Und so gingen Dämon, Elementarer und Donnerhexe in der Dunkelheit Seite an Seite den Pfad zu der halbmondförmigen Bucht hinab, bereit sich den unbekannten Gefahren zu stellen, die auf sie warten würden... Gemeinsam mit dem Tag des Grauens würde jeder von uns Dreien in die Geschichte eingehen... ------------------------------------------ Nächstes Kapitel: Die Welt zerbricht unter der Grausamkeit der Dämonen... In den Straßen geht der Wahnsinn des Krieges um... Und während die Schlacht tobt, entzündet ein einzelner Schrei die Hoffnung in den Herzen der letzten verbliebenen Verteidigern der Menschheit... "Wir sind Lancelor!" Kapitel 27: Wir sind Lancelor! ------------------------------ Kapitel XXIV - Wir sind Lancelor! Als Zeliarina, Dymeon und Kevin in dem schwarzen Kleinbus durch England fuhren, hatten sie das befremdliche Gefühl nicht durch die ihnen bekannte Welt zu reisen, sondern viel mehr durch ein dunkles und zerfallenes Abbild der Erde. Der Himmel hatte sich seit ihrer Ankunft an der geheimen Anlegestelle der Lancelorboote nahe Scarborough zugezogen. Die Sterne und der Mond waren von der schwarzen Wolkenwand vollkommen verdeckt, so dass die Nacht dunkler als sonst wirkte. Nur hin und wieder erhellte ein kurzer gegabelter Blitz die Umgebung. Kevin konzentrierte sich in der Finsternis völlig auf die Straße und Dymeon starrte mit ausdrucksloser, leerer Miene nach vorne, während Zeliarina die Einzige schien, die die vorbeiziehenden menschenleeren Felder und abgedunkelten Häuser wahrnahm. Auch ihre Fahrbahn war unheimlich frei, fast so als wären sie inzwischen die einzigen drei Lebewesen im Land. "Wir müssen bald da sein... Siehst du?", murmelte Kevin, die Augen immer noch auf die Fahrbahn geheftet und die Hände um das Steuer ihres Wagens verkrampft. Zeliarina spähte durch die Frontscheibe, gerade als ein Blitz durch die Wolken fuhr und die gegenüberliegende Fahrbahn in gleißendes Licht tauchte. Hunderte Autos stauten sich dort in zwei langen Reihen. Viele von ihnen hupten, fast noch mehr schrieen und im gleichmäßigen Abstand einiger Sekunde plärrte irgendwo ein kleines Kind. "Flüchtlinge...", raunte Dymeon. Ihr Kleinbus schnellte an unzähligen Autos vorbei. Zeliarina erkannte, dass mehrere von ihnen in panischer Flucht gegeneinander gefahren sein mussten und die Insassen dieser Fahrzeuge hin und her gerissen waren zwischen der Erleichterung, dass nichts Ernstes passiert war, und der Angst, dass sie nun nicht mehr weiterfahren konnten. Ein Mann stand neben seinem demolierten Wagen und brüllte mit entsetztem Gesicht auf seinen Gegenüber ein, während seine Frau versuchte einen blutenden Schnitt über seinem Auge zu verbinden. Das Geschrei weckte weitere Kinder, die ebenfalls anfingen zu schreien, als sie bemerkten, dass sie aus ihrer vertrauten Heimat gerissen worden waren. Offensichtlich wollte jeder so schnell wie möglich weit weg von London, einem der Siedepunkte dämonischer Aktivitäten. Obwohl die Stadt noch einige Kilometer entfernt war und Zeliarina sie nicht sehen konnte, spürte sie sie bereits anhand gewaltiger dämonischer Energie, die ihnen eisig entgegenschlug. Sie sah auch Kofferraumklappen, die aus den Angeln gerissen worden waren, und Kratzer in vielen Autotüren. Zweifellos ebenfalls ein Werk des Däezander. Die Welt verändert sich... Was auch immer noch kommen mag, sie wird nie wieder die Welt sein, die ich einmal kannte... Zeliarina wurde sich plötzlich schmerzlich bewusst, wie viel Zeit vergangen war, seit sie ihre Mutter gesehen hatte. Nach dem Besuch bei ihr, bei dem Melissa ihren Arm verloren hatte, war sie nie in ihr Heimatdorf zurückgekehrt. Manchmal, wenn sie das Gefühl hatte unter der erdrückenden Last ihres Schicksals einzubrechen und das Heimweh besonders groß war, schickte sie ihrer Mutter eine Postkarte oder rief sie an, doch dann spielte sie ihre Probleme herunter, erzählte nichts von den Dämonen oder den grausamen Kämpfen. Immer hatte Zeliarina versucht ihre Mutter nicht mit den Lancelor zu konfrontieren. Nun war die ganze Welt mit ihnen konfrontiert... Ich hoffe, es geht dir gut, wo immer du auch gerade bist... Die Donnerhexe schaute wieder aus dem Fenster, fast so als erwarte sie, dass ihre Mutter in einem der vorbeiziehenden Autos saß. Doch sie sah nur fremde Gesichter und hörte die Schreie der Angst von den Flüchtlingen. "Wir sind jetzt gleich da...", verkündete Kevin ruhig. Die Muskeln seiner Arme spannten sich sichtlich unter seiner Lancelorkleidung. Zeliarina konnte nicht sagen, ob aus Furcht oder Erwartung. "Was werden wir tun, wenn wir in London sind?", fragte Dymeon. Zeliarina hörte nicht auf aus dem Fenster zu starren. Sie versuchte anhand der Gesichter der Fremden zu erkennen, was für Menschen sie waren. Was für einen Beruf hatten sie? Gab es Familie, Freunde? Waren sie gute Väter oder Mütter oder Söhne oder Töchter? Irgendwie erschien ihr das wichtig. "Wir suchen Dunkan und die anderen und schließen uns ihnen an. Wenn man uns wegschicken will, ziehen wir auf eigene Faust los und machen uns in der Stadt nützlich. Vielleicht spüren wir ein paar Dämonen auf, vielleicht retten wir ein paar Menschen, die nicht flüchten können. Hauptsache wir tun einfach irgendetwas..." Sie erreichten die ersten Ausläufer Londons. Zeliarina hatte erwartet, dass die Autos auf der gegenüberliegenden Fahrbahn weniger werden würden, je weiter sie in die Stadt vordrangen, doch es schien umgekehrt. Die Kolonne der Flüchtlinge staute sich hier noch mehr, einige Autos waren sogar als Geisterfahrer unterwegs, um möglichst schnell verschwinden zu können. Die Rufe und Schreie wirkten hier nervöser, gehetzter... Und dann, völlig ohne Vorwarnung, explodierte die Welt um sie herum in grellem Licht. Eine Säule weißen Feuers schoss etwa einen Kilometer entfernt aus dem Boden, zerstörte bedingungslos Straßen und Gebäude und schraubte sich in den Himmel. Die Menschen verfielen in Panik. Viele von ihnen stiegen aus ihren feststeckenden Autos und rannten um ihr Leben. Während sie flüchteten, vereinten sie sich zu einer unüberschaubaren Masse aus Männern und Frauen, die wie eine unaufhaltsame Flutwelle aus der Stadt spülte. Zeliarina sah eine junge Frau, kaum aus dem Mädchenalter heraus, in ihrer Eile stürzen und zu Boden fallen. Sofort schloss sich die Menge über ihr und verschluckte ihr erschrockenes Gesicht. "Bleibt im Wagen!", zischte Dymeon hastig, doch weder Zeliarina noch Kevin dachten daran den Schutz ihres Autos zu verlassen, während die Menschen an ihnen vorbeiströmten. Sie hatten nur Augen für die gewaltige Lichtsäule, die einen Teil der Stadt zertrümmert hatte. Ich kenne das... Zeliarina spürte einen schweren Knoten im Magen und schmeckte etwas Bitteres. Sie kannte diese Säule, diese brennende und zwischen den Wolken verschwindende Röhre aus der Illusag. Es schien, als hätten die Bilder der Traumebene sie nun in der Wirklichkeit eingeholt. "Großer Gott... was geht hier vor?", murmelte Kevin fassungslos. Zeliarina wagte kaum zu atmen. "Das Ende naht..." Dämonen strömten plötzlich aus allen erdenklichen Richtungen auf sie zu. Einige sprangen von den Dächern der umliegenden Häuser wie nachtschwarze Fledermäuse, andere stiegen aus dem Boden. Schnell erreichten die Angehörigen des Däezander die Londoner Bewohner und begannen umgehend ein blutiges Massaker, dass die Menschen aufschreien ließ wie tödlich verängstigte Tiere. Kevin griff nach seiner Waffe, als ein Rütteln durch den Bus ging und ein metallisch klingender Aufschlag verkündete, dass jemand auf ihrem Dach gelandet war. Gleich darauf bohrte sich eine Klaue durch das Blech über ihnen. "Raus! Alles raus!", brüllte Kevin. Er richtete seine abgesägte Schrotflinte nach oben und schoss blind auf den Angreifer auf ihrem Dach. Zeliarina hörte ein Gurgeln und spürte wie das Gewicht des Dämons von dem Auto abfiel, doch inzwischen versuchten zwei Tryclonns durch ihre Frontscheibe zu brechen. Zeliarina richtete ihre Pistole auf sie und tötete sie präzise, während Kevin seine Waffe nachlud. Dymeon schwang sich aus dem Auto, sah mit getrübtem Blick auf das Chaos, das in der Stadt tobte und stürzte sich nach kurzem Zögern auf den erstbesten Dämon, der versuchte einen unschuldigen Passanten aufzuschlitzen. Zeliarina folgte ihrem Schutzritter, begleitet von Kevin. Beide verstrickten sich schnell in hitzige Gefechte gegen Tryclonns, Oggrons und andere Dämonen. Das weiße Licht der brennenden Säule verteilte sich auf dem Schlachtfeld... "Das sind viel zu viele!" Immer neue Horden unheiliger Kreaturen stürzten sich aus ihren Verstecken. Es mussten dutzende sein, vielleicht auch hunderte. Zeliarina wusste, dass sie nicht alle bekämpfen konnten, doch sie hatte sich entschieden zu helfen, hatte sich entschieden die Opfer dieses Krieges mit allen Mitteln gering zu halten. Zähneknirschend riss sie mit der freien Hand Thundenstar aus ihrem Gürtel. Das Schwert fing augenblicklich an mit einer Intensität zu singen, die alles zuvor übertraf. Es verlangte danach geführt zu werden und es verlangte danach wieder mit seinen Geschwisterklingen vereint zu werden. Zeliarina spürte die Verbindung zu den sechs anderen Götterschwertern so deutlich, als wären sie mit unsichtbaren Fäden an Thundenstar gekettet. Neben ihr verteidigte Kevin eine fünfköpfige Familie vor einem schwarzen Golem, der aus Obsidian zu bestehen schien und eine altertümliche, aus demselben Material bestehende Axt führte. Der Elementare brauchte mehrere Schüsse und den Einsatz seiner Feuerkräfte, um den steinernen Krieger zu Fall zu bringen. Irgendwo im Getümmel riss Dymeon mit seinen Klauen einen Marionetter auf, der versuchte die Menschen mit seinen manipulierenden Kräften zurückzuhalten. Seine Krallen waren bespritzt mit schwarzem Dämonenblut. Was für ein Wahnsinn... Auch Zeliarina klatschte die schwarze Flüssigkeit ins Gesicht, doch die schillernde breite Klinge Thundenstars blieb unbefleckt. Sie reflektierte das Licht der flammenden Säule... Zeliarina suchte fieberhaft nach einem Weg die Menschen von den gnadenlosen Dämonen zu trennen, doch sie allein konnte nicht die ganze Armee aus Feinden zurückwerfen... Sie konnte selbst mit Thundenstar nicht gegen solch eine Übermacht siegen... Um sie herum fielen die Menschen im Sekundentakt unter den Händen der Dämonen... Wie aufs Stichwort kam ein Helikopter mit dröhnenden Rotoren über den Spitzen einiger Hochhäuser zum Vorschein. Er trug das Zeichen der Lancelor auf der Seite und flog auf sie zu, ehe weitere Maschinen dahinter erschienen. Wie ein Schwarm Vögel schwirrten die Hubschrauber über ihnen. Lancelor in ihrer Kampfkleidung seilten sich geschickt aus ihnen herab, während zur gleichen Zeit aus mehreren Nebenstraßen schwarze Kleinbusse auftauchten, die genauso aussahen wie das Fahrzeug, dass Zeliarina, Dymeon und Kevin nach London gebracht hatte, und aus denen weitere Lancelor traten. Die Dämonen ließen augenblicklich von ihrer wehrlosen Beute ab und wandten sich den Mitgliedern des Ordens zu, den sie bereits solange bekämpften. Einen Moment lang war es seltsam ruhig, als sich beide Parteien einfach nur anblickten. Dann zerriss ein urgewaltiger Lärm erneut die Luft. Das unheimliche Kreischen der Dämonen, mutige Schlachtrufe der Lancelor und angsterfüllte Schreie der Nichtswissenden prallten von den Wänden der Häuser ab, stiegen in den Himmel empor und schienen die Welt selbst zu erschüttern. Schon sah Zeliarina die ersten Magieblitze durch die Luft fliegen. Die Menschen rannten davon ohne sich umzusehen, verwirrt von der unerwarteten Rettung, und Zeliarina sah ihnen nach solange sie noch zu erkennen waren, ehe sie sich wie die anderen Lancelor in den Kampf stürzte. In ihrer Erleichterung, die Unschuldigen gerettet zu haben, kämpfte sie wie berauscht und hatte einen kurzen glücklichen Moment, in dem sie das Gefühl hatte, dass jetzt alles gut verlaufen würde. Sie streckte einen Tryclonn mit ihrem Schwert nieder, schoss einem weiteren Oggron in die Brust und hackte sich anschließend unerschrocken einen blutigen Weg zu Dymeon und Kevin, die sie in dem Gewimmel kurzzeitig verloren hatte. Das ist der wahre Götterschwertkrieg... Ein Massaker... Ein Gemetzel... Wahnsinn! Das Hochgefühl, das vom Erscheinen der Lancelor ausgelöst worden war, verflog bereits wieder und ließ Zeliarina alleine mit den beängstigenden Eindrücken, die von allen Seiten auf sie eindrangen: die Geräusche von knallenden Pistolen und schreienden Kämpfern, das unnatürlich grelle Licht der brennenden Säule und der allgegenwärtige Gestank von Blut. Die dunkle Lebensflüssigkeit haftete überall an Zeliarina, färbte ihren Körper rotschwarz und durchtränkte ihre Kleidung. Für einen Augenblick glaubte sie McCain in der rangelnden Menge zu erkennen, ehe sie einem weiteren Dämon Thundenstar in die Seite stieß, sein Blut durch ihr Blickfeld sprühte und sie das vertraute Gesicht wieder in der Menge verlor. Auch Kevin und Dymeon waren erneut verschwunden. Zeliarina stand allein in einer Masse aus Dämonen, die gierig versuchten sie zu Fall zu bringen. Die unsichtbaren Bindungen mit den anderen Götterschwertern zerrten inzwischen immer stärker an Thundenstar, so dass es schwerer in Zeliarinas Hand zu liegen schien. Die Donnerhexe spürte, dass mindestens eine Geschwisterklinge in der Nähe sein musste, Thundenstar verriet es ihr. Und es kam stetig näher. Die Lichtsäule... Aus ihr entspringt einer der zwei Götter... Zeliarina erinnerte sich an die schrecklichen Ereignisse in der Illusag, als die weiße Feuersäule die Wolken verbrannt hatte, Autos und Menschen mithilfe einer Druckwelle herumgewirbelt hatte wie Herbstlaub und schließlich dem Nachtdrachen Gestalt verlieh. Doch noch war es nicht soweit. Noch hatte Zeliarina Thundenstar in ihren Händen. Kein Gott konnte beschworen, keine Dämmerung vollzogen werden, wenn nicht alle sieben Götterschwerter aufeinander trafen. Trotzdem musste zumindest eine der heiligen Klingen bereits in dem siebenzackigen Podest stecken und darauf warten seine gesamte Macht entfesseln zu dürfen, sonst würde die Lichtsäule nicht bereits am schwarzen Himmel brennen. Das Götterschwert in der Nähe konnte nur wenige hundert Meter entfernt sein. Die Anziehung der Klinge war so stark, dass Zeliarina das Gefühl hatte einen starken Magneten in Händen zu halten. Beinahe gegen ihren Willen wurde sie durch die Menge in eine bestimmte Richtung gezogen, dorthin wo der Kampf am heftigsten tobte und die meisten Dämonen- und Lancelorleichen den Londoner Boden bedeckten. Das Schwert muss in dieser Schlacht wirken... Welches ist es? Kugeln schwirrten dicht an ihrem Kopf vorbei, Klauen schnappten nach ihr, doch nichts konnte Thundenstar und seine Wächterin daran hindern näher zu dem anderen Götterschwert zu gelangen. Während sich Zeliarina noch versuchte ins Gedächtnis zu rufen welcher Dämon welches Schwert besaß, stand ganz plötzlich Dunkan neben ihr und starrte sie fassungslos an. Er griff nach ihrer Hand und schrie, obwohl die Worte Zeliarina über den Lärm kaum erreichten. Es interessierte sie auch kaum was ihr Mentor zu sagen hatte. Wichtig war nur das andere Schwert... Nur das Schwert... Zu ihrer eigenen Verwunderung stieß die Donnerhexe Dunkan achtlos von sich, direkt in eine Gruppe von angriffslustigen Tryclonns. Wie in Trance beobachtete sie, wie sich der Palas erbittert gegen die Dämonen wehrte, ohne dabei in ihren Schritten innezuhalten. Ihr Körper bewegte sich von alleine, ohne ihre Zutun. Doch sie empfand dabei keine Angst. Thundenstar führt mich... Wieder watete Zeliarina durch ein Meer aus Kämpfenden. Sie konnte sich nicht erinnern auf ihrem Weg Feinde abgewehrt zu haben, doch nach einigen Metern klebte frisches Blut an Thundenstars breiter Klinge und feiner Rauch kräuselte sich aus dem Lauf ihrer Pistole. Zeige dich mir, Götterschwert... Zeige dich! Und das Götterschwert zeigte sich wirklich. Kaum zehn Meter von Zeliarina entfernt explodierte auf ihren Gedanken hin eine blaue Druckwelle, die mehrere Lancelor hoch in die Luft warf, wo sie ein paar Sekunden lang in der Schwebe zu hängen schienen wie hilflose Puppen, ehe sie mit ekelhaft knirschenden Geräuschen wieder auf dem Boden aufschlugen. Ohne zu zögern schlug sich Zeliarina zur Quelle des magischen Angriffs durch und sah sich unvermittelt einem Feind gegenüber, mit dem sie am allerwenigsten gerechnet hätte... "Assessina..." Der Name entwich ihren Lippen nur zischend. Die Dämonin mit den schwarzen Haaren und den giftgrünen Augen grinste erfreut und breitete die Arme aus, als wolle sie eine alte Freundin begrüßen. In der einen Hand hielt sie Azuransas, die blaue Sonne, aus der anderen ragte oberhalb des Handrückens ein langer und dünner Stachel hervor, an dem Blut klebte. Um sie herum lagen mehrere reglose Lancelor. Die anderen hielten Abstand zu ihr. Ihre Gesichter waren grimmig, doch sie fürchteten sich vor der gewaltigen Macht eines Götterschwertes. "Hallo..." Zeliarina hatte das Gefühl, als würde dieses Wort plötzlich ihr vorher inaktives Gehirn wieder anschalten. Zum ersten Mal wurde ihr wirklich bewusst, dass sie vor kaum drei Minuten Dunkan getroffen hatte, dass sie ihn in eine Dämonenhorde geschubst hatte. Die Tatsache, so furchtlos und zielstrebig durch die tobende Schlacht gelaufen zu sein, versetzte sie nun in Angst und Schrecken. "Zeliarina, nicht wahr? Was für eine Überraschung..." Assessina musterte sie abschätzend, dann die Lancelor in ihrer Umgebung. "Es ist ein Wink des Schicksals, das wir hier aufeinander treffen, am Ort des Endes und des Anfangs, zur Zeit einer neuen Ära. Die sechs Schattenklingen warten nur noch auf Thundenstar..." Die Dämonin deutete hinter sich, ohne den Blickkontakt mit Zeliarina zu brechen. Die weiße Flammensäule erhellte dort Londons Straßen und brannte einen breiten Strich in den Himmel. "Die Zeremonie hat bereits begonnen...", säuselte sie genüsslich mit ausgestreckten Armen. Zeliarina fing an so heftig zu zittern, dass ihre Zähne aufeinander schlugen und sie die Kiefer anspannen musste, damit man das Klappern nicht hörte. "Du wirst mir Thundenstar nicht nehmen!", erwiderte Zeliarina heftig. Einem Impuls folgend holte sie mit ihrem Götterschwert weit aus. Sie fühlte die Magie in das Schwert steigen und hörte die knisternden Blitze, die darauf warteten mit einem Hieb entladen zu werden, doch noch ehe sie zuschlagen konnte, entflammte Azuransas in blauem Licht. Eine Druckwelle, ähnlich der von vorhin, riss ein Dutzend Lancelor meterhoch in die Luft und schleuderte Zeliarina mit entsetzlicher Kraft davon. Die Donnerhexe schrie auf, als sie fühlte wie sie davonflog, und stöhnte, als sie heftig mit dem Rücken am Boden aufschlug. "Zeliarina!" Lancelor lösten sich augenblicklich aus dem Gefecht, um sich schützend um sie aufzubauen und ihr zur Hilfe zu eilen. Auch wenn immer neue Dämonen heranströmten und ihre Überzahl erdrückend wurde, kämpften die Lancelor unter Einsatz ihres Lebens für die Wächterin Thundenstars. Zeliarina rappelte sich schnell wieder auf, spürte Thundenstar, die Sehnsucht des Schwertes und die zwingende Verbindung zu Azuransas, doch diesmal ließ sie sich nicht davon leiten. Dämonenaura umgab sie wie ein undurchdringlicher Nebel, der drohte sie unter einer Flut von Hassgefühlen zu ersticken. Sie konnte nur schwer klar denken, verbrauchte alle Kraft dabei nicht noch einmal blind auf die Suche nach Azuransas zu gehen. Dann stand plötzlich Dunkan erneut neben ihr und packte sie am Arm, diesmal fester als zuvor, als befürchte er wieder davon gestoßen zu werden. Reuig sah Zeliarina die Kratzer auf seiner Stirn und seinen Wangen, die von Dämonenkrallen stammen mussten. "Was zum Teufel machst du hier?", fuhr Dunkan sie mit hartem Gesichtsausdruck an. Als sie nicht antwortete, schüttelte er sie kurz und schloss dabei selbst fieberhaft nachdenkend die Augen. "Die Angriffe des Däezander haben hier am heftigsten gewütet. Überall sonst auf der Welt konnte man die Situationen wieder halbwegs unter Kontrolle bekommen, doch London wird von den Dämonen überrollt. Diese Biester scheinen aus den Eingeweiden der Erde zu klettern und ihr Strom reißt einfach nicht ab. Warum bist du ausgerechnet hierher gekommen, Zeliarina? London ist verloren..." Zeliarina hörte die Verzweiflung in der Stimme ihres Mentors. Es bereitete ihr einen schmerzhaften Stich im Herz. London war verloren... Ungewollt tauchte ein weitere Erinnerung aus der Illusag in ihr auf und drängte sich ihr unaufhaltsam in den Kopf: Der Himmel war plötzlich schwarz, die See unruhig. Blitzschläge erhellten die grausigen Trümmer eines zerstörten Falcaniars. Dunkan stand stumm zwischen all seinen gefallenen Kameraden und starrte Zeliarina ausdruckslos an, als könne er sie zwar erkennen, jedoch nicht verstehen wieso sie bei ihm war. "Die Hoffnung ist zerschmettert... Nun gibt es nichts mehr zu beschützen..." All das ähnelte ihrer jetzigen Lage so stark, dass Zeliarina fröstelte. Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken abzuschütteln, und hörte gerade noch wie Dunkan schrie so laut er konnte: "Rückzug! Sofortiger Rückzug zu den festgelegten Fluchtpunkten!" Die Lancelor versuchten sich aus dem Gemenge zu lösen, doch die Dämonen lauerten überall auf sie und fielen gnadenlos über sie her. Niemand glaubte noch an den Sieg und hatte die Kraft durchzuhalten, doch es konnte auch niemand fliehen. Dunkan schloss wieder die Augen, als ein junger Lancelor blutüberströmt vor ihm zusammenbrach. Unter seinen Augenlidern sickerten glänzende Tränen hervor. Wahnsinn! Zeliarina spürte, dass ihr eigene Tränen in die Augen schossen. Das allgegenwärtige Töten war zu viel für sie und widerte sie an, vor allem weil sie sich immer wieder vor Augen führte, dass sie es war, die diesen Krieg verursacht hatte. Also muss auch ich ihn beenden... Wegen nichts anderem bin ich hier... Hoffnungslosigkeit spiegelte sich in den Augen zahlloser Lancelor, die nun immer schneller niedergemäht wurden. Zeliarina wusste, dass ihre Ordensgeschwister von dieser Hoffnungslosigkeit befreit werden mussten, sonst wäre die Niederlage nicht mehr aufzuhalten. Ohne auf Dunkan zu achten, stürmte sie plötzlich auf den nächstgelegenen ramponierten schwarzen Kleinbus zu, den sie finden konnte, schlug auf dem Weg noch zwei Golems aus Sandstein nieder und schwang sich schließlich mit einer geschickten Bewegung auf das Dach des Autos. Instinktiv baute sie sich zu voller Größe auf und riss Thundenstar in die Höhe. Einer der Blitze, die zwischen den schwarzen Wolken hin und her sprangen, fuhr zur Erde herab und schlug knisternd direkt in ihrem Schwert ein, ohne sie dabei zu verletzen. Augenblicklich brannte die breite Klinge Thundenstars goldgelb, vibrierend unter der Macht des urgewaltigen Blitzes, den es eingefangen hatte. Die Schlacht kam kurzzeitig zum erliegen, denn jeder Blick, ob von Dämon oder Mensch, ruhte plötzlich auf ihr. "Lancelor!", schrie sie aus voller Kehle, wohl bewusst dass nun jedes ihrer Worte genau gewählt sein musste. Sie versuchte sich ihre eigene Erscheinung vorzustellen, wie sie erhaben auf dem Autodach thronte, das magische Schwert flimmernd vor Energie, die langen Haare im Wind aufgepeitscht, besprenkelt mit Blut und Schmutz und umgeben von einer nicht greifbaren Aura von Autorität und Entschlossenheit. Geschult von den vielen Geschichten, die Zeliarina den ganz jungen Lancelor erzählt hatte, und inspiriert von der Vorstellung ihres eigenen Aussehens, wusste sie plötzlich genau welche Worte sie wählen musste, um die Herzen ihrer Mitstreiter zu berühren. "Lancelor!", schrie sie noch einmal so laut sie konnte, "Dies ist die Stunde, in der unsere Leben, wie wir sie bisher geführt haben, auf die Probe gestellt werden! In der sich zeigen wird, dass unsere Anstrengungen, Bemühungen und gebrachten Opfer nicht umsonst gewesen waren, und dass unsere Träume uns den Weg weisen diesen Krieg zu beenden! Wir sind Lancelor! Wir haben Blut vergossen und Tränen geweint! Manchmal schien uns die Verzweiflung zu verzehren, doch wir haben nie aufgegeben, haben immer weitergekämpft um irgendwann Frieden zu haben! Wir haben einen Eid geschworen diese Welt mit unseren Kräften zu schützen! Darum kämpft weiter! Kämpft weiter für eine friedliche Zukunft für unsere Lieben, selbst wenn es heißt, dass wir hier sterben müssen! Kämpft für unsere Freunde! Kämpft für unsere Familien!" Zeliarina riss die freie Hand in die Luft und ballte sie zur Faust, die Augen fanatisch flackernd, während niemand sich dem Bann ihrer Rede entziehen konnte. "Kämpft weiter, denn diese Schlacht ist noch nicht verloren! Solange auch nur ein Lancelor auf Londoner Boden steht, wird es nicht zu Ende sein! SOLANGE ICH THUNDENSTAR HALTE, IST DER KAMPF NICHT VERLOREN!" Das blitzende Schwert in ihrer Hand strahlte so hell, dass es die Umstehenden blendete. Bei jedem Wort, das Zeliarina sprach, schien das Licht noch stärker zu leuchten. "Darum haltet stand! Gebt nicht auf! Im Namen von allem wofür wir stehen! Zum Wohle der Menschheit und zum Wohle unserer Welt! IM NAMEN ALLER, DIE BEREITS IHR LEBEN GABEN UM DIE DUNKLE DÄMMERUNG AUFZUHALTEN!" Zeliarina griff Thundenstar mit beiden Händen, wie der Henker die Axt. Ohne an ihrem Vorhaben zu zweifeln, ohne auch nur nachzudenken, klammerte sie sich an den Griff so hart es ging und schwang das Schwert. Der Blitz, der in die Klinge gefahren war, entlud sich augenblicklich, fuhr als gigantischer Strich gelben Lichtes über das Schlachtfeld und riss eine Schneise der Zerstörung durch die Straße. Dutzende Dämonen verbrannten in dem magischen Feuer des Götterschwertes, während die Lancelor wie durch ein Wunder verschont blieben... "NOCH HALTE ICH THUNDENSTAR!!! NOCH IST NICHTS ENTSCHIEDEN!!!" Damit sprang Zeliarina furchtlos vom Dach des Busses und stürzte sich mitten in den Kampf. Um sie herum explodierten die Kriegsschreie der Lancelor, berstend vor Entschlossenheit und unerschöpflichem Willen, als sie es ihr gleichtaten. Dämonen wurden weggefegt wie Spielzeug, die manipulierenden Kräfte der Marionetter wurden abgeschüttelt wie böse Gedanken und die Übermacht des Däezander schrumpfte langsam dahin. Für einen Moment waren die Dämonen von der heftigen, neu aufgekeimten Gegenwehr so überrascht, dass sie den Pistolen und Kräften der Lancelor nichts entgegenzusetzen hatten. Doch ebenso schnell fingen sie sich wieder und stürzten sich energisch in den Kampf zurück. Beide Parteien wurden von Gefühlen und Sehnsüchten getrieben, die so stark waren, dass niemand mehr freiwillig zurückweichen würde. Zeliarina fragte sich kurz, ob sie die Lancelor vielleicht mit ihrer Rede in den endgültigen Tod getrieben hatte, doch sie versuchte nicht darüber nachzudenken, sondern konzentrierte sich darauf am Leben zu bleiben. Azuransas zerrte aus der Entfernung erneut an Thundenstar. Diesmal gab Zeliarina dem Drang wieder nach, wenn auch nicht so kopflos wie beim letzten Mal. Das ist ein Chance, die ich mir nicht entgehen lassen darf... Ich muss ein zweites Götterschwert für uns gewinnen... Assessina schien ihr nach ihrem Angriff nicht gefolgt zu sein, im Gegenteil. Die Verbindung mit Azuransas schien eher seit Zeliarinas Rede immer schwächer zu werden und Zeliarina musste sich beeilen, um den Kontakt nicht gänzlich zu verlieren. Hastig schob sie sich durch die tobenden Kriegsscharen, wobei sie mehrmals links oder rechts einen Dämon mit Thundenstar niederstreckte. Schließlich erreichte Zeliarina völlig unerwartet das Ende der Schlacht. Es schien, als trete sie aus einem dichten Nebel aus Tod und Elend auf die leere Straße, deren ramponierter Asphalt zwar an den Kampf erinnerte, jedoch nicht einmal ansatzweise vermuten ließ, was sich genau hinter Zeliarina abspielte. Die Donnerhexe befand sich genau zwischen der ausgestorbenen Hauptstadt Englands vor ihr und dem apokalyptischen Gefecht von Dämonen und Menschen hinter ihr. Sie nahm sich die Zeit die Augen kurz zu schließen, tief durchzuatmen und zu genießen, dass man ihr keine Aufmerksamkeit schenkte oder nach dem Leben trachtete. Als sie die Augen jedoch wieder öffnete, sah sie Assessina in einiger Entfernung auf der Straße stehen. Es erinnerte Zeliarina an eine Duellszene aus einem Western. Doch anstatt die Waffe zu ziehen und sich auf den Gegner zu stürzen, entblößte Assessina nur ihre weißen Zähne mit einem seltsamen Grinsen und verschwand hinter einer Häuserecke. Eine Falle... Zeliarina war sich sicher, dass Assessina sie in einen Hinterhalt lockte, denn es schien der Einzige vernünftige Grund, dass die Dämonin nicht die Chance nutzte die Wächterin Thundenstars anzugreifen. Trotzdem folgte Zeliarina ihr nach kurzem Überlegen. Sie hatte es an diesem Tag schon lange aufgegeben logisch und rational zu denken, denn wenn sie kein Risiko eingehen und immer in Sicherheit verharren würde, bekämen die Lancelor nie ein zweites Götterschwert... Vorsichtig lief Zeliarina zu der Häuserecke, hinter der Assessina verschwunden war, doch die Verbindung zu Azuransas wurde weiterhin schwächer. Schon bald rannte Zeliarina, um ihr auf den Fersen zu bleiben, und vertraute dabei ganz auf die unsichtbare Bindung der Götterschwerter und den Weg, den Thundenstar ihr wies. Nach einem zehnminütigen Irrweg durch die Straßen Londons kam Azuransas wieder näher. Zeliarina beschleunigte ihren Schritt noch etwas. Sie zitterte vor Anspannung, verkrallte die Finger um ihr Schwert und bog um eine weitere Ecke. Ungewollt hielt sie den Atem an, denn vor ihr ragte die Lichtsäule des Ritualsteins in den Himmel hinauf. Aus der Nähe wirkte die Erscheinung aus weißen, wild wirbelnden Flammen noch gigantischer und präsentierte seine ganzen Ausmaße. Sie musste mindestens einhundert Meter breit sein, war aus einer großen Hauptstraße hervorgebrochen und hatte auf beiden Seiten die Wände der Häuser zerrissen. Zeliarina spürte, dass sich Assessina unter der Erde befand, genau im Ursprung der Flammensäule, dort, wo der Illusag nach das siebenzackige Podest für das Beschwörungsritual der Götter sein musste. Einen Augenblick lang entdeckte Zeliarina keine Möglichkeit der Dämonin zu folgen und verspürte dabei fast ein wenig Erleichterung, weil sie nicht gezwungen war unter die Erde zu gehen. Doch dann sah sie nur ein Stückchen vor dem Rand der Flammensäule, dass der Asphalt aufgebrochen und die Erde darunter aufgewühlt worden war, um einen verborgenen, abwärts führenden Gang aus rotem Stein freizulegen. Es war der gleiche Stein wie im Tempel Thundenstars, der gleiche Stein wie in den Ruinen von Tradan. Zeliarina schluckte. Sie zögerte noch den Abstieg zu wagen, während Thundenstar bereits ihre Schritte zum Eingang lenkte. Als sie direkt davor stand, kam es ihr vor wie der Schlund zur Hölle, wie ein dunkles Maul, das sie verschlucken und nie wieder ausspucken würde. Sie schauderte und spürte Angst und Unbehagen in sich aufsteigen, doch sie schluckte die Gefühle tapfer runter und ließ zu, dass Thundenstar sie durch den finsteren Tunnel aus rotem Stein führte... Der Krieg tobte mit unverminderter Härte weiter, während ich mich meiner letzten und schwersten Prüfung stellte. Nicht nur die Begegnung mit Assessina stand mir bevor, sondern auch die Konfrontation mit mir selbst und mit der unvorstellbaren Grausamkeit der Menschen, die der der Dämonen in nichts nachstand... ----------------------------------- Nächstes Kapitel: "Halt, Assessina...", wiederholte der Vermummte noch einmal. Obwohl er seine Stimme nicht erhob, sie sogar kaum mehr als ein Hauch war, hallten die Worte doch in Zeliarinas Ohren nach als hätte er durch den Raum gebrüllt. Mit langsamen Schritten kam er ein Stück näher. Der Saum seiner Kutte glitt dabei lautlos über den Steinboden... "Wer bist du?" Zeliarina wich instinktiv zurück. "Meinen richtigen Namen habe ich längst vergessen... Man nennt mich den Dämonenvater... Ich habe die Geburtsstunde des allerersten Dämons miterlebt..." Kapitel 28: Die Geschichte des Dämonenvaters -------------------------------------------- *schaut sich um* <.< >.> >.< Ich danke Hrafna aufrichtig für ihre lieben Kommentare, doch was ist aus meinen anderen treuen Lesern geworden? :( Habt ihr mich verlassen? *In Ecke verkriech und zusammenkauer* Trotzdem natürlich wieder viel Spaß an alle Leser mit dem neuen Kapitel^^ An Hrafna: Nach diesem Kapitel folgen noch ein Interludium und drei weitere Kapitel, ehe die Geschichte sein Ende findet. Und das mit den Cliffhangern ist natürlich gemeine Absicht, um die Leser in gespannter Erwartung zu halten^^ -------------------------------------------- Kapitel XXV - Die Geschichte des Dämonenvaters Kevin hatte schon viele Missionen der Lancelor bestritten. Er hatte Dämonen getötet, gegen eine Schattenklinge gekämpft und Kameraden an seiner Seite leiden und sterben sehen, doch nichts davon hätte ihn auf den offenen Krieg in London vorbereiten können. Schwarze, hasserfüllte Aura umgab ihn mit einer solch heftigen Ausstrahlung, dass er das Gefühl hatte sie wie zähes Wasser um sich herum zu spüren. Es erschwerte seine Bewegungen und er musste all seine Vorsicht, seine Muskelkraft und seine elementaren Fähigkeiten aufwenden, um zu überleben. Auf eine seltsame Weise hatte sich Kevin noch nie so lebendig gefühlt wie in den endlosen Minuten auf dem Schlachtfeld. Der Tod war überall und konnte einen jederzeit ereilen, deswegen erlebte und genoss der Elementare jede Sekunde mit einer ungewohnten Intensität. Gleichzeitig achtete er so genau auf seine Umgebung wie noch nie. Er versuchte jedes Geräusch, jede noch so kleine Bewegung aufzunehmen, um auf diese Weise vielleicht einem weiteren Angriff zu entgehen und noch ein paar Sekunden länger zu leben. Manchmal hatte Kevin das Gefühl, er könne die Herzschläge der umstehenden Krieger hören und jeden einzelnen einem Lancelor durch einzigartige Stärke und unvergleichbaren Rhythmus zuordnen... Wenn er seine Waffe auf einen Dämon richtete und abdrückte, hörte er den Luftzug aller vierzehn abgefeuerten Kugeln und konnte die schwarzen Blutstropfen wahrnehmen, die auf den Boden regneten. Nichts war wichtig außer seiner Umgebung und dem Verlangen danach zu überleben... "Kevin!" Kevin wirbelte herum, rammte einem Oggron dabei den Lauf seiner Waffe gegen die Stirn und sah gerade noch Dunkans wütendes Gesicht, ehe eine schwere Erschütterung den Boden beben ließ. Ein Donnerschlag rollte schwer über den Himmel, dann brannte die ganze Welt für zwei Sekunden in weißem Licht. Als es wieder erlosch, schien die Flammensäule in der Ferne noch stärker zu brennen. Zeliarinas Worte spukten in Kevins Kopf herum... Das Ende naht... Der Elementare schauderte und versuchte sich nach dem Beben und dem Licht neu zu orientieren. Noch ein Donnerschlag zog auf, doch es war nicht der gewöhnliche auf einen Blitz folgende Lärm, sondern ein beunruhigendes Grollen, das schnell näher kam. Als es den Boden wieder schüttelte, wusste Kevin, dass etwas nicht stimmte. Er sah das Flimmern in der Luft kurz bevor ihn die Wucht der Druckwelle davon schleuderte und abheben ließ. Neben ihm riss es Dämonen und Lancelor gleichermaßen von den Füßen. Sie flogen durch die Luft, überschlugen sich, rotierten um die eigene Achse, knallten gegeneinander. Autos und Gebäudetrümmer, die von der Druckwelle herangetragen worden waren, flogen an ihnen vorbei und zerquetschten dabei einige Krieger beider Orden. Kevin schloss die Augen, das pfeifende Geräusch des Windes in den Ohren, während er stumm darum betete die ausgerasteten Naturgewalten unbeschadet zu überstehen... Der Tunnel, der Zeliarina langsam in die Tiefen der Erde hinabführte und auf den Ursprung der weißen Feuersäule zusteuern ließ, war lang und dunkel. Sie konnte kaum die Umrisse der roten Wände erkennen und orientierte sich mit dem spärlichen gelben Licht, das Thundenstar hin und wieder abstrahlte. Manchmal fuhr sie auch mit den Fingern ihrer freien Hand über den Stein an der Seitenwand, denn es gab ihr ein schwaches Gefühl von Geborgenheit in der undurchdringlichen Finsternis etwas Materielles anzufassen, das die Welt definierte. Seit sie in der Illusag die Erlebnisse mit unendlichen Weiten von Grau oder Schwarz gemacht hatte, gefiel es ihr sich in fest begrenzten Räumen aufzuhalten. Verschlungene Gravierungen wölbten sich unter Zeliarinas Fingerkuppen. Sie versuchte sich gerade vorzustellen wie der Gang in hellem Licht aussehen musste, als ihr die Lampe ihrer Lancelorausrüstung einfiel, die durch den ganzen vorherigen Trubel völlig vergessen an ihrem Gürtel hing. Lächelnd griff sie danach und knipste sie an. Augenblicklich teilte ein heller Lichtstrahl die Dunkelheit und warf einen weißen Lichtkreis auf den roten Boden vor ihr, der ihr den Weg wies. Zeliarina entspannte sich etwas, doch ihre Hand, die Thundenstar hielt, bebte noch. Sie konnte unmöglich sagen, ob es tatsächlich ihre Muskeln waren, die unkontrolliert zuckten, oder ob das Schwert selbst vor ungeduldiger Erwartung zitterte. Dann, nach einer Ewigkeit so schien es, sah sie Licht am Ende des Tunnels. Ihr Magen rebellierte, als sich die Eingeweide vor Angst zu verknoten schienen, doch die Entschlossenheit, zu tun was getan werden musste, war deutlich stärker als ihr Verlangen nach Flucht. Mit betont gleichmäßigen und ruhigen Schritten näherte sich Zeliarina dem Ende des Ganges, atmete noch einmal tief ein und trat hinaus ins Unbekannte. Sie befand sich in einer imposanten, weiträumigen Halle. Einst musste sie über der Erdoberfläche gestanden haben, denn die glatten schwarzen Wände wurden in gleichmäßigen Abständen von farbigen Buntglasfenstern unterbrochen, die verschiedene Szenen aus Schlachten oder historischen Ereignissen zeigten, als erzählten sie eine unbekannte Geschichte. Inzwischen waren die bunten Fenster jedoch ausgebleicht und die Halle stand nicht mehr an der Oberfläche. Mattes Gestein und dunkle Erde türmten sich vor den Fenstern auf, drangen teilweise sogar durch zerbrochene Stellen im Glas ins Innere der Halle. Ansonsten blieb der Ort schmucklos. Nur das siebenzackige Podest mit einer Öffnung an jeder Ecke, das Zeliarina schon aus ihrer Zeit in der Illusag kannte, stand mitten in dem weiten Raum. Eine schwache Atmosphäre von Trauer und Verlust lag in der Luft, so wie man sie sonst auf Friedhöfen oder in Kirchen wahrnehmen konnte, und selbst die weiße Flammensäule, die aus dem Zentrum des Podests durch die Decke hindurch in den Himmel fuhr, vermochte sie nicht zu verdrängen. Wieder hatte Zeliarina das Gefühl ein Bild der Illusag hätte sich in die Wirklichkeit geschlichen. Fünf Gestalten reihten sich um das Podest, jede an einer der Öffnung im Boden. Zwei von ihnen, die Zeliarina als Ereos und Cenior erkannte, hatten bereits ihrer Schwerter Excalibur, Luna und Goth in drei der Öffnungen gesteckt. Jedes von ihnen strahlte ein anders farbiges Licht aus, die sich in der Mitte schließlich zu der gewaltigen weißen Lichtsäule vereinten. Die anderen drei Dämonen schienen wartend an ihren Positionen zu stehen und schenkten Zeliarina bei ihrem Eintreffen freundliche Blicke, die nicht über ihre böse Absicht hinwegtäuschen konnten. Assessina deutete augenzwinkernd auf die letzte unbesetzte Podestöffnung, die sich gleich vor Zeliarina befand. Die Donnerhexe schauderte. "Hallo Zeliarina", zischte Assessina zufrieden. Sie stand zwischen Ereos und einem unbekannten Dämon, der eine weite Kutte trug und das Gesicht im Schatten seiner Kapuze verborgen hielt. "Wir wussten, dass du kommen würdest... So nahe beieinander haben die Götterschwerter eine Anziehungskraft aufeinander, der man als Träger einfach nicht entgehen kann..." Wie zur Unterstreichung ihrer Worte stimmten die sieben Schwerter ihre magischen Lieder an, die sich in der Halle zu einem wilden Geflecht aus Licht und Klang verwoben. Es schien, als würden sich lange getrennte Freunde treffen und augenblicklich gleichzeitig von ihren Erlebnissen berichten. Zeliarina bekam eine Gänsehaut, als sie bemerkte, dass Thundenstar tatsächlich einen gewaltigen Druck auf sie ausübte und nach der Öffnung im Stein verlangte. Hätte die Donnerhexe dies zum ersten Mal erlebt, hätte sie vielleicht ohne zu zögern und ohne nachzudenken das Schwert in das Ritualpodest gesteckt, doch nun war sie darauf vorbereitet und konnte ruhig bleiben. "Nicht Thundenstar hat mich hierher geführt... Es hat mir vielleicht den Weg gewiesen, doch ich bin aus freien Stücken hier... Es will vereint werden mit seinen Geschwistern, dennoch werde ich seinem Wunsch nicht nachgeben, nicht solange die anderen Klingen in euren Händen sind..." Assessinas giftgrüne Augen funkelten. Zeliarina war sich beinahe sicher so etwas wie Unsicherheit darin zu erkennen. "Nicht?", murmelte die Dämonin leise. "Warum bist du dann hier? Willst du uns vielleicht herausfordern und besiegen? Alle Schattenklingen gegen eine einzelne unreife Hexe?" "Ich habe dich bereits einmal zuvor besiegt, Assessina..." "Schweig, du törichtes Gör!", schrie die Dämonin heftig. Die Erinnerung an ihre damalige Niederlage in den Ruinen von Tradan schien sie in Rage zu versetzen, während Azuransas auf die plötzlich verkrampften Finger seiner Trägerin hin blaue Lichtstrahlen durch die Halle sprenkelte. "Du bist von mehreren weitaus fähigeren Lancelor unterstützt worden und trotzdem war es nur Glück! Sei nicht so überzeugt von dir!" Zeliarina setzte ein überlegenes Lächeln auf, auch wenn sie sich längst nicht so mutig fühlte wie sie tat. "Wir können das ja gerne ausprobieren..." Wenn ich sie in einen Einzelkampf locken kann, ist meine Chance zu siegen deutlich höher... Assessina fauchte und warf ihr langes schwarzes Haar zurück. "Wurm! Du bist nur ein Insekt unter unseren Füßen. Ein nerviges zwar, doch trotz allem nur ein Insekt! Wieso glaubst du uns aufhalten zu können? Wieso hältst du dich für etwas Besseres? Du bist genau wie alle Menschen, die maßlos von sich überzeugt sind und denken, ihre Überzeugungen sind die einzig richtigen..." Mit eisigem Blick hob die Dämonin Azuransas vor ihr Gesicht und leckte langsam über die blaue Schneide. Ihre Zunge war gespalten wie bei einer Schlange. "Ich werde dir deinen Fehler in die schöne Haut ritzen..." Azuransas' Klinge schneidete Assessinas Zunge auf, doch die Dämonin lächelte nur, als sie Zeliarinas verstörtes Gesicht sah, und leckte ihr eigenes Blut vom Schwert. "Und dann töte ich dich und nehme mir Thundenstar!" Dann folgte der Angriff. Ehe Zeliarina bemerkt hatte, dass Assessina losgestürmt war, hatte diese bereits den halben Abstand zwischen ihnen hinter sich gelassen. Sie besaß eine Schnelligkeit und eine berserkerartige Wut, die Zeliarina vom ihren ersten Aufeinandertreffen nicht von ihr kannte. "Halt..." Assessina brach ihre Attacke augenblicklich wieder ab, kaum drei Meter von Zeliarina entfernt. Verwirrt starrten sowohl die Dämonin, als auch die Donnerhexe den Vermummten an, der Assessina durch ein einzelnes Wort aufgehalten hatte. Bisher hatte er sich überhaupt nicht bemerkbar gemacht und den beiden Götterschwertträgerinnen schweigend zugeschaut, und selbst jetzt, da er sich eingemischt hatte, schien er die Angelegenheit für seltsam nichtig zu halten. Zeliarina war sich sicher, dass er sie unter dem Schatten seiner Kapuze nicht einmal angeschaute. "Halt, Assessina...", wiederholte der Vermummte noch einmal. Obwohl er seine Stimme nicht erhob, sie sogar kaum mehr als ein Hauch war, hallten die Worte doch in Zeliarinas Ohren nach als hätte er durch den Raum gebrüllt. Mit langsamen Schritten kam er ein Stück näher. Der Saum seiner Kutte glitt dabei lautlos über den Steinboden... "Wer bist du?" Zeliarina wich instinktiv zurück. "Meinen richtigen Namen habe ich längst vergessen... Man nennt mich den Dämonenvater... Ich habe die Geburtsstunde des allerersten Dämons miterlebt..." Als Kevin seine gemurmelten Gebete einstellte und die Augen wieder öffnete, lag er mit dem Rücken auf einem umgekippten Auto und hatte alle Viere von sich gestreckt. Sein ganzer Körper tat weh von den Zusammenstößen in dem wilden Sturm der Druckwelle, doch außer unendlich vielen blauen Flecken und kleineren Schrammen schien der Elementare keine Verletzungen davongetragen zu haben. Ächzend setzte er sich auf. Das Auto unter ihm lag auf einer unbekannten Hauptstraße, ein ganzes Stück weit entfernt von dem Ort, an dem sich vor kurzem noch die Schlacht abgespielt hatte. Andere Autowracks lagen in der Umgebung, ein alter Mazda hatte es sogar geschafft sich in beträchtlicher Höhe bis zur Hälfte in die Seitenwand eines Hauses zu bohren. Weiterhin sah Kevin noch sieben Lancelor und neunzehn Dämonen, die durch die Druckwelle in der gleichen Straße zwischen ausgewurzelten Bäumen, Schildern und herausgerissenen Gebäudestücken gelandet waren. Keiner von ihnen rührte sich. Es grenzte an ein Wunder, dass wenigstens Kevin überlebt hatte. Im Stillen dankte er dem Schicksal, dass ausgerechnet er es war, der von all diesen Leuten noch auf den Beinen stehen konnte. "Und jetzt?", murmelte Kevin leise. Er wartete noch so lange, bis der Schmerz in seinem Körper weit genug verebbte um sich frei bewegen zu können, ehe er von dem Auto sprang und nach der Lichtsäule Ausschau hielt. Sie stieg in einiger Entfernung in den schwarzen Himmel wie eh und je, doch irgendwie wirkte sie breiter. Kevin war sich sicher, dass die gewaltige Druckwelle auch etwas damit zu tun gehabt haben muss. Der Elementare grübelte noch und schritt geistesabwesend über die Straße, als ihm plötzlich einer der reglosen Lancelor schrecklich bekannt vorkam. "Dunkan!" In wenigen Sekunden stand Kevin neben seinem Mentor, der von der Hüfte abwärts mit einem schweren verbeulten Ampelpfahl bedeckt war. Wie die anderen Lancelor rührte er sich nicht. "Dunkan!" Voller Angst packte Kevin den Pfahl, mobilisierte all seine Kräfte im Körper und riss ihn von den Beinen seines Mentors. Zu seiner Erleichterung waren die Oberschenkel, Waden und Füße nicht von dem Gewicht zerschmettert worden. "Dunkan, hörst du mich?" Der Palas reagierte nicht, was zu einem weiteren Panikanfall Kevins führte. Hastig fühlte Kevin nach Dunkans Puls, bekam in der Aufregung nicht die richtige Stelle zu fassen und legte schließlich sein Ohr an den leicht geöffneten Mund des Lancelor. Er atmete schwach. Er lebte noch. Erleichterung schwappte in Kevins Körper über und alle Kraft, die er aus Angst noch aufbringen konnte, entglitt nun seinen Muskeln und ließ ihn schwach und müde zurück. Eigentlich wollte er nur noch schlafen, sich hier neben seinem Mentor ausruhen und warten, bis dieser wieder aufwachen würde. Gleichzeitig wusste er jedoch, dass es noch viel zu früh für Schlaf war. Er beugte sich über Dunkan und schlug ihm ein paar Mal mit der flachen Hand sanft gegen die Backe. Der Palas murrte kraftlos, seine Augenlider zuckten, dann öffnete er die Augen und blickte hoch in das Gesicht seines Schülers. "Was... wo... die Druckwelle... Der Wind...", stammelte er verwirrt. "Alles ist in Ordnung, wir sind am Leben. Wir hatten unendliches Glück", sagte Kevin lächelnd. Dunkan schüttelte schwach den Kopf und kniff die Augen zusammen. "Kein Glück... Das Blut der Macht lässt mich nicht sterben..." "Was?" "Nichts", seufzte Dunkan, ehe er den Oberkörper stöhnend aufrichtete. Seine Rippen schmerzten und er musste die Arme um den Bauch schlingen, doch ansonsten schien auch er unverletzt geblieben zu sein. "Was zum Teufel ist passiert?" "Ich weiß nicht", gab Kevin zu. Sein Blick wanderte erneut zu der Flammensäule, die ihn beunruhigte und nervös machte. "Ich weiß nur, dass Zeliarina diese Rede gehalten hat, dann die Schlacht tobte und plötzlich alle davon geschleudert wurden... Ich kam mir so nichtig vor, schutzlos dem Wind ausgeliefert..." "Zeliarina!", wiederholte Dunkan ängstlich. Sein Gesicht verdüsterte sich, offenbar weil er immer noch wütend darüber war, dass Kevin und Zeliarina auf eigene Faust nach London gereist waren, doch gleichzeitig schlich sich auch offene Sorge in seine Züge. Kevin verstand, was der Palas fürchtete, und schauderte ungewollt, als er die gleiche Befürchtung aufkeimen fühlte. Was wenn Zeliarina durch die Druckwelle getötet wurde? "Wir müssen sie suchen. Vielleicht ist sie auf sich allein gestellt. Beim Kampf habe ich Dymeon nicht an ihrer Seite gesehen...", sagte Dunkan. Kevin nickte zustimmend. "Wir haben uns alle aus den Augen verloren..." Seine Worte waren nicht nur auf die Schlacht bezogen. Der Elementare stand auf, hielt seinem Palas die Hand hin und zog ihn schließlich auf die Beine. Dunkan sog scharf die Luft ein, als sich seine Rippen wieder meldeten, sagte jedoch nichts weiter. Zusammen mit Kevin schritt er durch die leichengesäumten Straßen, ohne wirklich zu wissen, wo sie anfangen sollten zu suchen. Zeliarina fühlte sich wie gelähmt. "Du bist der Vater aller Dämonen?", fragte sie vorsichtig. Irgendwie machte diese Tatsache sie unruhig und die verschleierte Gestalt ihres Gegenübers verstärkte den Effekt nur noch mehr. Beinahe erwartete sie unter der dunklen Kapuze und der weiten Kutte einen besonders schrecklichen Gegner, ein Monster mit übermenschlichen Kräften und übernatürlichen Fähigkeiten, die die aller anderen Dämonen des Däezander, selbst die der Schattenklingen, bei Weitem übertrafen. "Du hast die Dämonen geschaffen?" "Das ist richtig", meinte der Dämonenvater völlig gelassen. Er flüsterte nur, seine Stimme war die eines Greises, doch sie bohrte sich schmerzhaft wie Eissplitter in Zeliarinas Kopf. "Ich war es, der Ariae, den allerersten Dämon erschuf. Ich war es, der den Däezander gründete. Ich war es, der die Jagd nach den Götterschwertern eröffnete..." Zeliarina sah an der Kordel, die seine Kutte zusammenhielt, ein langes Schwert hängen. Es sah aus wie ein schwarzes Kreuz, denn Griff, Parierstange und Klinge waren in der gleichen, undurchdringlich dunklen Farbe gehalten, ohne Kratzer oder Farbabstufungen, einfach nur schwarz wie die Nacht. Azuransas und Thundenstar, Luna und Goth, Excalibur, Urrurdoc und nun auch dieses hier... Eigentlich nur passend, dass der Dämonenvater persönlich eines der Götterschwerter trägt... "Und du bist Zeliarina Heartstrong, Wächterin Thundenstars, nicht wahr? Du hast uns lange auf Trab gehalten..." Der Dämonenvater klang fast gütig, wie ein Vater, der sein ungehorsames Kind lächelnd zurückweißt. Assessina mischte sich ein, die giftgrünen Augen ununterbrochen auf Zeliarina geheftet: "Vater, darf ich sie nicht beiseitigen? Wir haben solange darauf gewartet sie-" "Schweig...Assessina", murmelte der Dämonenvater mit rasselnder Stimme. Assessina klappte den Mund wieder zu. Sie sah aus als hätte man sie schrecklich beleidigt, gehorchte jedoch ohne Widerworte und positionierte sich an ihrer Podestöffnung, nachdem sie ihr schwarzes Haar mit abfälligem Schnauben in den Nacken geworfen hatte. Auch die anderen Dämonen beobachteten ihren Erschaffer schweigend. "Darf ich dir eine Frage stellen?", sprach der Dämonenvater wieder an Zeliarina gewandt, so als hätte die Unterbrechung gar nicht stattgefunden. "Warum bist du hier?" "Um euch aufzuhalten...", knurrte Zeliarina zurück. "Um das Morden zu beenden..." "Das Morden beenden?" Zeliarina hörte deutlich die Belustigung in der Stimme des Dämonenvaters und stellte sich das Grinsen auf dem monströsen Gesicht unter dem Schatten der Kapuze vor. "Du bist gekommen, um das Morden zu beenden?" Ein krankes Röcheln wehte unter der Kapuze hervor. Es dauerte mehrere Sekunden bis Zeliarina verstand, dass der Dämonenvater über sie lachte. "Das ist wirklich edelmütig, zeugt jedoch auch davon, was für ein naives junges Ding du noch bist... Ihr seid die Guten und wir sind die Bösen, nicht? Und du bist die Auserwählte, die unseren Terror beenden wird? Stellst du dir das Ganze so vor?" "JA! Ich habe heute gesehen, wie ihr Unschuldige getötet habt, wie ihr sie abgeschlachtet habt wie Vieh, ohne Gnade, ohne Reue! Ich habe bereits zu viele Freunde durch euch verloren und zuviel Leid gesehen, das von euch verursacht wurde! Ich muss euch aufhalten, deswegen bin ich hier!" "Das stimmt so nicht", erwiderte der Dämonenvater ruhig. Inzwischen behandelte er sie nicht mehr wie ein Kind, das man tadeln musste, sondern wie eines, dem man einen einfachen Sachverhalt erklärte. "Du bist hier, weil ich es so wollte..." Zeliarina erstarrte. Furcht floss plötzlich wie flüssiges Eis durch ihren Körper und machte sie bewegungsunfähig, während in ihrem Kopf die Gedanken wild herumschwirrten. Gerade eben hatte sie noch das Gefühl gehabt alles richtig zu tun, doch ein paar wenige Worte des Dämonenvaters brachten diese Überzeugung wieder zum Schwanken. Es war eigentlich unmöglich, dass der Dämonenvater irgendwie dafür gesorgt hatte, dass Zeliarina jetzt hier in der Ritualhalle stand, doch die Donnerhexe glaubte ihm trotzdem. "Was soll das heißen?", fragte sie zögerlich. "Das heißt, es war unser Plan dich hierher zu locken... Wie ich schon sagte, hast du uns ganz schön auf Trab gehalten. Du bist meinen Kindern immer wieder entkommen, selbst den Schattenklingen, und hattest sogar Assessina getötet und Ereos bezwungen." Im Hintergrund hörte Zeliarina die beiden genannten Dämonen protestierend fauchen, doch der Dämonenvater behandelte sie wie Luft. "Natürlich spielte es dabei auch eine große Rolle, dass du von anderen deines Ordens beschützt wurdest und der Verräter Blutträne stets an deiner Seite stand..." Der Dämonenvater stieß einen kurzen Seufzer aus, der unendlich müde klang und ein gewaltiges Alter verriet, ehe er murmelte: "Ein Jammer... Er sollte eines meiner Kronjuwelen werden, ein viel versprechendes Kind, das mit sehr wertvollem Menschenblut erschaffen worden ist..." Er schüttelte kurz den vermummten Kopf, so dass vereinzelte verfilzte graue Haarsträhnen aus der Kapuze fielen. "Jedenfalls wurde es allmählich lästig dein Schwert zu erbeuten. Thundenstar hatte einen wirksamen Schutz um dich aufgebaut, denn du bist zur Wächterin geworden, ein Status, den niemand von uns Dämonen je erlangt hat. Wir mussten dich töten, um das Schwert zu erhalten, doch wenn du durch uns in Gefahr gerietest, entfachte das Schwert all seine Macht, um zu verhindern dass seine Wächterin stirbt. Wir verloren zu viele Dämonen durch dich und ich fürchtete, nachdem ihr Azuransas kurzzeitig erbeutet hattet, dass unser Plan gefährdet sein könnte..." Der Dämonenvater atmete rasselnd ein, ehe er weiter sprach: "Da wir dich also nicht töten konnten, blieb uns nichts übrig, als deinen Gerechtigkeitssinn auszunutzen, London zu verwüsten und dich bis hierher zu diesem Stein zu locken... Um dich dann dazu zu bringen, Thundenstar freiwillig für die Dunkle Dämmerung herzugeben..." Die Lähmung löste sich von Zeliarinas Körper und kehrte sich schlagartig ins Gegenteil um. Aus Angst und Abscheu zitterte sie am ganzen Leib und sie verlor fast das Gleichgewicht, weil ihre Beine sie nicht mehr tragen wollten. Benommen taumelte sie zurück, stieß mit dem Rücken gegen die glatte schwarze Wand und stützte sich dankbar daran ab. "Das ist verrückt!", schrie sie hysterisch, "Ihr habt all das nur wegen mir getan? Ihr habt die ganze Welt angegriffen und eine Schlacht in London angezettelt, nur um mich hierher zu locken? Dieser Plan hat hunderte Menschenleben gefordert! Das ist absoluter Irrsinn!" "All das wird in ein paar Minuten keine Bedeutung mehr haben... Die ganze Menschheit wird vom Antlitz der Erde verschwunden sein, jeder Gedanke an sie ausgelöscht wie eine ausgeblasene Kerze... Was machen da schon die paar Hundert, die zum Erfüllen des Planes geopfert werden mussten?", fragte der Dämonenvater beängstigend ruhig. Zeliarina zitterte noch heftiger. "Wieso glaubt ihr, dass ich euch helfen werde? Lieber würde ich sterben, als das zu tun!" Bei ihren Worten konnte sie erkennen, wie sich die Schultern des Dämonenvaters kaum merklich unter dem Stoff der Kutte strafften. Es waren schmale Schultern, so gar nicht passend zu dem Monstrum, das sich Zeliarina ausmalte. "Viele mutige Menschen sagen das am Anfang, doch nur die wenigsten bleiben dabei, nachdem sie gefoltert wurden und dem wirklichen Tod ins Auge gesehen haben..." Zeliarinas ohnehin schon blasses Gesicht verlor jede Farbe und sah dadurch aus wie eine Maske aus kalkweißem Stein. Vergeblich versuchte sie ihre zitternden Hände zu beruhigen, so dass sie sie in ihre Hosentaschen steckte musste um sie zu verbergen. Trotzdem konnte sie beinahe spüren, wie der Dämonenvater verborgen über sie lächelte. "Keine Angst, körperlicher Schmerz wird dir erspart bleiben... Ich zweifle nicht daran, dass der erwähnte Schutz Thundenstars auch bei Folter zum Tragen kommt..." Obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte die Luft angehalten zu haben, atmete sie nun ungewollt erleichtert aus und drückte sich die zitternde Hand ans Herz. "Was... was willst du dann tun? Wir stehen hier... in dieser... dieser Halle", zischte sie, von Unwissenheit und Angst angestachelt, "und ihr könnt mich nicht töten, mir Thundenstar auch nicht mit Gewalt entwenden. Also wie lautet dein so toller Plan..." "Ich werde dir die Sünden der Menschheit aufzeigen", antwortete der Dämonenvater genüsslich, jedes einzelne, genauestens betonte Wort von seiner mysteriösen Stimme bis in die dunkelste Ecke der Halle getragen. Dann, ohne eine weitere Erklärung abzugeben, zog er sich langsam die schwere Kapuze vom Kopf und gab sich so dem grünen Blick Zeliarinas Preis. Was ist das? Der Satz explodierte wieder und wieder in ihrem Kopf, während sie ihre Augen nicht von dem Etwas lösen konnte, das sich ihr gerade entblößt hatte. Der Dämonenvater besaß ein Gesicht, wie Zeliarina es noch bei keinem Menschen oder Dämon gesehen hatte. Es wirkte so, als hätte man die fahle Haut so straff wie möglich über den Schädel gespannt, ohne dass dazwischen Muskeln oder Fettgewebe Platz gehabt hätten. Die Augen besaßen keine Iris, kein Weiß, keine Pupillen. Es waren lediglich zwei kohlrabenschwarze Perlen in tief liegenden Augenhöhlen. Die wenigen langen grauen Haarsträhnen, die auf dem kahlen Schädel halt gefunden hatten, zeugten von seinem gewaltigen Alter und unterstrichen mit der gebrochenen Stimme, dass vor Zeliarina kein Monster stand, sondern ein Greis. Ein leidender Greis. Das unheimliche Gesicht war von nicht endenden, quälenden Schmerzen so stark verzerrt, dass die Fratze auf die Züge fest gestanzt blieb und keinen Ausdruck des Friedens mehr anzunehmen wusste. Es verstörte Zeliarina zutiefst, vor allem weil sie den offensichtlichen Grund für diese Pein sehen konnte: grün leuchtende, wulstige Adern, die sich in verzweigten Bahnen sichtbar über die Haut des Dämonenvaters zogen und gleichmäßig pulsierten. Eine dieser Adern verlief direkt durch sein rechtes Auge und färbte das Schwarz mit einem grünlichen Schimmer, ein paar andere bildeten ein dichtes Netzwerk auf seiner Fastglatze. Es sah aus, als würde ein unbekannter Pilz auf seinem Körper wuchern. "Das ist nur ein kleiner Teil dessen, was ich dir zeigen will..." Wie abscheulich... Er muss Höllenqualen leiden, trotzdem redet er so ruhig... "Guck genau hin! Schau ihn dir an! Ihr wart es, die ihm das antaten!", schrie Ereos wütend, als er Zeliarinas Gedanken auffing und las. Der Dämonenvater brachte den Dämon mit den Purpuraugen durch eine einfache Handbewegung zum Schweigen. Zeliarina wollte diesem ganzen Horror entfliehen, sie wünschte sich nichts sehnlicher als den Blick angewidert zu Boden zu senken, doch sie konnte nicht wegschauen. "Wir...?", brachte sie schließlich heraus. "Ihr Menschen... ihr Lancelor...", antwortete der Vater in seinem sachlichen Erklärton. Er lächelte dabei, ein schwaches Heben der Mundwinkel seiner schmerzverkrampften Lippen. Zeliarina konnte ihn nur weiter anstarren. Sie fand nicht die Worte um zu beschreiben, was sie empfand. "Es war vor langer Zeit... Doch schon damals habe ich die Gesinnung der Menschen erkannt, den natürlichen Hang zum Lügen und Töten, um sich selber Vorteile zu schaffen..." "Das ist nicht wahr! Bei den Lancelor habe ich nur nette Menschen kennen gelernt, die einfach Frieden haben wollen und deswegen Tag für Tag gegen euch in die Schlacht ziehen! Was weißt du schon von uns! Du kennst uns gar nicht!" Wieder füllte das röchelnde Lachen des Dämonenvaters den Raum. "Du wünschst dir nur, dass es so wäre. Dein Hirn hat wie die der anderen Lancelor bereits einen Schutzschild aus Verweigerung aufgebaut, der nicht zulässt die Wahrheit zu erkennen... Du bist so verblendet, dass du die Motive des Däezander nicht verstehen kannst, dass du sie als falsch abtust ohne sie vielleicht einmal zu überdenken..." Inzwischen schritt der Vater in kleinen Bahnen auf und ab. "Ich kenne euch gar nicht? Wie lächerlich... Ihr seid es, die uns nicht verstehen... Und außerdem", fügte er hinzu und machte dabei eine besonders lange Pause, "war ich selbst einmal ein Mensch..." Zeliarina klappte der Mund auf, doch der Dämonenvater hörte nicht auf zu sprechen, obwohl seine Stimme bereits heiser klang von der ungewohnten Benutzung. "Ich war einst ein Mensch... damals, als ich noch meinen Namen kannte. Ich habe die Dinge erfahren, die euch soviel bedeuten: Familie, Freunde, Liebe... Ich hatte sogar eine Frau. Doch das ist alles schon lange her..." "Wie... ist das möglich? Wenn du den Däezander gegründet hast, musst du unglaublich alt sein..." "Die Zahl der Jahre entgleitet mit der Zeit. Jahrhunderte sind an mir vorbeigezogen, mein genaues Alter wurde unbedeutend. Vielleicht waren es etwa 2000 Jahre..." "Wie kannst du da sagen, dass du ein Mensch bist?", schoss Zeliarina zurück. Ihre Angst wuchs mit jeder Sekunde, die sie sich in Gegenwart des Dämonenvaters befand, doch es wurde ihr unmöglich sich von seiner Präsenz zu befreien. Sein grauenvolles Antlitz faszinierte sie auf eine perverse Art und Weise und seine Worte, so absurd sie auch klingen mochten, kitzelten in ihr die Neugier wach. "Oh, ich war ein Mensch. Die Betonung liegt dabei auf dem ,war'. Wie gesagt lebte ich nicht anders als die gewöhnliche Erdbevölkerung, doch im Gegensatz zu ihr gab ich mich nicht damit ab sterblich zu sein. Ich... experimentierte..." Ein röchelndes Lachen stieg in seiner Kehle auf und schüttelte die mageren, gebeugten Schultern. "Ich beging Frevel, die die Gesellschaft nicht duldete: Mord, Studierung des menschlichen Körpers, Beschäftigung mit Dunklen Kräften... Man verbannte mich dafür und mauerte mich lebendig ein, tief unter der Erde in lichtlosen Höhlen, die später die Dämonenzuflucht werden sollten... Doch dort starb ich nicht so wie man es mir bestimmt hatte. Die Ironie des Schicksals spielte mit mir und schenkte mir durch das Aramea, das in den Höhlen wucherte, unendliches Leben. Über Jahrzehnte hinweg übte es seinen Einfluss auf mich aus. Es riss den Tod von mir und nistete sich in meinem Körper ein, wo es zum Ausgleich für das ewige Leben ebenso ewige Schmerzen anrichtete." Der Dämonenvater deutete mit zuckendem Finger auf die pulsierenden grünen Adern nahe seiner Schläfe. "Das Aramea veränderte mich. Ich konnte die Geschicke der Welt sehen, obwohl ich in den Höhlen gefangen und verdammt war. Unter Qualen sah ich Schlachten und Kriege mit an und fühlte mit den Todesschmerzen der Soldaten mit, als wären es meine eigenen. Lange habe ich den Menschen zugesehen, habe ihre Leben als Außenstehender beobachtet. Ich verstehe ihr Dasein besser als jedes andere Lebewesen auf diesem Planeten. Ich mag jetzt verkrüppelt sein, doch gleichsam auch revolutioniert. Ich bin kein Mensch mehr, aber auch kein Dämon... Ich bin einzigartig..." Die letzten drei Worte zischten ihm über die Lippen und ließen Zeliarina zusammenzucken. Sie wagte es nicht sich vorzustellen, wie es sein musste eine Existenz in Einsamkeit und nicht aufhörendem Schmerz führen zu müssen. "Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich die Menschen als schlecht bezeichne, denn sie haben mir das angetan. Es waren Vorfahren der ersten Lancelor, die Ahnen deiner Ordensgründer, wenn du es genau wissen willst..." Inzwischen hörte sich die Stimme des Dämonenvaters an wie zerbröselndes Laub. Jeder seiner Atemzüge klang so gezwungen, als würde er mit einem engen Strick um den Hals atmen. "Ich wollte Unsterblichkeit und die haben sie mir gegeben... Mehrmals versuchte ich mir das Leben zu nehmen, doch das Aramea regenerierte meinen zerstörten Körper wieder und wieder... Ich kann nicht sterben und leide... WEGEN... DEN MENSCHEN!" Die letzten Worte presste er aus seiner Lunge, ehe er von einem Hustenkrampf erfasst wurde, der seinen ganzen Körper schüttelte und das schwarze Schwert an seiner Hüfte mehrmals gegen seine Beine schlug. Zeliarina sah aus den Augenwinkeln, wie sich mehrere der Schattenklingen kurz bewegten, so als wollten sie ihrem Anführer helfen, doch der Dämonenvater machte bereits wieder eine abwehrende Handgeste. Er wirkte ein wenig wie ein alter Mann, der zu stolz war sich von den Jungen unterstützen zu lassen. "Und deswegen das alles?", flüsterte Zeliarina fassungslos zu sich selbst. "Das soll das große Geheimnis sein, der Grund für diesen Krieg? Wegen deiner Vergangenheit und deinen Rachegelüsten müssen Menschen leiden!" Inzwischen schrie die Donnerhexe wieder, denn es wollte ihr nicht in den Sinn, dass ein einziger wahnsinniger Mann schuld an allem sein sollte, was sie in den letzten zwei Jahren durchleiden musste. Freunde waren gestorben. Sie hatte Kämpfe und Verletzungen durchstehen müssen und zu jeder Zeit mit ihrem schweren Schicksal ringen, nur um jetzt zu erkennen, dass hinter den Dämonen ein verrückter Alter die Fäden zog. Sie hatte auf den großen Knall gewartet, die erschreckende Enthüllung, doch diese gab es gar nicht. Einmal hat Dymeon gesagt, Dämonen wären nicht böse, nur anders... Es hat mir am Anfang zugesetzt, dass ich vielleicht gegen Wesen kämpfe, die in ihren Augen die Guten sind. Doch ihre Brutalität hat diesen Gedanken über die Monate hinweg verblassen lassen, so dass er nur noch hin und wieder aufgetaucht ist wenn ich nachts schlaflos im Bett lag... "Du ziehst die ganze Welt in einen grenzenlosen Krieg, nur weil du damals zu Recht verbannt wurdest und eine Laune der Natur dir deine jetzige Existenz verlieh?" Im Hintergrund knurrten Ereos und die anderen Dämonen zornig, doch Zeliarinas Hirn war völlig von den Erzählungen des Dämonenvaters eingenommen und fühlte sich dumpf an, als hätte man Eiswürfel in ihren Kopf geschüttet, um ihn mit der Kälte zu betäuben. Schließlich erholte sich der Dämonenvater von seinem Hustenanfall und brachte seinen dürren Körper in eine aufrechte Position. Sein verzehrtes Gesicht wurde von einem weiten Grinsen verunstaltet, das seine Züge noch unmenschlicher aussehen ließ. "Ich bin nicht fertig...", wisperte er. "Kennst du die Geschichte von Ariae, dem ersten Dämon?" Als Zeliarina unsicher den Kopf schüttelte, schloss der Dämonenvater seine schwarzen Augen und nickte sich selber zu, offensichtlich weil sich sein Verdacht bestätigt hatte. "Das habe ich auch nicht erwartet. Es ist keine Geschichte um den Kampfgeist der Lancelor zu stärken... Ariae, der erste Dämon... Ich erschuf ihn nach unzähligen Versuchen aus meinem verseuchten Arameablut... Er war noch lange nicht so perfekt wie meine heutigen Schöpfungen, doch zumindest lebendig..." Er schwieg einen Augenblick, sichtlich in Gedanken versunken. "Ursprünglich erschuf ich ihn in der Absicht mir in meiner Einsamkeit etwas Gesellschaft zu leisten... Doch Ariae sehnte sich nach dem Licht und nach der Welt, die außerhalb der Höhlen wartete... ich hatte mit dieser Welt, die mich verstieß, abgeschlossen und begnügte mich damit sie zu beobachten... Damals war Ariae wahrscheinlich mehr Mensch als ich..." Er lachte kurz, ein schauriges Geräusch in der Ritualhalle, die totenstill geworden war. Die Dämonen hielten den Atem an bei der Geschichte des Ersten ihrer Art. Die Ehrfürchtigkeit färbte ungewollt auch auf Zeliarina ab. "Ich gestattete Ariae die Höhlen zu verlassen und er nahm das Angebot dankend an. Mehrere Jahre beobachtete ich seine Schritte unter den Menschen. Zunächst war er nur ein Fremder, doch seine Neugier und sein Wunsch nach anderen Lebewesen integrierten ihn schnell unter der Menschheit. Er heiratete eine Schönheit, hatte sogar Kinder..." An dieser Stelle machte der Dämonenvater eine lange Pause, um die Worte wirken zu lassen. Als er wieder sprach, klang seine Stimme auf eine andere Weise erstickt als zuvor. Erstickt von Trauer. "Ich gönnte ihm dieses Leben... Ich hatte mit meinem Wunsch nach Unsterblichkeit ein solches Leben weggeschmissen und musste dafür büßen, doch Ariae schien mehr Glück zu haben als ich... Zumindest bis zu dem Tag, an dem sein Haus durch einen Unfall in Flammen aufging. Ohne nachzudenken sprang er sofort in das Feuer und rettete seine Frau und seine Kinder, entblößte dabei jedoch seine dämonischen Kräfte. Um einen seiner Söhne zu bergen, warf er unter den Augen der Dorfbewohner einen Holzklotz davon, der doppelt so schwer war wie eine Kuh... Außerdem zerstörte das Feuer seinen Körper, schälte die Haut von seinen Knochen, ohne dass er starb. Das Aramea in ihm ließ die Wunden rasend schnell heilen..." Zeliarina wusste irgendwie, was nun kommen würde. "Die Menschen beschuldigten ihn der Hexerei. Obwohl er jahrelang mit ihnen gelebt hatte, reichten seine unmenschlichen Fähigkeiten, um ihn zu verurteilen. Er wurde verbrannt und in Stücke gehackt und seine Überreste wurden in alle Winde zerstreut. Ariae, der erste Dämon, starb, weil er für die Liebe zu seiner Familie sein Leben riskierte... Man tötete ihn, nur weil er anders war... Und ich weinte in den Höhlen um mein Kind, das man mir genommen hatte, denn nichts anderes stellte er für mich dar..." Kein Muskel regte sich in dem monströsen Gesicht des Dämonenvaters, doch eine einzelne Träne lief aus der grünschwarzen Perle, die sein Auge darstellte. Zeliarina spürte Mitleid in sich aufsteigen, auch dann noch als sie versuchte es mit aller Macht zurückzudrängen. "Von da an wusste ich, dass die Menschheit böse, intolerant, grausam und einfältig ist. Sie verpestet unsere Erde und zwingt selbst die Natur unter ihre Fittiche. Menschen führen sich auf wie die Herrscher dieses Planeten... Ich erschuf nach Ariae noch weitere Dämonen, um die Menschheit zu testen, doch im Endeffekt wusste ich bereits vorher, was geschehen würde... Sie alle wurden früher oder später abgestoßen. Man verbrannte sie als Hexen, kreuzigte sie als Ketzer, hängte sie als Bestien... Besonders zu Zeiten von König Artus und dem ach so edlen Lancelot erfreuten sich diese Morde größter Beliebtheit..." "Hör auf!", erwiderte Zeliarina plötzlich. Sie presste die Kiefer hart aufeinander, um ihr Bewusstsein, das in dem Gewirr aus widersprüchlichen Gefühlen zu versinken drohte, unter Kontrolle zu halten. "Erkennst du langsam, was ich dir zeigen will?", fragte der Dämonenvater ehrlich hoffend. Zeliarina erwiderte seinen Blick mit aller Kraft, starrte stur in die emotionslosen schwarzen Steine von Augen und stellte sich vor, wie sie vor 2000 Jahren ausgesehen haben mussten. "Es liegt nicht an dir, zu urteilen", sagte die Donnerhexe, ohne auf ihren Gegenüber einzugehen. "Was?" "Es liegt nicht an dir...", wiederholte sie energisch, "Du meinst, du kennst die Menschen und du hättest ein Recht sie zu verurteilen... Du erschaffst Leben wie es dir passt und benutzt es, um eine andere Spezies zu testen! Du zettelst Kriege an, die diese Leben wieder fordern! Und jetzt nimmst du dir es heraus zu entscheiden, ob wir weiterleben dürfen oder nicht!" "Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe..." "Es ist mir egal, was du gesehen hast! Es gibt so unzählige Dinge, die du übersehen hast bei deinen Studien! Die einfachen Freuden, die zwei Menschen teilen können! Hilfsbereitschaft, Gütigkeit, Freundschaft, Aufopferung, Liebe! Wieso hat Ariae alles für Menschen riskiert, wenn sie so wertlos sind? Du selbst warst ein Mensch und du hast geliebt. Du kannst nicht abstreiten, dass es auch Gutes unter den Menschen gibt!" "Das bisschen Gute ist belanglos und geht in der dunklen Seele der Menschheit unter... Ich werde die Welt von dieser Krankheit heilen und meine Dämonen auf ihr ansiedeln, denn es gab noch keinen Dämon, der einen anderen Dämon ausgeraubt oder getötet hat... Sieh ein, dass die Dämonen die Guten in dieser Geschichte sind..." Zeliarina standen jetzt Tränen in den Augen, als sie daran dachte, dass für diesen Mann und seine verzerrten Ideale Lancelor wie Melissa oder Storm gestorben waren. "Du spielst mit den Leben, als hätten sie keine Bedeutung! WOFÜR HÄLTST DU DICH? DENKST DU, DU WÄRST GOTT?" "Nein", lautete die Antwort des Dämonenvaters, "denn im Gegensatz zu Gott weiß ich, dass sich die Menschheit nie bessern wird und keine Gnade verdient hat..." Zeliarina richtete Thundenstar herausfordernd auf seine Brust und strahlte ihm mit der Taschenlampe in die Augen. Der Anführer des Däezander blinzelte nicht einmal, sondern griff seinerseits nach dem dunklen Götterschwert, das in dem Seil seiner Kutte steckte. Formlose Schatten waberten in einem dichten Nebel um die Nachtstahlklingen. "Ich hatte gehofft, dir das Folgende ersparen zu können, denn ich weiß nicht wie dein Körper es vertragen wird... Dennoch bleibt mir wohl nichts anderes übrig..." Zeliarina hob ihr Schwert, bereit sich dem Dämonenvater zu stellen, bereit allen Schattenklingen des Däezander gleichzeitig entgegenzutreten. "Törichtes Gör...", zischte der Dämonenvater zum ersten Mal in heftigem Tonfall. "Ich gebe dir keinen offenen Kampf. Ich zeige dir mit meinem Schwert Schwarz alles, was ich in zweitausend Jahren gesehen habe... Wir werden sehen, ob du danach immer noch deine nichtigen Überzeugungen verteidigst..." Noch einmal füllte das röchelnde Lachen die Halle. "Ich zeige dir... ,DIE VISION DER SÜNDEN'!!!" Ich weiß nicht was der Dämonenvater getan hatte... Doch plötzlich fiel ich durch Dunkelheit, Kälte, Blut und Elend in das schlimmste Erlebnis, das ich jemals hatte durchstehen müssen... ---------------------------------------------- Nächstes Kapitel: Eine Vision, die Zeliarinas Seele zerschmettert... Der Beginn vom Ende der Welt... Ein Dämon, der verzweifelt versucht beides aufzuhalten... Und die wahre Bedeutung seines Namens... 'Dämon mit den Bluttränen' Kapitel 29: Interludium IV -------------------------- Interludium IV Nach den Worten des Dämonenvaters fiel ich durch einen Alptraum aus Blut und Zerstörung, der mich mit Klauen aus Eis weit von der Realität entfernt umklammert hielt. Obwohl ich meine Füße noch auf eine seltsame Weise auf dem glatten Boden der Ritualhalle stehen fühlte, verstummten die Stimmen meiner Feinde und ihr Anblick wurde von bedrohlicher Schwärze verdeckt. Wie schon einmal zuvor in meinem Leben schickte man mein Bewusstsein in eine andere Existenzebene. Ich stürzte und stand gleichzeitig... Doch es war nicht die Illusag, in die ich diesmal fiel, sondern eine dritte Welt, die im Vergleich so anders als die Traumebene war, wie diese anders als die Realität. Vor meinen Augen zogen Bilder vorbei, denen ich mich nicht entziehen konnte, egal wie sehr ich das wünschte. Bis heute ist es mir unmöglich mich an alle Einzelheiten der Vision der Sünden zu erinnern, denn es brach mehr über mich herein als es selbst in der Illusag der Fall gewesen war. Die Traumebene mag bizarrer gewesen sein, doch die Vision der Sünden war ungleich gewalttätiger. Ich erlebte in ihr zweitausend Jahre Menschheitsgeschichte, so wie der Dämonenvater sie wahrgenommen hatte: gefüllt mit Tod und der ganzen Brutalität der Menschen und so wirklich, dass man die gleichen Schmerzen litt wie die Betroffenen der Vergangenheit... Heute erinnere ich mich noch an Schlachten, geführt mit Schwertern, Speeren und Bögen. Menschen wurden aufgespießt, durchbohrt von Metall und Holz. Sie lagen in der durchweichten Erde einer weiten Ebene. Blut schwappte um ihre Knöchel, es regnete und die Schreie der Sterbenden und Verletzten schwollen an zu einem unerträglichen Klagechor, in den ich einstimmte... Ich erinnere mich an einen alten Mann, der in der Gosse einer Großstadt überfallen und niedergeschossen wurde. Man fand ihn erst Stunden später, salzig glänzende Spuren auf den Wangen, während ich weinte... Ich erinnere mich an ein Mädchen, dass man entführt und mit einer Fußfessel in einem Heizungskeller angekettet hatte. Der Kidnapper ging gemächlich auf sie zu und grinste vielsagend. Sein Schweißgeruch brachte in mir die Galle hoch... Ich erinnere mich an einen ganz jungen Dämon, der lautlos in ein Haus einbrach und die Menschen darin gnadenlos tötete, obwohl seine dunklen Augen den Ansatz einer tief sitzenden Trauer verrieten. Als er schweigend auf sein blutiges Werk starrte, trat eine dunkle Gestalt an seine Seite und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. ,Gut gemacht, Blutträne...' Ich erinnere mich an ein blasses, traurig aussehendes Mädchen, das kaum älter gewesen sein konnte als ich jetzt. Sie lehnte an der gekachelten Wand eines kleinen Badezimmers, um sie herum leere Schlaftablettendosen verstreut. Ihre zierlichen Finger knüllten ein Foto des Jungen zusammen, der sie für eine andere hatte kaltherzig sitzen lassen... Ich erinnere mich an den Augenblick, an dem Melissa den Palas Batista erschoss, und an den Tag, an dem ich sie tot bei den Klippen fand. Die beiden Erinnerungen wurden ergänzt von weiteren Kämpfen der Lancelor, von Verlusten auch bei den Dämonen und von dem Schmerz, den die Hinterbliebenen erdulden mussten. Es erstaunte mich zu sehen, dass man auch im Däezander um gestorbene Dämonen trauerte und die Wut auf die Mörder dadurch nur weiter anheizte, doch ich wurde von der Vision und den Schmerzen, die mich begleiteten, schnell weitergerissen... Ich erinnere mich an die Gestalt eines kräftigen Mannes, der unter den Augen einer johlenden Meute am Galgen hing und hoffnungslos um Atem rang... Ich erinnere mich an einen anderen Mann, der nichts ahnend von der Arbeit wiederkam und seine Ehefrau mit seinem besten Freund im Bett vorfand. Blind vor Wut stach er auf beide mit einer einfachen Schere ein, wieder und wieder und wieder und wieder... Ich erinnere mich an einen Jungen in zerfetzter Kleidung, der so stark unter der Armut litt, dass jeder Knochen unter seiner Haut sichtbar war. Als er in seiner Verzweiflung einen Laib Brot stahl, wurde er von römischen Legionären gefangen. Man schlug ihn ans Kreuz und wartete, bis er kraftlos und wimmernd von den Geiern zerfressen wurde... Ich erinnere mich daran Ariae kurz gesehen und seine Gefühle geteilt zu haben. Er hatte ein schönes Gesicht gehabt, blassgrüne Augen und nachtschwarzes Haar, ehe die Flammen seine Haut schmolzen und die Klingen sein Fleisch durchtrennten. Bis zum letzten Augenblick seines Lebens hatte er durch die Wand aus Feuer auf seine Familie gestarrt, zufrieden damit dass sie lebten, auch dann noch als sie ängstlich und angewidert zurückblickten... Ich erinnere mich an zwei Jugendliche, die vom Alkohol angestachelt aufeinander losgingen und sich in einer Bar zusammenschlugen, bis einer von ihnen reglos am Boden liegen blieb... Freunde des Gefallenen zückten Messer und ließen noch mehr Blut fließen, während das Brüllen und Schreien meine Ohren füllte... Ich erinnere mich an weitere Kriege, die ununterbrochen auf der Erde tobten und Millionen von Menschenleben forderten. Ich sah Morde, Folter, Diebstahl, Betrug. Jede der sieben Sünden begegnete mir in meiner Vision und jede von ihnen führte mal um mal in ein blutiges Ende. Es wurde geschossen, getötet, gequält, gekämpft bis ich glaubte nie etwas anderes kennen gelernt zu haben als diese Schrecken und den Schmerz, der damit verbunden war. Ich wollte, dass es aufhörte. Ich wollte einfach nur noch das Ende dieser Vision und der darin gezeigten Wirklichkeit, wollte mich losreißen von allem was mich ausmachte... Ich wollte nicht mehr zu der Spezies gehören, die sich so bestialische Dinge antat... Die Welt war grausam und hässlich... Alles andere hatte seine Bedeutung verloren... Und genau in diesem Augenblick, als es mir egal geworden war diese schlechte Welt zu retten, als ich nicht mehr bereit war für etwas zu kämpfen, das sich jeden Tag selbst zerstörte, schwand die Vision der Sünden langsam wieder. Mein Geist wurde erneut der Wirklichkeit ausgesetzt, mit all ihrer Kälte und Gefühllosigkeit. Unter den betäubenden Schmerzen der Vision zusammengekrümmt sah ich hinauf in das gütig lächelnde Gesicht des Dämonenvaters und verstand plötzlich, wieso er die Dunkle Dämmerung beschwören wollte... Meine Sicht schwamm von Tränen und meine Kehle kratzte, als hätte ich ununterbrochen geschrieen, doch durch den Nebel von Verzweiflung und Pein hörte ich die Stimme des Dämonenvaters dennoch deutlich und klar, wie sie fragte: "Und? Wie stehst du nun zu deiner Art?" Kapitel 30: Dämon mit den Bluttränen ------------------------------------ Kapitel XXVI - Dämon mit den Bluttränen Als die Vision der Sünden von Zeliarinas Geist abließ, brach sie augenblicklich in die Knie. Ihre Wangen waren nass von Tränen, ihr Kopf benebelt von den unerträglichen Schmerzen der Menschheit, die sie mit voller Wucht in sich hatte aufnehmen müssen. Die Nervenverbindungen in ihrem Körper waren so gereizt und mit Informationen überladen, dass ihr Körper keinem vernünftigen Befehl mehr gehorchte, sondern nur noch wild und heftig zitterte. Zeliarina versuchte verzweifelt ihre tobenden Gedanken unter Kontrolle zu bekommen, doch gewalthaltige Erinnerungen aus zweitausend Jahren spukten in ihrem Hirn herum und schienen sich mit Dingen ihrer Vergangenheit zu verknüpfen. Als Zeliarina versuchte sich Dymeon und seine Liebenswürdigkeit ins Gedächtnis zu rufen, sah sie nur eine jüngere Ausgabe von ihm, die ein hilfloses Menschenpaar mit seinen Klauen zerriss. Dem Bild folgte eine gewaltige Schmerzwelle, die sie schreien ließ und ihren Körper noch mehr schüttelte. Wimmernd blieb Zeliarina nach diesem Echo der Vision der Sünden auf Knien und Ellenbogen liegen und drückte das Gesicht gegen den glatten kühlen Boden, als würde sie versuchen die Welt um sich herum auszusperren. Doch sie hörte trotzdem noch das leise Rauschen, als der Kuttensaum des Dämonenvaters über den Boden glitt. "Nun hast du gesehen, was ich über so lange Zeit miterlebt habe... Ich wollte es dir ersparen...", sagte er mit echtem Mitgefühl in der Stimme. Als Zeliarina zu ihm aufsah, bemerkte sie verschwommen die kleinen Veränderungen in seinem entstellten Gesicht, die wohl vor vielen Jahren sicherlich Trauer ausgedrückt hätten. "Und?", fragte er schließlich vorsichtig, während er die schluchzende und schwer atmende Zeliarina beobachtete. "Wie stehst du nun zu deiner Art?" Als Antwort darauf nahm die Donnerhexe nur noch zwei weitere tiefe Atemzüge, ehe sie sich unter Aufbietung all ihrer verbliebenen Kräfte auf die Beine wuchtete. Jeder Zentimeter ihrer Haut brannte vor Schmerz. Sie nahm beiläufig wahr, dass unter ihren Fingernägeln Blut klebte und ihr Gesicht feuerte, als hätte sie sich im Wahn selbst gekratzt. "Nimm diese Welt...", krächzte sie weinend, "Soll sie doch untergehen... Soll die Menschheit doch sterben... Sie tut es eh jeden Tag..." Alles in ihrem Kopf drehte sich und dröhnte. Sie war von einer Resignation und Gleichgültigkeit erfasst worden, die alles grässlich bedeutungslos wirken ließ. "Du tust das Richtige...", versicherte der Dämonenvater gütig. Mit einem Fingerschnippen beorderte er Assessina an seine Seite, damit sie Zeliarina beim Laufen stützen konnten. Der Donnerhexe schwanden langsam die Sinne. Sie spürte die kräftigen Arme, die unter ihre Schultern griffen und ihr dabei halfen aufrecht zu stehen, doch ihr Gehirn weigerte sich die Information aufzunehmen, dass diese Arme einer Dämonin gehörte, mit der sie bereits bis zum Tod gekämpft hatte. Was machten diese Fehden nun noch? Behutsam wurde Zeliarina eine Stufe hinaufgeführt, so dass sie endlich auf dem siebenzackigen Podest stand, direkt vor einem Schlitz, der breit genug war um Thundenstars Klinge zu fassen. "Stecke einfach das Schwert in die Öffnung. Danach wird alles vorbei sein...", sagte der Dämonenvater, der inzwischen ebenfalls seinen Platz in diesem Ritual eingenommen hatte. Zeliarina nickte nur. Ein dumpfes Stechen erfüllte ihr Herz, doch es erreichte nicht die Stärke der Qualen, die sie in der Vision hatte ertragen müssen. "Ich zeige dir, wie man es macht...", meinte der Dämonenvater langsam. Er führte den Knauf des Schwertes Schwarz an seine verzogenen Lippen, küsste ihn kurz und schnitt sich dann mit der Klinge in die Handfläche. Das schwarzgrüne Blut, das daraufhin aus der Wunde trat, ließ er vor sich in die Öffnung tropfen, ehe er das Götterschwert mit der Spitze voran hineinsteckte. Es versank ein gutes Stück im Boden, bis es den Grund der Öffnung erreicht hatte. "Schwarz wählt die Dunkle Dämmerung", sprach er zufrieden. Der Schwarze Nebel, der sich immer schattenhaft um die Klinge des Schwertes gewunden hatte, verwandelte sich plötzlich in einem Strom dunklen Lichtes, der sich seinen Weg in die Mitte des Podestes suchte. Dort stieß er zusammen mit den bereits vorhandenen Lichtern von Excalibur, Goth und Luna und vermischte sich mit ihnen, so dass ein Kraftstoß durch die in den Himmel führende Feuersäule ging und diese noch breiter und heller wurde. Zeliarina spürte flüchtig einen kalten Luftzug an ihren Haaren reißen. Die Druckwellen aus meinem Illusag-Traum... Assessina löste sich von Zeliarina und trat an ihren Platz. Genau wie der Dämonenvater zuvor küsste sie das Heft Azuransas', schnitt sich in die Hand, ließ das Blut in die Öffnung tropfen und steckte das Schwert hinterher. "Azuransas wählt die Dunkle Dämmerung!" Blaues Licht schoss aus der heiligen Klinge und vermengte sich mit den vier anderen, während Rishak bereits damit beschäftigt war seinen Arm in eine rote Kristallklinge zu verwandeln. Er führte die gleichen Handlungen aus wie seine Vorgänger und beendete sie mit monotoner Stimme: "Urrurdoc wählt die Dunkle Dämmerung..." Der feuerrote Strahl, der sich daraufhin in der Mitte der Plattform mit den anderen vereinte, ließ die weiße Lichtsäule weiter anschwellen. Zeliarina beobachtete das farbige Lichtspiel schweigend und halbherzig, als hätte sie sich bereits von den Geschehnissen der Welt zurückgezogen, als ginge die Zeremonie sie gar nichts an. Noch immer liefen Tränen glänzend über ihre blassen Wangen, um dem kleinen Rest ihres Kummers, der noch nicht von der Vision der Sünden verzehrt worden war, Ausdruck zu verleihen... Das also ist das Ende der Welt... Die Götterschwerter schrieen in ihrem Kopf. Auch Thundenstar sang ihr zu, darum flehend endlich hier und jetzt mit ihren Geschwistern vereint zu werden. Noch eine letzte Träne tropfte unbeachtet von Zeliarinas Kinn, ehe sie vortrat und das Heft ihres Schwertes unendlich langsam an ihre bebenden Lippen drückte. Genau in diesem Augenblick wehte das Echo schneller Fußtritte aus dem nahe liegenden Gang hervor und ließen die Hände der Donnerhexe einen kurzen Moment in Unsicherheit erstarren. Sie drehte sich um, gerade rechtzeitig um zu sehen wie Dymeon aus dem Tunnel gerannt kam. Seine Kleidung war genau wie seine Haut durch den Kampf an mehreren Stellen aufgerissen, doch seine dunklen Augen blickten ruhig unter den wilden schwarzen Haarsträhnen hervor, die ihm ins Gesicht fielen. Seine Hände waren zu Dämonenklauen geformt und mit einer Schicht aus schwarzem, krustigem Blut bedeckt. "Zel!", schrie er laut. Die Dämonen an ihrer Seite begannen sich zu rühren, doch keiner stürzte sich auf den Dämon mit den Bluttränen. Vielmehr grinsten sie alle nur und starrten den Verräter ihres Ordens abwartend an. "Blutträne", rief Assessina feixend, "Beinahe hättest du die tolle Show verpasst! Du kommst gerade Recht um die Dunkle Dämmerung aus nächster Nähe zu betrachten!" "Zel?", schrie Dymeon, als hätte er sie gar nicht gehört. Sein besorgter Blick schweifte über ihre zitternde Erscheinung, doch auch wenn er keine äußerlichen Verletzungen erkennen konnte, spürte er sofort dass es seiner Schutzbefohlenen nicht gut ging. Ihre grünen Augen wirkten leer und trostlos, obwohl sie gleichzeitig vom vielen Weinen gerötet waren. Was haben sie ihr angetan? Dymeon knirschte mit den Zähnen, versuchte sich aber unter Kontrolle zu halten. "Zel! Komm her, wir müssen von hier fliehen! Wir müssen hier verschwinden, ehe sie Thundenstar in die Finger bekommen!" Der Dämon hatte Angst bekommen, als er die bestialischen Schreie der Donnerhexe durch den Gang hindurch bis auf die Straße gehört hatte als würde sie unter schrecklicher Folter leiden. Doch jetzt sah er sie neben den Schattenklingen dastehen wie eine leere Hülle und fühlte, dass ihn das nur noch mehr erschreckte. "Geh nach Hause, Blutträne... Thundenstars Wächterin ist nun unser Eigen", erklärte Cenior, ohne die Griffe seiner zwei Schwerter loszulassen, die in zwei nah beieinander stehenden Sockeln steckten, als habe man sie extra dafür gebaut, dass eine einzelne Person beide besitzen würde. "Ich spreche nicht mit dir!", fauchte Dymeon. Er starrte weiter zu Zeliarina auf, doch die Donnerhexe wich seinem Blick aus und kehrte ihm schließlich sogar wieder den Rücken zu. "Zel! Was zum Teufel ist hier los? Wieso bist du bei ihnen? Schau mich an, Zel! Egal was sie gesagt haben oder wie sie dir gedroht haben, wir können sie besiegen! Ich kann gegen sie kämpfen, während du fliehst!" "Du hast bereits genug gekämpft", antwortete Zeliarina gequält. Sie schluchzte wieder, machte jedoch keine Anstalten sich ihrem Schutzritter zuzuwenden. "Zel! Zel, sprich mit mir! Schau mich an!" "Ich will nicht..." Ihre Stimme hatte einen Ton angenommen, den Dymeon noch nie zuvor bei ihr gehört hatte und der ein Prickeln durch seinen Nacken schickte. "Ich habe genug von dir gesehen... Wieder und immer wieder... Du hast getötet... Ich habe den Schmerz gespürt, den deine Opfer durchleben mussten... Und es waren viele Opfer... Sabiduría hatte Recht: an deinen Händen klebt das Blut Unschuldiger. Du bist ein Mörder. Ein Mörder!" Unter den zufriedenen Augen der Schattenklingen wich Dymeon bei jedem gesprochenen Wort ein Stück weiter zurück, als würde er sie körperlich spüren. Schließlich schloss er die Augen und ballte die Fäuste. "Und jetzt willst du es mir gleichtun und alle Menschen ausrotten? Das bist nicht du!" "Du weiß nicht, wer ich bin!", schrie sie wütend zurück. Wieder liefen ihr die Tränen. "Du bist ein Dämon, ich bin ein Mensch! Du hast nichts getan als meinen Bodyguard zu spielen! Du weißt gar nicht, wer ich bin! Du hast keine Ahnung!" "Ich lasse nicht zu, dass du das tust! Du wirst es bereuen!" Dymeon kam langsam wieder näher. Zeliarina legte als Reaktion Thundenstars Klinge entschlossen in ihre Hand und zog sie einmal durch, so dass ein roter Striemen entstand und die ersten Tropfen Blut daraus hervorquollen. "Komm nicht näher!" "Zel!" Die Augen der Donnerhexe waren immer noch ausgebrannt, als sie sich umdrehte und die Blutstropfen aus ihrer Hand in den Sockel zu ihren Füßen fallen ließ. Dymeon sprang alarmiert auf sie zu und stürzte sich mit inzwischen normalen Händen auf sie, doch noch ehe seine Finger sie berührten, spürte er einen Ruck durch seinen Körper gehen, der ihn stoppte. Als er an sich herunter sah, weiteten sich seine Augen. "Zel... Wieso?" Zeliarina hatte Thundenstar mit beiden Händen vor sich gehalten und Dymeon in die Spitze rennen lassen. Blut suchte sich seinen Weg aus der breiten Bauchwunde und ein Schmerz schoss kraftvoll durch Dymeons Körper, erreichte jedoch sein Bewusstsein nicht. Denn dieses war bereits von einem viel tieferen Schmerz belagert, einen Schmerz, der nichts mit körperlichen Wunden gemein hatte, sondern der tief aus dem Herzen kam. "Zel... Wieso... Wieso..." Der Dämon fiel auf die Knie. Seine Hände griffen automatisch nach der Schneide Thundenstars, die in seinem Bauch ragte, und rissen sie mit einem schmatzenden Geräusch heraus. Alle Augen lagen auf dem Dämon mit den Bluttränen, als er, niedergestreckt von seiner einstigen Partnerin, hinten überkippte und von dem siebeneckigen Podest rollte. Eine Spur Blut folgte dabei dem Weg seines kraftlosen Körpers. "Zel..." Dymeon erspähte kurz Assessinas hämisches Grinsen und hörte Ereos brüllend auflachen. "Du rettest nicht die Welt! Nein, du rettest sicher nicht die Welt, Schwarze Hexe!", jubelte er Zeliarina zu. Die Worte erweckten einen Gedankenblitz in ihrem Kopf, einen Erinnerungsfetzen aus der Illusag, fallende Raben, fallende Menschen, einen sterbenden Dymeon und eben diese Worte aus Ereos' Mund. Es schien, als hätte die Illusag alles bereits vorausgesehen... Zuckend presste die Donnerhexe ihre Hände an die Schläfen und kniff die Augen zusammen, um die Bilder auszusperren. In ihrem Kopf schien soviel herumzuschwirren, dass er bersten und etwas davon abstoßen wollte, egal ob es aus der Realität, der Illusag oder der Vision der Sünden stammte. "Zel! Hör nicht hin! Halte es auf!" "Dafür ist es zu spät...", murmelte Zeliarina leise. Sie nahm das Schwert und richtete es mit der Spitze voran auf die Öffnung im Boden. Der Dämonenvater lächelte sie väterlich an. In den Augen der Schattenklingen brannte eine ungeduldige Erwartung. "Zel, Nein!" Sie stieß zu. Es ratschte hell, als Thundenstars breite Klinge gegen den Stein schabte und in dem Sockel verschwand, doch dieses Geräusch wurde übertont von Zeliarinas Stimme: "Thundenstar wählt..." "Nein! Zel, hör auf! HÖR AUF!" "...die Dunkle Dämmerung..." Augenblicklich schoss ein gelber Strahl aus dem Schwert des Donners und vereinte sich schrill mit den Farben der sechs anderen Klingen. In dem Augenblick, in dem sich die gebündelten Mächte aller sieben Schwerter zusammenfanden, schien sich irgendetwas zu verändern. Niemand konnte es richtig deuten, doch es schien, als wäre die Welt nicht mehr an dem gleichen Platz wie gerade eben, als hätte sich die ganze Welt mit einem Mal auf eine grauenvolle Art verzerrt und verschoben. Nie gekannte magische Energie brachte die Luft zum Flirren. Der Boden bebte. Die weiße Säule wurde so breit, dass sie sich bis an die ruhenden Schwerter ausdehnte, und glühte in einem intensiven weißen Feuer, das ein Loch in die Zeit brennen konnte. "Zel... Was hast du getan...?" Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte sich Dymeon ein weiteres Mal auf die Füße, während seine Hände versuchten den immensen Blutfluss abzuschwächen. Zeliarina stand genauso unbeweglich wie die Schattenklingen an ihrem Platz und starrte traurig auf den flammenden Turm aus höllischem Weiß. Die Welt geht unter... Nach ein paar Sekunden Stille schien im Kern des Lichtes etwas zu explodieren, so dass heißer schneidender Wind in alle Richtungen geschleudert wurde. Den Schattenklingen und Zeliarina warf er nur die Haare und die Kleidung durcheinander, während Dymeon, der etwas weiter abseits stand, von der vollen Kraft der entstandenen Druckwelle erfasst wurde. Sie war noch heftiger als die vorherige draußen auf der Straße und schleuderte Dymeon mit der Geschwindigkeit einer Pistolenkugel gegen die Steinwand. Sein Hinterkopf brach unter der Wucht. Dymeon konnte ihn zersplittern hören wie morsches Holz und spürte den unerträglichen Schmerz, den die zerschmetterten Knochen durch jede Faser seines Körpers jagten. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er eine Verletzung so deutlich gespürt. Keine Klaue, kein Schwert, keine Pistole hatte ihn bisher so quälen können... Wieder wurde die Halle durchgeschüttelt. Ein markerschütterndes Brüllen, das überall zu sein schien und keinem sterblichen Mund entstammte, ließ die Erde bis in ihre Grundfesten erzittern. Als es verklungen war, färbte sich die weiße Feuersäule schlagartig schwarz. Zeliarina konnte Bewegung in ihr erkennen, das Aufblitzen einer Schuppe, das Glühen von karmesinroten Augen und das schnelle Vorbeihuschen eines gigantischen Körpers. Hinter ihr rührte sich Dymeon unbemerkt. Sein Schädel war hinten eingedrückt und hatte ihm die Sehnerven abgequetscht, doch er stolperte trotzdem blind los, das Gefühl warmen Blutes im Nacken. Er konnte das Brüllen des Nachtdrachen hören, konnte ihn sich so genau vorstellen, dass er glaubte doch wieder zu sehen. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte er, dass ein mächtiger Geist in seinem zertrümmerten Kopf wühlte, ein Geist von unvergleichbarer Stärke, zigfach so stark wie ein Dämon. Alles betäubende Kälte durchdrang seine Glieder. Dann zog sich der Geist wieder gelangweilt zurück, jedoch nicht ohne ein paar letzte Worte in Dymeons Bewusstsein zu pflanzen: Du hast ein unbedeutendes Leben geführt... Dymeon fühlte seine Hände vor Anspannung zittern, als die Worte des Gottes in seinen Ohren widerhallten. Der Geist zog weiter durch den Saal, während sich der Dämon mit den Bluttränen ebenfalls wieder in Bewegung setzte und ziellos nach Zeliarina suchte. In der Finsternis seiner Blindheit konnte Dymeon den Dämonenvater keuchen hören. Er hörte das Dröhnen des schwarzen Feuers, daneben Ereos' angespanntes Atmen und eine Flüssigkeit, die gleichmäßig auf den Boden tropfte. Blut. Sein Blut, das von Thundenstar perlte... Lauschend zwang sich Dymeon weiter. Der Schmerz in seinem Kopf trieb ihn fast in die Knie, doch er hörte nicht auf seinen Körper, sondern schleppte sich durch die Kraft seines Willens immer weiter, bis seine Fußspitze auf eine Steinstufe traf. Auch wenn er nichts sehen konnte, wusste er durch Zeliarinas deutlich vernehmbaren Atem, dass er nur die Hand ausstrecken musste um sie zu berühren. "Zel...?" Brennender Schmerz verwüstete seinen Schädel. "Dymeon...", antwortete sie leise. Ihre Stimme klang jetzt weder traurig noch anklagend noch wütend, sondern einfach nur noch unendlich müde und resignierend. Dymeon streckte seine Hand aus und streifte dabei kurz ihren Arm, ehe er ihre rechte Hand fand und die Finger sanft umschloss. Sie wehrte sich nicht gegen die Berührung. "Es tut mir Leid...alles... Ich wollte diese Menschen nicht töten. Ich würde es rückgängig machen, wenn das möglich wäre. Meine Zeit beim Däezander ist lange vorbei..." "Es ist zu spät..." "Noch ist der Nachtdrache nicht erschienen. Noch ist es aufzuhalten!" Dymeon hörte Gelächter, konnte die Stimme jedoch nicht zuordnen und erkannte nicht woher sie kam. Es war ihm auch egal, die Schattenklingen hatten für ihn in diesem Augenblick keine Bedeutung. "Ich will es nicht aufhalten..." Dymeons Druck verstärkte sich unmerklich um Zeliarinas Hand. "Warum? Sag mir bitte, warum!" "Die Welt ist schlecht... Ich habe sie gesehen in ihrer Ganzheit. Sie hat sich vor mir entfaltet und geöffnet wie ein Buch, dem ich jedes noch so kleine schreckliche Detail ablesen konnte. Die Gesellschaft der Menschen und ihr Zusammenleben führen immer wieder ins Verderben..." Beim Gedanken an die Vision der Sünden wollten der Donnerhexe wieder die Tränen kommen, doch diesmal kämpfte sie sie zurück. Nur ihre Worte klangen heiser. "Ich habe Dinge gesehen, von denen ich niemals geglaubt hätte, dass Menschen sie sich antun..." Dymeon schwieg eine Weile, ehe er tonlos antwortete: "Wenn die Dunkle Dämmerung die Menschheit löscht, wirst auch du verschwinden..." "Dann soll es so sein..." Der gewaltige Schmerz in Dymeons Schädel hämmerte energisch gegen seinen Hinterkopf, während der nahende Nachtdrache triumphierend brüllte. Wieder explodierte etwas in dem Feuerturm und heißer Wind strich über Dymeons Wange, zog ihn jedoch nicht mit sich. Die Erde bebte unentwegt, Putz rieselte von der uralten Decke, Geräusche von Donner und Blitz drangen aus dem Tunnel bis zu ihnen. Dymeon schloss die Augen, ehe er plötzlich impulsiv die Arme um Zeliarinas Körper schlang und sie an sich drückte. "Wenn du gehst", sprach er verzweifelt. "Dann war alles, wofür wir je gekämpft haben, umsonst! Das Werk von Menschen, die seit 1500 Jahren Tod und Schmerzen auf sich genommen haben, wird bedeutungslos! Kinder, die ihre Eltern in der Schlacht verloren haben und sich mit dem Gedanken, dass diese zum Wohle der Welt gestorben waren, in den Schlaf trösteten, werden umsonst elternlos aufgewachsen sein! Melissa wird umsonst gestorben sein! Storm wird umsonst gestorben sein! Batista wird umsonst gestorben sein! Das kann einfach nicht dein Ernst sein!" "Dymeon..." Sie versuchte seinem Griff zu entkommen, doch er gab nicht nach. "Du wirst Victoria und Kevin in den Tod reißen, Dunkan, Pendrian, Siviusson, McCain, Selen, Fossil, Jessica! Sie haben immer an dich geglaubt, haben nie die Hoffnung in dich verloren! Du zerstörst hiermit ihre Welt und ihre Träume! Du zerstörst deine eigene Welt!" Zeliarinas Finger verkrampften sich um Dymeons Hand. Der Dämon mit den Bluttränen hörte irgendwo einen seiner Artgenossen fauchen, doch er konzentrierte sich nicht auf ihn, sondern nur auf seine Schutzbefohlene. "Ich weiß, dass es schwer sein kann für die Menschen zu kämpfen. Ich selbst habe mir oft die Frage gestellt, ob es sich wirklich lohnt sie zu schützen..." In seinen Gedanken ging Dymeon zurück zu seiner Begegnung mit der Frau Caroline, die ihn als Anhalter in ihrem orangefarbenen Golf mitgenommen hatte. Es schien ewig her zu sein. "Es gibt Menschen mit schlechten Eigenschaften, voller Jähzorn, Hass, Brutalität und Gier, ja es gibt sie. Doch genauso gibt es gute Menschen unter ihnen, die Mitleid empfinden, warmherzig sind, liebevoll... Und solange auch nur einer dieser Menschen auf diesem Planeten wandelt, bin ich nicht bereit aufzugeben!" "Dymeon... Ich..." Der Nachtdrache kreischte. Sein Geist griff nach Dymeon, doch der Dämon krallte sich nur noch fester an Zeliarina und presste die Augen zusammen. "Was wird aus Victoria und Kevin, wenn du die Menschheit beendest? Sie sind deine Freunde, deine Liebsten! Und was wird aus mir, wenn du fort bist? Du bist das Einzige, was mir noch geblieben ist! Ich werde ganz alleine sein!" Etwas Nasses tropfte auf Zeliarinas Schulter. Langsam wandte sie sich ihrem Schutzritter zu und sah die dünnen roten Spuren, die von seinen Augen aus an seinen Wangen hinab liefen und schließlich am Kinn endeten. "Dämon... mit den Bluttränen...", hauchte die Donnerhexe begreifend. Dymeon nickte nur, während weitere rote Tränen über sein verschmiertes Gesicht flossen. "Bitte, Zel... Ich will nicht mehr alleine sein..." "Genug!", schrie der Dämonenvater außer sich. "Es ist zu spät dafür!" "Zeliarina!", rief plötzlich eine völlig neue Stimme. Die Donnerhexe starrte überrascht auf den Tunnel, der an die Oberfläche führte. Kevin und Dunkan stürmten mit schweißnassen Gesichtern daraus hervor, ihre Waffen schussbereit erhoben. Als sie Zeliarina an dem siebenzackigen Podest stehen und Thundenstar in der Öffnung stecken sahen, blieben sie wie angewurzelt stehen und kämpften sichtbar die Angst nieder, die sich in ihnen staute. "Zeliarina! Was geht hier vor?" Dunkans Augen schweiften über Dymeon und erspähten mit Grauen den zerschlagenen Überrest seines Hinterkopfes. "Dymeon, was wird hier gespielt?" "Ihr hättet nicht kommen sollen", murmelte Zeliarina anstelle ihres Schutzritters leise. Sie hielt den Blick zu Boden gesenkt und konnte sich nicht dazu durchringen ihren Freunden in die Augen zu sehen. Sie wusste, sie würde darin nur Vorwürfe und Enttäuschung finden. "Doch wahrscheinlich ist das an diesem Tag eh vollkommen unbedeutend..." "Was?", schrie Kevin beunruhigt. Seine Finger, die um den Lauf seiner abgesägten Schrotflinte lagen, zuckten leicht, während er darüber brütete, eine logische Erklärung für die Szene zu finden, die sich vor ihnen in der Halle ausbreitete. Vor einigen Minuten noch hatten sie geglaubt Zeliarina gefangen oder gefoltert aufzufinden, denn sie hatten die entsetzlichen Schreie bei ihrer Suche nach der Donnerhexe aus dem Tunnel hallen hören. Jetzt stand sie vor ihnen, äußerlich unverletzt bis auf die leicht blutigen Kratzer auf ihren Wangen. Ihre grünen Augen schienen Farbe verloren zu haben, waren verblasst, wie von Nebel verhangen. Ihr dämonischer Schutzritter hielt sie umarmt, obwohl sie sich wehrte. Blut floss in seinen Nacken. "Was wird hier gespielt?" "Sie will die Dunkle Dämmerung!", schrie Dymeon. Kevin erkannte augenblicklich am Ton seiner Stimme, dass die Blutspuren auf dem Gesicht des Dämons Tränen waren. Dymeon weinte. Obwohl seine Worte so ungeheuerlich und absurd klangen, glaubte Kevin ihm aufgrund dieser Tatsache sofort. "Die Dunkle Dämmerung?", wiederholte der Elementare. Mit seinen Augen suchte er erneut Zeliarinas Blick, doch die Donnerhexe starrte stur zu Boden. Dann brach ein Schrei durch die Halle, ein Schrei den keine sterbliche Kehle ausstoßen konnte, der Eismesser in Kevins Schädel trieb und dafür sorgte, dass sich seine Haare aufstellten. Kevin wollte nur noch rennen und von diesem Ort und der Stimme fliehen, selbst wenn er dabei alle seine Freunde zurücklassen müsste. Der Drang war so stark, dass er sich auf die Lippe beißen musste, um dem Instinkt nicht nachzugeben. "Wieso willst du die Dunkle Dämmerung?", fragte Kevin schlotternd. Quälend langsam setzte er einen Fuß vor den anderen und näherte sich Zeliarina. Die Waffe hatte er gesenkt. "Was ist aus unserem Wunsch geworden, endlich Frieden zu haben?" Zeliarina schwieg weiter mit gesenktem Blick. Ihr blondes Haar fiel ihr so ins Gesicht, dass Kevin den Ausdruck ihrer Augen nicht mehr erkennen konnte. Wut schoss in ihm hoch. Er empfing das Gefühl brennender Rage mit Dankbarkeit und verlor sich einen Moment lang in dem Rausch. "Dymeon, geh zur Seite!", befahl er schneidend. Der Dämon gehorchte ohne zu fragen, während Kevin bereits Zeliarinas Schultern packte. "Das lasse ich nicht zu!", schrie er ihr mitten ins Gesicht. "Hörst du? Egal, was auch passiert ist, ich lasse das nicht zu!" "Es ist zu spät die Dunkle Dämmerung aufzuhalten!", brüllte Ereos lachend im Einklang zu dem wieder einsetzenden Schrei des Nachtdrachen. Zum dritten Mal brach eine Druckwelle aus heißem Wind aus der Feuersäule hervor. Sie war nicht so stark wie die erste, doch ihre Kraft reichte aus um Kevin und Dymeon ein Stück davon zu schleudern. Dymeon bekam dabei einen Riemen von Zeliarinas Rucksack zu fassen. Der Stoff riss unter den Dämonenfingern, so dass der gesamte Rucksack zu Boden fiel, umkippte und seinen Inhalt über den Boden verstreute. Dymeon blieb gelähmt vor Schmerz liegen, doch Kevin rappelte sich wieder auf. "Ich lasse das nicht geschehen!" "Es ist zu spät!" "Ich bin ein Lancelor!", brüllte Kevin mit aller Kraft über den tosenden Wind und den göttlichen Schrei des Nachtdrachen hinweg. "Und auch du bist einer, Zeliarina! Wir haben einen Eid geschworen die Menschheit zu beschützen, sie vor jeglichem Unheil zu bewahren! Hast du das etwa vergessen?" "Wie können wir uns vor Unheil bewahren, wenn wir uns täglich gegenseitig leiden lassen...?", erwiderte Zeliarina tonlos. Ihre Worte wurden von dem Sturm teilweise verschluckt. "Ich habe Dinge gesehen... so schreckliche Dinge..." "Und deswegen wirft du alles über Bord? Die Opfer der anderen, die für unseren Orden gestorben sind? Die ganzen Kämpfe? Deine Freunde? Du verbündest dich mit dem Feind! Mach die Augen auf und sieh das ein, noch ist nichts entschieden! Ich kämpfe für die Lancelor, weil ich nicht will, dass Menschen in meiner Umgebung leiden müssen! Bist nicht auch du deswegen in Falcaniar? Hast du nicht deswegen das Schicksal als Wächterin akzeptiert?" "Dies ist die Stunde, in der unsere Leben, wie wir sie bisher geführt haben, auf die Probe gestellt werden! In der sich zeigen wird, dass unsere Anstrengungen, Bemühungen und gebrachten Opfer nicht umsonst gewesen waren, und dass unsere Träume uns den Weg weisen diesen Krieg zu beenden! Wir sind Lancelor! Wir haben Blut vergossen und Tränen geweint! Manchmal schien uns die Verzweiflung zu verzehren, doch wir haben nie aufgegeben, haben immer weitergekämpft um irgendwann Frieden zu haben! Wir haben einen Eid geschworen diese Welt mit unseren Kräften zu schützen! Darum kämpft weiter! Kämpft weiter für eine friedliche Zukunft für unsere Lieben, selbst wenn es heißt, dass wir hier sterben müssen! Kämpft für unsere Freunde! Kämpft für unsere Familien!" Kevin kämpfte sich weiter zum Podest, doch der Wind aus der schwarzen Flammensäule tobte jetzt ununterbrochen und drängte den Elementaren zurück. Im Zentrum konnte man ein Geräusch von gigantischen, schlagenden Schwingen hören... "Denke noch mal an alles, was passiert ist...!" Zeliarina strauchelte, als Erinnerungen wie Gewitterblitze vor ihren Augen aufflammten. "Bitte, Dunkan, erlaube mir ein Lancelor zu werden...Du bist mein Mentor, du musst es mir erlauben...Ich tue dies auch nicht für den Orden, sondern nur für mich, für mich und die Menschen, die ich schützen möchte..." "Aber... ich..." "Sie haben Recht, Mister Siviusson, Hass ist nicht mein Beweggrund. Mein Beweggrund liegt woanders... Ich will meine Freunde und Mitmenschen schützen...Ich will nicht zulassen, dass sie leiden müssen...Dafür bin ich sogar bereit diese Waffe zu benutzen..." "Ich..." Zeliarinas Kopf wollte Platzen. Ihr Schädel wurde zerrissen von den widersprüchlichsten Gefühlen und Erinnerungen und von einem brennenden Schmerz, der bei jeder verstrichenen Sekunde stärker zu werden schien. Doch es waren nicht die Erinnerungen aus der Vision der Sünden, die weiter auf sie eindrangen und sie materten... "Es sind keine Wunder", flüsterte Dymeon schließlich mit einem eindringlichen Zischen. "Sondern du bist es. Du vollbringst unglaubliche Dinge, um deine Mitmenschen zu beschützen und gibst genau das auch an sie weiter. Sie kämpfen mit aller Kraft, gehen an ihre Grenzen, weil sie durch dich endlich etwas haben, an das sie glauben können... Selbst ich habe nur überlebt, weil mich der Gedanke an dich immer und immer weitergetrieben hat..." "Bitte, Zeliarina...", flüsterte Kevin jetzt flehend. "Ich will weiterleben. Die Lancelor sind meine Familie. Victoria und Dunkan, Selen und du, ihr habt mir zum ersten Mal das Gefühl gegeben, tatsächlich ein Zuhause zu haben. Ich würde alles geben um das zu bewahren! Doch jetzt bist du die Einzige, die die Katastrophe noch verhindern kann!" Der Elementare versuchte sich verzweifelt durch den Wind zu kämpfen. Die Luftströme rissen dabei seine Tränen unerkannt mit sich... "Gib nicht auf!!! Kämpfe weiter!!!" "Danke... Verzeih... Und lebe wohl... Ich weiß, dass du stärker sein wirst als ich. Du wirst weiterkämpfen..." "Aber die Morde... die Diebstähle... die Foltern...", stotterte Zeliarina. Sie war auf ein Knie gesunken und hielt sich nach Gleichgewicht suchend am Griff Thundenstars fest. Das Schwert vibrierte unter ihren Händen. Kevin schirmte seine Augen vor seinem wirbelnden weißen Haar ab, während er die Zähne zusammenbiss und einen Arm nach Zeliarina ausstreckte. "Diese Dinge sind nicht zu leugnen... Doch es gibt auch Menschen, die friedlich leben wollen... Wir haben kein Recht über die Menschheit zu urteilen, doch wir können ihr zumindest die Möglichkeit geben sich zu bewähren..." "Ich habe genug davon beschützt zu werden... Ich werde nicht mehr zurückbleiben, ich werde diejenige sein, die die anderen beschützt... Dazu habe ich Thundenstar... Es war Schicksal, dass ich dieses Schwert erhielt... Es ist meine Bestimmung die Helle Dämmerung zu beschwören, und zwar meine allein... Sabiduría hat es mir damals durch die Illusag offenbart..." "Also wofür entscheidest du dich? Soll die Menschheit heute tatsächlich untergehen? Sollen wir alle verschwinden, du und ich eingeschlossen?" Zeliarina nickte, schüttelte dann den Kopf und sank vor dem Sockel mit Thundenstar zusammen. Ereos und Assessina rührten sich alarmiert, als die Donnerhexe versuchte wieder auf die Beine zu kommen. Sie wusste nicht mehr was sie denken oder tun sollte. In ihr prallte die Vision der Sünden gegen ihre Zeit in Falcaniar. In der Halle trafen die Schattenklingen auf die Lancelor. Wie soll ich mich entscheiden...? Kraftlos fiel Zeliarina zurück auf ihr Knie. Es gab ein knirschendes Geräusch, als sie dabei eine glatte Oberfläche zerbrach. Verwundert griff Zeliarina unter ihr Bein und zog wie in Trance ein Foto hervor, das in einem dunklen Holzrahmen und einem nun zersplitterten Glasschutz lag. Es zeigte sie selbst vor dem Hintergrund der beeindruckenden Feste Falcaniar. Gleich neben ihr stand Dymeon mit ernstem Gesichtsausdruck und verschränkten Armen, während sich auf ihrer anderen Seite Kevin befand. Der Elementare grinste breit und hatte errötend einen Arm impulsiv um die Schultern der etwas hilflos wirkenden Victoria gelegt. Dunkan stand lächelnd hinter ihnen allen und zerwuschelte Kevins und Zeliarinas Haar. Was für eine schöne Zeit das damals war... Einen Moment lang fragte sich Zeliarina verwirrt, wo das Bild herkam. Dann fiel ihr der Abschied von Falcaniar ein, der noch nicht einmal einen Tag her war und doch Welten zurückzuliegen schien. Sie hatte es dabei eingesteckt und es musste aus dem Rucksack gefallen sein. Während sie das Foto anstarrte, liefen ihr Tränen an den Wangen herab. Mit zitternden Fingern fuhr sie die Gesichter ihrer Freunde nach. Wie konnte ich euch nur enttäuschen... Kevin bemerkte den Umschwung in Zeliarinas Seele augenblicklich, denn ihre grünen Augen erstrahlten wieder in ihrem früheren hellen Glanz, als hätte man Lampen in ihnen entzündet. Der Schmerz und der Schock haben mich verwirrt... Mit einem Ruck hievte sie sich auf die Füße und umklammerte Thundenstar mit beiden Händen. Doch jetzt weiß ich, wo ich hingehöre... zu meinen Freunden... die mir vertrauten und Hoffnung in mich setzten und mich immer unterstützten... Der Dämonenvater hat mir nur die schlechten Seiten der Menschen gezeigt... Er kann nicht das Band zeigen, dass zwischen mir und meinen Freunden gespannt ist... "Es ist zu spät!", brüllte Ereos, der die Veränderung der Donnerhexe ebenfalls bemerkt hatte. Zur Unterstreichung seiner Worte kreischte der Nachtdrache abermals und die Spitze einer riesigen schwarzen Schnauze tauchte aus dem brennenden Turm in der Mitte des Podestes hervor. Breite Risse zogen sich durch die Decke und Gesteinsbrocken krachten zu Boden. Zeliarina schüttelte entschieden den Kopf. "Noch nicht! NOCH NICHT!" Mit aller Kraft zog sie an Thundenstar, doch das Schwert schien mit dem Stein verwachsen zu sein. Panik und Bedauern erfassten sie und drohten sie fortzuschwemmen. Sie hatte das nicht gewollt... "Aufhören!", schrie sie, weiterhin an dem Götterschwert reißend und zerrend. "Aufhören! Ich will das nicht mehr! Ich habe meine Meinung geändert! Ich will nicht, dass meine Freunde sterben!" Die Tonlage des Schreis des Nachtdrachen veränderte sich, ganz so als wolle er lachen. Der gewaltige Geist des Gottes streifte ihr Bewusstsein... Törichtes Gör... "Vielleicht bin ich das! Doch ich bin die Wächterin Thundenstars! Ich gebiete über dieses Schwert und ich will, dass es sofort die Dunkle Dämmerung beendet!" Der Geist wurde aus ihrem Kopf geschleudert und trudelte im Raum umher. Das lachende Kreischen verwandelte sich in ein Geräusch der Wut, das den Raum mit flirrendem Hass füllte. "Aufhören! Egal wie, ich will die Dunkle Dämmerung aufhalten!" NEIN! "Aufhören! Aufhören! AUFHÖREN!" ------------------------------------------- Ein Schrei, der durch die Welten hallt... Ein Gott wird erscheinen... Er wird das Antlitz der Erde ändern, doch noch steht die Seite nicht fest, für die er handelt... Kapitel 31: Dämon & Mensch -------------------------- So Leute, die letzten Kapitel stehen in den Startlöchern! Ich danke allen für ihre zahlreichen Kommis auf der Zielgeraden, immer nur weiter so anfeuern^^ Hier das vorletzte Chapter von Dunkle Dämmerung: ------------------------------------------------- Kapitel XXVII – Dämon & Mensch In diesem Augenblick hing die Welt für einen Moment lang schwerelos zwischen den Fängen der Götter. Es brauchte nur einen kleinen Schubs, um sie in die eine oder die andere Richtung zu lenken und somit das Antlitz der Erde und ihr zukünftiges Schicksal entscheidend zu ändern. Der Nachtdrache hatte bereits seine Klauen nach ihr ausgestreckt, doch meine verzweifelten Schreie ließen sein Erscheinen noch einmal schwanken. Er brüllte vor Wut, heulte vor Zorn. Die Erde bebte unter seinem hungrigen Verlangen danach eine Gestalt aus Fleisch und Blut anzunehmen. Gleichzeitig war jedoch noch etwas anderes durch mich wach gerüttelt worden. Ich konnte eine zweite Präsenz innerhalb der Ritualhalle spüren, die eine ebenso starke Macht ausstrahlte wie der Nachtdrache… Am Anfang war sie nur ein Flüstern in meinem Kopf, ein liebliches Säuseln an meinem Ohr, doch mit jedem meiner flehenden Schreie wurde sie lauter und deutlicher, bis sie in der Halle hing und auch für Kevin, Dunkan, Dymeon und die Schattenklingen zu hören war… „Ich werde dir helfen, Wächterin…“ Die Stimme war so süß und weich, dass mir ohne Grund die Tränen in die Augen schossen. Ich erkannte die Stimme meiner Mutter in ihr wieder, genau wie die Stimme von Melissa und Storm. „Ich werde den Krieg beenden…“ Es waren die gleichen Worte aus meinem Traum in der Illusag und sie erfüllten mich mit Hoffnung. Einen Augenblick später jedoch krachte das Brüllen des schwarzen Drachen über die helle Stimme hinweg: „Nichts wirst du tun! Diese Seelen gehören mir!“ Der Boden schwankte und schien zu kippen. Ich krallte mich an Thundenstar fest, um nicht den Halt zu verlieren, während Kevin strauchelte und Dymeon über den glatten Boden rutschte. Eine Spur Blut zeichnete seinen Weg nach und ein großer Steinsbrocken, der aus der Decke brach, verfehlte ihn nur um eine Handbreite. Die schwarze Lichtsäule flackerte unruhig. Ich hielt mich weiter an Thundenstar fest. Zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben betete ich zu einer höheren Macht, auch wenn ich in dem Augenblick nicht wusste zu welcher, und flehte um die Rettung der Menschen und die Wiedergutmachung meines Fehlers. Die Energien der beiden Götter kämpften miteinander, man konnte die urgewaltigen Mächte ringen spüren. Violette und orange Blitze zuckten durch den Saal, schneidender Wind brachte die Luft zum Flirren, Rishak brach in sich zusammen, als die Götterschemen ihn streiften… Der Boden rückte zurück in seine ursprüngliche Position, doch die Welt schien sich weiter zu verzerren… Die übrigen Schattenklingen erkannten, dass ihr Plan zu scheitern drohte. Von brodelnder Wut gepackt stemmten sie sich mit aller Kraft gegen die drohende Niederlage und warfen sich auf mich und meine Freunde. Auch wenn ihre Götterschwerter in dem Ritualstein feststeckten, waren sie immer noch gefährliche Gegner. Assessina rannte als erstes auf Dunkan zu. Ich erinnere mich noch an Dunkans ruhige Worte inmitten dieses Gipfeltreffens der Mächte: „Du weilst also wieder unter den Lebenden?“ „Ja… Ein Lancelor hat mir sein Blut gespendet“, antwortete die Dämonin genüsslich. „In mir tobt jetzt ein wahrer STURM…“ Dunkans Miene wurde hart und gnadenlos, als er daran dachte, dass er seinen verschollenen Freund während all der Monate nie völlig aufgegeben hatte. Er vergeudete keine weiteren Worte, sondern eröffnete den Kampf. Cenior stürmte lautlos mit stahlhartem Blick und fliegendem Haar auf Kevin zu, während der Dämonenvater dem Treiben teilnahmslos aber mit einer verzerrten Fratze des Abscheus zusah, so wie er es schon sein ganzes Leben getan hatte... Ereos nutzte unterdessen den Augenblick, um auf den wehrlosen Dymeon loszugehen… Ich glaube das gab mir die letzten entscheidenden Kräfte, die nötig waren um die Welt aus dem Klammergriff des Nachtdrachen zu reißen… Thundenstar absorbierte plötzlich meine magischen Hexenkräfte, ließ gelbe Blitze aus meinen Händen in sich fahren. Ich spürte meine Kraft schwinden und meinen Blick verschwimmen, doch ich ließ meine Hände trotzdem an dem Götterschwert und überließ ihm alle meine Energiereserven. Der dunkle Gott schrie, als er erkannte wie meine Kraft seine Auferstehung zurückdrängte. „Bitte… Ich will, dass dieser Krieg endlich ein Ende findet… Bitte…“ Im Hintergrund wurde immer noch gekämpft. Dann schoss ein einzelner Blitzstrahl aus Thundenstar, der die gebündelte Stärke des Schwertes und mir in sich trug. Er kollidierte mit dem schwarzen Lichtturm und erzeugte eine Explosion aus Licht, Feuer, Blitzen und Farbe… Die Druckwelle riss Zeliarina davon. Sie drehte sich mehrmals um sich selbst, kniff die Augen zusammen und machte sich auf den Aufprall gefasst, der gleich darauf folgte und ihr sämtliche Luft aus den Lungen presste. Einen Moment lang blieb sie einfach auf dem Bauch liegen, die Wange auf den kühlen Boden gelegt. In ihren Ohren summte es. Als sie sich schließlich wieder aufrichtete und die Augen öffnete, fiel ihr als erstes die plötzliche Helligkeit in der Halle auf. Sie sah sich um, erkannte Rishak reglos in einer Ecke liegen, bemerkte Assessina und Ereos, die gegen eine Wand gedrückt worden waren und sich nur langsam und stöhnend wieder bewegten. Dymeon lag weiter abseits, halb in den nach draußen führenden Tunnel geschleudert, wurde jedoch bereits von Kevin und Dunkan versorgt. Alle sind wohl auf… Erleichtert sah sie sich weiter um. Die Erde hatte sich beruhigt, die Decke hielt. Nur die Feuersäule schraubte sich unverändert aus der Mitte des siebenzackigen Podests in die Höhe, geschaffen aus den sieben verschiedenfarbigen Lichtern der Götterschwerter. Doch anstatt schwarz zu brennen, leuchtete sie jetzt wieder in einem intensiven, reinen Weiß… Zeliarina wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und lächelte. „Danke…“, murmelte sie. „Danksagungen sind unnötig… Eigentlich habe ich dir zu danken, dass du der Dunklen Dämmerung nicht nachgegeben hast…“, erwiderte plötzlich die Stimme, die Melissa, Storm und Zeliarinas Mutter gleichzeitig war. Drei Sekunden später trat eine Frau aus der weißen Flammensäule, so sorglos als käme sie aus einem Wasserfall und nicht aus magischem Feuer. Ihr schlanker Körper war nur von einer eng anliegenden, makellos weißen Robe umhüllt, die den Flammen problemlos trotzte. Schwarzes Haar fiel ihr in langen Strähnen bis zur Taille herab und umgab ein blasses Gesicht mit perfekt geformten Zügen und goldenen Augen. Eine Göttin, schoss es Zeliarina durch den Kopf. Völlig ohne Aufforderung verneigte sich die Donnerhexe vor der Schönheit und erntete dafür ein glockenhelles Lachen. „Das ist nicht nötig, Wächterin. Du hast mich gerufen, indem du die Dunkle Dämmerung ablehntest… Du musst dich nicht vor mir verbeugen…“ „Du bist der Schneephönix… Ich habe dich in der Illusag gesehen. Du beendest den Krieg…“, murmelte Zeliarina schüchtern. Es blitzte belustigt in den goldenen Augen der Göttin, als sie nickte. „Ja, ich beende den Krieg. Ich bin froh, dass du mich gerufen hast…“ Sie schaute sich um und betrachtete dabei die verschiedenen verwundeten Menschen und Dämonen im Saal. „Der Krieg war schrecklich und dauerte ewig. Das ist jetzt vorbei…“ „Nichts… ist… vorbei…“, röchelte Ereos, als er sich schwankend erhob und auf den Schneephönix zusteuerte. „Du hättest nicht kommen dürfen! Alles hätte anders ablaufen sollen! Ich weigere mich zu akzeptieren, dass das jetzt das Ende für uns Dämonen ist!“ „Alles hat irgendwann ein Ende“, erwiderte die Göttin sanft. Ihre Augen begegneten ruhig den purpurnen von Ereos, als dieser versuchte in ihren Gedanken zu lesen. Die Schattenklinge brach den Blickkontakt sofort ab und fluchte leise vor sich hin, während Schweiß auf seiner Stirn ausbrach. „Ein wahrer Gott…“, keuchte er. „Sicher…“, lächelte der Schneephönix, die goldfarbenen Augen bereits von Ereos abgewandt und auf Dymeon gerichtet. Der Dämon mit den Bluttränen lag unregelmäßig atmend zwischen Kevin und Dunkan, die versuchten seine schweren Wunden zu versorgen. Kevin presste mehrere bereits völlig durchweichte Bandagen auf Dymeons Bauch, während Dunkan den Kopf des Dämons vorsichtig anhob und den zertrümmerten Schädel inspizierte. „Er war sehr tapfer… Er hat große Schmerzen und verzweifelte Anstrengungen auf sich genommen… Du musst ihm sehr viel bedeuten“, meinte der Schneephönix leise. Zeliarina nickte nur und sah stumm dabei zu, wie ihr Schutzritter notgedrungen verarztet wurde. Seine Wangen waren noch immer von den roten Spuren seiner Tränen gezeichnet… „Wenn die Helle Dämmerung anbricht, kannst du ihn dann verschonen?“, fragte Zeliarina vorsichtig. Der Schneephönix wandte sich ihr mit überraschtem Gesichtsausdruck zu und schüttelte den Kopf. „Verschonen? Nein…“ „Aber er gehört nicht zum Däezander. Er hat nicht mit den anderen Dämonen gekämpft. Und ich will nicht von ihm getrennt werden“, beharrte Zeliarina. Die dunklen schwungvollen Augenbrauen der Göttin zogen sich leicht zusammen. „Getrennt werden? Mach dir darüber keine Gedanken. Wenn die Helle Dämmerung einkehrt, könnt ihr die letzte Reise zusammen antreten.“ „Was?“ Zeliarina glaubte sich verhört zu haben. „Wenn die Welt erneuert wird, werden Dämonen und Menschen das Jenseits gemeinsam betreten.“ Der Magen der Donnerhexe zog sich schmerzhaft zusammen und wurde eiskalt, als sie die Worte der Göttin in sich aufnahm. „Dämonen… und Menschen…? Welt erneuern? Wovon redest du?“ Ein Schatten huschte kurz über die schönen Züge der Göttin. „Ich bin der Schneephönix, Gott des Lebens und der Wiedergeburt“, erklärte sie mit einer feierlichen und gleichzeitig bedrohlicheren Stimme. „Man beschwört mich mit den sieben Götterschwertern, damit ich die Helle Dämmerung bringe und die Erde neu gebäre. Und für eine Wiedergeburt ist es nötig zunächst alle existierenden Formen des Lebens verschwinden zu lassen, ganz gleich ob Menschen oder Dämonen…“ Die Göttin sprach in keiner Weise feindselig, doch Zeliarina wich erschrocken vor ihr zurück. Auch die Schattenklingen und Dunkan und Kevin waren inzwischen auf die Inkarnation der Göttin aufmerksam geworden und starrten sie verwirrt an. „So sollte es aber nicht sein!“, sagte Zeliarina aufgebracht. „Du solltest die Dämonen aufhalten!“ „Ich beende den Krieg“, antwortete die Göttin ruhig. Ihr Lächeln, das Zeliarina erst so freundlich und gütig erschienen war, konnte sie nun nicht mehr ertragen. „Und ich werde tun, was ich gesagt habe. Ich werde diese von Krieg gebeutelte Welt erneuern, damit sie sich von den Strapazen der letzten Jahrtausende erholen kann. Niemals habe ich behauptet die Spezies ‚Dämon’ zu vernichten…“ „Aber…“ Fieberhaft versuchte Zeliarina an einen Moment zu denken, an dem ihr versprochen wurde, dass die Dämonen mit der Hellen Dämmerung verschwinden würden, doch sie fand keinen. Immer war nur vom Ende des Krieges gesprochen worden. Selbst in der Illusag hatte sich nicht mehr enthüllt, sie hatte sich das Ganze nur selber zusammengereimt… „Aber ich dachte… In der Illusag habe ich… Wieso vernichtet der Nachtdrache dann nur die Menschen?“, platzte es aus Zeliarina raus. Im Hintergrund hörte sie jemanden lachen, doch der Schneephönix blieb ernst und verschränkte die Arme vor der Brust. „Auch diese Behauptung entspricht nicht den Tatsachen. Wäre der Nachtdrache einmal entfesselt gewesen, hätte er keinen Unterschied zwischen Dämonen und Menschen gemacht. Er ist der Gott des Todes. Er hätte die Erde untergehen lassen…“ „Wofür haben wir dann die ganze Zeit gekämpft?“, murmelte die Donnerhexe benommen. Sie trat noch ein paar Schritte rückwärts, stolperte dabei fast über die Kante des siebenzackigen Podestes und blickte sich gehetzt um. „Wofür haben dann die Dämonen gekämpft?“ Sie starrte Ereos mit weit aufgerissenen Augen an, als erhoffe sie antworten. „Ich dachte, ihr wolltet euren rechtmäßigen Platz in dieser Welt. Ich dachte ihr wolltet ein Utopia eurer Art! Wie hätte das mit der Dunklen Dämmerung möglich sein sollen?“ Doch zu ihrem Horror waren auch Ereos’ purpurfarbene Augen vor Fassungslosigkeit geweitet. Selbst der sonst so stark sichtbare Hass war aus seinem Gesicht gewichen, so dass er und Zeliarina einen kurzen Moment lang keine Feinde mehr waren, sondern nur zwei Wesen, verbunden durch ihre Verwirrung und Verständnislosigkeit. „Das wusste ich nicht! Man hat uns unseren verdienten Platz versprochen…“ Er stockte, ehe er die nächsten Worte vorsichtig aussprach: „Unser Vater hat es versprochen… Er erzählte von den Schwertern…“ Und in diesem Augenblick wurde das Lachen unüberhörbar lauter. Alle Köpfe wanderten zu dem Dämonenvater, der auf der Seite lag und von schweren Hustenanfällen hin und her geworfen wurde. Trotzdem lachte der Anführer des Däezanders ununterbrochen. „Du hast es gewusst?“, murmelten Ereos und Zeliarina gleichzeitig. Der Dämonenvater nickte und sog röchelnd Atemluft in seine alten Lungen. „Ich habe es… immer gewusst…“ „Kranker Irrer!“, brüllte Kevin wutentbrannt, während er die Bandagen auf Dymeons Bauch presste. Sein Blick galt ganz dem Dämon, der unter seinen blutigen Händen immer schwächer wurde, doch seine Gedanken kreisten um Victoria, um ihr Schicksal, ihr Leid, ihre Schmerzen, die sie wegen des Parasiten in ihrem Herzen ertragen musste. Unaufhaltsame Wut brach über seinen inneren Damm der Vernunft hinweg wie heiße Lava. Funken sprühten aus seinen weißen Haaren. „All diese Verluste und Entbehrungen… All die Toten… All die Dämonen, die du hintergangen hast und all die Menschen, die kämpfen mussten…“ Er knirschte mit den Zähnen, seine Wut war nicht mehr aufzuhalten. Die Luft um ihn herum flimmerte vor Hitze. „All das nur für einen krankhaften Irren, der die komplette Welt zerstören will!“ Kevin ließ die Binden für Dymeon los, sprang auf und rannte. Als er den liegenden Dämonenvater erreicht hatte, rammte er ihm die Fußspitze mit aller Kraft in den Bauch. Rippen brachen, doch der Dämonenvater lachte einfach weiter. In seinen schwarzen Augen, die durch Kevin hindurch sahen, lag ein fiebriger Glanz. Sein Geist muss sich völlig von der Wirklichkeit gelöst haben und dem Wahnsinn verfallen sein… „Bestie! Monster! Abschaum!“ Bei jedem Wort trat Kevin wieder auf den Dämonenvater ein, doch dieser hörte nicht auf lauthals zu lachen. Die Schattenklingen waren so gelähmt von dem ungeheuerlichen Verrat ihres Vaters, dass sie nicht eingriffen, sondern dem Elementaren einfach nur zusahen. Ihr ganzer Lebenssinn war vor ihnen zerbrochen, die Bedeutung ihrer Existenz, der Grund für ihren andauernden Kampf… „Bestie!“, brüllte Kevin weiter. Er wusste nicht mehr wohin mit seiner Wut, denn die Tritte gegen den lachenden Dämonenvater verschafften ihm keine Genugtuung. Schließlich ließ er sich auf die Knie fallen und packte den Kragen der weiten Kutte mit beiden Händen. Seine Finger verkrallten sich in dem Stoff, bis sie weiß anliefen, und er biss sich innen in die Wange um wieder zu klarem Verstand zu kommen. „Warum?“, fragte der Elementare mit versagender Stimme. „Warum tust du uns das an? Wieso beginnst du einen Krieg, der nur zum Ziel hat alles zu zerstören?“ Zeliarina trat zu ihm und starrte ebenfalls zu ihrem Feind herab. Beim Anblick der Donnerhexe verzog sich der Wahnsinn noch einmal aus den grünschwarzen Augen des Dämonenvaters, als er antwortete: „Ich… will… endlich sterben…“, keuchte er gezwungen, „Anders ging… es… nicht…“ „Und dafür sollen nun alle anderen mit dir in den Tod gehen? All das für einen alten, verwirrten Mann, der sich einfach nach dem Tod sehnt!“ Die letzten Worte schrie Kevin wieder. Er dachte wieder an Victoria, an ihr weiches Haar, ihr schönes Lächeln und an die Liebe, die er hatte aufgeben müssen. Der Dämonenvater hatte sich bereits wieder in das lachende Häufchen Elend verwandelt, das ziellos in die Gegend starrte und wirre Sätze vor sich hin brabbelte. „Genug davon“, sagte Cenior ruhig. Der Dämon mit den Seelenbändern war zu ihnen getreten und blickte mit grauen Augen auf seinen Erschaffer hinab. Zeliarina konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was in seinem Kopf vorging. Ihr Blick glitt weiter zu Dunkan, der Dymeon keine Sekunde lang unbewacht ließ, und sie glaubte auf dem Gesicht des Palas eine Spur von Frieden entdecken zu können... Auch er wünscht sich zu sterben… Ist ewiges Leben so qualvoll? Dämonen und Menschen standen Seite an Seite in der weiten Halle. Obwohl sie sich noch vor wenigen Minuten bis aufs Blut bekämpft hatten, dachte in diesem Augenblick keiner von ihnen daran sich weiter zu bekriegen. „Es ist eh alles egal…“, murrte Kevin niedergeschlagen. Er stand auf, klopfte sich den Staub von den Hosen und kehrte dem Dämonenvater den Rücken zu. „Alles ist jetzt scheißegal…“ „Vielleicht nicht!“, rief Zeliarina aus und wirbelte herum um den geduldig beobachtenden Schneephönix sehen zu können. „Bitte, wir haben uns das alles nicht so vorgestellt. Dieser Mann hier hat uns in die Irre geführt. Wir wollen die Helle Dämmerung nun nicht mehr…“ „Dafür ist es zu spät“, lächelte die Göttin freundlich aber endgültig. „Die Erde ist bereits zu stark von der Menschheit und den Dämonen überwuchert. Sie hat viele natürliche Ressourcen abgeben müssen und der Biorhythmus und das Klima haben sich dramatisch verändert. Ich muss der Erde Zeit geben sich neu zu regenerieren…“ „Aber es würde…“ „Diskussionen sind unnötig, Wächterin… Die Dinge sind ins Rollen geraten…“ Die Göttin hob ihre Arme anmutig in die Höhe, so dass die Ärmel ihrer Robe rutschten und geschmeidige, alabasterfarbene Haut entblößten. Dann brachen plötzlich lange weiße Flügel in einem Wirbel aus Federn aus ihren Schulterblättern, jeder zweimal so groß wie sie selbst. „Die Helle Dämmerung hat begonnen… Die Welt wird gereinigt…“ Sie drehte sich um ohne länger auf die Leute in der Halle zu achten und steuerte mit gemächlichen Schritten auf die Feuersäule zu. Cenior folgte ihr eine Weile mit seinem Blick, ehe er sich in Bewegung setzte und ihr den Weg versperrte. „Ein letzter glorreicher Kampf im Diesseits“, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu der Göttin. Diese lächelte nur und hielt ihren Arm mit der Handfläche nach außen vor sich ausgestreckt. „Der Wunsch sei dir gewährt, tapferer Krieger…“ Ein weißer sengender Blitz sprang aus ihrer Hand. Er teilte sich in zwei separate Energiestrahlen, von denen einer eine Kurve machte und auf den Dämonenvater zuhielt, während der zweite Cenior glatt durch die Brust schlug. Der Dämon mit den Seelenbändern sackte ohne einen Laut in sich zusammen, während das Lachen des Dämonenvaters gleichzeitig erstarb. Beide waren tot… „Das wollte ich nicht! So wollte ich das nicht!“, schrie Zeliarina entsetzt. Sie rannte dem Schneephönix hinterher, doch dieser hatte inzwischen die Feuersäule erreicht und trat unbeeindruckt durch sie hindurch. Nur die Silhouette der Göttin war noch in dem magischen Feuer zu erkennen, eine Silhouette, die rasch ihre Gestalt änderte, größer wurde und sich mit dem Körper an die gewaltigen Flügel anpasste. Der schrille Schrei eines Vogels drang an ihre Ohren, ehe der Schneephönix in seiner neuen und wahren Form dem Lauf der Lichtsäule folgte und nach oben flog. „Was für eine seltsame Wendung der Dinge“, stellte Assessina fest. Die Dämonin mit den Toxinklauen hatte sich seit dem Erscheinen der Göttin nicht von der Stelle bewegt und saß auch jetzt noch mit dem Rücken gegen eine Wand gelehnt. Strähnen ihres schwarzen Haares fielen ihr ungeordnet ins Gesicht und ihre Augen starrten trüb auf die Leiche Rishaks, die unweit ihrer Füße lag. Rishaks rechter Arm, der in Form von Urrurdoc in dem Podest steckte, fehlte einfach. Der Dämon war bereits gestorben, als die kämpfenden Geister der Götter seinen Weg gekreuzt hatten… „Alles… verloren…“ Dämonenauren erloschen über ihnen im Sekundentakt. Auch die vergehenden Energien der Menschen, die normalerweise den übernatürlichen Sinnen entgingen, waren nun durch ihre enorme Anzahl deutlich zu spüren. Es war, als würde ein Loch in das Diesseits geschlagen, eine völlige Leere ohne irgendwelches Leben. Zeliarina fröstelte, als sie ein unerträgliches Gefühl der Einsamkeit empfand. Über ihr ging die Welt unter. Es gab kein Beben mehr, kein Gebrüll, keine Blitze und Lichter, sondern einfach das stetig anhaltende Vergehen von Leben… Zeliarina dachte an McCain und Pendrian, die sich noch irgendwo in London befanden und nun vermutlich zwei der ersten Opfer der Welterneuerung sein würden. „Welterneuerung…“ Die Donnerhexe spuckte das Wort regelrecht aus. Sie konnte nicht glauben, dass der Untergang allen Lebens für die Wiederauferstehung des Planeten notwendig sein sollte und dass sie in einer kalten Halle unter der Erde nur warten konnte, bis auch sie sich dem endlosen Zug verstorbener Seelen anschließen würde… Sie stand auf. Mit entschlossenen Schritten trat sie vor Thundenstar, welches im Schein der weißen Flammensäule still glänzte. „Ich bin deine Wächterin!“, schrie sie das Schwert an. „Beende es!“ Sie packte die Götterklinge mit beiden Händen und wollte es aus dem Sockel reißen, doch noch ehe sie auch nur einen Muskel bewegen konnte, saugte die Waffe sowohl magische als auch körperliche Kraft einfach aus ihr heraus. Es zischte laut und ihre Hände schmerzten… Ein Bild drang sich ihr plötzlich auf, hervorgerufen durch eine schwache, körperlose, durch Thundenstar entstandene Verbindung mit dem Schneephönix… Ein Bild von einem makellos weißen Vogel, der am schwarzroten Himmel schwebte und aus dessen Schnabel viele Lichtblitze schossen… Sie regneten auf die Erde herunter wie helle Sternenschnuppen… Jeder von ihnen traf etwas, ob Mensch, Dämon oder Tier, und nahm ihm augenblicklich das Leben… Mit einem Aufschrei ließ Zeliarina vom Griff des Schwertes ab und taumelte ein Stück zurück. Als sie sich ihre Hände ansah, waren sie übersät mit Verbrennungen und hässlichen kleinen Blasen, die durch das Übertragen der Donnerkraft von Mensch auf Schwert entstanden waren… Doch was sich noch stärker eingebrannt hatte, war der Anblick des verwüsteten Londons… „Nutzlos…“, spottete Assessina ohne den Blick von Rishak zu wenden. Ereos sagte nichts. Dunkan hantierte weiter an Dymeons Verletzungen. „Verbring die letzten Minuten deines Lebens sinnvoller…“, fügte sie nach einer Pause noch hinzu, ohne dass es feindselig klang. Zu Zeliarinas eigenem Erstaunen nickte sie der Dämonin zustimmend zu und trat mit wässrigen Augen wieder zurück. Sie kniete sich neben Dunkan, der Dymeons Kopf im Nacken stützte, damit der hintere Teil nichts berührte. „Wie geht es ihm…?“ „Die Arameabahnen seiner Augen sind zerstört. Doch er schläft jetzt ruhig. Ich denke nicht, dass er Schmerzen hat“, antwortete ihr Mentor mit belegter Stimme. Zeliarina zwang sich zu einem Lächeln. „Das ist gut…“, murmelte sie. Ein Teil von ihr erschreckte sich noch über die Endgültigkeit und Müdigkeit ihrer Worte, doch dieser Teil saß tief verborgen und schaffte es nicht an ihr Bewusstsein. Ihre Finger strichen Dymeon liebevoll die verklebten Haare aus der Stirn und fuhren die scharfen Züge seiner Wangen nach. „Wir haben viel zusammen durchgemacht. Hoffentlich können wir auch weiterhin zusammen sein, wohin wir auch gehen werden…“ Sie blickte in das blasse, erschöpfte Gesicht ihres Schutzritters. Diesen friedlichen Ausdruck hat er nur, wenn er schläft… Ihr Lächeln wurde aufrichtiger, als sie ihrem Mentor den Körper abnahm und den Dämon sanft an sich drückte. „Es tut mir Leid, was ich über dich gesagt habe… Ich weiß doch, du hast nie gefallen am Töten gefunden… Du bist kein Mörder…“, flüsterte sie in Dymeons Ohr. Dann lauschte sie der Stille. Noch nie hatte sie eine solche vollkommene Stille erlebt… „Niemals…“, zischte Kevin plötzlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seit der Dämonenvater tot war, hatte er abseits von allen mit geschlossenen Augen in einer unbeleuchteten Ecke gesessen. Nun stand er wieder auf und marschierte auf das nächstgelegene Götterschwert Excalibur zu. „Niemals!“, grollte er wieder, diesmal lauter. „Ich will noch lange leben und ein Heilmittel für Victoria finden! Ich habe endlich meinen Platz in dieser Welt gefunden! Ich lasse sie nicht kampflos untergehen!“ Kevin griff nach dem legendären Schwert und spürte sofort höllischen Schmerz von seinen Händen aus in seinen Körper strömen. Es zischte, als würde Wasser auf einer heißen Kochplatte verdampfen. „Hör auf, Kevin… Es hat keinen Sinn…“ Doch der Elementare hielt den Griff der heiligen Waffe weiter fest umschlossen und zog mit aller Kraft, obwohl er dabei schrie wie am Spieß. Dünner Rauch quoll zwischen seinen Finger empor. Die Luft füllte sich mit dem süßlichen Gestank brennenden Fleischs… „Kevin! Großer Gott, hör auf!“ Trotz Zeliarinas Worten zog der Elementare wieder und wieder und schrie weiter und weiter. Sein Gesicht verzog sich im Kampf mit den unerbittlichen Qualen, die ihm das Anfassen des Schwerts bereiteten, doch selbst als sich der aufsteigende Rauch schwarz färbte und deutlich zu sehen war, ließ er nicht locker. „Kevin! Deine Hände!“ „Ich brenne sie runter bis auf die Knochen, wenn es sein muss!“, brüllte der Elementare aus voller Lunge. Schweiß brach auf seiner Stirn aus und unter seiner Lancelorkleidung spannten sich die kräftigen Muskeln seiner Arme, als er versuchte die Götterklinge aus dem Sockel zu wuchten. Sie bewegte sich nicht einen Millimeter, schien selbst ein Stück des Steins geworden zu sein. „Geh schon!“ Der Schmerz wurde unerträglich. Alles in ihm schrie danach loszulassen, sein Geist reduzierte sich auf das Niveau eines Tieres, das nur weg von der Pein wollte und seinen Instinkten folgte. Doch ein einziger Gedanke, der einzige Gedanke den er noch festhalten konnte, befahl ihm nicht loszulassen. Ein roter Nebel zog sich vor seine Augen und blendete die Umgebung völlig aus, ließ ihn ganz allein mit dem Schmerz. Zischend brannte sich Excaliburs Griff unaufhaltsam immer tiefer in seine Handflächen. „Ich bin ein Beherrscher des Feuers! Ich kann nicht verbrennen!“, schrie Kevin widerspenstig. Als habe das Schwert die Worte des Elementaren vernommen, begann es plötzlich die Flammenkräfte aus Kevin zu saugen, so wie Thundenstar es zuvor bei Zeliarina getan hatte. Feuer, Funken und Flammen brachen gegen Kevins Willen aus seinen Händen hervor, verbrannten sie dabei noch mehr und wurden schließlich von Excalibur verschluckt. „Lass endlich los!“ Kevin spürte seine Kraft mit jeder Sekunde schwinden, während die Brände an seinen Händen immer stärker wurden und in flackernden Wirbeln aus seinem Körper strömten. Ihm wurde schlecht, sein Kopf fing an zu dröhnen… „Kevin! Lass los! Es hat doch keinen Sinn!“ Eine Stimme rief ihn, doch es tat zu sehr weh um sie noch in seinem Kopf verarbeiten zu können. Wem gehörte sie? Er konnte die Verzweiflung darin hören, doch er wusste sie nicht mehr zuzuordnen. Dann glaubte er Finger zu fühlen, die sich an seiner Weste festkrallten und ihn wegzerren wollten. „Nicht…“, flehte die Stimme, doch Kevin hielt sich trotzdem an Excalibur fest, als würde er augenblicklich sterben, wenn er den Kontakt zu dem Schwert verlor… „Ich gebe noch nicht auf! Ich gebe niemals auf!“ Ereos beobachtete das Treiben der Menschen, die er mehrmals zu töten versucht hatte, schweigend. Er konnte nicht nachvollziehen, wieso der Feuerelementare so besessen an Excalibur festhielt, obwohl die Wächterin Thundenstars auf ihn einredete und ihn versuchte von dem Schwert wegzuziehen. Für einen Menschen mussten es grauenvolle Qualen sein, die er durchstand. Ohne dass Ereos es wollte, fing er an den jungen Elementaren und seine Mühen zu respektieren und anzuerkennen. Doch er verstand trotzdem nicht den inneren Antrieb des Jungen, seine Inkaufnahme brennender Schmerzen, die selbst ein Dämon nicht ohne Zucken erleben würde. Warum machte er weiter, obwohl die Hoffnung längst erloschen war? Neugierig geworden schritt Ereos langsam durch die Halle und stellte sich Kevin gegenüber. Der Feuerelementare selbst bemerkte kaum, wie der Dämon mit den Purpuraugen vor ihn trat, denn er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und stand am Rande der Bewusstlosigkeit. Doch selbst diesen Schutzmechanismus seines Körpers schaltete Kevin mit seinem ungezügelten Willen ab, während er zunehmend schwächer versuchte Excalibur aus dem Stein zu befreien… Seine Gedanken kreisten um Victoria, immer wieder um Victoria… „Ich will nicht…“ Seine Augen brannten sanft, doch die Tränen verdampften bereits knapp unter den Wangenknochen zu glitzernden Salzrückständen… „Warum strengst du dich so an?“, brach Ereos’ Stimme durch den Nebel von Schmerz und Verlangen in Kevins Kopf. Der Elementare zwang sich aufzusehen und begegnete dabei den berühmten wunderschön purpurfarbenen Augen, die der Schattenklinge seinen Namen verliehen. Sie spiegelten echte Neugier wieder, vermischt mit einem Unverständnis, das danach verlangte gestillt zu werden. „Ich will die Welt retten…“, antwortete Kevin leise, ohne dabei den Blickkontakt mit Ereos zu brechen. Der Dämon runzelte nachdenklich die Stirn und betrachtete kurz die Hände des Elementaren, die immer noch ein paar Feuerstöße ausstießen. „Woher weißt du, dass du die Welt rettest, wenn du dieses Schwert entfernst?“ „Das weiß ich nicht!“, zischte Kevin zurück, wieder voll damit beschäftigt sich nicht von der Bewusstlosigkeit überwältigen zu lassen. „Doch selbst wenn es nur eine kleine Chance ist, so will ich an sie glauben! Ich will alles versuchen um diese Welt zu verteidigen!“ „Und wieso willst du diese gottverdammte Welt retten? Wegen eines einzigen Wesens haben sich unsere Arten gegenseitig niedergemetzelt…“, fragte Ereos verbittert. Seine purpurfarbenen Augen verschwammen vor Kevins Blick zu zwei roten Kreisen in einem Wirrwarr aus Farben. Der Elementare spürte das Feuer aus seinem Körper weichen, die Magie, die seinen Körper ständig geheizt hatte, und anschließend noch etwas anderes, etwas noch Wertvolleres. Das Leben selbst wich aus seinem Körper… „Ich will diese Welt retten…“, keuchte Kevin, der jetzt nicht mehr nur gegen die Bewusstlosigkeit, sondern gegen den endgültigen Tod ankämpfte. „Ich will sie retten, weil jemand in ihr lebt, der mir alles bedeutet… Ich will die Welt für sie retten, damit sie weiterleben kann…“ Er lächelte bei dem Gedanken, obwohl jeder Herzschlag unerträglich schwerfällig in seiner Brust donnerte, obwohl seine Lungen aufgeben wollten, obwohl jeder Zentimeter seines Leibs schmerzte. „Am liebsten… würde ich bei ihr sein und mit ihr leben… Doch es ist auch okay, wenn ich es nicht schaffe… Solange ich ihr so eine Zukunft ermögliche…“ „Für jemand anderen…“, wiederholte Ereos langsam. Er nutzte seine Begabung um Kevin in die Seele zu schauen und sah darin deutlicher als alles andere das Gesicht eines Mädchens mit blasser Haut, eisblauen Augen und schwarzen Haaren. Victoria… Der Name füllte Kevins Seele. Ereos sah, wie Kevin als kleiner Junge ständig unter seinen Kräften gelitten hatte, wie er einmal beinahe seinen Freund umgebracht hatte, wie er dann zum Lancelor-Orden kam und Victoria kennen lernte und sich zum ersten Mal in seinem Leben wirklich Zuhause fühlte. Gedanken und Gefühle strömten in einem endlosen Fluss auf Ereos ein, doch der Dämon wusste mit seiner Fähigkeit umzugehen und blockte sie ab, um gezielt nach weiteren Augenblicken mit dem schwarzhaarigen Mädchen zu forsten. Eigentlich musste er kaum suchen, denn jeder Tag, den Kevin mit ihr verbracht hatte, stach hell leuchtend aus seinem Gedächtnis. Dann sah Ereos den Moment, in dem der Elementare von dem Parasiten in Victorias Herz erfuhr und zu ihrem Wohl auf sein Glück verzichtete… „Zufrieden?“ Ereos löste seine Verbindung zu Kevins Seele und sah wieder in seine braunen Augen, die seinen purpurfarbenen nicht ausgewichen waren. „Für sie gehst du so weit…“ „Ich… liebe sie…“, presste Kevin zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Kannst du das nicht verstehen? Auch wenn du ein Dämon bist, bin ich mir sicher, dass du es verstehen kannst! Hast du niemanden, der dir alles bedeutet, für den du diese Welt erhalten willst? Gibt es niemanden, den du nicht verlieren willst? Den du nicht sterben lassen willst?“ Unweigerlich schaute Ereos zu Assessina, die mit leerem Blick an der Wand saß. Eine lange Zeit lang war es wieder völlig still, bis auf die Schluchzer von Zeliarina, die nur noch halbherzig versuchte Kevin von Excalibur wegzureißen, und dem Zischen verbrennenden Fleischs. Und dann, in dem Augenblick in dem Kevins Finger vom Griff des Götterschwertes zu rutschen drohten, packte Ereos seine alte Waffe knapp oberhalb der Hände des Elementaren. „Doch… Ich verstehe dich vollkommen…“ Die Haut des Dämons mit den Purpuraugen fing sofort an zu schmoren. Trotzdem hielt er Excalibur genauso entschieden umklammert wie Kevin. Die Blicke von Dämon und Mensch trafen sich in stiller Übereinkunft, ehe sie gleichzeitig an dem Schwert zogen. Es ratschte, Funken sprühten zwischen dem Steinsockel und der silbernen Klinge hervor. Excalibur war frei. Augenblicklich fing die weiße Flammensäule, nun nicht mehr gespeist von der Kraft aller sieben Götterschwerter, an ganz allmählich zu schrumpfen. Erst glaubte Zeliarina es wäre nur ihre Einbildung, doch der brennende Turm wurde deutlich kleiner, bis er kaum noch den Durchmesser eines Oberschenkels besaß. Gleichzeitig ertönte draußen ein schriller Vogelschrei, der durch die Welten hallte. „Verschwinde, Schneephönix! Wir weigern uns zu gehen! Sowohl wir Menschen, als auch die Dämonen!“, brüllte Kevin mit seinen letzten Kraftreserven, ehe er umkippte und Excalibur endlich losließ. Das Sternenschwert fiel klirrend zu Boden, doch der Elementare wurde von Ereos aufgefangen und behutsam abgelegt. „Du hast einen starken Willen…“ „Ich… danke dir…“, erwiderte Kevin mit klappernden Zähnen. „Mir… mir war noch nie so kalt…“ Der letzte Strahl der Flammensäule erlosch, so dass der dunkle Himmel durch das Loch in der Decke zu sehen war. Auch der Schrei des Vogels hörte auf. Doch alle Menschen und Dämonen, die sich in diesem Augenblick lebend in London befanden, glaubten eine geisterhafte Präsenz zu spüren, die direkt in ihre Köpfe sprach und sagte: Ich beende den Krieg… Dann erstarb auch diese Stimme für immer… -------------------------------------------------- Nächstes (und zugleich letztes) Kapitel: Die einst gekannte Welt liegt in Trümmern... Drei Dämonen und drei Menschen, verändert von den Geschehnissen unter der Erde, werden versuchen auf diesen Ruinen eine neue Welt aufzubauen... Kapitel 32: Ein erstes Angebot des Friedens ------------------------------------------- So, es ist soweit: das letzte Kapitel von DD steht euch zur Verfügung. Ich danke allen, die mich bei dieser Geschichte mit ihren Kommis begleitet haben, entschuldige mich für die teils sehr langen Updatezeiten und hoffe, dass ich euch ein wenig für meine Story begeistern konnte. Genießt es^^ : ------------------------------------------------ Letztes Kapitel: Ein erstes Angebot des Friedens Mehrere Minuten lang wollte keiner die friedliche Stille in der Halle des Ritualsteins brechen. Man betrachtete stumm die sechs in ihren Sockeln steckenden Götterschwerter und das dazugehörige Podest, aus dessen Mitte vor kurzem noch magisches Feuer und eine Göttin entsprungen waren. Ereos setzte sich ohne ein Wort neben Assessina an die Wand und betrachtete den jungen Feuerelementaren Kevin, der alle Viere von sich gestreckt auf dem Boden lag und die Augen friedlich geschlossen hatte. Unweit von ihm hockte Zeliarina, überwältigt von der Freude über das Ende all der Albträume dieses Tages. Und noch ein Stück entfernt, neben dem Palas Dunkan, der seine beiden Schützlinge stolz beobachtete, rührte sich Dymeon. Zuerst fiel es niemandem außer Ereos auf, dass der Dämon mit den Bluttränen sein Bewusstsein wiedererlangt hatte, und Ereos fühlte sich nicht dazu aufgefordert die Menschen darauf hinzuweisen. Er guckte nur zu, wie der geblendete Dämon vorsichtig seine Umgebung abtastete, ehe er sich unsicher aufrichtete und seinen Kopf ein paar Mal in alle Richtungen drehte, als suche er etwas. Ereos entnahm den Bewegungen, dass er langsam wieder etwas erkennen konnte, sicher keine klaren Umrisse und Farben, aber zumindest erste Lichtstrahlen… „Zel?“, rief er unsicher in den Raum. Die Donnerhexe wirbelte beim Klang der Stimme schlagartig herum und brach in Tränen aus, als sie ihren mitgenommen aussehenden Schutzritter erblickte. Dann rannte sie auf ihn zu und erreichte ihn noch vor Dunkan, obwohl dieser sich deutlich näher an dem Dämon befand. Ereos beobachtete wie sein Erzfeind seinen Arm suchend nach ihr ausstreckte, als er ihre nahenden Fußtritte hörte, und fühlte mit Verwunderung, dass er den Dämon, der ihm den Arm geraubt hatte, der als Verräter geächtet war, nicht mehr hasste. Vielmehr verstand Ereos Dymeon plötzlich. Die gleiche Verbindung, die schon zwischen ihm und Kevin entstanden war, als sie gemeinsam Excalibur aus dem Stein gerissen hatten, knüpfte sich nun auch zwischen ihn und Blutträne und ließ ihn begreifen, dass auch Dymeon nicht anders gehandelt hatte als er selbst. Dymeon hatte ebenfalls jemanden, der ihm alles bedeutete und für den er alle Tabus über Bord warf, genau wie Kevin mit Victoria und er selbst mit Assessina… „Ich verstehe nicht was passiert ist…“, gestand Assessina, die Ereos’ Blick gefolgt war und ebenfalls Zeliarina und Dymeon beobachtete. „Ich sehe sie nicht mehr als Feinde… Es sind noch die gleichen Leute und es stehen noch die gleichen Differenzen zwischen uns, doch irgendwie…“ „Ich verstehe dich…“, murmelte Ereos ohne sie anzusehen. „Ich will auch nicht mehr gegen sie kämpfen… Ich will nicht mehr aufgrund eines alten Hasses, den unser Vater gesät hat, handeln… Ich will von nun an meinen eigenen Weg gehen…“ Bei diesen Worten legte er seine Hand sanft auf die Assessinas. Die Dämonin wandte ihm bei der Berührung verwundert den Kopf zu, zog die Hand jedoch nicht weg… „Vielleicht…“, murmelte sie schließlich. Sie schaute wieder zu Zeliarina, die Dymeon inzwischen erreicht hatte und etwa einen Meter vor ihm stehen blieb. „Dymeon…“, flüsterte die Donnerhexe erstickt. Sie konnte den Anblick ihres Schutzritters kaum ertragen, seine Wunden und sein trotzdem so freundliches Gesicht mit den ziellos umherschweifenden Augen. „Hallo Zel…“, erwiderte er ruhig. Seine Freundlichkeit verstörte sie zutiefst. Sie hatte ihn niedergestochen, erblinden lassen und als Mörder beschimpft und trotzdem grüßte er sich noch, als wäre das alles gar nicht passiert. Schreckliche Gewissenbisse plagten sie, als sie daran dachte wie erleichtert sie in dem Augenblick gewesen war, in dem sie ihm Thundenstar durch den Bauch gestoßen hatte… „Dymeon, ich…“ Doch der Dämon schüttelte bereits den Kopf und lächelte leicht. „Du warst nicht du selbst…“ Zeliarina versuchte in Worte zu fassen, was es ihr bedeutete, dass Dymeon ihr verzieh, doch Worte schienen zu klein und unbedeutend. Sie dachte daran, wie der Dämon mit den Bluttränen immer an ihrer Seite gestanden hatte, sie beschützt und gerettet und seelisch unterstützt hatte, egal wie ausweglos die Situation auch gewesen sein mochte. Nie hatte er geklagt, auch nicht wenn er wegen ihr schreckliche Verletzungen ertragen musste, und immer hatte er ihre Probleme über die seinen gestellt. „Ich…“, fing sie an ohne zu wissen was sie sagen wollte. Stattdessen warf sie die Arme um ihn und umarmte ihn stürmisch, ohne dabei jedoch eine der Wunden an Bauch oder Kopf zu berühren. „Es tut mir so Leid…“ Tränen tropften von ihrem Kinn auf den Stoff seines zerrissenen Shirts, während sie sich an ihn drückte und das Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub. Sie schluchzte so heftig, dass es ihren Körper schüttelte. „Es tut mir Leid…“ Still legte Dymeon nun auch seinerseits die Arme um sie und fuhr ihr mit einer Hand durch das blonde Haar. „Es ist in Ordnung“, versicherte der Dämon sanft. Er wartete geduldig bis ihr Schluchzen verebbte und die Tränen nachließen, bevor er sie ein Stück von sich wegdrückte und unbestimmt in ihr Gesicht schaute. „Hauptsache ist doch, dass wir alle am Leben sind. Meine Wunden werden wieder heilen. Ich kann bereits wieder ein wenig Licht erkennen…“ Wie zur Bestätigung seiner Worte schienen seine dunklen Augen in diesem Moment etwas klarer zu sehen, denn er fixierte ihren grünen Blick mit einem Lächeln und wischte eine zurückgebliebene Träne von ihrer Wange… „Ich bin froh, dass du bei mir bist“, hauchte Zeliarina leise, ebenfalls lächelnd. „Und ich bin froh bei dir zu sein“, erwiderte Dymeon flüsternd. Seine Hand, die durch ihr Haar fuhr, hielt wie von selbst in ihrem Nacken inne und sendete wohlige Schauer durch ihren Rücken. „Du hast mich aus einem jahrelangen Schlaf voller dunkler Träume befreit… Du hast an mich geglaubt, als niemand zu mir stehen wollte, und mich somit aus einer Einsamkeit befreit, die schlimmer war als jede Verletzung…“ Zeliarina fühlte, dass seine Hand kaum merklich bebte und sich die Muskeln in seinem Gesicht verhärteten, als er an die Vergangenheit dachte. Ein einzelner dunkelroter Blutstropfen wich aus seinem geblendeten Auge, bevor er mit seinen Gedanken wieder in die Gegenwart zurückkehrte und die Schatten von ihm wichen. „Dymeon…“ „Verzeih“, murmelte der Dämon, dem es offensichtlich unangenehm war seine Gefühle so offen gezeigt zu haben. Er wollte von Zeliarina ablassen, doch die Donnerhexe hielt ihn weiter an sich gedrückt und wischte ihm, genau wie er es bei ihr getan hatte, die Blutträne zärtlich mit dem Daumen davon. Schließlich stellte sie sich vorsichtig auf die Zehenspitzen, lehnte sich langsam nach vorne, um den Abstand zwischen ihren Gesichtern zu verringern, und küsste ihn unsicher. Dymeon blieb für ein paar schnelle Herzschläge wie angewurzelt stehen, überwand seine Verwunderung jedoch schnell und legte seine Arme ein weiteres Mal um sie. Ihr Körper fühlte sich von den vielen körperlichen Strapazen sehnig und kräftig an, war jedoch gleichzeitig so zierlich, dass der Dämon befürchtete ihn zerbrechen zu können. Er hatte oft daran gedacht so wie jetzt mit Zeliarina zusammen zu sein, hatte es jedoch in Anbetracht ihrer verschiedenen Herkunft und seinem Status als Schutzritter nie wirklich für möglich gehalten… Die Donnerhexe löste sich wieder von ihm. Ihre Wangen waren gerötet und ihre grünen Augen strahlten. „Komm…“, meinte sie lächelnd, als sie die Hand des Dämons nahm. „Lass uns von diesem finsteren Ort verschwinden…“ Dymeon nickte. Er sah sich nach Dunkan um und bemerkte, dass der Palas nicht mehr in ihrer Nähe stand. Im ersten Augenblick glaubte er, dass Dunkan aus Höflichkeit Platz gemacht hatte, doch dann sah er ihn auf dem Ritualstein besorgt neben Kevin knien. Auch Assessina und Ereos hatten ihre Augen mit einem unergründlichen Ausdruck auf den Feuerelementaren gerichtet. „Kevin?“, rief Zeliarina besorgt, als sie die Situation ebenfalls erfasste. Dunkan blickte kurz in ihre Richtung, schüttelte dann langsam den Kopf und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Kevin zu. Zeliarinas Inneres, das gerade eben noch Feuerwerke des Glücks in sich getragen hatte, verwandelte sich augenblicklich in Eis. Nein… Bitte nicht… Die Donnerhexe zögerte damit zu Kevin zu laufen, denn eine böse Ahnung beschlich sie… Sag nicht, dass er… Sag nicht, dass er… Nur mit Dymeons Hilfe, der ihr aufmunternd ins Ohr flüsterte und ihre Hand drückte, konnte sie sich dazu überwinden ihren Weg fortzusetzen und ihren treuen Freund anzugucken. Bei seinem Anblick seufzte Zeliarina in einer Mischung aus Schrecken und Erleichterung auf. Kevin war zumindest nicht tot, denn er blinzelte regelmäßig und seine Brust hob und senkte sich in kräftigen Atemzügen. Doch seine sonst so gebräunte Haut war weißblau wie das Fleisch eines Toten und seine schneefarbenen Haare hatten ein dunkles Grau angenommen, als wären sie mit einer dünnen Schicht dreckigen Reifs überzogen. Selbst die von Schnitten durchzogene Tätowierung des polynesischen Drachen wirkte verblasst, als betrachtete man sie durch ein Milchglas. Nur die Verbrennungen an seinen Handflächen zeichneten sich leuchtend rot gegen die helle Haut ab. Der Entzug seiner Feuerkräfte hatte ihn gezeichnet. „H-hi, Zeliarina…“, brachte Kevin hervor. Obwohl Dunkan ihn bereits in seine Weste eingewickelt hatte, zitterte der Elementare am ganzen Körper und konnte nur schwer durch seine klappernden Zähne sprechen. „Ganz schön kalt hier drin…“ Er lachte gebrochen, zuckte dann zusammen als Dunkan seine Verletzungen behandelte. Zeliarina starrte stumm auf den Elementaren. „Wie geht’s dir?“, flüsterte sie verhalten. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, das auf seinem leichenblassen Gesicht allerdings ein wenig unheimlich wirkte. „M-mir ging’s schon besser… Kälte und… und Schmerzen, w-weißt du?“ Er zeigte ihr die flammenden Striemen an seinen Händen und das tief darin eingebrannte Muster von Excaliburs Griff. Der Anblick löste in Zeliarina eine Welle von Mitleid aus, die mindestens genauso heftig auf sie eindrang wie bei Dymeon. Beide hatten Qualen auf sich genommen, die niemand von einem sterblichen Wesen verlangen konnte, doch Kevin hatte dabei nicht die Resistenz und Regeneration eines Dämonenkörpers besessen. Trotzdem hatte er nicht einen Augenblick gezögert alles zu riskieren. Der jetzige Zustand seines Körpers war der beste Beweis dafür… „Kevin, ich…“, fing sie an, während sie aus ihren Taschen eine kleine Palette starker Schmerztabletten hervorholte und sich vor ihm niederkniete. Der Elementare schluckte die Medikamente so gierig, dass er nicht einmal auf etwas Wasser zum Herunterspülen wartete. „Ich kann dir nicht sagen wie unglaublich stolz ich auf das bin, was du getan hast… Und ich danke dir aus ganzem Herzen… Du hast mit deiner Hoffnung die Menschheit gerettet…“ Die Tabletten wirkten fast augenblicklich und erleichterten Kevins Pein ein wenig. Doch das Zittern hielt weiter an, so dass Zeliarina ihm auch ihre Weste um den Körper wickelte. Nach kurzer Zeit kam sogar Ereos rüber und stellte seinen schweren Ledermantel wortlos zur Verfügung, ehe er zu Assessina zurückging. Zeliarina blickte ihm traurig hinterher, als er ihnen den Rücken zuwandte. Sie mochten sich nicht mehr bekämpfen, doch es lag immer noch Vieles zwischen ihnen, das nicht so leicht aus der Welt geschafft werden konnte… „Komm, Kevin…“, meinte Dunkan irgendwann eindringlich, „Steh auf. Du musst dich bewegen und von diesem kalten Boden wegkommen, das wird dich wärmen…“ Er reichte ihm die Hand und zuckte ungewollt zusammen, als er den eisigen Ellenbogen des Elementaren packte um ihm beim Aufstehen zu helfen. Kevin bemerkte die Reaktion seines Mentors mit einem bitteren Lächeln. „Ich denke nicht, dass mich je wieder etwas wärmen kann…“ Seine Worte hingen noch lange wie ein dunkler Schatten über den Anwesenden, als sie die Ritualhalle hinter sich ließen und langsam durch den dunklen Tunnel an die Oberfläche zurückkehrten. Ereos und Assessina ließen etwas Abstand zwischen sich und den Menschen vor ihnen und sprachen immer noch kein Wort, jeder der Beiden zu sehr in düstere Gedanken über den Dämonenvater und ihre allein wegen ihm bestehende Existenz vertieft. Schließlich zeichnete sich schwach dämmriges Licht am Ende des Tunnels ab. Zeliarina war die Erste, die zurück auf die Straße kletterte und genüsslich die frische Luft einatmete, weil ihr erst jetzt bewusst wurde wie stickig es eigentlich unter der Erde gewesen war. Über ihr hing eine schwere Wand aus schwarzen Wolken vor dem Himmel, die nur wenige Strahlen silbernen Mondlichts durchließ. Dunkelheit und Stille lag über der Stadt. Die Gebäude waren größtenteils von dem Kampf zwischen Dämonen und Menschen völlig verwüstet. Trümmer lagen neben mehreren regungslosen Körpern auf der Strasse herum. Zeliarina bekam augenblicklich eine Gänsehaut, die nicht nur von der kühlen Luft herrührte. „Ob jemand… überlebt hat?“, fragte sie so ängstlich, als wolle sie gar keine Antwort. Ereos trat hinter ihr aus dem Tunnel, sah sich einen Augenblick ausdruckslos um und richtete seine roten Augen schließlich in den Himmel. „Es wird bald regnen“, stellte der Dämon ruhig fest. Ein Windstoß wehte durch die Straße, wirbelte die herumliegenden Blätter der zerstörten Alleebäume auf und ließ Ereos’ schwarze Haare tanzen. Schwaches Mondlicht reflektierte sich auf der Drachenkette, sowie auf seinem silbernen Arm. Assessina stellte sich unaufgefordert neben ihn. Auch ihre Haare wurden vom Wind bewegt und streiften dabei seine Schulter, doch keiner der beiden sagte etwas zu dem anderen. Dunkan, der Kevin beim Gehen half, und Dymeon liefen leise an ihnen vorbei, gesellten sich zu Zeliarina und waren ebenfalls einen Moment lang sprachlos von der grausamen Schönheit der zerstörten, gleichzeitig jedoch seltsam friedlichen Umgebung. Die Lancelor waren so fasziniert, dass sie im ersten Augenblick nicht bemerkten, wie sich die Atmosphäre plötzlich veränderte. Der Wind wurde schwächer und ließ ihre Haare wieder gerade herabfallen, die Luft wurde noch etwas kühler und die deutlich spürbare Aura von Dämonen drang aus einer Seitenstraße. Selbst als drei Dämonen, zwei Tryclonns und ein Oggron, aus der Gasse gerannt kamen und sich ohne Zögern auf Zeliarina stürzten, waren sie zu erstaunt um zu handeln. Nach den Erlebnissen unter London hatten sie ganz vergessen, dass es noch Dämonen gab, die sie immer noch töten wollten… Schüsse zerschnitten die Stille, gefolgt von dämonischen Schreien und menschlichen Rufen. Aus einer anderen Straße schnellten fünf Lancelor hervor, voll bewaffnet und grimmig entschlossen. Zeliarina erkannte augenblicklich Pendrian, McCain und Fossil, dazu einen unbekannten kräftig aussehenden Mann in der Kleidung der Lancelor und Victoria, die Kevins Aufmerksamkeit ganz für sich beanspruchte. Pendrian verschwendete keine Zeit mit Begrüßungen, sondern riss eine Pistole hoch und drückte ab. Die Runenkugel streifte einen der zwei Tryclonns am Arm, riss ihm einen blutigen Striemen in die Haut und ließ ihn wütend herumwirbeln. Die drei Augen des Dämons leuchteten in einem unheimlichen Licht, als er das Maul mit den rasiermesserscharfen Zähnen aufriss und Speichel versprühte. „Ssstirb!“ Der Tryclonn sprang auf Pendrian zu, doch noch ehe er ihn erreichte oder Pendrian einen zweiten Schuss abgeben konnte, ertönte Ereos’ Stimme in ruhigem Befehlston und beendete den beginnenden Kampf mit einem einzigen Wort: „Halt!“ Der Tryclonn stoppte den Angriff sofort, als würden unsichtbare Ketten seinen Körper zurückhalten. Sowohl der Dämon als auch Pendrian starrten den Dämon mit den Purpuraugen misstrauisch an, obwohl dieser sie nicht anschaute. „Wasss?“, zischte der Tryclonn fassungslos. Pendrian hielt die Waffe auf ihn gerichtet, drückte aber noch nicht ab. „Halt“, wiederholte Ereos gelassen. „Die Kämpfe sind beendet… Es hat keinen Sinn weiterzumachen…“ Die Augen des Tryclonns huschten über die vielen Menschen in seiner Umgebung und verengten sich unruhig zu schmalen Schlitzen. „Wiessso?“, knurrte der Dämon zähnefletschend. Ereos drehte plötzlich seinen Kopf herum und starrte den Niederen eindringlich an. Man konnte sehen, wie der Tryclonn unter dem kalten Blick der Purpuraugen zusammenschrumpfte. „Ich befehle es“, fauchte die ehemalige Schattenklinge ungeduldig. „Unser Vater ist tot, genau wie Cenior und Rishak! Assessina und ich sind von nun an die neuen Anführer des Däezander, denen ihr zu gehorchen habt! Und ich sage, der Kampf gegen die Menschen wird eingestellt!“ Er bezog jetzt auch den Oggron und den zweiten Tryclonn in seinen Blick ein. „Verbreitet sofort die Kunde! Kein Angriff auf Menschen, gleich ob Lancelor oder nicht! Los!“ Einen Moment lang sah es so aus, als würden die Niederen nicht gehorchen, doch schließlich beugten sie sich dem Willen des Hochdämons, wandten sich ab und verschwanden in den Schatten zwischen den Häusern. Ihre Auren verblassten schnell. „Was hat das zu bedeuten?“, schrie Pendrian ungehalten, kaum dass die drei Dämonen aus seiner Sicht verschwunden waren. Mit zitternden Händen richtete er seine Waffe jetzt auf Ereos. „Antworte mir, was geht hier vor? Was heckst du aus?“ „Peter“, fing Dunkan an, während Zeliarina den Blickkontakt mit dem Lancelor zweiten Ranges suchte und ein Lächeln aufsetzte. Ihre Finger waren noch mit denen Dymeons verhakt. „Pendrian“, übernahm Zeliarina, weil sie sich verantwortlich dafür hielt zu erklären. „Es sind viele Dinge geschehen… Doch bitte glaube uns wenn wir sagen, dass es keinen Grund mehr gibt zu kämpfen. Der Dämonenvater hat uns alle getäuscht, nicht nur uns Menschen, sondern auch seine Dämonenkinder… Und um seine Taten zu vereiteln, haben wir zusammengearbeitet. Der Schneephönix, der vor kurzem noch an diesem Himmel schwebte, war dabei alles Leben auf der Welt auszulöschen. Kevin hielt ihn auf, doch nur gemeinsam mit Ereos…“ „Der Schneephönix“, flüsterte Pendrian und ein Schatten huschte über sein Gesicht. Falten bildeten sich auf seiner blutbespritzten Stirn, als er die Augenbrauen nachdenklich zusammenzog. „Ich weiß, wovon ihr redet…“ Doch er machte keine Anstalten seine Waffen sinken zu lassen. Seine Hand schien eher noch heftiger zu zittern als zuvor. „Doch gemeinsam… Dämonen und Menschen würden NIEMALS gemeinsam arbeiten!“ „Es ist die Wahrheit“, keuchte Kevin müde. Er hing schlaff an Dunkans Schulter, konnte sich kaum aufrecht halten. Pendrian zuckte einmal zusammen, als er das weiße Fleisch des Elementaren erkannte, dann noch einmal, als dieser ihm die schrecklichen Verbrennungen an den Händen zeigte. Ereos streckte zum gleichen Zeitpunkt seine Arme aus, um die verschmorten Handflächen zu zeigen. „Wir werden nicht mehr kämpfen…“ „Wieso?“, schoss Pendrian verzweifelt zurück. Ereos seufzte. „Viele Kämpfe sind zwischen uns ausgetragen worden… Wir haben viele eurer Kameraden getötet und gequält. Allerdings“, fügte er unbeeindruckt hinzu, als sich Pendrians Züge verhärteten, „habt auch ihr viele der unseren auf dem Gewissen. Ihr habt sogar welche gefangen, damit ihr sie für eure Prüfung nutzen konntet…“ Zeliarina erinnerte sich traurig zurück an die Opfer ihrer Prüfung zum Lancelor. „Der Hass sitzt tief auf beiden Seiten… Doch nun haben wir die Möglichkeit neu anzufangen… Vermutlich wird es sehr lange dauern unsere Differenzen zu begleichen, vielleicht werden wir uns auch nie ganz verstehen, doch wir können zumindest versuchen zusammenzuleben. Wir leben gemeinsam auf dieser Erde und werden das auch weiterhin tun… Wozu also Blut vergießen?“ „Tod führt zu Hass… Und Hass führt zu Tod…“, murmelte Dymeon kaum hörbar. „Wir müssen diesen schrecklichen Kreislauf endlich durchbrechen…“ „Wir sollen die Waffen niederlegen? Einfach so?“, knurrte Pendrian kopfschüttelnd. Ereos funkelte den Lancelor an ohne sich zu bewegen. „Ja…“, erwiderte er ernst. Dann bemerkte er die Lancelor, die völlig verwirrt hinter dem älteren Mann standen, und erkannte unter ihnen ein Mädchen mit schwarzen Haaren, blasser Haut und eisblauen Augen… „Victoria Sommerset…“ Die Lancelorin zeigte nicht, dass sie schockiert war ihren Namen aus dem Mund eines Dämons zu hören, doch sie wich einen Schritt zurück, während Fossil und McCain schützend an ihre Seiten traten. Ereos blickte sich zu Kevin um. An der unendlichen Wärme, die die Augen des Elementaren völlig ausfüllte, erkannte der Dämon mit den Purpuraugen, dass das Mädchen vor ihm stand, das auf indirekte Weise die Welt erhalten hatte. „Victoria Sommerset… Die Telepathin mit dem Herzgefängnis…“, wisperte Ereos. Er trat einen Schritt zurück um sie nicht noch weiter zu erschrecken und setzte eine gleichgültige Miene auf, doch seine Gedanken rasten. Als er sich noch einmal nach Kevin umsah, löste dieser sich gerade von Dunkan. Mit unsicheren Schritten strauchelte er auf Victoria zu. Die Telepathin sah aus, als wolle sie ein bestürztes Gesicht machen, habe jedoch vergessen wie das geht. Ohne weiter auf ihre Umgebung zu achten, kam sie Kevin entgegen bis er kraftlos in ihre Arme fiel und sie seinen kalten Körper hielt. „Wir sind wohl nicht mehr… wie Feuer und Eis…“, murmelte Kevin. Victoria nickte zustimmend. „Nicht wie Feuer und Eis… Eher wie Eis und Eis…“ Kevin lachte kurz mit klappernden Zähnen. Dann drückte er Victoria an sich. Nachdem er wieder von ihr abgelassen hatte, sah er ihr traurig lächelnd in das blasse Gesicht und suchte vergeblich nach einem Anflug von Gefühl in ihren hellblauen Augen. „Tut mir Leid“, meinte sie monoton. „Es ist okay…“, versicherte Kevin. Äußerlich setzte der Elementare ein Grinsen auf, doch Ereos, der ihm erneut in die Seele schaute, sah ihn innerlich weinen. „Die Telepathin mit dem Herzgefängnis…“, murmelte er langsam. Er sah lange auf die glatte silberne Fläche seines künstlichen Armes, während in seinem Kopf nach und nach eine Idee heranreifte… Entschlossen trat er wieder vor. Er rechtfertigte sich nicht für das was er tat, noch erklärte er irgendjemandem was er vorhatte, doch als er anfing in einer seltsamen Sprache zu sprechen wusste jeder, dass er irgendetwas plante. „Auruman shi traz diee Animas shey traz diee Paratus goch traz diee…” Sein Singsang hielt an, als er mit seinem Finger in einer fließenden Bewegung über seinen Arm fuhr. Augenblicklich schien der Streifen unter seiner Berührung zu zerfließen wie schmelzender Käse. „Auruman shi traz diee…“ Etwas von der wabernden Flüssigkeit löste sich aus dem Arm, ein einzelner glänzender Tropfen Silber, der sich von dem metallischen Körperteil trennte und als perfekte Kugel in der Luft schwebte. Schweiß stand Ereos plötzlich auf der Stirn und er schnaufte für einen Dämon ungewöhnlich heftig. Der Silbertropfen hing weiter vor ihm, während sich der Rest seines Armes wieder verhärtete. „Was zum…“, fing Zeliarina an, bevor sie sofort von Assessina mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen gebracht wurde. Ereos beschwor weiter die Magie mit tiefer Stimme herbei. Die Silberkugel flog etwas von ihm weg, so dass er sie mit seinem Zeigefinger leicht antippen konnte. „Astah hisha rastasch Plötzlich sprang der Dämon mit den Purpuraugen nach vorne und presste den Silbertropfen dabei durch den Kontakt mit seinem Finger mit sich. Victoria hatte keine Zeit auszuweichen. Schmatzend bohrte sich Ereos’ Finger tief in die Brust der Telepathin, bevor auch nur jemand bemerkte, dass sich der Hochdämon von seinem Platz gerührt hatte. Blut spritzte ihm durch den Druck ins Gesicht. „Victoria!“ Kevin versuchte sie aufzufangen als sie stürzte, war aber zu schwach sie zu halten und fiel mit ihr zu Boden. Pendrian hatte seine Waffe augenblicklich wieder gezogen und auf Ereos Kopf gerichtet. McCain und Fossil taten es ihm gleich. „Ist das der Frieden, den du uns versprichst?“, fauchte Pendrian wutentbrannt. Er entsicherte seine Waffe und zuckte bereits ungeduldig mit seinem Zeigefinger, der am Abzug lag. Doch gerade als er abdrücken wollte, sprach Kevin wieder: „Nicht, Pendrian! Großer Gott, schieße auf keinen Fall…“ Seine Stimme klang heiser. „Er hat… Er hat…“ Er sah zu Ereos auf und spürte bei seinem Anblick Tränen der Dankbarkeit in sich aufsteigen. „Danke…“, flüsterte er. „Ich schuldete dir etwas… Werdet nun glücklich…“ Verwirrt sahen McCain, Fossil, der fremde Lancelor, Pendrian, Zeliarina und Dunkan zwischen dem Elementaren und dem Dämon hin und her ohne zu begreifen was sich vor ihren Augen abspielte. Dymeon ahnte trotz seiner Blindheit etwas und Assessina stand nur mit einem wissenden Lächeln am Rand. Schließlich war Fossil durch ihre Arztnatur als erstes bei der Verletzten und untersuchte Victoria mit geschickten Handgriffen. „Er hat keine Organe getroffen“, stellte sie fest, ehe sie Victoria anhob und einen kurzen überraschten Schrei von sich ließ. „Mein… Gott…“, sagte sie erstaunt. Das Loch, dass Ereos durch Victorias Haut geschlagen hatte, reichte bis zu ihrem Rücken, blutete jedoch erstaunlich wenig. Und unter der benommenen Telepathin, die jetzt stöhnte und die Hände auf ihre neue Verletzung presste, lag ein winziger, schwarzer Wurm im grünen Saft seines eigenen zerquetschten Körpers… „Der Parasit…“ „Er ist nun keine Bedrohung mehr“, verkündete Ereos, „Und das Loch in der Herzwand ist mit Silber gestopft. Sie wird von nun an wieder ein normales Leben führen können…“ Er wandte sich den schockierten Lancelor zu und setzte ein schmales Lächeln auf, das seine Augen nicht erreichen konnte. „Ein erstes Angebot des Friedens… Wir werden sehen ob daraus etwas werden kann…“ Bei seinen Worten fielen erste Regentropfen auf den Asphalt. Schnell verwandelte sich das ungleichmäßige Plätschern in einen leichten Nieselregen, dann in kräftigen Niederschlag und schließlich in ein gewaltiges sintflutartiges Unwetter. Die schwarzen Wolken am Himmel schütteten ihren gesamten Inhalt auf einmal über London aus. Es dauerte nur Sekunden bis die Straße schlüpfrig war und erste Pfützen an den Rändern der Fußgängerwege entstanden. „Die Welt weint vor Erleichterung“, sinnierte Ereos in Gedanken versunken. Er starrte durch die dichte Wand aus Regen zu den Lancelor und diese starrten zurück. Dämonen und Menschen, alle mit Blut besudelt und in zerfetzter Kleidung, verletzt, erschöpft und müde, standen im strömenden Regen und ließen sich von dem Wasser reinigen… „Wir werden sehen, wohin uns die Zukunft führt…“ Dann ging Ereos langsam mit Assessina davon, während Kevin seine geliebte Telepathin an sich presste und sein tränenüberströmtes Gesicht in ihren Haaren vergrub. „Danke… Danke… Danke…“ Die anderen Lancelor sahen den zwei früheren Schattenklingen noch lange hinterher, bis diese in der Ferne verschwunden waren, begleitet vom unaufhörlichen Trommeln des Regens… Man hat mir in meinem Leben schon viele Namen gegeben: Ich war Partnerin für viele Lancelor, Freundin von wunderbaren Menschen, Geliebte eines Dämons, Feindin des Dämonenvaters, Schülerin und Hexe… Doch von diesem Tag an war ich nur noch Zeliarina Heartstrong. Es war nicht mehr nötig über ein Schwert zu wachen oder zu kämpfen. Stattdessen konnte ich ganz ich selbst sein, die Verantwortung über Leben und Tod ablegen und meine Zeit mit Dymeon genießen. Natürlich gab es noch viel zu tun, das bestreite ich gar nicht. Opfer mussten betrauert und begraben, Städte neu aufgebaut werden. Doch während der Monate, in denen sich die Welt vom Tag des Grauens erholte, trug ich die Gewissheit in mir, dass das die letzten Opfer des großen Götterschwertkrieges waren… Und das gab mir Kraft… Die Verbindungen mit dem Däezander gingen nur sehr zögerlich voran, denn beide Seiten leckten noch ihre Wunden und überwanden den Hass von Generationen. Doch zum Zeichen des friedlichen Willens gab man drei heilige Klingen in die Obhut der Dämonen und drei weitere zu den Menschen. Die siebte jedoch, der Weltenretter Excalibur, wurde als Symbol der zukünftigen Zusammenarbeit in die neutral gelegene Ruine von Tradan gegeben und dort vergraben… Angehörige beider Arten pilgern zu Hunderten an diesen abgeschiedenen Ort… Auch Kevin und Victoria besuchen die Ruinen oft, doch nur weil es für sie der Ort war, an dem sich ihre Beziehung zum ersten Mal entzündet hatte… Sie hatten sich direkt nach dem Tag des Grauens nach Süditalien versetzen lassen, weil das warme Klima angenehmer für Kevin war… Der Elementare konnte sich nie richtig von dem Ringen mit dem Götterschwert erholen, doch Fossil besucht ihn oft und findet immer wieder neue Mittel, die die Kälte aus seinem Leib treiben… Und ich denke auch Victoria trägt ihren Teil dazu bei ihn warm zu halten… Dunkan dagegen ist kurz nach dem Tag des Grauens für immer von uns gegangen. Er ist ohne Schmerz im Schlaf gestorben, als hätte sein gewaltiges Alter ihn plötzlich eingeholt. Vielleicht hatte seine Zeliarina ihm endlich das ewige Leben genommen, um ihn zu sich zu holen… Es war ein trauriger Tag als er starb, doch ich tröste mich mit dem Gedanken, dass mein weiser Mentor endlich den Frieden bekommen hat, den er sich immer wünschte… Pendrian, Selen, Jessica und viele andere haben inzwischen neue Wege eingeschlagen, Berufe erlernt von denen sie schon immer geträumt haben, Familien gegründet. Manchmal werden sie noch von den Geschehnissen des Krieges heimgesucht. Ich denke, dass geht uns allen so. Auch Dymeon, der seine Blindheit völlig überwunden hat und wieder sehen kann, schreckt manchmal nachts neben mir aus dem Schlaf oder ich wache völlig aufgelöst mit Tränen in den Augen auf, doch diese Momente werden seltener… Wir werden sie niemals ganz abschütteln können. Dafür haben wir zu viel erlebt… Wir waren und sind eben Lancelor… ------------------------------------------- So, es ist also wirklich zu Ende^^ Und wie das nunmal so ist wenn eine Geschichte beendet ist, gibt der Autor natürlich auch noch ein paar letzte Worte ab^^ Es hat mir wirklich Spaß gemacht diese Geschichte zu schreiben (naja, manchmal hat es mich auch wahnsinnig gemacht...^^) und ich bin mit dem Endergebnis doch sehr zufrieden. Die Story, die Charaktere und ihre Konstellationen zueinander haben sich seit meinen letzten Geschichten doch noch etwas gesteigert, worüber ich sehr froh bin. Außerdem habe ich hier besonders gelernt kämpfe zu beschreiben und dramatische Momente aufzubauen (Ich HOFFE doch zumindest^^). Beim neuerlichen Lesen überwiegen mir aber die Kämpfe doch ein wenig zu sehr, so dass ich mich bei meiner nächsten Geschichte damit etwas mehr zurückhalten werde. Besonders gefallen mir dafür an Dunkle Dämmerung Kevin und Victoria und ihre eigene kleine Geschichte. Ich habe die beiden so ins Herz geschlossen, dass ich arg in Bedrängnis geriet Zeliarina im Vordergrund stehen zu lassen. Ich muss mich zukünftig strenger an einen Leitfaden halten, meine Figuren entwickeln die Neigung sich selbstständig zu machen^^ Außerdem fielen leider drei Aspekte der Geschichte weg, die ich eigentlich fest eingeplant hatte: 1. : Was vermutlich alle schon erraten haben: Dymeon wurde mit dem Blut der Lichthexe Zeliarina erschaffen... Eigentlich hatte ich da noch einen schönen Konflikt zwischen Dymeon und Dunkan geplant^^ Ereos sollte Zwietracht säen^^ 2. : Die Geschichte um Pendrians zerstörtes Heimatdorf. Noch mehr Konflikte, diesmal zwischen Pendrian und Dymeon^^ 3. : Das Oberhaupt. Eigentlich sollte er noch wichtiger werden. Er ist nämlich ein Shetan. Wegen ihm habe ich eigentlich überhaupt nur das ganze Zeug mit den Shetan eingebaut, aber naja. Auch der Dämonenvater sollte ursprünglich Shetan sein. Aber die Geschichte ging ihren eigenen Weg^^ Ich habe bereits ein neues Projekt in Planung, doch dieses wird vermutlich nicht bei Animexx erscheinen, da ich mich voll auf diese Geschichte konzentrieren werde und sie, wenn sie einmal fertig ist, versuchen werde zu einem Verlag zu bringen. Ich weiß nicht ob ich gut genug dafür bin, doch ich habe mir das Ziel gesetzt und werde dafür fleißig sein. Irgendwann in ferner Zukunft soll mal ein Buch von mir im Ladenfenster stehen^^ Wenn ihr trotzdem gerne noch etwas von mir lesen wollt, wendet euch an meine anderen Fanfics oder das eher kleinere Zelda-Projekt "A little place of harmony", das ich bald hier hochstellen werde. Abschließend möchte ich euch bitten euren bisher schon wirklichen lieben, aufbauenden Kommis noch ein letztes hinzuzufügen. Sagt mir was euch besonders an Dunkle Dämmerung gefallen hat oder was euch negativ aufgefallen ist. Was war gut, wo gibt's kritische Anmerkungen?^^ Vielleicht auch welche Figuren oder Situationen euch besonders auffielen/gefielen/nicht gefielen und warum, damit ich zukünftig auf so etwas achten kann und für mein neues Projekt mit nutzen kann. Ich danke allen meinen Leser von ganzem Herzen. Man sieht/liest sich ~ Perro Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)