A "little" problem von abgemeldet (Dear Nobody) ================================================================================ Kapitel 9: Juli --------------- Juli 15. Juli Dear Nobody, Ich kann es einfach kaum glauben, dass es nur noch ungefähr zwei Wochen sind. Ich freu mich schon total auf dich. Wie du wohl aussiehst? Ob wir uns mögen? So richtig gern haben? Ich hab schreckliche Angst vor den Schmerzen. Immer noch bin ich mit meinen Gedanken bei Max. Ich kann ihn einfach nicht vergessen. Wenn ich an dich denke, ist er automatisch mit da. Fast so, als wäre er dein Schatten. Manchmal frage ich mich, was meine Mutter dachte, als sie mich das erste Mal sah. Dad hat dir ein Bettchen gekauft. Er hatte mich überraschen wollen und das war ich auch gewesen. Als er es aus dem Auto herein schleppte, sah ich Mum kurz an, doch es war keine Regung zu sehen. Sie ist immer noch der Meinung, dass du zur Adoption gegeben werden solltest, aber das lasse ich mit Sicherheit nicht zu. Als Dad mit dem Bettchen die Treppe hoch kraxelte sah sie ihm erst komisch hinterher. Dann wuselte sie hinterher. Ich hörte, wie etwas verrückt wurde und ich folgte ihnen. Als ich oben ankam, war in der Mitte meines Zimmers platz geschaffen worden. "Ich darf also hier bleiben?" "Sicher bleibst du hier.", erwiderte Dad. "Wo solltest du auch sonst hin? Aber das eines klar ist, das ist keine Dauerlösung. Und stell das Ding ja noch nicht auf, hast du verstanden?" Mum war ganz eindeutig sauer. Ich nehme an, dass sie sich hintergangen fühlte. Sie drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in ihrem Zimmer. Als ich ihr hinterher wollte hielt Dad mich zurück und meinte, ich solle ihr einfach Zeit geben damit fertig zu werden. Langsam lies ich mich auf das Bett fallen. Erst jetzt sah ich mir dein Bettchen genauer an. Es war in seine Einzelteile zerlegt und zart mintgrün. Neben dem Korbgestell hing ein langes Stück Stoff, welches in einem etwas kräftigeren mintgrün gehalten war und später den Himmel des Stubenwagens darstellen würde. "Wie kann ich bleiben, wenn sie mich nicht hier haben will?" "Du bist unsere Tochter und ich weiß, dass sie dich auch hier haben will. Wir hatten nur nicht geplant, dass ein Baby ins Haus kommt..." "Ich hab das auch nicht geplant." Darauf sagte er nichts mehr. Es schien, als hätte ich ihn getroffen mit meinen Worten und doch waren sie die Wahrheit. Allerdings musste ich ihm versprechen, dass ich wieder tanzen und Musik machen würde, sobald ich wieder konnte. Da mir die Musik sehr viel bedeutete, hatte ich damit keine Probleme. Dad verschwand ebenfalls im Schlafzimmer und ich konnte sie miteinander reden hören. Ich beschloss Großmutter zu besuchen. Schon lange war ich nicht mehr dort gewesen und ich wusste, sie würde sich freuen. Während des ganzen Weges dachte ich darüber nach, wie lange es schon her gewesen war, dass ich mit Mum bei meinen Großeltern gewesen war und ich stellte fest, dass ich mich nicht mehr daran erinnern konnte. Als ich an diesem Tag ihr Zimmer betrat, saß sie am Fenster und hatte die Vorhänge zurückgezogen. Für einen Moment leuchteten ihre Augen als sie mich sah. Dann verlor es sich wieder. "Ich hab ein Geschenk für dich." Sie holte ein Wolltuch für dich aus einer ihrer Schubladen. Langsam breitete sie es aus, damit ich es ansehen konnte. Das Tuch schien uralt zu sein. Dann erzählte sie mir, dass sie stundenlang danach gesucht hatte und dass sie es erst waschen wolle, bevor ich es mitnahm. Dann betrat Großvater das Zimmer. Er sah das Tuch an und lächelte. "Gib es ihr doch. Sie kann es doch auch selbst waschen." "Ich soll es ihr also schenken, bevor das Kind geboren ist? Es könnte doch tot zur Welt kommen." Kleiner Nobody, sei lebendig. Sei gesund. Wieder dachte ich an das Angebot, dass Großvater mir gemacht hatte. Wie sollte ich es nur mit Großmutter aushalten? Ich möchte doch, dass du schreien kannst, so laut du willst. 21. Juli Meine liebe Natasha, ich weiß, dass du eine selbstständige junge Frau bist, die eigene Entscheidungen trifft. Was auch immer du dir für die Zukunft vornimmst, ich wünsch die das Beste. Du wirst Geld brauchen und ich würde gerne etwas beisteuern, bis Max es selbst tun kann. Allerdings möchte ich nicht, dass er oder sein Vater etwas davon erfahren. Ich hoffe, dass du mich irgendwann mein Enkelkind kennen lernen lasst. Alles Gute Judy Sie hat eine schreckliche Handschrift. Es ist, als müsste man einen Knäuel aus Buchstaben entwirren. Was da stand, drang kaum zu mir durch, aber ich musste trotzdem deswegen weinen. Es war, als hätte man mir ein wärmende Decke umgelegt. Als streckte mir jemand seine Hand helfend entgegen. Du bist jetzt schon in Geburtslage, hat mir die Hebamme gestern gesagt. Bald hast du eine erschreckende und lange Reise vor dir, doch gemeinsam schaffen wir das schon. * * * * * * Es war schon Mitte Juli. Ich besuchte Dad. Als ich die Tür öffnete, hörte ich, dass er besuch hatte. Scheinbar waren sie in der Küche und als ich sah, wer da zu besuch war, viel ich fast um. Da standen meine Eltern und redeten ganz normal miteinander und da war auch noch Tante Ashley. Als Dad mich bemerkte, wechselte sein Gesichtsausdruck sofort. Ich weiß noch immer nicht warum. Dann wurde ich von Mum und Ashley begrüßt. "Zeig mir doch mal die Stadt.", sie schien gerne ein bisschen mit mir allein sein zu wollen und so stimmte ich zu. Als wir den Park durchquerten, machen wir eine kleine Pause. Sie fragte nach meine Zukunftsplänen und da wurde ich richtig still und verschlossen. "Ich hab seit ende April nicht mehr mit Tasha gesprochen." "So was hab ich ehrlich gesagt schon geahnt." Ich fragte mich, ob ich sie irgendwann vergessen könnte, oder ob das nie enden würde. Ein paar Tage, nachdem Mum wieder abgefahren war, bekam ich einen Brief von Janina. In jedem Wort, dass ich las, hörte ich ihr lachen und ihre Stimme. Erst da wurde mir wirklich bewusst, was ich schon lange geahnt hatte. Damals, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie mir zum Abschied zugelächelt. Die Art, wie sie gelächelt hatte, hätte mir sagen müssen, dass wir ihrer Meinung nach mehr als Freunde waren. Ich hatte seit dem nichts mehr von ihr gehört und hatte gedacht, dass es damit gut war. Doch nun hielt ich einen Brief von ihr in Händen. Ich wusste, dass es nie klappen würde, weil ich in einer Sache steckte, Die ich weder verstand, noch fassen konnte. Ich war einfach nicht in der Lage, dass alles zu überschauen. Also schrieb ich ihr einen Brief, in dem ich schrieb, dass ich sie gerne hatte, dennoch nicht der Meinung war, dass wir uns wieder sehen sollten. Ich wusste, dass sie traurig sein würde, doch es musste sein. 30. Juli Dear Nobody, Heute Abend fühl ich mich einfach schrecklich. Ich kann kaum laufen. Du bist ganz nach unten gerutscht. Hast dich gesenkt, hat die Hebamme gesagt. Gedreht, bereit zum loslegen. Ich fühle mich noch nicht bereit. Ich habe Angst vor den Schmerzen. Lieber würde ich lange schlafen. Wenn du pünktlich bist, bist du in ein paar Tagen da. Ich bin fett. Wie ein Butterfass. Ich kenne mich kaum noch wieder. Ich war mal ein Mädchen, das sich aus der Taille abwärts bewegen konnte. Welche Taille? Dann wurde ich eine fette Raupe, dann eine Puppe, die sich in einem komischen Zustand befindet. Dann kam eine gute Fee, genannt Hebamme, die sagt: Du wirst ins Krankenhaus gehen. Du wirst aus deinem Kokon schlüpfen. Das komische ist nur, dass nicht nur ein Schmetterling heraus kommt, sondern zwei. Du und ich. Das traurige ist nur, dass kein schöner Prinz dabei sein wird. Es gibt keine Prinzen. Wenn doch nur schon alles vorbei wäre. Ich kann nicht mehr. * * * * * * Zwei Tage, bevor wir zu dem Turnier aufbrechen sollten, ging ich in die Stadt. Ich war in Gedanken und wollte ein bisschen allein sein. Da kam ich an einem Laden vorbei, welcher Stoffe verkaufte. Ich sah einen mittelblauen Stoff, welcher mich an das Kleid erinnerte, welches sie getragen hatte, als wir das letzte Mal ausgegangen sind. Da Schwirrte mir ein Gedicht durch den Kopf, welches wir im Unterricht hatten auswendig lernen sollen. "Er Wünscht des Himmels bestickte" Tücher heißt es. Hätt ich die reich gestickten Himmelstücher, Gewirkt aus goldenem und silbernem Licht, Die blauen und die matten und die dunklen Tücher Von Nacht und Licht und halbem Licht, Ich bereitete die Tücher dir zu Füßen: Doch weil ich arm bin, hab ich nur die Träume; Die Träume breit ich aus vor deinen Füßen: Tritt leicht darauf, du trittst auf meine Träume. Ich kaufte eine Postkarte und schrieb es darauf. Dann ging ich ihre Straße entlang und hoffte, mich ganz normal von ihr verabschieden zu können und ihr alles Gute zu wünschen. Auf gar keinen Fall würde ich anrufen und mich demütigen lassen. Sie hassten mich und ich denke, dass es daran lag, dass sie Tasha lieben. Komische Art von Liebe, finde ich. Ich kann das Schweigen nicht mehr ertragen. Es kommt mir vor, als hätte man einen Verband um meinen Mund gelegt. Sprecht doch endlich. Als ich wieder darauf achtete, wo ich war, war ich in der Bücherei, in der Tashas Vater arbeitet. Als er mich sah, kam er auf mich zu. "Wie geht's?", diese Frage hatte kommen müssen. Sie kam immer. "Gut" mehr sagte ich nicht. Einen Moment sah ich aus dem Fenster, doch ehe er sich abwenden konnte, drehte ich mich wieder um. "Wie geht es Tasha?" Jetzt sah er mich verwirrt an. Ich weiß, dass er niemandem wehtun kann. Ich glaube, er kämpfte ziemlich mit sich selbst, weil er wusste, dass dieses Thema eine art Tabu war. "Sie ist ziemlich rund" Ich schluckte. "Übermorgen fahren wir ab. Könnten Sie... würden Sie ihr das hier geben?" Ich gab ihm die Karte. Damit ließ ich ihn einfach stehen. Sonst schüttelte ich ihm immer die Hand. Damit hatte er sicher auch gerechnet, aber das war mir egal. 31. Juli Dear Nobody, Gestern hab ich mein Zimmer geputzt, damit es für dich sauber ist. Ich hab alle Regale und Bücher abgestaubt und Die Fenster geputzt. Ich hab auch die Vorhänge und die Tücher abgehängt und gewaschen. Mum half mir dabei sie aufzuhängen. Als Mum ins Haus ging, hab ich den Tüchern noch ein bisschen beim wehen zugesehen. Sie sahen aus, wie die Flügel von großen Vögeln. Dann bin rein zum Mittagessen. Ich setzte mich zu Mum an den Tisch. Wir saßen beide am Fenster und sahen den Tüchern beim flattern zu. Keiner sagte ein Wort und trotzdem waren wir nicht jeder für uns. Wir schlossen uns diesmal nicht gegenseitig aus. 1. August Vor ein paar Minuten hab ich einen starken krampfartigen Schmerz gespürt, der vom Becken in mir hochstieg. Er schien meinen ganzen Körper einzunehmen und erst, als ich es fast nicht mehr aushalten konnte, lies er wieder nach. Ich hab keine Angst. Ich weiß ganz genau, was es ist. Es heißt, dass du kommst. Erst, wenn ich diese Schmerzen das nächste Mal spüre, sag ich es Mum. Die Hebamme hat gesagt, dass diese Schmerzen Stunden und sogar Tage dauern können. Ich möchte, dass wir ganz ruhig sind. Wir beide. Tief durch atmen, beide. Es fühlt sich an, als ob ich dein Herz in meinen Adern schlagen höre. Jetzt geht es wieder los. Ich weiß, dass du kommst. Ohne, dass ich registriert hatte, hatte ich nach meiner Mutter geschrieen und sie war in mein Zimmer gerannt gekommen. Ich versuchte auf sie zuzugehen. Dabei hatte ich das Gefühl, als ob etwas aus mir heraus floss. Sie nahm mich in dem Arm und hielt mich die nächste Wehe über fest. Es war, als teilte sie den Schmerz mit mir. Jetzt ist sie unten und ruft einen Krankenwagen. Ich zittere am ganzen Körper und kann nicht aufhören. Ich liege auf meinem Bett und warte auf den Krankenwagen oder die Hebamme. wer eben zuerst da ist. Als Dad mein Zimmer betrat fing ich wieder zu zittern an. Er kam zu mir und hielt mir etwas entgegen. "Das soll ich dir geben. Es ist von Max." Erst, als Dad wieder gegangen war las ich es. Ich hob es ans Fenster und sah es mir im Licht der Straßenlaterne an. Ich hatte das Gefühl, Max würde es vorlesen. Ich hörte in Gedanken seine Stimme. Plötzlich hatte ich das Gefühl, ich hätte etwas gehört und wand mich um. An der Tür stand Andy und fragte, ob er etwas tun könne. Jetzt holt er gerade sein Fahrrad aus dem Schuppen und ich verpacke das Bündel. Er soll es zu Max bringen. Dear Nobody, dies ist mein letzter Brief an dich. * * * * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)