Change of heart von abgemeldet
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Kapitel 4: Akt 12-13
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12. Akt: Bevor es schneit
Der Schneefall hatte vorerst nachgelassen. Seto fand sich auf einem
Kinderspielplatz wieder. Alles wirkte wie ausgestorben, keine Menschenseele weit
und breit. Der Himmel war dunkel, Wolken verbargen den Sonnenuntergang. Es
würde bestimmt bald wieder anfangen zu schneien.
Er setzte sich auf eine Parkbank und musterte die Umgebung. Eine weiße Schicht
bedeckte alles, verhüllte Müll und Schmutz der Menschen, machte alles rein und
unschuldig. Unverdorben. Wozu die Lüge? Seto ballte die Hände zu Fäusten. Es
knackte kurz.
Wozu die Lüge?
Yuugi hatte gesagt, sie hätten ihn auf so einer Bank gefunden. Seto wischte den
Schnee sorgfältig beiseite und strich über das raue Holz darunter. Vielleicht
sollte er sich hier schlafen legen. Wenn er aufwachte, würde die Welt
vielleicht wieder beim Alten sein. Er würde wissen, was die Welt war... wer er
in dieser Welt war. Wer er darin zu sein hatte.
Schnee zwischen den Fingern.
Es war wirklich kalt...
"Du wirst dich noch erkälten."
Seto war nicht überrascht. Aus irgendeinem Grund nicht. Er hatte gewusst, dass
er da war.
"Und wenn - wen würde es kümmern?", gab er zurück.
"Na ja... Yuugi bestimmt. Er hat jetzt keine Medizin mehr zu Hause. Und du
könntest leicht alle anstecken..."
"Eine Sorge mehr, die mit mir zu tun hat."
Ryou blieb neben der Bank stehen. Er trug einen hellblauen Mantel und die
unentbehrlichen Jeans. Seine weißen Haare lagen ausgebreitet auf seinem
Rücken. Wassertropfen glitzerten darin.
Er behielt seine Hände in den Hosentaschen und lächelte Seto an. "Bist du noch
nie auf den Gedanken gekommen, dass gerade das die Sache interessant macht?"
"Was willst du von mir?" Seto betrachtete die Rutsche. "Es geht mir gut. Ich
werde mich schon zurechtfinden. Yuugi braucht sich keine Sorgen mehr um mich zu
machen. Er hat mir schon mehr geholfen, als er es hätte tun sollen."
"Du willst also endgültig weggehen?"
"Weggehen? Wohin schon? Ich werde nur nicht mehr zurückkommen."
"Hm." Ryou überlegte offenbar, ob er sich neben Seto setzen sollte, entschied
sich dann aber anders. Die Schaukel knirschte leicht, als er sich darauf
niederließ. Schnee fiel zu Boden, als sich die Ketten in Bewegung setzten.
"Jounouchi hat uns angerufen", sagte er nach einer kurzen Pause. "Er wollte mit
dir sprechen. Würdest du nicht gern wissen, was er dir zu sagen hat?"
"Nein", antwortete Seto knapp.
Ryou lächelte wieder. "Du bist ziemlich verwirrt, wie?"
"Verwirrt?" Seto zog die Augenbrauen zusammen und sah den Jungen an. "Wie kommst
du denn darauf? Ich bin nicht verwirrt. Ich bin... wütend."
"Wütend", wiederholte der andere.
"Ja. Und ich weiß nicht, warum."
Irgendwo, hinter den Wolken, ging die Sonne gerade in einem Farbenmeer unter.
"Kann sich ein Mensch nicht verändern?", fragte Seto plötzlich. Er hörte
selbst, wie gezwungen seine Stimme klang. "Selbst wenn ich mich erinnern
würde... würde das heißen, dass es keine andere Möglichkeit gibt?"
Ryou stieß sich mit den Beinen ab. Die Schaukel flog durch die Luft. Er sagte
nichts.
"Ich habe es selbst provoziert, ich weiß." Seto spürte die Anspannung in
seinem ganzen Körper. "Aber blieb mir eine andere Wahl? Musste ich nicht der
werden, der ich geworden bin?... Wahrscheinlich hat Jounouchi Recht. Als ob ich
mich je ändern könnte..."
Die Schaukelbewegung hörte auf. Letzte Schneeflocken rieselten auf die
gefrorene Erde.
"Es gibt da eine Karte. Bei Duel Monsters." Ryou sah Seto nicht an. "Eine Karte,
die in jedem Deck vorkommen muss. Sie heißt ."
"...Wandel des Herzens."
"Ja." Ryous Blick war auf den Boden gerichtet. Er sprach langsam. Jedes Wort
fiel in die Stille hinein wie ein Stein in den Teich. "Meine Lieblingskarte. Das
Herz kann gewandelt werden - sowohl im negativen... als auch im positiven Sinn."
Wie von selbst legte sich seine Hand verstohlen gegen seine Brust. Er schien es
nicht zu bemerken. "Menschen können sich verändern. Egal, welcher Weg sie
hierher geführt hat... es gibt immer eine zweite Möglichkeit."
Seto musterte ihn.
Eine zweite Möglichkeit?
Seto Kaiba war ein realistischer Mensch. Er glaubte nur an das, was er selbst
schuf, mit seinen eigenen Händen, mit seinem eigenen Verstand. In dieser Welt
konnte man sich nur auf sich selbst verlassen. Sonst würde man untergehen.
Aber in welcher Welt befand sich Seto Kaiba jetzt? In welcher Welt befand er
sich, dass er sich gestatten durfte, Hilfe abzulehnen?
In welcher Welt wollte er Hilfe ablehnen?
" also", sagte Seto.
"Aber nur mit Glauben." Als Ryou den Kopf hob, rutschte eine einzelne
Haarsträhne beiseite und legte die empfindliche helle Haut des Halses frei.
"Hörst du, Seto? Du musst daran glauben." Sein Blick war ernst. Er ließ Setos
nicht los. "Und du musst ehrlich sein. Letztendlich ist es immer die Wahrheit,
die die Veränderung herbeiführt."
Glauben. An ein Wunder?
Glauben. An die Wahrheit?
Diese braunen Augen forderten ihn auf, zu glauben. Die Zerbrechlichkeit des
Augenblicks forderte es. Seto Kaiba würde es ablehnen.
Aber war er wirklich Seto Kaiba?
"Wenn das Herz gewandelt werden kann... will ich es versuchen."
Der Blickkontakt blieb, einige endlose Augenblicke lang. Dann lächelte Ryou
wieder. Etwas blieb in seinen Augen zurück, das Seto nicht vergaß.
"Ich habe es dir doch schon gesagt. Ich denke, dass du immer weißt, was du
tust."
Die Zerbrechlichkeit...
"Und ich denke", sagte Seto ruhig, "dass du dein eigenes Wunder suchst."
Ryou erwiderte darauf nichts. Die Schaukel erhob sich wieder in die Lüfte.
13. Akt: Tradition
"Kaiba! He, Kaiba, wach auf!"
Seto wälzte sich herum und öffnete die Augen. Sie fühlten sich merkwürdig
schwer an.
"Fröhliche Weihnachten!" Yuugi strahlte ihn an, seine Haare standen wie immer
nach allen Seiten ab. Seto hatte Mühe, etwas mit seinen Worten anzufangen.
Weihnachten... war da etwas gewesen...?
"Komm, steh auf, die anderen kommen bald rüber!", rief Yuugi fröhlich und
verschwand wieder aus Setos Blickfeld.
"Frohe Weihnachten", nuschelte Seto und gähnte.
Es war noch nicht Weihnachten. Es war erst Heiligabend. Aber das schien im Haus
Mutou keinen großen Unterschied auszumachen. Sowohl Yuugi als auch sein
Großvater rannten seit dem frühen Morgen wie aufgescheuchte Hühner durchs
Haus und verbreiteten sprühende Weihnachtsstimmung.
Seto sah Ryou beim Frühstück. Der weißhaarige Junge redete nicht sonderlich
viel und trank in aller Ruhe seinen Kakao, wobei er ab und zu nickte, um Yuugi
zu beweisen, dass er ihm noch zuhörte. Er wirkte blasser als sonst, nur ein
Schatten seines lachenden Ichs, das mit Jou und Honda unanständige Witze
gemacht hatte. Auch Yuugi bemerkte es. Er tat sein bestes, um den Freund
aufzumuntern, aber Ryous Lächeln blieb genauso unecht wie bei seiner Ankunft,
als er an Yuugis Tür geklopft hatte.
Um zehn Uhr kam dann auch schon Anzu mit vollem Gepäck, das der unglücksselige
Honda für sie schleppen musste. Shizuka und Jounouchi trudelten mit einiger
Verspätung ein, weil Jou wie immer nicht aus dem Bett zu kriegen war. Er war
immer noch krank, aber die Medikamente hatten sein Fieber eingedämmt, so dass
er nur noch durch seinen Schnupfen behindert wurde. Er ließ sich aber auch
dadurch nicht die Laune vermiesen. Erstmal angekommen, stürzte er sich munter
in das Chaos.
Seto versuchte sich aus dem Trubel herauszuhalten. Er half mit, das Wohnzimmer
zu schmücken und einige fehlende Sachen aus dem Keller zu holen. Zur Küche
hielt er Sicherheitsabstand. Anzu hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass sie
diesen Raum als ihren Herrschaftsbereich ansah, und jeder, der es wagte, seine
Nase hineinzustecken, wurde sofort fürs Töpfeschrubben oder Gemüseschneiden
abkommandiert.
Als Yuugis Großvater die Hektik dann doch etwas zu groß wurde, schickte er
alle nach draußen zu einem traditionellen Mutou-Waldspaziergang, an dem diesmal
nur ein Mutou teilnahm. Selbst Jounouchi wurde kurzerhand mit geschleppt, dank
Shizuka eingepackt wie eine Mumie.
Der Himmel hatte sich aufgeklart, aber einige verstreute Wolken waren geblieben
und dämpften das Strahlen der winterlichen Sonne. Die Luft war beißend kalt,
aber trocken. Schneeschauer wurden erst gegen Abend erwartet.
Die fröhliche Gruppe zog keine große Aufmerksamkeit auf sich, da zu diesem
Zeitpunkt schon halb Domino auf den Straßen war. Seto schlenderte den übrigen
hinterher und sah zu, wie sie ab und zu von Schulkameraden angesprochen wurden.
Weihnachtsgrüße und Gelächter wurden ausgetauscht, Einladungen und öfters
auch verstohlene Fragen, die auf Seto abzielten. Er wusste nicht, was die
anderen antworteten, aber er spürte die misstrauischen Blicke.
"Tja, Kaiba, ich fürchte, du wirst dich damit abfinden müssen!", rief Anzu ihm
zu, nachdem sie eine ihrer Freundinnen verabschiedet hatten. "Jetzt wird
überall herumerzählt, du wärst in unserer Clique! Du wirst im nächsten Jahr
einiges zu erklären haben..." Sie grinste und wartete, bis er zu ihnen
aufgeschlossen hatte. Seto beeilte sich nicht.
"Warum sollte ich irgendetwas erklären?", gab er dann zurück. "Sollen die sich
doch denken, was sie wollen." Er wusste nicht, ob sich seine Stimme abweisend
anhörte. Irgendwie hatte er jedes Gefühl darüber verloren.
Jounouchi warf ihm einen kurzen Blick zu und wandte sich dann schnell ab. Er
hatte nicht mehr mit Seto gesprochen, seit dieser ohne Vorwarnung seine Wohnung
verlassen hatte. Die anderen hatten gemerkt, dass etwas zwischen den beiden
vorgefallen war, aber anscheinend gingen sie davon aus, dass es sich dabei um
eine typische Jou-Kaiba-Rauferei gehandelt hatte, und verloren daher kein Wort
darüber. Jou war sich selbst nicht sicher, was dieses "etwas" gewesen war, aber
er hatte ein merkwürdiges Gefühl, wenn er darüber nachdachte. Fast, als
hätte sich die Welt auf den Kopf gestellt.
Apropos...
... die Welt stellte sich in dem Augenblick auf den Kopf, als Jounouchi einen
gut gezielten Schneeball gegen die Wange bekam, der nicht von ihm selbst
stammte. Und sie drehte sich ein weiteres mal, als er nach dem Täter Ausschau
hielt und dabei auf Ryou stieß.
"Volltreffer!" Besagter Täter grinste zufrieden in Jounouchis erstauntes
Gesicht.
"Prima Wurf, Bakura!"
Jou blinzelte, wischte sich behutsam den Schnee aus dem Gesicht - und schmiss
ihn zurück, geradeaus in Hondas grinsendes Gesicht.
"He...!", kam der protestierende Aufschrei von seinem Freund, als ihn die
eiskalte Ladung voller Jounouchi-Power erwischte.
"Tja, man lacht andere Leute eben nicht aus!", entgegnete Jou und grinste breit.
Jetzt war er in seinem Element. "Na, will noch wer?"
Anzu seufzte und verdrehte gespielt entnervt die Augen. "Das war ja so klar..."
"Eine Ladung für die Frau mit dem griesgrämigen Gesicht!", rief Jou. Sein Ball
verfehlte Anzu nur knapp, weil sie sich rechtzeitig geduckt hatte.
"Wer hat hier ein griesgrämiges..."
"Schneeballschlacht!", verkündete Jounouchi strahlend und beeilte sich, in
Deckung zu gehen. Shizuka setzte zu einem Protest an, wurde dann aber auch schon
von Honda hinter den nächsten Baum gezogen.
Eine ausgiebige Schneeballschlacht im Wald war fast schon ebenso sehr eine
Tradition wie der Spaziergang selbst. Yuugi war plötzlich sehr froh, seine
Handschuhe mitgenommen zu haben.
Schon bald hallte der Wald von spitzen Aufschreien und Lachen wieder. Besser als
jedes Warnschild verbreitete es die Nachricht, dass sich hier jetzt
gemeingefährliches Terrain befand, welches jeder vernünftige Mensch meiden
sollte, der es nicht darauf anlegte, von Jounouchis gefürchteten
Schmetterbällen geplättet zu werden.
Seto wahrte einen Sicherheitsabstand und sah zu, wie sich die Schlacht zwischen
den Parteien entwickelte. Die Parteien waren dabei Jou gegen Honda und den Rest
der Welt. Es sah aus, als würde es länger dauern. Seto überlegte, ob er zum
Mutou-Haus zurückgehen sollte.
Als er einen kalten Klumpen seinen Nacken herunterrutschen spürte, entschied er
sich dagegen.
Unter seinem Blick lief Jounouchi rot an und versuchte, den Schnee hinter seinem
Rücken zu verstecken. Honda kicherte bei dem Anblick.
"Alles in Ordnung bei dir, Kaiba?", erkundigte sich Yuugi besorgt, als Seto
nichts sagte und auch keine Anstalten unternahm, den Schneeball aus seinem
Kragen zu entfernen.
"So. Keine Rücksicht auf unschuldige Zuschauer, wie?" Seto sprach zu Jou, als
wären sie allein. Jounouchi versuchte krampfhaft, seinem Blick standzuhalten.
Die Röte in seinem Gesicht vertiefte sich ein wenig.
"Unschuldige Zuschauer sollten besser aufpassen!", fauchte er nervös.
Seto lächelte. Er wusste, das Ryou ihn beobachtete.
"Na dann..." Er hatte keine Handschuhe an. Er griff mit bloßen Händen in den
Schnee und fühlte die Kälte. Der Schnee war klebrig-nass in seinen Fingern.
"Kaiba...?" Jou beobachtete ihn, als würde er jederzeit zur Flucht bereit sein.
Gleichzeitig konnte er seinen Blick nicht von Seto abwenden. Von diesem
Lächeln.
"Wenn wir keine Freunde sind, brauche ich auch keine Rücksicht zu nehmen",
meinte Seto, fast schon sanft. Jounouchi riss die Augen auf. Der Wurf verfehlte
ihn nur knapp, aber er spürte den eisigen Luftzug überdeutlich. Es war wie ein
Lachen.
"Duuu...!"
Noch während die anderen ungläubig die Szene musterten, stürzte sich
Jounouchi auf Seto, die Hände voller Schnee, mit einem Kampfschrei auf den
Lippen. Seto lächelte wieder, brachte Jounouchi damit erneut aus der Fassung
und wollte ihn abfangen.
Jou versuchte auszuweichen, stolperte und klammerte sich im letzten Moment an
Setos Mantel fest. Seto wurde auf einmal klar, dass er das Gleichgewicht nicht
mehr halten konnte.
Schneeflocken wirbelten auf.
Als Jou bemerkte, dass er entgegen aller Erwartungen nicht auf dem Boden lag,
sondern halbwegs auf Seto, und sich obendrein noch immer an ihm festhielt,
überlegte er, ob er es wagen sollte, die Augen aufzumachen. Als er bemerkte,
dass da ein Arm um ihn geschlungen war, der ganz sicher nicht ihm selbst
gehörte, entschied er es, das Risiko einzugehen. Als er dann unverhoffte Nähe
entdeckte, war er auf einmal froh, dass die anderen sein Gesicht nicht sehen
konnten. Andererseits... waren ihm die anderen im Moment so ziemlich egal.
Nur diese blauen Augen...
"...ich habe nie gesagt, dass ich dich hassen würde...", murmelte Jou.
Seto starrte ihn einen Augenblick lang nur wortlos an, spürte den warmen Atem
auf seinem Gesicht.
"Es ist etwas unbequem, wenn du verstehst, was ich meine", sagte er dann und
rührte sich. Jounouchi richtete sich langsam auf und schlug die Augen nieder.
Er hörte nicht, wie Shizuka mit ihm schimpfte.
Er wusste nur, dass er auf einmal keine Angst mehr hatte.
++++
Irgendwie werden die Kapitel länger... es geht auch gegen Ende! Endlich sind
wir mal an Weihnachten selbst angekommen! Hat ja lang genug gedauert... -.-
Ich wollte die ganze Zeit über diese Szene mit Ryou und Seto im Park schreiben!
Ich finde, Schnee passt so gut zu Ryou... und endlich hab ich auch den Titel
drin! Ja, "Change of heart" hört sich erstmal nach einer Baku-Story an...
irgendwie ist es auch eine, aber Seto und Jou werden nicht vergessen, keine
Sorge! Und Yuugi auch nicht...
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