Change of heart von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Akt 1-4 ------------------ 1. Akt: Der Fremde Es war ein merkwürdiges Gefühl. Er wusste nicht, ob er wach war oder träumte. Da war Wärme, überall... aber gleichzeitig fror er, eisige Kälte hatte sich tief in seinen Knochen eingenistet. Einen langen Augenblick lang blieb er regungslos liegen und versuchte einzuordnen, wo er sich befand. Was geschehen war. Er konnte sich nicht erinnern. Angestrengt zwang er die Panik zurück, die bei dieser Erkenntnis in ihm aufloderte. Es gab nichts zu fürchten. Er würde mit allem fertig werden. Er hätte nicht sagen können, woher er das wusste. Er konzentrierte sich auf eine Frage, die er mit etwas Glück beantworten konnte: nach seinem momentanem Aufenthaltsort. Er stellte fest, dass er auf etwas weichem lag, höchstwahrscheinlich ein Bett. Es war nicht seins, so viel war sicher. Das Gefühl war ganz anders. Auch der Geruch, der in der Luft schwebte, war ihm unvertraut. Es roch nach... Zimt. Woher wusste er, wie Zimt roch? Nach einigem angestrengten Überlegen kam er zu dem Entschluss, dass er die Augen öffnen durfte. Der Risikofaktor war vernachlässigbar. Die Decke war blau. Die Wände waren blau. Ein großes Fenster mit weißen Vorhängen, durch das helles Sonnenlicht einfiel. Ein Schreibtisch in der Ecke, eine Leselampe, die jemand vergessen hatte, auszuschalten. Ein Schrank. Einige Regale. Ein grüner Sitzball. Langsam registrierte er Muster, Einzelheiten. Unwillkürlich hob er eine Hand, zog sie unter der dicken Decke hervor, die auf ihm lag. Er betrachtete sie; die offene Handfläche, von Furchen und Linien durchzogen, die ein ganzes Leben erzählten. Den Handrücken, stark und zuverlässig, mit ausgeprägten Knöcheln. Die langen, kräftigen Finger, kurz geschnittene Fingernägel. Er ballte die Hand zur Faust. Die Faust kam ihm nicht bekannt vor. Zögernd setzte er sich auf, die Decke kroch ein Stück weit nach unten. Er stellte fest, dass er ein Pyjama trug. Es war grün und weiß gepunktet, viel zu kurz an Beinen und Armen. Ein eingestickter Name fiel ihm ins Auge. "Yuugi" las er still. Irgendetwas sollte ihm dieser Name sagen. Es war so, wie es war. Er hatte keine Ahnung, wo er sich hier befand. Er hatte keine Ahnung, warum er sich hier befand. Er hatte keine Ahnung, wer er war. Diesmal war die Panikattacke schlimmer. Er verbarg sein Gesicht - es musste sein Gesicht sein, auch wenn er es wahrscheinlich nicht in einem Spiegel erkennen würde - in diesen fremden Händen und versuchte, die Leere zu verdrängen. "Oh, du bist wach!" Sein Kopf fuhr hoch. An der Tür stand auf einmal jemand - ein Junge mit der seltsamsten Frisur, die er je gesehen hatte. Obwohl er das natürlich nicht mit Sicherheit behaupten konnte, in seinem Zustand. Der Größe nach zu urteilen, gehörte der Pyjama jedenfalls dem Jungen. Das hieß, mit etwas Glück lautete sein Name Yuugi. Mit etwas Glück konnte er ihm vielleicht erklären, was das Ganze hier sollte. "Wie fühlst du dich, Kaiba?" Der Junge zögerte offenbar, er tat nur einen zaghaften Schritt ins Zimmer hinein. Aber irgendwie passten er und der Raum zueinander. Der dunkelblaue Teppich und die braunen Bärenhausschuhe an seinen Füßen schienen sich zu kennen. "Kaiba" hatte er ihn genannt. Er überlegte sorgfältig, was seine erste Frage sein sollte. Er überlegte sorgfältig, weil er das als einziges Mittel erkannte, die Kontrolle über sich selbst und die aufbrausenden Gefühle in seinem Innern zu behalten. Er überlegte und fragte schließlich: "Könnte ich einen Spiegel bekommen?" Vielleicht-Yuugi sah ihn merkwürdig an. "Einen Spiegel?" Als er keine weiteren Erklärungen bekam, versuchte er sich in ein Lächeln zu retten. "Klar doch... Äh, einen Moment bitte..." Er durchquerte zielsicher das Zimmer und zog eine Schublade des Schreibtisches auf. Der Fremde auf dem Bett erhaschte einen kurzen Blick auf einen abgebrochenen Kamm und eine Schere, dann kramte der Junge einen kleinen Spiegel hervor. Er reichte ihn mit einem verlegenen Gesichtsausdruck rüber. "Hier, bitte sehr." Die Spiegeloberfläche war warm. Als er hineinschaute, sah er seine Finger ganz leicht zittern. Nach einem wortlosen Moment gab er den Spiegel zurück. "Danke." Er starrte das Muster auf der Decke an, die das Licht darauf malte. Die Leere ließ sich nicht mehr verleugnen. "Kaiba? Alles in Ordnung mit dir?" Der Tonfall klang besorgt. "Ich weiß es nicht." Es kostete ihn einige Überwindung, aufzuschauen und in diese offenen verwunderten Augen zu blicken. "Kaiba. Ist das mein Name?" Seine Stimme hörte sich fremd an. Wie alles andere. Als Yuugi fragend die Augenbrauen zusammenzog, wusste der Fremde, dass er sein Leben verloren hatte. 2. Akt: Blackout "Wir haben dich im Park gefunden", erzählte der Junge. Sein Name war wirklich Yuugi. "Auf einer Bank. Zuerst sah es aus, als ob du einfach nur schlafen würdest, aber du hast nicht auf unsere Fragen reagiert. Und es war ziemlich kalt. Also haben wir beschlossen, dich zu mir zu bringen." Er sah ihn wieder so besorgt an. "Vielleicht wäre es klüger gewesen, einen Arzt zu rufen... aber du hattest kein Fieber und..." "Du hast echt keine Ahnung mehr, wer du bist?" Der Zwischenruf kam von Jounouchi. Yuugis blonder Freund hockte auf dem Sofa und starrte denjenigen, der anscheinend den Namen Seto Kaiba trug, ungläubig an. "Nicht die klitzekleinste Erinnerung? Totaler Blackout? Systemabsturz wie's im Buche steht? Größter anzunehmender Unfall? Kurzschluss in den Leitu..." "Ich weiß es einfach nicht mehr." Seto betrachtete wieder seine verschränkten Hände. Er sprach ruhig, aber ausdruckslos. Er konnte nicht sagen, ob das normal war. "Ich erinnere mich nicht." "Krass!" Jounouchi lehnte sich zurück. Mit seinen ausgebreiteten Armen nahm er einen Großteil des Sofas ein, Yuugi begnügte sich mit dem Rand. Er schien daran gewohnt zu sein. "Ich dachte, so was kommt nur in diesen mexikanischen Soaps vor, die Shizuka manchmal während des Abendessens anlässt!" "Das ist keine Fernsehserie, Jou!", kam es von Yuugi. "Wenn Kaiba sein Gedächtnis verloren hat, ist das ein ernstes Problem..." "He, hab ich was anderes behauptet? Ich hab doch nur erwähnt, dass Shizuka mich mit diesem Schwachsinn in den Wahrsinn treibt und ich ihr oft genug..." Er verstummte plötzlich und starrte Seto wieder an. "Hey, Moment mal! Wenn du nicht mehr Bescheid weißt, wer macht dann das ganze Kaiba Corp Zeugs?" Seto runzelte die Stirn. "Was?" "Kaiba Corp!" Jounouchi wedelte ungeduldig mit der Hand. "Du weißt schon, dein ach-so-tolles Unternehmendings, mit dem du immer so angibst..." Setos Hände verkrampften sich kurz. "Ich weiß es eben nicht." Yuugi warf Jounouchi einen tadelnden Blick zu, den dieser mit einem breiten Grinsen quittierte. "Ey, sorry, Mann! Ich kann's eben nicht ganz glauben, dass du, Seto Kaiba, auf einmal so ein Gedächtnisverlust-Ding hinlegst. Das ist einfach nicht dein Stil..." Seto wusste nicht, was sein Stil war. Er wusste nur, dass ihm dieser Katsuya Jounouchi langsam auf die Nerven ging. In diesem Augenblick erschien ein alter Mann im Wohnzimmer. Er trug vier Tüten auf einmal und strahlte über das ganze breite Gesicht. "Yuugi, stell dir vor, ich hab doch noch Kakaocreme bekommen können! Jetzt kann Anzu ihre Kekse doch noch bei uns machen... oh." Er hatte Seto entdeckt. Das Lächeln verschwand. "Was machen Sie denn hier, Kaiba?" Sein Tonfall war um einiges kühler. Yuugi sprang auf. "Keine Sorge, Großvater, es ist nichts passiert!... Das heißt, es ist doch was passiert, aber nicht das, was du denkst, was hätte passieren können, also brauchst du dir... Komm, ich helfe dir beim Tragen!" Hastig nahm er ihm eine Tüte ab und bugsierte ihn an Seto vorbei in die Küche. Ein Päckchen Hefe fiel aus einer der Tüten. Jounouchi sah den beiden nach, während Seto das Päckchen aufhob. Es fühlte sich rau und sandig unter seinen Fingern an. "Kaiba." Er sah auf und begegnete Jous Blick. Der Blonde grinste nicht mehr. Sein Gesicht war ernst. "Ich warne dich. Wenn das irgendein kranker Trick sein soll, um dich an Yuugi ranzuschleichen und seine Karten zu klauen oder was weiß ich, dann kriegst du ernste Schwierigkeiten, klar? Es ist verdammt noch mal Weihnachten und er hat sich eine Pause von diesem ewigen Gezanke verdient! Also, wenn du irgend so was im Sinn haben solltest, dann hau lieber gleich ab, bevor ich dich eigenhändig rausschmeiße! Nachdem ich dich in einem Duell platt gemacht habe!" Sein Blick war herausfordernd. Aber Seto ignorierte es. "Was meinst du mit Duell?", fragte er. Jounouchi starrte ihn noch einen Augenblick lang an, dann sprang er auf und folgte Yuugi und seinem Großvater in die Küche. Seto blieb allein mit der Hefe zurück. 3. Akt: Freizeichen Seto betrachtete das Photo in seinen Händen. Es war klein und nicht sehr scharf, aber man konnte die Person darauf trotzdem noch recht gut erkennen. "Yuugi?" Der Junge blieb stehen und kam zu ihm ins Zimmer. Immer noch war da dieses seltsam zögerliche Verhalten, das er an den Tag legte. Nach Jounouchis Worten konnte sich Seto einen ungefähren Eindruck davon machen, warum er ihm so vorsichtig gegenüber trat. Er streckte Yuugi das Photo entgegen. "Wer ist das?" Yuugi musterte das Photo. Es war in einem kartenförmigen Anhänger eingeschlossen, ein Medaillon, das Seto um seinen Hals gefunden hatte. Er hatte aus irgendeinem Grund gewusst, wie man es öffnete. "Das ist Mokuba." Er lächelte schwach als er Seto ansah. "Dein kleiner Bruder. Erinnerst du dich nicht an ihn?" Seto sah sich das Bild noch mal an. Die schwarze Strubbelfrisur, die großen Augen. "Ich weiß nicht. Er kommt mir bekannt vor." "Das ist doch schon mal ein Fortschritt!" Diesmal war das Lächeln überzeugender. "Das wird schon wieder, Kaiba! Wir wissen zwar nicht, warum du dein Gedächtnis verloren hast, aber es kommt bestimmt alles wieder. Also mach dir keine Sorgen!" Seto betrachtete dieses Lächeln. Es passte zu diesem Zimmer. Er fragte: "Sind wir Freunde?" Yuugi zögerte wieder. "Natürlich sind wir das, Kaiba! Das habe ich dir doch immer gesagt!" Seto wusste nicht, ob er es ihm glauben konnte. Er zeigte wieder auf das Photo. "Wo ist er?" "Mokuba?" Yuugi wich seinen Blick aus. "Er... ist bei Freunden. In den Alpen." Er spürte die Leere wieder. Er ließ es sich nicht anmerken. "Warum?" "Na ja... ähm... ihr habt euch doch gestritten..." Yuugi fixierte sehr intensiv die Vorhänge. Seto wusste, dass sie weiß waren. Mehr war darüber nicht zu sagen. "Gestritten." Die Beklommenheit, die in ihm aufstieg, erschreckte Seto. "Kann... kann ich mit ihm reden?" "...sicher. Er hat uns... seine Nummer dagelassen." Als Yuugi ging, um die Nummer zu suchen, wurde Seto plötzlich klar, dass das Wort "uns" ihn selbst nicht mit einschloss. Das Telefon klingelte. Seto zählte die Freizeichen. "Ja, hier Kaiba Mokuba!" Die Stimme klang hell, aber nicht so jung, wie Seto es erwartet hatte. Im Hintergrund waren weitere Stimmen zu hören, Lachen. Was sollte er sagen? "Hallo?", kam es fragend von Mokuba. "Ist da jemand?" "... hallo." Pause am anderen Ende. Dann: "Seto? Bist du das?" War er das? "Ich... wollte mit dir reden." Schwer. Es war schwer etwas zu sagen. "Ist irgendetwas passiert?" Jetzt war Mokuba besorgt. "Irgendetwas bei Kaiba Corp?" "Nein." Warum immer dieses Unternehmen? Wen kümmerte es schon? "Nein, es ist nichts passiert." "Warum rufst du an? Sag schon, Seto, ich hab nicht viel Zeit." "Ich wollte mich entschuldigen." Eine erneute Pause. "Was?" "Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Ich habe es nicht so gemeint." "Seto... ist wirklich alles in Ordnung? Du hörst dich so merkwürdig an..." Seto starrte die Vorhänge an. "Ich wünsche dir ein schönes Weihnachtsfest, Mokuba." "Seto?..." Er legte auf. Die Vorhänge waren wirklich sehr weiß. "Du erinnerst dich also doch?" Seto drehte sich um. Jounouchi lehnte sich gegen den Türrahmen. Sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. "Nein." Seto wich seinem Blick nicht aus. "Nein, ich erinnere mich nicht." Jounouchi drehte sich um und ging. 4. Akt: Eine Chance Eine Woche später half Seto den Weihnachtsbaum zu schmücken. Yuugis Großvater war mit Honda und Jounouchi extra in den nächsten Wald gefahren, um sich eine besonders schöne Tanne auszusuchen. Nach fünf Stunden waren sie endlich zurück, voller Kratzer und blauer Flecken, aber triumphal wie Jäger in der Eiszeit, die dem hungernden Stamm Beute brachten. Shizuka machte ihrem Bruder erstmal allerhand Vorwürfe, dass er das T-Shirt, das sie ihm zu seinem Geburtstag geschenkt hatte, total zerrissen hatte und selbst mehr Prellungen als heile Haut zurückbrachte, aber dann verfrachtete sie ihn in den nächsten Sessel und umsorgte ihn wie eine Henne ihr einziges Küken. Während sich Jou lautstark über diese Bemutterung aufregte, schmollte Honda, beleidigt darüber, dass ihm nicht die gleiche Behandlung zuteil wurde. Anzu debattierte mit Yuugis Großvater über die Glasur der Kekse und schwang dabei aufgebracht ihr braunes Haar wie eine Waffe. Seto und Yuugi beluden derweil die grüne Tanne mit Weihnachtsschmuck. Sie wechselten nicht viele Worte. Seto redete sowieso nicht viel und Yuugi war damit beschäftigt, auf einem dreibeinigen Stuhl zu balancieren und zu versuchen, den Weihnachtsstern an der Spitze zu befestigen. Seto verteilte die Glaskugeln und beobachtete den riskanten Gleichgewichtsakt aus den Augenwinkeln. Yuugi stand höchste Konzentration auf der Stirn geschrieben, als er sich vorsichtig herüberlehnte, sich ein wenig auf die Tannenzweige stützte und den goldenen Stern schließlich präzise auf die Spitze setzte. Ein siegesgewisses Lächeln erstrahlte auf seinem Gesicht. Der Stuhl schwankte als Antwort bedrohlich. "U-oh..." Yuugi ruderte mit den Armen, verzweifelt um Gleichgewicht bemüht. Seine verschiedenfarbigen Haarsträhnen flatterten kurz in der Luft, konnten nichts zum Stabilisierungsprozess beitragen und begleiteten dann ihren Besitzer todesmutig in den rasanten Absturz. Yuugi blieb nicht mal Zeit für einen erschrockenen Aufschrei. Als er nach einigen Augenblicken immer noch keinen unliebsamen Kontakt mit dem Boden spürte, wagte er es, die Augen zu öffnen. Der eisblaue Blick, dem er aus nächster Nähe begegnete, verschloss seinen Mund wirkungsvoller als der Volleyball, den ihm Anzu einmal zugepasst hatte. Seto ließ ihn los und Yuugi stand dankbar wieder auf eigenen Füßen. Sein Herzschlag dröhnte ihm immer noch in den Ohren. "Äh... danke, Kaiba..." Er lächelte verlegen. "Das wäre beinahe schief gegangen..." "Du hättest das ruhig mir überlassen können", sagte Seto bloß und wandte sich wieder seinen Weihnachtskugeln zu. Yuugi hatte das Gefühl, dass er zur Zeit lieber keine zerbrechlichen Gegenstände in die Finger nehmen sollte. "Ich... schau mal nach, wie weit Anzu und Großvater mit den Keksen sind", meinte er schnell. Seto gab nur einen undefinierbaren Laut von sich, der vielleicht Zustimmung bedeuten sollte. An der Tür stieß Yuugi mit Jou zusammen. "He, Yug, was ist denn los?" Jounouchi musterte ihn prüfend. "Du bist so blass..." "Ach, nur ein kleiner Unfall." Yuugi strich sich eine der widerspenstigen Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Aber es ist dank Kaiba noch mal gut gegangen." Er sah an Jou vorbei. "Wie steht's mit den Keksen?" "Sie haben sich auf das cremige Zeug geeinigt", meinte Jou und sah seinen Freund immer noch ein wenig misstrauisch an. "Dank Kaiba, ja? Was hat er denn gemacht, doch noch beschlossen, dir deine Karten fürs erste zu lassen?" "Jounouchi!" Jetzt wandte Yuugi seine Aufmerksamkeit wieder Jou zu. "Hör doch endlich auf damit, Kaiba zu beschuldigen! Er hat sein Gedächtnis verloren, er braucht unsere Hilfe!" "Aber muss er dann gleich bei dir wohnen bleiben?", erwiderte Jounouchi streitlustig. "Wo soll er denn sonst hin? Mokuba kommt erst nach Weihnachten zurück, soll Kaiba solange etwa ganz allein in seinem Haus leben? Wo er doch nicht einmal weiß, wo seine Schlüssel sind?" "Oh, bitte, der Typ hat genug Kohle, um sich zehn neue Häuser zu kaufen!" "Jou, was hast du nur?" Yuugi musterte ihn verwirrt. "Kaiba hat dir doch gar nichts getan! Er hilft uns sogar bei den Weihnachtsvorbereitungen..." "Ich weiß nicht, was du hast, Yug!" Jounouchi stemmte die Hände in die Seiten und bekam auf einmal unheimliche Ähnlichkeit mit Anzu. "Er soll uns nichts getan haben? Hallo, Erde an Yuugi! Es ist Seto Kaiba, über den wir hier sprechen! Er hat dir Steine in den Weg gelegt, seit wir ihn kennen! Er hat deinen Großvater entführen lassen! Und diesen arroganten, herzlosen, reichen Schnösel nimmst du einfach bei dir zuhause auf wie einen lang vermissten Bruder!?" "Du bist nicht fair, Jounouchi." Sein Gesichtsausdruck war ernst. "Du redest nur deswegen so schlecht von Kaiba, weil du Angst hast." "Angst? Wie, vor diesem Möchtegern-Champion? Wofür hältst du..." "Du hast Angst davor ihm zu vertrauen." Yuugi unterbrach nie jemanden. Allein die Tatsache, dass er es jetzt tat, zeigte, wie ernst ihm die Sache war. "Ich weiß, was du durchmachst, Jou. Aber vielleicht solltest du Kaiba einfach mal eine Chance geben." "Das... du... ich weiß gar nicht... es..." Jounouchi stammelte nie. Allein die Tatsache, dass er es jetzt tat, zeigte, wie Yuugi ihn mit seinen Worten traf. Yuugi lächelte. "Denk einfach mal ein bisschen darüber nach, Jou." Er ging an ihm vorbei zur Küche. Jounouchi stieß die Zähne zusammen und zwang sich zur Ruhe. Was wusste Yuugi schon über so etwas! Er hatte immer noch Probleme mit Anzu, obwohl sie sich seit Jahren kannten! Er warf einen verstohlenen Blick in das Zimmer mit dem Weihnachtsbaum. Seto war gerade damit beschäftigt, eine lange Girlande zu entwirren. Er trug seine eigene schwarze Hose und das ausgeliehene gleichfarbige T-Shirt von Honda. Braune Haarsträhnen verdeckten seinen Nacken. Sein Gesicht war verschlossen wie eh und je. Jou beobachtete die Bewegungen der kräftigen Finger. Bei jedem anderen hätten sie zu lang gewirkt, unausgewogen, ungeschickt. Aber bei Seto Kaiba fügten sich die unhandlichen Einzelteile nahtlos zu einem Gesamtbild zusammen. Ein Gesamtbild, das... Aufmerksamkeit erregte. Ja. Aufmerksamkeit war das richtige Wort. Als würde er Jounouchis Blick spüren, drehte sich Seto in diesem Moment um. Diese blauen Augen, die Jou so abgrundtief hasste, begegneten seinen eigenen und hielten sie fest. Jede Bewegung erstarb. Der Augenblick zog sich in die Länge, als keiner von beiden etwas sagte. Stille lag zwischen ihnen wie eine unüberbrückbare Kluft. Nur der Blickkontakt verband sie, ein glühender Faden in der Dunkelheit. Jounouchi konnte nicht sagen, wie viel Seto auf seinem Gesicht erkannte, aber für ihn selbst blieb es nach wie vor unmöglich, durch diesen undurchdringlichen eisigen Wall hinter seinen Augen zu schauen. Gedächtnisverlust hin oder her. Zwischen ihnen würde es immer das gleiche alte Spiel bleiben. Jou dachte an Yuugis Worte. Eine Chance... Der Faden glühte. Er unterdrückte ein Seufzen. Manchmal hatte Yug ja Recht... Er brach den Moment. Nicht indem er wieder ging, floh, sondern indem er mit einem langen Schritt den Raum betrat. Seto rührte sich immer noch nicht. "Na schön." Jounouchi umfasste die Lage mit einem festen Blick. "Damit das klar ist, die Lichterketten gehören mir!", verkündete er lautstark und forderte Seto mit seinem Blick heraus. Seto schätzte ihn ab. "Du kannst ja versuchen, mir zuvorzukommen." Seto nahm an. Jounouchi grinste. ++++ Ich fasse die Akte häppchenweise zusammen, damit es nicht allzu viel auf einmal wird. Die nächste Portion folgt bald! ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)