Guilty von WeißeWölfinLarka (Schuldig - Kann ich es je wieder gut machen?) ================================================================================ Kapitel 35: Kuhnapping à la кровавыа война ------------------------------------------ Wer es gesehen hat: Das vor ein paar Tagen hochgeladene Kapitel “Und alles ist aus…“ war natürlich ein Aprilscherz. Wenn auch etwas verspätet. Tut mir leid. Aber ich wollte mal wieder was hochladen und war mit diesem hier noch nicht fertig.^^°° Ich hoffe, die Länge dieses Kapitels entschädigt für den Schrecken, den ihr bekommen habt. Bitte nehmt es mir nicht übel. Oh, und lest euch bitte auch meinen Autorenkommentar am Ende durch. Dieses Kapitel enthält ob seiner Länge 3 Widmungen von 3 Szenen an 3 verschiedene Leute, findet raus, wer das ist :) Und auch sonst gibt es wieder wissenswerte Links zu Webseiten, für Nachfragen zu Details u. ä. Ansonsten: Have fun!! ^^ Skeptisch hob er eine Augenbraue in die Höhe. „Bist du betrunken?“ Doch die Stille in der Leitung sagte ihm, dass der andere bereits aufgelegt hatte. Tala kam sich schon ein wenig verarscht vor. Liebling?! Schatz?!!! Wollte er ihn ärgern? Aber er nahm es erstmal einfach so hin, wie Kai ihn nannte und schob sein Handy in die Hosentasche. Zwei Stunden später stieg er aus dem Zug. Kyoto Station war unglaublich groß. Dass Kai es immer wieder schaffte, ihn sofort zu finden, war erstaunlich. Aber vielleicht stach er auch einfach aufgrund seiner Größe, seiner Statur und seines feuerroten Haares aus der Menge heraus. Tala drehte sich um. Dort leuchtete der riesige Kyoto Tower in den Nachthimmel hinein. Das sah wirklich imposant aus. Eine Weile starrte er dieses Gebäude an. Auf eine angenehme Art erfüllte es ihn mit entspannter Gelassenheit, dass er nun hier in Japan war. Er musste zugeben, anfangs hatte er es für eine diffuse Idee gehalten, doch da Kai darauf bestanden und er sich dem Wunsch seines Freundes schließlich gebeugt und sich sofort auf den Weg gemacht hatte, gefiel ihm der Gedanke immer mehr. Endlich wieder an einem Turnier teilnehmen. Endlich wieder bladen! Natürlich, in Kroatien hatte er auch am Training teilgenommen. Aber seine alte Form hatte er noch nicht wieder gefunden. Tala verfluchte sich im Stillen, als er feststellen musste, dass das Training in der Abtei ihm wirklich etwas gebracht hatte. „Willst du da Wurzeln schlagen?“ Tala drehte sich um. „Komm endlich!“ Kai nahm ihm grinsend den Koffer ab. „Wir werden das Kind schon schaukeln. Ich bin so froh, dass du mitmachst!“ „Und ich erst“, lachte Tala leise und folgte seinem Freund zum Taxi. Der Fahrer war so freundlich und half ihnen beim Verstauen des Gepäcks. Kai drückte Tala einen nun bereits vertrauten Schlüssel in die Hand. „Es ist alles für deine Ankunft vorbereitet. Ich hab sogar den Kühlschrank aufgefüllt!“ „Das klingt vielleicht… Solange du den Wodka nicht vergessen hast, ist alles in Ordnung.“ Der Rothaarige grinste breit und schnallte sich an. „Du weißt, dass du noch minderjährig bist?“ „Hat mich mein Alter je daran gehindert, etwas Verbotenes zu tun?“ Das verschmitzte Grinsen wurde noch eine Spur breiter. Den Rest der Fahrt schwiegen sich beide an. Nicht, weil sie nichts zu sagen hatten. Sie brauchten sich ganz einfach nichts zu sagen. Kai ließ den Taxifahrer zwei Straßen vor seinem Elternhaus halten. Sie stiegen aus und liefen den restlichen Weg dorthin. „Nachdem wir das Turnier gewonnen haben, können wir uns entspannen. Das Rind besorgen wir kurz vorher.“ Tala musste daraufhin lachen. „Du glaubst also, du hast die Mannschaften, die dort antreten werden, so gut wie in der Tasche?“ Kai sah ihn erschüttert an. „Nicht nur ‚so gut wie’, sondern es steht definitiv fest, dass wir nicht verlieren.“ „Wer sagt dir das?“ „Ich sag das. Aber erzähl das nicht meinem Team. Tyson kriegt sonst einen Höhenflug, der sich negativ auf seine Motivation auswirken würde.“ Kai schob nachdenklich seine Hände in die Hosentaschen und fügte hinzu: „Außerdem: Was soll schon geschehen? Mit dir an meiner Seite… Es gibt keinen Gegner, der es mit uns beiden aufnehmen kann. Es soll, so wie ich Mr. Dickenson verstanden habe, zum Teil auch Kämpfe geben, die als Zweierteam ausgeführt werden. Ich werde beim Training selektieren, wer von den Jungs zusammenpasst. Aber es sollte dir ja wohl klar sein, dass du und ich ein Paar sind.“ Tala nickte grinsend. Er legte einen Arm um Kais Taille und zog ihn an sich. „Sicher doch, малыш…“ Und um seinem Handeln die Krönung aufzusetzen, drückte er Kai in frisch verliebter Manier einen Kuss auf die Schläfe. Kai erstarrte augenblicklich zur Salzsäule und blieb wie festgefroren stehen. Tala ging ungeniert weiter. Erst als ungefähr 10 Meter sie voneinander trennten, drehte er sich zu Kai um. „Was ist los? … Fühlst du dich überrumpelt?“ Der Rothaarige lachte laut. „Da ‚du und ich ein Paar sind’“, zitierte er Kai wörtlich, „dachte ich, das sei angemessen!“ „Du Volldepp! So meinte ich das nicht. Und das weißt du genau!“, schimpfte Kai mit kräftiger Stimme los und stapfte hinter Tala her, der bereits den Weg des Vorgartens hinter sich gebracht hatte. Als Kai ihn endlich eingeholt hatte, gluckste Tala noch immer leicht und hatte Mühe, die Haustür aufzuschließen. „Hör endlich auf!“, murrte Kai und stieß ihm in die Seite. „Lass uns jetzt einfach planen, wie wir das Rind bekommen. Ich übernachte heute hier.“ In Reih und Glied hatten sich die Bladebreakers im Garten vor ihrem Teamleader versammelt. Dieser schritt ihre Reihe entlang. Vor ihnen kreisten ihre Blades. Kai musterte jeden von ihnen sehr genau. „Jetzt.“ Ein ganz ruhiger Befehl. Irritiert sahen die fünf Jungen auf. Sie verstanden nicht. Aber der Befehl ging auch nicht an sie. Tala startete seinen Blade und griff alle von der Seite an. Da Tyson, Max, Kenny und Ray sich von Kais irreführendem Befehl hatten verunsichern lassen, kamen ihre Blades ins Straucheln. Kai schalt seine Teamkameraden: „Konzentriert euch. Werdet eins mit eurem Blade, mit eurem Bitbeast. Nehmt das Turnier ernst! Es sind viele viel versprechende Jungblader dabei, die es dem Altmeister zeigen wollen. Es wird nicht leicht. Lasst euch nicht durch das verunsichern, was um euch herum passiert. Es zählt nur euer Kampf, alles andere ist nebensächlich.“ „Und trotzdem kam Tala von der Seite!!! Das kam von außen! Und auf alles Äußere sollen wir doch nicht achten!“, verteidigte Tyson sich in gewohnter Lautstärke. Kai rieb sich die Schläfen. Noch fünf Wochen bis zum Turnier und sein Team war seiner Meinung nach nicht mal ansatzweise bereit für das, was sie erwarten würde. Zumindest ließ er sie das jedes Mal aufs Neue deutlich spüren. „Stärke kommt von innen, Tyson. Du musst es dahin bringen, dass du in einem Kampf sowohl voll auf deinen Gegner fokussiert bist als auch, dass du mitkriegst, wenn du in einen Falle gelockt wirst.“ Talas Worte überraschten die Gruppe. Kai sah dankbar zu seinem besten Freund, als dieser sich neben ihn stellte, eine Hand tröstend auf seine Schulter legte und mit der anderen Wolborg auffing. Der Rothaarige fügte hinzu: „Kai hat gesagt, dass einige Kämpfe zwei gegen zwei ausgetragen werden. Es kann gut sein, dass eure Gegner versuchen, euch gegeneinander aufzubringen oder euch zu verwirren. Ihr müsst in der Lage sein, das zu durchschauen.“ „Das ist aber leichter gesagt, als getan“, gab Ray zu bedenken und seufzte schwer. Der Chinese bückte sich und hob Drigger auf, um ihn erneut in den Starter zu stecken und abzuziehen. „Die einzige Möglichkeit, ein Bit Beast zu sehen, ist, an ihre Existenz zu glauben. Und so müsst ihr auch an eure Stärke glauben! Ihr macht jetzt Einzeltraining. Jeder sucht sich eine Ecke des Gartens und übt dabei, sich voll auf sein Bitbeast einzulassen“, ordnete Kai an. Er selbst nickte Tala zu, mit ins Haus zu kommen, um sich eine Strategie zur Verbesserung des Trainings zu überlegen. Der zunächst lockere Dialog der beiden Freunde entwickelte sich im Verlauf des Gesprächs immer mehr zu einer hitzigen Diskussion. „Нет! Я не буду применять этот метод, Юра! Если мы сделаем это, мы не лучше, чем-“ „что мы должны делать это именно так, das sage ich ja gar nicht. Это только в этом: Из-за обучениемы были so gut! Selbst du не можешь отрицать это!“ „Wir können ihnen aber nicht das Abteitraining zumuten!“ Erregt standen die beiden sich wie Kontrahenten gegenüber. Die Stimmung war drückend. In dem Moment kam Max ins Wohnzimmer und ächzte: „Boah is das warm hier, kaum auszuhalten… Und so stickig... Und was macht ihr beiden eigentlich hier?“ Kai rollte genervt mit den Augen und erwiderte in einem von Ironie getränkten, leichten Singsang: „Lass es mich mit den Worten aus einem Film sagen: Uhh~, es ist so heiß hier drin, das liegt wohl daran, dass Yakuza in der Nähe sind!“ Tala starrte ihn an: „Du hast „Girls United“ gesehen?“ „... Du ja anscheinend auch!“ Beide grinsten einander an, während Max nur ratlos von einem zum anderen blickte. „Dass du auch mal Filmzitate bringst – Kai, das rührt mich zu Tränen!“, schluchzte Tala gespielt und packte sich ergriffen an die Brust. Kai boxte ihm gegen die Schulter. Er nahm einen dicken Filzschreiber und blätterte ihr Flipchart um, das sie eigens für das Turnier gekauft hatten. Es war Kennys Idee gewesen, die Strategien so festzuhalten. Typisch für einen Analytiker wie ihn. „Na gut. Dann schieß mal los, wie du dir das gedacht hast!“, meinte der Silberhaarige und nickte in Talas Richtung, um sich die Übungen zu notieren. Dabei schrieb er die Namen und die Veränderungen in Kyrillisch, zum einen, weil es ihm schneller von der Hand ging und zum anderen, damit seine Kameraden nicht wussten, woher sie ihre Ideen bezogen. Das war besser für sie. Zufrieden starrte Kai auf das Flipchart mit den verschiedenen Übungen und Strategien, die Tala und er sich in den letzten Tagen ausgedacht hatten. Zeit, die Samthandschuhe auszuziehen. Ein bisschen Drill konnte nicht schaden, wie Tala meinte, und überhaupt glaubte Kai, viel zu weich im Umgang mit seinen Teamkollegen geworden zu sein. Back to the roots hieß die Devise, wenn sie nun wirklich das Turnier für sich bestreiten wollten. Doch es gab auch noch ein Leben neben dem Training, und auch das forderte seine Aufmerksamkeit. So wie heute. „Guten Morgen, Lin! Aufstehen!“, rief Kai gutgelaunt und schüttelte leicht an der Schulter des Mädchens, um sie aufzuwecken. Er war am gestrigen Abend bei ihr eingeschlafen, weil sie einen Albtraum gehabt hatte. Lin aber zog die Decke über den Kopf und murrte. Da stand Kai auf und zog die Jalousien hoch. „Aufstehen, Lin!“ „Net! Ja ne hotschu...“ „Da, ti hotsches!“ Sie konnte russisch, genau wie er. Seit sie in der ersten Nacht seinen Gute-Nacht-Gruß erwidert hatte, wusste er es bereits. Kai hatte begonnen, Nachforschungen über die Kleine anzustellen. Wo sie herkam, wie sie bei diesem schrecklichen Mann gelandet war und warum sie keine Eltern hatte, die auf sie aufpassten. Doch sie waren noch nicht beendet. Das Einzige, was er wusste, war, dass ihr seine Muttersprache in die Wiege gelegt worden. „Angelotchok, so kenn ich dich ja gar nicht! Warum willst du denn nicht aufstehen?“ Kai setzte sich auf die Bettkante. Lins Verhalten wunderte ihn, denn sie ging eigentlich immer sehr gern zur Schule. Er hatte sie sogar bei einer AG in der Schule angemeldet, in der sie Russisch lernen konnte und sie hatte ihm nicht widersprochen, stattdessen die Idee mit Freuden angenommen, denn es klang so ‚vertraut’, wie sie ihm erzählte. Zärtlich strich Kai über ihr Haar. Das Mädchen seufzte und murmelte leise: „Da sind so doofe Jungs immer... die stehen in der Pause auf dem Schulhof und gucken so böse. Die machen mir Angst.“ Kai schlug die Decke zurück und zog sie aus dem Bett. „Solange sie nur da stehen, tun sie dir doch nichts, oder? Ignoriere sie einfach.“ „Was heißt das?“ „Ignorieren? Dass du so tust, als wären die nicht da.“ Der Junge ging zur Tür. „Zieh dich an, wasch dich und kämm dir die Haare. Ich bring dich gleich zur Schule.“ Fröhlich pfeifend lief er die Treppe hinunter in die Küche, schnappte sich zwei Toasts, die gerade eben aus dem Toaster sprangen, und schmierte sie für Lin zum Frühstück. Die Schulbrote, die er bereits gestern Abend vorbereitet hatte, steckte er ihr mit einer Brotdose in den Rucksack. Kai hatte sich, zumindest was sein Sozialverhalten und sein Wesen zu Lin betraf, sichtlich verändert. Sein Leben schien einen neuen Sinn bekommen zu haben und endlich in geordneten Bahnen zu verlaufen. Dennoch, das rief er sich immer wieder ins Gedächtnis, seit er mit Tala den Trainingsplan erstellt hatte, durfte er nicht so weich werden, dass die Leistung des Teams darunter litt. Als sein kleiner Engel, immer noch verschlafen, die Küche betrat, gab er ihr eine dampfende Tasse Milch und goss Tee für die anderen in deren Tassen. Kurz darauf trudelte auch schon der Rest des Teams zerknittert und müde ein. Kai richtete gerade den Rock und den Kragen von Lins Schuluniform. „So Leute, ich fahr früher, muss noch eben an der Grundschule vorbei. Bis später!“ Etwas verwirrt starrten sie dem Wirbelwind hinterher, der doch eigentlich ihr mürrischer Teamleader war. Aber die Bladebreakers waren zu zerschlagen vom Training, als dass sie sich näher mit der heutigen Situation auseinandersetzen konnten. Kai verschwand mit Lin in der Garage und setzte das ebenfalls noch immer müde Mädchen auf die Stange seines Fahrrades. Dann fuhren sie los. Die Jungen, von denen Lin erzählt hatte, standen gleich zu Anfang des Schulhofes und musterten die einzelnen Schüler sehr genau. Kai, der das bemerkte, nahm die Hand seiner kleinen Schwester, wie er sie liebevoll nannte, und geleitete sie zum Eingang. Dort verabschiedete er sich von ihr: „Also, pass auf dich auf. Und denk dran, die Jungs da kochen auch nur mit Wasser. Und jetzt rein mit dir!“ Lächelnd gab er ihr einen leichten Schubs und Lin winkte ihm noch nach, als er sich auf sein Fahrrad schwang und seinen Schulweg antrat. Kai zuckte zusammen. In seiner Hosentasche vibrierte etwas – sein Handy! „Entschuldigen Sie, darf ich austreten?“, fragte er seinen Mathelehrer höflich. „Wie? Oh, ja, ja, gehen Sie nur, bevor noch ein Unglück geschieht!“ Seine Mitschüler lachten, während Kai den Klassenraum verließ. Draußen auf dem Flur holte er sein Handy hervor und antwortete auf den Anruf einer unbekannten Nummer. „Hallo?“ „~“Guten Tag. Mein Name ist Koji Naara. Spreche ich mit Kai Hiwatari?“ „Ja, der bin ich.“ „~“Nun, könnte ich Sie zu einem Gespräch einladen?“~“ „Von mir aus. Wann denn? Und wer sind Sie überhaupt?“ „~“... Am besten sofort. Ich bin Schulleiter an der Sakura Elementary School. Es geht um Ihre Schwester.“~“ Sofort machte Kai sich auf den Weg, scherte sich nicht mehr darum, sich vom Unterricht abzumelden. Er wusste nicht, worum es ging, aber wenn er als Ansprechpartner angerufen wurde, konnte es sich nur um etwas sehr Wichtiges Handeln. Sonst wurden doch Erziehungsberechtigte nicht benachrichtig, oder? Im Handumdrehen war er an der Grundschule angekommen. Im Direktionsbüro warteten bereits Lin und der Rektor. „Oh mein Gott! Solnyschka! Was ist passiert?! Wer war das?!“ Der Schulleiter erhob sich. „Also, Sie sind Herr Hiwatari? Nun, ich werde es Ihnen erklären: Sie hat sich geprügelt.“ „Geprügelt?!“, wiederholte Kai ungläubig. Er stand zwischen dem Direktor und Lin und sah leicht zweifelnd abwechselnd von einem zum anderen. „Jawohl. Und sie ist sich keiner Schuld bewusst! Sie hat sich grundlos mit ein paar Jungen des vierten Jahrgangs auf dem Boden gewälzt, wie mir diese mitteilten. Nur mit Mühe konnten die Aufsicht führenden Lehrkräfte die Kinder voneinander trennen“, erklärte der Rektor weiterhin. Lin zog eine trotzige Mine. Ihr Haar war zerzaust, der sonst so ordentlich geflochtene Zopf fiel langsam auseinander, die Strähnen hingen wild durcheinander. Sie hatte ein aufgeschlagenes Knie, eine kleine Schürfwunde am Ellbogen und Dreck im Gesicht und an den Armen. „Was?“ „Gar nicht wahr!“ Schmollend sah die Kleine ihren Bruder an. „Das waren nämlich die Jungs von heute morgen! Die haben Erias Apfel weggeworfen, ihr das Frühstücksgeld weggenommen und sie herumgeschubst!“ Kai musterte sie prüfend: „Und dann?“ „Eria ist ins Gras gefallen und hat geweint. Und dann hab ich mit den Jungs geschimpft. Die haben aber dann gesagt, ich bin eine doofe Kuh. Und ich soll den Mund halten und ihnen auch mein Geld geben.“ Sie atmete noch heftig, Kai sah ihr an, dass sie wütend war. „Und was hast du gemacht?“ „Ich hab sie geschubst und gesagt, sie können...“ Lin errötete. Der Sechzehnjährige beugte sich zu ihr hinunter, hockte sich vor ihr nieder und nahm ihre kleinen Hände in seine. „Ja?“ „... ‚Ihr könnt euch ins Knie ficken!’, hab ich gesagt!“ Sie schämte sich sehr dafür. Kai war überrascht und erschrocken zugleich. Aber Lin sprach hastig weiter: „Na ja, und dann... dann haben die sich auf mich geworfen und wollten mich verhauen!“ Sie machte eine Pause. „Aber ich hab mich gut gewehrt!“, erklärte sie schließlich mit einer Spur von Stolz in der Stimme. Kai verbarg sein Gesicht hinter seinem Arm und seinem Knie, seine Schultern bebten vor unterdrücktem Lachen. Er räusperte sich, um sich wieder einigermaßen zu beruhigen. Dann hob er den Blick und sah sie ernst an. „Lin“, begann er, „ich möchte nicht, dass du so etwas noch mal sagst. Versprichst du mir das?“ Seine Schwester nickte. „Sehr schön. Und am besten gehst du jetzt in die Klasse der Jungs und entschuldigst dich!“, schlug der Direktor vor. „Nein. Die Jungen entschuldigen sich bei ihr und Eria!“ Kai stand auf. „Eine einseitige Erklärung ist nun wirklich nicht urteilsfähig, oder? Sie haben sich nur die Geschichte der Jungen angehört. Ich weiß, es steht Aussage gegen Aussage, aber ich schlage vor, wir setzen uns alle noch einmal gemeinsam zusammen und unterhalten uns über diese Geschichte. Und Lin?“ Das Mädchen wusste, was er von ihr erwartete. „Herr Direktor, es tut mir Leid, dass ich Ihnen so viel Ärger gemacht habe, aber es war so ungerecht! Und ich wollte nicht, dass Eria wegen denen traurig ist.“ Kai lächelte und streichelte über ihr Haar. „Wie Sie sehen, bereut sie ihre Tat ja auch. Lassen Sie uns einen Termin ausmachen, am besten auch mit den Eltern der anderen Kinder, auch Erias. Wäre Ihnen heute Abend recht?“, fragte Kai diplomatisch. Der Rektor bejahte: „Nun gut. Dann werden wir es so handhaben. Auf Wiedersehen. Bis heute Abend dann, um 19.30 Uhr im Klassenraum 2-A.“ Zusammen verließ das Geschwisterpaar nach diesem Gespräch die Schule. Im Sekretariat hatten sie ein Heftpflaster für Lins Knie erstanden und mit einem Taschentuch und viel Wasser den Dreck aus ihrem Gesicht und von ihren Händen entfernt. Außerdem hatte Kai ihren Zopf ganz gelöst und mit den Fingern versucht, die Knoten zu lösen, so dass sie jetzt weniger zerzaust aussah. „Du musst wohl oder übel erst mal nach Hause, so wie du aussiehst... Aber ich hab mich nicht abgemeldet… Was ist, willst du mit in meine Schule?“ Kai zwinkerte ihr zu. „Oh ja, bitte! Darf ich mit?“ „Hm, aber nur unter einer Bedingung: Sag mir mal, woher du diese Wörter kennst. Wer hat dir die denn beigebracht?“ Lin druckste etwas herum, bevor sie mit der Sprache rausrückte. „Also?“ „Na jaaa.... Du warst das.“ „Was, ich?!“ „Ähm... ja. Du sagst das ziemlich oft, so am Telefon oder so... oder zu Tyson...“ „Oh...“ Jetzt musste Kai sich etwas einfallen lassen, aus dieser Pattsituation einigermaßen erfolgreich herauszukommen, um seinen Vorbildstatus nicht zu verlieren. „Ja gut, ich darf das aber sagen, und du nicht. Wenn du so alt bist wie ich, dann darfst du das vielleicht auch sagen. Aber Mädchen sollten nicht so böse fluchen.“ Kai nahm sie mit in seine Klasse und erklärte ihr Auftauchen mit gewissen Problemen in der Grundschule. Lin verhielt sich tadellos. Und weil das alles so überaus einwandfrei klappte, entstand in Kai immer mehr der optimistische Glaube daran, dass er bald wieder soweit war, ein geregeltes Doppelleben in Routine leben zu können. Und das veranlasste ihn, in freudiger Erwartung ihres neuesten Coups zu schwelgen. „Kai? Komm mal, es ist Post für dich gekommen!“, brüllte Max durch das gesamte Haus, weil er nicht wusste, wo sich ihr Teamleader aufhielt. Es dauerte nicht lange und der Gerufene erschien an der Tür. Vor ihm stand der Briefträger, schwer atmend, denn er hatte die Lieferung, die Kai bestellt hatte, bereits aus dem Postauto gehievt. Kai unterschrieb den Erhalt seiner drei Pakete und eilte hinaus, um sie ins Haus zu tragen. Der Postbote staunte nicht schlecht, mit welcher Leichtigkeit es dem Jungen gelang, die Kisten hochzuheben. Er selbst wischte sich noch immer den Schweiß von der Stirn. „Max, ruf die anderen in den Garten. Und dann ruf Tala an, er soll auch herkommen.“ Kai rieb sich die Hände. Wunderbar, dass seine Bestellung schon heute angekommen war! Als er alle Kartons nach hinten gebracht und auf dem Terrassentisch abgestellt hatte, ratschte er schnell mit einem Messer die Kartons auf und zeigte seinem Team, was sich darin verbarg. Er holte eine Weste hervor, die aussahen wie Munitionswesten aus dem US-amerikanischen Fernsehen. „Was ist das?!“, fragte Tyson neugierig, aber auch leicht skeptisch. Kai antwortete ihm bereitwillig: „Das sind Gewichtswesten. Die werden wir beim Training tragen, damit können wir unsere Kraft und Ausdauer verbessern. Wir haben noch genau viereinhalb Wochen bis zum Turnier. Die Gewichte werden wir stetig steigern. Fürs Erste fangt ihr mit den Gewichtsmanschetten an den Handgelenken an. Später schnallt ihr euch die an die Füße. Ach, und wenn ihr mit dem Einlaufen fertig seid, dann nehmt die Hanteln.“ „Wo kriegt man so was überhaupt her?!“, fragte Ray ungläubig und stöberte in den anderen Kartons, die gefüllt waren mit weiteren Fitness- und insbesondere Kraftgeräten. „Ich hab mal ein wenig eingekauft. Die BBA ist mir da sehr entgegengekommen!“, grinste Kai. Natürlich hatte er auch einige seiner eigenen Beziehungen spielen lassen, um noch andere, sehr spezielle Trainingsgeräte zu ergattern. Kai reichte Tala, der mittlerweile eingetrudelt war, eine der Westen und zog sie sich selbst mit Leichtigkeit an. Die Jungen staunten darüber nicht schlecht, denn als Tyson übermütig eine aufheben wollte, da es bei Kai so leicht ausgesehen hatte, musste er mit Verdruss feststellen, dass sie schwerer war als er gedacht hatte. „Das müsst ihr euch so vorstellen wie bei der Armee. Da tragen sie auch die volle Ausrüstung und laufen damit ihren 30km Marsch“, meinte Kai und half Tyson beim Anziehen der Weste. „Willst du aus uns etwa Soldaten machen?!“, rief Tyson entsetzt. Synchron huschte sowohl bei Kai als auch bei Tala ein Schatten über das Gesicht. Kai gab darauf keine Antwort außer: „Es wird euch nicht schaden. Los geht’s.“ Den Bladebreakers wurde keine Gnade zuteil. Kai schlüpfte in seine alte Rolle des unnachgiebigen Paradefeldwebels hinein, die ihm so vertraut war wie ein alter, bequemer Schuh. Dennoch dachte er rational und baute die Kondition und Kraft seiner Kameraden nachhaltig auf. Die Gewichtswesten bedeuteten eine zusätzliche Belastung beim Laufen und allen übrigen Übungen. Kai duldete nicht, dass sein Team sich, sofern er es nicht ausdrücklich anordnete, während des Trainings der Westen entledigte. Diese waren ausgerüstet mit vier Gewichtstaschen, in die vier Granulatsäckchen a zweieinhalb Kilogramm verteilt werden konnte. Das hieß, jede Weste wog, vollständig beladen, zehneinhalb Kilogramm, was die Jungen mit sich herumschleppen mussten. Kai hatte vor, das Gewicht in den nächsten Wochen auf zwanzig Kilogramm zu erhöhen. Das konnte er seinen Kameraden guten Gewissens zumuten. Er selbst und Tala fingen bereits mit diesem hohen Gewicht an. Sie beide wollten bis auf 35kg erhöhen. Dazu trug Kai beim Training und sowieso immer schon seinen weißen Schal, der aus einem bestimmten Material bestand, in das Gewichte eingewebt waren, so dass er zwei Kilo mehr als alle anderen mit sich herumtrug. Der Silberhaarige rief sein Team nach dem Warmlaufen noch einmal zusammen. Er verteilte an jeden jeweils ein Paar Hand- und Fußgelenkgewichte. Diese waren variabel verstellbar. So konnte Kai individuell je nach Fortschritt entscheiden, wie viele kleine Gewichtseinheiten einzutragen waren. Bis zu 1,4 Kilogramm pro Seite war möglich. „Die Fußgewichte tragt ihr beim Laufen. Ja, Max, zusammen mit der Weste. Für den Anfang tragt ihr die Westen nicht, wenn ihr Übungen mit euren Blades macht. Dafür werdet ihr euch die Handgelenkgewichte umschnallen. Ich werde euch so lange damit triezen, bis ihr die Gewichte gar nicht mehr spürt.“ „Warum willst du uns so quälen?“, keuchte Tyson, der sich auf die Knie fallen ließ. So viel zusätzliches Gewicht belastete ihn doch. „Tyson, willst du gewinnen oder nicht? Um der Beste zu werden, muss man die Besten schlagen!! Deine Gegner sind heiß darauf, uns wegzufegen. Aber das lassen wir uns nicht gefallen! Denn wir werden gewinnen! Hat jemand irgendwas dagegen einzuwenden?!“ Niemand widersprach dem Teamleader. Dieser wiederum nickte auf die stumme Zustimmung hin und befahl dann, Liegestütze zu machen. Schon wollte Tyson wenigstens einwenden, dass Kai doch auch mal mitmachen solle, als dieser sich die Fuß- und Handgelenkgewichte bereits umschnallte und sich zu seiner Mannschaft begab, um die Liegestütze vorzumachen. Tala tat es ihm gleich und gesellte sich an seine Seite. „Wer die normale nicht kann, macht Mädchenliegestütz!“, sagte Kai, während er selbst die militärische Form ausführte. Nach dem gesamten Aufwärmprogramm folgten Übungen mit dem Starter. Kai wollte, dass sie schnell wurden. Es war ihm egal, wie langweilig die Trockenübungen waren. Er wollte Fortschritte sehen. Täglich hatten sie nur wenige Stunden zur Verfügung, was der Schule zuzuschreiben war. Aber diese wenige Zeit wollte er voll ausnutzen. Und es war ihm auch egal, wenn sie dafür noch bis in die Nacht hinein in der Dunkelheit trainieren müssten. Kai würde sein Team sehr gut vorbereiten. Mehr noch als das. Aber durchaus waren Pausen gestattet. Ob es nur Gejammer war oder ob sie ernstlich verschnaufen mussten, konnte Kai sehr genau unterscheiden. Und so unterbrach er das erste intensive Training nach guten zwei Stunden. Sofort entledigten sich Max und Tyson der Gewichtsbandagen. Kenny sah aus, als bräuchte er ein Sauerstoffzelt. Wie in Kroatien machte er auch jetzt beim Training mit, da er ein vollwertiges Mitglied des Teams war, wie er stets zu sagen pflegte, wenn jemand ihn fragte, warum auch er sich dieser Tortur unterzog. „Chef, ich brauch dich nachher mal bei den Aufzeichnungen.“ Auf diese Weise konnte Kai Kenny etwas schonen, der nun wirklich kaum Kondition hatte – definitiv aber welche aufbauen würde – ohne ihn zu kränken. „Sag mal, Kai“, keuchte Ray, der sich mit dem Rücken an den Stapel Holzscheite lehnte und kraftlos die Bandagen von seinen Handgelenken löste, „woher hast du das alles? Das war doch sicher teuer. Womit hast du das bezahlt?“ „Ach, das ging schon… Im Dutzend ist ja eh alles billiger. Ich hab dafür nur 34.000 Yen bezahlen müssen. Und die BBA beteiligt sich sogar daran.“* Währenddessen hatte Tala sich auf den Weg gemacht und erfrischende Getränke für alle aus der Küche geholt. Er verteilte kalte Coladosen an alle. Als er Tyson eine reichte, sah dieser ihn an. Es zischte, als der Japaner die Dose öffnete. „Weißt du noch…“, begann er plötzlich an Tala gewandt, „was du mir bei unserem ersten Match während der ersten Weltmeisterschaft gesagt hast?“ Tala musste nicht lange überlegen. Er sah hinaus auf die Nachbargrundstücke und ließ sich dann neben Tyson nieder. „Wir sind in einer anderen Dimension. … Als unsere Bitbeasts kollidiert sind, haben wir das Raum-Zeit-Kontinuum durchbrochen und sind hier gelandet, um unser Match zu beenden!“** Überrascht, dass der Rothaarige es noch wortwörtlich wusste, starrte Tyson ihn an. Kai mischte sich nun auch in das Gespräch ein, er war neugierig. „Sag mal… Hast du das eigentlich nur gesagt, um Tyson zu verängstigen?“ Tala sah seinen besten Freund an. Kein Lächeln war in seinen Zügen zu erkennen, als er antwortete, nicht einmal ansatzweise. „Hm… vielleicht. Du weißt doch, da stand ich noch in gewisser Weise unter der Fuchtel von Boris. Aber… jetzt, da ich mir das so überlege… Was war das doch für ein Schwachsinn.“ Kai nickte. Die Risikobereitschaft Talas damals rechnete er ihm hoch an. Auch während der damaligen WM hatten sie bereits gegen die Abtei gearbeitet. Sie hatten schon so viele Hürden gemeinsam bezwungen… Kai stand auf. „Austrinken, weitermachen!“ Mit neuem Elan scheuchte er seine Jungs auf. Zwei Übungen wollte er noch durchziehen, dann war für heute Schluss. Am Ende schlurften Ray, Max und Tyson ausgelaugt zur Terrasse. Kenny händigte ihnen je einen kleinen Koffer aus, in dem sie die Utensilien für das Training unterbringen konnten. „Ach, dafür hast du das Geld gebraucht!“ Ein erstaunter, jedoch zufrieden wirkender Mr. Dickenson betrat den Garten durch die kleine Seitenpforte. Ihm blickten nur erschöpfte Bladebreakers entgegen. Der Sponsor dachte bei diesem Anblick für sich, dass Kai seiner Verantwortung und seinen Pflichten mehr als gerecht wurde. Hoffentlich schonte er seine Kameraden aber noch genug, dass sie bei dem Turnier nicht zusammenklappten. Der Sponsor des Teams bemerkte jedoch die subtile Fürsorge unter Kais strengem Blick und harschen Befehlen. Der junge Russe kümmerte sich. Auf seine ganz eigene Weise, die nicht jedem offenbar wurde. Nur wer genau hinsah, erkannte das Gedankenkonstrukt hinter den rauen Anweisungen. Und Stanley Dickenson wähnte sich glücklich, dass er dieses erkennen konnte. Es war der perfekte Trainingsplan. Nicht nur, dass er sie voranbrachte, nein, viel besser noch: Abends fielen Ray, Kenny, Max und Tyson todmüde ins Bett. Sie waren zu ausgelaugt, um Fragen zu stellen. Das war die beste Zeit, um sich um die Verwirklichung des Rinderraubes zu kümmern. Gemütlich saßen die beiden Freunde auf dem Sofa im Wohnzimmer von Kais Elternhaus. Um sie herum lagen Vergrößerungen von Karten, Fotografien von Kühen und diverse leere Chipstüten verteilt. Talas Laptop brummte leise geschäftig auf dem Tisch. „Das ist ja ein Witz, von der Entfernung her!“, freute sich der Rothaarige, nachdem er sich die Route im Internet hatte ausrechnen lassen, und stopfte sich eine Handvoll Zwiebelringe in den Mund. „Nur 78km, die sind in gut 90 Minuten zu schaffen. Fehlt nur noch ein Transporter und wir können loslegen!“, knurpste er zwischen dem Kauen und wischte sich die Hand an seiner Jeans ab, um eine weitere Suchanfrage einzutippen. „Wie wäre es mit einem Nissan Serena, das ist zwar eher so eine Art Van, aber-“ „Tala, du kannst ne stinkende Kuh, die vielleicht bei deinen Fahrkünsten noch vor Angst nen Fladen fallen lässt, nicht in einen Van sperren, ganz abgesehen davon, wie schwierig es ist, sie da überhaupt ohne Laderampe hochzukriegen!“, wehrte Kai sofort ab. Brummend suchte der Rothaarige also weiter nach Preisvergleichen für die Vermietung von Viehtransportern. Kai dagegen kontrollierte mit seinem reparierten Laptop auf seinem Schoß seine Emails. „Tala?“ Der Angesprochene reagierte mit einem halbherzigen Nicken in Kais Richtung, da er immer noch damit beschäftigt war, vor allem günstige Angebote zu sichten. „Er will zwei.“ „Zwei was?“ „Ne Kuh und nen Zuchtbullen. Einen echten Bullen!“ Jetzt erst sah Tala auf. „Was will der Kunde damit?“ Kai zuckte hilflos mit den Schultern. Noch einmal las er die Email durch. Ihnen wurde der doppelte Lohn versprochen. Geld konnten sie ja immer gebrauchen, um Informanten zu bezahlen zum Beispiel. Tala kroch währenddessen zu Kai auf das Sofa und beugte sich über seine Schulter zum Bildschirm des Laptops hinunter, um mitzulesen. „Ich frage noch mal: Was will der mit einem Bullen? Wenn der eine Zucht aufbauen will, ist das doch sinnlos, da könnte er auch ganz normale Wagyu-Rinder halten. Ich hab gelesen, dass nur die Kühe, die auch wirklich in Kobe aufwachsen, dieses Zertifikat bekommen und so genannt werden können, um dann für an die 70.000 Yen das Kilo verkauft werden zu können…“ Kai stöhnte genervt, drückte Tala den Laptop in die Hand und ließ sich in die weichen Polster der Couch fallen. In einem plötzlichen Anfall wetterte er: „Warum muss es überhaupt ein Kobe-Rind sein? Warum muss es exportiert werden? Und warum müssen wir uns um so einen Scheiß kümmern?! Nur wegen dieser Mythen um dieses dusslige, überteuerte und vermutlich gar nicht so delikate Fleisch, weil irgendwelche reichen Hobelschlunzen sich mit ihren Fettärschen noch mehr Fett anfressen wollen durch dieses ach so köstliche Gourmet-Fleisch!!“ Nach dieser Schimpftirade schnaufte der Silberhaarige angestrengt und rang nach Atem. Sie brauchten ein Zertifikat für die Echtheit des Rindes. Unbedingt. Letztlich war ihnen beiden ja auch egal, was ihre Kunden mit der verlangten Ware machen wollten, aber in diesem Fall, nach allem, was sie über die Rinderhaltung und die Rassenzuordnungen gelesen hatten, hielten sie diesen Auftrag für mehr als überflüssig. „Kai, darf ich dich an Omas aggressives Schaf erinnern? Nem Zuchtbullen nähere ich mich sicher nicht ohne entsprechende Sicherheitsmaßnahmen!“ Um ein handfestes Hintergrundwissen hatten die beiden Freunde sich schon am Tag von Talas Ankunft gekümmert, sich ausgiebig mit der Thematik rund um diese kostbare Rinderzucht beschäftigt. Die Ausfuhr war deshalb so unmöglich, weil es, was besonders Tala bezweifelte, angeblich in ganz Japan keinen Schlachthof mit EU Zulassung gebe, der Kobe-Rinder schlachtete. Und wie schon so oft von Kai bemängelt, hatten sie bei ihrer Recherche erkannt, dass für diese Schlachttiere nach ihrem Empfinden viel zu viel Aufwand in Haltung und Fleischfabrikation betrieben wurde. Allein schon, dass die „Reifezeit“ etwa 27 Monate betrug, also dreimal so viel wie bei einem normalen Rind. Von Talas Oma wussten sie, dass normale Fleischrinder am besten schon einmal gekalbt haben sollten, dann sei ihr Fleisch zarter. Kobe-Rinder dagegen blieben, was weibliche Tiere anging, „Jungfrauen“. „Ach, es ist zum Kotzen!“, bestätigte Kai und raufte sich die Haare. „Wir sollten unsere Aufträge demnächst mit größerer Sorgfalt auswählen. Dieser Job ist der erste und letzte seiner Art!“, bestimmte er dann resolut und griff neben sich zur Colaflasche. Das Wohnzimmer glich einem Teenie-Zimmer nach einer mit viel Junkfood zelebrierten Pyjama-Party. Normalerweise achteten die beiden jungen Russen auf ihre Ernährung, aber bei ihrem heutigen Einkauf am Morgen, um Talas Kühlschrank zu füllen, war der Frust über die in ihren Augen Senilität des Kunden und über das bisherige Trainingsfiasko einfach zu heftig über sie hereingebrochen, als dass sie sich dem Kaufrausch von Süßigkeiten und Knabbereien hätten erwehren können. Tala stopfte sich drei Apfelringe auf einmal in den Mund, als ihm ein weiterer Kontrapunkt für die Sinnigkeit dieses Auftrags einfiel: „Wenn jeder Bauer seine Fütterung und seine Zuchtmethoden unterschiedlich handhabt und dann daraus auch noch ein Geheimnis macht, dann ist es doch nicht damit getan, einfach ein Rind und einen Bullen zu besitzen.“ Zwischenzeitlich musste er das zerkaute Fruchtgummi hinunterschlucken, was Kai zum Glück Zeit gab, den Wortlaut des aus Schmatzen, Kauen und Nuscheln bestehenden Satzes zu entziffern. „Weiß der Kunde, auf was er sich einlässt?“, fragte der Rothaarige letztlich und leckte sich über die Zähne, um die Apfelringreste zu entfernen. Kai zuckte zum wiederholten Male nur mit den Schultern. So langsam rieb ihn diese Diskussion auf. Angeblich erfüllten jährlich nur 4.000 Rinde die hohen Qualitätsmerkmale, um sich „echtes Kobe-Fleisch“ nennen zu dürfen. Und wie Kai vor einigen Minuten im Internet gelesen hatte, boomte die Zucht, der Verkauf und Verzehr von Wagyu-Rindern besonders in den USA und in Australien. Der Silberhaarige stand auf. Er hatte keine Lust mehr. Um ein wenig Ordnung zu schaffen und als deutliches Zeichen, dass dieses Meeting beendet war, fuhr er seinen Laptop hinunter und sammelte die leeren Chipstüten ein. „Ehrlich, das treibt mich in den Wahnsinn, dieses blöde … RIND-NAPPING!!“, motzte er entnervt. Tala sah ihn belustigt an: „Pass auf, dass du kein BSE kriegst…“ Endlich hatten sie alles, was sie brauchten: Das Gehöft, das sie mit ihrem Vorhaben „beehren“ wollten, eine abgelegene Scheune als vorübergehenden Unterstand für die Tiere, die Wahl der Kuh und des Zuchtbullen, die nach ihren Recherchen sehr vielversprechend aussahen und die Geburtsurkunden dieser Rindviecher sowie den Nachweis der Blutlinie und dass beide Tiere von erlesenen Farmern gezüchtet und aufgezogen worden waren. Für den Erhalt der Dokumente hatte Tala nur ein paar seiner Hackerfähigkeiten unter Beweis stellen müssen. Und nun saßen sie beide in einem Kleinlaster auf der Schnellstraße nach Kobe. Die genaue Entfernung betrug 78,7km. Kai führte hierüber penibel Buch. Und auch über die Unkosten. Der gemietete Transporter kostete sie schon 10.400 Yen und zusätzlich hatten sie noch Mautgebühren für die Streckenbereiche der Autobahn zu zahlen, was auch noch etwa 2100 Yen betragen würde. Kai wollte die Spesen möglichst gering halten. Sie würden noch eine knappe halbe Stunde bis zu ihrem Ziel brauchen. Es war zehn Uhr abends – dass sie jetzt unterwegs sein konnten, lag an der Erschöpfung der Bladebreakers. Das harte Training wurde weiterhin von Kai und zeitweilig auch von Tala unbarmherzig durchgeführt, dafür aber dennoch mit Gehorsam und frühem Zubettgehen belohnt. Sie kamen jetzt an der letzten Mautstelle auf ihrer Strecke an und reihten sich in die aus nur fünf weiteren Autos bestehende Schlange ein. Tala, der am Steuer saß, sah zu Kai, der ständig etwas in sein Notizbuch schrieb. „Sag mal, was machst du da eigentlich?“ „Schreiben.“ „Und was?!“ „‘Kühe stehlen – Eine Einführung‘. Ne Art Erfahrungsbericht.“ Kais trockener Humor brachte Tala zum Lachen. Er zahlte, noch immer grinsend, die Mautgebühr, während Kai sich auf dem Sitz umdrehte und hinter sich griff, um eine dunkle Reisetasche hervorzuziehen. Darin war ihre Verkleidung enthalten: Eine beige Latzhose und ein weißes T-Shirt mit einem rot-weiß kariertem Hemd für Kai, für Tala eine ausgewaschene Bluejeans mit olivgrünem T-Shirt, das voller Ölflecken war. Sie wollten wie lässige Arbeiter aussehen, damit sie vorgeben konnten, sie würden die Zäune reparieren. Während Kai sich umzog, meinte er nachdenklich: „Ich glaube, Lin will in den Zoo.“ „Wie kommst du darauf?“, fragte Tala umgehend. Kai steckte gerade seinen Kopf durch den etwas engen Ausschnitt des Shirts. „Sie malt in letzter Zeit häufig Tiere. Sogar in ihr Matheheft.“ „Du hättest sie ja mitnehmen können heute. Das wäre doch ein Abenteuer für sie gewesen.“ Kai rollte mit den Augen und schob sich seine Jeans von den Beinen. Das war alles, was er dieser Idee entgegnen wollte. Tala schenkte seinem rechten Außenspiegel nun größere Aufmerksamkeit, bevor er die Spur wechselte, um einen langsamen Pkw vor sich zu überholen. Dieser Linksverkehr war durchaus eine Herausforderung für ihn, wenn auch die Autofahrer hier in Japan sich weitaus gesitteter im Straßenverkehr zu benehmen wussten als die Rowdys in seiner Heimat. Andererseits gehörte er selbst zu diesen unmöglichen Fahrern, seinen Fahrstil hatten zu ihrem eigenen Bedauern auch die Bladebreakers kennen lernen dürfen. Er war auch einer von jenen Fahrern, die wüste Worte vor sich her murrten, wenn der Vordermann nervte. Das pflegte er dann stets mit dem Spruch „Wer nicht Auto fährt, lernt nie richtig fluchen“ zu relativieren. Schließlich bog er von der Autobahn hinunter auf eine Landstraße, die laut Karte zu ihrem Ziel führte. Endlich angekommen, sprang Kai aus dem Wagen, sobald Tala ihn an den Straßenrand geparkt hatte. Dann langte er mit langem Arm noch einmal in das Führerhaus und holte einen gelben Helm mit Grubenlampe und eine feste, kugelsichere Weste hervor, über die er sein kariertes Hemd tragen wollte. Auch Tala stieg nun aus, um sich ebenfalls umzuziehen. Er war es, der auf die Bauhelme und die Westen bestanden hatte. Immerhin war ihr „Gegner“ ein etwa 1000kg schwerer Zuchtbulle. „Kann’s losgehen?!“, fragte Kai und schaltete die Lichtquelle auf seinem Kopf an. Es war bereits dunkel, doch das gehörte mit zum Plan. Kühe sahen schlecht bei Nacht, auf diese Art konnten sie sich den Tieren besser nähern. Auch wenn es andererseits für sie dann schwieriger war, das richtige Rindvieh ausfindig zu machen. „Jap!“, entgegnete der Rothaarige und öffnete die Laderampe. Behände sprang er hinauf und gab Kai eine Absperrung an. Gemeinsam bauten sie eine Art Gasse mit den Bauzäunen vom Wiesengitter ausgehend zur Laderampe auf. Kai fragte besser nicht nach, woher Tala ihr Zubehör besorgt hatte. Zuletzt schnappte sich der Rothaarige eine große Werkzeugkiste, sprang wieder von der Ladefläche und kniete sich auf den Boden vor den Maschendrahtzaun. Mit einem handlichen Seitenschneider durchtrennte er geschickt die Drähte, die mit einem Pfosten verbunden waren. Kai half ihm, indem er den Zaun zunächst gerade hielt, ihn anschließend aufrollte und zur Seite wegdrehte. „So weit, so gut. Gehen wir!“ Voller Tatendrang schritt Kai auf die Wiese. Dank ihrer Grubenlampen an den Helmen konnten sie sehen, wo sich die Rinder größtenteils aufhielten. Nur ein Bulle bewachte die Herde. Das war genau jener, den sie holen wollten. „Okay, die Viecher sind sicher an Menschen gewöhnt. Wir nähern uns langsam, suchen die Kuh mit der passenden Nummer und … und… äh…“ Kais Plan war bis hierhin gereift. Doch nun standen sie tatsächlich vor den Tieren und wussten nicht recht, wie sie eines von ihnen zum Transporter schaffen sollten. „Lass uns erst mal hingehen. Vielleicht kommt sie ja freiwillig mit“, schlug Tala schulterzuckend vor und wagte sich zu der Herde. Kai schlich ihm sofort hinterher. Sie nahmen sich mit Vorsicht jedes Rind einzeln vor. Immer mit Blick auf den Bullen, von dem sie erahnten, dass er über seine Herde mit Argusaugen wachte. „Ich hab sie!“, rief Kai plötzlich erfreut und winkte Tala heran. „Okay, zum Glück steht sie. Ich leg ihr ein Halfter um und du schiebst von hinten“, meinte der Rothaarige und kümmerte sich bereits um seinen Part. Kai aber protestierte: „Von wegen anschieben! Nachher tritt die mich!“ „Na gut, dann zieh ich jetzt. Aber wenn’s nicht weiter geht, dann lauf halt neben ihr und schieb schräg.“ Tala schnalzte mit der Zunge und ging der Kuh voran, zog leicht an dem Strick in seiner Hand. „Du blendest sie ja mit deinem Licht!“, bemerkte Kai und nahm ihm die Lampe vom Kopf, um in ihre Laufrichtung zu leuchten, damit die Kuh sich nicht fürchtete, einen Huf vor den anderen zu setzen. Und tatsächlich – sie bekamen das Rind vom Fleck! Mit großen Augen blickte Tala zu seinem Freund und staunte. „Das ging ja jetzt einfach!“, meinte er verblüfft und gemeinsam führten sie die Kuh sicher und ohne Probleme zum Kleinlaster. Einzig die Laderampe bereitete ihnen Schwierigkeiten. Kai übernahm nun den Führstrick, kletterte auf die Verladerampe und versuchte die Kuh mit ein wenig Futter in seiner Hand zu locken. Tala versuchte es mit „liebevollem“ Schieben. „WOW!!“ Erschrocken sprang der Rothaarige zurück. „Das Mistvieh wollte mich treten!“, keifte er fassungslos und starrte verärgert zu Kai, der es doch jetzt tatsächlich schaffte, die Kuh in den Aufleger zu zerren. „Tja, sie hat eben ihren eigenen Kopf“, mutmaßte Kai schulterzuckend. Er wollte gerade das Rind fixieren, da hörten sowohl er als auch Tala lauter werdendes Hufgetrappel. „Oh-oh…“ Tala sah mit Entsetzen einen 1000kg-Koloss auf sich zurennen. Anscheinend war dem Bullen nicht entgangen, dass sie versuchten, „sein Mädchen“ zu entführen. „Hier! Blende ihn mit dem Licht!“, rief Kai schrill, warf ihm die Lampe zu und sprang zu ihm hinunter. Gesagt, getan, zielte Tala mit dem Lichtkegel genau in die Pupillen des Stieres. Doch das half nicht viel. Mit unbändigem Gebrüll setzte dieser nämlich seinen Weg fort. „Komm! KOMM!“, schrie Kai in wilder Panik und schlitterte unter den Lkw, zerrte Tala dabei mit sich. So etwas hatten sie – mit Ausnahme von Babuschkas Schafsbock – noch nicht erlebt. Tiere konnte man schwer bis gar nicht einschätzen. Sie waren oft viel gefährlichere Gegner als Menschen. Weil sie letzteren als Krowawaia Boina oftmals sogar überlegen waren, hatten sie die animalischen Instinkte bei diesem Auftrag unterschätzt. Der Bulle bremste ab, ehe er mit dem Wagen zusammenstieß. Als er erkannte, dass den beiden Menschlein nicht beizukommen war, schnaubte er wütend und ging vor dem Transporter auf und ab. Tala und Kai versteckten sich wie zwei kleine Jungen hilflos unter der letzten Achse und trauten sich kaum, hinter den Reifen hervor zu lugen. „Was jetzt?“, flüsterte Tala angespannt. „Wir warten!“, flüsterte Kai zurück. „Wie lange sollen wir warten?!“ „Bis er weg ist! … Aua, du tust mir weh!“, schimpfte Kai leise, weil sein Freund sich dermaßen in seiner Schulter festkrallte, dass es schmerzte. „Und wenn er bis morgen hier rumtänzelt? Was, wenn der Bauer kommt? Was sagen wir dann?“ „Dass… dass wir fast ne Kuh angefahren hätten. Und dann das Loch im Zaun gesehen haben und es reparieren wollten!“ „Ja klar, das wird uns auch jeder abkaufen, wenn wir aussehen wie Viehdiebe!“, zischte Tala, immer mit Blick auf die großen, gefährlich kräftigen Hufe. „Dann sagen wir einfach, wir wollten mit ihr zum Tierarzt. Schließlich haben wir sie ja fast angefahren… Mensch, Yura, denk dir doch auch mal selbst ne Ausrede aus!“, fauchte Kai nun zurück und lehnte sich an die Reifen. „Also warten?“ „Wir warten“, beschloss Kai bestimmend und nickte, damit seine Worte unterstreichend. Kai sah auf die Uhr. Sie hatten über eine Stunde schweigend im Schutz des Transporters verharrt. Mittlerweile schien der Bulle das Interesse verloren zu haben. Er entfernte sich gemächlichen Schrittes vom Ort des Geschehens. Trotzdem blieben Tala und Kai zur Sicherheit noch etwas in ihrem Versteck sitzen. „Ist die Luft jetzt rein?“, fragte der Rothaarige etwas argwöhnisch und schielte unter der Laderampe hervor. Tatsächlich sahen sie den Stier gemütlich zu seiner Herde zurücktrotten. „Sieht so aus“, beantwortete er sich die Frage selbst und kroch unter dem Transporter hervor. Zuallererst streckte er sich genüsslich. Das lange Warten hatte seine Glieder steif gemacht. Kai wollte ihm soeben folgen, da rumpelte es über ihm. Instinktiv zuckte er zurück. Für Tala jedoch war es zu spät. Anscheinend war es der Kuh langweilig geworden. Und da Kai sie nicht angekettet hatte, drehte sie sich nun um, marschierte schnurstracks die Rampe hinunter und weil der Rothaarige ihr im Weg stand, rammte sie kurzerhand ihren harten Kopf gegen seinen Allerwertesten. Überrascht schrie er auf, als er nach vorne gestoßen wurde und in seine selbst errichtete Absperrung fiel. Die Kuh dagegen folgte dem Bullen zurück auf die Wiese. Kai stolperte aus seinem Versteck, er hatte das Geschehen nicht vollständig sehen können. Rasch eilte er an Talas Seite. „Ist dir was passiert?“ Er half dem Rothaarigen, der sich den schmerzenden Hintern hielt, wieder auf die Beine. „Mist… Das war schlimmer als ein Tritt von Boris!“, jaulte Tala leise. „Du wirst das überleben. Wir sind schließlich starke Frontmänner! „Ja – mit breiten Zielscheiben auf unseren Ärschen!“ Kai musste lachen. Doch gleich darauf seufzte er schwer. „Na das war wohl nichts. Lange her, dass wir einen Auftrag versemmelt haben. Da brauchen wir eine neue Strategie.“ Der Silberhaarige begann, den Weidenzaun wieder zu entrollen und befestigte die durchtrennten Maschen wieder geschickt mit Draht an ihrem angestammten Platz. Tala kümmerte sich derweil um den Innenraum des Transporters. Zu seinem Ärger hatte besagte Kuh nämlich eine Hinterlassenschaft zurückgelassen. So konnten sie unmöglich die Bauzäune wieder einpacken. „Hey, Tala! Nimm mal an! Sonst bist du doch auch nicht so langsam!“, murrte Kai, der schon bereit stand und eine der Absperrungen trug, um sie seinem Freund anzugeben. Tala trat mit einem Beutel, in dem sich unweigerlich der Kuhfladen befinden musste, an den Rand des Lasters. „Mach mich bloß nicht an, wenn ich nen Haufen Scheiße in der Hand hab!“ Kai verzog angewidert das Gesicht. „Wenn du das wagst…“, knurrte er bedrohlich, doch eine passende Bedingung fiel ihm nicht ein, also ließ er die Drohung undefiniert im Raum stehen. Nachdem sie aber dann alle Hinweise auf ihr Dasein hatten verschwinden lassen und alles im Transporter wieder an Ort und Stelle stand, seufzte Tala schwer. „Hm… nach der Sache mit dem Tritt hab ich Bock auf Kühe schubsen…“ „Du meinst wohl eher Bullen schubsen…“ Die Freunde lächelten einander müde an. Beide waren sich wortlos darüber einig, dass sie in dieser Nacht keinen Fuß mehr auf diese Weide setzen wollten. „Du fährst. Ich muss meinen Arsch kurieren.“ „Ich kann dir nachher wohl einen Eisbeutel drauf legen. Oder einen Kuss, damit’s schneller heilt. Was dir lieber ist.“ Tala zeigte Kai den Mittelfinger. „Verarschen kann ich mich selbst.“ Die Ausarbeitung eines neuen Plans dauerte diesmal länger. Ihnen fehlte einfach die zündende Idee. Hinzu kam, dass Tala auf jeden Fall erst seinen Zusammenstoß mit der Kuh auskurieren wollte. Kai vermied es tunlichst, ihn deswegen aufzuziehen. Außerdem war der Silberhaarige durch den nächtlichen Ausflug sehr erschöpft. Die Phase großen Schlafentzugs fand wieder statt – durch die Dreifachbelastung, die ihm aufgebürdet war. Denn zum einen hatte er diesen Auftrag noch nicht erledigt, zum anderen musste er weiterhin gut organisiertes Training abliefern. Zwar teilte er sich diese beiden Lasten mit Tala, doch da war noch die dritte, die er sich nicht ausgesucht hatte: Kindermädchen für Grundschulkinder. Es war keine schwere Arbeit, sie bei den Hausaufgaben zu betreuen. Doch Kai hätte in dieser Zeit lieber an seinem Kuhnapping-Problem weitergearbeitet – oder geschlafen. Jetzt jedoch war einer dieser raren Momente, in denen Kai eine Schaffenspause genoss. Er hatte es sich auf der Terrasse im Gartenstuhl gemütlich gemacht. Die Sonne schien, die Temperaturen waren angenehm. Alles in allem ein warmer, junger Junitag. Kai trug nur Bermudashorts. Ein wenig gesunde Bräune konnte ihm nicht schaden, wie er fand. Ray, der ihn im Garten liegen gesehen hatte, kam mit zwei selbstgemachten, eisgekühlten Erdbeer-Bananen-Smoothies zu ihm auf die Terrasse. „Was liest du?“, fragte der Schwarzhaarige interessiert. Er konnte die kyrillische Schrift nicht entziffern. „Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte.“ „So heißt das Buch?“ Ray setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und schob ihm den anderen Smoothie rüber. Kai dankte und antwortete: „Ja. Sind russische Schauergeschichten von Ljudmila Petruschewskaja.“ Der Schwarzhaarige gab einen verstehenden Laut von sich und lehnte sich mit seinem Erfrischungsgetränkt entspannt in den Stuhl zurück. Kai klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch, um den Smoothie zu probieren. „Woher wusstest du, dass ich Erdbeeren mag?“ „Jeder mag Erdbeeren, Kai.“ „Aber ich bin nicht jeder!“ „Auch wieder wahr.“ Grinsend schielte der Chinese zu seinem russischen Teamkollegen, der gerade an seinem Smoothie nippte. „Sagen wir einfach, du bist auch sonst nicht mäkelig, wenn es ums Essen oder so geht“, schmunzelte Ray. „Das klingt ja fast so, als wolltest du mich als Fresssack betiteln!“, murrte Kai beleidigt und sank wieder zurück in das weiche Sitzpolster. Ray wusste, Kai wollte sich nichts anmerken lassen, doch die langen, dunklen Schatten unter seinen Augen verrieten mehr, als ihm vielleicht lieb war. Ihr Leader wirkte erschöpft. Das fiel nicht nur beim Training auf, sondern auch, wenn er so wie jetzt einfach nur da saß und ruhte. Zufällig kam gerade Tyson mit dem Rest des Teams durch die kleine Seitenpforte. „Hey, wer hat Lust, gegen mich zu bladen?“, fragte er fröhlich und sprang auf die Terrasse. Das harte Training schien ihm die Freude am Spiel nicht zu verleiden. Doch keiner reagierte auf seine enthusiastische Anfrage, eher erntete er ein ermattetes Seufzen. Max verzog sich mit Kenny sogar rettend ins Haus. Auf einen Blick hin winkte auch Ray ab. „Tyson, gönn dir etwas Ruhe. Glaub ja nicht, dass ich dich beim nächsten Training weniger hart rannehme, wenn du jetzt vor Kraft nur so strotzt und mir deinen Ehrgeiz zeigst“, meinte Kai mit ruhiger Stimme. „Oh, komm schon, Kai! Dann wenigstens du! Du dürftest doch am allerwenigsten was dagegen haben!“ „Nein, Tyson. Lies lieber noch mal in dem Buch, was ich dir gegeben habe. Theorie ist genauso wichtig wie Praxis.“ „Das Kapitel hab ich schon so oft gelesen, es hängt mir zum Hals raus. Komm, nur ein kleines Match“, quengelte Tyson. Jetzt riss aber bei Kai der Geduldsfaden. Er wollte einen Moment seine Ruhe. Einfach nur faulenzen – das durfte ihm doch auch gestattet sein, oder? Doch stattdessen triezte Tyson ihn so sehr, dass er tatsächlich wieder in alte Befehlsmarotten verfiel: „Ich fass es einfach nicht, dass du nicht begreifen willst, an welcher Stelle der Befehlskette du stehst – beziehungsweise NICHT stehst! Ich sagte NEIN und das ist mein letztes Wort!“ Kurz schwieg Tyson. Kai hatte sich aufgerichtet und wütend mit dem Finger durch die Luft in Tysons Richtung gepiekt. „…Wenn du immer das letzte Wort haben willst, solltest du mehr Selbstgespräche führen.“ „Ich rede nicht mit Subjekten, deren IQ niedriger ist als die Raumtemperatur!“, fauchte Kai, wollte das Gespräch damit als beendet erklären. Ray schnallte dieses Eigentor als erstes und prustete los. Als der Schwarzhaarige lachte, verstand sogar Tyson den Witz und fiel in das Lachen mit ein. „Was..?“, begann Kai, doch dann fiel es auch ihm wie Schuppen von den Augen. „Ja, ja… lacht ihr nur…“, murrte er und plumpste auf seinen Stuhl zurück. Und dann musste er sich dem ansteckenden Lachen geschlagen geben und gab ein kurzes amüsiertes Grunzen von sich. Doch die Heiterkeit hatte nur kurzzeitig Bestand. Denn genau in dem Moment, als Mr. Dickenson erschien, fühlte Kai augenblicklich eine ungeheure Last auf seinen Schultern. Mr. Dickenson stand für all die Verantwortung und Bürden, die er trug. Schmerzlich erinnerte er sich daran, dass auf seinem Schreibtisch noch ein hoher Stapel an unkorrigierten Übungsblättern lag, gleich neben einer angefangenen Kurvendiskussion, die er wegen eines plötzlichen Geistesblitzes bezüglich einer neuen, effektiven Trainingseinheit zur Seite geschoben hatte. Kai blickte zu Boden. Der Sponsor, der wegen seiner leichten Beleibtheit in der warmen Junisonne bereits schwitzte, begrüßte seine Schützlinge heiter. Routiniert fragte er sie nach ihrem Befinden. Und dann erkundigte er sich nach den Fortschritten: „Wie gefällt euch denn das Training bis jetzt? Wie sind Kais Methoden? Motiviert er euch auch gut?“ Tyson antwortete bereitwillig und in seiner bekannten stichelnden Art: „Seine Motivation ist die Kunst, uns anderen wegen unserer Faulheit Schuldgefühle zu suggerieren.“ Während Kai sich fragte, woher der Jüngere überhaupt das Verb ‚suggerieren’ kannte, flog Rays Blick scharf zu Tyson: „Ich glaube, du hast es immer noch nicht überwunden, dass Kai der Teamleader ist, oder?“ Wie so oft schon hatte der Schwarzhaarige das Bedürfnis, Kai in Schutz zu nehmen, da er es nicht mit ansehen konnte, wenn der junge Russe zu allem Überfluss auch noch gefoppt wurde. Ray fuhr fort: „Nun, mein Opa hatte schon Recht: Es ist leichter, die Verdauung eines anderen zu fördern, als die Beförderung eines anderen zu verdauen.“ Mr. Dickenson blickte leicht irritiert von einem zum anderen. Auch Tyson schien überrascht, sich nun mit Ray als Schlagabtauschpartner konfrontiert zu sehen. Neckisch funkelten die goldbraunen Augen des Chinesen sein Gegenüber an. Um das Thema zu wechseln und einen Streit, wie er vermutete, zu verhindern, wandte Stanley Dickenson sich freundlich an Kai. „Nun, wie läuft denn die Nachhilfe? Lernen die Kinderchen schön bei dir?“ Kai sah endlich auf und sein Blick suchte den direkten Kontakt zu Mr. Dickenson. Dieser hatte einen solchen Blick schon sehr lange Zeit nicht mehr von ihm sehen müssen. Es verstrich ein Wimpernschlag, ehe Kai leise antwortete: „Ich kann das nicht mehr. Ich hab kaum noch Zeit für mich. Ich muss mich um das Training kümmern.“ Selbst Mr. Dickenson bemerkt nun, wie erschöpft und erschlagen Kai wirkte. Dennoch hatte ein Hauch von Stolz sein Wesen noch nicht verlassen. „Ich habe Lin versprochen, den Kindern Karten für das Turnier zu geben. Zum Abschluss, als Geschenk für ihre Mühen. Als Anreiz, weiterhin fleißig zu lernen. Aber ich kann sie nicht mehr unterrichten.“ Mr. Dickenson schluckte kurz. War er zu weit gegangen? Hatte er Kai zuviel abverlangt? „Und was schlägst du stattdessen vor?“ „Die Kinder kennen doch die anderen. Warum können sich nicht Ray, Kenny, Tyson und Max diese Aufgabe teilen? Warum muss ich immer alles machen? Ich kann das nicht mehr. Ich schaff das nicht mehr!“ Kai stützte seine Ellbogen auf seine Knie und rieb sich mit seinen Handflächen die Augen. Er hatte immer zu allem Ja und Amen gesagt. Aber so langsam wuchs ihm das alles über den Kopf. Er war doch immer noch bloß ein Teenager, so sah ihn Mr. Dickenson doch noch, wie er so oft betonte. Warum konnte er ihn dann nicht einfach mit Sonderaufgaben verschonen? War er denn nicht gut genug? Konnte er den BBA-Manager nicht zufrieden stellen?! Mittlerweile presste Kai seine Hände fest in sein Gesicht. „Wir hätten nichts dagegen!“, unterstützte nun wieder Ray Kais Vorschlag und selbst Tyson stimmte zu. „In Ordnung. Dann gehe ich ins Haus und frage die anderen beiden, was sie davon halten.“ Mr. Dickenson lüftete seine Melone und stapfte ins kühle Hausinnere. „Hm… vielleicht wollte Mr. Dickenson, dass du aufgibst“, meinte Ray nachdenklich, während er dem Sponsor nachsah. Kai schielte irritiert zu ihm. „Häh?“ Ray drehte sich zu ihm und sah ihn ernst an. „Nun, vielleicht wollte er, dass du auf uns angewiesen bist. Dass du uns von dir aus um Entlastung bittest. Du hast zwar versprochen, alles weiterhin zu übernehmen. Und ich glaube nicht, dass Lin dich sehr einschränkt, weil sie… weil sie dir mehr Freude denn Kummer bereitet.“ Kai sah den Schwarzhaarigen skeptisch an. „Na ja, das ist meine persönliche Meinung.“ Lächelnd griff der Chinese zu seinem Smoothie und nippte daran. Er winkte Kenny, der bereits von dem Vorschlag unterrichtet war und Ray sein Einverständnis mitteilen wollte. „Ich hätte ihm an deiner Stelle den bösen Finger gezeigt, Kai.“ Überrascht wandte Angesprochener sich um. Dort stand Tyson, mit verschränkten Armen und wieder mit diesem ernsten Ausdruck in den Augen, der so rar war und vielleicht gerade deshalb Kai so etwas wie ein wenig Respekt vor Tyson empfinden ließ. „Ich war echt sauer, als er dir das vorgeschlagen hat. Aber ich hab nichts gesagt, weil du ja nicht willst, dass wir uns in deine Angelegenheiten einmischen“, trug Tyson nun seine Gedanken weiter vor. So viel Weitblick von ihm. So viel Respekt und Achtung vor seiner Privatsphäre. Kai hob verwundert beide Brauen in die Höhe. Hatte er schon seit jeher seine Teamkameraden so sehr verkannt? Dennoch schüttelte er leicht den Kopf und schloss schmunzelnd die Augen. „Wenn ich Dickenson gesagt hätte, er soll’s sich sonst wo hinstecken - im Gegensatz zu dir kann ich mir das nicht leisten, Tyson.“ Sie alle wussten warum. Kenny mischte nun mit: „Jedenfalls… gut, dass du Arbeit abgibst. Auch Lin ist bei uns in guten Händen. Es ist völlig legitim, wenn du dich mehr auf das Turnier und das Training konzentrierst. Du hast genug um die Ohren. Du brauchst nicht auch noch eine zusätzliche Belastung.“ Der Chef rückte seine Brille zurecht. „Im Übrigen könnte das sogar begünstigend für eine posttraumatische Belastungsstörung sein. Wir alle wissen, dass du in deiner Vergangenheit viel durchgemacht hast. Und … nun…“ Kenny wusste nicht mehr, wie er sich weiter ausdrücken sollte. Kai jedoch winkte ab. „Schon gut. Ich hab’s verstanden. Nett von euch, dass ihr die Fördergruppe übernehmt. Und jetzt – los, ich will euch in zehn Minuten alle im Garten sehen. Training steht an!“ „Ach, jetzt doch?“, frotzelte Tyson wieder. Er konnte es eben nicht lassen. Und irgendwie funktionierten er und Kai eben so. „Beweg deinen Hintern! Oder ich mach dir Beine!“, brummte Kai gewohnt drohend und schüttelte seine Faust in Tysons Richtung. Sie funktionierten als Team. So oder so – Das Turnier konnte kommen. „Weißt du was? Ich hab’s jetzt raus.“ „Wie? Was hast du raus? Wovon sprichst du bitte, Tala?“ „Ich hab keinen Bock darauf, mich noch mal von ner Kuh angreifen zu lassen. Also, hier ist der Plan: Lass uns die Viecher kaufen.“ Kai schielte skeptisch zu Tala, der ein Gänseblümchen rupfte, während er sprach. Sie lagen im Gras hinter Kais Elternhaus und ließen sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Unter dem Vorwand, sie wollten noch eine Stunde Joggen gehen, hatten sie sich vor Mr. Dickensons Teeparty gedrückt. Bevor der Sponsor überhaupt angekommen war, waren Tala und Kai längst verschwunden gewesen. „Dir ist schon klar, dass so eine Kuh, wenn du das mal hochrechnest, in etwa 480.000 Yen kosten kann? Und der Zuchtbulle liegt mit seinem Lebendmarktwert sicher weit darüber. Wie willst du das bezahlen?“ Tala schwieg daraufhin. Er dachte nach. Sein „Plan“ war unausgegoren, das wusste er. Aber es war immerhin mehr, als sie in der vergangenen Woche überlegt hatten. „Pass auf“, fing er an, „wie wäre denn das: Wir geben uns als Käufer aus, rufen den Bauern an, fragen nach. Und das mit dem Geld… Immerhin hat der Kunde uns den doppelten Preis zuzüglich Spesen versprochen. Wir schlagen einfach ein paar Dollar mehr drauf und schon sind wir wieder im Plus. Unser Kunde muss ja nicht wissen, wie genau wir an seine Ware gekommen sind.“ Kai musste zugeben, dass die Idee gar nicht so abwegig war. „In Ordnung. Ich kümmere mich sofort darum.“ Der Silberhaarige stand auf und verließ den Garten, um zu telefonieren. Es dauerte eine Weile, bis er zurückkehrte und beinahe wäre Tala beim Warten eingeschlafen. Die Wiese, auf der er lag, war immerhin ziemlich bequem und es roch angenehm nach Sommergras. Kai stieß ihm mit dem Fuß leicht in die Seite. „Hey, hör zu, wie sich der Plan jetzt entwickelt hat!“ Er setzte sich zu Talas Linken und begann zu erklären. Während des Gesprächs mit dem Züchter hatte sich ergeben, dass sie zwar eine Kuh erwerben konnten, der Bulle jedoch aufgrund seiner Einzigartigkeit unverkäuflich war. Doch Kai hatte einen neuen Einfall gehabt. „… und deshalb hab ich gefragt, ob er denn dann vielleicht das Bullensperma verkauft. Das ginge. Wir müssen jetzt nur noch unseren Kunden fragen, ob der mit dem Sperma einverstanden ist und wenn ja, dann ist der Auftrag endlich beendet!“, schloss der Sechzehnjährige erfreut. Tala blinzelte ihn an. „Bullen… sperma?!“ Kai nickte. „Bullensperma… Händigt der Bauer uns einfach ne Dose davon aus oder wie?“ „Ach, der meinte, das zapfen wir dann ganz frisch. Ich hab gesagt, ich kenne nen Tierarzt, der mitkommt.“ „Was für nen Tierarzt kennst du, den du mitnehmen würdest?“ Fragend starrte Tala Kai an, doch der blickte einfach nur vielsagend zurück. Tala stöhnte auf. „Oh nein! NEIN!“ „Stell dich nicht so an. Auf Babuschkas Hof hattest du doch mit vielen Tieren zu tun. Stell dir einfach selbst ne gut gefälschte Approbation aus und fertig. Ist doch nur für das eine Mal.“ „Oh… я зол на тебя!! Wirklich!!“ Kai hatte dafür nur ein mildes Lächeln übrig: „Lange wirst du mir nicht böse sein. Glaub mir, es wird ein tolles Gefühl sein…“ „Dein Wort in Gottes Gehörgang… Aber… я к вашим услугам“, meinte Tala spöttisch und grinste. „Na dann, hoch mit dir! Wir brauchen einen Viehtransporter, du deine Genehmigung der Veterinäre und ärztliches Zubehör, damit du authentisch wirkst. An die Arbeit!“ „Ist ein bisschen wie ein Déjà-vu, oder?“, fragte Tala, als sie aus dem Transporter stiegen und auf den Züchter zugingen, der sie bereits erwartete. Sie hatten sich so seriös wie möglich gekleidet, doch konnte das alles nicht ganz über ihre jugendliche Erscheinung hinwegtäuschen. Dennoch stellte der Züchter keine Fragen, denn augenscheinlich besaßen sie alle erforderlichen Papiere. Dadurch, dass sie einen Kaufvertrag unterschrieben, erhielten sie sogar die Originalunterlagen des Züchtungsnachweises, das würde dem Kunden letztlich einiges an Ärger ersparen. „Hier ist mein Prachtstück. Ich hoffe, es macht Ihnen genauso viel Freude wie mir. Wenn sie etwas nervös ist, kraule ich sie immer hinter den Ohren, das mag sie“, erklärte der Züchter und hielt ihnen den Führstrick entgegen. Tala übernahm den Part, die Kuh zum Transporter zu geleiten. Kai indes klärte mit dem Züchter alle Einzelheiten des Kaufgeschehens. Letztlich waren beide Seiten mit dem Preis einverstanden. Ein Handschlag besiegelte das Geschäft, aber um den Vertrag rechtskräftig zu machen, bedurfte es noch seiner Unterschrift auf dem Papier. Dann kam der schwierigere Teil. Denn als Tala zu Kai zurückkam, murrte er leise vor sich hin. Diesmal hatte er die Kuh links und rechts festgebunden, sowie vorne und hinten fixiert. Außerdem hatte er für ihr leibliches Wohl gesorgt. Doch der Grund für Talas Unbehagen war vielmehr die Tätigkeit, die er nun auszuführen hatte. Stolz wurde ihnen der Stier in seiner Box präsentiert. Kai und Tala beteten, dass das Tier sie nicht wieder erkannte. Der Züchter erklärte frohgemut: „Ich lasse nun das Gatter öffnen. Dann läuft er auf die Kuhimitation zu und wird sie besteigen. Dann können Sie mit in die Besamungsbox steigen und das Sperma entnehmen.“ Tala wechselte einen kurzen Blick mit Kai. Dieser lächelte aufmunternd: „Das hast du doch schon oft genug gemacht“, log er, „Also viel Spaß!“ Der Rothaarige knirschte mit den Zähnen: „иди к чёрту!“ Doch er kletterte wagemutig über die Boxenstangen, als der Bulle in Position gebracht war. Kai reichte ihm seinen Arztkoffer durch. Zuerst streifte Tala sich die blauen Handschuhe über, die bis an seine Ellenbogen reichten. Dann hockte er sich, so gut es in der Enge ging, neben das Hinterteil des Imitats, das für den Bullen mit Hormonen besprüht war, und wartete, dass das imposante Tier seinen Penis herausdrückte. Als Tala diesen dann berührte, zog er sich jedoch sofort wieder ein. „Störrischer Esel!“, brummte der Rothaarige und wärmte seine Hände ein wenig an. „Du weißt schon, dass es sich hierbei um eine Kuh handelt?“, spöttelte Kai von der sicheren Seite des Stalles aus. „Wer sagt, dass ich nicht dich meine?“, knurrte Tala zurück. Er merkte schon, dass Kai sichtlichen Spaß daran hatte, ihm bei seiner Tätigkeit zuzusehen. „Mancher ist erst dann bei guter Laune, wenn er sie anderen verdorben hat“, konterte Kai gewitzt und lehnte sich an die Stange. Schließlich hatte sich der Penis des Bullen wieder soweit gezeigt, dass es Tala gelang, ihn mit seinen nun warmen Händen zu berühren und ihn sanft zu stimulieren. Kai musste aufgrund dieses Anblicks lachen. Mit ernstem Gesicht rubbelte sein bester Freund einen riesigen Kuhpimmel – für Kai ein Bild für die Götter. „Bist du eifersüchtig?“, kam es genervt von Tala. „Bestimmt nicht!“ Als der Rothaarige merkte, dass der Bulle kurz vor dem Erguss stand, griff er rasch hinter sich nach einem Gefäß. Später würde er das Sperma in Ampullen von etwa 5-25ml umfüllen und in einer Kühlbox unterbringen. Schließlich war die ganze Angelegenheit erledigt und zu Talas großer Erleichterung fuhren sie früher als geplant vom Hof. Er wünschte sich jetzt nichts sehnlicher als eine ausgiebige Dusche. Sie beide stanken unangenehm nach Kuhstall und Gülle und ja, auch ein bisschen nach Ejakulat. „Scheiße. Weißt du, wie viele Krankheiten zu checken sind, bevor man eine solche Kuh besamen lassen kann?“, fragte Kai, der auf dem Beifahrersitz in einem kleinen Büchlein blätterte. „Ist das etwa unser Problem? Wir haben das Sperma, wir haben die Kuh, den Rest besorgt der Kunde. Und eines sage ich dir: Das bleibt unter uns! Und dem Kunden sagen wir auch nicht, was wir gemacht haben!!“ Tala trat aufs Gas. Sie hatten mit ihrem Kunden vereinbart, noch heute die Ware zu liefern. Doch für den Export ins Ausland kamen sie nicht mehr auf. Dafür waren ihre Nerven zu aufgerieben. Dennoch machte Tala sich Gedanken über ihr weiteres Vorgehen. „So, und was ist der neue Plan?“, fragte er Kai. „Wir gewinnen das Turnier. Das ist der Plan. Und der wird funktionieren. Auf Anhieb, das garantiere ich dir.“ ---------- * 34.000 Yen = knapp 300 Euro (Stand 15.02.2011) 10.400 Yen = 88,62 Euro (Stand 30.03.2011) ** Jaaa… Episode 51 – Alles oder nichts – Das hat er wirklich gesagt. Es war wirklich sehr… sinnig. Ich hab mir bei meiner neulichen Recherche einen Ast abgelacht, als ich das gehört hab. Raum-Zeit-Kontinuum – ja klar… XD 480.000 Yen = ca. 4000 Euro (Stand 13. April 2011) Übrigens: Ich hab gelesen, es heißt: Der Liegestütz, die Liegestütze (Plural). oO War mir auch neu. Widmungen Den Anfang des Kapitels widme ich , sie wollte gerne wissen, wie Tala wohl auf die Verarsche von Kai reagiert. Kuh-Entführung Ihr wolltet das! und nur wegen euch hatte ich den ganzen Ärger damit! =) [Oh, und glaubt mir, es war harte Arbeit. Wirklich harte Arbeit… Nervenaufreibend und frustrierend!] 1. Rind-napping Szene: gewidmet: , denn gerade du hast als erste erkannt, dass das Kapitel neulich ein Aprilscherz war. Und weil du mit mir die Entführung ein bisschen diskutiert hast. 2. Rind-napping Szene: gewidmet: , weil auch du so scharf auf eine solche Szene warst =D Der Dank für die Übersetzung der etwas längeren Diskussion geht dieses Mal an . Dir sei darum das nächste Kapitel gewidmet – dir ganz allein ;) Im Fließtext habe ich das etwas abgeändert, damit ihr nicht alle erst zum Ende des Kapitels scrollen müsst und es vielleicht so verstehen könnt. Im Eifer des Gefechts mischen Kai und Tala eben gern mal die beiden Sprachen miteinander. Kenn ich von meiner Freundin :D Jedenfalls hab ich unten in den „Vokabelangaben“ das geplante Gespräch mal aufgeführt. ;) малыш – Baby im Sinne von „Hey Babe“ Нет . Я не буду применять этот метод, Юрий! - Nein. Ich werde diese Methode nicht verwenden, Yuriy! Если мы сделаем это , мы не лучше, чем- - Wenn wir das machen, sind wir nicht besser, als- Я не говорю, что мы должны делать это именно так. - Ich sage nicht, dass wir es genau so machen. Это только в этом: Из-за обучениемы были так хороши! - Es ist nur so: Aufgrund des Trainings waren wir gut! Вы не можете отрицать это! - Du kannst das nicht abstreiten! Net! Ja ne hotschu – Nein, ich will nicht. Da, ti hotsches! – Doch, du willst. Angelotchok – Engelchen Solnyschka - Sonnenschein я зол на тебя - ich bin böse auf dich я к вашим услугам - ich stehe zu Ihren Diensten иди к чёрту! - leck mich am Arsch [vulg.] Quelle: Informationen über Kobe-Rinder und allgemein über Kühe http://de.wikipedia.org/wiki/Kobe-Rind http://www.faz.net/s/RubCD175863466D41BB9A6A93D460B81174/Doc~E5BC7F47EFB7444C58DBAB8963A56B7D9~ATpl~Ecommon~Scontent.html http://www.kobe-rindfleisch.de/ http://www.kobe-niku.jp/englishtop.html?key=start http://www.lsv.de/hrs/03unfallverhuetung/08sicherheit/Rindvieh.pdf Es war übrigens unglaublich ätzend, herauszufinden, welche reellen Preise bei einer Autovermietung plus Anhänger auf einen zukommen D: Darum hab ich da auch Tala etwas verzweifeln lassen. ;) Der sollte auch mitleiden! Und warum um alles in der Welt eine Kobe-Rind-Entführung?! Ach, fragt den Autor. Due to künstlerischer Freiheit. Oh, und in Japan ist Linksverkehr. Ich kann mir gar nicht richtig vorstellen, wie das funktioniert… Aber ich hab mal versucht, dass so realistisch darzustellen, so wie ich glaube, dass es richtig ist und wie ich das aus England kenne. In Russland ist das übrigens noch mal anders. Wer sich wie ich darüber aus Spaß und Interesse mal informieren möchte, dem empfehle ich diese Website: http://www.russian-online.net/de_start/box/boxtext.php?auswahl=autofahren_selbst Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)