Kyodai II von abgemeldet (chapter 15 & epilogue finally UPLOADED) ================================================================================ Kapitel 1: kako to genzai ------------------------- Yatta~ Da bin ich wieder! ^______^ Kyodai II, Chapter 1 mit dabei *konfetti werf* Nein, ernsthaft. Ich war wirklich froh über die positive Resonanz auf meine Ankündigung des 2. Teils - allerdings möchte ich einige Leute gleich vorwarnen. Diese Geschichte ist nicht schön. Ihr Verlauf ist mies, teils grausam. Ich hatte nicht vor, die Situation zu verschönern - ich denke, es wird sehr, sehr schnell klar, wovon diese Fiction handelt, und da es nun mal kein sehr schönes Thema ist, wird auch die Geschichte selbst nicht schön werden. Die leicht melancholisch angehauchte Atmosphäre des 1. Teils ist leider flöten gegangen, was in dieser FF aber auch gänzlich fehl am Platze gewesen wäre... oO; Nun ja, ich will nicht zu viel vorweg reden - nur so viel als Einleitung: 2 ½ Jahre sind vergangen, seit Kyo Mie verließ, damit sein Leben selbst in die Hand nahm. Was in dieser Zeit geschehen ist, wie es nun weitergeht... lest selbst. ^.~ Tissa Chapter 1 - kako to genzai [<-- Vergangenheit und Gegenwart] ~~ Ein großer, rothaariger Mann Anfang Zwanzig verließ spät in der Nacht die Sushibar, in der er nebenbei arbeitete. Er schloss die Tür ab, war völlig in Gedanken versunken. Es war wieder spät geworden, bereits halb Eins. In Tokyo noch längst nicht Sperrstunde, doch er war müde. Daisuke Andô war inzwischen einundzwanzig Jahre alt, studierte seit seinem Schulabschluss vor knapp zwei Jahren in Tokyo Musik. Nebenberuflich war er unter anderem in dieser Sushibar beschäftigt, um das Studium finanzieren zu können. Er wusste, seine Eltern wollten ihn unterstützen, doch Die bestand darauf, sein Leben selbst geregelt zu kriegen. Der Rotschopf hatte ein ungewöhnlich gutes Verhältnis zu seinen Eltern - dennoch gab es Brüche. Unausgesprochene Brüche, die es nicht zu kitten galt. Er grinste ein wenig vor sich hin, erinnerte sich an einen Kunden zurück, den er allzu witzig gefunden hatte. Gott sei Dank war nicht täglich soviel zu tun, sonst ginge er längst auf dem Zahnfleisch. Die gähnte und streckte sich ein wenig, während er ein paar Schritte rückwärts von der Ladentür weg auf den asphaltierten Bürgersteig machte. Klirr. Die zuckte zusammen. Klirr? Was hatte er denn nun schon wieder angestellt...? Ein leises Fluchen drang an seine Ohren; als der junge Mann sich umdrehte, saß dort bereits jemand auf dem Boden und sammelte ein paar Flaschenscherben zusammen. Eine zierliche Gestalt, die allerdings gar nicht zierliche Bemerkungen vor sich hinmurmelte. "Das tut mir so l-", wollte Die beteuern. Doch kaum hatte er zwei Worte von sich gegeben, hob der andere den Blick an, starrte zu ihm hoch. Einige Sekunden schien die Zeit stillzustehen. Braune Augen. Bekannte Augen - ein altbekanntes Gefühl, wie jener Zauber, der ihn Jahre zuvor gefangen genommen und in eine Katastrophe bugsiert hatte. Die musterte das Gesicht mit offenem Mund. Die gleichen schönen Lichter, die geschwungenen Lippen, lediglich die Haare schmiegten sich nun in tiefem Schwarz um die noch immer kindlich-runden Wangen. Er hatte sich wirklich nicht verändert. "Kyo..." Seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern. Der Angesprochene stand vom Boden auf, klopfte den Staub von seiner dunklen, viel zu groß geratenen Jeans. "Die.", erkannte er und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Es herrschte Schweigen. Die kratzte sich am Hinterkopf, meinte dann gespielt munter: "Mann, dass ich dich hier treffen würde... Was machst du in Tokyo?!" Kyo setzte ein kleines Grinsen auf. "Leben?" Auf Dies Augenrollen hin erklärte er: "Ich bin noch nicht lange hier, ein paar Wochen vielleicht. Hatte die Nase voll von Kyoto und bin auf gut Glück nach Tokyo abgehauen, um hier eine gute Band zu finden. Bisher allerdings ohne Erfolg und ein paar echt beschissenen Jobs zum Überleben." Die konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dieselbe sarkastische, trockene Art... "Hört sich viel versprechend an." "Und du?" "Ich lebe schon fast zwei Jahre hier.", entgegnete Die. "Musikstudium." "Hättest du das nicht auch in Mie haben können?" Die zuckte die Schultern. "Ich wollte weg aus dem Kaff... Unabhängig sein, verstehst du? Ich verdiene mein eigenes Geld mit solch göttlichen Beschäftigungen wie dieser Sushibar hier..." Kyo verzog das Gesicht. "Die lassen dich kochen? Sag an, wie viele Leute hast du schon ins Jenseits befördert?!" Die lachte lauthals los. "Glaubst du ernsthaft, dass ich fürs ESSEN zuständig bin? Ich? Unsinn, ich werde durch die Gegend gejagt, darf Kisten schleppen, Tische abwischen, Servieren, Putzen... all die Scheißaufgaben halt." Er schnitt eine Grimasse. Kyo warf einen Blick auf seine Armbanduhr. "Ich...-" "Hast du ein wenig Zeit?", unterbrach Die ihn hastig. Er konnte ihn nicht gehen lassen. Nicht nach all den Wochen, Monaten, nein, Jahren ohne ein Wort. Kyo zögerte. "Es ist ziemlich spät." "Wir könnten uns in den Coffee-Shop setzen und - weiß nicht, ein bisschen quatschen.", drängte Die weiter. "Komm schon, wir haben ewig nichts voneinander gehört..." Er wollte nicht - und doch hörte der Jüngere sich zustimmen. "Na gut. Ne halbe Stunde wird wohl drin sein." Die lächelte triumphierend und ging neben dem Kleineren her durch die Straßen Tokyos. Neben dem Menschen, der ihn in das größte Gefühlschaos seines bisherigen Lebens gestürzt hatte. Sein Halbruder Kyo. Der Junge, in den er sich verliebt hatte, nachdem Kyos Mutter bei einem Unfall verstorben und jener zu seinem Vater gezogen war. Sie hatten einander nie gesehen, wussten nichts voneinander. Doch dann, bevor sie sich als Brüder kennen lernen konnten, waren sie aufeinander getroffen. Ein verregneter Nachmittag, an dem sie beide die Liebe auf den ersten Blick gespürt hatten. Nichts war in der Lage gewesen, sie von dieser Sache abzubringen, nicht die Warnungen der Freunde, nicht das eigene Gewissen - erst, als ihre heimliche Liebe aufflog, hatte Kyo die Notbremse gezogen und war gegangen. Gegen den Willen seiner damals ,neuen' Familie - und doch war allen eingeleuchtet, dass Kyos Entscheidung, die letzten Wochen bis zu seiner Volljährigkeit in einem Heim zu verbringen, die einzig richtige Entscheidung gewesen war. Ihre Eltern hatten es akzeptiert; gelegentlich Kontakt zu Kyo gehalten, das wusste Die. Er selbst aber war nur schwerlich damit zurecht gekommen. Dass Kyo, der Mensch, den er weiterhin stur als seine große Liebe bezeichnete, von heute auf morgen aus seinem Leben verschwunden war, hatte den sonst so heiteren Jungen für lange Zeit gequält. Er ging davon aus, dass auch Kyo gelitten hatte, zu sensibel und emotional war der Jüngere, um dies nicht zu wissen. Und nun stand er vor ihm. Kyo. ~~ Ihr Gespräch war unerwartet heiter verlaufen, Witze, eine fröhliche Stimmung... Doch nun regierte Stille ihre Sitzecke im Coffee-Shop. Die spielte mit seiner weißen Porzellantasse. Ihm lagen so viele Fragen auf der Zunge, unendlich viele. Allerdings keine, die er nun stellen sollte. "Wie sieht's aus, hast du ne neue Beziehung gehabt?", schnitt Kyo seltsamerweise genau das Thema an, nachdem Die sich nicht zu fragen getraut hatte. Big Red überlegte. "Njo, schon... Ich habe momentan auch eine Freundin, Mai. Sie studiert auch Musik, ist zwei Semester unter mir.", berichtete er zögerlich. Kyo nickte langsam, nahm einen Schluck von seinem Espresso. "Wie steht's bei dir?" Kyo zuckte gleichgültig die Achseln. "Mal hier und da für ein paar Tage, du kennst mich doch. Ich bin nicht in der Lage, eine Beziehung zu führen, die nicht in einer Katastrophe endet..." Die zog an seiner Salem Light und widersprach: "Red nicht immer so einen Unsinn. Du hast einmal eine sehr schöne Beziehung geführt." Kyo sah ihn wortlos an. "Ja. Aber in einer Katastrophe ist sie trotzdem geendet.", erwiderte er schließlich leise. Der Ältere wusste, wie falsch es war, Kyo in diesem Augenblick zu fragen, und doch rutschte ihm das heraus, was ihn Ewigkeiten beschäftigt hatte: "Warum hast du mir nie geantwortet? Ich hab dir wochenlang Briefe geschickt, SMS, andauernd versucht, dich anzurufen... Wieso habe ich nie ein Wort von dir gehört innerhalb dieser gottverdammten dreißig Monate?" Kyo lächelte mit einer Spur von Bitterkeit, kramte nun ebenfalls nach einer Zigarette. "Glaubst du, das hätte es einem von uns beiden leichter gemacht? Wenn du ehrlich bist, weißt du, dass wir beide noch viel mehr gelitten hätten, wenn ich den Kontakt zu dir nicht abgebrochen hätte." Die stöhnte unterdrückt. "Natürlich weiß ich das.", lenkte er ein. "Aber ich habe dich so verdammt vermisst." Kyo sog den bläulichen Zigarettenqualm ein, ließ den Rauch seine Kehle hinunterwandern, stieß ihn dann wieder aus. Eine Geste, die Die zu oft hatte beobachten dürfen. Auch nun war sein Blick wie aus Gewohnheit an den vollen Lippen hängen geblieben. Kyo ignorierte Dies Blicke. Glaubst du vielleicht, ich hätte dich nicht vermisst? Ich dachte, ich müsse sterben vor lauter Sehnsucht und Verzweiflung. Aber so ist das Leben halt. Und derartig schnell stirbt nun mal keiner... "Das ist Vergangenheit, Die." Kyo sah ihn ernst an. "Ich habe das hinter mir gelassen. Es ist wirklich schön, dich wieder zu sehen - aber lass uns nicht in alten Wunden herumstochern und sie wieder zum Bluten bringen. Das haben sie so schon lange genug getan." Wahrlich. Ich werde nicht zulassen, dass dieser ganze Horror von vorn losgeht... Was denke ich denn? Das ist ohnehin unmöglich. Wir sind beide nicht mehr die Menschen von damals. Wir haben uns verändert. Die seufzte innerlich. Damit abgeschlossen. So. Ja, er hatte damit abgeschlossen - zumindest bis zu diesem Zeitpunkt war er sich dieser Tatsache sicher gewesen. "Wie geht es den anderen?", fragte Kyo nach einer nachdenklichen Stille. Die grinste ein wenig. "Ich denke mal, ganz gut. Mit Kaoru habe ich kürzlich erst telefoniert, er hat wohl ne neue Flamme... Shinya ist laut Kao übrigens endlich dazu in der Lage, die Zähne auseinander zu bekommen. Und Toto-" "Wie es Toshiya geht, weiß ich.", unterbrach Kyo ihn lächelnd. Die hob die Augenbrauen an. "Ach?" "Und ob. Er ruft mich nahezu jede Woche an. Keine Chance, dem zu entkommen. Die ersten Wochen, nachdem ich weg war, hat er mich kontinuierlich zugeheult, du kannst dir nicht vorstellen, wie der am Telefon flennen kann..." Die Züge des Rothaarigen waren ungläubig. "Du hattest die ganze Zeit Kontakt zu einem meiner Freunde?" Kyo sah ihn sanft an und gab ihm einen leichten Stoß. "Nimm es Toshiya nicht übel. Ich habe ihm gesagt, dass er es nicht erwähnen soll. Du kennst ihn, wenn er wirklich will, kann er sein Plappermaul halten." Die verspürte einen Stich. Monatelang immer wieder der Gedanke an seinen Halbbruder, die Sehnsucht, die Sorge um ihn. Und Toshiya hatte ihm nicht ein Wort gesagt, nicht einmal Entwarnung gegeben, dass es dem damals blonden Jungen gut ginge... Und dann war dort noch so etwas wie verspätete Eifersucht in seinem Herzen. Mit Toshiya hatte Kyo Kontakt gehalten. Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen. Du weißt, wieso er mit allen außer dir in Kontakt geblieben ist... Kyos Augen erfassten die Uhr über dem Verkaufstresen. Fast halb zwei. Er richtete sich auf und griff nach seiner Tasche. "Ich muss langsam echt los, sonst bin ich morgen früh tot, wenn ich zur Arbeit muss..." Er schnitt eine ungnädige Grimasse. Die nickte und sprang ebenfalls auf. "Ja ne..." Für kurze Zeit standen sie einander unsicher gegenüber. Der Redhead zögerte - sollte er Kyo nun umarmen oder durfte er dies nicht? Er hob langsam einen Arm an, als Kyo ihm plötzlich hastig seine Hand entgegenstreckte. Die gab dem Jüngeren ein wenig unzufrieden die seine, sah dann dabei zu, wie Kyo zur Tür ging. "Kyo?" der Dunkelhaarige hielt inne und wandte sich mit einem erwartungsvollen Blick um. "Sehen wir uns?" Ein Lächeln. "Natürlich." ~~ Die gähnte herzhaft, als er seine Haustür aufschloss. Gott sei Dank: sein warmes, weiches Bett wartete auf ihn, Ruhe, Dunkelheit und - "Wo. Warst. Du?!?" Der Rotschopf zuckte zusammen. Mit einem Mal stand er einer jungen, schlanken Frau gegenüber, die ihn halb ärgerlich, halb besorgt ansah. Die starrte sie überrascht an. "Was machst du denn hier?", nuschelte er müde und hängte seine Jacke am Garderobehaken auf. "Ich wollte dich überraschen. Du hattest vor Ewigkeiten Feierabend, warum kommst du so spät? Du hast an der Uni noch gesagt-" "He", unterbrach Die den Redefluss und lächelte seine Gesprächspartnerin an. "Mai. Ich habe jemanden getroffen, den ich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen habe. Da sind wir noch kurz auf einen Kaffee zusammen weggegangen. Tut mir leid, hätte ich gewusst, dass du auf mich wartest..." Er verließ den kleinen Flur und betrat das Wohnzimmer. Mai sah misstrauisch hinterher, bevor sie folgte. "War dieser Jemand weiblich?" Die grinste sie nachsichtig an. "Nein. Das war mein Halbbruder Kyo." Mais Gesichtszüge entspannten sich augenblicklich. "Ach so.", machte sie. "Ich dachte immer, du bist Einzelkind?" "Bin ich theoretisch auch. Mein Vater hatte in einer anderen Stadt wohl mal eine andere Frau kennen gelernt, ist mindestens zwanzig Jahre her... Dabei entstand Kyo. Er hat nur für kurze Zeit mal bei uns gelebt, aber es war schön, ihn wieder zu sehen." Mai nickte verständnisvoll. Sie umarmte den größeren Mann und lächelte. "Trotzdem schön, dass du endlich da bist.", sagte sie liebevoll und küsste ihn auf die Lippen. Die lachte unterdrückt. "Wir haben uns doch nachmittags noch gesehen.", merkte er an und wanderte weiter in sein Schlafzimmer, um sich umzuziehen. "Na und? Zu lange.", protestierte Mai und lehnte sich gegen den Türrahmen. Nach einer Weile fragte sie: "Hast du Bilder?" Die sah vom Schrank aus zu ihr hinüber. "Wie?" "Bilder. Von deinem Bruder.", wiederholte seine Freundin interessiert. "Ehrm, ja. Muss ich erst suchen...", murmelte Die. Dass er genau wusste, wo er alles aufbewahrte, was ihn nur irgendwie an den Jüngeren erinnerte, wollte er vor Mai nicht sagen. Es hätte seltsam gewirkt. Auch kurz darauf, als der Einundzwanzigjährige neben der jungen Frau in seinem Futonbett lag und ihren Worten lauschte, konnte er sich nicht wirklich auf das konzentrieren, was sie von sich gab. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab, er konnte es nicht kontrollieren. Mai hingegen wollte genau jene Aufmerksamkeit gewinnen. Sie rückte näher an ihren Freund heran und wollte ihm einen Kuss geben, doch Die strich ihr lediglich durchs Haar und flüsterte: "Ich bin tooodmüde. Und morgen müssen wir beide für raus." Auf seine Aussage hin stimmte Mai lächelnd zu und schmiegte sich an ihn. "Ich liebe dich, Die." Die legte einen Arm um die zierlichen Schultern und nickte langsam. "Hmm...", machte er - keine Sekunde später fielen ihm die Augen zu... ~~ Die stand hinter der Theke, wischte mit einem feuchten Lappen darüber. Sein Chef bestand auf perfekte Reinheit, in einem Restaurant nur verständlich, schließlich wollte er seinen Laden wohl kaum schließen. Es war noch verhältnismäßig früh, Dies Feierabend zumindest ließ noch auf sich warten. Doch wenigstens die Gesellschaft war angenehm, Mai saß am Tresen und lernte für eine Klausur, unterhielt sich nebenbei mit ihm, wenn er Zeit dafür fand. Die Türglocke ging, ein weiterer Kunde betrat den recht kleinen Raum. Die sah auf - und ein erfreutes Lächeln stahl sich auf seine Züge. Die Gestalt steuerte auf ihn zu und verkündete gewohnt sarkastisch: "Ich frag mich, wie wir Kontakt halten wollen, wenn wir zu blöd sind, wenigstens die Handynummern auszutauschen." Kyo setzte sich auf einen Hocker und grinste leicht. "Hey." Die rollte mit den Augäpfeln. "Okay. Das ist wirklich dämlich. Wie kommt's, dass du so schnell hier auftauchst, Sehnsucht gehabt?" "Ich schmelze, ich brenne. Sicher doch." Kyos Augen blitzten belustigt. "Bedien mich lieber, Die-kun. Ich verdurste." Die deutete auf die Getränkekarte. "Dann bestell dir was.", riet er fachmännisch und verließ den Platz hinter der Theke, um einen Tisch abzuräumen. Kyo steckte sich eine Philip Morris an und sah Die nach. Erst jetzt wurde er sich dem neugierig musternden Blick bewusst, der an ihm klebte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine junge Frau, ungefähr sein Alter, die ihn unverwandt ansah. Big Red kehrte aus der Küche zurück und hängte sich wieder zu Kyo an die Theke. "Na, was darf's sein?!" "Eine Cola und die Erklärung, warum die Tussi da mich so unverschämt anglotzt." Kyo zeigte frech die Zähne. Die folgte seinem Nicken nach links. "OH.", machte er und winkte der Frau zu. Dass Kyo seine Freundin als Tussi betitelt hatte, war ihm nicht einmal aufgefallen. "Mai, komm mal her." Die Aufgeforderte kam ein wenig schüchtern die paar Stühle weiter hinüber zu ihnen. "Mai, das ist Kyo. Kyo - Mai." Mai lächelte Kyo strahlend an. "Freut mich so!", sprudelte sie los. "Du bist also Dies Bruder, ja?" Kyo nickte langsam. "Sou desu." Er musterte das Mädchen, das nun neben ihm saß, unauffällig. Sie hatte schulterlanges, bräunliches Haar, das stufig geschnitten war, dunkle Augen, war recht groß und schlank. In gewisser Weise erinnerte sie ihn rein aussehenstechnisch an Jang. Die stellte ein Glas gefüllt mit Coca Cola vor Kyo hin. "Bitte sehr." Kyo hob die Augenbrauen. "Was hast du wieder genommen, hm?" Mit seinen Worten entlockte er Die ein Lachen. "Baka. Ich freu mich halt." "Man könnte meinen, du hättest nichts besseres zu tun, als mich an den Hacken zu haben." "Hab ich das denn?", sniggerte Die, sich nicht darüber bewusst, mit was für einer Miene Mai ihre Späße verfolgte. Nicht nur, dass der junge Mann sie nicht sonderlich beachtete, er machte auch noch derlei Witze, fast so, als existierte sie nicht. "Sehr gut kennst du dich in Tokyo noch nicht aus, oder?" Kyo schüttelte den Kopf. "Nee, nicht wirklich." "Also, wenn du noch-" Die warf einen Blick auf die Uhr, "anderthalb Stunden warten kannst, schlepp ich dich mit in einen guten Club." Kyo bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich Mais Miene verfinsterte. Wie er Die kannte, war er bereits mit ihr verabredet gewesen. Er nickte zu ihr hinüber. "Hast du da nicht was vergessen?" Dies Kinnlade rutschte leicht. Ach Mist, er hatte ja Mai versprochen, mit ihr ins Kino zu gehen... "Ehm, das heißt - ich... Mai und ich wollen nachher noch einen Film ansehen.", druckste der Älteste der Drei verlegen. Mai sah bereits wieder zufriedener aus, daher traute Die sich, einen neuen Vorschlag zu machen. An seine Freundin gewandt fragte er: "Würde es dich stören, wenn wir Kyo mitnehmen...?" Wirklich begeistert war Mai offensichtlich nicht, doch sie schüttelte den Kopf. "Natürlich hab ich nichts dagegen. Magst du Thriller denn überhaupt, Kyo?" Die lachte unterdrückt. "Nein.", entgegnete er ernsthaft. "Kyo hat Angst vor jeglicher Art von Nervenkitzel. Er sieht grundsätzlich nur Lovestories an." Kyo zeigte ihm unbeeindruckt den Mittelfinger. "Danke für den Einwurf. So gut kennst du mich. Alles, was in meinem DVD-Regal steht, gehört in den Actionbereich. Was wollt ihr angucken?" "Beyond Redemption.", erklärte Mai und lächelte Kyo liebenswürdig an. Die Art des jungen Mannes war amüsant - sie sympathisierte mit seiner Art, gegen Dies dumme Witze zu kontern. "Beyond Redemption? Steht ganz oben auf meiner MUSS-Liste. Bin dabei." Die gab ihm einen erfreuten Stoß. "Spitze. Aber glaub ja nicht, dass du eingeladen bist..." ~~ Kapitel 2: ichiban no nazo -------------------------- Hi-hoo~ Da bin ich mit Kapitel 2! ^___^V Ich weiß, hat mal wieder lange gedauert, doch ich hatte Besuch und somit war ich die letzte Woche so gut wie nie auf animexx vertreten *nod* Nyah, vielen Dank erst mal für die vielen lieben Kommis, es ist schön, wie gut auch die Fortsetzung anzukommen scheint ^^; [btw: ich hab nicht erwartet, dass ihr schon beim ersten Kapitel hinter meine Andeutungen kommen würdet XD aber wie ich hörte, gibt es sogar jetzt schon interessante Spekulationen... ^_^~] So viel vorweg, viel Spaß bei "ichiban no nazo", beim "ersten Rätsel" ... ^______^ Tisara Chapter 2 - ichiban no nazo ~~ "Ich fand den Film schrecklich.", maunzte Mai und schauderte. Weniger Psycho hätte es auch getan, aber hallo... Kyo und Die wechselten einen Blick. "Total cool.", urteilte Kyo, von einem beipflichtenden Nicken begleitet. Mai verdrehte die Augen. "Typisch Mann.", meuterte sie. "Und dabei siehst du doch so-" Die sniggerte und hob die Hand, um Mai zu unterbrechen. "Sag ihm jetzt nicht, dass er was feminines an sich hat, sonst killt er dich." Da Mai nun schwieg, lag auf der Hand, was sie zuvor hatte sagen wollen. Kyo schnaubte beleidigt. "Immer ich.", beschwerte er sich und stopfte die Hände in die Hosentaschen. Während die Drei die sich langsam leerenden Straßen Tokyos entlang schlenderten, diskutierten Die und Mai, ob der Film nun zu extrem gewesen war oder nicht, Kyo hingegen schien in Gedanken versunken. Die war dies bereits von ihm gewohnt - und dennoch war der Kyo, den er hier in Tokyo getroffen hatte, nicht mehr der alte. Er hat sich total verändert. Falls möglich, möchte ich meinen, er sei noch merkwürdiger als früher geworden. Gestern Nacht war er so still, verschlossen. Heute hingegen kam er mir nahezu aufgekratzt vor - und dennoch lässt sich nicht hinter seine Oberfläche sehen. Ich glaube, in den paar Stunden, in denen wir uns jetzt hier gesehen haben, habe ich noch nicht einen Blick auf den richtigen Kyo werfen können. Wieso verschließt er sich so vor mir? Er hat das ja schon immer getan, aber so...? "Wo musst du eigentlich hin, Kyo? Wohnst du in der Nähe?" Kyo sah hoch zu Mai, die ihn interessiert betrachtete. Sie schien ein wirklich aufmerksamer Mensch zu sein. "Ano... Ja, ist nicht so weit weg.", stimmte Kyo zu. Schon wenig später hielt er an. "Ich muss hier links ab." Die runzelte unwillkürlich die Stirn. "Da?", fragte er misstrauisch nach. Die Richtung, in die Kyo deutete, war nicht unbedingt die beliebteste Tokyos. Für gewöhnlich waren jene Viertel eher die, die von vielen Menschen gemieden wurden, weil sie den Ruf hatten, gerade bei Nacht nicht sehr sicher zu sein. "Es ist nur der Weg da lang. Ich wohne nicht hier in der Straße.", beruhigte Kyo ihn und gab Die einen Rippenstoß. "Nun sieh zu, dass du deine Freundin nach Hause bringst." Er grub in seiner Jackentasche nach einer Zigarettenpackung. Es gefiel Die nicht, den Jüngeren bei Nacht allein in diese Richtung weiterziehen zu lassen, doch ihm war klar, wie lächerlich es gewirkt hätte, Kyo nach Hause bringen zu wollen - zumal da auch noch Mai war, die an seinem Arm hing. "Okay.", machte der Rotschopf daher und drückte kurz die Schultern des Kleineren. "Melde dich. Sonst tu ich es." Er zeigte die Zähne und ging nach einem erhobenen Mittelfinger von Seiten Kyos endlich weiter. Der Dunkelhaarige kramte seufzend nach seinem Feuerzeug, während er in die schmale Gasse trat, nun vom Licht der Straßenlaternen abgeschnitten und in Dunkelheit. Seine aufmerksamen Augen wanderten über die schmutzigen, teils heruntergekommenen Hauswände. Du lebst in einer beschissenen Gegend, Kyo. Sei stolz auf dich... Er fröstelte in seiner Jacke, seine Schritte wurden schneller. Der junge Mann lief noch einige Minuten durch die nächsten Querstraßen, ehe er vor einem alten Hochhaus zum Stehen kam. Seine Finger zitterten ein wenig, als er nach seinen Schlüsseln suchte. Die Kälte seiner Umgebung war einfach unerträglich. Hinter ihm ertönten Schritte, er konnte hören, wie sie sich verlangsamten, hinter ihm verstummten. Kyo verweilte ein paar Sekunden regungslos, ehe er sich umdrehte. Ein großer Mann, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, beobachtete ihn aus dem gegenüberliegenden Hausflur. Er sah älter aus, als er sein konnte, auch seine teuren Kleidungsstücke konnten weder die Augenringe noch seine fahle Haut wieder wett machen. Kyo stöhnte unterdrückt. "Was willst du?" "Kann ich dir einen Gefallen tun?" Kyo biss sich auf die Unterlippe, wandte sich wortlos um und schloss die Haustür auf. Im Hineingehen antwortete er: "Ich habe genug von deinen Gefallen. Lass mich in Ruhe, okay?" Er konnte das spöttische Lächeln förmlich hören. "Viel Vergnügen. Bin gespannt, wie lange es dauert, bis zu wieder bei mir auf der Matte stehst. Einen Tag, vielleicht sogar anderthalb?" Kyo ignorierte die Worte des Älteren und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Er atmete tief durch, ehe er sechs Stockwerke die Treppe hinauf in seine Wohnung lief, der Fahrstuhl war defekt gewesen, seit er vor circa zwei Monaten nach Tokyo gezogen war. Nachdem er seine Wohnungstür aufgeschlossen hatte, knipste er ein paar Mal den Lichtschalter auf und ab, ehe das Licht ansprang. Das kleine Wohnzimmer, so wenig möbliert es auch war, empfing ihn mit einer angenehmen Wärme. Seine Einrichtung war weder teuer noch extravagant - doch sie war schön und erweckte einen Eindruck von Geborgenheit. Kyo lächelte leicht. Du schaffst es, hier herauszukommen. Alles wird wieder gut... ~~ "Hast du Lust, vorbeizukommen?" Kyo spielte mit dem Aschenbecher, ließ sich die Frage durch den Kopf gehen. "Ich will euch nicht stören." "Mai ist doch überhaupt nicht da. Wir leben nicht zusammen. Sie hat zwar einen Wohnungsschlüssel, aber na ja..." "Musst du nicht an die Uni?" "Es ist Samstag." Kyo schnitt seinem Spiegelbild eine Grimasse. "Okay. Wo wohnst du?" Er lauschte Dies Antwort, hob die Augenbrauen an. "Nicht schlecht, hast du ne Geldpresse?" Die am anderen Ende der Leitung lachte. "Iie, ich hab nur ordentlich geackert und gespart. Außerdem haben Mam und Paps mich anfangs unterstützt..." "Also, wann soll ich da sein...?" Es war noch nicht viel Zeit vergangen, als die Türklingel schrillte. Die, der unbewusst schon andauernd um die Haustür herumgeschlichen war, riss sie auf und empfing den bereits sehnsüchtig erwarteten Gast mit einem Lächeln. Gerade einmal vier Tage waren seit ihrem letzten Zusammentreffen vergangen - und doch hatte er ihn vermisst. Die sagte sich selbst, wie albern seine Gedanken klangen, aber verhindern ließen sie sich trotzdem nicht. Kyo sah sich mit wachsamen Augen um. "Deine Wohnung ist schön.", merkte er an, setzte sich auf das weiche Sofa. Die mittelgroßen Räume waren hell und freundlich, nicht übermäßig eingerichtet, es wirkte passend für eine Studentenwohnung. Die nickte zufrieden. "Hai, ich weiß..." Er zögerte, ehe er sich zu Kyo setzte. Erneut herrschte dieses merkwürdige Schweigen zwischen ihnen, ein Schweigen, das es zuvor noch nie gegeben hatte. Bis Die endlich zu einem Gespräch ansetzte: "Erzähl doch mal von dir. Was hast du gemacht...? Sind schließlich zweieinhalb Jahre, die es aufzuholen gilt." Kyos Augen wanderten durch den Raum. "Was ich getan habe? Ich habe die Schule beendet, das war vor einem Jahr. Dann habe ich in Kyoto einige Scheißjobs gemacht und in verschiedenen Bands gespielt, die aber nie sonderlich gut waren, geschweige denn erfolgreich. Bis auf meine letzte Band. Die war ziemlich gut, wir hatten prima Leute..." In den dunklen Tiefen regte sich etwas, Die kam es vor, als verdunkelten sie sich noch mehr, fast so, als hingen Regenwolken vor dem Licht in den Augen des Jüngeren. Obwohl... Wenn ich ehrlich bin, habe ich es noch nicht richtig gesehen. Wo ist es geblieben...? "Was ist mit der Band passiert?", hakte Die vorsichtig nach. "Ich hatte Streit mit unserem Leader. So talentiert er auch war, er hatte einen Fehler: er ist ein Arschloch. Ein riesiges Arschloch." Kyo seufzte leise. Diese verdammte Band hatte ihm so viel bedeutet, so unendlich viel... Und doch war es seine Schuld gewesen. Allein seine. "Und deswegen ist die Band auseinander gegangen? Wegen einem Streit?", wunderte sich der Ältere verblüfft. "Das war nicht bloß ein Streit, Die.", murmelte Kyo. "Es gab einige Probleme, wegen denen sie sich dann einstimmig gegen mich entschieden haben. Danach ist die Gruppe allerdings ganz zerbrochen, weil sie keinen neuen Vokalisten gefunden haben. Jedenfalls keinen, der ihnen gut genug war." Die erkannte, dass Kyo über diese Band weiter kein Wort verlieren wollte, geschweige denn über die Gründe für seinen Rauswurf. Da kam ihm ein Gedanke. "Warte mal kurz.", forderte er den Jüngeren auf und verließ kurz das Wohnzimmer, kehrte mit einem kleinen Karton und einer Gitarre wieder. Es war nicht mehr die, die Kyo noch aus früheren Zeiten kannte. Misstrauisch begutachtete er den Schuhkarton, der mit Papier beklebt war. "Was ist das?", fragte er langsam. Die grinste ein wenig verlegen. "Da... na ja, da sind noch ein paar alte Sachen drin...", druckste er und hob den Deckel an. Kyo betrachtete den Inhalt schweigend, bevor er den Blick erneut zu Die anhob. Lauter alte Fotographien von ihm, ein paar Gedichte, die er Die damals geschrieben hatte, ein Feuerzeug, das einst ihm gehört hatte. "Du hast alles von mir aufgehoben?" Big Red hörte die Ungläubigkeit in der anderen Stimme genau, verfluchte sein Innerstes, als er spürte, wie sein Gesicht seine Signalfarbe annahm. Kyo beobachtete ihn halb gerührt, halb ausdruckslos. Das ist unglaublich... Du hast also auch jeden Schnipsel aufgehoben, der nur irgendwie mit uns in Verbindung stand. Wieso hast du das getan? Genau wie ich, um dich in eine Traumwelt zu retten, die dir keiner nehmen konnte...? "Ehm, nicht alles...", druckste Die und stöberte in besagter Kiste herum. "Aber darum geht es ja auch gar nicht. Ich habe da noch was - ah, da ist es ja." Er hielt Kyo ein paar Blätter entgegen. Der kleinere Mann nahm sie entgegen, besah sie kurz. Dann sah er auf, fragend. "Gitarrennoten.", stellte er fachmännisch fest. "Genau.", stimmte Die zu. "Okay... Aber - was soll ich damit?" Der Gefragte versuchte zu erklären: "Ich - damals... du weißt doch, es war Weihnachten. Aber du bist nicht lange genug geblieben, um dein Geschenk zu bekommen." Kyos Miene war verständnislos. "Ich kann dir für einmal nicht folgen." "Ich habe mir eines deiner Gedichte ausgesucht, du weißt schon, das, was du >zakuro< getauft hattest... Dieses Gedicht habe ich vertont - ich wollte es dir eigentlich schenken, aber... sind zu viele Dinge dazwischen gekommen." Fassungslosigkeit. "Du hast mal ein Lied für mich geschrieben?" Kyo begutachtete die Noten nun genauer, versuchte, sich ihre Klangfolge vorzustellen, während er den rechten Zeigefinger vorsichtig über das oberste Blatt streichen ließ. Die nickte, er fühlte sich noch immer total verlegen. Was musste Kyo davon halten, dass er nun, Jahre später, mit diesem alten Lied ankam? Kyo hob den Blick an. "Das ist süß...", bemerkte er lächelnd, konnte seinem Herzen jedoch nicht verbieten, sich schmerzhaft zusammenzuziehen. Wie soll das nur weitergehen? Alles, was sich die letzten Jahre über hat verdrängen lassen, wird wieder präsent werden. Verdammt, als hätte ich nicht genug andere Sorgen... Aber ich kann nicht einfach gehen, dich ignorieren. Das kann ich weder dir noch mir antun. Immer nur davonzulaufen, was ist das denn? Ich bin aus Mie geflüchtet, dann aus Kyoto... Wie oft noch? "Willst du es hören?" Kyo nickte zustimmend. "Natürlich." Die breitete die Noten auf dem Couchtisch aus, sah sie noch einmal durch, bevor er ein wenig nervös begann, die ersten Akkorde zu spielen. Kyo lehnte sich in seine Sofaecke, lauschte abwesend den Klängen der Akustikgitarre. Seine eigenen Worte, der Text seines Gedichtes, spielten sich dabei automatisch in seinem Kopf ab. Als Die einige Minuten später endete, sah Kyo wie verzaubert hinüber zu ihm. "Das ist wirklich beeindruckend...", erklärte er sanft. Die zuckte scheinbar unbeteiligt mit den Achseln. "Ach was.", widersprach er. "Das kann jeder, der einigermaßen gut Gitarre spielt." Kyo richtete sich ein wenig auf. "Steck das einfach ein, okay? Ich lobe nicht oft." Er suchte eine Kippe in seiner Tasche - schon die zweite in der kurzen Zeit, die er bei Die war. Selbst Big Red, der ja zugegebenermaßen bereits mit Zigaretten aufstand, fiel dies auf. Ebenso entging ihm nicht, wie Kyos Finger leicht zu vibrieren schienen, als er seine Philip Morris ansteckte. "Kyo?" Zwei Tiefen richteten sich auf ihn. "Wo ist es hin?" "Hm?", machte Kyo verständnislos und nahm einen tiefen Zug, der seine Nerven beruhigen sollte. "Deine Augen. Deine Augen haben immer so wunderschön gefunkelt. Aber nun ist es verschwunden. Wo ist das Licht abgeblieben?" Dies Frage war so unerwartet gekommen, dass Kyo ihn nur noch anstarrte, dabei sowohl seine tabako als auch Die zu vergessen schien. Doch er fing sich wieder, schüttelte den Kopf und entgegnete: "So ein Unsinn. Meine Augen sehen genauso aus wie früher." Doch in Gedanken spielte sich anderes in dem Dunkelhaarigen ab. Du bist so ein schlechter Lügner, Kyo. Sieh dich mal im Spiegel an, dann weißt du, wie abgefuckt du aussiehst... Ein kleines, schmächtiges Etwas, mit Augenringen so tief wie die Nacht und - vergiss es. Die rückte mit einem durchdringenden Blick weiter hinüber in Kyos Ecke. Er griff nach seinem linken Arm, drehte ihn auf die Innenseite und schob den Ärmel vorsichtig an, nur ein paar Zentimeter. Als Kyos unversehrte, helle Haut darunter zum Vorschein kam, ließ er den Arm augenblicklich los. Kyo hob fragend die Augenbrauen an. "Und was war das jetzt? Eine kleine "Ritzer oder nicht?" Prüfung?!" Die rollte mit den Augäpfeln. "Tut mir ja leid, aber... Weißt du eigentlich, wie unglücklich du aussiehst?" Es war ihm einfach nur herausgerutscht, ohne dass er es hatte sagen wollen. Zwar entsprach jene Aussage dem, was er dachte, doch prinzipiell wusste er, dass es nicht sein Recht war, Kyo dies zu sagen. Kyo drückte seine verdächtig schnell aufgerauchte Kippe im Aschenbecher aus. "Ich weiß, dass ich momentan ziemlich beschissen aussehe, danke." Die schüttelte hastig den Kopf. "Schwachsinn! Du - du siehst toll aus, wirklich... Aber unglücklich aussehen kann man trotzdem." Kyos Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, teils bitter, teils spöttisch. "Du brauchst auch für mein hochempfindliches Nervenkostüm nicht lügen, Daisuke. Ich habe einen Spiegel zu Hause." Die machte ein genervtes Geräusch, stand dann für Kyo unverständlicherweise auf und kehrte wenig später zurück. "Da.", machte er und setzte sich neben Kyo. "Guck mal da rein." Kyo zog ein Gesicht, bevor er in den Spiegel sah. "Toll. Stell dir vor, ich weiß, wie ich aussehe." Big Red sah das scheinbar anders. Er deutete auf Kyos Spiegelbild. "Das", begann er, "ist das schönste Gesicht weit und breit, okay?" Der Ältere tippte gegen die Lippen, die sich im Glas spiegelten. "Das sind schöne Lippen. Und das da", er fuhr weiter nach oben, "sind die tiefsten und schönsten Augen überhaupt. Momentan sehen sie leider ziemlich traurig aus, aber Traurigkeit macht manche Gesichter nur noch anziehender." Er legte den Spiegel beiseite und sah Kyo fordernd an. "War das jetzt veranschaulichend genug?" Kyo konnte sich ein angedeutetes Lächeln nicht verbieten. Wieso nur bist du so verdammt liebenswert? "Ertappt!", machte Die grinsend und zwickte Kyo leicht in die Wange. "Du kannst es ja doch noch..." Er sah ihn einen Augenblick lang nachdenklich an. "Lächle wieder mehr. Soll gesund sein, hab ich mal irgendwo gehört..." Kyo räusperte sich und rappelte sich aus seiner Sofaecke auf. "Ich hab ganz vergessen, ich muss noch arbeiten..." Dies Blick war eingehend, schien Bände zu sprechen. "Entschuldige.", fing er betreten an. "Ich wollte dir nicht zu nahe kommen. Du musst nicht abhauen, um mich vom Hals zu haben, versprochen..." Kyo schüttelte den Kopf. "Das ist es nicht. Ich muss wirklich weg." "Ehrlich?" "Ehrlich." Der Dunkelhaarige griff nach seiner Umhängetasche - Die machte große Augen. War das etwa immer noch Kyos alte Schultasche?! - und folgte Big Red dann in Richtung Tür. "Danke, Die." Die zog die Augenbrauen zusammen. "Wofür?" "Der Song. Und dieser kleine Exkurs in Sachen "Wie werde ich narzisstisch?" war auch nicht schlecht..." Die lachte und gab sich den Ruck, Kyo vorsichtig zu umarmen. Der Kleinere ließ es sich gefallen, ohne den großen Rothaarigen jedoch seinerseits zu umarmen. "Bis bald.", machte er und verschwand durch die Haustür. ~~ Erst später am Abend bemerkte Daisuke etwas auf seinem Couchtisch, das garantiert nicht ihm gehörte. Ein abgegriffenes Portemonnaie. Nani? Wie kommt denn das da hin? Die griff erstaunt danach. Im gleichen Augenblick fiel es ihm ein. Kyo musste es gemeinsam mit den Zigaretten aus seiner Tasche gezogen und später vergessen haben. Hmm... Er braucht das doch bestimmt?! Big Red öffnete die Geldbörse, um nach Kyos Ausweis zu suchen. Dort würde er seine Adresse finden, um seinem Halbbruder das wichtige Utensil zurückzubringen. Er suchte mit den Augen den Ausweis nach der angegebenen Anschrift ab. Wie? Hat er nicht gesagt, er wohnt nicht da in der Gegend? Die rief sich Kyos Worte zurück in seine Erinnerung und verdrehte dann die Augen. Nein. Er sagte, er wohne nicht in der Straße. Typisch... Als er den Ausweis zurückstecken wollte, fiel sein Blick auf das Fach für Geldscheine. Die hob überrascht die Augenbrauen an. Kyo? Wieso hast du so einen großen Geldschein in deinem Portemonnaie...? ~~ Die Gegend, in der Die sich wenig später wieder fand, war alles andere als einladend. Gewöhnlich war Die niemand, der von großen Vorurteilen belastet war, doch in gewisser Weise brachte ihm die Umgebung, in der Kyo lebte, Zweifel ein. Ob es gut war, wenn der Jüngere hier blieb...? Die untere Haustür des Gebäudes öffnete sich ohne Probleme. Da es dort unten im Eingang keine Klingeln zu geben schien, ging Die zielstrebig auf den Aufzug zu und drückte den Erdgeschossknopf. Keine Reaktion. Erst nun fiel ihm das Schild auf. Defekt. Big Red murmelte unverständliches vor sich hin und nahm die Treppenstufen mit Schwung. Zumindest die ersten paar Stockwerke. Doch mit der Zeit empfand er es als ziemlich nervig, die Treppe gehen zu müssen und betete daher zu kami-sama, dass Kyo nicht im zweistelligen Stockwerkbereich wohnte. Seine Gebete wurden erhört, Stockwerk Sechs wies eine Türklingel auf, die mit dem Namen Niimura versehen war. "Praise the Lord.", murmelte Die dankbar und wollte klingeln, als er laute Stimmen vernahm, die durch die Tür zu ihm auf den Hausflur drangen. "... deiner Großmutter erzählen!" Eine fremde Stimme, gefolgt von der Kyos: "Dammit, ich hab wirklich keine Ahnung, wo das Ding abgeblieben ist! Heute morgen war es noch da, ich schwöre!" "Nun, das ist dann wohl dein Problem. Du musst die Konsequenzen tragen, nicht ich." "Aber-" Die Tür wurde aufgerissen und ein großer, dunkelhaariger Mann stieß fast mit Die zusammen. Der Jüngere konnte nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschen - er schien Mitte zwanzig zu sein, seine Kleidung war auch nicht gerade von schlechten Eltern - , bevor er die Treppe hinunter verschwand. Die drehte sich wieder zur Tür, wo Kyo ihn nun mit einem fassungslosen Blick anstarrte. "Was... machst du hier? Woher-" Die hielt erklärend die Geldbörse hoch. "Dein Portemonnaie... du hast es liegen lassen." Kyo schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. "Ich Idiot.", brummte er ärgerlich und streckte die Hand danach aus. Die fragte wachsam: "Wer war das eben?" "Der Grund, wieso ich das Ding unbedingt gebraucht hätte. Das war mein Vermieter." Die blinzelte staunend. " Der ?" Kyo verzog keine Miene und lehnte sich gegen den Türrahmen. "Sou desu. Er war ziemlich sauer, weil ich im Rückstand bin mit Zahlen. Er hat mir die Frist auf heute Abend gesetzt und ich hatte das Geld ja auch - nur irgendwie wollte er mir nicht glauben, dass ich das Portemonnaie nicht finde..." Die machte ein betretenes Gesicht. "Mann, wieso meldest du dich denn nicht mal bei Paps, wenn du so gar nicht klar kommst ohne Unterstützung...?" Kyo schüttelte strikt den Kopf. "Ich kriege das alleine hin." Ich habe mich selbst in den Mist hineinbugsiert - also komme ich da auch wieder raus... "Den möchte ich ja nicht als Vermieter haben..." Kyo wedelte mit der Hand. "Ach, eigentlich ist er ganz okay...", murmelte er. "Er hat mir Anfangs ein wenig geholfen, wenn du's so siehst." "Wieso duzt der dich eigentlich?", wunderte Die sich und sah erneut die Treppe hinunter, fast, als könne er so noch einmal einen Blick auf den Vermieter erhaschen. Kyo bog seine Finger ein wenig ruhelos hin und her. Die sah ihm an, wie sehr es dem jungen Mann missfiel, seine Schulden nicht beglichen zu haben. Anderenfalls wirkte er wohl kaum so nervös. "Eh? Ach so, wie gesagt, bisher bin ich ganz gut mit ihm ausgekommen... Ich würde dich wirklich gern noch reinlassen, aber ich glaub, ich gehe besser noch mal zu ihm hin. Ich habe keinen Bock, nächsten Monat ohne Mietvertrag auf der Straße zu sitzen..." Die nickte verständnisvoll und verabschiedete sich von dem Jüngeren. Noch während er die Treppen wieder hinunterlief, schüttelte er leicht den Kopf. Meine Güte, es wurde scheinbar echt Zeit, dass wir uns wieder gesehen haben... Jetzt kann ich wenigstens ein bisschen auf dich aufpassen. ~~ Kapitel 3: Les Liaisons Dangereuse ---------------------------------- Hey ho! Dieses Mal war ich doch echt fix, nicht wahr? Ja~, nachdem ihr bei Kapitel 2 so lange warten musstet, dachte ich mir, ich spiel mal Wohltäter *lol* Nyan, was gibt es zum Chap zu sagen? Ausnahmsweise mal ein französischer Titel, eigentlich leicht zu übersetzen, doch bevor es am Ende jemand doch nicht kann: der deutsche Titel lautet "Gefährliche Liebschaften" und ist somit ne kleine Raubkopie eines berühmten Bestsellers ^^; [den Autoren habe ich schon wieder vergessen, gomen *drop*] Gut, dann mal viel Spaß, auch, wenn es nicht so~ viel zu lachen gibt. Baibai~ Tissa Chapter 3 - Les Liaisons Dangereuse ~~ Kyo verließ nur wenig später das Haus. Er kramte nach seinem Handy und drückte die Wahlwiederholungstaste. Es dauerte nicht lange, bis das monotone Tuten in der Leitung von einer Stimme unterbrochen wurde. "Ja?" "Joey? Tooru desu." "Was willst du? Glaub ja nicht, dass du mich weich kochen kannst, das-" "He!", unterbrach Kyo ihn genervt. "Ich hab mein Geld wieder. Ich hatte es liegen lassen, wie vermutet." "Bei dem Typen, der eben vor deiner Tür stand?" Kyo bejahte. "Wo bist du gerade?", wollte er wissen. "Da, wo ich um diese Uhrzeit sein sollte. Komm her." Kyo seufzte innerlich, als er zustimmte und sich auf den Weg machte. Weit hatte er es nicht, bereits ein paar Gassen später entdeckte er den jungen Mann namens Joey an eine schäbige Hauswand gelehnt. Er stand alleine in der Dunkelheit, die lediglich von ein paar Sternen aufgehellt wurde, und rauchte. Es war eine milde Frühjahrsnacht, nicht zu kalt, um zu dieser Uhrzeit noch draußen unterwegs zu sein. Kyo zögerte den Bruchteil einer Sekunde, überlegte, doch noch umzukehren - da entdeckte Joey ihn und winkte ihn näher. Langsam schlurfte Kyo die letzten Meter und verweilte neben dem viel größeren Mann. "Der Junge vorhin, war das dein Freund?", fragte der andere nach und zog Kyo am Arm weiter in einen Hauseingang. Kyo schüttelte den Kopf. "Nein. Mein Bruder." "Ah ja. Nun, besser ist's. Das weißt du..." Joey streckte seine Hand nach ihm aus, fuhr leicht über die Wange des Jüngeren. Kyo ignorierte die Berührung und murrte: "Das kann dir doch egal sein." "Eines Tages wirst du noch mal Ärger kriegen mit deiner Klappe.", prophezeite sein Gesprächspartner. "Ich brauche keine Ratschläge fürs Leben.", erkannte Kyo und trommelte mit dem Absatz seines Schuhs auf der kleinen Stufe vor der Haustür herum. "Her damit." "Erst einmal möchte ich mein Geld sehen." Kyo zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche, reichte Joey widerwillig einen großen Geldschein. "Ist das ein Witz? Damit deckst du gerade mal die Schulden, die du noch bei mir hast." "Ich habe nicht mehr.", quetschte Kyo zwischen den Zähnen hervor. "Das wollen wir doch mal sehen.", entgegnete Joey daraufhin und griff nach Kyos Portemonnaie. Mit einem überraschten Blick sah er wieder zu Kyo hinunter. "Das ist ja wirklich leer." "Ich kann's mir nicht leisten zu lügen.", murmelte Kyo und hauchte seinen Fingern ein wenig Wärme ein. Verrückt, es ging auf den Sommer zu und er fror... Joey rollte mit den Augäpfeln. "Wäre ich doch ein Unmensch.", grummelte er und fasste in die Innentasche seiner Jacke, zog einen kleinen Umschlag heraus und hielt ihn Kyo entgegen. "Da." Kyo wollte nach dem Umschlag greifen, da hielt Joey ihn noch einmal aus seiner Reichweite und erklärte: "Das ist das letzte Mal, dass ich dir helfe. In Zukunft sieh zu, wie du ohne Geld klarkommst." Kyo schnappte sich das Couvert letztendlich und wollte gehen, da hielt ihn eine starke Hand am Arm zurück. "Du weißt, dass du das Geld einfacher haben könntest, Tooru.", bemerkte Joey beiläufig, sah Kyo dabei allerdings fest in die Augen. Kyo schüttelte heftig den Kopf. "Nie wieder.", flüsterte er tonlos. "Verstehst du? NIE wieder." ~~ Es war ein sonniger Sonntag, eine gute Woche später. Die stand morgens in der Küche und suchte nach etwas Essbarem. Jene Suche lief meist recht erfolglos ab, wenn Mai nicht zuvor eingekauft hatte. Heute zumindest hatte Die Glück und röstete gerade eine Scheibe Weißbrot, als das Telefon klingelte. "Moshimoshi?", fragte er fröhlich in den Hörer. "Ohayou, Die. Wie geht es dir?" Die grinste gut gelaunt. "He Mam. Prima, und selbst?" "Alles bestens. Was gibt's neues?" Die richtete sich gänzlich auf und sprudelte los: "Rate mal, wen ich vor zwei Wochen wieder getroffen habe." Yanagi, die ihrerseits in Mie am Frühstückstisch saß, runzelte leicht die Stirn. Seido sah von seiner Tageszeitung auf. Nanu? "Wen, Schatz?", fragte sie nach. "Kyo." Als hätte sie es nicht geahnt. Yanagi wusste nicht recht, ob sie sich freuen sollte. Gewiss, es war schön, wenn Die glücklich darüber war, doch der Gedanke, wie schief alles erneut gehen konnte, lag zu nahe. Aus dem kurzen Schweigen schloss Die, was Yanagi nun denken musste. "He. Keine Panik, ne. Wir sind beide n bisschen klüger als früher - und vor allen Dingen haben wir uns beide verändert." Über diese Aussage hinweg steigerte sich Yanagis Laune wieder, ihre Unsicherheit schien verschwunden. "Wie geht es Mai?" "Gut, denke ich. Jedenfalls war das gestern noch so.", erwiderte Die. "Hast du Kyo eigentlich in letzter Zeit mal gesehen? Er hat sich die Haare wieder schwarz gefärbt und Piercings hat er auch..." Die beiden plauderten noch eine Weile vor sich hin, ehe Yanagi wieder auflegte. Seido ließ seine Zeitung nun völlig sinken. "Er hat Kyo wieder gesehen?" Yanagi nickte. "Ja. Er wohnt jetzt auch in Tokyo. Wie es sich anhörte, treffen sie sich wieder öfters..." Seido überlegte und trank einen Schluck Kaffee. "Aber Die ist noch mit Mai zusammen, ne." "Sou desu. Und ich will hoffen, dass dem auch so bleibt..." ~~ "Bist du dir sicher, dass deine Freundin es dir verzeiht, wenn du mit mir weggehst?" Kyo sah Die erneut zweifelnd an. Dieser nahm seinen Blick kurz von der Straße und grinste Kyo beruhigend an. "Zum hunderttausendsten Mal: JA. Sie wird es überleben, wenn ich einmal mit dir alleine weg möchte." Kyo verschränkte die Arme vor dem Körper und lehnte sich tiefer in seinen Autositz. "Ich an ihrer Stelle fände es merkwürdig, wenn du dauernd mit deinem Halbbruder ausgingest." "Sie hat halt gecheckt, dass wir uns sehr gut verstehen. Soll auch Geschwister geben, die sich nicht pausenlos die Köpfe einschlagen, sieh dir Kaoru und Toshiya an.", widersprach Die gelassen. Als Kyo schweigend aus dem Fenster sah, löste sich Dies Hand vom Steuerknüppel und griff nach der fragilen Hand Kyos. "He. Mai hat keinen Grund zur Eifersucht, oder? Wüsste sie, was früher war, lägen die Dinge bestimmt ein wenig anders, aber so ist das doch okay, oder nicht?" Kyo zwang sich zu einem Nicken. Nichts ist okay. Tut mir ja leid, aber ich kann deine Freundin nicht ausstehen und ich bin mir hundertprozentig sicher, dass auch sie nur gute Miene zum bösen Spiel macht. Sie kann mich noch viel weniger leiden, das spüre ich... Selbst wenn sie nicht eifersüchtig wäre - ich... Schwachsinn. Hör auf damit, Kyo. Dies Blick fuhr erneut über Kyos Körperhaltung, die überschlagenen Beine, der gesenkte Kopf... "Deine Klamotten sind cool." Kyo wandte ihm den Kopf zu. "Findest du? Das sind alles alte Fetzen, die ich selbst zerschnitten habe... ^^°" "Dann hättest du Designer oder so werden sollen, nicht Musiker. Wer weiß, vielleicht wärst du der neue Christian Dior geworden." Kyo zeigte seine Zunge und zog ein wenig an der kurz geschnittenen Jeans. Au weh, das schien im Sitzen betrachtet aber doch ein wenig arg kurz geraten zu sein... Die bemerkte, wie seine Aufmerksamkeit immer wieder von der Straße abkam, bei Kyo landete. Er konnte sich noch gut erinnern, was sein Vater grundsätzlich zu sagen pflegte, wenn Kyo aussah wie an diesem Abend. "Was guckst du so?" Kyo fühlte sich mehr als beobachtet, zupfte an seiner rotschwarz karierten Jacke herum in der Hoffnung, ein wenig mehr Bein bedecken zu können. Die lachte unterdrückt. "Musste gerade an personifizierte Sünden denken." Kyo hielt in seiner Bewegung inne, konnte sich ein Lachen nun auch nicht mehr verkneifen. "Oh bitte, die Bondagesünden von früher wirst du mir nicht ernsthaft vorhalten wollen?!" "Ich habe diese Lackklamotten an dir geliebt.", protestierte Die entrüstet. "Ich bitte dich, du hast nicht das Lack geliebt, sondern die Tatsache, dass dieses Lack nicht gerade viel von meinem Körper bedeckt hat." "Gar nicht wahr.", droppte Die. "Du sahst halt toll darin aus." "Und du hast auch ganz viel gesehen, genau.", stellte Kyo die nächste These auf. Die spielte den Empörten und schob die Unterlippe vor. "Zu dieser Zeit gab es nichts mehr, was ich nicht eh schon gesehen hätte." "Willst du ernsthaft behaupten, dass das für dich ein Grund war, mir nicht mehr auf den Hintern zu sehen?" "Das hab ich nicht gesagt..." Kyo grinste leicht vor sich hin, als er sich an jene Zeit zurückerinnerte. "Du warst echt lustig drauf zu der Zeit...", bemerkte er - es klang wehmütig. "Werden wir sentimental?", stichelte Die auf den Klang von Kyos Stimme hin. "Ein bisschen vielleicht.", entgegnete Kyo seufzend. "Waren die einzigen Momente meines Lebens, die ich nicht aus meiner Erinnerung streichen möchte." Ich habe dich so unendlich geliebt. Zuvor wäre es mir nie in den Sinn gekommen, dass Liebe nicht nur zerstört und weh tut, sondern für den Moment auch wirklich glücklich machen kann. Ohne dich hätte ich es wohl auch nie erfahren. Ich weiß, dass du mich mindestens genauso sehr geliebt hast. Umso mehr stört es mich, diese seltsame Beziehung zu sehen, die du führst. Ich sollte mir vielleicht besser kein Urteil darüber erlauben, aber du liebst sie nicht so sehr, dass du ohne sie nicht mehr leben könntest. Wie kannst du in so einer Beziehung glücklich sein? Gerade nach dem, was wir zusammen erlebt haben? Die bog auf den Parkplatz der Diskothek ein, drehte den Schlüssel im Zündschloss herum. Erst dann wandte er sich Kyo zu und antwortete fragend: "Ist das wirklich die einzige Zeit, die du nicht vergessen möchtest? Hast du in den letzten Jahren denn gar nichts erlebt, was positiv war?" Kyo dachte lange nach. "Nein.", erwiderte er wahrheitsgemäß. "Das Negative überwiegt deutlich." Nach dir ist mir nichts mehr geschehen, das nur irgendwie gut war... Die stieß langsam Luft aus und stieg aus dem Auto. "Komm, lass uns ein wenig feiern, okay?" Kyo stimmte wortlos zu und ließ sich von Die mit zum Eingang der Disco ziehen. ~~ Er hatte es geschafft, den Jüngeren richtig zum Lachen zu bringen. Kyo verpasste ihm einen Schlag und versuchte, Luft zu bekommen. "Du Idiot, NIE WIEDER ein Witz, während ich trinke, verstanden?" Die grinste amüsiert und hob sein Glas an. "Auf dass wir uns wieder getroffen haben?" Kyo nickte zustimmend und wollte ebenfalls das Glas anheben, als ein Lied angespielt wurde, das Jahre alt war - und er zuletzt vor Ewigkeiten gehört hatte. Die stellte sein Glas wieder ab und räusperte sich, lauschte abwesend den ersten Klängen von Bury Me Deep Inside Your Heart. "Muss Jahre her sein, dass ich das gehört habe.", bemerkte er langsam. "Geht mir auch so.", murmelte der Dunkelhaarige daraufhin. Verdammt. Jahrelang nicht einmal gehört. Und dann muss unser Lied ausgerechnet laufen, wenn wir zusammen in einer Disco sind, um Spaß zu haben... Kyo nahm einen großen Schluck seines Getränks und trommelte gedankenverloren den Takt der Musik mit. "Tanzt du mit mir?" Der Jüngere sah stumm zu Die auf. Er hatte nicht einmal mitbekommen, wie der Rotschopf aufgestanden war. "Glaubst du, dass das gut ist?", wollte Kyo leise wissen. "Wenn es okay für dich ist... Nur dieses Lied." Willst du mich umbringen? Nein. Wahrscheinlich hast du nur alles unter Kontrolle in deinem Leben. Kyo erhob sich von seinem Platz auf der Sitzbank und folgte Die auf den überfüllten Dancefloor. Die Disco war gut besucht und das Lied, zum Tanzen geradezu geschaffen, lockte einige Pärchen auf die Tanzfläche. Eine gewisse Unsicherheit verspürte Die schon, als er Kyo dichter an sich zog, ihre Körper sich gleichmäßig im Takt der Musik bewegten. Kyo hatte sein Gesicht an seine Schulter gelehnt, die Lider halb gesenkt. Als Die auf den schwarzen Haarschopf hinuntersah, hatte er das Gefühl, seine Herz würde zentnerschwer. Mist. Wieso muss ich mir eigentlich dauernd beweisen, dass wir Freunde sein können? Ich hätte mir denken sollen, dass der Schuss irgendwann nach hinten losgehen würde. Warum kann es nicht einfach funktionieren? Ich habe die letzten Monate vernünftig leben können. Natürlich, gedacht an dich habe ich sehr oft, aber es tat nicht mehr so höllisch weh. Und jetzt? Nun will ich dich schon wieder einfach nur festhalten, dich wieder ganz für mich haben... Kyos Lichter flammten wieder auf, als er Dies Hand spürte, die langsam seinen Rücken auf- und abstrich. Ein angenehmer Gänsehautschauer durchfuhr ihn, doch Kyo wusste, wie gefährlich das Eis war, auf das sie sich soeben begaben. "Die...", flüsterte er warnend und langte hinter sich, um Dies Hand festzuhalten. Die blieb stehen und sah ihn vorsichtig an. "Ich will das nicht, Die." Die nickte. "Ich - das wollte ich nicht. Das kam einfach so..." Kyo ließ ihn los. "Ich bin mal kurz wohin..." Damit verschwand er aus Dies Blickfeld. Jener seufzte und fuhr sich mit der Hand durch das feuerrote Haar. "K'so..." Der Zwanzigjährige hingegen stürzte in den Toilettenraum. Dort stoppte er vor einem der weißen Waschbecken, stützte sich am Rand ab und atmete tief durch. Er sah sein Gesicht im Spiegel an, bleich und bedrückt, die dunklen Augen als einzige Lichtquelle. Mit zitternden Fingern kramte er in seiner Hosentasche, zerrte ein kleines Röllchen daraus hervor. Ein durchsichtiges Plastikröllchen, in dem sich eine einzige runde Tablette befand, geformt wie eine Kopfschmerztablette. Nahezu hastig schraubte Kyo den Verschluss auf, steckte das Röllchen sorgsam weg, ehe er die Tablette in die Handfläche legte und sie Richtung Mund führte. Zeitgleich wurde die Tür geräuschvoll aufgezogen. Kyo zuckte unwillkürlich zusammen und ließ die weiße Pille dabei fallen. Mit großen Augen musste er dabei zusehen, wie der runde Gegenstand vom Abfluss verschlungen wurde. "Mist!", murrte er. Erst dann wurde ihm bewusst, dass es Die war, der soeben den Vorraum der Toilette betreten hatte. Big Red hob die Augenbrauen an und trat zu ihm hin. Er warf einen Blick in das Waschbecken, sah den Jüngeren dann fragend an. "Ich habe meinen Ring in den Ausguss fallen lassen.", grummelte Kyo und stopfte die Hände in die Hosentaschen. "Oh. Gomen, wollte dich nicht erschrecken. Ich dachte nur - ich wollte mich bei dir entschuldigen." "Warum?" Kyo lächelte ein nervöses Lächeln. Das Thema lief schon wieder in gefährliche Richtungen. "Ich hätte dich eben nicht-" "Die.", unterbrach Kyo ihn sanft. "Das ist gelaufen. Wir haben getanzt, da kommt man sich schon mal zu nahe..." "Ja. Genau.", wiederholte Die brav und deutete auf den Ausgang. "Ich... geh dann mal." Kaum, dass er den Raum verlassen hatte, warf Kyo wieder einen Blick auf das Waschbecken. Hoffnungslos... ~~ "Komm, lass uns gehen.", schlug Die vor und zupfte an Kyos Ärmel. Der Jüngere blinzelte überrascht. "Schon?", fragte er bedauernd. "Japp, ich bin fest überzeugt, dass du innerhalb der nächsten Stunde nicht mehr geradeaus laufen können wirst, wenn das so weitergeht.", stellte Die fest und legte die Arme um die Taille des Kleineren, während er ihn mit sich zog. "Seit wann trinkst du so viel?", fragte er prüfend. Sie näherten sie langsam dem Auto. Kyo hob den Blick an. "Eigentlich trinke ich gar nicht.", erklärte er glaubwürdig. "Nur manchmal in der Disco halt..." Die grinste. "Immer diese Gelegenheitstrinker, nichts könnt ihr ab...", witzelte er und schloss die Beifahrertür auf. Nur gut, dass er nichts getrunken hatte - das hätte andernfalls eine lustige Heimfahrt werden können. Kyo ließ sich ächzend in den Autositz fallen und rieb sich die Schläfen. Das Blut in seinem Kopf pochte viel zu stark und alles in seinem Körper schien sich schmerzhaft zusammenzuziehen. An Schlaf war dank dieses Befindens nicht zu denken, doch er hielt die Augen den gesamten Rückweg über geschlossen, versuchte Die Glauben zu machen, eingenickt zu sein. Das gelegentliche Stöhnen, welches ihm immer wieder hinausrutschte, belehrte Die allerdings eines besseren. Der Rotschopf setzte den Blinker, bog in die schmale Gasse ein, in der Kyo wohnte. Durch den kleinen Ruck des Stopps öffnete Kyo wieder die Augen und drehte den Kopf Die zu. Der Redhead lächelte liebevoll und strich ihm ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. "Geht's einigermaßen?" Kyo nickte gezwungenermaßen. Mir ist kotzübel, aber sonst... "Du solltest nicht so viel trinken wie heute Abend.", schlug Die vor. "Na, das sagt doch mal der Richtige.", konterte Kyo und legte den Kopf schief. "Was denkst du jetzt über mich?" Dass du vorhin versucht hast, deine Probleme im Alk zu ertränken. Aber das sollte ich wohl besser nicht sagen... "Ich mache mir Sorgen um dich." Kyo zog die Augenbrauen zusammen. "Sorgen?" "Hai. Du... ich habe das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Und ich möchte dir helfen." Kyos bisher ausdruckslose Miene verwandelte sich. Für Die aus völlig heiterem Himmel drückte er ihm einen sanften Kuss auf die Lippen, flüsterte ihm dann ins Ohr: "Danke. Aber das kannst du nicht..." Im nächsten Augenblick hörte Die die Autotür leise zuschlagen, Kyo war in der Dunkelheit verschwunden. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bevor der Einundzwanzigjährige den Kopf schüttelte und den Schlüssel wieder im Zündschloss herumdrehte. Und wieder beginnt alles von vorn... ~+~ What You Can't Have You Can't Resist ~+~ TBC Kapitel 4: shiroi kona ---------------------- Heyho, Jaaa~, peitscht mich aus, dieses Mal dauerte es wieder länger *das faule Tissa ist zurück* ^^;; aber gut, jeder, der wie ich noch zur Schule geht, wird mir in den letzten Wochen vor Weihnachten zustimmen, wenn ich mal kurz das Wort STRESS in den Raum schmeiße... *pfeif* Gut, was soll ich sagen? Hey~ heut wird das bestätigt, was einige schon fluchend vermuteten... dementsprechend wünsche ich euch >viel Spaß< beim Lesen von Chap 4 "shiroi kona" <- dem "weißen Pulver" ... Tissa Chapter 4 - shiroi kona ~~ "Mai, bitte." Die ächzte und schob die Hand seiner Freundin vorsichtig beiseite. Er hatte das Kinn auf die Tischplatte gestützt und versuchte standhaft, die Augen offen zu halten. Der Morgen war noch früh - zu früh, wenn man erst gegen vier Uhr morgens zu Hause eingetroffen war. "Ich bin tot, glaube ich." "Du bist sehr spät heimgekommen.", bemerkte Mai ein wenig beleidigt über Dies abweisende Haltung. Der junge Mann drehte seinen Kopf auf die Seite, sah zu ihr hoch. "War halt ziemlich geil im Toxic... Und außerdem habe ich Kyo auch noch nach Hause gefahren.", gähnte er entschuldigend. "Ist dir schon mal aufgefallen, wie oft unsere Wochenenden in letzter Zeit für deinen Bruder draufgehen?" Mit einem Mal war Die hellwach. Er setzte sich endlich auf und starrte Mai überrascht über den kühlen Unterton an. "Wie bitte?", fragte er unsicher nach. "Nun ja, ich kann verstehen, dass es dir wichtig ist, mit deinem Bruder rumzuhängen, aber in gewissen Punkten kann ich nicht mehr folgen: wieso musst du ihn ständig mitschleppen, wenn wir zwei weggehen? Und warum müsst ihr euch dauernd am Wochenende treffen, wenn wir beide auch einmal Zeit füreinander hätten?! Manchmal habe ich das Gefühl, ich führte eine Beziehung mit deinem Bruder, nicht mit dir. Schließlich sehe ich ihn fast genauso oft." Bis zu einem gewissen Punkt hatte Die ihr schuldbewusst zugehört, doch ihre letzte ironische Bemerkung ärgerte ihn. "Ach, und mit Kyo teilst du auch das Bett und größtenteils die Wohnung, ja?" Mai schnaubte. Leicht pikiert entgegnete sie: "Du weißt genau, was ich meine." "Das ist Unsinn. Meine Güte, ich habe diesen Jungen über zwei Jahre nicht mehr gesehen, ist doch klar, dass es da einiges nachzuholen gibt.", verteidigte Die sich. "Ich habe aber nun mal keine Lust, die zweite Geige in deinem Leben zu spielen!", fauchte Mai nun mehr als angefasst. Die sah sie sprachlos an. "Wenn ich dir dieses Gefühl vermittle, tut es mir leid für uns...", murmelte er und verließ die Küche ins Wohnzimmer. "Die! Du hast nicht vor, mich hier alleine sitzen zu lassen, oder?" "Nein. Ich will nur, dass du dich beruhigst, bevor wir uns weiter streiten.", gab Die gereizt zurück und versuchte, sich nicht aufzuregen. Schwierig, da Mais Zickereien ihn mächtig ärgerten. Mai kam ebenfalls aus der Küche, griff jedoch nach ihrer Handtasche und steuerte auf die Tür zum Flur zu. "Mai!", rief Die ihr empört hinterher. Bevor die Haustür heftig ins Schloss krachte, rief die Stimme seiner Freundin noch ein aufgebrachtes: "Du kannst dich wieder bei mir melden, wenn ich nicht mehr sauer bin - in fünf Jahren vielleicht!!!" Die machte große Augen. Verdammt, die war aber wirklich tüchtig wütend... ~~ Die lauschte der Stimme am Hörer. "Nein, es ist alles okay." "So hörst du dich gewöhnlich aber nur an, wenn eben nicht ,alles okay' ist." "Ich hasse es, wenn du immer alles merkst.", brummte Die. Kyos Stimme lachte leise. Doch der Schwarzhaarige bereute es sofort und hielt sich die Stirn. "Itai..." "Dir scheint's auch nicht gerade rosig zu gehen." "Ich habe einen Kater. Aber was ist mit dir?" Big Red redete ein wenig um den heißen Brei herum, ehe er letztendlich erklärte: "Sie ist sauer auf mich, weil... nun, ich denke, sie glaubt, ich träfe mich lieber mit dir als mit ihr. Und das passt ihr natürlich nicht." Kyo sah den Hörer nachdenklich an. Verdammt. Es geht schon los. Der erste Mensch, der unsere Beziehung zueinander für zu eng hält... Und ich küsse dich auch noch, so ein Mist! Warum habe ich das bloß gemacht? "Hat sie Recht?" "Was?" "Mit ihrem Glauben. Hat sie Recht - oder ist sie grundlos eifersüchtig?" Die schwieg lange. Zu lange. "Warum antwortest du mir nicht?", fragte Kyo leise nach. "Weil ich gerade überlege, ob mir nicht auch mal eine tolle Metapher einfällt... Kein Plan, ich kann meine Worte nicht so verpacken wie du.", beschwerte sich Die. Kyo musste ein wenig lächeln. "So kann man eine Antwort auch umgehen. Nicht gerade so stilvoll, aber genauso erfolgreich..." "Ich will mich gar nicht vor einer Antwort drücken.", erwiderte Die ruhig. "Es ist nur... schwierig zu sagen. Ich meine - ich muss dir nicht erzählen, wie sehr ich dich geliebt habe. Und - ich hatte nie eine Chance, diese Gefühle wirklich zu beenden oder abzuschließen. Sie sind im Laufe der Jahre nur in den Hintergrund gerückt. Vor ein paar Monaten habe ich Mai kennen gelernt. Sie ist echt süß und ich habe mich in sie verliebt. Verliebt - aber was ist das im Gegensatz zu dem, was war? Weißt du, ich kann das einfach nicht vergessen und plötzlich bist du wieder da - und dann noch gestern Nacht... Ich weiß, es war bloß ein kleiner Kuss, nichts von Bedeutung, aber... Was soll ich denn jetzt machen?" Kyo seufzte tief. Seine Miene war ernst geworden, sehr ernst. "Es war ein Fehler. Dieser Kuss war dumm und wird jetzt unnötig weh tun. Aber wir können unmöglich wieder mit diesem ganzen Horror anfangen, das sollte dir klar sein. Es geht nicht." "Ich weiß, wie unmöglich das ist.", antwortete Die vernünftig. "Damals habe ich es nicht mal gewusst, aber auf Inz... ehm, Geschwisterliebe steht Freiheitsentzug. Außerdem... Ich kann Mai das nicht antun." Es ist nicht nur das, Die. Ich brächte dir nur Unglück, noch mehr Kummer und Sorgen als die Angst vor den Folgen... "Würdest du dich von ihr trennen, wenn wir nicht verwandt wären?" Kyo war sich bewusst darüber, wie gemein diese Frage war, doch er musste sich über Dies Antwort im Klaren sein. "Ja. Tut mir leid, aber... Ja, würde ich." Kyo räusperte sich. "Dann tut Mai mir jetzt ehrlich leid. Das ist nicht fair ihr gegenüber..." "Sie bedeutet mir echt viel. Das musst du mir glauben. Doch... Mann, gegen dich kommt sie einfach nicht an. Kein Mensch tut das. Verzeih mir, wenn ich das so ehrlich sage, aber das ist mir letzte Nacht einmal mehr klar geworden." "Ich muss aufhören, Die.", murmelte Kyo bedrückt. Du redest dich um Kopf und Kragen, merkst du das denn nicht? Je öfter du so entschieden sagst, dass du mich theoretisch noch immer liebst, desto klarer wird dir werden, dass du mich willst. Und wenn das wieder eintrifft... kami-sama, das darf einfach nicht passieren. Ich würde dich nur mit ins Unglück reißen... "Warte-", fing Die an, musste jedoch dem Besetztzeichen in der Leitung lauschen. Und wieder einmal habe ich es verbockt. Wieso kann ich bloß nie zeitig die Klappe halten?! Kyo stellte das Telefon weg und zog die Knie an, umschlang sie mit den Armen. Er fuhr mit den Fingerspitzen über seine linke Armbeuge und seufzte. Ich hasse mein Leben. Ich hasse es einfach... ~~ Ein unaufhörliches Dröhnen, Pochen. Es tat weh, schrecklich weh. Alles in seinem Körper schien sich zusammenzuziehen, so weit, dass es unerträglich wurde. Der Wunsch nach mehr kämpfte sich in ihm hoch, gemischt mit Übelkeit. Die Kopfschmerzen nahmen weiter zu, sorgten dafür, dass sich die Welt um ihn herum drehte. Umrisse verschwammen, klärten sich wieder. Ein ungesunder Herzrhythmus. Kalte Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, das Blut in seinen Schläfen hämmerte gnadenlos weiter. Voll Verzweiflung rutschte er weiter über die Badezimmerfliesen, kramte in seiner Tasche. Als seine bebenden Finger nicht fanden, was er suchte, wurde die Tasche kurzerhand über dem Erdboden ausgeschüttet. Ein alter, verbeulter Löffel, von unten schwarz angekokelt; ein Feuerzeug. Eine kleine Tüte, gefüllt mit weißem Pulver. Und eine Spritze, bereit, seine Haut zu durchbrechen... ~~ Kyo legte den Kopf in den Nacken, wartete darauf, dass sein wie wild pochendes Herz sich verlangsamte. Es war immer so. Erst wurde es noch schlimmer, ließ die Welt gänzlich aus den Fugen gleiten - doch dann half es. Längst nicht mehr ging es darum, sich gut zu fühlen, aus der Realität zu fliehen. Nein, die Drogen sollten nur noch dabei helfen, sich einigermaßen normal vorzukommen, nicht vor Schmerzen die Wände hochgehen zu wollen. Langsam ging die Kälte der Badezimmerfliesen auf ihn über, kroch Unheil verkündend in ihm hoch. Die kleine Badewanne an seinem Rücken spendete ebenfalls nichts als eisige Kälte, doch er fühlte sich nicht in der Lage, von seinem Platz auf dem Boden aufzustehen, die schützende Stütze hinter sich zu verlassen. Das rechte Knie angezogen lehnte er seine Stirn dagegen, atmete tief durch. Alles wurde wieder klarer. Die Umrisse das Waschbeckens tauchten vor seinen Augen auf, ebenfalls schien dieses sprunghafte Wechseln der Farben zu verstummen. Kyo hob den Kopf an, erst jetzt erfassten seine Augen den Gegenstand, der noch immer in seinem Arm hing. Mit einem leisen Seufzen zog er die Nadel aus seiner Haut, strich mit seinen klammen Fingerspitzen über das Einstichloch. Wieder eins mehr... Unsicher stützte er sich mit der rechten Hand am Badewannenrand ab, um auf die Beine zu kommen. Wie er dort stand, inmitten des kleinen Raums, völlig durcheinander, sich nicht darüber im Klaren, was zu tun, stieg ein anderes Gefühl in ihm auf. Verachtung. Er war nicht nah genug an der Realität, um es in diesem Augenblick zu erkennen, doch das Gefühl würde wiederkommen. Immer und immer wieder - und um es abzutöten, würde die nächste Injektion gesetzt werden. Ein Teufelskreis, fast unmöglich, aus ihm auszubrechen... ~~ "Hey Kao. Wie geht's dir?" Der Gesprächsteilnehmer fuhr sich mit den Fingerspitzen durch die braunen Haare, lächelte leicht. "Bestens. Schön, dich mal wieder zu hören." Die fühlte sich ein wenig schuldbewusst. "Ich habe mich lang nicht gemeldet, tut mir leid...", brummelte er reuig. "Unsinn. Du wirst einiges zu tun haben.", widersprach Kaoru verständnisvoll und setzte sich gähnend in seinen Lieblingssessel. Es war spät, doch diese nächtlichen Anrufe Dies war er bereits gewohnt. Meist schlug die Uhr späte Stunden, wenn sein Telefon mit der Verbindung nach Tokyo klingelte. "Wie geht es deiner Freundin?", fragte Die weiter nach, immer noch unentschlossen, ob er Kaoru mit seinen Gedanken überfallen sollte. Kaoru hingegen runzelte die Stirn. "Abgesehen davon, dass es ihr gut geht - was ist los?" "Hm?" "Du hast doch was." Ein Seufzen. "Ich weiß nicht..." "Ich habe deine Ma letztens in der Stadt getroffen.", erzählte Kaoru plötzlich. "Ehm... na und?" "Sie hat mir berichtet, dass Kyo in Tokyo lebt. Hängt dein akuter Schweigeanfall vielleicht damit zusammen?" Die lachte hustend. "Bin ich ein Buch oder so?" "Hin und wieder schon. Wie oft seht ihr euch?" "Zu oft, fürchte ich. Weiß nicht, meist alle paar Tage, dann mal wieder eine Woche gar nicht... Aber wir telefonieren oft, nahezu jeden Tag." Kaoru ließ sich Dies Worte durch den Kopf gehen. "Okay mein Guter, dann schwing dich mal auf die Psychocouch. Ist irgendetwas zwischen euch vorgefallen, von dem du selbst glaubst, dass es gegen ein Gesetz verstoßen hätte?" Die antwortete sofort: "Natürlich nicht!" "Ach?" "Nein. Es sei denn... zählt ein kurzer Kuss?" Kaoru stöhnte innerlich. "Ihr habt euch geküsst?", fragte er gezwungen neutral nach. "Ach, das kannst du echt nicht Kuss schimpfen, es war mehr - eine kurze Kollision unserer Lippen. Und außerdem war er betrunken.", versuchte Die, sich zu verteidigen. "Nun... was sagt Kyo? Er ist doch eigentlich der Tiefgang." Die seufzte leise. "Kyo sagt nicht viel. Wir - natürlich, wir haben darüber geredet und beide gesagt, dass das alles nichts ist und wir Freunde sind. Aber ansonsten spricht er nicht viel mit mir über Gefühle oder so. Im Grunde genommen umgeht er wirklich alles, was nur annähernd mit ihm oder seinem Leben zu tun hat." Kaoru setzte sich wieder richtig auf. "Was genau meinst du?" "Er ist so anders als früher. Du müsstest nur sehen, wo er lebt. Das ist so ziemlich die bitterste und anrüchigste Gegend in ganz Tokyo! Und dennoch weigert er sich, Hilfe anzunehmen, obwohl ich ihm genau anmerke, dass er dort weg will. Er spricht nicht mehr über sich, zwar gehen wir öfters zusammen weg, aber will ich mehr über ihn hören, macht er vollkommen dicht. Kyo hat sich total vor mir verschlossen, lässt allerdings auch ansonsten niemanden ran. Ich glaube sogar, dass er außer mir niemanden hier hat - eh, das heißt, außer mir und seinem komischen Vermieter..." "Wer ist das denn schon wieder?", fragte Kaoru aufmerksam nach. Das hörte sich alles seltsam an, da musste er seinem jüngeren Freund wirklich Recht geben... "Joey heißt der, soweit ich weiß. Komischer Typ, er ist Kyos Vermieter und schleicht dauernd in Kyos Wohngegend rum, mir ist der jedenfalls ziemlich unsympathisch... Aber sie verstehen sich zumindest soweit, dass sie sich duzen." Kaoru knabberte nachdenklich an seiner Unterlippe. "Wie auch immer: wenn Kyo sich dir nicht öffnen will, musst du das akzeptieren. Du kennst ihn, je mehr man versucht, ihn in eine Richtung zu drängen, desto stärker kämpft er dagegen an." "Soll ich dir was verraten?" Kaoru ächzte. "Ich weiß noch nicht alles, wie?" "Hm.", gab Die kleinlaut zu. "Nämlich?" "Mai. Sie kann Kyo nicht leiden und ist eifersüchtig auf ihn. Wir hatten letzte Woche einen ziemlich heftigen Streit deswegen. Inzwischen spricht sie zwar wieder mit mir, aber sie erwartet, dass ich mich weniger mit Kyo befasse." Kaoru schwieg. "Das ist scheiße." "Und ob. Ich kann mir vorstellen, dass sie genervt ist, wirklich. Und ich kann es auch verstehen. Aber... Ich habe es einmal zugelassen, dass Kyo aus meinem Leben verschwunden ist. Ein zweites Mal überlebe ich das nicht." "Kannst du denn das Risiko eingehen, Mai zu verlieren?" Kaoru lauschte der Stille aus dem Hörer. "Ich möchte es nicht.", flüsterte Die. "Ich möchte Mai wirklich ungern aufgeben." "Aber sie müsste gehen, wenn sie Kyos Nähe nicht akzeptieren will.", beendete Kaoru seinen Satz. Himmel, Die... Wie hast du es nur geschafft, dich in ein noch größeres Chaos zu verwickeln als damals? Wieder einmal verstehe ich dich so gut. Ihr - ihr seid einfach wie geschaffen füreinander. Und wie es sich anhört, braucht Kyo dich wirklich. Soll ich dir nun also raten, dich von ihm abzuwenden, deine eigene Beziehung zu retten und brav so weiterzuleben? Damit schicke ich dich in den frommen Selbstbetrug. Aber ist der andere Weg besser...? Dich in Kyos Arme schieben? Damit schickte ich dich direkt in die Hölle... ~~ TBC Kapitel 5: shi -------------- Hi-ho~~ Wieder einmal ein neues Chapter. Vorweg zu den letzten Kommis... JAAA~ ihr habt's alle gewusst, ich weiiiß XDD Aber um eine Randbemerkung zu verlieren... innerhalb dieser Geschichte existiert Dir en grey nicht... also keine Sorge, hier wird keine Band zerbrechen o__O; By the way, für alle, die mir weiter nicht glauben: ich mag keine Happy Ends T__T Wer also mit einem traurigen Ende nicht leben kann.. *hust* sollte das Ende nicht lesen. ^^;; *hat sich mal wieder übelst ausgetobt in Sachen Melodramatik* Aber gut, was rede ich eigentlich vom Ende? Wir sind gerade mal bei Chapter 5 "shi" [in diesem Falle mal nichts dramatisches wie Tod, sondern schlicht und ergreifend "Gedichte" ^,^] - ich wünsche euch viel, viel Spaß beim Lesen; besonders jenen, die die Einarbeitung von Kyos Lyrics mögen ^__~ Baibai~ Tissa Chapter 5 - shi ~~ "Immerhin ist das Innere deiner Wohnung sehr schön.", resultierte Die und beobachtete Kyo dabei, wie er von A nach B innerhalb der kleinen Wohnung flitzte, hier und dort etwas zusammensuchte. Trotz der für Kyo typischen Unordnung, die herrschte, mochte Die dessen vier Wände. Kyo stellte zwei Gläser und eine Flasche Mineralwasser vor Die auf den Tisch. "Du wirst Wasser trinken müssen, was anderes hab ich nicht da.", erklärte er leicht planlos. Die grinste schräg. "Das nächste Mal kündige ich mich vielleicht sogar an, wenn du dann extra einkaufen gehst." Kyo zeigte ihm den Mittelfinger und stand erneut vom Sofa auf. "Willst du was essen? Eventuell hast du Glück, dann befindet sich was im Küchenschrank..." "Lass stecken." Die zog Kyo am Handgelenk wieder hinunter in die Polster. So weit kam es noch, dass er dem Jüngeren die Haare vom Kopf fraß... "So. Was willst du?" Kyo sah ihn aufmerksam an. Innerlich musste Big Red schmunzeln. Der Dunkelhaarige schien wirklich Hummeln im Hintern zu haben - zumindest konnte er eindeutig nicht still sitzen - und eine gewisse Hyperaktivität ließ sich ebenfalls nicht leugnen. "Ich wollte dich nur besuchen. Ehm... hast du deine alte Playstation eigentlich noch?" Kyo machte große Augen. "Ja...? Ich kann's mir garantiert nicht leisten, das Ding in den Müll zu entlassen. Wieso?" Nun zeigte der Größere ein Zähneblitzen. Er zog etwas aus seiner Tasche und hielt es hoch. "Lust auf ne Runde?" Kyo warf einen verblüfften Blick auf das Actiongame. Dann musste er grinsen. "Haben wir das nicht immer gespielt, als ich noch in Mie lebte?", fragte er. "Und wie." "Cool." Kyo war in einem Satz hoch, hockte sich an den kleinen Fernseher, unter dem sich die alte Playstation befand. Die erkannte sie wieder, oft genug hatten sie gemeinsam davor gesessen. Dann aber wurde sein Blick von etwas ganz anderem angezogen. "Kyo...", machte er plötzlich misstrauisch. "Was ist das?" Der Jüngere sah über die Schulter zurück, brauchte eine Weile, bis er verstand, dass Die auf seinen Rücken deutete. Durch seine Position in der Hocke war ein Teil seiner Rückenpartie frei, zeigte seine Haut. Und somit auch einen recht großen blauen Fleck an seiner Hüfte. Kyo grinste gequält und richtete den Finger auf die Kante des kleinen Couchtisches. "Ich bin so intelligent gewesen, im Dunkeln über das Sofa zu stolpern und dabei lustigerweise mit der Seite auf der Tischkante gelandet." Die verzog das Gesicht. "Itai... Kann man dich eigentlich mal fünf Sekunden aus den Augen lassen?" "Scheinbar nicht, was?" Kyo wickelte die aufgerollten Controller auseinander und reichte Die einen, bevor er sich wieder setzte. "Tut aber kaum noch weh..." Einige Runden des Spiels wurden geknackt, ehe Kyo Die ein letztes Mal virtuell dem Erdboden gleich machte und triumphierend juchzte. "Du bist so ein schlechter Spieler, Die...", stichelte er und machte sich drauf und dran, das Spiel auszustellen. "Und du ein Miststück. Wieso kannst du das noch so gut, ich hatte das Game doch die ganze Zeit über...", maulte Die gespielt beleidigt. "Tja, Talent ohne Grenzen." Bei dem Wort Talent horchte Die auf. "Apropos Talent... Hast du mal wieder Lesestoff für mich?" "Redest du von meinen Texten?" "Natürlich." Kyo dachte nach. Über dich habe ich nur ein einziges Gedicht geschrieben... Aber das zeige ich dir besser nicht. In den letzten Monaten konnte ich nicht mehr direkt über die Liebe schreiben. Dafür waren da zu viele andere Dinge, die ich niederschreiben musste... "Ich habe nichts Schmachtfetzen-mäßiges geschrieben in letzter Zeit." "Ist doch gleich. Oder willst du mir erzählen, dass du es geschafft hast, deine Finger von Stift und Papier zu lassen?" Kyo musste über die Ungläubigkeit der anderen Stimme lächeln. "Selbstverständlich schreibe ich noch..." Er kramte einen Block aus einer Schublade hervor, blätterte darin herum. "Hier. Das ist vielleicht ganz okay.." Macabre - der Traum der Insektenpuppe sind die Flügel des Schwalbenschwanzes Breite deine Flügel aus, du, der du fliegen willst. Träume vom Schwalbenschwanz Es scheint, als stünde dir die Schlangenhaut gut. Weißer Traum Der prassende Regen stürzt auf die Erde, du kannst dich nicht einmal rühren Einfach nur wartend, wurdest du zum Köder. geöffneter Mund Von der Puppe an, öffne deine Flügel - du wirst wohl bald davonfliegen Du, dessen Liebenswürdigkeit zurückgeblieben ist, bist nun - ein Erwachsener Du liebtest die Blumen - nipptest am Honig, trankst Ich habe es nicht bemerkt . die Reißzähne nutzen sich ab Verschwenderisch zusammen blühend, mit Schnecken und feuchtem Gras, bist du Du, eine der schönen Insektenpuppen, zeige deine erdigen Flüge Schüttle mich - im Magen Du, eine der Rosen - deine Flügel regen sich Die Haut der Schlange steht dir, nicht wahr? Drehung, sich drehend, gedreht Mehrfache Antworten - ein sich wiederholendes Leben Biegung, biegend, gebogen Du löst dich auf, entflammt, wirst eins - wird dir das Beitreten bekommen? Sicher wie eine Meerjungfrau, schwimmend in einem Pool aus Magensäften - sicherlich hat eine Insektenpuppe Flügel wie ein Schwalbenschwanz Wenn du verzeihen kannst, sogar dem grausamen Tier Beine, die den Boden unter ihren Füßen verloren haben, werden nicht gehen [1] Die sah auf. "Das... ist anders als deine früheren Texte." "Hm..." "Ich kapiere sie scheinbar nicht mehr.", musste Die zugeben. "Ich kann sagen, dass dieses Gedicht ziemlich verwirrend auf mich wirkt, ich kann dir nicht wirklich folgen, und dennoch... das ist echt großartig." Kyo lächelte matt. "Danke." "Gar keine Liebesgedichte mehr?", fragte Die fast hoffend nach. Er wollte so gerne etwas lesen, das er wirklich verstand... Es war nicht das Problem, dass er Kyos Worte nicht deuten konnte, im Gegenteil, ihm fehlte einfach jegliche Erleuchtung, worauf der junge Mann hinauswollte, hatte keinen vernünftigen Bezug zu den Worten. "Nun, kein wirkliches Liebesgedicht... aber eins ist da noch." Kyo blätterte um. Nun gut, lies es halt doch... 24ko cylinder Gib mir Lachen Jeder spürt Gib mir Schmerz Wenn die Zeit enden sollte Gib mir Höhe Dieser Traum, der so Gib mir Nichts Voller Widersprüche ist, wird... Gib mir Lachen Ein unaufrichtiges Lächeln Gib mir Schmerz Für jede Lüge, die erzählt wird Gib mir Höhe Liebe hat verloren - Gib mir Nichts Einen Platz, an den sie sich wenden kann Deine unerreichbare Liebe Meine unerreichbare Liebe Sogar jetzt, sieh sie an... Deine unerreichbare Stimme Und meine unerreichbare Stimme Sogar jetzt, sieh sie an... aber... Gib mir Lachen Mit jedem Mal, das wir uns umarmten Gib mir Schmerz Kann ich dich lieben? Gib mir Höhe Ich, der ich so Gib mir Nichts Voller Widersprüche bin... Die Zeit wird enden, die Zeit wird verändern, mich, dich, nun werden wir vom Fluss der Zeit verschlungen Die Zeit wird anhalten, am Ende der Zeit werden wir uns küssen und in dieser Liebe ohne Wärme schlafen Ein Ende beginnt eine unwichtige Angelegenheit Es ist Zeit, alles zu verbrennen Wenn ich dich nur ohne zu zögern vergessen könnte... Eine ernste Verletzung lacht mich aus. Die Zeit verändert, der Lauf der Zeit verbrennt mich, dich, jetzt. Die Einsamkeit lacht wie sie will. Du lachst, als du hinunter siehst. Die Zeit ist zu Ende, die Zeit wird enden, am Ende der Zeit, schlafend mit einem Kuss zum unerhitzten Tod. Deine unerreichbare Liebe Meine unerreichbare Liebe Sogar jetzt, sieh sie an... Deine unerreichbare Stimme Und meine unerreichbare Stimme Sogar jetzt, sieh sie an... Der Traum verwelkt und kehrt zum Sand zurück. Wird der Traum eines Tages wieder erblühen - in mir? Ich kann diesen Traum, der mich verließ, nicht zurückrufen. Wird deine Stimme mein Innerstes erreichen? aber..... Die Zeit wird ende, die Zeit wird verändern, mich, dich, nun werden wir vom Fluss der Zeit verschlungen Die Zeit wird anhalten. Am Ende der Zeit werden wir uns küssen und in dieser Liebe ohne Wärme schlafen Gib mir Nichts Wenn die Zeit enden sollte [2] Und ich verstehe dich weiter nicht. Ich - dieses Gedicht scheint neu zu sein, es ist die letzte Seite. Redest du mit mir? Ein Traum... ein Traum von "uns"? Aber - es gibt so viele Ungereimtheiten, die ich nicht unterbringen, übertragen kann. Das müssen all diese Dinge von dir sein, die ich nicht weiß und du mir verschweigst... "Es ist unglaublich toll geschrieben.", urteilte Die leise. Kyo sah ihn nachdenklich von der Seite an. Früher hast du meine Gedichte verstanden. Es ist schlimm, dass wir uns so voneinander entfernt haben. Du kannst es einfach nicht nachvollziehen, wie auch? Du weißt nicht die Hälfte von dem, was sich in den letzten Jahren abgespielt hat... Der kleine Dunkelhaarige nahm seinen Block, legte ihn behutsam wieder auf den kleinen Schreibtisch, der unter einem Fenster stand. "Kyo??" "Was denn?", fragte der Gerufene, milde überrascht über den Klang von Dies Stimme. Er ließ sich wieder in die Sitzpolster fallen, den Blick aufmerksam an Die geheftet. "Warum erzählst du es mir nicht?" "Was soll ich dir erzählen?", hakte Kyo verständnislos nach. Gespielt. Die hob den Blick nicht an. "Das möchte ich ja gerade wissen. Was ist los mit dir? Da stimmt etwas nicht, das spüre ich. Warum hältst du mich fern von diesen Sachen?" Kyo schwieg. Er konnte Die nicht sagen, alles sei okay. Es hätte lächerlich gewirkt. Doch was sollte er anstelle dessen tun? Die Wahrheit kann ich dir nicht erzählen. Das ist unmöglich. Aber was dann...? Ein leises Seufzen. "Weißt du noch, was ich dir in meinem Abschiedsbrief geschrieben habe? Ich wollte nie etwas tun, was ich später bereuen müsste. Ich... inzwischen ist einiges passiert, das ich bereut habe. Das ist eine dieser Sachen, wegen denen ich unzufrieden bin... Ich habe keinen vernünftigen Beruf, weil ich Idiot nach der Schule anstelle einer Ausbildung lieber in irgendwelchen grausamen Bands gespielt habe. Der Hungerlohn war mir egal - theoretisch wäre es mir das auch jetzt noch. Aber jetzt habe ich keine Band mehr. Und ich finde keine neue... Gäbe es wenigstens eine Gruppe, in der ich Musik machen könnte, wäre das..." Kyos Stimme brach ab. Es bringt nichts. Ich werde keine Band mehr finden, in der ich einen festen Platz ergattern kann. Selbst wenn mich die beste Gruppe weit und breit als Vocal haben wollte - könnte ich es riskieren, eine weitere Band zu zerstören mit dieser verdammten Sucht? Nein, das käme nicht in Frage. Und somit fällt auch das Letzte, was mich auffangen könnte, weg... Die hatte einen Kloß im Hals. Zwar fragte er sich, warum Kyo sein Leben auch weitergehend als so perspektivlos betrachtete, doch er konnte nur zu gut nachvollziehen, was ihn an der momentanen Situation störte. Er legte, für einen Augenblick nichts als ein guter Freund, den Arm um Kyos Schultern und meinte: "Hey, okay, das klingt wirklich scheiße, aber - wir kriegen das zusammen hin, ja? Ich helfe dir, eine gute Band zu finden und dann hauen wir dich raus aus dieser verfahrenen Lage." Es klang so aufmunternd und optimistisch, dass Kyo es beinahe selbst geglaubt hätte. Wäre da nicht... Ich werde es schaffen, da raus zu kommen. Irgendwie... ~~ Es war später am selben Abend. Die war soeben im Badezimmer verschwunden, da durchbrach ein Klingeln die herrschende Stille. Kyo sah sich suchend um. Dies Handy - es lag auf dem Tisch. Ohne darüber nachzudenken, griff der Junge danach und meldete sich. "Moshimoshi?" "Wer ist da?" Kyo erkannte die Stimme im Gegensatz zu seiner Gesprächspartnerin sofort, es war Mai, die dort mit ihm verbunden war. "Kyo desu." Mai setzte sich in ihrem Bett auf. "Kyo?" Über die erstaunt klingende Frage hob der Dunkelhaarige die Augenbrauen. "Ehm, ja..?" "Wo bist du?" Kyo überlegte, was er antworten sollte. Es schien Mai zu missfallen, ihn in Dies Nähe zu wissen, sie klang misstrauisch genug für zehn. Dennoch entschied er sich für die Wahrheit. "Bei mir. Die ist gleich wieder da, er ist bloß-" "Danke. Richte Die aus, dass ich sauer bin." Tut, tut. Kyo blinzelte und starrte das Mobiltelefon an. Hä? Das Rütteln des Türschlosses im Bad kündigte Die an, als jener eintrat, sah Kyo ihn schief an. "Was genau denkt Mai, wo du gerade bist?" Dies Gesichtsausdruck verwandelte sich in eine verblüffte Miene. "Ehm... wie - kommst du drauf?" Kyo machte ein gespielt nachdenkliches Gesicht. "Vielleicht, weil sie dich gerade angerufen, sich ziemlich verblüfft mit mir unterhalten hat und dir ausrichten lässt, dass sie wütend auf dich ist?" Big Red verzog das Gesicht. "K'so.", murmelte er. "Was hast du ihr denn bitte erzählt, dass sie schon sauer ist, wenn ich bloß in der Nähe bin?" "Sie denkt - das heißt, sie dachte, ich müsse heute arbeiten..", druckste Die herum. "Was? Warum erzählst du so einen Mist, damit schürst du ihre Eifersüchteleien doch erst recht!" Die verdrehte die Augen. "Das weiß ich selbst. Es ist nur - hätte ich ihr gesagt, dass ich bei dir vorbeischauen will, wäre sie wieder misstrauisch geworden und hätte wohlmöglich die halbe Nacht bei mir in der Wohnung gesessen, um zu überprüfen, wann ich heimkomme. Deswegen habe ich ihr halt nicht gesagt, dass meine Schicht heute gestrichen wurde. Ich wollte unnötigen Ärger nur vermeiden..." "Perfekt. Jetzt hast du erst recht Ärger.", stellte Kyo sarkastisch fest. "Viel Spaß für euer nächstes Zusammentreffen..." ~~ Jenes nächste Zusammentreffen jedoch lief relativ unspektakulär ab. Einen Morgen später, auf dem Unigelände. Eine gewöhnliche Szenerie, junge Studenten, die etwas Älteren ebenso, spazierten während einer Pause über den weiten Campus. Nichts besonderes, hier wurde gelacht, dort wurde gestritten... "Mai!!" Die Angesprochene ignorierte die Stimme, die ihren Namen wiederholt hinter ihr herrief, völlig und ging weiter. "Jetzt warte doch mal..." Ein großer, rothaariger Mann kam neben ihr zum Stehen und hielt ihren Arm sanft fest. Mai, darauf bedacht, nicht in die braunen Augen ihres Gegenübers zu sehen, fragte unterkühlt: "Was? Hat Kyo gerade keine Zeit für dich?" Die ächzte leise und suchte ihren Blick. "Es tut mir leid." Nun sah Mai doch erstaunt zu dem Größeren auf. "Was denn, keine dumme Erklärung?" "Was soll ich erklären? Ich hab dich angelogen und das war scheiße. Ende der Geschichte. Das heißt, nein, hoffentlich nicht Ende der Geschichte..." Als Mai das nahezu Bittende in Big Reds Augen erkannte, musste sie wider Willen lächeln. "Glaubst du, ich trenne mich wegen so einer Sache von dir? Ach Die... Lüg mich nie wieder an, okay? Das - das kann ich nicht haben." Die stieß geräuschlos Luft aus. "Nein. Keine Lügen mehr.", versicherte er ernsthaft. "Nicht nach der letzten Scheißnacht, die ich gestern hatte..." Mai schaute ihn fragend an. "Das schlechte Gewissen hat dir den Schlaf geraubt?" Die droppte. "Na ja.." Plötzlich schlang Mai die Arme um ihn und schmiegte sich an seine Schulter. "Lass uns nicht mehr wegen solchen blöden Angelegenheiten streiten, ja?" Die grinste leicht und fuhr ihr mit den Fingerspitzen durchs Haar. "Ja." ... ~~ [1] : Hierbei handelt es sich um meine Übersetzung zu "Macabre - sanagi no yume wa ageha no hane" [yaa~ hierbei löst sich auch das Rätsel um den Begriff ageha, was "Schwalbenschwanz bedeutet ^.~ ich habe eine unglaubliche Macke für diesen Schmetterling ^^;], Track 10 auf MACABRE, wie immer auf Crysania's englischen Lyrics basierend - alle Übersetzungen ins Deutsche wie immer @ Tissa, nicht wortwörtlich übernommen und frei nach meiner Ansicht dargelegt ^.^ [2] : same as above, es handelt sich um den Song "24ko cylinder", Track 04 auf KISOU ^.^ TBC Kapitel 6: utagai ----------------- Hi-ho! Ja~ ich bin mal wieder ein bisschen schneller dran ^.^ Hm, heut habe ich gar nicht mal allzu viel zu sagen, ich lasse euch lieber lesen und warte freudig auf Beschwerden [ich fürchte, damit muss ich jetzt rechnen ^^;], tobt euch aus, ne! Viel Spaß [?] beim Lesen! Tissa PS: der Kapiteltitel "utagai" bedeutet übrigens so viel wie "Zweifel" ~~ Chapter 6 - utagai ~~ Einige Zeit später, inzwischen war der August über Tokyo hereingebrochen und tauchte die Nächte in sein angenehm warmes Klima, kam Die spät von der Arbeit heim. Er wusste, dass Mai auf ihn wartete. Noch während er aus seiner Pulloverjacke und den Turnschuhen schlüpfte, rief Die ins Wohnzimmer: "Ich hab Sushi mitgebracht!" Gleichzeitig schwenkte er die Plastiktüte in seiner Hand ein wenig, um seine Aussage zu untermalen. Gut gelaunt über den lang ersehnten Feierabend marschierte er in die Wohnstube, wo er Mai am Esstisch entdeckte. "Hey.", sagte er fröhlich, stellte die Tüte auf der Tischkante ab. Als keine Antwort folgte, hielt Die jedoch in seiner Bewegung inne, sah Mai fragend an. Seine Freundin hatte den Blick auf ihn gerichtet, beobachtete ihn schweigend. Doch da war ein so trauriger Ausdruck in ihren Augen, dass es dem sonst so heiteren Gitarristen ganz anders wurde. "Mai...?", fragte er vorsichtig. "Was ist los?" Mai biss auf ihrer Unterlippe herum. "Er ist also dein Bruder, ja?" Die blinzelte verdutzt. "Eh... Wenn du von Kyo redest: ja." "Bist du dir sicher, dass er nicht vielleicht doch eher dein Ex ist?" Big Red runzelte die Stirn. "Sag mal, wovon redest du ei-" "Hiervon rede ich!", unterbrach Mai ihn heftig, klatschte etwas vor Die auf den Tisch. "Wie erklärst du mir dieses Foto? Und die zig Liebesgedichte? Und-" Die sah sie fassungslos an. "Woher. Hast du. Das?", wollte er leise wissen. "Ich habe es beim Aufräumen in einem alten Karton entdeckt. Und jetzt gib mir eine Antwort, Daisuke!" "Mai.", fing Die gezwungen ruhig an. "Kyo ist mein Halbbruder, frag, wen du willst. Du kannst Seido jederzeit gerne danach fragen. Kyo ist Seidos Sohn." Mai wirkte unsicher, hin- und hergerissen zwischen dem, was Die sagte, und dem, was sie auf den Fotos sah. Jene Aufnahmen mussten aus der Zeit stammen, in der Kyo noch in Dies Elternhaus lebte; zumindest ging sie davon aus. Auch Die schielte unauffällig auf die Fotographien. Es waren genau die Bilder, die ihn schon einmal fast Kopf und Kragen gekostet hätten... "Aber die Fotos... Und diese ganzen Liebeserklärungen - das stammt doch alles von ihm.", wiederholte Mai langsam. Die seufzte innerlich. Los. Jetzt kannst du eh nicht mehr kaputt machen, als du es ohnehin schon getan hast... "Kyo ist mein Halbbruder, ja. Aber er ist auch mein Ex-Freund.", murmelte der Redhead, ohne Mai anzusehen. Diese hingegen starrte ihn nun ganz offen an. "Aber..." "Erzähl mir nicht, was das heißt. Diese Beziehung war der Grund, warum Kyo nicht einmal ganze vier Monate bei uns gelebt hat. Yanagi hat es rausgekriegt und... Ja, das war der Zeitpunkt, an dem Kyo ging, fort von mir, zurück nach Kyoto, wo er ursprünglich herkam. Von da an habe ich ihn nie wieder gesehen. Bis vor zwei Monaten zumindest." Mais Augen fingen an zu glänzen. Es war Die bewusst, wie bestätigt sie sich fühlen musste in ihrem Misstrauen Kyo gegenüber, den ganzen Eifersuchtsszenen... Er musste sich eingestehen, dass es genug Zeitpunkte gegeben hätte, Mai ehrlich die Vergangenheit zu schildern. Es wäre notwendig gewesen. "Dann... dann habe ich wohl verloren.", flüsterte die junge Frau. "Eins musst du mir glauben, Mai. Mir ist klar, wie bescheuert sich das anhören mag, nachdem du das alles jetzt weißt, aber ich habe dich nie in irgendeiner Weise betrogen. Das schwöre ich." Mai atmete tief durch. "Das brauchst du nicht zu schwören. Aber... in Gedanken warst du mehr bei ihm als bei mir, habe ich Recht? Du hast dich die letzten Wochen immer mehr entfernt - weg von mir, hin zu ihm. Ich wollte das nicht sehen, vielleicht habe ich wirklich einfach die Augen verschlossen..." Die spürte eine gewisse Verzweiflung in sich aufsteigen. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste es einfach nicht. "Ich... was wird jetzt, Mai?" "Sieh mir in die Augen und sag mir, dass du nichts für ihn empfindest - dann kriegen wir unsere Beziehung wohl wieder auf die Reihe. Andernfalls..." Die traf ihren Blick. "Das kann ich dir nicht sagen.", musste er ehrlich einräumen. Er bemerkte die erste Träne, die sich aus Mais dunklen Augen löste. "Okay.", sagte sie, es klang erstickt. "Aber dann habe Verständnis dafür, dass ich so nicht weiter mit dir leben will.." Die nickte langsam. Was hätte er sagen sollen? Sie anzuflehen, ihn nicht zu verlassen, wäre ihm heuchlerisch vorgekommen. Er wollte sie nicht leiden sehen - doch war es besser, weiter mit einer Lüge zu leben, während er doch im Stillen wusste, dass es nicht Mai war, bei der seine Gefühle verweilten? Er sah schweigend dabei zu, wie Mai ihre Handtasche nahm, in ihre Schuhe schlüpfte. "Mai." Die junge Frau drehte sich erneut um zu Die, der sie bedrückt musterte. "Es tut mir so leid..." "Das glaube ich dir zur Abwechslung sogar mal.", murmelte Mai kaum verständlich. Eine Weile blieb sie unentschlossen im Türrahmen stehen, dann wandte sie sich ab und verließ die Wohnung. Die fuhr sich mit den Fingerspitzen durchs Haar und seufzte, diesmal nicht leise und unterdrückt. Verdammt. Wieso geht immer wieder alles kaputt an uns beiden, Kyo...? ~~ Unsanfte Berührungen, Finger, die sich ihren Weg den Körper entlang bahnten. Ein in Ekel abgewandtes Gesicht, die einzigen Laute waren das leise Stöhnen des Menschen über ihm. Sich selbst verachten zu müssen, wurde mit einem hohen Preis bezahlt. ~+~ Fallen From Grace ~+~ Die hob den Blick an, als sich Schritte über den Kiesweg näherten. Seine Augen erfassten eine zierliche, kleine Gestalt, er fühlte sich geradezu erleichtert über diesen Anblick. Kyo hielt vor ihm an der Parkbank an, seine Miene war ausdruckslos, ein wenig geschafft. Sich eine Zigarette anzündend setzte er sich, fragte dann: "Warum hast du mich herbestellt? So mitten in der Nacht?" "Habe ich dich geweckt?" "Nein." "Ah, gut... Ich war nur hier, um nachzudenken. Doch dann wurde es mir zu einsam hier." Kyo stieß den bläulichen Rauch in die dunkle Nacht, musterte Die. "Was ist passiert?" "Sie hat die Bilder von Yuka gefunden. Und noch einen Haufen anderer Dinge..." Kyos Mundwinkel verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln, die Augen noch immer stumpf in den Himmel gerichtet. "Hat sie Schluss gemacht?" Die nickte langsam. "Ja. Ich habe versucht, ihr alles zu erklären. Eigentlich, nein, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sie es verstanden hat. Aber da lag der Knackpunkt. Sie hat alles verstanden... Und sie wollte nicht mit mir zusammen bleiben, solange sie sich nicht sicher sein kann, dass ich nichts mehr für dich empfinde." Kyo zog eingehend an seiner Philip Morris, versuchte, seine tauben Fingerspitzen aufzuwärmen. "Wirst du um sie kämpfen?", wollte er wissen, es war Die nicht möglich, auch nur annähernd eine Emotion aus seinen Worten zu ziehen. "Nein. Es - das wäre einfach nur gemein. Sie bedeutet mir viel, aber ... sie kann deinen Platz nicht einnehmen. Das weiß ich genauso gut wie du. Und sie hat das scheinbar auch bemerkt... Sie hat es nicht verdient, dass ich ihr wieder Hoffnungen mache, ihr aber am Ende doch nicht die Liebe entgegenbringe, die sie braucht." "Seit wann redest du vor mir so offen über das, was in dir vorgeht?" Die wandte ihm überrascht den Blick zu. "Ich weiß nicht.", antwortete er zögerlich. "Ich will einfach, dass du weißt, wie es in mir aussieht..." Apropos Aussehen... Die runzelte ein wenig die Stirn, betrachtete Kyo kritisch. Unter einer viel zu großen Lederjacke trug er scheinbar nichts als ein paar Fetzen Lack, ebenso waren es Overknees, die den Jüngeren größer machten, als er es war. "Hast du nicht gesagt, der Lackkram sei in der Versenkung verschwunden?" Kyo zuckte mit den Schultern. "Mir war heute Nacht so..." Ein abstoßendes Gefühl bei dem Gedanken. Dies Hand berührte vorsichtig Kyos Wange, drehte sein Gesicht so, dass er dem Dunkelhaarigen in die Augen sehen konnte. Bisher hatte er es nicht bemerkt, war zu beschäftigt gewesen mit seinen eigenen Problemen. Doch nun... "Was ist los mit dir?" "Alles normal.", gab Kyo gleichgültig zurück. Er wusste nicht, wie sein Gesichtsausdruck war, hatte keine Ahnung, wie leer seine dunklen Lichter wirkten. Vermutlich hätte er sogar in den Spiegel sehen können, ohne etwas zu bemerken. Die glaubte, sämtliche Alarmglocken in seinem Inneren müssten schrillen. Zwar war ihm nicht klar, wieso er dieses Gefühl hatte, doch es war da. Und es wollte sich nicht verscheuchen lassen. Kyo brachte sein Feuerzeug zu Tage, entflammte damit eine neue Kippe. Was auch immer ihn dazu trieb, Die folgte seinem Drang, Kyo das Stück Nikotin und Filter zu entreißen und auf den Kiesweg fallen zu lassen. Kyo folgte der Zigarette mit den Augen, ohne auf Dies Handlung zu reagieren. Kyo? Was ist los mit dir, verdammt? Warum fauchst du mich nicht an, weil ich dir deine heißgeliebte Kippe weggenommen habe?! Wieso bist du so... du benimmst dich wie eine Puppe, die nur irgendwie funktioniert... "Ein letztes Mal frage ich, Kyo. Was zum Teufel ist los?" Kyo rieb sich die Schläfen. Diese beharrlichen Fragen taten weh, sie stießen ihn immer wieder in die Dolchspitze... Schweigend beobachtete Die Kyos Bewegungen, der junge Mann wirkte, als habe er starke Kopfschmerzen. Doch das allein konnte wohl kaum der Grund für dieses seltsame Verhalten sein? Big Red griff nach Kyos Handgelenken, hielt sie sanft umklammert, während er die anderen Augen genau betrachtete. "Was hast du genommen?" Er hörte sich selbst die Frage stellen, doch erst, nachdem sie über seine Lippen gekommen war, wurde ihm der Sinn seiner Worte bewusst. Kyo schüttelte langsam den Kopf. "Schmerztabletten. Nur Schmerztabletten...", sagte er eindringlich, schon fast beschwörend. Er lügt mich an. Ich habe keine Ahnung, was sich hier abspielt, aber er lügt. So viele Schmerztabletten kann man auf einmal gar nicht nehmen, um so drauf zu sein... Mein Gott, Kyo, was tust du nur? Du bist total weggetreten... "Komm, ich bringe dich nach Hause." Die stand auf, zog Kyo behutsam mit auf die Beine. Jener machte sich los. "Ich kann alleine laufen. Ich hatte Kopfschmerzen, ziemlich heftig, deswegen hab ich ein paar Tabletten genommen. Mach wegen so was nicht so einen Aufstand, ja?", forderte der Kleinere und drehte sich weg, schlug den Weg nach Hause ein. Die folgte ihm auf den Fuß. "Wirklich?" Kyo hielt an. Und wenn es das letzte Bisschen an Kraft war, das er noch aufbringen konnte, er schaffte es. "Die. Ich habe andere Sorgen, als dich anzulügen." Das klang so ernsthaft und stark, dass Dies Zweifel kippten. "In Ordnung.", murmelte er und zog Kyo sanft mit sich. Den Rest ihres gemeinsamen Weges über schwieg Die, bemerkte dabei nicht, wie sein Halbbruder damit kämpfte, die Augen offen, das Bewusstsein beisammen zu halten. Sie standen bereits an der unteren Haustür, als Die leise fragte: "Weißt du eigentlich, was du mir bedeutest?" Kyo nickte kraftlos. Er wünschte sich nur noch, dass Die endlich ging, ihn endlich allein zurückließ. Die Fassade durfte nicht bröckeln. "Ist vielleicht ein schlechter Zeitpunkt - ehrm, ich meine, dir geht's gerade eh nicht sehr gut, aber.. Versprich mir, auf dich aufzupassen, ja? Ich bin nicht immer da und - ich mache mir nun mal Sorgen um dich." Kyo lächelte matt. "Womit verdiene ich das eigentlich?" "Weil du das Wunderbarste auf dieser Welt für mich bist, das weißt du...", entgegnete Die, ehe er sich zu Kyo hinunterbeugte, ihm einen liebevollen Kuss auf die Lippen hauchte. Der Kleinere ließ es geschehen, genoss das Warme, Tröstliche, das Dies Lippen ihm spendeten. Zu mehr als diesem kleinen Spiel kam es jedoch nicht, da das Klicken der Haustür sie zurück in die Wirklichkeit rief. Kyo stöhnte innerlich, als der dunkle Umriss sich als den Joeys entpuppte. "Ach... zu dir wollte ich eigentlich gerade.", verkündete Joey freundlich, grüßte auch Die höflich. Die räusperte sich, verabschiedete sich mit einem unsicheren Blick von Kyo, ehe er in der Dunkelheit verschwand. Kyo sah ihm fast verzweifelt hinterher. Nein, jetzt... Joey schien nur darauf gewartet zu haben, dass Die verschwand, da er Kyo nun am Arm packte und mit sich zog. Der junge Mann stolperte hinter ihm her, konnte den großen Schritten des Älteren kaum folgen. Nicht in seinem Zustand. Joey zerrte ihn erbarmungslos weiter bis in den sechsten Stock, wo er vor Kyos Haustür befahl: "Aufschließen." Kyo schloss für einen Augenblick die Augen, kramte in seiner Jackentasche nach den Schlüsseln. Der kleine Dunkelhaarige ließ sich kraftlos in sein Sofa sinken, machte sich nicht die Mühe, seine Schuhe oder Jacke auszuziehen. Joey ging vor ihm auf und ab, sah ihn ärgerlich an. "Was kriege ich zu hören? Einfach abgehauen ?! Bist du wahnsinnig geworden?" Kyo schwieg. "Du hast Geld für ein bisschen mehr als zehn Minuten Stillhalten gekriegt, ist dir das klar?!" "Ich habe überhaupt kein Geld gekriegt...", verbesserte Kyo leise. "ACH?!", lachte Joey höhnisch auf. "Das Geld fließt in deinen Adern, möchte ich meinen. Was glaubst du, wofür du diesen Schuss heute Abend gekriegt hast? Bestimmt nicht für einen Kindergeburtstag!" Kyo widerstand dem Drang, sich die Ohren zuzuhalten, tapfer und sah wieder auf. "Es tut mir leid.", quetschte er zwischen den Zähnen hervor. "Aber... es gab einen wichtigen Anruf." "Und deswegen lässt du den stehen? Wegen einem Anruf? Womöglich noch von diesem ominösen Bruder, mit dem ich dich jetzt schon öfters beobachtet habe?" Kyo hielt den Blick auf seine Knie gerichtet. Er war müde, er wollte einfach nur schlafen... Joey betrachtete das kleine Häufchen Elend vor sich auf dem Sofa. Schließlich hockte er sich vor Kyo hin, hob sein Kinn an. "Nun hör mir mal zu. Du wirst das wiedergutmachen, kapiert?" Kyo schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht mehr..." "Und ob du kannst. Wenn nicht, wirst du dich eben dazu zwingen." "Wieso sollte ich?" Er war nicht so selbstsicher, wie er wirken wollte - und man merkte es Kyo mit Leichtigkeit an. Joey lächelte süffisant. "Sagen wir es so: dieser rothaarige Typ weiß wahrscheinlich weder, dass du an der Nadel hängst, noch auch nur ein Detail über die anderen Aktivitäten, die sich an deine Sucht anschließen. Wenn du willst, dass das so bleibt, wirst du in Zukunft endlich das tun, was ich dir sage - oder möchtest du in entsetzte, angewiderte Augen sehen? Kannst du das verkraften?" Kyo starrte ihn an, kämpfte weiter gegen die Kälte, die wieder in ihm hoch kriechen wollte. "Er würde es verstehen.", brachte er hervor. "Glaubst du? Natürlich, sicher, jeder hat Verständnis für einen kleinen, abgefuckten Junkie mit Stricherqualitäten... Überleg dir gut, was du tust, Tooru. Wir sehen uns morgen." Damit ließ er Kyo in der Dunkelheit sitzen, gefangen in dieser Zwickmühle aus Angst und Verzweiflung... ~~ tbc Kapitel 7: hakken ----------------- Hiho~ Tissa war mal wieder fleißig und steht da - mit Chapter 7, hakken [Entdeckung]. Ich möchte nur mal nebenbei bemerken, wie blöd ich geguckt habe, als in einem Kommentar die Frage nach Avril Lavigne fiel o.Ô Ich kenne die Songs der Dame [*hüstel* wenn man das Gör denn so bezeichnen kann] nicht wirklich und das Zitat "Fallen from grace" stammt aus dem HIM-Song "Resurrection" - es tut mir leid, hab völlig vergessen, diese Quelle anzugeben *mich schlag* [und ja, ich mag das Album Razorblade Romance, man merkt's XD das wäre übrigens der von mir angegebene Soundtrack zu der gesamten Story ^.~] Nyah... so viel dazu. Wollen wir doch mal sehen, um was für eine >Entdeckung< es sich hier handelt... Tissa Chapter 7 - hakken ~~ "Ich fasse es nicht. Wir wollen ZWEI Nächte in Mie bleiben, keine Woche. Wozu brauchst du da diesen riesigen Schminkkoffer?" Die starrte das Gepäckstück entgeistert an. Kyo verdrehte die Augen. "Mann, meine Sache. Ich brauche halt einiges." Der schiefe Seitenblick, der ihn traf, bereitete Kyo im Inneren Unbehagen. Wenn du wüsstest... "Was bist du nur für ein Weib.", kicherte Die vor sich hin und schlug den Kofferraum zu. Kyo streckte ihm die Zunge heraus. "Und das von jemandem, der sich zwei Mal täglich seine heißgeliebten Haare wäscht.", meuterte er und stieg auf der Beifahrerseite des kleinen Toyotas ein. "Zickig auch noch.", witzelte Die weiter, zog die Fahrertür zu und startete. "Freust du dich?" Kyo wandte ihm das Gesicht zu, überrascht, dies gefragt zu werden. "Natürlich.", antwortete er. "Du warst seit damals nicht mehr in Mie, oder?" "Sou desu." "Sie werden sich freuen, dich wieder zu sehen. Hach ja, Semesterferien sind was schönes... ^.^" Kyo warf ihm einen spöttelnden Blick zu, versank dann jedoch wieder in seine eigenen Gedanken. Zwei Nächte. Drei Tage und zwei Nächte. Kami-sama, das wird das schwerste Wochenende seit langem... Als sie in der Mittagszeit die altbekannten Straßen ihres kleinen Heimatortes entlang fuhren, konnte Die ein gutgelauntes Grinsen nicht mehr von seinem Gesicht wischen. Für die letzten paar Minuten stellte er das Autoradio verdächtig laut, womit er Kyo zu einem nachsichtigen Lächeln anregte. "Du bist kawaii, wenn du dich freust." "...?" "Ich kenne kaum jemanden, der sich so freuen würde, nur, weil er ein Wochenende zu Hause ist." "Also, ich könnte mir vorstellen, dass du dich ähnlich benehmen würdest, wenn das hier Kyoto wäre.", konterte Die überzeugt. Kyos Miene schien mit einem Mal wie versteinert. "Nein. Ich glaube nicht...", murmelte er so leise, dass die Musik ihn übertönte, und zwang sich zu einer fröhlichen Miene. Mie. Freu dich, du bist... du bist zu Hause. Dies kleiner Gebrauchtwagen hatte gerade erst in der Auffahrt gehalten, da öffnete sich die Haustür bereits und eine Person trat heraus. Kyo erblickte Yanagi noch während er ausstieg. Die Frau hatte sich nicht verändert, nicht einmal ein kleines Bisschen. Nun lächelte sie strahlend, schloss zuerst ihren Sohn in die Arme und sprudelte los, als habe sie nur darauf gewartet, dies endlich wieder real tun zu können. Eine Weile hörte Die ihr belustigt zu, doch dann fragte er vorsichtig: "Ehm... Ma?" "?" "Du kannst mich loslassen - ich lauf nicht weg, versprochen." Er grinste sie breit an. Yanagi gab ihm einen ungnädigen Schlag in die Seite, der schon wieder viel typischer für sie war, und wandte sich an Kyo. Wider seines eigenen Erwartens umarmte sie auch ihn innig und flüsterte ihm leise ein "Willkommen Zuhause" ins Ohr. Kyo lächelte leicht und machte sich los. Er war unangenehm berührt von dieser Situation, vergrub die Hände leicht planlos in den Hosentaschen. "Wo ist Paps?", wollte Die wissen und griff nach seiner Reisetasche. "Der kommt bestimmt jeden Moment von der Arbeit, er hat sich den Nachmittag frei genommen." "Bestens." Die stellte seine Tasche auf dem Boden ab, nahm Kyos ebenfalls heraus und warf sie ihm mit einem "Hepp!" entgegen. Kyo bekam sie nicht mehr zu fassen, sodass sie auf den Erdboden krachte. "Eines Tages wirst du noch mal welche von mir reinkriegen, Die. Da hätte was zerbrechliches drin sein können!", jammerte der Dunkelhaarige und schulterte das Gepäckstück. "PF, kann ich riechen, dass deine zarten Hände die böse, schwere Tasche nicht halten können?", flötete Big Red und stiefelte vorweg ins Haus. Kyo rollte mit den Augen. "Baka.", erkannte er und folgte seinem älteren Bruder gemeinsam mit Yanagi, welche sich ein amüsiertes Lachen nur mit Mühe verbot. "Schöne Haarfarbe.", meinte sie und strich mit den Fingerspitzen durch das schwarze Haar ihres Stiefsohns. Kyo wusste nichts darauf zu erwidern, überhaupt überlegte er gerade mehr, wo er wohl schlafen sollte die nächsten zwei Nächte. Als er jene Frage stellte, sah Yanagi ihn verwundert an. "In deinem Zimmer, wo denn sonst?" "Eh...? Aber - gibt es das denn noch?" "Was denkst du denn?", entrüstete sich die Frau mit einem Mal. "Nun, natürlich hat gelegentlich mal Besuch darin übernachtet, aber ansonsten ist alles, was du zurückgelassen hast und wir dir damals nicht vorbeigebracht haben, noch hier." Weder Yanagi noch Die fiel Kyos Blick auf diese Worte hin auf, zu sehr waren sie in ihre Gespräche vertieft. Für Die war es selbstverständlich, sich wie "Zuhause" zu benehmen, ganz gleich, ob er nun ausgezogen war oder nicht. Für ihn würde dieses Haus immer sein Zuhause bleiben. Doch er? Kyo hatte nicht lange in Mie gelebt, dennoch fühlte er sich an keinem Ort so heimisch wie hier. So herzlich empfangen zu werden, hatte er nicht erwartet; doch so schön dies auch war, zu viele Schatten verdunkelten seine Gedanken, um sich wirklich darüber zu freuen... ~~ Die brach mitten im Satz ab, als die Türklingel durchs Haus tönte. "Mach die Tür auf.", schlug er Kyo grinsend vor. "Bin ich dein Hausmädchen?", empörte sich jener. "Du bist der Jüngste im Raum und hast somit keine Rechte.", erkannte der Ältere und zwinkerte Yanagi zu, die scheinbar gerade vorgehabt hatte, ihn zurechtzuweisen, nicht so mit Kyo zu reden. Der Schwarzhaarige rappelte sich Die verfluchend vom Sofa auf und öffnete die Haustür. Keine Sekunde später wurde seine Sicht verdeckt, ein dunkler Schatten schoss auf ihn zu; das nächste, was Kyo spürte, war der Teppich im Flur - jener diente nun als Unterlage für seinen Rücken. Kyo stöhnte leise, der Schlag war hart gewesen. "Toshiya~", jammerte er und stützte sich auf die Ellenbogen. Der viel größere junge Mann war ihm vor lauter Freude ein wenig zu überschwänglich um den Hals gefallen, hatte sie damit beide zu Fall gebracht. Nun hockte er auf ihm und strahlte fröhlich. "Ich hab dich so vermisst!", rief er und seufzte überglücklich. Kyo grinste gequält - mann, kaum zu glauben, wie schwer dieses Riesenkind war - und nickte langsam. "Ich dich auch, Toshiya..." "Typisch, Totchi, mal wieder den besten Platz ergattert. Darf ich auch mal?" Hinter Toshiya tauchte eine weitere Person auf, nachsichtig lächelnd, und zog ihren kleinen Bruder wieder auf die Beine, ehe sie auch Kyo die Hand entgegenstreckte. "Hey Kyo." Kyo ließ sich dankbar aufhelfen und grüßte Kaoru. Den mittelgroßen, braunhaarigen Mann wieder zu sehen, war sehr angenehm. Auch Shinya stand noch im Türrahmen, sagte Kyo ebenfalls freundlich hallo, ehe sich die drei Die zuwandten, der, von den lauten Stimmen angelockt, aus dem Wohnzimmer gekommen war. Ein heiteres Gespräch entstand noch im Flur, genau genommen redeten sie eigentlich alle durcheinander, jeder schnappte auf, was gerade an sein Ohr drang, und doch war es eine lustige Runde - vielleicht auch gerade deswegen. Bis Kaoru schließlich auf die Uhr sah. "Seid ihr fertig?" Kyo blinzelte überrascht. "Wofür?" "Hat Die dich nicht-" Der Älteste unterbrach sich mit einer Grimasse selbst. "Natürlich hat er der Idiot nicht eingeweiht. Wir wollen weg." Die verteidigte sich sofort: "Mann, ich wollte ihn eben überraschen!" "Wieso - wo geht's denn hin?", fragte Kyo misstrauisch nach. Toshiya lachte vergnügt. "Na, wenn du's bisher nicht wusstest, kannst du die letzten Minuten auch noch warten..." ~~ "Eine Karaokebar." Kyo warf Die einen Blick zu. "Ist das auf deinen Mist gewachsen?" Ein Zähneblitzen. "Natürlich, was denkst du denn?" Kyo schüttelte den Kopf, konnte ein Lächeln dennoch nicht verhindern. "Wieso ausgerechnet das?" Die wirkte für einen Moment ernst. Er murmelte ihm zu: "Wenn dich eins glücklich macht, dann Singen, ne. Deine eigenen Worte. Es wird Zeit, dass du mal wieder glücklich bist..." Kaoru, der im Gegensatz zu Shinya und Toshiya, die sich angeregt unterhielten, schweigend hinter der Gruppe gelaufen war, hatte die kleine Konversation mitverfolgt, betrachtete die beiden mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Hat sich wirklich nichts verändert bei ihnen... Tja, manchmal wäre eine Veränderung vielleicht doch ganz wünschenswert. Die Karaokebar war mittelgroß, ein offener, mit bunten Lichtern erhellter Raum. Bis auf ein paar Sitzgruppen, in denen wenige Leute saßen, war die Bar tatsächlich unbesucht, die Jukebox stand einsam und verlassen da, auch die Bühne war leer - der Monitor noch schwarz. Noch. Kaum, dass sie sich an einem Tisch nahe der kleinen Bühne niedergelassen hatte, zerrte Toshiya an Kyos Arm herum. "Los, sing uns was!", drängelte er. Kyo zeigte ihm einen Vogel. "Dafür muss ich schon was intus haben, bevor du mich auf so ne Bühne hier kriegst..." Die verdrehte die Augen. "Feigling. Komm, Kao, wir strapazieren die Ohren der Leute ein bisschen im Duett." Kaoru sah ihn zweifelnd an. "Muss das sein?" Auf seine Worte hin zog Big Red den kleineren Mann erbarmungslos mit sich. Auf dem Weg zum Podest hin murmelte er ihm leise zu: "Wir werden Kyo jetzt so lange foltern, bis er vor lauter gekränkter Vokalisteneitelkeit selbst zum Mikro greift, klar?" Kaoru grinste ihn an. "Tückisch, tückisch, Daidai, seit wann besitzt du so viel Denkvermögen?" "Leck mich." "Nee danke. Später vielleicht." Es dauerte einige Zeit, bis Kaoru und Die sich endlich auf ein Lied geeinigt hatten - und das grausamste Duett, das die Besitzer der Bar seit langem gehört hatten, folgte. Die übertrieb einfach maßlos, das wurde schnell klar. Er wusste selbst, dass seine Stimme nicht annähernd schlecht war, im Gegenteil, gewöhnlich sang er sogar ziemlich gut. Doch um Kyo zu provozieren, hätte er wohl jedes Geschütz an Grausamkeit aufgelegt. Shinya verzog das Gesicht. "Pfui Teufel, das ist ja wirklich..." "Abartig.", beendete Toshiya seinen Satz, schnitt eine Grimasse. "Ist das Lied noch lang?", wollte Shinya wissen, überlegte im Stillen, wo wohl der Stecker zur Musikanlage versteckt lag. "Das ist zu viel." Plötzlich erhob Kyo sich, schob sich an Toshiyas Platz vorbei zur Bühne hin. "Runter da, dieser Katzenjammer ist ja unerträglich." Die verstummte. "Was denn, willst du uns etwa ablösen?!" "Wenn du dann die Klappe hältst..." "Das nenn ich einen Deal.", sniggerte Die zufrieden und sah Kaoru breit grinsend an. NA?!, schien seine Miene rufen zu wollen. "Du bist ein Held, Big Red." Kaoru zerrte ihn dankbar über die Erlösung zurück zur Sitzgruppe. Erwartungsvoll saßen die Vier nun da, fragten sich, welches Lied Kyo wohl auswählte. Als die ersten Töne erklangen und Kyo nach dem Mikrophon griff, quietschte Toshiya begeistert. "Das ist ja Luna Sea!", freute er sich. "Precious.", stimmte Kaoru mit fachmännischem Wissen zu. Die folgenden Momente herrschte Stille im Raum, einzig und allein Kyos Stimme und die musikalische Untermalung sorgten für Geräusche. Dass dieser junge Mann dort auf der Bühne bereits Erfahrungen als Vokalist gesammelt hatte, erkannten auch die anderen Besucher der Bar sofort, zu professionell wirkte jede Bewegung, zu genau saß jeder Ton. Die, der Einzige unter ihnen, der Kyo je singen gehört hatte, lauschte dennoch nicht minder begeistert. Er beobachtete seinen jüngeren Bruder bewundernd, ein stückweit ungläubig. Es schien so unwirklich, wie jeder Teil Kyos Persönlichkeit von dem kleinen Sänger abzufallen schien, sobald er eine Bühne betrat - kaum, dass er erhöht von seinen Zuhörern stand, einen Song performte, war er nicht mehr der Kyo, den Die kannte; zumindest kam es dem Redhead so vor. Singend war Kyo für ihn ein Künstler, ein anderer Mensch, der nur noch das kannte, von dem er sang. Kyo verstummte und steckte das Mikrophon wieder in den dafür vorhergesehenen Halter, lauschte dem lauten Beifall seiner Freunde grinsend. "Macht nicht so ein Theater.", forderte er sie auf, als er sich wieder zu ihnen setzte. Es war ihm schon fast peinlich, wie die anderen Männer ihn behandelten, nahezu so taten, als habe er Großes vollbracht. Er hatte doch lediglich das Einzige getan, das er zumindest einigermaßen beherrschte. "Kyo.", fing Toshiya nach einer Weile wieder an. "Du musst zusehen, dass dich wer entdeckt. Irgendwie MUSST du doch berühmt werden, das kannst du nicht verkümmern lassen!" "Ich bitte dich, ich bin nicht der einzige Mensch in Japan, der einen Ton halten kann." Kyo zeigte ihm einen Vogel. "Du hältst nicht nur die Töne. Du lebst sie.", beharrte Toshiya weiter stur auf seine Meinung. Die tätschelte seine Hand. "Lass gut sein.", schlug er leise vor. Er wusste noch immer nicht, was es war, das Kyo in seiner letzten Band so viel Ärger eingebracht hatte, doch es saß noch immer tief. Big Red spürte das einfach. ~~ Während der Unterhaltungen zog Kyo sich wie so oft in seine Gedanken zurück. Während er mit seinen braunen Tiefen das Podest fixierte, auf dem er kurz zuvor noch gestanden hatte, schweiften seine Gedanken weit ab. Wie lange war es her, dass er zuletzt auf einer Bühne gestanden hatte? Fast ein halbes Jahr... Bevor alles an seiner Wahrheit kaputt gegangen war. Bevor alles an IHM zerbrochen war. An ihm... "Bin gleich wieder da.", murmelte Kyo und verschwand in Richtung Toiletten. Niemand schenkte diesem doch recht hastigen Aufbruch wirkliche Beachtung - niemand, abgesehen von Kaoru. Der Älteste der Clique runzelte ein wenig die Stirn. Der Jüngere war ihm die ganzen letzten Minuten schon so merkwürdig vorgekommen, nun dieser überstürzte Toilettenbesuch... "Ich geh auch mal." Das Röhrchen war wieder gefüllt. Er hatte dafür gesorgt, genug davon bei sich zu haben, bevor er mit Die zusammen nach Mie aufgebrochen war. Der Gedanke an Spritzen war zu gefährlich, so lange er nicht für sich war, zu groß das Risiko, sich verdächtig aufzuführen, total daneben zu sein. Doch ein verlängertes Wochenende ohne die gewohnte Dosis war ebenso gefährlich - zumindest ohne die nötigen Beruhigungsmittel. Kyo fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Stirn, strich ein paar schwarze Haarsträhnen beiseite, ehe er die Tablette schluckte, das durchsichtige Rohr wieder zuschrauben wollte. "Was ist das?" Die ruhige Stimme ließ ihn zusammenzucken. Mit einem leisen Geräusch landete das Plastikröllchen auf dem gefliesten Boden, weiße Tabletten verstreuten sich darauf. Kyo starrte Kaoru einen Augenblick lang mit aufgerissenen Augen an - es war schon immer schwer gewesen, bei dem aufmerksamen Blick des Älteren zu lügen, viel schwerer als bei Die, der doch wirklich alles glaubte. "Kopfschmerztabletten...", fing Kyo an, hockte sich hin, um die Anzahl an Pillen wieder aufzusammeln. Kaoru hob misstrauisch eine der Tabletten auf, begutachtete sie. "Das sind aber merkwürdige Schmerztabletten.", merkte er an, ließ Kyo dabei nicht aus den Augen. "Wieso?", fragte Kyo konfus nach, rappelte sich wieder auf und verschloss den runden Behälter diesmal sorgsam. Kaoru deutete auf das Muster an der Oberfläche. "Weil auf Schmerztabletten selten das Erkennungszeichen des jeweiligen Dealers zu finden ist." Kyo öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder, wich dem durchdringenden Blick aus. Kaoru griff nach seinem linken Arm, doch anders als Die schob er den Jackenärmel nicht nur ein paar Zentimeter hoch, um den Unterarm zu besehen, sondern viel weiter, bis hin zur Armbeuge. Als seine Adleraugen die vielen Einstiche erfassten, schluckte Kaoru schwer, ließ den Arm nur mühsam beherrscht wieder los. Kyo atmete tief durch, ehe er wieder zu ihm aufsah. "Sag es ihm nicht. Bitte..." Eine flehende Bitte, nicht mehr als ein Flüstern. Kaoru schüttelte den Kopf. "Das kannst du nicht von mir verlangen." Er machte einen Schritt rückwärts, kam aber nicht weiter, da Kyo sich an seinen Arm hängte, ihn verzweifelt ansah. "Kaoru! Das... tu mir das nicht an, bitte!" "Kyo.", fing Kaoru an und strich ihm behutsam durchs Haar. "Die ist mein bester Freund. Ich kann ihm so etwas nicht verschweigen." "Was geht ihn das an? Er muss das doch nicht wissen!" "Du weißt genauso gut wie ich, wie sehr er an dir hängt.", sagte Kaoru leise. "Aber... er darf das nicht erfahren, denk doch nur..." Kyo brach ab, die Panik hatte seine Stimme so vibrieren lassen, dass es Kaoru regelrecht Angst machte. Er seufzte. "Wie konnte es so weit mit dir kommen, Kyo? Ausgerechnet mit dir?" Kyo spürte die Tränen, die bereits in seinen Augenlidern saßen, die nur noch durch seinen Willen zurückgehalten wurden. "Das ist eine lange Geschichte...", flüsterte er. "Ich hab mein Leben komplett in den Sand gesetzt, du hast keine Ahnung, was - nimm mir Die nicht. Bitte." Kaoru blinzelte. "Ich will ihn dir doch nicht nehmen, was redest du?", fragte er sprachlos, drückte sanft die eiskalte Hand des Kleineren. "Aber Die hat ein Recht darauf, so etwas zu erfahren, denkst du nicht? Er wird dir helfen - wir alle können das." Nun glänzten die braunen Lichter doch verräterisch. "Wenn er es erfährt, kann mir überhaupt niemand mehr helfen. Er wird das nicht verstehen, er-" "Hey!", machte Kaoru energisch und verlangte: "Schalt einen Gang runter." Kyo schüttelte heftig den Kopf. "Du verstehst das nicht, du kannst es gar nicht verstehen. Du hast keine Ahnung, wie die Leute, die man schätzt, einen ansehen, wenn sie es erfahren. Du siehst deinen Blick nicht, du hast andere Blicke nicht gesehen. Aber ich, ich kenne diesen Blick inzwischen - und ich überlebe es nicht, wenn er mich so ansieht, okay? Das kann ich nicht ertragen. Ich tue alles, alles, aber sag es ihm nicht..." Kaoru musterte ihn, halb fassungslos, halb entsetzt. Mein Gott, was ist aus dir geworden...? Ein Nervenbündel, total hilflos... Verdammt, wieso hat denn keiner gemerkt, was mit dir los ist? Wieso hat Die das noch nicht gemerkt? Es kann doch nicht angehen, dass du ihm die ganzen letzten Wochen die heile Welt vorgespielt hast... Dabei - bis vor zehn Minuten habe ich dir dein Benehmen auch noch abgekauft. Die Tür öffnete sich erneut, ein gut gelaunt dreinschauender Die betrat den Raum. "Ach, ihr seid doch noch ganz. Wir hatten irgendwie Angst, einer von euch könnte ins Klo gefallen sein oder so... Wo bleibt ihr so ewig lange?", plauderte er heiter drauf los. Kyo versuchte, seine Panik hinunterzuschlucken, lächelte. Es wirkte geschauspielert, das wusste er, doch Die würde es nicht merken. Die bemerkte nie etwas. Die Tablette musste jeden Moment helfen, seine Nerven beruhigen. "Wir haben drüber diskutiert, ob ich noch einmal singen muss oder nicht.", erklärte er, warf Kaoru einen eingehenden Blick zu. Die grinste leicht. "Dafür!", ergriff er seine Partei. Kaoru verfluchte sich innerlich, nickte jedoch resigniert. "Ich auch..." Diese zwei kleinen Worte ließen Kyo einen Felsbrocken vom Herzen fallen. Als der Jüngere Die aus dem Raum folgen wollte, hielt Kaoru ihn noch kurz zurück. "Wir werden darüber noch reden, Kyo." Kyo sah ihn stumm an. Misch dich nicht in mein Leben. Es ist mein Problem, wie ich da wieder rauskomme. Und ich schaffe das. Ich werde da alleine wieder herausfinden... ~~ TBC Kapitel 8: risei ka? -------------------- Hey~ Endlich wieder ein neues Chap - Kapitel 8 mit dem Titel "Vernunft...?" ^.^ Ich hoffe, ihr könnt mir die langen Pausen zwischenzeitlich verzeihen ^^; ich bin halt ziemlich lahm im Hochladen - dafür gibt's aber keine Unterbrechungen zwischen den Stories *hust* *schlechte Entschuldigungen such* Anou, ja, ich wünsche dann.. Spaß beim Lesen? ^^ Ich denke, das Kapitel ist nicht allzu Problem belastet, dementsprechend viel Vergnügen! ^,^ Tissa Chapter 8 - risei ka? ~~ Er saß auf einer Sommerliege im Garten, tief in seine Jacke gekuschelt, die Beine angezogen. Niemand, der den zierlichen Körper in jenen Minuten sah, wäre darauf gekommen, dass der Hochsommer seine Spitze erreicht hatte. Doch es war Nacht, späte Nacht, die Sterne standen funkelnd am Himmel und die Temperaturen waren gefallen. Ein Schatten näherte sich, setzte sich zu ihm auf die Liege. "Kannst du auch nicht schlafen?" Kyo schüttelte den Kopf. "Nein. Zu viele Gedanken..." ,An Kaoru', wie er insgeheim noch hinzufügte. Die lächelte verständnisvoll, schüttelte leicht den Kopf, um sich von ein paar nervenden Haaren im Auge zu befreien. "Du hast klasse gesungen heute Abend." "Danke." "Ich hab überlegt... Du findest momentan keine vernünftige Band, ne. Was - was wäre, wenn wir eine machen? Ich meine, so schlecht spiele ich nicht gerade Gitarre und..." Kyo sah ihn fragend an. "Wir beide?", wollte er ungläubig wissen. "Wieso nicht? Wir könnten angeben, dass wir noch zwei, drei talentierte Leute brauchen - ich bin mir sicher, die Jugendlichen aus Tokyo werden uns die Bude einrennen. Und ich bin schon viel zu lange in keiner Band mehr gewesen.." Oh Die... Was soll ich denn jetzt sagen? Tut mir leid, ich bin ein Scheißjunkie und kann unmöglich noch eine gute Band kaputt machen, muss erst mein Leben wieder in den Griff bekommen?! Wieso kümmerst du dich nur so um mich...? "Es liegt dir echt am Herzen, mich wieder in einer Band zu sehen, nicht?" "Sicher. Sonst würde ich dich nicht in irgendwelche Karaokebars schleifen, um dir zu zeigen, wie gut du bist." Die grinste leicht. Ein Lächeln. "Manchmal wünschte ich, du wärst nicht so ein Schatz." Der Rothaarige sah Kyo verwirrt an. "Wie?" Kyo senkte den Blick. "Dann wäre es nicht so schwer..." Die sah sich um. Im Haus herrschte völlige Dunkelheit. Keine Sekunde später beugte er sich vor, wollte Kyo küssen - doch der Kleinere schob ihn sofort von sich. "Bist du wahnsinnig?", wisperte er leise. "Hier?!" Die biss sich auf die Lippe. "Entschuldige...", murmelte er schuldbewusst. "Du musst dich nicht entschuldigen. Besser nachdenken wäre schon hilfreich genug...", murmelte Kyo und setzte sich auf. Er schwang die Beine über den Rand der Liege auf den Boden und wollte aufstehen, da hielt Die ihn am Arm zurück. "Hättest du mich auch beiseite gestoßen, wenn dies hier nicht Mie wäre?" Kyo machte sich sanft von ihm los. "Nirgendwo ist die Vernunft so stark wie Zuhause..." Mit jenen Worten ging er wieder in Richtung Haus, ließ für Die die Antwort offen, ob dies nun Ja oder Nein bedeutete... ~~ "KYO!", freute Toshiya sich, nachdem er die Haustür geöffnet hatte. "He. Dein Bruder da?" "Eh? Ja, der ist in seinem Zimmer..." "Perfekt." Kyo trat ein und steuerte auf das Zimmer im Erdgeschoss zu. "Kyo?" Der Gerufene drehte noch einmal um. "Hast du später auch Zeit für mich?" Kyo smilte. "Ich komme dann hoch, ne. Wenn du willst, helfe ich dir sogar beim Klamottenaussuchen für heute Abend." Toshiya grinste mit blitzenden Augen. "Geil." Kaoru sah von seinen Papieren auf, als sich die Tür öffnete, gleich darauf wieder schloss. "Dich hatte ich irgendwie schon erwartet.", erkannte er und fuhr mit seinem Drehstuhl herum. Kyo lächelte aufgesetzt und machte es sich auf Kaorus Sessel bequem. Er fuhr mit den Fingerspitzen über den Stoff der Armlehnen. "Früher habe ich oft hier gesessen...", murmelte er wehmütig. "Und hab mich jedes Mal aufs Neue wegen Die bei dir ausgeheult." Kaoru nickte seufzend. "Ja. Was wirst du mir heute erzählen?" "Dass du als Psychologe unter Schweigepflicht stehst." Kyo sah ihn ernst an. "Das täte ich - wäre ich Psychologe. Aber ich bin dummerweise noch immer Musikstudent." "Kaoru. Ich vertraue dir das hier als Freund an. Dann behalte es auch für dich." Kaoru schloss für einen Moment die Augen, dachte nach. Als er sie wieder öffnete, sagte er: "Ich... okay. Unter ein paar Bedingungen." "Stell sie." "Mach etwas dagegen." Kyo nickte langsam. "Das werde ich." "Und erwarte nicht von mir, dass ich Die anlüge, wenn er mich fragt, ob ich etwas weiß. Es wird mir schwer genug fallen, ihm zu verschweigen, was mit dir los ist, aber das kriege ich hin. Lügen hingegen..." "Das verlange ich nicht. Er wird dich allerdings ohnehin nicht fragen..." Kaoru betrachtete das blasse Gesicht, die dunklen Augen. "Erzähl es mir." "Was?" "Alles. Die ganze Geschichte..." Kyo seufzte leise. "Okay." ~~ Dafür, dass es nur ein kleiner Partyabend bei Kaoru und Toshiya war, herrschte eine bedenklich ausgelassene Stimmung. Zu laut dröhnte die Musik von Buck-Tick, SADS, X-Japan, Luna Sea und ähnlichen Gruppen durch das Wohnzimmer, zu viel Alkohol war schon geflossen, um noch vernünftige Gespräche zu führen. Wer auf die Idee mit dem Flaschendrehen gekommen war, wusste keiner so genau, doch das Spiel machte selbst mit so wenigen Leuten Spaß. Die nahm soeben die leere Flasche und wollte sie drehen. "Halt. Was muss derjenige machen, der drankommt?", stoppte Toshiya ihn neugierig. Die überlegte einen Moment. "Ich finde, ein bisschen Yaoi heute Abend schadet nicht. Ein Kuss ist drin, oder?", erklärte er dann grinsend. Gelächter. Die Flasche drehte und drehte, doch im Stillen wollte niemand, dass sie bei ihm stehen blieb. Toshiya gab ein gequältes Lachen von sich. "Wer dumm fragt, was...? Wen, Die?" "Da ich ja völlig neutral und unparteiisch bin, lassen wir es die Flasche entscheiden." Big Red drehte erneut. Kyo, er selbst, Shinya, Kaoru, Toshiya, Kyo, Die, Shinya... Kaoru... Toshiya - Kyo. Kyo murrte und gab Die einen kleinen Tritt. "Kannst du die Flasche nicht vernünftig drehen?", maulte er. Toshiya kicherte und stieß ihn sanft an. "So hässlich bin ich nun auch wieder nicht." Kyo schnitt ihm eine Grimasse. "Na dann..." Er zog Toshiya resolut und in dem dringenden Wunsch, Dies dummen Wetteinsatz hinter sich zu bringen, zu sich hin, spielte eine Weile mit den Lippen des Jüngeren. Shinya grinste schadenfroh vor sich hin - zu viele von Dies Einfällen hatte er schon über sich ergehen lassen müssen, um dafür Mitleid zu haben - , Kaoru hingegen warf Die einen prüfenden Blick zu. Er könnte schwören, dass Die sich nun selbst in den Hintern treten könnte für seine Wettvorschläge. In der Tat beobachtete Die seine eigene Yaoiwette mit reichlich wenig Vergnügen. Mann, Glück müsste man haben... Wieso passiert mir das nicht? So ganz legal mit Kyo rumknutschen, typisch, dass so was wieder an Toshiya verschenkt wird. Trotz seiner Gedanken, die vielleicht sogar ein wenig von Eifersucht durchzogen waren, war Dies Laune nicht verdorben, im Gegenteil, er feierte nicht minder fröhlich weiter mit den anderen mit. Gähnend ging er in die Küche der Familie Niikura, um sich ein neues Glas Bowle zu holen. Dort traf er auf seinen jüngeren Bruder, der mit eben dieser Aktivität beschäftigt war. "Zwei Dumme, ein Gedanke.", stellte Big Red fest und hielt Kyo das Glas hin, damit er auch ihm etwas einschenkte. "Ich spiele nie wieder Flaschendrehen.", merkte Kyo an und lehnte sich gegen die Arbeitsfläche. Die grinste schräg, nippte an seiner Bowle. "Was denn, schmeckt Totchi nicht?" "Arschloch. Ich habe auch genug andere bescheuerte Aufgaben machen dürfen. Die Brause mit Bacardi zieht mir immer noch durch den Kopf..." Ein Lachen. "Au weh, sind wir betrunken?" Kyo äffte ihn lautlos nach. "Seh ich aus, als könnte ich nicht mehr gerade gehen? Das ist deine Aufgabe." "Komisch, in letzter Zeit war ich es immer, der dich nach Hause gebracht hat. Ich erinnere an unseren Besuch im Toxic." "Ausnahmezustand.", behauptete Kyo und stellte sein Glas beiseite. Ihm war der Durst vergangen bei dem Gedanken daran, sich nicht mehr unter Kontrolle zu haben. "Du?" Der Jüngere sah auf zu Die. "Was?" "Lächle mal für mich." "Bitte?" Kyo hob die Augenbrauen an. "Du sollst lächeln. Gib dir nen Ruck, kann doch nicht so schwer sein..." Die sah sich kurz um. Hinter ihnen standen noch ein paar vorbereitete Schälchen herum. Er förderte einen Keks zu Tage und verkündete: "Kriegst auch was dafür." Kyo starrte den Keks entgeistert an, prustete dann wider Willen los. "Du bist doch verrückt..." "Nach Kyo vielleicht, da gebe ich dir Recht." Dies Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, während er mit dem Keks vor Kyos Nase hin- und herwedelte. Kyo hielt seine Hand fest und meinte ruhig: "Versuch es gar nicht erst. So angetrunken bin ich noch nicht." "Ich weiß, nirgends ist die Vernunft so stark wie Zuhause.", wiederholte Die ächzend, was Kyo ihm in der Nacht zuvor gesagt hatte. "Wie, hast du ernsthaft verstanden, was ich sagen wollte?" "Nö, aber das passte gerade so schön..." Kyo lachte kopfschüttelnd. "Du erstaunst mich immer wieder." "Bin halt was Besonderes.", witzelte Big Red und schwenkte seine Hand, die noch immer von Kyos umschlossen war. "Da sprichst du ausnahmsweise mal wahre Worte.", erkannte Kyo mit einem Blick, der seinen Halbbruder leicht aus dem Konzept brachte. Einige Sekunden herrschte Schweigen zwischen ihnen. "Wo bleibst du denn, Ky- Oh, äh - bin schon wieder weg, lasst euch nicht stören... ^^°" Ebenso plötzlich, wie Toshiya im Türrahmen zur Küche aufgetaucht war, kehrte er auch wieder um, wirkte dabei, als habe er es ziemlich eilig. Kyo ließ Dies Hand los und verdrehte die Augen. "Dieses Kind ist so bescheuert... Wobei will er denn bitte stören?" "Er ist nur ein Jahr jünger als du.", merkte Die an. Im Gegensatz zu Kyo fand er sehr wohl, dass Toshiya ungelegen aufgetaucht war, aber bitte... "Ich geh dann mal wieder zu den anderen." Kyo nahm sein Glas wieder und verließ nun ebenfalls die Küche. Die blieb allein zurück und seufzte. Ich hasse dieses ewige Verlangen... ~~ Die Tasche war bereits fast fertig gepackt, als es an der Tür klopfte. Kyo sah auf. "Herein." Es war Seido, der daraufhin eintrat. "Schon fertig?" "Nicht ganz.", entgegnete Kyo und stopfte ein Shirt oben auf die anderen Reiseutensilien. Er hatte keine Lust mehr, ordentlich zu packen. "Es ist schön gewesen, dich wieder zu sehen." Kyo hielt in seiner Bewegung inne, richtete sich vollends auf, um Seido zu mustern. "Ich... ich bin auch gerne hier gewesen." Diese Worte zauberten ein Lächeln auf die Züge seines Vaters. "Weißt du, wir haben es damals akzeptiert, dass du gegangen bist, es war deine Entscheidung - aber verstehen werde zumindest ich es nie. Trotz der Probleme hatte ich immer das Gefühl, du fühltest dich bei uns wohl." Kyo ließ sich zurück auf den Bettrand sinken, unterbrach den Blickkontakt dabei jedoch nicht. "Ich habe mich sogar sehr wohl gefühlt. Deine Familie ist für mich wirklich verblüffend schnell zu einem Zuhause geworden. Aber die Umstände - das wäre nicht gut gegangen, darüber sollten wir uns im Klaren sein. Ich bin mit Sicherheit nicht zurück nach Kyoto gezogen, weil das mein großer Wunsch war." Seido seufzte innerlich. "Wir sind eine Familie - und auch diese Probleme hätten wir gemeinsam gelöst, denkst du nicht?" Kyo schüttelte langsam den Kopf. "Ein Problem, das einen gewöhnlichen Ursprung hat, kann man immer lösen. Aber ich habe es noch nie erlebt, dass jemand seine Gefühle einfach so lösen konnte." Seido schwieg eine Weile nachdenklich. "Darf ich dir eine Frage stellen?" Kyo wusste, es musste eine Frage sein, die er nicht beantworten wollte, doch er nickte friedfertig. "Warum haben Mai und Daisuke sich wirklich getrennt? Hatte es mit dir zu tun?" Kyo überlegte, wie er antworten sollte. "In gewisser Weise ja. Die bewahrt immer noch alte Bilder von uns auf, Briefe von mir, die ziemlich - na ja, aussagekräftig sind. Mai hat sie vor kurzer Zeit gefunden. Ich denke, dass danach zu viel Misstrauen in ihrer Beziehung herrschte, um noch zu funktionieren.", erklärte er ruhig. "Hm..." Er war sich darüber bewusst, dass sein Vater darauf nichts mehr zu erwidern wusste. Was auch? Kyos Worte klangen einleuchtend und abschließend - und sie entsprachen der Wahrheit. "Ich denke aber, die beiden werden sich auch weiterhin gut verstehen.", meinte Kyo noch; auch davon war er überzeugt. "Das freut mich." Seido lächelte leicht und betrachtete seinen jüngeren Sohn eingehend. "Du bist wirklich komplett anders als Die." Kyo runzelte die Stirn. "Wie kommst du darauf?" "Ich weiß nicht genau, aber mit Die konnte ich noch nie sehr gut reden. Es ist nicht so, dass wir uns nicht verstehen, ganz im Gegenteil, doch Daisuke ist immer mehr an Yanagi gewöhnt gewesen als an mich. Die beiden haben ein sehr, sehr enges Verhältnis, mit mir waren diese Gespräche, die die beiden führten, nie möglich. Mit dir hingegen kann ich so reden, obwohl wir einander nicht gut kennen." Kyo zuckte mit den Schultern. "Es ist immer so, dass ein Kind eine Bezugsperson hat, nicht wahr? Wenn das bei Die schon immer Yanagi war, ist das doch nicht verwunderlich. Ich habe keine Bezugsperson mehr gehabt, jetzt seit Jahren nicht mehr... Aber man kann gut mit dir reden." Seido sah ihn lange an. "Du hast überhaupt keine Bezugsperson mehr? Keine guten Freunde, die dafür geeignet wären?" Kyo mühte sich, seinem Vater nicht in die Augen zu sehen, bevor er antwortete: "Nun... Mein bester Freund ist Die. Aber mit Die kann man nicht immer reden, du kennst ihn. Und sonst - ich kann nicht immer nach Mie fahren, um mit Kaoru über Probleme zu sprechen oder mich von Toshiya und Shinya aufheitern zu lassen." "Komm zurück hierher. Du hast jederzeit die Chance, bei uns zu wohnen oder unsere Unterstützung zu erhalten, das weißt du." "Ja.. Aber ich möchte in Tokyo bleiben, das... ich bin gerne dort." "In Ordnung. Ich wollte nur, dass du es sicher weißt." Kyo lächelte und nickte. Auch, wenn dieses Angebot nie in Frage käme - es war schön, wieder einmal so ein Entgegenkommen zu spüren... ~~~ tbc Kapitel 9: kinshi no ai ----------------------- merii kurisumasu to akemashite omedetou gozaimasu~~ ^______^~ sooo, nun ein kleines Weihnachtsgeschenk für euch *g* Als ich nach dem letzten Chap las, dass ihr euch dringlichst mal wieder ein bisschen Liebe wünscht, musste ich schmunzeln - im Hinblick auf Kapitel 9 - Verbotene Liebe... Frohes Fest! Tissa Chapter 9 - kinshi no ai ~~ Die ertappte sich immer wieder dabei, wie er mehr den Menschen neben sich beobachtete als den Film, der auf dem Bildschirm flackerte. Die kleine, schlanke Gestalt lehnte mit dem rechten Ellenbogen auf der Sofalehne, der Rest des Körpers füllte einen Teil der Couch selbst aus. Big Red saß in der anderen Ecke. Der DVD-Abend war seine Idee gewesen, zwei der Filme hatten sie bereits hinter sich gebracht. Jener war eine Komödie, doch oft gelacht hatte Kyo bisher noch nicht. Die fragte sich insgeheim, ob sein jüngerer Bruder wohl überhaupt den Dialogen lauschte. Zwar waren seine Augen auf die Mattscheibe geheftet, folgten jeder Bewegung der Hauptakteure, und dennoch schien Kyo abwesend. Plötzlich wurde der Bildschirm schwarz, riss Kyo so aus seinen Gedanken. Er sah verwirrt hinüber zu Die, der sich aus seiner Sofaecke entfernt hatte, sich nun grinsend auf ihm niederließ und ihm in die Wange zwickte. "Bevor wir weitersehen, üben wir erst mal ein bisschen, wie man lacht. Danach gibt's dann die Prüfung, wie du's beim Fernsehen anwendest.", erklärte er mit blitzenden Augen. Kyo ächzte. "Hast du nichts besseres zu tun? Wieso bist du so hartnäckig?" "Bin ich das bei dir nicht immer?" "Okay." Kyos Blick verdüsterte sich. "Lässt du meine armen Wangen jetzt los? Es beginnt, weh zu tun." "Ups." Die grinste verlegen und hörte auf, die Wangen des Jüngeren zu kneifen. Kyo rieb sich besagte Körperstellen mit einem Grummeln. "Brutalo.", beschwerte er sich. "Lach endlich." "Ich will schwer hoffen, dass du nie Lehrer wirst. Deine Lernmethoden sind fürn Arsch.", stellte Kyo ernsthaft fest. "Und schwer bist du auch noch." "In Ordnung, ich bin nicht gerade der perfekte Lehrer und irgendwie auch voll unfähig, die Leute dazu zu bringen, das zu tun, was ich will, aber-" "Och Die, halt die Luft an.", jammerte Kyo und hielt dem Größeren demonstrativ seine Hand vor den Mund. Die umfasste das Handgelenk, zog die schlanken Finger ein Stück beiseite. Es war nur eine Sekunde des Zögerns, ehe er begann, sie mit seinen Lippen zu liebkosen. Kyo wollte seine Hand zurückziehen, doch Die ließ es nicht zu. Er umklammerte sie und erklärte dann: "Ich habe diese Bemerkung endlich kapiert." Kyo blinzelte. Wie schnell schaltete der Typ heute eigentlich von einem Thema aufs nächste...? "Welche Bemerkung?" "Die mit Zuhause und Vernunft, blubb..." "Ach?" Kyo zog die linke Augenbraue an. "Ja. Du wolltest mir damit sagen, dass man zu Hause, wo man automatisch an die Eltern denkt, viel vorsichtiger und verantwortungsbewusster handelt als anderswo, wo jene Atmosphäre des Elternhauses und der Überwachung wegfällt." "Nicht schlecht, Die. Du lernst dazu.", gab Kyo ehrlich beeindruckt zu. "Scheint so.", entgegnete Die lächelnd und beugte sich hinunter zu dem Jüngeren. Kyo handelte schnell, schob seine Fingerspitzen zwischen ihre Gesichter. "Und was wird das jetzt?", fragte er leise. "Mie ist weit weg. Die Vernunft demnach auch.", erklärte Die daraufhin, drückte Kyo seine Lippen auf. Eine Weile spielten ihre Lippen miteinander, bis Dies Zunge langsam Kyos Piercings entlangfuhr, Einlass in seine Mundhöhle verlangte. Kyo erwiderte den Kuss, ganz wie erwartet, seine Zunge strich sanft über die des Redheads, während er die Arme um Dies Nacken schlang, den warmen Körper dichter an sich zog. Dies Küsse wurden fordernder, verlangten mehr - weniger Vorsicht, mehr Leidenschaft. Ein gefährliches Spiel, doch scheinbar war das Thema ihrer vorangehenden Unterhaltung, die Vernunft, tatsächlich in Mie verblieben. Die Lippen des Älteren wanderten weiter, Kyos Hals hinab, wo sie sanft an der empfindlichen Haut saugten, seine Zähne behutsam knabberten. Kyo spürte Dies rechte Hand seine Taille hinunterwandern, zärtlich über seine Hüfte streicheln. Das Herz des Dunkelhaarigen ging schneller. Er warf Die einen unsicheren Blick zu, als dieser sich wieder seiner Zunge widmen wollte. "Bist du dir sicher, dass das gut ist...?", fragte er leise. Die strich ihm liebevoll eine Haarsträhne aus der Stirn, platzierte einen Kuss an jene Stelle. "Gut ist es garantiert nicht.", flüsterte er ihm ins Ohr, "Aber Menschen sind dazu da, gesellschaftliche Fehler zu begehen, nicht...?" ~~ Ein leises Seufzen. Kyo fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, drehte den Kopf nach links, dem schlafenden Menschen neben sich zu. Seine Armbanduhr zeigte Nacht an. Er sollte längst nicht mehr hier sein, anderswo... Lautlos erhob sich der schlanke Körper, sammelte seine Sachen zusammen. Bevor er das Schlafzimmer verließ, hauchte er Die einen kurzen Kuss auf die Wange, lächelte wackelig. "Schlaf gut...", flüsterte er fast ohne Ton und verschwand endgültig. ~~ "Daisuke." Die sah von seinen Mitschriften, die er lernte, auf. In nicht einmal einer Stunde stand eine Klausur an und er konnte praktisch nichts, hatte vergessen zu lernen. "Hey Mai." Die lächelte vorsichtig und ließ sein Lernmaterial Lernmaterial sein, als sich die junge Frau zu ihm setzte. "Wie geht's dir?" Mai nickte leicht. "Recht gut?" "Schön..." Mai schien etwas sagen zu wollen, doch sie schwieg. "Ich... ich muss dir was erzählen." Die hob die Brauen. "Natürlich. Schieß los..." "Versprich mir, dass du mir glauben wirst - und nicht denkst, ich wolle dir weh tun." Mai sah ihn mit großen, bittenden Augen an. Die hatte auf einmal ein unglaublich klammes Gefühl in der Magengegend. "Versprochen. Worum geht es...?" "Ehm - also... Kyo. Es geht um Kyo.", erklärte sie unsicher. "Ich weiß ja nicht, was mit euch ist und es geht mich auch nichts mehr an, aber... Ich habe ihn jetzt schon öfter mit anderen Typen gesehen. In der Disco und so, jedes Mal mit einem anderen. Und das nicht gerade... nun, Berührungsängste hat er eindeutig nicht. Ich... es tut mir leid, wenn ich dir das einfach so sage, aber ich wollte, dass du es weißt." Die spürte sein Herz sinken. Er versuchte, seine Gedanken einigermaßen zu ordnen, ehe er erwiderte: "Wir führen keine Beziehung, er kann tun, was er will..." Mai betrachtete sein Gesicht nachdenklich. "Wenn ich dich so ansehe.. Es war wohl gut, dass ich es dir gesagt habe." Sie seufzte leise. "Ich will keine Keile treiben, aber-" "Es ist schon in Ordnung, Mai." Die lächelte aufgesetzt. "Es ist wirklich lieb von dir, dass du dir solche Sorgen um mich machst." Und vielleicht ist es sogar gut, dass ich es weiß... Mai erhob sich von ihrem Platz. Sie hatte ein ungutes Gefühl, ihr war klar, dass sie bei Die einiges durcheinander gebracht haben musste - doch sie wollte, dass ihr Ex-Freund wusste, auf was er sich da einließ. Sie sorgte sich wirklich um ihn, wollte ihn davor bewahren, sich in eine Sache zu verrennen, die ihm schaden konnte. Bevor Mai sich verabschiedete, zwang Die sich dazu, sich für ihre Ehrlichkeit zu bedanken. Sie war schon einige Meter entfernt, als ihm ein Gedanke kam. "Mai?! Was für ein Club war das?" Mai drehte sich noch einmal zu ihm um. "Aoi Tsuki..." ~~ Kyo stieß Rauch in die Luft, sah sich gelangweilt um. Die stand jetzt schon minutenlang vor diesem Sportgeschäft und drückte sich wegen was auch immer die Nase platt. Ein wenig in Vergessenheit geraten fühlte er sich - zumindest würde niemand erkennen, dass sie ursprünglich gemeinsam losgezogen waren. Es herrschte eine seltsame Stimmung zwischen ihnen am heutigen Tag - Kyo war sich nicht sicher, woran es lag, dass die Laune des großen Rothaarigen so wankelmütig schien, doch er hatte eine gewisse Vermutung, was dahinter steckte. Du nimmst es mir übel, dass ich gestern Nacht einfach verschwunden bin und heute noch kein Wort darüber verloren habe, nicht? Ich kann es verstehen, an deiner Stelle... "He!", rief eine Stimme hinter ihm - ein Junge, das Alter nicht zu schätzen, tauchte neben dem kleinen Schwarzhaarigen auf. Kyo starrte ihn einen Augenblick lang an. Das hat ja gerade noch gefehlt... "Wie geht's dir, T-" "Hallo, Kiyoshi.", unterbrach Kyo ihn hastig und visierte Die, der sich nun endlich wieder zu ihm herumdrehte. "Ehm, Die, darf ich vorstellen - Kiyoshi, ein Nachbar - Kiyoshi, Die, mein Bruder." Er betonte das Wort Bruder in gewisser Weise, fixierte den schätzungsweise Jüngeren dabei. Die musterte den Jungen; er war ein wenig kleiner als er selbst und sah Dies Befinden nach merkwürdig aus. Die ziemlich weit aufgerissenen Augen schienen ruhelos hin- und herzuwandern, außerdem hatte Kiyoshi nahezu weiße Haut, noch viel heller als Kyos, des Weiteren schien er die seltsame Angewohnheit zu haben, alle paar Sekunden die Nase hochzuziehen, zu schniefen - das musste einem doch nach einer Weile auf den Geist gehen? Kiyoshi sah Die an, begrüßte ihn fröhlich. Er plauderte kurz mit Kyo, lud ihn für den Abend zu sich nach Hause ein, ehe er verschwand. Kaum, dass Kiyoshi außer Sicht war, machte Die ein ungläubiges Geräusch. "Himmel, kann einer so aufgekratzt sein? Ich dachte immer, Toshiya sei früher schlimm gewesen, aber der..." Kyo lächelte nachsichtig. "Mein Gott, der Junge ist sechzehn, was erwartest du?" "Sechzehn o.O?" Kyo nickte. "Hai, er lebt seit ein paar Wochen direkt nebenan. Ich weiß nicht genau, was bei ihm los ist, Joey meinte nur, er habe wohl heftige Probleme mit seinen Eltern gehabt..." "Ah ja..", machte Die noch immer verblüfft, sah in die Richtung, in die Kiyoshi gegangen war, fast so, als könne er einen erneuten Blick auf den Jungen erhaschen. "Und was hat er mit dir zu tun?" "Dass er einen Narren an mir gefressen hat vielleicht." Der Kleinere grinste ein wenig. "Ich bin der Einzige noch annähernd Jugendliche bei uns im Haus - und mit sechzehn fühlt man sich leicht einsam in so einer Gegend..." Big Red nickte verständnisvoll. "Sag mal, kann es sein, dass dieser Joey ne Art Kindertante ist? Der hat ja lauter junge Leute mit Problemen um sich..." Kyo lachte hohl. "Ja, er scheint da wirklich ein Händchen für zu haben.", murmelte er. Der Mistkerl weiß eben genau, wo er nach potentiellen Junkies zu suchen hat... Die betrachtete Kyo nachdenklich. Ich wollte dich eigentlich auf diese Geschichte von Mai ansprechen. Aber... Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich deine Antwort hören will. God knows, was du mir erzählst. Vielleicht - ich überzeuge mich lieber selbst davon... ~~ Kyo sah mitleidig dabei zu, wie der Jüngere seine sieben Sachen zusammensammelte. Wenn man bedachte, dass diese Wohnung hier direkt neben der seinen lag - dagegen waren seine eigenen vier Wände der Buckingham Palace. So leer und kahl, ungemütlich und kalt wirkte es hier. Kiyoshi kam noch viel weniger mit seinem momentanen Leben klar als er, das verdeutlichte ihm seine Umgebung. "Tooru?" Kyo schreckte aus seinen Gedanken auf. "Was denn?" "Wer ist Kyo?" "Wie?" Kyo hob erstaunt die Brauen. "Dein Bruder hat dich heute Mittag immerzu Kyo genannt." Kiyoshi schniefte und sah sich suchend um. Kyo ächzte leise. Na toll. "Ich... das ist mein eigentlicher Name." "Kyo?" "Hai. Ich - ursprünglich war mein Name Tooru, aber er hat mir nie gefallen. Deswegen ließ ich ihn schon sehr früh in Kyo umändern, bereits mit fünfzehn oder so..." "Komisch. Wieso lässt du dich dann von Joey und so Tooru nennen?" Kyo biss sich auf die Unterlippe. "Ich will nicht, dass die meinen richtigen Namen kennen. Wenigstens das will ich mir bewahren..." Kiyoshi lächelte. "Du bist klug. Darauf wäre ich nie gekommen." Er schauderte leicht. Es war wirklich kalt in dieser Wohnung. Der junge Mann erwiderte das Lächeln, jedoch mit einem bitteren Ausdruck in den Augen. "Wäre ich klug, hätte ich Joey nie kennen gelernt.", brummelte er und hielt Kiyoshi seinen Rucksack hin. "Den suchst du doch, oder?" "OH, ja." Kiyoshi lachte verlegen und folgte dem Älteren hinaus aus der Wohnung. Sie gingen lediglich die paar Schritte hinüber in Kyos Heim, doch scheinbar wollte der Junge seinen Rucksack nicht aus den Augen lassen. "Darf ich dich was fragen?" Kiyoshi zappelte auf dem alten Sofa herum, während Kyo ihm ein Glas Wasser einschenkte. "Tu dir keinen Zwang an." "Wie bezahlst du es?" Beinahe wäre dem Älteren die Flasche aus den Händen gerutscht, doch er fing sich und stellte sie ab. "Ich arbeite.", erklärte er kurz angebunden. "Verdienst du so viel?", staunte Kiyoshi daraufhin. "Nein." Plötzlich wirkte Kiyoshi bedrückt. "Also tust du es auch.", flüsterte er sehr, sehr leise. Kyo warf ihm einen prüfenden Blick zu. "Joey zieht diese Scheißtour bei dir ab?" "Mit dir nicht?" "Nicht direkt.", grummelte Kyo daraufhin. "Er versucht es... aber es muss schon wirklich n Scheißtag sein, wenn er Erfolg haben will." Kyo rappelte sich vom Boden auf, setzte sich zu Kiyoshi. "Lass das nicht mit dir machen. Bei aller Liebe, aber wenn du da erst mal richtig drin bist..." "Bin ich längst." Der Junge seufzte leise. "Ich habe so angefangen - und anders krieg ich kein Geld zusammen." Kyo atmete tief durch, drehte den Jüngeren zu sich herum. "Verdammt, ist dir klar, was du dir antust? Was du deiner Seele antust? Lass dich nicht von diesem Wichser zum Stricher machen, sonst ist... Unterzeichne nicht jetzt schon dein Testament, kapiert?" "Das sagst du jetzt. Wann hast du zuletzt was genommen? Vor einer Stunde, vor zweien? Das lässt sich immer leicht sagen, wenn man drauf ist. Aber was, wenn du kurz vor den Entzugserscheinungen stehst, WAS tust du dann? Dann tust du nahezu alles. Genau wie ich. Und sieh mich nicht so an, ich weiß, wovon ich rede. Wir wissen es beide." Verdammt, wenn ein Kind schon so redet... Was macht dieses Scheißzeug aus den Menschen...? Kyo ließ den Blick seufzend fallen. "Natürlich kennen wir es. Aber das lasse ich mit mir nicht machen.", beharrte er stur. "Wie oft hat er dich dazu gebracht? Zwei Mal? Drei Mal? Oder öfter? Es ist doch egal, wie viele Male du dich verkaufst, wie regelmäßig. Wenn du es einmal getan hast, bist du drin in der Scheiße und tust es immer wieder." Kiyoshi schniefte zum wiederholten Male und trank einen Schluck aus dem Wasserglas. "Du hast Familie. Wieso ziehst du nicht zu deinem Bruder?" Kyo betrachtete den Fußboden, fast so, als habe er ihn nie zuvor gesehen. "Ich kann ihn da nicht mit reinziehen. Sein Leben läuft so glatt an meinem vorbei, ich habe einfach nicht das Recht, ihm das kaputtzumachen." Er seufzte leise. Nein. Das könnte ich nie... ~~ tbc Kapitel 10: genjitsu no ura ni ------------------------------ Hey-ho~ Gomen Leute, das Kapitel ist wirklich spät dran, doch ich war im Urlaub und habe in den letzten 2 Tagen erst einmal die zig mails beantwortet, die in der Zwischenzeit eingetrudelt sind ^^; Ich hoffe, das Kapitel wird euch gefallen - auch, wenn vermutlich einmal wieder einige Beschwerden einfliegen werden... ^^" Baibai~ Tissa Chapter 10 - genjitsu no ura ni ~~ Es war abends, bereits nach elf, als das Telefon klingelte. Doch er ließ es klingeln. Weiter und weiter. - Beep - Kyo lauschte seiner eigenen Tonbandansage. Der junge Mann saß auf dem Boden, gegen das Sofa gelehnt, versuchte krampfhaft, gegen seine Kopfschmerzen anzukämpfen. Doch selbst die bisherige Stille und Dunkelheit seines Wohnzimmers verbesserten es nicht. Kyo...? Bist du da? Wenn ja... bitte geh ran. Wir haben uns schon ein paar Tage nicht mehr gesehen und - ich will deine Stimme hören, aber ... dein Handy ist aus. Stille. Hm.. du bist wohl wirklich nicht zu Hause. Okay, ich versuche es einfach spä- "Was ist denn?" Kyos Hand hatte den Hörer vom Tisch geangelt, rieb sich nun, da der Hörer zwischen Schulter und Kopf hing, die Schläfen. "Hab ich dich aus dem Bett geklingelt?" "Nein, ich war noch wach." "Du klingst merkwürdig..." "Mir geht's nicht gut.", erklärte Kyo mit nahezu farbloser Stimme. "Was ist los? Soll ich herkommen?" Um Himmels Willen, nein... "Iie, ist nicht nötig. Nur Kopfschmerzen." "Du hast oft Kopfschmerzen in letzter Zeit.", merkte Die besorgt an. "Veranlagung zur Migräne, wie meine Mutter." "Hmm... soll ich nicht doch noch vorbeikommen?" Kyo hatte sich aufgerappelt, stand nun am Fenster und sah in den Himmel. Der Mond schien so voll und hell, dass die Nacht im Freien gar nicht wirkte. "Hast du Sehnsucht oder einfach nur Langeweile?" "Beides." Die grinste. "Ich war bis eben noch in Shibuya unterwegs und dachte..." "Na gut, komm her, wenn du willst. Weißt du, wie du von Shibuya aus zu mir findest?" "Nö, ich frag mich durch." Die plapperte noch weiter durch die Gegend, während er durch Tokyos Straßen marschierte, guter Dinge und voller Vorfreude, seinen Halbbruder gleich zu Gesicht zu bekommen. Er hatte schon längst aufgelegt, vermutlich war er sogar schon in Kyos näherem Umfeld, als Big Red in eine Straße einbog, die ihm nahezu Unbehagen bereitete. Die Gasse, von beiden Seiten mit halbhohen, verfallenen Mauern gesäumt, war im Gegensatz zu den vorherigen rege besucht, überall standen junge Leute im Licht der Straßenlaternen herum, lehnten an den steinernen Abgrenzungen. Die stöhnte innerlich, als er erkannte, zu welchem Zweck die größtenteils Jugendlichen in dieser Gegend waren. Super, Die, du bist mitten auf dem Straßenstrich gelandet... Der große Rothaarige wanderte weiter, warf dabei verstohlene Blicke um sich. Was schnell auffiel, war die Tatsache, dass sich nahezu nur Jungen auf der Straße herumdrückten, zwar feminine und sehr hübsche Jungen, aber dennoch. Meine Güte, das sind ja noch halbe Kinder! Wenn die über Achtzehn sind, bin ich der Kaiser persönlich. Dass er selbst auffallen musste, missfiel Die sehr, es war ihm unangenehm, diese jungen Menschen dabei zu beobachten, wie sie in jener Gegend ihr Leben ruinierten. Vielleicht war es egoistisch und falsch - doch er wollte das wirklich nicht mit eigenen Augen sehen. Die hatte die Straße schon beinahe hinter sich gebracht, da tauchte eine Gestalt in seinem Blickwinkel auf, die ihm bekannt war. Der junge Mann erstarrte, sah sprachlos auf die Person, die dort auf dem Boden saß, kraftlos gegen die Wand lehnte, herab. "Kiyoshi?" Der Redhead flüsterte es nur. Hastig hockte er sich zu dem Jungen mit den halb geschlossenen Augenlidern hin. Er bekam kaum eine Reaktion auf sein Handeln, Kiyoshi betrachtete ihn lediglich schweigend. "Was machst du hier?!" Der Sechzehnjährige schien ihn nicht zu hören, fing an, eine Preisliste herunterzuleiern. "Hey, hör mir zu!", unterbrach Die ihn, rüttelte sanft die Schultern des Kleineren. "Das kannst du vergessen, der ist immer so drauf." Die hob den Blick an, traf mit jenem eines älteren Jungen zusammen, der auf der Mauer saß und rauchte. "Typisch für den Kleinen, ein Kunde am Abend und du kannst ihn vergessen, schlecht fürs Geschäft, aber ehrlich..." Die starrte ihn entgeistert an. "Er ist sechzehn!", rief er verteidigend, ungläubig, wie gelassen dieser Junge dort oben über Kiyoshis Zustand sprach. "Na und?", gab sein Gesprächspartner zurück. "Ich stand hier auch schon, als ich sechzehn war - und ich hab mich nie so aufgeführt." Er ließ seine Kippe zu Boden fallen. Scheinbar war der Junge sehr gesprächig, da er weiter redete. "Tja, typisch für diese Kiddies, die nur an Kohle für ihre Drogen kommen wollen. Na ja, aber er ist immerhin noch besser als diese Mimosen, die schon vorher mit Drogen vollgepumpt werden müssen, weil sie sonst gar nicht still halten würden..." Die spürte Kälte. Wie konnte ein Mensch in dem Alter nur so reden? So abgebrüht über andere Jugendliche urteilen? "Wie sieht's aus, schon was vor heute Abend?" Als der Jüngere seine Gedanken mit einem anzüglichen Lächeln unterbrach, kam Die wieder zurück in die Realität. "Nein danke.", murmelte er und zog Kiyoshi auf die Füße. "Was denn, den willst du dir antun?!" Die ignorierte ihn, sagte zu Kiyoshi jedoch: "Komm, ich bring dich jetzt nach Hause..." Kiyoshi stand wie eine Puppe da, zuckte mit den Schultern. Es schien ihn nicht zu interessieren, was Die redete. "Moment mal!" Die Hand des dritten Jungen zog Kiyoshi an der Schulter zurück. "Der wird schön hier bleiben." "Nichts da, er muss nach H-" "GLAUBST du, du tust ihm einen Gefallen, wenn du ihn hier wegholst? Morgen Nacht steht er ja doch wieder hier - und kriegt erst mal welche rein, weil er heute kein Geld gemacht hat. Ist das deiner Meinung nach förderlich für seine Gesundheit? Der Kleine bleibt hier. PUNKT." Die ließ Kiyoshis Arm ergeben los. Es widerstrebte ihm zutiefst, den total weggetretenen Jungen hier zurückzulassen, doch der Gedanke, für ihn mit seinem gut gemeinten Handeln alles noch zu verschlimmern, belehrte ihn eines besseren. "Okay. Ich gehe.", murmelte er und warf Kiyoshi einen mitleidigen Blick zu. "Tut mir leid..." Nun hatte er es umso eiliger, zu Kyo zu kommen. Kyo war vernünftiger als er selbst - und Die war es gewohnt, dass sein Halbbruder immer einen guten Rat parat hatte. Er würde ihm sagen, wie man Kiyoshi helfen konnte. Sobald er erfuhr, was Kiyoshi nachts trieb, um an Drogen zu kommen, würde Kyo ihm helfen. Das wusste er einfach. ~~ Die bog seine Fingerspitzen hin und her, betrachtete Kyos Rücken. Der kleine Sänger stand wie er in der winzigen Küche, schnitt eine Gurke klein. Scheinbar wollte er zeigen, dass er ein guter Gastgeber war. "Kyo?" "Hm?", machte der Jüngere und hackte weiter gespielt munter auf das Gemüse ein. "Wusstest du, dass Kiyoshi drogenabhängig ist?" Das hackende Geräusch verstummte. Kyo starrte auf das Holzbrett. "Woher weißt du das...?", wollte er leise in Erfahrung bringen. "Ich hab mich eben auf dem Weg vertan - und bin auf dem Strich gelandet. Rate mal, wen ich da getroffen habe." Die trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. "Du wusstest es also bereits." Kyo legte das Messer beiseite. "Ja.", murmelte er. "Was schlägst du vor?" Der Dunkelhaarige drehte sich zu ihm um. "Inwiefern?" "Na, wir müssen doch etwas tun..." Kyo lachte bitter. "Wir können nichts tun.", flüsterte er. "Gar nichts." Die starrte ihn ungläubig an. "Willst du denn zusehen, wie er sich weiter in diesen Strudel reinziehen lässt?" "Die - bei aller Liebe, weißt du, wie viele Kinder da jede Nacht auf der Straße stehen? Du kannst nicht jeden Menschen retten, der leidet. Und einen Junkie zu retten, der bereit ist, für die Drogen seinen Körper zu verkaufen..." Seine Stimme versagte. "Aber du magst Kiyoshi doch, dachte ich?" In Dies Stimme schwang etwas mit, das Kyo an Empörung erinnerte. "Sieh mich nicht so entrüstet an, Die. Du kennst diese Szene nicht. Begib dich da gar nicht erst rein, sonst steckst du schneller drin in der Scheiße, als du um Hilfe bitten kannst.", sagte Kyo ernst und spülte seine Hände unter dem Wasserhahn ab. "Kyo! Der Junge ist am Ende, man muss doch was-" "Ja eben! Er ist am ENDE, verstehst du? Er hat NICHTS mehr, was ihn auf dieser Welt hält, ihm ist alles egal. Wie willst du ein Kind, das so weit ist, zum Entzug bringen? Nicht mal die, die noch Familie haben, schaffen den Absprung - und dieser Junge ist psychisch so labil, dass es schon fast weh tut. Nichts und niemand wird ihn dazu bringen, sich nicht mehr in seine Drogenwelt zu verziehen. Kiyoshi hat den Kampf lange aufgegeben. Und damit auch sich selbst." Die senkte den Blick auf seine Hände. Kyo reagierte nicht, wie er erwartet hätte. Im Gegenteil. Er versuchte ihm einzureden, Kiyoshis Leid zu ignorieren. "Wie kann dich das so kalt lassen...?", fragte er bedrückt. Kyo schmiss sein Handtuch zurück auf die Spüle. "Verdammt, es lässt mich nicht kalt. Oder doch, meinetwegen bezeichne es so. Aber ich habe genug gesehen, um zu wissen, dass es Dinge gibt, die man zu akzeptieren hat!" "Du redest wie ein Street Worker, der jahrelang auf der Straße gearbeitet hat.", merkte Die ungehalten an. "Hast du dir mal angesehen, wo ich lebe?! Da kriegt man so einiges mit." Gott, red nicht so viel, du bringst dich selbst in Teufelsküche, Kyo... "Wie auch immer.", meinte der Jüngere nach einer Weile. "Glaub mir, ich kann es einschätzen, bis wann ein Mensch noch eine Chance hat. An Kiyoshi ist diese Chance lange vorbeigezogen..." Und an mir wahrscheinlich auch schon. Der Gedanke an Kiyoshi, an seine eigene Situation, trieb Kyo für einen Augenblick Tränen in die Augen. Er drehte sich weg von Die, hoffte, seine Gefühlsregung vor dem Redhead verstecken zu können. "Kyo...", machte Die mitleidig. Ihm war das verräterische Glänzen nicht entgangen. Die Tatsache, dass Kyo das Wissen über Kiyoshi zu Tränen anregte, ließ ihn seine Worte zuvor bereuen. Er hatte geradezu geredet, als sei es Kyo egal, obwohl er doch im Stillen wusste, dass es seinem Bruder nie gleichgültig war, die Leute in seinem Umfeld leiden zu sehen. "Ach scheiße!" Kyo schlug mit der Faust auf die Arbeitsfläche, wischte sich dann eine vereinzelte Träne weg. "Scheißleben. Scheißgesellschaft..." Die erhob sich von seinem Sitzplatz, legte von hinten die Arme um den Kleineren. "Bitte nicht weinen.", flüsterte er in den schwarzen Haarschopf und platzierte einen kleinen Kuss auf das weiche Haar. Kyo lehnte sich gegen ihn, musste plötzlich wieder Willen lächeln. "Das kommt mir bekannt vor.", bemerkte er nun wieder völlig ruhig. "Wie?", wunderte sich Die. "Als Yuka damals die Bilder von uns geschossen hatte, stand ich nachts an meinem Fenster. Damals bist du auch aufgetaucht und hast mich genauso umarmt, mir dabei zugeflüstert, ich solle nicht traurig sein..." Die seufzte ein wenig. "Damals dachte ich schon, mein Leben sei kompliziert. Aber da hatte ich auch noch keine Ahnung, dass das beschissenste Weihnachtsfest meines Lebens vor mir lag..." "Es tut mir leid, dass ich es dir so versaut habe. Aber ich musste damals einfach gehen. Es gab keine andere Möglichkeit." "Ja... Weißt du eigentlich, dass du mich mit deinem Brief das erste Mal seit Jahren zum Heulen gebracht hast?" Kyo sah hoch zu ihm. "Nein. War er so schlimm?" "Und wie. Ich kann das Ding heute noch auswendig... Ich hatte mich eigentlich beherrscht, aber als du dann dieses Zitat gebracht hast, war's aus." "Du meinst >>> Das Größte, was du je erfahren wirst, ist zu lieben und wiedergeliebt zu werden. <<< , nicht?" Die nickte langsam, lehnte sein Gesicht in Kyos Haare. "Aber du hattest Recht. Ich kannte die Bedeutung dieser Worte wirklich nicht, ehe ich dich kennen lernte. Du hast meine Lebenseinstellung damals ohnehin voll über den Haufen geworfen." "Habe ich?" Kyo runzelte die Stirn. "Vorher hätte ich jeden, der mir was von Liebe auf den ersten Blick erzählte, ausgelacht. Aber als ich dich dann an dieser Bushaltestelle gesehen habe..." Kyo zog eine Grimasse. "Klar, ich muss unglaublich erotisch ausgesehen haben - klitschnass und verheult, echt sexy..." "Sei doch ruhig.", verlangte Die und umklammerte die Taille des Jüngeren fester. "Du hast mich nur einmal angucken müssen, und schon war ich hinüber." Kyo schwieg nachdenklich, eine Stimmung, die Die dazu anregte, eine Frage zu stellen. "Kyo? Warum bist du letzte Woche - eh, wieso-" "Warum ich mitten in der Nacht verschwunden bin?", unterbrach der Gefragte Dies Stottern. "Hai." Kyo machte sich aus der Umarmung los, drehte sich zu Big Red um. "Ich wollte nicht, dass du morgens neben mir aufwachen musstest um festzustellen, einen Fehler gemacht zu haben." Die starrte entrüstet zu ihm hinunter. "Aber Kyo, das würde ich nie denken! Ich wollte das doch w-" Der Kleinere brachte ihn zum Schweigen und schob ihn von sich weg. "Du solltest das nicht immer wieder sagen. Es war ein Fehler, darüber müssen wir uns beide im Klaren sein." Noch während Kyo sprach, glaubte Die, ein Dolch bohrte sich in sein Herz. "Sag so etwas nicht.", bat er eindringlich. "Ich werde es meinetwegen auch noch einmal sagen. Die Zeiten haben sich geändert, Die. Wir sind keine kleinen Kinder mehr, die sich einfach über die Realität hinwegsetzen können. Damals haben wir uns eingeredet, dass es ein "Wir" gibt - aber dem ist nicht so. Es gibt lediglich das >wir sind Blutsverwandte<." Die senkte die Lider; alles in seinem Inneren schien sich zusammenzukrampfen. Das ist ungerecht. Wie kannst du immer wieder auf vernünftig schalten? Eben warst du noch so... ich kann es nicht beschreiben. Und jetzt hast du wieder auf Stark umgestellt und lässt mich eiskalt abblitzen. "Das ist scheiße!", beschwerte sich der Redhead. "Ich habe meine Freundin für dich gehen lassen, weil ich weiß, dass ich nur dich will. Ich bin wenigstens so ehrlich, mir das einzugestehen. Hör auf, mich zu verdrängen, das ist nicht fair." In Kyos Augen flammte ein gewisser Kampfgeist auf. "Ich habe dich nicht gebeten, Mais Trennung zu akzeptieren. Und es lag nie in meinem Bestreben, dir Hoffnungen zu machen. Du weißt doch selbst, wie paradox deine Vorwürfe sind. Natürlich ist unsere Beziehung anders als zwischen anderen Geschwistern, doch das lässt sich nun einmal nicht vermeiden!" "Was ist denn das für eine Beziehung, die wir zueinander haben? Mal machen wir einen auf Gut Kumpel und im nächsten Moment knutschen wir wieder rum oder landen zusammen im Bett, das passt einfach nicht zusammen!" "Lass deiner Unzufriedenheit nur weiter freien Lauf. Gibt es vielleicht noch etwas, worüber du dich beschweren möchtest?" Die zögerte. Kyos Miene schien wie eingefroren. Scheiße, was machen wir hier eigentlich? Vorhin war alles noch so schön - und nun? Hätte ich ihn nur nicht drauf angesprochen, wie benehmen uns beide total bescheuert... Kyo ballte unbewusst die Hände zu Fäusten. "Schön, scheinbar nicht. Weißt du was, Die? Du hast Recht." Der Ältere blinzelte verwirrt. "Womit?", wollte er wissen. "Es wird wirklich Zeit, dass wir uns endlich für einen Pfad entscheiden. Das mit der Freundschaft haut einfach nicht hin." Dies Herz schien zu rutschen. "Was willst du damit sagen?" Eine leise Frage. "Wir machen alles immer schlimmer. Ich weiß schon, warum ich damals ging. Es war das einzig vernünftige. Wenn wir einander zu oft sehen, geht es immer wieder schief." Es waren seine eigenen Worte, die Kyo innerlich erfrieren ließen. Doch es war das Beste, einfach das Beste. "Hör auf, das zu sagen. Ich lasse dich nicht noch einmal gehen.", flüsterte Die. Er spürte, wie sich Tränen in seinen Augen ausbreiten wollten, blinzelte daher ein paar Mal heftig. "Du musst mich nicht gehen lassen. Du wirst mich einfach nicht mehr zu Gesicht bekommen." "Nein. Das kannst du mir nicht antun!" Kyo versuchte, nicht auf in Dies entsetztes Gesicht zu sehen. Ich habe mir so lange etwas vorgemacht. Damit muss endlich Schluss sein. Du wirst mich nicht retten. Und das mit uns wird nie so werden, wie wir es uns wünschen, das hast du mir eben gezeigt. Verzeih mir meine Worte, Die. Es ist wirklich das Einzige, was uns noch bleibt... "Geh bitte." "Kyo!" "Hörst du nicht?", murmelte Kyo gezwungenermaßen ruhig. "Ich werde das nicht akzeptieren." "GEH!" Noch ein paar Sekunden versuchte Die, anhand Kyos Miene zu erkennen, was in dem Jüngeren vorging. Doch es war unmöglich. Erneut hatte sein Halbbruder eine Maske aufgesetzt, die ihn nichts mehr erkennen ließ. Mit einem Seufzen verließ der große Rotschopf die Küche, wenig später fiel die Tür ins Schloss... ~~ tbc Kapitel 11: shinjitsu --------------------- hey~ da bin ich wieder, dieses Mal mit Kapitel 11, das, so vermute ich, bei den meisten Lesern eine Stimmung zwischen "Na endlich!" und "Gott sei Dank" hervorrufen wird - viel Spaß mit Chap 11 - Die Wahrheit... ^.~ Tissa Chapter 11 - shinjitsu ~~ Ein Zug von der Zigarette; danach senkte sich die zitternde Hand wieder. Kyo warf dem jungen Menschen neben sich einen mitleidigen Blick zu. Klare Gedanken ließ seine eigene Verfassung nicht zu, und doch war er nicht weit genug, um das Leiden seines Freundes zu ignorieren. Er fuhr vorsichtig durch das braune Haar. "He, Kiyoshi. Wach bleiben.", flüsterte er sanft. "Ich mag nicht mehr.", fröstelte der Größere und lehnte sich gegen den anderen Körper. Kyo lächelte nachsichtig, ließ die Nähe zu. "Ich weiß. Bald ist die Nacht rum.", versprach er, obwohl ihm seine Armbanduhr im selben Moment zeigte, dass diese Aussage nicht annähernd der Wahrheit entsprach. Kyo saß nicht umsonst neben Kiyoshi auf dem kalten Asphalt dieser kleinen Gasse - er versuchte, Kiyoshi abzulenken, ihn irgendwie wach zu halten. Der Junge hob den Blick an, sah ihn mit einem Mal groß an. "Was machst du eigentlich hier?", nuschelte er in den Stoff von Kyos Jacke. "Auf dich aufpassen." "Ah. Und ich dachte schon..." Kiyoshi wagte es nicht, seine Gedanken auszusprechen. Ein bitteres Lächeln. "Joey wird mich nie dazu bringen, mich hier hinzustellen." Kiyoshi streckte sich ein wenig, ihm war eisig kalt. "Hat er doch längst, das hast du selbst zugegeben..." Kyo schüttelte heftig den Kopf. "Hier? Iie, das hat er nie geschafft." "Was denn dann?" Kiyoshi gähnte, schmiss dann seine Zigarettenleiche auf den Boden. Kyo seufzte unterdrückt. "Ich... hab mich nur mal für ihn mit wem getroffen. In Clubs oder so..." "Nein, was für eine Ehre. Was hast du hier zu suchen, Tooru? Solltest du am Ende doch noch Interesse an meinem Angebot zeigen?" Die zwei jungen Menschen sahen auf, als eine dritte bekannte Stimme sich zu ihnen gesellte. Kyo verdrehte die Augen. "Steck dir dein Angebot sonst wo hin. Ich leiste Kiyoshi bloß Gesellschaft." Mit einem unterkühlten Lächeln zog Joey den Dunkelhaarigen ruckartig vom Boden hoch, hielt ihn am Arm fest. "Erst einmal: lerne endlich eine andere Sprache, wenn du dich mit mir unterhältst. Und zweitens bist du schlecht fürs Geschäft, wenn du hier herumsitzt und den Anstandswauwau spielst." Kyo hielt dem Blick stand, der ihn wohl einschüchtern sollte. "Lass mich bitte los.", verlangte er leise. "Ich bleibe hier so lange stehen, wie ich will." Joey grinste schief, lockerte seinen Griff aber dennoch. "Was denn, kriegen wir jetzt Muttergefühle?" Kyo zog eine Grimasse. "Sicher. Es ist einfach nicht mit anzusehen, wie du ihn behandelst!" "Ich behandle ihn wie jeden anderen auch." "Umso schlimmer!" "Tooru...", machte Kiyoshi flehend und zupfte an seinem Stiefel. Kyo wusste, dass er ihn warnen wollte, doch er ignorierte es. "Guck ihn dir doch nur mal an, er ist völlig fertig!" Joey lehnte sich zur Seite, um an Kyo vorbei auf den Sechzehnjährigen zu sehen, der unverändert am Boden saß. Unbeeindruckt entgegnete er: "Wenn ich mich recht erinnere, ist es gar nicht lange her, dass ich dich zuletzt so gesehen habe. Nur, weil du zur Abwechslung mal flüssig bist und dich genügend zudröhnen kannst, um nicht so dazusitzen, sehe ich keinen Grund, dass du dich hier als Moralapostel aufspielen musst." Joeys Worte trafen an der richtigen Stelle. Innerlich zuckte Kyo zusammen, spielte jedoch weiter den Starken. "Ich weiß nicht, worauf du anspielen willst.", erkannte er ruhig. "Du bist ein schlechter Schauspieler, Tooru. Man sieht dir an, wie sehr du drauf bist. Was ist los, haben wir Kummer?" Kyo brummte etwas Unverständliches vor sich hin, hockte sich wieder zu Kiyoshi, wohl darauf bedacht, Joey zu missachten. "Was denn, habe ich einen wunden Punkt getroffen?", fragte der Ältere leise nach. "Ich habe diesen Typen schon lange nicht mehr bei dir gesehen, hat er dich etwa in den Wind geschossen?" "Lass mich in Ruhe, okay?", verlangte Kyo ungehalten. "Aber wenn du es unbedingt wissen willst: nein, ich habe den Schlussstrich gezogen." Kiyoshi sah schweigend zwischen ihnen hin und her. Er verstand nicht, wovon sie redeten. Doch das war ohnehin egal, er war müde... Keine Sekunde später sank sein Kopf auf Kyos Schulter. "He.", machte Kyo und schüttelte den Jungen eindringlich. Sein Blick schoss wieder auf zu Joey. "Verdammt, er kann nicht mehr. Jetzt gib ihm endlich was!" Joey schüttelte strikt den Kopf. "Kein Verdienst, keine Gegenleistung. Du hast doch noch was. Spiel den Märtyrer, wenn du glaubst, dass das etwas bringt." Mit jenen Worten verließ Joey die beiden, marschierte weiter durch die Straße, bis ihn die Dunkelheit gänzlich verschlungen hatte. Kyo seufzte frustriert und rüttelte weiter an Kiyoshi, bis er ihn endlich wach bekam. "Lass mich schlafen...", jammerte dieser und vergrub sein Gesicht wieder in den Stoff der Jacke, die Kyo am Leibe trug. Jener kämpfte mit sich, kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. "Komm.", flüsterte er und zog Kiyoshi hinter die halbhohe Mauer. "Was denn...?" Kyo kramte in seiner inneren Jackentasche, zog verschiedene Gegenstände daraus hervor. Kiyoshis Augen nahmen die Form von Suppentellern an. "Woah.", hauchte er. Kyo fing seinen Blick ein und erklärte ernst: "Das ist das erste und letzte Mal, damit das klar ist." Kiyoshi nickte heftig, griff nach Kyos Hand. "Bitte, wirklich nur das eine Mal..." "Ja." "Danke, danke, danke!!!" Kiyoshi umarmte den Älteren, ein wenig ungeschickt und schlaff zwar, doch es ließ sich erkennen, was er damit vermitteln wollte. Während Kyo die nur zu bekannten Vorbereitungen tat, seufzte er innerlich. Prima, Kyo. Du hilfst ihm wirklich großartig... ~~ Zeit verging. Der August endete, gab seinen Platz im Kalender an den September ab. Mit den Tagen verstrich auch immer mehr von Dies Hoffnung. Er rief immer wieder bei Kyo an - dass der Jüngere nicht heranging, war ihm längst bewusst, doch immerhin hörte er seine Stimme auf dem Anrufbeantworter, wenigstens das... Getroffen hatten sie sich seit jener Nacht, in der Kyo seine Entscheidung gefällt hatte, nicht mehr. Anfangs, so gestand Die sich ein, hatte er Kyos Worte nicht ernst genommen, nicht geglaubt, der kleine Sänger könne sein Vorhaben einhalten. Doch er tat es, eindeutig. Was ihn zumindest ein wenig glücklich stimmte, war die Tatsache, dass er Kyo nicht einmal wie befürchtet im Aoi Tsuki angetroffen hatte. Wenigstens hatte er keine anderen Sachen am Laufen. Vielleicht war es egoistisch von ihm, so zu denken, doch Die hoffte regelrecht, dass dem so blieb. Durfte er ihn nicht haben... Wovon Die hingegen keine Ahnung hatte, war, wie Kyo mit ihrem Auseinandergehen lebte. Der junge Mann fand immer häufiger den Weg zu Joey, mit seiner gespielten Stärke war es schon bald vorbei. Immer wieder saß er bei Kiyoshi auf der Straße, versuchte zwar, diesen seelisch zu unterstützen - doch prinzipiell wusste er, dass ein Blinder einen Tauben nie retten konnte. Dennoch war es ihm egal. Dass er in Kiyoshi keinen wirklichen Freund sehen durfte, der Jüngere lediglich auf seine Gutmütigkeit angewiesen war... Ob er es nicht sehen wollte oder es tatsächlich nicht tat, war ungewiss. Doch Kyo brauchte einen Menschen in seiner Nähe, der ihn mochte, der nett zu ihm war. In diesem Sinne war Kiyoshi vielleicht wirklich genau die Art Mensch, die Kyo benötigte. ~~ Die sah sich gelangweilt um. Er mochte diesen Club wirklich nicht. Die Gäste waren nicht sein Fall, bisher hatte er noch nie jemanden getroffen, der ihm sympathisch vorkam. Und dennoch kehrte er immer wieder zurück ins Aoi Tsuki - wohl in der Hoffnung, einen ganz bestimmten Menschen anzutreffen. Bis sein Blick plötzlich an einer dunklen Ecke hängen blieb. Eine Sitzecke wie jede andere auch - wenn man von dem Gast absah, der sich in ihr befand. Im ersten Moment wollte Die aufstehen, zu Kyo hinübergehen, doch dann erkannte er, dass Kyo nicht alleine in der Sitzecke saß. Ganz im Gegenteil, der junge Mann hing an den Lippen eines anderen Menschen, für Die nicht zu erkennen, da dieser mit dem Rücken zu ihm saß. Die starrte lange Zeit einfach nur hinüber zu seinem Halbbruder, beobachtete ihn, wie er sich mit diesem Mann beschäftigte. Dass Kyo nach einer Weile aufstand, in Richtung Toiletten ging, kam dem Redhead nur recht... Kyo betrat den Vorraum der Toiletten, lehnte sich gegen die Wand. Ein paar Mal fuhr er sich mit den Fingern durchs Gesicht, versuchte, seine Fassung wiederzuerlangen. Diese Schauspielerei widerte ihn selbst an, einfach unerträglich... "Was machst du hier?" Kyo sah auf, erst jetzt bemerkte er Big Red, der ihm aus dem Discoraum gefolgt sein musste. "Die Frage könnte ich zurückgeben.", erwiderte er, trat mit ausdrucksloser Miene an die Spiegel, um sein Make-up nachzuziehen. Damit lenkte er Dies Aufmerksamkeit wieder einmal auf seine Kleidung. Erneut trug der Kleine seine Lackkleidung, hohe Stiefel - alles in Schwarz. "Ich war eben total fasziniert dabei, zu beobachten, wie dich dieser Kerl fast verschlungen hätte.", gab Die finster zurück. Kyo warf ihm durch den Spiegel einen Blick zu. "Und?", fragte er gleichgültig. "UND? Das fragst du noch?!" "Ja. Was soll das, Die?" "Wie kannst du... Mein Gott, ich dachte, ich bedeute dir etwas." "Das Thema haben wir endgültig abgeschlossen, meinst du nicht?" "Schön. Meinetwegen tu, was du für richtig hältst. Aber der Kerl... ich bitte dich, das kann doch nicht dein Ernst sein!" Kyo runzelte die Stirn. "Ach. Und wieso nicht?" "Hast du den mal angesehen? Der ist doch viel zu alt für dich und-" "Das ist mein Leben.", unterbrach Kyo den Älteren ungehalten. "Und ich tue damit, was ich will." Verzeih mir das, bitte. Es geht nicht anders. Nun hau schon ab und lass mich alleine... "Kyo, hör doch auf. Du hast nicht vor, dich weiter von diesem komischen Typen befummeln zu lassen, oder?" Es klang flehend. Kyo ging an ihm vorbei zur Tür. Dabei warf er ihm einen letzten Blick zu. "Nein, nicht nur das.", murmelte er und verschwand hinter der nun wieder geschlossenen Tür. Die starrte das Holz ungläubig an. Tu mir das nicht an. Er rannte aus dem Raum und sah sich, wieder in der Disco selbst, suchend um. Die Sitzecke war leer. Die ließ seine wachsamen Augen über den Dancefloor schweifen. Nahe des Ausgangs konnte er ihn entdecken - Kyo verließ soeben den Club. Jedoch nicht allein. ~~ Stundenlang war er durch die Straßen gewandert, ziellos hin und her. Dies Gedanken kehrten immer wieder zurück zu dem kurzen, viel zu unterkühlten Gespräch am Anfang dieses Abends zurück. Was er auch tat, um sich abzulenken, an andere Dinge zu denken, es wollte einfach nicht gelingen. Er stand gerade an einer Schaufensterauslage, betrachte sie, ohne wirklich zu realisieren, was er eigentlich besah - bis das Klingeln seines Mobiltelefons ihn wieder in die Wirklichkeit riss. Seufzend kramte er danach; Die wollte mit niemandem sprechen. "Ja?", fragte er ächzend. Ein Flüstern: "Die...?" Der Rotschopf hatte das Gefühl, aus einem Tagtraum aufzuwachen, als er die leise Stimme hörte. "Kyo? Was... alles okay?" "Ich wusste nicht, wen ich anrufen sollte..." Es klang erstickt. "Kannst du herkommen?" Die spürte Ungewissheit. "Was ist denn los, wo bist du?" "Hier - irgendwo vorm Aoi Tsuki.. glaube ich." Das unbestimmte Gefühl der Sorge breitete sich in dem Älteren aus. "Was ist passiert, Kyo?" Eine Pause. "Gar nichts. Ich komme nur nicht mehr allein nach Hause..." Was? Du rufst mich an, weil du betrunken bist und niemanden hast, der dich nach Hause bringt? Wie dreist bist du eigentlich? Vorhin noch hast du mich so eiskalt abblitzen lassen - aber wenn du in der Klemme steckst, bin ich plötzlich wieder da, oder wie sonst soll ich das jetzt verstehen? "Ich komme. Bleib, wo du bist, kann nen Moment dauern." Kyo drückte den Off-Button seines Handys, steckte es weg. Den Kopf nach hinten gelehnt, blieb er an der im Dunkeln liegenden Seitenwand der Diskothek sitzen, ein Bein angezogen, das andere ausgestreckt, und hielt sich die rechte Hand gegen die Stirn. Die Welt musste aufhören, sich zu drehen. Die wusste nicht, ob es Wut oder Frust war, doch eines der beiden Gefühle musste es sein, das ihn so schnell vorantrieb. Vielleicht war es auch eine Mischung aus beiden. Am Eingang des Clubs sah er sich suchend um, jedoch ohne Erfolg. Kyo war nicht zu sehen. Toll, ist der am Ende gar nicht hier oder was? Einen Augenblick lang überlegte er, einfach wieder zu gehen, doch Kyos Worte hallten noch deutlich in seinem Kopf. >Irgendwo vorm Aoi Tsuki< , das konnte genauso gut an einer anderen Mauer der Disco sein. Also marschierte er vor sich hingrummelnd um das Gebäude - bis er plötzlich einen Körper wahrnahm, der sich im Dämmerlicht von der Wand hervorhob. Die blieb stehen, starrte die zierliche Gestalt ein paar Sekunden lang aus der Entfernung an. Erst dann schien er zu begreifen, dass dies dort wirklich Kyo war, und stürzte auf den Jüngeren zu. "Kyo?", rief er atemlos und ging vor dem jungen Mann, der sich seit ihres Telefongesprächs keinen Millimeter bewegt hatte, in die Knie. Kyos Lider flatterten, ein mattes Lächeln stahl sich auf die hellen Züge. "Wusste doch, dass du kommen würdest...", murmelte er kaum verständlich. Big Red hingegen sah ihn immer noch halb entsetzt, halb besorgt an. Er ließ seinen Blick über den Körper des Kleinen schweifen, wobei seine Augen unweigerlich an den teils zerrissenen Kleidungstücken und dem blauen Fleck am Oberschenkel hängen blieben. "Kami-sama...", flüsterte er und strich vorsichtig eine schwarze Haarsträhne hinter Kyos Ohr. Dann fuhr er über das an einer Stelle aufgerissene Lackoberteil. "War das dieser... dieser-" Kyo nickte langsam. "Du musst sofort zur Polizei gehen!", rief Die aufgelöst. Er fühlte sich dieser Sache nicht gewachsen, hatte keinen Überblick, wie er sich verhalten sollte. Kyo lachte hohl. "Damit sie mich gleich dabehalten?", fragte er tonlos, zog etwas aus dem kleinen, offenen Reißverschluss an seinem Oberteil. Zwei große, zusammengefaltete Geldscheine flatterten lautlos zu Boden. Die starrte zwischen dem Geld und Kyo hin und her. "Was hat das zu bedeuten...?", verlangte er zu wissen. "Man kriegt mehr, wenn man sie machen lässt, was sie wollen.", murmelte Kyo vor sich hin, ohne Dies Frage zu beachten. Die bewegte stumm die Lippen, als wisse er nicht, was zu sagen. "Kyo, ich verstehe nicht-", fing er an, wurde aber unterbrochen. "Was gibt es daran nicht zu verstehen? Dass ich mich dafür bezahlen lasse, mit irgendwelchen Wichsern ins Bett zu gehen; die mit mir anstellen lasse, was sie wollen, wenn das Geld stimmt?!" Kyo vergrub das Gesicht in den Händen, legte den Kopf dann in den Nacken, wobei seine Finger weiter seinen eigenen Hals hinabfuhren. Die hockte wie vom Donner gerührt neben ihm, wirkte wie eine regungslose Marmorstatue. Es wirbelten zu viele Gedanken in seinem Kopf herum, als dass er einen davon hätte auffangen und aussprechen können. Kyos Augen füllten sich mit Tränen. "Ich wusste es, ich wusste, du würdest mich so ansehen.", murmelte er bitter, verkrampfte die Hände in seinen Rock. "Dabei weißt du noch nicht mal die Hälfte..." Eine salzige Perle tropfte auf seine Hand, eine zweite folgte. Bis er sich plötzlich in einer engen Umarmung wieder fand. "Das ist doch gleich.", hauchte Dies Stimme dicht an seinem Ohr. "Es ist mir egal, was du noch zu erzählen hast. Tu es. Und dann hol ich dich da raus." Es waren Dies letzte paar Worte, die in seinem Inneren klangen wie eine Erlösung, wie eine wahre Chance. Er ließ ihn nicht hängen. Er würde ihm aus der Misere heraushelfen. Nichts lief wie befürchtet. Rein gar nichts. Ein paar bittere Tränen, begleitet durch Aufschluchzen und Schaudern, während Kyo sein Gesicht an Dies Schulter lehnte, herausließ, was so lange im Verborgenen geblieben war, unterdrückt mit Drogen und Schmerztabletten. ~~ tbc Kapitel 12: yameru koto ----------------------- Chapter 12 - yameru koto ~~ Eine lange Nacht lang hinter ihnen - eine Nacht voller Gespräche, Erklärungen, gefüllt mit nichts als der Wahrheit. Kyo hatte seinem Halbbruder die ganze Geschichte erzählt, von Anfang an. Wie er noch in Kyoto mit Drogen in Kontakt gekommen war, die Unvernunft über das Wissen der allgemein bekannten Drogengeschichten gesiegt hatte; wie er seine letzte Band verlassen musste, nachdem seine Sucht ans Tageslicht gekommen war. Die nächste Station seiner Geschichte war Tokyo. Dass er in Wirklichkeit in die große Hauptstadt Japans geflüchtet war, um die Vergangenheit zu vergessen, jedoch wenig später Joey kennen gelernt hatte. Von jenem Zeitpunkt an schien die Teufelsspirale von vorn losgegangen zu sein, das fehlende Geld, Joeys Angebote, meist tapfer abgelehnt - meist... Bis hin zu den letzten Wochen, in denen er gemeinsam mit Kiyoshi auf der Straße gesessen, sich die Nadel mit dem Jüngeren geteilt hatte. Er ließ keine Einzelheit aus, verschönerte nichts. Es war Zeit für die Wahrheit, das wusste Kyo. Längst war die Sonne aufgegangen, doch die beiden jungen Menschen saßen noch immer in der Küche, wo sie vor Stunden ihr Gespräch begonnen hatten. Es waren mehr als genug Tränen geflossen, die Papiertaschentücher, die aus dem Mülleimer ragten, bewiesen es. "And here we are.", murmelte Kyo und strich sich eine nervende Haarsträhne beiseite. Die seufzte, stützte sein Gesicht in die Hände, wobei seine Ellenbogen auf der Tischplatte verweilten. Er hob den Blick zu Kyo an, während er sprach: "Ich bin... beeindruckt. Soll ja vorkommen, dass ich gelegentlich was nicht mitkriege, aber das..." Kyo rieb sich die Stirn. "Sarkasmus ist das Letzte, was ich jetzt hören wollte.", erkannte er mit brüchiger Stimme. In ein paar Stunden war er sicher heiser, so viel, wie er geredet hatte... "Gomen.", machte Die und setzte sich wieder richtig auf. "Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll." "Wie wär's mit: >scheiße, wie hast du das denn schon wieder hingekriegt?< ", brummte Kyo düster und nahm einen Schluck Kaffee aus dem Becher, den er bis vor kurzem mit beiden Händen umklammert gehalten hatte. "Ich dachte, kein Sarkasmus? Kyo, mal ganz ernsthaft: ich muss dir nicht wirklich sagen, wie tief du in der Scheiße steckst, oder? Ich glaube, das weiß keiner so genau wie du." "Da mag was dran sein..." "Was ich aber wiederholen kann, sind meine Worte von heute Nacht. Es ist mir egal, was ich gerade alles erfahren habe. Alles, was zählt, ist, dass wir dich da wieder rausziehen, nicht?" Kyo sah wortlos in das ruhige Gesicht seines Gegenübers. Die wollte ihm wirklich helfen. Es war sein voller Ernst. Nach einer Weile des Schweigens nickte er plötzlich. "Hai." Dieses klitzekleine Wort löste in Die Erleichterung aus. Wenn Kyo selbst es wollte, konnten sie es schaffen. Gemeinsam. "Es ist vielleicht ein schlechter Moment, das zu fragen, aber... Wie genau läuft so ein Entzug ab? Ich meine, es gibt verschiedene Wege, oder?" Kyo spielte am Ärmel seines Pullovers herum. Alles, was er trug, war viel zu groß, die Trainingshose, das Sweatshirt - es gehörte alles Die. Doch trotz der Übergröße fühlte Kyo sich wohl in dieser Kleidung, es musste Dies Geruch, welcher am Stoff haftete, sein, der diese beruhigende Wärme ausstrahlte. Schließlich sah der junge Mann wieder auf. "Zwei. Es bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder ich lasse mich irgendwo einweisen und komme vielleicht nie mehr raus-" Er hielt inne, als er Dies entsetzte Miene bemerkte, "oder wir ziehen einen kalten Entzug durch." Die kaute auf seiner Unterlippe. "Was genau ist das? Ich meine, ich habe es schon mal gehört, aber..." "14 Tage. Es wären circa 14 Tage, die du mich in einen Raum einsperren müsstest. Rauslassen dürftest du mich nicht, vielleicht mal aufs Klo - aber selbst da nicht allein lassen. Ein kalter Entzug ist die gefährlichere Variante. Wenn wir das so durchziehen, also ohne Hilfe, kann natürlich einiges schief gehen. Aber... ich will in keine Klinik." Die lächelte leicht, streichelte seine Hand. "Wir machen es so, wie du es willst. Nur - was genau erwartet dich und mich bei so einem Entzug? Tut mir leid, wenn ich so dumme Fragen stelle, aber ich hab keine Ahnung." Kyo suchte nach Worten. "Was du brauchst, sind echt starke Nerven.", erklärte er leise. "Ich werde echt keinen schönen Anblick geben, fürchte ich. Es wird höllisch schmerzen, vermutlich muss ich ununterbrochen kotzen, ich werde dich anflehen, mir irgendetwas zu geben - wahrscheinlich werde ich dich sogar anschreien, unfair werden und dich für meinen Zustand verantwortlich machen. Alles, was das letzte bisschen Würde zerstören wird halt..." Die versuchte, sein Lächeln nicht flackern zu lassen. "Es ist nicht die Frage, ob ich das durchstehe. Du musst es schaffen. Glaubst du, du schaffst es mit meiner Unterstützung?" Kyo lächelte bitter. "Das kann ich jetzt nicht sagen. Im Moment habe ich noch genug drin, um mir alles mögliche zuzutrauen. Aber wie das morgen aussehen wird..." "Wir schaffen es. Zusammen kriegen wir das schon irgendwie hin." Die drückte Kyos Hand nun fester. "Weißt du was? Nachher fahren wir zu dir und holen alles, was du brauchst, her. Wenn ich bei dir bin, wird Joey sich gar nicht erst an dich ran trauen, selbst wenn er auftauchen sollte. Und dann melde ich mich an der Uni und in der Sushibar erst mal nur für die nächste Woche krank, damit es nicht seltsam wirkt-" "Du machst das wirklich mit, was? Und das auch noch hier, in deiner Wohnung?" "Was dachtest du?" Die grinste leicht. "Daidai mag ein Idiot sein, aber wenn er was versprochen hat, hält er es auch. Und ich habe dir mal versprochen, alles für dich zu tun." Ein mattes Lächeln breitete sich auf Kyos Miene aus. "Ich wusste immer, dass es Engel wirklich gibt...", murmelte er und seufzte leise. Die nächsten zwei Wochen würden die schwersten seines bisherigen Lebens sein - doch der Gedanke an die Freiheit, welche auf sie folgen musste, machte selbst diese Aussicht erträglich. ~~ "So.", machte Kyo, hob den Pappkarton vom Sofa an und wandte sich zu Die um. Er zuckte jedoch zusammen, als er feststellte, dass es nicht Die war, der hinter ihm stand. Die braunen Augen suchten links und rechts nach Dies Silhouette, doch es war nichts von seinem Bruder zu sehen. "Was hast du hier zu suchen? Das ist meine Wohnung.", knurrte er und wollte an Joey vorbei. Jener sah unbeeindruckt auf den Karton hinab. "Nicht mehr lange, wie es scheint. Dein seltsamer Freund ist auch gerade mit so einem Karton das Treppenhaus entlang marschiert und wenn ich mich so umsehe, wirkt deine Wohnung mit einem Mal beängstigend leer. Wohin des Weges, Tooru?" "Ich gehe. Und glaub nicht, dass ich wiederkehren werde." Damit umrundete er Joey endgültig und wollte gehen. "STOPP. Du schuldest mir Geld. Letzte Nacht, wenn ich dich erinnern darf." Kyo schnaubte unterdrückt, stellte seine Kiste ab und griff in seine Hosentasche. Er drückte Joey zwei Scheine in die Hand und sagte kühl: "Da hast du dein verdammtes Geld. Auf Nimmerwiedersehen." Er hob das zu tragende Stück wieder an und ging in den Flur, wo er auf Die stieß. "Ich habe Besuch.", murmelte er finster und nickte zurück zu Joey, der ihm gerade folgte. "Bist du dir sicher, dass du das tun wirst, Tooru?" Kyo drehte sich erneut zu ihm um. "Und ob." "Soll ich deinem Freund vielleicht ein paar Geschichten über dich erzählen?", fragte Joey mit einem amüsierten Grinsen. Die brachte hinter zusammengebissenen Zähnen hervor: "Ich glaube kaum, dass ich die ganze Drogenstory noch mal hören will." Kyo grinste triumphierend und meinte: "So, ich glaube, damit hast du mich endlich verstanden. Ich komme nicht wieder. Sayonara." Er gab Die einen Stoß, damit dieser sich fortbewegte, und lief Seite an Seite mit dem Größeren auf das Treppenhaus zu. "Armer Kiyoshi, so ganz allein willst du ihn zurücklassen?", tönte Joeys Stimme hinter ihnen her. Kyo atmete tief durch, ignorierte dabei die Worte. Er sah sich noch einmal um zu Kiyoshis Wohnungstür, traurig lächelnd. Keine Angst. Wenn ich es erst einmal geschafft habe, hole ich dich nach. Ich helfe dir. Was ich kann, kannst du auch... ~~ Auszug eines 14-tägigen Tagebuches Tag 2 Ich glaube, es wird wirklich schlimm. Kyo ist jetzt schon runter mit den Nerven, zittert ununterbrochen. Aber immerhin hat er nicht vergessen, dass dieser Entzug sein eigener Wille ist. Hoffentlich bleibt es so. Tag 5 Langsam wird es heftiger. Kami-sama, wenn ich nicht dauernd mit Kaoru telefonieren könnte, würde ich die Krise kriegen. Ich habe mit ihm gesprochen, ihm die Geschichte erzählt. Wäre Kao nicht, wüsste ich nicht, wohin mit den ganzen Gedanken und Emotionen. Tag 8 Kyo hatte Recht. Er ist einfach nur noch daneben. Ich schätze, er weiß wirklich nicht mehr, was er redet. Kaoru meinte, das sei normal. Normal - was für ein dehnbarer Begriff... Alles, was bleibt, ist die Hoffnung, dass die Spitze jetzt erreicht ist. Langsam muss es doch besser werden...? ~~ Die angelte das Telefon, zog die Badezimmertür hinter sich zu. Es kam ihm momentan immerzu seltsam vor, die Wohnstube zu betreten, noch nie in seinem Leben hatte er so viel Zeit in einem Bad verbracht. Tag 8 neigte sich langsam dem Ende zu - Kyos Zustand hingegen nicht. "Ja?", fragte er, darauf hoffend, Kaorus Stimme zu hören. "Daisuke. Mai desu." Die blinzelte. "Mai?", wunderte er sich. "Ich - habe gehört, du seiest krank und wollte fragen, wie es dir geht..." Krank? Die riss die Augen auf, als er verstand, wovon sie redete. "Eh, ja, krank.", ächzte er in der Hörer. "Magen- und Darmgrippe." "Oh weh. Geht's denn einigermaßen?" Die hustete in die Sprechmuschel, entgegnete gespielt tapfer: "Doch, schon okay.. Wird wieder." Mai wollte etwas erwidern, unterbrach sich jedoch selbst, als Geräusche in Dies Hintergrund erklangen, die suspekt wirkten. Die schlug gedanklich den Kopf gegen den Türrahmen. Nein, musste Kyo ausgerechnet jetzt...? "Ehm, Daisuke? Was... ist das?" Die lachte hohl. "Das... ist Kyo.", gab er zu. "Er hängt gerade im Bad und-", er röchelte überzeugend, "übergibt sich. Hat sich wohl bei mir angesteckt, fürchte ich..." "Oh, verstehe... Nun, ich will auch gar nicht lange stören, gute Besserung wünsch ich dir - ja, und Kyo... auch?" "Danke.", brummelte Die und verabschiedete sich von der jungen Frau. Kaum, dass er aufgelegt hatte, stöhnte er. Himmel, das war doch alles... ~~ Tag 10 Alles ist unverändert. Ich habe nie gewusst, wie lang zwei Wochen sein können. Es macht mich so wahnsinnig, dass ich ihm nicht helfen kann. Aber am meisten helfe ich, wenn ich ihn ignoriere. Ich weiß das, und doch fällt es mir schwer, dies einzuhalten. Ihn so zu sehen, tut weh. Es ist zum Ausrasten. Tag 12 Er hat aufgehört, ununterbrochen zu kotzen. Und so viel Unsinn gibt er auch nicht mehr von sich. Ob Kyo langsam wieder normal wird...? Es kommt mir beinahe so vor. Er wirkt zwar unglaublich geschafft - mann, als hätte man ihn gegen die Wand geklatscht - , aber die Schmerzen scheinen nachzulassen. Tag 14 Ich glaube, Kyo ist über den Berg. Er redet nicht mehr von Drogen und benimmt sich wieder... schwer zu beschreiben, eigentlich wirkt er wie jemand, der eine lange Krankheit auskuriert hat. Ausgelaugt, viel zu blass um die Nase - aber irgendwie gesünder... Hoffentlich ist das endlich das Ende dieses Horrors... ~~ tbc Kapitel 13: shokku ------------------ Hey~ lange ist's mal wieder her, dass ich das letzte Chap hochgeladen habe ~ gomen T_Tx So, vorweg eine kurze Erklärung - mir war klar, dass die Tagebucheinträge Dies aus dem letzten Kapitel auf gemischte Ansichten stoßen würden, und wie mir die Kommentare gezeigt haben, war der wahre Grund für diese als klug getarnte Lösung bloß die Tatsache, dass ich es mir nicht zugetraut habe, den Entzug genauer zu schildern. Es tat auch mir äußerst leid, Kyos Zustand nicht detaillierter beschrieben zu haben, ich hätte es gern getan ~ doch ich bin ehrlich, bevor ich kompletten Stuss zusammenbastle, verzichte ich lieber darauf und zeige nicht, dass ich keine Ahnung habe ^.~ Okay, nun wollen wir das Rätsel lüften, was denn nun wieder schief gehen wird - mit Kapitel 13 - Schock ... Tissa Chapter 13 - shokku ~~ "... fasse immer noch nicht, dass du mich mitten in der Nacht aus dem Bett geschmissen hast, um ein Picknick zu machen." Ein Grinsen auf den Kommentar hin. "Meinetwegen kannst du auch wieder gehen." Kyo verdrehte die Augen und sah hoch in das Gesicht des Älteren. "Das meinte ich damit gar nicht." "Sondern?" Kyo folgte seinem älteren Halbbruder weiter durch den Park, überlegte, wie er seine Gedanken zu erklären hatte. "Es passt nicht zu dir?" Die zog ein Gesicht. "Ach? Nur, weil du hier das hypersensible Wesen bist, heißt das noch lange nicht, dass ich einfallslos bin, ne." Damit entlockte er dem Jüngeren ein leises Lachen. "Du Idiot. Ich weiß selbst, wie sehr dein Hirn vor unglaublichen Ideen sprüht.", antwortete er halb ernsthaft, halb grinsend. "Und doch frage ich mich: wieso ausgerechnet ein Picknick im Park? Und das bei Nacht?" Die blieb stehen, sah sich um. Sie befanden sich auf einer Lichtung, umringt von Bäumen, deren Baumkronen sich im leichten Wind bogen, damit sanfte Geräusche erzeugten. Der Mond schien sichelförmig auf sie herab, abgesehen von den Lauten der Natur ließ sich kein Ton vernehmen. Dieser Platz erschien ihm als geeignet, daher ließ er kurzerhand die bis hierhin getragene Decke auf das kühle Gras fallen, breitete sie aus und setzte sich, bedeutete Kyo, es ihm gleich zu tun. Dieser folgte Dies Fingerzeig und wartete weiter auf eine Antwort. Doch der Redhead schien eine Entgegnung für unnötig zu halten, lächelte lieber bedeutsam. Lange Zeit herrschte Schweigen zwischen ihnen, keine unangenehme Stille, sondern lediglich ein Anzeichen dafür, wie tief sie in ihre Gedankenwelten versunken waren. Kyos Augen hatten den Mond erfasst, beobachteten, wie sich dunkle Wolkenberge davor schoben, weiter zogen und das reine Antlitz somit wieder freigaben. "Eigentlich", begann er nachdenklich, "ist der Himmel eine Widerspiegelung des menschlichen Lebens." Die traf seinen Blick, fragend. Daher setzte der kleinere Mann sich wieder richtig auf und versuchte, seine Gedanken darzustellen: "Sieh dir den Mond an. Und dann betrachte die Wolken. Es ist doch wie mit dem Leben jedes einzelnen Menschen. Die Wolken verdecken das Licht des Mondes, geradezu wie die Probleme im Leben, die einen immer wieder daran zweifeln lassen, noch einen Ausweg zu finden - doch sie gehen wieder, ebenfalls wie im Leben." Die musterte Kyo mit einer Mischung aus Bewunderung und Erstaunen. Wie nur kam dieser junge Mann dort neben ihm immer wieder auf derartige Vergleiche und Thesen? Nicht, dass sie nicht nachvollziehbar wären, doch der Gedanke allein... "Stimmt schon. Nur ist der Mond ewig, wer kann das schon von sich behaupten?" "Niemand, lediglich das Leben selbst. Denn sofern kein Lebewesen mehr existiert, das den Mond von der Erde aus beobachten kann, ist auch der Anblick des Mondes für diese Welt gestorben, da ihn so niemand mehr sehen wird." Plötzlich musste Die ein wenig grinsen. "Dir geht's echt wieder gut.", stellte er fest und kramte auf der Suche nach einem Getränk in Kyos Tasche herum. Kyo blinzelte leicht. "Wie kommst du jetzt darauf?" Big Red wurde wieder ernster. "Du hast dich im Vergleich zu damals, als wir noch in Mie lebten, wirklich verändert. Früher waren Gespräche wie diese für uns normal. Aber mal ernsthaft - wie oft haben wir schon wirklich geredet, seit wir uns wieder getroffen haben? Es ist sonnenklar, dass diese Art der Pseudophilosophie nicht drin war, nicht bei dem, was dir im Kopf herum gegangen sein muss. Doch nun beginnst du wieder, der Kyo zu sein, den ich mal kannte. Das... es ist schön, das zu sehen." Kyos Mundwinkel verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln, den Blick hielt er auf das Muster der Decke gesenkt. Mit einer unsicheren Handbewegung strich er sich eine der inzwischen wieder blond gefärbten Strähnen aus dem Gesicht, ehe er antwortete: "Ich hatte mich selbst schon aufgegeben. Kannst du dir das vorstellen? Ich war mir sicher, dass ich innerhalb kürzester Zeit draufgehen würde - und es war mir gleichgültig. Wenn ich jetzt darüber nachdenke... Gott, das ist die beschissenste Zeit meines ganzen beschissenen Lebens gewesen. Wärst du nicht wieder auf der Bildfläche erschienen - ich denke nicht, dass ich ohne dich die Kraft aufgebracht hätte, um dagegen anzukämpfen." Der junge Mann durchsuchte seine Jackentasche nach einer Zigarette, nahm einen beruhigenden Zug, ehe er weiterredete. "Vermutlich habe ich dir das alles schon zehn Mal gesagt.", erkannte er ein wenig verlegen. Was genau er in den Tagen des Entzugs geredet hatte, konnte er nicht klar festlegen, zu viele Momente schienen nur noch schemenhaft in seiner Erinnerung verlieben zu sein. "Das ist doch egal. Meinetwegen erzähle es mir noch ein elftes Mal. Nur rede mit mir." Die griff nach der schlanken Hand seines Gegenübers. "Sprich mit mir, anstatt über alles zu schweigen. Ich will alles wissen, hörst du? Alles. Lass es nicht wieder so weit kommen, dass du irgendetwas vor mir zu verheimlichen versuchst, bis es dich fast umbringt." Da war ein so ungewohnter Ernst in Dies Worten, dass Kyo sein Herz schwerer werden spürte. Ich habe ihm so viel Kummer gemacht. Die muss während des Entzugs so unter mir gelitten haben - und dennoch macht er mir keinen Vorwurf. Nicht einen. "Okay. Alles." Auf Kyos Versprechen hin smilte Die und drückte die andere Hand ein wenig fester. "Ich bin stolz auf dich." Kyo runzelte die Stirn. "Stolz? Worauf? Wie unglaublich talentiert ich mich in die Scheiße begeben habe?" "Nein. Wie beeindruckend stilvoll du dich wieder herausbefördert hast.", gab Die trocken zurück. "Es ist zu früh, um zu sagen, du seiest durch mit der Geschichte, das weiß ich selbst. Ich habe die Tage nicht gezählt, die du jetzt-" "Fünfundzwanzig." Die hielt inne. "Hm?" "Es sind fünfundzwanzig Tage, die ich jetzt clean bin.", murmelte Kyo leise. Die nickte langsam. War es tatsächlich über drei Wochen her, dass er hinter Kyos Geheimnis gekommen war? Nicht zu fassen... "Nun, was ich sagen wollte: es ist mir klar, dass man nach drei, vier Wochen noch überhaupt nichts sicher sagen kann. Und trotzdem finde ich, du kannst stolz sein. Nicht jeder packt so einen Entzug und... Himmel, wollte ich jetzt behaupten, du hättest es gut verkraftet, müsste ich lügen, aber - du lebst weiter, irgendwie. Und... ich finde das bewundernswert." Kyo knabberte lustlos an dem Keks, den Die ihm vorgesetzt hatte. Noch immer war es schwer, zu essen, Appetit das Fremdwort überhaupt. Doch er musste sich wieder daran gewöhnen, nicht nur regelmäßige Mahlzeiten zu sich zu nehmen, sondern auch "zwischendurch" Dinge wie Obst oder auch Süßigkeiten zu essen. Es gehörte zu einem normalen Tagesablauf dazu. Noch eine Weile überlegte er, wog die Worte ab, die ihm im Kopf herumgingen. Schließlich entschied er sich für sie. "Die?" "Ja?" Aufmerksamkeit. "Ich bin stark, nicht wahr?" "Natürlich bist du das.", antwortete der Rotschopf wie selbstverständlich. Kyo nickte bestätigend. "Gut. Dann werde ich... morgen muss ich noch einmal zurück in meine alte Wohnung." Die starrte ihn entgeistert an, unsicher, ob er sich nicht vielleicht verhört hatte. "Du willst WAS?" Kyo nickte erneut fest. "Ich muss." "Wieso?! Kyo, du kannst doch nicht - Joey wird da sein, die Erinnerungen...", fing Die entsetzt an, wurde jedoch unterbrochen. "Ich muss Kiyoshi sehen. Versteh mich doch, ich habe es ihm versprochen." Die biss sich auf die Unterlippe. "Wie kannst du für einen anderen Menschen riskieren, dass etwas schief geht?" "Vertraust du mir?" "Das hat nichts mit Vertrauen zu tun, Kyo!", konterte Die hartnäckig. "Ich weiß, dass du nichts mehr mit Drogen zu tun haben willst. Doch allein diese Gegend - es kann so viel passieren, so viel unnötiges, wer sagt dir... Hast du selbst nicht einmal gemeint, Kiyoshis Chance sei längst vertan?" Kyo atmete tief ein. Dass sein Vorhaben bei Die eine derartige Panik auslöste, hatte er nicht erwartet. "Das dachte ich, weil ich meinen eigenen Zug nur noch von hinten gesehen habe. Aber ich weiß jetzt, dass es jeder schaffen kann, wenn er die richtige Unterstützung bekommt; sonst hätte auch ich es nicht gepackt. Als ich ging, habe ich mir selbst geschworen, Kiyoshi zu helfen - und das werde ich tun." Die fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. "Dann komme ich mit." Kyo richtete den Blick zu Boden. Verstehst du denn nicht? Ich will das alleine durchziehen. Ich will morgen dort hingehen und erfolgreich wieder verschwinden - ohne, dass du mir den Rücken stärken musst. Natürlich, das ist kindisch, aber ich brauche diesen Beweis... Die rang sich nach langer Zeit des Kampfes mit sich selbst dazu durch, etwas zu sagen: "In Ordnung. Geh. Ich - du wirst das schaffen. Aber pass verdammt noch mal auf dich auf. Ich vertraue dir, klar?" Seine Stimme vibrierte kaum merklich, trotzdem war Kyo darauf aufmerksam geworden. Er rappelte sich ein stückweit auf, um Die in seine Arme zu schließen, drückte ihn dicht an sich. "Danke, Die.", flüsterte er in die Ohrmuschel des Größeren. "Für dein Vertrauen." Der Redhead nickte, doch wohl war ihm trotz allem nicht. Bitte gib Acht auf dich. Noch einmal überlebe ich diesen Ärger nicht... ~~ Ein tiefer Atemzug. Zögerlich hob sich eine grazile Hand an den abgegriffenen Türknauf, schlanke, lange Finger schlossen sich darum. Es dauerte einige Augenblicke, bis Kyo sich dazu durchringen konnte, die Holztür aufzudrücken, das Treppenhaus seines alten Wohnsitzes zu betreten. Du bist hier ohne Probleme hergekommen. Und es ist niemand da. Um diese Uhrzeit hängt hier niemand rum, der dich dumm anmachen könnte. Sich Mut zuzureden war schwer. Dennoch sah Kyo sich wenig später die Treppenstufen hinauf schleichen, jeder Schritt eine Qual, fast so, als würden seine Füße mit jedem kleinen Absatz ein bisschen schwerer. Der sechste Stock ließ auf sich warten - und doch erreichte der junge Mann ihn. Es war beinahe ein kleiner Erfolg, den Weg zu seiner alten Wohnung geschafft zu haben, ohne aus Furcht vor Vergangenem geflüchtet zu sein. Diese Tatsache machte es ihm nun einfacher, schnurstracks auf Kiyoshis Haustür zuzugehen und sich der Klingel zu bedienen. Sekunden vergingen, die Tür aber blieb verschlossen. Kyo runzelte die Stirn, legte das Ohr an das rechteckige Holzstück. Dabei fiel ihm erstmalig die weiße Farbe auf, die daran abblätterte. Wie ein Zeichen. Als von innen weiterhin keine Geräusche ertönten, beschloss der kleine Blonde, später wiederzukehren. Kiyoshi war definitiv nicht dort. Dann jedoch ertönte von links ein Geräusch, die Tür direkt am Treppenabsatz öffnete sich, kurz darauf erschien ein älterer Herr mit Einkaufstüte im Rahmen. Kyo hätte ihn vermutlich ignoriert, wäre einfach wieder gegangen - wäre der alte Mann nicht auf ihn zugekommen. "Da brauchen Sie nicht zu klingeln. Ich lebe allein in diesem Stockwerk.", verkündete er und knöpfte dabei seinen Herbstmantel zu. Kyo ließ seine Hand von der Türklingel sinken, starrte den Herren verwirrt an. "Aber... Hier - ein Freund von mir lebt hier-" "Haben Sie das denn nicht mitbekommen?", wunderte sich der redselige Alte, er schien erfreut darüber, einen Gesprächspartner aufgetrieben zu haben. "Der junge Mann, der dort lebte, ist verstorben. Kann keine Woche her sein, schlimme Geschichte... Die Polizei sprach von Selbstmord-" Während der Mann weiter sprach, erkannte er nicht, dass Kyo ihm nicht mehr zuhörte. Überhaupt fiel ihm scheinbar nicht annähernd auf, wie sich in dem jungen Mann alles zusammenzog, Kälte in ihm hoch kroch. Kyo startete einen verzweifelten Versuch, seine Gedanken zu ordnen, doch es war unmöglich. Bis ein Bild ihn fast blitzartig durchfuhr. Kiyoshi. Der kleine, dumme Junge, der ihm so hilflos und vertrauensselig am Hosenbein geklebt hatte. Naiv und zugleich von grauenvollen Erfahrungen geprägt, war er oft der Einzige gewesen, mit dem er reden konnte. Und nun war der Junge, dieser Jugendliche, den er ohne es selbst zu merken ins Herz geschlossen hatte, tot. Du bist gegangen und hast ihn zurückgelassen. Hast ihm per Brief versprochen, ihn zu holen. Eine Woche. Eine VERDAMMTE Woche zu spät! Für ihn muss es gewirkt haben, als wartete er Ewigkeiten lang umsonst... Wieso hat er sich einfach ein Ende gesetzt? Er... Nein. Er hätte das nicht getan. Das kann nicht stimmen. Kyo ignorierte, dass der alte Herr noch immer mit ihm sprach, er stürmte einfach davon, die Treppen hinunter bis auf die Straße hinaus. So unbedacht er auch durch die Gassen stürmte, er wusste genau, wohin er wollte. Und er erreichte sein Ziel wie aus Gewohnheit schneller als erwartet. Der leicht überraschte Blick, der eine Sekunde lang an ihm haftete, verwandelte sich schnell in ein triumphierendes Lächeln. "Wusste ich doch, dass du wiederkehren würdest." Kyo holte heftig Atem, missachtete die Seitenstiche. "Nun, Tooru, was darf es sein? Oh, oder soll ich dich erst Zuhause willkommen heißen?" "Spar dir dein dummes Gerede.", quetschte der Jüngere zwischen den Zähnen hervor, in der Hoffnung, sein Puls möge sich so schnell wie möglich regulieren. "Blond.", merkte Joey mit einem süffisanten Grinsen an. "Neues Outfit, neues Leben? Hat wohl nicht ganz geklappt..." "Verdammt, halt den Rand und sag mir, was du mit ihm angestellt hast!", unterbrach Kyo ihn heftig. Er bemerkte nicht, wie er innerlich zitterte, wie dicht die Tränen in seinen Augen saßen, bereit zum Überlaufen. "Wovon redest du überhaupt?", wollte Joey unwirsch erfahren und blies Kyo mit einem provokanten Blick Rauch entgegen. "Von Kiyoshi natürlich!", fauchte dieser und wedelte den blaugrauen Dunst beiseite. "Du hast ihn auf dem Gewissen, gib es zu! Er hat sich nicht umgebracht, niemals!!!" "Tooru, Tooru...", machte Joey in einem belehrenden Ton. "Was glaubst du, wer ich bin? Profikiller? Ich will dir mal was sagen: glaubst du, dein toller Brief, der hier kurz nach deinem Verschwinden ankam und den Kiyoshi jedem voller Hoffnung unter die Nase hielt, konnte den Kleinen auf Dauer retten? Er hat keinen Ausweg mehr gesehen - und da konnten ihm nicht einmal deine großen Versprechungen mehr helfen." "Er hatte. Keinen. Grund.", brachte Kyo nur mühsam beherrscht hervor. "Er wusste , ich würde wiederkommen, um ihn zu holen." "Oh mein Guter, du täuschst dich. Kiyoshi hatte einen mehr als triftigen Grund - und ich denke nicht, dass er lange genug leben wollte, um ihn dir mitzuteilen." Joeys Worte ließen Kyos Überzeugung kippen. Zweifel kamen auf - hatte Kiyoshi am Ende etwa doch...? "Du kannst mir viel erzählen. Ich..." Kyo brach ab, drehte um, wollte gehen. Doch Joey griff nach seinem Handgelenk, hielt ihn so zurück. "Tooru, es gibt da etwas, das du wissen solltest." "Lass mich los, ich will keine deiner Lügen hören!" Kyo warf Joey nur einen kurzen Blick zu, doch die ernste Miene ließ ihn zögern. "Ich sage dir das jetzt nicht als jemand, der Geld verdienen will, sondern als Mensch. Okay? Kiyoshi hatte - wie erwähnt - einen leider verdammt guten Grund, sich ein Ende zu setzen. Ich würde es dir nicht erzählen, aber es betrifft auch dich. Kiyoshi... nun, er war HIV positiv. Einen Tag vor seinem Tod hatte er es erfahren." Ein eiskalter Schauer, ein Gefühl, als läge man in einer Badewanne voller Eis. "Du solltest so vernünftig sein und dich testen lassen. Ihr habt zu oft zusammen an der Nadel gehangen, als dass-" Kyo riss sich los, machte ein paar Schritte rückwärts. "Du lügst mich doch an. Du willst nur... du willst mich wieder an die Nadel kriegen, das ist alles...", fing der junge Mann an, es klang beschwörend, als wolle er sich etwas einreden, das er selbst nicht glauben konnte. Joey zuckte mit den Achseln. "Bitte. Ich habe dich informiert, mehr kann ich nicht tun. Allerdings solltest du dir darüber im Klaren sein, dass nicht nur deine Gesundheit von einem derartigen Testergebnis abhängt." Die.. Kyo schüttelte den Kopf, wandte sich erneut ab. Dieses Mal hielt ihn niemand mehr auf - und es war niemand in seiner Nähe, der ihn auffangen, den Schock von ihm nehmen konnte... ~~ tbc Kapitel 14: taiyou ------------------ So, da ist es also, das vorletzte Kapitel... Ich werde Kapitel 15 gemeinsam mit dem Epilog hochladen, das bedeutet, sollte beim Freischalten etwas schief laufen, also der Epilog VOR Kapitel 15 da sein, lest ihn bitte noch NICHT, sondern wartet ab [soll ja gelegentlich passieren, dass auf mexx was schief geht.. <<] Nun ja, weiter will ich euch nicht auf die Folter spannen, viel Spaß beim Lesen von Chap 14 ~ Sonne... Tisara Chapter 14 - taiyou ~~ HIV. Humaner Infektions Virus. Bekannter als Vorläufer von Aids. Gottverdammte Scheiße! Ein Glas fiel zu Boden, zerbarst klirrend in unzählige kleine und größere Scherben. Kyo kämpfte weiter mit den Tränen; die Fassung zu bewahren erwies sich als wahre Härteprobe. Mit einem Laut der undefinierbaren Verzweiflung sank der blonde Sänger auf den Küchenboden, um die Scherben aufzusammeln, sie in den Mülleimer zu werfen. Während er leeren Blickes die scharfkantigen Gegenstände betrachtete, bevor sie im Papierkorb verschwanden, schweiften seine Gedanken wieder ab. Scherben. Spitz genug, um sich ein Ende zu setzen. Es geht ganz leicht. Ist dir das im Kopf herumgegangen, bevor du es getan hast, Kiyoshi? Wie leicht es war, einfach Schluss zu machen? Natürlich... Davonlaufen ist immer einfacher. "Leg das Ding sofort weg!" Kyo zuckte unwillkürlich zusammen, sah verwirrt auf. Eine große Gestalt stand im Türrahmen, musterte seine eigene Person halb besorgt, halb irritiert. Die durchquerte den kleinen Raum, ließ sich vor ihm nieder. Noch bevor er ein weiteres Wort von sich gab, ihm nur einen Blick schenkte, packte der Redhead die Glasscherbe in Kyos Hand und nahm sie bestimmt an sich. Erst nun wurde dem Jüngeren bewusst, wie erschreckend das Bild seiner Selbst mit dieser Scherbe in der Hand und auf dem Boden sitzend gewirkt haben musste. Dazu die verzweifelte Miene - schon musste das Bild für Die perfekt zu erkennen gewesen sein. "Die, ich wollte nicht-", fing Kyo sofort an, wurde jedoch unterbrochen. "Was ist schief gegangen?" Eine leise, beunruhigte Frage. Kyo senkte den Blick wieder, starrte auf die verbliebenen Glassplitter. "Alles.", murmelte er. Erneut wollte das Gefühl der Machtlosigkeit von ihm Besitz ergreifen, ihm die Kehle zuschnüren und den Atem nehmen. "Er.." Mehr als ein simples und dennoch vollkommen unverständliches Stottern kam nicht über seine Lippen, allein dies war Anzeichen genug für Die, wie durcheinander sein Halbbruder sein musste. Kommentarlos legte er die Arme um den zierlicheren Körper, strich beruhigend über den Rücken des anderen. Eine Weile verblieben sie so, schweigend, die Ruhe einzig von gelegentlichen, nicht mehr zu unterdrückenden Schluchzern gebrochen. "Sht.", machte der Ältere schließlich und fuhr sanft durch das blonde Haar. "Was ist passiert, Kyo? Was?" Und plötzlich brach es über Die herein, das Unwetter, das in Kyo getobt hatte. Die Information über Kiyoshis selbst gewählten Tod, das Zusammentreffen mit Joey, die Vermutung, Kiyoshi sei mit Aids infiziert gewesen... Kyo musste Die nicht erklären, was letzteres auch für ihn bedeuten konnte. Doch erst einmal war es Big Red wichtiger, den Jüngeren nur irgendwie ruhig zu bekommen. Ein Gespräch schien ihm in diesem Zustand unmöglich. Als seine Versuche, Ordnung in das Gefühlschaos zu bringen, aber scheiterten, zog Die Kyo kurzerhand auf die Füße und schob ihn aus der Küche hinaus ins Wohnzimmer, drückte ihn mit sanfter Gewalt auf das Sofa. "So.", machte er liebevoll und hockte sich davor. "Du packst dich jetzt hin und schläfst, verstanden? Guck mich nicht so an, ich weiß, es ist erst früher Abend und mir ist genauso klar, dass dir nicht annähernd nach Schlafen ist, aber so, wie du gerade drauf bist, machst du uns beide wahnsinnig. Du musst Ruhe in deinen Kopf kriegen - und das geht am besten während des Schlafens. Klar?" Trotz des Verständnisses, das in Dies Stimme mitschwang, war dort ein so bestimmter Unterton, der Kyo nicht widersprechen ließ. Er kam sich vor wie ein Kind, dem man alles vorbeten musste - aber war es in gewisser Weise nicht auch so? Er selbst war nicht in der Lage, sich aus dem Loch zu ziehen, in dem er sich momentan befand; Die hingegen schien an Kyos Problemen zu wachsen und bewies, was in ihm steckte, wie viel Vernunft und Verständnis er gleichzeitig aufbringen konnte. Mit einem resignierten Nicken ließ Kyo sich endgültig in die Polster sinken. Als Die sich zu ihm hinunterbeugte, ihm einen Kuss auf die Lippen hauchen wollte, drehte er den Kopf allerdings weg. "Nein.", machte er leise und drehte sich auf die Seite, schloss die Augen fest, als wolle er wirklich schlafen. Mit einem lautlosen Seufzen erhob Die sich und ging in die Küche zurück, um die restlichen Scherben aufzusammeln. Ein letzter Blick auf den über alles geliebten Menschen machte ihm das Herz schwer. Als ob er nicht genug durchgestanden hätte in seinem Leben. Kami-sama, warum jetzt auch noch diese Angst? Warum muss er nun noch in der Qual leben, vielleicht mit dieser tödlichen Krankheit infiziert zu sein? Natürlich ist es nicht gesagt, Kyo kann kerngesund sein - aber er wird sich wahnsinnig machen, bis er das Ergebnis schwarz auf weiß hat... ~~ Ein Blinzeln. Ein fast lautloses Gähnen, die Gestalt drehte sich ein wenig auf die Seite. Der Raum, in dem sie sich befand, lag im Halbdunkeln, da die Jalousien zwar heruntergelassen waren, durch ihre schmalen Ritzen aber Licht hineinfiel. Die Schatten machten aus dem so vertrauten Wohnzimmer einen fremden Raum, passten das Zimmer so für die Welt an, in der Kyos Gedanken sich tummelten. Eine dünne Wolldecke versuchte, ihm Wärme zu vermitteln; Die musste sie über seinem Körper ausgebreitet haben, während er schlief. Dem Tageslicht außerhalb des Zimmers nach zu urteilen konnte der Tag noch nicht weit vorangeschritten sein, die Dämmerung war noch nicht lange in ihn übergegangen. Lautlos, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, erhob Kyo sich von seinem Nachtlager und trat auf das Fenster zu. Die Jalousien warfen hellere Flecken auf sein Gesicht, fast so, als wollte die Sonne dort draußen ihn zu einem Lächeln zwingen. Doch Kyo war zu weit entfernt, um zu lächeln. Ich bin selbst schuld. Das ist es, was mich so wahnsinnig macht. Habe ich es in letzter Zeit eigentlich nur einmal geschafft, etwas anzupacken, das nicht in einer Katastrophe endete? Nein. Wenn ich es genau nehme, habe ich das sogar noch nie vollbracht. Doch nun habe ich die Spitze wohl erreicht. Erst werde ich zum Junkie, stehe nahe an der Grenze zum Stricher - und nun habe ich eventuell sogar HIV. Verdammt.. Nicht nur, dass ich Die noch mehr Sorgen mache als ohnehin schon - jetzt... wenn sich diese Befürchtung bestätigen sollte, werde ich ihn verlassen müssen. Endgültig. Der Gedanke, welcher sich nun in seinem Bewusstsein breit machte, die mögliche erneute Trennung von Die, warf ein noch viel dunkleres Licht auf die gesamte Situation. Obgleich er wusste, seinen Halbbruder nie so lieben zu dürfen, wie er es sich mehr als alles andere wünschte - so war die Vorstellung, ihn wieder ganz aus seinem Leben zu verbannen, doch mehr als nur grausam. Zwei warme Hände, an seinen Oberarmen platziert, rissen Kyo sanft in die Wirklichkeit zurück, in eine prinzipiell nicht vorhandene Wirklichkeit - so unklar und verschwommen wirkte alles auf ihn. "Morgen." Dies Stimme war nicht mehr als ein behutsames Wispern. Sie schien Trost und Munterkeit zugleich ausdrücken zu wollen, eine eigenartige Mischung, der Kyo zumindest momentan keinen Glauben schenken konnte. Er erwiderte den Gruß gemurmelt, ließ die Arme dabei vor dem Oberkörper verschränkt. Einen Augenblick sah Die hinab auf seinen jüngeren Bruder, die dünne, regungslose Gestalt. Er konnte Kyos Gesicht im Spiegelbild der Fensterscheibe nur schemenhaft erkennen, doch der versteinerte Ausdruck in den Zügen sprach mehr als die tausend Worte, die der Blonde nicht nutzte. Fast unbewusst ließ Die seine Hände weiter vorwandern, um Kyos Körper zu umschlingen. Der Rotschopf konnte nicht genau festlegen, woran es lag, dass der andere so kalt wirkte, und trotzdem erweckte Kyo in ihm das Gefühl, seine Wärme zu benötigen. Wider Erwartens folgte auf seine Umarmung Widerstand, Kyo schüttelte seine Arme regelrecht ab, drehte sich von ihm weg. "Lass mich. Bitte.", bat er tonlos und wollte den Raum verlassen; wurde aber sofort an der Hand zurückgezogen. Die suchte seinen Blick, eine Härteprobe, da Kyos Lichter wenigstens für den Moment verloschen schienen. "Hör auf damit, Kyo.", murmelte Big Red ernst, hob Kyos Kinn an. "Hör auf." Noch einmal, wie zur Betonung der Dringlichkeit. Doch Kyo schüttelte nur den Kopf, bekam damit sein Gesicht aus der Berührung frei. "Iie. Solange... Bitte bleib mir fern. Wenigstens, bis ich irgendetwas weiß." Kaum mehr als ein Flüstern, eine Bitte, die trotz gesenktem Blickes und fehlendem Untertons flehend wirkte. Die fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, fing dann an: "Ich bitte dich, Kyo. Ich - ich verstehe dich ja, aber komm zurück auf den Boden. Von einer Berührung ist noch keiner an HIV erkrankt. Und überhaupt... tu nicht so, als ob du-" Seine Stimme versagte. Die wollte es nicht sein, der sagte, was sie beide dachten. Zum ersten Mal flackerten Kyos Augen auf, trafen Dies. "Erzähl mir nichts, ich weiß selbst, was es braucht, um sich anzustecken. Aber darum geht es nicht, es ist einfach-" Kyo hielt einen Augenblick inne, wandte den Blick bedrückt wieder ab. "Solange ich mir selbst nicht trauen kann, möchte ich nicht, dass du es tust. Das wäre paradox." Die holte tief Atem, gab schließlich nach. "Okay. Lassen wir das.", lenkte er ein und wandte sich den Jalousien zu, um die triste Welt des dunklen Raumes zu verbannen, der Sonne eine Chance zu geben. Während dieser Handlung konnte er aus den Augenwinkeln beobachten, wie Kyo die Küche betrat. Im Türrahmen hielt die Bewegung inne und wieder erklang Kyos leise Stimme: "Vielleicht bin ich deiner Meinung nach zu schwarzseherisch, aber ich möchte nicht, dass du dir ein falsches Bild machst. Ich habe in den letzten Wochen so vieles getan, es wäre... ja, nahezu ein Wunder, wenn dies keine Spuren hinterlassen hätte. Ich frage mich, wieso ich selbst noch nicht darüber nachgedacht habe..." Die sah ihm nach, längst war Kyo aus seiner Sicht verschwunden. Es kann einfach nicht sein. Nicht nach unserem Kampf um dein altes Leben. Wofür soll diese ganze Qual gewesen sein?! Das... es ist einfach unmöglich.. ~~ Nichts verriet die Unruhe des Körpers, nichts, abgesehen von seinen Händen. Die Fingerspitzen immer wieder hin- und herbiegend saß Kyo nebst Die in einem der Plastikstühle, welche sich an der Wand des Hauptflurs befanden. Nach Minuten der Warterei konnte der Ältere dieses kleine Spiel nicht mehr mit ansehen, er ergriff Kyos linke Hand und flüsterte ihm zu: "Wieso bist du so verdammt nervös? Du - nein, wir erfahren heute ja doch nichts..." Kyo nickte resignierend. "Was weiß ich. Mich macht das alles wahnsinnig, diese Atmosphäre, die ganzen Kranken, der Geruch... Ich hasse Krankenhäuser und Arztpraxen und diesen ganzen Kram." Die lächelte ein wenig. "So gefällst du mir schon wieder viel besser. Kotz dich aus.", grinste er, veranlasste auch Kyo damit zu einem matten Lächeln. "Direkt hier auf den Flur?", fragte er mehr freudlos nach und seufzte. Die wollte etwas erwidern, da öffnete sich eine der separaten, weißen Türen. "Nishimura Kyo." Der Aufgerufene erhob sich, grüßte die Ärztin, eine verhältnismäßig junge Frau, gezwungen höflich und betrat dann, dicht gefolgt von seinem größeren rothaarigen Schatten, das Sprechzimmer. Das Gespräch mit der Ärztin begann wie jene zu verschiedensten Vorsorgeuntersuchungen. Sie sprach offen mit Kyo, sagte ihm, welche Tests mit seinem Blut vorgenommen würden - doch als sie schließlich fragte, aus welchem Grund Kyo sich zu einem Test entschlossen habe, fiel der Schleier aus gespielter Gelassenheit. Es widerstrebte Kyo, dieser fremden Person etwas derart persönliches über sich mitzuteilen; umso dankbarer war er für Dies Einwurf, eine ehemalige Beziehung sei an Aids verstorben. Die Ärztin nickte verständig. "Also besteht eine akute Vermutung?" Kyo stimmte nur widerwillig zu. "Das wird das Testergebnis ein wenig schneller eintreffen lassen.", versicherte sie, doch Kyo war sich sicher, sie sagte dies zu allen Menschen, die je auf diesem Stuhl Platz nahmen. Die Blutabnahme und das restliche Unterschreiben von Papieren ging gewohnt schnell, dennoch war Kyo erleichtert, als er das Sprechzimmer und somit das erdrückende Gefühl, bereits in Behandlung zu sein, verlassen konnte. Die folgte ihm weiterhin schweigend hinaus aus der Praxis, ungewohnt ruhig. Der kleine Blonde warf ihm ein paar musternde Seitenblicke zu. Die Szenerie musste Dies Optimismus schwer zugesetzt haben. Kyo fand es nur zu verständlich - und doch schmerzte es in ihm, diese unerschütterliche positive Einstellung, die er selbst nur zu gerne angenommen hätte, schwinden zu sehen. Tagsüber konnte Kyo selbst sich meist eine Art Maske aufsetzen, jene hoffnungsvolle Maske, die ihn stark und geduldig wartend wirken ließ. Nur des Nachts, wenn die Stille und Dunkelheit kamen, legte Kyo dieses trügerische Bild ab. In diesen Momenten war er grundsätzlich allein; obwohl auch Kyo sich darüber bewusst war, Die nicht täuschen zu können, verbot er es sich, vor dem Älteren weiter Schwäche zu zeigen. "Vielleicht sollte ich wieder ausziehen." Die erstarrte in der Bewegung, sah Kyo perplex an. "Was? Wieso - nein!" Kyo rieb sich die Schläfen und entgegnete: "Auf Dauer kann ich nicht bei dir wohnen, nicht? Es ist unmöglich, dass ich ununterbrochen auf deine Kosten lebe. Ich muss endlich wieder einen Job finden und mein Leben selbst finanzieren." "Das ist Unsinn, du wirst natürlich bei mir bleiben. Arbeiten kannst du logischerweise trotzdem, aber ausziehen - nichts da.", antwortete Die stur und ging, die Hände in den Hosentaschen vergraben, weiter. Dieses Fortsetzen des Weges wirkte fast symbolisch, er hatte gesprochen und damit schien das Thema erledigt. "Hey." Kyo beeilte sich, dem Laufschritt hinterher zu kommen. "Nervt es dich nicht auf Dauer, mich ewig an der Backe zu haben?" Die blieb wieder stehen, warf Kyo einen Blick zu, der so schief war, dass dieser nahezu darüber lachen musste. "Nishimura-san, für den Fall, dass Sie es schriftlich wollen, setze ich nachher noch ein Schreiben auf, ansonsten sage ich es einfach so: Sie stören GANZ UND GAR nicht." Die schnitt eine Grimasse. "Aber ernsthaft, du weißt genau, dass es für mich nichts schöneres als deine Anwesenheit gibt. Wie sonst soll ich mich auf der Arbeit wach halten, wenn nicht mit dem Gedanken, dass du vielleicht wieder ne neue Katastrophe an Land gezogen hast, aus der du irgendwie wieder rauskommen musst? Ohne Super-Die geht das nun mal nicht..." Kyo hob die Augenbrauen, sah Die ein wenig spöttisch an. "Super-Die.", ächzte er. "Der war echt schlecht, aber trotzdem danke... Danke, dass du weiter zu mir hältst." Die lächelte wieder auf seine Weise und zog Kyo an der Hand mit sich weiter. "Wenn du vorhast, mal ne Pause zu machen in Sachen Dramatik, kannst du mir bescheid sagen, dann lass ich mir was einfallen.", witzelte er weiter. Vielleicht war es nicht unbedingt passend, an dieser Stelle Scherze zu machen, doch wenn es etwas gab, das Kyo dringlichst mehr tun sollte, dann war es lachen. Insofern war Dies Art, von der ernsten Problematik abzulenken, goldrichtig. Die spaßte weiter, ein unverkennbares Megawattgrinsen auf dem Gesicht, merkte dabei nicht, wie Kyo ihn lange von der Seite her beobachtete. Ich habe so einen Diamanten wie dich gar nicht verdient. Vielleicht magst du auf andere Menschen oberflächlich und tollpatschig wirken, aber ich weiß, wer du wirklich bist. Niemand kann mich so ablenken wie du, selbst, wenn diese Ablenkung nur für den Augenblick anhält. Und kein Mensch ist dazu in der Lage, mich Glück spüren zu lassen - keiner außer dir. Du magst mich nicht immer verstehen, doch du spürst, was in mir vorgeht, selbst, wenn es meist unbewusst ist. Das ist wohl deine Art der Sensibilität, ein gewisses Feingefühl für meine Seelenlaster... Als wir einander kennen lernten, warst du ein Rohdiamant. Inzwischen ist aus dir der schönste Edelstein dieser Welt geworden - könnten alle Menschen deinen Glanz so deutlich sehen, wollte dich jeder haben. Womit habe ausgerechnet ich das Recht, dieses Schmuckstück an meine unbedeutende Person zu binden...? ~~ Es war früher Tag, als Kyo das Dach ihres Wohnhauses betrat, noch war die Sonne nicht aufgegangen, doch sie tauchte den Osten bereits in ihr goldenes Licht. Dies war bereits seine Intention - den Sonnenaufgang zu beobachten. Leicht fröstelnd - auf dem Dach, so viele Meter hoch, war es bedeutend kälter als auf offener Straße - hockte Kyo sich auf den Beton und wartete. Die Zeit verging, langsam, Stück für Stück, stieg der entflammte Ball weiter den Himmel empor, gewann die Aufmerksamkeit des jungen Mannes so völlig für sich. Ein Farbspektakel erster Klasse, blutroter Himmel, von orangefarbenen Wolken durchzogen, dazu die goldene Sonne. Kyo seufzte leise und erhob sich wieder. Der Sonnenaufgang war beendet, die Lichtquelle hatte ihr Ziel erreicht. Mit einem letzten Blick auf den wunderschönen Himmel wandte er sich ab, auf dem Weg zur Treppe. Wenn das Ende so sein könnte... Dann wäre es nur halb so schlimm, diese Welt zu verlassen. ~~ tbc Kapitel 15: owari no naka ni ---------------------------- Oh Gott... T___Tx Das letzte Chap, es naht >< 'Kay, mal davon abgesehen, dass ich Angst vor Briefbomben in meinem Postfach habe, hänge ich an dieser Story wie an keiner der darauf folgenden, deswegen fällt es mir besonders schwer, diese FF einfach abzuschließen.. Es ist das endgültige Ende, da wird's einem glatt noch mal schwer ums Herz, wie es mir zuletzt war, als ich das Owari unter die Story setzte - und das war immerhin im September letzten Jahres @@ Aber gut... ich mache gleich einmal ein bisschen Werbung *grins* Nämlich für mein nächstes Projekt "ageha no hane" - Die Flügel des Schwalbenschwanzes [nein, ich habe keine Macke wegen dem Viech, nicht annähernd.. xD"]. Da ich mich vor meiner Zeit der FFs doch gänzlich der Fantasyecke verschrieben hatte, juckte es mir wieder mächtig in den Fingern, endlich etwas im Mystery-Bereich zu verfassen.. Ich hoffe also, euch spätestens bei ageha no hane wieder anzutreffen! ^__^ Ich hoffe inständig, Chap 15 und Epilog sind in der richtigen Reihenfolge und auch schön nacheinander on gestellt worden.. Viel Spaß [oder auch nicht?] also beim Lesen von Kapitel 15 - In The End... Chapter 15 - owari no naka ni ~~ "... ist jetzt da." Ein zu schneller Atem. "Und?" "Der Brief ist versiegelt, ich kann ihn nur in Ihrem Beisein öffnen. Ich schlage vor, Sie kommen nachher in die Praxis." Kyo ließ seinen Blick unruhig durch den Raum flackern. "Gut.", brachte er gezwungen hervor. "Haben Sie ein Familienmitglied oder einen guten Freund, den sie mitbringen können? Nur für den Fall...-", begann die Ärztin, doch Kyo unterbrach sie. "Ich denke schon. Bis später." Schnell legte er auf, starrte das Telefon noch lange Zeit unsicher an. Ein Türklappen, Die erschien auf der Schwelle zum Bad, die nassen, feuerroten Haare mit einem Handtuch trocken rubbelnd. "War das die Ärztin?!", fragte er hastig. Kyo nickte leicht. "Ich soll nachher vorbeikommen." Seine großen, braunen Augen richteten sich auf Die. "Begleitest du mich?" "Natürlich!", rief dieser sofort, als sei es das Selbstverständlichste überhaupt. Ein unsicheres Lächeln. "Danke." ~~ Er ließ den Kopf sinken. Alles schien schwerer zu werden, das Herz, seine Glieder. Erdrückende Gedanken, keine Luft mehr. Das "Es tut mir leid" drang nur verschwommen an seine Ohren. Hatte sie es überhaupt gesagt? Oder war es nur Einbildung? Man redete mit ihm, die Worte erreichten ihn jedoch nicht. Es war, als habe sich mit dem Testergebnis eine unsichtbare Mauer um ihn herum aufgebaut, die nichts mehr an Kyo heranließ. Weder die Worte der Ärztin, noch die Wärme der Hand, welche seine eigene noch immer fest drückte. "... trotz allem nur raten, einen weiteren Test zu machen. Es ist immer möglich, dass Fehler entstehen - und bevor Sie in einer eventuell unnötigen Angst leben..." Ein paar Wortfetzen. Kyo sah wieder auf. Das Erste, das sein Blickfeld erreichte, war das Fenster. Die verregnete Straße vor der Klinik, der brausende Wind. Luft... Ich brauche Luft.. Der Stuhl wurde mit einem Ruck zurückgeschoben, keine Sekunde später ertönte das Knallen einer Tür. "Kyo!!" Die sah hinüber zu der "Halbgöttin in Weiß", wie er gewöhnlich zu sagen pflegte, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Kyo zu folgen, und dem Pflichtbewusstsein, an seiner Stelle den Worten zu lauschen. "Das ist eine völlig normale Reaktion.", erkannte die Ärztin sanft. "Folgen Sie ihm ruhig. Wir können die Besprechung an jedem anderen Zeitpunkt fortsetzen." Dankbar für die entlassenden Worte stürmte auch Die davon, in der dringenden Intention, den Jüngeren einzuholen. Die Tatsache, dass sein Halbbruder mit HIV infiziert war, schien sein Innerstes noch nicht erreicht zu haben, noch war ihm nicht klar, dass die schlimmsten Befürchtungen eingetroffen waren - in diesem Augenblick zählte es nur, Kyo vor seinem Kummer zu bewahren. Auf der Straße angekommen suchte Die beide Richtungen mit den Augen ab, weit konnte der kleine, blonde Punkt mit den kurzen Beinen nicht gekommen sein - nach wenigen Sekunden hatte er ihn ausgemacht. So schnell er nur konnte, sprintete Die den Gehweg entlang, folgte Kyo auf dem Fuß durch das Unwetter, den peitschenden Regen und scharfen Wind. Das Ausrufen des anderen Namens war sinnlos; dennoch tat er es. Ein fester Griff an der Schulter. Kyo spürte Widerstand, als er weiter wollte. Hände, stärker als er selbst, drehten ihn herum, sodass sich ihm der Anblick eines verregneten, besorgt dreinschauenden Dies bot. Die Sicht auf genau diesen Menschen war es, die ihm die Tränen in die Augen trieb. Er schüttelte verzweifelt den Kopf und versuchte, sich loszumachen, wurde aber an den Unterarmen gepackt und festgehalten. "Kyo, hör mir zu, klar? Das - das ist nicht das Ende.", begann Die, weiter kam er jedoch nicht. "Ich brauche jetzt keine Belehrungen, verdammt!", fauchte Kyo und kämpfte weiter um seine Freiheit. "Lass mich los, ich - ich muss weg hier..." Dies Miene wurde ungläubig. "Das Thema hatten wir doch erst, du bleibst bei mir!" Kyo starrte fassungslos zu ihm hinauf. "Hast du es immer noch nicht kapiert?! Ich bin krank und werde draufgehen, vielleicht schon in den nächsten paar Wochen! Und wenn ich mich nicht endlich von dir fernhalte, wirst du mir innerhalb kürzester Zeit folgen, also lass mich endlich los und gib mir die Chance, aus deinem Leben zu verschwinden..." Der letzte Satz war unterbrochen von Schluchzern aus ihm hervorgekommen, nun stand er da, den Kopf gesenkt, um die unüberhörbaren Tränen zu verstecken, weiterhin von Dies Klammergriff gefangen gehalten. "Tu mir einen Gefallen und HÖR AUF!" Ein leichtes Schütteln. "Du bist HIV positiv, ja. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Krankheit ausbrechen wird - du kannst steinalt werden, älter als ich, als was weiß ich wer! Natürlich kann es auch schief laufen, aber... du kannst doch nicht von vornherein davon ausgehen, zu sterben. Wenn du nicht leben willst, wirst du es auch nicht tun. Also fang endlich an, deinen Kampfgeist wieder zu finden - das bist du uns beiden verdammt noch mal schuldig!! Und komm mir nicht mit dieser Abstandsgeschichte, ich hab dir schon mal gesagt: eine Berührung oder ein Kuss haben noch niemanden infiziert." Kyo reagierte nicht mehr mit neuen Argumenten, weiteren Ausbrüchen. Eine Weile standen sie so stumm und aktionslos im strömenden Regen, das einzige Geräusch, das von ihnen ausging, war Kyos unterdrücktes Schluchzen. Es herrschte ein gewisser Abstand zwischen ihnen, den Die letztendlich brach, indem er Kyo Protest ignorierend an sich zog und den Blondschopf fest umarmte, beruhigend über seinen Rücken streichelte. Der kleinere Mann wehrte sich nicht mehr gegen die Nähe, seine Kraft schien nun vollends aufgebraucht. Gegenteilig lehnte er sich vielmehr weiter an Die, Trost und Kraft suchend, sich an ihm festhaltend. Es war ein trauriges Bild, das sich jedem Beobachter geboten hätte - wäre jemand auf die Idee gekommen, die beiden jungen Menschen zu betrachten. Eins von vielen Schicksalen auf offener Straße im überfüllten Tokyo, der schillernden Touristenmetropole, dem Paradies des Vergnügens... ~~ Einige Wochen vergingen, Wochen, in denen sich Kyos Zustand immer wieder veränderte. Bis er ansatzweise verkraftet hatte, von welch hoffnungsraubender Krankheit er befallen war, dauerte es lange, bis er aber aufhörte, sich selbst dafür anzuklagen, noch viel länger. Kyo machte sich keine Illusionen; dass er sich ohne seinen Drogenkonsum nie mit HIV infiziert hätte, war ihm völlig bewusst. Doch die Vorwürfe, mit denen er sich selbst quälte und welche hauptsächlich darauf basierten, wie viel Kummer er Die nun bereitete, waren zu hart. Dies war allerdings Dies Hauptproblem. Kyo klarzumachen, dass er seinem älteren Bruder mit seiner eigenen Schonungslosigkeit viel mehr Sorgen machte, verlangte ihm viel Kraft ab. Letzten Endes aber schaffte der Redhead es. Kyos Gesundheit pendelte ebenso hin und her, mal ging es ihm für kurze Zeitabschnitte bedenklich schlecht, doch meist stellte sich dies schnell wieder ein. Die beiden lebten für einige Wochen ihr normales Leben weiter, das Thema der Krankheit kam nur selten auf. Doch dann, von einem Tag auf den nächsten, verschlechterte sich Kyos Gesundheitszustand drastisch. Er nahm weiter ab, die Appetitlosigkeit machte ihm zu schaffen. Mit ihr stellte sich eine unbestimmte körperliche Schwäche ein, die ihm mit der Zeit sogar die einfachsten Handlungen erschwerte. Auch schien seine Haut immer mehr an Farbe zu verlieren. Es war eine Nacht im Januar, kurz vor Tagesanbruch. Nach einem Anfall von Atemnot, deren Ursache weder Die noch Kyo benennen konnten, sah der blonde Mann lange Zeit schweigend aus dem Fenster, versuchte, möglichst viel Kraft und Ruhe zu sammeln. Die saß ihm gegenüber auf einem Sessel, hatte den Blick stumm auf die angezogenen Knie gesenkt. Kyo schloss eine Weile die Augen. Dieser Tag war anders als die bisherigen. Warum dem so war, konnte er nicht erklären, doch in ihm spielte sich etwas ab, sein Innerstes sagte es ihm. "Die...?" Die zuckte zusammen, als das leise Flüstern erklang, ihn aus seiner tiefen Gedankenwelt riss. "Ja?" Kyo nahm einen tiefen Atemzug, senkte die Lider ein wenig. "Kannst du mir einen Gefallen tun?" ... Keine halbe Stunde später. Auf dem Dach des Hochhauses, von den Bewohnern im Sommer als Terrasse genutzt, stand trotz der winterlichen Jahreszeit mit einem Mal eine Liege aus dem kleinen Gartenschuppen. Auf ihr saßen zwei Gestalten, die eine groß und schlank, die andere klein und sehr zierlich, dicht aneinander geschmiegt, und beobachteten den Sonnenaufgang. Die schlang fester die Arme um den kühlen Körper, lehnte sein Gesicht gegen Kyos blonden Haarschopf. "Verrätst du mir jetzt, warum du unbedingt hier hoch wolltest?" Kyo nickte langsam. "Es.. es ist so lange her, dass ich den Sonnenaufgang richtig gesehen habe... früher war ich so oft hier oben - es ist so schön..." Die smilte ein wenig und streichelte das Blondhaar. "Ja, das ist es.", stimmte er zu und sah wieder auf in den Himmel, dem Farbspektakel, dem er gewöhnlich viel zu wenig Beachtung schenkte. "Die.." "Hm?" "Weißt du eigentlich, dass du mein Leben lebenswert gemacht hast? Einzig und allein du..." Die warf Kyo einen unbehaglichen Blick zu, nachdem die Worte des Jüngeren verklangen. Sag doch so etwas nicht, verabschieden ist nicht drin.. nicht jetzt! Trotz seiner Gedanken zwang er sich zu einem Grinsen und flüsterte in das empfindliche Ohr: "Dann warte erst mal ab, wie viel lebenswerter die Zukunft mit mir sein wird." Ein plötzliches Lächeln auf den sonst so ernsten Zügen. Ein ehrliches Lächeln, so sanft und aufrichtig, wie Kyo wohl noch nie für ihn gelächelt hatte. Kyo schmiegte sich dichter in seine Arme, schloss die Augen für einen Moment geblendet vom Sonnenlicht. Für Die war der Anblick der lächelnden Miene das Perfekteste, das ihm hätte passieren können, an diesem Morgen, während dieses Sonnenaufgangs - so einzigartig, und doch wie jeder andere. Doch mit einem Mal war die friedvolle Stimmung in Die verraucht. Innerhalb einer Sekunde erwachte in ihm das Gefühl des Unbehagens; die Stille war trügerisch. "Kyo?", fragte er leise, richtete sich ein wenig auf. Der zweite Körper aber war es, der sich in jenen Sekunden seinen Bewegungen anpasste, von selbst keine Regung mehr zu vollbringen mochte. Hey, lächle für mich, wie du es immer tust. Im sonnengefluteten Morgen... [1] ~~ [1] Zitat aus -embryo-, Song 6 auf Dir en greys Album KISOU ~~ tbc Epilog: Epilogue ---------------- Epilogue ~~ Warum schreiben Menschen Bücher? Ich vermute, um ihre Eindrücke und Erlebnisse mit der Welt zu teilen, vielleicht Moral oder eine Lehre zu vermitteln. Ich für meinen Teil kann sagen, nicht gerade mit der poetischen Ader bestückt zu sein, ebenso habe ich nicht dieses unglaubliche Talent, Inhalte mit berauschenden Wörtern so zu ummanteln, dass ein eventueller Leser meiner Texte völlig davon verzaubert wäre. Dennoch habe ich mich entschlossen, meine Geschichte niederzuschreiben. Nicht aus den obigen Gründen, denn ich habe weder große Werte anzubringen noch ein außergewöhnliches Leben, in dem es vor Abenteuern nur so wimmelte. Ich möchte einfach nur etwas über einen einzigartigen Menschen erzählen, einen Menschen, der so besonders war, dass es fatal wäre, über ihn zu schweigen. Dieser Mensch war jener, dem mein Herz immer gehörte - zumindest das wird sich wohl nie verändern. Die große Liebe. Das ist ein dehnbarer Begriff, wie ich lernen musste; verschiedene Leute haben verschiedene Ansichten über das berühmteste Gefühl der Welt. Manche bestehen auf die Unterscheidung zwischen Verlieben und Lieben, richtig, wie ich finde, für andere ist das "Verlieben" die Liebe - auch das ist in Ordnung, wenn man damit glücklich wird. Wenn ich über mich sage, die große Liebe erlebt zu haben, macht mich das nicht zu etwas Besonderem, darüber bin ich mir bewusst. Viele Menschen durften bereits ihr Zeuge werden, doch das Spezielle an meinem Fall ist wohl, dass meine Liebe nie hätte existieren dürfen. Und dennoch hat diese Liebe immer die größte Rolle in meinem Leben gespielt, selbst jetzt noch, zu einer Zeit, in der alles längst ein grausames Ende gefunden hat. Ich war bereits achtzehn Jahre alt, als ich von meinem Bruder erfuhr. Er war jünger als ich, ein gutes Jahr, eine Tatsache, die den Seitensprung meines Vaters aufdeckte. Vermutlich hätte ich nie davon erfahren - wäre seine ehemalige Geliebte nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen. Da war sie, die Nachricht: mein Vater hatte einen zweiten Sohn, von dem er selbst nichts wusste. Und nun war dieser Sohn auf dem Weg zu uns, da er als Halbwaise keine weiteren Familienmitglieder mehr hatte. Begeistert. Dieses Wort voll Ironie war wohl das Passendste, um meine Einstellung entgegen des noch nicht einmal eingetroffenen Jungen zu beschreiben. Es kam jedoch anders, als ich es mir schwarzseherisch ausgemalt hatte. Am Tag der Ankunft lernte ich einen Jungen kennen - und ich muss ehrlich zugeben, es war das erste Mal für mich, dass ein gleichgeschlechtliches Wesen es schaffte, mein Herz derartig schnell schlagen zu lassen. Dieser Junge war einfach das Bezauberndste, das mir je begegnet war. Seine kleine, zierliche Statur, die ihn grundsätzlich femininer wirken ließ als er wollte, machte es mir als überzeugtem "Kerl" mit allem, was dazugehörte, wohl so einfach, ihn schön zu finden. Doch das war es nicht. Dem Ausdruck seiner Augen war es gelungen, mich völlig gefangen zu nehmen, nicht mehr loszulassen. In ihnen schimmerte grundsätzlich eine fesselnde Melancholie, eine Tiefe, die ich bei keinem anderen Menschen je zuvor wahrgenommen hatte. Für dieses Wesen gab es einfach keinen anderen Ausdruck als >schön< , nichts sonst wäre ihm gerecht geworden. Allein dank diesen großen, braunen Lichtern. Der Traum von ihm hingegen schien schneller ausgeträumt, als mir selbst lieb war - zu hart kam es mir vor, ihn wenig später als meinen Bruder Kyo kennen zu lernen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es mich verwirrt, derlei Gedanken aufgrund eines simplen Zusammentreffens mit einem Jungen zu haben, doch nun baute sich eine viel größere Problematik vor mir auf. Selbst, wenn ich diese Verwirrung in Hinsicht auf meine eigene Sexualität schnell überwunden hätte - was in der Tat so geschah - ; das Wort nutzlos umschrieb dieses Überwinden sehr gut. Ich war auf dem besten Wege, Gefühle für meinen eigenen Bruder zu entwickeln. An dieser Stelle müsste jeder Leser denken: "Scheißgeschichte." ; zumindest täten es jene, die Verständnis für meine Situation aufbringen könnten. Nur leider war die Scheiße, wie ich es hier einmal unverschönt sage, noch lange nicht vorbei. Denn Kyo brachte dieselben Gefühle für mich auf. Eine Liebesgeschichte, die von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Aber so viel Vernunft wir auch aufzubringen versuchten, es kam, wie es kommen musste. Die Sehnsucht nach Liebe war stärker als das Bewusstsein über die Folgen, Kyo und ich gingen nach Wochen des Verdrängens und Flüchtens eine Beziehung miteinander ein. Diese Wochen der zwar heimlichen, aber dennoch intensiven Liebe waren für mich die schönsten meines Lebens. Natürlich konnte es nicht gut gehen, bereits knappe vier Monate nach Kyos Ankunft flogen wir auf, meine Mutter war es, die allen Träumen von einer gemeinsamen Zukunft durch ihr Mitwissen ein Ende setzte. Kyo verschwand noch in derselben Nacht, verließ mich, meine Familie, mein Leben. Er kehrte zurück in seine Heimatstadt, lebte dort in einem Heim, so viel wurde mir mitgeteilt - mehr jedoch blieb mir vorenthalten. Alle Versuche, Kontakt zu ihm bekommen, sei es durch Briefe, Telefonate, scheiterten an ihm; Kyos Vernunft hatte wieder Oberhand erlangt, und trotz des Leidens wusste ich schon damals im Stillen, dass es das Beste war. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Zumindest nicht bis zu meinem einundzwanzigsten Lebensjahr. Inzwischen ging ich in Tokyo auf eine Universität, besaß den Mietvertrag zu einer hübschen kleinen Wohnung und befand mich in einer Beziehung mit einem sehr liebenswerten und positiv eingestellten Mädchen. Eigentlich war meine Scheinwelt perfekt, denn durch Nebenjobs und gelegentliche Unterstützung meiner Eltern konnte ich über Geldsorgen nicht klagen - nur wirklich glücklich war ich nicht. Dass dies an meinem Inneren lag, war mir lange Zeit nicht bewusst. Ich war wirklich verliebt in dieses Mädchen, nur, um mögliche Zweifel auszuschließen, doch konnte man mit dem Gefühl des Verliebtseins zufrieden sein, wenn man zuvor geliebt hatte? Denn das, was ich für Kyo empfand, war Liebe. Eine so starke, intensive Liebe, dass es mich in den ersten Wochen nach unseren Auseinandergehen fast umgebracht hätte. Peng. Mit einer kleinen, unbedachten Bewegung meinerseits hatte ich nachts einen Menschen auf einem der unzähligen Bürgersteige Tokyos umgerempelt, gleichzeitig damit trat Kyo wieder in mein Leben. Dass auch er nach Tokyo gegangen war, seine geliebte Heimat Kyoto verlassen hatte, und die Tatsache, wie zufällig wir uns wieder trafen - all das ließ mich nicht mehr an das noch eben genannte "Zufällige" glauben. Es sollte so sein. Uns war es allem Anschein nach ähnlich ergangen. Keine festen Beziehungen mehr, seit wir einander verloren hatten, meine aktuelle Freundin war darin die erste Ausnahme. Doch während mein Leben zumindest beruflich gut verlaufen war, hatte Kyo nur Enttäuschungen erlebt. Trotz seiner Intelligenz war er nach der High School nicht auf eine weiterführende Schule gegangen, da er lieber in einer Band spielen, professioneller Musiker werden wollte. Scheiternde Bands und keine Aufsicht auf Besserungen hatten ihn dazu gebracht, Kyoto hinter sich zu lassen, sein Glück in Tokyo zu versuchen. Was ich in den ersten Tagen nach unserem Wiedersehen nicht zu erkennen vermochte, war, wie sehr sich mein Halbbruder verändert hatte. Aus dem nie allzu gesprächigen, tiefgründigen Jungen war ein verschwiegener Einzelkämpfer geworden, der Geheimnisse vor mir hatte, die ich nicht zu ergründen vermochte - und an denen er zu ersticken drohte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Gefühle, die wir nie wirklich beendet, sondern immer nur verdrängt hatten, aufs Neue aufflammten, doch jene Geheimnisse, die ich schon ansprach, waren es, die weiter wie eine unsichtbare Mauer zwischen uns standen. Trotzdem waren es dieselben Gefühle, die meine noch laufende Beziehung zerstörten, ungewollt zwar, aber nicht untröstlich darüber. Es tat mir leid; mehr allerdings, muss ich mir eingestehen, nicht. Bis ich endlich verstand, was schief lief, verging viel Zeit. Dann aber musste ich die Wahrheit über Kyos Verschwiegenheit mit einem Schlag erkennen, ein wirklich harter Schlag, der mich viele Nerven und Stärke kostete. Kyo, mein Kyo, war in einem Sumpf aus Drogen, Geldnot und Prostitution versunken, hatte mir alles verschwiegen, um mich nicht in seine Sorgen mit hineinzuziehen und mich nicht zu verlieren. Dies schien seine größte Angst gewesen zu sein, die Befürchtung, ich könne kein Verständnis für seine schwerwiegenden Probleme haben. Es war unsinnig, mir das zuzutrauen, aber dennoch nachvollziehbar. Zugegeben, der Schock über die plötzliche Gewissheit war groß, doch Kyo sich selbst zu überlassen, kam nicht in Frage. Wie immer, wenn sich uns bisher Probleme in den Weg gestellt hatten, schafften wir es letzten Endes auch dieses Mal, alles gemeinsam durchzustehen. Eine harte Zeit des Entzugs stand uns beiden bevor, ihm als demjenigen, der aufgrund der Entzugserscheinungen Schreckliches zu durchleiden hatte - und mir in der Rolle des Beobachters. Dabei zuzusehen, wie der wichtigste Mensch meines Lebens sich quälte und kämpfte, war noch viel schlimmer als alles, was wir bisher erlebt hatten. Wäre es in meiner Macht gewesen, hätte ich ihm wenigstens einen Teil seiner Last abgenommen. Wenn ich an diesem Punkt zurücksehe, auf mich selbst blicke, wird mir einmal mehr klar, wie sehr Kyo mich verändert hat. Sein Auftauchen war wie ein Wind, eine sanfte Brise, die mich, einen vielleicht ganz netten, aber viel zu oberflächlichen Teenager, der sich um nichts einen Kopf machte, in einen Erwachsenen verwandelt hat. Einen Erwachsenen nicht in jenem Sinne, dass mich der Alltagstrott gefangen nehmen und zum Langweiler machen konnte, sondern im Herzen. Ich möchte wagen zu behaupten, bereits in jenem Augenblick, als ich versuchte, Kyo bei seinem Entzug zu helfen, eine gewisse Reife besessen zu haben, die ich ohne ihn wohl nie erreicht hätte. Ist es da ein Wunder, dass ich diesen Wind so unendlich liebte? Unser Kampf gegen die Drogen war gewonnen. Wenn auch sehr angeschlagen und kränklich, Kyo war wieder ein freier Mensch - zumindest, was die Drogen anging. Frei von unserem gemeinsamen Problem der DNA waren wir noch längst nicht. Dennoch war es im stillen Einverständnis beschlossen worden: wir blieben zusammen. Nicht als Paar, denn die Freiheit, die wir uns als Jugendliche einfach genommen hatten, ließ sich nicht mehr einfangen. Doch neue Liebesbeziehungen gingen wir beide nicht ein, auch kann ich gewisse Momente der Nähe nicht leugnen - wenn auch nie wieder so viel geschah wie in der Vergangenheit. Happy End? Nein. Wer nun dachte, unsere Geschichte sei beendet, irrt sich. Denn über uns war ein Schatten aufgezogen, mit dem weder ich noch Kyo gerechnet hatten, ein Schatten, der sich nicht wie all unsere bisherigen Probleme mit viel Mühe bekämpfen oder verscheuchen ließ. Er brach über uns herein wie ein Unwetter, verknüpft mit einer Nachricht, die alles in mir erfrieren ließ; ich weiß, dass es Kyo genauso ergangen sein muss. Kyos Vergangenheit in der Drogenszene war nicht ohne Folgen geblieben, er war an HIV erkrankt. Obwohl ich glaubte, mir sofort darüber klar zu sein, was dies bedeutete, holte mich jene Wahrheit erst einige Tage später ein. Kyo hingegen wusste scheinbar genau, was ihn erwartete, er wollte gehen, fort von mir, fort von seinem ganzen bisherigen Leben. Es wäre vielleicht das Fairste gewesen, ihn davonziehen zu lassen, doch ich hielt ihn einmal mehr zurück. Die dringliche Hoffnung, die Krankheit selbst, Aids, müsse nicht unbedingt ausbrechen, habe ich nie aufgegeben. Vielleicht war dies eins der Dinge, weswegen wir uns so wunderbar ergänzten. Der knallharte Realist und der unerschütterliche Idealist. Tatsächlich verging nicht viel Zeit, bis Kyo starb. Sein einundzwanzigstes Lebensjahr hat er nie erreicht. Was mir über die ersten Wochen, Monate nach seinem Tod hinweghalf, war, dass er nicht wie von ihm selbst befürchtet in einem Krankenhaus den letzten Atemzug tat, sondern gemeinsam mit mir, in meinen Armen. Das Letzte, was er mir gab, war ein Lächeln. Ich hatte ihm immer vorgehalten, er würde zu wenig lächeln, doch dann, so kurz vor dem Ende, schenkte er mir das erste aufrichtige Lächeln seit Monaten. Dieses Lächeln war das schönste Abschiedsgeschenk, das er mir machen konnte - Kyo hatte gespürt, wie knapp bemessen seine Zeit war, darüber bin ich mir sicher. Er musste es von der ersten Sekunde an gewusst haben. Noch heute frage ich mich, wieso er nicht versucht hat, gegen den Tod anzukämpfen, ich weiß es nicht, doch ich glaube zumindest, eine mögliche Antwort gefunden zu haben. Kyo war kein Mensch, den man an ein Bett fesseln oder mit Schläuchen am Leben halten konnte. In einer Klinik wäre er vermutlich vor Unglück und Einsamkeit noch viel früher von mir gegangen. So aber konnte ich bei ihm sein, ihm so viel Mut und Kraft schenken, wie es mir nur irgendwie möglich war. Dass es zu wenig war, um einem letztendlich Aidskranken zu helfen, ist klar, und doch läge ich meine Hand dafür ins Feuer, dass Kyo mit dieser Art des Sterbens glücklicher war. Vermutlich würde er lachen, wenn er sähe, was ich hier tue. Er würde sich an den Kopf fassen und von seinem schlechten Einfluss auf mich sprechen, war doch grundsätzlich er der Philosoph unter uns beiden. Ja, es muss sein Einfluss sein, der mich, früher mit keinem Geld der Welt zum Schreiben zu bringen, dazu bewegt hat, all diese Worte mühevoll zu sammeln, um von Kyo zu berichten. Das alles ist jetzt acht Jahre her. Die acht einsamsten Jahre meines ganzen Lebens, das sage ich ehrlich. Natürlich habe ich ein paar sehr wichtige Freunde, die versucht haben, mir zu helfen, meinen Kummer zu verringern, doch es ist ihnen nicht gelungen. Seit Kyos Tod erscheint mir mein Leben seltsam leer - und das, obwohl er immer präsent ist. Es vergeht keine Sekunde, in der ich ihn nicht irgendwo in mir spüre, doch seine wirkliche Anwesenheit, sein Lächeln, das Glänzen in seinen Augen ist mit keinem Gefühl der Präsenz zu ersetzen. Der Gedanke an ihn erleichtert es ein wenig, den Schmerz aber vermag es nicht aufzuwiegen. Auch heute nicht. Wenn ich es genau nehme, habe ich das Wort Schmerz erst durch ihn kennen gelernt. Wäre Kyo nicht in mein Leben getreten, hätte ich nie erfahren, was es mit unstillbarer Sehnsucht, Schmerz und erdrückendem Liebeskummer auf sich hat. Gleichzeitig aber hätte ich ebenso nie gelernt, wie wunderbar es sein kann, einfach nur die Gedanken eines anderen Menschen für sich zu verbuchen; kurz gesagt: ohne Kyo hätte ich nie gelernt, SO zu lieben. Ich glaube, mit dieser Einführung in meine Gedankenwelt ist deutlich geworden, warum ich mich entschlossen habe, diesen unglaublichen Menschen mittels Papier festzuhalten - denn insgeheim habe ich Angst, auch nur eine winzigkleine Erinnerung an ihn mit den Jahren zu vergessen. Kyo war einer jener Menschen, die nie in Vergessenheit geraten dürfen; dank dieser Geschichte, die ich nun beginnen werde, wird dies nie geschehen. Um an dieser Stelle Kyos liebstes Zitat noch einmal zu wiederholen: "Das Großartigste, was du je lernen wirst, ist zu lieben und wiedergeliebt zu werden." Ja. Es gibt wenige berühmte Aussagen, in denen so viel Wahrheit steckt, doch mit diesen Worten möchte ich mein Vorwort beenden. Danke, Kyo, dass ich dich kennen und lieben lernen durfte. Du hast mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich werde dir nie vergessen, was du mir in den wenigen Momenten unseres gemeinsamen Glücks geschenkt hast. Daisuke ~ Owari ~ hope to see ya soon... with swallowtail butterfly wings~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)