1873 von Finlass ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Das war mein Beitrag zu einem Kurzkrimi-Wettbewerb... Mich würde mal interessieren, was ihr davon haltet. ^_^ Disclaimer: Sowohl die Charaktere als auch die Idee sind meiner Fantasie entsprungen und gehören daher ganz allein mir. *** 1873 *** Die Jungen tuschelten aufgeregt, während sie vor der Tür des Klassenraums auf ihren Lehrer warteten. Immer wieder musterten sie den jungen Mann, der an der Wand lehnte und fast schüchtern die Blicke erwiderte. Er überragte die Größten der Jungen nur um ein Stück, was ihn, zusammen mit seinen langen, blonden Haare und dem jugendhaften Gesicht wie einen Schüler aussehen ließ. Nach einiger Zeit kam einer der Jungen zu ihm und fragte grinsend: "Wer seid Ihr?" Der junge Mann schreckte hoch, als sei er aus einem Traum erwacht. "Mein Name ist Louis", antwortete er zögerlich. "Ich werde euch von nun an Griechisch lehren." Die Jungen kicherten, als sie seinen französischen Akzent bemerkten. Louis bedachte sie mit einem unsicheren Lächeln und wünschte sich für einen Moment, er wäre niemals hierher gekommen. Doch dann kehrte seine Entschlossenheit zurück. Heute, am 15. August des Jahres 1873 nach Christi Geburt würde er ein neues Leben als Lehrer der Lateinschule Berkas beginnen! Sein Gedankengang wurde von Schritten auf der Treppe und dem Verstummen der Jungen unterbrochen. Als er aufsah, erblickte er einen jungen Mann, kaum älter als er selbst. Seine langen, schwarzen Haare waren zu einem Zopf zusammen gebunden und auf seinem blassen Gesicht lag ein missmutiger Ausdruck. Einige Jungen umringten ihn sofort und fragten aufgeregt, weshalb er zu spät kam. Für einen Moment lächelte der junge Mann und strich einem der Jungen über den Kopf, doch als er Louis bemerkt, verfinsterte sich seine Miene wieder. Er stapfte zu ihm hinüber und brummte: "Bist Du der Neue? Herzlich willkommen. Ich bin Pater Raphael." "Mein Name ist Louis", antwortete der Andere stockend. Raphael starrte Louis durchdringend an. "Franzose?", fragte er mit eisiger Stimme. Louis nickte unsicher. Raphael zuckte verächtlich mit den Schultern und stapfte zur Tür. Bevor er sie öffnete, hielt er inne. "Wer hat sie verriegelt?", erkundigte er sich ruhig. "Wart ihr das?" Die Jungen schüttelten eifrig den Kopf. Raphael runzelte die Stirn, entriegelte die Tür und trat in den Klassenraum. Schon wollten die Schüler ihm folgen, doch er hielt sie zurück. Langsam wandte er sich um, sein mürrischer Gesichtsausdruck war von Entsetzen verdrängt worden. "Los, geht alle auf den Hof!", befahl er heiser. Die Jungen jubelten verhalten und rannten die Treppen herunter, doch man sah ihnen an, dass sie beunruhigt waren. Raphael hielt einen der Schüler zurück. "Hol sofort Pater Albrecht!" Der Junge nickte. Als er verschwunden war, trat Louis neben Raphael, der daraufhin mit einem Kopfnicken auf eine Gestalt im Klassenraum deutete. "Rektor Friedhelm hat sich erhängt." - Fassungslos starrte Louis die Leiche an, die von einem Deckenbalken herabbaumelte. Der Rektor trug sein Messegewand, das er nicht einmal ganz angezogen hatte, und mit seinen steifen Fingern umklammerte er einen Stift. Aus einer tiefen Wunde am Kopf war ihm Blut über das Gesicht gelaufen. Louis wandte sich angewidert ab. Raphael neben ihm seufzte. "Das musste ja mal so weit kommen..." "Weshalb?", erkundigte sich Louis. Seine Neugier hatte über seine Unsicherheit gesiegt. "Das geht dich nichts an, Franzose. Ein---", brummte Raphael, doch Louis unterbrach ihn. "Ich werde in den nächsten Jahren hier leben und unterrichten. Es geht mich sicher etwas an!" "Wenn es sein muss, Franzose..." Raphael verdrehte die Augen. Als er weitersprach, senkte er die Stimme. "Unser Rektor hatte eine sehr... lass uns sagen ,liberale' Einstellung zu seinem Priestergelübde und den Geboten. Wir haben uns seit Jahren gefragt, wie das enden wird. Jetzt wissen wir es." "Bleibt nur noch die Frage, wer ihn getötet hat", murmelte Louis, mehr zu sich selbst. Aber Raphael wurde hellhörig. "Wie meinst du das?" "Die Wunde an seinem Kopf... Ich denke nicht, dass er sie sich selber geschlagen hat." "Möglich wäre es. Wenn man stolpert und auf eine Tischkante prallt---" "Aber die Tür kann er nicht selber verschlossen haben. Innen hat sie keinen Riegel, wenn ich das richtig gesehen habe." Raphael hob die Augenbrauen. "Meine Anerkennung! Ich hätte nicht gedacht, dass es außer mir noch jemandem auffällt." Er hielt inne, als auf der Treppe Schritte zu vernehmen waren. "Da kommt Pater Albrecht", brummte er dann. "Er ist der Konrektor. Mal schauen, was er dazu zu sagen hat." Später am Morgen saß das gesamte Lehrerkollegium zusammen, mit Ausnahme des alten Paters Clemens, der die Schüler notdürftig unterrichtete. Während sie schweigend ein Gebet sprachen, ließ Louis seinen Blick unsicher über die vier anderen Männer schweifen. Neben ihm hatten Raphael und Pater Ignatius Platz genommen, ein Mann mittleren Alters mit einem kantigen, aber freundlichen Gesicht. Zu seiner Rechten hockte Pater Karl, der immer wieder ärgerliche Blicke mit Raphael austauschte. Pater Albrecht, der Konrektor, schritt unruhig im Raum auf und ab. "Hat er sich am Ende also selbst gerichtet...", murmelte er nach einiger Zeit. Die anderen Patres nickten stumm. Louis überlegte einen Moment, dann sagte er unsicher: "Pater Friedhelm hat sich nicht selbst umgebracht. Jemand muss ihn ermordet haben." "Aber..." Pater Albrecht stockte und blickte die Anderen entsetzt an. "Wer... wer sollte eine so fürchterliche Tat begangen haben?" Die übrigen Patres schüttelten ratlos die Köpfe, auch ihre Gesichter waren erschrocken. Eine Weile sprach niemand, bis Pater Ignatius schließlich das Wort ergriff. "Lasst uns einfach gemeinsam nachdenken. Vielleicht kommen wir dann auf eine Lösung. Pater Friedhelm habe ich vor der Morgenandacht noch gesehen." "Aber bei der Messe war er nicht mehr anwesend", ergänzte Louis vorsichtig. "Ebenso wie alle anderen, außer Pater Clemens und mir." Die vier Patres sahen ihn durchdringend an, so sehr, dass Louis sich wünschte, nichts gesagt zu haben. Nur Pater Ignatius lächelte. "Ich war in der Bibliothek", antwortete er freundlich. "Ich auch", fügte Raphael schnell hinzu. "Dann muss einer von euch lügen", entgegnete Pater Karl kühl. "Ich war ebenfalls in der Bibliothek. So groß, dass sich dort drei Leute aufhalten können, ohne einander zu bemerken, ist sie nicht. Und da ich auf die Ehrenhaftigkeit und Loyalität Pater Ignatius' vertraue, seid wohl Ihr der Lügner, Pater Raphael. Allerdings wäre es natürlich möglich, dass Ihr dort wart, nachdem Ihr Pater Friedhelm umgebracht..." Raphael setzte zum Sprechen an, aber Karl ließ ihn nicht zu Wort kommen. "Und nebenbei auch versucht habt, mich zu ermorden. Gerade als ich die Bibliothek verlassen wollte, habt Ihr mich von hinten angegriffen, ist es nicht so? In diesem Fall würdet Ihr tatsächlich nicht lügen." Die Patres keuchten entsetzt auf. Raphael starrte Karl zornig an. "Glaubt mir, wenn ich Euch hätte töten wollen, dann wäret Ihr jetzt nicht hier. Und weshalb sollte ich Pater Friedhelm umbringen wollen?" "Vielleicht, weil er immer so gemein zu euren ach-so-lieben Kinderchen war?" Pater Karl lächelte höhnisch. "Erst gestern Abend habe ich euch darüber streiten gehört." "Ist das wahr?", erkundigte sich Pater Albrecht bei Raphael. Dieser biss die Zähne zusammen. "Ja, das stimmt", brachte er mühsam hervor. "Wir haben uns gestritten. Und wir haben uns geeinigt." Er hielt kurz nachdenklich inne, dann fuhr er fort: "Möglicherweise seid ja auch Ihr der Mörder, Pater Karl. Wer hat denn im Geheimen gegen Pater Friedhelm gewettert? Wer sprach denn von einer Demütigung dieser Schule durch ihn?" "Führwahr, das habe ich", gab Karl zurück. "Aber wie sollte ich mich selber angreifen?" "Vielleicht habt ihr es euch bloß ausgedacht." "Ihr wollt mich der Lü---" Karl hielt inne, als sich die Tür öffnete. Ein Junge lugte vorsichtig hinein. "Ähm... Ver-ver-verzeihung", stotterte er. "W-w-ir haben ein Problem. Markus hat sich---" Pater Karl unterbrach ihn unsanft. "Raus hier!", schrie er. "Wer hat dir gestattet, uns zu stören? Strafarbei---" "Seid still!" zischte Raphael, vor Wut bebend. "Wenn die Jungen ein Problem haben, sollten wir ihnen helfen. Das gehört nach wie vor zu unseren Aufgaben." Als er sich dem Jungen zuwandte, wurde sein Gesicht freundlicher. "Ich komme sofort." Ohne die Anderen zu beachten schritt er hinaus und warf die Tür hinter sich zu. Pater Karl sprang auf, um ihm nachzusetzen, aber Pater Albrecht hielt ihn zurück. "Lasst ihn! Wenn er der Täter ist, wird er nicht fliehen, denn in diesem Fall würden ihn die Wachmänner verfolgen. Und den Kindern wird er nichts antun." Pater Karl schnaubte verächtlich und verließ ebenfalls den Raum. Albrecht zuckte mit den Schultern. "Damit wäre unsere Versammlung anscheinend beendet." Louis hockte auf einem Stein, die Arme um die Knie geschlungen, und beobachtete die Jungen dabei, wie sie Fangen spielten. Seine Gedanken aber waren woanders. Wer? Dieses kleine, unscheinbare Wort surrte wie eine Mücke in seinem Kopf herum, ließ ihm keine Ruhe. Wer? Wer hatte Pater Friedhelm ermordet und möglicherweise Pater Karl töten wollen? War es einer der Patres gewesen? Im Hinblick auf Pater Friedhelm und seine unkirchliche Einstellung ergab das Sinn, aber weshalb sollte jemand Karl töten wollen? Oder war der Mörder gar jemand von Außerhalb? Lautes Jubeln riss Louis aus seinen Gedanken. Scheinbar hatte einer der Jungen das Spiel gewonnen. Doch schon flitzten die Schüler wieder los, um noch einmal anzufangen. Einer der Jungen hielt kurz inne und lächelte Louis zu. Doch sein Lächeln wurde rasch von Entsetzen verdrängt. "Pater Louis!", schrie er, "Hinter Euch!" Louis wich instinktiv zur Seite, gerade rechtzeitig, um einem herabsausenden Dolch zu entgehen. Als er sich umdrehen wollte, legte sich eine kräftige Hand auf seinen Mund und zerrte ihn in das Gebüsch. Gleichzeitig spürte er kaltes Metall an seinem Hals. Doch Louis hatte keine Zeit mehr, in Panik zu verfallen, denn plötzlich kippte der Mann nach vorne. Louis hatte gerade noch genug Geistesgegenwart, den Dolch von seinem Hals wegzudrücken, bevor er unter seinem Angreifer begraben wurde. Einen Moment bekam er keine Luft, dann wurde der Mann plötzlich von ihm hin unter gezerrt. Benommen drehte sich Louis um, sah auf und erblickte Raphael. "Alles in Ordnung? Kannst du aufstehen?", erkundigte sich der junge Pater besorgt. Louis nickte, aber nahm die hilfreich angebotene Hand dankbar an. "Ich habe von der Tür aus gesehen, dass sich jemand im Gebüsch auf dich zu geschlichen hat", erklärte Raphael, während er dem jungen Franzosen auf die Beine half. Gemeinsam blickten sie auf den Mann herab, der vor ihnen lag und sich langsam wieder regte. Er war in eine dunkelbraune Kutte gekleidet, die seinen ganzen Körper verdeckte. Raphael hockte sich neben ihn und hob vorsichtshalber den Dolch auf. "Wollen wir mal sehen, wer sich unter der Kutte verbirgt!", sagte er dann grimmig und zog die Kapuze vom Gesicht des Mannes. Louis keuchte überrascht auf. "Pater Ignatius!" Raphael hob die Augenbrauen. "Du hast also Pater Friedhelm umgebracht", sagte er verwundert, "...und wolltest Pater Karl und Louis ebenfalls töten!" "Ich habe Friedhelm nicht ermordet, das schwöre ich!" Ignatius sah die beiden jüngeren Männer entschlossen, aber ohne Zorn an. "Er war mein... wie soll ich sagen... eine Art bester Freund. Daher wollte ich ihn auch vor diesem Karl beschützen. Er hätte sicher bald dafür gesorgt, dass Friedhelm aus seinem Amt entlassen worden wäre und seinen Stand als Priester verloren hätte." "Das ist seine eigene Schuld", erwiderte Raphael kühl. "Nein!" Ignatius ballte die Hände zu Fäusten, sein Gesicht war angespannt vor Zorn. "Es waren Verleumdungen! Karl hat sie gesät. Er hasste Friedhelm, weil Auffassungen der biblischen Worte einander widersprachen." "Und Louis?", hakte Raphael nach. Anscheinend wollte er nicht weiter auf dieses Thema eingehen. Ignatius lächelte abfällig. "Pah, Franzose!" "Das kann nicht sein!", mischte sich Louis mit bebender Stimme ein. "Ein Pater bringt doch niemanden um, nur weil... weil er Franzose ist! Er lügt!" "Er sagt die Wahrheit", entgegnete Raphael mit gesenktem Kopf. "Ich... Ich habe gelogen... Ich war nicht mit Pater Karl in der Bibliothek. Ich..." Er brach ab. "Warst du es?", erkundigte sich Ignatius. Raphael schüttelte heftig den Kopf. "Pater Clemens weiß, wo ich war. Ihr... könnt ihn fragen." "Wenn du also nicht da warst, und Ignatius und Karl sich in der Bibliothek aufgehalten haben..." Louis pausierte, bevor er weiter sprach: "... dann kann es bloß Pater Albrecht gewesen sein!" Etwas später betraten Louis, Raphael und Ignatius, der sich bereit erklärt hatte, ihnen freiwillig zu folgen, den Arbeitsraum des Konrektors. Albrecht stand vor dem brennenden Kamin und blickte erschrocken auf, als er ihre Schritte hörte. Doch rasch verzog sich das Entsetzen zu einem freundlichen Lächeln. "Seid mir willkommen! Was führt euch hierher?" Aus den Augenwinkeln bemerkte Louis, wie Albrecht krampfhaft etwas hinter seinem Rücken verbarg. Mit einem kurzen Blick wies er Raphael darauf hin. Dieser nickte und trat dann vor. "Ich will ganz direkt sein", begann er ruhig. "Ihr habt Pater Friedhelm umgebracht, nicht wahr?" Albrecht wich zurück. "Nein!", rief er, aber seine Stimme klang nervös. "Wie könnt ihr mich einer solch gräulichen Tat bezichtigen?" Er trat näher an den Kamin heran. Da sprang Raphael blitzschnell vor und bekam den Gegenstand zu fassen den Albrecht versteckt hielt. Nach kurzem Gerangel entriss er ihn dem Konrektor. "Die Bibel", murmelte er nach kurzem Zögern. Lauter sagte er: "Seht, die Kante ist blutverschmiert!" "Ihr habt damit Pater Friedhelm bewusstlos geschlagen, oder?" Louis blickte Albrecht durchdringend an. "Und ihn dann erhängt. Nur Ihr könnt es gewesen sein, denn die Übrigen waren zur Tatzeit an anderen Orten." Albrecht ließ sich auf seinen Stuhl sinken. "Es hat wohl keinen Sinn, zu leugnen", erwiderte er niedergeschlagen. "Ja, ich habe ihn umgebracht. Aber ich habe es für Gott und die Schule getan! Ein solch lasterhafter Mann hätte die Seelen der Jungen immer weiter verdorben. Ohne ihn sind wir alle besser dran. Ich wollte die Schule leiten und in eine bessere Zukunft führen! Versteht doch..." Louis wollte etwas entgegnen, doch er hielt inne, als er Raphael leise lachen hörte. "Was seid ihr doch alle für Narren!", sagte er mit erstickter Stimme. Alle starrten Raphael verwirrt an, als dieser in seine Gewänder griff und einen Brief herauszog. "Das hat mir der Bürgermeister heute Morgen gegeben. Lest!" Albrecht nahm den Brief und las vor: "Hiermit verkünden Wir, dass die Lateinschule kirchlichen Rektorats enthoben ist. Ein weltlicher Rektor wird von nun an die Schule leiten..." Der Brief glitt aus Albrechts zitternder Hand. Louis und Ignatius keuchten auf. "Seht ihr?" Raphaels Stimme bebte. "Alles, was ihr getan habt, war umsonst!" - Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)