Broken Life von Gayagrod (Ginger Snaps) ================================================================================ Kapitel 3: Erinnerungen an den Tod ---------------------------------- ~Brigitte~ Brigittes Gedanken kehrten wieder ins Hier und Jetzt zurück. Sie schloss für einen Moment die Augen, atmete tief ein und aus und öffnete sie wieder. Dann fragte sie Sam: "Was haben wir zu tun, bevor wir hier weg können? Besser wir verschwinden, bevor jemand auf uns aufmerksam wird." Schnell weg von hier... weg von hier und alles vergessen... "Das stimmt schon, aber wir sollten trotzdem versuchen, alle Spuren von etwas andersartigem zu verwischen." Als Brigitte ihn nur Verständnislos ansah, fügte er hinzu: "Man kann ja nie wissen. Und wenn wir verschwinden und einen Neuanfang machen wollen, ohne dass man uns gleich überall erkennt, weil unsere Gesichter an jedem Laternenpfahl kleben, dann sollten wir alles, was uns verraten könnte, beseitigen. Ihr habt doch niemandem etwas von eurem kleinen Geheimnis erzählt, oder? Irgendwelchen Freundinnen, beispielsweise?" "Nein", sagte Brigitte barsch. Freundinnen? Hatte Sam gerade tatsächlich Freundinnen gesagt? Wie kam er darauf, dass sie und Ginger Freunde gehabt hätten? Hatte er noch nicht mitbekommen, dass sie Einzelgänger gewesen waren und - im besten Falle - von den anderen gemieden und nicht beachtet wurden? "Nein?", wiederholte Sam, "Keine Freunde? Es gibt niemanden, der etwas ausplaudern könnte?" "Naja, nicht ganz", gestand Brigitte ein, "Pam hatte gemerkt, dass etwas vor sich ging." "Pam?", fragte Sam "Meine Mutter." "Aha. Und was hat sie gemerkt?" "Sie hat wahrscheinlich Trinas Leiche gefunden... aber ich denke nicht, dass sie was von Gingers... Veränderung bemerkt hat, zumindest nicht, was die animalische Seite betrifft. Sie hat ihr Verhalten wohl als pubertätsbedingt abgetan und wollte mit mir und Ginger ein neues Leben beginnen, ohne Dad und in einer anderen Stadt." "Moment mal." Sam sah sie ein wenig verwirrt an. "Trinas Leiche? Ich hatte schon davon gehört, dass sie vermisst wird, aber du meines Wissens hattest nicht zufälligerweise vorher erwähnt, dass sie tot ist, oder?" "Oh." Brigitte versuchte, ein betroffenes Gesicht zu machen, was ihr aber nicht so recht gelang. Sie hatte Trina noch nie leiden können und konnte nicht recht verstehen, warum Sam sich überhaupt für ihren Tod 'interessierte'. "Muss ich wohl vergessen haben." "'Vergessen.'" Sams sarkastischer Unterton war nicht zu überhören. "Ah ja, es war ja auch wirklich nicht wichtig, mir zu sagen, dass deine Schwester schon einen Menschen auf dem Gewissen hatte-" "Das ist doch jetzt völlig egal!" Brigitte wurde langsam wütend. Sie hatte gedacht, Sam würde verstehen, dass die letzten Ereignisse einfach noch zu frisch waren, um sie schon verarbeitet zu haben. Verdammt noch mal, sie wusste selbst, dass es dumm von ihr gewesen war, es ihm zu verschweigen, aber musste er deshalb ihre seelischen Wunden schon wieder aufreißen? "Ich hätte es dir besser vorher sagen sollen, in Ordnung, aber es ist passiert und wir beide können nichts mehr daran ändern. Außerdem, wie kommst du dazu, alles auf Ginger zu schieben? Sie hat Trina provoziert, ja, aber es war ein Unfall, Okay? Wenigstens sie hat meine Schwester nicht mit ihren eigenen Händen getötet!" "Wenigstens sie?... Was heißt denn das nun wieder...?", fragte Sam. Brigitte biss sich auf die Unterlippe. Verdammt! Warum habe ich eben nicht nachgedacht, bevor ich geredet habe? "Es waren noch mehr." Sie sah Sam nicht an, als sie das sagte. "Trina war nicht die einzige, die... getötet wurde." "Scheiße! Verdammt!", fluchte Sam, "Dann sind wir so gut wie geliefert." Brigitte runzelte die Stirn. "Wieso?" "Weil dann die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen Hinweis darauf finden, dass zumindest du auch etwas mit den... Morden zu tun haben könntest, größer ist." "Aber an den Leichen sind doch nur Gingers Fingerabdrücke. Na gut, bei Trina werden sie auch von mir welche finden, aber sonst-" "Was ist, wenn jemand aussagt, eines der Opfer als letztes mit euch gesehen zu haben? Was dann? Man wird zwei und zwei zusammen zählen und dann-" "Nichts dann", unterbrach Brigitte ihn, "Sie haben keine Beweise, dass ich - oder du - etwas mit den Morden zu tun haben könnten. Und ich glaube, langsam verstehe ich, was du damit meinst, dass wir noch was zu erledigen haben, bevor wir verschwinden können." Sie fixierte Sam mit ihrem Blick und sprach weiter: "Wir sollten zum Beispiel das Haus abbrennen, nur für alle Fälle, nicht wahr? Alle Spuren vernichten..." "Ja", antwortete er, "an sowas in der Art hatte ich gedacht." "Am Besten wäre es, wenn alles nach Selbstmord aussieht...", überlegte Brigitte laut. "Mmh... ja...", sagte Sam in Gedanken versunken, "wäre wahrscheinlich wirklich das Beste..." Brigitte musste lächeln. So grotesk es in ihrer momentanen Situation auch schien, sie konnte einfach nicht anders. Oh ja, dachte sie, Selbstmord. Ihre Gedanken schweiften zu jenem Tag ab, an dem sie das die Projektaufgabe mit dem Titel "Das Leben in Bailey Downs" bekommen hatten. Sie konnte sich noch genau an Gingers Reaktion erinnern... *~*~* Zwei Monate früher; Gingers und Brigittes Zimmer: "Verdammte Scheiße! Diese Schule wird aber auch von mal zu mal hirnrissiger!", fluchte Ginger. "'Das Leben in Bailey Downs', als ob wir nicht was besseres zu tun hätten, als uns mit unserem Leben in diesem bescheuerten Kaff voller Idioten zu befassen!" Brigitte saß auf dem Bett und legte gerade einen neuen Film in ihre Sofortbildkamera ein. Aber bei Gingers ihr nur allzu verständlichem Wutausbruch hob sie den Kopf und beobachtete ihre Schwester argwöhnisch. "Ooh ja, unser Leben hier, es ist auch wirklich sooo fantastisch, ich könnte einen ganzen Roman über mein Leben hier am Ende der Welt schreiben!", fauchte Ginger und ging im Raum auf und ab. "Ginger", meldete sich Brigitte zu Wort, "mir ist das genauso zuwider wie dir, aber lass uns wenigstens das Beste daraus machen." "Ja, ja, mein liebes Schwesterchen ist mal wieder ganz der Streber", maulte Ginger und ließ sich neben Brigitte aufs Bett fallen. Brigitte rollte genervt mit den Augen und beachtete Ginger nicht weiter. "Hey, war doch nicht so gemeint", meinte Ginger und beäugte Brigittes Gefummel an der Kamera. "Was machst du da eigentlich? Ist das blöde Ding jetzt endgültig kaputt oder ist der Film schon wieder leer?" Mit diesen Worten nahm sie Brigitte die Kamera einfach aus der Hand, stand auf und bemerkte: "Du hörst mir gar nicht richtig zu, Be, nicht wahr?" "Ginger. Es ist nur ein Schulprojekt", erwiderte Brigitte. "Ja, das ist es ja. Es ist ein verdammtes, stinknormales Schulprojekt. Und was haben wir uns geschworen? Dass wir niemals so sein werden wie alles anderen und das schließt auch sogenannte normale Aktivitäten und eben auch verdammte Schulprojekte ein!" "Also, was hast du vor? Was willst machen?", fragte Brigitte. "Wenn ich das nur wüsste... Hey, womit verbindest du denn unser ach so geliebtes Heimatstädtchen, wenn du dran denkst?" Brigitte schnaubte. "Erstens: Ich versuche nie über diese... 'Stadt' nachzudenken und zweitens-" "Theoretisch." Brigitte seufzte. "Na gut. Ich verbinde alles hier mit... Tod." "Tod?", fragte Ginger und zog die Stirn kraus. "Ja. Tod. Die sogenannten 'angesagten Schüler' der Highschool sind wie... Jäger und alle anderen sind Beutetiere. Wer nicht schnell genug fliehen kann, ist ihr Opfer... und wer ihr Opfer ist, wird getötet. Und genauso läuft das auch unter den Erwachsenen ab, der Großteil der Stadtbewohner ist wahrscheinlich schon mal so 'getötet' worden. In dieser Stadt lauert der Tod." Ginger grinste. "Was ist?", fragte Brigitte leicht verärgert. "Ist meine Meinung, auch wenn du sie lachhaft findest. Und jetzt gib mir bitte meine Kamera wieder, Okay?" "Du bist genial, Be!" Ginger grinste noch breiter als zuvor. "Tod, ja? Dann weiß ich, was wir jetzt für dieses Projekt machen. Und", sie hielt die Kamera hoch, "diese hier werden wir dafür auf jeden Fall brauchen." "Im Klartext: Was willst du tun?" "Im Klartext", antwortet Ginger, "werden wir beide stellvertretend für die Menschen dieser Stadt sterben!" "Kamera - Tod - Projekt. Du meinst...?" "Selbstmorde, Be. Ich wette mit dir, das diese ganze depressive Stadt möglicher Weise eine leicht erhöhte Selbstmordrate hat ? und genau das wird das Thema unseres Projektes: Brigitte und Ginger Fitzgeralds Sterbe- und Selbstmordprojekt!" Brigitte sah ihre Schwester einen Moment lang an. Dann spielte ein leichtes Lächeln um ihre Mundwinkel. "Ja, hört sich gut an." "Unser Tod wird kein Klischee!", trumphierte Ginger und umarmte Brigitte kurz. "Wie werden sie alle damit schocken! Die Lehrer, unsere Mitschüler - alle! Damit sie endlich kapieren, dass wir nicht solche Hohlköpfe wie sie sind!" "Ja", stimmte Brigitte zu, "unser Tod... wird etwas besonderes!" *~*~* Brigitte schloss die Augen. Die Erinnerung überwältigte sie, nur mühsam konnte sie ein Schluchzen zurückhalten. "Brigitte?", fragte Sam vorsichtig, "Alles in Ordnung...?" "Ja, alles bestens", sie zwang sich zu einem dünnen Lächeln, "soweit man das in unserer Situation behaupten kann." "Ja, natürlich." Auch Sam rang sich ein gezwungenes Lächeln ab. Was für eine Ironie, dachte Brigitte, Was für eine Ironie... Ja, Ginger, dein Tod ist etwas besonderes geworden, so wie du es dir gewünscht hast... Oder vielmehr: So wie es unser Wunsch, unser Schwur war. Und, ja, dieser Schwur hätte mich auch im Tod an dich binden sollen, aber nun bist du schon gegangen - und ich bin noch hier, obwohl es besser wäre, wenn auch ich den Tod gefunden hätte... "Also Selbstmord", wiederholte Sam noch einmal und Brigitte nickte. "Aber wie?", fragte er, "Wir haben hier einen toten Wolfsmenschen, wenn man den Leichnam untersucht wird man wahrscheinlich Gingers DNA feststellen, aber es wird sich niemand einen Reim darauf machen können. Und das führt uns wieder zu dem Punkt, dass wir möglichst keine Spuren hinterlassen sollten." "Was ist mit dem Gegenmittel?", fragte Brigitte. "Das Gegenmittel?" "Kann man es ihr nicht einfach verabreichen? Vielleicht verwandelt es sie ja wieder in ihre menschliche Gestalt..." "Wenn das so einfach wäre. Einen Versuch ist es wert, aber ich glaube kaum, dass es klappt", erwiderte Sam, "Ich weiß nicht, wie lange sie jetzt schon Tod ist, aber ihr Herz schlägt wohl schon seit längerer Zeit nicht mehr und ohne Herzschlag wird kein Blut durch den Körper gepumpt, also wird das Gegenmittel nicht im Körper verteilt und die wahrscheinlich ohnehin schon absterbenden Körperzellen können sich nicht in ihrer ursprüngliche Form regenerieren." "Das ist mir auch klar, aber bis vor einem Monat habe ich auch nicht geglaubt, dass es Werwölfe wirklich gibt. Was ist, wenn ihr Körper anders funktioniert als bei einem Menschen?" "Wäre möglich." Sam überlegte einen Augenblick und zuckte dann mit den Schultern. "Ausprobieren kann ja nicht schaden." "Gut." Brigitte sah sich im Raum um. "Wo ist eigentlich das Gegenmittel? Hast du-" "Ja, ich habe es aufgehoben und dort drüben auf die Kommode gelegt", sagte Sam und wies mit der Hand in Richtung der Kommode. "Wann fangen wir an?", fragte Brigitte, obwohl sie die Antwort schon kannte, bevor Sam sie aussprach. "Am besten sofort. Wir haben noch eine Menge zu tun." --- A/N: Dieses Kapitel ist länger geworden, als es ursprünglich sein sollte. Der Rückblick mit Brigitte und Ginger war eigentlich gar nicht geplant, diese Szene ist durch eine spontane Eingebung entstanden. Bis zum nächsten Kapitel Eure ~Gaya~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)