Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Prolog: Pure as New York snow ----------------------------- New York, im Januar 2000. Die Stadt erholte sich vom Trubel des Jahrtausendwechsels, der ja streng genommen noch nicht einmal einer gewesen war. Die Weltuntergangsstimmung war dahin, Nostradamus' Prophezeiungen hatten sich nicht erfüllt, sämtliche Hamsterkäufe waren umsonst getätigt worden und selbst der gefürchtete Y2K war verpufft wie eine fehlgeleitete Feuerwerksrakete. Das Leben ging weiter wie eh und je und die Stadt sah mit unendlicher Zuversicht in das neue Jahrtausend, ohne zu ahnen, welches Unheil schon in einem Jahr über sie hereinbrechen und den 11. September zu einem Datum machen würde, das sich unauslöschlich in das Gedächtnis der Welt einbrannte. Der Winter hatte die Ostküste fest im Griff und es schneite fast unaufhörlich in New York City. Chris öffnete die Tür zu seiner Wohnung und schüttelte die letzten weißen Flocken aus seinen klammen Haaren. "Komm rein." Er winkte den brünetten Mann zu sich, der im Flur wartete. Dieser betrat etwas unsicher das kleine Apartment. Es bestand nur aus einem ziemlich unaufgeräumten Zimmer und einem kleinen Badezimmer. Eine separate Küche gab es nicht, nur eine kleine Kochzeile die augenscheinlich nicht allzu häufig benutzt wurde. Überall lagen zerschlissene Klamotten verteilt und das Bett war auch nicht gemacht. Chris bemerkte den Blick seines Gastes. "Ist etwas?" "Nun..." Der junge Mann druckste herum. "Es ist, sagen wir mal, lauschig." Chris musste lachen. "Wenn es dir nicht passt können wir auch woanders hingehen, der Ort ist mir egal so lange wir ungestört sind." "Nein, nein! Ist schon in Ordnung." "Hast wohl Ansprüche, was?" "Nein!" beeilte er sich zu widersprechen. "Nein, hab ich nicht. Es ist wirklich okay. Ganz schön kalt draußen, was?" Chris zog seine Jacke aus. "Willst du mit mir übers Wetter reden?" "Hab ich was falsches gesagt?" Chris hängte die Jacke an einen Haken hinter der Tür. "Jason, richtig?" "Ja." "Also, Jason. Denk daran dass du mich pro Stunde bezahlst bevor du dir zuviel Zeit lässt." Jason lächelte etwas verlegen. "Hast du es eilig?" "Nein, keineswegs, aber die Kohle berechne ich dir ob wir nun vögeln oder nicht, ich könnte sonst längst einen anderen Freier haben. Aber so ist das wenigstens leicht verdientes Geld. Willst du was trinken?" "Danke, gern. Was hast du da?" Chris ging zur Kochzeile hinüber und öffnete den kleinen Kühlschrank, die Tür schwang in Jasons Richtung auf, so dass der blonde Mann für einen Moment bis zur Hüfte aus seinem Blickfeld verschwand. Chris schien etwas im Kühlschrank zu suchen, dann klappte er die Tür wieder zu. "Einen Moment, nicht weglaufen!" Er lief ins Badezimmer hinüber und kam nur Sekunden später mit einer Flasche billigen Schnaps wieder. "Ich frage mal nicht warum du die im Badezimmer hattest." "Das ist gut, frag einfach nicht." grinste Chris. Er drehte die Flasche auf und setzte sie einfach an. Nach einem kräftigen Schluck hielt er sie Jason hin. "Sorry, aber ich hab gerade keine sauberen Gläser. Meine Haushälterin hat heute frei!" Jason nahm die Flasche entgegen und trank ebenfalls einen Schluck. Er verzog das Gesicht. "Das Zeug ist ja widerlich!" "Aber es macht dich locker, du bist ja total nervös." "Bin ich nicht!" beteuerte Jason, in einem Ton der seine Worte Lüge strafte. Er schien das selbst zu merken und führte die Flasche noch einmal an den Mund. Der zweite Schluck schmeckte nicht besser als der erste. "Also, ich muss erst noch was klären, okay? Ich hab dir gesagt was ich verlange und das schließt das volle Programm ein, das heißt ich mache es dir auch mit dem Mund." Er beobachtete belustigt, wie Jason etwas rot wurde. "Aber es läuft nichts ohne Gummi. Wenn du auf gefährliche Aktionen stehst such dir einen anderen, nicht mit mir, okay?" Jason nickte nur. "Und wenn du Sonderwünsche hast dann kostet das extra." "Sonderwünsche?" Chris zuckte mit den Schultern. "Was weiß ich... wenn du willst das ich dich demütige oder so. Du weißt schon, diese lächerlichen Sklave - Herr Spielchen. Du kannst dir nicht vorstellen wie viele Pseudo-Ehemänner aus New Jersey sich unterdrücken lassen wollen." Jason nahm ohne zu antworten noch einen Schluck aus der Flasche und schüttelte nur den Kopf. "Keine Sonderwünsche..." "Na, zum Glück. Ich komme mir dabei immer so blöd vor. Also, was noch...? Ach ja, die einzige Körperflüssigkeit die ich dulde ist deine Wichse, okay?" "Was... meinst du damit?" Chris sah ihn verständnislos an. "Was schon? Ich mache so ein Zeug wie Golden Showers oder so nicht mit." "Golden Showers?" Jasons Stimme klang total verwirrt. Chris trat zu ihm und beugte sich zu ihm hoch. "Du bist süß, weißt du das? Total naiv." Er flüsterte in Jasons Ohr. "Ich lasse mich nicht anpinkeln und ich pinkle auch niemanden an, okay?" Jason riss die Augen auf. "Oh, mein Gott..." "Dann wäre das ja geklärt!" grinste Chris und ging wieder ein Stück zurück. "Und außerdem..." "Willst du mir jetzt den Todesstoß geben? Sollte ich mich besser hinsetzen?" "Schon gut, ich sage das nur zur Vorsicht, aber ich denke ich muss da bei dir keine Bedenken haben. Bei Schmerzen hört für mich der Spaß auf. Ich mache keine Sadomasospielchen, keine scharfen Gegenstände, keine Verletzungen, kein Blut, keine Quälerei. Okay?" Jason nickte. "Du hast echt harte Prinzipien." Chris stemmte die Hände in die Hüften. "Ich bin Stricher, kein Spielzeug mit dem man macht was man will." Jason hob die Hände und verschüttete dabei aus Versehen einen Schluck aus der Schnapsflasche. "Das war als Kompliment gemeint!" "Dann ist ja gut!" lachte Chris und nahm Jason die Flasche aus der Hand. "Ich glaube es ist genug, sonst kriegst du nachher keinen mehr hoch. Ich hab übrigens noch was vergessen." "Oh, bitte nicht..." Chris unterdrückte nur mühsam ein Lachen. "Ich lasse mich nicht fisten, solltest du das gemacht bekommen wollen bitte schön, aber ich verstehe einfach nicht was daran toll sein soll. Weißt du diesmal wovon ich rede?" "Nein und ich möchte es auch gar nicht wissen..." stöhnte Jason und setzte sich aufs Bett, weil es in der Wohnung sonst keine Möglichkeit gab um Platz zu nehmen. Das alte Gestell quietschte. Jason blickte Chris mit hochgezogener rechter Augenbraue an. Dieser zuckte erneut mit den Schultern. "Ich weiß, es ist nicht gerade leise, aber glaube mir das hat einen gewissen Charme." "Charme? Na wenn du meinst. Darf ich dich mal was fragen?" "Immer raus damit, ist selten dass ich Geld durch eine Fragestunde verdienen kann!" Jason deutete mit der Hand im Raum herum. "Reicht das was du verdienst gerade mal um so zu leben? Ich meine, du hast gerade mal billigen Fusel zum Trinken im Haus und dein Kühlschrank scheint auch nicht sonderlich gefüllt zu sein. Ich verstehe nicht, dass du nicht wenigstens ein bisschen besser lebst als so. Wohin fließt dein Geld? Hast du etwa einen Zuhälter, der dir alles abknöpft?" "Du guckst zu viele Filme, mein Süßer. Die meisten schwulen Stricher arbeiten auf eigene Faust, ich glaube es sind eher Nutten die unter ihren Zuhältern leiden. Ich weiß nicht ob ich einem naiven Engel wie dir sagen sollte wohin mein Geld geht, aber sollten wir doch noch miteinander schlafen siehst du es eh wenn ich mich ausziehe." Mit diesen Worten zog er mit einem Ruck den langen Ärmel seines alten Pullovers hoch. Jason sog die Luft ein. Die Armbeuge des blonden Mannes war vollkommen zerstochen. "Du fixt?" "Jep. Jetzt weißt du wohin meine Kohle geht, Heroin ist nicht billig, weißt du?" "Bist du etwa stolz darauf?" "Was soll dieser vorwurfsvolle Ton? Ich glaube nicht dass dich das was angeht. Weißt du, ich mache das hier nicht zum Spaß. Der Stoff ist das einzige, was mein Leben ein wenig erträglich macht und anders komme ich eben nicht an das Geld ran." Jason wusste nichts zu erwidern. Er war schockiert, dass jemand Drogen als das einzig positive in seinem Leben bezeichnete. "Jetzt bin ich dran mit einer Frage." wechselte Chris das Thema. "Was willst du wissen?" "Warum du hier bist. Ich meine sieh dich an! Schon durch die Jacke und deinen Pullover kann ich sehen, dass du gut gebaut bist. Du siehst fabelhaft aus. Wenn du Sex wolltest müsstest du nur in eine x-beliebige Schwulenkneipe gehen und durchsickern lassen, dass du Anschluss suchst, ich halte jede Wette, dass du innerhalb kürzester Zeit quasi an jedem Finger einen knackigen Kerl haben würdest, der sich darum reißen würde mit dir zu vögeln. Warum willst du dann dafür bezahlen?" "Nun... ich... weißt du..." druckste Jason herum. "Ich will eigentlich... nicht... es weiß keiner..." "Ach so!" unterbrach Chris seine Stotterei. "Du bist einer von der Sorte. Du bist ein Möchtegern-Hetero und hast Angst, dass dich jemand sieht der dich kennt. Hätte nicht gedacht, dass einer wie du so ist." "Berufsbedingt... zumindest größtenteils..." sagte Jason leise, er schien beschämt. "Was bist du denn von Beruf?" Jason blickte an ihm vorbei aus dem schmutzigen Fenster. Draußen tanzten Schneeflocken. "Ich bin ein Cop..." Chris sah ihn einen Moment lang an. "Verstehe. Und jetzt verschwinde!" Seine Stimme war eiskalt. "Warum?" fragte Jason verdutzt und erhob sich. "Dumme Frage! Du solltest wissen, dass das was ich tue illegal ist! Sowohl die Prostitution als auch der Drogenkonsum. Aber wenn du denkst, du könntest über mich vielleicht an meinen Dealer rankommen hast du dich geschnitten, ich..." "Ich bin nicht dienstlich hier, okay?" fiel ihm Jason ins Wort. "Das ist keine verdeckte Ermittlung, ich bin wirklich hier weil ich..." "Weil du ohne Verpflichtungen und heimlich einen Kerl ficken wolltest!" beendete Chris den Satz. "Wenn du es so ausdrücken willst..." "Dann bleib halt... aber ich hab keine Lust mich noch weiter von dir ausfragen zu lassen." "Hast du Angst, ich könnte etwas von dem was du sagst verwenden? Das wäre nur Hörensagen, ich habe keine Zeugen." "Mir egal. Entweder wir vögeln jetzt endlich oder du kannst gehen. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit." "Na gut..." sagte Jason kaum hörbar. Chris nickte und zog sich den Pullover über den Kopf. Ohne auf Jason zu achten öffnete er seine Schuhe und zog sie aus, danach entledigte er sich seiner alten Jeans, Unterwäsche trug er nicht. Ein Hauch von Röte legte sich auf die Wangen des brünetten Mannes, als Chris so nackt vor ihm stand. Der Strichjunge trat zu ihm. "Du darfst mich ruhig anfassen wenn du möchtest." Jason strecke etwas unsicher seine Hand aus und strich über Chris' Oberkörper. Der junge Mann war unglaublich dünn, jede einzelne seiner Rippen war zu erkennen und seine Beckenknochen standen deutlich hervor. Er hatte auf jeden Fall Untergewicht. "Isst du eigentlich etwas, so dünn wie du bist?" "Stört dich das?" "Ich hab doch nur gefragt..." "Manchmal reicht das Geld eben nicht für Essen und Stoff, dann muss eines eben zurückstehen, das weniger wichtige." Jason ließ diese Bemerkung lieber unkommentiert. In diesem Moment fiel sein Blick auf Chris' Schritt. Er hatte sich seine Schambehaarung größtenteils rasiert, aber das war es nicht was Jasons Aufmerksamkeit erregte. Es war das vernarbte Gewebe auf seinem Glied. Die Narbe war nicht groß aber trotzdem erkennbar und sah nach einer Verbrennung aus. "Was ist das?" Chris blickte nicht einmal herunter. "Nichts, was dich interessieren muss." "Wer hat dir das angetan?" "Es ist egal..." Doch Jason ließ nicht locker. "Quält dich jemand? Wenn dir jemand so etwas antut, dann..." "Lass jetzt hier nicht den Beschützer raushängen!" Chris wurde laut. "Es geht dich nichts an und es braucht dich nicht zu interessieren! Aber damit du endlich Ruhe gibst: Mich quält niemand! Das war mein Vater, okay? Seine Art zu zeigen was er davon hält, dass sein Sohn eine Schwuchtel ist! Der Sack lebt in Dallas, wenn er nicht schon längst krepiert ist, was ich nur hoffen kann! Ich habe ihn nicht mehr gesehen seit ich sechzehn war. Also lass den Beschützer stecken, ja?" "Entschuldige..." Jason fiel nichts ein was er erwidern konnte. Dieser junge Mann weckte gleichzeitig sein Interesse und sein Mitleid. Und trotz seiner abgebrühten Haltung auch seine Begierde. Er hatte so etwas zerbrechliches. Und es lag etwas in seinen Augen, das Jason nicht genau definieren konnte, das ihn aber unheimlich faszinierte. Er leistete keinen Widerstand als Chris seine Hände unter seinen Pullover schob und den jungen Polizisten davon befreite. Weil es verdammt kalt draußen war, trug Jason ein enges, schwarzes Unterhemd. "Meine Fresse..." Chris' Finger glitten über Jasons Brust unter dem dunklen Stoff und dann seinen Bauch hinab. "Was ist?" "Du bist hart wie ein Felsen. Ich glaube ich hab noch nie so sexy Muskeln gesehen. Treibst du Sport?" "Fitnessstudio, ab und an jogge ich, früher hab ich Football gespielt." "Mann..." Mit einer Faszination, die an ein Kind erinnerte, dass ein lang ersehntes Weihnachtsgeschenk auspackte, zog Chris Jason das Unterhemd über den Kopf. Er fing an Jasons Brust mit Küssen zu bedecken und zärtlich an den dessen Brustwarzen zu knabbern, während er beinahe beiläufig mit geschickten Fingern seine Hose öffnete. Jason entfuhr ein leichtes Stöhnen als Chris Hand in seinem offen stehenden Hosenbund verschwand und in seine Shorts glitt. Chris fing an ihn zu massieren. "Gefällt dir das?" "Ja..." "Dann ist ja gut!" grinste der blonde Mann und drängte Jason langsam in Richtung des Bettes. Ohne viel Zeit zu verlieren half er Jason aus seinen Schuhen und der Hose, in der Shorts des Polizisten zeigte sich eine unübersehbare Beule. Sanft drückte Chris Jason aufs Bett und beugte sich über ihn. "Was hast du?" "Hm?" Chris lächelte. "Du liegst da wie ein Brett. Warum bist du so angespannt?" "Ich hab... noch nie..." Chris' Augen wurden groß. "Sag mir nicht, dass das dein erstes Mal ist. Du meinst doch wohl hoffentlich nur dein erstes Mal mit einem Stricher." Jason schüttelte den Kopf. "Ich hab einmal... aber da war ich stockbesoffen und ich glaube nicht, dass es zum letzten gekommen ist... ich kann mich nicht genau erinnern..." "Süßer, wie alt bist du?" "Im September werde ich sechsundzwanzig." "Holy shit, mit fast sechsundzwanzig noch Jungfrau?!" Jason lief rot an. "Es hat sich halt nie ergeben. Ich hatte ein Mädchen auf der Schule, aber mit einem Mann... wie gesagt, nur das eine mal... volltrunken..." "Du suchst dir einen Stricher für dein erstes Mal? Süßer, ist das die Erinnerung die du dir wünscht?" "Ich..." Chris schloss die Augen und atmete tief durch. "Ich muss verrückt sein. Pass auf, ich tu jetzt etwas was ich normalerweise für einen Freier niemals tun würde, okay?" Bevor Jason antworten konnte versiegelte er seine Lippen mit einem zärtlichen Kuss. Scheinbar unendlich lang umspielten sich ihre Zungen, Jasons Hände umfassten Chris Hinterkopf und hielten ihn bei sich. Als sie sich voneinander lösten, lächelte Chris den verdutzten Polizisten an. "Du küsst gut." "Tu ich das... ich meine... danke... warum hast du eben gesagt, dass du so etwas niemals tun würdest?" "Weil ich nie Freier küsse, ich ekele mich davor. Aber bei dir hatte ich das Gefühl es zu können. Du bist so niedlich und unschuldig. Du bist so rein wie frisch gefallener New Yorker Schnee." Er strich Jason sanft über die Wange. "Du hast eine Unschuld an dir, die ich schon lange verloren habe..." "Das ist das Schönste, was mir jemals jemand gesagt hat..." Chris küsste ihn noch einmal sanft, nur auf die Lippen. "Entspann dich und lass mich machen..." Er fing wieder an Jasons Oberkörper mit Küssen zu bedecken, während Jason schüchtern seine Hand über den schlanken Rücken des blonden Mannes gleiten ließ. Chris Kopf näherte sich immer weiter seiner Körpermitte. Schließlich gab er Jason durch leichtes Ziehen am Bund der Shorts ein Zeichen, sein Becken etwas anzuheben damit er ihn von seinem letzten Kleidungsstück befreien konnte. Chris flüsterte etwas, das Jason nicht genau verstand, was aber wie "Strammer Bursche" klang. Jason schloss die Augen und gab sich ganz dem Moment hin, einem Augenblick der sein Leben verändern sollte... Jason stieg in seine Hose, als Chris mit einem Handtuch um den Kopf aus dem Badezimmer kam. Ein anderes hatte er um die Hüften gebunden. Jason war glücklich. Es war ein kurzes aber wundervolles Erlebnis gewesen. Und nicht nur das, Chris war etwas geschehen was ihm nach eigenen Angaben sonst so gut wie nie passierte. Er war gekommen, trotz der Abstumpfung die sein Beruf mit sich brachte. Und zwar überall auf Jason, weswegen Chris ihm eine Dusche angeboten hatte. "Gehst du?" Jason nickte. "Ich hab gedacht, du willst mich loswerden." "Wir haben gerade zusammen geduscht, ist das ein Befehl für dich zu gehen?" "Na ja... ich muss eh noch wissen was ich dir schulde." Chris seufzte und zog das Handtuch von seinen Haaren. "Nun... ich will... ich glaube ich will kein Geld von dir..." "Warum?" fragte Jason verblüfft. "Du warst doch vorhin so versessen aufs Geld." Chris blickte zu Boden. "Ich fühl mich nicht gut dabei... ich meine... ich hab das vorhin... wirklich genossen... und ich fühle mich komisch dafür Geld zu nehmen... wo es doch auch quasi dein erstes Mal war." "Meinst du das ernst?" "Ich fürchte ja... und ich würde dir auch nichts berechnen, wenn du noch etwas bleiben würdest..." Er spielte etwas geistesabwesend mit einer Haarsträhne. "Autsch, das war aber ein heftiger Schlag mit dem Zaunpfahl." "Offenbar hast du deine Schüchternheit verloren, was? Was ein Orgasmus so bewirken kann." "Vielleicht war es auch deine Art mich einzuseifen." "Wow, das war ja jetzt ein richtig toller Wortwechsel, du bist schlagfertig." "Manchmal. Hast du Hunger?" Chris sah ihn überrascht an. "Ja, aber ich habe nichts im Haus." "Ich bestelle uns Pizza. Wenn du schon kein Geld willst." "Gern!" lächelte Chris. Ein Geräusch weckte Jason. Für einen Moment wusste er nicht wo er war, dann kam die Erinnerung wieder. Er sah sich um. In der kleinen Wohnung war es dunkel. Draußen fiel immer noch Schnee im Licht der Straßenlaternen. Er war allein im Raum. Aber wo war das Geräusch hergekommen, das ihn geweckt hatte? Und wo war Chris? Er stand auf. Bis auf seine Shorts war er unbekleidet. Das letzte woran er sich erinnerte, war das er Chris im Arm gehabt hatte. Und darüber musste er eingeschlafen sein. Er fühlte sich ein bisschen merkwürdig. Er hatte sich einen Stricher gesucht weil er so unpersönlich wie möglich Sex haben wollte. Und jetzt hatte er sich einen ganzen Abend lang mit eben diesem unterhalten und war dann sogar noch hier eingeschlafen. Aber dieser junge Mann hatte etwas. So kühl und arrogant er am Anfang gewirkt hatte, so verletzlich und lieb war er je näher man ihm kam. Jason hatte schnell bemerkt, dass Chris sich hinter einer Mauer verschanzte, ebenso wie er das die meiste Zeit tat. Nur das Chris damit nicht seine Homosexualität versteckte, sondern sein Bedürfnis nach Nähe. Und Jason musste zugeben, dass er die Nähe dieses jungen Mannes genoss. Er war ein Junkie und er verkaufte sich, aber es war etwas an ihm das Jason faszinierte und anzog. "Chris?" Er bekam keine Antwort. Aber in diesem Moment schepperte es im Badezimmer. Jason folgte dem Geräusch und öffnete die Tür. In dem kleinen Bad brannte Licht. Chris saß nackt auf dem Boden, halb auf die Toilette gestützt. Eine Flasche war umgefallen, das war das Geräusch gewesen, das Jason gehört hatte. "Bist du hingefallen?" "Nein!" lachte Chris. "Ich bin... doch ich bin hingefallen, bin nur umgeknickt." "Hast du dir weh getan?" "Nein! Alles okay." Jason wollte auf ihn zu gehen, doch in diesem Moment fiel sein Blick auf etwas, auf das er fast getreten wäre. Er bückte sich und hob es auf. Eine Spritze. Jason warf sie ins Waschbecken. Er ging zu Chris hinüber und half ihm auf. Die Augen des blonden Mannes waren vollkommen verklärt, seine Pupillen geweitet. Er kicherte. "Mein Retter." "Du hättest dir auch gut was brechen können." "Ne... Ich bin ja sicher auf den Beinen!" Sprach es und stolperte. Jason fing ihn auf und hob ihn hoch. "Du bist aber stark!" kicherte Chris "Du wiegst ja auch so gut wie gar nichts." Jason trug ihn hinüber ins andere Zimmer und legte ihn aufs Bett. Chris rollte sich zusammen, er kicherte immer noch. Jason setzte sich neben ihn aufs Bett und deckte ihn zu. "Kommst du zu mir?" Jason musste unwillkürlich lächeln. Chris öffnete die Augen und blinzelte. Draußen war es hell und immer noch tanzten Schneeflocken durch die Luft. Er drehte sich auf den Rücken und blickte zur Decke. Langsam kam die Erinnerung an die letzte Nacht wieder. Er hatte Jason schlafen lassen und sich im Badezimmer... Er rieb sich durch die Augen. Er hatte wirklich versucht es nicht zu tun, obwohl er selbst nicht genau wusste warum. Er hatte Jason nicht zumuten wollen ihn auf einem Trip zu erleben. Aber er hatte sich dann doch nicht zusammenreißen können. Danach verschwamm die Erinnerung rapide, wie meistens wenn er auf Drogen war. Aber das Gefühl war befreiend, jedes mal wieder aufs neue. Er genoss es alles vergessen zu können und einfach frei zu sein. Er wusste genau, dass die Drogen ihn kaputt machten, langsam aber sicher. Aber er konnte trotzdem nicht davon lassen. Er sah sich um. Allein. Er war allein. Jason war nicht mehr da. Aber was hatte er auch erwartet? Das ein Mann wie er seine ganze Nacht bei einem Stricher verbringen würde? Warum nahm ihn das so mit? Dieser Kerl war nur ein Freier gewesen, nichts anderes. "Auch wenn ich kein Geld von ihm verlangt habe... ich Idiot" bestätigte sich Chris laut selbst. Seine Stimme klang kratzig. Und trotzdem war das Erlebnis etwas besonderes gewesen... irgendwie. Es klopfte. Chris reagierte nicht. Er hatte keine Lust jemanden zu sehen, wahrscheinlich war es eh nur einer der anderen Stricher der ihn um Geld oder Stoff anpumpen wollte. Es klopfte weiter. Chris stöhnte. Widerstrebend schwang er die Beine aus dem Bett und ging nackt wie er war zur Tür. "Ja, was ist denn?!" motzte er, während er die Tür öffnete. Im nächsten Moment erstarrte er. Vor ihm stand Jason, mit einer Tüte und einer Thermoskanne in der Hand. "Lust auf Frühstück? Ich hab Donuts mitgebracht. Darf ich reinkommen?" Chris konnte nicht antworten. Er öffnete einfach nur die Tür weiter und ließ Jason hinein. Und in diesem Augenblick wusste er, dass dieser Mann nicht einfach nur ein weiterer Freier war sondern mehr, viel mehr... aber wieviel mehr sollte sich erst Jahre später herausstellen... in San Francisco... Kapitel 1: Just another manic monday? ------------------------------------- Mit einem knackenden Geräusch schaltete sich der Radiowecker ein. "Guten Morgen, San Francisco! Hier ist WKFM Bay Radio und das sind die Bangles mit "Manic Monday" um euch Schlafmützen da draußen, das Aufstehen an diesem herrlichen Sommertag zu erleichtern, selbst wenn heute Montag ist!" Jason stieß im Halbschlaf eine Art Grunzen aus und vergrub seinen Kopf in den Kissen. "Six o'clock already I was just in the middle of a dream I was kissin' Valentino By a crystal blue Italian stream But I can't be late 'Cause then I guess I just won't get paid These are the days When you wish your bed was already made" Die Stimme der Sängerin drang unerbittlich in Jasons Gehörgänge und bahnte sich ihren Weg zu seinem Gehirn. Mit Schlafen war es wohl vorbei. Mit einer entnervten Bewegung schlug der verschlafene Mann nach seinem Wecker, in der Hoffnung dem eigentlich sehr guten Song per Sleep-Taste den Wind aus den Segeln zu nehmen. Leider verfehlte er den Wecker und traf stattdessen das Glas mit abgestandenem Mineralwasser, das daraufhin auf dem Boden landete und seinen Inhalt langsam im Teppich versickern ließ. "Fuck..." meckerte Jason in die Kissen und schwang seine Beine aus dem Bett. "Have to catch an early train Have to be to work by nine And if I had an air-o-plane I still couldn't make it on time" Jason kratzte sich am Hinterkopf und blinzelte in Richtung des Radioweckers, aus dem gerade diese Strophe des Bangles Klassikers erklang. "Fuck!" entwich es ihm wieder, diesmal beim Anblick der Uhrzeit. Schon so spät! Er sprang aus seinem Bett, riss eine Boxershorts, eine Jeans und ein weißes Shirt aus dem großen Kleiderschrank daneben und stürmte die Treppe die in sein Wohnzimmer hinabführte herunter, immer drei Stufen auf einmal nehmend. Unten kam er schlitternd auf dem Parkett zum Stehen und langte nach der Fernbedienung auf seinem Couchtisch. Einen Knopfdruck später glitten die Vorhänge vor dem großen Panoramafenster zur Seite und gaben den Blick auf die Hochhäuser der Innenstadt in einiger Entfernung und die noch weiter entfernte Bay frei, die noch in den Morgennebel gehüllt war und den Eindruck erweckte, die Golden Gate Bridge führe direkt in die Wolken. Der Himmel war strahlend blau und besonders die Trans-America Pyramid mit ihren weißen Außenwänden und der spitz zusammenlaufenden, absolut Erbebensicheren (in San Francisco sehr von Vorteil) Bauweise bot einen imposanten Anblick in der Morgensonne. Für all das hatte Jason allerdings kein Auge. Er drückte noch schnell auf den Startknopf seines Laptops, eilte dann ins Bad, befreite sich eilig aus seiner Boxershorts die er im Bett getragen hatte und drehte schon mal die Dusche an, bevor er den Toilettendeckel hochklappte und sich des Drucks seiner Blase entledigte. Wirklich erleichtert betrat er die Duschkabine und genoss für einige Zeit das heiße Wasser, dass über seinen Körper prasselte, bevor er sich einschäumte. Da er allein wohnte, machte er sich nicht die Mühe, sich nach dem Abtrocknen ein Handtuch um die Hüften zu schlingen und stellte sich nackt vor den Spiegel am Waschbecken, um sich zu rasieren. Mit der Zahnbürste im Mund zog er daraufhin die frischen Boxershorts und seine Jeans an. Nach dem Mundausspülen und einer Ladung eines dieser angeblich unwiderstehlich machenden Deos unter die Achseln folgte dann das Shirt, seine Uhr und ein Lederarmband, die auf der Ablage unter dem Spiegel lagen, vervollständigten das Bild schließlich. Er hielt kurz den Fön auf seine Haare, die allerdings eh schon beinahe trocken waren. "Gelobt sei der Kurzhaarschnitt!" grinste er sein Spiegelbild an, schnappte sich die Dose mit dem Haargel und knetete seine Frisur in Form. Fertig. Er betrachtete das Ergebnis im Spiegel. Für die eilige Morgentoilette war es eigentlich ganz in Ordnung. Aus der reflektierenden Oberfläche blickte ihn ein gutaussehender Mann von fast dreißig Jahren an, mit modisch zerzaustem haselnussbraunem Haar über einem kantigen Gesicht und mittlerweile wachen olivgrünen Augen. Die Bluejeans im Röhrenschnitt betonte seine kräftigen, langen Beine und die schmalen Hüften, unter dem weißen Shirt zeichnete sich der muskulöse Oberkörper ab. Er schob noch einen silbernen, breiten Ring mit geschwärzten aztekischen Zeichen an seinen rechten Mittelfinger, sein Glücksbringer. Für ein Frühstück war keine Zeit mehr, allerdings wollte er noch schnell seine E-Mails abrufen. Er ging, etwas ruhiger als zuvor, zu seiner Couch hinüber und ließ sich vor seinem Laptop nieder. Ein paar Klicke später fuhr sich AOL hoch und die freundliche Frauenstimme, deren Besitzerin Jason zu gern mal gesehen hätte, verkündete nach einem "Welcome" in ihrem stets netten Ton "You've got mail!". Jason klickte auf den E-Mail Ordner und betrachtete den Inhalt seines virtuellen Briefkastens. "Buy viagra to cheapest price" war der Betreff einer Mail, "Wanna see Vicky in front of her webcam?" ein anderer, "SEX!" setzten dem ganzen dann die Krone auf. Jason seufzte, er würde sich unbedingt einen Spamfilter zulegen müssen, dass war ja nicht zum Aushalten! Entschlossen drückte er mehrmals die "Löschen" Taste und hätte dabei um ein Haar die einzige Mail gelöscht, die sich nicht um Viagra, Webcams oder Sex drehte, mit absoluter Sicherheit. Der Absender war Emily Cunningham, seine Mutter! Jason lächelte und öffnete die Mail. Der Text war keine Überraschung. Seine Mum machte sich wie immer Gedanken, dass er ordentlich aß, genug Sport trieb (als müsste sie sich da bei mir Gedanken machen, hakte Jason diesen Punkt im Kopf ab) und ob er endlich ein nettes Mädchen kennen gelernt hätte, wenn ja, müsste er unbedingt mal mit ihr nach New York zu Besuch kommen. Und natürlich sollte er auf der Arbeit vorsichtig sein. Jason verdrehte die Augen. Die Leier mit dem netten Mädchen hing ihm gehörig zum Hals raus, aber so war seine Mutter nun mal. Emily Cunningham entstammte einer angesehenen, reichen Familie von der Upper Eastside. In ihrer Welt war es für ein Mädchen noch das höchste Glück, einen guten Mann zu finden und zu heiraten. Ihr guter Mann war Jeffrey Cunningham gewesen, der abgesehen von seinem ungebrochenen Ehrgeiz wirklich ein perfekter Mann war, wie Jason fand. Er war liebevoll, treu und fürsorglich und sah für sein Alter noch sehr gut aus (auch wenn Jason bereits mit Grauen befürchtete, womöglich wie sein Vater mit 30 schon graue Schläfen zu bekommen!). Jeffrey hatte seinem Sohn immer vorgelebt, wie eine ordentliche Karriere auszusehen hatte. Er hatte sich vom einfachen Polizisten mittlerweile zum New Yorker Polizeipräsidenten hochgearbeitet, wenn auch nicht vollkommen ohne die Hilfe von Emilys einflussreichen Vater, einem hohen Tier in der Politik, der seinen Schwiegersohn über alle Maßen schätzte. Kurzum, seine Familie war perfekt. Na ja, fast, denn schließlich war seine Mutter früher vor Sorge um seinen Vater fast gestorben und jetzt war er an der Reihe. Sein Vater hatte mit dem aktiven Dienst nicht mehr viel zu tun, aber als Detective, Jasons momentaner Rang in der Hierarchie, konnte einem noch einiges passieren. Bling! Jason verkleinerte das Fenster mit der Mail seiner Mutter. Er hatte ein Telegramm bekommen. "Sexy-G hat Ihnen ein Telegramm geschickt, möchten Sie es annehmen?" stand auf dem Bildschirm. Jason schmunzelte, was man auf den ersten Blick für einen der typischen leicht perversen Idioten halten konnte, die einen ansprachen um mal anzufragen, ob man sich nicht vor der Webcam ausziehen (oder auch mehr) wollte, war in Wirklichkeit sein jüngerer Bruder Gary. Gary war ein Unfall seiner Eltern gewesen, die beiden Brüder trennten satte elf Jahre, Gary war neunzehn und ging dem Abschluss der Highschool entgegen. Jason nahm das Telegramm an. "Hi, J.R., noch nicht auf der Arbeit? ;-p" Jason knurrte. Sein Bruder liebte es, ihn J.R. zu nennen, als Abkürzung für Jason und seinen zweiten Vornamen Robert. Gary war zu jung um selbst die Ära von "Dallas" mitgemacht zu haben, aber er hatte mittlerweile seinen Wissenstand erweitert und wusste, dass J.R. Ewing das obergemeine Arschloch des Ewing Clans gewesen war, um den sich die auf der ganzen Welt erfolgreiche Serie gedreht hatte. Jason hatte die Serie immer mit seiner Mum angesehen und J.R. aufs tiefste gehasst, für all das was er seinem Bruder Bobby, dessen armer Frau Pamela und vor allem seiner bemitleidenswerten Frau Sue Ellen angetan hatte. Gary wusste das durchaus. "Hi, Gary, noch nicht betrunken? ;-p" konterte Jason. Zum Leidwesen seines Bruders stammte der Name Gary auch aus der Serie "Dallas" und dessen Spin-off "Knots Landing", seine Mutter war eine glühende Verehrerin beider Serien und hatte ihren zweiten Sohn unbedingt John Ross nennen wollen. Da ihr Mann aber dagegen war, war sie glücklich, ihm wenigstens den weniger verfänglichen Namen Gary geben zu dürfen, obwohl sein Serien-Pendant, der dritte Ewing Sohn, ein Alkoholiker war. Aber in Garys Generation kannten eh die wenigsten noch "Dallas" oder "Knots Landing", Serien wie "Charmed" (die wie Jason zugeben musste gar nicht mal so übel war) oder so unsägliche Sachen wie MTVs "Jackass" hatten deren Platz im Herzen der Jugendlichen eingenommen. "Touché! *g*" kam es von der anderen Seite der Staaten. "Jetzt mal im Ernst, Bruderherz, warum bist du nicht in der Schule?" "Ich hab Ferien, außerdem kommt Jessica gleich und wir wollen ein bisschen bei ihr abhängen!" "Abhängen?" "Ja, du weißt schon! Relaxen! Chillen! *g*" "Weiß Mum, dass ihr "chillen" geht?" "Wenn du ihr nichts sagst, sag ich auch nichts!" So kannte Jason seinen Bruder. Er musste lachen. Doch da erschien auch schon die nächste Nachricht auf dem Screen. "Sag mal, wenn ich die Zeit so sehe und richtig rechne, wird es für dich verdammt knapp!" Jason blickte erschrocken auf die Uhr und musste seinem Bruder recht geben. Schnell tippte er eine Abschiedsnachricht. "Fuck, du hast Recht! ;-) Aber die Zeit reicht noch, bin dann mal weg! Und grüß mal deine Jessica von deinem großen Bruder und sag ihr, sie soll aufpassen mit wem sie sich so abgibt! *ggg* Und Gary?" "Ja?" "Vergiss beim Chillen das Gummi nicht, ja? ;-)" "Verstanden! Bye!" und einer dieser von der einen Ecke zur anderen grinsenden AOL-Smileys war die Antwort. "Bye!" tippte Jason noch und setzte den Smiley mit dem Heiligenschein hintendran. Dann klappte er den Laptop zu, zog so schnell er konnte seine Schuhe an, entschied sich beim Blick nach draußen gegen seine Lederjacke und verließ die Wohnung, allerdings nicht ohne den Schlüssel im Schloss zu drehen, man konnte ja nie wissen. Ein paar Sekunden später wurde die Tür wieder aufgeschlossen, Jason sprintete zu seinem Bett hinauf und schaltete den Radiowecker aus, der mittlerweile einen Song von Bryan Adams von sich gab und schüttete auf dem Weg hinaus eine Handvoll Futter in sein großes Aquarium, beides hätte er in der Eile beinahe vergessen! Kurzentschlossen bog Jason kurz darauf mit seinem Wagen zum Drive-in Schalter der nahegelegenen McDonald's Filiale ein und gab damit seinem knurrenden Bauch nach. Er hielt vor dem Lautsprecher, aus denen man immer die Verkäufer am anderen Ende so gut verstehen konnte. "Ihre Bestellung, bitte!" krächzte es aus dem Gitter, sogar ausnahmsweise recht gut verständlich. Jason lehnte sich zum Lautsprecher hinüber. "Einen Bagle mit Sauerrahm und einen Kaffee, bitte!" "Fahren Sie zum Ausgabeschalter weiter!" krähte es zurück. Die Freundlichkeit in Person! dachte sich der junge Mann, ließ dann aber den Motor an und fuhr langsam zum Fenster des Schalters weiter. Ein junges Mädchen, sicher noch keine zwanzig, mit einer modischen Brille mit schmalen Gläsern und einem blonden Pferdeschwanz erschien mit einer kleinen Tüte und einem Becher in der Hand. Ihr mürrischer Gesichtsausdruck offenbarte, dass sie ihren Job wohl sehr liebte. Als sie jedoch sah, wer da im Auto saß, hellte sich ihre Miene deutlich auf. "Detective Cunningham! Schön Sie zu sehen! Wie geht es Ihnen?" Jason lächelte, er war eindeutig zu oft hier. "Mir geht es gut, Beverly, und dir?" "Oh, sehr gut, jetzt auf jeden Fall! Brit, Sam und ich haben uns schon Sorgen um Sie gemacht." Brit und Sam, das waren Brittany und Samantha, Beverlys Freundinnen. Jason war so etwas wie ihr Idol, er spürte jedes mal deutlich, wie sehr die Mädels ihn anhimmelten. "Kann ich sonst noch was für Sie tun, Detective?" riss ihn Beverly aus seinen Gedanken. Ihr Tonfall und die Art wie sie "Detective" aussprach verrieten klar, dass sie gern noch viel mehr für Jason tun würde, als ihm nur das Essen zu reichen. "Danke, das war alles!" lächelte Jason. "Das macht dann 4,50$, Detective!" säuselte Beverly. Jason reichte ihr einen Fünfdollarschein und winkte ab, als sie ihm Wechselgeld geben wollte. "Ist nicht viel, aber sieh es als Trinkgeld weil du immer so lieb bist!" Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und sie schmolz offensichtlich beinahe an ihrer Kasse zusammen. "Ei... einen schönen Tag, Detective Cunningham!" brachte sie hervor. "Dir auch, Beverly!" Damit gab Jason Gas und fuhr weiter. Er grinste. Diese Mädchen waren einfach niedlich und mit ihnen zu flirten gehörte schon sozusagen zu seinem Ritual wenn er sein Frühstück wie so oft bei McDonald's holte. Er fuhr weiter und nippte an jeder Ampel an seinem Kaffee, der wie er leider feststellen musste, frappierende Ähnlichkeit mit Spülwasser aufwies. Der Bagle lag immer noch unangetastet auf dem Beifahrersitz, aber Jason war sich seiner Vorbildfunktion bewusst. Während der Fahrt zu essen konnte gefährlich werden und wenn selbst Cops es tun, wie sollte man dann die Leute davon überzeugen, es zu lassen? Schließlich verließ er die Market Street und wechselt auf die Van Ness Avenue Richtung Downtown. Die lange Straße führt einmal quer durch die hüglige Stadt und strebte mal mit stärkerem Gefälle, mal weniger stark, immer in Richtung Fisherman's Wharf und Aquatic Park, zwei der größten Touristenfallen an der Küste der Stadt, aber gleichzeitig auch einer der schönsten Orte die Jason sich in seiner Stadt denken konnte. Meine Stadt...dachte Jason verträumt. Ja, San Francisco war seine Stadt. Sie war immer nett zu ihm gewesen. Das Wetter war herrlich, die Leute freundlich. Seine Erinnerungen an das verstopfte und dreckige New York verblassten immer mehr, obwohl er dort seine ganze Jugend verbracht hatte, verspürt er nicht die geringste Lust die wundervolle Küstenstadt wieder zu verlassen um in den Moloch von New York zurückzukehren. Er liebte den atemberaubenden Blick auf die Bay und Alcatraz Island, den man von der Van Ness Avenue genießen konnte, allerdings war die Gefängnisinsel momentan noch in dickem Nebel verpackt. Aus dem Autoradio erklangen die ersten Töne von "The promise you made", einem Song aus den 80ern, gesungen von Cock Robin. Der Sänger wollte gerade mit dem Text ansetzen, als Jason abrupt den Sender wechselte. Er brauchte dieses Lied nicht zu hören, zu viele Erinnerungen hingen daran, die er lieber vergessen wollte. Auf dem neuen Sender war gerade "Toxic" von Britney Spears halb gespielt, damit konnte er leben. Eine Ampel schaltete auf rot und Jason nutzte die Chance, schnell seinen Bagle auszupacken und genüsslich hineinzubeißen. Wenn der Kaffee schon furchtbar war, so schmeckte wenigstens der Bagle, stellte er erfreut fest. Die Rotphase hielt länger an und einige Leute überquerten die Straße. Unter ihnen ein hünenhafter Bodybuilder mit freiem Oberkörper und knallengen Hotpants, der Rollerskats lief und dabei einen Pudel Gassi führte. Als er an Jasons Auto, das ganz vorn an der Ampel stand, vorbeikam, entdeckte er den jungen Mann im Wagen und zwinkerte ihm zu. Jason grinste. Ja, auch das war San Francisco! Es wurde grün und Jason setzte seinen Weg fort. Er überholte ein Cable Car, das ratternd an einem unterirdischen Seilzug in gemächlichem Tempo von ca. 10 km/h dem Hafen entgegen zockelte. Wie immer war das heimliche Wahrzeichen der Stadt mit Touristen vollgestopft die den Blick über die Stadt genossen. Auf Höhe der berühmten Lombard Street wechselte Jason die Spur und bog in eine der kleineren Straßen der Innenstadt Richtung Columbus Avenue ab. Dadurch das die Innenstadt in Quadraten angelegt war, konnte man sich hier eigentlich überhaupt nicht verirren. Ausnahmsweise war er froh, eine rote Welle erwischt zu haben, so hatte er wenigstens seinen Bagle aufgegessen, bis er das eher unscheinbare Hauptquartier des San Francisco Bay Police Departments erreichte. Jason grüßte den Pförtner und fuhr dann in die Tiefgarage hinab um den Aufzug ins Gebäude zu benutzen. Ein weiterer Arbeitstag konnte beginnen. Jedes mal wenn er durch die Türen in die Halle des Departments trat, glaubte Jason in einem Bienestock gelandet zu sein. Der Geräuschpegel aus Telefonklingeln, PC-Tastaturen und Gesprächen war enorm, überall wuselten Polizisten verschiedenster Dienstgrade durcheinander. Alle grüßten ihn freundlich, Jason gehört mit seiner offenen und netten Art eindeutig zu den beliebtesten beim Department. Er war erst vor kurzem zum Detective aufgestiegen. Obwohl es seiner Mutter überhaupt nicht gefiel, hatte sich Jason die Arbeit bei der Mordkommission ausgesucht und sein erster Fall als Detective hatte es gleich in sich. "Da bist du ja endlich, Mann! Mein Gott, ich dachte schon, du bequemst deinen Arsch heute gar nicht mehr hierher!" Die unüberhörbare Stimme gehörte Randolph Forbes, kurz Randy genannt, Jasons Partner. Er bot mit seinen 1,90m und 90 Kilo purer Muskulatur ein imposantes Bild, dass von seinem kernigen Gesicht und dem militärischen Haarschnitt vervollständigt wurde. Randys tiefe Stimme ging einem durch Mark und Bein wenn er laut wurde. Jason mochte Randy, obwohl dieser eigentlich das genaue Gegenteil von ihm war. Wo Jason höflich und ruhig war, war Randy ordinär und laut. Er trug unter den Kollegen den Spitznamen "der Hengst", weil er sich neben beruflichen Erfolgen vor allem mit einer schier unendlichen Liste an Frauen schmückte, die er "zugeritten" hatte, wie er es so gern ausdrückte. Auf den ersten Blick war er ein furchtbarer Macho, aber wenn man ihn näher kannte, fand zumindest Jason, war er ganz in Ordnung. Randy hatte ihn erreicht und wedelt heftig mit einer Mappe. "Guten Morgen, Randy!" begrüßte ihn Jason. "Morgen schon, aber ob der gut wird ist die Frage!" entgegnete Randy in seiner typischen brüsken Art, "Wir haben wieder einen Neuen! Üble Sache!" Mit diesen Worten knallte er Jason die Mappe regelrecht in die Hand. Der junge Polizist öffnete sie und bereute fast, den Bagle gegessen zu haben. Die Fotos in der Mappe zeigten ein widerliches Blutbad. Ein sehr junger Mann, höchstens achtzehn, lag in einem Hinterhof, nackt und über und über mit Blut besudelt. Tiefe Schnitte klafften in seinem Bauch, seinen Genitalien und dem gesamten Oberkörper, die tiefste Wunde gab Einblick in seine Kehle. Jason sog die Luft ein und atmete dann tief durch, bevor er die Mappe wieder zuschlug. "Wo?" "Unten im Industriehafen!" antwortete Randy. "Der hat da ein regelrechtes Schlachtfest veranstaltet." "Wieder der gleiche Täter?" "Alles weißt darauf hin, selbe Brutalität bei der Ausführung, wieder mit einem großen Jagdmesser und das Opfer ist wieder so eine schwule Bordsteinschwalbe!" Jason seufzte. Der Fall wurde immer schlimmer. In den letzten Wochen waren mehrere Stricher auf brutalste Weise ermordet worden und immer noch gab es keinen Hinweis auf den Täter. Zwar war Prostitution, egal ob hetero- oder homosexuell, streng verboten, aber es war ein offenes Geheimnis das dieses Gesetz an allen Ecken und Enden gebrochen wurde. Die Kehrseite seiner Stadt, sozusagen. "Aber diesmal ist etwas anders und das ist der Knackpunkt, Mann!" unterbrach Randy seine Überlegungen. "Was denn?" "Wir haben einen Zeugen!" Jason riss die Augen auf. "Nicht dein Ernst!" Randy nickte. "Doch, da war noch so eine Schwulette und der hat alles gesehen. Er hat davon zwar nichts gesagt, weil er offenbar weiß, dass es illegal ist, aber ich denke der ist genauso einer der seinen Arsch für Geld hinhält wie der Typ den es erwischt hat!" "Randy?" "Hm?" "Tu mir einen Gefallen!" seufzte Jason, "Spar dir Ausdrücke wie "Schwulette", "Arschficker" oder "Schwuchtel", ja? Man könnte sonst auf den Gedanken kommen, die Polizei sei intolerant und das stimmt ja wohl nicht, oder?" Er grinste. "Und außerdem ist dieser Mann wahrscheinlich der entscheidende Vorstoß in den Ermittlungen, ein Augenzeuge war das beste was uns passieren konnte!" "Ist ja gut..." Randy verdrehte die Augen, riss sich aber wohl zusammen. "Also, die Schwuch... ich meine der Zeuge, hat den Mord beobachtet und den Täter gesehen, leider gilt das auch umgekehrt. Er hat es aber geschafft, zu entkommen. Wir haben seine Aussage und er hat auch schon unserem Phantombildzeichner den Mann beschrieben, hier." Randy zog ein Bild aus der Mappe und hielt es Jason unter die Nase. Ein Mann, der unscheinbarer nicht sein könnte war darauf zu sehen. Schmales Gesicht, eine unmoderne Brille, schütteres Haar. "Das soll unser Täter sein? Der sieht ja aus wie..." "Wie ein Daddy von nebenan, ganz genau, einer der seiner Frau einen Abschiedskuss gibt, seine Kinder zur Schule fährt, dann seiner langweiligen Arbeit vermutlich in einem muffigen Büro im Financial District nachgeht und in seiner Freizeit wohl offensichtlich gern mal den einen oder anderen Kerl ermordet!" "Du hast einen kranken Humor, Randy!" "Ist doch so!" grinste sein Partner. "Auf jeden Fall wartet..." er machte eine kurze Pause und schien noch einem freundlichen Wort zu suchen, "der junge Mann vom anderen Ufer in deinem Büro." Jason klopfte seinem Partner auf die Schulter, er war noch zwei Zentimeter größer als Randy, wenn auch nicht so muskulös. "Siehst du, geht doch! Dann lass uns mal." "Ähm, J.?" "Was denn noch, Randy?" Sein Partner druckste herum. "Ich meine... kannst du das nicht vielleicht allein machen? Ich bin nicht so gut im Umgang mit diesen Kerlen, ich fühl mich da nicht wohl, eigentlich wird mir sogar schlecht..." "Randy!" "Ist doch wahr, was ist denn schon normal oder auch nur im entferntesten angenehm an der Vorstellung, sich von einem anderen Kerl in den Arsch bumsen zu lassen? Das ist doch widerlich! Und der da drinnen macht das vielleicht auch noch für Geld!" "Du bist unverbesserlich..." stöhnte Jason. "Also gut, bleib draußen und geh halt noch mal seine Aussage durch, sorg dafür, dass die Phantombilder verteilt werden und so weiter! Ich kümmere mich um unseren Zeugen." "Du bist ein echter Kumpel!" lachte Randy und knallte Jason so heftig die Hand auf den Rücken, dass ihm fast die Luft wegblieb. Er verschwand eilig und Jason machte sich auf den Weg in sein Büro. Das Büro war ordentlich und übersichtlich, keine wilden Aktenstapel auf dem Schreibtisch wie bei Randy oder ähnliche Unordnung. An der Wand hing ein Bild des Präsidenten, obwohl Jason Bush nicht ausstehen konnte, aber es war leider Vorschrift, und die Flagge der Vereinigten Staaten. Als persönliche Note hatte Jason ein großes gerahmtes Foto seines Lieblingsmotivs dazu angebracht, die voll beleuchtete Golden Gate Bridge bei Nacht. Als er das Büro betrat, stand der Mann mit dem er sich unterhalten sollte hinter seinem Schreibtisch und schaute aus dem Fenster. Jason fand sehr schade, dass der einzige Ausblick der sich bot der Parkplatz und das Nachbargebäude waren, aber einen besseren Ausblick boten auch die anderen Büros nicht. Jason hatte ein Talent, Leute sofort und in Sekundenschnelle zu mustern und sie einzuschätzen, selbst von hinten. Der junge Mann trug eine kurze, knackige Jeans, offenbar um seinen Po zu betonen, die an seinen Oberschenkeln abgeschnitten und ausgefranst war. Sein Oberteil, ein blaues Muscle-Shirt, war wohl offenbar bauchfrei und gab den Blick auf seinen Rücken und seine schmalen Hüften preis. Er war eh recht dünn, aber trotzdem drahtig. Sein blondes Haar war wohl etwas über kinnlang, aber jetzt zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden. Sah nach einem ziemlichen Früchtchen aus, aber der Eindruck konnte auch täuschen, wenn man bedachte, dass er wahrscheinlich genauso wirken wollte. Jason räusperte sich und in diesem Moment fiel ihm ein, dass er noch gar nicht wusste, wie der Zeuge hieß. "Guten Morgen, Mr... ähm..." Eilig versuchte er den Namen in der Mappe zu finden. "Fairgate, Detective, Christopher Fairgate." half ihm der Mann, seine Stimme klang kühl und distanziert als er sich umdrehte. Jason fiel die Mappe aus der Hand und gleichzeitig die Kinnlade runter. Auch der andere riss die Augen auf. Ein Moment des Schweigens folgte in dem die beiden Männer sich einfach nur anstarrten. "Chris...?" stieß Jason schließlich hervor. Sein Gegenüber schien sich zuerst gefangen zu haben. "Jason." erwiderte er, vollkommen emotionslos, doch man konnte erkennen, wie sich seine Fäuste ballten. Jason wusste nicht, was er tun geschweige denn sagen sollte. Er stand einfach da, ein Haufen Blätter und Fotos zu seinen Füßen und starrte den anderen Mann an. Tausend Gedanken rasten durch seinen Kopf, doch keinen davon konnte er halten. Alles entglitt ihm. Was sollte er sagen? Was sagte man, wenn man seiner Vergangenheit gegenüber stand? Er hatte Chris vier Jahre lang nicht mehr gesehen, nicht mehr seit diesem Abend in New York. Diese Nacht, die alles verändert hatte, sein ganzes Leben. Die Nacht die alles zwischen ihnen verändert hatte. Nach dieser Nacht war er regelrecht aus New York geflohen. Er hatte hier in San Francisco ein neues Leben angefangen und jetzt war alles wieder da, all diese Erinnerungen. Er spürte, dass er zitterte, am ganzen Körper. Was sollte er bloß sagen? "Willst du die Sachen nicht aufheben?" Chris' Stimme, vor allem die Kälte in ihr, riss Jason grausam aus seinen Gedanken. Der blonde Mann tippte entnervt mit dem Fuß auf und hatte mittlerweile die Arme vor der Brust verschränkt. So schnell er konnte kniete Jason sich hin und raffte die Akten auf. Als er alles zusammen hatte, stand er wieder auf und lächelte Chris an. "Christopher..." "Nenn mich nicht so! Ich kann mich nicht erinnern, das so etwas üblich wäre, Detective Cunningham!" Er spie Jasons Namen regelrecht aus. "Ich möchte eh gerne mal wissen, was zum Teufel ich noch hier soll! Ich habe meine Aussage gemacht, mehr braucht ihr doch nicht." Jason wusste auch nicht so recht warum, aber in diesem Moment platzte ihm der Kragen. "Sag mal, spinnst du?! Du hast einen Mord beobachtet, der zu einer ganzen Serie gehört und der Mörder hat dich auch gesehen, du schwebst in Lebensgefahr. Und dann willst du jetzt einfach wieder aus der Tür spazieren und dich dann auch umbringen lassen?!" "Was interessiert es dich, ob ich sterbe oder lebe? Das hat dich doch auch in New York nicht interessiert! Ich verschwinde!" Er wollte zur Tür gehen, doch in diesem Moment packte ihn Jason am Arm und hielt ihn fest. "Lass mich los!" zischte Chris und funkelte den Polizisten an. "Hör zu!" antwortete Jason, "Du hast die Wahl: Entweder, du tust was ich dir sage und kooperierst mit uns..." "Oder?" schnappte der blonde Mann in respektlosem Ton. "Oder ich buchte dich wegen Prostitution ein, dann bist du nämlich auch in Sicherheit! Also such es dir aus, Kooperation oder Knast!" "Wichser!" motzte Chris, als Jason seinen Arm losließ, doch er fügte sich, kehrte zum Schreibtisch zurück und setzte sich auf einen der beiden Stühle, die davor standen. Bockig starrte er auf seine Füße. "Gut so! Und die kleine Beamtenbeleidigung lasse ich mal unter den Tisch fallen. Du bleibst jetzt schön hier während ich mich um eine Unterbringung für dich bemühe. Einen Ort wo du sicher bist, bis die Sache rum ist. Denn dann wirst du vor Gericht aussagen müssen." "Mach was du willst, aber lass mich in Ruhe..." Jason verließ sein Büro und zog die Tür hinter sich zu. Er atmete aus. Am liebsten hätte er geheult. Chris Verhalten tat ihm auf eine Weise weh, die er nicht verstand. Er hatte doch die ganze Sache hinter sich gelassen. Das war alles Vergangenheit. Aber er konnte nicht bestreiten, dass diese Vergangenheit jetzt in seinem Büro saß. Kapitel 2: What goes around - comes around! ------------------------------------------- Schon Kapitel 2... es ging schneller als ich dachte ^^ Die Story war ein Experiment meinerseits und entwickelt mittlerweile ein verdammt aktives Eigenleben, das sich besonders im bereits beendeten Kapitel 3 niederschlägt, das ich ein paar Tage nach diesem Kapitel on setzen werde. Eigentlich waren Kapitel 2 und 3 ein einziges Kapitel, aber da sich daraus ein Umfang von Seite 8 bis Seite 28 ergeben hätte... nun ja... musste ich einen kleinen Eingriff vornehmen ^^ Inhaltlich gab es aber nur einen Punkt für eine Zäsur, deswegen ist Kapitel 2 um einiges kürzer als Kapitel 3. Aber ich hoffe, dass das 2. Kapitel ebenso gut ankommt wie der Anfang, auch wenn ich damit nicht so wirklich glücklich bin. Hier und da finde ich meinen Stil etwas hölzern und na ja... ich höre mal auf zu meckern, sonst kriege ich von LinkyBaby wieder einen drauf *lol* Lange Rede, kurzer Sinn, viel Spaß mit Kapitel 2 ^^ Ach ja, ich muss momentan selbst Korrekturlesen, was natürlich ein wenig schwer ist, sollten irgendwo Tippfehler gravierender Art sein (ich vergesse gern mal ein Wort oder ein -e am Ende) dann schickt mir gern eine ENS, damit ich es berichtigen kann ^^ Über Kommentare freue ich mich natürlich noch mehr ^_~ PS: Ach ja, schaut auch bei den Steckbriefen vorbei, da gibt es Neuigkeiten, die aber erst in Kapitel 3 wichtig werden, wenn ein neuer Chara auftritt, der mir besonders ans Herz gewachsen ist *g* ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ "Verdammt noch mal, was soll das heißen?!" Jason schlug mit der Faust auf den Tisch, so heftig, dass der Kaffee aus den Tassen darauf schwappte und die Papiere die herumlagen bespritzte. "Wie ich bereits sagte," der Beamte auf der anderen Seite des Schreibtisches schien in keinerlei Weise von Jasons Gefühlsausbruch beeindruckt zu sein. "Wir haben keine Unterkünfte in denen wir diesen Fairgate unterbringen können. Es ist ein heißer Sommer, verstehen Sie? Die Leute drehen echt durch, ne Menge Verbrechen, ne Menge Zeugen." "Das wirft ja ein tolles Licht auf die Polizei! Verdammte Scheiße!" "Mag sein." Sein Gegenüber gähnte. "Jason, Mann, gib es doch auf." mischte sich Randy ein. "Wir müssen halt schauen, dass wir ihn in einem Hotel oder so unterbringen. Meine Güte, schließlich ist er kein Prominenter oder so, ihn wird schon keiner erkennen." "Darauf lasse ich mich nicht ein! Ich will, dass er vollkommen sicher ist! Verstehst du, Randy? Nicht wahrscheinlich sicher, vollkommen sicher! Dieser Kerl kann überall und nirgends sein und so ein Typ wie der ist vollkommen unauffällig. Ich will, dass er sicher ist!" "Ich hab es ja verstanden!" Randy verdrehte die Augen. "Er wird bei mir wohnen!" sagte Jason plötzlich. "Was?!" Randy schnappte nach Luft. "Das ist nicht dein Ernst!" "Doch, mein voller Ernst. Bis diese Sache vorbei ist und wir dieses Schwein haben, wird Ch... Mr. Fairgate bei mir wohnen! Wo sollte er sicherer sein als in der Wohnung eines Cops. Außerdem liegt meine Wohnung in einem bewachten Haus, wir haben einen Pförtner und Sicherheitspersonal. Da kann ihm nichts passieren bis wir den Kerl haben." "Du hast ja ein Rad ab!" Randy konnte es offenbar nicht fassen. "Du willst dir so eine Strichtunte ins Haus holen? Der Kerl beklaut dich nachher noch oder fällt nachts über dich her! Spinnst du eigentlich? Da ist es besser, wir stecken ihn in eine Zelle!" "Halt die Klappe, Randy! So wird es gemacht!" "Ähm, Detective Cunningham," ließ sich in diesem Moment der Beamte auf der anderen Seite des Schreibtisches wieder vernehmen, "Das ist aber äußerst ungewöhnlich und überhaupt sollten wir wohl besser..." "Gar nichts sollten wir besser! Wenn Sie etwas gegen meinen Vorschlag haben, dann erklären Sie dem Chef gefälligst, warum wir keine Unterkunft für einen wichtigen Zeugen haben." Sein Gegenüber schwieg. "Ich nehme das als Zustimmung. Ich werde Mr. Fairgate heute Abend zu mir mitnehmen und er wird dort bleiben, bis wir den Mörder haben, damit er gegen ihn aussagen kann." "Du spinnst ja..." war Randys einziger Kommentar. "Du spinnst ja!" Chris' blaue Augen blitzten vor Zorn. Er stand Jason gegenüber und stemmte die Hände in die Hüften. "Ich werde nicht bei dir wohnen! Unter gar keinen Umständen! Das kannst du vergessen! Das würde dir so passen!" Jason seufzte, ging um seinen Schreibtisch herum und ließ sich in seinem Stuhl nieder. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und musterte Chris. "Bist du so dumm oder tust du nur so? Du wusstest doch in New York wie man auf sich aufpasst, warum willst du hier unbedingt in den Tod laufen?" "Alles ist besser als sich in deiner Nähe aufzuhalten!" "Hasst du mich so sehr?" Chris antwortete nicht. "Ich hab dich was gefragt!" "Ist das ein Verhör, Detective? Bin ich jetzt angeklagt?" "Für das was du letzte Nacht erlebt hast, bist du aber ganz schön großkotzig, Chris!" "Hör zu, Jason!" Wieder dieser Unterton als er seinen Namen sagte, Jason spürte erneut, wie weh ihm das tief drinnen tat, "Luke war ein prima Kerl, er hat mir oft genug geholfen, wenn es bei mir schlecht aussah. Ich werde nie vergessen wie er dalag, Blut überströmt, aber noch am Leben und ich bin weggelaufen, ich hab ihm nicht geholfen, sondern bin weggerannt. Also wag es ja nicht, darüber zu urteilen, was ich da erlebt habe, Detective! Obwohl du dich für so toll hältst und sicher denkst, dass du alles weißt!" "Es tut mir leid..." entgegnete Jason. "Ehrlich. Aber trotzdem musst du endlich vernünftig sein und das tun, was ich dir sage!" Chris grinste frech, kam näher an den Schreibtisch und beugte sich vornüber zu Jason. Er blickte ihm fest in die Augen und leckte sich mit der Zunge über die Lippen. "Wenn du willst, dass ich tue was du willst, dann zahl dafür! Ansonsten kannst du mir gestohlen bleiben!" Jason lehnte sich im Stuhl zurück. "Willst du einen Kaffee?" Man konnte direkt sehen, wie Chris aus dem Takt geriet. Er sah Jason vollkommen verdutzt an. "Was?" "Kaffee, du weißt schon, koffeinhaltiges Getränk, wird aus Bohnen gewonnen. Trinkt man entweder pur, also schwarz, oder mit Milch, manche nehmen auch gern mal Zucker. Wenn ich mich recht erinnere, hast du ihn am liebsten schwarz getrunken." Er grinste. "Du bist doch nicht normal!" Chris ließ sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen. "Also?" "Also was?" "Willst du einen Kaffee?" "Wenn du mich schon so fragst, ja!" schnappte Chris, Jason merkte ihm deutlich an, dass es ihn wurmte, dass er nicht die Oberhand behalten hatte. Der junge Cop verließ kurz das Zimmer und kam dann mit zwei Pappbechern mit dampfendem Kaffee wieder. Einen reichte er Chris. Er nippte daran und verzog das Gesicht. "Trinkst du dieses Gesöff etwa jeden Tag?" Jason zuckte mit den Schultern und lächelte. "Immer noch besser als die Brühe von McDonald's, schon mal getrunken?" "Nein." war Chris' knappe Antwort, bevor er wieder nippte. "Wow, wir haben uns ja eben fast unterhalten!" lachte Jason. "Reiner Zufall! Ein schwacher Moment! Und glaub ja nicht, dass du mich mit einem Kaffee dazu bringst bei dir zu wohnen! Das kannst du vergessen!" Jason nahm einen Schluck Kaffee, bevor er antwortete. "Okay, wie du meinst. Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich dich dann jetzt wegen Prostitution einbuchte, oder?" Chris kniff die Augen zusammen. "Dreckskerl!" zischte er. "Kann ich wenigstens eine Kippe haben?" fügte er hinzu. "Seit wann rauchst du denn?" "Geht dich das was an?!" antwortete Chris in genervtem Ton. "Ich meine ja nur... auch noch Rauchen..." Chris setzte sich auf. "Auch noch?!" Er knallte den Kaffeebecher auf den Tisch. "Ich bin clean, auch wenn es dich nicht zu interessieren braucht! Denn du bist da ganz sicher nicht verantwortlich für!" Jason blickte Chris erstaunt an, doch dann erhellte sich seine Miene. "Das ist ja wundervoll! Du bist wirklich clean?" "Jetzt mach keine große Sache daraus! Ich hab weder Lust mit dir zu feiern, noch dir zu erzählen wie ich es geschafft habe, mich interessiert schlicht und einfach nur wie es jetzt weitergehen soll und woher ich eine Kippe kriegen kann!" Die Tür wurde geöffnet und Randy steckte den Kopf hinein. Das war sonst gar nicht seine Art, viel zu vorsichtig, aber er schien nicht unbedingt in den Raum kommen zu wollen. "Ich hab das Phantombild vervielfältigen lassen, in ein paar Stunden kennt jeder Streifenpolizist in San Francisco diesen Mann." "Gut, dann kommen wir vielleicht endlich voran." seufzte Jason. Randy nickte und wollte die Tür schnell wieder zuziehen. "Randy! Eines noch!" "Was denn?" "Du rauchst doch, oder? Kannst du Mr. Fairgate eine Zigarette geben?" Randy sah den blonden Mann ein wenig entsetzt an. "Er will...?" Chris stand auf und streckte die Hand aus. "Eine Zigarette, kommen Sie schon, Sie schauen mich ja an, als hätte er verlangt, dass Sie mir einen blasen!" "Chr... Mr. Fairgate!" verbesserte sich Jason rasch. "Halten Sie Ihre Zunge gefälligst im Zaum. Vergessen Sie nicht, wo Sie hier sind!" "Ist ja gut!" lachte Chris. "War ja nur ein Scherz!" "Pass auf, du Schwuchtel! Auf solche Scherze steh ich ganz und gar nicht!" knurrte Randy. Chris' Gesicht verfinsterte sich, doch er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. "Oh, ein Schwulenhasser, immer wieder nett solche Zeitgenossen zu treffen!" "Schluss jetzt!" Jason war aufgestanden und trat zwischen die beiden. "Das ist weder die Zeit noch der Ort für so eine Auseinandersetzung! Randy, gib ihm jetzt ein Zigarette! Und Sie, Mr. Fairgate, reißen sich gefälligst zusammen!" Randy schnaubte, griff in seine Tasche und warf Chris eine Zigarette zu, die dieser auffing. "Viel Spaß noch mit dem Früchtchen!" Damit verließ er wütend das Zimmer. Chris steckte sich seelenruhig die Zigarette in den Mund, holte ein Feuerzeug aus seiner Tasche und zündete sie an. "Amüsant mit was du dich so abgibst!" lachte er. "Bist du übergeschnappt, dich so aufzuführen?!" Chris ging nicht darauf ein. "Ich denke mal, du tust immer noch so als wärst du hetero, denn sonst würde dieser Kerl sicher nicht mit dir zusammenarbeiten wollen. Legst du immer noch heimlich Stricher flach, wie in New York?" Er zog an der Zigarette und blies Jason den Rauch ins Gesicht. "Du wolltest wissen wie es weitergeht, oder nicht?" ignorierte Jason seine Beleidigung. "Wir fahren jetzt zu mir! Ich riskiere nicht, dass du noch das ganze Department gegen dich aufbringst mit deinem Verhalten!" Er ging zu einem seiner Schränke hinüber und zog eine Schublade auf. "Hier!" Er warf Chris eine Sonnenbrille und eine Baseballkappe zu, auf der San Francisco Police stand. "Setz die auf und steck deine Haare möglichst darunter. Dann noch die Brille und ich lasse dir eine unserer Jacken und eine lange Hose geben, dann solltest du weniger auffallen, man kann nie wissen. Dann fahren wir zu meiner Wohnung." Chris sah an sich hinunter und grinste. "Hast du was gegen mein Outfit?" "Chris, dieses Stück Stoff das du Hose nennst und ein Bauchfreies Shirt sind nicht gerade das, was man als unauffällig bezeichnen kann, oder?" "Manche bezeichnen das als sexy!" antwortete Chris rotzfrech. "Ich nenne es auffällig und damit basta!" "Sir, yes, Sir!" Chris schlug die Hacken zusammen und salutierte spöttisch. Jason wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Chris schien sich eigentlich nicht verändert zu haben, er war immer noch frech und wollte seinen Kopf durchsetzen. Aber trotzdem war etwas anders. Es herrschte eine Distanz und Kälte zwischen ihnen, die Jason fast körperlich wehtat. Aber warum eigentlich? Schließlich hatte Chris ihn damals enttäuscht. Er hatte ihn betrogen nicht umgekehrt, er hatte das, was sie gehabt hatten zerstört. Jason hatte seine Entscheidung New York zu verlassen niemals in Frage gestellt, es war richtig gewesen, dessen war er sich immer sicher. Aber jetzt, da Chris wieder vor ihm stand, hatte sich alles verändert. Und auch ihre Situation hatte sich geändert. Sollte er glauben, dass Chris wirklich clean war? Er hatte schon in New York versprochen, mit dem Heroin aufzuhören, aber es war ihm doch nicht gelungen. Jason wollte mit jeder Faser seines Körpers glauben, das Chris es wirklich geschafft hatte, aber trotzdem nagte der Zweifel an ihm. Er betrachtete den jungen blonden Mann, wie er an seiner Zigarette zog. Ja, er wollte glauben... und bei dem Gedanken, dass Chris bei ihm wohnen würde, klopfte sein Herz wie wild. Vielleicht hatten sie ja noch eine Chance. Aber wollte er das überhaupt? Er hatte sich eigentlich geschworen, nie wieder eine feste Beziehung mit einem Mann anzufangen... aber nie wieder war eine verdammt lange Zeit... und wenn er wirklich nichts mehr für Chris empfand, wie er es sich die letzten vier Jahre eingeredet hatte, warum zum Teufel tat ihm dann die Ablehnung des jungen Mannes so weh? "Fuck!" entfuhr es Jason und er registrierte erst danach, dass er es laut gesagt hatte. Chris blickte ihn verdutzt an. "Bitte?" "Ach nichts..." wiegelte Jason ab und spürte, dass er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder rot wurde. Chris blickte zur Decke und atmete aus, wobei er Rauchschwaden in die Luft blies, die langsam zerfächerten. "Du bist noch genau wie früher..." Jason überlegte, ob er das nun als Beleidigung oder als Lob aufnehmen sollte. Die Stecknadel bohrte sich langsam durch das feste Material des Fotos. Sie bahnte sich ihren Weg hindurch, in die Wand hinein und hielt das Bild dort fest. Ein gewöhnliches Foto, aufgenommen mit einer Polaroidkamera. Ein dünner weißer Rahmen um die Oberseite und die Seiten, ein dickerer, damit man das Foto anfassen konnte, an der unteren Hälfte. Obwohl die Kamera alt war, waren die Fotos scharf und von guter Qualität. Auf dem Foto war ein junger Mann zu sehen, fast noch ein Kind, eben erst in die Welt der Erwachsenen gekommen. Schwarze Haare, lockig, umrahmten ein hübsches Gesicht mit grünen Augen. Der Mund leicht geöffnet, mit verheißungsvoll geschwungenen Lippen. Der Junge war wirklich schön - selbst und gerade im Tode. Der Mann ließ seine Finger über das Polaroid gleiten. Sanft, wie die Berührung eines Liebenden. Die Augen schienen ihn direkt anzublicken, aber auch durch ihn hindurch, erstarrt im Tode. In der unendlichen Schwärze der geweiteten Iris spiegelte sich der Blitz der Kamera, den der Junge nicht wahrgenommen hatte. Er hatte kurz davor seinen letzten Atemzug getan, sein junges Herz hatte kurz zuvor für immer aufgehört zu schlagen. Auf dem Bild konnte man den durchtrennten Hals des Jungen nicht sehen, nur ein paar Blutspritzer am glatten Kinn des Toten wiesen darauf hin. Der Mann machte immer eine Grossaufnahme des Gesichts. Jedes dieser Gesichter. Jedes wunderschön, so rein, im Tode verewigt. Dabei waren all diese Jungen und Männer Sünder, sie waren schmutzig. Aber er hatte ihnen Frieden gegeben, den tiefen Frieden. Sie würden nicht mehr sündigen. Dieser hier hatte lange überlebt. Er war stark gewesen, das Böse in ihm war stark gewesen. Es hatte sich gegen den Frieden gewehrt, aber am Ende hatte er es doch besiegt. Er siegte immer. Auch wenn sein heiliger Kreuzzug ständig behindert wurde. Aber wenn sie ihm zu nahe kamen, zog er weiter. Denn das Böse war überall und er musste es überall bekämpfen. Und er würde es überall bekämpfen, denn er war dazu bestimmt. Diesmal war etwas schief gelaufen. Der Blonde, mit dem sich der erlöste Junge kurz vorher unterhalten hatte, war dazu gekommen und hatte ihn gesehen. Auch er hatte ihn gesehen und erkannt, dass auch er böse war. Eine weitere Seele, die es galt zu retten. Er würde sie sicher aufmerksam machen und wahrscheinlich würden sie ihm auch helfen, weil sie nicht sehen konnten, wie böse und schmutzig er war. Aber das würde dem Bösen nichts nützen. Sie würden ihn nicht finden, denn er war unsichtbar, wenn er es wollte. Aber er würde ihn finden, den hübschen blonden Mann mit den blauen Augen. Er würde ihn finden und vom Bösen erlösen, ihm endlich Frieden geben. Und nichts würde ihn daran hindern. Und vielleicht, vielleicht würde er ihn gar nicht suchen müssen, manchmal kamen sie sogar zu ihm. Er hatte immer über das Böse gesiegt und auch diesmal würde es ihm gelingen, denn Gott war auf seiner Seite. Er würde siegen. Der Mann ging zur Tür, öffnete sie und verließ den Raum. Bevor er die Tür wieder ins Schloss zog, fasste er auf den Lichtschalter und legte ihn um. Das Licht der Lampen an der Decke erlosch und die Finsternis senkte sich über den Raum - und die vielen Dutzend Fotos an den Wänden... "Warum hat mich dieser verknöcherte Sack im Lift so komisch angestarrt?" Chris blickte auf die mittlerweile geschlossenen Türen des Aufzugs am Ende des hellen Flures zurück. Er meinte den älteren Herrn aus der vierten Etage des Hauses, dessen Namen Jason bis heute nicht kannte und der bei jeder Gelegenheit über die Jugend von heute schimpfte. Jugend von heute, das bezeichnete alles, was unter 50 war, zumindest drängte sich Jason jedes Mal dieser Eindruck auf. "Vielleicht weil du mit offenem Mund Kaugummi gekaut hast." Er drehte den Schlüssel im Schloss und drückte die Tür auf. Apartment Nr. 701, Cunningham, stand auf einem Schild auf Augenhöhe, direkt über dem Türspion. Er machte eine einladende Geste, der Chris folgte. Jason betrat hinter ihm die Wohnung und schob die Tür mit dem Fuß zu. Wieder fiel Jason auf, wie ungewohnt Chris in der etwas zu großen Polizeiuniform aussah, aber so hatte er auf jeden Fall weniger Aufsehen erregt als in seinen knappen Klamotten. "Holy Jesus! Was für eine Bude!" Chris ging ein paar Schritte in die Wohnung hinein und drehte sich um die eigene Achse. Hinter der Tür führte ein kurzer Flur in einen großen, offenen und durch die riesige Fensterfront angenehm hellen Raum mit hoher Decke. Hinter den Fenstern lag eine Dachterrasse von der man einen wunderbaren Ausblick über die Stadt bis hin zur Bay hatte. Der große Raum bildete das stilvoll eingerichtete Wohnzimmer. Die Sitzgarnitur aus einer Couch und zwei Sesseln war in weiß gehalten und umrahmte einen Glastisch, der offensichtlich ein Designerstück war. Gegenüber der Couch stand ein Breitbildfernseher mit Plasmabildschirm an der Wand, darunter ein DVD-Player, ein Videorekorder und eine Playstation 2. Überall im Raum waren elegante Boxen angebracht, Raumklang vom Feinsten. Auf dem Glastisch lag ein zugeklappter Laptop von Macintosh. Die Wände waren in einem zarten Grünton gehalten und neben der Couch stand eine große Zimmerpalme, der es sichtlich gut ging. Über der Sitzecke hing ein großer Kunstdruck von Salvatore Dali. Rechts neben dem Übergang von Flur zu Wohnzimmer führte eine geschwungene Treppe auf einen Balkon, der sich halbrund über das Wohnzimmer spannte. Dort oben befand sich Jasons Schlafzimmer, mit dem Kingsize Bett, das allerdings noch ungemacht war, dem Kleiderschrank und einem kleineren Fernseher auf einer Kommode. Neben der Treppe zum Schlafzimmer stand ein großes Aquarium mit einer Vielzahl von farbenfrohen Fischen. Ein Stück links des Eingangsflures führte eine Tür in die große Küche. Edelstahl und weißes Holz dominierten das Bild, das eine gemütliche Essecke mit einem großen Tisch, ideal auch für größere Gesellschaften, abrundete. Neben der Tür zur Küche lag eine weitere, die ins Badezimmer führte. Ein heller Raum, in weiß und blau gehalten. Blickfang war die grandiose, runde Badewanne, in der nach Chris' Schätzung mindestens drei bis vier Personen gemütlich Platz fanden, die Düsen an ihren Seiten versprachen einen Whirlpool. Außerdem befand sich hier eine geräumige Duschkabine, ein ausladendes Waschbecken und ein großer Badezimmerschrank mit Spiegel. Neben der Toilette stand auf einer Ablage eine robuste Zimmerpflanze mit schönen Blüten, daneben lag, wie Chris belustigt bemerkte, eine Ausgabe des Bay Mirror. "Du liest also immer noch auf dem Klo?" fragte er dreist, als er das Badezimmer verließ. Jason war die ganze Zeit am Ende des Flures stehen geblieben und hatte ihm lächelnd zugesehen wie er die Wohnung erforschte. "Das werde ich mir sicher auch nie abgewöhnen!" lachte er. Chris durchschritt das Wohnzimmer, während er mit den Blicken alles in sich aufnahm. Er tastete über den Bezug der Sessel, sah sich die umfangreiche CD-, DVD- und Spielesammlung in den Vitrinen neben dem Fernseher an und blieb schließlich vor der Tür zur Dachterrasse stehen. "Darf ich?" Jason nickte. "Warum nicht, hier oben wird dich sicher keiner entdecken, der Mörder müsste schon im Hubschrauber vorbeifliegen." Chris zog am Türgriff und trat auf die Terrasse hinaus. Jason folgte ihm. Die Terrasse war wie die Wohnung sehr groß und nahm den Löwenanteil des Daches auf dieser Seite ein. Ein elegantes Metallgeländer auf Brusthöhe bewahrte vor einem Sturz auf die weit unter ihnen liegende Straße. Topfpalmen und Farne wehten im sanften Wind, eine Sitzgruppe aus Holz unter einem zugefalteten Sonnenschirm aus weißem Stoff lud zum Ausruhen ein. Chris blieb fast die Luft weg, als er den kleinen, aber nichtsdestotrotz feinen Pool entdeckte, der sich hinter den Grünpflanzen vor Blicken aus dem Wohnzimmer versteckt hatte. Er nahm die Kappe ab und fuhr sich mit den Fingern durch seine blonden Haare, die nun offen um sein Gesicht fielen. "Das ist unbeschreiblich..." "Gefällt es dir?" "Zeig mir jemanden, dem so etwas nicht gefallen würde..." Für einen Moment erschien er Jason wieder wie früher. Ein Mann, in dem immer noch ein Kind steckte, liebenswert und freundlich, mit einer schweren Last auf der Seele. Er spürte den brennenden Wunsch in sich, Chris in die Arme zu schließen und zu küssen. "Wenn du allerdings glaubst, mich damit beeindrucken zu können, hast du dich getäuscht!" holte Chris den jungen Polizisten in die Wirklichkeit zurück. "Was?" "Jason, ich bitte dich!" Chris machte eine ausholende Geste über die imposante Terrasse. "So etwas kannst du dir niemals von deinem Gehalt als Detective leisten! Also bleibt nur eine Möglichkeit!" Er setzte ein freches Grinsen auf und blickte Jason mit leicht schräg gelegtem Kopf an. "Mami und Papi?" Jasons Wangen wurden heiß. Er hatte natürlich recht. Seine Eltern hatten ihm diese Wohnung geschenkt, zum Geburtstag und zu seinem Umzug nach San Francisco. Seine Mutter hatte unbedingt gewollt, dass er ordentlich wohnte, wenn er schon soweit weg wäre und Jason hatte eigentlich nichts dagegen gehabt. Ein gewisser Grad an Luxus war ihm von Kindesbeinen an geläufig gewesen und er hatte niemals mit seiner Wohnung hier angegeben und sich etwas darauf eingebildet. Das einzige worauf er stolz war, war seine Karriere, mit der es unbestritten immer weiter bergauf ging. Chris wartete seine Antwort nicht einmal ab, sondern ging einfach an ihm vorbei in die Wohnung zurück. Als er neben ihm war, sah er ihn kurz an. "Du warst schon immer ein Muttersöhnchen!" lachte er, dann verließ er die Terrasse. Jason platzte der Kragen, er stürmte hinter Chris her und schmiss die Terrassentür so fest zu, dass die Scheibe schepperte. Chris fuhr erschrocken herum. "Was bildest du dir eigentlich ein?!" "Was soll denn das jetzt?" fragte Chris vollkommen verständnislos. "Das frag ich dich! Wie kommst du eigentlich darauf, dass du dich so aufführen kannst?! Das du irgendein Recht hast, mich so runterzuputzen?!" "Ich hab jedes Recht dazu!" motzte Chris zurück. "Ich habe dich nie um Hilfe gebeten, ich hab auch nie darum gebeten, in deiner tollen Wohnung wohnen zu dürfen, ich war sogar dagegen, mit einem verlogenen Arsch wie dir unter einem Dach zu wohnen!" "Ich soll verlogen sein? Das sagt der Richtige!" "Ich muss mir von dir gar nichts sagen lassen, Detective! Ich verschwinde!" Mit diesen Worten wandte er sich um und ging mit großen entschlossenen Schritten Richtung Tür. Kaum hatte er sie erreicht und einen Spalt aufgezogen, war Jason bei ihm und knallte die Tür wieder ins Schloss. Chris wirbelte herum, doch er konnte nicht weg, Jason stand hinter ihm und stemmte sich mit seinen Händen gegen die Tür, so dass er zwischen seinen ausgestreckten Armen eingekeilt war. "Du gehst nirgendwohin! Verstanden?!" Man sah Chris' Gesicht deutlich an, dass ihn Jasons heftige Reaktion beunruhigte, aber er hatte sich im Griff. "Glaubst du, ich habe Angst vor dir? Du kannst es dir nicht leisten, mich zu schlagen, Detective!" "Aber ich kann es mir leisten dich einzusperren! Ich hab dir schon einmal gesagt, dass es die einzige Alternative ist, kapiert?!" "Ich bin ja nicht blöd! War ja klar, dass du mir wieder damit kommst! Warum habe ich bloß damals nicht sofort erkannt, was für ein Arschloch du bist!" "Vielleicht weil dein Hirn vom vielen Heroin kaputt war, aber meines war wohl auch nicht in Ordnung, sonst hätte ich mich gar nicht erst mit so einem heruntergekommenen Junkie eingelassen!" versetzte Jason, obwohl ihm der Satz im nächsten Augenblick leid tat. Chris holte aus um ihm eine Ohrfeige zu geben, aber Jason war schneller. Er fing seine Hand ab und hielt ihn am Handgelenk fest. Chris verzog das Gesicht. "Du tust mir weh!" "Glaubst du, das stört mich! Es stört dich doch auch nicht, dass du mir weh tust, die ganze Zeit schon. Und das obwohl du nicht das geringste Recht dazu hast! Du hast damals alles kaputt gemacht! Du hast versprochen, dich nicht mehr mit anderen Männern einzulassen! Du hast versprochen, mit den Drogen aufzuhören! Und du hast dein Versprechen gebrochen! Du warst es, den ich mit einem anderen erwischt habe, voll auf Drogen! Du! Du! Du!" Er hatte Chris an den Oberarmen gepackt und stieß ihn bei jedem "Du" mit dem Rücken gegen die Tür. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie er sich benahm und wie sehr er die Kontrolle über sich verloren hatte. Er ließ Chris los und trat schwer atmend einen Schritt zurück. Der blonde Mann sah ihn ein wenig ängstlich an, bevor er sich an ihm vorbei drückte und ins Wohnzimmer zurückkehrte. "Du spinnst ja..." sagte er leise. "Weißt du was? Es ist mir egal, was du von mir denkst! Die Situation ist eben die, dass wir jetzt miteinander auskommen müssen, egal wie! Wenn dir ein bisschen was an deinem Leben liegt, bleibst du hier in der Wohnung!" "Ist ja gut..." Chris setzte sich auf einen der Sessel und verschränkte die Arme. Er sah stur in eine andere Richtung, damit er Jason nicht ins Gesicht blicken musste. "Ich brauche frische Luft! Hör zu, du hast hier alles was du brauchst, der Kühlschrank ist voll und wie man mit einer Mikrowelle umgeht weißt du ja sicher. Du kannst machen was du willst, sieh fern, spiel Videospiele, was immer du willst. Aber geh nicht ans Telefon, mach nicht die Tür auf und verlass ja nicht die Wohnung! Alles klar?" "Ja...." war die knappe und kühle Antwort, damit war alles gesagt. Jason riss seine Jacke von der Garderobe und knallte die Tür hinter sich zu als er die Wohnung verließ. Er sah nicht mehr wie Chris, kaum das er draußen war, das Gesicht in den Händen verbarg und anfing zu weinen. Kapitel 3: The importance of being Jason Cunningham aka The Fuck Buddy ---------------------------------------------------------------------- *Trommelwirbel* Ich liebe dieses Kapitel! ^^ Sorry, das musste ich jetzt mal sagen, selten war ich so stolz auf etwas, das ich geschrieben habe. Ich hoffe inständig, dass ihr es auch so seht, sonst wird mein Absturz ziemlich unsanft *lol* Nachdem ich mit dem letzten Kapitel nicht so richtig warm geworden bin, hab ich mich hier ausgetobt bis zum Gehtnichtmehr! Ich hab noch lange nachdem das Kapitel fertig war Dialoge verändert und eingefügt, sogar eine ganze Szene, die am Fisherman's Wharf nämlich ^^ David ist eine Figur, wie ich sie schon lange mal erschaffen wollte, mindestens so lange, wie ich die Serie "Sex and the City" kenne. Und einen solchen Charakter in ein Fantasy-Universum wie das von Zelda zu integrieren ist verdammt schwer. Aber hier gefällt er mir so gut, dass er von einem Gaststar zu einem Hauptdarsteller avanciert und wenn alles so läuft wie ich es vorhabe sogar einen eigenen Handlungsstrang bekommen wird. Ich bin wirklich gespannt, wie die Figur ankommt ^^ Dieses Kapitel ist um einiges länger als das zweite, aber ich hoffe, dass es nicht langweilig wird ^^ Für gravierende Tippfehler gilt wieder das gleiche wie bei Kapitel 2, lasst sie mich ruhig wissen *g* PS: Den Club "Mighty" gibt es wirklich, meine Beschreibungen habe ich an Bilder des Clubs angelehnt, die Barkeeper sind natürlich frei erfunden. Ob dort nun Britney Spears gespielt wird sei mal dahingestellt, aber der Song "Showdown" hat mich zu der Tanzszene inspiriert, deswegen musste er dabei auch gespielt werden ^^ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die ersten Takte einer Dancenummer, die Jason nicht kannte, drangen aus den Boxen, die überall im Raum verteilt waren. Die Tanzfläche war lange nicht so voll wie am Wochenende, aber selbst an diesem Montag hatten sich jetzt schon genügend Leute eingefunden. Jason saß an der Bar des "Mighty", einem der angesagtesten Szeneclubs der Küstenstadt in der Utah Street. Er hatte den Nachmittag in seinem Auto und mit einem einsamen Spaziergang am Hafen verbracht und jetzt sehnte er sich nach ein wenig Gesellschaft. Um ihn herum herrschte der schöne Schein. Der Club war im Design an eine alte Lagerhalle angelehnt, die Wände bestanden aus rohen, grob verputzten Ziegelsteinen. Die Einrichtung war vornehmlich in schwarz gehalten, besonderer Blickfang war der große zinnoberrote Kronleuchter über der Bar. Hinter dem Tresen eilten zwei gutaussehende Barkeeper, Alex und Jeremy, an den endlosen Regalen voller Flaschen hin und her, mixten Drinks, hielten kurz Smalltalk mit den Gästen. Wer hierher kam, der wollte gesehen werden. Das Publikum bestand vornehmlich aus den wahrscheinlich bestaussehendsten Männern von San Francisco, aber auch eine Handvoll bezaubernder Frauen fand sich hier ein, meist mit ihren Partnerinnen. Jason ließ den Blick gelangweilt über die Tanzfläche gleiten, wohin er sah, hübsche, aber unbekannte Gesichter, Männer, die zu den Beats des treibenden Stücks oft eng beieinander tanzten, hier und dort wurden auch heftige Küsse ausgetauscht. Jason liebte das "Mighty", er kannte auch einige andere Bars in der Stadt, aber hier fühlte er sich am wohlsten und konnte so sein wie er war, ohne Angst haben zu müssen, einem seiner Kollegen über den Weg zu laufen. "Hier, Jason, zum Wohl!" Jason hob den Kopf und blickte ein wenig erstaunt in das lächelnde Gesicht von Jeremy, dem dreiundzwanzigjährigen Barkeeper. Jeremy war wirklich süß, fand Jason, mit seinen knallrot gefärbten Haaren, den dunkelgrünen, stechenden Augen und dem Piercing in der Nase. Er wirkte sehr jung für sein Alter, hatte es aber faustdick hinter den Ohren. Nach eigenen Aussagen war er bi und liebte den Job des Barkeepers gerade deswegen, weil man nach Feierabend eigentlich nie allein nach Hause ging. Jason selbst hatte allerdings noch nie das Vergnügen gehabt, Jeremy war ihm eindeutig zu jung. Der junge Barkeeper hatte ihm einen in seiner üblichen perfekten Weise gemixten Cosmopolitan zugeschoben, eines der letzten Überbleibsel New Yorks in Jasons Leben. Der Cosmopolitan war eine Mischung aus Wodka, Cointreau, Limonen- und Cranberrysaft, einer der großen Cocktailklassiker aus den Bars seiner Heimatstadt. "Ich hab nichts bestellt, Jeremy." "Ich weiß, den hat man ja auch für dich bestellt." Er zwinkerte Jason zu und machte sich dann wieder an die Arbeit. Jason sah sich um, niemand blickte zu ihm hinüber. Wer hatte ihm den Drink bestellt? "Ein schöner Mann sollte selbst an einem Montagabend nicht allein sein. Und schon gar nicht durstig." Die Stimme kam von rechts und in diesem Moment legte sich eine Hand auf Jasons Schulter. Er blickte auf und lächelte erfreut. "David!" Neben ihm stand David Vanderveer, ein echtes Glanzlicht von San Francisco, erfolgreicher Anwalt Mitte dreißig, der gewohnheitsmäßig mit gutaussehenden Jungs um die zwanzig schlief. Jason hatte David kurz nachdem er nach San Francisco gezogen war im Fitnessstudio kennen gelernt. Davids Eltern waren aus Holland in die USA genauer nach Denver, Colorado, übergesiedelt und er sprach neben akzentfreiem Englisch noch Holländisch und sogar ein wenig Deutsch, Französisch beherrschte er nach eigenen Angaben nur im Bett. Der fünfunddreißigjährige David war bei Smithfield and Besson, einer der größten Kanzleien in der Stadt, auf dem besten Wege zum Partner, wäre dies nicht San Francisco sondern Hollywood, wäre David sicher schon ein Anwalt der Schönen und Reichen. Er war hochgewachsen, athletisch gebaut (die viele Zeit im Fitnessstudio machte sich eben bezahlt) und sah auch noch blendend aus. Sein hellblondes Haar war stets perfekt frisiert und seine Augen erinnerten von der Farbe her an die eines Huskys. Sein strahlendes Lächeln war einnehmend, spätestens aber seine tiefe, angenehme Stimme nahm einen gefangen, fand zumindest Jason. Sein Outfit bestand heute Abend aus einem extrem eng anliegenden schwarzen Unterhemd, mit dem Calvin Klein Logo auf der Brust und einer knackigen dunkelblauen Jeans im stonewashed Look. Er sah phantastisch darin aus, stellte Jason fest. Um seinen Hals hatte er ein Lederband mit einem silbernen Anhänger daran gebunden, der perfekt zu dem wuchtigen Silberarmband passte, dass um Davids rechtes Handgelenk lag. Das Hemd gab den Blick auf die Tätowierung auf Davids rechtem Oberarm frei, ein verschlungenes Band aus Tribalsymbolen, das er um seinen kräftigen Bizeps hatte stechen lassen, die perfekte Stelle um es vor Gericht und im Büro unter den Ärmeln seiner teuren Anzüge verschwinden zu lassen. Jason hatte ihn schon im Anzug gesehen, selbst darin sah David umwerfend aus. Jason war nicht in David verliebt, zumal er ja auf keinen Fall wieder eine Beziehung mit einem Mann wollte, aber trotzdem pflegten die beiden eine besondere Art von Freundschaft. David nannte sich und Jason oftmals "Fuck Buddies". Sie waren befreundet, unternahmen oft etwas zusammen, allerdings endeten ihre Unternehmungen ab und an im Bett. David und Jason hatten die Regeln schon früh festgelegt, viel eher hatte David das getan, Freundschaft, Spaß, Vögeln, keine Verpflichtungen, das war das Motto, unter das er sich und Jason gestellt hatte. Jason beneidete David oftmals um seine Art zu leben. David ging locker und offen mit seiner Sexualität um. Er hatte sogar im Berufsleben keinen Hehl daraus gemacht und gezeigt, dass man trotzdem Karriere machen konnte. David war der Meinung, dass es darauf ankäme, wie gut er sich im Gerichtssaal schlage, nicht mit wem er ins Bett ginge und damit war er bisher sehr gut gefahren. Und vor Gericht konnte keiner David so schnell etwas vormachen, er war hinterlistig und ausgefuchst und wollte um keinen Preis einen Fall verlieren. David genoss das Leben in vollen Zügen und es war für Jason kein Geheimnis, dass er auch oft mit anderen Männern schlief, sei es im Fitnessclub oder woanders. Er nahm nie ein Blatt vor den Mund und wusste stets, wie er bekam, was er wollte. Zu Jason hatte er ein besonderes Verhältnis, dass über puren Sex hinausging, sie waren sehr gute Freunde. "Die besten Freunde, die eben manchmal miteinander vögeln!" pflegte David immer zu sagen. Jason erinnerte sich als wäre es gestern gewesen an den Tag nachdem sie das erste mal miteinander geschlafen hatten. Er war damals vollkommen verwirrt gewesen... Der strahlend blaue Himmel spannte sich über San Francisco und die Sonne spiegelte sich in den Fenstern der Wolkenkratzer. Über Fisherman's Wharf tummelten sich die Möwen, als einzige weiße Punkte an einem sonst schon unverschämt blauen Frühlingshimmel. Auf den Piers drängten sich die Touristen, kauften Souvenirs, standen stundenlang in der prallen Sonne für die begehrten Plätze auf den Fähren nach Alcatraz Island an. In den Haupturlaubszeiten konnte es passieren, dass man erst Karten für den nächsten, wenn nicht den übernächsten Tag bekam. Die Touristen wurden nur noch von den Seelöwen übertönt, die sich am Ufer zur Schau stellten, eine besondere Attraktion von Fisherman's Wharf, die vor allem bei den Kindern gut ankam. Jason hatte David selbst hier sofort gefunden. Hier inmitten von Hunderten von Leuten. David Vanderveer umgab eine Aura von Überlegenheit, vielleicht mit einem Hauch von Arroganz, den man ihm aber ohne weiteres nachsah, im Gegenteil, gerade das machte einen Teil seiner Attraktivität aus. Er hatte am Pier 39 auf Jason gewartet und der junge Polizist war nicht umhin gekommen, zu bemerken das er alle Blicke auf sich zog. Er trug einen schwarzen Anzug, die Krawatte am Hals etwas gelockerte, über einem blütenweißen Hemd. Der Wind zerzauste seine blonden Haare, was bei ihm den Eindruck von Verwegenheit vermittelt, während ihn seine schwarze Sonnenbrille unnahbar scheinen ließ. Als er Jason erkannte, hatte er sie abgenommen und ihn mit seinen perfekten, weißen Zähnen so herzlich angelächelt, dass Jason die Knie weich wurden. Jetzt saßen die beiden auf einer Bank und sahen auf die Bucht hinaus, jeder mit einem Corndog in der Hand, einem der leckersten Snacks die man am Fisherman's Wharf bekam, ein Würstchen am Stiel im Maisteigmantel. Beide hatten Ketchup dazu genommen. "Also, du wolltest mich sprechen?" begann David das Gespräch, nachdem er ein großes Stück von seinem Corndog abgebissen hatte. "Ja..." antwortete Jason etwas verlegen. Er hatte sich auf dem ganzen Weg hierher Texte zurecht gelegt, aber nun waren sie alle vergessen. "Ich wollte... ich wollte mit dir... mit dir über gestern sprechen..." "Über gestern? Du meinst über unseren Fick?" Jason verschluckte sich an seinem Corndog und wurde von einem Hustenreiz geschüttelt. David sah ihn verdutzt an. "Hab ich was Falsches gesagt?" "Nein! Hast du nicht!" hustete Jason, als er endlich wieder Luft bekam. "Jason, das wird doch keines dieser "Wie war ich?" - Gespräche, oder? So etwas ist nämlich einfach nur peinlich." "Nein..." sagte Jason. "Nein! So etwas nicht! Ich meine... ich wollte mit dir reden, wegen..." Er brach ab und suchte nach den richtigen Worten. "Jason, Sunshine, denk dran, ich hab nur Mittagspause. Jetzt sag einfach frei heraus, was los ist." Jason atmete tief ein. "Ich will wissen wie es weitergeht!" platzte er dann heraus. Endlich hatte er es gesagt. Er hatte sich seit gestern Abend den Kopf zerbrochen, was es für David und ihn bedeutete, dass sie gestern miteinander im Bett gelandet waren. Jasons war der Meinung, sich furchtbar dumm angestellt zu haben, weil sein letztes Mal Sex schon eine ganze Zeit zurücklag, aber er hatte noch nie so einen guten Liebhaber wie David erlebt. Er fragte sich langsam, was dieser Mann nicht konnte. Aber hatte sich nun etwas verändert? "Du willst wissen, wie was weitergeht?" David sah ihn vollkommen verständnislos an, als hätte er gerade etwas wirklich dummes gefragt. "Mit uns!" ereiferte sich Jason. David wandte seine blauen Augen kurz auf die Bay hinaus, dann umspielte plötzlich ein Lächeln seine Lippen. "Jetzt verstehe ich! Du glaubst, ich will dich jetzt vor den Traualter zerren, oder?" Jason sackte auf der Bank zusammen. "So ähnlich..." David fing an zu lachen, was ihn nur noch mehr verunsicherte und irgendwie auch wütend machte. "Okay, okay, ich bin halt dumm und denke mir blödes Zeug aus, das ist aber noch lange kein Grund sich über mich lustig zu machen!" motzte er, sichtlich beleidigt. David legte den Arm um seine Schulter und küsste ihn ohne Vorwarnung auf die Wange. Jason wäre beinahe zusammengezuckt, zum Glück fiel er hier nicht auf und war zudem in Zivil, nicht auszudenken, wenn ihn jetzt einer seiner Kollegen sehen würde. "Jetzt sei nicht eingeschnappt, du bist so niedlich! Komm schon, Jason, du glaubst nicht wirklich, dass wir jetzt miteinander gehen, oder? Wir hatten doch nur Sex!" "Aber..." "Jason, du musst noch viel lernen. Ich erkläre dir mal was. Ich trenne Gefühl streng von Sex, so fährt man absolut am besten, musst du wissen. Ganz einfach!" Er hatte sein Corndog aufgegessen und warf das Stäbchen in den Papierkorb neben der Bank um die Hände frei zu bekommen. Er streckte beide aus. "Hier," Er hob die linke Hand. "das sind meine Gefühle für dich, du bist ein unglaublich netter Typ, wir liegen auf einer Wellenlänge was die Interessen angeht und es macht wirklich Spaß, Zeit mit dir zu verbringen. Also sagen wir "Buddies", okay?" Jason nickte. "Hier," er zeigte Jason die andere Hand, "das ist der andere Aspekt, der mir an dir gefällt, du siehst gut aus, bist sexy, klasse im Bett und hast einen heißen Schw..." "Kapiert!" unterbrach ihn Jason eilig, er fand es doch etwas peinlich, sich so direkte Komplimente über seine Männlichkeit anzuhören. David grinste nur. "Okay, also hier sagen wir mal "Fuck", einverstanden?" Wieder nur ein Nicken als Bestätigung. "Also, damit wäre doch alles geklärt! Wir sind "Fuck Buddies", Sunshine. Nicht mehr und nicht weniger. Wir können Spaß miteinander haben, Freunde sein und wenn wir Lust haben, vögeln wir halt! Das ist eine der schönsten Freiheiten, die du dir nehmen kannst, wenn du auf Männer stehst. Was jetzt nicht heißen soll, dass ich mehr solcher F.B. habe, du bist mein erster, aber du bist auch der erste Mann, mit dem ich wirklich mehr Zeit verbringen will als nur für eine Nummer. Aber versteh das nicht falsch, ich liebe dich nicht, ich mag dich. Oder liebste du mich etwa?" Jason war in Davids Redeschwall etwas untergegangen und brauchte ein paar Sekunden, um das alles zu verarbeiten und zu reagieren. "Nein! Ich liebe dich nicht, das ist es ja, ich hab gedacht du würdest..." "Dich lieben? Jason, Sex ohne Verpflichtungen ist einfach besser, wenn ich jeden Mann lieben würde mit dem ich bumse, shit, ich hätte ein Problem." Jason überlegte, wie er es aufnehmen sollte, offenbar wirklich nur einer unter vielen zu sein, die in den Genuss von Davids Künsten im Bett kommen durften. Aber David hatte ihm gesagt, dass er schon etwas besonderes sei, weil er ihn als Freund möge, also war das doch eigentlich kein Problem. Oder doch? Aber er liebte David ja auch nicht, obwohl es ihn stolz machte, mit diesem Mann ins Bett gegangen zu sein. Aber irgendwie gefiel ihm Davids Einstellung. Wer brauchte Liebe oder Romantik, wenn er guten Sex haben konnte? Und der Sex mit David war genial gewesen. Aber war David mit seiner Einstellung zum Sex nicht eigentlich nicht viel mehr als ein besserer Callboy? "Und du lebst wirklich so? Ich meine, so vollkommen ohne Verpflichtungen, die mit dem Sex einhergehen. Ist das nicht so ähnlich wie bei einem Stricher?" Er glaubte nicht, dass er das gerade wirklich sagte, "Ich meine, da geht man doch auch keine Verpflichtungen ein." Er erwartete jetzt schon, David beleidigt zu haben, doch dieser lachte nur. "Jason, du bist niedlich. Deine Einstellung zum Sex ist ja schon fast viktorianisch! Sex ist Macht, so sehe ich das. Und was gibt es schöneres als Macht ausüben zu können? Wenn du dir deiner eigenen sexuellen Anziehungskraft bewusst wirst und sie richtig einsetzt, dann hast du alle Trümpfe in der Hand." Er sah sich kurz um. "Pass auf! Siehst du den Mann da drüben?" Er nickte nach links und Jason folgte ihm mit dem Blick. In einiger Entfernung stand ein junger Mann, höchstens Mitte zwanzig, braun gebrannt, kräftig, Latino. Er blickte zu den beiden hinüber, vollkommen unbeeindruckt davon, dass sie ihn nun auch ansahen. "Und was soll mit dem sein?" "Er zieht dich mit den Augen regelrecht aus, mein Lieber." "Bist du sicher, dass er nicht eher dich aus deinem Anzug holen will?" "Jason, stell dein Licht nicht unter den Scheffel, du bist scharf, daran gibt es nichts zu rütteln. Aber nun zurück zu dem Latin Lover da drüben. Ich wette, wenn du ihn jetzt fragen würdest, ob er Lust hat, mit dir zu vögeln, würde er dich gleich hinter der nächsten Ecke flachlegen. Aber würdest du dann auch gleich eine Beziehung mit ihm haben wollen?" "Nein, eigentlich nicht!" gab Jason zu. "Siehst du! Aber schau ihn dir an, warum sollte man dann auf diesen Prachtkerl verzichten? Na los, geh rüber und frag ihn, ob er heute Abend mit dir was trinken gehen will!" Jason schüttelte den Kopf. "Nein, soweit bin ich eindeutig noch nicht." "Wie du meinst, du brauchst ja nichts zu überstürzen. Lass es ruhig angehen. Du bist schließlich auch erst ein paar Wochen hier. Ich sag dir was, wir gehen heute zusammen in einen Club, ich kenne ein paar heiße Adressen hier in San Francisco. Wäre doch gelacht, wenn ich dich nicht auf den Geschmack bringen würde. Ich hole dich heute um acht ab, bei deiner Wohnung, okay? Schließlich ist Freitag, da sollten Männer wie wir auf der Piste sein! Aber jetzt muss ich echt los!" Er stand auf. "Ach und Jason?" "Was?" "Du hast da noch Ketchup im Mundwinkel." Bevor Jason reagieren konnte, beugte er sich zu ihm hinunter und leckte ihm die rote Soße von den Lippen, umfasste dann seine Wangen und gab ihm einen heißen Kuss. "Mami, Mami, guck mal, was machen die Männer da?" "Schau da nicht hin!" schimpfte die Frau ihre Tochter an. Sie war offenbar Touristin, worauf vor allen Dingen die Kamera um ihren Hals hinwies. Ihre kleine Tochter, ein süßes Mädchen mit roten Zöpfen und Sommersprossen, starrte David und Jason fasziniert an und hatte ihren Finger noch erhoben um ihrer Mama zu zeigen, was sie meinte. Diese zerrte ihre Tochter beinahe panisch weiter. Jason war die ganze Sache grauenhaft peinlich, David offensichtlich nicht. "Hey, Lady, das ist eben San Francisco!" Die Frau zeterte etwas, was aus der Entfernung wie "Unverschämtheit!" klang. "So, ich muss echt los, bis heute Abend, Sunshine, bye!" "Bye!" war alles, was Jason hervorbrachte. Aber das reichte David wohl und er verschwand in der Menge. Jason sah ihm nach. Was war eigentlich gerade passiert? Er hatte einen Einblick in David Vanderveers Leben bekommen und irgendwie hatte ihm das gefallen, von dem Kuss eben ganz zu schweigen, er musste definitiv noch einen Moment sitzen bleiben, um die Beule in seiner Jeans zu kaschieren. David war ein toller Mann und Jason verspürte den Wunsch, so wie er zu werden. Dieses Gespräch am Fisherman's Wharf war der wahre Beginn ihrer Freundschaft gewesen. "Erde an Jason, Sunshine, wo bist du denn heute Abend?" Jason zuckte zusammen, er hatte gar nicht gemerkt, dass er in Gedanken versunken gewesen war. "Sorry, David, ich bin heute nicht so ganz da. Magst du dich nicht setzen?" "Ich dachte schon, du würdest nie fragen!" Er ließ sich auf den Hocker neben Jason fallen und stützte sein Gesicht auf den rechten Arm auf. "Hey, Jeremy! Gib mir das gleiche wie Jason!" Der Barkeeper nickte und lächelte den Anwalt auf eine Weise an, die Jason sofort verriet, dass sie auch schon nach Jeremys Feierabend Kontakt gepflegt hatten. "Sag nicht, du bist mit Jeremy ins Bett gegangen?" "Ach, wo denkst du hin!" David winkte ab, grinste aber gleichzeitig, "Nicht ins Bett, in seiner Generation ist wohl das Auto wieder in. Meine Güte, du glaubst gar nicht, wie unerotisch es sein kann, wenn du dir mitten dabei die Handbremse in die Rippen rammst, für solche Kunststück bin ich wohl doch zu alt. Wir haben uns dann später auf den Rücksitz verzogen, das war dann schon eher was. Ich sage dir, Jeremy ist verdammt ausdauernd und er ist nicht nur in der Nase gepierct! Er arbeitet hier, um seine Ausbildung zum Tänzer zu finanzieren, hast du das gewusst? Du kannst dir nicht vorstellen, wie gelenkig der ist!" "Aber ist der nicht etwas zu jung?" "Süßer, können sie überhaupt zu jung sein?" David steckte sich eine Zigarette an, mit einer Lässigkeit, die es schon fast wie einen erotischen Akt wirken ließ. Er inhalierte den Rauch und stieß ihn dann wieder aus. Rauchen war Davids einziges Laster, von jungen Männern mal abgesehen. "Du musst das mal so sehen:," fuhr der Anwalt fort, "Diese Jungs um die zwanzig sind voller Energie und Tatendrang und vor allem kauen sie einem nicht diese furchtbare Romantik- und Datingleier vor. Da zählt noch der Sex und sie sind immer froh, von einem erfahrenen Mann etwas lernen zu können!" Wenn man unter "erfahrener Mann" im Lexikon nachschlug, würde man unter dem Zusatz "schwul" auf jeden Fall ein Bild von David finden, dessen war Jason sich sicher. Doch David war noch nicht fertig. "Weißt du, Jason, Jungs um die zwanzig sind die neue Designerdroge. Andere nehmen Ecstasy, ich eben Männer in den Zwanzigern um high zu werden. Glaube mir, das ist gesünder und macht mehr Spaß!" Jason musste lachen, so kannte er David! David war für ihn eine Art männliche Samantha Jones, Kim Cattralls etwas überdrehte, nymphomanische Serienfigur in "Sex and the City", eine Rolle in der David schon selbst zugegeben hatte, sich ab und an wiederzuerkennen. "Jetzt sag mal, was einen rechtschaffenen Cop wie dich an einem Montag Abend ins "Mighty" treibt!" "Und was treibt einen rechtschaffenen Anwalt am Montag Abend ins "Mighty"?" konterte Jason. "Ich erhebe Einspruch, Euer Ehren, hier versucht jemand, eine Frage mit einer Gegenfrage abzublocken!" frotzelte David. "Hier, dein Cosmopolitan!" mischte sich Jeremy ein. Er schob David das Glas hin und als dieser danach griff, berührte er ihn an der Hand. "Und ich habe um zwei Uhr Feierabend!" "Sag mal, Jeremy, warum baggerst du mich nie so an?" grinste Jason. "Nun, ich hab auch nichts dagegen, wenn wir was zu dritt unternehmen, Detective!" Sein Rang bei der Polizei hatte sich bei vielen, die er hier näher kannte, zu einem Spitznamen für ihn entwickelt. "Langsam, schalt mal einen Gang zurück, Don Juan!" lachte David. "Jason und ich haben heute eh noch was vor, vielleicht ein anderes mal!" "Kann man nichts machen!" lächelte Jeremy, wenn auch etwas enttäuscht. "Viel Spaß noch, ich muss weitermachen." Mit diesen Worten verschwand er wieder in Richtung der anderen Seite der Bar. "Hab ich das richtig verstanden? Er wollte wirklich...?" "Einen Dreier!" lachte David, "Ja, das passt zu Jeremy!" "Hast du so etwas schon mal gemacht?" "Du nicht?" Jason schüttelte den Kopf. "Dreier sind immer noch schwer angesagt, sie sind der Blowjob des einundzwanzigsten Jahrhunderts!" "Ich habe wirklich nichts gegen Blowjobs, das weißt du, aber zu dritt?" "Mach es nicht runter, ohne es zu versuchen!" sagte David mit einem Zwinkern. "Aber du solltest wenn der Stargast sein." "Der Stargast?" Langsam kam Jason nicht mehr mit. "Ja, der dritte, der dazu kommt." "Der Ersatzspieler?" scherzte Jason. "Lästere du nur! Aber es ist perfekt, du kommst dazu, hast die Aufmerksamkeit von beiden, großartigen Sex und musst dir auch keine Gedanken wegen deiner Beziehung machen." "Du hast doch sowieso nie eine Beziehung!" stellte Jason fest. "Darum habe ich ja großartigen Sex!" David drückte die Zigarette in einem Aschenbecher auf der Bar aus und nahm stattdessen einen Schluck von seinem Cosmopolitan. "Mich verwundert es schon, dass mich jemand wie Mr. Barkeeper hier überhaupt dabei haben will, wenn er Sex mit dir haben könnte." "Jason, du hast eine so erotische Ausstrahlung und weißt nichts davon! Irgendwie gibst du ständig sexuelle Energie ab, eine Vibration, als würde in dir ein Feuer lodern. Er wäre verrückt, dich nicht scharf zu finden! Und genau das ist der Grund, warum ich dich heute ganz allein für mich haben will, ohne gepiercten Barkeeper als Ersatzspieler." Diese Worte, von Davids Lippen, hatten etwas, das Jason einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. Er wusste nicht, ob es am Cocktail oder an den Vibrationen lag, aber es wurde ihm in diesem Moment ein wenig warm. "Was haben wir also vor, da wir ja unter uns sind?" wechselte er scheinbar das Thema, obwohl sein Grinsen die Frage Lüge strafte. "Das wird sich zeigen!" antwortete David, beugte sich vor und knabberte Jason dreist am Ohr. "Wir haben uns schließlich schon lange nicht mehr gesehen!" In diesem Moment erklangen die ersten Akkorde von "Showdown", eines der laszivsten Lieder von Britney Spears' Album "In the Zone". "Lust auf einen Tanz?" David fasste Jason an der Hand und zog ihn mit sich, ohne auf eine Antwort zu warten. Auf der Tanzfläche waren die beiden ein eingespieltes Team. Da beide sehr gut trainiert und gelenkig waren, sorgten ihre teils wirklich erotischen Tanzeinlagen oft dafür, dass viele um sie herum aufhörten zu tanzen und den beiden zusahen. "Never thought I'd see you like this You lookin' good when you're half dressed Just let me give you one last test Is that a sin? No... Am I too hot for you though Did you check out my video? There's some things you don't know Like this!" Schon nach der ersten Strophe des Songs hatten die beiden die komplette Aufmerksamkeit der umstehenden Tänzer. Jason stand mit dem Rücken zu David und rieb sich im Takt der Musik an ihm, während dieser immer wieder mit lasziven Bewegungen Jasons Shirt hochschob und seinen muskulösen Bauch entblößte. Auf der Tanzfläche erkannte Jason sich meist selbst nicht wieder, hier ließ er alles von sich abgleiten und ging voll aus sich heraus. Zusammen mit dem eh sehr extrovertierten David konnte er das am besten. "I don't really wanna be a tease Would you undo my zipper please? Uh uh, please don't talk Listen I'll let you touch me if you want I see your body rise, rise And when you come, don't get too hot Butterflies!" Spätestens als David bei dieser Strophe Jason an sich zog, dieser sich das Shirt vom Leib riss und den Kopf in den Nacken warf, als David tatsächlich seine Hand über seinen Reißverschluss gleiten ließ, bevor er ihn mit der anderen an der Hüfte noch fester an sich presste und leidenschaftlich küsste, waren die anderen um sie herum nicht mehr zu halten. Sie feuerten die beiden johlend an. Als der Song schließlich beendet war, waren beide geschwitzt und außer Atem, eher weniger von der Anstrengung, als von der Erregung die beide erfasst hatte. Jason fühlte zudem einen heftigen Druck gegen die Innenseite seiner Jeans, denn David hatte den Tanz wesentlich heißer vorangetrieben, als es sonst schon seine Art war. Er hob sein Shirt vom Boden auf und streifte es wieder über, bevor sie an die Bar zurück gingen und die restlichen Tänzer sich wieder der Musik widmeten. David nippte an seinem Cosmopolitan und grinste Jason an, als dieser sich mit einem leichten Stöhnen auf den Barhocker setzte. "Hast du was?" "Du weißt genau, was ich habe, schließlich hast du ja ganz schön an mir rumgefummelt!" "Oh, du armer Kerl!" David beugte sich zu ihm hinüber, so dass er ihm etwas ins Ohr flüstern konnte. "Ich weiß, was man dagegen tun könnte." Er rieb dabei mit der Hand ganz nebenbei über Jasons Schritt, so geschickt, dass diesem ein Stöhnen entfuhr. "Zu mir oder zu dir?" Jason überlegte nicht lange, er wollte den Abend noch nicht beenden und schon gar nicht wieder in die Wohnung zu Chris. "Zu dir!" lächelte er. "Bei mir wären wir nicht ungestört." "Wie du willst! Hey, Jeremy!" David bezahlte die Drinks, zusammen mit einem großzügigen Trinkgeld für Jeremy, dann verließen er und Jason das "Mighty" und nahmen ein Taxi zu Davids Apartment. Lachend und schwungvoll öffnete David die Tür zu seinem Apartment, zog Jason hinein und warf sie wieder ins Schloss. Nur Sekunden später stieß Jason mit dem Rücken gegen die Eingangstür, als sich David an ihn presste und ihn fordernd küsste. "Kannst du dir erklären, warum wir soviel Aufsehen erregt haben?" grinste er, als sich ihre Lippen lösten. "Keine Ahnung..." antwortete Jason, während seine Hand ganz beiläufig unter Davids Hemd nach seinem Bauch tastete. "Es kann sein, dass der Taxifahrer nicht dauernd zwei Kerle sieht, die auf seinem Rücksitz knutschen und der Lady im Aufzug hast du beinahe einen Herzinfarkt verpasst, als du mir an den Hintern gefasst hast!" "Die arme Mrs. Johnson!" kicherte David, wobei er Jasons Gürtel öffnete. "Ob sie mich jetzt wohl noch mal ruft, wenn bei ihr eine Glühbirne kaputt ist? Sie sagte immer, ich sei so ein vertrauenswürdiger Mann!" "Vertrauenswürdig? Du bist Anwalt, wie passt das zusammen?" grinste Jason und zog David mit einem Ruck das Hemd über den Kopf. In Davids Wohnung fühlte Jason sich immer freier als bei sich. Hier war er weit weg von den Zwängen seines Berufs, weit weg davon, seine Vorlieben zu verleugnen. David verstand ihn, so wie er war. Das konnte niemand sonst, außer vielleicht Chris. Als der Name in seinem Kopf auftauchte, spürte Jason wieder diesen seltsamen Stich im Herzen. So schnell er konnte, drängte er den Gedanken zurück und konzentrierte sich auf David, der ihn mittlerweile ebenfalls von seinem Shirt befreite. Als sie sich umarmten, nackte Haut an nackter Haut, nahm sich Jason vor, keinen Gedanken mehr an Chris zu verschwenden. Das was er hatte reichte ihm, wozu brauchte er da noch Liebe? David hatte ihn währenddessen sanft aber bestimmt ins Schlafzimmer geführt, wo Jason sich auf sein großes Bett fallen ließ. Die Lampen in der Wohnung waren aus, aber die geöffneten Vorhänge vor dem Fenster ließen die Lichter der Stadt hinein und malten ein anregendes Zwielicht aus Schatten und Licht. Jason beobachtete, wie sich David vor dem Bett seiner Hose entledigte und dann nackt zu ihm stieg, er selbst trug immer noch seine nun geöffnete Jeans, die Boxershorts darunter wies eine nicht zu übersehende Beule auf. David beugte sich über ihn, strich ihm mit dem Zeigefinger über den Bauch und die Brust, so sanft, dass sich dabei Jasons Brustwarzen verhärteten. "Wo bist du, Sunshine? Du bist heute irgendwie nicht bei der Sache." Er ließ seine Hand über Jasons Wange gleiten. Jason sah ihn an, sein kantiges, hübsches Gesicht, halb im Schatten, halb in Licht getaucht. "Verzeih, ich war kurz in Gedanken." "Wenn du nicht willst, müssen wir nicht miteinander schlafen." Statt zu antworten, griff Jason hinüber zu Davids Nachttisch und zog die oberste Schublade auf. Er wusste genau, wo sein Freund die Kondome aufbewahrte. Er zog eines hervor, hielt es David grinsend hin und schlang dann die Arme um den Hals des jungen Anwalts, um ihn zu sich hinabzuziehen. "Weißt du, was ich will?" flüsterte er ihm ins Ohr. "Ich will, dass du mich fickst, als gäbe es kein Morgen!" Dieser vulgäre Tonfall war normalerweise überhaupt nicht Jasons Art, aber es war genau das, was er in diesem Moment dachte. Er wollte mit David schlafen, ohne an Morgen oder an irgendwelche Verpflichtungen zu denken. David nahm ihm das Kondom aus der Hand und erwiderte sein anzügliches Grinsen. "Ganz wie du willst!" Der sanfte Nachtwind, der vom Meer hinüberwehte, glitt über Jasons Oberkörper. Er stand in Shorts auf dem Balkon von Davids Apartment und sah auf die Stadt, auf seine Stadt. Davids Wohnung lag näher am Hafen, in einem ebenso guten Viertel wie die von Jason. Es war ruhig hier, der Verkehr von Downtown schallte nur gedämpft herüber. Das schönste an Davids Wohnung war der Ausblick auf die Golden Gate Bridge. Hier war sie viel näher und wirkte fast so schön wie auf den kitschigen Postkarten, die es an jeder Ecke zu kaufen gab. Obwohl es schon nach Mitternacht war, fuhren noch eine Menge Autos über die Brücke, ihre Scheinwerfer verschmolzen von hier aus zu einem Fluss aus Licht, der sich endlos über das stählerne Gerüst hinzog. Die Brücke selbst war ebenfalls mit Lampen geschmückt und verdiente wie Jason fand erst in der Nacht wirklich den Namen Golden Gate, der sich ja eigentlich eher auf ihre Funktion als goldenes Tor zum Westen bezog. Er zwang sich, die Augen von diesem Anblick loszureißen und schaute über den Hafen und die Bucht, in der beleuchtete Schiffe im sanften Seegang schaukelten. Wenn die Sonne aufging würde vielleicht wieder der Morgennebel all dies einhüllen, als hätte es dieses Schauspiel nie gegeben, erst gegen Mittag tauchte die Bay dann aus den Wolken wieder auf. Der junge Polizist fühlte sich erschöpft, aber auf angenehme Weise. Er nahm selbst den leichten Geruch nach Schweiß wahr, den die leidenschaftlichen Stunden zuvor hinterlassen hatten. Erst zwei Stunden nachdem sie Davids Apartment betreten hatten, war dieser eingeschlafen. So ausdauernd und vor allem wild hatten sie sich schon lange nicht mehr geliebt. Hatten sie sich geliebt? Jason schüttelte den Kopf als Bestätigung für sich selbst. Nein, Liebe war das nicht, eher Lust. Er spürte ein wohliges Kribbeln im Bauch, wenn er an die letzten Stunden dachte. Normalerweise übernahm David den aktiven Part, diesmal jedoch hatten sie sich abgewechselt und zudem Davids Kondomvorrat um einige dezimiert. Er lächelte. Für diese Zeit hatte er wirklich alles vergessen können, er hatte keinen Gedanken an Chris verschwendet. Da war der Name wieder! Jasons Hände krampften sich um das Balkongeländer, so heftig, dass die Knöchel weiß hervor traten.. Er wollte nicht an ihn denken! Chris war ein Idiot, je eher er wieder aus seinem Leben verschwand, umso besser! "Verdammt..." zischte er. Das leise Geräusch der Balkontür riss ihn aus seinen Gedanken, Schritte von nackten Füßen auf kühlem Stein, dann schlossen sich zwei kräftige Hände um seine Hüften und David lehnte sich mit der Wange an Jasons Schultern. Jason spürte, dass er immer noch vollkommen nackt war. David ließ seine Hände über Jasons Bauch gleiten. "Einen Dollar für deine Gedanken." "Sind die dir wirklich einen Dollar wert?" David lachte leise, dabei strich sein Atem über Jasons Schulterblätter. "Sogar mehr, aber als Anwalt sollte man nie zu hoch ansetzen." "Stört dich das nicht?" "Was denn?" "Ich meine, das ich gerade mal mit Shorts bekleidet bin und du nackt, hier auf dem Balkon könnte uns jeder sehen." "Du glaubst, das würde mich stören?" Mit diesen Worten schob David seine Finger unter den Bund von Jasons Shorts und zog sie mit einem Ruck herab. Jason stieß einen Laut des Erstaunens aus und drehte sich zu seinem Freund um. Bevor er etwas sagen konnte, ging David in die Knie und legte dabei seine Hände auf Jasons Hintern. Er blickte zu Jason auf und grinste. "Was glaubst, wie das jetzt erst für die Nachbarn aussieht!" Jason schob ihn von sich und zerrte seine Shorts wieder hoch. "Was glaubst du, wie es für die Nachbarn aussieht, wenn ich dich vom Balkon werfe?" "Dann müsstest du dich selbst wegen Mordes verhaften, Detective! Und die Welt wäre um einen Abschaum der Menschheit ärmer!" David sprach oft von sich und seiner Zunft als "Abschaum der Menschheit". Anwälte hatten ja nie den besten Ruf und er hatte diesen Satz mal in einer Folge der dreizehnten "The Simpsons"-Staffel (oder war es die vierzehnte gewesen? Jason verlor bei dieser schier endlosen Serie immer den Überblick) aufgeschnappt, als dort ein Anwalt überfahren wurde und mit den Worten "Gedenket mir als dem Abschaum der Menschheit" verstarb. David und Jason hatten diese Folge gemeinsam gesehen und seitdem hatte der Anwalt diesen Satz für sich übernommen. David stellte sich hin, so dass er mit Jason wieder auf Augenhöhe war. Im Gegenlicht aus dem Wohnzimmer musste der junge Polizist feststellen, dass David sogar jetzt, nackt, ein wenig verschlafen und mit zerzausten Haaren, umwerfend gut aussah, darum beneidete er ihn. Er selbst fand sich morgens nach dem Aufstehen eher abstoßend als attraktiv, aber eine durchzechte Nacht die er einmal bei David verbracht hatte, hatte ihm bewiesen, dass den Anwalt noch nicht einmal ein heftiger Kater entstellen konnte. "Warum siehst du mich so verträumt an?" "Was?" Jason hasste es, wenn er ohne es zu merken in Grübelei verfiel. Eine Eigenschaft, die er schon als Kind gehabt hatte. "Sorry, ich wollte dich nicht anstarren." "Ist doch kein Problem, hey, wenn du etwas siehst, was dir gefällt, kannst du es gerne haben!" "Spinner!" Er boxte David spielerisch in die Seite und ging dann an ihm vorbei zurück in die Wohnung. Davids Apartment spiegelte ihn selbst auf nahezu unheimliche Weise wieder. Die Einrichtung war modern, ohne kalt zu wirken, absolut im Trend und genial aufeinander abgestimmt. Warme Erdfarben und Rotnuancen, Glas und Metall fügten sich zu einer Wohnlichkeit zusammen, wie Jason sie nur selten erlebt hatte. Blickfang war ein großer, schwarzweißer Akt von David selbst, er posierte mit dem Rücken zur Kamera und sah dabei mit seinem typischen, verheißungsvollen Blick über seine Schulter. Einer der besten Fotografen von San Francisco hatte diese Fotoreihe von ihm geschossen, einige der Aufnahmen waren wesentlich freizügiger. David hatte dieses Bild zu seinem Liebling auserkoren und es sich vergrößern und rahmen lassen. "Als ewige Erinnerung daran, wie knackig mein Arsch war!" begründete er diesen Schritt stets. Während sein Blick noch an dem Foto heftete, folgte ihm das Original ins Zimmer und zog die Schiebetür zu. "Irgendwann schenk ich dir noch mal einen Abzug dieses Bildes, jedes mal wenn du hier bist, schaust du es dir an, als wäre es das erste mal." "Ich bin halt jedes mal aufs neue fasziniert davon, dass du dich selbst nackt im Wohnzimmer hängen hast, auch wenn du behauptest, dass das rein gar nichts mit Narzissmus zu tun hat." "Hat es auch nicht, du weißt, ich will..." "Als alter Mann immer daran erinnert werden, wie knackig und scharf mal dein Arsch gewesen ist!" beendete Jason den Satz. "Du Narzisst!" witzelte er und spielte dabei auf die griechische Sage des bildschönen Jünglings Narziss an, der sich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser verliebte und als er es betrachtete, schließlich hineinstürzte und ertrank. Bevor David kontern konnte, klingelte es an der Tür. Jason blickte seinen Freund etwas erstaut an, es war schließlich fast zwei Uhr nachts. David grinste. "Hast du gedacht, ich habe gepennt, während du dich da auf dem Balkon deinen trüben Gedanken gewidmet hast." fragte er, während er schnell ins Schlafzimmer eilte und sich einen Bademantel überwarf, um dann zur Eingangstür zurückzukehren. Jason schmunzelte, bevor er sich ein wenig aus dem Blickfeld der Tür entfernte, so dreist nackt an die Tür zu gehen, war David dann wohl doch nicht. Er öffnete und Jason erhaschte einen Blick auf einen Asiaten, der David anlächelte und ihm eine Tüte in die Hand drückte. David bedankte sich und kam ins Wohnzimmer zurück, mit der Tüte wedelnd. "Hühnerfleisch in scharfer Soße, chinesische Nudeln und Reis, hab ich was vergessen? Immer gut ein Kundenkonto im "Golden Dragon" zu haben, findest du nicht?" "Du kennst mich einfach zu gut!" lachte Jason. Um zwei Uhr nachts Essen vom Chinesen kommen zu lassen, auf so eine Idee kam auch nur David, beim Gedanken an die Uhrzeit und an den bevorstehenden Arbeitstag wurde Jason ganz schwindelig, aber er ließ sich nichts anmerken, seine Stimmung hatte sich wieder gebessert. Eine Zeit lang aßen die beiden schweigend vor sich hin, sie machten sich nicht die Mühe, Teller zu holen, sondern benutzten die mitgelieferten Stäbchen und aßen direkt aus den zu klappbaren Kartons, in denen sich das Essen befand. Jason musste zugeben, dass David auch bei der Wahl seiner Restaurants ein glückliches Händchen hatte, alles schmeckte vorzüglich. "Ich müsste längst nach Hause." sagte Jason zwischen zwei Bissen. "Ich habe aber irgendwie nicht das Gefühl, dass du das willst." "Da magst du recht haben..." gab Jason zu und steckte sich ein Stück Hühnerfleisch in den Mund. "Wenn du willst, kannst du hier schlafen." "Nein..." Jason schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht hier bleiben, wie sehe das denn aus, wenn ich morgen in den gleichen Klamotten bei der Arbeit auftauchen würde." "Dann wüssten deine Kollegen, dass du eine heiße Nacht hinter dir hast." "Und was würden sie erst sagen, wenn sie wüssten, dass ich die Nacht im Bett eines Mannes verbracht habe..." "Ich weiß nicht, ich könnte das nicht, dieses Versteckspiel würde ich nicht aushalten." "Ich wäre bei meinen Kollegen sofort unten durch. Allein schon mein Partner ist ein furchtbarer Macho, wie du weißt. Das wäre der Todesstoß für meine Karriere, glaube ich. Und meine Eltern wären auch enttäuscht." David stellte seine Tüte mit Nudeln auf dem Tisch ab. "Das glaub ich nicht! Jason, ich kenne deine Eltern, das sind so nette Menschen. Und meine Eltern haben es doch auch ganz gut aufgenommen. Und die sind strenggläubige Katholiken. Mein Vater hat mich nur darum gebeten, nicht unbedingt einen Freund mit nach Denver zu bringen, weil er gern vor seinen Freunden mit mir angibt und die sind nicht so tolerant." "Und das nervt dich nicht?" "Jason, ich lebe in San Francisco und ich kann hier tun was ich will. Wenn ich mal kurz in Denver zu Besuch bin, kann ich es ertragen mal nicht zu vögeln." erklärte er mit einem verschmitzten Grinsen. Jason war auch satt. "Ich bewundere dich, das hab ich dir schon oft gesagt, ich kann es nur immer wieder sagen. Ich wünschte ich wäre ein bisschen so wie du." David erhob sich und setzte sich neben Jason. Er legte ihm den Arm um die Schulter. "Rede nicht immer so einen Mist, Jason Cunningham ist Jason Cunningham und das ist gut so!" Er rümpfte Nase. "Abgesehen davon, dass er etwas nach Schweiß riecht. Magst du duschen?" "Mit dir zusammen?" David lachte. "Wenn du willst!" Er streifte bereits jetzt den Bademantel ab und ging nackt ins Badezimmer, um die Dusche anzudrehen. Jason folgte ihm und stieg aus seiner Shorts. David ließ ihm den Vortritt in die geräumige Duschkabine, bevor er die Tür schloss. Das Wasser war bereits warm, Jason legte den Kopf in den Nacken und ließ es über seine Brust prasseln. Er hielt die Augen geschlossen, als er Davids Hände spürte, die seine Oberkörper einschäumten. Das Duschgel duftete angenehm nach Südfrüchten, David hasste diese "männlichen" Duschgels, die, außer das sie nach Moschus stanken, sich im Geruch kaum unterschieden. Jason entspannte sich und genoss für einen Moment Davids Berührungen, ohne dabei jedoch erregt zu werden. Der blonde Mann stand hinter ihm und verteilte das Duschgel auf seinen Schultern. "Meine Güte!" Er griff fester zu und massierte Jasons Schulterblätter. "Du bist ja vollkommen verspannt!" Jason atmete genüsslich aus. "Du hast magische Hände!" "Erzähl mir was neues!" lachte David. "Darf ich dich was fragen?" fügte er schließlich hinzu. "Was denn?" "Wer ist Chris?" In diesem Moment schien das Wasser eiskalt zu werden. Jasons Gedanken arbeiteten fieberhaft. Wann hatte er David von Chris erzählt? Wie konnte er von ihm wissen? Und was sollte er jetzt sagen? Er drehte sich zu David um. "Was zum... woher weißt du von ihm?" "Soll ich dir das wirklich verraten?" "Ja, auf jeden Fall!" David lehnte sich zu ihm hinüber. "Ich mache es anschaulich. Die Situation ist folgende: Du liegst auf mir, bist gerade voll dabei, kommst und gibst dabei folgendes von dir," er bemühte sich deutlich nicht zu kichern, während er Jasons Stöhnen nachahmte. "Oh, Chris! Chris! Ja!" Nun musste er doch lachen. "Ich glaube, das reicht aus als Beweisstück A!" Jason konnte es nicht fassen. "Sag, dass das nicht wahr ist!" David nickte unerbittlich und genoss es sichtlich. "Wärst du vor Gericht wäre das ein astreines Geständnis gewesen!" "Ich fasse es nicht!" "Jetzt mach doch keine große Sache daraus!" David winkte ab. Er reichte Jasons die Flasche mit dem Duschgel. "Hier, schäum dich unten rum selbst ein, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst!" Vollkommen perplex nahm ihm der junge Polizist das Duschgel aus der Hand. "Bist du nicht sauer?" "Warum sollte ich? Ich meine, ich bin es zwar nicht gewöhnt, dass meine Partner beim Sex mit mir an andere Kerle denken, aber wir sind doch nicht zusammen, oder? Ist doch kein Treuebruch." Jason drehte sich weg und ließ das Wasser den Schaum von seinem Körper waschen. Seine Wangen brannten vor Scham. Er wagte es nicht einmal, David in die Augen zu sehen. Sein Freund merkte ihm das natürlich sofort an. Er umarmte ihn von hinten und gab ihm einen Kuss auf den Nacken. "Jetzt sei nicht so furchtbar peinlich berührt." "Doch!" Jason schob ihn von sich und verließ wortlos die Dusche. "Sunshine!" David benutzte im Reflex seinen Kosenamen für Jason um ihn zu beruhigen, obwohl er noch Schaum am Körper hatte, drehte er das Wasser ab und folgte dem jungen Polizisten. "Komm schon!" "David! Es tut mir wirklich leid! Ich begreif das nicht!" In seinen Augenwinkeln glänzten jetzt eindeutig Tränen. "Ich wollte ihn doch..." Er brach ab und bedeckte das Gesicht mit den Händen. "Du wolltest ihn in meinem Bett vergessen, oder?" beendete David den Satz. "Ja... ich glaube ja..." David setzte sich nackt auf den geschlossenen Toilettendeckel. "Wie wäre es, wenn du mir jetzt mal alles erzählst?" Er lehnte sich gegen die Wand. Jason betrachtete den beschlagenen Spiegel und sah dann zu Boden. "Ich begreife es nicht... Chris ist ein Alptraum! Ich habe es dir nie erzählt, aber er war der Grund, warum ich New York verlassen habe. Ich war damals in ihn verliebt, zumindest dachte ich das. Aber er hat mir wahnsinnig weh getan und da hab ich den einzigen Weg gewählt, den ich sah..." Er suchte nach der richtigen Beschreibung. "Du bist weggelaufen." David nannte Jasons Verhalten eindeutig beim Namen. "Ja... so kann man es sagen... ich hab so lange gebraucht, um ihn zu vergessen, ihn vollkommen aus meinem Leben zu streichen und was passiert? Heute morgen steht er plötzlich vor mir! Und ich Idiot wollte die Vergangenheit vergangen sein lassen und war nett zu ihm und was macht er? Er benimmt sich wie die Axt im Walde, wie ein Riesenarschloch! Er hat mich zur Weißglut getrieben! Ich hab ihn einfach in meiner Wohnung gelassen und bin abgehauen... und jetzt würde ich am liebsten gar nicht zurückgehen. Ich will ihm nicht unter die Augen treten... ich habe vorhin total die Beherrschung verloren. Aber er hat es auch herausgefordert! Ich hatte gehofft, ihn wenigstens bei dir mal zu vergessen!" "Jason?" "Hm?" "Du bist verliebt!" Die nüchterne Art, in der David dies feststellte, brachte Jason total aus dem Takt. "Bin ich nicht!" "Sunshine, du bist über beide Ohren verliebt! Glaube mir!" "Aber ich... ich will doch keine Beziehung... ich..." David erhob sich. Er nahm ein Handtuch und fing an, Jason abzutrocknen. Der brünette Mann ließ einfach alles mit sich geschehen. Während der ganzen Zeit ließ David ihn in Ruhe, um sich ein wenig zu fangen. Nachdem er sich auch abgetrocknet hatte, half er Jason in einen seiner Bademäntel und führte ihn ins Schlafzimmer zurück. Er ging noch immer unbekleidet ins Wohnzimmer, holte seinen eigenen Bademantel und brachte aus der Küche zwei Flaschen Bier mit. Eine gab er Jason, bevor er aus der anderen einen Schluck nahm und sich neben ihn setzte. "Geht es jetzt besser?" Jason nickte und nippte an seinem Bier. "Ich weiß einfach nicht, was ich von der ganzen Situation halten soll. Ich wünschte wirklich, ich wäre so wie du, dann wüsste ich was ich zu tun hätte..." David seufzte und ließ sich nach hinten sinken. "Warum nimmst du mich eigentlich immer als Vorbild? Ich meine, du bist doch eine eigene Persönlichkeit..." "Aber ich hab mein Leben doch einfach nicht im Griff..." David erhob sich vom Bett, ging ein paar Schritte ans Fenster und sah einen Moment schweigend hinaus, während er Jasons Blicke im Rücken fühlte. "Darf ich mal ganz offen mit dir reden?" "Klar!" antwortete Jason, allerdings mit nicht zu überhörender Unsicherheit in der Stimme. David drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an das kühle Glas des Fensters. "Weißt du, was dein Problem ist? Du kennst dich selbst nicht! Du weißt nicht, wer Jason Cunningham ist. Du möchtest wie ich sein, aber warum versuchst du nicht, mal du selbst zu sein? Ich meine, sieh es mal so: Wir beide sind sehr gute Freunde oder liebst du mich?" Jason schüttelte entschieden den Kopf. Er hatte schon oft in sich hineingehorcht, aber er hatte nie mehr als Freundschaft für David empfunden und körperliches Begehren war noch lange keine Liebe. David fuhr fort. "Na bitte. Also hat sich an unserem Motto nichts geändert. Wir sind Freunde, wir haben auch manchmal Sex. Aber schläfst du auch mit anderen Männern?" Jason musste wieder verneinen. "Da hast du es! Du weißt, dass ich es tue. Ich bin auch nicht auf der Suche nach einer Beziehung. Ich bin fünfunddreißig und bei mir tickt keine biologische Uhr, ich kann auch wenn ich vierzig bin noch einen festen Partner finden, vielleicht eher in dem Alter als jetzt. Aber du bist in dieser Beziehung nicht wie ich, auch wenn du es glaubst. Ich hab schon lange erkannt, dass du dich nach einer richtigen Beziehung sehnst, auch wenn du es niemals vor dir selbst zugibst. Du schläfst mit mir, ohne Verpflichtungen, aber auch nur mit mir! Merkst du nicht, dass ich deine eigene Form von Monogamie bin?" Jason sah ihn einen Moment lang an, ohne zu antworten. Es stimmte. Dieser Gedanke drängte sich nahezu gewaltsam in seinen Kopf, zertrümmerte all die mühsam errichteten Mauern. Alles was er sich seit vier Jahren eingeredet hatte, brach wie ein Kartenhaus in sich zusammen, ein großes, geduldig aufgestelltes Kartenhaus, das der leichte Luftzug einer zu schnell geöffneten Tür in sich zusammenfallen ließ. Und er, Jason Cunningham, stand jetzt vor den Trümmern dessen, woran er schon beinahe selbst geglaubt hatte. All die tollen Dogmen, die er sich selbst auferlegt hatte, hatten mit diesen wenigen Sätzen Davids ihre Bedeutung verloren. Ihm kamen die Tränen, er konnte nichts dagegen tun. Unaufhaltsam liefen sie über seine Wangen, während sein Körper vom Schluchzen geschüttelt wurde. Er hatte schon so lange nicht mehr geweint. David kam zu ihm und schloss ihn in die Arme, wie ein Vater seinen kleinen Sohn, der sich beim Skateboardfahren das Bein aufgeschrammt hat. "Sunshine, ist ja gut..." "Es... es... tut mir leid... ich wollte dich nicht benutzen oder so, das musst du mir glauben..." schluchzte Jason. "Hey, mach dir keine Sorgen. Du hast mich nicht benutzt! Dazu bist du viel zu lieb und ehrlich und ich bin wirklich nicht der Typ, der sich ausnutzen lässt. Ich hatte doch auch meinen Spaß, du bist aber weit mehr als ein toller Liebhaber. Wir sind Freunde, das ist viel wichtiger oder nicht?" "Doch... aber trotzdem..." "Nichts aber trotzdem. Ich wollte dich nur nicht drängen, dass du dich selbst erkennst. Ich hab wirklich schon lange nur darauf gewartet, dass bei dir der Blitz einschlägt und du dich verliebst. Das war nur eine Frage der Zeit. Und jetzt ist es eben soweit." Jason drückte sich an ihn und weinte immer noch. "Aber ich habe Angst..." "Das verstehe ich, aber ich weiß auch, dass du das packst. Meinetwegen hattet Chris und du einige Startschwierigkeiten, aber glaube mir, wenn du es jetzt nicht versuchst und die Gelegenheit beim Schopf packst, wirst du es dein ganzes Leben lang bereuen!" Jason drückte ihn sanft ein Stück von sich weg, damit er ihm besser ins Gesicht sehen konnte und wischte sich mit dem Ärmel des Bademantels die Tränen aus den Augenwinkeln. "Und was wird aus uns?" "Was soll schon werden?" lächelte David. "Wir bleiben doch trotzdem Freunde! Das war es eben nur mit den "fuck buddies", mehr nicht." "Buddies?" fragte Jason vorsichtig und zog die Nase hoch. "Best buddies!" grinste David und drückte seinen Freund an sich um ihn herzlich zu umarmen. "Und daran wird sich nie etwas ändern!" Jason nickte nur. Zwischen ihnen war nun alles klar. Jason spürte tief in sich drin das Gefühl, dass ein Abschnitt seines Lebens hier zu Ende ging. Es war schön gewesen mit David, aber er verlor ihn ja nur als Liebhaber, nicht als besten Freund. Sie würde sich weiter sehen, weiter lästern, ins Kino gehen, zusammen die Clubs unsicher machen, nur eben nicht mehr miteinander schlafen. Und merkwürdigerweise machte ihn das auch nicht traurig. Der Abend war der Abschluss dieses Lebensabschnitts gewesen, es hatte sich so ergeben, ohne das Jason es geplant hatte. Der einzige Mensch, der ihn wirklich vollkommen kannte, hatte ihm über sich selbst die Augen geöffnet, über sich und seine Gefühle für Chris. Als Jason wenig später einem Taxifahrer seine Adresse nannte und Davids Wohnhaus in der Nacht hinter ihm verschwand, dankte er in Gedanken seinem Freund, für das, was er für ihn getan hatte. David hatte ihm versichert, immer für ihn da zu sein und ihm nach Kräften zu helfen, mit seiner neuen Beziehung fertig zu werden. Seine neue Beziehung... eigentlich hatte er ja noch gar keine. Je näher das Taxi seiner Wohnung kam, umso heftiger klopfte sein Herz. Würde Chris ihm verzeihen, was er am Nachmittag getan hatte? Würden sie über die Vergangenheit, über New York hinwegkommen? Und wie würde sein Leben sich verändern, wenn er wirklich zu seiner Liebe zu Chris stünde, nicht nur in den eigenen vier Wänden, wie er es in New York getan hatte, sondern offen und vor der ganzen Welt? Wusste er wirklich, was er da tat? War es das wirklich wert? Doch der Gedanke an Chris konnte nur eine Antwort zulassen. War es das Risiko wert? Ja! Kapitel 4: And the walls came tumbling down ------------------------------------------- Jason drehte den Schlüssel und verschloss so sein Apartment vor der Außenwelt. Der Pförtner hatten ihn etwas verwundert angesehen, weil er unter der Woche um eine solche Uhrzeit nach Hause kam. Er hatte ihn nach irgendwelchen merkwürdigen Vorkommnissen gefragt, aber der Wachmann hatte nur verwundert den Kopf geschüttelt. Seine Wohnung lag in völliger Dunkelheit, sogar die Vorhänge waren zugezogen, ein automatisches System sorgte dafür. Jason kannte sich aus und fand schnell den Dimmer. Langsam regelte er das Licht hoch, um etwas erkennen zu können. Ihm blieb in diesem Moment beinahe das Herz stehen. Hinter seiner Couch ragten zwei Füße hervor, er erkannte sofort Chris' abgelaufene Turnschuhe, die er am Morgen getragen hatte. Seine Hand fuhr ruckartig zu der Stelle, an der er sonst seine Dienstwaffe trug, griff aber natürlich ins Leere. Aber sollte Chris wirklich etwas passiert und der Mörder noch hier sein, hätte er ihn durch das Licht eh auf sich aufmerksam gemacht, das Überraschungsmoment konnte er also getrost vergessen. Vorsichtig ging er weiter ins Wohnzimmer hinein, stets darauf gefasst sich verteidigen zu müssen. Doch alles blieb ruhig. Kein Mörder sprang hervor oder stürzte sich auf ihn. Allerdings wäre Jason beinahe gestürzt und zwar über eine leere Wodka Flasche, die hinter dem Sessel lag. Rund um den Glastisch lagen und standen Flaschen, Wodka, Whisky, Scotch, Cognac, Rum, einige leer, andere nur angetrunken, der Sherry trocknete im Teppich ein, nachdem die Flasche offenbar umgefallen war, Jasons halbe Hausbar, von der er so gut wie nie etwas anrührte, war hier verteilt. Chris lag auf dem Bauch hinter der Couch, mit einer leeren Whiskyflasche in der Hand. Jason ging ein Licht auf und gleichzeitig kochte Wut in ihm hoch. Doch er riss sich zusammen. Mühsam beherrscht schüttelte er Chris an der Schulter. "Hey, Chris! Aufwachen!" Keine Reaktion. Jason drehte ihn vorsichtig herum. Wenigstens atmete er noch. Aber irgendetwas stimmte hier nicht, selbst wenn Chris stockbesoffen war, müsste er doch zumindest wahrnehmen, dass Jason ihn schüttelte. Außerdem atmete er viel zu flach. Jasons Blick streifte etwas orangefarbenes, das halb hinter die Couch gerollt war. Er griff über Chris hinüber und angelte nach dem Gegenstand. Als er sah, was er da in der Hand hielt, stockte ihm der Atem. Ein typisches Pillenröhrchen aus dem Drugstore, ein ziemlich starkes Beruhigungsmittel, das Jason mal verschrieben bekommen, aber nie genommen hatte. Die Tabletten waren allein schon stark, aber mit der offensichtlichen Menge Alkohol, die Chris in sich hineingeschüttet hatte, ergaben sie eine wirklich üble Mischung. "Verdammter Idiot!" entfuhr es Jason. Zum Glück fehlten auf den ersten Blick nicht viele von den Tabletten, drei, vielleicht vier, der Behälter war noch randvoll. Er warf das Röhrchen auf die Couch und zerrte Chris so schnell er konnte nach oben. Der junge Mann sank wie ein nasser Sack in seinen Armen zusammen. Jason trat der Schweiß auf die Stirn. Er zog Chris mit sich ins Badezimmer und stieg mit ihm zusammen in die Duschkabine. So schnell er konnte drehte er den Wassermischer an, so kalt wie es ging. Ein eisiger Regen ergoss sich über die beiden und durchnässte sie sofort bis auf die Haut. Jason hielt Chris mit der linken Hand aufrecht und verpasste ihm mit der rechten eine Ohrfeige nach der anderen. "Wach auf, du Idiot! Tu mir das nicht an! Wach auf!" Chris stöhnte leise. Wenigstens wurde er wach. Jason schleppte ihn aus der Duschkabine, schleifte ihn vor die Toilette und klappte den Deckel hoch. "Du verdammter Idiot!" wiederholte er immer wieder. Ohne groß darüber nachzudenken, hielt er Chris' Kopf über die Toilette und steckte ihm mit der freien Hand den Zeigefinger in den Mund, so tief er konnte, bis er den blonden Mann zum Würgen brachte. "Mach schon! Los!" Chris würgte stärker und schließlich erbrach er sich. Jason bekam den ersten Schwall auf die Hand, aber das war ihm egal. Chris Körper krampfte, während er vom Würgereiz geschüttelt wurde und seinen Mageninhalt in die Keramikschüssel spie. "Gut so!" Jason hielt ihm die Haare aus dem Gesicht und schüttelte ihn gleichzeitig, damit er weiter kotzte. Kurz darauf ging das Würgen in ein Husten über, scheinbar hatte Chris seinen Magen vollkommen entleert. Jason sank zusammen und hielt den keuchenden Mann in seinen Armen. Er zitterte, das kalte Wasser tropfte von seinem Körper. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass Tränen über seine Wangen rannen und sich mit dem Wasser auf seiner Haut vermischten. Er presste Chris an sich, während er immer heftiger anfing zu weinen. Seine ganze Anspannung löste sich in einem Weinkrampf, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Wäre er nur etwas später gekommen oder gar bei David geblieben, schlimmer noch, hätte Chris mehr Tabletten genommen... er wollte es sich gar nicht ausmalen. Gleichzeitig fühlte er aber kalte Wut in sich aufsteigen, Wut über Chris' Leichtsinn, Wut über sich selbst. Es kostete ihn immense Mühe, sich endlich wieder zu fangen. Er wusch sich schnell die Hand, über die Chris sich erbrochen hatte. Seine Zähne klapperten vor Kälte, als er schließlich begann, sich und Chris von den durchnässten Kleidern zu befreien. Gegen seinen Willen spürte er, wie der Anblick von Chris' nacktem Körper zumindest seinen Unterleib wieder aufwärmte. Chris hatte sich verändert, er war nicht mehr so abgemagert wie damals in New York. Die Drogensucht hatte ihn zu jener Zeit schwer gezeichnet, er war dürr gewesen, hatte stets Ringe unter seinen schönen blauen Augen. Nun war er kräftiger, nicht so muskulös wie Jason, dessen Körper vom Polizeitraining und vielen Stunden Fitnessstudio gestählt war, aber schlank und attraktiv. Wassertropfen funkelten wie kleine Perlen auf seiner hellen Haut und den bebenden, bläulichen Lippen. Seine Lider mit den langen Wimpern waren beinahe geschlossen, obwohl er eindeutig wach war. Jason ignorierte ein wenig verschämt die Beule in seiner klammen Shorts, die er vorsichtshalber anbehalten hatte und bemühte sich, seinen Blick nicht über Chris' Schritt schweifen zu lassen. Natürlich gelang es ihm nicht und ohne das er es wollte, erwachten Erinnerungen an ihre gemeinsamen Stunden in New York. Er schüttelte den Kopf, als könne er so den Gedanken von sich abschmettern. Er trocknete erst Chris, dann sich ab, bevor er den blonden Mann hochhob und ihn ins Wohnzimmer trug. Chris stöhnte leise und hielt sich halbherzig an ihm fest. Jason steuerte die Couch an, entschied sich dann aber doch anders. Vorsichtig brachte er Chris in eine sicherere Position auf seinen Armen, verfluchte in Gedanken kurz die extravagante Position seines Schlafzimmers und stieg dann langsam die Treppe hinauf. Oben angekommen ließ er Chris sanft aufs Bett sinken und deckte ihn zu. Erschöpft setzte er sich mit dem Rücken ans Bett gelehnt auf den Boden. Sein Atem ging stoßweise, er war immer noch furchtbar angespannt. Einige Minuten saß er einfach nur da, endlos, allein im Halbdunkeln, das schwache Licht vom Wohnzimmer drang kaum bis hierher. Er hörte Chris' Atem zu, einem wundervollen Geräusch für seine Ohren. Wieder rollte eine Träne über seine Wange, sie fiel von seinem Kinn hinab auf seine Brust. Seine Erregung war wieder abgeflaut, vor allem durch die Kälte, die seine nasse Shorts ausströmte. Er zog sie aus und warf sie in die Ecke als er endlich, nach einer halben Ewigkeit wie es ihm schien, wieder aufstand. Aus seinem Schrank holte er einen Bademantel und streifte ihn über. Endlich wurde ihm wärmer. Ein Blick auf Chris zeigte ihm, dass dieser nun tief und fest schlief. Er hatte sich in seine Decke eingerollt und atmete gleichmäßig. Jason stieg ins Wohnzimmer hinunter, ging zum Fenster und schob die Vorhänge zur Seite. San Francisco schlief nie wirklich, aber um diese Uhrzeit war es nah dran. Jason ließ seine Finger über die Fensterscheibe gleiten, als würde das kühle Glas ihm beweisen, dass dies alles kein Alptraum war. Er wandte sich um, ließ sich auf der Couch nieder und griff nach seinem Telefon. Er kannte die Nummer die er wählte schon lange auswendig. Fünfmal erklang in der Leitung das monotone Klingeln, dann knackte es kurz. "Vanderveer..." Davids Stimme war verschlafen und entnervt, aber trotzdem fühlte sie sich wie Balsam für Jasons Seele an. "David, ich bin's, Jason." "Jason?!" Einen Moment lang herrschte Stille, Jason schloss daraus, dass David auf seinen Wecker sah und tatsächlich behielt er Recht. "Jason, ich weiß, ich habe dir gesagt, dass ich immer für dich da bin, aber dir ist schon bewusst, dass ich in zwei Stunden aufstehen und bald darauf in die Kanzlei muss, oder?" "Ja..." gab Jason etwas kleinlaut zu. "Also dann gute Nacht!" "Nein!" Jason erschrak selbst darüber, wie laut er war und schlug die Hand vor den Mund. Er lauschte kurz nach oben, aber dort herrschte Stille. "Bitte, ich muss mit jemandem reden..." "Ich hätte schon nicht aufgelegt, Mann, willst du, dass ich taub werde? Jetzt sag schon was los ist!" Jason glaubte fast, David lächeln zu sehen. "Ich bin fix und fertig... David... ich weiß nicht, was ich tun soll... ich bin heim gekommen, ich wollte mit ihm reden, alles klären... er hätte sich fast umgebracht!" Wieder Stille. "Er hat was?" "Er hat sich beinahe umgebracht! Er hat meinen ganzen Vorrat an Alkohol geplündert und hat Beruhigungstabletten geschluckt!" "Fuck! Jason, du musst mit ihm ins Krankenhaus, sein Magen muss ausgepumpt werden, wie viele hat er geschluckt?!" "Beruhige dich, zwei, vielleicht drei oder vier, aber auf jeden Fall nicht mehr." Jason hob abwehrend die freie Hand, als könne David es sehen. Er gestikulierte weiter, während er sprach. "Ich hab ihn unter die Dusche gestellt und außerdem hat er sich übergeben. Er schläft jetzt, ganz normal, vorher hat er kaum noch geatmet, aber ich bin wohl noch rechtzeitig gekommen." "Bist du dir vollkommen sicher?" Davids Stimme verriet, dass er der ganzen Sache nicht so traute wie Jason. "Ja, ich bin mir sicher. Aber ich weiß absolut nicht, was ich tun soll! Dieser verdammte Idiot! Er bringt sich hier beinahe um... er wäre fast gestorben... und... und..." "Und du erträgst den Gedanken nicht?" "Genau! Ich ertrage es nicht, ihn so sehr zu lieben! Er ist ein solcher Idiot! Aber eben, nachdem ich ihn wieder bei Bewusstsein hatte, musste ich ihn aus seinen nassen Klamotten holen und hab dabei einen gottverdammten Ständer gekriegt! Ich hatte mich nicht unter Kontrolle! Ich begehre ihn, ich liebe ihn! Verflucht! Aber ich weiß nicht, ob es überhaupt eine Chance für uns geben würde." "Jason... Ich kann dir nur eines raten..." "Was?!" "Hör auf dein Herz. Ich bin der Falsche wenn es um Beziehungsfragen geht. Wenn du wissen willst, wie du es ihm am besten besorgst, dann frag mich! Aber wie man eine Beziehung führt weiß ich nun wirklich beim besten Willen nicht. Da musst du auf dein Herz hören." "David...?" "Ja?" "Danke..." "Gern geschehen." Ein Gähnen unterbrach ihn. "Wärst du böse, wenn ich jetzt noch etwas schlafe?" Jason lachte leise. "Aber nein. Schlaf gut, David." "Du auch, Jason." Es klickte in der Leitung als David das Gespräch beendete. Jason legte das Telefon weg und machte sich auf den Weg nach oben. Er wünschte sich plötzlich nichts sehnlicher als Chris' Nähe. Er streifte den Bademantel ab und kroch nackt unter die Decke zu Chris. Zärtlich schmiegte er sich an den blonden Mann. Als er seine Wärme spürte, nahm er ihn in die Arme und schloss die Augen. "Ich liebe dich...du Idiot..." flüsterte er, bevor er einschlief. Unendlich langsam hob Chris seine Lider. Sein Blick glitt über die weiße Decke des Raumes. Es war hell, die Sonne schien. Die Sonne... In diesem Moment kamen die Schmerzen. Wie ein Hurrikan zur schlimmsten Zeit in Florida rasten sie durch seinen Kopf, so heftig das er meinte, ihm würde jeden Moment der Schädel explodieren. Er schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte. Alles drehte sich. Einen so heftigen Kater hatte er noch nie in seinem Leben gehabt. Vorsichtig öffnete er die Augen nochmals und kniff sie sofort wieder zusammen. "Shit..." flüsterte er. Was war passiert? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Jason hatte ihn allein gelassen, er hatte ein wenig ferngesehen, um sich zu beruhigen und irgendwann hatte er die Hausbar des Polizisten gefunden und sich darüber hergemacht. Er trank selten Alkohol und das hatte sich schnell bemerkbar gemacht. Und dann... und dann... nichts! Schluss, Filmriss, Blackout. So sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich nicht erinnern, was geschehen war. Ein Geruch stieg ihm in die Nase. Kaffee und noch etwas... Pfannkuchen? Ja, es roch nach Pfannkuchen. Sein Magen begann zu knurren. Pfannkuchen mit Ahornsirup... das war es wert, noch einmal die Augen zu öffnen. "Verdammt..." Wieder war das Gefühl nicht viel angenehmer. Vorsichtig schwang er die Beine aus dem Bett und erhob sich. In diesem Moment wäre er beinahe wieder umgefallen. In seinem Kopf gab es ein Getöse, als würde ein Abrisskran ein Haus demolieren. Er schwankte und hielt sich die Stirn. Strafe muss sein... Selbstkasteneinung war noch nie seine starke Seite gewesen. Er sah sich selbst im Spiegel des Kleiderschrankes. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen und waren blutunterlaufen, die Haare wirr und zerzaust. In seinem ganzen Gesicht standen blonde Bartstoppeln. Auf seinen Oberarmen waren leichte blaue Flecken zu sehen, Jason hatte ihn gestern ziemlich hart angefasst. Und er war nackt. Hatte er sich ausgezogen? Vor seinen Füßen lag ein Bademantel, der scheinbar einfach zu Boden geworfen worden war. Er hob ihn auf und schlüpfte hinein. Etwas zu groß, aber es ging, wenn er die Ärmel hochkrempelte. Langsam und vorsichtig machte er sich auf den Weg ins Wohnzimmer hinab. Die Tür zur Küche war nur angelehnt und von dort kam der verlockende Geruch. Er schob die Tür ein Stück auf und spähte in den Raum dahinter. "Morgen! Na hast du endlich ausgeschlafen?" Chris hatte den Eindruck, dass Jasons Stimme ihm das Trommelfell und das Gehirn gleich mit zerfetzen würde. Er presste die Hände auf die Ohren. "Nicht so laut!" "Was hast du gesagt?!" Jason hob seine Stimme noch weiter an als schon bei der Begrüßung, ganz offensichtlich mit Absicht. Er war bereits fertig angezogen, aber auch ihm sah man an, dass er in der letzten Nacht nicht viel Schlaf bekommen hatte. Aber offenbar bereitete es ihm Freude, Chris mit seinem Kater zu quälen. "Nicht so laut! Bitte!" flehte Chris verzweifelt. Das war ja unerträglich. "Erwarte nicht, dass ich Mitleid mit dir habe. Setz dich hin und iss was! Ich hoffe du magst Pfannkuchen." "Hast du die etwa selbst gemacht?" "Was dagegen?" "Nein, nein, schon okay..." Chris ließ sich auf einen Stuhl am Esstisch fallen und Jason stellte vor ihm einen Teller hin. Darauf lag ein Haufen aus drei dicken Pfannkuchen, die wirklich herrlich rochen. Dazu gab ihm Jason noch eine Tasse schwarzen Kaffee. Chris griff nach der Flasche mit dem Ahornsirup und ertränkte seine Pfannkuchen geradezu darin. Der dickflüssige Sirup bedeckte sie vollkommen, rann an ihnen herunter und sammelte sich um sie herum auf dem Teller. Chris stach mit der Gabel durch alle drei Pfannkuchen auf einmal hindurch und schnitt ein großes Stück ab. Der Sirup tropfte auf den Teller. "Pass auf, dass du keine Maulsperre bekommst..." Chris ignorierte Jasons Einwand und stopfte sich das große Stück in den Mund. Er kaut genüsslich. "Mann, die schmecken klasse!" verkündete er mit vollem Mund. Jason antwortete nicht, sondern in seinen Mundwinkeln deutete sich lediglich ein Lächeln an, bevor er sich selbst mit einem Teller zu Chris gesellte. Wortlos machten sich nun beide daran, ihre Pfannkuchen in den Magen zu befördern. Chris war etwas schneller fertig als Jason und schob den Teller ein Stück von sich weg. Nach einem großen Schluck Kaffee ging es ihm schon etwas besser, besonders als er das Glas mit klarer Flüssigkeit neben seiner Kaffeetasse entdeckte, dass wohl schon länger da gestanden hatte. Er deutete darauf und Jason nickte nur mit vollem Mund. Chris setzte das Glas an und trank es in einem Zug aus, er spürte sofort den etwas unangenehmen Geschmack eines aufgelösten Aspirin auf der Zunge. Ebenso schweigsam wie die ganze Zeit machte Jason sich nun daran, die Teller in die Spülmaschine zu räumen. Chris wurde die Stille langsam unangenehm, er suchte nach dem richtigen Anfang für ein Gespräch, vor allem nach den Geschehnissen vom Vortag. "Jason... ich..." Er brach wieder ab. Was sollte er denn nur sagen? "Was ist gestern Abend passiert?" erschien ihm eine gute Frage. Jason hielt inne, er war gerade dabei gewesen, eine Tasse einzuräumen. Er blickte starr auf die Küchenarmaturen. "Willst du mir sagen, dass du dich an nichts erinnern kannst?" Seine Stimme klang lauernd, ein wenig vorwurfsvoll. "Ja..." gab Chris etwas beunruhigt zu. Hatte er etwas falsches gemacht? Jason schien doch bis eben gar nicht mehr so sauer gewesen zu sein, "Ist ja toll, dass der Herr sich nicht mehr erinnern kann!" Chris zuckte zusammen, als Jason plötzlich so laut wurde und herumfuhr. In seinen Augen loderte der Zorn. "Wirklich toll, dass du dich nicht mehr erinnern kannst, dass du dich vollgesoffen hast wie ein Penner! Und das du dann nichts besseres zu tun hattest, als Beruhigungstabletten zu schlucken! Du verdammter Idiot hast dich fast umgebracht! Aber du kannst dich natürlich nicht daran erinnern, wie ich dich neben der Couch gefunden habe! Und dass ich dich ins Badezimmer unter die Dusche geschleppt habe und danach zum Kotzen gebracht habe! Damit du dieses verdammte Zeug aus dem Magen kriegst, hab ich mir von dir sogar auf die Hand kotzen lassen! Du hättest sterben können, du Mistkerl!" Jason war immer lauter geworden und hatte sich Chris immer mehr genähert. Am Ende schrie er ihn so laut an, dass Chris' Kopf wieder zu dröhnen anfing. Der blonde Mann bekam es mit der Angst zu tun. "Schrei mich nicht so an!" brüllte er zurück und sprang auf, der Stuhl fiel klappernd zu Boden. "Seit wann bist du so ein gottverdammter Choleriker?! Ich hab allmählich Angst vor dir!" "Du hast Angst vor mir?" Jasons Stimme überschlug sich fast. "Du hast Angst?! Du verdammter Egoist! Und die Angst die ich gestern um dich hatte ist dir vollkommen egal! Du hättest verrecken können, du blöder Idiot! Wenn ich dich nicht rechtzeitig gefunden hätte oder du mehr Tabletten geschluckt hättest, wärst du jetzt vielleicht tot! Ist dir das klar?!" Chris wich vor Jason zurück. "Ist dir das verdammt noch mal klar?!" schrie Jason ihn an, sein Gesicht hatte sich vor Wut rot verfärbt, seine Halsschlagader trat deutlich sichtbar hervor. "Bitte hör auf mich anzuschreien..." Chris' Augen schimmerten feucht, blanke Angst spiegelte sich darin. "Ob du kapiert hast, will ich wissen?!" fauchte Jason ungerührt. Chris fing an zu weinen, dicke Tränen rollten über seine Wangen und tropften zu Boden. Er nickte heftig, obwohl sein Kopf dabei höllisch schmerzte. "Ja doch..." flüsterte er. Jason stand direkt vor ihm. "Was meintest du?!" "Ja!" fuhr Chris ihn plötzlich an. "Ja, verdammt noch mal ja! Hör endlich auf, mich anzuschreien! Willst du mich nicht zur Krönung noch schlagen, du verdammter Dreckskerl?!" "Ich hätte nicht übel Lust dazu, dir sollte man wirklich mal Verstand einprügeln!" Jason war so in Fahrt, er sagte Dinge, die er nicht einmal so meinte, niemals hätte er es fertig gebracht, Chris zu schlagen oder gar zu verletzen. "Ich hasse dich!" schnappte Chris, seine Stimme schwankte und erstickte fast in Tränen. "Was glaubst du, wie ich dich erst hasse! Du gehst mir auf die Nerven, das kannst du dir nicht vorstellen! Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hasse dich!" motzte Jason zurück. Ein Augenblick der Stille folgte, in dem sich beide nur ansahen. Dann zog Jason Chris ohne Vorwarnung an sich. Der blonde Mann wehrte sich gegen den plötzlichen Überfall, doch Jason fing an Chris zu küssen, erst auf den Hals, auf die Wange, auf den Mund, ohne auf die Gegenwehr zu achten. "Ich hab einen Fehler gemacht! Ich hätte dich nie verlassen dürfen!" keuchte er. "Fick dich!" Chris versuchte, sich aus Jasons Umarmung zu lösen, der unerbittlich seinen Hals mit Küssen bedeckte. Es gelang ihm und er stolperte einen Schritt nach hinten, bis die Küchenwand seine Flucht beendete. Jason setzte ihm ungerührt nach und zog ihn wieder an sich. "Ich hab einen Fehler gemacht! Aber verdammte Scheiße ich liebe dich! Du musst mir das mit New York verzeihen!" "Fick dich!" wiederholte Chris, diesmal ein bisschen weniger energisch als beim ersten Mal. Die Versuche, Jason von sich zu drücken wurden fahriger. Schließlich presste Jason seine Lippen auf die des blonden Mannes. Chris erlaubte unwillkürlich, dass Jasons Zunge in seinen Mund eindrang und ihn erforschte. Er erwiderte den Kuss mit der gleichen Leidenschaft. "Fick mich..." stöhnte Chris, als sich ihre Lippen voneinander lösten. In diesem Moment waren alle Kopfschmerzen verflogen, aller Streit vergessen. Jason Hände fanden den Gürtel von Chris' Bademantel und öffneten ihn. Der Mantel fiel zu Boden. Gleichzeitig zog Chris den Reißverschluss von Jasons Jeans auf. "Ich liebe dich!" keuchte Jason. "Ich dich auch..." Es stimmte, was man sagte: Auf diese Art war Versöhnung am schönsten... Jason lag ausgestreckt auf dem Küchenboden, der Bademantel unter ihm schützte ihn nur notdürftig gegen die kühlen Fliesen aber er nahm sie kaum wahr. Chris ruhte mit dem Kopf auf seiner kräftigen Brust, hatte den Arm um seinen Bauch geschlungen und die Augen geschlossen. Er lächelte. Beide waren unbekleidet und verschwitzt. "Jetzt müsste ich eigentlich noch einmal duschen..." sagte Jason leise und konnte der Versuchung nicht widerstehen, Chris über das Haar zu streicheln. "Bist du traurig deswegen?" "Nein..." Wieder herrschte Stille. Chris lauschte Jasons Herzschlägen, während sich die Brust des Polizisten gleichmäßig hob und senkte. Zärtlich ließ er seine Finger über die Muskeln von Jasons Bauch gleiten. "Seit wann bist du so leidenschaftlich?" "Warum, stört es dich?" Chris schüttelte schwach den Kopf. "Nein, ich finde es toll." "Ob es mir erlaubt ist, mich mit einem Zeugen einzulassen?" grinste Jason. Chris stemmte sich hoch, so dass er Jason ins Gesicht schauen konnte. "Ich weiß nicht, Detective. Und wenn nicht, hast du eben eine verhängnisvolle, verbotene Affäre mit mir." Jason schloss ihn in seine Arme und drückte ihn an sich. Am liebsten hätte er ihn nie wieder losgelassen. "Mach so etwas wie gestern Abend bitte nie wieder, schwör mir das..." "Ich wollte das gar nicht... ich wollte mich wirklich nicht umbringen oder so... ich weiß nicht, warum ich die Tabletten genommen habe. Wahrscheinlich hab ich im Suff gedacht, ich könnte mich damit beruhigen..." "Ich hatte solche Angst um dich... ich hab gedacht, ich verliere dich endgültig ohne dir je sagen zu können, was ich für dich empfinde. Und gleichzeitig war ich so sauer auf dich, weil du das getan hattest." "Ich hab gerade echt Angst vor dir gehabt..." "Verzeih mir..." entgegnete Jason leise. "Es tut mir so leid..." "Mir auch..." Jason schloss die Augen und atmete Chris' Nähe, den Duft seiner Haut. Diese Idylle müsste ewig währen. Tat sie aber leider nicht! In diesen herrlichen Moment hinein schrillte Jasons Telefon, man konnte schon fast am Klingeln hören, dass es etwas wichtiges war. "Ich muss rangehen..." stöhnte Jason entnervt. Chris löste sich auf seiner Umarmung und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. "Mach ruhig, ich muss eh dringend duschen, ich hasse es, wenn mir das Zeug anfängt, die Oberschenkel runterzulaufen." Jason verstand was er meinte und verzog das Gesicht, schließlich hatten sie im Taumel der Leidenschaft auf ein Kondom verzichtet. Diese Tatsache wurde Jason in diesem Augenblick klar. "Sag mal, du bist doch..." fing er an, während das Telefon weiter klingelte. "Ich bin gesund, ich mach es nie ohne Gummi und hab mich letztens erst testen lassen!" erriet Chris seine Gedanken. "Kommst aber früh drauf, mal zu fragen!" Er zwinkerte ihm verschmitzt zu. Jason atmete aus. Er selbst hatte seit er in San Francisco war nur mit David geschlafen, von dem er wusste, dass er gesund war, zumal bei ihm auch nichts ohne Kondom lief, das war Pflicht. Jason wusste noch von seiner Einstellungsuntersuchung bei der Polizei von San Francisco, dass bei ihm alles in Ordnung war. "Ich bin es auch!" bestätigte er. "Na siehst du und jetzt geh endlich ans Telefon, Detective!" grinste Chris und eilte in Bad. Jason konnte sich nicht verkneifen, ihm hinterher zu sehen, bis die Badezimmertür hinter seinem schlanken Körper zufiel. Nackt wie er war lief er hinüber zum Telefon und hob ab, es hatte mindestens fünfzehn mal geklingelt. "Cunningham." "Wie schön, dass Seine Hoheit geruht, mal ans Telefon zu gehen! Du hast noch einen Job, falls du dich erinnerst! Schwing deinen verdammten Arsch hierher!" Jason riss die Augen auf, als er aus der wüsten Begrüßung Randys Stimme erkannte. "Was treibst du eigentlich, du Vollidiot! Mir reißen sie hier den Arsch auf, weil du nicht da bist und das bei so einem Fall!" "Randy!" "Die ganze Scheiße ist nicht nur meine Sache, ist dir das klar?! Egal was du letzte Nacht getrieben hast, komm gefälligst jetzt endlich hierher..." "Randy! Halt's Maul!" brüllte Jason in den Hörer. "Ich bin schon auf dem Weg. Ich hab..." Mit dem Mann meines Lebens gerade heißen Sex gehabt, du Nervensäge! "... verschlafen, sorry, bin schon auf dem Weg." Genial, Jason, du bist so schlagfertig... "Besser du fliegst hierher, aber plötzlich!" Damit knallte Randy am anderen Ende den Hörer auf. "Fuck!" fluchte Jason. Er eilte in die Küche zurück und suchte seine Sachen zusammen. Für eine Dusche war wirklich keine Zeit mehr, so verlockend der Gedanke auch war, zu Chris unter die Brause zu steigen. Er zog seine Shorts und Jeans an, fand dann endlich nach kurzer Suche auch sein Shirt unter dem Küchentisch. Er band seine Turnschuhe und ging ins Bad. Die Dusche lief noch, der Spiegel war beschlagen, keine Chance sein Aussehen zu kontrollieren, er verlegte das ganze in Gedanken auf später im Auto. "Jason?" "Hm?" "Spannst du?" "Schön wäre es! Ich wurde gerade per Telefon daran erinnert, dass ich einen Beruf habe!" Chris lachte und Jason fragte sich in diesem Moment, wie etwas so schön klingen konnte. Er zog die Tür der Duschkabine auf, die vom Wasserdampf undurchsichtig geworden war. Chris hatte ihm den Rücken zugedreht, das Wasser lief darüber bis hinab zu seinem verlängerten Rücken. Bei diesem Anblick spürte Jason schon wieder eine Regung in seiner Jeans, die er nur mit größter Anstrengung ignorierte. Chris wandte sich um. "Komm doch rein!" grinste er und streckte Jason die Hand entgegen. "Nichts täte ich lieber, aber ich muss echt los!" Er nahm Chris' Hand und zog ihn zu sich, so dass er nicht unter den Wasserstrahl geraten konnte um ihm einen Kuss zu geben. Wie hatte er eigentlich je vergessen können, wie süß Chris' Küsse schmeckten? Er konnte sich kaum von ihm losreißen. "Du weißt ja, du bleibst..." "Hier, ich weiß, keine Angst, ich baue nicht schon wieder Mist, ich verspreche es dir." "Ich nehme dich beim Wort!" Jason ging zur Tür. "Jason?" Er sah zurück. Chris hatte die Tür der Dusche beinahe zugezogen, lugte aber noch durch den letzten Spalt. Er lächelte. "Ich liebe dich!" Jason wurde warm ums Herz. Wie sehr er diese Worte vermisst hatte. Wie hatte er sich jemals einreden können, ohne diese Worte leben zu können? Ohne Chris leben zu können? "Ich dich auch!" Jetzt konnte doch eigentlich nichts mehr schief gehen! Glücklich verließ er die Wohnung. Chris drückte den Wasserregler herunter und der Strahl versiegte. Er hatte die Wohnungstür zufallen hören, kurz nachdem Jason das Badezimmer verlassen hatte. Er war wieder allein in der Wohnung, wie gestern. Aber diesmal fühlte es sich besser an, viel besser. Sein Kopf schmerzte gar nicht mehr, er überlegte, ob er es auf die Tablette oder auf den Sex zurückführen sollte. Er tippte auf ersteres. Die Duschkabine war vollkommen beschlagen. Er schob die Tür auf und fröstelte, als ihn die deutlich kühlere Luft aus dem Badezimmer traf. Schnell wickelte er sich in eines von Jasons großen Badelaken ein und begann sich abzutrocknen. Danach ging es ihm schon besser, er fror nicht mehr. Er hängte das nasse Handtuch über den Badewannenrand und wickelte sich ein anderes, kleineres, um die Hüften. Er fand nach kurzer Suche Jasons Fön und trocknete damit seine Haare, was ein paar Minuten dauerte. Anschließend verließ er das Badezimmer, nachdem er das Fenster geöffnet hatte, und ließ auch die Tür offen stehen, damit die Feuchtigkeit sich verziehen konnte. Gemächlich ging er die Treppe zum Schlafzimmer hinauf und ließ dort vor dem großen Spiegel am Kleiderschrank sein Handtuch zu Boden fallen. Er musterte sich. Es könnte schlimmer sein, wie er fand. Sein Körper war schlank und drahtig, aber bei weitem nicht so attraktiv und muskulös wie der von Jason. Er nahm sich vor, Jason darum zu bitten ihn mit ins Fitnessstudio zu nehmen, wenn die ganze Sache vorbei war. Dann könnten sie dort zusammen trainieren. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er schon für ihre gemeinsame Zukunft plante. Er lächelte unwillkürlich. Jetzt hatte er sich solche Mühe gegeben, den harten und kühlen Mann zu markieren und innerhalb kürzester Zeit war alles dahin. All die Wände, die Schutzwälle um ihn herum, waren in sich zusammen gestürzt. Auch der Hass, den er auf Jason empfunden hatte oder zumindest zu empfinden glaubte, war vollkommen verschwunden. Wie ein Ungeheuer, das in dunkler Nacht am Fenster kratzt und sich dann doch nur als Ast eines Baumes entpuppt, der vom Wind bewegt wurde. Sein Hass hatte sich als Einbildung erwiesen, ein Schutz den er um sich aufgebaut hatte. In Wirklichkeit hatte er Jason immer vermisst, furchtbar vermisst. Beim Gedanken an seine Küsse und zärtlichen Berührungen bekam er eine wohlige Gänsehaut. Er sah an sich hinab. So war das jedes Mal wenn er vor dem Spiegel stand. Er nahm es sich immer wieder vor es zu ignorieren und jedes Mal wanderte sein Blick wie von selbst zu seinem Schritt hinab. Hinab zu der Brandnarbe auf seinem Glied. Jedes verdammte Mal wenn er das vernarbte Gewebe an seinem Geschlecht sah kam die Erinnerung an seinen Vater zurück und mit ihm die Abscheu. Waren die Hassgefühle für Jason nur eine Maskerade seiner wahren Empfindungen, so waren die Feindseligkeiten seinem Vater gegenüber nur allzu real. Er würde diesen Tag niemals vergessen, diesen einen Tag der sich unauslöschbar in sein Gedächtnis eingebrannt hatte... Die Sonne brannte unerbittlich an diesem 27. Juli 1992. Sie verwandelte den verschlafenen Vorort der Millionenstadt Dallas in einen Hexenkessel aus Gluthitze und trockener Luft. Der warme Wind machte die Sache dabei nur noch schlimmer. Die Klimaanlage im Haus arbeitete auf Hochtouren, doch musste Chris mal wieder bemerken, dass sie ebenso unnütz wie billig war. Ein Sonderangebot das sein Vater stolz nach Hause gebracht hatte, ein Sonderangebot das nichts taugte und die warme Luft fast nur herumwirbelte statt sie zu kühlen. Schweißperlen liefen über den Oberkörper des Jungen, als er den kleinen Standventilator einschaltete, um wenigstens etwas Kühlung zu erhalten. Er trug eine an den Knien abgeschnittene Jeans, der Oberkörper war frei. "Mann, ist das heiß heute..." Die Worte kamen von Dave Jerrod, der hinter ihm stand. Dave war fünfzehn, ein Jahr jünger als Chris und vollkommen unscheinbar. Chris fand ihn nicht sonderlich attraktiv, aber hässlich war er auch nicht. Schlaksig, mit kurzen braunen Haaren und rehbraunen Augen. Sein Hemd schien ihm etwas zu groß zu sein, er trug wohl mal wieder eines von seinen älteren Brüdern auf. Darunter trug er eine Bermudashorts. Chris ignorierte seine Bemerkung über das Wetter und trat vor ihn. Wortlos fing er an Daves Hemd aufzuknöpfen. "Willst du nicht abschließen?" "Warum? Mein Alter kommt nicht vor heute Abend nach Hause und meine Mutter macht einen Ausflug mit ihrem komischen Hausfrauenverein zu dem sie immer geht. Wir sind vollkommen ungestört." "Wenn du meinst..." Chris hatte das Hemd nun vollkommen geöffnet und schob jetzt seine Hand einfach in den Bund von Daves Bermudas. Er trug nichts darunter, wie Chris im nächsten Moment feststellte und seine Hand strich wie selbstverständlich über das noch dürftige Schamhaar immer tiefer herab. Dave kam ein leises Stöhnen über die Lippen, doch er hielt im nächsten Moment die Hand des blonden Jungen fest. "Was ist?" "Ich muss mit dir reden, Chris..." Chris atmete genervt aus. "Dave, soviel Zeit haben wir nun auch nicht. Jetzt zier dich nicht so. Ich blas dir einen und schlucke auch, wenn du willst. Ich bin zu geil um zu reden!" "Bitte, ich kann nicht..." Chris ließ sich auf sein Bett fallen und verschränkte die Arme. "Dann fang jetzt endlich an. Was gibt es denn so wichtiges, das wir nicht erst rummachen können?" Seine Stimme klang sarkastisch. Offenbar war es ihm sehr zuwider, mit Dave zu reden. Dave war ein netter Junge, aber er langweilte Chris. Chris sah gut aus und hätte leicht andere Freunde finden können, auch wenn er auf der Schule eher ein Einzelgänger war und nicht zu den Stars gehörte. Trotzdem pflegte er eigentlich nur Kontakt zu Dave, weil er mit ihm das ausleben konnte, was er sich so wünschte. Und Dave war begabt, vor allem mit dem Mund. Trotzdem schloss er oft die Augen und stellte sich vor, dass er gerade den Mund von Sam spüren würde. Sam war der Quarterback des Schulfootballteams in dem auch Chris spielte. Sam war ein Gott. Zumindest empfand Chris das so. Sam war groß, mindestens zehn Zentimeter größer als er und wenn es nach seiner Phantasie ging, galt das nicht nur für die Körpergröße. Er war der muskulöseste Junge den Chris je gesehen hatte und er sah schlicht verdammt gut aus. Wie oft hatte Chris heimlich nach dem Training ihn beim Umziehen und Duschen beobachtet und allein der Gedanke an den Anblick der Wassertropfen die über seinen perfekten Körper perlten brachte ihn fast dazu zu kommen. Aber all seine Träume und Phantasien würden immer nur das bleiben, denn Sam war gleichzeitig wohl der offensichtlich heterosexuellste Kerl der Schule. Um es genau zu sagen legte er alles flach was nicht bei drei auf den Bäumen war, natürlich nur Mädchen. Chris rieb sich verstohlen mit der Hand über den Schritt, allein der Gedanke an Sam hatte ihm eine mörderische Latte verpasst. "Jetzt spuck schon aus, was los ist!" "Also ich..." stammelte Dave, "Ich wollte mit dir... über uns ... reden... über dich und mich... weißt du... wir treffen uns schon so lange und ich... ich... weiß nicht genau... ich..." Er machte eine Pause. "Ich liebe dich!" platzte es dann aus ihm heraus, sein Gesicht war mittlerweile knallrot. Chris sprang auf und hob abwehrend die Hände. "Wow! Stop! Fahr rechts ran! Das war nicht witzig!" "Das war kein Scherz, verdammt!" schnappte Dave etwas beleidigt. "Dave, du kannst mich nicht lieben. Wir machen doch nur miteinander rum, wir haben noch nicht einmal gevögelt!" "Was hat denn das mit Liebe zu tun? Dreht sich bei dir denn alles nur um Sex?" Chris spürte Panik in sich aufsteigen. Offenbar meinte Dave es ernst. Er hatte sich tatsächlich in ihn verliebt. Und das war scheiße! Wirklich scheiße! Aber gleichzeitig wollte er Dave nicht verlieren. Dave war eigentlich ganz nett, langweilig aber nett und eben gar kein übler Fang fürs Bett. Er half sich mit dem einzigen Weg, der ihm einfiel. Honig um den Bart schmieren! "Hör zu... ich verstehe dich ja. Ich finde dich ja auch süß und vielleicht könnte ich mich sogar in dich verlieben." Er trat näher an Dave heran und strich ihm sanft über die nackte Brust. "Gib mir etwas Zeit, okay?" Er hauchte einen Kuss auf Daves Hals. "O...okay..." sagte dieser leise. Er legte den Kopf in den Nacken. "Du wickelst mich viel zu leicht um den Finger. Er genoss für einen Moment Chris' Küsse. Als er die Augen wieder öffnete, ließ der blonde Junge seine Hose zu Boden gleiten. "Willst du mich nicht anfassen?" grinste er. Dave kam der Aufforderung nach. Die beiden umarmten sich, erforschten sich zärtlich mit den Händen, während sie sich küssten. "Ich glaube ich muss dich mal ein bisschen von deinen trüben Gedanken ablenken." Chris leckte sich über die Lippen und ging in die Knie. Langsam zog er Daves Hose herab. In diesem Moment ging die Tür auf. Beide erstarrten in der Bewegung und blickten in ihre Richtung, Chris vollkommen nackt, auf den Knien vor Dave, dessen Hemd offen und Hosen herabgezogen waren. Im Türrahmen stand Clifford Fairgate, Chris' Vater, mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck. Plötzlich wusste Chris, dass er die Tür doch hätte abschließen sollen und mehr noch, er wusste, dass er bis zum Hals in der Scheiße steckte! "Was geht hier vor?" Cliffords Stimme klang lauernd, wütend. Dave zerrte seine Hose hoch, Chris griff so schnell er konnte seine Bettdecke um sich notdürftig zu bekleiden. "Was geht hier vor?" wiederholte sein Vater. "Mr. Fairgate, wir... ich... ich lie..." begann Dave voller Unsicherheit. "Halt die Schnauze!" unterbrach ihn Chris. Wenn Dave jetzt auch noch gesagt hätte, dass er ihn liebe, hätte sein Vater den Nachbarsjungen auf der Stelle umgebracht, da hielt Chris jede Wette. "Bitte geh!" "Aber ich...!" "Geh! Ich bitte dich, Dave, geh! Er kann nichts dafür, Dad. Bitte geh!" "Ich glaube du solltest auf meinen Sohn hören!" sagte Clifford und es klang nicht nach einem Rat sondern nach einem Befehl. Mit hängenden Schultern ging Dave an ihm vorbei, warf einen Blick auf Chris und verließ dann das Zimmer. Chris beobachtete, wie sein Vater ihm folgte. Bald darauf hörte er unten die Tür in Schloss fallen. Er zog seine Hose an und ging mit pochendem Herzen nach unten, auch wenn er sich lieber in seinem Zimmer eingesperrt hätte. Er musste mit seinem Vater reden. Clifford Fairgate stand in seinem untere Mittelklasse Wohnzimmer und schüttete gerade einen Whisky in sich hinein. Vorsichtig betrat Chris das Zimmer. "Dad...? Kann ich... ich meine... kann ich mit dir reden? Über das eben..." "Komm mal her!" entgegnete sein Vater in einem vollkommen undefinierbaren Ton. Chris trat näher. "Dad... ich..." Der Schlag kam unerwartet und heftig. Sein Vater holte aus und schlug ihn mit voller Wucht ins Gesicht. So hart, dass Chris das Gleichgewicht verlor und gegen den Couchtisch stürzte. Die Blumenvase darauf ging zu Bruch und abgestandenes Wasser ergoss sich über ihn. Er sah für einen Augenblick Sterne, alles drehte sich. Er schmeckte Blut im Mund und auch seine Nase blutete. Er konnte kaum richtig zu sich kommen, da wurde er auch schon wieder in die Höhe gezerrt, brutal und unerbittlich. "Ich fasse es nicht, dass du mir und deiner Mutter so etwas antun kannst!" schrie sein Vater. Noch bevor er etwas antworten konnte kam der nächste Schlag. Chris wurde nach hinten geworfen und krachte gegen die Vitrine. So unglücklich und mit so einer Wucht, dass er den Ellenbogen durch die Glasscheibe rammte. Die Sammeltassen und Teller seiner Mutter darin gingen zu Bruch und ein großer Splitter schlitzte seinen Arm auf, Blut quoll hervor. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sank Chris zusammen. Aber sein Vater war noch nicht fertig. Er ließ seinen Sohn am Boden liegen und steckte sich eine Zigarette an. "Du bist eine Schande, aber ich werde schon dafür sorgen, dass du so etwas nie wieder tust und es nie wieder vergisst." Mit diesen Worten kniete er sich neben seinen Sohn und zog ihm mit einem Ruck die Hose ein Stück hinab. Chris war vollkommen benommen. Sein Vater nahm die Zigarette in die Hand, sah kurz auf seinen Sohn hinab, dann drückte er ohne eine Miene zu verziehen seine Zigarette auf dem Glied seines Sohnes aus. Grauenvolle Schmerzen rasten durch Chris Körper, er fing an zu schreien. Der Schmerz wurde immer dumpfer, die Geräusche, seine eigenen Schreie, entfernten sich. Chris wurde schwarz vor Augen. Er sackte zusammen und verlor das Bewusstsein. Jetzt sterbe ich... war sein letzter Gedanke, bevor alles dunkel wurde. Er war später wieder wach geworden. Sein Vater hatte ihn wortlos zum Arzt gefahren und diesem erklärt, sein Sohn sei die Treppe herunter gestürzt. Zu Chris' Entsetzen glaubte der Hausarzt die Geschichte auf der Stelle. Er nähte die Wunde am Arm und gab ihm ein Schmerzmittel, dass ihn gleich wieder wegtreten ließ. Nur schwach nahm er die Rötgenuntersuchung war, die keine schweren Verletzungen zeigte. Bis auf die Schnittwunde, die wahrscheinlich eine Narbe hinterlassen würde. Sein Vater erwähnte kein Wort von der Brandwunde und Chris war zu verängstigt um etwas zu sagen. Später am Abend war seine Mutter mit einer kühlenden Salbe gekommen. Sie hatte ihn einfach nur angesehen, kein Wort gesagt. Aber die Tränen in ihren Augen sprachen Bände. Doch sie tat nichts um ihrem Sohn zu helfen. Kein Wort sagte sie zu ihrem Mann, es gab keinen Streit und niemand sprach über das was geschehen war. Chris hasste sie dafür. Und noch mehr hasste er seinen Vater. Dave versuchte ein paar mal Kontakt zu ihm aufzunehmen, aber Chris ließ ihn nicht in seine Nähe. Aus Angst vor seinem Vater und aus Angst, dass auch ihm etwas passieren könnte. Nur etwas über einen Monat später packte Chris heimlich ein paar Habseligkeiten und lief von zuhause weg. Chris ballte die Fäuste, so heftig das es beinahe wehtat. Tränen liefen über seine Wangen, das passierte ihm jedes mal wenn er an diesen verfluchten Tag dachte. Er wusste nicht was er tun würde, wenn er seinem Vater heute gegenübertreten würde. Manchmal hatte er sich ausgemalt wie es sein würde. Er hatte geschrieen, er hatte ihm die Meinung gesagt und manchmal, vor allem während der Zeit in New York hatte er ihn sogar umbringen wollen. Aber wenn er nicht weggelaufen wäre, hätte er auch niemals Jason kennen gelernt. Er hatte soviel durchgemacht, er war mehr als einmal von Freiern vergewaltigt worden, die Drogen hatten ihn beinahe umgebracht, aber Jason war sein Fels in der Brandung gewesen. Sein rettender Engel. Ohne ihn hätte er es wahrscheinlich nicht geschafft. Er öffnete Jasons Kleiderschrank und zog eine Jeans und ein schwarzes Shirt heraus. Beides war etwas zu groß, aber schließlich musste er ja etwas anziehen. Er ging ins Wohnzimmer hinunter und von dort aus auf die Dachterrasse. Ein leichter Wind wehte vom Meer hinüber und fuhr durch seine offenen Haare. Er schlang die Arme um den Oberkörper, ein Lächeln umspielte seine Lippen. Er hatte es immer noch nicht leicht, die Erinnerung an die Nacht in der er den Mord beobachtet hatte lastete immer noch schwer auf ihm, aber er würde das durchstehen. Er würde es schaffen. Er konnte alles schaffen, denn nun war er nicht mehr allein. Nun hatte er Jason an seiner Seite. Und alles würde gut werden... ganz sicher... Kapitel 5: Found and lost a.k.a. House of cards ----------------------------------------------- Kapitel 5... ein neuer Chara taucht auf, jemand der speziell ObiWan besonders gut gefiel, schon als er nur ein Bild kannte *g* Ich muss mich mal wieder ein wenig auf den Fall mit dem Serienmörder konzentrieren, vor allem um ihn endlich loszuwerden *lol* Keine Angst, ich werde es würdig beenden, nur nicht so ausweiten wie ich es eigentlich vorhatte, weil ich bessere Ideen habe *lol* Kurzes Vorwort diesmal, aber man muss ja nicht immer lange Reden halten ^^ Ach ja, das Kapitel endet mit einer Szene, die ich bei Sex and the City entliehen habe. Diese Szene in Staffel 6 ist eine meiner liebsten überhaupt, auch wenn sie dort in einem völlig anderen Zusammenhang ablief. Viel Spaß beim nächsten Kapitel ^^ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Jason warf sich eine Handvoll eiskaltes Wasser ins Gesicht. Er war allein im Männerwaschraum des Departments. Am liebsten wäre er im Stehen eingeschlafen, er war hundemüde. Und trotzdem fühlte er sich unglaublich wohl. Er hatte Tausend Schmetterlinge im Bauch, wie ein verliebter Teenager, er bemühte sich der Versuchung zu widerstehen sein Handy zu nehmen und Chris anzurufen, nur um seine Stimme zu hören. Seine Hand glitt in seine Tasche und umfasste sein Mobiltelefon. Aber schließlich hatte er Chris ja ausdrücklich gebeten nicht ans Telefon zu gehen. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Randy kam hinein. Als hätte er sich an seinem Handy verbrannt zog Jason die Hand zurück. "Ach hier bist du! Ich dachte schon, du hättest dich wieder verzogen. Was hast du dir dabei gedacht so spät zu kommen?" "Ich hab es doch schon erklärt, Randy, ich hab verschlafen!" Sein Partner ging an eines der Pissoirs, zog den Reißverschluss runter und erleichterte sich. Jason grinste in sich hinein. Ob Randy auch so freimütig seine Männlichkeit präsentieren würde, wenn er gewusst hätte, weswegen er wirklich zu spät gekommen war? Aber er wandte den Blick schnell wieder ab, nicht nur das er nicht wollte, dass Randy etwas merkte, wenn man in einer Beziehung war, tat man so etwas schließlich erstrecht nicht. Eine Beziehung... er hatte tatsächlich eine Beziehung, zumindest hoffte er, das Chris das auch so sah. Das Gefühl war wirklich nicht schlecht und viel besser als damals in New York, obwohl auch hier Schatten über seinem Glück lagen. Doch im Moment hatte er ein solch euphorisches Hoch, er würde mit allem fertig werden. "Du konntest wohl nicht pennen, was? Verstehe ich. Heilige Scheiße, ich hätte wahnsinnige Angst, so einen Typen in der Wohnung zu haben. Ich glaube ich würde mich nur noch mit dem Rücken zur Wand bewegen, weil ich Angst hätte, der würde sich an meinem Arsch vergreifen wollen!" unterbrach Randy seine Gedanken. Jason schüttelte den Kopf und verkniff sich nur mit Anstrengung einen Kommentar dazu. "Was gibt es denn jetzt so wichtiges neues?" Randy verstaute seinen ganzen Stolz wieder in seiner Hose, schloss den Reißverschluss und ging hinüber zu den Waschbecken um sich die Hände zu waschen. "Ach ja, du weißt es ja noch nicht. Wir haben den Fall nicht mehr, zumindest nicht mehr allein." "Bitte?" Jason konnte es nicht fassen, sollte ihm wirklich der Fall entzogen werden? "Haben wir irgendeinen triftigen Grund geliefert um uns den Fall wegzunehmen." "Hör mir richtig zu, wir haben den Fall nicht weggenommen bekommen, wir bearbeiten ihn nur nicht mehr allein. Irgendwas an dem Fall hat wohl die Aufmerksamkeit des FBI geweckt und die haben so einen arroganten Agent geschickt, der die Sache jetzt in die Hand nimmt." Jason lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und sah Randy dabei zu, wie er sich die Hände unter dem ohrenbetäubenden Heißluftgebläse trocknete. Dieses Vorkriegsmodell war eine Zumutung, empfand zumindest Jason. Wenn man die Hände zu nah an das Gebläse hielt, wurden sie nahezu geröstet. "Arrogant?" nahm er das Gespräch wieder auf. "Hast du den Kerl schon kennen gelernt?" "Nein, bisher nicht, aber diese Knallchargen von FBI sind doch allesamt unglaublich stolz auf das was sie sind." "Randy, du bist ein wandelndes Vorurteil! Schwule, FBI-Agenten, kannst du eigentlich irgendwas leiden?" lachte Jason. Randy schenkte ihm ein anzügliches Grinsen. "Weiber! Das Mädel das ich gestern hatte war erste Sahne. Du solltest auch öfter mal was neues ausprobieren, würde dir sicher gut tun, Jungchen." Randy ging auf die 40 zu, was man ihm allerdings keineswegs anmerkte oder ansah. Aber er hatte es sich angewöhnt, Jason von Zeit zu Zeit Jungchen zu nennen. "Wenn du das sagst, Randy, wird das wohl stimmen." "Genau. So eine fesche Mieze ist genau das richtige für eine erholsame Nacht!" Die Tür des Waschraumes öffnete sich und ein junger Deputy steckte den Kopf hinein. "Ach hier seid ihr! Kommt in die Puschen, der Chef wartet auf euch! Außerdem tuscheln die anderen schon, weil ihr beiden so lange zusammen im Waschraum seid!" Sein Gesichtsausdruck offenbarte seine Worte als Scherz, Jason kannte den jungen Mann und verstand sich gut mit ihm, weswegen sie auch per du waren, ebenso wie Randy, doch sein Partner schien das gar nicht witzig zu finden. "Verzieh dich, Mayer!" knurrte er. Der Deputy grinste und zog die Tür zu. Jason klopfte Randy auf die Schulter. "Dann komm, sonst macht uns der Alte noch die Hölle heiß, wenn wir den Agent warten lassen." Jason hielt Randy die Tür zum Vorzimmer ihres Vorgesetzten auf. Der Raum war hell und freundlich eingerichtet, Mrs. Hoover, die Sekretärin des Chefs sorgte stets dafür, dass ihre diversen Pflanzen genug Wasser und Licht bekam. Diese dankten es ihr mit einem derartigen Wachstum, dass Jason mit jedem Mal mehr fürchtete, bald nur noch mit einer Machete durch das Dickicht kommen zu können. Er erwartete jede Minute tropische Schmetterlinge, Affen und die eine oder andere Schlange zu entdecken. Doch heute waren weder die tropische Fauna noch Mrs. Hoover da. Statt der ältlichen, stets etwas knurrigen Dame, stand eine junge Frau am Fenster und sah hinaus. Im Sonnenlicht bot ihre schlanke Figur eine wirklich wundervolle Silhouette. Sie hatte schulterlanges, braunrotes Haar. Als sie sich umdrehte sprang den beiden Männern ein weiteres Detail quasi direkt ins Gesicht. Selbst Jason, der sich eigentlich für so etwas nicht interessierte, musste sich bemühen, nicht die Augen beim Anblick der beachtlichen Oberweite der Dame aufzureißen. Randy pfiff bewundernd durch die Zähne. "Guten Morgen, die Herren." "Wow, hat der Alte sich endlich mal eine richtige Tippse angeschafft!" flüsterte Randy zu Jason und bevor dieser etwas sagen konnte, fuhr er laut fort. "Morgen, Schätzchen, würden Sie uns einen Kaffee machen?" "Wie meinen?" "Schätzchen, ich weiß, das gehört nicht zu Ihrem Beruf, aber ich denke, Sie können doch Kaffee kochen." "Randy!" zischte Jason. In diesem Moment öffnete Mrs. Hoover die Tür des Büros und kam zusammen mit Jasons und Randys Chef heraus. Sie nahm eine Gieskanne zur Hand, nickte kurz als Begrüßung und widmete sich dann der Pflege ihrer Lieblinge. "Ah, Detective Cunningham, Detective Forbes, da sind Sie beide ja. Darf ich Ihnen Special Agent Claire Wentworth vorstellen. Sie ist uns als Unterstützung zugeteilt worden." Jason beobachtete amüsiert, wie mit jedem Wort seines Chefs die Farbe aus Randys Gesicht wich. So hatte er seinen Partner noch nie erlebt. Nur mit Müh und Not unterdrückte er das Lachen, dass sich seinen Weg bahnte, als Randys Augen offenbar verzweifelt nach einem Loch suchten, in dem er versinken könnte. Auch Special Agent Wentworth schien mehr als amüsiert, dem Lächeln nach zu urteilen, das ihre vollen Lippen umspielte. Sie war wirklich eine betörend schöne Frau stellte Jason fest. Jemanden wie sie erwartete man auf einem Laufsteg oder im Fernsehen, aber sicherlich niemals in der Position eines Special Agent des FBI. Na ja, Dana Scully, die FBI-Agentin aus "Akte X" war ja auch ausgesprochen hübsch gewesen, aber um einiges zugeknöpfter als Claire Wentworth den Eindruck machte. "Ich überlasse Agent Wentworth dann mal in Ihrer Obhut, ich denke Sie sollten Detective Cunninghams Büro für die Besprechung nutzen." Jason wusste sofort warum sein Chef diesen Vorschlag machte. Er wollte vor dem FBI einen guten Eindruck hinterlassen und nachdem der Agent nun schon in diesem Vorzimmer das mehr Ähnlichkeit mit einem Dschungel aufwies hatte warten müssen, wollte er ihr nicht noch das Büro von Randy zumuten, das eher einer Müllkippe ähnelte. Er beeilte sich Agent Wentworth die Tür zu öffnen. Sie trat an ihm vorbei und bedachte ihn mit einem so freundlichen Lächeln, dass Jason nicht umhin konnte, diese Frau sofort sympathisch zu finden. "Vielen Dank, Detective, es gibt also tatsächlich noch Gentlemen auf dieser Welt. Ach, und Detective Forbes!" Sie drehte sich um und sah Randy an, während der Spott schier aus ihren Augen funkelte. "Ich trinke meinen Kaffee gern mit etwas Milch und Zucker, ich weiß das ist nicht Ihr Job, aber Sie werden ja sicher wissen, wie man einer Dame einen Kaffee holt." Jetzt war es mit Jasons Selbstbeherrschung vorbei, trotz Randys finsterem Gesicht hielt er sich den Bauch vor Lachen. Das Lachen verging ihm aber recht schnell wieder. Agent Wentworth hatte sich in seinem Büro vor dem Schreibtisch auf einem Stuhl niedergelassen, er hatte ihr gegenüber Platz genommen und Randy lehnte an einem Aktenschrank. Die Sonne schickte ihre Strahlen ins Zimmer, doch trotzdem schien es Jason, als würde ihn Dunkelheit einhüllen. Mit jedem Wort das Claire sprach, fühlte er sich schlechter. Und er musste sich bemühen, der hübschen Agentin überhaupt richtig zu zuhören, denn die Angst um Chris klammerte ihre eiskalten Finger immer fester um sein Herz. "Ich verstehe, meine Herren, dass Sie wahrscheinlich momentan nicht einsehen, warum sich das FBI in Ihrem Fall einmischt, aber ich denke, nach meiner Erklärung wird vieles in einem anderen Licht stehen. Ihr Fall, Ihr Mörder, ist kein normaler Serientäter, sofern man diesen Begriff überhaupt gebrauchen will. Er ist dem FBI schon länger bekannt, aber er ist auch ein Meister der Tarnung. Wir sind ihm noch nie nah genug gekommen, um ihn zu schnappen und stets war er uns einen Schritt voraus und verließ den Ort seiner Taten." "Ich dachte, ihr Jungs, Verzeihung, Jungs und Mädels vom FBI würdet so etwas mit links machen!" sagte Randy in die entstandene Pause hinein. Agent Wentworth überging die Beleidigung. Ihren Augen waren auf die von Jason gerichtet und er hatte das Gefühl, dass sie mit ihren blauen Pupillen direkt in die Geheimnisse blickte, die sich hinter seinen grünen verbargen, doch er hielt dem Blick stand. "Aber hier ist die Lage anders. Hier hat er einen entscheidenden Fehler auf seinem Pfad Gottes gemacht. Unser Profiler hat ihn als einen extrem gefährlichen, wahrscheinlich religiös fanatischen Psychopathen klassifiziert, müssen Sie wissen. Er sieht in seinen homosexuellen Opfern Sünder, die er reinigt und auf den Pfad des Lichtes zurückführt. Das sie dabei sterben ist ihm egal. Unser Problem war, dass er es bisher fertig gebracht, niemals gesehen zu werden. Es gibt keinerlei Zeugen, keine Fingerabdrücke, auch keine DNA, weil er sich an seinen Opfern nicht vergeht. Sie meinen zwar, dass er mit ihnen schlafen will, aber er tötet sie bevor es zum Verkehr kommen kann. Aber jetzt sind wir ihm so nahe wie noch nie und zwar durch Christopher Fairgate." Bei der Erwähnung von Chris' Namen fühlte Jason einen Stich im Herzen. Er wollte ihn am liebsten ganz aus der Sache raushalten. "Mr. Fairgate hat den Täter gesehen und konnte uns eine Beschreibung geben, doch wir müssen damit rechnen, dass er sich vielleicht verändert oder schon längst wieder abgesetzt hat. Aber wir glauben, dass er in Mr. Fairgate eine zu große Bedrohung sieht um ihn nicht beseitigen zu wollen. Und da setzt unser Plan an..." "Moment!" Jason spürte wie er sich verkrampfte, seine Finger schlossen sich fest um die Armlehnen seines Bürostuhls. Er wusste in welche Richtung diese Unterhaltung gehen würde. Und das sagte er auch. "Mir gefällt die Richtung nicht in die dieses Meeting führt, mir gefällt nicht, was Sie vorhaben." Claire sah ihm unverwandt in die Augen, keineswegs verunsichert wegen seiner Reaktion. Im Gegenteil, sie lächelte. "In welche Richtung denken Sie denn, dass ich gehen möchte, Detective?" "Sie wollen Chris..." Ihm wurde klar das er schon wieder vergessen hatte Chris beim Nachnamen zu nennen und ebenso das er schon zu weit gesprochen hatte um es noch schnell zu tun, "...topher," der ganze Vorname war zumindest weniger verfänglich, "als Lockvogel für den Killer benutzen." "Ich sehe, Sie haben sich ihre Karriere verdient. Ich hatte schon beinahe befürchtet, mit einem Cop arbeiten zu müssen, dessen Werdegang nur auf seinem Vater beruht, aber ich bin wirklich froh, dass es offenbar nicht so ist." Und sie lächelte und zwar so entwaffnend, dass Jason den Satz noch nicht einmal als Beleidigung auffassen konnte. Und er war sich sicher, dass er auch nicht so gemeint war, sondern eher als Kompliment. Es kostete ihn einige Kraft, die spontane Dankesäußerung die ihm auf der Zunge lag wieder zu schlucken und beim Thema zu bleiben. "Nun, ich halte das für keine gute Idee." "Und weshalb genau?" Zack! Jasons Hals fühlte sich mit einem Mal wie ausgedörrt an, kein Wort kam über seine Lippen. Er wusste, dass er sich schnell eine sehr gute Erklärung einfallen lassen musste, aber die einzige die ihm einfiel war absolut untragbar. Wäre er jetzt David, hätte er dieser bezaubernden Dame und seinem Partner einfach die Karten auf den Tisch gelegt und ein lässiges "Weil ich ihn liebe!" angeführt. Nun gut, David hatte es nicht so mit der Liebe, aber die Überlegung war ja auch rein hypothetisch. Und außerdem war er nicht David, er war Jason und kam sich in diesem Moment furchtbar feige vor. Aber er brachte es einfach nicht übers Herz. Die Begründung die er zustande brachte war dementsprechend fadenscheinig. "Ich halte das für zu gefährlich." "Detective Cunningham," sie sprach vollkommen ruhig und dabei mit unglaublicher Überzeugungskraft, "ich verfolge diesen Fall nun schon eine ganze Weile und ich kann Ihnen eines sagen: Diesen Kerl zu schnappen ist jedes, wirklich jedes Risiko wert. Er hat nicht nur die paar armen Männer hier in San Francisco auf dem Gewissen, insgesamt gehen an die 40 Morde auf seine Kappe. Und es ist nicht so, dass wir wirklich von jedem Opfer wüssten. Er sucht seine Opfer vornehmlich im Bereich der männlichen homosexuellen Prostituierten. Ich denke Sie können sich die Dunkelziffer vorstellen, die dort existiert. Wir sind uns beinahe sicher, nicht jedes Opfer dieses Verrückten gefunden zu haben. Und wenn wir auch nur die kleinste Möglichkeit haben, diesem Kerl das Handwerk zu legen, glauben Sie dann nicht, dass wir sie ergreifen sollten?" Jason wusste nicht mehr was er erwidern sollte. Alles was er noch fertig brachte war ein kleinlautes "Ja..." "Detective!" Jason hielt in der Bewegung inne. Er hatte gerade die Fahrertür seines Wagens aufschließen wollen, als er die Stimme von Claire Wentworth hörte, die zwischen den Wagenreihen in der Tiefgarage auf ihn zugehastet kam. Jason musste mit Bewunderung feststellen, wie sicher und schnell sie sich auf ihren hochhackigen Schuhen bewegen konnte. "Special-Agent?" "Oh, lassen wir das doch, wir sind beide doch gerade nicht dienstlich hier. Ich bin Claire." "Jason." Eine solche Verbrüderung hatte Jason eigentlich nicht erwartet. "Jason, würde es Ihnen etwas ausmachen, mich ein Stück mitzunehmen. Ich habe noch keinen Leihwagen und in dieser Gegend ist es schwer ein Taxi zu kriegen." "Natürlich." Jason hasste sich selbst dafür, dass er so kurz angebunden war, er kam sich unhöflich vor, doch er fühlte sich nicht wirklich wohl bei dem Gedanken, für die nächste Zeit Smalltalk mit Agent Wentworth zu führen. Seine Gedanken waren längst woanders. Und genau das erriet Claire offensichtlich, als der Wagen aus der Tiefgarage in das Licht des frühen Abends einbog. "Ich fühle gewisse Ressentiments gegen mich, Jason. Irre ich mich da?" Jason nahm seine Augen nicht von der Straße. "Ich weiß nicht, was Sie meinen, Claire." "Ich meine, dass Sie kurz angebunden sind, seid ich Ihnen und Ihrem reizenden Partner gesagt habe, was ich vorhabe um diesen Fall endlich beenden zu können. Hören Sie, Jason, ich bin nicht nur beim FBI, ich bin auch eine Frau. Und ich spüre, wenn etwas im Busch ist." Eine Ampel schaltete auf Rot und Jason trat so hart auf die Bremse, dass beide in ihren Sitzen nach vorn ruckten, er hätte beinahe bei Rot die Kreuzung überfahren, etwas was ihm noch nie in seinem Leben passiert war. "Ich glaube Sie wissen sehr wohl was ich meine." nahm Claire das Gespräch wieder auf, während sie sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht strich, ansonsten Jasons verkehrstechnischen Fauxpas aber vollkommen überging, "Ich habe absichtlich nichts vor ihrem Partner gesagt, aber ich habe eindeutig das Gefühl, dass ihr Problem mit dem Einsatz von Christopher Fairgate als Lockvogel weitaus tiefer geht. Er ist kein Kronzeuge in einem Mafiaprozess oder so. Und Sie wissen, das jede erdenkliche Vorkehrung getroffen wird um für seine Sicherheit zu garantieren." "Niemand kann für seine Sicherheit garantieren, Sie sprechen hier nicht mit einem Frischling, Claire." "Ein kleines Restrisiko bleibt, aber warum nimmt Sie das so mit? Dieses kleine Risiko würde bedeuten, dass wir viele weitere Leben retten können. Und Sie wissen, dass solche Aktionen fast zum Standartprogramm bei der Polizei gehören. Viele Kollegen waren schon Lockvögel und..." "Viele Kollegen sind aber nicht Chris!" Hätte Jason nicht fahren müssen, hätte er wohl in diesem Moment die Hände vor den Mund gerissen. Oder sich selbst eine geknallt für soviel Dummheit. Claire aber lächelte nur. "Ich denke wir sollten uns mal unterhalten." Wenige Minuten später stellte Jason ein Tablett vor Claire Wentworth ab. "Cheeseburger, Pommes, Coke light, klassischer geht es wohl nicht?" "Ich bin eben ein klassisches Mädchen." Sie blickte auf das Tablett. "Oh, Sie sind also der Chicken McNuggets Typ?" "Eigentlich bin ich der BigMäc Supersize Menü Typ, aber ich wollte nicht verfressen wirken. Und ich achte auf meine Linie." "Das denke ich mir, wobei an Ihrer Linie sicher nicht das geringste auszusetzen ist. Aber ich könnte mir vorstellen, das hören Sie öfter." Sie nahm einen Zug aus ihrem Strohhalm. "Wenn auch wahrscheinlich nicht so häufig von Frauen." Jason verschluckte sich an seinem Pommes und hustete. Für ein paar Sekunden bekam er keine Luft, dann bewegte sich das fettige Kartoffelstäbchen endlich in Richtung seines Magens. Ungefähr die gleiche Richtung nahm sein Herz in diesem Moment. Es rutschte ihm sprichwörtlich in die Hose. Claire lächelte mal wieder und legte ihm fast schwesterlich ihre zarte Hand auf den Unterarm. "Jason, Sie mögen ihre Kollegen täuschen können, aber nicht mich. Sie sind galant, Sie sehen umwerfend aus, Sie sind gebildet, wissen sich zu benehmen, diese Kombination schreit förmlich schwul. Solche Männer wie Sie gibt es leider nicht mehr auf dem freien Markt für Frauen, glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung." Jetzt konnte Jason nicht mehr anders als zu lachen und Claire stimmte ein. Nachdem er sich beruhigt und sich selbst und der Agentin die Zeit für ein Chicken McNugget mit süßsaurer Soße bzw. einem Bissen vom Cheeseburger gegeben hatte, gab er auf. "Ich bitte Sie inständig, behalten Sie das für sich. Sie haben meinen Partner kennen gelernt. Er ist ein netter Kerl wenn man ihn zu nehmen weiß, aber wenn er würde niemals damit klar kommen, wenn er wüsste das ich schwul bin, da bin ich mir sicher." "Meine Lippen sind versiegelt, da können Sie sich sicher sein, Jason." "Vielen Dank." Claire kaute genüsslich ein weiteres Stück Cheeseburger, bevor sie weitersprach. "Allerdings erklärt die Tatsache das Sie schwul sind noch nicht ihren Ausbruch vorhin. Entschuldigen Sie, das klingt jetzt lächerlich, ich kann mir das sehr wohl zusammenreimen, aber ich möchte keine voreiligen Schlüsse ziehen." "Sie ziehen keine voreiligen Schlüsse. Es ist alles verdammt kompliziert, aber die Kurzfassung ist: Ich kenne Chris schon länger, ich habe ihn aus den Augen verloren, wiedergefunden, wir sind wieder zusammen und, verdammte Scheiße, entschuldigen Sie den Ausdruck, ich liebe ihn. Und jetzt soll ich zusehen, wie er sein Leben riskiert. Verdammt, ich sperre ihn quasi in mein Apartment um ihn zu schützen und jetzt soll er sich da wieder draußen rumtreiben und einen gefährlichen Killer auf sich aufmerksam machen? Wenn etwas schief geht, dann verliere ich ihn und so pathetisch das klingen mag, das würde ich nicht durchstehen... ich kann nicht fassen, dass ich Ihnen das erzähle." "Tut es denn nicht gut? Und fürs Protokoll: Das war keineswegs pathetisch sondern zeigt nur wie sehr Sie ihn lieben." "Schon, aber es ändert doch nichts. Die ganze Situation ist verfahren. Ich hätte diese Beziehung gar nicht beginnen dürfen, aber sehen Sie, mein Herz rast jetzt schon vor Vorfreude das ich gleich zu ihm nach Hause komme. Und wenn ich mir vorstelle, dass er sterben könnte... diesen Gedanken ertrage ich nicht..." "Ich kann das verstehen, aber Sie müssen auch mich verstehen. Ich wäre sicherlich die letzte, die Liebe verurteilt oder Ihnen sagen würde, dass Sie einen Fehler gemacht haben, denn Liebe kann nie falsch sein, zumindest nach meiner Meinung. Aber Chris ist unsere einzige Hoffnung diesen Dreckskerl in die Finger zu kriegen. Ich kann nicht anders. Und Sie ebenfalls nicht, so unfair das auch klingen mag." Jason lehnte sich im Stuhl zurück. Sein Blick ging an Claire vorbei auf eine überlebensgroße Abbildung von Ronald McDonald, dem grinsenden Maskottchen der Fastfood Kette. Er hatte auf einmal nicht übel Lust dem rothaarigen Clown einen in die grinsende Visage zu geben. "Okay... aber ich werde es ihm sagen..." "Es tut mir leid, Jason, das müssen Sie mir glauben." Jason nickte, denn ihre Stimme klang mehr als aufrichtig. "Was glauben Sie, wie leid es mir erst tut..." seufzte er und steckte sich einen mittlerweile kaum noch warmes Stück Hähnchenfleisch in den Mund. Ihm war eh der Appetit vergangen... Chris wandte den Kopf in Richtung der Wohnungstür als er den Schlüssel im Schloss klacken hörte. Er lag auf der Couch, der Fernseher lief und er hatte in Ermanglung eines guten Programms die Playstation eingeschaltet. Jason besaß eine Vielzahl von verschiedenen Spielen, was Chris einigermaßen überrascht hatte, er hatte Jason nie als den videospielenden Typen gesehen. Er selbst hatte sich nie eine dieser Videospielkonsolen leisten können, aber er lernte schnell damit umzugehen. Auf dem Tisch lag eine angebrochene Tafel "Hershey's Cookies'n'Cream" Schokolade, herrliche Milchschokolade mit "Oreo Cookie" Stückchen darin, und eine angetrunkene Flasche "Snapple Old Fashioned Lemonade" mit Zitronengeschmack, beides köstliche Fundstücke aus Jasons Küche. Er hatte den Nachmittag über diverse Spiele ausprobiert und war am Ende bei "Prince of Persia" hängen geblieben. Das Spiel gefiel ihm fast so sehr wie der Hauptdarsteller. Es wirkte zwar ein bisschen erbärmlich, einen virtuellen Mann sexy zu finden, aber ein bisschen Spaß musste doch mal sein. Als sich die Tür öffnete legte er den Controller auf den Tisch und stand auf. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er nicht genau wusste wie er reagieren sollte. Die Euphorie vom Morgen war verflogen und nun hatte er Angst, dass Jason es sich vielleicht wieder anders überlegt hatte. Er stand da und sah den brünetten Mann unsicher an. Jason hielt einen Blumenstrauß aus roten Rosen in der Hand und ihn schien etwas zu bedrücken, doch als er Chris erblickte, umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel und nach einer Sekunde des Zögerns breitete er die Arme aus. Diese einfache Geste schob sämtliche Unsicherheit weg. Chris flog regelrecht in Jasons Arme, tauchte in die Sicherheit seiner Umarmung ein. Als ihm der Geruch von Jasons Parfum in die Nase stieg, hatte er das Gefühl, nach Hause zu kommen. "Ich hab dich vermisst..." flüsterte er in Jasons Ohr. "Ich dich auch... du glaubst gar nicht wie sehr." Erleichtert trat Chris einen Schritt zurück und musterte seinen Freund. "Hast du etwas?" Jason öffnete den Mund, für einen Moment schien es, als wolle er etwas sagen, doch dann schloss er ihn wieder und griff stattdessen in seine Jackentasche und zog etwas hervor. Als Chris die Tüte erkannte, strahlte er übers ganze Gesicht. "Ich hab dir auf dem Heimweg etwas gekauft, ich hab mich erinnert, dass du das mochtest." Chris hüpfte wie ein kleines Kind auf der Stelle. "Reese's Cups! Ich würde töten für diese Dinger!" "Reese's Cups" waren eine Art Schokoladentaler mit Erdnussbutterfüllung. Jason hatte sich daran erinnert, dass Chris die schon in New York leidenschaftlich gern gegessen hatte. "Ich weiß! Und die hier," er hielt ihm den Strauß hin, "sind auch für dich, ich weiß, das ist vielleicht etwas dick aufgetragen, aber..." "Ach was, die sind wunderschön!" Er nahm die Tüte und die Blumen mit einem leuchtenden Gesicht entgegen, dass wie Sonnenstrahlen durch die dunklen Wolken brach, die sich um Jasons Gedanken ballten. Er zog Chris an sich und küsste ihn. "Ich möchte dich um etwas bitten..." sagte er leise. "Alles was du willst." "Ich möchte, dass dieser Abend, diese ganze Nacht nur uns gehört. Dir und mir. Da draußen gibt es ab jetzt keine Welt mehr, nichts mehr das uns stören könnte. Es gibt nur noch uns beide und wir tun, was immer wir wollen, Hauptsache wir tun es zusammen." Chris sah ihm einen Moment lang in die Augen als suche er darin nach einem Grund für diese Bitte, doch dann nickte er. "Gern, das hört sich gut an." "Gibt es etwas, was du gern tun würdest?" Chris grinste verschmitzt. "Ja, da gibt es etwas..." Chris atmete genüsslich aus und blies etwas Schaum von seiner Hand in die Luft. Die Rollläden des Badezimmers waren herabgelassen und der Raum wurde nur von einigen Kerzen erleuchtet. Auf der Ablage unter dem Spiegel, auf der Fensterbank und dem Wannenrand strahlten ihre Flammen in der warmen Luft. Es duftete nach Vanille. Ab und zu fiel ein Wassertropfen aus dem Hahn in die volle Badewanne. Jason und Chris saßen sich gegenüber, zwischen ihnen Berge von wohlduftendem Schaum, die auf dem warmen Wasser langsam umherglitten. "Ist es so wie du es dir vorgestellt hast?" Chris ließ sich nach hinten rutschen und verschwand kurz unter Wasser. Als er wieder auftauchte, warf er den Kopf in den Nacken und sein blondes Haar klatschte auf seine Schultern. Ein paar Wassertropfen trafen Jason. "Nein, das ist es noch nicht ganz!" lachte Chris. "Was fehlt denn?" Statt zu antworten erhob sich der blonde Mann. Fasziniert beobachtete Jason, wie der Schaum über seinen nassen Körper nach unten glitt. Chris drehte sich um und setzte sich wieder hin, genau zwischen Jasons gespreizte Beine. Er schob sich ein Stück nach hinten und lehnte sich mit dem Rücken gegen Jasons Brust. Sofort wurde es noch wärmer, als sich die beiden eh schon aufgeheizten Körper so nahe kamen. Jason schloss Chris in die Arme und dieser legte den Kopf an seine Brust. "So ist es besser." "Ja, da kann ich dir nicht widersprechen." "Jason?" "Ja?" "Ich will ja nichts sagen, aber das drückt ein wenig im Rücken!" Jason spürte wie sein Gesicht rot wurde. Er fühlte sich wie ein pubertärer Highschool Schüler, aber er hatte seinen Körper einfach nicht unter Kontrolle wenn er Chris so nah bei sich hatte und dann auch noch nackt. "Tut mir leid..." "Ist nicht schlimm!" lachte Chris und sah ihn über seine Schulter hinweg ins Gesicht. "Aber sei mir bitte nicht böse, wenn ich jetzt nicht mit dir schlafen möchte, ich will diesen Moment einfach nur genießen, soviel Romantik hatte ich schon lange nicht mehr." "Hey, du musst dich doch nicht entschuldigen, ich hab mich schon soweit unter Kontrolle selbst jetzt." grinste Jason. Chris' rechte Hand glitt über seinen Arm und suchte ganz beiläufig die Berührung von Jasons linker. Er kam der Aufforderung nach und nahm sie. Eine Zeit lang saßen die beiden einfach nur mit geschlossenen Augen da. Chris fühlte Jasons gleichmäßigen, beruhigenden Herzschlag und die scheinbar unendliche Sicherheit die seine kräftigen Arme zu spenden schienen. "Komisch..." durchbrach Jason schließlich das Schweigen. "Was denn?" "Deine Hand... ich kann mich noch genau erinnern, damals in New York, wenn ich sie da gehalten habe, hast du immer total gezittert. Du hattest eine total unruhige Hand." Chris zog seine Hand weg und rückte ein Stück von Jason ab. Er hielt sich am Wannenrand fest und drehte sich zu Jason herum. "Willst du das wirklich wissen?" "Was meinst du?" "Jason... ich..." er senkte den Blick und starrte auf die Wasseroberfläche. "Damals in New York... du hattest mich doch damals gebeten, keine Drogen mehr zu nehmen und ich wollte auch nicht, dass du mich auf Drogen erlebst... also habe ich den ganzen Tag nichts genommen, wenn ich wusste, dass du kamst... aber das ging nicht spurlos an mir vorbei. Ich war auf Entzug... deswegen habe ich so gezittert... immer wenn du weg warst habe ich mir als erstes einen Schuss gesetzt. Bist du jetzt enttäuscht von mir?" Jason schob sich zu ihm herüber und strich ihm mit der Hand über die Wange. "Warum sollte ich enttäuscht von dir sein? Lass die Vergangenheit ruhen, ich will das auch so machen. Obwohl es eine Frage gibt, die mich beschäftigt seit wir uns wieder getroffen haben... warum hast du mich damals betrogen? Das du von den Drogen nicht die Finger lassen konntest verstehe ich ja, das ist furchtbar schwer... aber warum hast du damals etwas mit diesem anderen Mann gehabt?" Chris griff nach Jasons Hand und hielt sie an seiner Wange, bevor er in seine Augen blickte. "Ich weiß nicht, ob du mir das glaubst, aber das war damals nicht meine Schuld. Mein Dealer... Carlos... ich hab dir nie von ihm erzählt weil ich Angst vor ihm hatte... aber als es mit uns ernster zu werden begann, sagte ich ihm dummerweise, dass ich mit den Drogen aufhören wollte. Er lachte mich aus... und als er merkte, dass es mir wirklich ernst war, hat er alles in die Wege geleitet um mich aufs Kreuz zu legen. Ein Junge, den ich damals für meinen Freund gehalten habe, sprach mich an. Er hätte einen wichtigen Freier, allerdings ginge es ihm nicht gut und er flehte mich an, für ihn einzuspringen, ein allerletztes Mal. Ich Idiot habe zugesagt. Der Typ war so komisch... ich zog mich aus... ich dachte an dich und dann konnte ich nicht, ich wollte gehen. Aber dann hab ich einen Schlag abgekriegt und danach weiß ich nichts mehr. Nur das Carlos bei mir war, als ich wieder wach wurde und mir eröffnete, dass ich dich endgültig vergessen könne... und er hatte leider recht. Ich hatte deine Adresse nicht und bevor ich dich finden konnte, warst du längst aus New York verschwunden." Jason konnte nicht fassen, was er gerade hörte. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass es die Wahrheit war. Und das bedeutete, dass er vier Jahre seines Lebens einem furchtbaren Missverständnis aufgesessen gewesen war. Chris hatte ihn damals nicht betrogen! Und er war weggelaufen ohne ihn überhaupt noch einmal anzuhören, ohne ihm die geringste Chance zu lassen etwas zu erklären! "Doch Carlos hatte sich verrechnet," fuhr Chris fort. "Er hatte gewollt, dass diese ganze Sache mich noch tiefer in den Sumpf der Drogen zieht, aber das Gegenteil war der Fall. Durch den Schock, dich durch all das verloren zu haben und die Wut die sich in mir aufstaute, auf die Drogen, auf dich, weil du mich verlassen hattest... all das half mir, stark zu bleiben. Ich hab etwas geschafft, was man kaum einem Junkie zutraut. Ich habe es geschafft, allein von den Drogen loszukommen. Glaub mir, die erste Zeit war die Hölle, aber immer wenn ich soweit war, wieder rückfällig zu werden, dachte ich daran, was ich durch diesen Dreck verloren hatte. Ich ging zu Treffen von anonymen Selbsthilfegruppen, finanzierte mich durch Gelegenheitsjobs und als ich genug Geld hatte, hab ich die erste Möglichkeit genutzt New York zu verlassen. Ich hatte erfahren, dass du nach San Francisco gezogen warst, aber als ich dann über ein Jahr später auf dem Weg hierher war... war ich mir plötzlich nicht mehr sicher wie gut die Idee war. Ich hatte plötzlich Angst, dass eine Beziehung die so schwierig war wie unsere damals... alles wieder verschlimmern würde. Also suchte ich nicht nach dir und versuchte hier ein neues Leben zu beginnen, mit mäßigem Erfolg wie du weißt. Ich baute eine Mauer um mich auf und blockte jeden Gedanken, jedes Gefühl für dich ab, bis ich selbst anfing zu glauben, dass ich dich nicht mehr liebte, sogar hasste... ich hatte Probleme Jobs zu finden und irgendwann bin ich wieder da gelandet, wo ich angefangen hatte, auf dem Strich... aber eines ist geblieben und darauf bin ich wirklich stolz: Ich bin seit New York clean..." Jason wusste nicht was er erwidern sollte. All das war ein kleiner Schock für ihn und er hatte mit einem Mal wahnsinnige Schuldgefühle. Statt etwas zu sagen zog er Chris an sich und schloss ihn fest in die Arme. So abrupt, dass Wasser über den Wannenrand schwappte und auf den Boden klatschte. "Es tut mir leid..." flüsterte er. Chris schmiegte sich an ihn und ließ seine Hand über seinen Rücken gleiten. "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Das ist alles Vergangenheit. Lass es dort wo es ist, kein Grund alte Geschichte aufzuwärmen." "Dann will ich wenigstes eines tun..." "Was?" "Ich weiß noch, dass ich dir damals versprochen habe, dir zu helfen ein neues Leben zu beginnen. Damals habe ich mein Versprechen gebrochen, aber ich habe es nicht vergessen. Wenn diese ganze Sache vorbei ist, helfe ich dir dabei ein neues Leben zu beginnen. Aber nur unter einer Bedingung?" "Und die wäre?" Jason lächelte und küsste ihn auf die Stirn. "Das ich ein Teil dieses Lebens sein darf." "Nichts lieber als das!" strahlte Chris und presste sich noch fester an den brünetten Mann. "Ich liebe dich." "Ich dich auch!" antworte Jason aus tiefstem Herzen. "Ich dich auch!" Chris hielt den Fön auf seine Haare und betrachtete im Spiegel wie die blonden Strähnen im Luftstrom tanzten. Jason war vor ihm aus der Wanne gestiegen und hatte ihn gebeten noch ein bisschen drin zu bleiben und sich dann erst fertig zu machen, er habe eine Überraschung. Als er sich die Haare trocken gerieben und sich abgetrocknet hatte, war Chris nicht umhin gekommen zu bemerken, wie schön sein Freund war und hatte sich alle Mühe geben müssen, ihn nicht direkt anzustarren. Sein Freund. Das klang gut, wirklich gut. Sogar geradezu herrlich. Chris hatte das Gefühl zu schweben. Als seine Haare getrocknet waren zog er die Sachen an, die Jason ihm bereitgelegt hatte und verließ das Badezimmer. Der Wohnraum war leer und dunkel, es hing ein leichter Geruch nach Tomatensoße in der Luft, aber auch in der Küche war kein Licht. Die Vorhänge waren zugezogen. "Jason?" "Auf dem Balkon!" kam die Antwort. Chris ging zur Balkontür, schob den Vorhang zur Seite, schlüpfte hinaus und erstarrte. Es war mittlerweile dunkel geworden und San Francisco war ein leuchtender Ozean aus Lichtern. Die gesamte Dachterrasse war von Kerzen erleuchtet, deren Flammen sich im leichten Nachtwind wiegten. Der Tisch war feierlich gedeckt und das Besteck glänzte im Licht der Kerzen. Auf einem Servierwagen daneben standen zwei abgedeckte Schüsseln und ein Sektkühler mit einer Flasche. Der Pool war von innen heraus beleuchtet und zauberte flackernde Lichter auf die Palmen und Pflanzen. In einer Wind- und Regengeschützten Ecke stand ein kleiner CD-Player den Chris noch gar nicht bemerkt hatte. Als er auf den Balkon getreten war, hatte Jason ihn wohl mit einer Fernbedienung eingeschaltet und die Klänge von "Falling" der Titelmelodie von "Twin Peaks", eine der romantischsten Melodien die Chris kannte, erfüllten die Luft. Jason stand neben dem Tisch und lächelte ihn an. Chris war vollkommen sprachlos, er öffnete den Mund, aber kein Ton kam hervor. So etwas hatte er noch nie im Leben gesehen. "Was ist?" "Ich bin nur platt... entschuldige... du weißt wie ich das meine... das ist umwerfend... wie hast du das so schnell hinbekommen?" "Mein Geheimnis!" lächelte Jason und zwinkerte ihm zu. "Magst du erst essen... oder erst tanzen? Das Essen bleibt auch noch einen Moment warm." "Hast du gerade tanzen gesagt?" Jason streckte ihm die Hand entgegen. "Ja, aber nur wenn du willst." Chris trat auf ihn zu und nahm seine Hand. "Gern..." Jason zog ihn sanft näher an sich und legte ihm die Hände um die Hüften. Chris schmiegte sich an ihn, als sie anfingen, sich langsam im Takt der Musik zu bewegen. Chris fühlte sich beinahe berauscht von Jasons Geruch, von der Nähe zu ihm und der romantischen Stimmung. Er spürte wie ihm unwillkürlich eine Träne über die Wange rann. "Jason?" "Hm?" "Ist das alles nur Traum? Ich hab das Gefühl, ich würde jeden Moment allein in meinem Bett aufwachen..." "Das einzige Bett in dem du aufwachen wirst ist meines und das erst morgen früh..." hauchte ihm Jason zärtlich ins Ohr und gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Ein Glück..." "Warum weinst du?" Chris' Wangen erröteten, weil er sich ertappt fühlte. "Es ist nichts... nur ist das alles so wundervoll, so etwas hat noch nie jemand für mich gemacht. Und ich muss immer daran denken, dass wir soviel Zeit verschwendet haben..." "Wir haben jetzt alle Zeit der Welt, nichts wird uns mehr trennen..." antwortete Jason und in diesem Moment glaubte er seine Worte sogar beinahe selbst. Mit aller Kraft drängte er die aufkeimende Angst vor dem morgigen Tag zurück, verdrängte, dass er von geborgter Zeit lebte und das diese Idylle wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen drohte. Es gab kein Morgen! Chris sah ihm in die Augen und Jason wäre am liebsten in das klare Blau eingetaucht. Sein blondes Haar glänzte im Licht der Kerzen, er sah aus wie ein Engel. Wieder kam die Angst, ihn zu verlieren, an die Oberfläche seines Bewusstseins zurück. "Wollen wir essen?" fragte er, nur um die dunklen Stimmen zu vertreiben, die ihn an seine Angst erinnern wollten. Chris blickte zum Tisch hinüber und dann wieder Jason ins Gesicht. "Bist du böse, wenn ich darauf keinen Appetit habe? Oder hattest du viel Arbeit damit?" Jason schüttelte lachend den Kopf. "Nein, das ist mit einer Fertigmischung gemacht, zu mehr hatte ich keine Zeit! Was magst du sonst essen, wir können uns was bestellen." Chris strich ihm sanft über die Brust. "Eigentlich hab ich gar keinen Hunger... zumindest nicht auf Essen..." Seine Hand glitt über Jasons Bauch um deutlicher zu machen was er meinte. "Dieses Shirt..." "Was ist damit?" grinste Jason. "Nichts, es ist schön, aber es ist doch etwas zu viel Textil an dir für meinen Geschmack." "Was kann man da wohl gegen machen?" Jason hob die Arme und ließ zu, dass Chris ihm sein Shirt über den Kopf zog. Dann ließ er es zu Boden gleiten. Er legte seine Hand auf Jasons kräftige Brust und strich sanft darüber. "Du bist so unglaublich sexy... solche Muskeln habe ich noch nie berührt... keiner meiner Freier war..." Er zog die Hand weg und hielt sie sich erschrocken vor den Mund, bevor er sich beschämt umdrehte. "Tut mir leid... das hätte ich nicht sagen sollen..." "Ist doch schon gut. Ich hab kein Problem damit!" beteuerte Jason, obwohl ihm der Satz schon einen Stich versetzt hatte "Aber ich... du warst immer etwas besseres als ich und bist es immer noch. Warum gibst du dich überhaupt mit mir ab?" "Stellst du diese Frage im Ernst?" Jason wollte Chris' Hand ergreifen, doch dieser wich ihm aus und entfernte sich weiter. "Ja, denn ich verstehe es eigentlich nicht. Du könntest doch viel bessere Typen haben als mich, locker sogar!" "Sieh mich doch wenigstens an, wenn du mit mir redest." Chris drehte sich um und blickte Jason in die Augen. "Besser?" "Warum reagierst du so abweisend, hab ich dir einen Grund dafür gegeben?" "Nein, aber ich kann einfach nicht glauben, dass das alles so passiert. Jason, ich bin ein Stricher, vielleicht kein Junkie mehr, aber immer noch ein mittelmäßiger Callboy! Ich passe nicht in deine Welt, das würde nicht gut gehen... ich..." "Das ist doch schizophren, du warst doch bis eben so glücklich! Was ist denn nur los?" "Ich hab mich eben von diesem ganzen Romantikkram mitreißen lassen und habe für einen Moment meinen Platz in dieser Welt vergessen." Chris verschränkte die Arme vor der Brust. "Dein Platz ist bei mir..." sagte Jason leise und kam einen Schritt auf ihn zu. Er wollte ihn in die Arme nehmen, aber Chris versuchte dies zu verhindern, er trat nach hinten. Und ins Leere. Seine Augen wurden in einem geradezu grotesken Moment riesengroß, als ihm bewusst wurde, dass sein Fuß keinen Halt fand. Er ruderte hilflos mit den Armen und kämpfte mit dem Gleichgewicht. Jason griff im Reflex zu, doch auch für ihn kam es zu überraschend. Obwohl er eigentlich stark genug war Chris zu halten, geriet auch er durch die plötzliche Bewegung aus dem Gleichgewicht und wurde von Chris mitgerissen. Beide fielen rücklings in den Pool. Das Wasser spritzte auf und löschte diverse Kerzen. Als die beiden prustend wieder an die Oberfläche kamen, standen sie sich im aufgewühlten, zum Glück temperierten, Wasser des Pools gegenüber. Jason und Chris sahen sich an und brachen Sekunden später in schallendes Gelächter aus. Bevor er wieder flüchten konnte, zog Jason Chris an sich. "Du Verrückter, jetzt ist aber Schluss!" lachte er. Chris presste sich an ihn und sein Lachen vermischte sich nach und nach mit heftigem Schluchzen. "Tut mir leid... Jason... ich..." "Ist ja gut." "Nein!" widersprach Chris. "Nein, ist es nicht... ich hasse mich für so etwas. Weißt du, ich tue immer so selbstbewusst, aber in Wirklichkeit hasse ich mich für das was ich bin... der Tag in deiner tollen Wohnung, die viele Romantik, ich hatte mein Leben vollkommen verdrängt, aber als ich das eben gesagt habe... da ist mir das wieder klar geworden... ich will dir nicht zumuten mit einem Strichjungen zu leben..." Jason unterbrach seinen Redeschwall mit einem Kuss. Den Moment in dem Chris perplex über den Überfall war, nutzt der brünette Mann schnell aus. "Sei jetzt mal für einen Moment still und hör mir zu! Ich will niemanden sonst, nur dich! Ich liebe dich, egal was du bist. Ich habe dich geliebt als du drogensüchtig warst und ich liebe dich jetzt. Ich habe einen Fehler gemacht als ich dich verließ, aber ich werde nicht zulassen, das uns etwas trennt! Nicht schon wieder. Ich werde dir helfen ein neues Leben aufzubauen, du brauchst nie wieder auf den Strich zu gehen. Aber begreife endlich, dass ich dich genauso will, wie du bist! Ich liebe dich! Verdammte Scheiße, ich liebe dich mehr als alles auf der Welt! Ich würde all das hier aufgeben, dieses Apartment, dieses Leben und mit dir unter einer Brücke hausen, nur um bei dir zu sein! Stoß mich nicht weg und hör auf dich selbst zu zerfleischen! Du bist wundervoll und ich liebe dich so wie du bist und werde das immer tun!" Chris starrte ihn an, unfähig etwas zu erwidern. Das war aber auch gar nicht nötig. Stattdessen küsste er ihn leidenschaftlich. Als sich ihre Lippen lösten, flüsterte er nur ein Wort. "Danke..." Das Apartment lag ruhig und in völliger Dunkelheit da. Wenn man ganz still war konnte man das Ticken der Küchenuhr hören. Die einzige Lichtquelle in der Nähe des Bettes war die Zeitanzeige des Radioweckers, die soeben auf 01.00 Uhr wechselte. Jasons Augen hatten sich an die geringen Lichtverhältnisse gewöhnt. Er konnte Chris erkennen, der ruhig atmend neben ihm lag. Er war schon vor einer ganzen Zeit eingeschlafen, aber Jason kam nicht zur Ruhe. Die Angst vor dem morgigen Tag hielt ihn wach. Er streckte die Hand aus um Chris über den Kopf zu streicheln, zog sie aber im letzten Moment zurück. Er wollte Chris auf keinen Fall wecken. Warum konnte er nicht endlich einschlafen? Normalerweise war er nach einem solchen leidenschaftlichen Ausbruch wie dem, in dem der Abend geendet hatte, immer müde und auf diese angenehme Weise geschafft. Zumindest war es mit David meistens so gewesen und der Sex den er mit Chris gehabt hatte, musste sich dahinter sicher nicht verstecken. Nein. Er korrigierte sich. Das war kein einfacher Sex gewesen, sie hatten sich geliebt, voller Leidenschaft geliebt, noch viel intensiver als am Morgen. Langsam ließ er sich in die Kissen sinken und starrte die Decke an. Seit einer Stunde legte er sich Reden zurecht, mit denen er Chris erklären konnte, was auf ihn zukam. Und jedes Mal wenn er dachte er habe es, verwarf er den Gedanken wieder. Die Situation war einfach grauenvoll. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Warum immer er? Neben ihm lag ein wundervoller aber so verletzlicher Mann, der sich bei ihm sicher fühlte... und er sollte all das zerschlagen, indem er ihn in so eine Gefahr schickte? Er zuckte beinahe zusammen als Chris sich im Schlaf bewegte und seinen Arm um Jasons Brust legte. Mit einem zufriedenen Geräusche schmiegte er sich an ihn. Jason seufzte. Er hasste sich selbst für diese ganze Situation, Selbsthass war in den letzten Tagen offenbar sein steter Begleiter geworden. Und er hatte gedacht, sein Leben wäre kompliziert, weil er sich vor seinen Kollegen nicht outen wollte. Gegen die jetzige Situation war das ein Spaziergang gewesen... "Kannst du nicht schlafen?" Jetzt fuhr Jason wirklich zusammen. Chris hatte die Augen geöffnet und sah ihn an. "Hab ich dich geweckt?" "Nein... oder vielleicht doch, ich glaube ich habe gespürt, dass du mich ansiehst." "Tut mir leid, ich wollte das nicht." "Was hast du?" "Hm?" Chris setzte sich auf. "Du hast doch irgendetwas. Sag mir bitte, was dich bedrückt." "Ich... ich weiß nicht..." "Vertraust du mir nicht? Es kann doch nicht so schlimm sein." "Glaub mir, ich habe einen gesunden Schlaf, wenn mich etwas wach hält, ist es etwas schlimmes..." Chris nahm Jasons Hand. "Jetzt sag endlich. Bitte..." "Chris..." Jasons Stimme versagte für einen Moment. Er hatte einen Kloß im Hals. Nur mit Mühe konnte er weiter sprechen. "Ich wollte es dir erst morgen sagen... ich hab so lange darüber nachgedacht wie ich es tun sollte... aber ich glaube es gibt keinen wirklich guten Weg. Also versuche ich es einfach direkt... weißt du..." Seine Kehle fühlte sich plötzlich furchtbar trocken an. "Der Fall... der Mordfall... also der Mann den du gesehen hast... das war... fuck..." Er schloss die Augen und atmete tief ein. Am liebsten hätte er die Augen geschlossen gehalten, aber er fand das Chris ein Recht darauf hatte, dass er ihn ansah. "Es ist kein Einzelfall. Dieser Typ ist ein waschechter Serienmörder und er wird sicher wieder zuschlagen. Sogar das FBI ist mittlerweile an der Sache dran und der zuständige Agent meint, dass es noch nie eine so gute Gelegenheit gegeben hat, den Kerl zu kriegen. Er hat einen Fehler gemacht, er ist zum ersten Mal gesehen worden und diesen Fehler wird er korrigieren wollen. Und das ist unsere Chance. Allerdings würde das bedeuteten, dass..." "Das ich den Lockvogel spielen muss..." beendete Chris den Satz in einem derart emotionslosen Ton, dass Jason für einen Moment den Faden verlor. "Ich will das nicht... aber es gibt keine andere Möglichkeit... wenn es die gäbe, dann würde ich..." Chris beugte sich zum ihm und versiegelte seine Lippen mit einem sanften Kuss. "Ich weiß, dass du das würdest. Ich verstehe..." Er schmiegte sich zärtlich an Jason. "Du musst dich nicht entschuldigen. Es muss schwer für dich gewesen sein, dass die ganze Zeit mit dir herumzutragen." "Ich hab Angst um dich... deswegen wollte ich diesen Abend nur für uns. Ich wollte... ich meine, es gibt zwar ein Restrisiko, aber so etwas ist eigentlich fast eine Standartaktion der Polizei... ach, fuck, hör mich doch mal an... ich rede wie ein verdammter Bürokrat... ich will nicht das du das tust!." "Ich werde es tun..." "Was?" Jason glaubte für einen Moment, dass er nicht richtig gehört hatte. "Ich werde es tun. Allein schon für Luke. Er war ein guter Freund. Ich will aber noch nicht daran denken... du hast gesagt, die Nacht würde uns gehören. Und die Nacht ist noch nicht zuende." Er drängte sich näher an Jason. "Hältst du mich fest?" Jason lächelte. "Okay." Chris kuschelte sich in seinen Arm und schloss die Augen. "Schlaf gut. Ich weiß das du nicht zulassen würdest, dass mir etwas passiert. Ich weiß das, weil ich dich liebe..." Damit schloss Chris wieder die Augen. "Niemals!" bestätigte Jason. "Ich liebe dich auch." fügte er hinzu und genoss es ein weiteres mal, diese Wort auszusprechen. Jason zog die Decke über sich und Chris und schloss ebenfalls die Augen. Er konnte immer noch nicht fassen, wie sich die ganze Sache entwickelt hatte. Er hätte nie geglaubt, dass Chris einfach nur "Ja" sagen würde. Er hatte sich wirklich verändert, soviel Mut hatte er früher nicht gehabt. Und wenn er soviel Vertrauen in die Zukunft und in ihn haben konnte, warum dann nicht auch er selbst? Mit diesem Gedanken schlief Jason schließlich doch ein. Das typische Knacken kündigte an, dass der Radiowecker ansprang. "...kam es in der letzten Nacht zu mehreren Unfällen..." Der Nachrichtensprecher von WKFM Bay Radio riss Jason aus dem Schlaf. Er hatte den Wecker früher gestellt als sonst und deswegen gab es diesmal Nachrichten statt Musik. Jason angelte mit geschlossenen Augen nach dem Wecker und traf sogar den Knopf, der das Radioprogramm für die nächsten zehn Minuten stumm schaltete. Er drehte sich um. Was sprach schon dagegen, noch ein paar Minuten mit Chris zu kuscheln? Sein Arm sackte ins Leere. Er blinzelte und öffnete die Augen. Er war allein, die Seite neben ihm war zerwühlt, aber leer. Und als er die Hand darüber gleiten ließ, waren die Laken kühl. Chris musste schon länger wach sein, vielleicht hatte er nicht mehr schlafen können und ihn nicht wecken wollen. Jason stand auf und streckte sich. Vielleicht wollte Chris ihn mit Frühstück überraschen. Er lächelte unwillkürlich. Er hatte sich wirklich verändert, früher war er kaum aus dem Bett gekommen. Jason ging nackt wie er war die Treppe ins Wohnzimmer hinab. In der Wohnung war es still, die Vorhänge waren noch zu. Er nahm die Fernbedienung und ließ den Stoff vor den Fenstern zurückfahren. San Francisco begrüßte ihn mit einem noch herrlicheren Sommertag als es der letzte gewesen war, das Wetter wurde momentan von Tag zu Tag besser. "Chris?" Er bekam keine Antwort. Alles blieb ruhig. Jason stieß die Badezimmertür auf. Der Raum war leer, die Küche, die er danach inspizierte, ebenfalls. Jason ging ins Wohnzimmer zurück. Auf dem Tisch lag sein Laptop und die angebrochene Packung "Reese's Cups", die er Chris geschenkt hatte. In einer verzierten Vase aus Metall, ein Einzugsgeschenk seiner Mutter, standen die Rosen, ihre bordeauxroten Blüten glänzten im Licht. In diesem Moment streifte Jasons Blick noch etwas anderes, etwas weißes. Unter der Vase klemmte ein Zettel. Der junge Mann zog ihn hervor. Seine Augen überflogen die wenigen, offenbar schnell geschriebenen Zeilen in Chris' etwas unruhiger Handschrift. Es tut mir leid. Ich kann das nicht. Ich liebe dich, bitte hass mich nicht! Chris Jason las die Zeilen noch einmal. Dann noch einmal. Es war wie ein Schock. Er brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, was er dort las. Der Zettel glitt ihm aus der Hand. Fassungslos blickte er den Rosenstrauß an. Dann holte er aus und schmetterte die flache Hand mit voller Wucht gegen die Vase. Das schwere Metallgefäß fiel scheppernd um. Die Blumen flogen durch die Luft und verteilten sich im Zimmer. Jason blickte schwer atmend auf die herumliegenden Pflanzen und das Wasser, dass vom Tisch auf den Boden tropfte... Kapitel 6: The longest day a.k.a. Secrets cry aloud --------------------------------------------------- "Ich brauche Fairgates Adresse!" Jason brüllte diese Worte regelrecht in sein Handy. Die Rotphase der Ampel an der Van Ness Avenue kam ihm heute unendlich lange vor. Eigentlich war er ja dagegen beim Fahren zu Telefonieren, aber er hatte eben noch keine Freisprechanlage und heute war ihm das eh egal. Sein Haar war vollkommen zerzaust und seine Wangen bedeckten deutliche Bartstoppeln, ein ziemlich ungepflegter Look für den sonst so ordentlichen Polizisten. Aber all das interessierte Jason heute absolut nicht. Er kochte innerlich vor Wut. Wut auf sich selbst, Wut auf Chris. Ein Sog aus Zorn vermischte sich in seinem Inneren mit furchtbarer Angst. "Warum denn das?" war Randys verwunderte Antwort. "Verdammte Scheiße, Randy, stell nicht so blöde Fragen! Besorg mir die Adresse! Und zwar so schnell du kannst, beweg deinen Arsch! Ruf mich dann wieder an!" Damit drückte er den roten Knopf um das Gespräch zu beenden und warf das Handy auf den Beifahrersitz. Die Ampel schaltete auf Grün und Jason trat das Gaspedal durch. Er wusste das Chris in Hafennähe wohnte und bis Randy die Adresse herausgefunden hatte, wollte er schon möglichst nahe am Hafen sein. Er preschte über eine beinahe rote Ampel und erntete wütendes Hupen. Da hinein dudelte sein Handy die Titelmelodie von "Dallas", Gary hatte sie aus dem Internet heruntergeladen und ihm per MMS zugeschickt, als Spaß. Aber Jason hatte die Melodie immer gemocht und sie deswegen beibehalten. Er griff nach dem Telefon, ohne die Augen vom Straßenverkehr zu wenden und nahm den Anruf an. "Hast du die Adresse?" "Ja doch, jetzt sag endlich was los ist!" "Die Adresse, Randy! Los!" Randy nannte sie ihm. Jason wusste ungefähr wo das war. "Danke!" ganz unhöflich wollte er trotz der Situation dann doch nicht sein. "Was ist eigentlich los? Du klingst so abgehetzt. Außerdem warten Miss Special Agent und ich schon auf dich!" "Ich erkläre dir alles später, sag das auch Claire!" "Du nennst sie Claire?!" Jason erklärte das Telefonat für beendet. Er drückte Randy weg und schleuderte das Handy auf den Beifahrersitz zurück. Dann gab er noch mehr Gas. Mit quietschenden Reifen hielt Jason schließlich vor der angegebenen Adresse. Das Viertel lag in einem heruntergekommenen Teil des Hafens. Viele Wohnungen hier wurden von Gastarbeitern und ihren Familien belegt. Und nach Sonnenuntergang verwandelte sich diese Gegend in einen Ort, den man als Tourist wie auch als Einheimischer lieber nicht betrat. Ganz zu schweigen davon, dass man dieses Gebiet sicher in keinem Reiseführer finden würde. Jasons Auto stand vor einer recht abgewrackten Spelunke. "Barracuda", einen klischeehafteren Namen gab es sicher nicht für eine Kneipe in Hafennähe. Aber genau hier sollte Chris' Wohnung liegen. Jason schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Chris nicht frech genug gewesen war eine falsche Adresse anzugeben um der Polizei nicht zu bekannt zu werden. Die Hand des jungen Mannes glitt an den Bund seiner Jeans und berührte den kühlen Griff seiner Waffe. Jason besaß neben seiner Dienstwaffe auch einen Waffenschein für eine private Pistole, er war ein ausgezeichneter Schütze. Um nicht zuviel Aufsehen zu erregen zog er sein eilig übergeworfenes Shirt aus der Hose und ließ es über den Bund fallen. Dann stieg er aus, schloss seinen Wagen ab und betrat die Kneipe. Drinnen roch es nach abgestandenem Bier, Schweiß und etwas anderem, Jason glaubte aus dem säuerlichen Aroma Erbrochenes erkennen zu können. Die Bar war geschlossen, sämtliche Stühle standen umgedreht auf den Tischen. Ein Junge war damit beschäftigt den Boden zu wischen und ein stämmiger Mann von etwas fünfzig Jahren räumte hinter dem Tresen Biergläser ein. "Wir haben geschlossen!" raunzte er, als Jason den Raum betrat, würdigte ihn aber sonst keines Blickes. Ungerührt ging Jason zur Bar hinüber, er spürte die Blicke des putzenden Jungen, eine Mischung aus Neugier und Angst. Der junge Polizist lehnte sich an den alten Eichenholztresen. "Ich bin nicht hier, weil ich was trinken will, ich brauche Informationen." "Gibt es hier nicht!" "Oh, das glaube ich doch!" Jason griff in seine Tasche und hielt dem Barkeeper seine Dienstmarke hin. Dieser erbleichte kurz, fing sich aber schnell wieder. "Was kann ich für Sie tun, Officer?" "Detective, Detective Cunningham. Und ich will wissen ob Sie hier einen jungen Mann gesehen haben. Achtundzwanzig Jahre, mittelgroße, lange blonde Haare, blaue Augen. Hört auf den Namen Christopher Fairgate." "Was wollen Sie von Chris?" fragte der Junge mit dem Wischmopp erschrocken. "Halt die Schnauze, Kyle! Verzieh dich!" herrschte ihn der Wirt an. "Nein!" befahl Jason so laut, dass der Junge zusammenzuckte. "Komm doch mal her." Ängstlich trat der Junge näher und musterte Jason aus seinen graugrünen Augen. Aus der Nähe sah er noch jünger aus. Höchstens vierzehn. "Kyle, richtig?" Ein Nicken war die Antwort. "Kennst du Chris?" "Ich will nicht das er Probleme bekommt..." flüsterte der Junge. "Lassen Sie doch den Jungen zufrieden, Officer!" Jason schloss die Augen und zählte bis drei, bevor er sich umdrehte. "Ich will ihm ja gar nichts tun, also halten Sie sich daraus. Und wenn er mir nichts über Chris sagen soll, dann tun Sie es eben!" "Hören Sie, Officer, Fairgate ist ein netter Kerl und ich werde ihn nicht in irgendwas reinreiten. Jeder hier mag ihn und..." "Das ist mir scheißegal!" Jasons gesamte Wut bahnte sich ihre Weg und fokussierte sich auf den eigentlich unschuldigen Mann hinter der Bar. Sein Arm schoss vor und packte den Barkeeper am Kragen. Er zerrte ihn zu sich hinüber. "Mir ist egal, was Sie denken, klar? Fairgate ist ein wichtiger Zeuge in einem Mordfall! Und wenn ich ihn nicht bald finde wird es der Kerl tun, den er dabei gesehen hat, wie er einen anderen Stricher mit einem Jagdmesser zu Hackfleisch verarbeitet hat! Und glauben Sie mir, wenn das geschehen sollte, komme ich hierher und treten Ihnen in Ihren Arsch!" Der Mann sah ihn vollkommen verstört an. "Chris wohnt in dem Zimmer hier hinter der Bar, zum Hof raus." mischte sich Kyle ein. "Er ist heute am frühen Morgen wiedergekommen und hat sein Zimmer seitdem nicht mehr verlassen." Jason ließ den Barkeeper los, der verängstigt nach hinten stolperte und wandte sich zu dem Jungen um. "Ich danke dir, Kyle, ich danke dir! Wo lang?" Kyle deutete auf eine Tür im hinteren Bereich der Bar auf der "Privat" stand. "Danke!" Jason hechtete regelrecht in Richtung der Tür, begleitet von den verwunderten Blicken der beiden anderen. Wenn Chris nicht mehr hinausgekommen war, seit er hierher zurückgekehrt war, war es noch nicht zu spät! Und offenbar waren die beiden die ganze Zeit in der Bar gewesen, also hatte von hier aus niemand Chris erreichen können. Sein Herz machte einen Sprung bei dem Gedanken, Chris wohlbehalten in die Arme zu schließen, egal wie wütend er auch war. Er durchquerte die Tür und den kurzen, schummerigen Flur dahinter bis zu einer weiteren Tür. Er riss sie beinahe aus den Angeln, so heftig stieß er sie auf. Dann brach alles in sich zusammen... Chris öffnete langsam die Augen. Er spürte eine Hand auf seiner Stirn, dann auf seiner Wange. Eine sanfte Berührung. "J...Jason...?" Sein Blick wurde langsam klarer. Er hatte Kopfschmerzen, sein Mund fühlte sich schal und trocken an. Als die Schlieren vor seinen Augen verschwanden blickte er in das Gesicht eines blonden Jungen, beinahe noch ein Kind. Er musterte Chris mit seinen blauen, angsterfüllten Augen. "Gott sei Dank, ich dachte schon, Sie würden sterben." "Wo... wo bin ich...?" Der Junge schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht. Tut mir leid. Ich bin hier ebenso aufgewacht wie Sie und er sagt mir nicht, wo wir sind?" "Er?" Chris setzte sich langsam auf, vorsichtig, weil er das Gefühl hatte, sein Kopf würde zerspringen. Er taste mit der Hand nach seinem Hinterkopf und fühlte verkrustetes Blut in seinen Haaren. Jemand musste ihm einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst haben. Er erinnerte sich kaum, was geschehen war. Nur bruchstückhaft kehrte die Erinnerung zurück. Sein Zimmer. Er war zurückgekehrt um ein paar Sachen zu holen und dann die Stadt zu verlassen. Jemand war da gewesen. Er hatte sich gewehrt. Dann nichts mehr. Schmerzen und Dunkelheit. Er blickte sich im Raum um. Er war allein mit dem blonden Jungen, der neben ihm kauerte. Der Junge trug eine abgetragene Jeans und ein offenbar auch altes Shirt mit der teilweise abgewaschenen Aufschrift "Sweety". Sein Haar war kinnlang und in der Mitte gescheitelt. Es sah aus als wäre es einige Tage nicht gewaschen worden. Er war dünn und mittelgroß, soweit man das in seiner Position abschätzen konnte. Chris' Blick konzentrierte sich nun auf den Raum in dem sie sich aufhielten. Ein Keller ohne Fenster, nur mit einem Lüftungsgitter hoch oben unter der Decke, nicht sonderlich groß. Es roch muffig, ein wenig nach Schweiß, aber auch nach Urin. Auf dem Boden in der Ecke lagen ein Kissen und eine zerschlissene Decke. In einer anderen Ecke des Raumes stand eine schmutzig aussehende Toilette. Sonst war der Raum leer. Vollkommen leer. Bis auf die Fotos. Die Wände waren bedeckt mit Fotos, mindestens 50 bis 60 Stück. "Was zum Teufel ist das hier?!" "Keine Ahnung... er kommt nur manchmal und bringt was zu essen und dann geht er wieder. Er redet nicht einmal mit mir. Ich hab keine Ahnung wie lange ich hier bin... hier ist nichts, außer die Fotos von den Männern..." Chris stemmte sich vorsichtig hoch, obwohl sein Kopf dabei höllisch schmerzte. Der Junge wollte ihm helfen, doch Chris winkte ab. "Es geht schon." Langsam ging er zu einer Wand hinüber und betrachtete die Fotos, die scheinbar wahllos verteilt worden waren. Polaroidaufnahmen, allesamt. Er ging an der Wand entlang, den Blick ständig auf die vielen Gesichter gerichtet. Als er schon fast am Ende der ersten Wand angekommen war, fiel sein Blick auf ein Bild, dessen Motiv ihm eine eiskalte Hand auf das Herz legte. Fassungslos tastete er mit dem Finger über die Oberfläche der Aufnahme, als würde ihm diese Geste vergewissern, dass er keinen Alptraum hatte. Er träumte leider nicht, aber ein Alptraum war es trotzdem. "Oh nein..." presste er hervor. "Was denn?" Er hatte den fremden Jungen fast vergessen. "Den Mann kenne ich... das ist Luke. Er ist ermordet worden. All diese Männer auf den Fotos... sind tot..." Er wandte den Blick ab und ließ sich mit dem Rücken zur Wand zu Boden sinken. Der Junge starrte ihn fassungslos an. Chris Herz pochte wie wild. Er fühlte sich wie in Watte verpackt, er konnte keinen klaren Gedanken fassen. In seinem Kopf tanzte nur eine Erkenntnis. Er hatte alles falsch gemacht. Er war weggelaufen aus Angst, dem Killer in die Hände zu fallen. Er hatte den einzigen Mann verlassen, bei dem er sicher gewesen wäre. Und jetzt war er in die Falle gelaufen, genau wie ein Fisch der in einen Köder beißt. Er saß in der Falle, in einem Kellerraum, irgendwo in einer Millionenstadt, ohne eine Möglichkeit auf sich aufmerksam zu machen. Hilflos einem wahnsinnigen Mörder ausgeliefert. Ohne es zu wollen, fing er an zu weinen... Jason saß in Chris' verwüstetem Zimmer. Es sah nach einem wilden Kampf aus. Möbel waren umgeworfen worden, eine Scheibe zum Hof hinaus zertrümmert, aber das war sicher der Killer gewesen, als er sich Zutritt verschaffte. Im ausgetretenen Teppich war ein Blutfleck dabei einzutrocknen, Jason klammerte sich verzweifelt an die Hoffnung, dass wenn es schon Chris' Blut war, es nicht bedeutete, dass er nicht mehr lebte. Er ließ diesen Gedanken nicht zu, verweigerte ihn mit all seiner Kraft. Das durfte nicht sein! Und es war nicht so! Um ihn herum war die Spurensicherung bei der Arbeit. Alles wurde akribisch untersucht, doch Jason hielt es für unwahrscheinlich, dass sie etwas fanden, bisher war es dem Killer immer gelungen, keine Spuren zu hinterlassen. Aber vielleicht hatte er diesmal einen Fehler gemacht, vielleicht war ihm in der Eile, in der Panik entdeckt zu werden ein Fehler unterlaufen. Es musste einfach so sein. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass Claire und Randy den Tatort betreten hatten. Die sanfte Geste kam von Claire und in ihren Augen las Jason Anteilnahme und Traurigkeit. Er war ihr plötzlich unendlich dankbar für diese kleine Geste. "Wir sind so schnell gekommen, wie wir konnten. Was ist denn nur geschehen?" Jason zuckte mit den Schultern. "Er ist weggelaufen. Einfach so... und er..." Er spürte wie sich eine Träne im Winkel seines Auges formte und rieb schnell mit dem Finger darüber. "Weinst du, Jay?" Jason fühlte sich von Randy ertappt, doch diesmal war es ihm egal. Eigentlich war ihm alles egal. Er blickte auf und suchte den Kontakt zu Randys Augen. Sein Partner stand neben ihm und sah etwas verwundert auf ihn hinab. "Was ist denn nur mit dir los?" Jason wandte seine Augen nicht ab, als er nach einer plausiblen Erklärung suchte, aber sein Kopf war wie leergefegt. Kein Gedanke war mehr da außer der an Chris. Er seufzte. "Ich kann nicht mehr..." "Wovon sprichst du?" "Randy, ich hab keine Lust mehr. Ich spiele diese Rolle seit Jahren, nein eigentlich schon länger als ich mich erinnern kann. Aber ich will nicht mehr. Diese Scharade hat dafür gesorgt, dass Chris jetzt in Gefahr ist. Und ich habe keine Lust mehr nach Ausreden und Lügen zu suchen..." "Jason, sind Sie sicher, dass Sie das tun wollen? Das hat nichts mit Chris Verschwinden zu tun, Sie tragen keine Schuld." "Doch!" Jason sprang so schnell vom Stuhl auf, dass er klappernd nach hinten fiel. "Es hat etwas damit zu tun! Wenn ich mehr Mumm gehabt hätte und nicht noch etwas länger in meiner kleinen perfekten Welt hätte leben wollen, dann hätte ich Chris früher gesagt, was ich von ihm verlangen muss und nicht erst mitten in der Nacht im Bett!" Er senkte seine Stimme, als er merkte, dass er mittlerweile so laut geworden war, dass einige von der Spurensicherung zu ihm rüber sahen. "Ich hätte ihm nicht die perfekte, sichere Welt vorspielen sollen. Ich hätte nicht erst mit ihm einen Abend verbringen sollen und mit ihm schlafen." Jason merkte nicht, wie er sich in Fahrt redete, all die Wut auf sich selbst bahnte sich in diesem Moment ihren Weg. "Ich hab auf seine Kosten von geborgter Zeit gelebt und ihn dann, nach all dem, ins kalte Wasser gestoßen! Und ich war auch noch so dumm, nicht in Ruhe mit ihm darüber zu reden, sondern ihm sofort zu glauben, dass er dazu bereit war. Ich hab ihn dazu gebracht, die Flucht zu ergreifen. Und wenn er jetzt tot ist, hab ich ihn zum zweiten mal verloren! Und diesmal vielleicht endgültig!" Jetzt rannen wirklich Tränen über seine Wangen. Er blickte zu Boden. "Du bist..." Randy sprach den Satz nicht zu Ende. Jasons Kopf ruckte nach oben und er fixierte Randy angriffslustig mit seinen geröteten Augen. "Ich bin schwul, okay? Ich war es schon immer und werde es auch immer sein! Und weil ich mir das nicht hab eingestehen wollen, befindet sich der Mann den ich liebe jetzt in Lebensgefahr! Und wenn du mich jetzt eklig findest oder nicht mehr mein Partner sein willst ist mir das scheißegal! Mir ist alles egal!" Er hatte diese Worte regelrecht geschrieen und registrierte erst jetzt, dass alle Personen im Raum ihn anstarrten. Er sah sich um und begegnete Claires Blick, die Agentin sah ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und Mitgefühl an. Randy dagegen sah schockiert aus. Jason ließ die beiden stehen und floh regelrecht durch den Flur und die Bar hinaus ins Freie. Vor der Tür standen die Streifenwagen der Polizei und die Fahrzeuge der Spurensicherung, ein Kollege grüßte ihn, doch er ging einfach an ihm vorbei, riss die Tür seines Wagens auf und schlug sie hinter sich wieder zu. Erst als er allein auf dem Fahrersitz saß, kam er wieder zu sich. Jetzt war alles raus und es war vorbei mit dem ruhigen Leben. Er hatte sich soeben einer Vielzahl seiner Kollegen geoutet und es würde kein Geheimnis mehr bleiben, dass er schwul war. Und es war ihm egal. Zum ersten Mal in seinem Leben war es ihm egal, was sie von ihm dachten. In diesem Moment wurde die Beifahrertür geöffnet und Randy ließ sich auf den Sitz neben Jason fallen, bevor er sie wieder schloss. "Hey..." "Du setzt dich zu einem Schwulen ins Auto? Hast du keine Angst, dass ich über dich herfallen könnte?" Jason war sich bewusst, dass seine Worte gemein waren, aber er fühlte noch nicht einmal Reue. "Jason, hör zu... das fällt mir jetzt verdammt schwer... ich hab kein Problem damit, dass du schwul bist." "Ich glaube eben hatte ich einen Hörsturz... ich meinte, dass du gesagt hättest, du hättest kein Problem damit, dass ich schwul sei." Randy lachte in seiner typisch brachialen Art. "Das hab ich ja auch gesagt." Jason nahm den Blick vom Lenkrad und sah seinen Partner fragend an. Das reichte wohl, damit Randy zu einer Erklärung ansetzte. "Wir alle haben unsere Fassaden, Jason. Das ist nicht dein Privileg. Weißt du eigentlich, dass ich mal verheiratet war?" Jason schüttelte überrascht den Kopf. Das war neu für ihn. Der Junggeselle aus Leidenschaft und Don Juan der Neuzeit, Randy, den Hengst, sollte verheiratet gewesen sein? "Liz war die große Liebe meines Lebens. Ich lernte sie auf der Akademie kennen und wir verliebten uns. Vorher hatte ich gerade mal eine Beziehung gehabt, die ziemlich unschön geendet hatte. Aber mit Liz war das anders. Wir liebten einander jeden Tag ein Stückchen mehr und jeden Tag wurde ich glücklicher. Als dann unsere Tochter Jill zur Welt kam, war mein Glück perfekt. Doch eines Tages kam ich heim und Liz war nicht mehr da. Sie war mit Jill zu einem anderen Mann gezogen, mit dem sie schon länger eine Affäre gehabt hatte. Sie wollte die Scheidung. Und ich tat genau das Falsche. Ich ertränkte mein Selbstmitleid in Alkohol. Und genau das verwendete meine Frau gegen mich. Und schon war es egal, ob sie eine Affäre hatte und das Familieleben auf dem Gewissen, weil ich war ja ein unzuverlässiger Vater mit Hang zum Alkohol. Ich hab das Besuchsrecht für meine Tochter, jedes zweite Wochenende, aber das ist verdammt wenig wenn man in seine Tochter so vernarrt ist wie ich. Sie ist mittlerweile zwölf. Um den Kontakt mit meiner Frau zu vermeiden, wechselte ich das Revier und kam zum Bay Department. Und da bin ich irgendwie in etwas hineingerutscht. Ich ging mit ein paar von den Jungs weg, es ging ums Privatleben, ich hatte schon ein bisschen was getrunken und schon... na ja... ich fing an, alles etwas auszuschmücken und eh ich mich versah entwickelte die ganze Sache ein Eigenleben. Ich redete mich immer weiter rein. Bald hatte ich einen unglaublichen Frauenverschleiß und entwickelte mich immer weiter zum Macho, nur damit der Eindruck, den die anderen von mir hatten, aufrecht erhalten blieb. Dabei hatte ich seit ich von meiner Frau getrennt wurde weder eine Beziehung, geschweige denn Sex... ich bin ein ruhiger Mensch... ich wünsche mir eine Beziehung. Und weil es zu meinem Image gehörte, hab ich mir auch angewöhnt, abfällige Kommentare über Schwule zu machen. Na ja... eigentlich soll jeder leben wie er will... verdammt noch mal!" Er schlug mit der Faust gegen das Armaturenbrett. "Jetzt habe ich mich endgültig zum Idioten gemacht... aber die Jungs hatten nun mal Respekt vor mir, bewunderten mich... das gefiel mir, verstehst du?" "Randy..." "Ich hab nichts gegen dich. Echt nicht. Du bist ein prima Kerl, ob nun schwul oder nicht. Ich wollte das nur mal gesagt haben..." Er blickte aus der Windschutzscheibe auf die Straße hinaus. Seine Wangen schienen röter als sonst, etwas das Jason bei ihm niemals erwartet hätte. Aber mittlerweile überraschte ihn eigentlich gar nichts mehr. "Warum hast du mir das alles gesagt? Ich meine, du hättest auch einfach sagen können, dass du kein Problem mit meiner Homosexualität hast, ohne dich gleich vor mir bloßzustellen." "Ich wollte dir zeigen, dass nicht nur du dich hinter einer Fassade versteckt hältst, vielleicht hilft dir das..." "Du bist doch immer wieder eine Überraschung, weißt du das eigentlich? Ich hab so oft gesagt, dass du mehr bist als du auf den ersten Blick zu sein scheinst, aber ich hätte nie gedacht, dass ich damit so richtig liege." "Tja..." Randy rieb sich am Hinterkopf. "So bin ich eben, aber verrat es keinem, okay? Ich glaube, sich als schwul zu outen ist weniger verfänglich, als ein Lügner zu sein." "Du bist kein Lügner, du hast nur ein bisschen geflunkert." grinste Jason. "Aber ich werde es niemandem verraten." "Danke..." Jason lehnte sich im Sitz zurück. "Ich denke, dann bin ich es dir schuldig, dir die ganze Geschichte zu erzählen..." Chris tigerte wie ein gefangenes Tier in dem kleinen Keller hin und her. Marcus, der Junge, saß in einer Ecke und starrte die Wand an, er hatte die Knie angewinkelt und die Arme darum geschlungen. Sein Gesicht ruhte auf seinen Knien. Chris' Verzweiflung wuchs mit jeder Runde, die er durch den Raum drehte. An Flucht war absolut nicht zu denken. In diesem Moment knarrte es an der Tür, eine Klappe auf Bodenhöhe schwang auf und ein Tablett wurde darunter durch geschoben. Ein Teller mit etwas Brot und zwei Gläser mit Wasser. Chris rannte zur Tür hinüber und hämmerte mit den Fäusten dagegen. "Ist das jemand?! Hallo?!" "Er antwortet nie." Chris fuhr herum. "Was?" "Er antwortet nie. An den Mahlzeiten kann ich ungefähr abschätzen wie lange ich schon hier bin und er hat noch nie geantwortet. Er schiebt das Tablett durch und geht wieder." Die Stimme des Jungen klang seltsam gepresst. Er hatte bisher kaum etwas gesagt. "Ist ja klasse..." stöhnte Chris. Er hatte den Jungen in seiner Panik beinahe vergessen, doch jetzt musterte ihn noch mal genauer. Und außerdem kam ihm ein Gedanke. "Sag mal... wie alt bist du?" "Sechzehn...." war die knappe Antwort. "Wenn das hier der Kerl ist, den sie suchen, dann schnappt der sich nur Stricher... du gehst doch nicht etwa auf den Strich, oder?" Marcus hob den Kopf und sah ihn an. "Und was wenn doch?" Chris wusste für einen Moment lang nichts zu erwidern. Der Junge war gerade mal sechzehn und verkaufte sich. Das war... das war was er getan hatte! Mit sechzehn hatte er seinen ersten Freier gehabt. Er hatte sich damals so sehr geekelt. Außerdem hatte er mit Dave keinen Sex gehabt und der Kerl war damals kein bisschen zärtlich gewesen. Er hatte noch tagelang geblutet und Schmerzen gehabt. Er ging vor Marcus in die Hocke und streckte die Hand aus, um ihm über die Wange zu streichen, doch der Junge schlug seine Hand weg. "Lass das!" fauchte er. "Was denn?" "Ich will kein Mitleid von dir! Und ich will nicht, dass du mich anfasst!" In diesem Moment trafen sich ihre Blicke und Chris riss die Augen auf. Marcus senkte schnell den Kopf. Doch Chris wusste, was er gesehen hatte. Er fasste Marcus ans Kinn und zog seinen Kopf hoch. Das kam so überraschend, dass Marcus nicht schnell genug die Augen schließen konnte. Seine Augen waren gerötet, vollkommen blutunterlaufen und seltsam leer. "Lass mich in Ruhe!" "Was nimmst du?!" "Ich weiß nicht was du meinst!" Statt zu antworten packte Chris ihn am Arm und zerrte ihn gerade. Mit einer schnellen Bewegung schob er den Ärmel hoch. Seine Augen wanderten erst über die Beuge von Marcus Arm und dann zu seinem Gesicht. "Heroin?" Der Arm war vollkommen zerstochen. Marcus zog ihn weg. "Nimmst du Heroin?" Er nickte nur. "Wie lange schon nicht mehr?" "Das letzte mal am Morgen bevor ich ... bevor ich hierher kam..." "Scheiße..." Chris ließ sich neben ihm an der Wand hinab gleiten und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Dieser Junge könnte fast ein Zwilling von ihm sein. Er hatte nur ein Jahr später als er mit den Drogen angefangen, aber darauf kam es ja nicht an. Chris spürte ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend, als er sich von Marcus wie vor einen Spiegel gestellt fühlte. Er war ebenso dürr gewesen, ebenso unsicher, ebenso verlassen. Nur hatte er damals nicht in einer solchen Gefahr geschwebt, wenn man bei einem Junkie jemals davon reden konnte nicht in Gefahr zu sein. Er drehte den Kopf zu Marcus. "Wie oft machst du es?" "Ein bis zweimal am Tag, manchmal auch dreimal, je nachdem wie viel ich habe... es hilft mir..." "Verdammt..." zischte Chris. Bei dem Verbrauch und der Zeit die der Junge schon ohne Stoff war, steuerte er auf einen heftigen kalten Entzug zu und das war genau das, was sie in dieser Situation nicht gebrauchen konnten... Als Jason mit Randy und Claire das Department betrat, begann es draußen bereits zu dämmern. Die Spurensicherung war mit der Wohnung fertig und das vorläufige Ergebnis war ernüchternd. Es waren keinerlei Fingerabdrücke gefunden worden außer denen von Chris und des Jungen den Jason in der Bar getroffen hatte, der Sohn des Besitzers. Chris und er waren befreundet gewesen, was seine Anwesenheit in dem Zimmer erklärte. Chris hatte es offenbar vermieden, seine Freier mit in seine Wohnung, sofern man bei dem kleinen Raum davon sprechen wollte, mitzubringen. Jason Verstand arbeitete auf Hochtouren. Es musste einen Hinweis auf Chris' Aufenthaltsort geben, irgendeine Kleinigkeit, die sie übersehen hatten, irgendetwas. Er sah sich nun schon zum wer weiß wievielten Mal die Fotos vom Tatort an. Randy musste ihm die Tür aufhalten, damit er nicht in Gedanken dagegen lief. Sein Partner hatte sich die Geschichte, die er ihm im Auto erzählt hatte, angehört und weitgehend unkommentiert gelassen. Aber allein das er ihm die Hand auf die Schulter gelegt und versprochen hatte, dass sie Chris finden würde, hatte ihn etwas beruhigt. So eine Geste war mehr als er je von Randy erwartet hatte und plötzlich fühlte er sich mehr mit ihm verbunden und als Partner, als jemals zuvor. Sie kamen in das Großraumbüro des Departments und im selben Moment wurde es still. Jason blickte von seinen Fotos auf und bemerkte, dass alle ihn ansahen. Offensichtlich verbreiteten sich Nachrichten hier sehr schnell. Es war ihm unangenehm derart im Mittelpunkt zu stehen und außerdem hatte er Angst, vor dem was nun geschehen würde. Doch wieder kam Hilfe von unerwarteter Seite: Von Randy! "Sagt mal, habt ihr nichts zu tun? Was gibt es denn da zu glotzen? Ihr kennt ja wohl alle Jason. Ja richtig, Jason, den Kerl den ihr alle mögt, der immer für jeden von euch da war, wenn ihr ihn gebraucht habt und der jedem von euch aus der Patsche geholfen hat oder helfen würde, wenn es nötig ist. Ich hoffe ihr erinnert euch daran, sollte jetzt einer von euch auf die Idee kommen ihn wegen irgendetwas was nur ihn und sein Privatleben angeht zu verurteilen. Und sollte einer von euch auf die Idee kommen, einen dummen Spruch zu machen, dann kriegt er es mit mir zu tun. Denn Jason und ich sind nicht nur Partner, wir sind auch Freunde! Und wenn einer meinen Freunden dumm kommt, kann ich sehr ungehalten werden!" Jason merkte erst ein paar Sekunden später, dass er Randy mit offenem Mund anstarrte, ebenso Claire. Doch Randy grinste ihn nur an, während sich die anderen Kollegen wieder ihrer Arbeit widmeten, wenn auch scheinbar ein wenig beschämt. Randys Rede schien ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Wenig später saßen sie in Jasons Büro um den Schreibtisch herum. Jason hatte den Kopf auf die Hände gestützt und starrte unverwandt auf die vielen Fotos vor sich. Chris Zimmer aus allen Perspektiven, der Fußboden, die Wände, das zerbrochene Fenster zum Hof raus. Nicht der kleinste Hinweis. Hinter seinen Schläfen pochte dumpfer Schmerz und seine Augen brannten höllisch. "Jason, Sie sind vollkommen übermüdet. Legen sich Sie sich doch etwas hin. Sie müssen sich ausruhen." "Ich kann nicht, Claire, wirklich nicht, ich würde kein Auge zukriegen. Nicht so lange Chris in Lebensgefahr schwebt." "Aber was sollen uns diese Fotos denn noch bringen?" mischte sich Randy ein, der bisher still die Aufnahmen gemustert hatte. "Ich übersehe etwas, Randy, irgendetwas übersehe ich! Er muss eine Spur hinterlassen haben." "Dein Wort in Gottes Ohren, ich hoffe du hast recht... ich glaube ich gehe uns einen Kaffee holen. Möchten Sie auch einen, Agent Wentworth? Mit Milch und Zucker, oder?" "Ja, richtig, vielen Dank, Detective." Randy nickte und verließ das Zimmer, als die Tür ins Schloss fiel sah Claire ihm kurz nach, dann blickte sie Jason fragend an. "Was haben Sie mit ihm gemacht? Der ist ja wie ausgewechselt. Ich hätte nie daran gedacht, dass er so auf Ihr Outing reagieren würde, dass er sogar noch ihre Partei ergreifen würde. Und außerdem ist er plötzlich so höflich zu mir." Jason blickte kurz von den Bildern auf. "Wir haben alle unsere Fassaden, Claire, und manchmal muss man sich die Mühe machen dahinter zu blicken." Sie lachte. "Sie müssen schwul sein, kein heterosexueller Mann würde so etwas tiefsinniges und kluges von sich geben." Trotz seiner Stimmung musste auch Jason unwillkürlich lachen. "Sie scheinen ja ganz schlechte Erfahrungen mit der Spezies Mann gemacht zu haben." "Sagen wir mal, Gott hat bisher nicht gerade gewollt, dass ich den Richtigen finde." Jason wandte sich wieder den Fotos zu und diesmal war das Gefühl etwas zu übersehen noch stärker. Es hatte etwas mit dem zu tun, was Claire gesagt hatte. Etwas davon erregte seine Aufmerksamkeit. Gott. Das war es! Ruckartig riss er eines der Fotos an sich, so heftig, das andere zu Boden segelten, er packte die Lupe, die auf dem Tisch lag und hielt sie über einen Punkt des Bildes.. Claire war ob seiner unvorbereiteten Bewegung zusammengezuckt. "Was ist los?" "Das ist es! Das ist es! Claire, Sie haben mich darauf gebracht, nur Sie allein!" "Was denn um Himmels Willen?" "Genau, um Himmels Willen! Sehen Sie hier!" Er hielt ihr das Foto entgegen, seine Hand zitterte dabei vor Aufregung derart, dass die Agentin ihm die Aufnahme aus der Hand nahm. "Was soll damit sein?" fragte sie nach einem längeren Blick. "Was sehen Sie da?" "Ich sehe den Fußboden von Mr. Fairgates Zimmer. Den Blutfleck, ein paar Scherben und ein Blatt Papier." Jason hob den Zeigefinger. "Das ist es, was für ein Blatt Papier." Die Agentin nahm die Lupe zur Hand und musterte das Foto erneut. "Das ist ein Flugblatt für einen Gottesdienst in der St. Thomas Church." "Exakt! Ein Blättchen mit dem Programm eines Gottesdienstes. Das ist vollkommen unauffällig, niemand würde darin eine Spur sehen, es sei denn er kennt Chris so wie ich." "Jetzt spannen Sie mich doch nicht so auf die Folter!" "Chris ist Atheist. Er hat seit seiner Kindheit keine Kirche mehr betreten, das hat er mir mal erzählt. Er ist der Auffassung, dass man nur an sich selbst glauben muss. Er verehrt keinen Gott und schon gar nicht würde er einen Gottesdienst besuchen." "Aber das könnte auch dem Jungen oder seinem Vater gehören." gab Claire zu Bedenken. "Vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Ich kann wegen so einer Sache nicht die Kavallerie ausrücken lassen, aber ich werde mit Randy dorthin fahren. Sollten wir etwas entdecken, melde ich mich bei Ihnen, wenn nicht, müssen wir weitersuchen." In diesem Moment betrat Randy mit drei Bechern das Zimmer. Jason sprang auf und ging ihm entgegen. "Randy, vergiss den Kaffee, zumindest unseren. Wir müssen los, ich erkläre dir alles auf der Fahrt!" "Aber wohin denn?" "Komm schon!" Randy konnte gerade noch Claire den Kaffee in die Hand drücken, bevor Jason ihn aus dem Zimmer zerrte. Kapitel 7: If I die before I wake... a.k.a. The longest night ------------------------------------------------------------- Chris presste den bebenden Körper des Jungen an sich. Er konnte nicht genau sagen, wie viel Zeit vergangen war, seit er hier unten aufgewacht war, aber einige Stunden mussten es sein. Sein Magen verkrampfte sich vor Hunger, doch gleichzeitig wagte er nicht, auch nur einen Bissen von dem kargen Essen auf dem Tablett anzurühren. Wenn das wirklich der Kerl war den Jason jagte, dann war ihm alles zuzutrauen. Wenn das hier allerdings tatsächlich der Mann war der Luke ermordet hatte, blieb die Frage warum sowohl er als auch Marcus noch lebten. Luke war kurze Zeit nachdem er Kontakt mit dem Killer hatte bereits gestorben, schließlich hatte Chris einige Zeit vorher noch mit ihm geredet. Aber Marcus musste bereits seit ein oder zwei Tagen hier sein, er selbst seit Stunden und nichts war geschehen. Nicht das er sich wünschte, dass etwas geschehen würde, aber die Ungewissheit über sein Schicksal beunruhigte ihn fast noch mehr. Ständig drifteten seine Gedanken zu Jason, er hoffte inständig, dass er ihn schnell genug finden würde. Aber was dann? Würde Jason ihm je wieder vertrauen? Ihn je wieder in seine Nähe lassen? Chris hatte sein Vertrauen missbraucht, war weggelaufen und das obwohl Jason ihm versprochen hatte, auf ihn acht zu geben. Marcus stöhnte und riss Chris so aus seinen trüben Gedanken. Der Junge zitterte am ganzen Körper und schwitze furchtbar. Seine Augen waren noch glasiger. "Mir... ist kalt... warum ist es hier so... ka... kalt?" stammelte er. "Es ist nicht kalt." Chris strich ihm sanft über den schweißverklebten Haaransatz. "Das kommt dir nur so vor, dein Körper rebelliert, weil er keine Drogen bekommt" "Es tut... tut... weh..." "Ich weiß... ich weiß, mein Schatz. Ich bin ja bei dir." Chris fühlte sich plötzlich für den Jungen verantwortlich. Vielleicht weil er selbst allein durch diese Hölle hatte gehen müssen, obwohl er wesentlich älter gewesen war. Aber Marcus sollte nicht das gleiche erleiden wie er, nicht jahrelang an der Nadel hängen und sich das Geld für den nächsten Schuss mit Blowjobs und Sex in Seitenstraßen verdienen, so wie er das getan hatte. Es war ein Wunder das er noch lebte und gesund war und er wollte nicht zulassen, dass dieser Junge sich der gleichen Gefahr aussetze wie er. Er wusste selbst nicht warum, er hatte nie Verantwortung für andere übernehmen wollen, aber obwohl er Marcus erst wenige Stunden kannte, berührte der Junge ihn tief drinnen in seinem Herzen. Marcus klammerte sich an ihn. "Bitte... mach das es... aufhört weh zu tun... bitte..." "Das kann ich nicht, ich würde wenn ich es könnte." "Lügner!" Marcus stieß ihn plötzlich mit aller Kraft von sich und rappelte sich auf die Beine. Er stolperte ein Stück von Chris weg. "Lügner!" brüllte er. "Du willst mir nicht helfen! Keiner will mir helfen! Du hoffst bloß, dass dieser Kerl mich zuerst umbringt, aber das nutzt dir auch nichts! Wir werden beide krepieren, hörst du?! Beide!" Er stürmte zur Tür und fing an wie verrückt dagegen zu hämmern. "Mach schon, du Schwein! Bring uns endlich um! Los doch!" Chris sprang auf und war mit wenigen Schritten bei ihm. Er wusste das da nicht der wirkliche Marcus sprach, sondern der Junkie, dessen Verzweiflung über den Entzug ihn übermannte. Doch für den Moment musste er energisch sein. Er packte Marcus und zog ihn von der Tür weg. Der Junge wehrte sich verbissen. "Lass mich! Lass mich los, du Mistkerl! Vielleicht gehörst du sogar zu ihm und das ist nur ein perverses Spiel für euch um mich zu quälen!" "Du bist paranoid! Hör auf zu schreien, bitte!" Er zerrte Marcus in der Ecke mit dem Kissen zu Boden und wickelte mit einiger Mühe die alte Decke um sich und den Jungen. Marcus Versuche sich zu wehren wurden immer schwächer. Tränen liefen über sein gerötetes Gesicht "Du kannst nicht... verstehen... wie das ist... du kannst nicht..." Chris küsste ihn sanft auf den Kopf. "Doch, ich kann dich verstehen. Ich weiß genau wie das ist, glaube mir. Ich bin durch die selbe Hölle gegangen, aber ganz allein..." flüsterte er ihm ins Ohr. "Du bist...?" "Ich war genau wie du. Aber ich hab es geschafft von dem Zeug weg zu kommen, aber glaube mir, ich habe nächtelang nur so geschrieen wie du. Und mehr als einmal war ich nah dran, wieder zur Nadel zu greifen, aber wenn ich es allein geschafft habe, schaffst du es erst recht, hörst du?" "Aber welchen Sinn hat das denn noch? Wir werden eh sterben..." "Nein!" Chris drückte ihn fester an sich um ihm ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und wünschte sich dabei, jemand würde das gerade auch für ihn tun. "Wir werden nicht sterben, das darfst du nicht einmal denken! Das wir noch leben ist ein verdammt gutes Zeichen. Weißt du, normalerweise lässt er sich glaube ich nicht so lange Zeit, aber ich vermute, dass er im Moment weniger Aufsehen erregen will, weil man sein Bild durch mich kennt. Ich hab nämlich gesehen, wie er Luke getötet hat... so lange wir noch leben, bleibt auch Hoffnung. Mein Freund ist bei der Polizei und er wird uns finden." "Dein Freund? Bist du schwul?" "Ja, warum?" Marcus antwortete zunächst nicht, aber Chris merkte, dass er schon deutlich weniger zitterte und er hatte auch aufgehört zu weinen. Scheinbar war die Ablenkung eines Gesprächs genau das richtige. "Ich bin es auch..." sagte er schließlich leise. "Zumindest glaube ich das... ich hab mich in einen aus meiner Schule verliebt... und es ihm gesagt. Er hat das überall rumerzählt und plötzlich haben alle nur noch über mich gelacht und waren gemein. Also bin ich nicht mehr hingegangen... als meine Eltern davon erfuhren, waren sie ziemlich sauer, aber sie hätten eh nie Verständnis dafür gehabt... ich bin einfach weggelaufen..." "Du hast deinen Eltern nicht erzählt, was dich bedrückt?" Chris widerstand in diesem Moment der Versuchung, alle Eltern über einen Kamm zu scheren, schließlich mussten nicht alle so Versager sein wie seine. "Nein... ich hatte Angst..." "Wo wohnst du denn?" "Ich wohne mit ein paar Leuten zusammen, ist ganz praktisch, die teilen auch ihren Stoff mit mir..." "Ich meinte, wo du wirklich herkommst!" unterbrach ihn Chris schnell, damit er sich nicht wieder auf das Heroin konzentrieren konnte. "Aus Los Angeles." "Los Angeles, dann bist du aber ganz schön weit weg von daheim..." Marcus schmiegte sich mittlerweile wie ein kleines Kind an Chris, der ihn weiterhin in den Armen hielt. Das Gefühl der Verbundenheit war nun noch stärker als zuvor. "Du?" "Was?" fragte Chris. "Sieht dein Freund gut aus?" wechselt er das Thema. Chris musste trotz der grauenvollen Situation unwillkürlich lachen. "Ja, das tut er." "Echt?" "Ja, weißt du, er ist groß, muskulös, hat brauen Haare, die er so niedlich zerzaust trägt und wunderbare grüne Augen. Er behauptet sie seien Olivgrün, aber ich finde sie sehen aus wie Smaragde. Manchmal ist er etwas tollpatschig, so wie ein großer, kuscheliger Bär. Aber es ist eigentlich auch egal wie er aussieht, weil das beste an ihm ist, dass er so unglaublich liebevoll und freundlich ist. Und in seinen Armen kann man sich unendlich sicher fühlen." "So wie in deinen?" "Was meinst du?" "Ich fühle mich in deinen Armen sicher..." antwortete Marcus leise. Chris lächelte und küsste ihn noch einmal sanft auf den Haaransatz. "Du kannst dich auch sicher fühlen. Wir kommen hier schon raus." "Weiß dein Freund wo du bist?" Mit der Frage hatte Chris nicht gerechnet. "Nein..." musste er zugeben. "Und wie soll er uns dann finden?" Jetzt wusste Chris nichts mehr zu erwidern. Wie sollte Jason ihn finden? Es gab bis auf das Phantombild keine Hinweise auf den Killer und er konnte ihn und den Jungen weiß Gott wohin gebracht haben. San Francisco war groß und die Umgebung noch ungleich größer. Aber Chris wollte den Gedanken nicht akzeptieren, dass Jason ihn nicht finden würde. Er würde ihn finden, ganz sicher! "Er wird uns finden, ganz bestimmt..." antwortete er Marcus, aber so recht überzeugend klang seine Antwort selbst für ihn nicht. Jason und Randy warteten im Sprechzimmer des Priesters, der Raum war karg, aber freundlich eingerichtet, mit ein paar gepflegten Blumen und einem Kreuz über der Tür. Der Priester, Pater Flannigan, einen Mann um die sechzig, mit einer kleinen Brille, hellgrauen Haaren und einem freundlichen Lächeln, hatten sie bereits in der Kirche getroffen und er hatte sie gebeten in seinem Raum auf ihn zu warten, bis er die Kleidung gewechselt hatte, er trug noch sein Messgewand. Jasons Blick wanderte unruhig durch den Raum und ohne das er es wahrnahm, biss er sich immer wieder nervös auf die Lippe. "Ganz ruhig, Jay, ganz ruhig. Hochwürden kommt sicher gleich." "Ich weiß, Randy, ich weiß, aber ich hab Angst. Es kann um Minuten, vielleicht um Sekunden gehen und der Pfaffe lässt sich Zeit!" "Dich mal so reden zu hören ist auch ein Erlebnis!" lachte Randy. "Wenigstens wissen wir, dass der Priester selbst definitiv nicht unser Mann ist. Der hatte nun so gar keine Ähnlichkeit mit dem Phantombild das dein Freund uns verschafft hat und ich gehe mal nicht davon aus, dass er eine Brille braucht, oder?" "Nicht das ich wüsste... nein..." Jason merkte erst jetzt, dass er Randys Scherz nicht verstanden hatte. "Scherzkeks... dich ohne angedeuteten Würgereflex von meinem Freund reden zu hören ist übrigens auch ein Erlebnis." "Na siehst du, ganz hast du deinen Humor ja doch noch nicht verloren." In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und der Priester kam herein, jetzt ganz in Schwarz mit dem typischen, gestärkten weißen Kragen. Er nickte kurz und ließ sich gegenüber von Randy und Jason hinter seinem Schreibtisch nieder. "Also, meine Herren, was kann ich für Sie tun?" "Bitte verzeihen Sie wenn ich direkt und ohne Umschweife auf den Punkt komme," begann Jason, "wir haben weder einen Durchsuchungsbefehl, noch sind wir hundertprozentig sicher, dass wir hier finden, was wir suchen, aber wir hoffen auf Ihre Kooperation. Es geht um einen Mann, der sicher schon mehr als 40 Menschenleben auf dem Gewissen hat." "Mord ist eine der größten Sünden die es gibt, mein Sohn, Sie können sich meiner vollsten Kooperation sicher sein, auch wenn ich nicht sehe, wie ein Mann Gottes hier helfen könnte." Jason nickte Randy zu und dieser zog das Phantombild aus der Tasche um es dem Priester hinzuschieben. "Kennen Sie diesen Mann? Das Bild wurde absichtlich nicht in der Presse veröffentlicht, da der Täter sehr gerissen ist und bei zuviel Aufmerksamkeit sicher schnellstens verschwunden wäre." Der Priester sog die Luft ein und gab Randy das Bild mit spitzen Fingern wieder. "Das ist John Melton, unser neuer Hausmeister. Er betreut das Pfarrzentrum, also den Gemeindesaal und diese Einrichtungen, die mit auf unserem Grundstück liegen. Er ist mir kaum aufgefallen, ein sehr ruhiger, sehr gottesfürchtiger Mann voller Freundlichkeit." "Und mit einem Hang zu bestialischen Morden an schwulen Männern!" "Randy!" Der Priester winkte ab. "Ich persönlich vertrete die Ansicht, dass jeder so leben sollte, wie er glücklich wird. Wissen Sie, nur unter uns, nicht jeder katholische Priester steht vollkommen hinter den teils doch sehr mittelalterlichen Ansichten, die aus der Ewigen Stadt kommen. Und sollte Mr. Melton wirklich für diese ungeheuerlichen Verbrechen verantwortlich sein, muss er zur Rechenschaft gezogen werden!" "Vielen Dank, Pater. Aber es gibt noch ein weiteres Problem. Wir gehen davon aus, dass sich ein Augenzeuge, der ihn bei einer seiner Taten beobachtet hat, in seiner Gewalt befindet. Wir müssen ihn finden, bevor es einen weiteren Toten gibt." Bei Randys Worten krampfte sich Jasons Brustkorb zusammen. Chris musste noch leben! Eine Alternative gab es nicht, er würde ihn nicht verlieren! Und sollte Chris wirklich tot sein, würde er diesen Kerl eigenhändig umbringen, egal was das für ihn bedeutete. Sollte er Chris auch nur ein Haar krümmen, würde er zahlen. "Ich zeige Ihnen die Örtlichkeiten, die Mr. Melton betreut. Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen. Vielleicht haben Sie Glück und finden sowohl ihn als auch die Geisel. Aber ich muss Sie bitten, meine Herren, dass Sie sich bewusst machen, dass weder ich noch sonst jemand aus dieser Gemeinde, etwas damit zu tun hat." "Das wissen wir, Pater. Ihre Hilfe und Ihre Bestürzung zeigt das sehr deutlich. Vielen Dank." Jason nickte als Zeichen seiner Dankbarkeit. Der Priester erhob sich. "Beeilen wir uns." Das Gemeindehaus war ein großer Komplex mit verschiedenen Sälen und kleineren Räumen, die durch Flure verbunden waren. Ein Altbau, nicht sonderlich schön, aber für eine kleine Gemeinde sicherlich ausreichend. Ein Park mit hoch gewachsenen, alten Eichen und wunderschönen Blumenbeeten umgab das alte Backsteingebäude. Der Priester hatte Jason und Randy auf dem Weg hierher erzählt, dass Mr. Melton auch den Garten pflegte. Jason lief ein Schauer über den Rücken, wenn er sich vorstellte, dass ein Mann der so einen schönen Ort anlegen konnte, gleichzeitig zu so grausamen Taten fähig war. Er hatte sich selbst bei dem Gedanken erwischt, dass diese Blumen vielleicht auf heimlichen Gräbern von Meltons Opfern blühten, aber da man die Leichen bisher immer gefunden hatte, musste er nicht davon ausgehen. Zumal ihn die Vorstellung, Chris könne vielleicht schon unter einem dieser Beete liegen, zutiefst erschreckte. Das Gemeindehaus lag in der Dämmerung dunkel und verlassen da. Der Priester war am Eingang zurück geblieben, für den Fall das Melton von dort kam wollte er ihn ablenken. Jason konnte nicht anders als den Mut des Paters zu bewundern. Da sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite hatten, würde es vielleicht leichter werden, den Mann zu überwältigen. Obwohl er von dem Phantombild aus nicht wirklich gefährlich ausgesehen hatte, aber so etwas konnte täuschen. Sämtliche Räume des Erdgeschosses waren leer und still. "Gibt es hier noch andere Etagen?" fragte Jason, als sie wieder bei dem Priester ankamen. "Ja. Einen Keller und den Dachboden. Sie erreichen beides über diese Tür dort drüben." Er deutete auf eine Tür direkt neben dem Eingang auf der "Zutritt verboten" stand. "Du den Dachboden, ich den Keller!" bestimmte Randy und Jason nickte zustimmend. Ihre Dienstwaffen im Anschlag trennten sich die Partner, während Jason die Treppe hinter der Tür hinauf stieg, folgte Randy den Steinstufen, die in den alten Gewölbekeller hinabführten. Chris hatte die Befürchtung, dass ihm langsam aber sicher der Gesprächsstoff ausging. Marcus hatte große Schmerzen und war kaum noch ansprechbar, meist nickte er nur oder schüttelte den Kopf. Es zerriss Chris beinahe das Herz, dass er nichts für ihn tun konnte. Marcus gehörte in medizinische Betreuung, er schien wesentlich schlechter mit dem Entzug klar zu kommen, als er selbst es damals getan hatte. Er war ja aber auch um einiges älter gewesen. Und über allem hing die Angst, dass jederzeit dieser Kerl hereinkommen und sie töten könnte. "Tut...weh..." stammelte Marcus. "Ich weiß, mein Schatz, ich weiß..." Chris konnte nicht anders, als auf diese Art mit dem Jungen zu reden. Er kannte ihn erst seit wenigen Stunden, aber er fühlte sich mittlerweile verantwortlich für ihn, beinahe wie ein großer Bruder. "Ich bin bei dir, alles wird gut..." "Ver... versprich...st du... das?" "Ich verspreche es dir!" Plötzlich knackte es an der Tür und Chris hörte, wie draußen ein schwerer Riegel zur Seite geschoben wurde. Sein Herz begann zu rasen. Die Panik pumpte Adrenalin durch seinen Körper und sorgte dafür, dass er nicht einmal zitterte, als er sich erhob und sich schützend vor Marcus stellte. Der Junge wimmerte. Chris war sich im klaren, dass er nicht viel ausrichten konnte, aber er würde diesem Schwein Marcus nicht ohne weiteres überlassen. Wenn er unterging, dann als Mann, so pathetisch der Gedanke auch war. Die Metalltür schwang knarrend auf und Chris stürmte los. Er stürzte sich auf den vermeintlichen Angreifer, doch noch bevor er ihn erreichte, rannte er mit voller Wucht gegen eine ausgestreckte Hand und fiel rückwärts zu Boden. Erschrocken blickte er auf und erkannte, wen er da beinahe angegriffen hätte. "So erfreut mich zu sehen, Mr. Fairgate?" "Detective Forbes!" "Wie er leibt und lebt. Gut zu sehen, dass Sie noch leben, das wird besonders Jason sehr freuen!" "Ist er hier?" Chris konnte es nicht fassen. Randy nickte. "Ja, aber alles andere später. Kommen Sie, ich bringe Sie hier raus." Chris fühlte, wie ein gigantischer Stein von seinem Herzen fiel, so groß, dass er schon beinahe erwartete, den Aufschlag zu hören. "Einen Moment!" Er wandte sich um und ging neben Marcus in die Knie. "Hast du gehört? Wir sind gerettet, die Polizei ist da!" "Dein... Fr...eund?" "Nicht ganz!" lächelte Chris. "Aber immerhin." Randy trat neben ihn. "Was ist mit dem Jungen?" Chris blickte zu ihm auf. "Er ist schon seit ein oder zwei Tagen hier, keine Ahnung warum der Kerl ihn hier eingesperrt hat. Vielleicht wollte er erst einmal kein Aufsehen erregen. Marcus ist heroinabhängig und hat schlimme Entzugserscheinungen, er muss in ein Krankenhaus!" Auf Randys Gesicht erschien ein Ausdruck ehrlicher Bestürzung. "Dann sollten wir uns beeilen. Jason wartet sicher schon oben. Geht es oder soll ich helfen?" Chris legte Marcus' Arm um seine Schultern. "Es geht, er ist nicht zu schwer. Außerdem müssen Sie doch Ihre Waffe führen, Detective." grinst er. Die neue Hoffnung brachte auch die Schlagfertigkeit wieder zurück. "Auch wieder wahr. Kommen Sie, wir..." Weiter kam Randy nicht. Denn als er sich in diesem Moment umdrehte, blickte er direkt in die Augen der maskierten Gestalt, die unbemerkt von Chris und ihm während ihres Gesprächs den Raum betreten hatte. Der Mann trug eine Skimaske, die in Anbetracht der Situation eher wie eine Henkersmaske wirkte. Er war wesentlich kleiner als Randy, aber der Körper unter der schwarzen Kleidung war drahtig und trainiert. Er hatte sich vollkommen lautlos bewegt. Der Polizist und der maskierte Mann sahen sich an. Randy öffnete den Mund, doch kein Laut kam über seine Lippen. Nur ein dünner Strom aus Blut trat aus seinem Mundwinkel. Als er zusammenbrach, glitt die Klinge des Jagdmessers in der Hand des Mannes mit einem so widerlichen Laut aus dem Bauch des Polizisten, dass Chris sich sicher war, dieses Geräusch nie wieder im Leben vergessen zu können. Wie ein gefällter Baum brach Randy an der Stelle zusammen, an der er gestanden hatte. Sein Hemd färbte sich von seinem Bauch aus immer stärker rot. Er lebte noch und rang röchelnd nach Atem. Chris wich erschrocken zurück und zog Marcus mit sich. Doch schon nach wenigen Schritten stoppte die Wand seine Flucht. Marcus fing an zu weinen und klammerte sich an ihn, während Chris' Gehirn, vom Adrenalin aufgepeitscht, fieberhaft nach einem Fluchtweg suchte. Aber es gab keine Möglichkeit zu entkommen. Jeder Weg führte sie zu nahe an dem Monster vorbei, das sich langsam und siegessicher, mit der blutverschmierten Klinge näherte. Immer noch hatte der Mann kein einziges Wort gesprochen. Mit Marcus würde ihm eine Flucht niemals gelingen und den Jungen zurückzulassen, das war absolut keine Alternative. "Wissen Sie, was Sie da getan haben? Er ist Polizist! Sie kommen hier niemals raus! Geben Sie auf! Bitte!" Seine Stimme sollte sicher klingen, doch über das rauschende Blut in seinen Ohren hörte er sich nur flehen. Die Panik wich Todesangst. Plötzlich schien der Raum zu explodieren. In der Enge des Kellers wurde der unerwartete Knall hundertfach verstärkt. Marcus schrie auf und presste sich noch enger an Chris, der die Augen nicht von dem Angreifer nehmen konnte. Der Mann blieb noch ein oder zwei Sekunden lang stehen, dann sackte er zusammen. Ohne einen Ton. Noch bevor er auf dem Boden aufschlug war er tot. In der Tür des Kellers stand Jason, den gerade abgefeuerten Revolver noch in Schussposition. Chris Herz machte einen Sprung, als ihm klar wurde, was das bedeutete. Er war gerettet. Marcus und er würden leben. Sanft ließ er den Jungen zu Boden gleiten. "Ich bin gleich wieder bei dir. Jetzt wird alles gut." Es war ihm klar, dass es egoistisch war, Marcus jetzt quasi sich selbst zu überlassen, aber er konnte nicht anders. Als er sich wieder erhob war Jason bereits in den Raum getreten und kniete neben Randy nieder. "Halt durch, Randy, halt durch." Der Priester erschien in der Tür und sah schockiert auf die sich ihm bietende Szenerie. Doch Jason ließ ihm keine Zeit dazu. Er griff in seine Tasche und warf dem Mann sein Handy zu, welches dieser überrascht auffing. "Rufen Sie einen Krankenwagen, aber schnell! Es geht um Leben und Tod!" Zum Glück schaltete der Priester sofort, nickte und verließ eilig den Keller Richtung Treppe. Randy war bei Bewusstsein, wohl durch das Adrenalin, das sein Körper in Massen ausschüttete. Er presste die Hand auf die Wunde, als könne er damit die Blutung stoppen. "Du hast es geschafft... Jungchen... ich hab... nicht auf...gepasst..." "Alles wird gut, Randy. Glaub mir! Bald kommt Hilfe." "Jason?" Chris war neben ihn getreten. Der junge Polizist blickte zu dem blonden Mann auf und erhob sich. Sie standen sich gegenüber, endlich wieder. Für einen endlosen Moment sahen sie sich an, dann holte Jason aus und verpasste Chris mit voller Wucht eine Ohrfeige. So heftig, dass dieser beinahe nach hinten gefallen wäre. "Ich hoffe, du bist zufrieden mit dem was du angerichtet hast! Nur weil du Idiot weglaufen musstest!" Chris hielt sich erschrocken die Wange. Der Schmerz pochte darin, aber viel schlimmer war der Schmerz in seinem Herzen, als er in Jasons Augen blickte. Die Wut darin tat unbeschreiblich weh. Die Lichter des Krankenwagens tauchten die Kirche in flackerndes, blaues Licht. Überall wimmelte es von Polizisten. Das Gelände wurde durchsucht, sämtliche Beweise, besonders die vielen Fotos, konfisziert, die Leiche des Mannes, den Jason erschossen hatte, abtransportiert. Jason bekam das alles nur entfernt mit. Er beobachtete, wie man Randy auf der Trage in Richtung des Krankenwagens rollte. Sein Partner war festgeschnürt und eine Decke verbarg die Verbände um seinen Bauch. Er hatte schon eine Menge Blut verloren, ein Sanitäter lief mit einer Blutkonserve in der Hand, die über eine Kanüle mit Randys Arm verbunden war, neben der Trage her. Jason stand mit Claire neben dem Krankenwagen, Marcus war bereits drin, Chris saß in einem Streifenwagen ein Stück entfernt und sah zu ihnen hinüber. Er war bereits untersucht worden, die Verletzung am Kopf war nur oberflächlich und musste nicht behandelt werden, allerdings bestanden die Ärzte darauf, dass er sich auf eine Gehirnerschütterung hin untersuchen ließ. Jason vermied es, in seine Richtung zu blicken. Bevor die Trage in den Wagen gebracht wurde, hob Randy schwach den Kopf. "Einen Moment noch...Jason?" "Ja?" "Kommst du... mit ins Krankenhaus?" Das Reden fiel ihm offenbar schwer. "Na klar, ich bleib bei dir, Partner." "Danke... ich... ich möchte dich ... um was bitten... wenn ich... wenn ich nicht mehr... aufwachen sollte..." hustete Randy. "Sag so etwas nicht!" "Lass... mich... ausreden...wenn ich... wenn ich nicht mehr... aufwache... möchte ich... dass du meiner Tochter... sagst... das ihr Daddy sie... liebt... mehr als... alles auf der Welt... versprich mir das..." Jason spürte, wie ihm die Tränen über die Wangen liefen, aber er schämte sich nicht. "Das wirst du ihr selbst sagen." "Versprich... es...mir..." "Versprochen." Jason nickte. "Und... Sie... Agent Wentworth... gehen mit mir aus.... wenn ich rauskomme... oder?" Er grinste schwach. Claire lächelte. "Wenn das für Sie ein Grund ist schnell gesund zu werden, werde ich das auf jeden Fall tun!" Als die Sanitäter die Trage in den Wagen hoben, formte Randy eine Faust und streckte den Daumen hoch. "Mich... haut... das schon nicht... um..." Dann wurden die Türen geschlossen und der Wagen preschte mit Sirene und Blaulicht in die Nacht. Jason und Claire sahen ihm nach. Der junge Polizist wischte sich die Tränen aus den Augen. "Ich werde zum Department fahren und den Papierkram erledigen, ich komme dann später zum Krankenhaus. Fahren Sie ruhig vor." Claire berührte Jason sanft an der Schulter. "Und reden Sie mit ihm. Er sieht die ganze Zeit hier herüber und sein Gesichtsausdruck ist unerträglich." Damit ging auch sie und Jason blieb allein zurück. Er atmete tief durch und drehte sich um. Chris Kopf ruckte herum, er wollte vermeiden, dass Jason merkte, dass er ihn die ganze Zeit angesehen hatte. Jason ging zum Wagen hinüber und öffnete die Tür hinter der Chris saß. "Darf ich?" Chris verschränkte die Arme und rutschte auf den Sitz daneben. Jason stieg ein und zog die Tür hinter sich zu. Augenblicklich wurde der Lärm leiser . Jason atmete hörbar aus. "Tut es noch weh...?" Chris schüttelte den Kopf. Auf seiner Wange zeichnete sich ein deutlicher blauer Fleck ab, er war noch rot, aber das Hämatom würde sich bald blau färben. "Was wirst du sagen, wer dich geschlagen hat?" "Die Wahrheit... das dieser Kerl mich verprügelt hat, als ich Marcus helfen wollte..." "Du musst nicht lügen..." "Das überlass mir, ja?" Er blickte aus dem Seitenfenster auf die Kirche hinaus. "Es tut mir leid..." Jasons Stimme versagte kurz. "Ehrlich... ich wollte dich nicht schlagen... es war Randys Anblick, die Wut... und ich... ich wusste das so etwas in meinen Beruf jederzeit passieren kann... aber in all den Jahren bei der Polizei hab ich noch nie... einen Menschen töten müssen... egal was für ein Monster er war... es war kein gutes Gefühl..." Chris drehte sich zu Jason um und sah, wie eine Träne im Schein der Blaulichter funkelte. Plötzlich konnte er nicht anders als zu Jason rüber rücken und sich an ihn zu lehnen. Der junge Polizist blickte ihn kurz überrascht an, dann zog er ihn an sich und schloss ihn in die Arme. "Ich hatte solche Angst um dich..." schluchzte er und vergrub sein Gesicht in Chris' Haaren. Er presste den blonden Mann an sich, als wolle er ihn nie wieder loslassen. Chris ließ seine Hände beruhigend über Jasons zitternden Rücken gleiten. "Warum bist du weggelaufen...?" "Es tut mir leid..." Auch Chris kamen die Tränen. Es war beiden egal, ob einer der draußen herumeilenden Polizisten sie sah oder nicht. "Mach so etwas nie wieder... versprich mir das..." "Ich verspreche es dir. Es tut mir so leid..." In diesem Moment wurde die Fahrertür geöffnet. Jim Mayer, der junge Deputy, steckte den Kopf hinein. Jason und Chris ließen sich abrupt los, doch zu langsam als das die Situation nicht längst eindeutig gewesen wäre. Jim lief rot an. "Ich... es tut mir leid..." Jason winkte so cool wie möglich ab, obwohl seine Wangen glühten. "Ist schon okay..." "Ich soll Sie zum Krankenhaus fahren. Kommt Ihr..." er brach ab und suchte scheinbar nach einem Wort das er verwenden konnte. "Mein Freund kommt mit, er kann später eine Aussage machen." Jason nahm seinen ganzen Mut zusammen und griff nach Chris' Hand. Chris sah ihn überrascht an, sagte aber nichts. "Okay, ich fahre Sie dann. Ach... Detective... ich wollte nur sagen... ich finde es ist egal, ob Sie nun schwul sind oder nicht... das sagt doch nichts über Sie aus... Detective Forbes hatte da vollkommen recht." Beim Anblick von Chris Gesichtsausdruck hätte Jason beinahe laut losgelacht, wenn die Situation nicht so bedrückend gewesen wäre. Deputy Mayer ließ sich auf den Fahrersitz gleiten, schaltete die Sirene an und fuhr los. Fahren war vielleicht das falsche Wort, er raste eher los wie die sprichwörtliche besengte Sau. Chris' sanfte Berührung von Jasons Hand wurde plötzlich ziemlich heftig, als er sich erschrocken verkrampfte. "Nimm den Fuß vom Gas, du Rennfahrer!" rief Jason. "Wir wollten in einem Stück im Krankenhaus ankommen, so eilig ist es nun auch wieder nicht!" "Sorry!" Jim wurde schon wieder rot, aber er bremste den Wagen merklich ab. Chris entspannte sich wieder. Während sie durch die Straßen von San Francisco in Richtung des Memorial Krankenhauses fuhren, lehnte Chris ganz nebenbei den Kopf zu Jason hinüber. "Hab ich mich verhört oder hat er vorhin gesagt, dass dein Partner recht hätte, dass es egal sei ob du schwul bist oder nicht? War ich so lange weg? Wurde er von Außerirdischen entführt und umgepolt?" Jetzt lachte Jason wirklich, verzichtete aber darauf, dem Verlangen nachzugeben und Chris zu küssen, er hatte keine Lust darauf, dass Jim vielleicht vor Schreck das Auto gegen den nächsten Baum setzte. "Ich erzähl dir das alles, ist eine lange Geschichte. Vielleicht das einzig positive an der ganzen Sache..." Chris setzte den kleinen Teddybären, den er im Geschenkshop gekauft hatte, in Marcus' Arm. "Der passt auf dich auf, wenn ich nicht da bin." "Danke..." Marcus war ein wenig weg getreten. Er hatte ein Beruhigungsmittel bekommen, damit er besser schlafen konnte. Chris strich ihm sanft über die Stirn. Jason stand hinter ihm und beobachtete die Szene. Er sorgte sich immer noch um Randy, aber was er hier sah, rührte ihn. Er hatte Chris noch nie so fürsorglich gesehen, so besorgt und liebevoll als läge dort sein eigener Sohn. Er lächelte als Marcus ihn ansah. "Ist... ist das jetzt dein Freund?" Chris blickte zu Jason hinüber. "Ja, das ist er." "Er sieht... wirklich gut aus." "Ja, das tut er." "Hab ich da was verpasst?" "Du musst nicht alles wissen, mein Süßer, das ist ein Gespräch unter uns Männern, nicht wahr, Marcus?" grinste Chris. "Genau... Was passiert... jetzt?" "Du schläfst erst einmal, dann sehen wir weiter. Ich bleibe hier, versprochen. Wenn du aufwachst, bin ich da. Ich passe auf, dass dir nichts passiert." "Danke..." Marcus schloss die Augen, als Chris ihm einen Kuss auf die Wange hauchte. "Schlaf gut..." Er drehte das Licht herunter und verließ mit Jason das Zimmer. Als die Tür ins Schloss fiel, nahm Jason Chris auf dem Flur in den Arm. "Du bist wundervoll, weißt du das? Aber lass ihn nicht zu nah an dich ran. Ich will nicht das du leidest. Claire lässt seine Eltern verständigen und selbst wenn sich herausstellen sollte, dass er nicht mehr nach Hause kann, ist er ein Fall fürs Jugendamt. Das ist dir klar, oder?" Chris seufzte. "Ich weiß..." "Ich liebe dich, dafür dass du so bist, weißt du das?" "Ich liebe dich auch... Gibt es etwas neues von Randy?" Jason löste sich von ihm und schaute aus dem Fenster in die Dunkelheit des Krankenhausparks hinaus. "Nein... nichts... er ist noch im OP. Die Ärzte können mir immer noch nichts sagen. Ich hab Angst, dass das etwas schlechtes bedeutet." "Gib die Hoffnung nicht so schnell auf. Er ist doch zäh, oder nicht? Er kommt sicher durch." Die Beiden gingen den Gang entlang in den großen Warteraum. Der Raum war hell und freundlich, hinter Glaswänden auf der Rückseite standen blühende Pflanzen um einen kleinen Teich mit einem Springbrunnen herum, dahinter führte ein Weg entlang in den Park des Krankenhauses, warme Lichter erleichterten die Orientierung in der Dunkelheit. Auf mehreren Tischen lagen Zeitschriften. Die gepolsterten Stühle waren unbesetzt, es war ruhig an diesem Abend. Chris ließ sich auf einen Stuhl sinken und streckte die Beine aus. Jason ging nervös auf und ab. In diesem Moment betrat Claire den Raum. Die Agentin sah müde aus. Sie hob grüßend die Hand. "Gibt es etwas neues?" "Nein..." antwortete Chris an Jasons Stelle. "Ich habe dafür Neuigkeiten. Unser Mann heißt oder besser hieß Donald Quinn. Zweiundvierzig Jahre alt, geboren in Cabbot Cove, einem kleinen Dörfchen an der Küste von Maine. Er ist der Polizei dort bekannt, er hat in seiner Heimatstadt als Prediger gearbeitet bis er eines Tages verschwand. Er wurde dort nie wieder gesehen. Allerdings hatte er einen fragwürdigen Ruf, weil er in seinen Predigten immer wieder aufs heftigste die Homosexualität verfluchte, sie als größte Sünde der Menschheit betitelte und den Homosexuellen die Verbreitung von AIDS zur Last legte." Jason ballte die Fäuste. "Das ist doch eigentlich nichts besonderes... genug Leute denken, dass Homos ", er sprach das Wort voller Sarkasmus aus, "der Auslöser für AIDS sind. So etwas hört man sogar von Leuten der Kirche." Claire nickte. "Leider wahr, aber nicht jeder der so etwas sagt ruft auch zum systematischen Beseitigen von Homosexuellen auf." "Bitte?" Chris sah sie verständnislos an. "Das kann doch nicht Ihr Ernst sein." "Mein voller Ernst, so erschreckend das klingt. Donald Quinn stammt aus einer zerrütteten Familie. Seine Vater ist als er noch jung war mit einem Mann durchgebrannt und hat die Mutter mit Quinn allein gelassen. Seine Mutter muss ihm von frühster Jugend Hass auf Homosexualität eingeimpft haben. Ich weiß das vom Polizeichef von Cabbot Cove, der war sehr geschwätzig am Telefon. Als ihm verboten wurde, solche Reden zu schwingen, verschwand Quinn schließlich spurlos. Was danach geschah, wissen wir ja. Er lebte seinen Hass auf Schwule auf die widerlichste Weise aus, die man sich vorstellen kann. Man hat in seinem Keller dort in dem Gemeindehaus Fotos von fast fünfzig verschiedenen Männern gefunden. Viele von denen sind uns überhaupt nicht bekannt, da er seine Morde ja immer im Strichermilieu begangen hat, die Dunkelziffer war größer als wir es uns vorgestellt haben. Ich muss Ihnen gratulieren, Jason, Sie haben da einem der größten Serienmörder Ding fest gemacht, den die Polizei seit Jahrzehnten erlebt hat. Es ist mir unbegreiflich, wie er es geschafft hat, so lange dem Zugriff des Gesetzes zu entkommen bis das FBI überhaupt auf ihn aufmerksam wurde. Er hat das vermutlich auf eine pervers geschickte Weise gemacht. Er bewegte sich unter diversen Namen stets in kleinen Gemeinden und fiel wohl nur durch seine Frömmigkeit auf. Wenn er merkte, dass es zu brisant wurde, verließ er die Stadt. Wir haben ihn sicher nur erwischt, weil er seine Spuren verwischen, also Mr. Fairgate beseitigen wollte. Dadurch wurde er unvorsichtig und hat beim Kampf mit Ihnen den Zettel der Kirche verloren, der Sie auf seine Spur brachte, Jason. Wir können das alles nur mutmaßen, auch sein Motiv, wobei wir davon ausgehen, dass er die Homosexuellen als Sünder sah, die er erlöste und reinigte. Aber genau werden wir es wohl nie erfahren. Aber ganz ehrlich, Jason, wenn Sie ihn nicht hätten töten müssen, hätte ich das mit Vergnügen getan. Dieser Mann war eine Bestie." Noch nie hatte Jason soviel Zorn in Claires Augen blitzen sehen. "Und vielleicht wird Randy sein letztes Opfer..." seufzte der junge Polizist. "Wie steht es um ihn?" "Ich weiß es nicht. Er wird noch operiert..." "Was ist mit Marcus?" Chris wechselte absichtlich schnell das Thema, weil er spürte, wie sehr Jason die ständigen Fragen nach dem Befinden seines Partners mitnahmen. Claire schien das auch zu merken und ging auf den Themawechsel ein. "Man hat seine Eltern ausfindig gemacht. Sie wohnen in einem Vorort von Los Angeles, in Yorba Linda. Ich hab persönlich mit dem Vater telefoniert. Das er vor Freude nicht durchs Telefon gesprungen ist, ist auch schon alles. Er war überglücklich, dass wir seinen Jungen gefunden haben. Im Hintergrund habe ich die Mutter weinen hören vor Freude. Ich glaube, dass Marcus einen ziemlich falschen Eindruck von seinen Eltern hatte, als er weglief." "Erlauben Sie, dass ich trotzdem mit ihnen rede, wenn sie hierher kommen?" "Haben Sie Zweifel, Mr. Fairgate?" Chris schüttelte den Kopf. "Nein, nur weil meine Eltern Versager waren, müssen seine nicht genauso sein. Aber ich will dass sie wirklich wissen, was mit ihrem Sohn los ist, dass sie ihn verstehen und ihm keine Vorwürfe deswegen machen... Ich kenne Marcus erst seit ein paar Stunden, aber ich fühle mich für ihn verantwortlich. Dieser Junge ist lieb und schüchtern. Ich werde nicht zulassen, dass er das gleiche durchmachen muss wie ich. Er soll nicht so leiden..." Ein Moment des Schweigens folgte. Jason lehnte mit dem Rücken an der Glasscheibe und hatte die Arme vor dem Brustkorb verschränkt. Er lächelte Chris an. Claire ließ sich ebenfalls auf einem Sessel nieder und schlug die Beine übereinander. Auf dem Flur eilte eine Schwester vorbei. "Ich verstehe sehr gut, was Sie meinen, Mr. Fairgate." "Nennen Sie mich Chris, Agent Wentworth, ich bin es nicht gewohnt die ganze Zeit so förmlich angesprochen zu werden. Ich war immer für alle nur Chris." "Wie Sie wünschen., Chris." Chris erhob sich. "Ich hole mir einen Kaffee, möchten Sie auch einen? Und du, Jason? Du siehst vollkommen übermüdet aus." "Vielen Dank, gern!" antwortete Claire und auch Jason nickte. "Danke." Chris nickte und verließ den Raum. Claire sah ihm hinterher, wie er den Flur hinab und in Richtung des Kaffeeautomaten verschwand. "Passen Sie bloß gut auf ihn auf, Jason, Sie haben an ihm etwas ganz besonderes." Jason blickte auf, er war schon wieder in Gedanken versunken gewesen. Er schien überrascht. "Kennen Sie den Film "Aladdin"?" Jason nickte. Disneyfilme waren etwas, das er schon immer geliebt hatte. Er hatte noch nie einen Disneyfilm im Kino verpasst und besaß alle auf DVD oder zumindest auf Video. Sein Vater hatte ihn schon öfter gefragt, wann er denn mal erwachsen würde, aber Jason war der Meinung, dass man sich ein Stück Kindheit immer im Herzen behalten sollte. Und außerdem war sein Vater genau der Richtige um so etwas zu sagen, war er doch ein glühender Verehrer von Daffy Duck. "Das ist einer meiner Lieblingsfilme," fuhr Claire fort, "und ganz am Anfang kommt ein Satz vor, der passender nicht sein kann. Dieser komische Händler spricht von der Wunderlampe und sagt: Wobei der Bursche, der diese Lampe hegte, viel mehr war als das wofür man ihn hielt: Ein ungeschliffener Diamant. Denken Sie mal darüber nach." Jason konnte nicht anders als ihr zuzustimmen. Chris war sein ungeschliffener Diamant. Nach außen hin etwas bockig und dickköpfig, für viele nichts weiter als ein gut aussehender Versager, der es im Leben zu nichts gebracht hatte. Aber Jason konnte dahinter sehen, Chris war weit mehr als ein hübsches Gesicht. Er war warmherzig und liebevoll und konnte wenn er wollte sehr verantwortungsbewusst sein. In diesem Moment wurde Jason klar, wie sehr er Chris eigentlich liebte. Und wie glücklich er im Grunde seines Herzens war, dass Randy und nicht Chris dort im OP um sein Leben kämpfte. Jason drehte sich um und sah in die Dunkelheit hinaus. Sein Gesicht spiegelte sich im Glas, halb erkennbar, halb in der Finsternis verschwunden. Der Gedanke den er eben gehabt hatte gefiel ihm nicht. Randys Leben war ebenso wertvoll wie das von Chris. Also schob er diese Erleichterung, die er sich eingestehen musste aber nicht wahrhaben wollte, zurück. Tief in sein Herz, in die eigene Dunkelheit, die jeder in sich trug. Er schloss die Augen und betete still für Randys Leben. Chris zuckte zusammen und schreckte aus dem Schlaf hoch, als er eine Berührung spürte. Er blickte sich um. Jason und er waren allein im Wartesaal, Claire hatte schon um Mitternacht das Krankenhaus verlassen, sie musste noch eine Menge Formalitäten erledigen, die sie Jason damit abnahm, wofür er ihr unendlich dankbar war. Es war mittlerweile weit nach Mitternacht, fast drei Uhr morgens. Er musste eingenickt sein. Die Berührung die er gefühlt hatte war eine Wolldecke gewesen, die sich über ihn gelegt hatte. Jason ließ sich gerade neben ihm auf einem Sitz nieder und lächelte ihn an. "Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken. Ich hab dir eine Decke besorgt." "Danke..." Chris rollte sich auf dem Stuhl so bequem es ging zusammen und deckte sich zu. "Gibt es etwas neues?" Jason nickte. "Es sieht ganz gut aus, soweit mir die Schwester Auskunft geben konnte. Die stellen sich hier eh an, weil ich nicht mit Randy verwandt bin. Aber er ist noch nicht über den Berg. Ich darf auch nicht zu ihm." Jason nahm eine Zeitschrift, Chris bemerkte erst jetzt, wie sehr seine Hände zitterten. Jason fiel sein Blick auf. "Kaffee..." erklärte er unaufgeforderte. "Ich schütte das Zeug schon die ganze Nacht in mich hinein. Ich will wach bleiben. Du musst auch nicht hier bleiben, ich kann einen Wagen rufen, der dich nach Hause bringt." "Nach Hause?" Jason sah von der Zeitschrift auf und blickte ihn an. "Zu mir." "Das ist aber nicht meine Wohnung." "Was nicht ist kann noch werden." lächelte Jason. "Glaube ja nicht, dass ich dich noch einmal abhauen lassen. Dazu liebe ich dich zu sehr." "Ich liebe dich auch." Chris schluckte. Er hatte einen Kloß im Hals vor Rührung über diese Worte und er wusste nicht so recht was er erwidern sollte. "Ich bleibe bei dir. Wenn es sein muss die ganze Nacht und länger. Er wird durchkommen. Ganz sicher!" Jason nickte und wandte den Blick wieder der Zeitschrift zu. Allerdings nicht schnell genug als das Chris nicht die Unsicherheit in seinen Augen hätte erkennen können. Doch er sprach seinen Freund nicht darauf an. Bald war er wieder eingeschlafen. Als Chris erneut aufwachte, wurde draußen der Himmel bereits hell. Die Dämmerung war angebrochen und so wie es aussah würde bald ein weiterer wundervoller Sommertag über San Francisco hereinbrechen. Chris gähnte. Jason stand mit dem Rücken zu ihm vor der Scheibe und sah in den Garten hinaus. Man hörte selbst hier die vielen Vögel in den Bäumen im Park zwitschern, sie begrüßten den neuen Morgen. Chris erhob und streckte sich kurz, sein Rücken hatte ihm die Nacht auf dem Stuhl übel genommen und war ein wenig verspannt. "Jason?" Sein Freund zuckte zusammen, er hatte offenbar überhaupt nicht registriert, dass Chris erwacht war. "Jason, was ist los? Was neues wegen Randy?" Jason nickte und wandte sich um. Erst jetzt erkannte Chris das er weinte. Tränen liefen über seine Wangen, die Augen waren gerötet und verquollen von einer durchwachten Nacht. Chris bekam es mit der Angst zu tun. Die Furcht vor dem, was er hören könnte, vor dem was geschehen sein könnte legte sich wie eine eiskalte Hand um sein Herz. "Jason? Was ist...?" Sein Freund antwortete zunächst nicht. Er ging einfach auf ihn zu, mit hängenden Schultern. Chris nahm ihn in den Arm. Der kräftige Körper seines Freundes zitterte, er schluchzte und drückte Chris fester an sich, als würde nur er ihm noch Halt geben können. "Randy..." Seine Stimme erstickte fast in den Tränen. "Er ist... er ist vor einer Viertelstunde gestorben..." Chris schloss die Augen, während er den vollkommen aufgelösten Polizisten an sich presste. Er wusste nichts, was er hätte sagen können. Also standen sie einfach dort im Warteraum des San Francisco Memorial Krankenhaus und Chris hielt Jason fest. Draußen ging die Sonne auf, die Nacht war zu Ende, ein neuer Tag brach an. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich erlaube mir dieses Mal ein Nachwort zu diesem Kapitel, weil ich denke, dass es nötig ist. Mit "If I die before I wake" endet die Storyline um den Serienmörder, obwohl die eigentlich Geschichte erst anfängt. Da ich aber immer mehr ein Freund des Soap-Elements und nicht des Krimis war, bin ich auch eigentlich froh darum, den Mörder los zu sein. Ich denke man merkt an diesem Kapitel, dass Krimi nicht wirklich meine Stärke ist, ich bin mir im klaren, dass die Auflösung des Mörders etwas konstruiert ist und sicher nicht das, was sich einige erhofft hatten, aber mehr sollte der Mörder nie sein, nur ein fehlgeleiteter Irrer. Ein Katalysator um die Handlung zwischen Jason und Chris in Gang zu bringen und den Polizisten zu zwingen, sich selbst zu erkennen. Das wahre Herz der Story beginnt erst jetzt. Wie wird Jason das Leben mit Chris meistern? Wie wird er damit klar kommen, dass seine Kollegen jetzt über ihn bescheid wissen? Außerdem wird David endlich zurückkehren und seinen eigenen Handlungsstrang bekommen, das hat er als meine liebste Schöpfung einfach verdient. Und ein neuer Chara, der mir besonders am Herzen liegt, steht bereits in den Startlöchern um die Lücke zu füllen, die Randy hinterlässt. Womit wir beim Thema wären: Randys Tod. Bitte, bitte, besonders an Alaska und KatoKira, hasst mich dafür nicht! Randys Schicksal war schon lange besiegelt, sein Tod schon lange beschlossene Sache. Es blieb nur ein Problem, das auch meine Quasi-Lektorin Ivy (hier: LinkyBaby) erkannte. Sie meinte damals zu mir, dass Randy niemand eine Träne nachweinen würde, so wie er ist. Und da musste ich ihr recht geben. Also erteilte ich dem großmäuligen, homophoben und etwas nervigen Polizisten eine Absolution und veränderte ihn auf die radikalste Weise die gerade noch realistisch war. Das Ergebnis hat mich umgehauen. Das er dadurch zu einem so sympathischen Charakter werden würde, hatte ich nicht erwartet. Deswegen dachte ich sogar kurz darüber nach, Randy nicht sterben zu lassen, aber wie gesagt, sein Platz in dieser Geschichte ist längst neu reserviert. Außerdem bringt es zusätzliche Dramatik, dass Jason jetzt dem Kollegen beraubt wurde, auf den er sich am meisten hätte verlassen können. Eine Schweigeminute für Randy und dann geht es weiter, aber erst im nächsten Kapitel! ^^ Kapitel 8: Silver shadows ------------------------- Jason verließ das Krankenhaus und ging zu seinem Wagen. Die Sonne stieg immer höher, der Himmel war bereits jetzt wunderbar blau. Vereinzelt flogen Vögel zwitschernd zwischen den Bäumen umher. Ein sanfter Wind wehte. Von all dem bekam Jason kaum etwas mit. "Jason!" Er drehte sich um als er Chris' Stimme hörte. Der junge Mann kam gerade aus dem Krankenhaus gerannt, seine Wange war mittlerweile tief blau. Als er ihn erreichte, war er vollkommen außer Atem. "Was machst du?" Jason antwortete zunächst nicht. Die Bartstoppeln in seinem Gesicht bedeckten mittlerweile wie ein dunkler Schatten seine Wangen und den Bereich über seiner Oberlippe. Seine Augen waren gerötet und immer noch verquollen, sein Haar unfrisiert. Kurzum, er sah schrecklich aus. Chris ging es nicht viel besser. Sein sonst glänzendes blondes Haar war stumpf und strähnig und auch er wirkte trotz des Schlafes übernächtigt. "Ich muss etwas allein sein..." Chris stemmte die Hände in die Hüften. "Und dann haust du einfach ab? Hättest du mich einfach kommentarlos hier gelassen?" "Mach bitte keine Szene... ich dachte du wolltest hier sein, wenn Marcus' Eltern kommen..." "Ich mache dir keine Szene, natürlich wollte ich hier bleiben. Aber glaubst du nicht, dass ich mir Sorgen gemacht hätte, wenn du einfach verschwunden wärst und..." Er brach ab und blickte zu Boden, ihm war bewusst geworden, was er sagte. "Wäre vielleicht gut gewesen, damit du merkst, wie ich mich gestern morgen gefühlt habe..." "Du bist gemein..." "Dann bin ich eben gemein!" brüllte Jason, so heftig das Chris zusammenzuckte. "Ist mir gerade auch egal! Ich will allein sein, kapierst du das nicht?!" "Ich kapiere es! Aber du verstehst nicht, was ich will!" schrie Chris zurück. Einige Passanten auf dem Parkplatz drehten sich verwundert zu den beiden Männern um. "Ich habe Angst, dich wieder zu verlieren. Versteh das doch. Ich habe einen beschissenen Fehler gemacht, der deinen Partner das Leben gekostet hat und ... ich habe Angst, dass du mich jetzt nicht mehr willst... das ich dich jetzt endgültig verloren habe..." fuhr er deutlich leiser fort. Jason seufzte. "Mach mal die Hand auf..." Er griff in seine Tasche und legte etwas auf Chris' ausgestreckte Handfläche. Einen silbernen Schlüsselanhänger mit zwei Schlüsseln daran. "Was ist das?" "Meine Wohnungsschlüssel." antwortete Jason und ein Anflug eines Lächelns erhellte sein Gesicht. "Ich verstehe nicht ganz." "Also, du hast jetzt meine Schlüssel. Ich rufe gleich vom Handy aus den Portier an, dass er dich reinlassen soll. Sobald Marcus' Eltern hier waren und du mit ihnen geredet hast, nimmst du dir hiervon," Er zog sein Portemonnaie aus der Tasche und gab Chris zwanzig Dollar, "ein Taxi und fährst zu mir. Die Adresse weißt du, oder?" Chris nickte verblüfft. "Da du meine Schlüssel hast, bin ich auf dich angewiesen, wenn ich in meine Wohnung will und das ist deine Versicherung, dass ich dir nicht weglaufe. Ist das okay?" "Du spinnst!" lachte Chris. "Aber okay." "Ich gebe dir keine Schuld an dem was passiert ist. Wirklich nicht." "Nein... du gibst sie dir." Jason senkte den Blick, aber er widersprach nicht. Er drehte sich um und schloss den Wagen auf. "Ich liebe dich, vergiss das nicht..." Chris Stimme klang traurig und ein wenig verzweifelt. "Du trägst keine Schuld, wenn jemand Schuld hat, dann dieser Irre!" "Ich liebe dich auch... und lass dich bitte endlich untersuchen, nicht dass du wirklich eine Gehirnerschütterung hast, sei vernünftig, bitte." war alles was Jason entgegnete, bevor er die Autotür hinter sich zuzog und davon fuhr. Chris blickte seinem Wagen nach, bis er verschwunden war. Geknickt ging er ins Krankenhaus zurück. Als Chris Marcus' Zimmer betrat, saß der Junge aufrecht in seinem Bett mit einem Tablett vor sich. Lustlos stocherte er in einer Portion Rührei herum, sein Brot hatte er noch nicht angerührt. Beim Geräusch der Tür hörte, blickte er auf. "Das ist Fraß..." Chris grinste. "Krankenhausessen eben. Tu mir den Gefallen und iss wenigstens ein bisschen, du musst wieder zu Kräften kommen." "Ich fühle mich aber momentan echt gut." "Das freut mich. Aber auch nur, weil du hier die richtige Behandlung kriegst. Aber um eine Entziehungskur wirst du wohl trotzdem nicht herum kommen. Natürlich nur, wenn du immer noch aufhören willst." Chris ging an Marcus' Bett vorbei und zog sich einen Stuhl ran. Er drehte ihn herum und setzte sich mit der Lehne zwischen seinen Beinen darauf, um die Arme abzustützen. "Wo ist dein Freund?" "Er musste weg," wich Chris dem Thema aus. "Aber ich bleibe noch hier." "Ich hab gestern Abend nicht soviel mitbekommen, aber wenn ich mich recht erinnere, hast du echt Schwein gehabt. Dein Freund ist wirklich süß." "Das klingt als wolltest du ihn mir ausspannen." Marcus lachte und brachte Chris damit unwillkürlich zum Lächeln. "Weißt du, dass ich das genieße? Es ist toll, endlich mal mit jemandem frei darüber reden zu können, dass ich schwul bin." "Konntest du das früher nie?" "Ne... ich meine nicht richtig..." Er schob das Tablett weg. "Bist du wirklich auf den Strich gegangen?" Chris nickte. "Fast zehn Jahre lang und ebenso lange war ich auf Heroin. Das ich hier sitze und mit dir reden kann grenzt eigentlich an ein Wunder. Ich muss dich etwas fragen..." "Was denn?" "Benutzt du Gummis?" Marcus senkte den Blick. "Manche wollten lieber ohne und ich..." "Sag mir nicht, dass du das gemacht hast?!" Marcus fuhr zusammen, so laut wurde Chris mit einem mal. "Hast du schon mal von AIDS gehört?!" "Ja doch!" "Dann stehst du wohl auf Russisch Roulett, was?!" "Schrei mich nicht so an! Bitte!" schluchzte Marcus. Chris fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Ist ja gut... ich kann nur nicht fassen, dass du so verantwortungslos gehandelt hast. Selbst in meinen heftigsten Zeiten hab ich es nie ohne Gummi gemacht. Ein oder zwei mal haben mich welche dazu gezwungen, aber freiwillig nie und ich bin glücklicherweise gesund." "Jetzt habe ich Angst..." Angesichts der Unsicherheit in Marcus' Stimme wurde Chris wieder ruhiger. "Ich rede mit deinen Eltern, damit bei dir ein Test gemacht wird, geh nicht vom schlimmsten aus. Es wird sicher alles gut." Chris wollte Marcus beruhigen, doch der Junge starrte ihn nur schockiert an. "Was hast du da eben gesagt?" Chris begriff das er sich verplappert hatte. "Ich hab... ich meine..." "Du hast meine Eltern gerufen?!" Chris machte eine Kopfbewegung, die wohl erst ein Kopfschütteln werden sollte, dann aber in ein Nicken überging.. "Nicht ich... Das waren die von der Polizei. Was hast du denn erwartet?" "Das du mich nicht auch noch verrätst, nicht nachdem was wir durchgemacht haben!" "Ich verrate dich nicht!" "Doch, das tust du! Meine Eltern werden niemals..." Er brach ab. "Ach, du kannst mich mal!" "Marcus, du verstehst mich nicht. Deine Eltern haben dich wahnsinnig vermisst. Sie machen sich Sorgen um dich. Du hast dich in ihnen getäuscht." "Woher willst du das denn wissen? Meine Eltern werden mich umbringen, wenn sie herausbekommen, dass ich fixe und auf den Strich gehe, du Arsch!" "Marcus!" "Ach, halt die Schnauze! Du bist doch genau wie ich! Du wärst doch nicht in diesem Keller gewesen, wenn du nicht immer noch auf den Strich gegangen wärst. Also bist du nicht viel besser als ich! Spiel dich nicht so auf!" Chris stand auf. "Aber ich habe zumindest den Absprung von den Drogen geschafft!" "Und warum soll ich das nicht auch können?!" "Weil du es nicht allein schaffen musst. Sei doch vernünftig. Warum willst du keine Hilfe." "Von dir vielleicht... aber meine Eltern..." "Hör zu, ich zeig dir jetzt was." Chris schob seinen Ärmel hoch. Er deutete auf eine kleine Narbe an seinem Arm. "Ich hatte Glück, an der Stelle hab ich mir den Arm aufgeschnitten, als mein Vater mich in die Glasvitrine in unserem Wohnzimmer geprügelt hat, nachdem er mich und einen anderen Jungen zusammen erwischt hatte. Der Schnitt war verdammt tief, die Narbe hätte auch größer sein können." "Das... hat dein Vater getan?" Chris nickte. "Ja. Ich hab ihm noch mehr Narben zu verdanken, aber die werde ich dir nicht zeigen." "Warum nicht?" Chris verzog das Gesicht zu einem sarkastischen Lächeln. "Weil ich verdammt viel Probleme kriegen würde, wenn ich vor einem Sechzehnjährigen meine Hose runterlassen würde. Mein Vater hat eine brennende Zigarette auf meinem Schw..." Er schloss die Augen. "Entschuldige, du weißt was ich meine." "Ich bin kein Kind, Chris, ich hab schon schlimmere Ausdrücke dafür gehört. Aber hat dein Vater wirklich...?" "Die Brandnarbe ist noch heute zu sehen. Und ich denke, ich habe Grund meinen Vater zutiefst zu hassen. Hast du den auch? Sag mir einen triftigen Grund dafür, dass du Angst vor deinen Eltern haben solltest, dann verhindere ich, dass sie hierher kommen. Aber sag mir jetzt nicht, dass sie sauer waren, als sie erfuhren, dass du ständig die Schule schwänzt. Denn sie kennen den wahren Grund dafür nicht, oder?" Marcus sah auf die Decke und schüttelte den Kopf. "Ich habe Angst, Chris..." "Ich weiß, aber ich bin bei dir. Du hast deine Eltern und du hast mich. Und du wirst es schaffen." Chris setzte sich auf den Rand des Bettes und nahm Marcus in den Arm. "Was wenn ich wirklich..." Er schluchzte. "Was wenn... ich... wirklich... AIDS hab... ich will nicht.... sterben..." "Du wirst nicht sterben, du bist sicher gesund..." Chris fühlte zum wer weiß wievielten Mal in den letzten zwei Tagen Tränen in sich aufsteigen. Es musste einfach so sein. Marcus musste gesund sein. Er war allein. Bei so gutem Wetter war der Golden Gate Park voller Menschen, aber Jason hatte trotzdem das Gefühl, vollkommen allein zu sein. Er saß auf einer Bank und beobachtete ein paar Kinder, die auf der Wiese vor ihm Frisbee spielten. Es war fast Mittag und die Sommerferien hatten schon vor ein paar Wochen angefangen. Sicherlich waren hier weit mehr Touristen als Einheimische unterwegs. Der Park hallte wieder von Lachen. Jason kam es so vor, als würde die Sonne hier überall scheinen, nur über ihm hingen Wolken. Niemand nahm Notiz von ihm. Er saß schon etwa eine Stunde hier und brütete vor sich hin. Plötzlich fiel wirklich ein Schatten auf ihn. "Jason?" Er blickte auf. Vor ihm stand David. Sein Freund trug ein schwarzes Muscleshirt und schwarze Shorts, beides erlaubte ausreichend Blick auf seine muskulösen Arme und Beine. Er war noch ein ganzes Stück größer als sonst, stand er doch auf seinen Rollerskates. Seine Knie, Ellenbogen und Handflächen schützten schwarze Schoner. Er trug eine Sonnenbrille und hatte sein Haar mit einen Haarreif nach hinten gebändigt, einen Trend den David Beckham in seiner langmähnigen Zeit gesetzt hatte. Auf dem Rücken hatte er einen Rucksack. "Ist da drunter irgendwo der Jason den ich kenne? Du siehst ja furchtbar aus!" "Es ist auch schön, dich zu sehen!" grinste Jason. "Darf ich?" David deutete auf die Bank, quittiert von einem Nicken Jasons. Er nahm den Rucksack ab und ließ sich auf die Bank fallen. "Musst du nicht arbeiten?" "Ich hab mir heute frei genommen. Aber soll ich dich allein lassen?" fragte David in leicht eingeschnapptem Ton. "Du bist ganz schön eisig, weißt du das? Und du stehst kurz davor, frappierend einem Landstreicher zu ähneln." "Übertreib nicht..." "Jason, im Ernst, soll ich dich allein lassen?" Jason sah David einen Moment lang an. Dann schüttelte er den Kopf. "Nein... eigentlich nicht. Ich hab Chris im Krankenhaus zurückgelassen, damit ich allein sein kann, aber jetzt will ich nicht allein sein... mein Gott, ich bin erbärmlich..." "Im Krankenhaus?! Was ist passiert?" "Es geht ihm gut..." Jason winkte ab. "Ihm ist nichts passiert... Ich hab... es ist eine lange Geschichte." "Hat es etwas damit zu tun, was heute in der Zeitung stand? Das ihr diesen Stricherkiller geschnappt habt?" "Du hast davon gehört?" "Sunshine, ganz San Francisco hat davon gehört. Es steht in allen Zeitungen, dass dieser Kerl einer der schlimmsten Schweinehunde aller Zeiten war, der eine Menge schwule Strichjungen umgebracht hat. So eine Art moderner Jack the Ripper mit Massenmörderambitionen. Aber das soll jetzt vorbei sein. Er ist von einem Cop erschossen worden." "Nein, nicht von einem Cop... von mir..." David sah ihn erschrocken an. "Du hast..." "Ich hab ihn in den Rücken geschossen. Das war die einzige Möglichkeit... er hätte Chris getötet, wenn ich nichts getan hätte..." David war bleich geworden. "Damit hab ich nicht gerechnet. Aber warum war denn dein Chris da? Er ist doch kein Stricher... oder etwa doch?" "Ich hab dir doch gesagt, dass ich ihn in New York kennen gelernt habe..." seufzte Jason und wandte den Blick gen Himmel. Ein paar weiße Wolken zogen langsam über das strahlend blaue Firmament. "... als Freier..." David sog die Luft ein. "Du bist wirklich zu Strichern gegangen? Sunshine, so etwas ist gefährlich, das weißt du, oder?" "Natürlich weiß ich das! Ich bin auch genau genommen nur zu einem Stricher gegangen. Nämlich zu Chris. Er war damals... ich weiß gar nicht, ob es gut ist, wenn ich dir das alles erzähle... du lernst ihn sicher kennen und ich will nicht, dass er sich vor dir schämen muss. Was er dir erzählen will, wird er sicher erzählen..." "Wie du meinst." David wirkte ein wenig enttäuscht. Er gab sich zwar abgeklärt, aber Jason wusste, dass ihn nichts mehr interessiert als Klatsch und Tratsch. Er war wahnsinnig neugierig. Aber gleichzeitig wusste Jason auch, dass er wahrscheinlich niemandem mehr vertrauen konnte als ihm, Chris ausgenommen. "Er war abhängig von Heroin... Damals ist verdammt viel schief gelaufen. Aber mittlerweile ist er clean. Und ich werde auch nicht zulassen, dass er wieder auf den Strich gehen muss, koste es was es wolle." "Ich denke auch nicht, dass du dir in nächster Zeit sonderlich viel Sorgen um Geld machen musst. Auf die Ergreifung deines Killers war ein Kopfgeld ausgesetzt, hast du das gewusst? Manchmal erfährt man so einiges aus der Zeitung. Ich hab nur nicht gewusst, wer ihn erledigt hat, das haben sie nicht geschrieben." Jason sah David überrascht an. "Ein Kopfgeld?" "Ja und sicher nicht wenig." Jason schwieg und schaute wieder in den Himmel. Nicht einmal die Aussicht auf das Geld das er vielleicht bekommen würde heiterte ihn auf. Eigentlich war das Geld ihm egal. Es konnte Randy auch nicht wieder lebendig machen. "Sonderlich glücklich wirkst du nicht, dafür dass du der Held bist, der auch noch das süße Mädel beziehungsweise den süßen Jungen kriegt, nachdem er den Bösen erledigt hat. Wärst du jetzt James Bond, ein schwuler James Bond natürlich, würdest du gerade mit Chris vögeln und nicht allein im Park Trübsal blasen. Blasen... eine nette Formulierung..." Dabei blickte er einem muskulösen Jogger hinterher, der gerade die Bank passierte und dessen enge Radlershorts wenig der Phantasie überließen. Er schlug sich mit der Faust in die flache Hand, als er sich von dem wackelnden Hintern des Mannes losgerissen hatte. "Das ist nicht mit anzusehen!" Er öffnete seinen Rucksack und kramte darin herum. "Hier!" Er drückte dem vollkommen perplexen Jason einen Rasierer, einen kleinen Spiegel und eine Tube Haargel in die Hand. "Ich gehe jetzt ein Eis holen und du beseitigst dieses Gestrüpp in deinem Gesicht, der Akku ist voll aufgeladen. Und mach das Beste aus deinen Haaren. Ich will sehen das du ein Mensch bist, wenn ich wieder hier bin!" Jason sah erst die Sachen in seiner Hand und dann David an. "Du hast wirklich einen Rasierer und Gel dabei, wenn du skaten gehst? Warum um Himmels Willen?" David zuckte mit den Schultern und grinste breit. "Weiß man denn wo man vielleicht übernachtet? Ich hab auch eine Zahnbürste da drin." Zum ersten mal an diesem Tag lachte Jason vollkommen befreit. "Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch, der beim Skaten schon vorsorgt, falls sich eine Gelegenheit für Sex ergeben sollte!" "Man kann nie wissen, Sunshine. Und jetzt sei brav und mach wieder einen ansehnlichen Typen aus dir, das ist ja kein Zustand! Ach ja, welches Eis möchtest du?" "Chocolate Chip und Vanille." "Sunshine, manchmal bist du gerade zu überwältig klassisch." Er zwinkerte, stand auf, schulterte den Rucksack und fuhr los. Jason sah ihm nach und lächelte. David war der wirkliche Sonnenschein von ihnen beiden. Und er hatte es wirklich geschafft die dunklen Wolken für einen Moment zu vertreiben. Er hoffte nicht zu merkwürdig dabei auszusehen, als er begann sich auf der Parkbank im Golden Gate Park zu rasieren. Chris saß auf eine Stuhl vor der Tür von Marcus' Zimmer. Er war kurz nach ihrem Gespräch wieder eingeschlafen. Chris erfuhr nichts genaues über seinen Gesundheitszustand, aber er erkannte, dass der Körper des Jungen von dem Entzug sehr mitgenommen wurde. Aber hier war die beste Versorgung garantiert. Um eine langfristige Entziehung würde er aber trotzdem nicht herum kommen. Manchmal fragte Chris sich, wie in aller Welt er es selbst geschafft hatte, ohne fremde Hilfe von diesem Teufelszeug loszukommen. In diesem Moment hörte Chris, wie sich Schritte näherten. Er blickte auf und sah einen Mann und eine Frau den Gang entlang kommen. Der Mann war hoch gewachsen und trug einen Vollbart, er sah sympathisch aus, so wie man sich eine Vaterfigur vorstellen würde, jemand zu dem man aufsehen konnte. Die Frau neben ihm war wesentlich kleiner und schlank. Sie trug ihr schulterlanges Haar zu einem lockigen Pferdeschwanz. Ihre Augen blickten ängstlich unter ihrer schmalen Brille umher. Chris erhob sich von seinem Stuhl. Als die beiden auf seiner Höhe waren, nahm er all seinen Mut zusammen. "Darf ich Sie kurz stören?" "Kennen wir uns?" entgegnete der Mann. Chris fuhr sich etwas nervös durchs Haar. "Nein, Sie kennen mich nicht, aber ich... ich kenne Ihren Sohn, Marcus. Er ist doch Ihr Sohn, oder?" "Was ist mit ihm?!" Die Stimme der Frau war fast panisch. Chris hob beruhigend die Hände. "Es geht ihm gut. Er schläft. Aber ich... ich weiß, ich habe kein Recht dazu und Sie haben keine Veranlassung, mir zuzuhören, aber ich würde gerne mit Ihnen beiden reden, bevor Sie zu Ihrem Sohn gehen. Es gibt hier eine nette Cafeteria und ich denke da kann man sich gut unterhalten. Wie gesagt, Sie müssen mir nicht zuhören, aber ich denke... es wäre gut für Marcus. Und er schläft ja sowieso..." Der Mann nickte. "Wie Sie meinen, Mr...." "Fairgate!" antwortete Chris eilig. "Christopher Fairgate." "Ich bin Peter Reed und das ist meine Frau Allison. Schön Sie kennen zulernen." Chris lächelte bitter. "Warten Sie es ab, ob Sie das freut." Wenig später saßen sie in der in hellen Beigetönen gehaltene Cafeteria. Marcus' Eltern und Chris hatten je ein Tasse dampfenden Kaffee vor sich. Chris hatte beschämt bemerkt, dass er abgesehen von dem Taxigeld nichts bei sich hatte, aber Peter Reed hatte ihm einen Kaffee ausgegeben. Chris setzte die Tasse an und verbrannte sich beinahe die Zunge. Er war furchtbar aufgeregt. "Also, Mr. Fairgate, worüber wollten Sie mit uns reden?" "Über Ihren Sohn... ich möchte das Sie wissen... was in ihm vorgeht und wovor er Angst hat. Er ist sehr verängstigt. Er hat eine Menge hinter sich..." "Ja, wir haben gehört, dass er von diesem furchtbaren Mörder entführt worden ist... wir haben in Los Angeles nicht viel davon mitbekommen." "Marcus hat sehr gelitten, aber der Mistkerl hat ihm nichts angetan. Ich weiß das, ich war bei ihm. Aber das wirklich Problem liegt weit tiefer. Ihr Sohn ist vollkommen verunsichert, weil er nicht mit dem klarkommt, was sein Leben ihm entgegensetzt." "Was meinen Sie?" "Mr. und Mrs. Reed, Ihr Sohn ist... es fällt mir schwer ihn quasi dazu zu zwingen es zu offenbaren, weil ich selbst sehr schlechte Erfahrungen damit gemacht habe, aber ich denke, dass Sie beide anders sind als meine Eltern. Bevor ich mich noch weiter verzettele... ihr Sohn ist schwul... er hat deshalb Probleme mit seinen Mitschülern bekommen und ist darum nicht mehr zu Schule gegangen. Und als Sie davon erfuhren, bekam er Angst vor Ihrer Reaktion und lief davon. Aber das war ein Fehler. Er ist auf den falschen Weg geraten. Ich kann mir denken wie es geschehen ist, auch wenn ich es nicht genau weiß, aber mir ging es vor Jahren ähnlich. Er ist auf den Strich gegangen..." Allison hob erschrocken die Hand vor den Mund. "Und weil er das nicht ertragen hat, war es nur ein kleiner Schritt in die Drogenabhängigkeit." "Er ist...?" Chris nickte und senkte den Blick. "Heroin... ich möchte, dass Sie wissen, dass mir das wahnsinnig schwer fällt Ihnen das alles zu erzählen. Aber Marcus hat verständlicherweise Angst und ich fühle mich für ihn verantwortlich." "Hatten Sie etwas mit meinem Sohn?!" Mr. Reed hob die Stimme ein wenig. Chris hob abwehrend beide Hände. "Nein! Auf keinen Fall, ich bitte Sie. Ich bin achtundzwanzig, Ihr Sohn ist etwas zu jung für mich. Aber ich war in der gleichen Situation wie er, auch ich bin von diesem Kerl entführt worden und hab Ihren Sohn dort getroffen. Mein Freund ist Detective bei der Polizei und hat uns da rausgeholt. Ich will nur, dass Sie verstehen, was in Marcus vorgeht. Ich war selbst abhängig und bin davon losgekommen, aber Ihr Sohn braucht alles Verständnis und alle Liebe die Sie ihm geben können. Ich will Ihnen nicht in seine Erziehung reinreden, ich hab nie selbst Kinder gehabt und werde wohl auch keine haben, aber Marcus ist ein wundervoller Junge, der nur mit seinem Leben nicht klarkommt, weil er zu sensibel ist. Er ist bereit, eine Entziehungskur zu machen und er will sein Leben in den Griff kriegen, aber er braucht Ihre Hilfe... jetzt mehr denn je..." Chris spürte wie seine Augen feucht wurden, als der letzte Punkt näher rückte. "Ich hab selbst wahnsinnige Angst, denn da ist noch etwas. Ihr Sohn hat oft... nun ja... er hatte Verkehr ohne Kondom." Allison Reed wurde blass, sie war fast heller als die Wand. "Ich denke das es das beste ist, wenn Sie so schnell es geht einen HIV-Test machen lassen..." Marcus' Mutter fing an zu weinen. Chris wollte etwas sagen, aber er konnte nicht. Mr. Reed sah ihn an. "Danke... Mr. Fairgate... vielen Dank für Ihre Offenheit, aber würden Sie uns nun allein lassen? Ich glaube, das wäre am besten." Chris nickte und stand auf. Er floh beinahe aus der Cafeteria und als er auf dem Flur war, brach er in Tränen aus. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und vergrub das Gesicht in den Händen. In diesem Moment wurde ihm bewusst, wie sehr er sich nach Jason sehnte. Nach seiner Berührung, seinen Armen, seiner Wärme... Jason kratzte in den Resten seines Eises. David hatte seines bereits aufgegessen und warf gerade den Becher in den Mülleimer neben der Bank. "Das ist furchtbar..." Jason nickte. Er sah ziemlich verändert aus, die Bartstoppeln waren weg und die Haare einigermaßen gerichtet, was bei seinem kultivierten Chaoslook kein großes Problem dargestellt hatte. Als er mit den Eisbechern zurückgekommen war, hatte David ihn gelobt, dass er nun endlich wieder die "drei großen B" des schwulen Traummannes erfüllte: Kein Bauch, keine Brille und kein Bart! Als er jedoch den Grund erfuhr warum Jason so trübsinnig war, wurde sogar er ernst. "Ja... ich bin den ganzen Morgen durch die Gegend gefahren. Dann hab ich mir von der Zentrale die Adresse von Randys Exfrau geben lassen, aber sie war nicht daheim. Sie ist mit ihrer Tochter auf einer Geburtstagfeier hier im Park. Ich hab sie schon gefunden, aber ich hab einfach nicht die Kraft... ich kann das nicht... er hat mich darum gebeten, aber ich hab Angst davor. Ich bin wirklich erbärmlich... weißt du, ich heule seit gestern fast durchgehend. Dabei bin ich doch ein Mann..." "Aber du hast Gefühle..." "Und ich hasse diese Gefühle. Ich hasse mich. Es wird mir jetzt erst bewusst, was letzte Nacht alles geschehen ist. Nicht nur, das Randy gestorben ist... ich habe Chris geschlagen. So heftig das er einen Bluterguss im Gesicht hat. Als ich Randy da liegen sah, in seinem Blut und das nur weil Chris weggelaufen war. Jedenfalls war das mein erster Gedanke. Eigentlich haben wir nur weil er weggelaufen ist diesem Jungen das Leben retten können. Aber als ich Randy da so gesehen hab, war ich so sauer, so wütend... ich hab meine ganze Wut an ihm entladen, auf eine Art die ich einfach nur widerlich finde... ich hätte nie gedacht, dass ich ihn schlagen könnte. Er wollte mich schon mal Ohrfeigen, aber das was ich da getan habe war keine Ohrfeige, ich habe ihn beinahe niedergeschlagen..." "Das war eine Kurzschlussreaktion, im Stress." Jason lehnte sich zurück, die Sonne löste das letzte bisschen Eis in seinem Becher langsam in cremige Flüssigkeit auf, in der noch ein oder zwei Schokoladenstückchen schwammen. "Weißt du... ich denke seit gestern Abend darüber nach, was ich hätte anders machen können. Ich hätte in den Keller gehen sollen, vielleicht hätte ich den Kerl bemerkt... und Randy würde noch leben..." "Oder du wärst schneller tot gewesen als er, weil du im Taumel über die Wiedervereinigung mit Chris sämtliche Vorsicht fahren gelassen hättest." Jason sah David verblüfft an. "Von der Warte hab ich es noch gar nicht betrachtet..." "Tja!" David zuckte mit den Schultern. "Aber wäre das so schlimm gewesen? Randy hat eine Familie... vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich..." "Okay, jetzt reicht es!" fiel ihm David ins Wort. "Hör auf mit dem Mist! Jason, hätte, würde, sollte führt nie zu etwas! Du weinst über verschüttete Milch! Natürlich ist es schrecklich das Randy tot ist und natürlich darfst du traurig sein, aber wenn du jetzt schon anfängst, zu behaupten, dass es besser dich treffen sollte, weil du nichts hinterlässt, dann sollte ich dir vielleicht eine knallen, aber gehörig! Damit du mal wieder klar denkst!" "Ich... ich wollte..." stammelte Jason, von dem plötzlichen Ausbruch seines Freundes überrascht, doch David machte gleich weiter. "Du hast Chris, der dich sehr liebt, wenn alles stimmt, was du mir erzählst, du hast mich und glaube mir, ich würde dich wahnsinnig vermissen und nicht zuletzt hast du deine Eltern und deinen Bruder die dich sehr lieben! Also komm ja nicht auf die Idee zu behaupten, dass dein Tod die bessere Alternative gewesen wäre. Das wäre eine Gemeinheit all denen gegenüber die dich von Herzen mögen!" Jason senkte den Blick. "Es tut mir leid... wirklich... ich bin vollkommen durch den Wind... ich rede nur noch Müll..." David strich ihm sanft über die Wange. "Tut mir leid, ich wollte dich nicht anschnauzen, aber so etwas darfst du nicht denken, geschweige denn sagen....Darf ich dich mal was fragen?" "Was denn?" "Warum machst du eigentlich diesen Job? Ich meine, in einem Gerichtssaal geht es auch nicht friedlich zu, aber wenigstens kann man da im Normalfall nicht getötet werden. Hast du keine Angst?" Jason sah ihn einen Moment lang an, als würde er über die Antwort nachdenken müssen. "Weißt du, wenn du aufhörst Angst zu haben bist du so gut wie tot. Das ist so. Die Angst hält dich am Leben. Randy hatte nie Angst, glaube ich. Und weißt du was? Im Krankenhaus ist mir bewusst worden, dass ich wahnsinnig glücklich war, dass Chris nichts geschehen ist. Ich war wirklich froh, dass Randy verletzt war und nicht er... und ich habe mich in dem Moment vor mir selbst geekelt." "Aber das war eine vollkommen normale Reaktion. Du hast so reagiert wie jeder andere Mensch auch. Man schätzt automatisch das Leben derer die man liebt höher als das von anderen. Und Randy war doch eigentlich nie dein Freund bis zu dem Moment als ihr voreinander reinen Tisch gemacht habt. Du hast mir oft gesagt, dass er dich aufregt und das du Angst davor hast, dass er jemals was von deiner Homosexualität erfahren könnte, oder?" "Doch! Er war mein Freund... auf eine merkwürdige Art und Weise war er mein Freund. Immer..." "Jason..." Jason stand auf und streckte sich. "Um deine Frage zu beantworten: Ich mache diesen Job, weil ich daran glaube. Mein Vater hat ihn getan und ich wollte es ebenso, so lange ich denken kann. Ich glaube daran, dass man als Cop Leben retten und die Welt sicherer machen kann. Ich mache diese Job um solchen Schweinen wie dem von letzter Nacht das Handwerk zu legen und ich bin dafür bereit mein Leben zu riskieren." "Und du machst ihn gut, oder nicht? Warum fällt es dir dann so schwer, wenn du doch weißt das dieser Job ein Risiko für das Leben bedeutet, zu akzeptieren das Randy sein Leben in Ausübung seines Dienstes verloren hat? Das ist schrecklich, aber er wusste auch was er tat und was das für ihn bedeuten kann und du hast absolut keine Schuld an dem was passiert ist!" Jason drehte sich um und sah auf David herab. Der blonde Mann schirmte mit der Hand seine Augen gegen die Sonne ab. Sein Haar glänzte im Sonnenlicht und wirkte heller als sonst. Jason wollte seine Frage beantworten, aber ihm fiel nichts ein. Warum wollte er sich unbedingt die Schuld geben? Was hätte er tun können um es zu verhindern? Nichts. Niemand hatte ahnen können, was es bedeuten würde, dass Randy in den Keller ging und nicht er. Und es war absolut unmöglich zu sagen, ob er selbst es besser gemacht hätte oder ob es ihm nicht selbst so ergangen wäre. Und jetzt stand er hier und haderte mit seinem Schicksal. Und wofür? "Was ist?" Jason grinste. "Ich hasse dich, weißt du das? Dich und deine juristische Eigenheit andere an die Wand zu reden. Ich hab kein Argument mehr!" "Tja, umso besser!" David verschränkte die Arme hinter dem Kopf und grinste frech. "Vielleicht sollte ich dich erschießen." "Das könntest du nicht, dazu hast du mich zu lieb." "Du bist ganz schön von dir überzeugt." "Eine weitere Grundvoraussetzung für einen Juristen, mein Lieber." Jason wurde wieder ernst. "Würdest du mir einen Gefallen tun?" "Du weißt das ich fast alles für dich tun würde." lächelte David. "Komm bitte mit... zumindest bis in die Nähe der Feier. Ich will nicht allein gehen. Ich weiß, ich hätte Chris bitten sollen, aber heute morgen wollte ich einfach nur allein sein. Und er macht sich solche Sorgen um diesen Jungen, da will ich ihn nicht bitten das Krankenhaus zu verlassen." "Ich komme mit, für dich tu ich das gern. Ich will nur nicht dass Chris mich dann schon hasst bevor ich ihn kennen lerne." "Ganz sicher nicht!" lachte Jason. "Werde ich ihn eigentlich mal zu Gesicht bekommen?" "Worauf du Gift nehmen kannst!" Gut!" David nahm seinen Rucksack vom Boden auf. "Warte nur kurz." Er begann seine Skates zu öffnen und kramte danach ein Paar leichte Turnschuh aus dem Rucksack. "Kriegst du die Dinger da rein?" David rieb sich über den Hinterkopf. "Ja, eigentlich schon." Er holte seine gesamten Utensilien aus dem Rucksack hervor. Eine Zahnbürste, das Haargel, den Rasierer, Aftershave, Jason verkniff sich einen Kommentar beim Anblick der Schachtel mit Kondomen, die auch zum Vorschein kam und grinste nur. David stopfte dann die Rollerblades so gut es ging in den Rucksack und drapierte seine Ausrüstung darum. Als er ihn schloss war der Rucksack prallvoll und deutlich schwerer als vorher. David zog seine Schuhe an und schulterte den Rucksack. Er ächzte beim Aufstehen. Diesmal verkniff sich Jason den Kommentar nicht. "Tja, Alterchen, so ist das, irgendwann kriegt man es im Kreuz!" David funkelte ihn gespielt böse an. "Ich gebe dir gleich von wegen Alterchen! Pass auf sonst kriegst du es ins Kreuz und zwar einen Schlag mit meinem Rucksack!" Jason fing an zu lachen. Als er sich beruhigte lächelte er David an. "Danke..." "Wofür?" "Das du mich zum Lachen gebracht hast." David nickte nur. "Gern geschehen. Wollen wir?" "Von wollen kann keine Rede sein." Doch das Gespräch mit seinem Freund hatte ein paar der Wolken beiseite geschoben, die seine Welt verdunkelt hatten. Ein Silberstreif am Horizont, aber das war schon mal was. Jason hoffte, dass der Stein auf seinem Herzen noch einmal ein bisschen leichter werden würde, wenn er die Pflicht die ihm bevorstand hinter sich gebracht hatte. Er dachte an Chris, der jetzt wahrscheinlich im Krankenhaus war und sich um Marcus sorgte. Vielleicht war er auch schon bei ihm daheim, auch wenn er das für unwahrscheinlich hielt. Er freut sich auf ihn. Er freute sich darauf, ihn zu umarmen und ihm einen Kuss zu geben. In diesem Moment wurde ihm bewusst, wie sehr er sich nach ihm sehnte. Es wurde Abend bevor Jason in sein Apartment zurückkehrte. An der Tür kramte er in seinen Taschen herum auf der Suche nach seinem Schlüssel, bis ihm klar wurde, dass er ihn nicht hatte. Er schlug sich an die Stirn. Ein Gedächtnis wie ein Sieb. Er drückte auf die Klingel. Nichts geschah. Jason kam ein Gedanke. Bei seinem Glück war Chris noch im Krankenhaus und mit ihm seine Schlüssel. Im Notfall konnte er sich vom Portier öffnen lassen. Er betätigte noch ein weiteres mal den Klingelknopf. "Mr. Cunningham?" Jason sah sich um. Ein Stück entfernt stand Mrs. Huber, deren Apartment auf der gleichen Etage lag. Sie war Mitte Vierzig und die Nachrichtenstation des Hauses. Wenn man etwas über die Bewohner erfahren wollte, brauchte man nur sie zu fragen. Es gab nichts was sie nicht erfuhr und mit Freuden weitertratschte. Jason mochte sie nicht wirklich, weil er es hasste, wenn man sich zu sehr in die Angelegenheiten anderer einmischte. "Guten Tag, Mrs. Huber." "Warum klingeln Sie an Ihrer eigenen Tür?" Was geht es dich an, altes Klatschmaul? , war es was Jason dachte. "Ich habe meinen Schlüssel nicht." war was er sagte. "Aber wie wollen Sie dann in die Wohnung kommen, haben Sie seit neustem jemanden bei sich wohnen?" Sie lächelte auf eine gekünstelt mütterliche Weise, was so falsch wirkte, dass Jason beinahe die Augen verdreht hätte. "Haben Sie etwa endlich eine Frau gefunden? Ich habe zu meinem Dan," Das war ihr in Jasons Augen bemitleidenswerter Mann, "schon so oft gesagt, dass Sie so ein netter junger Mann sind und ich einfach nicht begreifen kann, warum Sie nicht längst in festen Händen sind! Und wissen Sie was? Mein Göttergatte meinte, dass Sie vielleicht schwul seien! Das ich nicht lache, habe ich gesagt, Dan, der junge Mann ist ganz sicher keiner von diesen... Schwulen." "Nun, Mrs. Huber, ich..." Jason konnte den Satz nicht beenden, denn in diesem Moment wurde seine Wohnungstür ruckartig aufgerissen und Chris flog regelrecht in seine Arme. Bevor er überhaupt wusste wie ihm geschah fand er sich in einem leidenschaftlichen Kuss mit dem blonden Mann wieder. "Ich hab dich vermisst!" lächelte Chris als er von ihm abließ. "Ich dich... äh... ich dich auch..." stammelte Jason. Von seiner merkwürdigen Reaktion verwundert blickte Chris den Flur hinunter und sah Mrs. Huber, die mittlerweile so weiß wie die Wand war. "Haben Sie ein Problem, Lady? Noch nie schwule Männer gesehen?" Mrs. Huber keuchte und fasste sich an die Brust. "Unerhört!" "Chris, ich glaube wir sollten reingehen." Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen schob Jason seinen Freund mit sanfter Gewalt in die Wohnung. "Einen schönen Tag noch, Mrs. Huber." Doch Chris wand sich aus seinem Griff und streckte den Kopf noch einmal in den Flur. "Und wir werden jetzt gleich Sex miteinander haben!" Jason zog ihn durch die Tür und erhaschte dabei einen Blick auf Mrs. Huber, die ihre Hände vor den Mund gerissen hatten. Dann fiel die Tür ins Schloss. "Was sollte denn der letzte Kommentar?" Jason wusste nicht ob er lachen oder sauer sein sollte. Er entschied sich fürs Lachen. Chris setzte ihm den Zeigefinger auf die Brust und kicherte. "Hör auf dich zu verstecken, Jason! Zeig mal ein bisschen gay pride! Meine Güte, wir sind nun mal schwul, also kann man auch stolz darauf sein!" "Du redest wie David!" lachte Jason. Chris legte den Kopf schräg. "David? Etwa ein Konkurrent, den ich beseitigen muss?" Er rieb sich die Hände. "Ich kenne da ein paar Typen, die stellen keine Fragen und dann wird man nie wieder was von einem David hören." Er lachte gespielt teuflisch. Jason konnte nicht mehr. Er zog Chris an sich und küsste ihn zärtlich. "Du bist wundervoll. Deine Laune scheint ja glänzend zu sein." Chris löste sich von ihm, gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann nahm er ihn an die Hand und führte ihn beschwingten Schrittes weiter in die Wohnung hinein. "In Anbetracht der Umstände ist meine Laune wirklich glänzend!" "Was ist passiert?" "Weißt du, ich war bis vor einiger Zeit im Krankenhaus bei Marcus. Heute morgen war es echt schlimm, es geht ihm nicht so gut und dann muss ich auch noch erfahren, dass er sich oft zum Sex ohne Kondom hat überreden lassen! Und das musste ich seinen Eltern mitteilen, die beiden waren am Boden zerstört. Aber ich glaube, ich muss mir überlegen doch an Gott zu glauben, denn was heute passiert ist, kann man eigentlich nur als Wunder bezeichnen. Marcus ist vollkommen gesund! Er hat noch nicht einmal einen Tripper oder so, nichts. Du glaubst gar nicht wie glücklich seine Eltern waren. Und sie werden ihn vollkommen unterstützen! Claire hatte mit ihrem Eindruck über sie recht, sie lieben ihn abgöttisch. Aber das beste kommt noch!" Er klatschte in die Hände wie ein kleines Kind, Jason kam nicht umhin, bei diesem Anblick eine Wärme im Herzen zu spüren, die er schon lange nicht mehr empfunden hatte. Chris so glücklich zu sehen war ein wundervoller Anblick, der sämtliche Sorgen und dunklen Wolken wie ein Wirbelwind davon fegte. Chris ließ ihm kaum Zeit, denn er plapperte gleich weiter. "Sie haben nichts dagegen, wenn ich zu ihm Kontakt halte. Ich habe die Handynummer des Vaters und ihre Privatnummer. Sie sind dankbar, dass ich mich so um ihn gekümmert habe und ihm klar gemacht habe, was für ihn auf dem Spiel steht. Und noch besser!" "Noch besser?" unterbrach ihn Jason mit einem schelmischen Grinsen. "Ja, noch besser! Ich weiß in welche Entziehungsklinik er kommen wird! In eine renommierte Klinik in Oakland. Das heißt ich muss nur über die Oakland Bay Bridge um zu ihm zu kommen... natürlich müsste mich mein starker Freund," er strich Jason über die Brust, "der soviel Eindruck auf Marcus gemacht hat, dann ab und zu fahren, da ich ja weder Führerschein noch Auto besitze!" Die Oakland Bay Bridge war die Verbindung zwischen San Francisco und der Stadt Oakland. Die Brücke war zweistöckig, auf der einen Etage fuhr man Richtung Oakland, auf der anderen Richtung San Francisco. Bei den berüchtigten Erdbeben, welche die Stadt immer wieder mal erschütterten war es dort bereits zu einige Zwischenfällen gekommen. Zuletzt hatte es Ende der 80er Jahre eine große Katastrophe gegeben als während eines Erdbebens die obere Spur der Brücke zusammenbrach und auf die untere stürzte. Die Autofahrer auf der unteren Spur waren dadurch im wahrsten Sinne des Wortes zerquetscht worden. Seitdem war nichts mehr passiert, die Brücke war wieder aufgebaut und verstärkt worden, damit etwas ähnliches nicht noch einmal geschehen konnte. "Ich hab Eindruck auf ihn gemacht?" grinste Jason. Chris nickte. "Er ist ein Teenager, Jason, was erwartest du? Als seine Eltern kurz weg waren um mit den Ärzten zu reden hat er mich gefragt wie groß du bist." "1,92 m warum?" Chris senkte den Kopf und blickte Jason von unten an. "Süß, mein Freund das naive Engelchen." Jason öffnete den Mund um etwas zu sagen. Doch in diesem Moment wurde ihm bewusst, was Chris meinte. "Jesus, was für ein Früchtchen!" "Tja!" lachte Chris. "Hat aber lange gedauert." "Was hast du ihm gesagt?" "Das ein Gentleman genießt und schweigt. Was dachtest du?" "Ich traue dir einiges zu." "Tust du das? Ich hätte ja auch sagen können, dass du..." "Schluss jetzt!" lachte Jason und packte Chris um ihn zu kitzeln. Der blonde Mann wand sich kichernd und lachend. "Ich gebe auf! Ich gebe auf!" Jason hob ihn hoch und warf ihn sich über die Schulter, Chris war nicht zu schwer. Er strampelte. "Hey! Was wird das?!" "Der Sieger nimmt den Verlierer gefangen!" "Kriege ich keine Gnade?" Jason ließ ihn sanft auf die Couch gleiten und beugte sich über ihn. "Meinst du, dass du Gnade verdient hast?" Chris nickte und grinste frech. "Na dann." Jason gab ihm einen zarten Kuss. "Ich liebe dich." Chris sah ihn für einen Moment lang an. Seine blauen Augen leuchteten. "Ich dich auch." Er ließ seine Hand über Jasons Hinterkopf gleiten und kraulte ihm sanft über den Nacken. "Ist das ein Verführungsversuch?" "Vielleicht..." "Bist du dazu in der Stimmung?" "Im Moment wünsche ich mir nichts sehnlicher, als in deiner Nähe zu sein. So nah es geht. Ich will dich spüren, dich schmecken, dich atmen." "Du bist ja ein Poet." "Das täuscht, wenn ich in deiner Nähe bin, werde ich eher zum Trampel." "Das stimmt nicht." lächelte Chris und zog Jason zu sich hinunter. "Und jetzt ist genug geredet worden." Damit versiegelte er Jasons Lippen mit einem innigen Kuss. Jason saß aufrecht im Bett und hatte sein Kissen als Stütze im Rücken aufgestellt. Er hatte die Decke bis zum Bauch hochgezogen. Chris' Kopf ruhte auf seinem Schoß, Jasons Finger spielten beiläufig mit einzelnen Strähnen seines blonden Haares. Jasons kräftige Brust glänzte verschwitzt. Er hatte die Augen geschlossen und hörte Chris' gleichmäßigem Atem zu. Ganz leise hörte man von draußen die Geräusche der Stadt. Es war mittlerweile dunkel geworden. "Woran denkst du?" "An nichts..." "Das glaube ich dir nicht..." lächelte Chris. "Lüge niemals einen Mann an, mit dem du gerade Sex hattest." "Was ist das denn für eine Weisheit?" "Eine von mir." lachte Chris. "Ach, ich denke an das was heute passiert ist und an die Veränderungen die auf uns zukommen." "Wirst du nach einem Orgasmus immer philosophisch?" grinste Chris. Seine Hand glitt unter die Decke und strich über Jasons Oberschenkel. Die Berührung war so zärtlich, dass Jason eine Gänsehaut bekam. "Mal ernsthaft. Ich war heute bei Randys Exfrau und seiner Tochter und hab ihnen alles gesagt... Seine Tochter hat mich angeschrieen, dass das nicht wahr wäre. Und seine Ex hat angefangen zu weinen. Sie hatten eine schmutzige Scheidung und trotzdem hat sie angefangen zu weinen. Ich musste da weg. Und danach war ich auf dem Department. Ich hab mit Claire gesprochen. Wusstest du, dass auf dieses Schwein ein Kopfgeld ausgesetzt worden ist? Das fällt jetzt mir zu, ein ganz schöner Haufen Geld. Ich weiß noch nicht einmal ob ich es annehmen soll..." Chris setzte sich abrupt auf. "Wieso das denn nicht?" "Ich hab das Gefühl, dass das Geld schmutzig ist. Es klebt Randys Blut daran!" "So ein Unsinn! Rede nicht so einen Quatsch! Du hast diesen Kerl zur Strecke gebracht und das nicht auf Randys Kosten. Randys Tod ist tragisch, aber nicht deine Schuld das musst du begreifen. Bitte..." Jason ließ seine Hand liebevoll über Chris' Wange gleiten, über die ohne Bluterguss. "Warum sagst du das so flehentlich?" Chris nahm Jasons Hand und hielt sie an seiner Wange, er schloss die Augen und schmiegte sich daran. "Weil ich es nicht ertrage, dass du dich quälst." "Tut mir leid..." Jason zog die Hand weg und stand auf. Chris musterte seinen nackten Freund im Gegenlicht, die breiten Schultern, die schlanken Hüften, die kräftigen Oberschenkel. "Du bist unglaublich..." Jason wandte sich um. "Was meinst du?" Chris lehnte sich in den Kissen zurück und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Du bist unglaublich schön, Jason, weißt du das?" "Ist das dein Beitrag zum Thema Schuldgefühle?" Chris stand ebenfalls auf. "Nein, mein Beitrag dazu ist das." Er kam auf Jason zu, umarmte ihn und stellte sich ein wenig auf die Zehenspitzen um ihn zu küssen. Nur auf die Lippen, zart und kurz. "Du bist der sensibelste Mann, den ich je kennen gelernt habe und ich glaube gerade deswegen habe ich mich in dich verliebt. Wenn du könntest, würdest du die Last der ganzen Welt auf deine Schultern nehmen, nur um es anderen schöner zu machen. Aber zuviel Altruismus ist auch nicht gut, Jason. Du trägst keine Schuld an Randys Tod." "Das weiß ich." "Das klang ja sogar überzeugt!" stellte Chris erstaunt fest. "Ich habe heute im Park David getroffen und er hat das gleiche gesagt." Chris stemmte die Hände in die Hüften. "Schon wieder dieser David. Allmählich wird mir das suspekt!" Diesmal schwang kein Spaß in seiner Stimme mit, er schien tatsächlich eifersüchtig zu sein. "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich hab ihn zufällig getroffen. David ist mein bester Freund." "Schwul?" "Ja... ist er.." "Aha!" Chris drückte ihm den Zeigefinger gegen die Brust und triumphierte wie Sherlock Holmes der gerade einen schwierigen Fall gelöst hatte. "Also ist er doch gefährlich." "Nein... ist er nicht..." Jason druckste herum. "Ich will ehrlich sein, ich hab mit ihm geschlafen, aber rein platonisch... ich weiß das klingt merkwürdig, aber David nennt das einen Fuck Buddy." Chris zuckte mit den Schultern. "Einen Fick Freund, was ist daran merkwürdig? Hatte ich auch schon, mit sechzehn." Jason setzte sich aufs Bett und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. "Ich glaube ich bin verklemmt... ich hielt das für ungewöhnlich. Aber wie auch immer... es ist vorbei und zwar seit dem Moment, als ich ihn im Bett Chris genannt habe... das war an dem Abend wo du dich ausgeknockt hast, das war ich vorher bei ihm." Chris schaute ihn verdutzt an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Sein ganzer Körper wurde vom Lachen geschüttelt, er hielt sich den Bauch und lachte so heftig, dass ihm eine Träne über das Gesicht lief. "Was hast du denn plötzlich?" Jasons Stimme klang leicht beleidigt. Chris schnappte nach Luft, als er sich langsam beruhigte. "Tut mir leid! Aber du bist so süß! Du schaffst es immer wieder dich in peinliche Situationen zu bringen." "Merkst du das erst jetzt? Aber glaube mir, David ist keine Gefahr für dich. Ich mag ihn verdammt gern, er hat mir wahnsinnig viel geholfen als ich hierher kam und ich kann ihn aus meinem Leben nicht mehr wegdenken, aber es gibt einen Unterschied bei den Gefühlen, die ich für ihn als meinen besten Freund und für dich, als den Mann den ich über alles liebe, habe." Chris setzte sich neben ihn und lehnte den Kopf an seine Schulter. Jason nahm ihn liebevoll in den Arm. "Ich weiß. Entschuldige, wenn ich ein bisschen paranoid reagiert habe. Aber ich neige zu Minderwertigkeitskomplexen..." Er schloss die Augen. "Ich weiß eh nicht... ob wir nicht einen Fehler machen..." "Was meinst du?" "Die gleiche Chose wie immer. Was bin ich denn schon? Willst du deinen Eltern irgendwann einen Strichjungen vorstellen?" "Ist ja wohl klar, dass du damit aufhörst!" bestimmte Jason. "Ich will mich nicht von dir aushalten lassen!" "Das sagt doch auch gar keiner. Wir finden schon einen Job für dich." "Ja..." Chris klang resigniert. "Als Müllmann vielleicht...." "Übertreib nicht gleich. Warte es doch erst einmal ab. Ich sehe ja gar nicht ein, dass wir, nach allem was wir in New York und hier durchgemacht haben, unserer Beziehung jetzt keine Chance geben! Zusammen kriegen wir das hin!" "Sag mal, gerade eben warst du noch mies drauf und jetzt sprühst du vor Enthusiasmus und Optimismus, das wirkt etwas schizophren." "Das hat nichts mit Schizophrenie zu tun, sondern mit dir. Ich bin selbst manchmal pessimistisch, aber wenn ich in deine Augen sehe, sehe ich die Zukunft. In deinen Augen liegt ein Glanz, der mir die Kraft gibt, mich allem zu stellen!" Chris sah ihn vollkommen perplex an. "Du bist..." "Schmalzig?" "Nein, umwerfend war das Wort nach dem ich gesucht habe. Du bist unglaublich. Wie habe ich dich verdient?" "Ich frage mich ebenso wie ich dich verdient habe. Weißt du was? Ich denke, es ist Zeit das wir vergessen und von vorne anfangen. Lass uns den Mist in New York vergessen und die letzten Tage hinter uns lassen. Lass uns einfach ganz von vorne anfangen. Keine Lügen, keine Geheimnisse. Ich bemühe mich, dazu zu stehen das ich schwul bin, du hörst auf, dich zu prostituieren. Ich möchte mein Leben mit dir verbringen, für immer bei dir sein, morgens neben dir aufwachen und abends mit dir zusammen einschlafen. Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben so starke Liebe empfunden wie für dich. Und ich denke wirklich, dass wir alles zusammen schaffen können. Also, was sagst du?" Chris zögerte keine Sekunde. Er warf sich in Jasons Arme und drückte sich an ihn. "Ja! Auf jeden Fall! Ich liebe dich auch!" Jason hielt Chris fest, die ganze Nacht. Als Chris schon längst in seinem Arm eingeschlafen war, lag Jason noch eine ganze Zeit wach und musterte ihn. Ihn, seinen blonden Engel. Er würde endlich sein Versprechen halten können und Chris ein neues Leben ermöglichen. Es würde schwer werden, dessen war er sich sicher. Auf ihn kamen große Veränderungen zu und er musste immer noch mit dem Tod von Randy klarkommen. Aber er hatte Chris, er hatte David und er hatte sich selbst. Er würde es schaffen, auf jeden Fall. Als Jason in dieser Nacht einschlief, war er so glücklich wie noch nie in seinem Leben. Auch für ihn begann ein neues Leben, ein neues Leben an der Seite von Chris. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Was habe ich mir dabei eigentlich gedacht? Dieses Kapitel gefällt mir gar nicht, aber ich weiß auch nicht wirklich, was ich noch verändern sollte, ohne es ausufern zu lassen. Alles geht in meinen Augen zu schnell, im Schweinsgalopp sozusagen ;-) Marcus' und Randys Geschichte elegant in einem Kapitel enden zu lassen und gleichzeitig Jason und Chris endgültig zusammenzuführen und einen Auftritt von David einzubauen, das war nicht wirklich leicht. Eigentlich hatte ich noch eine Szene zwischen Marcus und Chris im Kopf und wollte ausführlich beschreiben, wie Jason Randys Exfrau über dessen Tod aufklärt, aber das Kapitel ist schon so in Word über 10 Seiten lang. Aber noch ein Kapitel dafür aufzuwenden war mir um ehrlich zu sein zuviel. Ich habe zu viele Ideen im Kopf, für David, für Jason und Chris, für den neuen Charakter, da konnte und wollte ich mich nicht länger an den Nachwirkungen der Mörderstory aufhalten. Fans von Marcus brauchen keine Angst haben, auch wenn er nun fürs erste nicht mehr persönlich auftreten wird, so wird er doch nicht aus der Story verschwinden. Aber ein Teenager passte leider nicht wirklich in die Geschehnisse die ich noch plane, daher ist er fürs erste raus ^^ Ich schreibe dieses Nachwort um 01.52 Uhr am 03.02.2005... ich bin seit knapp zwei Stunden 22 Jahre alt ^^ Auch was wert ^^ Also weiter im Text, das nächste Kapitel beginnt mit einem Zeitsprung von ein paar Monaten und wird eine Menge Veränderungen bringen. Ich freue mich drauf und ich hoffe, dass ihr dieses Kapitel nicht allzu langweilig fandet. Es juckt mich schon in den Fingern das nächste Kapitel anzufangen, aber nicht mehr heute, ich bin zu müde. *gähn* Kapitel 9: You're welcome a.k.a. Size doesn't matter... right? -------------------------------------------------------------- "Verdammt, warum hast du mich nicht geweckt?" Jason kam mit der Zahnbürste im Mund in die Küche gerannt. Chris stand am Herd und machte Rührei. Er streute gerade gehobelte Petersilie in die Pfanne. "Du hast so niedlich ausgesehen im Schlaf!" "Oh ja!" nuschelte Jason mit der Bürste im Mund, bevor er die Zahnpasta kurzerhand ins Spülbecken spuckte und sich dort den Mund ausspülte. "Und wie niedlich ich erst aussehen werde, wenn ich zu spät komme... mal wieder. Und das ausgerechnet heute!" "Ach ja, heute ist ja der große Tag." Fast fünf Monate waren seit jener Nacht vergangen, in der sich Jasons und Chris' Leben vollkommen verändert hatte. Und es hatte sich um einiges mehr verändert als Jason zunächst gedacht hatte. Nachdem Mrs. Huber Chris und ihn beim Küssen gesehen hatte, hatte sie diese Neuigkeit im ganzen Haus herumgetragen. Und bald war die Wohnqualität merklich gesunken. Jason wurde von vielen Nachbarn nicht mehr gegrüßt, eine Frau bat ihn gar, doch bitte nicht mehr mit ihrem kleinen Sohn zu sprechen. Wenn er oder Chris durch die Eingangshalle gingen, wurde hinter ihrem Rücken geflüstert. Eines Tages hatte Chris sich nicht mehr zurückhalten können und die Nachbarn, die gerade an den Briefkästen waren, einfach angesprochen, was denn ihr Problem sei und dass sie es ihm wenn schon ins Gesicht sagen sollten. Und Mrs. Sanderson aus dem dritten Stock hatte ihm dann klipp und klar gesagt, dass jemand wie er und wie Jason in einem ehrbaren Haus wie dem ihren nichts verloren hätten. "Ich kam mir vor wie Schwulenstein, dass die nicht mit Fackeln und Mistgabeln hinter mir her waren, war aber auch alles." hatte Chris damals gesagt. In diesem Moment hatte Jason einen Entschluss gefasst und endlich einen guten Verwendungszweck für die ansehnliche Summe gefunden, die er als Kopfgeld für den "Ripper von Frisco" erhalten hatte, wie er später von den Boulevard Blättchen der Stadt genannt worden war. Die Hälfte hatte er Randys Exfrau für die Ausbildung ihrer Tochter gegeben, die ganze Summe hatte sie nicht annehmen wollen. Er und Chris waren umgezogen, so schnell es ging. Jason hatte für sich und Chris mit dem restliche Geld und dem was er durch den Verkauf seiner Wohnung bekommen hatte eine dieser wundervollen viktorianischen Häuser gekauft, für die San Francisco so berühmt war. Eine Mischung aus Halliwell Manor, das die Schwestern in "Charmed" bewohnten, und dem Haus der Familie Tanner aus "Full House", komplett mit Erker. Das zweistöckige Haus war in Weiß- und Gelbtönen gehalten, nach vorn hin musste man eine Treppe zum Eingang hinaussteigen, da der mit Wildblumen bewachsene Vorgarten leicht anstieg. Hinter dem Haus erstreckte sich ein umzäunter Garten mit einem Teich. Chris war hin und weg gewesen von der bereits bestehenden Gartenanlage. Unter einer alten Eiche lud eine Bank zum Ausruhen ein und die Terrasse hinter dem ans Wohnzimmer angrenzenden Wintergarten mit seinen alten Buntglasfenstern säumten farbenfrohe Blumenbeete. Ein Kiesweg führte zu einem kleinen Geräteschuppen am anderen Ende des Gartens. Die Küche in der Jason und Chris sich gerade befanden war ein heller Raum mit hoher Decke. Die Einrichtung war in einem warmen Sandton gehalten, kombiniert mit rustikalen Arbeitsflächen aus Buchenholz, die Hängeschränke an den weißen Wänden hatten allesamt Glastüren. Die Mitte des Raumes dominierte eine vom Rest der Küche freistehende Insel, die gleichzeitig einen Herd und eine Arbeitsfläche bot. Darüber hingen an Holzleisten diverse Löffel, Töpfe und Pfannen, über dem Herd befand sich eine Abzugshaube aus Edelstahl. Unter den großen Fenstern zum Garten stand der rustikale Esstisch mit vier Stühlen. Chris hatte zwei Gedecke aufgetragen. Ein Korb mit Brot stand ebenfalls dort, diverse Marmeladen und ein Glas Marshmallow Fluff, ein extrem süßer Brotaufstrich, bei dem man das Gefühl hatte, dass Innere eines Negerkusses auf seinem Brot zu verteilen. Jason hatte nie Geschmack daran gefunden, aber ab und an hatte er Chris sogar schon erwischt, wie er mit einem Löffel das Fluff direkt aus dem Glas aß. Seine Augen begannen eher zu leuchten, als er die Donuts auf einem kleinen Teller entdeckt. Die Teigringe waren leuchtend rosa, eine Erdbeerglasur, und sicher auch noch mit Erdbeergelee gefüllt. Eine Sünde, die es wirklich wert war. "Setzt dich, das Rührei ist gleich fertig, genau wie du es magst." Jason hatte sich bereits eine Tasse Kaffee eingeschüttet und stürzte das Getränk so schnell es die Temperatur erlaubte herunter. Chris' Kaffee war um ein vielfaches besser als das Gesöff im Department, deswegen wollte er wenigstens eine Tasse trinken. Er langte nach einem Donut, bevor er mit der Tasse in der Hand Richtung Tür ging. Auf dem Weg kam er an Chris vorbei und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. "Sei nicht böse, aber ich hab keine Zeit. Ich sollte schon längst unterwegs sein. Für so ein tolles Frühstück hättest du mich eher wecken müssen." Chris verdrehte die Augen und nahm die Pfanne von der Platte. "Na dann hau schon ab. Esse ich das gute Ei eben allein, damit du es weißt!" Er grinste und streckte Jason die Zunge raus. Dieser stellte die halbleere Tasse auf die Ablage. "Du bist ja wirklich unerbittlich! Bis nachher dann. Ich gehe nach der Arbeit noch mit David ins Fitnessstudio, ich will ja nicht weich werden, wenn ich schon andauernd diese Dinger esse!" Er hob mit der rechten Hand den Donut und klopfte sich mit der linken auf den Bauch. Chris trat zu ihm und schob ihm die Hand unter das Shirt. "Du bist ganz sicher nicht weich." Seine Finger glitten über Jasons Waschbrettbauch. "Nein, wenn du so weiter machst bin ich bald überall hart, aber dafür ist keine Zeit, mein Engel. Das werden wir verschieben müssen." Jason hatte irgendwann damit begonnen, Chris seinen Engel zu nennen. Chris hatte das zuerst ein wenig beschämt, aber mittlerweile genoss er diese Liebesbekundung sehr. Chris ging einen Schritt zurück. "Zu schade. Na ja, wenn ich nachher von der Arbeit heimkomme, werde ich sehnsüchtig auf dich warten." "Du hast heute Mittagsschicht, oder?" Chris nickte. Er hatte einen Job bei IHoP angenommen, dem "International House of Pencakes", einer Restaurantkette die sich vollkommen auf sämtliche Arten von Pfannkuchen spezialisiert hatte. Sein Job brachte nicht umwerfend viel Geld, aber es war ein Anfang und gab ihm das Gefühl, seinen Teil beizusteuern. "Ich muss los." "Ja, verschwinde schon und kämpfe für Recht und Ordnung." lächelte Chris. Er tat fröhlich, aber Jason wusste genau, dass er immer Angst um ihn hatte. Unwillkürlich musste er an seine Mutter denken, die sich immer um seinen Vater gesorgt hatte. Beim Gedanken daran fiel ihm siedendheiß etwas ein. "Fuck! Am Wochenende kommen ja meine Eltern!" Obwohl es ihm furchtbar schwer gefallen war, hatte Jason seine Familie zur Besichtigung des neuen Hauses eingeladen und wollte ihnen bei dieser Gelegenheit Chris vorstellen und reinen Tisch machen. Chris winkte ab. "Keine Panik, ich kümmere mich um die Einkäufe und ich besorg auch die Dekoration für Freitag. Obwohl ich es nicht gerade glücklich finde, dass wir Freitags eine Party geben und Samstag schon deine Eltern hier eintreffen." Freitag war Halloween und Jason und Chris hatten schon seit längerem beschlossen, an diesem Tag eine Housewarming Party, die obligatorische Einweihungsparty für das neue Haus, zu geben und sie mit dem Spukfest zu verbinden. Das dann auch noch an diesem Wochenende die einzige Möglichkeit für Jasons Eltern und Bruder war, für ein paar Tage vorbei zu kommen, damit hatten sie nicht gerechnet. Aber die Einladungen waren bereits raus, der Partyservice bestellt, sie mussten da jetzt durch. "Was würde ich ohne dich tun?" "Noch öfter zu spät kommen?" Jason sah auf die Uhr und kniff die Augen zusammen. "Oh, fuck! Und ich rede die ganze Zeit!" Er steckte sich den Donut in den Mund um die Hände frei zu haben und hechtete in den Flur. "Bis später, du Chaot!" "Bif päter, Fatz!" rief Jason, offenbar noch immer mit dem Donut im Mund, bevor die Haustür ins Schloss fiel. Chris goss sich auch einen Kaffee ein und schichte Rührei auf seinen Teller. Er nahm am Fenster Platz und sah in den Garten hinaus. Die Blätter an den Bäumen färbten sich bereits langsam, der Herbst hielt Einzug. Schön war, dass es im September und Oktober in San Francisco durchschnittlich am wärmsten war, die Durchschnittstemperatur lag am Tage bei 20,5 Grad und das Wasser in der Bay war um diese Jahreszeit auch am wärmsten. Erst im November sank die Temperatur allmählich und die Regentage im Monat wurden häufiger. Trotz allem hatte San Francisco ein wunderbar ausgeglichenes Klima, das nur selten in Extreme verfiel. Doch der Anblick der sich färbenden Blätter machte Chris ein wenig sentimental. Sein Leben hatte sich in den letzten Monaten so wundervoll entwickelt, dass er es immer noch nicht glauben konnte. Chris beobachtete einen Vogel, der am Rand des Gartenteichs badete. Er lächelte, dann schob er den Teller mit dem Rührei weg, nahm einen Löffel, öffnete das Glas mit dem Fluff und schob ihn entschlossen hinein. Er hatte ihn gerade in den Mund genommen und schleckte die zähe Masse genüsslich ab, als das Telefon klingelte. Es hing an der Wand neben der Tür zum Esszimmer, mit einem extralangen Kabel. Chris eilte hin und hob den Hörer ab. "Fairgate." Ein Lächeln erhellte sein Gesicht, als er hörte wer am anderen Ende der Leitung war. "Marcus! Wie geht es dir?" Jason betrat im Laufschritt das Großraumbüro des Departments. Er war viel zu spät dran. Vor seinem Büro stand Deputy Mayer und grinste ihn an. "Guten Morgen, Jason!" Er hielt ihm grinsend eine Akte entgegen. "Wisch dir das Grinsen aus dem Gesicht, Jim! Ich weiß selbst, dass ich zu spät bin. Ist das die Akte vom Neuen?" "Ja, die Überraschung wartet in deinem Büro." "Er ist nicht von hier, oder?" Jim nickte. "Du solltest dich ranhalten." Jason hatte ihm vor kurzem das Du angeboten. Jason nickte und warf einen Blick auf die Akte. "Ashton? Ist das nicht ein Frauenname?" Jim zuckte mit den Schultern. "Na ja, relativ ungewöhnlich, aber dir müsste doch auch Ashton Kutcher was sagen, oder?" "Auch wieder wahr. Na ja, mal abwarten was das für einer ist. Hast du ihn schon gesehen?" "Nein, bisher nicht." "Dann wünsch mir mal Glück." Jim klopfte ihm auf die Schulter und ging. Jason atmete tief durch und öffnete die Tür zu seinem Büro. Auf den ersten Blick war niemand da. Jason schloss die Tür. In diesem Moment drehte sich sein Schreibtischstuhl herum, bisher hatte er nur die Rückenlehne sehen können. "Detective Cunningham, nehme ich an." Jason wollte etwas sagen, aber nur sein Mund öffnete sich, kein Laut kam hervor. Die tiefe, melodische Stimme gehörte einem fleischgewordenen Traum. Anders konnte man den jungen Mann nicht beschreiben, der sich gerade erhob. Er war groß, mindestens so groß wie Jason und muskulös. Sein Oberkörper hatte eine perfekte V-Form, breite Schultern, eine kräftige Brust und schmale Hüften. Sein Haar war dunkelblond und passte gut zu seiner gebräunten Haut. Seine Frisur war wild, sie erinnerte Jason auf den ersten Blick an Colin Farrell. Am faszinierendsten waren aber seine Augen. Sie waren geradezu unverschämt blau und schienen unendlich tief, so wie ein Ozean. Jason musste sich gewaltsam zwingen, ihn nicht zu sehr anzustarren. "Detective?" Jason erwachte wie aus einem Traum, er war für einen Moment vollkommen perplex vom Anblick des Mannes gewesen. "Äh, sorry, ja, ich bin Jason Cunningham." "Schön Sie kennen zu lernen, Detective. Ashton Tallman. Aber ich denke, dass wissen Sie schon." Er streckte die Hand aus. Jason hatte fast Angst sie zu ergreifen. Sein Händedruck war fest und ehrlich. "Es tut mir leid, dass ich Ihren Stuhl benutzt habe, aber ich habe mein Büro noch nicht bezogen. Ich wollte nur mal Probesitzen." "Kein Problem." Jason hoffte, dass er nicht zu sehr starrte. Dieser Mann war umwerfend attraktiv. "Gibt es ein Problem?" "Nein... ich meine ich... warum?" Ashton lächelte. "Nun, Sie scheinen etwas verstört zu sein." Jason fühlte sich ertappt. "Nun... ich äh... ich hab nur... ihre Augen." Er wurde rot. Ashton lächelte unverwandt und zeige dabei seine perfekten, weißen Zähne. "Freut mich, dass sie Ihnen gefallen. Obwohl es mich ein wenig verwundert, dass Sie zunächst auf meine Augen geschaut haben." "Was soll das denn bedeuten?" Jasons Ton wurde lauernd. Ashton hob die Hände und ließ keine Sekunde sein entwaffnendes Lächeln schwinden. "Keine Angst, das war keine Beleidigung oder so. Natürlich bin ich darüber informiert, dass Sie schwul sind und ich dachte, Ihnen würde an mir etwas anderes mehr gefallen als meine Augen." Jason spürte wie seine Hände feucht wurden, er wurde nervös. Eine so direkte Ansprache dieses Themas hätte er nicht erwartet und schon gar nicht so eine direkte Anspielung auf den Körperbau seines Gegenübers. Er wusste nicht genau wie er reagieren sollte, aber in diesem Moment erinnerte er sich an sein Versprechen Chris gegenüber, zu ihm zu stehen, immer und jederzeit. "Nun, ich denke, wenn ich Ihnen Komplimente über Ihre Muskeln machen würde, dann würde das meinem Freund gar nicht gefallen." Er brachte ein Lächeln zustande. "Sie haben einen Freund?" "Ja, ist das ein Problem?" "Hey, nicht so angriffslustig. Ich habe kein Problem mit Schwulen und auch nicht mit ihren Freunden. Jeder sollte so leben wie er will, das ist meine Devise." Er ging um den Schreibtisch herum und legte Jason die Hand auf die Schulter, als er neben ihm war. "Ich werde dann mal mein Büro inspizieren. Auf gute Partnerschaft." Als er schon an der Tür war, nahm Jason all seinen Mut zusammen. "Detective Tallman?" "Ashton oder Ash wenn Ihnen das lieber ist. Ich denke das ist vorteilhafter als die förmliche Anrede." "Also gut, dann bin ich aber auch Jason für Sie." "Wie Sie wünschen, Jason." Für einen Moment verlor Jason durch die Art wie Ashton seinen Namen aussprach vollkommen den Faden. Er musste sich zwingen nicht wild den Kopf zu schütteln, um wieder klar denken zu können. Vor allem da es verdammt unangemessen war, dass er sich von diesem Mann derart hinreißen ließ. Aber einen kleinen Augenblicke der Schwäche, wer konnte sich von so etwas freisprechen, vor allem angesichts eines solchen Mannes? "Wollten Sie noch etwas?" Jason schreckte aus seinen Gedanken hoch und rieb sich unbewusst verlegen mit der linken Hand über den rechten Oberarm. "Ja... ich, ähm, mein Freund und ich geben am Freitag eine Housewarming Party, wir sind umgezogen. Nichts besonderes, ein paar Freunde. Ich dachte, um sich besser kennen zu lernen, wäre es ganz gut. Möchten Sie kommen? Allerdings ist es eine... eine Halloween Party...mit Kostümen..." "Kostümiert?" Jason biss sich auf die Lippe. "Ja... ich weiß, das ist in unserem Alter vielleicht etwas... unüblich..." "Ich finde die Idee toll!" lächelte Ashton. "Ach wirklich?" "Ja, wirklich." Er nickte zur Bestätigung. "Wann? Und mit Begleitung oder ohne?" "Freitag um acht. Und Sie können gerne eine Begleitung mitbringen." "Gut, dann ist das abgemacht. Bis später dann, Partner!" Er grinste und verließ das Büro. Jason ließ sich auf seinen Stuhl fallen und atmete aus. Da hatte er sich ja gleich mal von seiner besten Seite gezeigt. Aber Ashton Tallman hatte ihn wirklich kalt erwischt. Jason streckte sich und in diesem Moment fiel sein Blick auf das kleine Foto in dem silbernen Rahmen auf seinem Schreibtisch. Eine Schwarzweißaufnahme von Chris, die er ihm von seinem ersten Gehalt geschenkt hatte. Sanft ließ er den Finger über das Bild gleiten. Ashton Tallman mochte ein attraktiver Mann sein, aber mehr auch nicht. Auf diesem Bild lächelte die Liebe seines Lebens. Und nichts würde das ändern. "Hast du heute nicht deinen neuen Partner gekriegt?" David zog sich das Handtuch von den Hüften und betrat nackt den Duschraum des Männerumkleideraums des Fitnessstudios. Jason folgte ihm. Es war nicht viel los heute und der Raum war außer ihnen beiden leer. David drückte den Knopf unter einem der metallenen Duschköpfe an der Wand des klinisch weiß gekachelten Raumes und stellte sich unter den prasselnden Wasserstrahl. Jason nahm die Dusche neben ihm. Er fühlte sich auf eine befriedigende Weise erschöpft. David und er hatten ihr Workout aufeinander abgestimmt und es war jedes mal wieder eine schweißtreibende Angelegenheit. Fast so schön wie Sex, wie David oft sagte. Das Wasser war kühl, aber dadurch auch sehr angenehm auf dem erhitzten Körper. David begann sich einzuschäumen. "Ja, hab ich." "Und?" In Davids Stimme schwang unverhohlene Neugier mit. "Wie ist er so?" Er reichte sein Duschgel an Jason weiter, weil der seines in der Eile am Morgen vergessen hatte. "Hmmm...." Jason drückte sich etwas Duschgel auf die Hand und verrieb es auf seiner Brust. "Wie soll ich sagen... nett." "Nett?! Ist das alles?" Jason lachte. "Na gut... stell dir folgendes vor: Eine wilde Frisur á la Colin Farrell, dunkelblond, braungebrannt, Augen, so blau das es schon fast nicht mehr wahr sein kann, wie der Ozean und dabei sehr warm. Ein entwaffnendes, freundliches Lächeln, so groß wie ich und mit dem Körperbau von Brad Pitt zu seinen besten Troja-Zeiten. Dann hast du Ashton Tallman." "Und eine Latte!" keuchte David ungläubig. Jason sah im Affekt an ihm herunter. War wohl nur ein Scherz gewesen, soweit hatte David sich dann doch unter Kontrolle. "Ich war vollkommen perplex als ich ihn gesehen habe." "Mein Gott, du Glückspilz! Selbst wenn der Vorname etwas ungewöhnlich ist, aber schließlich ist auch Ashton Kutcher verdammt heiß!" In diesem Moment betrat ein anderer Mann den Duschraum und ging an den Freunden vorbei. "Wo wir von heiß sprechen..." Jason sah deutlich, wie Davids Augen seinem Weg folgten, er hörte sogar einen Moment auf sich zu waschen. "David?" "Hm?" "Könntest du aufhören anderen Kerlen auf den Arsch zu starren, wenn ich mit dir rede?" flüsterte er. "Sunshine, ich hab nicht auf seinen Arsch gestarrt." gab David ebenso leise zurück. Jason zog die rechte Augenbraue hoch. "Vorne gab es bei dem doch viel mehr zu sehen!" "Spinner! Dann bin ich ja mal gespannt, wie du dich verhältst, wenn du Ashton kennen lernst." "Klär mich auf." David drehte das Wasser ab, Jason tat es ihm nach und gemeinsam gingen sie in den Raum mit den Spinden zurück. "Ganz einfach, ich hab ihn auf die Party eingeladen. Allerdings hat er gefragt, ob er eine Begleitung mitbringen kann. Also hat er wohl eine Freundin." "Oder einen Freund!" grinste David, während er sich abtrocknete. "Dafür spricht eigentlich bisher nichts." "Schade aber auch. So einen wie den würde ich gern vor die Flinte kriegen." Jason musste lachen. "Vor die Flinte? Du redest wie ein Großwildjäger!" "So ist das doch auch beinahe. Wenn du Glück hast, ist die Beute vielleicht sogar mehr als groß." David rieb sich die Haare so gut es ging trocken. "Ich bin mit der Jagd am Ende." "Sunshine, du hast nie gejagt, deine Beute stand von vornherein fest. Läuft es immer noch so gut?" Jason stieg in seine Hose. "Von Tag zu Tag besser. Ich bin unglaublich glücklich. Es ist wunderbar neben Chris aufzuwachen und sich den ganzen Tag auf ihn zu freuen. Selbst einfach nur mit ihm auf der Couch hängen und fernsehen ist wundervoll. Unser Leben könnte nicht besser sein, glaube ich." "Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh mich das macht, das von dir zu hören. Chris ist aber auch wirklich ein toller Kerl. Auch wenn er mir gegenüber erst ein wenig kühl war. Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass du mich gleich als einen Ex-Liebhaber outest!" grinste David. "Na ja, es hat sich doch aber schnell gegeben. Mittlerweile mag er dich total, ich glaube er ist glücklich, endlich mal einen echten Freund zu haben." "Ich hab ihn auch gern. Vor allem weil er dir so gut tut. Du strahlst richtig und es ist toll, wie locker du mittlerweile mit deiner Homosexualität umgehen kannst. Du gehst viel offener damit um." "Ja, nur das mir der schwerste Teil des ganzen noch bevorsteht. Ich sterbe bei dem Gedanken an nächstes Wochenende, wenn Mum, Dad und Gary kommen..." "Das wird schon. Ich glaube nicht, dass deine Eltern ein Problem damit haben." Mittlerweile hatten sie sich komplett angezogen. "Wünscht du dir eigentlich wirklich nie eine Beziehung? Selbst jetzt nicht, wo du siehst wie es bei mir läuft?" David seufzte. "Jason, ich bin nicht der Typ für so etwas, glaube ich." "Wie kannst du das wissen, wenn du doch noch nie eine Beziehung gehabt hast?" "Hör auf mich zu verhören, Detective, ich bin nun mal nicht der Beziehungstyp, vielleicht bin ich ja sogar beziehungsunfähig!" "Wenn du das sagst!" grinste Jason. "Bringst du jemanden mit zur Party?" "Soll ich?" "Wenn du magst." Jason zuckte mit den Schultern. "Aber es sind halt eine Menge Pärchen da, denke ich. Ich hab auch Claire eingeladen, sie kommt extra deswegen nach San Francisco und bringt ihren Freund mit. Du weißt schon, das ist die FBI-Agentin von damals." "Meine Güte, eine Pärchenversammlung. Na gut, dann bring ich eben auch ein Date mit. Ich finde schon jemanden." "Weißt du was?! Fick dich doch! Ich werde es nämlich ganz sicher nicht mehr tun!" David knallte sein Handy auf die Bar. Entnervt warf er sich eine Handvoll Erdnüsse in den Mund. Im Mighty war um diese Uhrzeit so gut wie gar nichts los, aber manchmal mochte David es so. Er ließ die Seiten seines Adressbuchs durch seine Finger gleiten. Er hatte beinahe alle Namen durch und keinerlei Lust weiter zu telefonieren. "Das klang ja heftig." David hob den Kopf. "Hm?" Jeremy schob ihm einen Cosmopolitan hin. "Hier, der geht aufs Haus." David schüttelte den Kopf. "Das ist lieb von dir, aber dafür ist es mir zu früh und ich muss noch fahren. Gib mir eine Cola Light, ja?" "Kalorienbewusst?" grinste Jeremy. David zog sein Shirt hoch. "Das kommt nicht von ungefähr, weißt du?" "Zeig mir nicht deinen Waschbrettbauch oder willst du das ich hier nichts mehr auf die Reihe kriege, weil ich mit einer Latte rumlaufe?" "Bist du so leicht zu erregen?" Jeremy beugte sich über die Bar ganz nah zu David. "Willst du es ausprobieren?" "Leider hab ich keine Zeit dazu. Und wenn ich gefickt werden wollte, dann hätte ich gerade jede Menge Gelegenheiten dazu gehabt. Aber leider brauche ich etwas anderes." Jeremy nahm selbst einen Schluck von dem eben gemischten Cosmopolitan und stellte David eine Cola Light hin. "Probleme?" "Wie man es nimmt." David nippte an seiner Cola. "Ich bin am Freitag auf einer Party bei Jason eingeladen und ich hab keine Begleitung. Mein ganzes Adressbuch ist voller Kerle, aber keiner von denen will mit mir auf eine Kostümparty. Beim Vögeln sind sie alle die ersten, aber wenn es mal um etwas anderes geht haben alle eine wunderbar fadenscheinige Ausrede parat. Und jetzt hab ich keine Begleitung." "Stehe zu Diensten!" "Bitte?" Jeremy lächelte. "Ich sagte ich stehe zu Diensten, wenn du eine Begleitung brauchst. Ich habe am Freitag nichts vor, ich hab schon überlegt die Schicht abends zu übernehmen, aber eine Party fände ich besser." "Dir ist aber klar, dass du dich verkleiden musst, oder?" Jeremy nickte. "Aber sicher. Und wie kommst du?" "Ich weiß noch nicht, ich fahre morgen nach der Arbeit mal in einen Kostümverleih. Ich entscheide das spontan." "Du entscheidest das knapp fünf Tage vor Halloween spontan?" lachte Jeremy. "Sicher. Ich krieg schon was." "Na dann. Also, wann holst du mich ab?" "Du gehst aber ganz schön ran, was?" David nahm noch ein paar Erdnüsse. "Ansonsten kommt man zu nichts im Leben." Jeremy zuckte mit den Schultern und lächelte David frech an. "Also gut, Freitag um halb acht. Dann fahren wir zusammen zu Jason." "Abgemacht! Willst du noch eine Cola?" "Wenn du mich so fragst." David sah Jeremy zu, wie er die Cola einfüllte. Der rothaarige junge Mann war wirklich niedlich. David wusste nicht, ob es gut war, ausgerechnet ihn als Date mitzubringen, aber welche Wahl hatte er schon? Und es hätte ihn wirklich schlimmer treffen können. Als Jason die Tür aufschloss, wurde es draußen bereits dunkel. Er betrat den rustikal eingerichteten Eingangsbereich des Hauses und hängte seine Jacke an die Garderobe. Gerade aus führte ein Durchgang ins Esszimmer, hinter dem die Küche lag. Rechts von ihm befand sich das Wohnzimmer, das unter anderem die neue Heimat von Jasons Fischen geworden war, mit der Verbindung zum Wintergarten über den man ebenfalls ins Esszimmer gehen konnte. Links neben der Tür zur Gästetoilette führte eine Treppe in die erste Etage, mit Jasons und Chris' Schlafzimmer, einem großen Bad, einem Gästezimmer und einem bisher ungenutzten Raum, den Chris zu einem Arbeitszimmer erklärt hatte. Hier konnte Jason seine Ruhe haben, wenn er mal Arbeit mit heim brachte. Zudem besaß das Haus noch einen geräumigen Dachboden. "Chris?" Jason streckte den Kopf ins Wohnzimmer, aber alles war leer. "Ich bin oben!" kam die Antwort. Jason stieg die Treppe hinaus. Oben war alles dunkel, nur seine Schlafzimmertür stand auf und flackerndes Licht drang heraus. Jason trat näher. Das Schlafzimmer war groß und hell eingerichtet. Helle Buchenholzmöbel, halbdurchsichtige Vorhänge vor den Fenstern mit den Buntglaseinsätzen, die im Sonnenlicht farbige Muster auf den Boden malten. Das Haus war bereits alt aber in fabelhaftem Zustand. Ein echtes Schmuckstück, in das sich sowohl Jason als auch Chris auf Anhieb verliebt hatten. Jetzt jedoch waren die Vorhänge zu gezogen und der Raum wurde nur von einer Vielzahl von Kerzen erleuchtet. Rosenblüten lagen auf dem Bett verteilt und im Licht der Kerzen schimmerte goldener Champagner in zwei Gläsern auf Jasons Nachttisch. Chris lag auf dem Bett, nur in seinen schneeweißen Satinbademantel gehüllt, der am Oberkörper weit auseinander klaffte und seine Brust entblößte. Er lächelte Jason an. "Hallo, Süßer." Jason lehnte sich an den Türrahmen und ließ die Szenerie erst einmal auf sich wirken. "Was wird denn das?" grinste er. "Darf man dich nicht mal überraschen?" Chris Stimme klang verrucht, Jason wunderte sich immer wieder darüber, wie gut sein Freund Sexappeal in seine Stimme legen konnte. "Kerzen, Rosenblüten, Champagner und du in einen Hauch von nichts... und das so völlig ohne Anlass... du willst doch was." Chris stand auf und kam auf Jason zu. Während er sich ihm näherte, schob er lasziv, ohne seine Augen von denen Jasons abzuwenden, erst die linke, dann die rechte Schulter seines Bademantels herunter, so dass der weiße Stoff mit einer fließenden Bewegung von seinem Körper glitt und ihn nackt im Kerzenlicht zurückließ. Jason bekam bei diesem Anblick eine Gänsehaut, soviel Erotik lag in diesem kurzen Augenblick. Chris hatte ihn erreicht und strich ihm sanft mit der Hand über die Brust und ließ sie dann wie vollkommen nebensächlich in Jasons Schritt hinab gleiten, bevor er den Saum von Jasons Shirt hochzog. Dieser hob die Arme und ließ Chris so seinen Oberkörper entkleiden. Chris schmiegte sich an Jasons nackte Brust und hauchte Küsse auf seine Haut. "Ja... ich will dich..." Er nahm Jason bei der Hand und führte ihn zum Bett. "Wenn das so ist..." lächelte Jason und ließ ihn unter langen Küssen auf die Laken gleiten... Chris stand vor dem Spiegel im Badezimmer und band sich seine Haare zu einem Pferdeschwanz. Da Jason seine lange Haare sehr mochte, hatte er sie noch ein ganzes Stück länger wachsen lassen in den letzten Monaten. Der Raum war in hellen Blau- und Grüntönen gehalten und maritim mit Muscheln und Fischen dekoriert, das war Chris' Idee gewesen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Jason in der Duschkabine. Es war selten, dass er den aktiven Part übernahm, normalerweise war das Jason, aber manchmal genoss er den Rollentausch. Er nahm einen Flakon aus dem Spiegelschrank und sprühte sich ein wenig Parfüm auf den Hals. Jason drehte das Wasser ab und trat aus der Duschkabine. Chris lächelte unwillkürlich beim Anblick seines unbekleideten, nass glänzenden Freundes. Er selbst war auch immer noch nackt. Jason stellte sich hinter ihn und legte die Arme um ihn. "Hey, du machst mich ganz nass!" "Ich trockne dich ab, wenn du mir endlich sagst, was du von mir willst." Er gab Chris einen Kuss auf den Nacken. "Warum denkst du, dass ich etwas will." "Weil ich dich kenne, mein Engel!" Chris lachte und drehte sich in Jason Umarmung herum. "Na gut, ich gebe auf. Ich will wirklich etwas, aber es ist nichts schlimmes, wirklich nicht." "Dann sag es endlich." Chris senkte den Blick. "Ich hab noch jemanden für Freitag eingeladen." "Ich auch." Chris sah ihn erstaunt an. "Ach ja?" "Ja, meinen neuen Partner, damit wir uns besser kennen lernen können, aber jetzt lenk nicht ab, raus mit der Sprache, wen hast du eingeladen?" "Nun ja, du müsstest unseren Gast abholen, er müsste ein paar Tage bei uns wohnen, aber wir haben ja ein Gästezimmer. Es ist auch kein Problem ihn zu holen, du musst nur kurz nach... nach Oakland fahren." Zum zweiten Mal an diesem Tag ruckte Jasons Augenbraue hoch. "Oakland?" Chris nickte. "Ich hab Marcus eingeladen." "Und seine Eltern sind damit einverstanden?" Chris löste sich von ihm. "Sie sind einverstanden, ich hab mit seinem Vater telefoniert. Er hat sein Okay gegeben, weil ich mich damals um Marcus gekümmert habe und ich denke vor allem weil er weiß, dass du ein Cop bist. Da kann er sicher sein, dass es auf dieser Party weder eine wilde Orgie gibt, noch Drogen oder Alkohol für Marcus. Er ist nämlich seit dieser Nacht damals clean und seine Eltern sind total stolz auf ihn." "Und du sicher auch, oder?" "Ganz ehrlich, ja! Und ich will ihn unbedingt mal wieder sehen. Und er würde sich sicher auch freuen, dich wieder zu sehen. Alles was noch fehlt ist deine Zustimmung, schließlich haben wir beide ja dann die Verantwortung für ihn, so lange er hier wohnt. Seine Eltern würde ihn dann abholen. Das hätte auch den Vorteil, dass dein Bruder jemanden in seinem Alter hier hätte, die beiden würden sich sicher gut verstehen." Jason seufzte überspitzt schwer. "Du hast das Schlafzimmer so hergerichtet und mich verführt, nur um mich danach zu fragen?" Chris Mund verzog sich zu einem frechen Grinsen. "Na ja, der nette Nebeneffekt von leidenschaftlichem Sex mit dir war ein schöner Bonus." Jason zog ihn an sich und gab ihm einen leichten Klaps auf den Hintern. "Also gut, du hast mich überzeugt, wann soll ich ihn holen?" "Oh, klasse!" jubelte Chris, bevor er Jason stürmisch küsste. Am nächsten Tag steuerte Jason sein Auto durch den um diese Uhrzeit zähen Verkehr auf der Oakland Bay Bridge. Von hier aus konnte man San Francisco gut überblicken, Jason liebte den Anblick seiner Stadt im Licht der tief stehenden Sonne. Die Wolkenkratzer funkelten wie große Edelsteine. Der Tag im Department war ruhig gewesen, Papierkram über Papierkram, nicht immer bot der Job Action und lebensgefährliche Einsätze, viel öfter mutierten die starken Arme des Gesetzes zu Schreibtischhengsten. Und oft mahlten die Mühlen dieser Bürokratie unerträglich langsam. Deswegen hatte es auch so lange gedauert, bis er endlich einen neuen Partner zugewiesen bekommen hatte. Obwohl Jason das Gefühl beschlich, dass es andere Gründe hatte. Es war mittlerweile überall unter den Kollegen bekannt, dass er schwul war und nicht jeder ging damit so locker um wie Jim Mayer. Jason hielt jede Wette, dass sicher ein paar Kandidaten abgelehnt hatten, sein neuer Partner zu werden, nicht von ungefähr war Ashton ein Neuling im Department. Das Verhältnis zu einigen seiner Kollegen war seit damals auch merklich abgekühlt, trotz Randys Rede. Jason versuchte nicht allzu viel darauf zu geben, aber es tat ihm schon weh, vor allem weil er bei einigen dieser Kollegen das Gefühl bekam, sie hätten ihn wesentlich lieber tot gesehen als Randy oder gaben ihm zumindest die Schuld an seinem Tod. Aber das lag hinter Jason, er vermisste Randy, aber er hatte auch gelernt mit dessen Tod umzugehen. Er gab sich nicht länger die Schuld daran, auch wenn er bis heute noch ab und an Alpträume von dieser Nacht im Keller hatte. Chris ging es nicht anders. Einen Fall wie diesen hatte er zum Glück seitdem nicht mehr erlebt. In einer Großstadt wie San Francisco waren Gewaltverbrechen keine Seltenheit, aber meist ließen sich die Täter erschreckend leicht überführen, nicht so wie der Ripper. Er hatte heute Ashton in alles eingewiesen und musste zugeben, dass er dessen Gesellschaft nach einem anfänglichen Unwohlsein durchaus genoss. Ashton Tallman war freundlich, witzig, einfach ein netter Kerl. Jason war sich sicher, dass er bald mit ihm befreundet sein würde. Er sah auf den Beifahrersitz hinüber. Marcus sah aus dem Fenster auf die Bucht. Etwas zu lange schon. "Gibt es da was interessantes zu sehen?" Marcus zuckte zusammen. "Äh... nein..." "Mache ich dir Angst?" "Nein." "Bist du nervös?" "...Nein." "Kannst du auch noch was anderes sagen?" "Tut mir leid..." Marcus nahm einen Zug aus dem Erdbeer-Milchshake, den Jason ihm auf dem Weg bei einem McDonald's besorgt hatte. Jason seufzte. Ganz eindeutig machte er den Jungen nervös. Aber Chris hatte nun mal arbeiten müssen und deshalb nicht mitkommen können. Da kam Jason eine Idee, wie er Marcus aus der Reserve locken konnte, eine dreiste Idee, eigentlich nicht unbedingt seine Art, aber scheinbar war David doch etwas auf ihn abgefärbt. "17,6 cm." Marcus sah ihn überrascht an. "Bitte?" "Du hast Chris mal eine Frage über mich gestellt, die ich jetzt beantwortet habe." Marcus nahm bereits wieder einen Zug aus seinem Shake, als ihm bewusst wurde, was Jason da gesagt hatte. Er verschluckte sich und hustete beinahe den Schluck den er genommen hatte auf das Armaturenbrett. "Ihr Ernst?" "Das überlasse ich dir, ich hab dir nur die Frage beantwortet, um dich aus der Reserve zu locken." Jason zwinkerte. "Du brauchst keine Angst vor mir zu haben." "Hab ich auch nicht!" Marcus klang ein wenig beleidigt. "Ich weiß nur nicht so recht, wie ich mich verhalten soll. Schließlich haben Sie mir damals das Leben gerettet und ich habe Ihnen noch nicht einmal gedankt." Jason lächelte. Dieser Junge war einfach lieb. "Geschenkt, vergiss es. Wir hatten damals beide andere Sorgen." "Meinen Sie?" "Ja, das meine ich. Und Marcus, lass mich was klar stellen." Jason sah aus den Augenwinkeln wie der Junge sich im Sitz straffte, er schien etwas schlimmes zu erwarten. "Ich heiße Jason und du brauchst nicht so förmlich zu sein." fuhr Jason grinsend fort. "Ich möchte das du vergisst, dass ich älter bin als du. Natürlich erwarten deine Eltern von Chris und mir, dass wir auf dich aufpassen, aber ich möchte, dass du in mir weniger den Erwachsenen als vielmehr einen Freund siehst. Das möchte ich nämlich für dich sein, genau wie Chris, ein Freund." "Vielen Dank, Mr. Cunningham." Jason räusperte sich. "Jason! Vielen Dank, Jason!" verbesserte sich Marcus rasch. "Schon besser. Also, wie geht es dir?" Marcus stellte seinen Milchshake in den Getränkehalter auf der Beifahrerseite. "Eigentlich wirklich gut. Ich meine im Vergleich zu den ersten Wochen. Die Ärzte sind wirklich zufrieden mit mir und meine Eltern total stolz. Ich hab nicht einmal mehr das Bedürfnis, Heroin anzurühren." "Das freut mich." "Haben Sie Chris mal erlebt, als er noch abhängig war?" wollte Marcus wissen. "Oh ja, das habe ich. Ist nicht gerade die schönste Erinnerung meines Lebens. Und du kannst auch auf das Sie verzichten, okay?" "Na gut. Haben Sie... hast du, ihm damals geholfen, davon weg zu kommen?" Jason sah auf die Straße. "Nein..." sagte er leise. "Das ist eine lange Geschichte, aber ich habe ihm damals nicht geholfen und das bereue ich bis heute. Aber ebenso stolz bin ich auf ihn, dass er es ganz allein geschafft hat." "Chris ist sehr glücklich mit Ih.... dir, das hat er mir gesagt." Jason nahm für einen Moment den Blick von der Straße. "Hat er das?" Marcus lächelte. "Ja, das hat er. Schon oft. Er ist unglaublich glücklich mit dir. Beneidenswert. Mit jedem Telefonat schien er glücklicher." Jason beobachtete wieder den Verkehr. Das von Marcus zu hören tat sehr gut. Wenn Chris schon bei anderen davon sprach, wie glücklich er war, musste es wirklich bergauf gehen. Nach all den Strapazen hatten sie sich das aber auch verdient, fand Jason. Auch er war jetzt endlich vollkommen glücklich. Genauso sollte es immer bleiben, das nahm er sich in diesem Moment fest vor. Als sie die Brücke verließen und in die Straßen von San Francisco kamen, hatte Jason eine Idee. "Magst du Pfannkuchen?" "Ja, warum?" fragte Marcus verwundert. "Wart es ab!" grinste Jason. Jason setzte den Blinker und bog ab. Am liebsten hätte er sein Glück über die ganze Stadt hinaus geschrieen. Das bereits ein neues Gewitter am Horizont aufzog, ahnte der junge Polizist in diesem Moment nicht... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ ... ich weiß! Ich weiß! Ich hab im letzten Nachwort (das wird langsam zur Gewohnheit) groß getönt, dass Marcus nicht in meine Pläne passt und deswegen raus ist, aber ich konnte einfach nicht anders als ihn zurückholen. Marcus hat als Charakter eine Menge Potenzial, das einfach verschenkt gewesen wäre. Dank einer Anregung von KatoKira (*dafür knuddel*) kam mir aber dann doch die Erleuchtung, wie ich Marcus benutzen und charakterlich ordentlich sezieren kann *ggg* Ansonsten ist dieses Kapitel die Exposition für den Neuanfang innerhalb der Story, weswegen streng genommen nicht wirklich viel passiert. Neues Zuhause, neuer Partner, Jasons Leben ist von Grund auf neu. Apropos neuer Partner: Durch die Rückkehr von Marcus ist Ashton etwas kurz gekommen, aber dafür bekommt er schon mal eine Charafile und wird im nächsten Kapitel mehr zu tun kriegen. Kleine Anekdote am Rande: Ash hat eine lange Odyssee hinter sich, was seinen Namen anging. Sein endgültiger Name ist das Produkt eines Zufalls. Erst sollte er Dylan heißen, dann Alexander, danach Alexis und schließlich Lindsey. Das ganze Kapitel über habe ich den Namen Lindsey benutzt, doch während ich dieses Nachwort schrieb, schaute ich "101 juiciest Hollywood couples" auf VIVA und auf einem der vordersten Plätze, Platz 7 oder so, waren Ashton Kutcher und die wesentlich ältere Demi Moore. Da hat es klick gemacht. Ich mag den Namen Ashton sehr gern, schon allein weil meine Lieblingsfigur aus "Fackeln im Sturm" (dort allerdings eine Frau) so heißt und damit war Lindseys Schicksal besiegelt und er wurde zu Ashton. Außerdem ist Jeremy wieder da und tritt seine wiederkehrende Rolle an. Noch ein Nebenchara, der jetzt aufsteigt, obwohl er eigentlich nach seinem Auftritt in Kapitel 3 für immer von der Bildfläche verschwinden sollte. Die Story war eigentlich vollkommen auf Jason und Chris ausgerichtet, aber es entwickelt sich immer mehr in eine Art "Tales from the City", da jetzt auch David, Jeremy, Ashton und Co. in den Vordergrund treten und natürlich nicht alle Stories immer direkt mit Jason oder Chris zu tun haben, besonders Davids Handlungsstrang wird sich ein ganzes Stück von Jasons und Chris' Leben entfernen. Erste Anzeichen gibt es schon in diesem Kapitel, in der kurzen Szene mit David und Jeremy in der weder Chris noch Jason auftreten... soweit ich mich erinnere abgesehen von dem kleinen Blick auf den Mörder ein absolutes Novum der Story, bisher liefen beinahe alle Szenen aus Jasons Sicht ab und wenn nicht dann aus der von Chris. Aber es macht immer mehr Spaß, je weiter das kleine Universum meiner Leute wächst, ich hoffe den Lesern geht es ähnlich *smile* Mit dem Titel dieses Kapitels habe ich mich echt schwer getan, weil ja bisher alle Titel irgendwo inhaltlich aufgegriffen wurden (meistens setze ich die Überschrift erst, wenn das Kapitel komplett ist). Hier wollte mir aber nichts tiefsinniges einfallen, also habe ich als "also known as" (so ein kleiner Tick von mir) eine Anspielung auf das Gespräch von Jason und Marcus im Auto genommen... hab ich mich eigentlich mit fast 18 cm ein bisschen weit aus dem Fenster gelehnt...? Na ja... ist ja nur eine Geschichte und Jason bestätigt ja nie, ob das nun die Wahrheit war *g* Übrigens hatte ich wegen meines Lern-Stresses diesmal nicht viel Ruhe zum Korrektur lesen, ich hoffe es verstecken sich nicht zu viele Tippfehler in dem Kapitel und ich habe nicht wieder Namen verdreht (aber für den Fall habe ich ja Alaska *g* *knu*) ^^ Ach ja, dieses Nachwort füllt in "Word" bereits Seite 100, das hätte ich nie erwartet. Also auf die nächsten 100 Seiten *Korken knallen lass* Kapitel 10: A question of trust (Part 1 of 2) --------------------------------------------- "Mann, ich bin voll, ich glaube, ich platze gleich!" "Kein Wunder, du hast ja auch beinahe die ganze Karte rauf und runter verschlungen!" lachte Chris, während Marcus und er zusahen, wie Jason in seiner Tasche nach dem Schlüssel kramte. "Na, du hast ja auch fast alles empfohlen!" "Ihr beiden tut euch absolut nichts, wenn es um Süßkram geht!" lachte Jason. Er fand endlich den Schlüssel und öffnete die Haustür. Er verbeugte sich leicht und machte eine Armbewegung um Marcus zu zeigen, dass er vorgehen sollte. Der Junge ging an ihm vorbei. Chris folgte ihm, doch bevor er das Haus betrat, stellte er sich auf die Zehenspitzen und gab Jason einen Kuss auf die Wange. "Gerade weil ich so auf Süßes stehe, kann ich die Hände nicht von dir lassen. Danke, dass du ihn geholt hast." "Gern geschehen, mein Schleckermaul." "Wo bleibt ihr?" rief Marcus von drinnen. "Wir kommen!" Marcus eilte durch die Räume des Erdgeschosses. Seine Augen leuchteten. "Das ist wundervoll. Dieser Kasten ist einfach klasse. Mann, ihr seid zu beneiden!" "Vielen Dank!" lächelte Jason. "Dein Zimmer ist oben, zeigst du es ihm, Chris? Ich muss noch mal kurz telefonieren. Ich hab Mum versprochen, mich noch mal zu melden, bevor sie kommen." Der plötzliche Themawechsel und der Ton von Jasons Stimme zeigten deutlich, dass es ihm unangenehm wäre, wenn Marcus das Telefonat hören würde. Chris nickte deswegen sofort, er kannte seinen Freund mittlerweile gut genug um zu wissen, wie viel Sorgen er sich wegen seiner Familie machte. Vollkommen unnötig wenn man Chris fragte. Tat aber niemand, also nahm er Marcus' Koffer, während dieser die Reisetasche hochhob. "Schafft ihr das alleine?" Chris lächelte. "Ja, mein starker Mann, gerade so. Geh ruhig telefonieren." Jason deutete ein Nicken an und verschwand Richtung Küche. Chris machte eine Kopfbewegung zur Treppe. "Auf geht's!" In der oberen Etage führte er Marcus in das Zimmer hinten rechts am Ende des Flures. Jasons und Chris' Schlafzimmer hatte Fenster zum Garten hinaus, die Fenster des Gästezimmers zeigten zur Straße. Aber die Wohngegend war relativ ruhig. Das Gästezimmer war in ähnlichem Stil wie das Schlafzimmer eingerichtet, das Bett allerdings nur Queensize nicht Kingsize, trotz allem aber groß genug für zwei Personen. Chris stellte die Reisetasche auf dem frisch gemachten Bett ab. "Das wird dein Reich sein für die nächsten Tagen." "Das ist toll, viel schöner als mein Zimmer in der Klinik." "Das will ich ja wohl hoffen! Soll ich dir beim Auspacken helfen?" "Gern!" lächelte Marcus. Chris zog den Reißverschluss der Reisetasche auf und griff hinein. Ein verdutzter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Er holte etwas hinaus und hielt es Marcus hin. Es war der kleine Teddy den er ihm im Krankenhaus geschenkt hatte. Er hatte ganz oben auf gelegen und war mittlerweile ziemlich abgegriffen. "Den hast du noch?" Marcus nickte. "Was dachtest du? Ich..." Er wurde ein wenig rot und sah auf seine Füße. "Ich hab ihn beim Einschlafen immer im Arm... das ist in meinem Alter etwas merkwürdig, ich weiß... aber ich... ich mag ihn halt..." "Das ist ja so süß." "Verarsch mich nicht deswegen!" "Ich meine das ernst!" lachte Chris. "Ich will dich sicher nicht verarschen." Er legte den Teddy liebevoll auf das Kopfkissen des Bettes. "Darf ich dich mal was fragen?" "Klar!" antwortete Marcus, während er Klamotten in den Kleiderschrank räumte. Als Chris sah wie er die Sachen in den Schrank stopfte, kam er zu ihm hinüber. "Lass mich mal, wenn du das so machst, hast du für den Rest der Zeit hier nur Sachen, die aussehen als hättest du sie noch nie gebügelt." "Du bist wohl ein echter Hausmann geworden, wie süß!" "Pass auf du!" grinste Chris. "Was ich dich eigentlich fragen wollte. Versteh mich aber bitte nicht falsch. Ich meine... was genau siehst du in mir? Ich will das nur wissen, damit es nicht kompliziert wird." "Ach, du meinst ob ich in dich verknallt bin?" "Genau..." Marcus setzte sich aufs Bett. "Keine Angst. Wenn ich darf, möchte ich in dir nämlich meinen großen Bruder sehen. Weißt du, ich habe nie Geschwister gehabt und einen Bruder mit dem ich sogar darüber sprechen könnte, dass ich Colin Farrell für den heißesten Kerl der Welt halte, das wäre absolut toll." Chris schloss den Kleiderschrank und lehnte sich dagegen. "Du stehst auf Colin Farrell?" "Kann man nicht auf Colin Farrell stehen?" "Ich stehe ja eher auf Brad Pitt. Den Klassiker sozusagen. Aber verrat das nicht Jason." "Brad Pitt ist auch knackig!" grinste Marcus. "Weißt du wer aber noch süß ist? Keanu Reeves! Und Julian McMahon! Ich liebe "Nip/Tuck" und das nur wegen ihm!" "Du schaust zuviel fern!" lachte Chris. "Aber gut, die sind wirklich heiß... worüber haben wir eigentlich gesprochen?" "Darüber ob ich auf dich stehe oder nicht. Ich hatte es verneint! Und wo wir beim Thema "Verrat es nicht Jason" sind: Ich kenne ein Plappermaul, das ihm etwas gepetzt hat, das unter uns bleiben sollte." "Was denn?" "Du weißt es nicht einmal mehr!" lachte Marcus. "Aber dafür weiß ich jetzt von den 17,6 cm!" "Das hat er nicht getan!" Chris hob die Hand vor den Mund. "Doch, hat er!" "Als ich ihm sagte, er solle ein bisschen offener sein, meinte ich eigentlich nicht so offen." Chris und Marcus sahen sich einen Moment lang an, dann brachen beide in schallendes Gelächter aus. Chris ging zum Bett hinüber, ließ sich neben Marcus nieder und legte ihm den Arm um die Schulter. "Ich will gern dein großer Bruder sein. Ich bin auch Einzelkind und so jemanden wie dich kann man sich als Bruder nur wünschen." "Störe ich?" Die beiden sahen auf. Jason stand im Türrahmen und lächelte. "Ihr beiden gebt ein schönes Bild ab, wisst ihr das?" "Vielen Dank." Chris stand auf und ging zu ihm hinüber. "Was hat deine Mum gesagt?" "Sie sind wie geplant am Samstag um 15 Uhr hier. Wir sollen sie nicht vom Flughafen abholen, Dad hat bereits einen Leihwagen bestellt." "Ach ja, deine Eltern kommen zu Besuch, Chris hat da was erwähnt." Jason sah Chris an. "Hast du alles erzählt?" Chris schüttelte den Kopf. "Nein, ich wusste nicht ob dir das recht ist, wenn er alles weiß." "Er ist schließlich dann auch dabei, also ist das schon in Ordnung, ist wohl das beste." "Hallo? Ich bin im Raum!" lachte Marcus. "Entschuldige!" Jason kratzte sich verlegen am Kopf. "Wir wollten dich nicht einfach übergehen. Was Chris meint, ist das meine Eltern hierher kommen um mich zu besuchen, sie aber weder wissen das ich schwul bin, noch das ich einen Freund habe." "Und das er Angst davor hat, wie sie reagieren." Chris schlang den Arm um Jasons Hüfte. "Obwohl ich der Meinung bin, dass er da sicher keine Befürchtungen haben muss. Jason, deine Eltern lieben dich doch sehr!" fuhr er an den Polizisten gewandt fort. "Glaubst du, dass so etwas das ändern würde? Wenn Eltern einen wirklich lieben ist das egal. Das war auch bei Marcus so. Mein Vater war damals anders, er hat nie etwas auf mich gegeben. Und als er es dann erfuhr hat er gezeigt, wie viel ich ihm wirklich bedeute. Aber sowohl Marcus als auch du kommt aus einem vollkommen anderen Elternhaus." "Das sehe ich auch so. Ich meine, ich kenne deine Eltern nicht, Jason, aber ich glaube nicht, dass sie sich daran stören, wenn sie dich wirklich lieben." Jason hob den Blick gen Himmel oder besser zur Decke. "Jesus, zwei von der Sorte, womit habe ich das verdient?" "Willkommen in der Hölle, mein Schatz!" lachte Chris. "Eher im Himmel!" konterte Jason und gab ihm einen Kuss. "Macht das bitte draußen, ich werde sonst neidisch!" Marcus setzte einen gespielt beleidigten Ton auf. "Kommen auf eure Party wenigstens ein paar süße Typen?" Chris löste sich von Jason und wandte sich wieder Marcus' Koffer zu. "Keiner in deinem Alter, tut mir leid." "Kommt der von dem Foto an der Treppe auch?" "Der von dem Foto an der Treppe?" "Er meint David!" grinste Jason. Im Treppenhaus hingen Familienfotos von Jason und ein Bild von Chris, David und ihm, das sie im Golden Gate Park aufgenommen hatten. Chris fand das sie drei dort etwas affig grinsten, aber Jason liebte das Foto. "Von dem halte ich dich persönlich fern, wenn es sein muss. Zwei Minuten mit David können Jahre der Erziehung zerstören!" Jason stemmte die Hände in die Hüften und grinste. "Du denkst aber schlecht über ihn!" lachte Chris "Nein, ich kenne ihn, das ist ein Unterschied." "Er sieht scharf aus." Chris' und Jasons Köpfe ruckten herum. Sie sahen den Jungen verblüfft an. "Hab ich was falsches gesagt?" "Glaub mir, David ist nichts für dich." Jason zwinkerte. "Wenn ihr meint. Wo ist denn hier das Bad?" "Du kannst unseres benutzen. Die Tür bei der Treppe oder du musst durchs Schlafzimmer." "Danke, ich bin gleich wieder da!" Marcus verließ das Zimmer. Jason sah ihm einen Moment nach, bis die Tür des Badezimmers ins Schloss fiel. "Du bist dir ganz sicher mit ihm? Glaubst du wirklich, dass es gut ist, dass er hier ist?" Chris schob den leeren Koffer unters Bett, bevor er zu Jason hinüber ging und ihn umarmte. Er blickte zu ihm auf. "Keine Angst. Du hast mir doch erzählt wie Marcus im Auto war. Er spielt gern den Coolen und er genießt es, jetzt endlich mal offen zu sagen, was ihm gefällt. Ich denke nicht, dass er das vor seinen Eltern kann. Marcus ist ein lieber Junge und wenn er David persönlich trifft, wird er hundertprozentig schüchtern sein. Er möchte halt gern gut vor uns dastehen, denke ich. Besonders vor dir, er bewundert dich, da bin ich mir sicher." "Du bist wundervoll." "Das du das erst jetzt merkst!" grinste Chris. Er schmiegte sich an Jason. "Kannst du dir vorstellen, dass wir schon fünf Monate zusammen sind? Ich kann mir kaum noch vorstellen, wie es war, nicht mit dir zusammen zu sein. Du?" "Ja, schon." Chris' Augen verengten sich. "Aber nur ungern!" fügte Jason hinzu und ein spitzbübisches Grinsen erschien auf seinem Gesicht. "Da hast du aber Glück gehabt!" Chris boxte ihn gegen den Oberarm. "Turtelt ihr schon wieder? Das ist ja nicht auszuhalten!" Marcus stand im Flur und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. "Nur kein Neid. Aber keine Angst, wir werden jetzt aufhören zu turteln. Wie wäre es, wenn wir losziehen und dir ein Kostüm für Freitag leihen gehen?" schlug Jason lächelnd vor. "Ja, cool!" freute sich Marcus. Chris sah seinen Freund glücklich an. Jason hatte sich wirklich sehr verändert. Und die Art wie er mit Marcus umging war einfach wundervoll. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Chris das Gefühl zu jemandem zu gehören, eine Familie zu haben. Er war endlich heim gekommen. Wie jede andere Stadt der USA versank auch San Francisco am Abend von Halloween vollkommen im Reich der Finsternis. Geister, Hexen, Ghoule, Teufel, Skelette, Zauberer aber auch Piraten, Feen und andere Fantasiewesen streunten durch die Straßen und die Gärten der Häuser verwandelten sich in Friedhöfe oder schlimmeres. Überall waren Kürbisse, ob nun als Papierdekoration oder als kunstvoll geschnitzte Laternen vor den Häusern. Jason und Chris hatten bei der Dekoration ihres Vorgartens nach der Devise "Weniger ist mehr" gehandelt. Chris hatte sich als äußerst geschickt erwiesen was das Schnitzen von Kürbissen anging und so säumten ein halbes Dutzend von ihnen mit verschiedenen gruseligen Gesichtern die Treppe zum Eingang. Das Innere des Hauses war etwas aufwendiger dekoriert, künstliche Spinnweben hingen am Treppengeländer und in vielen Ecken des Hauses, das Licht war heruntergedreht und auch hier standen Kürbisse. Jason hatte einige der Möbel mit schwarzen Tüchern abgehängt, Chris und Marcus hatten den Rest mit künstlichem Efeu verziert. Im Wintergarten war ein großes Büfett aufgebaut. Lichterketten mit Kürbisköpfen verströmten warmes Licht. Jason hatte darauf bestanden, dass sie sich nicht mit kitschiger und dazu noch hässlicher Dekoration wie Pappskeletten oder Gummispinnen blamierten, das Haus wirkte dunkel, ein wenig morbide, aber trotzdem stilvoll und schließlich sollten die Gäste auf der Housewarming Party auch was vom Haus sehen können. Neben der Haustür stand eine große Schale mit Süßigkeiten, damit man für den Ansturm der vielen kleinen Monster gewappnet war, die "Trick or treat" rufend durch die Straßen zogen. Als Marcus an diesem Abend die Treppe hinab kam, war Jason gerade damit beschäftigt eine Auswahl an Musik vorzubereiten. Er trug die schnittige, blaue Uniform eines Nordstaatenoffiziers aus dem Bürgerkrieg. Jason hatte sich sofort in dieses Kostüm verliebt, besonders als Chris gesagt hatte, wie sexy er als fescher Yankee aussehe. Marcus war komplett in schwarz gekleidet, ein schwarzes Shirt, eine schwarze Hose, ein langer Ledermantel und eine trendige schwarze Sonnenbrille, fertig war der Neo-Look. Ganz so cool wie in "Matrix" war es dann doch nicht, denn leider passten die blonden Haare des Jungen nicht ganz ins Bild und mit der Sonnenbrille sah er in der Wohnung so gut wie nichts. Nachdem er beinahe über einen Stuhl gefallen war, von dem gerade noch verhinderten Treppensturz ganz zu schweigen, hatte Jason ihn freundlich aber bestimmt gebeten, das Ding abzusetzen. Marcus war beleidigt gewesen weil dadurch sein ganzer Look vor die Hunde ginge wie er meinte, aber Chris hatte die Situation gerettet. Er hatte sich bei den Nachbarn Theaterschminke geliehen, Marcus die Augen dunkel, das Gesicht aschfahl und etwas Blut in den Mundwinkel geschminkt und damit aus Neo einen Gothik-Vampir gemacht, der nicht unbedingt eine Sonnebrille brauchte. "Ist Chris endlich fertig? Hast du ihn gesehen?" Marcus schüttelte den Kopf. "Keine Chance, er hat mich rausgeworfen bevor er sich umgezogen hat." Chris hatte sein Kostüm allein ausgesucht und wollte nicht, dass Jason ihn vorher darin sah. Das Jason vor Neugier beinahe platzte verstand sich von selbst. Er ging zur Treppe hinüber und blickte nach oben. "Chris, kommst du bald?! Die Gäste müssen jeden Moment da sein!" "Geht es nicht eher darum, dass du die Neugier nicht mehr erträgst?!" rief Chris von oben zurück. "Das auch, also schwing seinen süßen Hintern jetzt endlich hier runter!" Jason merkte erst jetzt was er da vor Marcus gesagt hatte, aber der befasste sich gerade eh mit den CDs die Jason neben die Anlage gelegt hatte. "Habt ihr nichts von Blink 182?" "Blink was?" "Vergiss es!" lachte Marcus. "Das kommt davon, wenn man mit Opas feiert!" "Ich gebe dir gleich von wegen Opas, du junges Gemüse!" Jason fand es faszinierend wie offen und frech Marcus ihm gegenüber mittlerweile sein konnte. Der Junge mochte an sich ruhig und lieb sein, aber manchmal hatte er ein echt freches Mundwerk. "Streitet ihr euch etwa?" Beim belustigten Klang von Chris' Stimme drehte Jason sich um und wollte etwas erwidern, doch kein Wort kam aus seinem Mund, der vor Erstauen offen stehen blieb. Chris stand auf dem Treppenabsatz und lächelte ihn an. Er sah aus wie ein Edelmann aus der Glanzzeit des französischen Hofes. Eine weißblaue Mischung aus Gardeuniform und Anzug betonte seinen schlanken Körper, darunter ein weißes Hemd mit großen Rüschen an den Handgelenken und am Kragen, das an der Brust ein Stück aufstand und die silberne Kette mit dem großen Kreuz auf seiner hellen Haut wunderbar zur Geltung brachte. Seine Füße steckten in weißen Stiefeln. Das lange blonde Haar hatte er mit einer großen blauweißen Schleife zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden. Er sah aus, als wäre er soeben einem Märchen entsprungen, fand Jason. Im sanften Licht des Flures schien er regelrecht zu leuchten. Manchmal konnte sich Jason dem Gedanken nicht erwehren, dass Chris wirklich ein Engel war. Als er die Treppe hinab kam, reichte der junge Polizist ihm wie im Reflex die Hand, wie ein Prinz, der seine Prinzessin empfing. Nur das die Prinzessin hier ein Mann war und der Prinz wie ein Yankee-Offizier aussah, versteht sich. "Du siehst umwerfend aus!" Chris machte einen Knicks. "Danke, du aber auch mein fescher Yankee." "Geht das schon wieder los?" Marcus verdrehte die Augen. Doch der Klang der Türklingel rettete ihn davor, weitere Zärtlichkeiten ertragen zu müssen. "Ich mache schon auf!" rief er und lief Richtung Tür bevor Jason etwas antworten konnte. Er öffnete sie und blieb einen Moment wie angewurzelt stehen. "Hi, wer bist du denn?" David lächelte den Jungen freundlich an, dessen Mund immer noch offen stand. Er war als eine Art Waldelf verkleidet, in seinem Haar steckte künstlicher Efeu und alles was seinen Oberkörper bedeckte war eine verschlungene Ranke des selbigen, die über seine rechte Schulter hin verzweigte. Auf der linken Schulter klebte ein paar einzelne Blätter. Tief auf seinen Hüften lag etwas, das am ehesten an einen Lendenschurz erinnerte, der grünbraune Stoff zeigte eine Blätteroptik. Um sein linkes Bein schlang sich eine weitere Ranke, seine kurzen braunen Stiefel waren oben ebenfalls mit Blättern besetzt. "Bist du stumm?" "Äh... nein.... ich bin Marcus... ich äh... bin hier zu Besuch... Kommen Sie doch rein..." Er öffnete die Tür weiter. Jason war mittlerweile in den Flur gekommen. "David! Schön das du da bist!" Erst jetzt erkannte er den Mann der hinter seinem Freund stand. "Jeremy, was für eine Überraschung!" Der junge Barkeeper trat hinter David hervor. "Das denke ich mir. Ich hoffe keine böse." Jeremy gab einen Piraten. Er trug ein Kopftuch, das nach hinten geknotet war, eine Augenklappe über dem rechten Auge, eine schwarze Weste mit kurzen, abgerissenen Ärmeln über dem ebenfalls nackten Oberkörper, eine auf zerschlissen getrimmte dunkelbraune Hose und Lederstiefel. Jason kam nicht umhin zu bemerkten, dass an Jeremy kein Gramm Fett war, sein Oberkörper war drahtig und muskulös, nicht so breit wie Davids, aber man sah ihm den Tänzer deutlich an. "Nein, aber natürlich nicht, ich freue mich, dich zu sehen. Kommt doch rein... David... was genau stellst du da?" Der Anwalt zuckte grinsend mit den Schultern. "Na was schon? Oberon, den Elfenherrscher." "So ähnlich wie Rupert Everett in "Ein Sommernachtstraum"?" "Du hast es erfasst!" "Das konnte auch nur dir einfallen, dieses Kostüm ist..." "Sexy?" "Das war nicht das Wort das ich gesucht habe." "Ich finde es sexy!" lachte Jeremy. "Ich auch!" Alle drei blickten Marcus überrascht er, der rot wie eine Tomate wurde. "Siehst du, dem Kleinen gefällt es!" "Ich heiße Marcus!" "Ist gut... Marcus." "Ähm... ja... ich schaue mal ob ich Chris helfen kann!" Bevor er noch röter werden konnte, drehte Marcus sich um und eilte in Richtung Wohnzimmer davon. "Lass das!" zischte Jason. "Was denn?" fragte David vollkommen scheinheilig. "Diesen sexy Unterton, wenn du seinen Namen sagst, ich kenne deine Tricks." "Offenbar viel zu gut, lass mich den Kleinen doch ein wenig necken." Jason ließ übertrieben resigniert die Schultern hängen. "Kommt jetzt endlich rein, bevor noch einer die Polizei ruft, wenn er dich im Vorgarten sieht!" Zu dritt gingen sie ins Wohnzimmer. Chris kam gerade mit einem Tablett mit Sektgläsern aus der Küche, gefolgt von Marcus. "Chris! Du siehst fabelhaft aus! Da wird man ja glatt neidisch, Jason!" lachte David und ging mit großen Schritten auf Chris zu, der vorsichtshalber schon mal das Tablett abstellte. David zog ihn an sich und umarmte ihn, bevor er ihm einen Kuss auf die Wange gab. Chris funkelte ihn böse an, allerdings strafte sein Lächeln seine Augen Lüge. Das hatte sich zu einem Ritual entwickelt, am Anfang war es Chris unangenehm gewesen, so dass David angefangen hatte, ihn auf diese Weise zu necken. Aber mittlerweile gehörte das einfach dazu. Chris mochte David sehr, schon allein weil er feststellen musste, wie gut er Jason getan hatte. Und Jason genoss es sichtlich, dass sein bester Freund und sein geliebter Engel sich so prima verstanden und die kleinen Startschwierigkeiten überwunden hatten. "Und du hast wohl kein Kostüm finden können, in dem du weniger angehabt hättest, was?" "Doch, den Klassiker, das Streichholz!" grinste David. "Der Witz hat einen Bart, nackt mit rotem Kopf!" "Da gäbe es nur ein Problem..." "Welches?" "Er würde nicht rot werden!" mischte sich Jason ein und klopfte David auf die Schulter. "Und jetzt lass meinen Freund los, bevor ich dich zum Duell fordern muss!" "Du solltest auf ihn hören, er hat letztens erst "Fackeln im Sturm" gesehen. Er weiß wie das geht." lachte Chris und befreite sich aus Davids Umarmung. Er ging zu Jeremy hinüber. "Da David offenbar nicht auf die Idee kommt uns vorzustellen, tu ich es eben selbst. Ich bin Chris." Er hielt ihm die Hand hin, die Jeremy lächelnd ergriff. "Ich bin Jeremy. Ich bin Barkeeper in der Lieblingsbar dieser beiden schrägen Vögel." Chris drehte sich zu Jason um. "So, so, Lieblingsbar... und warum kenne ich die nicht?" "Weil wir noch nie zusammen im Mighty waren." "Er war gar nicht mehr da, seit er mit dir zusammen ist." erklärte Jeremy. Chris hob drohend den Zeigefinger. "Da hast du aber noch mal Glück gehabt, dass du einen Entlastungszeugen hast, wäre ja noch schöner, wenn du dich ohne mich in dunklen Bars herumtreiben würdest!" grinste er. Die Türklingel unterbrach das Gespräch. Jason sah Marcus an. "Diesmal nicht?" "Äh... nein... geh du ruhig..." stammelte Marcus, der seine Augen immer noch nicht von David los bekam. Was dieser durchaus bemerkte. "Würdest du mir den Weg zum Büfett zeigen?" "I...ich?" "Ja, ist das ein Problem?" "Nein! Absolut nicht!" beeilte sich Marcus zu widersprechen. "Dann ist ja gut. Kommst du mit, Jeremy?" "Klar." Es klingelte wieder an der Tür. Jason und Chris gingen hin, während Marcus mit David und Jeremy in den Wintergarten ging. Jason öffnete und lächelte im nächsten Moment. "Claire!" Vor der Tür stand eine böse Fee. Claire trug einen spitzen, schwarzen Hut, der im Schein der Straßenbeleuchtung glitzerte und ein bodenlanges, hoch geschlitztes und tief dekolletiertes Kleid, ebenfalls Nachtschwarz und funkelnd, an dem kleine, mit Strasssteinen besetzte Flügel angebracht waren. Sie sah umwerfend aus. "Jason, wie geht es Ihnen?" "Oh, Claire, wenn es Sie nicht stört, vergessen wir die Förmlichkeiten." "Ich dachte schon Sie... du würdest nie fragen. Chris, schön Sie wieder zu sehen!" Sie schien Chris die Hand reichen zu wollen, doch dann überlegte sie es sich anders und umarmte ihn. Chris musste unwillkürlich lachen. "Ich muss etwas an mir haben das zum Drücken einlädt! Für mich gilt übrigens das gleiche wie für Jason, Agent Wentworth." "Dann bin ich für dich aber auch Claire." "Gern. Ein wunderschönes Kostüm übrigens." Claire verbeugte sich leicht, damit ihr Hut nicht verrutschte. "Das Kompliment kann ich nur zurückgeben." "Jetzt sollten wir aber erst einmal reingehen. Claire, hattest du nicht gesagt, dass du deinen Freund mitbringst?" Jason sah sich um, aber niemand sonst war in der Nähe. Claire zuckte mit den Schultern. "Das hat sich erledigt, ich habe spontan beschlossen allein zu kommen. Mein Freund hat mich allen ernstes gefragt, was er denn auf einer Party von Tunten solle auf der vielleicht noch so ein paar Perverse kommen. Ich hab ihn darauf gefragt, ob er ein Problem mit Homosexuellen hätte und er meinte ja, ein großes und er hätte mir von vornherein verboten auf diese Party zu gehen, wenn er gewusst hätte, dass sie von Schwuchteln veranstaltet wird. Ein paar scharfe Lesben wären ja in Ordnung, aber Tunten brauch ich nicht! Das war übrigens O-Ton von ihm. Ich hab ihm daraufhin erlaubt die Tür zu benutzen und seinen Schlüssel dazulassen. Nicht genug das er solche Reden schwingt, nein, er meint auch noch allen ernstes, mir Freundschaften verbieten zu können. Nicht mit mir! Jetzt brauche ich erst einmal was zu trinken." "Das wird sich einrichten lassen!" lachte Jason. In diesem Moment wusste er wieder, warum er Claire so mochte. Die Party lief gut. Nach und nach waren weitere Gäste eingetroffen, die Stimmung war glänzend. Jason war überrascht, was für ein perfekter Gastgeber Chris war, überrascht und verdammt stolz. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er seinen blonden Freund unter den Gästen sah, in Gespräche vertieft, herzhaft lachend, einfach glücklich, einen schöneren Anblick konnte er sich kaum vorstellen. Er stand mit David im Durchgang zwischen Wintergarten und Wohnzimmer. "Ich muss schon sagen, Sunshine, aller Achtung. Eure Party ist echt gelungen." "Man dankt." "Ich war etwas überrascht, als der Kleine mir die Tür geöffnet hat." Er nickte in Marcus' Richtung, der sich angeregt mit Jeremy unterhielt, die beiden verstanden sich offenbar bestens. Jeremy war auch mit seinen gerade mal sieben Jahren Abstand noch am ehesten in Marcus' Alter. "Nicht halb so überrascht wie er. Und ich übrigens, als ich Mr. Barkeeper gesehen habe. Damit hätte ich niemals gerechnet. Du und ein Date mit Jeremy." "Das ist kein Date, sondern eine Notlösung!" "Wow, die Rechtfertigung kam aber schnell!" grinste Jason. "Du musst dich nicht schämen, er ist doch süß." "Sunshine, glaubst du wirklich, dass ich mich schäme?" "Entschuldige, mein Fehler, wie komme ich bloß auf so etwas. Zumindest für Jeremy schämst du dich nicht." "Was soll das denn heißen?" "Ich glaube, du schämst dich, weil ich gesagt habe, dass du ein Date hast." "Du spinnst." "Das war aber kein geschickter Konter!" lachte Jason. Bevor David etwas erwidern konnte, klingelte es. Jason wollte zur Tür gehen, doch Chris eilte an ihm vorbei. "Ich mache das schon, Schatz." David sah ihm nach. "Er ist toll." "Das kannst du aber laut sagen!" grinste Jason. "Jason, würdest du bitte mal kommen?" Chris Stimme aus dem Flur klang irgendwie kühl. David sah Jason überrascht an. "Was hat er denn?" "Das frage ich mich auch. Kommst du mit?" "Hast du Angst?" "Du merkst aber auch alles, ich will einen Zeugen, falls ich ermordet werde, Chris kann verdammt sauer werden und dieser Ton ist merkwürdig." David quittierte das nur mit einem Lachen, kam aber mit. Chris stand im Hausflur und lächelte Jason entgegen. Allerdings mit einem Lächeln, das Jason das Blut in den Adern gefrieren ließ. "Was ist denn los?" fragte Jason etwas unsicher. "Nichts, ich hab nur eben deinen neuen Partner kennen gelernt." Erst jetzt bemerkte Jason Ashton, der hinter Chris stand. Er war eigentlich schwerlich zu übersehen. David jedenfalls hatte ihn wohl schon vorher bemerkt, denn er trat wesentlich näher an Jason heran als zuvor um einen besseren Blick zu haben. Ashton trug Hosen im Camouflage-Look, dazu wuchtige Stiefel und einen Patronengürtel über dem nackten Oberkörper, den er mit Tarnfarben bemalt hatte. Um seinen Hals hing das typische Dogtag eines Soldaten. Auch im Gesicht hatte er Tarnfarben, dadurch schien sein Lächeln mit den hellen Zähnen noch strahlender. "Hi, Ash, schön das du kommen konntest." Jason und er hatten die Förmlichkeiten recht schnell beiseite gelassen. "Hi, Jason." "Ash," Chris sprach den Spitznamen von Jasons Kollegen ein wenig merkwürdig aus, aber nicht so, dass es jemand anders außer Jason bemerkt hätte, "hat auch jemanden mitgebracht. Das ist Sly." "Hi!" Hinter Ashton stand ein junger brünetter Mann. Er war ein wenig kleiner als Ashton und nicht ganz so muskulös, aber schlank, mit freundlichen, braunen Augen, die Jason auf den ersten Blick an ein Rehkitz erinnerten. Er schien nicht ganz so locker zu sein wie Ash, ein bisschen schüchtern. Er war als Robin Hood verkleidet, ein spitzer grüner Hut mit einer roten Feder, eine grüne Tunika mit einem braunen Gürtel und grüne Strumpfhosen. Jason überlegte einen Moment ob es vielleicht auch Peter Pan sein könnte, so ganz eindeutig war das nicht, aber der Hut wies doch eher auf Robin Hood hin. "Sly ist ein Ex-Freund von Ashton, aber sie verstehen sich immer noch so gut, dass er ihn als Begleitung mitgenommen hat. Ist das nicht schön?" Jason lief ein Schauer den Rücken runter, als Chris die letzten vier Worte mit dem gleichen kaum merklichen Unterton aussprach, ohne dabei sein Lächeln abzusetzen. Offenbar war er stinksauer. "Ach, du bist schwul?" fragte David in diesem Moment vollkommen unverblümt. Ashton nickte, allerdings sah er dabei nicht David an, sondern schien genau die Reaktion von Jason zu beobachten. "Schön, David, du kannst Ashton und Sly ja den Weg zum Büfett zeigen, ich muss mal eben in die Küche. Jason, würdest du mir vielleicht helfen?" Damit rauschte er ab. Jason sah ihm nach und lächelte ein wenig verlegen. "Ich gehe dann mal. David kann euch ja alles zeigen." "Aber gern!" stimmte David zu. Er deutete Ash und Sly an, an ihm vorbei ins Wohnzimmer zu gehen. Bevor er ihnen folgte grinste er Jason an. "Das ist doch mal eine freudige Entwicklung, Mann, der ist heiß! Und dann auch noch schwul! Himmlisch!" "Ich komme mir eher vor wie in der Hölle." "Keine Angst, wenn du in fünf Minuten nicht wieder da bist schicke ich die Kavallerie los Yankee!" "Mistkerl!" zischte Jason und machte sich mit einem unguten Gefühl im Bauch auf den Weg in die Küche. Als Jason die Küche betrat, stand Chris an der Arbeitsplatte und schnitt Ananas in Stücke, wohl für die Pina Colada Bowle. Eigentlich schnitt er sie nicht, sondern massakrierte das unschuldige Obst regelrecht mit dem Messer. Er sah Jason nicht einmal an. "Chris? Was machst du da?" "Siehst du das nicht?" "Doch, du reagierst dich an einer Ananas ab. Aber glaub mir, den Gästen wird die Bowle besser schmecken, wenn keine Finger von dir drin schwimmen!" "Lass deine blöden Witze!" fauchte Chris. Jason zuckte zusammen. "Ich bin nicht in der Stimmung für so etwas!" "Was habe ich dir denn getan, um Himmels Willen?" "Was du mir getan hast?! Wann hattest du vor mir zu erzählen, dass dein neuer Partner so aussieht?!" Er fuchtelte mit dem Messer in Richtung des Wohnzimmers, so dass Jason vorsichtshalber einen Schritt zurück ging. Jason zuckte mit den Schultern. "Ich hielt das nicht für wichtig..." "Ach, du hieltest das nicht für wichtig. Und wann hättest du vorgehabt mir zu sagen, dass er schwul ist?!" "Das habe ich doch selbst eben erst erfahren!" "Das kannst du jemand anderem erzählen, verkauf mich nicht für dumm, Jason!" "Chris!" Jasons Stimme klang hilflos. "Ich hab das wirklich nicht gewusst. Meinst du, dass ist etwas womit man hausieren geht? Du weißt doch wie es mir mittlerweile mit einigen Kollegen geht, vielleicht wollte Ash sich das ersparen." "Das glaubst du doch selber nicht! Schließlich wusste er doch sicher sofort das du schwul bist! Also gab es keinen Grund, dir das nicht zu sagen!" Jason fand keine passende Antwort, Chris hatte vollkommen recht. "Aber er hat es mir nun mal nicht gesagt." "Klar... und dann auch noch sein Kostüm! Verdammt wir hätten gleich zur Einladung sagen sollen, dass man sich bitte was anziehen soll! Das werden mir langsam zu viele halbnackte Muskelmänner da draußen!" "Chris, was soll das?" "Mir geht das einfach auf die Nerven, ich... aua!" Was Jason schon hatte kommen sehen, war nun passiert. Chris ließ das Messer fallen und steckte sich den linken Zeigefinger in den Mund. Er hatte sich geschnitten. Jason zog eine Schublade auf, in der Pflaster für eben solche Küchenunfälle aufbewahrt wurden. "Komm mal her." "Nein!" motzte Chris. "Das geht schon, der Ananassaft brennt nur etwas." "Lass mich mal." Ohne auf seine Gegenwehr zu achten nahm Jason Chris' Hand und legte ihm das Pflaster um. "Autsch." "Tut mir leid." Er gab Chris einen sanften Kuss auf die Hand. "Der Schnitt war nicht tief, das hört bald auf zu bluten." "Hör auf damit..." Chris klang ein wenig beleidigt. "Womit?" "Hör auf so nett zu mir zu sein, ich will mich streiten!" "Meinst du nicht, dass es genug ist?" "Nein!" meckerte Chris. "Ich hatte mich schon so gefreut dir was an den Kopf zu werfen." "Eine Gemeinheit?" "Nein, die Dose in der die Ananasscheiben waren!" Er versuchte einen Flunsch zu ziehen, aber dieser verunglückte zu einem Lächeln. Jetzt konnte Jason nicht mehr anders. Er zog Chris an sich und umarmte ihn. "Ich liebe dich." "Ich dich auch..." flüsterte Chris, er schniefte. "Mann, ich wollte doch nicht weinen..." Jason hielt ihn fest und küsste ihn auf die Schläfe. "Ist ja gut. Glaub mir bitte, ich hab davon nichts gewusst, wirklich nicht." "Ich glaube es dir ja... aber ich habe halt Angst, Jason. Dieser Kerl sieht so gut aus, viel besser als ich... und er passt viel besser zu dir. Äußerlich auf jeden Fall. Ich meine ich würde sogar verstehen, wenn du ihn sexier als mich findest..." "Red nicht so einen Unsinn." Jason schob Chris ein Stück von sich weg und sah ihm fest in die Augen. "Ich weiß nicht warum Ash mir nicht gesagt hat das er schwul ist, aber das ist vollkommen egal. Er kann aussehen wie ein junger Gott, er interessiert mich nicht. Für mich kommt es nicht auf Muskeln oder so an, ich bin nicht so fixiert auf das Äußerliche wie David. Ich liebe dich, weil du bist wer du bist. Ein wundervoller, warmherziger Mensch, der es in jeder Situation schafft ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern. Ich liebe dich weil du mein Engel bist. Meinst du, ich würde dich meinen Eltern vorstellen wollen, wenn es für mich nicht ernst wäre? Wenn ich alles wegwerfen würde, nur weil ein Muskelpaket daher kommt? Ash ist nett, wir werden gut zusammenarbeiten und wahrscheinlich auch befreundet sein, aber mehr nicht. Auf andere Art existiert er für mich nicht. In meinem Herzen ist nur Platz für einen Menschen und den habe ich bereits gefunden. Es ist der wunderschöne, liebenswerte Mann, der mir Ananasdosen an den Kopf schmeißen will." "Oh Jason!" Jetzt fing Chris erst recht an zu weinen, vor lauter Rührung. Er drückte sich an Jason. "Ich danke dir." "Ist ja gut, mein Engel. Mach dir nicht immer so viele Sorgen. Du kannst mir vertrauen." Chris trat einen Schritt zurück und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Ist gut... ich vertraue dir." "Wollen wir auf die Party zurück gehen?" "Gleich, ich will nur noch einen Moment warten, bis ich nicht mehr verheult aussehe. Geh du ruhig schon mal, nicht das uns die Gäste für unhöflich halten oder denken wir würden es gerade auf der Arbeitsfläche treiben." "Verlockender Gedanke!" "Vielleicht solltest du eher mal nachsehen, ob Ash und David sich nicht vielleicht schon irgendwo vergnügen, ich traue David glatt zu, dass er mal unser Bett ausleiht oder vielleicht das von Marcus. Der Gedanke behagt mir nicht so und ich kenne David." "Oh... ich glaube ich sehe wirklich mal nach..." grinste Jason. "Ist wirklich wieder alles okay?" Chris nickte. "Ja, geh schon. Und keine Panik, jetzt laufe ich nicht mehr Gefahr, meine Finger in der Bowle zu verlieren." "Dann ist ja gut." Jason ging zur Tür zum Flur und machte sie auf. Bevor er hinaus ging, drehte er sich noch einmal um. "Ich liebe dich mehr als Worte sagen können, vergiss das nie." "Ich dich auch!" lächelte Chris. Jason zog die Tür hinter sich zu und atmete aus. Diese Krise war zum Glück überstanden. Aber der Abend war ja auch noch nicht zu Ende... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Und schon wieder ein Kapitel zu Ende ^^ Eigentlich sollte die Halloween Party nur ein Kapitel füllen, aber in Anbetracht der Umstände müssen Jasons Eltern und sein Bruder noch etwas warten. Wenn ich alles in ein Kapitel gepackt hätte, dann wäre es sicher doppelt so lang wie dieses und das wäre etwas arg, hat dieses Kapitel in Word doch schon 10 Seiten. ^^ Die Katze ist aus dem Sack was Ashtons Orientierung angeht, aber mal ehrlich, es war zu erwarten. Wirklich neu ist nur Sly, der im nächsten Kapitel mehr zu tun bekommt. Damit ist die Riege der Hauptdarsteller erst einmal komplett und das Karussell kann losgehen *gggg* *hände reib* Was Claires kleinen Auftritt angeht... ich hatte eigentlich gar nicht vor sie wieder auftauchen zu lassen, weil ich so gut wie keine Ideen für die einzige Frau der Geschichte habe *lol* Na ja, es ist ja auch niemand da für sie, der letzte Hetero wurde vor ein paar Kapiteln ermordet... öhm... ja... okay. Auf jeden Fall hab ich vergessen ihre Erwähnung im letzten Kapitel wieder zu streichen und hab es on gesetzt, typisch ich. Also musste ich in den sauren Apfel beißen und mir zumindest eine kleine Szene aus den Fingern saugen. ;-) Gibt es noch mehr zu sagen... ich glaube nicht... doch! Ein kleines Dankeschön an meine süße Schnuffimaus, die mir geholfen hat, Halloweenkostüme zu finden. Der Yankee, Robin Hood, die böse Fee und der Edelmann sind auf ihrem Mist gewachsen, der Soldat (warum Ash als Soldat kommt wird im nächsten Kapitel näher erklärt), Davids kleine Extravaganz und der Neo/Gothik-Vampir sind von mir. Ach ja! Ich hab in den letzten Kapiteln oft Momente gehabt, in denen sich die Charas das Du angeboten haben. Natürlich ist das quasi Unsinn, da es in der englischen Sprache, schließlich sind wir in Amerika, kein Sie und Du gibt, sondern nur you. Aber da diese Geschichte auf Deutsch ist, nehme ich mir die Freiheit mal ;-) Not much more to say, also weiter im Schweinsgalopp, die Party ist noch längst nicht vorbei ^^ Kapitel 11: David's brand new toy a.k.a. Never say never (Part 2 of 2) ---------------------------------------------------------------------- "So, so, du warst also wirklich Kampftaucher und -schwimmer bei den Marines?" David nahm einen Schluck von seinem Drink und schenkte Ashton, der neben ihm saß, sein schönstes Lächeln, dabei machte er sich keineswegs die Mühe, die Begierde in seinem Blick zu kaschieren. Sie saßen etwas abseits im Wintergarten und sahen den anderen Gästen zu. Ash nickte. "Ja, aber das gefiel mir nicht wirklich, deswegen bin ich umgesattelt." "Zumindest das Outfit steht dir wirklich gut. Ist das ein echtes Dogtag?" Ash ließ die beiden Anhänger der Kette durch seine Finger gleiten. "Ja, das ist meines. Zum Glück bin ich nie in die Situation gekommen, dass man es hätte gebrauchen müssen." Auf den beiden Anhängern der Kette, die wirklich "Hundemarke" genannte wurde, waren die Daten des jeweiligen Soldaten eingraviert. Einer wurde zur Identifizierung der Leiche zurückgelassen, der andere im Todesfall der Familie geschickt. "Und ist das wirklich so in der Army? So wie in den Filmen?" grinste David. Ganz unauffällig unterstrich er seine Frage, indem mit dem Daumen und dem Zeigefinger der linken Hand ein Loch formte und seinen rechten Zeigefinger hineinstieß. Kleine Geste mit großer Wirkung. Ash erwiderte das dreckige Grinsen. "Du meinst in den speziellen Filmen? Keine Chance. Ich hab keinen anderen Schwulen da getroffen, nicht das ich mich erinnern könnte." "Oh Mann, nicht einmal Gruppenwichsen im Schlafsaal, kein heißer Sex mit dem Vorgesetzten, keine Orgien in den Duschräumen, gemeinsames Wälzen im Schlamm oder so etwas? Komm schon, zerstör nicht meine Phantasien, ich finde Soldaten verdammt heiß." "Du hast aber eine dreckige Phantasie." David zuckte mit den Schultern. "Kann sein." "Obwohl ich nicht mehr bei den Marines bin, komme ich nicht so ganz vom Wasser los. Ich surfe leidenschaftlich gern. Wie steht es mit dir?" "Ich hab noch nie auf so einem Ding gestanden, um ehrlich zu sein." David schien etwas enttäuscht, dass sie wieder vom Thema Sex weg waren. "Es ist schon genial. Wo ist eigentlich der Kleine, der zu dir gehört?" wechselte Ash erneut das Thema. "Seid ihr zusammen?" "Jeremy? Keine Ahnung, der ist irgendwo verschwunden. Und fürs Protokoll: Wir sind nicht zusammen, er ist nur eine Begleitung. Aber dein Begleiter ist wohl auch auf und davon." "Na ja, wir verstehen uns ja auch gut, wozu brauchen wir dann schon die beiden?" lächelte Ash. "Wo waren wir..." Ganz beiläufig glitt seine Hand auf Davids Oberschenkel. "Ach ja. Ich stehe besonders auf die großen Teile, die reite ich dann lang und hart, bis ich überall nass bin." David sah ihn von der Seite an. "Reden wir vom Surfen?" Ashs Hand schloss sich um Davids Schritt, ungeachtet der vielen Leute die das hätten sehen können. "Kannst es ja mal testen wovon ich rede. Wo kann man hier wohl ungestört sein?" "Ich glaube Jason hat einen Schuppen im Garten..." "Gut... komm in ein paar Minuten nach." Damit erhob Ash sich und ging ganz unauffällig zur Glastür die in den Garten führte. Er schlüpfte hindurch und zog sie wieder zu. David wartete noch ein wenig bevor er ihm folgte, er hoffte das die Beule in seiner Hose unter dem Lendenschurz nicht allzu auffällig war. Chris fuhr mit der Zunge über den silbernen Löffel und leckte die letzten Reste einer großen Portion Marshmallow Fluff ab. Die klebrige Masse zerging im Mund und hinterließ den wunderbar süßen Geschmack, den Jason als Zahnschmelzkiller bezeichnete. Aber Chris brauchte das in diesem Moment, Marshmallow Fluff war seine Frustschokolade. Obwohl er ja eigentlich gar keinen Grund dazu hatte, aber so ganz waren seine Bedenken wegen Ashton nicht aus dem Weg geräumt. Zumindest nicht vollkommen. Als er das Geräusch der Türklinke hörte, ließ er das Glas hinter seinem Rücken verschwinden, er fühlte sich wie ein Teenager, der beim Rauchen erwischt worden war. Er rechnete mit Jason, der sehen wollte, wo er blieb, doch stattdessen steckte Sly seinen brünetten Kopf hinein. Er erschrak ein wenig, als er Chris sah. "Oh, sorry, ich wollte nicht stören. Ich geh wieder." "Nein, nein! Komm ruhig rein, du störst nicht." "Wirklich nicht?" "Wenn ich es doch sage." Chris lächelte und versuchte unauffällig das Glas auf die Arbeitsfläche hinter sich zu schieben, doch es gelang ihm nicht ganz. Er verfehlte die Kante und beinahe wäre der Behälter zu Boden gefallen, im letzten Moment fing er ihn auf. Das war allerdings mehr als auffällig. "Löffelst du Fluff?" "Ja... ich weiß, das ist..." "Ich mache das auch oft, ich liebe dieses Zuckerzeug." Chris sah ihn überrascht an. "Wirklich? Dann kann ich mir ja die ausufernden Erklärungen sparen, wenn du eine verwandte Seele bist." "Kann ich einen Löffel haben? Nur wenn das nicht dreist ist." "Klar!" lachte Chris. Er zog die Schublade mit dem Besteck auf, nahm einen Löffel heraus und hielt diesen und das Glas dem anderen Mann hin. Sly nahm es entgegen und genehmigte sich sofort einen Löffel. "Unbezahlbar..." schwärmte er. "Hab ich dich wirklich nicht gestört? Wolltest du allein sein?" "Das war offenbar auch deine Motivation, Gefällt dir die Party nicht?" "Doch!" beeilte Sly sich zu widersprechen. "Die Party ist schön. Ich brauche nur manchmal einen Moment für mich allein. Ich bin so. Ich mag Partys und bin auch kein Einzelgänger oder so, auch wenn ich sicher nicht so extrovertiert bin wie Ashton. Vielleicht war das auch der Grund, warum es mit uns nicht geklappt hat... ich rede mich gerade um Kopf und Kragen, oder?" Er lachte etwas verlegen. "Kein Problem." "Dein Kostüm ist übrigens echt schön." "Danke, deines aber auch." Sly zupfte an seiner Tunika. "Ich weiß nicht, ich trage grüne Strumpfhosen, falls dir das noch aufgefallen ist. Und du glaubst gar nicht, wie die kratzen. Aber ich hatte keine Lust mir die Beine zu rasieren." Chris musste lachen. "Kann ich verstehen." "Hast du dich mit deinem Freund gestritten?" "Das war jetzt aber direkt!" stellte Chris verdutzt fest. "Tut mir leid, ich wollte nicht aufdringlich sein, aber ich hatte den Eindruck, dass du sauer auf ihn warst und ich glaube ich kenne auch den Grund." "Meinst du?" Chris stützte sich auf der Arbeitsfläche ab und stemmte sich hoch um sich darauf zu setzen. Dabei achtete er nicht auf seinen Finger, der augenblicklich wieder anfing zu pochen. "Ja, du machst dir Sorgen wegen Coop." "Coop?" "Oh, sorry, ich meine Ashton. Er heißt mit zweitem Vornamen Cooper und ich nenne ihn immer Coop, meistens wird er aber Ash genannt. Es ging um ihn, oder?" Chris nickte. "Hab ich mir gedacht. Hör zu, Chris, ich... ich meine, ich hab kein Recht mich einzumischen, aber ich denke du musst dir keine Gedanken machen. Ich war schon mit Coop zusammen und ich kenne ihn. Er ist ein Genießer und sicher kein Kostverächter. Aber er würde sich nicht in eine Beziehung drängen. Du müsstest dir nur Sorgen machen, wenn Jason einen Hang zur Untreue hätte." "Das hat er sicher nicht!" "Siehst du! Coop kommt nur dann rein, wenn er eingeladen wird." "So wie ein Vampir?" Jetzt war es an Sly zu lachen. "So ähnlich! Coop ist ein netter Kerl, glaub mir. Ich muss es wissen." "Na ja, er muss wohl einer sein, wenn er mit dir zusammen war!" Chris schob sich von der Ablage hinunter und sprang wieder auf die Füße. "Das nehme ich als Kompliment." "War auch eines." Er deutete auf den Esstisch. "Setz dich doch." Sly nickte. "Gern." Er zog sich einen Stuhl heran und ließ sich nieder. Chris nahm zwei Gläser aus dem Schrank. "Magst du ein Glas von der Bowle? Ist wirklich lecker." Sly schüttelte den Kopf und hob zur Bekräftigung die Hände. "Nein, danke. Hast du vielleicht eine Coke oder so?" "Klar!" Chris holte eine Flasche Cola aus dem Kühlschrank, schenkte Sly ein Glas ein und nahm sich dann von der Bowle, bevor er sich zu ihm setzte. "Ich denke, Jason schafft es noch einen Moment den Gastgeber zu spielen." "Nicht das er sauer wird, weil du hier allein mit mir herumsitzt." Chris winkte ab. "Ne, sicher nicht." Sly nippte an seiner Cola. Eine Minute peinlichen Schweigens folgte, die Chris schließlich durchbrach. "Und was machst du so beruflich?" "Ich gehe zur Schule?" "Wie alt bist du?" fragte Chris überrascht. "Ich bin achtundzwanzig. Aber ich mache meinen Schulabschluss in der Abendschule nach, weißt du? Ich bin wegen widriger Umstände mit sechzehn von der Schule geflogen und seitdem nicht mehr hingegangen. Aber ich finde, dass man heute einen Schulabschluss braucht. Und was machst du?" Chris nahm einen Schluck Bowle bevor er antwortete und fragte sich in diesem Moment, warum ihm die Antwort so unangenehm war. "Ich bin Kellner bei IHoP." "Oh, dann ist Gastronomie deine Welt?" "Nein, nicht wirklich, aber was anderes bekommt man kaum ohne Schulabschluss..." "Was? Du auch nicht?" "Widrige Umstände, ich möchte nicht unbedingt darüber reden..." sagte Chris leise und schaute in sein Glas. Es war ihm nicht möglich in diesem Moment in Slys Augen zu sehen, er kam sich minderwertig und dumm vor. "Warum machst du es dann nicht wie ich? Ich kellnere auch nebenbei, das kannst du weitermachen und trotzdem deinen Schulabschluss fertig machen. Ich gebe dir die Adresse meiner Schule. Dann kennst du da sogar jemanden und vielleicht haben wir Kurse zusammen, dann können wir zusammen lernen." Chris blickte auf. "Meinst du wirklich?" Der Gedanke war verlockend. Sly stellte sein leeres Glas auf den Tisch und nickte. "Das ist mein vollster Ernst. Denk mal drüber nach oder sprich mit deinem Freund darüber, ich wette er ist der gleichen Meinung. Glaub mir, man fühlt sich besser, wenn man nicht den Eindruck bekommt, man sei dümmer als andere. Das stimmt nämlich einfach nicht." Chris musste zugeben, dass ihm Sly sympathisch war. Der junge Mann hatte sich regelrecht in Fahrt geredet und erklärte ihm noch ein paar Details über den Ablauf des Unterrichts in der Abendschule. Auch das klang sehr gut. Chris überlegte ernsthaft, nicht vielleicht wirklich dieses Angebot in Erwägung zu ziehen. Er würde unbedingt mal mit Jason darüber reden müssen. In diesem Augenblick fiel ihm auf, dass Slys Glas leer war. "Magst du noch was trinken? Vielleicht doch ein Glas Bowle?" "Nein, lieber nicht. Noch eine Cola, wenn es geht." "Wir haben auch andere Sachen, ich meine die Bowle ist nicht so hochprozentig, aber wir haben auch Bier und so weiter." Sly lächelte ein wenig hilflos. "Das ist lieb, aber keine gute Idee. Gib mir lieber Cola..." Er schien kurz zu überlegen. "Widrige Umstände, verstehst du?" fragte er dann etwas kryptisch. Chris hob die Hand vor den Mund und sah Sly erschrocken an. "Ach du Scheiße! Sorry, ich versuche dir hier die ganze Zeit Alkohol anzudrehen..." Offenbar hatte er verstanden. "Mach dir keinen Kopf, du konntest es ja nicht wissen. Es ist auch nichts, dass ich unbedingt breit trete, sicher verständlich. Aber mach dir wirklich keine Gedanken, so leicht bin ich nicht zu beeinflussen, ich bin seit acht Jahren trocken, da kriegt man nicht mehr so schnell einen Rückfall." "Deswegen bist du also von der Schule geflogen?" fragte Chris, während er Sly Cola nachschenkte. "Ja, Alkoholiker sind da nicht gern gesehen. Eigentlich war ich auch so gut wie nicht mehr da. Weißt du, damals war meine Mutter gestorben, sie hatte Krebs, und ich bin damit nicht fertig geworden. Mein alter Herr hat sich alle Mühe gegeben, aber er ist nicht zu mir durchgekommen." Chris ließ sich wortlos auf den Stuhl sinken. Es machte ihn betroffen, was er dort hörte und Sly gleichzeitig in seinen Augen noch sympathischer. Er hatte sich offensichtlich auch selbst aus dem Sumpf geholt. Chris überlegte einen Moment, ob er sich Sly offenbaren sollte, entschied sich aber dagegen. Zu vertrauensselig wollte er nicht sein. "Und dann war es quasi eine Bösartigkeit des Schicksals, die mir die Augen geöffnet hat. Vier Jahre später ist mein Vater von einem Betrunkenen überfahren worden... er war sofort tot... Ich war damals gerade zwanzig, hatte schon mehrere Entziehungskuren hinter mir oder abgebrochen und war immer rückfällig geworden. Mit einem Schlag stand ich allein da, ich hatte keine näheren Verwandten außer meinen Vater..." Seine Stimme wurde dünn und im Affekt legte Chris seine Hand tröstend auf Slys Unterarm. Der brünette Mann sah für einen Moment auf die Hand hinunter und nickte dann dankbar. "Es geht schon. Ich bin eigentlich drüber hinweg, hab das nur lange niemandem mehr erzählt. Ich hab kurze Zeit später Coop kennen gelernt und mich verliebt. Aber so ganz das wahre war es nicht zwischen uns. Wir haben uns manchmal ganz schön gestritten. Wir haben uns getrennt, sind wieder zusammen gekommen, haben uns wieder getrennt. Irgendwann haben wir dann eingesehen, dass wir als Freunde das bessere Team sind..." Er sah Chris mit leicht geröteten Wangen an. "Oh Mann, jetzt hab ich dich mit meiner halben Lebensgeschichte zugelabert. Das wollte ich nicht." "Ach was!" Chris winkte ab. "Du hast mich nicht zugelabert, ich hab gern zugehört. Und ich würde dich gern was fragen." "Nur raus damit!" "Heißt du eigentlich wirklich Sly?" Sly kratzte sich am Hinterkopf. "Nein, leider nicht... weißt du, ich bin am 31.12. um 23.57 Uhr geboren und meine Eltern hielten es für eine gute Idee, mich Silvester zu nennen. Aber vergiss das schnell wieder, ja? Niemand nennt mich so. Wenn es nicht in meinem Pass stehen würde, hätte ich diesen Namen am liebsten verdrängt. Ich bin für jeden einfach nur Sly. Sly McGrey." "Na dann, Sly McGrey. Ich heiße eigentlich auch Christopher, aber da mich nur meine Eltern so genannt haben, bin ich für jeden Chris, Chris S. Fairgate." "Für was steht das S.?" "Für meinen zweiten Vornamen, den ich gern verschlucke... Samuel." "Klingt doch schön." "Da bist du aber der erste, der das sagt." lachte Chris. "Ich glaube, wir könnten gute Freunde werden!" lächelte Sly und hob sein Glas. "Sehe ich auch so!" Chris tat es ihm nach und sie prosteten sich zu. Als Chris einen Schluck trank, fühlte er sich gleich viel besser. Der Ärger wegen Ash oder Coop oder wie auch immer war vergessen, eigentlich musste er ihm sogar dankbar sein. Denn Sly versprach wirklich ein guter Freund zu werden, er war ihm auf Anhieb sympathisch. David sah sich um. Niemand hatte gemerkt, dass er das Haus verlassen hatte, zumindest war ihm niemand gefolgt. Und zum Glück hatte sich auch kein Raucher hier hinaus verzogen. Hinter den Glasfenstern des Wintergartens bewegten sich die Gäste und die Musik drang leise hier hinaus. Der Kies des Gehweges knirschte unter seinen Füßen. Es war kühl geworden und die wenigen Blätter hielten ebenso wenig warm wie der Lendenschurz. Aber allein die Vorstellung was auf ihn zukommen könnte, sorgte dafür dass ihm heiß wurde. Im Schuppen brannte schummeriges Licht, die Glühbirne war wohl nicht mehr die Jüngste. David schob die Tür auf und trat ein. Auf den ersten Blick war niemand da, doch kaum hatte er den Raum vollkommen betreten, knallte die Tür hinter ihm zu. Ash, der im toten Winkel des Eingangs gestanden hatte, packte ihn, wirbelte ihn herum und stieß ihn mit dem Rücken gegen die Tür. Bevor er sich versah, fand sich David in einem intensiven Kuss mit dem anderen Mann wieder. Ashs Zunge bewegte sich fordernd in seinem Mund, suchte den Kontakt von Davids Zunge, umspielte sie, drängte sie zurück und ließ ihr dann wieder Freiraum. Der Kuss war gut, wie David feststellte. Verdammt gut, Ash wusste was er wollte. Einzig der Drang Atem zu holen, schien sie trennen zu können. Ash ging einen Schritt zurück. Erst jetzt hatte David Zeit den Raum zu mustern. Gemütlich war es nicht, aber immerhin zweckmäßig. Auf dem Boden lagen ein paar Matratzen, die ursprünglich für Liegestühle gedacht waren, die Ash wohl dort deponiert hatte. Davids Blick strich über Ash, der einfach vor ihm stand, die Hände in den Hüften. Er grinste. "Gefällt dir, was du siehst, Waldfee?" David überging den dreisten Spitznamen. Der Anblick gefiel ihm zu gut. Ash trug nur noch seine Stiefel und die Kette, sonst nichts mehr. "Das kann man wohl sagen." "Stiefel und Dogtag, ich dachte das müsste reichen, um deine Phantasie anzukurbeln." "Ich bin zu allem bereit, Soldat!" "Dann ist ja gut." David zog Ash an der Kette an sich heran. Ihre Lippen trafen sich erneut zu einem noch wilderen Kuss als dem ersten. David begann zu schwitzen. Er wünschte sich nichts sehnlicher in diesem Moment, als all die angestaute sexuelle Energie zusammen mit Ash zu entladen. Er stieß ihn von sich, so dass er auf die Matratzen fiel. Ash stemmte sich auf die Ellenbogen hoch und öffnete provozierend die Beine. Er griff mit der Hand unter eine der Matratzen und zog Kondome hervor. Er sah herausfordernd zu David hoch. "Du hast Power, komm her und zeig mir was du kannst, Waldfee!" "Das lasse ich mir nicht zweimal sagen!" Chris verließ mit Sly zusammen die Küche durch die Tür zum Wintergarten. Der brünette Mann hielt ihm die Tür auf, damit er mit der Bowleschüssel durchkommen konnte. Aus dem Wohnzimmer schalten die Klänge des MC Hammer Hits "Hammer Time", ein Lied mit einem mitreißenden Beat, aber furchtbar stumpfsinnigem Text, der hauptsächlich aus dem Satz "Can't touch this!" bestand. Die Gäste standen im Durchgang zum Wohnzimmer. "Was ist denn da los?" "Ich weiß nicht." Sly ging schon mal hinüber, während Chris die Schüssel abstellte und ihm dann folgte. Er entdeckte Jason und Marcus und stellte sich zu ihnen. "Hab ich was verpasst?" Marcus sah ihn an. "Das kannst du laut sagen! Schau dir das an! Mann, der ist so cool!" Jason legte Chris den Arm um die Schulter und schob ihn liebevoll vor sich, damit er besser sehen konnte. Jeremy legte im Wohnzimmer eine Tanzeinlage hin. Er ahmte exakt den fetzigen Tanz aus dem Video des Songs nach und ergänzte ihn mit einigen schwer aussehenden Breakdance-Einlagen. Es sah unglaublich aus. Jede Bewegung saß perfekt. "Wo hat er das denn gelernt?" "Er macht eine Ausbildung zum professionellen Tänzer." Jason küsste Chris auf die Schläfe. "Wo warst du?" "Ich hab mich mit Sly in der Küche unterhalten." "Über Ash?" "Glaubst du mir, wenn ich jetzt leugne?" "Nein, mein Engel. Bist du jetzt ruhiger?" "Ganz ehrlich?" Chris nickte. "Ja, schon, auch wenn ich nicht unbedingt Wert darauf lege, dass mein Verhältnis zu Ashton zu eng wird. Aber das heißt ja nicht, dass du dich nicht mit ihm anfreunden kannst. Ich habe mich ja auch gerade mit Sly angefreundet." Jason sah zu dem brünetten Mann hinüber, der rhythmisch mit dem Fuß tippte. "Muss ich ihn etwa zum Duell fordern?" "Nein, mein süßer Yankee!" lachte Chris und schmiegte sich an Jason. Das Lied endete und Jeremy beendete die Vorstellung im Spagat. Alle Gäste brachen in Applaus aus, während der junge Mann sich erhob und verbeugte. Er zog seine Weste wieder an und nahm das Kopftuch in die Hand, das auf einem Sessel lag. "Vielen Dank!" lächelte er. Jason ging zu ihm hinüber und klopfte ihm auf die Schulter. "Das war unglaublich, Jeremy. Wirklich genial." "Kann ich nur zustimmen!" lachte Chris. "Kannst du mir das beibringen?" ereiferte sich Marcus. Jeremy nickte. "Wie lange hast du Zeit?" "Eine Woche." "Oh, das wird etwas knapp, ich hatte auf ein paar Jahre gehofft, ich mache das nämlich schon seit ich zwölf war." "Mist!" grinste Marcus. "Aber ich hätte sicher eh nicht die Geduld dafür." "Hat David das eigentlich mitbekommen? Er hatte mal gesagt, er wolle mich mal tanzen sehen." "Ich hab ihn seit vorhin nicht mehr gesehen. Und er ist auch nicht hier." wunderte sich Jason. "Entschuldigt, ich wollte nicht lauschen, aber wenn ihr den Adonis mit dem Blätterkostüm sucht, der ist vorhin in den Garten gegangen." mischte sich Claire ein. "Eine tolle Vorstellung übrigens, einfach spitze." "Vielen Dank!" Jeremy deutete eine Verbeugung an. "Ich schaue mal nach David, wahrscheinlich raucht er eine. Ich muss ihm den Kopf waschen, dass er die Vorstellung verpasst hat." "Mach das, aber ordentlich!" grinste Jason. "Die beiden passen zusammen, finde ich..." sagte Chris, als Jeremy sich ein Stück entfernt hatte. "Ich weiß nicht..." gab Jason zurück. Jeremy zog die Tür des Wintergartens hinter sich zu und sah sich um. Der Garten war leer, weder hier auf der Terrasse noch sonst wo stand jemand. Aber irgendwo musste David doch sein. Er wollte schon wieder gehen, als ihm das Licht im Gartenhaus auffiel. Wahrscheinlich war es David in seinem Hauch von Nichts zu kühl geworden und er hatte sich zum Rauchen dorthin verzogen. Jeremy machte sich auf den Weg. Der Abend war wirklich schön, er genoss es in Gesellschaft von Davids Freunden zu sein, vor allem da er auch Jason sehr mochte und er Chris innerhalb kürzester Zeit ins Herz geschlossen hatte. Aber jemanden wie Chris nicht zu mögen war auch wirklich schwer. Er hatte den Schuppen erreicht und drückte die Tür auf um einzutreten. Doch kaum war er drin, riss er die Augen auf, ob dessen was er sah. "Ach du Scheiße!" entfuhr es ihm. David hob den Kopf und sah Jeremy überrascht an, während Ash nur dreckig grinste. Der junge Mann warf sich auf dem Fuß herum und wollte die Hütte wieder verlassen, leider verfehlte er die Tür und rannte mit voller Wucht gegen den Rahmen. Endlich fand er den Ausgang, obwohl er Sterne sah, und knallte die Tür hinter sich zu. David blickte perplex auf die Tür. Er kniete zwischen Ashs gespreizten Beinen, der auf die Ellenbogen gestützt vor ihm lag. Seine Haare waren zerzaust und das Efeu verrutscht. Ash schnippte mit den Fingern um seine Aufmerksamkeit zu erregen. "Hey, Waldfee, du warst gerade mit etwas beschäftigt, bevor uns der Kleine gestört hat. Willst du nicht weitermachen?" David sah erst ihn, dann seinen Schritt und dann wieder ihn an, bevor er den Kopf schüttelte. "Tut mir leid, ich kann nicht. Das sah übel aus, vielleicht hat er sich verletzt. Ich muss nach ihm sehen." "Ist das dein Ernst?" "Ich fürchte ja... außerdem ist meine Latte dahin. Tut mir leid." Er beugte sich über Ash und zog ihn an sich, um ihn zu küssen. "Keine Angst," grinste er, als sich ihre Lippen trennten, "wir holen das nach, versprochen!" "Ich komme darauf zurück." David stand auf und rückte seine Klamotten zurecht. Ash blieb noch ebenso liegen wie vorher. "Du bist dir wirklich sicher?" David nickte. "Ja, ich kann es selbst nicht glauben, aber ja... ich muss nach ihm sehen." "Wie du meinst, Süßer." David verließ die Hütte und Ash blieb allein zurück. Er ließ sich seufzend nach hinten auf die Matratzen sinken, dann hob er noch einmal den Kopf und blickte in seinen Schritt. "Das war's dann wohl, runter, mein Freund..." David eilte hinter Jeremy her, der zielstrebig das Gartentor zur Straße ansteuert. "Jeremy!" "Lass mich in Ruhe!" schnappte der jüngere Mann ohne sich umzudrehen. "Jetzt warte doch mal!" David holte ihn ein und fasste ihn am Arm, um ihn aufzuhalten. Jeremy riss sich gewaltsam los. "Hast du dir weh getan?" "Was geht dich das an?" Jeremy blickte zu Boden, doch selbst hier im Zwielicht des Gartens erkannte man deutlich die Bluttropfen, die ins Gras fielen. Er hatte Nasenbluten. "Komm, wir gehen rein und besorgen dir was zum Kühlen, Jason hat sicher..." "Hast du einen Knall?!" schrie Jeremy ihn plötzlich an, so heftig das David zusammenzuckte. "Was glaubst du eigentlich, was du machst und wer du bist?!" "Schrei doch nicht so!" David hob beschwichtigend die Hände. "Was habe ich denn getan?" "Das fragst du noch?!" Jeremys Stimme überschlug sich fast, so entsetzt schien er zu sein. Das Blut aus seiner Nase lief über seine Lippen, aber er achtete kaum darauf. "Ja, das frage ich!" Jetzt wurde auch David laut. "Du hast doch wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank, Vanderveer! Wenn du da nicht selbst drauf kommst, dann tust du mir leid!" "Jetzt sei doch nicht so zickig und komm wieder rein!" David streckte die Hand aus, doch Jeremy schlug sie weg. "Ich nehme mir ein Taxi, ich hab genug." Er funkelte David wütend an. "Sag Jason, dass es mir leid tut. Und jetzt geh wieder rein, vielleicht findest du ja noch jemanden, der dir seinen Schwanz ins Maul stecken will!" Damit ließ er David stehen, der für einen Moment nur den Mund öffnen konnte. Erst als Jeremy schon durch das Gartentor war, fand er seine Fassung wieder. "Was bildest du dir eigentlich ein, du kleiner....?!" "Was ist denn hier für ein Geschrei?" David wandte sich um. Chris und Jason standen hinter ihm und sahen ihn verwundert an. "Man hat dich und Jeremy bis ins Wohnzimmer gehört!" merkte Chris an. David machte eine abfällige Handbewegung in Richtung des Gartentores. "Hör mir auf mit Jeremy. Der Idiot hat mir eine Szene gemacht und ist verschwunden." "Was hast du denn gemacht?" Chris verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln, doch David nahm die Frage nicht so locker auf. "Bitte?! Warum bin immer ich gleich der Schuldige?! Im Zweifelsfall ist es David, was?! Ihr könnt mich bald alle mal!" "Pass auf was du sagst!" Jasons Stimme klang ärgerlich. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand Chris beschimpfte. David sah ihn einen Moment lang kampflustig an, dann ließ er die Schultern sinken. "Tut mir leid... sorry, Chris... ich hab es nicht so gemeint. Ich bin nur so sauer..." "Keine große Sache, vergiss es. Ich lasse euch beiden mal allein, wenn du mit Jason reden magst. Ich schaue mal was die Gäste machen." "Ich wollte dich nicht verjagen!" David Stimme war ehrlich betroffen. "Hey, so hab ich das auch nicht gemeint, aber ich denke, Jason und du ihr kommt schon allein klar." Er wandte sich an Jason. "Bis gleich, mein schnittiger Yankee." Er gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Bis gleich, mein Engel!" Chris lief ins Haus zurück, Jason sah ihm kurz nach und schaute dann David an, der das Gesicht mit gespieltem Ekel verzog. "Ihr beiden seid widerlich, bei euch ist der Schnulzfaktor ja kaum noch messbar!" grinste er. "Neidisch?" "Ich? Sicher nicht!" "Was war denn jetzt genau los?" David zuckte mit den Schultern. "Eigentlich nichts weltbewegendes. Ich war nur mit deinem neuen Kollegen in eurem Schuppen und..." "David!" "Was denn? Meine Güte, weiter als bis zu einem Blowjob sind wir ja nicht gekommen, dann kam Jeremy dazwischen, hat uns gesehen und ist auf und davon. Dabei hat er sich auch noch die Nase am Türrahmen angerannt. Und ich bin ihm sogar hinterher! Dabei ist Ash wirklich geil, das kann man nicht anders sagen. Und was macht dieser kleine Mistkerl? Schreit mich an und sagt mir, ich solle doch gucken, ob mir nicht noch jemand seinen Schwanz ins Maul stecken wolle! Was bildet sich dieser kleine Barkeeper eigentlich ein?!" "David, ist dir vielleicht mal der Gedanke gekommen, dass er verletzt sein könnte. Schließlich war er mit dir hier und nicht du mit Ash. Er hat da drin eine ziemlich geniale Show abgeliefert und hatte scheinbar gehofft, dass du es siehst, aber du warst schon weg." "Was kann ich denn dafür?" David fasste im Reflex an seinen Lendenschurz und tastete nach einer Tasche. "Verdammte Scheiße, dieses Dreckskostüm hat ja noch nicht einmal Taschen, jetzt hab ich nicht einmal eine Kippe!" "Von mir kannst du da leider keine erwarten." "Immer diese Nichtraucher." "Du bist doch auch nicht viel mehr als ein Gelegenheitsraucher." "Hast ja Recht..." "David, ich glaube es wird am besten sein, wenn du erst einmal Gras über die Sache wachsen lässt und dann noch mal mit Jeremy redest, das wird sich schon einrenken lassen." "Keine Chance!" David verschränkte die Arme vor der Brust. "Mit der kleinen Kanalie habe ich nichts mehr zu bereden. Ich lasse mich doch nicht von einem Dreiundzwanzigjährigen beschimpfen!" Jason musterte seinen Freund. Er spielte den Coolen, aber irgendwie hatte der Polizist das Gefühl, dass der Streit mit Jeremy nicht spurlos an ihm vorbei gegangen und nicht nur verletzter Stolz der Grund für Davids Wut war. Zur gleichen Zeit legte Ash von hinten seine Hand auf Slys Schulter. Der brünette Mann stand gerade am Büfett und füllte Nudelsalat auf seinen Teller. Überrascht blickte er den blonden Polizisten an. "Wo bist du gewesen?" "Frag besser nicht..." "Hab ich doch schon!" grinste Sly. "Hast du den Blonden mit dem Blätterkostüm flach gelegt?" Ash stieß entnervt die Luft aus. "Schön wäre es... aber der kleine Rothaarige, hab seinen Namen vergessen, irgendwas mit J..." "Jeremy, das ist der Tänzer." "Ja, genau der. Der kleine Idiot kam dazwischen und hat alles ruiniert. Bevor ich mich versah, hatte David mich mit meiner Latte da allein gelassen." "Och, mein armer Coop!" Sly rieb seinen Handrücken über Ashs Wange, wie eine Mutter die ihr Kind beruhigt, dass sich das Knie aufgeschlagen hat. "Kommst du nachher mit zu mir?" "Weswegen?" "Frag nicht so dumm. Einen Kaffee trinken und dann will ich dich vögeln!" Sly lachte. "Ist dir mal aufgefallen, dass du mich immer nur dann bumsen willst, wenn dich ein anderer Kerl hat abblitzen lassen?" "Hast du ein Problem damit? Schon was besseres vor?" Sly steckte sich eine Gabel Salat in den Mund und kaut genüsslich. "Nein!" antwortete er mit vollem Mund. "Gut, dann wäre das ja klar." "So ist es doch wirklich besser. Als wir noch zusammen waren, haben wir am Ende kaum noch gevögelt, aber jetzt, so ganz zwanglos." "Sehr richtig, mein Lieber!" grinste Ash und nahm sich ein Stück Baguette aus dem Brotkorb. "Obwohl ich mir schon vorstellen kann, an wen du denkst, wenn du die Augen schließt. Aber dieser David ist schon heiß, ich kann verstehen..." Er brach den Satz ab. Chris hatte den Wintergarten betreten und stand bei Marcus und Claire. Er unterhielt sich und lachte gerade herzlich über etwas. Ash folgte seinem Blick. "Oh, ich glaube, ich weiß wen du dir vorstellst, wenn wir vögeln." "Was?" Sly sah ihn etwas orientierungslos an, als wäre er gerade aus einem Traum erwacht. Ash nickte in Chris' Richtung. "Er ist ganz niedlich, wenn man auf den schmächtigen Typ steht. Kein Vergleich zu den Muskeln von David oder Jason." "Kommt es darauf an? Er ist was Besonderes..." "Scheiße, dich hat es aber ganz schön erwischt. Pass auf das du mich nicht in die Bredoullie bringst. Jason ist mein Partner und verdammt nett." "Vergiss es... ich würde es nie wagen, mich in seine Beziehung zu drängen, dazu ist er zu glücklich. Wenn ich egoistisch wäre, würde ich sagen, leider ist er glücklich mit diesem Polizisten... aber ich glaube das war Liebe auf den ersten Blick, ich kann ihm sein Glück einfach nicht neiden..." "Du warst immer zu nett, Sly. Allerdings verstehe ich dich, wenn du dich dazwischen drängst bist du der Arsch. Aber sag niemals nie... glaub mir, kaum ein Glück hält ewig, deine Chance kommt schon." Sly schaute Ash an, doch sein Freund ließ bereits den Blick über die anderen Gäste schweifen. Manchmal konnte er ihn immer noch überraschen, zum Beispiel mit Sätzen wie diesem. Er nahm sein Glas mit Cola und nippte daran. Sein Blick irrte wieder zu Chris und diesmal schien der blonde Mann es zu spüren. Er lächelte ihn an. Sly hob sein Glas und prostete ihm zu. Vielleicht würde seine Chance doch eines Tages kommen... "Was für ein Tag!" Chris streckte sich und gähnte. Die letzten Gäste waren weit nach Mitternacht gegangen, nur David und Claire waren noch geblieben um ihnen aufräumen zu helfen. Marcus war bereits tief und fest in seinem Zimmer eingeschlafen, die Party hatte ihn ganz schön geschlaucht. Chris beobachtete seinen Freund, wie er sich auszog und in seine Boxershorts stieg. Normalerweise konnte er sich beim Anblick von Jasons nacktem Körper nicht so gut beherrschen, aber heute war er einfach zu müde um noch einen Annäherungsversuch zu starten. Jason löschte das Licht bis auf seine Nachttischlampe und stieg ins Bett. Kaum war er unter der Decke kuschelte sich Chris an ihn und gab ihm einen sanften Kuss auf den Hals. "Der Abend war schön. Aber auch anstrengend." "Das kannst du laut sagen. David ist wegen Jeremy beleidigt, so hab ich ihn noch nie erlebt und ich hatte erwartet, dass er schon öfter mal beschimpft worden ist, ein verdammt dünnes Fell..." "Ach, ich glaube das sind die Umstände..." "Hm?" Chris schüttelte den Kopf, dabei strichen seine Haare über Jasons Brust. "Ich sag dazu lieber nichts. Ich halte nicht soviel von Davids polygamen Lebensstil. Und ich will ihm in Hinsicht auf Jeremy nichts unterstellen." "Das gleiche habe ich auch schon gedacht... also das was du ihm nicht unterstellen willst, aber ich weiß nicht ob ich ihm das zutrauen sollte... nur gekränkter Stolz ist es definitiv nicht..." Eine Zeit lang herrschte Schweigen. "Ich hab Angst vor morgen..." nahm Jason das Gespräch schließlich wieder auf. "Ich weiß..." Chris fuhr ihm mit der Hand zärtlich durchs Haar. "Aber ich bin bei dir, wir schaffen das." "Hältst du mich heute Nacht fest?" lächelte Jason etwas verlegen. "Gern!" "Danke... wahrscheinlich sollten wir dann auch schlafen, oder?" "Ich denke schon." Sie brauchten ein paar Minuten um die Kissen zurecht zu rücken, damit es bequem war. Chris schmiegte sich in der Löffelchenposition an Jason und legte den Arm um ihn. "Gute Nacht, mein Liebling." "Schlaf gut, mein Engel..." Und obwohl er furchtbar nervös war, schlief Jason fast sofort ein. Chris' Nähe beruhigte ihn und gab ihm Sicherheit. Auch Chris war bald darauf eingeschlafen und endlich senkte sich die Stille der Nacht über das Haus. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Oh, what a swell party this is! Oder eher this was ;-) ("Oh, what a swell party this is" war übrigens der ursprüngliche Titel dieses Kapitels und dem davor, bevor sie geteilt wurden) Viele neue Verwicklungen und noch kein Ende in Sicht. Zum ersten mal werden auch die anderen Charas neben David richtig aktiv, dieses Kapitel gehört fast ausschließlich den "Neuen" im Bunde. Sly ist ein Charakter der es einem glücklichen Zufall verdankt, dass es ihn gibt. Für einen Plot, der viel später passieren wird, brauchte ich dringend einen Ex-Freund von Ash und irgendwie entstand daraus Sly. Chris darf hier Mr. Exposition spielen, um möglichst viel über Sly zu verkünden, ich hielt das für eine ganz gute Lösung um der Figur ein wenig Background zu geben. Ich hoffe, dass ich ihm durch seine aufkeimende Liebe zu Chris nicht gleich sämtliche Sympathien verbaut habe, denn er ist kein Bösewicht. Vielmehr hat er sich nur in den Falschen zur falschen Zeit verliebt. Was sich daraus ergibt bleibt abzuwarten... zumindest für euch, ich weiß es ja *g* Ach ja! Seinen Nachnamen verdankt er KatoKira und ihrem Daniel McGrey aus "Sirenen der Nacht". Ich fand den Namen klasse und durfte ihn freundlicherweise benutzten! *kathi knuddel* Lest ihre Story, die ist wirklich klasse! *werbung mach* David und Ash scheinen sexuell schon mal auf einer Wellenlänge zu liegen, doch da gibt es immer noch Jeremy. Der Grundstein für Davids eigenen Handlungsstrang ist damit endgültig gelegt ^^ Am meisten Spaß hat mir die erste Szene gemacht, eine typische David-Szene, voller sexueller Anspielungen und schmutzigen Sprüchen. *g* Da konnte ich mich mal wieder seit Kapitel 3 richtig austoben und zeigen, was David eigentlich ist... nämlich ganz schön triebgesteuert *gggg* Die Idee zu Jeremys Tanz verdanke ich dem Film "Drei Engel für Charlie - Volle Power", dort tanzen Lucy Liu, Cameron Diaz und Drew Barrymore zu "Hammer Time" und die Szene hat mir einen Ohrwurm verpasst. ^^ Ich hatte einen Mordsspaß an diesem Kapitel und ich hoffe, dass es noch dem einen oder anderen ebenso ging ^^ Wenn ja, lasst mir doch einen Kommi da, ich freu mich drüber ^^ Euer Uly (das spricht sich übrigens wie der Monat Juli) ^^ Kapitel 12: Mother knows best a.k.a. Brothers and mothers --------------------------------------------------------- "Was ist denn hier los?" Jason stand verwundert in der Küchentür und sah sich um. Auf der Arbeitsfläche in der Mitte der Küche standen mehrere Bleche mit teils noch warmen Muffins, ihr Duft verteilte sich in der gesamten Küche und ließ den Raum mehr wie eine Backstube wirken. Chris kniete vor dem Backofen und sah hinein. In der Backröhre ging gerade ein weiteres Blech Muffins auf. Er stand auf und lächelte Jason an. Um seine Hüften lag eine Schürze und er war überall mit Mehl bekleckert. "Bin ich in Stepford gelandet?" fragte Jason ungläubig und spielte dabei auf die Horrorkomödie "Die Frauen von Stepford" an, in der Ehefrauen durch perfekte Roboter ersetzt werden. "Spinner! Ich hab nur ein paar Muffins gebacken." "Ein paar?! Chris, hier sieht es aus wie in einer Bäckerei!" "Och, das sind nur ein paar Schokoladen-, Blaubeer- und Vanillemuffins. Ging ganz schnell." "Wie lange bist du schon auf?" "Wieviel Uhr ist es?" Jason sah auf die Küchenuhr. "Es ist beinahe elf." "Dann sind es so ungefähr drei Stunden, etwas mehr. Ich musste ja auch erst Zutaten besorgen. Du hast so friedlich geschlafen, ich wollte dich nicht wecken." "Bist du denn gar nicht müde?" Chris lächelte und wischte sich den Schweiß von der Stirn, wobei er Mehl auf seine Haut schmierte. "Ich hab vier Tassen starken Kaffee weg, ich glaube ich kann die nächsten paar Tage nicht mehr schlafen." Jason knotete seinen Bademantel zu. "Warum machst du das?" "Warum schon? Ich will das deine Eltern einen guten Eindruck haben. Ich will ihnen Kaffee und frische Muffins anbieten und ihnen zeigen, dass wir glücklich sind und ein ganz normales Paar." "Chris, du musst nicht zur Hausfrau mutieren, um meine Eltern zu beeindrucken!" "Das klingt ein wenig undankbar, Jason." Der junge Polizist trat zu ihm und zog ihn in seine Arme. "Ach Unsinn, das ist eine wundervolle Idee, aber du musst dich nicht verbiegen um meinen Eltern zu gefallen, hörst du. Sie werden dich mögen so wie du bist. Und überhaupt, wo ist deine Zuversicht hin?" "Die hat sich heute morgen aus dem Staub gemacht! Ich bin wach geworden und hatte total Panik. Das deine Eltern vielleicht nichts gegen deine Homosexualität haben, mich aber vielleicht nicht für den richtigen Umgang halten oder so." Jason küsste ihn auf die Stirn, sein Freund schmeckte sogar nach Mehl, aber auch ein wenig nach Vanille und Schokolade. Zum anbeißen, fand Jason. "Rede keinen Quatsch. Du wirst sie umhauen, so wie du mich immer wieder umhaust! Übrigens hat dieser Bäckerlook eindeutig was verführerisches." Er fing an, an Chris' Ohr zu knabbern. "Oh Gott, schon am frühen Morgen! Macht ihr auch mal eine Pause?" Marcus war von beiden unbemerkt in die Küche gekommen und angelte nach einem Muffin aus Er war schon angezogen, allerdings trug er nur einen schlabberigen Pulli und Jogginghosen. "Erst frech werden und dann erwarten, etwas von meinen Muffins abzukriegen. Merkwürdige Taktik!" Chris streckte Marcus die Zunge raus, was Jason zum Lachen brachte. Der Junge nahm einen Schokomuffin und biss genüsslich hinein. "Hmmm, der ist ja noch warm." "Ist ja auch noch ganz frisch." "Du backst gut, Chris." "Danke." "Ist das nicht ein bisschen zuviel für fünf Leute?" Jason nickte. "Ein bisschen viel ist gut, aber wir sind ja immerhin zu sechst." "Sechs?" "Mein Bruder Gary kommt auch mit." "Dein... Bruder...?" Jason löste sich von Chris. "Ja, mein jüngerer Bruder Gary wird auch mitkommen. Er ist elf Jahre jünger als ich." "Und das heißt?" "Mein Liebster ist dreißig!" grinste Chris, bevor er sich wieder dem Ofen zuwandte und ihn öffnete. Eine Welle von Hitze schoss aus dem Backofen, so dass er erst einmal ein Stück Abstand nehmen musste, bevor er mit Topflappen bewaffnet das Blech hervorholte. "Das heißt, dein Bruder ist neunzehn?" "Jep!" Jason goss sich eine Tasse Kaffee ein und nahm einen Schluck. Er starrte entsetzt in die dunkle Flüssigkeit. "Himmel, Chris, da bleibt ja der Löffel drin stehen!" "Ich sagte doch, ich musste wach werden." "Dieses Gebräu würde Tote wieder lebendig machen." Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck stellte er die Tasse auf die Spüle. "Hast du nicht längst einen Koffeinschock?" "Och, meine Hände zittern ein bisschen, aber sonst!" lachte er. "Kann ich ein Foto sehen?" Beide blickten Marcus überrascht an. "Bitte?" "Kann ich ein Foto von deinem Bruder sehen? Wie hieß er noch mal?" "Mein Bruder heißt Gary. Im Treppenhaus hängt ein Foto von meinen Eltern und ihm. Das ist allerdings schon älter, da war er fünfzehn. Das wurde aufgenommen, bevor ich hierher gezogen bin." "Ich geh mal kurz gucken, ja?" Kaum hatte er es gesagt, verließ er auch schon die Küche. "Mann, der hat es vielleicht eilig." "Sag mir nicht, du weißt nicht warum?" Chris packte bereits abgekühlte Muffins in einen großen Korb. "Das ist ja wohl klar." "Ist es?" "Jason, ich bitte dich!" Jason sah ihn verdutzt an. "Er wird doch nicht...?" Chris nickte. "Er könnte schon..." "Ist der süß! Ich hab immer gedacht, das wärst du, Jason!" ertönte Marcus' Stimme aus dem Flur. "Er hat!" stellte Jason entsetzt fest. "Marcus! Wir müssen da was klären!" Er stürmte aus der Küche. Chris sah ihm hinterher und grinste. Jason gab sich Mühe, seine Sorgen zu kaschieren, aber es war ihm trotzdem klar, dass er Angst hatte. Und ihm selbst ging es nicht anders. Er nahm einen Blaubeermuffin und biss hinein. Schmeckte sehr gut. Blieb nur noch zu hoffen, dass Jasons Eltern mit ein paar Muffins zu überzeugen waren. "Das ist unfair!" Marcus verschränkte die Arme vor der Brust und schaute beleidigt aus dem Fenster des Wohnzimmers. Er hatte sich in einen Sessel fallen lassen und blickte demonstrativ an Jason vorbei. "Marcus, du musst mich verstehen..." Jasons Stimme klang ein wenig hilflos, ob der Reaktion des Jungen. Er gestikulierte dabei, als könnte er seine Worte damit plausibler machen. "Was habt ihr beiden denn nun?" Chris kam aus dem Wintergarten ins Wohnzimmer. Er hatte die Schürze abgelegt und rieb sich mit einem Küchentuch die Hände trocken. "Dein Freund will mir verbieten, mich mit seinem Bruder abzugeben!" Er sprach das "Dein Freund" fast wie eine Beleidigung aus. Chris sah Jason überrascht und ein wenig schockiert an. "Das habe ich doch gar nicht gesagt!" rechtfertigte sich der junge Polizist. "Ich habe dich nur gebeten, ihn in Ruhe zu lassen und du weißt wie ich das meine. Mein Bruder ist nicht schwul!" "Das kannst du nicht wissen," mischte sich Chris ein, "es kommt oft genug vor, dass Brüder auch die sexuelle Orientierung teilen..." Jasons eisiger Blick brachte ihn zum Schweigen. "Gut, das war nicht konstruktiv, ich sag nichts mehr." "Ist wohl auch besser. Wir spielen hier nämlich nicht guter Bulle, böser Bulle." "Ich bin ja auch gar kein Bulle!" grinste Chris, woraufhin er wieder einen bösen Blick von Jason erntete. "Gut... ich sag nichts mehr, ich bin ganz still, ganz leise..." sagte er flüsternd zu sich selbst, aber laut genug damit man es hören konnte. "Marcus, bitte, ich will dir doch nichts böses." "Ihr könnt mich ja auch oben einsperren, bis deine Eltern und dein Bruder wieder weg sind!" schnappte Marcus beleidigt. "Jetzt red doch keinen Unsinn! Das will doch niemand. Ich will nur das du Gary nicht bedrängst oder so." "Hab ich was in der Richtung gesagt?" "Du hast gesagt, dass du ihn niedlich findest!" Jasons Stimme wurde lauter. "Jason, ich..." "Halt den Mund, Chris! Das geht dich nichts an!" Einen Moment lang herrschte Stille. Chris blickte Jason fassungslos an, dieser erwiderte seinen Blick trotzig. Dann stand Chris schweigend auf, ging in den Wintergarten hinüber und knallte die Küchentür hinter sich zu, so heftig das Jason zusammenzuckte. Er sah Marcus erschrocken an, der den Kopf schüttelte und wieder betont aus dem Fenster sah. "Ihr habt euch echt gesucht und gefunden!" motzte Jason, ließ den Jungen einfach sitzen und ging in Küche. Chris stand an der Spüle und wusch die Teigschüsseln aus, damit sie in die Spülmaschine konnten. Er drehte sich nicht um als Jason die Küche betrat. "Chris...?" "Darf ich jetzt wieder sprechen? Zu gütig!" Seine Stimme troff vor Sarkasmus. "Jetzt mach mir bitte keine Szene!" Chris drehte sich um. "Nein, warum sollte ich eine Szene machen?! Du hast mir schließlich ja nur vor Marcus den Mund verboten, ist dir das klar?! Und nur weil dir nicht passte, was ich zu sagen habe!" "Du ergreifst doch eh immer seine Partei!" ereiferte sich Jason. "In dem Fall konnte ich das auch nur! Du führst dich einfach blöd auf!" "Bitte?!" "Ach komm schon! Ich hab eigentlich immer gedacht du wärst schwul, aber jetzt..." "Wovon redest du eigentlich?!" Chris lachte verächtlich. "Davon das du dich für einen Schwulen gerade ganz schön homophop aufgeführt hast! Du hast gerade so getan, als würde Marcus deinem Bruder sofort wenn er ihn sieht die Kleider vom Leib reißen und sich an ihm vergehen!" "Du spinnst!" war Jasons nicht sehr einfallsreicher Konter. "Jason, du hast mir selbst mal gesagt, dass du es gehasst hast, wenn Randy..." "Lass Randy aus dem Spiel!" "Lass mich gefälligst ausreden!" Chris war nun mehr als sauer. "Du hast es gehasst, wenn Randy diese Sprüche losgelassen hat, dass du aufpassen sollst wenn ich bei dir übernachte, dass du besser deinen Hintern nicht von der Wand nimmst und was weiß ich noch alles. Natürlich war das alles nur Fassade, es geht ja auch jetzt nicht um Randy. Es geht darum, dass du dich Marcus gegenüber gerade genauso verhalten hast! Du hast ihm unterstellt, er sei triebgesteuert." "Das hab ich nicht!" "Das hast du sehr wohl!" "Bitte hört auf..." Die beiden blickten überrascht zur Tür, die in den Flur führte. Marcus stand im Türrahmen. "Marcus..." sagte Chris leise. "Wie lange bist du schon da?" "Lange genug. Bitte hört auf, ich will nicht, dass ihr euch wegen mir streitet." "Wir streiten uns nicht..." Jason fing einen Blick aus Chris' Augen auf und senkte den Kopf. "Okay, doch, wir streiten uns. Aber nicht wegen dir. Wegen mir... es tut mir leid, Marcus. Ich wollte dir nichts unterstellen..." "Auf einmal wirst du einsichtig..." Chris verschränkte die Arme vor dem Oberkörper, doch auf seinem Gesicht erschien der Anflug eines Lächelns. Jason ließ sich auf einen Stuhl am Esstisch fallen. "Es tut mir leid, ich wollte nicht so überreagieren... ich habe nur... ich habe Angst, das ist alles. Ich meine, es reicht schon, sich Sorgen darum zu machen, wie meine Eltern reagieren, von meinem Bruder ganz zu schweigen..." Chris wechselte einen Blick mit Marcus, bevor er zu Jason hinüber kam und neben ihm in die Knie ging. Er strich mit der Hand über Jasons Wange. "Ist ja gut. Es tut mir auch leid. Ich hätte nicht so übersensibel sein sollen." "Na ja, ich hab dir ja wirklich den Mund verboten... das wollte ich nicht." "Schon gut." Marcus kam heran und sah auf seine Füße. "Ich wollte auch nicht so bockig sein. Ich weiß ja wie du es gemeint hast. Du musst dir keine Sorgen machen, ich würde deinen Bruder nicht bedrängen oder so... ich hätte nur gern einen Freund." Er bemerkte Jasons und Chris' Gesichtsausdruck und was er gesagt hatte. "Platonisch! Platonisch natürlich! Ich hab doch keine Freunde und wenn Gary nur halb so nett ist wie du, dann... ich möchte euch nur um etwas bitten..." "Was denn?" wollte Jason wissen. "Sagt ihm nicht, dass ich schwul bin, bitte! Ich hab Angst, dass er reserviert mir gegenüber ist, wenn er das weiß. Ich will nicht, dass er denkt, dass ich Hintergedanken habe..." "Hast du die denn?" "Nein! Ehrlich nicht!" beteuerte Marcus. Jason sah Chris an und der schloss die Augen und deutete ein Nicken als Geste der Zustimmung an. "Also gut. Aber keine Annährungs- oder gar Verführungsversuche! Darauf bestehe ich." "Außer er will es auch! Wäre doch ein netter Zufall, dann könnten wir zu viert ausgehen, wir beide und die Cunningham Brüder!" grinste Chris, ließ das Grinsen aber schnell wieder aus seinem Gesicht verschwinden, als er Jasons Blick sah. "Gut, wieder nicht witzig... nicht witzig..." Dabei bemühte er sich sichtlich nicht zu lachen. "Du, Chris? Darf ich die Kette haben, die du gestern getragen hast?" "Liegt oben auf der Kommode im Schlafzimmer, nimm sie dir ruhig." Marcus klatschte in die Hände. "Danke! Ich geh mal gucken was ich nachher anziehen will, ja? Bis später!" Damit verließ er die Küche, doch er steckte noch einmal den Kopf hinein. "Und nicht mehr streiten!" "Versprochen!" lächelte Jason. Als sie Marcus die Treppe hinauf stürmen hörten, ließ sich Chris neben Jason auf den Boden sinken und lehnte den Kopf gegen seinen Oberschenkel. Jason strich ihm durchs Haar. "Ich wünschte manchmal ich könnte genauso schnell auf sorglos schalten wie er." "Da sagst du was..." seufzte Jason. "Ich wollte mich nicht streiten." "Ich auch nicht, meine Nerven liegen bloß blank... das wird eine Katastrophe, ich sehe das jetzt schon kommen... ich führe meine Eltern in den Haushalt ein, in dem ich mit meinem Freund lebe und im Moment einen schwulen Teenager beherberge, der heimlich scharf auf meinen Bruder ist." Chris lachte. "Willst du einen Rückzieher machen?" "Mein Engel, es ist fast zwölf Uhr, da ist es etwas spät für einen Rückzieher, meine Familie ist schon im Flugzeug." "Himmel, schon fast zwölf! Hilf mir bitte die Küche aufzuräumen, fertig machen müssen wir uns auch noch, sonst ist nachher nur Marcus geschniegelt und gestriegelt!" "Wir schaffen das schon, ich helfe dir ja!" Während sie sich bemühten die Küche wieder auf Vordermann zu bringen und die vielen Muffins dekorativ aufzubauen, dachte Jason in jeder Sekunde an den bevorstehenden Tag. Selbst das Coming-out vor seinen Kollegen hatte ihm nicht soviel Angst gemacht wie das hier. Wenn seine Eltern ihn nun verstießen. Allerdings konnte er sich das wirklich nicht vorstellen. Oder doch? Aber als er Chris beobachtete, der eilig Backzutaten in Schränke räumte und dabei munter vor sich hin den Song mit pfiff, der im zur Unterhaltung eingeschalteten Radio lief, wusste er, dass es das Risiko wert war. Jason ging unruhig im Flur auf und ab. Die Zeiger seiner Armbanduhr schritten unerbittlich und unaufhaltsam auf 15 Uhr zu. Noch eine Viertelstunde. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und seine Knie waren weich. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich zum letzten Mal so schrecklich gefühlt hatte. Die Angst um Chris vor ein paar Monaten hatte sich ähnlich angefühlt, allerdings noch schlimmer und die Situation war nicht vergleichbar. Er korrigierte sich in Gedanken, dass er sich noch nie so schlimm in einer Situation gefühlt hatte, die nicht lebensbedrohlich war. Aber so oft war er ja auch noch nicht in lebensbedrohlichen Situationen gewesen. Was für einen Scheiß dachte er sich da überhaupt zusammen?! "Fuck!" "Ist was passiert?" Chris kam aus dem Wohnzimmer hinüber, wo er mit Marcus zur Ablenkung "Dead or alive 2" spielte, obwohl Marcus ihn bei dem Beat'm'up beinahe mühelos schlagen konnte. Jason musterte seinen Freund. Er sah hinreißend aus. Eine modische Bluejeans, darüber ein weißes Hemd mit leicht geöffnetem Kragen und eine Lederkette mit einem kleinen silbernen Anhänger in Form eines Sterns. Sein blondes Haar war frisch gewaschen und zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebändigt, einige Strähnen hingen ihm locker ins Gesicht, damit die Frisur nicht zu streng wirkte. Jason selbst trug ebenfalls Jeans, allerdings eine schwarze und dazu ein weinrotes Hemd mit großem Kragen. Er trug keinen Schmuck, nur den silbernen Ring. "Nein, ich habe mich nur über mich selbst geärgert, weil ich mir hier einen zurecht spinne... ich bin selbst in solchen Situationen zu kopflastig..." "Du bist eben ein Denker, mein Liebling. Wir hätten uns eine Valium reinziehen sollen!" lachte Chris. "Es ist noch nicht zu spät, Los Angeles soll um diese Jahreszeit sehr schön sein, wir könnten uns bei Marcus einquartieren!" Jason verzog das Gesicht zu einem hilflosen Grinsen. "Das ist schon Galgenhumor. Wir haben nur noch ein paar Minuten bis..." Es klingelte an der Tür. Chris und Jason sahen sich erschrocken an und starrten dann beide schockiert auf die Haustür, hinter deren Buntglaseinsätzen Schatten zu sehen waren. "Korrektur! Unsere Zeit ist soeben abgelaufen." Marcus erschien im Durchgang zum Wohnzimmer. "Wollt ihr nicht aufmachen?" Er schien ganz hibbelig zu sein, hatte sich extra fein gemacht, obwohl Chris fand, dass das enge schwarze Oberteil ihn etwas zu schlaksig wirken ließ, was er aber für sich behalten hatte. Dazu trug er eine einfache Jeans und um den Hals das Silberkreuz, das Chris am Abend zuvor zu seinem Kostüm getragen hatte. Allerdings war er wohl der einzige der sich nach dem Öffnen der Tür sehnte. Es klingelte wieder und endlich gab sich Jason einen Ruck. Er ging zur Tür und öffnete. "Mum! Dad! Schön euch zu sehen!" Chris stellte sich auf die Zehenspitzen um einen Blick zu erhaschen und merkte aus den Augenwinkeln, dass Marcus näher heran kam. Jason öffnete die Tür weiter und trat zur Seite damit seine Eltern den Flur betreten konnten, gefolgt von seinem Bruder. Auf einen Schlag war es Chris klar, woher Jason sein Aussehen hatte. Seine Mutter, eine zierliche, schlanke Frau, mit elegant frisierten silbernen Haaren, war eine sehr adrette Erscheinung. Ihre schlanke Figur steckte in einem rosafarbenen Chanelkostüm, eines von der Sorte die noch auf die Originaldesigns von Coco Chanel zurückgingen und bei Damen von höherem Stand wohl niemals aus der Mode kamen. Jasons Vater war so groß wie er selbst und wirkte Ehrfurcht gebietend und dabei aber sofort sehr sympathisch. Sein Haar war ebenfalls silberfarben und passte gut zu seinen tiefgrünen Augen, mit dem wachen, durchdringenden Blick. Der dunkle Anzug mit dem weißen Hemd und der dunkelroten Krawatte ließ ihn noch imposanter wirken. Chris wusste ja, dass er Polizeipräsident war und ihm war nun auch klar, warum. Einen anderen Posten konnte man sich für einen Mann wie Mr. Cunningham kaum vorstellen. Gary hatte sich im Vergleich zu dem Foto sehr verändert, er sah aus wie eine jüngere Version von Jason. Eine modisch zerzauste Frisur mit der gleichen Haarfarbe wie sein Bruder, die gleichen freundlichen Augen, das gleiche Lächeln. Er trug ein schwarzes Shirt mit einem Calvin Klein Aufdruck auf der Brust, schlicht aber eindeutig teuer. Dazu eine enge, blaue Röhrenjeans, auf verwaschen getrimmt und mit einem Riss am Oberschenkel. Um sein Handgelenk lag ein Lederarmband mit eingearbeiteten Silberelementen im angesagten Westernstil. Das T-Shirt erlaubte einen Eindruck von seinen recht breiten Schultern und die Hose von seinen schlanken Hüften. Sportlichkeit schien in Jasons Familie verbreitet zu sein. Chris registrierte wie Marcus sich beim Anblick des älteren Jungen anspannte, die eben noch betonte Lässigkeit fiel auf der Stelle von ihm ab. Gary sah aber auch wirklich gut aus, stellte Chris fest, er würde mal einen sehr ansehnlichen Mann abgeben. "Gut siehst du aus, mein Sohn!" Jasons Vater zog seinen Sohn an sich und klopfte ihm bei der Umarmung väterlich auf den Rücken. "Oh, du hast gar nicht gesagt, dass wir nicht allein sein würden." Jasons Mutter lächelte Chris so freundlich an, dass ihm ganz warm ums Herz wurde. Doch dieses Gefühl verging als er Jasons Gesichtsausdruck sah. Er war leichenblass. "Willst du uns nicht bekannt machen?" fragte seine Mutter liebevoll. "Ja...ähm... natürlich..." stammelte Jason. "Das ist... das ist Chris, er ist... er ist..." Chris schaute in Jasons Augen und erkannte pure Panik darin. Sein Freund war fix und fertig, mit den Nerven am Ende. Es tat ihm fast körperlich weh, ihn so zu sehen. Chris' Herz schlug so heftig, dass er das Gefühl hatte, sein Brustkorb müsse zerspringen. Jason hatte den Satz noch nicht beendet und er schien auch nicht in der Lage zu sein es zu tun. Chris wusste was er machen musste, das einzige was er tun konnte, um seinem Freund zu helfen: Lügen. "Ich bin ein alter Freund von Jason. Wir haben uns in New York kennen gelernt. Ich bin eben erst nach San Francisco gezogen und Jason hat mir freundlicherweise erlaubt, hier zu wohnen, bis ich etwas eigenes habe." Er registrierte sowohl den ungläubigen Blick seines Freundes als auch den von Marcus, achtete aber nicht darauf. "Das hier," Er zog Marcus am Arm näher zu sich. "ist mein jüngerer Bruder, Marcus. Es ist uns eine Freude, Sie kennen zulernen." "Ganz unsererseits." erwiderte Mr. Cunningham die Höflichkeit und schüttelte die Hand, die Chris ihm entgegenstreckte. "Du bist sicher Gary." Chris lächelte Jasons Bruder an. "Ja, das bin ich." Garys Stimme war tief und melodisch, sie strahlte Wärme aus, fand Chris und Marcus schien das nicht anders zu empfinden. "Marcus, würdest du Mr. und Mrs. Cunningham und Gary den Weg ins Wohnzimmer zeigen? Jason und ich holen eben den Kaffee und die Muffins aus der Küche. Sie müssen ja vollkommen erschöpft sein von dem langen Flug." Er war von sich selbst überrascht, wie kühl er reagieren konnte, wenn es darauf ankam. Er funktionierte fast wie mechanisch und die Worte flossen nur so über seine Lippen. "G...gern... bitte hier entlang." Marcus deutete Richtung Wohnzimmer. "Wir kommen gleich nach." Chris fasste Jason am Arm und zog ihn mit sich in die Küche, bevor noch jemand Einspruch erheben oder gar seine Hilfe anbieten konnte. Kaum war die Küchentür hinter ihnen zugegangen, ließ sich Jason mit dem Rücken dagegen fallen und rutschte daran hinab. Noch bevor er auf dem Boden ankam, brach er in Tränen aus. Er presste die Hände aufs Gesicht. "Es tut mir leid! Es tut mir so leid! Es tut mir leid..." Er wiederholte den Satz immer und immer wieder. Ein Weinkrampf schüttelte ihn. "Bitte verzeih mir! Es tut mir so leid." Chris stand vor ihm und wusste nicht was er tun sollte. So hatte er Jason noch nie erlebt. Seinen starken Jason, der ihn beschützte. Er war nicht viel mehr als ein schluchzendes Häufchen Elend. Und er tat ihm furchtbar leid. Er konnte ihm nicht einmal böse sein. Chris sank auf die Knie und nahm Jason in den Arm. Der junge Polizist presste sich an ihn, er zitterte und weinte immer stärker. Ohne Unterlass wiederholte er immer und immer wieder. "Verzeih mir!" und "Es tut mir so leid!" "Beruhige dich, ist ja gut." Chris fühlte sich vollkommen hilflos. "Komm erst einmal vom Boden hoch, ist ja alles gut." Er fasste Jason unter die Arme und zog, allerdings mit mäßigem Erfolg, bis Jason selbst mithalf. Doch kaum stand er wieder auf den Beinen, schob er Chris weg und ließ ihn stehen. "Hör auf... es ist nicht gut... du musstest wegen mir lügen! Ich bin so erbärmlich... ich... ich konnte es einfach nicht... die beiden haben so große Erwartungen in mich... sie haben sich so sehr Enkelkinder gewünscht..." "Es ist gut, Jason. Bleibt eben alles wie es ist. Die paar Mal die deine Eltern hier zu Besuch sein werden, kann ich ja in ein Hotel ziehen. Es ist wirklich okay. Wir müssen nur nachher unauffällig meine Sachen in das Zimmer von Marcus bringen, damit es keiner merkt." "Hör auf!" Jason stützte sich an der Arbeitsplatte ab und schaute auf seine Hände. Er schien Chris nicht in die Augen sehen zu wollen. "Hör auf damit! Das kann doch nicht gut gehen auf diese Weise. Verdammt, ich bin doch ein Mann, warum habe ich das nicht hingekriegt?!" "Nicht so laut!" Chris hob beschwichtigend die Hände. "Sonst hört uns noch jemand!" Er ging zu Jason hinüber und legte ihm die Arme um den Hals, damit er sich zu ihm umdrehte. Chris sah ihm fest in die verweinten Augen. "Es liegt bei dir. Ich mache alles, damit du glücklich bist, auch wenn das bedeutet, vor deinen Eltern eine Scharade zu spielen. Ich will nicht, dass du unglücklich bist." Jason lächelte, obwohl immer noch Tränen aus seinen Augenwinkeln liefen. "Ich danke dir!" Er erwiderte Chris' Umarmung und fand mit seinen Lippen die des blonden Mannes. Chris schmeckte das Salz der Tränen auf Jasons Lippen und spürte, dass sein Körper immer noch zitterte. Aber er beruhigte sich. Chris schwor sich in diesem Moment, immer dafür zu sorgen, dass sein Freund glücklich sein würde. Als der Kuss endete, zog Jason seinen Freund noch fester an sich. Chris küsste ihn sanft auf die Wange und lehnte dann seinen Kopf an seine Schulter. Er erstarrte. Über Jasons Schulter hinweg hatte er einen perfekten Blick auf die Tür zum Wintergarten. Und auf Emily Cunningham, die genau dort stand! Jason wusste gar nicht wie ihm geschah als Chris plötzlich seine Hände gegen seine Brust drückte und den jungen Polizisten von sich stieß. "Was hast du denn?" Chris antwortete nicht, sondern nickte nur in Richtung Wintergarten. Jason drehte sich um und in diesem Moment hatte er das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Er sah das lächelnde Gesicht seiner Mutter und wäre am liebsten im Boden versunken. "Mum..." "Entschuldigt, ich wollte nicht stören, ich wollte eigentlich nur fragen, ob ich etwas helfen kann." Emilys Stimme klang ganz ruhig, liebevoll wie im Flur, kein Anzeichen von Schockierung, Wut oder gar Abscheu. Einfach so wie eine Mutter klingen muss. "Mum... ich..." Jason wusste nicht was er sagen sollte. Er spürte wie Chris seine Hand nahm. Die Berührung war zärtlich und spendete ihm Kraft. Auf einmal war es ihm klar, was das Richtige war. "Mum... das vorhin war nicht die Wahrheit. Chris hat das nur gesagt um mir zu helfen. Er ist nicht ein alter Freund, er ist mein Freund. Wir leben zusammen." Kaum hatte er das gesagt, war es ihm als würde eine zentnerschwere Last von seinen Schultern fallen. Er griff Chris' Hand fester und sah seinen Freund an, er entdeckte Stolz in seinen Augen, sie leuchteten regelrecht und gaben ihm die Bestätigung, dass er den richtigen Weg endlich gefunden hatte. Er wandte sich wieder seiner Mutter zu. "Ich hatte die ganze Zeit vor es euch zu sagen, aber als es drauf und dran ging, hat mich wieder der Mut verlassen. Ich wollte euch doch nicht enttäuschen. Ihr hattet so große Hoffnungen in mich und wollte doch auch so gern Enkel. Und ich... ich hatte Angst... das ihr..." Er führte den Satz nicht zu Ende. Emily Cunningham kam zu ihrem Sohn hinüber und strich ihm sanft über die Wange. Sie musste sich ziemlich hoch strecken, um das Gesicht ihres Sohnes zu erreichen, der sie um einiges überragte. "Du könntest uns nie enttäuschen, Jason. Dein Vater und ich lieben dich so wie du bist. Und ich bin froh das du endlich ehrlich zu mir bist." "Sie haben es gewusst?!" entfuhr es Chris, der erstaunt die Augen aufriss. Emily nickte. "Was erwarten Sie, Chris? Er ist mein Sohn. Eine Mutter spürt so etwas, aber ich hätte dich nie bedrängt es zu sagen." "Woher...?" "Jason, du bist mittlerweile dreißig Jahre alt und hattest noch nie eine Beziehung. Ich meine, es könnte natürlich auch sein, dass du ein absoluter Casanova bist, der Frauen nur für eine Nacht will, aber so habe ich meinen Sohn eigentlich nie eingeschätzt. Dein Vater und ich haben uns schon öfter Gedanken darüber gemacht, ob du vielleicht schwul sein könntest. Aber wir wollten dir nie etwas unterstellen oder dich gar direkt darauf ansprechen. Du selbst musstest bereit sein." Jason ging zum Esstisch und ließ sich fassungslos auf einen der Stühle fallen. "Ich werd verrückt... da mache ich mir Gedanken wie ich es euch schonend beibringe und dann..." "Du hast deine alten Herrschaften schon oft unterschätzt, Jason. Wir sind vielleicht älter, aber nicht von gestern. Und bitte mach dir keine Gedanken, dass du jetzt nicht mehr unser Sohn bist oder wir mit deinem Lebensstil nicht einverstanden sein könnten. Alles was ich zu dem Thema zu sagen habe ist folgendes:" Sie ging zu Chris hinüber und nahm ihn in die Arme. "Willkommen in der Familie, Chris." Als sie sich von Chris löste, hatte der blonde Mann Tränen in den Augen. "Oh, aber nicht doch. Sie müssen nicht weinen." "Sie können mich ruhig Duzen, Mrs. Cunningham.... und ich hab... ich hatte das Gefühl fast vergessen, in einer Familie willkommen zu sein. Zu meiner habe ich nämlich keinen Kontakt mehr, seit sie wissen, dass ich schwul bin." "Ein Unding! Solche Eltern sind eine Schande! Aber das ändern wir. Wenn Jason dich uns vorstellen wollte, so gehe ich davon aus, dass es zwischen euch etwas ernstes ist. Und deswegen gehörst du von nun an zu unserer Familie! Ich bin Emily. Lass dieses steife "Mrs. Cunningham", mein Junge! Das gehört sich nicht für meinen Quasi-Schwiegersohn!" "Mum!" Jason bemerkte, dass Chris rot wurde, so sehr fühlte er sich geschmeichelt. "Ist ja gut, lass einer Mutter doch mal ihren Spaß. Vielleicht darf ich ja Chris dann endlich mal so bemuttern wie ich es bei dir und Gary nie durfte." "Ich glaube, Chris hat es nicht nötig, dass du ihn bemutterst. Das hier ist sein Werk!" Er machte eine Armbewegung über die drei Körbe voll Muffins. "Das warst du, Chris?" "Ja, Mrs... Ja, Emily." Chris wurde schon wieder rot und funkelte seinen Freund an, der aufgrund der Entwicklungen plötzlich Oberwasser zu bekommen schien. "Dein Sohn wäre ohne mich verloren, dann würde er sich sicher nur von Fast-Food ernähren!" "Hey! Ich kann kochen!" "Ja!" grinste Chris. "Ravioli aus der Dose, Spaghetti mit einer Fertigmischung und Pfannkuchen. Stimmt, Pfannkuchen kannst du gut!" "Gerade warst du nicht so frech zu mir." "Gerade hattest du ja auch Panik." Emily kicherte. Dadurch schienen ihr Sohn und Chris überhaupt erst wieder zu registrieren, dass sie nicht allein waren. "Ich denke, wir sollten jetzt wieder zu deinem Vater und deinem Bruder rüber gehen." Mit einem Schlag war Jasons Laune wieder dahin und Angst erschien in seinem Blick. "Das hatte ich verdrängt... Mum... meinst du, dass Dad ebenso reagiert wie du? Und was ist mit Gary?" Emily legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. "Dein Vater wird ebenso wie ich reagieren und ich denke nicht, dass es mit deinem Bruder anders sein wird. Ihr hattet doch immer ein sehr gutes Verhältnis." "Das stimmt..." nickte Jason. "Hoffentlich bleibt das so..." "Eine Frage habe ich aber noch. Ist der Junge denn wirklich dein Bruder?" "Marcus?" Chris schüttelte den Kopf. "Er ist eine Art Bruder für mich, aber wir sind nicht verwandt. Er ist der Sohn eines befreundeten Ehepaares und nur zu Besuch hier." Eigentlich war der Kontakt zu Marcus' Eltern bei weitem nicht so eng wie der zu Marcus, aber Chris schien die Situation nicht unnötig komplizieren zu wollen, vor allem auch weil Marcus' Homosexualität ja ein Geheimnis bleiben sollte. Deswegen ließ Jason es auch dabei bewenden. "Wollen wir dann?" "Müssen wir ja wohl..." bestätigte Jason. "Ich glaube wir sollten erst den schweren Teil hinter uns bringen, dann setze ich Kaffee auf." schlug Chris vor. Dagegen hatte niemand etwas einzuwenden. Als sie das Wohnzimmer betraten, sah Jasons Vater gerade zu wie Gary und Marcus sich die Köpfe einschlugen. Natürlich nur bildlich gesprochen. An ihrer Stelle prügelten sich Tina und Ein in der "Großen Oper", einer Arena bei Dead or Alive 2. Ein war Marcus' Lieblingskämpfer, was Chris aber auch darauf zurückführte, dass man den brünetten Muskelmann mit dem merkwürdigen Namen auch in einem Kostüm mit freiem Oberkörper antreten lassen konnte. Tina war das genaue Gegenstück, eine pralle, langbeinige Blondine. Chris stellte überrascht fest, dass Marcus hier einen würdigen Gegner gefunden hatte, er selbst und sein Liebling, der Ninja Ryu Hayabusa, wären wohl schon längst wieder KO gewesen. "Jetzt mach ich dich fertig!" "Das glaubst auch nur du, Kleiner!" Die beiden lieferten sich ein heißes Duell. Offenbar hatten sich hier zwei Videogame Cracks gesucht und gefunden. Ein Umstand, der Chris ein Lächeln entlockte. "Würden die Herren ihr martialisches Schlachtfest bitte unterbrechen?" stellte Emily Cunningham in den Raum. "Sekunde, Mum, ich hab ihn gleich!" Gary sah nicht einmal vom Bildschirm auf. Doch in diesem Moment bekam Tina einen Tritt von Ein in den Bauch, ließ die Deckung fallen, wurde im nächsten Augenblick von einem Uppercut des brünetten Kämpfers in die Luft geschleudert und fiel zu Boden. Ein fettes KO erschien auf dem Bildschirm, gefolgt von der Siegesanimation von Ein. Marcus grinste Gary spitzbübisch an. "Na warte, das gibt Revanche!" "Aber nicht jetzt!" beschloss Emily. "Jason hat euch beiden was zu sagen." "Marcus und mir?" "Ich denke, deine Mutter meinte dich und mich." lächelte Jasons Vater und drehte sich auf der Couch zu seinem älteren Sohn um. Gary tat es ihm nach. Als sich jetzt die Augen der beiden erwartungsvoll auf ihn richteten, wurde Jasons Hals plötzlich wieder trocken und er spürte Angst, die aus seinem Bauch hinauf kroch und sich um sein Herz legte. Was wenn nur seine Mutter so verständnisvoll reagieren würde? Was wenn Gary ihn hassen würde? Was wenn sein Vater wutentbrannt das Haus verlassen und seinen Sohn aus seinem Leben stoßen würde? Er sah sich Hilfe suchend nach Chris um, der sich direkt neben ihn stellte und ihm die Hand auf den Rücken legte. Und wieder schien es die Berührung des blonden Mannes zu sein, die ihm unendliche Kraft gab. "Dad, Gary... das vorhin... das war nicht die Wahrheit. Chris hat... er hat für mich gelogen um mir zu helfen... ich wollte es euch eigentlich vorhin schon sagen... ich bin..." Er schien nicht genau zu wissen wie er den Satz beenden sollte und tat es auf eine andere Weise. Er zog Chris in seinen Arm. "Chris und ich leben zusammen. Ich liebe ihn." Ein Moment des Schweigens folgte. Jasons fühlte, wie seine Beine weich wurden, er bekam Panik. Dann erlöste ihn sein Vater, indem er aufstand, zu seinem Sohn ging und ihn in den Arm nahm. Wie schon im Flur klopfte er Jason auf die Schulter bevor er sich wieder von ihm löste. Diese Geste sagte mehr als Tausend Worte. Chris lächelte und drängte mit aller Kraft die Tränen der Rührung zurück, die schon wieder in ihm aufstiegen. So hatte er es sich immer gewünscht. So hätte sein Vater reagieren sollen. Er spürte eine Hand auf seinem Oberarm und sah überrascht Emily Cunningham an, die neben ihm stand und ihn anlächelte. Sie schien deutlich zu spüren was mit ihm los war und allein diese kleine mütterliche Berührung war einfach wunderschön. "Du hast nichts dagegen, Dad?" "Warum sollte ich, mein Sohn? Das wichtigste ist, dass du glücklich bist, alles andere ist zweitrangig. Du und dein Bruder, ihr wart immer mein ganzer Stolz und daran wird sich auch nie etwas ändern. Ob du nun einen Mann oder eine Frau liebst, ist doch vollkommen egal." "Ist es das?!" Alle sahen überrascht zu Gary hinüber, der von der Couch aufgestanden war und seinen Bruder anstarrte. "Gary, ich..." "Entschuldigt! Ich brauche frische Luft!" fiel ihm Gary ins Wort und eilte ohne auf eine Antwort zu warten aus dem Zimmer. Sekunden später fiel die Haustür hinter ihm zu. "Gary!" Marcus sprang auf und wollte dem Jungen nachlaufen. "Marcus!" Beim Klang von Chris' Stimme blieb er stehen und sah sich zu ihm um. Der blonde Mann schüttelte den Kopf. Widerwillig ließ sich Marcus wieder aufs Sofa fallen. "Ich gehe ihm wohl besser hinterher..." seufzte Jason. "Sprich mit ihm, er wird es schon verstehen. Er wird damit klar kommen..." bestärkte Emily ihren Sohn. "Deine Mutter hat Recht, Jason. Geh ihm nach. Marcus und ich können in der Zeit den Kaffee fertig machen. Würdest du mir helfen?" fragte Chris. "Klar!" Marcus nickte. Jason ging allein zur Haustür. Er hoffte inständig, dass er seinen Bruder nicht gerade eben für immer verloren hatte. Die Vorstellung war schrecklich. Draußen schien die Sonne und die Luft war angenehm warm. Im Garten blühten immer noch viele Blumen und verströmten einen angenehmen Duft. Auf der anderen Straßenseite spielten Kinder mit einem Ball und eine Frau mit einem Kinderwagen ging am Haus vorbei. Die Wohngegend war ruhig und idyllisch, der perfekte Ort für junge Familien. Die Häuser waren alle in viktorianischem Stil gehalten und in sehr gutem Zustand. Die meisten Nachbarn hatten bereits gemerkt, dass Jason und Chris ein Paar waren, aber niemanden hier schien das zu stören. Als Jason aus der Haustür trat, saß Gary ein paar Stufen unter dem Eingang auf der Treppe und sah in den Himmel. Ein paar Vögel zogen am fast wolkenlosen Firmament entlang und ein Flugzeug zeichnete in großer Höhe einen langen Kondensstreifen in das endlose Blau. Jason ließ sich wortlos neben Gary nieder und blickte ebenfalls in den Himmel. "Hasst du mich jetzt?" Gary schüttelte den Kopf. "Nein... ich... nein..." "Dann ist ja gut..." Eine Zeit lang herrschte wieder Schweigen. Jason suchte in seiner Tasche nach den BigRed Kaugummis, die er dort verstaut hatte. Kaugummikauen half ihm bei Nervosität, allerdings war er vorhin so nervös gewesen, dass er nicht einmal mehr daran gedacht hatte. Er hielt Gary die Schachtel hin. "Magst du eins?" "Du kaust immer noch BigRed?" "Ja, alte Angewohnheiten wird man schwer los." Gary zog eines der Kaugummis aus der Verpackung, wickelte es aus und steckte es sich in den Mund. Wieder senkte sich das Schweigen über die beiden, nur durchbrochen vom typischen Kaugeräusch. "Ich hasse dich nicht, Jason..." nahm Gary schließlich das Gespräch wieder auf. "Wie könnte ich? Du warst immer für mich da. Wir waren nie die Art Brüder die sich alles neideten und sich bekriegten, oder? Ich war immer überglücklich einen großen Bruder zu haben, mit dem ich über alles reden konnte." "Ging mir doch ebenso. Ich war immer stolz auf meinen kleinen Bruder." Gary sah Jason von der Seite an. "Warum hast du mich dann belogen? Ich dachte wir können über alles reden, warum hast du mir das dann verschwiegen?" "Ist es das?" Jason war überrascht. "Ist es nur gekränkter Stolz?" "Nicht nur... ich meine... ich habe dich immer als mein Vorbild gesehen, ich wollte so werden wie du." "Und jetzt hast du Angst das du auch schwul wirst?" "Nein, schließlich habe ich schon ein paar Freundinnen gehabt." "Siehst du, ich hab nie etwas für Mädchen übrig gehabt. Nie." "Echt nicht?" "Nein, ich fand immer einen knackigen Hintern und breite Schultern anziehender." Gary verzog das Gesicht, allerdings mit einem Lächeln dabei. "Die hat dein Freund aber auch nicht, breite Schultern meine ich." "Muss er auch gar nicht, er ist wirklich wundervoll, genauso wie er ist. Ich liebe ihn über alles." "Heißt das... du schläfst wirklich mit ihm?" "Ja, natürlich, ich..." Gary drückte ihm die Hand auf den Mund. "Setz mir ja keine Bilder in den Kopf, Bruderherz!" Jason musste lachen und legte seinen Arm um Gary. "Ich bin froh, dass du mich jetzt nicht hasst oder so." Gary nickte. "Die Situation ist eben neu für mich, ich muss mich daran gewöhnen, aber das wird schon... schließlich bist du immer noch mein Bruder J.R. und kein Fremder." "Nenn mich ja nicht vor Chris J.R., sonst kannst du was erleben!" grinste Jason und boxte Gary in die Seite. "Du...?" "Was denn?" "Ist Marcus auch...?" Jason sah seinen Bruder an. Er wusste was Gary meinte und um ein Haar hätte er genickt. Er hasste es seinen Bruder anlügen zu müssen. Was er nun tat, tat er nur für Chris, weil Marcus ihm soviel bedeutete. Außerdem war ihm der Junge mittlerweile ans Herz gewachsen, auch wenn er gewissen Bedenken ihm gegenüber hatte, was Gary anging. Schweren Herzens schüttelte Jason den Kopf. "Nein, ist er nicht." "Er ist nett." "Das ist er. Und ziemlich allein. Er hat hier keine Freunde. Vielleicht kannst du dich ein bisschen um ihm kümmern." Gary nickte. "Ja, ich finde ihn cool. Außerdem habe ich dadurch eine Ausrede wenn Mum und Dad mit dir das Sightseeing Programm starten. Ich kann Sightseeing nicht leiden." "Zumindest nicht an den Orten, an die Mum und Dad wollen, was?" "Genau." "Wollen wir wieder reingehen? Chris macht Kaffee und er hat Muffins gebacken." "Ist er die Frau in eurer Beziehung?" stichelte Gary. Jason gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. "Pass auf bloß auf was du sagst, Chris kann sehr gefährlich werden, ich spreche aus Erfahrung." "Wenn du das sagst! Wer zuletzt am Tisch ist kriegt keine Muffins!" Mit diesen Worten sprang er auf und rannte zur Tür. "Hey! Du schummelst!" Jason erhob sich so schnell er konnte und setzt seinem Bruder nach, der bereits durch die Haustür verschwand. Trotz der kleinen Lüge wegen Marcus war er glücklich. Endlich war er frei. Kein Versteckspiel mehr. Er konnte mit Chris zu Familienfesten fahren ohne sich Sorgen zu machen. Als er Chris zusammen mit seiner Familie am Kaffeetisch sah, hätte er am liebsten vor Glück geweint... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Okay! Die letzte Episode der aktuellen Staffel von Charmed - Zauberhafte Hexen heißt im Original "It's a bad, bad, bad, bad world"... hier ist mein Pendant dazu! It's a bad, bad, bad, bad chapter... Ich glaube jeder Autor kennt das Gefühl, wenn man mit einem Kapitel so überhaupt nicht zufrieden ist. Das letzte Mal war es so bei "Silver shadows" und "Mother knows best" ist der gleiche Fall... ich habe es sogar nur einmal Korrektur gelesen, hoffentlich habe ich nicht zu viele Tippfehler übersehen ^^ Ab der Stelle wenn Jasons Eltern ankommen musste ich mir quasi jedes Wort aus den Fingern quälen und ich glaube das merkt man auch. Dabei ist das Kapitel keinesfalls beschleunigt oder so. Das Coming-out vor seinen Eltern sollte für Jason immer auf diese Art verlaufen. Eine weitere Hölle wie die, welche Chris erleben musste wollte ich nicht heraufbeschwören. Ich hoffe Jasons Eltern kommen so sympathisch rüber, wie sie sein sollten, vor allem die Mutter. Ich glaube aber, dass ich in diesem Kapitel zu sehr davon belastet bin, dass ich eigentlich längst etwas anderes schreiben will... nein! Keine andere Story, dazu macht mir diese zuviel Spaß. Ich bin mit den Gedanken schon längst bei den Verwicklungen zwischen Gary und Marcus, die sich hier bereits ankündigen und die ja fast zu erwarten waren. Diese Geschichte entwickelt wirklich ein Eigenleben. Eigentlich sollte nach Jasons Outing endlich David mit seinem Handlungsstrang in den Vordergrund treten und Sly, Jeremy und Ash sind ja auch noch da. Aber wie immer kam es anders und so muss sich David noch gedulden und unserem kleinen Liebling Marcus das Feld überlassen. Das unter den gegebenen Voraussetzungen mit Gary natürlich nicht alles glatt laufen kann ist klar. Also vergessen wir diesen Schmu hier schnell und gehen fix weiter zum nächsten Chapter. Ach ja, im Gegensatz zum Ende bin ich mit dem Anfang eher zufrieden. Die Idee das Chris Muffins backen könnte, kam mir, als ich selbst welche machte und ich fand es wurde endlich mal wieder Zeit, dass die beiden sich zoffen, das haben sie schließlich schon lang nicht mehr gemacht. Allerdings ist der Streit nicht wirklich heftig, wir wollen es ja nicht übertreiben *gggg* Also, draußen sind 20 Grad, das Fenster ist auf, herrliche Luft und ich habe dieses Kapitel endlich fertig! *ausatme* Euer Uly ^^ PS: Haltet Ausschau nach den Charafiles von Marcus und Jeremy, coming soon! ^^ Kapitel 13: I dream of Gary --------------------------- "Oh, Mann, ich kriege keinen Bissen mehr runter!" Jason lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hielt sich den Bauch. Zusammen hatten sie den Vorrat an Muffins um einiges reduziert und Chris hatte sich eine Menge Komplimente, besonders von Emily Cunningham, anhören müssen. "Kein Wunder, du hast ja auch den ganzen Tag vor lauter Nervosität fast gar nichts gegessen und jetzt hast du rein gehauen als ginge es um dein Leben!" lächelte Chris und widerstand dem Bedürfnis, Jason über den Bauch zu kraulen. Das wäre vielleicht doch etwas unpassend am Kaffeetisch mit der Familie. "So und was habt ihr euch so überlegt, was ihr in San Francisco machen wollt? Schließlich muss man es doch mal ausnutzen, aus dem Moloch von New York weg zu sein." "Dieser "Moloch" war auch mal deine Heimat, Jason!" Sein Vater hob den Zeigefinger. "Glaub mir, Dad, schon nach kurzer Zeit hier vergisst du, dass du es jemals in New York schön gefunden hast. San Francisco kriegt jeden rum." "Wenn du das sagst!" lächelte Emily. "Wir hatten uns eigentlich gedacht, dass du uns ein bisschen herumführst. Und wir haben als Überraschung Karten für die Oper besorgt. Sie geben die Aida" "Ich liebe Aida, die Kostüme, die Dramatik, die Musik..." schwärmte Chris. Jason sah ihn überrascht an. "Du magst Opern?" "Warum nicht?" "Warum weiß ich davon nichts?" "Musst du alles wissen?" "Es gibt da nur ein Problem:" mischte sich Jasons Vater ein, "Weil wir nicht damit gerechnet haben, dass du jemanden mitnehmen würdest, haben wir nur vier Karten." "Chris kann meine haben!" Das kam wie aus der Pistole geschossen von Gary. "Wie selbstlos, mein Sohn!" lachte Emily. "Vollkommen uneigennützig trittst du deine Karte an Chris ab." "Ja, schweren Herzens verzichte ich auf Stunden voll erbaulicher Langeweile. Ich denke, ich kann mich auch anders beschäftigen, ich hab schließlich Gesellschaft." Dabei grinste er Marcus an, der bisher stillschweigend an einem Muffin geknabbert hatte und sich jetzt beinahe verschluckte. "Aber klar!" nuschelte er und bemühte sich, keine Krümel beim Sprechen zu verteilen. "Das ist aber noch nicht alles." "Noch eine Überraschung, Mum?" "So in etwa, Jason. Wir wussten ja das du ein Gästezimmer hast und weil Gary Hotels so nervig findet, hatten wir eigentlich gedacht, er könne bei dir wohnen so lange wir hier sind. Aber das..." "Das ist überhaupt kein Problem! Gary kann bei mir im Zimmer pennen!" fiel Marcus ihr ins Wort. Chris registrierte aus den Augenwinkeln wie Jason sich auf seinem Stuhl anspannte. "Ich weiß nicht, ob das eine so gute...aua!" Chris hatte ihm vors Schienenbein getreten. Er lächelte Jason süffisant an. "Oh, entschuldige, Schatz, das tut mir leid. Was wolltest du sagen?" "Also ich hab kein Problem damit." Alle Augen wandten sich Gary zu. "Ich meine, wo liegt das Problem? Marcus und ich verstehe uns sicher und als ich mit meinen Freunden in den Hamptons war, haben wir auch zusammen in einem Raum gepennt. Ist doch in Ordnung." "Finde ich auch!" stimmte Marcus eifrig zu und lächelte Gary so bewundernd an, als hätte dieser soeben das Rad erfunden. In seinem Kopf erschienen Bilder von Jasons Bruder, wie er eng an ihn gekuschelt mit ihm im Bett lag. Der Gedanke hatte etwas für sich. Jason nahm sich einen Schokomuffin und biss hinein. "Ich dachte du wärst so satt?" grinste Chris, bekam aber nur einen giftigen Blick als Antwort. "Unser Zimmer liegt aber nicht direkt neben eurem, oder?" fragte Gary. "Nein, wir haben das letzte Zimmer im oberen Stock, ihres ist gleich an der Treppe." erklärte Marcus. "Warum?" wollte Jeffrey Cunningham wissen. "Och, nur so..." druckste Gary herum. "Keine Angst, wir können ganz leise sein wenn es drauf ankommt!" lachte Chris und bemerkte erst dann, was er da in Gesellschaft von Jasons Eltern gesagt hatte. Jason starrte ihn schockiert an. Er hob die Hand vor den Mund. "Verzeihung, ist mir so rausgerutscht... ich glaube ich sollte mich weniger mit David abgeben, das färbt ab..." Emily winkte lachend ab. "Wir mögen alt sein, Chris, aber wir sind nicht verklemmt. Ist schon okay." "Trotzdem war das wohl nicht die feine englische Art, Mrs. Cunni... Emily." Chris fiel es immer noch schwer, Jasons Eltern zu Duzen und so locker mit ihnen umzugehen, aber er gab sich Mühe. "Wer ist eigentlich David?" änderte Gary das Thema. "Mein bester Freund." "Ist der auch schwul?" "Ja, das ist er. Vielleicht lernst du ihn kennen. David ist ein netter Kerl." "Ja, er ist cool!" stimmte Marcus zu und schmolz beinahe dahin, als Gary ihn dabei ansah. Wusste dieser Junge eigentlich, wie umwerfend er aussah? Diese unendlich tiefen grünen Augen, die so einen wundervollen Glanz hatten. Die vollen, sinnlichen Lippen. Das kantige, bereits männliche Gesicht. Die edle Nase. Die niedlichen Ohren. "Hab ich was im Gesicht?" Gerade als Marcus dazu kommen wollte, in Gedanken von der kessen Strähne links über dem Auge zu schwärmen, die so frech ins Gesicht hing, riss ihn Gary mit diesem Satz aus seinem Tagtraum. Hätte er nicht eine noch unromantischere Frage stellen können? In Marcus' Phantasie wäre er nun aufgesprungen, vor ihm auf die Knie gefallen und hätte ihm seine ewige Liebe gestanden, bevor er ihn hochgehoben und ins Schlafzimmer getragen hätte, um ihn leidenschaftlich zu lieben. Und was tat er? Fragen ob er was im Gesicht hätte. "Ähm... nein, entschuldige." "Marcus hat heute Nacht wenig Schlaf gekriegt, nicht wahr? Es war ein langer Abend gestern." Chris erwies sich als Retter in der Not und zog Marcus mit einem unerschütterlichen Lächeln aus der Misere. "Also ich sehe da kein Problem, wenn Gary bei uns wohnt. Oder hast du was dagegen, Jason?" Am liebsten hätte Jason ihn angeknurrt. Chris wusste genau wie er bekam was er wollte. Wenn Jason sich jetzt quer stellte, war er der Böse, das war taktisch ein genialer Zug seines Freundes. Aber er meinte es ja auch nur gut. Auch wenn Jason die Blicke, die Marcus Gary teilweise zuwarf so ganz und gar nicht gefielen. "Nein, absolut nicht..." "Gibst du mir bitte mal die Tassen rüber?" Chris streckte seine Hand zur Seite. Marcus nickte und gab ihm einen Teller. Chris sah etwas verdutzt auf das Geschirrstück in seiner Hand. "Na gut, dann eben einen Teller, ist ja fast das gleiche." "Was?" Marcus sah den Teller an und schien dann erst zu registrieren, worin der Unterschied zwischen einem Teller und einer Tasse bestand. "Oh..." "Bist du mit deinen Gedanken woanders?" Chris und er räumten das Kaffeegeschirr in die Spülmaschine. Jason hatte es zwar nicht gern gesehen, dass Chris alles allein machte, aber er hatte darauf bestanden, dass Jason auch ein bisschen Zeit mit seiner Familie allein hatte. Natürlich war das nicht der einzige Grund. Viel wichtiger war, dass er mit Marcus reden wollte. "Ich... nein..." "Ach, wirklich nicht?" Marcus sah erst auf seine Füße, dann in Chris' Gesicht. "Ne..." "Gleich platzt du..." grinste Chris. "Also gut! Ja! Ist er nicht niedlich...?!" "Ja, das ist er. Auch wenn sein Bruder niedlicher ist." "Ja, wenn man auf ältere Männer steht." "Ältere Männer? Pass auf, sonst sag ich Gary, dass du auf ihn stehst." "Wag es ja nicht!" "Du magst ihn wirklich, oder?" Marcus nickte. "Er ist so süß. Und wenn ich daran denke, dass wir nachher zusammen in einem Bett liegen..." "Wow, rechts ran und anhalten, Cowboy! Ich hoffe doch, dass du dir im Klaren bist, dass deine Hände über der Bettdecke bleiben." "Aber..." "Marcus, ich meine das nicht böse, aber übertreib es nicht. Lass es langsam angehen. Vielleicht wird es etwas, vielleicht nicht. Du weißt nämlich nicht, ob Gary schwul ist." "Vielleicht ist er ja bi..." überlegte Marcus laut. "Ich könnte ihm soviel zeigen..." "Das denke ich mir!" lachte Chris. "Hey! Ich kann wirklich gut bl..." "Okay! Genug! So genau möchte ich es gar nicht wissen." "Chris, ich glaube ich bin verliebt..." Chris nickte nur. Marcus schien wirklich verändert, er schwebte wie auf Wolken. Zuerst war es nur Schwärmerei gewesen, so wie gestern wegen David, aber mittlerweile war es etwas anderes geworden. Marcus schien sich wirklich Hals über Kopf in Gary verliebt zu haben, auf den ersten Blick sozusagen. Und das machte Chris nervös. Marcus wusste nun einmal wirklich nicht, ob er sich von Gary etwas erwarten konnte oder nicht. Wenn es nach Jason ging, dann nicht, aber Chris wollte die Sache nicht ganz so negativ sehen. Aber wenn da wirklich etwas laufen würde, was wäre das schon? Schon bald musste Gary wieder nach New York und Marcus nach Oakland und danach wieder nach Los Angeles. Zwischen ihnen würden dann wieder die gesamten Staaten liegen. Das würde eine Beziehung sehr erschweren. Die Nacht hatte sich über San Francisco gesenkt und die Stadt in ein Meer aus Lichtern verwandelt. Jasons Eltern hatten sich gegen 22 Uhr zu ihrem Hotel aufgemacht, Gary war mit seinem Koffer bei Jason und Chris geblieben. Eigentlich könnte man meinen, dass dieser turbulente Tag damit endlich sein Ende gefunden hätte, aber davon konnte eigentlich keine Rede sein. Marcus war auf dem Weg in sein Zimmer. Er hatte sich die Zähne geputzt, eine frische Shorts für die Nacht angezogen, die in seinen Augen männlichste die er hatte, schwarz mit einem roten chinesischen Drachen auf dem rechten Bein, und seinen Bademantel darüber. Auf dem Flur lief er Chris in die Arme. Der blonde Mann trug seinen weißen Satinbademantel, der ihm, wie Marcus fand, ausgezeichnet stand. "Gute Nacht, Marcus." "Nacht, Chris..." Marcus druckste herum. "Ich hab Angst..." "Wovor?" "Mit ihm allein zu sein..." Chris legte ihm die Hand auf die Schulter. "Komm schon, Tiger, du schaffst das. Sei so locker und natürlich wie möglich und wer weiß, vielleicht ergibt sich ja was. Aber merk dir: Keine Annährungsversuche aus dem Hinterhalt. Wenn du nicht weißt, ob er schwul oder bi ist, kann so etwas böse enden." "Weiß Jason eigentlich, dass du mir Tipps gibst, wie ich seinen Bruder erobern kann?" Chris ging etwas in die Knie, damit er in Marcus Ohr flüstern konnte. "Nein und das bleibt unter uns. Ich hoffe wirklich für dich, dass es was wird. Aber steigere dich nicht zu sehr rein, ja?" "Geht klar... gute Nacht." "Schlaf gut." Marcus ging weiter und Chris sah ihm nach, bevor er sein Schlafzimmer betrat. Er wusste nicht genau ob es das richtige war, Marcus derart zu ermutigen, aber er hatte das Gefühl, den Jungen ein wenig unterstützen zu müssen. Und was war schon gegen ein bisschen Träumerei einzuwenden? Obwohl er sich nicht sicher war, ob Marcus realisierte, dass Gary vielleicht auch überhaupt kein Interesse an ihm haben könnte. Chris nahm sich vor, die Sache im Auge zu behalten. Das war eindeutig besser als wenn Jason das tun würde. Marcus atmete tief ein und stieß die Tür zu seinem Zimmer auf. Er war auf alles gefasst, vollkommen ruhig, ausgeglichen. Und im nächsten Moment einer Panik nahe. Denn Gary stand vor dem Spiegel am Schrank und betrachtete sich - vollkommen nackt. Marcus blieb für einen Moment die Luft weg. Gary hatte die Figur eines Sportlers. Ausgeprägter Bizeps, breite, muskulöse Schultern, sehr breit für sein Alter und einen Hintern zum Niederknien, fand zumindest Marcus. In diesem Augenblick drehte sich der andere Junge um und Marcus musste sich mit aller Macht dagegen wehren, nicht in seinen Schritt zu starren. Der Rest war aber nicht minder ansehnlich. Garys Brust stand dem Rücken an Muskulatur in nichts nach und ging nahtlos in einen flachen Bauch über, der eindeutige Anzeichen eines Six Packs aufwies. "Ich...ähm... entschuldige... ich..." Marcus spürte wie seine Wangen kochten, dass er nicht leuchtete wie eine Glühbirne war wohl auch alles. Gary winkte ab. "Ist doch kein Problem, nichts was du nicht auch hättest, oder?" "Nein... stimmt..." nickte Marcus. Mal abgesehen von dem Waschbrettbauch, fügte er in Gedanken hinzu. Er spürte, wie er zu schwitzen begann. "Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken oder so. Ich zieh mir gleich was an. Ich hab nur in letzter Zeit den Sport etwas vernachlässigt, deswegen wollte ich kontrollieren, ob sich das schon negativ ausgewirkt hat." "Was treibst du für Sport?" fragte Marcus um sich abzulenken. Nicht an Sex denken! Nicht an Sex denken! Dieses Mantra wiederholte er in Gedanken immer und immer wieder. "Ich spiele Baseball, ich bin Kapitän unserer Schulmannschaft. Manchmal gehe ich mit meinen Freunden ins Fitnessstudio und ich mache Karate, aber eher nur als Hobby, ich hab den schwarzen Gürtel. Oh, Mann, ich bin total verspannt von dem blöden Flug." Mit diesen Worten streckte er die Arme über den Kopf, bog den Rücken durch und drückte Marcus dadurch sein Becken entgegen. Die Muskeln seines Oberkörpers traten deutlich hervor. Marcus' Unterleib fing an zu kribbeln. Er wusste was das bedeutete. Panik erfasste ihn. "Ich...äh... ich hab was... im Bad vergessen!" Bevor Gary etwas erwidern konnte, verließ er fluchtartig das Zimmer. "Was war denn das?" Jason sah von seinem Buch auf. Er hatte sich sein Kissen als Rückenlehne aufgestellt. Die Bettdecke ging ihm nur bis zum Bauch, es war immer noch so warm, dass er mit freiem Oberkörper schlief, sehr zur Freude von Chris. Dieser streckte den Kopf aus dem Badezimmer und nahm die Zahnbürste aus dem Mund. "Von den Schritten her würde ich sagen, dass das Marcus war." "Du erkennst ihn an seinen Schritten?" "Du nicht?" "Du bist doch immer wieder für eine Überraschung gut." "Ist so etwas nicht das Salz in einer Beziehung?" "Solange die Überraschungen positiv bleiben!" lacht Jason. "Wart es ab, was dir noch blüht!" Jason hörte Wasser im Bad laufen und wie Chris sich den Mund ausspülte. Kurze Zeit später kam Chris ins Schlafzimmer hinüber und machte hinter sich im Bad das Licht aus. Er trug nur noch eine weite Shorts für die Nacht. Bevor er ins Bett stieg, löschte er auch im Schlafzimmer das Licht, so dass nur noch die beiden Nachttischlampen links und rechts vom Bett für warme Beleuchtung sorgten. Chris schmiegte sich gegen Jasons Arm und schaute auf das Buch. "Ist es spannend?" "Ich weiß nicht, ich lese den gleichen Satz nun schon zum dritten Mal. Ich bin einfach mit den Gedanken nicht dabei." "Geht dir der Tag noch nach?" "Ja, kann man so sagen. Ich habe, glaube ich, immer noch nicht richtig realisiert, was geschehen ist. Jahrelang hatte ich Angst davor, mich vor meinen Eltern zu outen und jetzt kommt heraus, dass sie es die ganze Zeit geahnt haben und auch noch kein Problem damit haben." "Das ist doch wundervoll. Ich liebe deine Eltern..." "Und sie dich. Meine Mutter hat dich total in ihr Herz geschlossen, bereite dich darauf vor, dass du sie die ganze Zeit nicht mehr los wirst." "Deine Familie ist toll, Jason, ich freue mich darauf, Zeit mit deiner Mum zu verbringen. Ich hatte nie eine wirkliche Familie, nie so etwas idyllisches, ich genieße das so sehr." Jason legte sein Buch weg und nahm Chris in den Arm, der seinen Kopf an Jasons Brust und seine Hand auf den Bauch legte. "Ich bin froh, dass du es so genießt, du bist wunderschön, wenn deine Augen so glücklich strahlen." "Danke, du Schmeichler." Einen Moment lang herrschte Stille. "Du, Jason?" "Was denn?" "Jetzt wo die größte Aufregung rum ist, würde ich gern mit dir über etwas reden." "Raus damit." Jason kraulte nebenher mit der Hand durch Chris' Haar. "Was würdest du davon halten, wenn ich meinen Schulabschluss nachmachen würde?" "Wie kommst du denn darauf?" "Nun, Sly macht das, du weißt schon, der Exfreund von deinem neuen Partner." "Er heißt Ash." Chris boxte Jason spielerisch in den Bauch. "Ich weiß! Dann eben der Exfreund von Ash. Auf jeden Fall macht der seinen Schulabschluss nach und hat mich ermutigt, das auch zu tun. Und ich halte das für keine schlechte Idee." "Ich auch nicht. Du hast einiges auf dem Kasten, das schaffst du mit links!" "Du würdest mich dabei unterstützen?" "Ich würde dich bei allem unterstützen, mein Engel!" lächelte Jason. "Danke." "Wenn meine Eltern wieder weg sind kümmern wir uns darum, was denkst du?" "Gern! Sly hat mir auch seine Hilfe angeboten." "Sollte ich da etwa eifersüchtig werden?" "Soll ich auf Ash eifersüchtig werden?" "Eins zu null für dich." Chris ließ sich ein wenig hinab sinken, so dass sein Kopf auf Jasons Schoß ruhte. "Weißt du noch, dass dein Bruder gefragt hat, wo unser Schlafzimmer ist? Er hatte Angst, wir wären zu laut." "Warum erwähnst du das?" "Glaubst du, wir können leise sein?" Chris hob die Bettdecke an und glitt langsam darunter. "Ich weiß nicht..." "Dann sollten wir das mal testen!" Mit diesen Worten verschwand Chris unter der Decke. Jason riss die Augen auf und biss sich auf Hand um nicht zu stöhnen. Marcus stand in der Gästetoilette vor dem Spiegel. Sein Blick ruhte auf seiner Hand. Er betrachtete die milchigweißen Schlieren, die an seinen Fingern klebten. Langsam führte er die Hand unter den Wasserhahn und drehte ihn mit der anderen auf. Das warme Wasser spülte die letzten Beweise dafür weg, was Garys Anblick in ihm ausgelöst hatte. Er war einfach nicht dagegen angekommen. Es war nicht ungewöhnlich für ihn, dass er onanierte, aber so intensiv wie dieses Mal hatte er es schon lange nicht mehr erlebt. Er war sogar leicht außer Atem. Er trocknete sich die Hände ab und sah in den Spiegel. Seine Stirn glänzte ein wenig, also tupfte er sie mit dem Handtuch trocken. Die Gästetoilette war zum Glück eigentlich ein richtiges Gästebad und nicht nur so eine kleine Kaschemme mit einem Klo und einem Waschbecken. Sie enthielt zusätzlich eine Dusche und ein geräumiges silbernes Etagenregal. Der Raum war in schlichtem Weiß gehalten, aber eine feuchtigkeitsresistente Pflanze, die zudem auch noch mit wenig Licht auskam, die in sonnigem Orange strahlenden Badezimmerteppiche und Aufkleber von tropischen Fischen (nicht die kitschige Sorte, sondern durchaus ansehnlich), die über einige Wandfliesen verteilt waren, sorgten dafür, dass er nicht klinisch wirkte. In dem Regal und auf der kleinen Ablage unter dem Spiegel drängten sich die Hygieneartikel von Marcus und Gary. Marcus Blick fiel auf Garys Aftershave. Er nahm die Flasche in die Hand und roch daran. Sehr maskulin, das passte zu ihm. Er war bisher noch nicht nah genug an ihn heran gekommen um zu erkennen wie er roch. Er fand zwischen den Sachen auch eine angebrauchte Parfumflasche. Gut, Gary war also keiner von der Sorte, der den Gebrauch von Parfum für etwas schwules oder besser schwuchteliges hielt. Das Parfum duftete herrlich, jedenfalls so weit er das beurteilen konnte, er wagte nicht, etwas davon zu versprühen. Was war eigentlich passiert? Marcus stieg in seine Shorts und setzt sich auf den geschlossenen Toilettendeckel. Es gab zwei mögliche Theorien. 1. Das Gary eben nackt war und sich ihm auch noch quasi so präsentiert hat, war ein abgekartetes Spiel. Gary war schwul oder zumindest bi und hatte ein Auge auf ihn geworfen. Dadurch dass er ihm zeigte, was er zu bieten hatte, hatte er ihn ermutigen wollen, doch mal einen Versuch zu starten. Das würde bedeuten, dass Gary wahrscheinlich jetzt gerade oben im Bett lag, nackt und willig, und nur auf ihn wartete, um mit ihm eine Nacht voller Leidenschaft und schmutzigem, heißen Sex zu verbringen. 2. Gary war dermaßen hetero, dass er absolut nichts problematisches daran fand, seinen unglaublichen Körper vor ihm aus allen Perspektiven zu präsentieren, weil das für ihn absolut keine sexuellen Assoziationen weckte. Das würde bedeuten, dass Gary jetzt gerade oben im Bett lag und entweder pennen oder sonst etwas vollkommen unerotisches tun würde. Möglichkeit zwei schien doch irgendwie nahe liegender. Leider. Marcus seufzte und rieb sich mit den Fingern durch die Augen. Er war schon das reinste Nervenbündel. Zuerst hatte er nur aus Spaß gesagt, dass Gary heiß sei. So wie er genau gewusst hatte, dass David nichts für ihn war, eine Schwärmerei von einem unbestreitbar umwerfend aussehenden Mann, mehr nicht. Aber Gary war anders. Er war greifbar, real. Er war in seinem Alter, hatte ähnliche Interessen... und er war einfach der süßeste Junge den Marcus je gesehen hatte. Er war so nett, so höflich, dabei aber auch schlagfertig und ein bisschen frech. Eine unglaubliche Mischung in Verbindung mit seinem tollen Aussehen. Es war wie ein Märchen. Er war der schöne Prinz, der Marcus aus seinem Turm der Einsamkeit befreite und mit auf sein Schloss nahm, um dort ewiglich und glücklich mit ihm zu leben (und ihn hier und dort ordentlich zu vögeln). Die schwule Version eines Grimmschen Märchens sozusagen, nur ohne die übertriebene Brutalität, die einem Horrorfilm jede Ehre machte, dafür mit einem großen Batzen Erotik. Marcus überlegte ernsthaft ob er jemals so nah an der Möglichkeit gewesen war, einen so muskulösen Körper zu berühren. Wahrscheinlich nicht. Er sah in den Spiegel hinüber. Von dort sah ihn ein sicher nicht hässlicher, aber auch nicht unbedingt durchtrainierter Junge an. Er hatte mittlerweile ein wenig zugenommen, war aber immer noch schlaksig. Jetzt wusste er, wie Chris sich fühlte, wenn er mit Jason zusammen war. Zumindest nahm er das an. Chris war kräftiger als er, aber auch kein Muskelmann und bei Jason konnte man schon durch die Kleidung erahnen, dass er mindestens ebenso gut gebaut war wie David oder dieser Polizist dessen Namen Marcus vergessen hatte, weil er sich auf der Party eh von ihm ferngehalten hatte. Er war ihm unsympathisch gewesen, er wusste auch nicht genau warum. Klasse! Jetzt sitze ich hier wie ein Feigling auf dem Klo statt endlich wieder hoch zu gehen. Worum mache ich mir denn schon Sorgen? Sehen das ich gewichst habe, kann er ja nicht... Trotzdem war es Marcus nicht ganz wohl im Bauch, als er seinen Bademantel wieder anzog und sich auf den Weg nach oben machte. Natürlich nicht ohne als Alibi einmal auf die Toilettenspülung zu drücken. Als Marcus wieder ins das Zimmer kam, das er sich mit Gary teilte, lag dieser ausgestreckt (und jetzt zum Glück mit einer Shorts bekleidet) auf dem Bett und bediente mit flinken Fingern seinen Gameboy Advance SP. Er hatte den Ton abgedreht, so dass Marcus nicht feststellen konnte, was genau er da spielte. Als der Junge das Zimmer betrat, klappte Gary den Handheld einfach zu und grinste ihn an. "Warst aber lange weg." "Ach... stimmt." Er war fast zwanzig Minuten weg gewesen wie Marcus durch einen Blick auf seinen Wecker feststellte. "Was hattest du denn vergessen?" Marcus sah auf seine leeren Hände hinab. Du dämlicher Idiot! Wie konntest du nicht dran denken was aus dem Bad mitzubringen?! "Ich hatte vergessen... Zähne zu putzen!" "Ach so..." Irgendetwas an dem Ton, in dem er es sagte, rief in Marcus das Gefühl hervor, dass Gary ihm nicht glaubte. Aber vielleicht bildete er sich das auch ein. "Wollen wir dann schlafen?" Wenn du willst auch miteinander! fügte er in Gedanken hinzu. Gary nickte. "Ja, können wir." Er legte den Gameboy weg und schlüpfte unter die Decke. "Machst du das Licht aus?" Marcus tat es und ging dann auf seine Seite des Bettes. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie nur eine Decke hatten, die sie sich teilen mussten. Er spürte wie ihm Schweiß den Rücken runter lief, so nervös war. Mit klopfendem Herzen stieg er auch ins Bett und deckte sich zu. Ihn trennten jetzt nur wenige Zentimeter von Gary, der neben ihm lag, die Arme unterm Kopf verschränkt und zur Decke sah. Marcus Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Wollte Gary so schlafen? "Du hast gewichst, oder?" Offenbar hatte er doch noch keine Lust auf Schlafen. "W...was?" "Du hast dir im Bad einen runter geholt, oder?" Oh Gott, er weiß es! Er hat gemerkt, dass er mich angetörnt hat! Jetzt bin ich aufgeflogen! Aber warum ist er so ruhig. Er flippt gar nicht aus... vielleicht... vielleicht weil ihn der Gedanke erregt! Vielleicht sucht er nur einen Anfang um... ich müsste nur meine Hand zur Seite strecken um ihn zu ermutigen. Ich könnte ihn berühren... Marcus' Gedanken rasten. "Muss dir nicht peinlich sein. Ich hab das in deinem Alter auch oft gemacht. Ist doch nichts dabei." In deinem Alter? Er spricht mit mir als sei ich ein Kind. "Ich mache es auch heute noch ab und an, nicht mehr so oft wie früher, aber noch oft genug." Musste er das jetzt sagen? Marcus drängte mit aller Macht das Bild weg, dass sich vor seinem inneren Auge zeigte, Gary beim... Nein, denk an was asexuelles! Gary drehte sich auf die Seite und lächelte ihn an. "Entschuldige, du bist ja knallrot, ich wollte dich nicht beschämen." Bin ich so rot, dass man das im Dunkeln sieht?! Leuchte ich etwa schon?! "Ne, ist schon gut... ich... war nur etwas perplex... das ist alles." "Dann ist ja gut...." Eine kleine Pause. "Und hast du nun gewichst?" Können wir nicht von etwas reden, wobei es nicht um Schwänze geht?! Ich krieg zuviel! Ja... hab ich." "Wusste ich es doch. Ich muss mir aber keine Sorgen machen, dass ich hier in alten Flecken von dir schlafe, oder?" Selbst im Dunkeln konnte man erahnen, dass er bei diesen Worten grinste. "Nein!" lachte Marcus. "Ich bin zwar seit ein paar Tagen hier, aber ich konnte mich bisher beherrschen." Ist eh alles deine Schuld! "Mit einem Mädchen ist das einfach viel schöner als mit der Hand!" Gary drehte sich wieder auf den Rücken. Ein Mädchen war es nicht gerade, was ich im Sinn hatte... "Das kann ich mir denken." "Hast du eine Freundin?" Fragt er das jetzt um seine Chancen auszuloten? Schön wäre es... "Nein, ich bin solo..." "Hattest du schon eine?" Nein, aber den einen oder anderen Mann hatte ich schon. Wie wäre es mit uns? Hast du Lust? Würdest es nicht bereuen! "Um ehrlich zu sein, nein. Hat sich bisher nicht ergeben." "Das kommt noch. Glaub mir, Sex ist so ziemlich das genialste überhaupt!" Das denke ich mir! Mit dir sicher... "Das glaube ich dir." Gary gähnte. "Na ja, lass uns pennen, wir haben ja noch jede Menge Zeit zum Quatschen. Ich bin so froh, dass du hier bist. Ich meine, Jason ist ein netter Kerl, aber wenn er Aktivitäten mit unseren Eltern abzieht, kann das sicher nur öde werden." "Die Party, die sie geschmissen haben war aber echt klasse." "Waren da nur Homos?" Homos?! Das klang jetzt aber irgendwie abfällig... Hat er etwa ein Problem mit Schwulen?! Heilige Scheiße, bitte nicht! "Ne, nicht nur. Aber David war da und er hatte Jeremy mit, einen Barkeeper aus Jasons Lieblingskneipe. Und sein neuer Partner bei der Polizei ist auch schwul, der hatte seinen Exfreund mit. Die anderen Gäste waren so lockere Freunde von Jason und Chris, mit denen habe ich mich nicht so befasst." "Meine Güte, das ist hier ein Mekka für Schwule, was?" Marcus nahm all seinen Mut zusammen. "Ist das ein Problem? Hast du was gegen Schwule?" Gary zuckte mit den Schultern. "Nein, absolut nicht. Soll jeder leben wie er mag und mein Bruder ist immer noch der gleiche wie immer, auch wenn ich nicht wissen möchte, was er vielleicht gerade mit Chris da drüben treibt." Ja, so wie ich die beiden kenne, haben die gerade Sex... und ich liege hier und bin kurz vor dem Nervenzusammenbruch... "Ich auch nicht!" Klang das ehrlich? "Aber ganz im Ernst, ich bin froh, dass du nicht schwul bist." Marcus schloss die Augen. Möchtest du mir jetzt noch ein Messer ins Herz rammen? Nur zu! Das musste ja kommen... "Warum?" "Ich meine, ich wüsste nicht so recht, wie ich mit dir umgehen sollte." "Wieso? Weil du sexy bist?" "Bitte?" Ach du Scheiße! "Ich meine... ich meine, weil du schließlich gut aussiehst. Hättest du Angst, dass ich mich in dich verliebe?" "So in der Art, ziemlich weit hergeholt, was?" Oh ja, meilenweit... "Stimmt. Zeugt allerdings von einem großen Selbstvertrauen." "Entschuldige, das sollte nicht so arrogant klingen... wie es klang." "Schon gut." "Du bist echt okay, Marcus." "Danke, du auch." "Und morgen kriege ich meine Revanche bei DoA! Abgemacht?" "Abgemacht!" "Gut!" Gary drehte Marcus den Rücken zu. "Schlaf gut." "Du auch." Marcus drehte sich ebenfalls weg, so dass sie beide in unterschiedliche Richtungen sahen. Marcus starrte aufs Fenster. Die Vorhänge hielten die Lichter der Straßenlaternen ab, nur ein schmaler Spalt schimmerte in der Mitte. Der Silberstreif am Horizont? Wahrscheinlich nicht. Das Gespräch war kumpelhaft gewesen, zumindest hatte Gary diesen Eindruck erweckt. "Ich bin froh, dass du nicht schwul bist." Dieser Satz geisterte durch seinen Kopf. Ein kleiner Satz mit so großer Bedeutung. Marcus ballte unter der Decke die Fäuste. Gary lag so nah bei ihm und doch so weit entfernt. Und Marcus hatte Angst, dass es auch so bleiben würde. Plötzlich fühlte er sich furchtbar mies. Und das änderte sich auch nicht bis er einschlief. "Marcus?" Der blonde Junge knurrte leicht und kämpfte gegen die Stimme an, die ihn aus seinem Schlaf ziehen wollte. "Marcus? Bist du wach?" "Jetzt ja..." Marcus hob langsam die Lider. Und schaute direkt in Garys wundervolle grüne Augen. Jasons Bruder beugte sich über ihn und blickte ihn an. "Was ist?" "Nichts. Du hast nur so niedlich ausgesehen, als du geschlafen hast." "Hab ich das?" Marcus konnte die Verwunderung in seiner Stimme nicht unterdrücken. "Ja, total süß..." Garys Gesicht war mittlerweile so nah bei seinem, dass er den warmen Atem des älteren Jungen auf seiner Wange spürte. "Gary, was wird das?" "Was denkst du?" Gary senkte den Kopf noch weiter und berührte ganz sanft Marcus' Lippen. Der Kuss war nur angedeutet, unglaublich zärtlich. Die Berührung dauerte gerade mal eine Sekunde, reichte aber, um Marcus eine wohlige Gänsehaut zu verpassen. "Warum tust du das?" fragte Marcus. "Weil ich lange genug darauf gewartet habe. Ich hab die ganze Nacht darauf gewartet, dass du mich endlich berührst." "Hast du?" "Was denkst du?" Als er das sagte, glitt seine Hand langsam über Marcus Wange, den Hals hinab und über die Brust. "Gary... ich..." "Sag einfach nichts..." Garys Lippen fanden wieder die von Marcus. Diesmal war er fordernder. Seine Zunge suchte sich ihren Weg in Marcus' Mund und spielte mit der des blonden Jungen. Der Kuss war unglaublich gut. Intensiv, heiß, erotisch. Garys Hand verschwand unter der Bettdecke. "Gary! Was machst du da?! Wenn uns jemand hört!" lachte Marcus, als der Kuss endete. "Na und? Sollen sie doch neidisch werden!" Mit diesen Worten zog er Marcus in seinen Arm und küsste ihn erneut. Er rollte ihn mit Leichtigkeit auf sich. Marcus spürte das Gary nackt war, seine Finger glitten über die Muskeln des älteren Jungen. "Ich liebe dich, Marcus." "Ich dich auch!" In diesem Augenblick begann sich alles zu drehen. Wenn das der Rausch der Leidenschaft war, dann ein sehr kurzer und ein sehr schmerzhafter. Und leider war es wirklich kein Rausch der Leidenschaft, sondern ein Sturz. Die Realität holte Marcus ein, als er hart auf dem Boden aufschlug und sich zu allem Übel auch noch den Kopf am Bettrahmen anstieß. Marcus rieb sich den Hinterkopf und blinzelte. Es war hell im Zimmer. Der blonde Junge rappelte sich vom Boden auf. Er war noch nie in seinem Leben aus dem Bett gefallen. Und heute musste es ihm passieren, in so einem Moment, bei so einem Traum! Und wenn Gary das nun gesehen hatte. Aber da bestand keine Gefahr. Er war allein. Wo war Gary? Marcus wollte direkt losgehen und ihn suchen, entschied sich dann aber doch anders und wartete noch ein wenig - bis sich das Problem in seinen Shorts gelegt hatte, dass der Traum zurückgelassen hatte. Er fand Gary schließlich in der Küche. Der junge Mann saß im Sonnenlicht am Esstisch und schaufelte Cornflakes aus einer Schüssel, ein Glas Orangensaft komplettierte das etwas dürftige Frühstück. Er trug ein lockeres Muscleshirt und eine kurze Trainingshose. Sein Haar glänzte leicht feucht. Aus dem Radio dudelte unterschwellig Musik, ein Song, den Marcus nicht kannte. Als er die Küche betrat hob Gary den Kopf. "Morgen, Marc!" Jetzt gibt er mir schon Spitznamen, wenn er wüsste wie wunderbar das klingt, wenn er mich Marc nennt... "Morgen, Gary. Wo sind denn alle?" "Die sind schon ausgeflogen, Sightseeing, du weißt schon. Ich war joggen und hab dich schlafen lassen, du hast..." So süß dabei ausgesehen?! "...ja gepennt wie ein Stein. Wusstest du das du schnarchst?" Natürlich, was erwarte ich denn schon? "Ne, sorry, das wusste ich nicht." "Na ja, war auch nicht so schlimm. Auf jeden Fall sind wir allein." Allein... ich flehe dich an! Reiß mir die Kleider vom Leib, vernasch mich auf dem Küchentisch! Oder auf dem Boden! Meinetwegen auf der Arbeitsfläche! Aber tu was! "Willst du auch Cornflakes?" ...Cornflakes! Warum ich... wie habe ich das verdient? "Ja, danke." "Die Milch ist im Kühlschrank. Tut mir leid, dass es nichts anderes gibt. Aber Jason geht mit Chris und unseren Alten frühstücken." "Unser Pech, Chris macht immer ein verdammt gutes Frühstück..." nuschelte Marcus aus dem Kühlschrank hervor. Er hatte die Milch schon längst entdeckt, aber sein Blick haftete auf der Schale mit Erdbeeren. Aus einem unerfindlichen (na ja, so unerfindlich nun auch nicht) Grund musste er an "9 ½ Wochen" mit Kim Basinger und Mickey Rourke denken. Honig war auch da... Nur dumm, dass das Objekt meiner Begierde nicht checkt was los ist... Er schloss den Kühlschrank wieder, nahm sich eine kleine Schüssel und ein Glas aus dem Schrank und setzte sich zu Gary. Er füllte Cornflakes in das Gefäß und goss Milch darüber. Ein wenig lustlos machte er sich über das Frühstück her, während Gary ihm einen Orangensaft eingoss. "Hast du was?" Marcus sah auf. "Nein, warum?" antwortete er mit halbvollem Mund. "Du wirkst so ein bisschen deprimiert." "Nein, absolut nicht, alles okay!" Wow! Du bist ein Naturtalent, das klang ja diesmal sogar überzeugend! "Dann ist ja gut. Chris hat gemeint, du könntest mir ein wenig die Stadt zeigen, du würdest dich hier auskennen." Im gleichen Moment wurde Marcus' Laune besser. Ein Stadtbummel mit Gary, da konnte man sich um einiges näher kommen. Vielleicht sollte er die Hoffnung doch nicht sofort begraben! Raffiniert von Chris, Marcus hielt jede Wette, dass er die Sache mit dem Frühstücken gehen eingefädelt hatte. "Klar, gern." "Ich würde zum Beispiel gern mal zum Fisherman's Wharf. Da ist wenigstens was los." Ein romantischer Ausflug in den Golden Gate Park wäre mir zwar lieber aber... "Klar, das können wir machen." "Cool! Kannst du Skateboard fahren?" "Ne, aber auf Rollerblades bin ich ganz gut, hab auch meine hier dabei." "Na bitte," Gary hob das Glas, "dann auf einen tollen Tag in San Francisco!" Marcus tat es ihm nach und stieß mit ihm an. "Auf einen tollen Tag!" Und auf die Liebe! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kathi (KatoKira) hat mir mal gesagt, dass sie ihren eigenen Stil noch sucht und deswegen immer mal ein wenig experimentiert. Das habe ich hier auch mal getan. Ich habe schon vorher hier und dort mit Gedanken gearbeitet, aber noch nie so intensiv wie hier. Ich wollte, dass man so tief wie möglich in Marcus' Gedankenwelt kommen kann und hoffe, dass die Situationskomik (so etwas kennt man ja auch aus diversen Fernsehserien) auch hier rüberkommt. Anders als im letzten Kapitel ging mir hier alles wunderbar von der Hand, ich war innerhalb weniger Tage (ich glaube es waren drei) mit diesem Kapitel fertig, Marcus und Gary sind ein echter Inspirationsknaller *g* *kathi knuddel* Hättest nicht gedacht, dass eine leichtfertig in einem Kommentar verkündete Idee zu so etwas führen wird, oder? Besonders Yaten dürftest du einen großen Gefallen getan haben, die ja schon lange gefordert hat, dass Marcus liebesmäßig was zu tun bekommt, gell, Nici? *knu* Ohne diesen kleinen Schubs in die Richtung Gary x Marcus, wäre Marcus mittlerweile aus der Story verschwunden, weil die anderen Jungs eindeutig zu alt für ihn sind ;-) Chris und Jason weichen hier so stark in den Hintergrund wie nie zuvor, obwohl ich mir vorgenommen habe, dass die beiden in jedem Kapitel mindestens in einer Szene auftauchen, schließlich kann man den Handlungsstrang von Chris und seinem Schulabschluss auch nebenher weiter erzählen. ^^ Ich hoffe mal, Gary kam so sympathisch rüber, wie er sein sollte. Was das Ende dieses Handlungssegments angeht, so bin ich mir noch nicht ganz sicher was ich tun werde, ich muss da noch die realistischen Möglichkeiten ausloten, entscheiden ob es ein Happy End gibt oder nicht usw. ^^ Noch alles offen, sozusagen ^^ Oh ja, beinahe vergessen. Der Titel ist eine kleine Abwandlung des Originaltitels der Serie "Bezaubernde Jeannie", die hieß nämlich "I dream of Jeannie". Dadurch kam mir die Idee mit dem Traum, den ich absichtlich nicht mit dem kursivem Text kenntlich gemacht habe ^^ Hoffentlich klappt diesmal alles mit dem kursiven Zeug, das letzte mal hatte ich plötzlich das halbe Kapitel kursiv *lol* Außerdem war es eine Mordsarbeit, die ganzen eckigen Klammern und "i" zu setzen >_< Also bis zum nächsten Chapter! Euer Uly ^^ Kapitel 14: Everyone has a little dirty laundry ----------------------------------------------- "Der Ausblick ist wunderschön!" Emily Cunningham rückte ihren Stuhl ein wenig mehr in Richtung Fenster. Die Sonne strahlte durch die hohen Glasfronten hinein und brach sich in den Gläsern auf dem Tisch. Das "Seaview Cafe" bot einen unglaublichen Blick auf die Bay und die Golden Gate Bridge. Die perfekte Lage und die sehr gute Küche hatten es zu dem momentanen Restaurant de jour gemacht, einer In-Adresse von San Francisco. Dementsprechend voll war es auch, aber Jason hatte zum Glück die glänzende Idee gehabt, schon Wochen im Voraus einen Tisch zu bestellen. Das Sekt-Frühstück, das den Cunninghams und Chris hier geboten wurde, war seinen Preis und die lange Warteliste aber auf jeden Fall wert. "Ihr habt Glück, dass das Wetter im Moment so herrlich ist und heute noch nicht einmal Nebel aufgezogen ist, sonst wäre der Blick nicht ganz so umwerfend." Chris biss ein Stück von seinem Croissant ab. "Na ja, der Nebel hat seinen ganz eigenen Charme, finde ich." Jason trank noch einen Schluck Kaffee. "Auch wieder wahr." "Ihr beiden liebt diese Stadt wirklich abgöttisch, was?" "Ja, Dad, nirgends ist es schöner als in San Francisco." Emily wandte ihren Blick wieder von der Bay ab und lächelte Chris an. "Was ich schon die ganze Zeit fragen wollte. Wie habt ihr beiden euch eigentlich kennen gelernt?" Der letzte Bissen des Croissants blieb Chris beinahe im Hals stecken. Er hustete und nahm einen gierigen Schluck von dem halbtrockenen Sekt, der in einem eleganten Glas vor jedem stand. Jason musterte plötzlich interessiert die dunkle Oberfläche seines Kaffees. Keiner von beiden wusste, was er nun sagen sollte. Wie brachte man seiner Mutter bei, dass man seinen Freund als Freier kennen gelernt hatte? Und in Chris' Fall: Wie brachte man den Eltern seines Freundes bei, dass man früher auf den Strich gegangen ist? In diesem Moment kam ihnen der Zufall zu Hilfe und zwar in unerwarteter Form. "Darf ich Ihnen noch Kaffee einschenken?" Chris sah erst seine leere Tasse und dann den jungen Kellner an, der ihm diese Frage gestellt hatte. "Sly!" Jetzt erkannte ihn der andere mit einer schwarzweißen Kellneruniform bekleidete Mann und plötzlich hellte sich sein Gesicht auf, er strahlte regelrecht. "Chris! Was für eine schöne Überraschung!" Und in einem etwas weniger enthusiastischen Ton: "Jason, schön dich zu sehen!" "Was machst du denn hier?" Sly lächelte Chris an und hob die edel aussehende Kanne mit frischem Kaffee, die er in der Hand hielt. "Ich bin hier Kellner." Erst jetzt schien er zu merken, dass Chris und Jason nicht allein am Tisch waren. "Das sind meine Eltern. Jeffrey und Emily Cunningham, das ist Sly McGrey, ein Freund von uns." "Schön Sie kennen zu lernen." Sly deutete eine Verbeugung an. "Ganz unsererseits." erwiderte Jeffrey. "Hast du kurz Zeit für mich?" fragte Chris. "Ich wollte dich nämlich eh sprechen und ich hab deine Telefonnummer nicht." Sly sah sich ein wenig unsicher um. "Die sehen es nicht gern wenn ich quatsche, aber einen Moment hab ich, das klappt schon. Nur am besten nicht hier am Tisch." "Entschuldigt ihr mich kurz?" "Aber natürlich!" nickte Emily. "Bin gleich wieder da." Chris stand auf und folgte Sly. Jason sah ihm nach und spürte wie sich sein Magen verkrampfte. Jetzt war er auch noch allein mit der ausstehenden Frage. "Ein netter junger Mann, woher kennt ihr ihn?" wollte seine Mutter wissen. "Wir haben ihn über meinen neuen Partner kennen gelernt." "Ach ja, das hatte ich fast vergessen, du hast ja einen neuen Partner bekommen, nachdem dein letzter damals gestorben ist." Sein Vater nippte an seinem Sekt. Jason nickte. Er kam nicht dagegen an, der Gedanke an Randy versetzte ihm einen schmerzhaften Stich im Herzen. "Ja, hab ich..." "Wie läuft es denn momentan so? Kommt ihr gut miteinander aus? Ich bin so stolz darauf, wie du deinen Weg machst." Jason lächelte seinen Vater an, dankbar dafür, dass er vom Thema Randy ablenkte. Und noch besser, ohne das es ihm sicher bewusst war, waren sie auch von der Kennen lernen Thematik weggekommen. In Gedanken dankte er Sly, dass er sie unterbrochen hatte. Alles auf einmal wollte er seinen Eltern nun wirklich nicht zumuten. Also begann er von seinem Arbeitsalltag zu erzählen. Sly führte Chris in einen Winkel des Lokals, den man nicht so gut einsehen konnte. Er hatte schon Ärger fürs Reden bekommen als Coop ihn besucht hatte und er wollte kein Risiko eingehen. Er hoffte, dass man sein Herz nicht schlagen hörte, es pochte so heftig, dass er das Gefühl hatte, seine Brust würde beben. Chris ging dicht hinter ihm, er nahm sogar das Parfum des blonden Mannes wahr und der Duft raubte ihm fast die Sinne. Chris sah heute morgen umwerfend aus. Die Haare trug er offen, sie reichten ihm jetzt schon fast bis an die Schultern. Und sie glänzten im Licht wie pures Gold, fand zumindest Sly. Sein Outfit war gut gewählt, Jeans, ein weißes Hemd, eine dezente Kette, genau auf dem Grat zwischen leger und elegant. Er war einfach wunderschön. "Ich bin ja baff, ich hätte nie erwartet, dass du in einem so edlen Restaurant kellnerst. Ich dachte, du machst das nur so nebenbei..." Chris machte eine Pause. "Entschuldige, das klang jetzt etwas arrogant. Aber du weißt, ich bin bei IHOP in der Lombardt Street." "Ich bin auch nur Hilfskellner, kein großes Licht." "Aber du läufst wenigstens nicht in einer blauweißen Uniform mit dem IHOP Logo auf der Brust rum!" lachte Chris. In einer Ecke, hinter einem großen Palmengewächs, dass sie vom Rest des Lokals abschirmte, hielt Sly an. Das wäre der perfekte Ort für einen Kuss, aber er wagte es noch nicht einmal, Chris auch nur zu berühren. Er musste sich zusammenreißen, das war ja kein Zustand! Der Mann war vergeben. "Was wolltest du von mir?" "Ich hab mit Jason über die Sache mit dem Schulabschluss geredet und er findet die Idee toll. Also will ich das durchziehen, sobald Jasons Eltern wieder weg sind. Und ich dachte, ich könnte auf dein Angebot zurückkommen, dass du mir helfen willst und wir hier und da zusammen lernen." Slys Herz machte einen Sprung und er fürchtete, es würde jeden Moment aufhören zu schlagen. Chris wollte mit ihm Zeit verbringen! "Aber gern! Natürlich!" Er musste sich bremsen um nicht zu enthusiastisch zu klingen. "Danke. Das ist wirklich lieb von dir." "Für dich tu ich das gern." Kaum waren die Worte raus, bereute er sie schon wieder, das klang eindeutig zu vertraut. Aber entweder hatte Chris das nicht registriert oder er überging es schlichtweg. "Ich bin froh, dass ich dich kennen gelernt habe." "Das kann ich nur zurückgeben." "Ich bin fast erleichtert, dass du mich mal kurz von dem Tisch weg geholt hast. Ich bin immer noch total nervös, Jasons Eltern sind sehr nett, aber ich habe trotzdem Angst, etwas falsch zu machen." Sly hatte plötzlich einen Kloß im Hals. "Dann ist es wohl was ernstes, wenn er dich seinen Eltern vorstellt, was?" "Das kann ich nur hoffen. Er hat sich sogar extra wegen mir vor seinen Eltern geoutet." Den Ablauf des Outings verschwieg Chris lieber. "Ich wünsche mir so sehr, dass es etwas für immer ist... du glaubst gar nicht wie glücklich ich mit ihm bin." "Das freut mich so sehr für dich." Sly hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, etwas zu zerschlagen oder in Tränen auszubrechen und das obwohl er wirklich froh war, dass Chris glücklich war. Er erkannte sich langsam selbst nicht wieder, das war ja schon schizophren. "Ich denke, ich sollte zum Tisch zurück, die warten sicher schon auf mich." "Ja, aber natürlich." Sly nickte. "Ich schreibe dir meine Telefonnummer auf die Rechnung, dann kannst du dich bei mir melden und wir können alles besprechen." "Du bist ein Schatz! Bis später!" Chris lächelte ihn an und kehrte ins Lokal zurück. Sly ließ sich gegen die Wand sinken, seine Knie waren weich. Chris Lächeln war wie die aufgehende Sonne, strahlend, warm, wundervoll. Er trat hinter der Pflanze hervor und sah zu, wie Chris sich wieder an den Tisch setzte und eben dieses Lächeln, das er vorhin noch ihm geschenkt hatte, nun Jason gab, nur noch viel intensiver, voller Liebe. Sly ballte die Fäuste, so sehr das es schmerzte. Das Schlimmste an der Sache war aber, dass er Jason sehr nett fand. Er konnte diesen Mann, der zwischen ihm und Chris stand, noch nicht einmal hassen. Jason war ein freundlicher und ehrlicher Mensch, das merkte man sofort. Und er liebte Chris über alles, das war offensichtlich. Chris war glücklich und das war die Hauptsache... Schweren Herzens machte Sly sich wieder an die Arbeit. Zur gleichen Zeit schwebte Marcus im siebten Himmel. Garys Hände lagen um seine Hüften und hielten ihn fest... na ja, eigentlich hielt er sich an ihm fest. Gary ließ sich lachend ein Stück von Marcus mitziehen. Der blonde Junge trug seine Rollerskates, während Gary auf dem Skateboard unterwegs war. Dank der Rollen unter dem mit einer Schlange verzierten Brettes konnte Marcus Gary mühelos ziehen und dabei die Berührung des älteren Jungen genießen. Aber der Moment währte viel zu kurz, schon lösten sich Garys Hände wieder von ihm. Es war herrlich warm an diesem Herbsttag, die Sonne schien mit einer Intensität, als wolle sie den Menschen der Küstenstadt sagen, dass sie noch lange nicht kapituliert hatte und dem Winter das Feld nicht kampflos überlassen würde. Wobei in Kalifornien der Winter eh keinen großen Unterschied machte, verschneite Palmen hatte es das letzte mal vor Jahrzehnten gegeben. Wie jeden Tag war in der Gegend um Pier 39 und Fisherman's Wharf eine Menge los, doch die Hauptsaison war vorbei. In der Bay spiegelte sich die Sonne und verstärkte noch das Gefühl, dass es sich hier um einen Sommertag handeln würde, am Himmel zogen kreischende Möwen ihre Kreise und gerade machte sich eine Fähre auf den Weg nach Alcatraz Island. Marcus hatte sich vorgenommen, die trübseligen Gedanken von letzter Nacht und besonders diesen einen verdammten Satz von Gary vollkommen zu ignorieren und einfach den Tag zu genießen. Obwohl ihm diese eine Aussage, die leicht das Ende all seiner Träume darstellen konnte, immer noch im Kopf herum spukte. Er war so Gedanken, dass er den plötzlichen Warnruf Garys viel zu spät registrierte, ebenso wie das Hindernis in Form eines Mannes, das sich plötzlich vor ihm aufbaute. Er stieß mit diesem zusammen und wäre wahrscheinlich gestürzt, wenn der Mann ihn nicht geistesgegenwärtig festgehalten hätte. "Entschuldigung, Sir, das wollte ich nicht... tut mir leid..." stammelte er und sah auf. Im nächsten Moment wünschte er, er hätte es nicht getan, denn das hier war einer dieser teuflischen Zufälle, die es eigentlich nur in Seifenopern und schlechten romantischen Komödien geben dürfte aber doch nicht im richtigen Leben! Zuerst hatte er ihn im Anzug mit Krawatte und geöffnetem Sakko nicht erkannt, so ganz ohne Blattwerk, aber er lag eindeutig in den Armen von David, Jasons bestem Freund, der ihn schelmisch angrinste. "Na, was ist mir denn da in die Arme geflogen? Nette Anmachtaktik, Marcus, muss ich mir merken." Marcus befreite sich so schnell es ging aus Davids Armen und stolperte auf seinen Skates einen Schritt zurück. Gary war von seinem Skateboard heruntergestiegen. Wenn er jetzt was sagt, dann fliege ich auf... "Ähm... Gary... da...das ist David... du weißt schon, Jasons bester Freund... das i...ist Gary, Jasons jüngerer Bruder." David lächelte Gary an. "Diese Ähnlichkeit, verblüffend. Wie eine jüngere Fassung von Jason." Gary kratzte sich am Kopf, er wurde rot. Ihm schien aufzugehen, wen er vor sich hatte und offenbar wusste er nicht so recht wie er reagieren sollte. "Ich... ähm... schön, Sie kennen zu lernen... ich wollte mir eigentlich... gerade ein Eis holen, willst du auch eines, Marc?" Marcus nickte, froh um die Möglichkeit, Gary für ein paar Minuten loszuwerden, obwohl er das selbst nicht fassen konnte. "Ja gern." David zog seine Brieftasche hervor und hielt Gary einen zehn Dollar Schein hin. "Hier, bring mir auch eines mit, Jason II, welches überlasse ich dir. Dein Bruder hat auch immer meinen Geschmack getroffen." Mehr als ein Nicken und ein leises "Danke" brachte Gary nicht hervor. Er nahm den Schein, nickte Marcus zu und verschwand in Richtung eines Eisstandes, an dem sie gerade vorbei gekommen waren. Marcus sah ihm einen Moment nach, dann wandte er sich wieder David zu. "Was machen Sie hier, Mr... äh..." "Nichts Mister, nenn mich einfach David, okay? Ich komme mir sonst so alt vor. Und falls du erlaubst, ich komme gern in der Mittagspause hierher." Er schaute in die Richtung, in die Gary verschwunden war. "Das war beinahe unheimlich." "Was denn?" "Wenn man euch beide so sieht. So müsste es ausgesehen haben, wenn Jason und Chris sich schon auf der Highschool getroffen hätten. Obwohl ich glaube, Chris hat mal erwähnt, dass er damals Football gespielt hat. Das machst du nicht, oder?" "Nein..." gab Marcus zu und schämte sich ein wenig dafür, dass er kein Sportass war, wie scheinbar jeder sonst auf der Welt. "Ist doch auch kein Verlust. Du siehst doch klasse aus." Jetzt wurde Marcus endgültig rot. "Da...danke..." "Bist du auf der Pirsch? Ich meine, dieser Jason look-alike ist wirklich sehr sexy, vor allem für sein Alter!" Marcus seufzte. "Ja und leider hören da die Ähnlichkeiten mit Jason auch schon auf." Plötzlich hatte er das Bedürfnis, sich David anzuvertrauen, er hatte das Gefühl es zu können, besonders da er ihn schon auf der Party als sehr nett empfunden hatte. "Wissen Sie... weißt du, was er letzte Nacht im Bett gesagt hat?" "Du willst mir wirklich erzählen, was ihr so im Bett macht?" grinste David. "Weiß Jason, dass du seinen Bruder flachlegst?" Für einen Moment geriet Marcus aus dem Takt, bis er an Davids Grinsen erkannte, dass dieser ihn neckte. Er stemmte die Hände in die Hüften. "Ja, immer kräftig Salz in die Wunde. Wäre schön wenn es so wäre, aber der Satz "Ich bin froh, dass du nicht schwul bist" kann ein echter Liebestöter sein..." "Autsch!" David legte ihm die Hand auf die Schulter. "Das ist hart. Heißt das, Gary ist ein Hetero? Schade, sehr schade, viel Potenzial verschenkt... du hast ihm also verschwiegen, dass Chris, Jason und du auf dem gleichen Ufer steht?" Marcus nickte nur. "Und jetzt hoffst du auf eine Möglichkeit, dem Blinden die Augen zu öffnen und ihm zu zeigen, was er verpasst!" Wieder ein Nicken. "Aber meine Hoffnung ist nicht groß..." "Willst du ihn wegen seines knackigen Hinterns oder ist da mehr?" "Ähm..." "Du bist verknallt, nicht wahr?" "Sieht man mir das so genau an?" "Nein, keine Angst, du tarnst dich gut." Marcus seufzte und sah auf seine Füße. "Ich weiß echt nicht mehr weiter... Jason ist dagegen, Chris ermutigt mich und Gary könnte kein heterosexuelleres Verhalten an den Tag legen..." "Ich sag dir jetzt mal was: Sein Bruder hat erst Mitte zwanzig wirklich eingesehen wie er tickt und wollte das vorher nicht wahrhaben. Wer weiß, vielleicht ist er es, vielleicht nicht, aber wenn du meinen Rat hören willst, Angriff ist die beste Verteidigung. Horch ihn aus, lern ihn näher kennen." David zwinkerte ihm zu. "Du bist doch ein süßer Junge, du schaffst das schon. Chris hat Jason ja auch zu einem bekennenden Schwulen gemacht, selbst wenn du nicht mit ihm verwandt bist, ihr seid doch fast wie Brüder. Und wenn nicht gibt es auch noch genug andere Fische im Meer. " "Stimmt!" nickte Marcus. "Na siehst du." Er lächelte plötzlich. "Ah, Gary ist wieder da." Marcus wandte sich um und sah Jasons jüngeren Bruder, der mit dem Skateboard unter dem Arm und drei Hörnchen mit Eis in der Hand balancierend auf sie zu kam. "Hier, das Eis. Für dich, Marc," Er gab ein Hörnchen an Marcus weiter. "und für Sie." David nahm sein Eis an und musterte es mit einem Grinsen. "Vanille und Chocolate Chip, du bist deinem Bruder sehr ähnlich." Dabei zwinkerte er Marcus ein weiteres mal zu. "Ich lasse euch beide dann mal allein, meine Mittagspause neigt sich eh dem Ende zu und ich muss noch zur Kanzlei zurück. Viel Spaß noch, die Herren!" Er tippte sich mit der freien Hand an die Schläfe und ließ die beiden dann allein zurück. "Bye!" rief Marcus. "Ihr Wechselgeld!" erinnerte Gary. David winkte nur über die Schulter. "Geschenkt, sieh es als Trinkgeld." Marcus glaubte daraus zu hören, dass er grinste. "Warum hat der mich so angeguckt?" Marcus schleckte an seinem Eis und setzte ein unschuldiges Gesicht auf. "Wer weiß, vielleicht fand er dich niedlich! Komm, da drüben ist eine Bank frei, direkt am Wasser, ich will mich setzen." Damit fuhr er los. Gary sah erst in die Richtung in die David verschwunden war, dann Marcus hinterher. "Was soll das heißen?! Er fand mich niedlich?!" Er folgte Marcus, der seine Frage nur mit einem Lachen quittierte und in Gedanken David für die Unterstützung dankte. "Wow! Schau dir die mal an!" Marcus schreckte aus seinen Gedanken hoch. Sie hatten eine Zeit lang still auf der Bank nebeneinander gesessen und auf die Bay hinaus gesehen und dabei war er irgendwie in eine Traumwelt abgeglitten. Er hatte sich verloren in dem Anblick der kleinen Härchen auf Garys Unterarmen, die vom angenehmen Wind ein wenig bewegt wurden. Ihm waren Dinge aufgefallen wie die sauber rasierte Achselhöhle des linken Armes, den Gary hinter dem Kopf verschränkt hatte, die langen Wimpern an Garys geschlossenen Lidern, wenn er das Gesicht der Sonne zuwandte, der leichte Bartschatten auf seinen Wangen, der kaum sichtbare Leberfleck auf dem Nasenflügel. Jedes noch so kleine Detail an Gary fand er wunderschön und konnte sich nicht satt sehen daran. Jetzt zuckte er beinahe zusammen, als Gary ihn ansprach. "Was? Entschuldige, ich war in Gedanken." "Da, schau mal." Gary nickte mit dem Kopf nach links und Marcus folgte der Bewegung mit dem Blick. Dort stand ein junges Mädchen, etwa in Garys Alter, lange blonde Haare, die sanft in Wind wehten, eine gertenschlanke Figur, eingehüllt in eine schon fast obszön enge Jeans und ein bauchfreies, schwarzpinkfarbenes Top. Sie hatte ein hübsches schmales Gesicht, das perfekt zu ihrem bezaubernden Körper passte. Als er die Art sah, wie Gary sie anschaute, mit diesem leichten Funkeln im Blick, hasste Marcus sie auf der Stelle. Was findest du an dieser kleinen Schlampe? wäre ihm beinahe herausgerutscht, im letzten Moment begnügte er sich mit einem "Sieht gut aus." "Das kannst du laut sagen." In diesem Moment schaute das Mädchen zu ihnen hinüber und als sie erkannte, dass Gary sie ansah, lächelte sie ihn an. In einer Weise, dass Marcus plötzlich Lust verspürte, Gary einfach an die Hand zu fassen oder noch besser zu küssen, damit dieses kleine Luder gleich wusste was Sache war. Gary brauchte so etwas wie sie nicht! Offensichtlich sah sie das anders, denn nicht nur das sie ihn anlächelte, nein, jetzt kam sie auch noch zu ihnen hinüber. Leichtfüßig und mit einem beschwingten Schritt. Kann nicht unter ihr der Pier durchbrechen. Vielleicht kann sie nicht schwimmen. Gibt es hier eigentlich Haie? Na ja, die würden dieses dürre Gerippe eh gleich wieder ausspucken und bessere Kost verlangen! Gott, bin ich gehässig, wusste überhaupt nicht, dass ich das kann! Marcus grinste innerlich bei der Vorstellung, dass dieses Mädchen ins Wasser fiel. Er erkannte sich selbst kaum wieder, aber dieses Miststück war eine potenzielle Bedrohung der übelsten Sorte. "Hi!" Hi! Ich bin blond und blöd, aber stört euch nicht dran! äffte Marcus sie in Gedanken nach. "Hi!" erwiderte Gary die Begrüßung. "Du bist nicht von hier, oder? So jemand wie du müsste mir schon aufgefallen sein." Warum? Bist du jeden Tag hier? Vielleicht ist sie eine Nutte! Obwohl ihm selbst da eigentlich kein Urteil zustand, gefiel Marcus der Gedanke, dass diese Zicke vielleicht eine billige Hure sei, obwohl das eher unwahrscheinlich war. "Nein, ich bin nicht von hier. Bin nur im Urlaub." "Du bist New Yorker, oder?" "Woran hast du das gemerkt?" "An deinem Akzent, ich hab meine Hausaufgaben gemacht, bin fleißiger Sex and the City Zuschauer." Ach Gottchen, wie originell. Holt sich ihre Bildung aus dem Fernsehen... blöde Kuh! "Verstehe! Ach ja, ich bin Gary." "Mein Name ist Holly!" lächelte sie. Okay! Vergesst mich ruhig! Bin ja unwichtig... Marcus starrte Holly an, in der Hoffnung, dass Blicke töten könnten. "Also, ich will ja nicht, dass du mich für aufdringlich hältst..." Nein! Natürlich nicht! Du bist ja sicher auch eine Klosterschülerin! Du hast nur aus Versehen ein Outfit gewählt, das förmlich "Nutte!" schreit... "...aber ein paar Freunde von mir geben morgen Abend eine Party und vielleicht hast du Lust zu kommen." fuhr sie fort und lächelte Gary an. Ha! Als würde Gary auf so eine plumpe Anmache reinfallen! Gary kratzte sich am Hinterkopf. "Lädst du immer wildfremde Leute ein? Ist das nicht etwas riskant?" Sie lachte glockenhell (Marcus fand es eher schrill). "Ja, da hast du vielleicht Recht, aber jemanden wie dich konnte ich nicht einfach wieder verschwinden lassen. Vielleicht könnten wir uns ja etwas näher kennen lernen. Die Party wird sicher cool." Marcus fixierte Garys Hinterkopf und hoffte, das er plötzlich telepathische Fähigkeiten entwickeln würde. Gary musste einfach ablehnen! Doch alles was er tat, war sich zu ihm umzudrehen und mit seinem unvergleichlich schelmischen Grinsen zu sagen: "Hört sich doch gar nicht schlecht an, was, Marc?" Marcus' Verstand setzt für einen Moment aus, anders konnte er es sich nicht erklären, dass er angesichts von Garys Lächeln sofort nickte. Doch nicht ganz, denn in seinem Hinterkopf formte sich der hämische Gedanke, dass das eh nichts werden würde, dafür würden Jason und seine Eltern schon sorgen. Gary drehte sich wieder zu Holly. "Aber wenn dann gibt es uns nur im Doppelpack. Marc muss auch eingeladen werden." Holly sah an Gary vorbei und musterte Marcus, als wäre er ein abstoßendes Insekt, aber vielleicht bildete er sich das auch ein, denn sie lächelte ihn an und nickte. "Aber klar, du kannst auch kommen." Fahr doch zur Hölle, Miststück! "Vielen Dank, gern!" "Dann wäre das ja geklärt. Hast du ein Handy?" "Klar!" Sie griff in ihre kleine Handtasche, eines dieser quietschrosafarbenen Dinger, in die gerade mal ein Kuli und ein Handy passten, zog einen Zettel und tatsächlich auch einen Kuli hervor und schrieb etwas auf. "Hier, das ist die Adresse. Werdet ihr das finden? Für den Notfall habe ich meine Handynummer drauf geschrieben, falls ihr euch verlauft." Wir sind ja nicht so blöd wie du! "Danke, aber wir finden das schon, Marc kennt sich hier aus!" nickte Gary und nahm den Zettel entgegen. "Cool. Dann sehen wir uns morgen um acht, okay?" "Wir sind da!" lächelte Gary. Marcus hätte am liebsten gekotzt. Dieses Miststück wickelte seinen Gary um den Finger und er konnte nichts tun als daneben zu sitzen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen, dabei löste Garys Lächeln, das er diesem verdammten Mädchen schenkte, in ihm den Wunsch aus, sie zu erschlagen. Er hatte bis heute nie gewusst, wie sich rasende Eifersucht anfühlte, aber jetzt war es ihm klar. Er würde Gary sicher nicht kampflos diesem Luder überlassen! "So, ein Lemonsoda für dich." Ash stellte das kleine Tablett mit dem Getränk auf dem eleganten Glastisch in seinem Wohnzimmer ab. Er bewohnte ein hübsches Apartment in der Innenstadt, das Haus hatte einen guten Ruf, einen Portier und Nachtwächter, sicherer konnte man kaum leben. Als seine Eltern verstorben waren, sein Vater war leidenschaftlicher Segler gewesen, zu leidenschaftlich, sonst hätte er die Sturmwarnung sicher ernster genommen, als er mit seiner Frau noch einmal hinausgesegelt war, hatte er eine beachtliche Summe geerbt, zusätzlich zu der Lebensversicherung und außerdem das Haus in Boston, das er gewinnbringend verkauft hatte. Manchmal fragte er sich, warum es ihm so leicht gefallen war, all die Erinnerungen an sein Leben einfach zu verkaufen und in San Francisco neu anzufangen, aber er führte es darauf zurück, dass er es seinen Eltern, besonders seinem Vater nie hatte recht machen können. Egal wie gute Noten er mit nach Hause brachte, welche Erfolge er im Sport feierte, wie gut er sich bei den Marines schlug oder mit welchen Auszeichnungen er seine Ausbildung zum Cop absolvierte, niemals hatte er auch nur ein Wort des Lobes gehört. Manchmal hatte er seine Eltern sogar für ihre snobistische Art gehasst. Sein Vater hatte es nie akzeptieren wollen, dass sein Sohn kein Interesse daran hatte, eine Karriere an der Börse zu verfolgen, sein Vater war damit reich geworden. Aber er musste ihm auch dankbar sein, denn auf diese Weise konnte er sich einen guten Lebensstil leisten und musste sich keine Sorgen um Geld machen. Das Wohnzimmer war in hellen Farben gehalten, verströmte aber eine leicht kühle Atmosphäre, dunkles Holz und schwarzes Leder als Kontrast zu den hellen Wänden, moderne Dekoration, alles minimalistisch und gleichzeitig sehr angesagt. Eine Wand nahm ein modernes Bücherregal ein, das vor Lesewerk beinahe überquoll. Ash war stolz darauf, jedes dieser Bücher gelesen zu haben und es handelte sich bei weitem nicht nur um Romane. Er hatte immer etwas gegen das Image des dummen Schönlings gehabt. Auf dem Tisch lag ein Werk von Hemingway, das er gerade las, Sly hatte ihn mit seinem überraschenden Besuch dabei unterbrochen. Ash war ihm aber deswegen nicht böse. Er mochte Sly sehr gern, noch mehr als damals, als sie noch ein Paar gewesen waren. Ash war immer der Beschützer gewesen, der Fels in der Brandung, der für Sly da war, wenn es gefährlich wurde, der ihn teilweise nächtelang im Arm gehalten und getröstet hatte, wenn dieser mal wieder versucht gewesen war zur Flasche zu greifen. Sly war ein lieber Kerl, aber besonders in der Anfangszeit als er endlich trocken war, sehr labil. Mittlerweile hatte er sein Leben im Griff, aber trotzdem hatte Ash immer noch Angst, er könnte rückfällig werden. Er ließ sich neben Sly auf die Couch fallen. Kurz bevor sein Freund gekommen war, hatte er geduscht und es sich dann nur im Bademantel bekleidet zum Lesen gemütlich gemacht, aber vor Sly störte ihn das nicht, zumal sie hier und dort eh noch miteinander schliefen, auf die alten Zeiten sozusagen. Sly nahm das Glas mit dem Soda und trank einen Schluck, er seufzte als er es zurückstellte. "Was ist los, du siehst aus wie sieben Tage Regenwetter!" "So schlimm?" Ash nickte. "Ja, wirklich nicht gut." "Ach, Coop, ich bin echt fertig." Er schaute in Ashs erschrockenes Gesicht und lächelte schnell. "Keine Panik, schau mich nicht an, als hätte ich die Flasche schon angesetzt! So schlimm ist es nun auch nicht." "Sorry, aber du kennst mich, ich mache mir schließlich immer Sorgen um dich." "Keine Angst, Dad, ich gehe stets brav um zehn ins Bett und putze mir immer meine Zähne!" "Spinner!" lachte Ash und knuffte ihn in die Seite, er wusste genau wo Sly kitzelig war, so etwas lernte man in einer Beziehung schnell. Schneller noch als die erogenen Zonen des Partners, obwohl er die bei Sly auch allesamt kannte. "Was ist denn nun los?" "Ich glaube ich drehe durch..." "Warum? Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!" "Also..." Er nahm einen Schluck von seinem Soda. "Chris war heute im Seaview..." "Ah, jetzt verstehe ich..." "Ja? Tust du? Das ist toll, denn ich verstehe mich nicht mehr! Wenn ich in seiner Nähe bin, habe ich das Gefühl durchzudrehen. Ich bin so nervös, meine Hände schwitzen, ich zittere sogar... ich hab ihn doch erst zweimal getroffen, auf der Party und heute... aber ihn heute zu sehen hat mich vollkommen aus der Bahn geworfen..." "Es hat dich wirklich schwer erwischt, was?" Sly nickte. "So was habe ich zuletzt gefühlt, als wir uns kennen gelernt haben..." "Du hast ihm doch nichts gesagt, oder?" "Nein!" Sly hob die Hände, so abrupt, dass ein bisschen Soda auf seine Hose spritzte. "Das könnte ich nicht, niemals! Eine Chance habe ich eh nicht. Er war mit Jason da... und dessen Eltern. Dein Partner hatte sein Coming out vor seinen Eltern... extra für Chris..." "Ach, deswegen hat er sich Urlaub genommen. Wegen seiner Familie. Er hatte mir nicht gesagt warum." "Ich kann ihn nicht leiden..." "Jason ist ein wirklich netter Kerl." "Das ist es ja!" Sly stellte sein Glas zurück. "Er ist furchtbar nett! Er ist sympathisch und das ist scheiße! Ich möchte ihn hassen, aber ich kann es nicht, weil er viel zu nett ist. Und außerdem tut er Chris so wahnsinnig gut, er ist so glücklich. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich Chris so glücklich machen könnte." "Das könntest du sicher." Sly sah Ash mit hochgezogenen Brauen an. "Dein Ernst?" "Natürlich. Du bist wunderbar, Sly, du würdest ihn glücklich machen, vor allem weil ihr wirklich gut zusammen passt, finde ich." "Du und Jason, ihr würdet auch gut zusammenpassen!" grinste Sly. "No way! Jason ist ein Freund und wir arbeiten zusammen, da läuft nichts." "Nicht einmal Interesse? Er ist sexy." "Merk dir: Don't fuck around in the company! So etwas schafft nur Ärger. Nein, selbst wenn Jason sehr gut aussieht und sehr nett ist, ich gedenke es bei Kollegen Schrägstrich Freunden zu belassen." "Ich verstehe schon, eigentlich hab ich ja auch nur Mist geredet. Ich will ja gar nicht, dass du Jason Chris ausspannst, das würde Chris nur verletzen." "Eben. Ich finde sowohl Jason als auch Chris sehr nett und ich hab nicht vor, einen von beiden zu verletzen. Obwohl Chris gewisse Ressentiments mir gegenüber zu haben scheint." Sly lachte. "Was erwartest du?" Er griff rüber und zog Ashs Bademantel an der Brust auseinander um seine Muskeln freizulegen. "Du bist schließlich genau so ein Adonis wie sein Freund!" "Muss ich mir da etwas drauf einbilden?" Ash war durchaus stolz auf seinen Körper, aber er hasste jegliche Art von Körperkult und der Ansicht, dass es eher auf das Aussehen als auf die inneren Werte ankam. Natürlich war auch er für visuelle Reize empfänglich. Und auf eben solche sprach Sly ihn nun an. "Ja, solltest du, sonst hättest du sicher nicht die Aufmerksamkeit von diesem David bekommen. Hat sich da eigentlich mittlerweile etwas ergeben?" Ash lehnte sich nach hinten. "Nichts. Aber es ist ja auch noch nicht lange her. Wer weiß, vielleicht steht er ja eher auf diesen kleinen Rothaarigen, der uns gestört hat. Aber er war schon verdammt sexy." "Hat es gefunkt?" "Nein. Das wird es auch nicht, der Kerl ist einer von der Sorte, der nur vögelt, das hab ich gleich gemerkt. Manchmal mache ich das auch ganz gern, ohne Verpflichtungen, ohne Gefühl, einfach einen guten Fick, aber dauerhaft..." "Ich war immer fasziniert, dass du der Typ für Beziehungen bist... warum hat es eigentlich zwischen uns nicht funktioniert? Diese Frage stelle ich mir oft." "Bereust du es?" "Nein, nicht wirklich, wir sind uns jetzt näher als je zuvor, aber ich frage mich trotzdem, warum wir es nicht geschafft haben, eine funktionierende Beziehung auf die Beine zu stellen." Er stand auf und ging zum großen Wohnzimmerfenster, hinter dem der Balkon lag. Ashs Wohnung war von der Bay abgewandt, man blickte auf die Innenstadt, auf das Meer der Millionen von Lichtern. "Na siehst du!" hörte er Ashs Stimme von der Couch her. "Dann ist doch alles okay. Und das warum nicht wird unwichtig." Sein Freund stand ebenfalls auf und dann vernahm er das Rascheln von Stoff, der zu Boden glitt. Sly bekam eine Gänsehaut. Er hatte sich schon mehrmals Gedanken darüber gemacht, ob das irgendwie merkwürdig war, eine Freundschaft und gleichzeitige eine sexuelle Beziehung zu seinem Exfreund zu unterhalten, aber als sich Ashs kräftige Hände um seine Hüften schlossen, ihn gegen seinen muskulösen Körper zogen und dabei umdrehten, verlor er den Gedanken wieder. Erstrecht als er in den intensiven Kuss eintauchte, der seinen ganzen Körper in Flammen zu setzen schien. Ashs wusste, wie er ihn von trüben Gedanken ablenken konnte... und er machte es gut... Marcus schwelgte in trüben Gedanken. Selbstmitleid war etwas in dem man sich herrlich suhlen konnte. Den ganzen Heimweg hatte er sich Gedanken darüber gemacht, wie er diese Party boykottieren könnte, wie er Gary davon abhalten konnte dorthin zu gehen. Es gab nur eine Möglichkeit. Er musste es Jason stecken. Der würde niemals zulassen, dass er, Marcus, allein auf eine Party ging, während Chris und er die Verantwortung für ihn hatten. Aber der Schuss konnte auch gepflegt nach hinten los gehen. Gary war neunzehn und, viel wichtiger, kein ehemaliger Junkie. Es konnte ebenso gut passieren, dass er die Erlaubnis erhielt, auf die Party zu gehen... allein. Dann wäre er schutzlos diesem Biest ausgeliefert und Marcus würde nichts tun können, um ihre Krallen von seinem Gary fernzuhalten. Außerdem würde das automatisch auf ihn zurückfallen, denn woher sonst sollte Jason das schon wissen? Warum fiel es den Darstellern in einer Fernsehserie immer so leicht zu intrigieren? Warum merkte niemand, wenn Joan Collins in ihrer Paraderolle als Miststück Alexis im Denver Clan (Marcus hatte mal mit seiner Mutter eine Wiederholung der Serie gesehen) ihre Netze webte und sich jeder hoffnungslos darin verfing? Wahrscheinlich weil es so im Drehbuch stand... Wenn er nichts unternahm, würde Gary diesem Miststück weiterhin schöne Augen machen und niemals merken, dass die bessere Alternative, nämlich er, direkt vor ihm stand, bereit alles für ihn zu tun und ihm jederzeit, auch im Bett, jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Immer wieder ertappte sich Marcus dabei, wie er sich vorstellte, wie es wäre Gary zu berühren, ihn zu küssen... ihm einen zu blasen. Meine Güte, ich bin nun mal ein Teenager... In seinem Alter kochten die Hormone schon mal über und wenn man dann auch noch einen heißen Typ wie Gary ständig vor Augen hatte, ohne eine Möglichkeit ihm nahe zu kommen, war das die reinste Tortur. Gary stellte sich aber auch zu blöd an! Er schien keines der unterschwelligen Signale zu empfangen, die Marcus ihm mit aller Vorsicht gab. Dabei war er sicherlich tief in seinem Inneren schwul (zumindest bi!), er wusste es nur noch nicht! Zumindest war Marcus davon überzeugt. Aber irgendwie hatte sich alles gegen ihn verschworen. Nicht nur, dass er ohne Gefahr für sein Verhältnis zu Gary nichts gegen die Partyeinladung unternehmen konnte, nein, zu allem Übel war die Party auch noch morgen, wenn Jason und Chris mitsamt Eltern in die Aida gingen. Und das würde dauern, zumal sie auch noch beschlossen hatten, danach Essen zu gehen. Vor Mitternacht würden sie nicht wieder da sein und die Party fing schon um acht an. Damit hatte diese kleine Hure genug Zeit, sich noch mehr an Gary ranzuschmeißen! An seinen Gary, wohlgemerkt! Sein Gary saß gerade mit Jason und Jeffrey Cunningham vor dem Fernseher und sah sich ein Football Spiel an. Marcus hasste Football. Er hasste Sport im Allgemeinen. Zum Glück hatte er schon vor der Drogensucht nie Probleme mit der Figur gehabt, er war trotz kultivierter Unsportlichkeit stets schlank bis schlaksig gewesen. Football... was war daran schon so toll? Mehrere schwitzende Muskelberge, die sich auf einem Haufen im Dreck wanden. Wenn man es von dem Standpunkt aus betrachtet, hat es doch einen gewissen Reiz... Marcus musste trotz allen Trübsals grinsen. Ja, wenn die nackt wären, dann würde er das auch schauen, aber so... langweilig! Chris spielte mal wieder Hausfrau mit Emily Cunningham, sie machten das Abendessen in der Küche. Marcus wollte nicht gehässig Chris gegenüber sein, das hatte er nicht verdient, nur weil er sich um den Haushalt kümmerte war er noch lange keine Hausfrau, irgendjemand musste es ja machen und Jason hatte in der Küche zwei linke Hände, dem brannte sogar Wasser an, zumindest hatte ihm Chris das mal erzählt. Außer Pfannkuchen, die konnte er gut. "Touchdown!" Die drei Männer vor dem Fernseher brachen in kollektiven Jubel aus und Marcus verdrehte im Affekt die Augen. "Ich geh mal eben in die Küche..." Keine Reaktion. Wie konnte eine dämliche Sportübertragung drei normale Männer zu solchen Idioten machen? Aber selbst das würde er Gary nachsehen. Er stand auf, ging in den Wintergarten und von dort aus in die Küche. In der Küche roch es herrlich nach Lasagne. Chris mischte mit zwei großen Löffeln grünen Salat in einer Schale mit Vinegrette, Emily schaute gerade in den Ofen um festzustellen, wie weit das Nudelgericht voran geschritten war. Marcus blieb in der Tür stehen. Als Chris ihn bemerkte, lächelte er ihn an. "Marcus, ich dachte du schaust fern." "Nein... ich... kann ich dich mal sprechen?" Chris wandte sich zu Emily, die nickte. "Geh ruhig, ich komme hier auch allein klar. Die Lasagne ist im Ofen und der Salat fertig." "Okay. Komm, wir gehen in den Wintergarten." "Können wir nicht lieber nach oben gehen?" "Wie du meinst." Chris legte die Löffel weg und verließ zusammen mit Marcus die Küche in Richtung Treppenhaus. Marcus steuerte das Schlafzimmer der beiden Männer an. Seufzend ließ er sich aufs Bett nieder. Chris schloss die Tür hinter sich und setzte sich dann neben ihn. "Was ist denn los?" Marcus lehnte sich mit dem Kopf an Chris' Schulter. "Ich brauche deine Hilfe." "Ist etwas passiert?" Marcus sah Chris an. Für einen Moment war er versucht ihm alles zu erzählen. Von Holly, von der Party, aber dann entschied er dagegen. "Nein, nichts... ich weiß nur langsam nicht mehr weiter..." "Wegen Gary?" "Ja... er ist furchtbar! Er ist so süß und lieb, aber gleichzeitig scheint er vollkommen immun gegen meine Signale zu sein... vielleicht gebe ich ja auch keine richtigen Signale. Chris, bitte hilf mir! Wie hast du Jason damals verführt?" Chris lachte leise. "Marcus, du weißt doch was ich war, oder? Für unserer ersten Sex sollte Jason eigentlich bezahlen, ich musste ihn nicht verführen." Marcus schlug sich mit der Hand an die Stirn. "Shit! Das hilft mir auch nicht weiter." "Vielleicht soll es nicht sein, was denkst du?" "Nein! Sogar David fand das wir ein schönes Paar sind!" Chris schaute ihn an, als hätte er gerade die Existenz von Außerirdischen zweifelsfrei bestätigt. "David? David hat... gesagt ihr wäret ein schönes Paar?" "Ja!" "Wann?" "Heute Nachmittag, wir haben ihn am Fisherman's Wharf getroffen." "Und er hat dir Mut gemacht?" "Hast du doch auch!" Chris ließ sich nach hinten sinken und sah zur Decke. "Ja und allmählich glaube ich, dass es keine gute Idee war." "Doch! Das war es! Du warst doch der einzige, der mir Mut gemacht hat!" "Ja, deswegen ja... ich habe vielleicht falsche Hoffnungen in dir geweckt." "Nein, hast du nicht! Schließlich besteht doch Hoffnung, oder nicht? Ich meine, ist nicht jeder Mensch für Bisexualität angelegt?" Chris verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lächelte. "Wenn das so einfach wäre, gäbe es auf dieser Welt keine Intoleranz Schwulen gegenüber, ebenso wenig wie diese bescheuerte Angst einiger Männer vor Homosexualität. Natürlich ist die Anlage dazu da und besonders Jungs haben doch erwiesenermaßen eh meistens ihre ersten sexuellen Erlebnisse mit dem besten Freund oder einem Kumpel, gemeinsames Wichsen, Küssen ausprobieren, was weiß ich. Aber das war es dann auch schon. Du kannst nicht erwarten, dass du Gary von jetzt auf gleich umpolen kannst, wenn er kein Interesse an Männern hat. Das geht nicht." "Gestern hast du aber noch anders geredet!" Marcus schien beleidigt zu sein. "Ich habe dir nie gesagt, dass du ihn umkrempeln kannst! Ich habe nur gesagt, dass es ja vielleicht sein könnte, dass er auch wie Jason tickt oder zumindest bi ist, das war alles. Weil es eben auch vorkommen kann, dass Brüder ihre sexuelle Orientierung teilen." "Aber ich..." Marcus spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. "Ich liebe ihn..." Jetzt fing er wirklich an zu weinen. Die Tränen flossen einfach, er konnte nichts dagegen tun. All die aufgesetzte Coolness, der Sarkasmus, der grenzenlose Optimismus, fiel von ihm ab. Chris stemmte sich hoch und nahm ihn in den Arm. "Marcus... Schatz, beruhig dich doch." Er strich ihm sanft über das Haar. "Nicht weinen oder willst du, dass Gary sieht, dass du geheult hast?" "Was macht das schon für einen Unterschied?" schluchzte Marcus. "Ist doch eh alles egal..." "Ich weiß, dass der erste Liebeskummer weh tut, Marcus, aber da muss jeder mal durch. Gary ist doch ein netter Kerl und ihr habt eine gute Zeit zusammen. Versuch das doch wenigstens zu genießen. Du findest auch noch den Richtigen. Ich war auch mal unglücklich verliebt. So etwas geht vorbei." "Ich will aber nicht, dass es so endet." "Das kannst du aber leider nicht beeinflussen." Marcus schnaubte. Jetzt ließ ihn auch noch Chris im Stich. Er hatte sich Tipps und Kniffe erhofft und nicht eine weitere Ernüchterung. Gut, Chris meinte es nicht böse, er wollte ihm nur helfen, damit er nicht traurig war, wollte ihn davor bewahren, sich noch weiter da hinein zu steigern, das wusste Marcus alles. Aber es war ihm auch genauso egal. Denn in einer Hinsicht hatte ihm Chris Mut gemacht. Gary war noch einige Zeit hier und die würde er nutzen. Selbst wenn dieses kleine blonde Miststück sich an ihn heran schmiss, er konnte ebenso ein Miststück sein, das nahm er sich in diesem Moment fest vor. Er würde Gary kriegen, koste es was es wolle! Die Überzeugung flammte in ihm auf und verbreitete sich wie ein loderndes Buschfeuer. Er sah Chris an und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Okay, ich werde versuchen ihn mir aus dem Kopf zu schlagen... auch wenn es mir sehr schwer fallen wird." Chris nickte. "Gut, es tut mir wirklich leid, wenn ich falsche Hoffnungen in dir geweckt haben sollte. Aber ich bin froh, dass du es einsiehst. Genieß wirklich einfach deine Zeit mit Gary und dann geh voran. Du wirst eines Tages auch den Richtigen finden, schau wie lange es bei mir gedauert hat." "Nicht gerade ermutigend!" Chris schnappte ihn sich und kitzelte ihn. "Sei nicht so frech!" "Ist ja gut!" lachte Marcus, er strampelte bis Chris endlich aufhörte. "Ich gebe auf!" "Gut!" grinste Chris. "Ich geh schon mal runter und schaue, ob ich Emily noch etwas helfen kann. Wirf dir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, damit deine Augen nicht verweint aussehen." "Mach ich." Chris stand auf und ging zu Tür. Er drehte sich noch einmal um. "Wieder gut?" Marcus nickte. "Mach dir keine Sorgen." "Okay, aber ich bin da, wenn du reden willst." "Ich weiß." Chris schloss die Tür hinter sich und Marcus ließ sich nach hinten aufs Bett kippen. Er schloss die Augen und lächelte. Der kleine Moment der Schwäche sollte ihn nicht aus der Bahn werfen. Noch war die Schlacht nicht verloren. Er würde mit Gary auf die Party gehen und er würde seine gute Miene nicht fallen lassen. Aber er würde weiterhin auf jede Chance lauern, die sich bot. Wäre doch gelacht. Es war ihm nicht leicht gefallen, Chris derartig zu beschwindeln, aber was sein musste, musste eben sein. Entschlossen erhob er sich vom Bett und ging ins Badezimmer hinüber. Von eben dort kam Sly in diesem Moment. Er betrat Ashs geräumiges Schlafzimmer mit dem großen Bett, auf dem sein Freund lag. Ash lag einfach auf der zerwühlten Bettdecke, ungeachtet der Tatsache, dass er immer noch vollkommen nackt war. Slys Blick glitt über den Körper des anderen Mannes, von den kräftigen Beinen über die schlanken Hüften, den muskulösen Bauch und die Brust bis hin zum markanten Gesicht seines Freundes. Ash hatte ein Gesicht, wie es sich wohl jeder Mann wünschte. Seine schon fast unnatürlich blauen Augen umgab ein Antlitz, dass am ehesten an eine perfekte griechische Statue erinnerte. Markant ohne hart zu wirken. Wenn Ash lächelte, bekam er niedliche Grübchen, die ihm einen jungenhaften Charme verliehen. Sly hat ihn öfter gefragt, warum er nie auf die Idee gekommen war, mit seinem guten Aussehen Geld zu verdienen, aber Ash hasste alles was mit Models und dem schönen Schein ihrer Welt zu tun hatte. Er wollte nicht, dass man ihn an seinem Aussehen maß, er tat es manchmal mit einer Gleichgültigkeit ab, die schon an Undankbarkeit erinnerte, keine Spur von Eitelkeit. Und dabei war er sich seines Aussehens durchaus bewusst und pflegte es, aber nie um einen persönlichen Vorteil daraus zu schlagen, zumindest sagte er das. Das Problem, in Anführungszeichen, bei Ash war, dass ihn Mutter Natur zusätzlich zu dem tollen Äußeren auch noch mit einer Menge Grips ausgestattet hatte, Sly hatte ihn in der Zeit, die er nun die Abendschule besuchte, schon öfter um Hilfe gebeten, besonders im Naturwissenschaftlichen Bereich war er eine absolute Niete, Ash dagegen schien das alles einfach zu zufliegen. Aber neiden konnte er ihm weder das Aussehen noch die Intelligenz, dazu mochte er Ash viel zu sehr. Auch wenn es längst keine Liebe mehr war, so hinterließ das gemeinsam durchgemachte doch sehr viel Zuneigung. Ash war immer für ihn da gewesen, selbst in ihren schlimmsten Zeiten, in denen sie sich manchmal furchtbar gestritten und beide mehrere Seitensprünge hatten. Einer von denen hatte Sly beinahe wieder an die Flasche gebracht, weil er ihm Alkohol unterjubeln wollte, was er Gott sei Dank im letzten Moment gemerkt hatte. Ein Schluck reichte bei einem Alkoholiker schließlich vollkommen aus. Ash hatte den Kerl windelweich geprügelt dafür. So rasend vor Wut hatte er ihn noch gesehen und danach auch nie wieder erlebt, er musste ihn damals zurückhalten, damit er diesen Scheißkerl nicht gleich umbrachte. Beim Anblick seines Freundes wanderte Slys Hand unwillkürlich zu seinem Bauch. Er begriff bis heute nicht wirklich, was jemand wie Ash an ihm erotisch finden konnte. Sly hatte Zeit seines Lebens gegen einen kleinen Bauchansatz zu kämpfen gehabt, der trotz aller guter Ernährung, Jogging und ähnlichem nicht ganz weg ging. Er war nicht dick, bei weitem nicht und Ash hatte ihm oft genug gesagt, dass er sich den Bauchansatz den er zu sehen glaubte nur einbildete, aber mit dem vielen Alkohol hatte er sich eine Menge an seiner Figur verbockt, wofür er heute noch büßte. Seine Kondition war auch nicht mehr die gleiche wie vor dem Alk und sein Interesse für Sport ließ eh zu Wünschen übrig. Ash hatte ihm einmal zu Weihnachten ein großes Set Hanteln geschenkt, das er sich gewünscht hatte, und damit hatte er es dann doch fertig gebracht, sich ein wenig ausgeprägte Brustmuskulatur und kräftige Arme anzutrainieren, aber das Durchhaltevermögen um sich einen Waschbrettbauch wie Ash ihn hatte zu erkämpfen, das hatte er nicht. Aber Ash liebte auch jegliche Art von körperlicher Ertüchtigung, Sport war für ihn ein Ventil um alles abzulassen, um einfach zu entspannen. Sly zog sich das Handtuch von den Hüften und stieg wieder ins Bett. Das Licht im Raum war herunter gedreht und leise Musik kam aus der Anlage in der Ecke. Ashs Schlafzimmer war eine gemütliche Oase in Grüntönen, warm und geborgen, Sly liebte diesen Raum. Er legte seinen Kopf auf Ashs Bauch und fühlte für einen Moment, wie sich die perfekt definierten Muskeln unter der Haut bewegten, wenn er atmete. Er drehte sich auf die Seite, so dass er über die Brust hinweg in das Gesicht seines Freundes sehen konnte. "Ist das eigentlich normal?" "Was?" "Das wir immer noch miteinander schlafen, obwohl wir kein Paar mehr sind." "Na ja, so oft tun wir das ja nun auch nicht." "Es war zweimal innerhalb der letzten drei Tage..." "Eine Ausnahme!" zwinkerte Ash. "Mach dir nicht immer so viele Gedanken. Wir haben doch Spaß miteinander, also was willst du mehr? Und ich wollte dich ein wenig ablenken, obwohl du sicher eh an Chris gedacht hast, als du kamst." "Na ja... vielleicht... obwohl er sich sicher nicht so anfühlt wie du, er ist ja eher so wie ich..." "Das klingt als sei das etwas schlechtes!" "Ich bitte dich!" Sly strich über seinen Bauch. "Wo du einen Waschbrettbauch hast, habe ich einen Waschbärbauch! Und wo du tolle Brustmuskeln hast, hab ich eine Hühnerbrust!" "Fängst du schon wieder damit an? Ich hasse es, wenn du dich selbst so herunter machst. Vielleicht hast du keinen Waschbrettbauch, na und? Darauf kommt es doch nicht an!" "Das sagt der Richtige! Nämlich der, der sich auf der Party gleich auf den schärfsten Mann dort gestürzt hat. Du stehst doch auf Muskeln." "Ja, sie sind ganz nett, aber verliebt hab ich mich damals in dich, oder? Und du hattest noch nie einen Waschbrettbauch." "Aber du hast gesagt, Chris sei okay, wenn man auf schmächtige Typen steht." "Chris ist ja auch schmächtiger als du, würde ich sagen. Außerdem hatte ich was getrunken und war frustriert, weil mein erster Sex nach mehreren Wochen von diesem Jeremy kaputt gemacht worden ist. Ich hab mir solche Mühe gegeben und extra den verruchten Verführer raushängen lassen und dann so etwas. Da sagt man schon mal Sachen, die man nicht so meint." "Das musst du mir nicht extra erklären, ich hab schließlich Erfahrung!" lachte Sly. "Meinst du Sachen wie die Aussage, dass kein Glück ewig hält?" Ash seufzte. "Ja, das vielleicht auch. Obwohl ich das bisher nur bestätigen kann." "Bist du unglücklich?" "Nein, du?" "Nein." "Aber eine Beziehung haben wir beide nicht und ganz ehrlich, ich wünsche mir mal wieder eine. Genauso wie ich mir wünsche, dass du endlich den Richtigen findest." "Den hab ich gefunden..." Sly lächelte verträumt. "Ja, genau, den Freund meines neuen Partners, du hast wirklich ein Händchen für die Richtigen." "Du doch auch! Erst einen Alkoholiker, zuletzt einen Casanova." "Hey! Ich bin nicht in David verliebt, er wäre eine gute Nummer, sonst nichts. Ich sagte doch schon: Mit so einem hat man keine Beziehung, vor allem würde er keine wollen. Ich kenne diese Typen. Er ist sicher so einer, der denkt, dass Schwule keine festen Beziehungen brauchen!" "Eigentlich bin ich doch unglücklich..." Ash sah ihn verwundert ob des plötzlichen Themawechsels an. "Wegen Chris?" "Wegen wem sonst? Ich glaube, ich liebe ihn." "Wirklich ohne den geringsten Zweifel?" "Mehr als sicher... wie gesagt, so heftige Gefühle hatte ich zuletzt für dich..." "Mach dich nicht unglücklich. Ich bezweifle, dass Chris der Typ ist, der sich auf einen Seitensprung einlässt." "Will ich ja auch gar nicht." "Hätte ich auch nicht von dir erwartet!" lächelte Ash. "Na ja, wenn ich an damals denke... das war so eine Art Pingpong zwischen uns. Du einen Seitensprung, ich einen, dann wieder du, ich..." "Hattest du einen mit einem Kerl, der eine Beziehung hatte?" Sly überlegte kurz. "Nein. Du etwa?" "Ne, nicht das ich wüsste. Das waren alles Singles." "Na ja, ich hab ja auch Chris gesagt, dass du dich nicht in Beziehungen drängst." Ash setzte sich auf, so abrupt, dass Sly mit seinem Kopf in den Schoss des blonden Mannes glitt. Er stemmte sich hoch. "Was hast du gemacht?" Sly kniete sich neben Ash aufs Bett. "Er war sauer auf Jason, glaube ich, weil er ihm nicht gesagt hatte, dass du schwul bist." "Das wusste er auch überhaupt nicht." "Ich weiß. Auf jeden Fall hatten die beiden Zoff und da hab ich später die Wogen geglättet." "Hat er dich über mich ausgefragt?" "Nein, ich hab mit dem Thema angefangen. Ich wollte nicht, dass er und Jason Streit haben, wegen nichts und wieder nichts. Bist du jetzt sauer?" Ash schüttelte den Kopf. "Nein, bin ich nicht. Ich war nur überrascht. Ich hab gerade gedacht, dass Chris halt hinter mir herschnüffelt. Das wäre nämlich etwas zuviel des Guten, wenn er andere über mich ausquetscht. Wenn soll er mit mir selbst reden, wenn er ein Problem mit mir hat." "Hat er ja nicht." "Wenn du das sagst." "Du?" Sly wechselte das Thema indem er mit dem Zeigefinger über Ashs Brust strich. "Was denn?" grinste Ash. "Darf ich heute hier pennen? Ich will nicht allein sein." Ash lächelte ihn an. So kannte er Sly. Lieb, harmonie- und nähebedürftig. "Klar, natürlich darfst du. Ist kein Problem. Ich muss aber morgen früh weg, ist eine Menge zu tun, jetzt wo Jason Urlaub hat." "Kein Problem, ich hab morgen frei, aber ich muss noch lernen, ich lasse mich selbst raus." "Na dann ist das Problem ja gelöst." lächelte Ash. Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte mittlerweile 01.30 Uhr. Ash lag da und hörte dem gleichmäßigen Atem von Sly zu. Der junge Mann war fast auf der Stelle in seinem Arm eingeschlafen. Wer sie so da liegen sah, könnte sie glatt für ein Paar halten. Aber das war lange passé, Ashs Liebe zu Sly hatte sich in eine innige und besondere Freundschaft verwandelt. Ash genoss jede Minute mit Sly und auch die erotischen Entgleisungen, denen sie sich manchmal hingaben. Aber das war wohl ein Echo ihrer Beziehung. Wenn sie im Streit auseinander gegangen wären, wäre es sicher anders verlaufen, aber die Beziehung war in beiderseitigem Einverständnis beendet worden und das war gut gewesen. Aber was sprach dagegen, wenn man im Bett ein eingespieltes Team war, das nicht hier und dort mal zu genießen, so lange beide solo waren? Ash drehte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. Er konnte nicht abschalten und fand einfach keinen Schlaf. Dabei würde die Nacht schon bald vorbei sein und er den nächsten Arbeitstag sicher als Zombie verbringen. Ganz leise glitt er unter der Decke hervor, stand auf und ging ins Wohnzimmer hinüber. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, schaltete die Lampe darauf ein und klappte den Laptop auf. Im letzten Moment dachte er daran, die Lautstärke herunter zu regeln, bevor sich das Betriebsystem hochgefahren hatte. Er ging kurz in die Küche und holte sich ein Glas Wasser, bevor er sich ins Internet einloggte. Mit wenigen Klicks war er in der Personenkartei der Polizei. Seine Finger huschten über die Tastatur und in dem Suchfenster erschienen Buchstaben. Fairgate, Chris Der Bildschirm wechselte und dann erschien ein älteres Foto von Chris vor bläulichem Hintergrund. Daneben ratterten Daten herunter. "Na also..." flüsterte Ash zu sich selbst. Seine Augen glitten über die Zeilen, während er leise mitlas. "Name: Christopher Samuel Fairgate. Geboren in Dallas, Texas. Geburtstag: 4. Juli 1977, Nationalität: Amerikaner..." Er stockte. Was er da gerade las, war etwas, das er nicht unbedingt erwartet hatte. "Aber hallo, da haben wir aber einiges an schmutziger Wäsche, Chris..." Er las weiter, Zeile für Zeile. Sollte er Sly sagen, was er da gerade herausgefunden hatte? Sollte er ihn über die Vergangenheit seiner neuen großen Liebe aufklären? Als er die Akte über Chris durchgelesen hatte, schloss er seinen Browser und klappte das Notebook zu. Er lauschte einen Moment dem Geräusch des Herunterfahrens bis die grüne Kontrollleuchte an der Frontseite erlosch. Dann schaltete er die Schreibtischlampe aus und ging zurück ins Schlafzimmer. Als er ins Bett stieg, gab Sly ein schmatzendes Geräusch von sich und sah ihn an. "Wo warst du?" fragte er, seine Stimme war kratzig, da er häufig mit offenem Mund schlief und er schien Mühe zu haben den kurzen Satz vor lauter Müdigkeit zu formen. Ash legte ihm die Hand auf den Oberarm. "Ich hab mir nur was zu trinken geholt, schlaf weiter." "O...okay..." flüsterte Sly und kuschelte sich ein wenig an Ash. Dieser drehte sich auf die Seite und nahm ihn in den Arm. Bald schon atmete Sly wieder ruhig und gleichmäßig, er fing sogar ein bisschen an zu schnarchen. Das war es aber nicht, was Ash noch über eine Stunde wach hielt. Es war das, was er eben über Chris Fairgate erfahren hatte. Er fragte sich ob Jason das alles wusste, aber davon war auszugehen, schließlich stand das in einer polizeilichen Akte. Chris machte auch nicht den Eindruck, als ob man Sly vor ihm beschützen müsste und offenbar hatte er diese Vergangenheit hinter sich gelassen. Also musste Sly auch nichts davon wissen, beschloss Ash. Warum schlafende Hunde wecken? Über all diese Überlegungen glitt er irgendwann endlich hinüber in den Schlaf. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ So *g* Letztes Mal meinte Kathi, das Kapitel könnte ruhig länger sein, also ist es diesmal länger *g* In Word füllt es statt der bisher durchschnittlichen 10-11 Seiten nun 15 Seiten *g* Und wieder mal ein Experiment ^^ Die "Gedanken des Marc" sind auch hier wieder zu finden, so ganz konnte ich mich davon nicht trennen, weil ich da einen Sarkasmus einbauen kann, der sonst nicht unbedingt möglich wäre. Das andere Experiment ist das Mischen von Handlungssträngen, das hier allerdings nicht so extrem ausfällt, weil die Handlungen von Marcus und Sly ja in den Grundzügen die gleiche Thematik, unerfüllte Liebe, haben. Eigentlich wollte ich Stück für Stück die Handlung abarbeiten, aber vielleicht ist dieses Seifenoperartige Prinzip besser. Mal abgesehen von dramatischen Höhepunkten der Story ;-) Vor allem ist es praktisch, dass man sich, wenn man die Handlung für einen Chara z.B. Marcus für ein Kapitel festgelegt hat, nicht noch Szenen aus den Fingern saugen muss, nur weil der Chap sonst zu kurz wird. Die Ideen für die anderen Leute habe ich schließlich auch im Kopf. So konnte ich hier nicht nur David (der ja etwas kurz kommt) sondern auch Sly und Ash einbauen und den beiden mehr Tiefe geben. Ich weiß, ihre Beziehung ähnelt der von David und Jason vor Chris, aber ich hoffe man merkt den Unterschied. Nicht nur, dass sie vorher ein echtes Paar waren, ich will auch nicht, dass Ash zu einem David II mutiert, so wie es vielleicht in dem Partykapitel rüber gekommen ist ;-) Der Titel dieses Kapitels, mit Bezug besonders auf die letzte Szene aber auch auf die Geheimnisse die Marcus vor Gary und Jason und Chris vor Jasons Eltern verstecken, ist das Motto der megaerfolgreichen Serie "Desperate Housewives", neben "Sex and the City" die absolute Lieblingsserie des Autors *g* Die Mischung aus schwarzer Komödie, Mystery und Drama läuft am 12.04.05 auf Pro7 an (ich kenne die Episoden 1-15 in der OV durch die Ausstrahlung bei Premiere) und wer es nicht schaut ist selber schuld ;-) Dann verpasst er nämlich die geilste Serie, die das Fernsehen seit langem zu bieten hat. Watch it! *g* Das musste mal gesagt werden ;-) Bis zum nächsten Chap! ^^ Euer Uly ^^ PS: Update bei den Charafiles, ein neues Bild von Chris ;) Nur eine Vorabversion, schlechter BG ^^ Kapitel 15: Blast from the past (Part 1 of 3) --------------------------------------------- "Du siehst gut aus, Sunshine!" David führte den Strohhalm an die Lippen und nahm einen tiefen Zug von seinem White Chocolate Coffee. Er und Jason saßen bei Starbucks in der Nähe von Davids Kanzlei, der Anwalt hatte Jason morgens angerufen und sich mit ihm hier in der Mittagspause verabredet. Jason war sofort klar warum: David wollte alle Neuigkeiten erfahren und vor allem, wie sein Outing vor den Eltern gelaufen war. Er war und blieb unglaublich neugierig. Jetzt saß Jason ihm also gegenüber und knabberte an seinem Brownie. "Danke. Wo wir uns schon so lange nicht mehr gesehen haben, dass dir das aufgefallen ist, also wirklich!" "Werden wir sarkastisch?" "Nein, du?" "Jetzt erzähl schon! Wie lief es?!" "Klasse." David stellte seinen Becher ab und lehnte sich zurück. "Unfassbar, wie genau du das schilderst, mir ist als wäre ich dabei gewesen." Jason lachte. "Du Spinner!" "Jetzt raus damit! Gab es Diskussionen? Dramen?" "Wünscht du mir so etwas?" "Nein, aber ich will es trotzdem wissen." "Sie wussten es." "Bitte?!" David schaute ihn vollkommen verdutzt an und nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. "Ich hab es erst nicht fertig gebracht was zu sagen und Chris war sogar bereit für mich zu lügen. Er hatte sich bereits zu einem alten Freund gemacht, der übergangsweise eine Bleibe braucht. Ich war fix und fertig. Und als er mich in der Küche getröstet hat, kam meine Mum rein. Ich bin in Erklärungen ausgebrochen oder besser wollte es und was war? Sie erklärt mir lapidar, dass sie und Dad es schon die ganze Zeit geahnt hätten. Sie haben Chris sofort in die Familie aufgenommen und heute gehen wir sogar gemeinsam in die Oper, Mum, Dad, Chris und ich." Jetzt war es an David zu lachen. "Was ist daran so lustig?" Der Anwalt kriegte sich kaum noch ein. Er lief rot an vor Lachen, so dass sich schon die ersten Gäste zu ihnen umdrehten. "Entschuldige!" japste er. "Aber ich musste daran denken, wie oft du mir erzählt hast, dass du deine Eltern nicht enttäuschen willst und sie niemals damit leben könnten und dann das! Ach ja und dann auch noch an die vielen Male, wo ich gesagt habe, dass du sicher falsch liegst und recht hatte!" "Du liebst es, recht zu haben, oder?" "Ich bin Anwalt." "Das ist immer deine Ausrede!" "Zieht ja auch immer!" grinste David. "Irgendwann nicht mehr!" "Abwarten, Sunshine. Auf jeden Fall finde ich es klasse, dass du jetzt endlich in allen Bereichen ein echter Schwuler bist. Hat ja lange genug gedauert." "Wie das klingt!" "Ist doch wahr! Die Zeiten sich zu verstecken, sind ja nun wirklich vorbei. Wir sind zwar nicht mehr in den 60ern, aber ein bisschen freie Liebe sollte doch drin sein." "Solange du nicht zum Blumenkind mutierst!" "When you're going to San Francisco, be sure to wear a flower in your hair!" fing David an zu singen. "Du hast gute Laune, was?" David grinste breit. "Merkt man das?" "Ein bisschen. Warst du eigentlich seit der Party im Mighty? Hast du was von Jeremy gehört?" David sah ihn gleichgültig an. "Wer?" Jason zog die Augenbraue hoch. David tat so, als wäre ihm just in diesem Moment wieder eingefallen, wer Jeremy war. Er winkte ab. "Ach so! Du meinst die kleine Kanalie mit den schlecht gefärbten Haaren. Nein, von dem habe ich nichts mehr gehört. Ich war seitdem auch nicht mehr im Club, hatte keine Lust." "Du bist also immer noch beleidigt!" "Ich bin nicht beleidigt! Das hab ich nicht nötig. Ich verschwende nicht einmal mehr einen Gedanken an ihn!" "Natürlich... und deswegen traust du dich auch nicht mehr ins Mighty." grinste Jason. "Ich traue mich ins Mighty!" David hob ein wenig die Stimme, scheinbar hatte Jason einen wunden Punkt getroffen. "Ist ja gut." Jason unterdrückte mit aller Kraft ein Lachen. "Hör zu, ich will nicht über diesen Idioten reden. Ich bin nicht beleidigt. Es ist mir egal, was Jeremy von mir denkt." David verschränkte die Arme vor der Brust. "Wenn du das sagst." "Hast du die Telefonnummer von deinem Partner, ich meine die Privatnummer?" David musterte scheinbar desinteressiert die Passanten auf der Straße vor den Glasfenstern des Cafés. Der Themenwechsel kam abrupt und offensichtlich hatte David kein Interesse daran, das alte Thema wieder aufzunehmen. "Warum?" David zuckte mit den Schultern. "Ach, nur so." "Nur so?" Jason zog schon wieder die Augenbraue hoch. "Ich will ihn ficken!" "Ich glaube es nicht!" Der junge Polizist schlug sich mit der Hand auf die Stirn. "Na hör mal! Ich bin noch nicht einmal über den Blowjob hinweg gekommen, bevor mir Jeremy die Tour vermasselt hat! Hast du mal seinen Arsch gesehen?" "Nein, bisher nicht." "Glaub mir, ich hab ihn gesehen! Und ich will ihn wieder sehen. Er ist einfach geil!" "Ich kann dir doch nicht einfach seine Nummer geben!" "Du willst deinem besten Freund die Chance auf einen guten Fick verbauen?" David lächelte ihn schief an und setzte einen herzerweichenden Hundeblick auf. "Glaubst du, dein geiler Partner würde es bereuen?" Jason seufzte und sah zur Decke. "Du bist unmöglich!" Er zog sein Handy aus der Jacke und drückte auf ein paar Knöpfe, im nächsten Moment gab das Handy seines Freundes in dessen Aktentasche den Ton einer eingehenden SMS von sich. "Ich hab dir seine Nummer als Visitenkarte geschickt, speichere sie ab und dann gib Ruhe!" "Du bist mein Lebensretter!" "Eher der Retter deiner Libido!" "Das ist beinahe das Gleiche!" grinste David. Er sah auf die Uhr. "Oh, oh, meine Mittagspause ist gleich zu Ende. Ich muss los, Sunshine." Er stand auf. "Ich wünsch dir viel Spaß in der Oper!" "Vielen Dank. Und ich wünsche dir viel Spaß bei... was auch immer du mit Ash vorhast!" "Danke!" David tippte sich an die Schläfe und ging. Jason sah ihm noch einen Moment nach und schüttelte den Kopf. War David wirklich davon überzeugt, dass ihm die Sache mit Jeremy nicht nachging? Normalerweise war doch gerade er es, der jeden Zusammenhang sofort durchschaute. Und jetzt das. Es war offensichtlich, dass er immer noch daran dachte. Jason musste schmunzeln. Ihn beschlich immer stärker das Gefühl, dass da etwas zwischen Jeremy und David war, das sich dieser auf keinen Fall eingestehen wollte. Chris' Finger glitten langsam über die kühle Oberfläche des großen Spiegels am Schlafzimmerschrank. Er konnte kaum glauben, dass er es war, der ihm dort aus dem reflektierenden Material entgegen blickte. Er trug ein weißes Hemd und darüber das Jackett eines schwarzen Smokings. Wie es neuerdings Mode war, wurde sein Kragen von keiner Fliege oder Krawatte geschlossen, sondern stand ein Stück offen. Seine Haare wurden von einem ordentlichen Pferdeschwanz gebändigt. Von den polierten Lederschuhen bis zu seiner Frisur war das ein völlig neuer Chris Fairgate. So elegant hatte er noch nie ausgesehen. Durch das Fenster schien die Abendsonne hinein, bald würde es Zeit sein in die Oper aufzubrechen. Chris war noch nie in seinem Leben so glücklich und gleichzeitig so nervös gewesen. Dieser Abend war etwas Besonderes, er wollte Jasons Eltern zeigen, dass er ein Mann von Welt war... was er eigentlich nicht war. Er mochte Opern, das stimmte, auch wenn ihm Musicals lieber waren, aber trotzdem hatte er niemals gelernt, sich in feiner Gesellschaft zu bewegen. Er hatte Angst Fehler zu machen, sich zu blamieren. Jasons Eltern waren so weltgewandt, geübt auf dem Parkett der Reichen. Ganz im Gegensatz zu ihm. Jason kam aus dem Badezimmer, er war bemüht, seine Krawatte zu binden. "Ich hasse diese Dinger!" "Komm her!" lächelte Chris. "Du kannst Krawatten binden?" "Ja, auch wenn ich so gut wie nie eine trage." Er machte sich mit geschickten Fingern daran, den Knoten der Krawatte zu formen. Jason sah ihm dabei zu. "Ich hätte nie gedacht, dass es so erotisch sein kann, angezogen zu werden." "Warte ab wie erotisch es wird, wenn ich dir das wieder ausziehen. Auch wenn wir dafür jetzt keine Zeit haben. So fertig." Er trat einen Schritt zurück und bewunderte sein Werk. Jason trug ebenfalls einen Smoking, aber im Gegensatz zu dem von Chris seinen eigenen und keinen geliehenen. Schwarzer Smoking, weißes Hemd, bordeauxrote Krawatte. Er sah einfach umwerfend aus. Der dunkle Stoff betonte wunderbar Jasons schlanke Hüften und die breiten Schultern. Chris fasste sich an den Hals. "Soll ich vielleicht doch eine Krawatte tragen?" "Nein." Jason schüttelte den Kopf. "Bleib genauso so, du siehst toll aus. Das heißt bis auf..." Er griff über Chris' Schulter hinweg und bevor dieser etwas tun konnte löste er das Haarband des blonden Mannes. "Trag die Haare offen." "Jason! Das ist doch nicht elegant!" "Quatsch! Du siehst so schön aus mit offenen Haaren, tu mir den Gefallen." Er legte den Kopf zur Seite und setzte einen Blick auf, dem Chris einfach nicht widerstehen konnte. "Na gut, na gut!" Er strich Jason über die Wange. "Du bist schlecht rasiert." "Ich mache es gleich noch mal." "Gut... es muss alles perfekt sein...", seufzte Chris und musterte sich ein weiteres Mal im Spiegel. Jason stellte sich hinter ihn und sah über seine linke Schulter hinweg ebenfalls hinein, er suchte den Augenkontakt mit seinem Freund über die spiegelnde Oberfläche hinweg. Er legte seine Hand auf Chris' Schulter. "Ach ja? Muss es das?" Chris griff nach oben und berührte seine Hand. "Ja, das muss es." "Seit wann?" "Jason! Jetzt tu nicht so, als würdest du es nicht verstehen!" "Ich verstehe es aber wirklich nicht, mein Engel. Meine Eltern lieben dich!" Chris seufzte erneut. "Ja und ich will, dass das so bleibt." "Dann sei doch ganz du selbst!" "Das geht nicht, Jason! Ich bin quasi in der Gosse aufgewachsen! Ich will, dass sie sehen, dass ich kultiviert sein kann und in deine Kreise passe." "In meine Kreise? Warum tust du plötzlich so, als sei ich ein Snob? Ich bin nicht anders als du! Wir gehen schließlich nur wegen meiner Eltern in die Oper. Ansonsten sind wir doch eher Anhänger der Popkultur als der echten Kultur, oder nicht? Also, ich ziehe das Kino der Oper allemal vor." "Stimmt, aber vielleicht besuchen wir deine Eltern ja mal in New York und müssen da auf irgendeinen festlichen Anlass. Ich will nicht, dass deine Eltern denken, sie müssten sich meiner schämen." "Mein Gott, wie kommst du denn darauf?" "Hast du dir deine Eltern mal angesehen?! Sie sind perfekt!" Chris löste sich von ihm und ging zum Bett, um sich zu setzen. "Noch einmal: Wie kommst du darauf?" "Das ist offensichtlich." Jason lächelte und ging vor ihm in die Hocke, damit er ihm ins Gesicht sehen konnte. "Ich sag dir jetzt mal etwas: Hör auf meine Eltern auf einen Sockel zu erheben. Mein Vater trinkt Milch direkt aus der Tüte, sieht sich gern Football im Unterhemd an und genehmigt sich dabei ein Bier. Und meine Mutter schaut am liebsten Talkshows oder Seifenopern wie General Hospital und liest diese furchtbaren Groschenromane mit den Bildern auf dem Cover, auf denen eine pralle Schönheit einem muskulösen, verwegenen Mann in die Arme sinkt. Wir sind doch hier nicht im Fernsehen. Meine Eltern sind ganz normale Menschen." Chris sah ihn einen Moment lang an, dann lächelte er verlegen. "Sorry... ich übertreibe fürchterlich..." "Das ist jetzt eine Untertreibung, mein Engel." "Ich glaube, ich habe Komplexe, Jason... seit deine Mum uns gefragt hat, wo wir uns kennen gelernt haben... wir kommen aus so unterschiedlichen Welten..." "Na und? Gegensätze ziehen sich an und du tust gerade so, als wärst du ein rülpsender, dreckiger Prolet, der nicht bis drei zählen kann. Du bist klug, du bist witzig und nicht zuletzt wunderschön, was glaubst du, warum ich mich in dich verliebt habe?" "Weil ich so gut im Bett bin!" grinste Chris. "Du!" rief Jason tadelnd und machte sich zum Sprung nach vorn bereit, doch Chris hob schnell die Hände. "Auch wenn nicht alles perfekt sein muss, wag es ja nicht, dich jetzt auf mich zu stürzen!" lachte er. "Geh dich lieber rasieren." Jason setzte ein gespielt beleidigtes Gesicht auf. "Na gut..." Chris beugte sich zu ihm, um ihm ins Ohr flüstern zu können. "Und wenn du das brav machst, zeig ich dir nachher, wenn wir zurück sind, wo ich mich vorhin unter der Dusche frisch rasiert habe..." "Verlockendes Angebot..." "Das will ich meinen, also ab mit dir!" Jason gab ihm einen Kuss auf die Wange und verzog sich ins Bad. Chris nahm seinen Platz vor dem Spiegel wieder ein und kontrollierte sich ein weiteres Mal. Auch wenn Jason vollkommen recht hatte, er wollte trotzdem sein Bestes geben. Genau wie Marcus. Er zog sich nun schon zum dritten Mal um. Natürlich diskret, ohne das Jason oder Chris das mitbekamen. Er wollte ja nicht, dass jemand Verdacht schöpfte. Was er ablegte, räumte er auch gleich wieder weg. Er konnte sich einfach nicht entscheiden. Im Moment stand er in einer dunkelblauen Jeans und einem engen schwarzen Oberteil vor dem Spiegel, das überall mit einem Blumendruck in Rotnuancen bedeckt war. Ziemlich auffällig, aber er hatte sich in dieses Shirt verliebt, als seine Eltern mit ihm einen Einkaufsbummel durch Oakland gemacht hatten. Allerdings war er nicht sicher, ob es auch jetzt die richtige Wahl war. Er zuckte beim Geräusch der Türklinke zusammen, doch es war Gary, der den Raum betrat. Er sah Marcus an und lächelte. "Hey, du siehst cool aus, Marc." Es war definitiv die richtige Wahl! "Ach, das hab ich mir nur schnell übergeworfen, nichts Besonderes." Er winkte betont leger ab und freute sich innerlich wie ein Schneekönig. "Trotzdem, es sieht wirklich stark aus." Wenn du wüsstest, wie herrlich es ist, von dir Komplimente zu bekommen... "Danke!" "Aber da fehlt noch etwas." Gary ging zu seinem Nachttisch, kramte in der obersten Schublade und zog etwas hervor. Er warf es Marcus zu, der den Gegenstand reflexartig auffing. Erst dann konnte er erkennen, was es war. Das Armband, das Gary getragen hatte, als er angekommen war. Das Leder war dunkel, fast schwarz und betonte dadurch die Silberapplikationen noch besser. Es passte super zu Marcus' Outfit. "Wow, du leihst es mir?" "Behalt es." Marcus sah Gary an, als hätte er ihn nicht verstanden und tatsächlich dauerte es einen Moment, bis er die Worte wirklich begriff. "Da...das kann ich nicht annehmen, das war doch sicher teuer." "Ich hab einige in der Art, mach keine große Sache daraus. Sieh es einfach als Prämie für deinen Sieg über mich bei DoA, das ist bisher niemandem gelungen." Marcus kämpfte ein paar Sekunden lang mit der Rührung und der Horrorvorstellung wegen des Geschenks in Freudentränen auszubrechen. "Danke..." "Gern geschehen. Warte, ich helfe dir, ist manchmal schwer umzulegen." Gary kam zu ihm und band ihm das Armband um das rechte Handgelenk. Dabei berührten seine Finger Marcus' Haut und allein dieser flüchtige Körperkontakt reichte aus, um dem blonden Jungen eine wohlige Gänsehaut zu verpassen. Verträumt musterte er das Accessoire an seinem Handgelenk, als wäre es das schönste Geschenk, das er je bekommen hatte... was ja auch stimmte, denn es war von seinem Gary! Übertreib es nicht, du Idiot! Er schöpft noch Verdacht! "Es steht dir." Marcus kam nicht dazu, sich noch einmal zu bedanken, denn die Tür ging auf und Chris betrat den Raum. Für einen Moment blieb er einfach stehen und breitete präsentierend die Arme aus, offensichtlich wartete er auf eine Reaktion. Marcus konnte ihn zuerst nur anstarren und sein erster Gedanke war, dass er hoffentlich irgendwann genauso hübsch sein würde wie Chris. Der Smoking stand ihm toll. Statt etwas zu sagen, zeigt er ihm den hoch gestreckten Daumen. "Sieht echt schick aus!" bestätigte Gary. Er mochte Chris mittlerweile sehr gern, obwohl er erst nicht genau gewusst hatte, wie er mit dem blonden Mann umgehen sollte. Aber mit der Zeit hatte er gemerkt, dass Chris eine sehr angenehme Persönlichkeit war, man konnte sich gut mit ihm unterhalten. "Danke, ihr beiden. Ich komme mir vor, wie ein anderer Mensch, aber egal... ich habe die Ehre, euch die übliche Rede zu halten: Ihr könnt euch was zu essen machen oder Pizza bestellen, Geld liegt in der Küche. Natürlich könnt ihr euch auch was Anderes als Pizza ordern, nur bitte keine Callgirls, ja?" Dabei grinste er absichtlich Marcus an, eine Geste, die seiner Tarnung zugute kommen sollte, als mache er sich besonders wegen Marcus in dieser Hinsicht Sorgen. Du bist genial, Chris! Danke! Es tat gut zu wissen, dass Chris ihn so unterstützte, auch wenn er natürlich davon ausging, dass er im Hinblick auf Gary aufgegeben hatte. "Des weiteren lasst ihr selbstverständlich die Finger von der Hausbar," fuhr Chris fort, "dreht die Musik nicht so laut, dass die Nachbarn einen Hörsturz kriegen und ach ja, bitte fackelt die Bude nicht ab, es ist immer schön, wenn es noch ein Zuhause gibt... zum nach Hause kommen!" grinste er. "Wir werden so zwischen Mitternacht und ein Uhr daheim sein, also müssen etwaige Partys bis dahin zu Ende sein." Er zwinkerte den Beiden zu. "Wehe ihr nehmt das Letzte ernst! Ich hab Jason von der Idee der Kontrollanrufe abgebracht, weil ich der Meinung bin, dass man euch Beiden vertrauen kann, also enttäuscht mich nicht, ja?" Plötzlich hatte Marcus ein wahnsinnig schlechtes Gewissen. Er hoffte, dass es Gary ebenso ging und das sich die Party damit von selbst erledigt hatte. "Gary, schau doch mal eben nach deinem Bruder. Wir haben es eilig und er ist immer noch nicht fertig." "Mach ich! Das kenne ich noch von früher!" lachte Gary und verließ das Zimmer. Als sich die Tür hinter ihm schloss, stemmte Chris die Hände in die Hüften. "Raus damit, warum hast du dich so fein gemacht?" "Hab ich gar nicht!" "Marcus..." "Na gut... na gut..." Marcus sah auf seine Füße, er wollte Chris beim Lügen nicht in die Augen sehen müssen und er musste schwindeln, so lange er nicht wusste, ob Gary nun auf die Party ging oder nicht. "Ich wollte Gary zeigen, wie gut ich aussehen kann..." Und das war noch nicht einmal komplett an der Wahrheit vorbei, also eher ein Hintertürchen denn eine Lüge. "Ich hab gedacht, du hast aufgegeben?" "Hab ich ja auch..." Es tut mir so leid... "Ich habe aufgegeben," log Marcus, "aber das heißt ja nicht, dass ich ihn nicht beeindrucken darf, oder? Vielleicht ergibt sich ja ganz von selbst etwas. Schau mal, das hat er mir geschenkt!" Er streckte Chris den Arm mit dem Schmuckstück von Gary entgehen. "Sieht toll aus." "Ja, nicht wahr?" Marcus mustere das Armband wieder mit verträumtem Blick. "Ihr plant doch nichts, oder?" Chris klang misstrauisch. "Nein, absolut nicht!" "Ich glaube dir, aber denk daran, Marcus, ich habe gesagt, dass ich mehr Freund als Erwachsener für dich sein will, aber trotz allem haben Jason und ich die Verantwortung für dich, während du hier bist. Es ist eigentlich schon nicht in Ordnung, dass wir dich allein lassen." "Chris, ich bin sechzehn!" "Eben!" grinste Chris. "Und ich habe Gary hier, der ist älter, fast erwachsen, und passt auf, dass ich keinen Mist baue. Was ich eh nicht tun würde." rechtfertige sich der blonde Junge. "Ich weiß. Tut mir leid. Ich bin etwas nervös. Komm her." Er ging ein wenig in die Hocke und nahm Marcus in den Arm. "Nicht böse sein, wenn ich mich hier wie eine Glucke aufführe, ich bin ja nicht deine Mum." "Bin nicht böse, du meinst es ja nur gut." "Genau. Also mach dir einen schönen Abend mit Gary, ja?" "Und du mit Jason, viel Spaß in der Oper." "Danke!" Chris erhob sich wieder und ging zur Tür. Bevor er das Zimmer verließ, drehte er sich noch einmal um. "Du siehst klasse aus, das muss sogar Gary merken." Marcus wurde rot. "Danke..." "Bis nachher." "Bis dann!" Damit ging Chris und Marcus setzte sich aufs Bett, um tief auszuatmen. Er hasste sich selbst dafür, dass er Chris, der sich so um ihn kümmerte, so sehr anlog, aber er musste einfach. Schließlich ging es hier um Gary. Und Marcus hatte sich fest vorgenommen heute Nacht Gary näher zu kommen, vielleicht ihm sogar einen Kuss abzuringen, koste es was es wolle. Das musste einfach klappen! Dieses blonde Gift Holly würde ihm nicht in die Quere kommen! Auf keinen Fall! "Ein faszinierendes Bild..." Ash ließ seinen Blick über die Fotografie in Davids Wohnzimmer gleiten. Er stand neben dem Sofa in Davids Wohnung und schaute dem blonden Anwalt zu, wie er eine Champagnerflasche köpfte. "Man kann eigentlich kaum den Blick davon abwenden." Der Korken sprang mit einem Knall aus dem Flaschenhals und David füllte zwei Gläser. "Das ist der Sinn der Sache." David reichte ihm ein Glas. "Ansonsten hätte ich es dort nicht hingehängt." "Ein bisschen narzisstisch, findest du nicht?" David lachte leise. "Du redest wie Jason." "Tatsächlich?" "Ja, er hat das auch gesagt." Er stieß mit seinem Glas an das von Ash. "Auf einen schönen Abend." "Auf einen schönen Abend." David nippte an seinem Champagner und schenkte Ash ein verführerisches Lächeln. "Ich war überrascht, als du mich angerufen hast. Hast du meine Nummer von Jason?" David nickte. "Aber sei ihm nicht böse." "Durchaus nicht. Schließlich hattest du mir ja versprochen, dass es eine zweite Runde geben würde. Diesmal bleiben wir aber zu zweit, oder?" "Auf jeden Fall." "Du hast einen schönen Ausblick von hier." Ash nickte Richtung Fenster. Draußen war es dunkel geworden. David hatte Ash noch in der Mittagspause angerufen und ihn gefragt, ob er abends Zeit hätte. Der Polizist hatte sofort eingewilligt, David in seiner Wohnung zu besuchen. "Danke." Ash kratzte sich am Kinn. "Meinst du, ich habe jetzt genug höfliche Floskeln von mir gegeben?" "Ich denke schon!" David stellte sein Glas ab. Ash tat es ihm nach. In der nächsten Sekunde stieß er hart mit dem Rücken an die Wand, David presste seine Lippen auf die des jungen Polizisten und verwickelte ihn in einen wilden Kuss. "Du gehst aber ran!" "Stört dich das?" David zerrte Ashs Shirt aus der Hose. "Keineswegs, ab und an hat die harte Gangart ihren Reiz!" "Du bist aber ein böse Junge!" "Du etwa nicht?" grinste Ash. Mit diesen Worten drückte er David an den Schultern nach unten, in Richtung seines Schrittes. "Und jetzt mach da weiter, wo du beim letzten Mal aufgehört hast." David zog Ashs Reißverschluss auf und schob die Hand hinein. Ashs Blick wanderte zu dem Aktportrait an der Wand. Ihm entfuhr ein Stöhnen... "Das sieht doch viel versprechend aus." Das konnte Marcus nun gar nicht behaupten. Nicht nur, dass er sich immer noch unwohl wegen der Party fühlte, nein, offensichtlich hatte Chris' Rede auch nur bei ihm ein schlechtes Gewissen ausgelöst, denn Gary hatte keinerlei Anstalten gemacht die Party sausen zu lassen. Im Gegenteil. So gut wie heute hatte er die ganze Zeit noch nicht ausgesehen. Eine enge Bluejeans, ein schwarzes Muscleshirt und darüber ein offenes, tailliertes Hemd in modischem Orange. Er sah einfach cool aus, besonders da das Shirt und die Hose seine tolle Figur zur Geltung brachten. Marcus stand etwas unsicher hinter dem brünetten Jungen in der Eingangstür eines Mittelklassehauses im Randgebiet der Innenstadt. Sie hatten ein ganzes Stück mit dem Bus fahren müssen um das Haus zu erreichen. Das war allerdings wieder von Vorteil, so konnten sie wenigstens nicht so lange bleiben. Marcus ließ den Blick schweifen. Das war so eine Art Party, auf die er gern eingeladen worden wäre, bevor er die Schule geschmissen hatte. Aber da war er nie cool genug gewesen. Bist du ja auch heute nicht, du bist nur das Anhängsel des coolen Typs... Überall tummelten sich spindeldürre, stark geschminkte Mädchen und schlanke bis muskulöse Jungs. Eine Party wie aus einer Clearasil Werbung... oder doch eher wie die für Barcadi, nur mit jüngeren Darstellern. Die Musik war ziemlich laut, aber da es hier eine Wohngegend war, konnte man sich zumindest mit gehobener Stimme noch unterhalten. Er war versucht, Gary zu bitten, doch gleich wieder gehen zu können, doch da war es schon zu spät. Mit einem freudigen "Hallo!" auf den Lippen kam Marcus ebenfalls blonder Erznemesis durch die Schar der Teenager gestürmt. Sie sah wieder einmal toll aus, wie Marcus zugeben musste. Wieder eine knallenge Röhrenjeans, die auf ihren schmalen Hüften saß, ein bauchfreies, glitzerndes Top und sie war, im Gegensatz zu einigen dieser Tuschkästen hier, sehr dezent geschminkt. Ein sehr hübsches Mädchen, so hübsch, dass Marcus plötzlich das dringende Bedürfnis spürte, ihr die Haare auszureißen. "Hi Marcus! Hi Gary!" Marcus zuckte zusammen. Hatten sie ihn wirklich zuerst begrüßt? Und das in einem furchtbar netten Ton. Die wollte sich doch eh nur einschleimen...Miststück! "Hi, Holly." "Es ist so schön, dass ihr kommen konntet." "Wir können leider nicht allzu lang bleiben. Wie soll ich sagen... wir sind eigentlich gar nicht hier, sondern bei meinem Bruder Zuhause, zumindest denken meine Eltern das." Sie lachte. "Ihr seid niedlich. Na dann wollen wir die Zeit, die wir haben nutzen. Magst du tanzen?" Sie streckte Gary ihre Hand entgegen. Nicht anfassen! Wer weiß wo sie die schon hatte! Die wäscht sicher nie ihre Krallen! Leider hörte Gary nicht auf ihn. Er lächelte und nahm die Hand des Mädchens. "Gern! Darauf habe ich mich schon den ganzen Tag gefreut!" Okay, ich kann mich aufhängen... oder vielleicht doch lieber Schlaftabletten? Pulsadern aufschneiden... oder ich schau, ob ich mich hier besaufen kann... das reicht auch... "Für dich finden wir sicher auch jemanden." Marcus schaute sie für einen Moment an, als sei sie völlig verblödet, bis er realisierte, was sie meinte. "Äh... nein, danke! Ich hab zwei linke ....äh... Füße..." Er hatte wirklich Besseres zu tun, als sich von Ms. Tausendschön verkuppeln zu lassen. Nur was? "Ich...ähm... schau mich einfach ein bisschen um..." "Dein Ernst?" "Ja, geh ruhig, Gary. Ich komme schon klar." "Wenn du meinst." Damit rauschten sie Richtung Tanzfläche respektive Wohnzimmer ab. Als Marcus außer Hörweite war, was bei der Musiklautstärke nicht lange dauerte, sah Holly noch einmal zu ihm zurück. "Dein Freund ist ziemlich schüchtern, kann das sein?" "Nein, eigentlich macht er gar nicht den Eindruck..." meinte Gary. "Aber seit gestern ist er so komisch. Na ja, der fängt sich sicher wieder. Ich will jetzt tanzen!" "Nicht nur du!" "Na komm schon! Das kann doch mal passieren! Nimm es dir nicht so zu Herzen!" David kommentierte diese Bemerkung von Ash mit einem Knurren. Er lag bis zum Bauch zugedeckt auf seinem Bett und sah dem blonden Polizisten zu, wie er in seine Hose stieg. Statt sich sein Shirt anzuziehen, beugte sich Ash über das Bett und legte David die Hand auf die Schulter. "Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Soll ich es noch mal versuchen?" David schnaubte genervt. "Ach, lass stecken! Wenn du es noch weiter versuchst, werde ich langsam wund..." "Aber das ist doch nichts, weswegen man in solche Stimmung verfallen müsste." Ash hob sein Oberteil vom Boden auf und zog es sich über den Kopf. "Ach nein?!" "Nein, das kann doch jedem mal passieren." Der Polizist zuckte mit den Schultern. "Ist es dir schon passiert?" "Ähm..." Er druckste herum. "Um ehrlich zu sein... nein..." "Siehst du?! Da haben wir es! So etwas darf einfach nicht passieren." "Ach, David, nur weil es mir noch nicht geschehen ist, muss das nicht heißen, dass es auch keinem Anderen passiert." "Ja, sicher passiert es Anderen! Alten Säcken und Leuten die Prozac einwerfen! Aber nicht mir! Mir ist das noch nie passiert." "Hast du momentan viel Stress?" Er zog seine Schuhe an. "Spiel jetzt hier ja nicht den Seelenklempner!" David klang gereizt. Ash stemmte die Hände in die Hüften. "Also an mir hat es sicher nicht gelegen, dass du keinen hoch gekriegt hast! Das willst du ja sicher nicht behaupten. Mir tun die Hände weh vom vielen herumrubbeln und sicher hab ich morgen Muskelkater im Kiefer!" "Dann gehst du besser um dich auszuruhen! Du weißt ja, wo die Tür ist!" "Jeez, du bist ja ungenießbar. Ruf mich an, wenn du dich wieder beruhigt hast, ja? Wir können ja mal etwas trinken gehen." "Interessant, dass du jetzt gar nicht mehr ficken willst!" "Hab ich das gesagt?!" "Klang auf jeden Fall so!" "Das ist mir echt zu blöd! Nur weil du einmal keinen hoch gekriegt hast, tust du so, als würde die Welt untergehen!" "Raus jetzt!" brüllte David plötzlich, er setzte sich abrupt im Bett auf und deutete auf die Tür. Ash schüttelte nur den Kopf. Wortlos ging er ins Wohnzimmer und wenige Sekunden später knallte die Wohnungstür hinter ihm zu. David lehnte sich wieder zurück und starrte die Decke an. Er war vollkommen durcheinander. Wie konnte ihm so etwas passieren? Er stand auf und ging ins Badezimmer. Er stellte sich unter die Dusche, drehte das Wasser auf und hielt eine Zeit lang einfach das Gesicht in den Strahl. Als er die Dusche verließ, fühlte er sich immer noch nicht besser. Nackt und nass trat er vor den Badezimmerspiegel und musterte sich. Warum er? Er war scharf auf Ash gewesen, der Kerl war die Definition von Erotik, aber nichts. Nicht einmal Halbmast, nur peinliche, furchtbare Schlaffheit. Was war nur mit ihm los? Die Party lief glänzend. Alle amüsierten sich königlich, es wurde getrunken, gelacht, gescherzt. Nur einem war nicht danach. Marcus stand neben der Wohnzimmertür an die Wand gelehnt und trank immer noch an seinem ersten Glas Cola. Eigentlich war es Pepsi und er hasste Pepsi. Er hasste das alles hier. Diese Idioten, die Musik, die Einrichtung, das ganze Haus und vor allem Holly. Er kochte innerlich vor Wut. Seit sie Gary von ihm weggezerrt hatte, hatten die beiden die Tanzfläche nicht verlassen. Schon vier oder fünf Songs lang tanzten sie durch. Im Moment lief eine langsame Nummer, eine Ballade, von der Marcus weder den Titel noch den Interpreten kannte, aber er hasste sie. Denn nur wegen dieses Songs musste er zusehen, wie sich dieses blonde Miststück an seinen Gary schmiegte. Wie sie Arm in Arm tanzten, sich langsam zum Takt der Musik wiegten. Widerlich war das! Absolut schnulzig! Wenn Gary mit ihm tanzen würde, sähe die Sache anders aus, aber so war es einfach nur zum Kotzen. Am liebsten wäre er hingegangen und hätte Holly die widerliche Pepsi in ihr widerliches, hübsches Gesicht geschüttet. Aber er stand einfach nur da und sah seinem Traummann zu, wie er mit einem gut aussehenden Mädchen tanzte und flirtete. "Warum so ein langes Gesicht?" Erstaunt blickte er sich um und schaute in das Gesicht eines etwa gleichaltrigen, lateinamerikanischen Jungen. Er stand neben ihm, ebenfalls mit einem Glas in der Hand und lächelte freundlich. Das Letzte, was Marcus jetzt wollte, war Smalltalk, aber er brachte es nicht über sich so unhöflich zu sein und den Jungen einfach zu ignorieren. "Ich hab schlechte Laune." "Das sehe ich! Ich frage ja auch warum." "Etwas aufdringlich, findest du nicht?" Der Junge trat etwas näher zu ihm und lehnte sich an die Wand. "Nein, eigentlich nicht." "Ach wirklich? Ich schon!" "Ich heiße Enrico." Marcus seufzte übertrieben. "Ich weiß zwar nicht, was es dich angeht, aber ich bin Marcus." "Schön dich kennen zu lernen." "Hatte ich eine Wahl? Na ja, gleichfalls..." Marcus musterte den Jungen neben sich aus den Augenwinkeln. Er war etwa genauso groß wie er, schlank und sah eigentlich nicht schlecht aus. Er hatte diesen typischen Charme eines Latinos, rabenschwarzes, ein wenig lockiges Haar, dunkle Augen, eine leicht gebräunte Haut. "Du stehst auf ihn, nicht wahr?" Die Frage kam so plötzlich, so völlig unerwartet, dass Marcus für einen Moment vollkommen aus dem Takt geriet. Er starrte den anderen Jungen einfach nur an und versuchte, die Information zu verarbeiten. "Bitte?!" war alles, was er über die Lippen brachte. Enrico nickte Richtung Tanzfläche. "Den Brünetten, der da mit Holly tanzt, meine ich. Du stehst auf ihn, oder?" Marcus spürte das er rot wurde. Das fehlte gerade noch. Das würde ebenso enden wie damals auf der Schule. "So ein Unsinn!" "Ach, komm schon." Enrico legte den Kopf schräg. "Du musst hier keine Show abziehen, wir stehen auf der selben Seite, Marcus. Ich kann verstehen, dass du scharf auf ihn bist, er ist süß." Marcus sah sich um. Niemand schien sich für sie Beide zu interessieren, alle waren mit sich selbst oder anderen Gästen beschäftigt. Also bestand auch keine Gefahr, dass sie belauscht wurden, hoffte er zumindest. "Willst du sagen, du bist...?" "Schwul. Du nicht?" "Ich...äh..." "Das ist offensichtlich für jemanden, der genauso tickt, mein Freund. Ich kann deinen Blick sehen, den du ihm zuwirfst. Das verrät dich. Aber er ist scheinbar nicht ganz so aufmerksam oder? Hetero?" Marcus' Blick wanderte automatisch zur Tanzfläche. Er wusste nicht genau warum, aber es tat gut zu wissen, dass dieser Enrico jemand war, der ihn verstand und zwar aus seinem Blickwinkel, nicht aus dem eines Erwachsenen. "Ja, ich fürchte schon." "Tut mir leid für dich." "Danke." "Bist du in ihn verliebt?" Marcus sah wieder Enrico an. "Du fragst auch alles einfach so heraus, oder?" "Gibt es einen Grund das nicht zu tun? Wir sind doch unter uns." "Ja, ich glaube schon." "Das du verliebt bist?" "Ja." "Er ist ein Idiot, wenn er dich abweist." Marcus musste unwillkürlich lachen. "Er weiß es ja nicht einmal! Und was sollte das bitte heißen?" "Das ich dich den ganzen Abend schon beobachtet habe. Seit du gekommen bist. Ich... ich würde dich sicher nicht abweisen. Du siehst toll aus." Als Marcus begriff was er meinte, musste er trotz des miesen Geschmacks einen großen Schluck von seinem Getränk nehmen. Er schluckte hart. "Sorry, kein Interesse." "Hebst du dich für ihn auf?" Das klang herablassend. "Vielleicht!" Marcus machte Anstalten, sich wegzudrehen und zu gehen, als Enrico ihn plötzlich am Arm fasste. "Tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen." Dabei lächelte er so herzerweichend, dass Marcus es dann doch nicht mehr fertig brachte, ihn einfach stehen zu lassen. Außerdem fühlte es sich nach der Quasi-Ablehnung durch Gary sehr gut an, ein Kompliment zu bekommen. Und die Tatsache, dass dieser Junge Interesse an ihm hatte, war ja an sich schon ein Kompliment. "Schon gut." "Aber mal ehrlich, hebst du dich für ihn auf? Er hat doch kein Interesse, oder?" Marcus lächelte ihn süffisant an. "Hör mal, glaub nicht, dass ich eine Jungfrau bin, die du deflorieren kannst." Er setzte das Glas an den Mund und schaute wieder zur Tanzfläche. "Wahrscheinlich habe ich mehr Erfahrung als du..." fügte er in gleichgültigem Ton hinzu. "Das kann sein. Aber vielleicht kann ich dir ja das eine oder andere doch noch beibringen, wer weiß das schon." Marcus konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das Spiel begann ihm Spaß zu machen. Er hatte noch nie mit jemandem richtig geflirtet, nur dieses oberflächliche Getue um einen Freier zu überzeugen. "Du könntest mir nichts beibringen, ganz sicher nicht." "Wenn du das sagst." Marcus Blick wanderte wieder zu Gary. War dieser verdammte Schmusesong denn nie zu Ende? Oder war das etwa schon ein neuer? Er hatte nicht so recht hingehört. Er spürte Enricos Finger, die ganz beiläufig über seinen Arm strichen. "Komm schon, das ist ja nicht mit an zusehen, wie du dich quälst. Lass uns ein bisschen Spaß haben." "Ich weiß nicht..." "Ich hab alles, was wir brauchen." Er grinste und zog ein Kondom aus seiner Hosentasche, gerade weit genug, damit Marcus es sehen konnte. "Hier gibt es genug Zimmer, wo man ungestört sein kann. Und ich wette in spätestens einer halben Stunde verzieht sich dein Traumjunge eh mit Holly." Das versetzte Marcus einen Stich im Herzen. Und leider hatte Enrico nur allzu recht. Gary schien vollkommen fasziniert von diesem Mädchen zu sein. Er flirtete auf Teufel komm raus mit ihr. In diesem Moment beugte sich Holly zu ihm hoch und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Das war zuviel! "Okay, überredet! Aber wehe, du hältst nicht was du versprichst!" Marcus kochte vor Wut. Er würde es Gary schon zeigen. Er brauchte ihn nicht um Spaß zu haben und wenn ihn dieser Enrico ablenken wollte, dann sollte er doch. "Dann komm mit." Der Latino winkte Marcus, mit ihm zu kommen und gemeinsam stiegen sie unbemerkt von Gary und unbeachtet von den anderen Gästen die Treppe in den ersten Stock hinauf. Marcus versuchte verzweifelt, nicht an Gary zu denken, während er diesen ihm fast völlig unbekannten Jungen küsste. Sie lagen auf einem Bett in der ersten Etage, der Raum war nur schummerig beleuchtet. Marcus Finger suchten sich ihren Weg unter Enricos Hemd, während sie immer wieder Küsse tauschten. Enrico war kein besonders begabter Küsser. Seine Küsse waren hart, ungestüm, so als wolle er mit der Zunge Marcus' Mandeln guten Tag sagen. Aber er war wenigstens recht sexy. Obwohl sich Marcus sicher war, dass er Gary in keinerlei Hinsicht das Wasser reichen konnte. Aber er würde das hier genießen! Auf jeden Fall. Gary konnte ihm gestohlen bleiben, sollte er doch mit seiner blonden Schlampe rummachen, er wusste ja gar nicht, was ihm entging. Enrico schien zu denken, dass er in einem Porno mitspielte, so wie er sich jetzt bereits ins Zeug legte. So offensichtlich gekünstelt hatte Marcus noch nicht einmal bei seinen Freier gestöhnt. Soviel zum Thema, er könne ihm was beibringen. Während er anfing, den Hals des blonden Jungen zu liebkosen (eher abzulecken), sah Marcus zur Decke. Ich bin so erbärmlich... Hatte er sich wirklich eingebildet, dass so etwas hier ihm helfen würde, Gary zu vergessen? Ein Junge, der sich wohl für Don Juan hielt und dabei ein wirklich unbegabter Liebhaber war? Wahrscheinlich würde er bei der Art von Zärtlichkeiten sogar an Gary denken müssen, um überhaupt einen hoch zu kriegen. In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und Marcus war fast froh darum, auch wenn ihn plötzlich die Panik beschlich, Gary könnte reinkommen. Er stemmte sich hoch. "Noch nie von Anklopfen gehört, wäre..." Ihm blieb der Satz im Hals stecken, beim Anblick des Mannes, der in der Tür stand. Er war Anfang zwanzig, hoch gewachsen und kräftig. Sein blondes Haar stand in einem scharfen Kontrast zu seinen kalten, grauen Augen. Er wurde von zwei bulligen Kerlen in seinem Alter flankiert, echte Schlägervisagen. Die typischen Kerle fürs Grobe. Marcus spürte, wie sämtliche Farbe aus seinem Gesicht wich. "Steven...." "Lange nicht gesehen, Marcus!" grinste der Andere. Marcus schaute erschrocken auf Enrico, der sich vom Bett erhob. Der Junge schien den Tränen nahe. "Es... es... tut mir... leid..." "Das war ein abgekartetes Spiel, oder?" Marcus brachte es noch nicht einmal fertig, enttäuscht zu klingen, die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Enrico nickte. "Bitte versteh mich... ich hab Schulden... ich..." "Verzieh dich!" befahl Steven in hartem Ton. "Damit hast du deine Aufgabe erfüllt. Jetzt verschwinde. Wenn du Nachschub brauchst, weißt du ja, wo du mich finden kannst." Marcus ärgerte sich, dass er Enrico nicht ausgezogen hatte, die langen Ärmel... er trug sie absichtlich, damit man die Einstiche nicht sah. Der Junge verließ mit hängenden Schultern das Zimmer. An der Tür blickte er noch einmal mit um Vergebung haschendem Gesicht zurück, doch Marcus würdigte ihn keines Blickes. Panik stieg in ihm auf, seine Augen huschten zwischen der Tür und dem Mann hin und her. "Schön dich wieder zu sehen, Marcybaby." "Du verkaufst ihm Stoff, oder?" fragte Marcus und meinte damit Enrico. Steven nickte. "Genau. Der gute Enrico hatte einen finanziellen Engpass, aber er hat sofort angeboten, alles für mich zu tun, was ich will. Guter Kunde." Er lächelte. "Im Gegensatz zu Anderen, die mit einem Berg Schulden auf Nimmerwiedersehen verschwinden..." Marcus hob abwehrend die Hände. "Steven! Lass mich das erklären! Es gibt einen Grund dafür. Ich werde alles bezahlen!" Der Dealer nickte. "Oh ja, Marcybaby," Marcus zuckte zusammen, als mit einem zischenden Geräusch die Klinge des Sprungmessers in Stevens Hand aus der Halterung schoss, "du wirst bezahlen!" ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ha! So, das ist jetzt die Rache, Kathi! Die Rache für all die fiesen Cliffhanger, mit denen du mich bei "Sirenen der Nacht" zurückgelassen hast! Nur konnte ich damals direkt weiter lesen *muahahahahaaaa* Aber allzu lang wird der nächste Teil sicher nicht auf sich warten lassen. Dieser Dreiteiler wird wohl der Abschluss der Marcus/Gary Story Arc, ich bin mir über den Schluss noch immer nicht 100% sicher, aber das kommt schon noch. ^^ Davids Storybogen kommt hier jetzt wieder langsam in Fahrt, scheint als habe der Gute gewisse Probleme. *g* Ganz findige Leser werden wahrscheinlich schon auf den Grund dafür schließen können, aber mal abwarten ^^ Ash darf hier als Gaststar auftreten, seine Zeit ist noch nicht so ganz gekommen ;-) Meine persönliche Lieblingsszene ist aber wieder die zwischen Chris und Jason, ich hoffe sie kommt so liebevoll rüber, wie sie sein soll ^^ Mein großer Dank geht diesmal an Alaska, die sich selbstlos (*gggg*) als Korrekturleserin gemeldet hat und mit dafür gesorgt hat, dass dieses Kapitel etwas sauberer ist, als die letzten ^^ *knuddels* Thx!!! Kapitel 16: Wrong for each other? (Part 2 of 3) ----------------------------------------------- "Steven... bitte... ich..." "Du hast mich schwer enttäuscht, Marcus, weißt du das eigentlich?" Marcus wurde von der Panik mitgerissen. Ohne zu antworten stürmte er los. Wenn er nur schnell genug , wenn er das Überraschungsmoment ausnutzen könnte, wenn es ihm gelingen würde an Steven vorbei zu schlüpfen, wenn er es nur schaffen könnte ins Treppenhaus zu gelangen, wenn... Ein harter Griff, der ihm beinahe den Atem raubte, riss ihn brutal in die Wirklichkeit zurück. Er wurde gestoßen, verlor das Gleichgewicht und stürzte vor Steven zu Boden. Einer seiner Gorillas hatte die Flucht schnell beendet. Kaum lag er auf dem Teppich, wurde er auch schon wieder hinaufgezerrt und gegen das Bett geschleudert. Er sank zusammen. Über das Pochen seines Herzens und das rauschende Blut in seinen Ohren hinweg, hörte er, wie die Tür geschlossen wurde. Die zwei Schlägertypen bauten sich um ihn herum auf, wie auf Kommando. Zwei gut erzogene, bissige Hunde. Steven ging vor ihm in die Hocke und schob sein Kinn mit der Spitze des Messers nach oben, so dass Marcus ihm in die Augen sehen musste. "Das war dumm, das siehst du ein, oder?" "Bitte..." "Denk nicht einmal darüber nach, dass noch einmal zu versuchen, okay? Du kämst nicht weit. Und gib die Hoffnung auf, dass dich hier oben jemand hört, die Musik ist viel zu laut. Also gib dir nicht die Blöße, wie ein Mädchen zu schreien, klar?" "Ja..." presste Marcus hervor. Er hatte Angst zu atmen, während er den kühlen Stahl der Klinge an seinem Kinn fühlte. "Dann können wir uns ja jetzt unterhalten." Steven nahm das Messer weg, hielt es aber immer noch so nah an Marcus, dass sich dieser kein Bisschen beruhigen konnte. "Wie... hast du..." "Wie ich dich gefunden habe?" setzte Steven das Gestammel zusammen. "Nun, ganz einfach. Es war ein bösartiger Zufall. Wie das Leben so spielt, mein lieber Marcus. Holly ist meine Schwester. Aber natürlich hat unser blonder Engel keine Ahnung davon, dass ihr Bruder einen florierenden Nebenverdienst hat. Sie wusste nicht, was für einen Gefallen sie mir damit getan hat, dich einzuladen. Was glaubst du, wie entzückt ich war, meinen lieben, kleinen Marcus hier zu entdecken. Nach so langer Zeit. Enrico war schnell bereit, dich hier hinauf zu bringen. Netter Junge, aber keinerlei Rückrad, solche sind die besten Kunden." "Steven, ich..." "Halt die Klappe!" schnitt ihm der ältere das Wort ab. "Marcus, Marcus... du hast mir wirklich Sorgen bereitet. Wie ist es dir so ergangen?" "Das interessiert dich doch eigentlich nicht..." flüsterte Marcus. "Antworte!" brüllte ihn sein Gegenüber an, so heftig, dass der blonde Junge zusammen fuhr. "G...gut..." "So, so, gut, das ist schön! Hast wohl einen besseren Dealer gefunden und hast gedacht, du lässt den ollen Steven einfach mal links liegen, egal wieviel Geld du ihm noch schuldest, was?" "Nein... so war das nicht... meine Eltern..." "Habt ihr gehört, Jungs?" lachte Steven. "Seine Eltern! Da bin ich ja mal gespannt!" Wie auf Befehl stimmten die zwei Typen in Stevens Gelächter ein. "Ich gehe nicht mehr auf den Strich!" ereiferte sich Marcus. "Ach, nein, wirklich?" "Steven... ich tu alles was du verlangst, aber lass mich bitte gehen... du kriegst dein Geld!" flehte Marcus. "Alles was ich will?" Marcus nickte nur. Steven stellte sich hin und blickte herausfordernd auf den blonden Jungen herab. Er stemmte die Hände in die Hüften. "Blas mir einen!" forderte er ohne eine Regung in der Stimme. Marcus sah ihn erstaunt an. Von seiner Position am Boden aus sah Steven noch größer, seine Schläger noch bedrohlicher aus. Verzweifelt mühte sich Marcus' Verstand, die Geschehnisse auf die Reihe zu bringen, die Panik ließ ihn keinen klaren Gedanken fassen. "Und... und...dann lässt du mich... gehen...?" "Wer weiß, wer weiß. Wenn du deine Sache gut machst. Natürlich ist das nicht alles. Rick und Nathan hier haben ja auch Bedürfnisse." Marcus schaute zwischen den beiden Gorillas und Steven hin und her. "Beiden...?" "Ja, beiden!" bestätigte Steven seelenruhig. "Erst mir, dann den beiden. Und du schluckst, kapiert?" Marcus schloss die Augen und atmete tief durch. Er musste sich beruhigen, sonst würde er noch endgültig in Panik verfallen. So etwas hatte er doch schon oft gemacht. Blowjobs waren keine große Sache, auch wenn ihn in diesem Fall heftiger Ekel erfasste. Aber wenn er so heil aus dieser Situation heraus kommen konnte, war es doch der Zweck, der die Mittel heiligte. Deshalb nickte er langsam. "Okay..." "Dann mal ran, Marcybaby!" grinste Steven und drückte das Becken durch. Marcus sank auf die Knie und rutschte ein Stück an den älteren Mann heran. Seine Finger zitterten fürchterlich als er sie vorsichtig nach dem Reißverschluss der Jeans vor sich ausstreckte. Er musste an Gary denken, der sich jetzt da unten amüsierte und nichts ahnte. Der Gedanke, wieder zu ihm zu kommen, hielt ihn aufrecht. Er würde das jetzt durchziehen. Den Schlag, der ihn in diesem Augenblick traf, hatte er nicht kommen sehen. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, sein Mund füllte sich mit dem metallischen Geschmack von Blut, er hatte sich auf die Lippe gebissen. Als sein Blick wieder klar wurde, lag er erneut am Boden. Steven hatte ihn niedergeschlagen. "Du hättest das wirklich gemacht, nicht wahr? Du bist so erbärmlich, selbst wenn ich ein Homo wie du wäre, würde ich dich nicht an meinen Schwanz lassen! Ich fasse es nicht, dass du dich dermaßen angebiedert hättest! Und da sagst du, du wärst kein Stricher mehr!" "Das bin ich nicht mehr!" Marcus musste husten und spuckte ein wenig Blut. "Na klar!" Der Junge spürte Wut in sich aufsteigen. Er wusste, dass das keine gute Idee war, aber er kam nicht dagegen an. "Ich bin kein Stricher mehr! Ich hab damit aufgehört und außerdem bin ich clean! Deswegen habe ich deine verdammten Drogen nicht mehr gekauft! Und meine Eltern haben mich von hier weggeholt. Ich bin nur zu Besuch hier! Verdammt noch mal, du kriegst dein beschissenes Geld und dann lass mich in Ruhe!" Für ein paar Sekunden sah Steven ihn einfach nur an. Dann lächelte er. "Packt ihn!" Bevor Marcus reagieren konnte, hatten ihn Nathan und Rick gepackt und zerrten ihn auf die Beine. Die beiden Männer hielten ihn mit eisenhartem Griff gnadenlos fest. "Was soll das?!" "Marcus, entspann dich. Die beiden passen nur auf, dass du uns nicht verlässt. Und ich mache in der Zeit eine Spritze für dich fertig. Was meinst du, schaffen wir es, dich wieder auf den Geschmack zu bringen?" Das war's. Der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte. Marcus fing an zu schreien. Gary war außer Atem. So lange hatte er schon lange nicht mehr durchgetanzt. Das kühle Getränk in seinem Glas tat wahnsinnig gut. Er stürzte es herunter und lächelte Holly an. "Du machst mich fertig." "Und ich hatte erwartet, dass du mehr Kondition hast." "Das hier ist ja härter, als jedes Baseballspiel!" "Wenn du das sagst." Gary schaute sich suchend um. Lauter unbekannte Gesichter um ihn herum. Es war erst knapp eine Stunde vergangen, seit sie hierher gekommen waren. Die Party kam jetzt erst richtig in Schwung, besonders da nun offenbar Alkohol ausgeschenkt wurde, obwohl hier sicher niemand über einundzwanzig war. Was ihn aber viel mehr beunruhigte, war die Tatsache, dass er niemanden im Raum kannte. "Hast du Marcus gesehen?" Holly schüttelte den Kopf. "Nein, ich hab deinen schweigsamen Freund nicht mehr gesehen, seit wir tanzen gegangen sind. Aber das ist doch egal." "Nein, ist es nicht." "Komm schon, du bist doch nicht sein Daddy." "Ich muss ihn suchen." "Gary, ich bitte dich!" Sie klang genervt. "Vergiss den Kleinen doch endlich. Oder hast du was mit ihm?" "Was soll das denn jetzt heißen?" "Weil du so ein Theater um ihn machst! Das klingt ja, als würdest du was von ihm wollen." "Du spinnst ja!" schnappte Gary. "Komm schon, ich hab dich eingeladen, weil ich dich näher kennen lernen wollte. Meinst du ich hätte so einen Bubi wie Marcus gebeten zu kommen, wenn du es nicht gewollt hättest? Vergiss ihn doch einfach." "Marcus ist kein Bubi!" Gary hatte plötzlich das Gefühl, Marcus verteidigen zu müssen. Er wusste selbst nicht genau wieso. Aber irgendwie hatte sich mit einem Mal alles verändert. Diese Holly, die er bis eben noch so nett fand, kam ihm plötzlich wie eine Zicke vor. Er mochte Marcus und er hatte nicht vor zu zulassen, dass Andere in seiner Abwesenheit über ihn herzogen. Und das sagte er ihr auch. "Hör mal, ich stehe nicht so darauf, wenn man in ihrer Abwesenheit über meine Freunde herzieht!" "Spielst du jetzt seinen Beschützer? Typen wie den kenne ich, das sind die Uncoolen, die Loser, die in einer Ecke hocken und hoffen, dass man sie bemerkt oder auch nicht. Solche Typen ignoriert man oder man verarscht sie." Sie beugte sich lasziv zu ihm vor und lächelte, was so überhaupt nicht zu der Rede passen wollte, die sie eben gehalten hatte. "Ich hatte eigentlich gedacht, du seiest cool, aber offensichtlich habe ich mich geirrt. Aber vielleicht hast du ja wirklich was mit dem Schlaffi, dann solltest du vorsichtig sein, ich hab nämlich gesehen, wie er sich mit Enrico verzogen hat, während wir getanzt haben." "Wer ist denn Enrico?" "Einer von den Typen, die mein Bruder hier angekarrt hat... Langweiler." "Sag mal, ist in deinen Augen irgendjemand kein Langweiler?" Gary konnte es nicht fassen, dass er noch vor wenigen Minuten ruhig mit dieser Zicke getanzt hatte. Unglaublich wie Leute sich entpuppen konnten. "Du warst bis vor kurzem keiner, aber das muss ich wohl überdenken." "Arrogante Zicke!" rutschte es Gary heraus. "Weißt du was? Such doch einfach deinen kleinen Schlaffifreund und dann verzieh dich zu Mami und Papi! Ist hier zwar nicht meine Party, aber was mich angeht, so bist du hier eindeutig fehl am Platz!" Gary schnaubte verächtlich. "Das glaube ich auch! Schönes Leben noch!" Damit ließ er Holly einfach stehen. Er kochte vor Wut... und er wusste noch nicht einmal ganz genau warum. Er hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und war nie jemand gewesen, der über Schwächere lachte, aber als Holly so über Marcus hergezogen war, war ihm einfach der Kragen geplatzt. Ohne es zu merken, hatte er sich in den letzten Tagen wohl sehr mit ihm angefreundet. Er stellte sich neben zwei Jungs, die in der Nähe des Durchgangs zum Wohnzimmer herumlungerten. Beide schienen mehr als ein Bier gekippt zu haben, ihrer Fahne nach zu urteilen. "Hey, habt ihr zufällig einen blonden Jungen gesehen? Etwa so groß." Gary hielt seine Hand neben sich auf die Höhe, auf die er Marcus schätzte. "Trägt ein ziemlich auffälliges Shirt mit roten Blumen drauf." "Jep, der ist vorhin mit Enrico nach oben gegangen..." Die Zunge des Jungen war offenbar reichlich schwer. "Enrico ist ... abgezischt. Keine Ahnung, wo der Blonde geblieben ist, Mann. Willst du ein Bier?" "Nein. Aber trotzdem Danke, Jungs!" Gary blickte die Stufen ins obere Stockwerk hinauf. Was hatte Marcus da oben mit einem anderen Jungen zu schaffen gehabt? Langsam stieg er die Treppe hoch. Die Stufen knarrten fürchterlich, müssten dringend mal nachgebessert werden. Oben war ein kurzer Flur mit vier Zimmern, kaum beleuchtet, sämtliche Türen zu. Gary konnte sich denken, was hinter den Türen abging. Auf so einer Party war das eigentlich normal. Er konnte jetzt dreist alle Türen öffnen und diverse Blow-, Handjobs und Schäferstündchen unterbrechen oder einfach warten. Das war ja fast wie bei "Geh aufs Ganze!" Was befindet sich hinter Tor Nummer 1? Marcus oder ein bumsendes Pärchen... vielleicht auch der Zonk. Und wer sagte eigentlich, dass sich Marcus und ein bumsendes Pärchen ausschloss? Vielleicht hatte Marcus ein Mädel gefunden und dieser Enrico hatte ihm nur gezeigt, wo er mit ihr ungestört... In diesem Moment ertönte ein Schrei, den man trotz der lauten Musik hören konnte, zumindest hier oben. Gary erkannte sofort, dass es Marcus war, der da schrie und das klang ganz sicher nicht lustvoll. Er hechtete zu der Tür, hinter der er die Quelle der Geräusche vermutete, und riss sie auf. Das Bild, welches sich ihm bot, war so grotesk, so unerwartet, dass er für einen Moment nur mit offenem Mund dastehen konnte. Marcus, eingekeilt zwischen zwei bulligen Typen mit wahren Schlägervisagen, um Hilfe schreiend, und ein zwielichtiger, auf den ersten Blick unsympathischer Typ, der gerade eine Spritze und eine Tüte mit Pulver aus der Tasche zog. "Na, na, wer wird denn so schreien? Du magst doch meinen Stoff!" grinste der Typ mit der Spritze gerade. "Was geht denn hier vor?!" Der Satz war nicht gerade typisch heldenhaft, zeugt eher von Begriffsstutzigkeit, aber er war ihm so heraus gerutscht. Marcus hatte seine Anwesenheit zuerst bemerkt und starrte ihn panisch an. "Gary! Lauf weg! Ruf die Polizei! Bitte!" Der zwielichtige Typ wandte sich um und fixierte Gary. "Wen haben wir denn da? Ist das dein Lover, Marcus? Hör zu, Schönling, wenn dir deine Gesundheit was wert ist, verziehst du dich! Du findest eh was Besseres als so eine miese, fixende Bordsteinschwalbe!" Marcus sackte bei seinen Worten völlig in sich zusammen, ganz so, als würde gerade die Welt für ihn untergehen, aber Gary dachte nicht darüber nach, was sie genau bedeuteten. Das war jetzt vollkommen irrelevant. Was zählte war, dass er Marcus so schnell wie möglich aus dieser Situation brachte. Er war selbst überrascht, wie cool er reagieren konnte, obwohl er insgeheim hoffte, dass keiner dieser drei Figuren eine Knarre hatte. "Lasst ihn sofort los!" "Sonst tust du was, Hübscher?! Bewirfst du uns mit Wattebällchen? Ihr Tucken seid doch allesamt Weicheier!" Der Kerl brach in johlendes Gelächter aus, offenbar unglaublich angetan von seinem eigenen Witz. Die beiden Schläger schienen ein wenig länger zu brauchen, bis die Worte in ihre Gehirne (sofern da welche waren) vordrangen, dann stimmten sie ein. "Lass ihn in Ruhe, Steven!" flehte Marcus mit weinerlicher Stimme. "Halts Maul!" Er verpasste Marcus eine Ohrfeige. "Mach das noch einmal und du kannst was erleben, ich mach dich fertig!" Zum zweiten Mal an diesem Abend platzte Gary der Kragen. "Feiges Pack! Zu dritt gegen einen Schwächeren und dann auch noch schlagen, wenn der andere sich nicht wehren kann! Feiglinge!" "Riskierst wohl eine dicke Lippe, was?" schnappte Steven. Er packte Marcus am Arm. "Rick! Nathan! Macht ihn alle!" Kaum hatte er den Befehl ausgesprochen, zerrte er Marcus in eine Ecke des Raumes. "Einen Mucks und ich mach dich fertig!" zischte er. "Hör nicht auf ihn, Marcus! Der blufft nur!" "Musst du ja wissen, mal sehen ob du gleich immer noch so eine große Klappe hast." Die beiden Schläger gingen langsam auf Gary zu, der sich spannte. Ein Grinsen umspielte seine Lippen. "Na, wer will zuerst?" Einer der beiden, Rick, stürmte los. Brachial, ungebremst, ohne zu denken. Ein derart plumper Angriff konnte Gary nicht schocken. Er hatte jahrelang Karate trainiert und es mittlerweile auf den schwarzen Gürtel gebracht, da wusste man, wie man mit so einem lächerlichen Manöver umzugehen hatte. Der brünette Junge tauchte geschmeidig unter dem wuchtigen Schlag weg, bekam genau den Punkt von Rick zu fassen, den er beabsichtig hatte und hebelte den wesentlich schwereren Kerl von den Füßen. Sekunden später blieb der Schläger benommen am Boden liegen. "Der nächste bitte, ich...." Weiter kam er nicht. Nathan hatte seine Verwunderung über den gelungenen Konter schneller überwunden als erwartet und rammte Gary seine Faust in die Seite. Der Treffer war so heftig, dass er dem Jungen regelrecht die Luft aus den Lungen presste und ihn auf den Teppich schickte. "Gary!" schrie Marcus entsetzt. "Game over!" grinste Steven. Nathan stand triumphierend über Gary, doch in diesem Augenblick schlang dieser seine Beine um die des Anderen, fand sofort den Schwachpunkt in Nathans Balance und zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Nathan kippte mit einem wirklich dümmlichen Gesichtsausdruck zur Seite, konnte sich nicht mehr fangen und schlug mit dem Kopf ans Bettgestell. Gary sprang wieder auf die Füße. "Will noch jemand Nachschlag?" Das musste sein. Er fühlte sich großartig, trotz des pochenden Schmerzes in seiner Seite. Ganz wie ein Actionheld, der die Bösen ohne weiteres niedermachte. Allerdings zwang er sich, die Situation nicht allzu spaßig zu sehen, schließlich war Marcus immer noch nicht außer Gefahr. Von den beiden Schlägern drohte aber keine Bedrohung mehr, sie taten das, was Typen wie sie immer tun, wenn sie merken, dass jemand stärker ist: Sie kniffen den Schwanz ein und traten einen strategischen Rückzug an, kurz, sie hauten ab. "Bleibt hier, ihr dämlichen Idioten!" schrie Steven, sein Gesicht war knallrot vor Zorn, wie bei einer überreifen Tomate. Die Adern an seinem Hals traten deutlich hervor. Als er bemerkte, dass Gary sich ihm näherte, zog er Marcus brutal vor sich und setzte ihm das Messer an den Hals. "Keinen Schritt näher, du Kampf-Schwuchtel, oder ich mache ihn kalt!" Gary blieb stehen, doch er setzte ein überlegenes Pokerface auf, obwohl ihm innerlich nicht mehr ganz so wohl war. "Du bluffst!" "Meinst du? Willst du es ausprobieren?" Marcus kämpfte gegen die Tränen an, Gary war so mutig, so stark und setzte sich für ihn ein, da durfte er sich jetzt nicht die Blöße geben. "Du bist doch ein Dealer, oder?" "Schlaues Kerlchen!" "Siehst du, wenn du Marcus jetzt tötest und das vor Zeugen, bist du kein kleines Licht mehr, kein indirekter Mörder, sondern an deinen Fingern klebt dann Blut! Und das wirst du nicht mehr los. Und nur so als Information: Mein Bruder ist bei der Polizei. Detective beim Morddezernat. Was glaubst du, wie viele Problem er dir machen könnte? Er wird dir das erbärmliche Leben zur Hölle machen!" "Jetzt bluffst du!" "Willst du es drauf ankommen lassen?" Damit hatten die beiden Kontrahenten einen klassischen Patt. Sie standen sich gegenüber, mit Marcus zwischen sich, und keiner von beiden war bereit nur einen Schritt zu weichen. "Steven, sein Bruder ist wirklich ein Cop..." "Halt die Klappe, Marcus!" herrschte Steven ihn an. "Hör lieber auf ihn, Steven. Er sagt die Wahrheit. Rühr ihn an und du wanderst auf direktem Weg in den Knast für den Rest deines Lebens. Dealen und Mord, eine gute Mischung!" Steven schien nicht genau zu wissen, wie er reagieren sollte und das merkte Gary sofort. Gotcha! dachte er. Diesen Moment des Zweifels musste er ausnutzen. "Hör zu! Du lässt Marcus gehen und kommst nie wieder in seine Nähe. Dann vergessen wir das Ganze hier." "Und was ist mit meinem Geld, hm?" Gary langte in seine Tasche, zog einen Zwanzig Dollar Schein heraus und warf ihn auf den Boden. Der Dealer musterte den Schein mit einem dermaßen blöden Blick, dass Gary beinahe gelacht hätte. "Das sind zwanzig Dollar!" "Mehr kriegst du nicht! Und jetzt lass Marcus los, ein Anruf genügt und mein Bruder ist hier." Einen unendlich langen und schrecklichen Augenblick befürchtete Gary, dass alles umsonst gewesen war. Sein Herz klopfte wie wild. Wenn Marcus etwas geschehen würde, würde er sich das niemals verzeihen können. Doch dann erlöste ihn der Dealer, indem er Marcus einen heftigen Schubs in Garys Richtung gab. Der blonde Junge stolperte in Garys Arme, der ihn schnell hinter sich schob. "Lass dich hier ja nie wieder blicken. Sei froh, dass dein Lover so ein harter Bursche ist!" Steven bemühte sich sichtlich, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn diese Niederlage wurmte. Er bückte sich doch tatsächlich nach dem Schein, bevor er sich direkt vor Gary stellte. "Viel Spaß, vielleicht holst du dir ja eine nette Geschlechtskrankheit von dem kleinen Stricher!" Garys Faust krachte in sein Gesicht. Stevens Nase knackte, Blut schoss aus den Nasenlöchern, er verdrehte die Augen, taumelte um seine eigene Achse und knallte auf den Boden. "Fuck! Das tut weh!" Gary rieb sich seine Hand. "Na ja, ihm mehr als mir!" stellte er grinsend mit einem Blick auf den ausgeknockten Dealer fest. "Gary, ich..." "Später!" Der ältere Junge nahm Marcus bei der Hand und zog ihn mit sich. "Erst einmal verschwinden wir von hier." Die Idee gefiel Marcus sehr gut. Marcus' Herz schlug wild. Nachdem sie von der Party getürmt und den ganzen Weg bis zur Bushaltestelle gerannt waren, hatten sie im Bus nicht miteinander gesprochen. Nun waren sie gerade mal anderthalb Stunden nachdem sie aufgebrochen waren schon wieder Zuhause. Das bedeutete, dass noch eine Menge Zeit blieb, bis Jason und Chris wiederkommen würden. Obwohl sie sicher nicht verfolgt wurden, schien Gary erst beruhigt, als die Haustür hinter ihnen ins Schloss fiel. Im Bus hatte Marcus fieberhaft überlegt, was er nun sagen konnte. Alles war dahin, jetzt hatte er so sorgsam die Wahrheit vor Gary versteckt und dann musste Steven alles kaputt machen. Jetzt konnte Gary sich an drei Fingern abzählen, dass er schwul war. Und damit nicht genug, er würde sicher auch wissen wollen, was er mit einem Dealer zu schaffen hatte und warum dieser ihn eine Bordsteinschwalbe nannte. Und gleichzeitig war er so glücklich, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Das Gefühl der Dankbarkeit, der unendlichen Dankbarkeit Gary gegenüber, war unglaublich stark. "Was für ein Abend!" "Das kannst du laut sagen... Danke... noch mal." Marcus konnte nicht mehr, es sprudelte aus ihm heraus. "Das war so cool! Cooler als jeder Dead or Alive Kampf! Du bist ein Held! Du bist mein Held! Du hast mir das Leben gerettet!" Ohne Vorwarnung umarmte er den älteren Jungen, egal was dieser dazu sagen mochte. "Aua!" ...Aua? Hat er gerade aua gesagt? "Aua? Ist das alles, was dir dazu einfällt?" Gary schob ihn von sich. "Du tust mir weh. Deswegen sagte ich aua." Mit diesen Worten zog er sein T-Shirt über den Kopf und entblößte seinen Oberkörper. Marcus sog die Luft ein, doch nicht etwa wegen der Muskeln, die er zum wiederholten Male zu Gesicht bekam, sondern wegen des großen Blutergusses an Garys Seite, dort wo ihn Nathan erwischt hatte. Die Haut hatte sich an dieser Stelle mittlerweile tiefblau gefärbt. "Shit, der hat dich voll erwischt!" Gary betastete die Verfärbung mit spitzen Fingern und verzog das Gesicht. "Ist nicht so schlimm!" stellte er fest, in einem krassen Gegensatz zu seiner Mimik. "Warte, ich hab so eine Salbe gegen Schmerzen, die kühlt, vielleicht hilft die. Meine Mutter packt mir immer solche Carepakete mit Medikamenten." Ohne auf eine Reaktion von Gary zu warten lief Marcus ins Badezimmer und kramte in seinem Kulturbeutel nach der Salbe. Als er sie endlich gefunden hatte, kehrte er zu Gary zurück, der mittlerweile auf dem Sofa im Wohnzimmer saß. "So, hier. Warte, das hilft sicher." Er ging vor dem Sofa auf die Knie und drückte sich etwas von dem Gel auf die Hand. "Darf...ich?" Gary nickte. "Tu dir keinen Zwang an." Marcus Hand zitterte leicht, als er sie nach Garys Körper ausstreckte. Das Gel war kalt und der brünette Junge zuckte kurz zusammen, ließ die Behandlung aber über sich ergehen. Vorsichtig verteilte Marcus das Gel über die blaue Stelle. Er kam dabei nicht umhin zu bemerken, dass sich Garys Brustwarzen aufgrund der Kälte verhärteten. Trotz der Situation war das Gefühl, endlich die Haut dieses Jungen zu berühren, einfach wunderschön. "Macht dich das an?" Marcus zuckte zusammen und starrte Gary erschrocken an. "W...was?" "Ob es dich anturnt, dass meine Brustwarzen hart werden, die schaust du nämlich die ganze Zeit an." Ganz so als hätte er sich an Gary verbrannt riss Marcus die Hand zurück. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Unaufhaltsam stiegen Tränen in ihm auf. Jetzt war alles vorbei, Gary wusste es und er würde nie wieder etwas mit ihm zu tun haben wollen! "Es tut mir leid!" brachte er noch hervor, dann sprang er auf und rannte aus dem Raum. "Marc!" Gary sah ihm erschrocken nach. Beim Geräusch der sich öffnenden Tür verfluchte sich Marcus selbst, nicht abgeschlossen zu haben. Aber er war zu verstört gewesen, um daran zu denken. Er wusste genau, wer da den Raum betreten hatte, war ja nicht schwer zu erraten, aber er wagte es nicht, Gary ins Gesicht zu sehen. Der ältere Junge kam zum Bett hinüber und setzte sich neben ihn. Immer noch herrschte Schweigen. Marcus bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Gary immer noch oben ohne war. "Hättest du dir nicht etwas anziehen können?" sagte er leise. "Entschuldige, aber ich war zu perplex, dass du so schnell weggerannt bist. Ich wollte dich nicht beleidigen oder so." "Hast du nicht..." "Wirklich?" "Nein..." "Was ist es dann?" Marcus sah ihn vollkommen verständnislos an und vergaß darüber sogar, Gary nicht ins Gesicht zu schauen. "Fragst du das im Ernst?!" Gary lächelte und sah dabei wieder so bezaubernd aus wie eh und je. "Hör zu, Marc. Ich hab uns Pizza bestellt, die wird bald hier sein. Was hältst du von dem Vorschlag, dass ich mir was anziehe, wir ins Wohnzimmer gehen, die Pizza vernichten und einfach mal über alles reden?" "Was für Pizza?" "Thunfisch." lachte Gary. "Woher wusstest du, dass ich die am liebsten mag?" "Das war ein Schuss ins Blaue." "Und du willst wirklich über alles reden? Bist du dir sicher?" "Ja, keine Märchen mehr. Ich möchte alles über dich wissen." Für einen Augenblick war Marcus unschlüssig, was er erwidern sollte, doch dann entschied er sich für ein "Okay." Jetzt war eh alles egal. Eine halbe Stunde später fläzten sich die Beiden auf der Couch im Wohnzimmer. Vor ihnen auf dem Tisch zwei leere, fettige Pizzakartons, Gläser mit Cola und mehrere bisher noch unberührte Tüten Chips. Gary hatte seine Beine über die Armlehne des Sofas geschwungen und lag auf dem Rücken, mit einem Kissen unter dem Kopf. Marcus hatte sich ein Kissen von der Couch untergelegt und saß auf dem Boden, mit dem Rücken an das Möbelstück gelehnt. Er sah den Fettflecken im Pizzakarton beim Eintrocknen zu. Bisher hatten sie nur wenig geredet, mehr gegessen und obwohl er schrecklich aufgeregt war, hatte der blonde Junge seine Pizza wesentlich schneller verputzt als Gary. "Nun?" Garys Stimme klang freundlich. "Nun was? Was willst du wissen?" "Hm, vielleicht fangen wir mit den Basics an. Erstens, obwohl ich mir das zusammenreimen kann, warum hat dich dieser Steven gefragt, ob ich dein Lover wäre? Zweitens: Woher kanntest du ihn? Und drittens: Warum hat er dich eine Bordsteinschwalbe genannt?" Marcus seufzte. "Weißt du..." Er druckste herum. "Wo fang ich an....?" "Bei erstens?" Der Jüngere atmete tief ein. "Ich bin... ich bin..." "Schwul?" "Ja..." Damit war es heraus und Gary hatte die Bestätigung, dass er die ganze Zeit belogen worden war. Am liebsten hätte Marcus geheult. "Und warum sagst du mir das erst jetzt?" Bitte?! Kein Geschrei? Keine Wut? Kein "Du verlogenes Schwein, ich will dich nicht mehr sehen!"? Und meint er diese Frage wirklich ernst?! Marcus drehte sich nun doch herum, um Gary ins Gesicht sehen zu können. "Meinst du diese Frage wirklich ernst?" wiederholte er seinen letzten Gedanken. "Ja. Ich meine, wirke ich wie ein Schwulenhasser oder so, dass man die Wahrheit vor mir verbergen muss? Sogar Jason hat mich schon wieder angelogen." In seiner Stimme schwang unmissverständlich ein wenig Enttäuschung mit. "Sei deinem Bruder nicht böse, ich habe ihn darum gebeten. Ich hatte Angst, dass du mich irgendwie anders behandeln würdest... das du vielleicht Probleme damit hättest, mit mir befreundet zu sein... und das, was du in der ersten Nacht gesagt hast, hat mir dann gereicht..." "Was meinst du?" "Was schon?" Marcus legte den Kopf schräg. "Zitat Anfang, ich bin froh, dass du nicht schwul bist, Zitat Ende." "Aber das war doch gar nicht so gemeint. Ich war da gerade erst mit der Tatsache konfrontiert worden, dass mein Bruder im Nachbarzimmer sein Bett mit einem Mann teilt und da habe ich vielleicht etwas Unsinn gequatscht." "Hättest du mit mir in einem Bett geschlafen, wenn du es gewusst hättest?" Gary sah ihn verdutzt an und brauchte einen Moment, bis er antwortete. "Ja, natürlich...!" "Das hat aber gedauert!" stellte Marcus fest. "Ehrlich!" beteuerte Gary. "Na ja... etwas komisch wäre ich mir schon vorgekommen. Aber es ist doch nicht so, dass du in mich verliebt bist, oder?" Natürlich liebe ich dich, du Idiot!... sollte ich jetzt sagen. Und dann fallen wir uns in die Arme, küssen uns und er trägt mich ins Schlafzimmer... oder gleich hier auf der Couch. Natürlich müsste erst die Hölle einfrieren, damit das geschieht. "Nein, natürlich nicht!" sagte Marcus schließlich laut, "Ich mag dich sehr gern, aber ich bin nicht in dich verliebt." Nur wenn in dich verliebt sein heißt, dass mir dein Anblick den Atem raubt, ich in deinen Armen liegen möchte und das dein Desinteresse mir das Herz bricht, ja dann, dann bin ich in dich verliebt... "Na siehst du, dann besteht doch überhaupt kein Problem. Was allerdings nicht heißt, dass alle Fragen beantwortet sind." "Ich hatte gehofft, du hättest den Rest vergessen." "Na komm, so schlimm wird es nicht sein." "Ich... ich fang am besten ganz von vorne an." Marcus lehnte sich zurück und sah zur Decke. "Ich war... fünfzehn als ich merkte wie ich tickte... ich hab mich verliebt. Dan saß zwei Reihen vor mir... er sah wirklich gut aus..." Nicht so gut wie du... "und irgendwann habe ich es ihm gesagt." Gary drehte sich auf den Bauch. "Und was hat er getan?" "Er hat es allen erzählt und einen Tag später war ich das Gespött der ganzen Schule. Ich wurde beschimpft, gedemütigt, ausgelacht... ich hab das irgendwann nicht mehr ertragen. Ich habe angefangen, nicht mehr zu Schule zu gehen. Das ging natürlich nicht lange gut, meine Eltern bekamen Wind von der Sache und einmal hat mich sogar die Polizei aufgegriffen. Mum und Dad haben einen Riesenaufstand gemacht, weil ich vorher ein Musterschüler gewesen bin. Ich hab es nicht übers Herz gebracht ihnen alles zu sagen, die Erlebnisse in der Schule haben dafür gesorgt, dass ich der Meinung war, sie würden es nicht akzeptieren." "Schreckliche Situation..." "Kann man so sagen, obwohl ich sie im Rückblick nur in meinem Kopf schrecklich gemacht habe, meine Eltern hätte Verständnis gehabt... auf jeden Fall sah ich nur einen Ausweg: Ich lief von Zuhause weg. Irgendwie bin ich dann hier gelandet und habe nach einigen Wochen auf der Straße Steven getroffen. Er gab mir einen Tipp, wo ich unterkommen konnte. Eine Art Wohngemeinschaft, die in den verlassenen Gebäuden im Hafenviertel lebt. Die Jungs und Mädels dort waren alle ungefähr in meinem Alter. Einer von denen hat mit einen Weg gezeigt, mit der Realität besser umgehen zu können, respektive ihr zu entfliehen... Heroin..." "Ist das dein Ernst?" Die Bestürzung in Garys Stimme war deutlich zu hören. Plötzlich schämte sich Marcus fürchterlich vor ihm. Er war damals schwach gewesen. Willensschwach, leicht beeinflussbar und vollkommen verantwortungslos. "Ja, leider..." gab er zu, "Ich glaube, Steven hat mich absichtlich da eingeschleust, er beliefert viele von den Leuten, mit denen ich zusammen wohnte und von da aus war es eigentlich nur noch ein kleiner Schritt bis in den Teufelkreis... mein Konsum an Heroin stieg, ich hatte nicht genug Geld, brauchte aber dringend Stoff. Da hat mir einer der Jungs dort einen Mann vorgestellt, von dem ich Geld bekommen könnte. Was der Kerl mit mir gemacht hat, führe ich lieber nicht aus, aber ich hatte noch tagelang Schmerzen. Aber ich hatte Geld, ich konnte mir den nächsten Schuss leisten und so habe ich meine Karriere begonnen... ich ging auf den Strich, viele Monate lang, bis ich in die Fänge des Mörders geraten bin, den dein Bruder zur Strecke gebracht hat...dort habe ich..." Im buchstäblich allerletzten Moment schluckte er die Bemerkung herunter, dass er Chris dort kennen gelernt hatte. Er hatte es nicht verdient, auch noch erniedrigt zu werden. "...beschlossen, wenn ich das überlebe, dann ändere ich mein Leben..." Und schon wieder eine Lüge, ich bekomme Übung darin... "Chris und Jason haben mir dabei geholfen... aber ich war ein Stricher... deswegen hat mich Steven eine Bordsteinschwalbe genannt... ich wette, jetzt willst du nichts mehr mit mir zu tun haben oder hältst mich für eklig oder so..." Ohne die Antwort abzuwarten stand Marcus auf und ging ein paar Schritte in den Wintergarten hinein. Jetzt waren alle Geheimnisse heraus. Er fühlte sich unglaublich mies. Was war er schon? Abschaum, Schmutz... all das würde ewig an ihm heften und für Typen wie Gary, die so perfekt waren, einfach nur abstoßend wirken. Gary hatte kein Wort gesagt und Marcus traute sich nicht, sich zu ihm umzudrehen. Selbst als er Schritte hinter sich hörte, blickte er stur auf die Scheiben des Wintergartens, hinaus in die Dunkelheit des Gartens. Beinahe wäre er zusammengefahren, als Gary ihm die Hand auf die Schulter legte. Eine einfach Berührung, aber sie sagte mehr als Tausend Worte. Die Hand des brünetten Jungen fühlte sich wunderbar warm, liebevoll und gerade deswegen so vollkommen unerwartet an. Marcus schossen die Tränen in die Augen, er kam nicht dagegen an. Er warf sich auf dem Fuß herum und presste sich an Garys Brust. Der Fluss der Tränen schien gar nicht versiegen zu wollen, er schluchzte und zitterte, während er sich fest an den älteren Jungen drückte. Seine Hände verkrallten sich in den Stoff von Garys Shirt. Gary schien für einen Moment mit der Situation vollkommen überfordert zu sein, aber dann legte er seine Arme um den weinenden Jungen und strich ihm sanft über den Rücken. Marcus brachte es nicht fertig sich zu beruhigen. Etwas, was noch nie, nicht bei seinen Eltern, nicht bei der Therapie und auch nicht bei Chris, geschehen war, bahnte sich nun seinen Weg. All die vergrabenen Schuldgefühle, der Ekel vor sich selbst, die Erinnerungen an die schreckliche Zeit auf der Straße, die Dinge, von denen er sicher gewesen war, dass er mit ihnen fertig wurde und sie hinter sich gelassen hatte, all das brach aus ihm heraus und erschütterte ihn bis tief in seine Seele. Der Weinkrampf überwältigte ihn, er sank wimmernd in Garys Armen zusammen, völlig kraftlos. Und hier geschah nun das, was er sich schon so lange wünschte. Gary verlagerte sein Gewicht und nahm ihn ganz vorsichtig hoch. Sein Kopf ruhte an Garys Schulter, seine Kniekehlen und der Rücken auf den starken Armen des Jungen. Obwohl es ihn sichtlich anstrengte, trug er Marcus die Treppe in den ersten Stock hinauf. "Es tut mir leid..." Marcus lag ausgestreckt auf dem Bett und sah an die Decke. Gary saß neben ihm auf der Bettkante. Er hatte Marcus hier abgelegt und es wirklich fertig gebracht, den völlig aufgelösten Jungen langsam zu beruhigen. Marcus' blaue Augen waren rot vom Weinen, ebenso seine Nase. Er schien peinlich berührt. "Tut mir leid, dass ich so ausgetickt bin..." "Ist doch nicht schlimm..." "Ich war regelrecht hysterisch, Gary." "Ist das denn nicht zu verstehen? Hast du überhaupt schon mit jemandem darüber geredet?" "Ja... aber so einen Ausbruch... das hatte ich nur bei dir... ich glaube..." Marcus suchte die richtigen Worte. "Weil ich mich so vor dir geschämt habe... mir ist in diesem Moment bewusst geworden, wieviel ich wirklich in meinem Leben verbockt habe. Und was für widerliche Dinge ich getan habe... du musst mich zum Kotzen finden." "Keineswegs." Gary schüttelte den Kopf. "Nicht?" "Nein. Ich finde dich nett. Ich mag dich, Marcus, egal was du warst oder was du getan hast. Ich habe die letzten Tage wirklich genossen." Das wäre der Augenblick. Sollte er es tun? Wenn nicht jetzt, wann sollte er Gary dann seine Liebe gestehen? Aber Marcus brachte es nicht übers Herz. Die Furcht die Freundschaft des Jungen dadurch zu verlieren, ließ die Worte in seiner Kehle stecken bleiben. Mehr als ein "Ich auch." brachte er nicht hervor. "Darf ich dich was fragen?" "Was denn?" "Also... als... ich meine... als ich am ersten Abend..." Gary wurde rot. Wie unglaublich süß das aussieht! schoss es Marcus bei diesem Anblick durch den Kopf. "Als ich... nackt vor dir... hab ich da... hast du..." "Deswegen gewichst?" half ihm Marcus auf die Sprünge. "Ja..." gab er zu. "Ich konnte nicht anders, du bist eben unglaublich sexy, falls du das nicht weißt." "Wirklich?" "Ja, tu doch nicht so." "Nein, ehrlich! Das hat mir noch nie jemand gesagt." Marcus sah Gary verdutzt an. "Gary, du bist umwerfend und das soll dir noch niemand gesagt haben? Du bist unglaublich sexy. Was meinst du, wie schwer das war, jede Nacht neben dir zu liegen und dich nicht zu berühren!" Er riss die Augen auf, als er realisierte, was er da gesagt hatte. "Tut mir leid... sorry, ich wollte nicht..." Er musste den Satz abbrechen, denn Gary beugte sich abrupt vor und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen, Marcus war zu perplex um überhaupt zu reagieren. Ungläubig tastete er mit den Fingern über seinen Mund. "Was war das denn?" Gary schaute etwas verschämt. "Ich... ich wollte mal wissen wie es sich anfühlt..." "Was? Mich zu küssen, als wäre ich deine Mutter?" Kaum war der Satz raus, bereute er ihn schon wieder. Das hatte arrogant geklungen. Und dabei war das doch eine Entwicklung, wie Marcus sie sich immer gewünscht hatte. Er rang mit sich. Sollte er das ganze hinterfragen oder einfach geschehen lassen. Die Entscheidung fiel auf letzteres. Gary war alt genug, um seine Entscheidungen selbst zu treffen... "Entschuldige, ich..." Marcus setzte alles auf eine Karte. Er stemmte sich hoch, schlang den Arm um Gary und zog ihn zu sich. Als sich ihre Lippen trafen, tastete er sich vorsichtig mit der Zunge vor und tatsächlich gewährte ihm Gary Einlass. Zunächst war der Kuss nur zaghaft, Marcus übernahm die Führung, doch plötzlich ergriff auch der ältere Junge die Initiative. Marcus hatte das Gefühl, dass sein ganzer Körper langsam in Flammen aufging, ihm wurde unglaublich heiß, der Druck gegen die Innenseite seiner Jeans stieg stetig an. Wenn dieser Moment doch nur ewig andauern würde. Offenbar legte Gary es genau darauf an, er schien keinerlei Interesse daran zu haben, dass der Kuss endete. Doch irgendwann zwang der Drang Luft zu holen die beiden, sich von einander zu trennen. Marcus war schwindlig vor Erregung. "Das war..." "Entschuldige, es ist so über mich gekommen..." Marcus bemühte sich, dem Rausch der Endorphine nicht vollkommen zu erliegen und einen klaren Kopf zu behalten. Und damit kam auch die Angst, gerade einen furchtbaren Fehler gemacht zu haben. "Nein... ich wollte sagen, dass das schön war... du küsst... wirklich gut..." "Danke, du aber auch." Schweigen folgte. Die Situation schwankte zwischen erotisch aufgeladen und unangenehm gehemmt, keiner von beiden schien so recht zu wissen, was er sagen sollte. "Gary... ich..." Der Ältere legte ihm den Zeigefinger auf den Mund. "Lass uns jetzt nicht reden... wenn wir darüber reden, verlässt mich vielleicht der Mut..." "Der Mut?" Statt zu antworten nahm Gary Marcus' Hand. Der blonde Junge merkte, dass der andere zitterte. Er führte Marcus' Finger in seinen Schritt. Marcus hatte für einen Moment das Gefühl, einer Ohnmacht nahe zu sein. Er spürte durch den Stoff der Jeans deutlich die Erregung des anderen Jungen, scheinbar hatte ihn der Kuss nicht unberührt gelassen. Ruckartig zog er die Hand zurück. "Bist du dir sicher, dass du das willst?" "Nein, nicht absolut, aber ich glaube... ich möchte es..." Marcus strich ihm über die Wange. "Du bist zu nichts verpflichtet." "Ich weiß... du musst mir auch sagen, was ich tun muss... ich weiß nicht so recht..." Marcus lachte leise, das war so niedlich. "Überleg dir einfach, was dir gefallen würde, dann weißt du, was du zu tun hast." "So einfach?" "Ja." "Soll ich das Hemd ausziehen?" Gleich falle ich wieder aus dem Bett! Das ist ein Traum... wahrscheinlich hat er mich auf der Treppe fallen gelassen und ich bin mit dem Kopf angeschlagen. Vielleicht liege ich längst im Krankenhaus mit einem Schädeltraume und halluziniere. Das kann nicht sein... das kann... ach scheiß drauf! "Ja!" antwortete Marcus. Gary nickte und zog sich das Hemd über den Kopf. Der Fleck an seiner Seite war mittlerweile noch farbenfroher, aber das tat dem Anblick keinen Abbruch. Vorsichtig, beinahe andächtig, streckte Marcus die Finger aus und berührte Garys Brust. Die Haut war warm, er fühlte die kräftigen Muskeln und den Herzschlag seines Gegenübers. "Du glaubst nicht, wie sehr ich mir das gewünscht habe..." "Wirklich?" "Ja... seit ich dich das erste mal gesehen habe..." Statt zu antworten drückte Gary ihn sanft in die Kissen und beugte sich über ihn. Er schien einen Moment zu überlegen, was er tun sollte, dann begann er, Marcus' Hals und den Ausschnitt seines T-Shirts mit Küssen zu bedecken. Marcus bekam eine Gänsehaut. Seine Hände fuhren über Garys breiten Rücken, erforschten ihn, während er wiederum mit den Liebkosungen immer näher an Marcus' Mund heran kam. Als sie sich schließlich wieder in einem leidenschaftlichen Zungenkuss wieder fanden, entglitt Marcus endgültig die Kontrolle. Wenn das hier ein Traum ist, möchte ich nie wieder erwachen... "Leise..." flüsterte Chris. Der blonde Mann hatte seine Schuhe ausgezogen und schlich auf Zehenspitzen den Flur entlang. Es war weit nach Mitternacht als sie wieder Zuhause waren, erschöpft, aber gut gelaunt. Der Abend war fabelhaft gewesen, die Inszenierung der Oper ein Genuss, zum Glück recht klassisch ohne den vielen surrealen modernen Schnickschnack, und danach ein wunderbares Essen. Sie hatten es sogar den ganzen Abend geschafft, dass Thema "Wo habt ihr euch kennen gelernt?" zu vermeiden. Eigentlich hatten sie erwartet, die beiden Jungs wach anzutreffen, aber das ganze Haus war still. Nur das Schlachtfeld auf dem Wohnzimmertisch zeugte von einem großen Pizza Essen. Jason war ein wenig sauer darüber, dass die Beiden einfach alles hatten stehen und liegen lassen, aber Chris hatte ihn davon überzeugt, dass sie aufpassen mussten, nicht als langweilige, pingelige Erwachsene rüber zu kommen. Sollten die Jungs es doch einfach am nächsten Tag wegräumen. Jason öffnete leise die Schlafzimmertür und machte eine Verbeugung in Chris' Richtung, doch der winkte ab. "Ich geh noch mal eben gucken, ob alles okay ist." "Du benimmst dich ja richtig mütterlich!" stichelte Jason. Chris streckte ihm die Zunge raus. "Mach so weiter und ich ziehe mein Angebot von vorhin zurück, du weißt wovon ich rede." "Von den rasierten Stellen, ich weiß." Jason grinste. "Bin ja schon still." "Und unersättlich noch dazu!" zischte sein blonder Freund. "Lass mich nicht zu lange warten." "Keine Angst, aber fang nicht ohne mich an." Während Jason grinsend ins Schlafzimmer ging, stahl sich Chris in Richtung Gästezimmer davon. Ganz vorsichtig, peinlich darauf bedacht kein Geräusch zu machen, drückte er die Klinke der Tür herunter. Er öffnete sie einen Spalt und Licht vom Flur fiel in einem Strahl über das Bett. Es war eh nicht allzu dunkel im Zimmer, die Vorhänge waren geöffnet. Chris lächelte beim Anblick von Marcus und Gary, die Arm in Arm schliefen. Langsam schloss er die Tür wieder... und musste sich im nächsten Moment zurückhalten, sie nicht gleich wieder aufzureißen. Er konnte es nicht fassen. Aber es bestand kein Zweifel, da gab es nichts zu rütteln. Die beiden kuschelten miteinander und das sah eindeutig nicht nach einer versehentlichen Stellung aus, die einer von beiden im Schlaf eingenommen hatte. Das war beabsichtigt. Die Decke ging ihnen nur bis knapp an die Brust und Chris hatte den dringenden Verdacht, dass sie auch weiter hinunter nackt waren. Er macht die Tür endgültig zu und lehnte sich daneben an die Wand. Erst nachdem er tief durchgeatmet hatte, macht er sich auf den Weg ins Schlafzimmer. Jason lag ausgestreckt auf dem Bauch im Bett - vollkommen nackt. Er hob den Kopf als Chris das Zimmer betrat. "Du hast dir aber Zeit gelassen. Ist was los?" "Was?" Chris brauchte einen Moment um die Frage zu realisieren. "Nein... nein, alles okay, die Beiden schlafen." Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Ich... ich muss eben ins Bad." Jason sah ihm verdutzt nach. Im Badezimmer stützte sich Chris auf das Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Er wusste einfach nicht, wie er nun reagieren sollte. Sollte er sich für Marcus freuen? Was war denn da bloß geschehen? Erst diese Weltuntergangsstimmung, weil Gary nicht das geringste Interesse zeigt und dann das. Wie Jason das wohl aufnehmen wird? Chris wusste nicht genau warum, aber in ihm stieg eine irratonale Angst auf, dass der große Knall noch bevorstand. Jason trat in die Badezimmertür. Er lehnte sich mit der Schulter an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust, immer noch nackt. "Was hast du?" Chris sah ihn an. Er brachte es nicht fertig, Jason alles zu sagen. Zu groß war die Befürchtung, sein Freund würde direkt nach drüben stürmen und die beiden zur Rede stellen. "Nichts... nur Kopfschmerzen. Wärst du sehr böse, wenn wir heute nur kuscheln würden? Trotz meines Versprechens?" "Hey, das mit dem Versprechen war doch nur Blödelei, wenn es dir nicht gut geht, ist das doch kein Problem. Ist das wirklich alles?" Chris nickte. "Ja." Zum Glück glaubte ihm sein Freund. Aber die Sorge ging nicht weg, im Gegenteil, als er später im Dunkeln in Jasons Arm lag, wuchs sie noch an. Jason war längst eingeschlafen, als Chris immer noch wach lag. Er überlegte, ob er rüber gehen und mit den Beiden sprechen sollte, aber erstens wurde Jason leicht wach und zweitens würde das den Beiden sicher furchtbar peinlich sein. Eine ausweglose Situation. Was sollte er schon anderes tun, als den Dingen ihren Lauf zu lassen und den nächsten Morgen abzuwarten? Über diesen trübsinnigen Gedanken schlief er irgendwann ein. Die Morgensonne weckte Marcus, ihre Strahlen schienen ihn regelrecht an der Nase zu kitzeln. Er gähnte herzhaft, streckte sich und öffnete dann erst die Augen. So gut wie in der Nacht hatte er schon lange nicht mehr geschlafen, in Garys Armen war das auch kein Wunder. Glücklich erinnerte er sich an jedes Detail des gestrigen Abends, es war so wundervoll gewesen, obwohl nicht viel mehr als Petting gelaufen war. Aber allein das Gefühl danach mit Gary zu kuscheln und dann auch noch ganz nah bei ihm einzuschlafen, war schöner als alles, was Marcus je erlebt hatte. Er war einmal nachts wach geworden, weil er gedacht hatte, er hätte auf dem Flur jemanden gehört, aber dem war wohl nicht so gewesen. Danach war er noch eine ganze Zeit lang wach geblieben und hatte Gary beim Schlafen zugesehen, er war einfach so süß. Doch jetzt war die Seite neben ihm verwaist. Marcus setzte sich auf und blinzelte. Gary stand, voll angezogen, am Fenster und sah hinaus. "Morgen!" lächelte Marcus. Er sprang aus dem Bett, lief zu dem älteren Jungen herüber und umarmte ihn ohne groß darüber nachzudenken von hinten. "Hast du gut geschlafen?" "Wir müssen reden, Marc." Was war das denn für eine Reaktion? "Worüber?" "Über gestern Abend... ich... es tut mir leid..." Marcus war immer noch viel zu glücklich, um klar denken zu können. "Was?" "Was mir da passiert ist." "Meinst du, dass du in meinem Mund... hey! Mach dir deswegen keine Sorgen. Kann doch mal passieren, du hast mich überrascht und es ging sicher nur so schnell, weil du so erregt warst, das ist kein Problem. Ich schlucke nicht so gern, aber es ist wirklich keine große Sache." Gary drehte sich um und schob ihn von sich. "Davon rede ich doch nicht!" "Wovon denn dann?" "Von allem! Davon das wir zusammen..." "Wir waren miteinander im Bett, ja und?" "Das war ein Fehler!" Marcus hatte in diesem Augenblick das Gefühl, dass etwas in ihm zerbrach. Er hörte Garys Worte, doch der Sinn wollte ihm nicht klar werden. Er sträubte sich dagegen. Sie waren sich in der letzten Nacht nahe gekommen, es war wunderschön und romantisch gewesen, liebevoll, zärtlich, so etwas war doch kein Fehler! "Was?" hörte er sich selbst weit entfernt sagen. "Hör zu," Gary gestikulierte etwas hilflos. "Ich war ein wenig durcheinander. Ich meine, ich hab erst kurz zuvor erfahren, dass mein Bruder schwul ist und dann hab ich Angst gekriegt, ich sei es vielleicht auch... und als du... ich meine... ich..." Er brach ab. Für einen Moment herrschte Stille. Das was Gary da eben gesagt hatte, brauchte ein wenig, bis Marcus es begriff. Aber als dies geschah, änderte sich das Gefühl. Verwunderung verwandelte sich in blinde Wut. Wie ein Feuer, in das man Öl goss, schoss sie wie eine Stichflamme in Marcus hoch. Er ballte die Fäuste. "Das war ein Experiment?! Das kann doch nicht wahr sein?!" "Schrei doch nicht so! Werde bitte nicht sauer, ich..." "Ich soll nicht sauer werden?!" Marcus spürte, wie ihm Tränen des Zorns aus den Augen traten. "Ich soll nicht sauer werden?! Du verdammter Mistkerl stehst seelenruhig da und eröffnest mir, dass du einfach mal ausprobieren wolltest, wie es ist und das du dich eigentlich nur davon überzeugen wolltest, dass du nicht schwul bist und ich soll nicht sauer werden?! Weißt du was du bist?! Ein arrogantes Arschloch! Denkst du, dass du mit mir alles machen kannst?! Hast du auch nur einmal darüber nachgedacht, dass ich vielleicht nicht einfach nur geil auf dich sein könnte?! Hast du Dreckskerl schon mal was von Liebe gehört?!" Gary zuckte zusammen. "Du meinst doch nicht..." "Oh ja, das meine ich!" Marcus war jetzt alles egal, die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. "Ich liebe dich, du Idiot! Deswegen wollte ich dir nah sein! Nicht wegen deiner Muskeln oder deines Schwanzes, das ist doch vollkommen nebensächlich! Ich liebe dich!" Gary starrte ihn an. "Ich..." Er wusste nicht was er sagen sollte. Und schließlich sagte er genau das Falsche. "Was kann ich dafür, wenn du mir das nicht verrätst. Du hast es ja sogar abgestritten! Ich dachte wir haben einfach ein bisschen Spaß..." "Du Arschloch!" Marcus verlor die Beherrschung. Er stürmte auf Gary zu und schlug den Fäusten auf dessen Brust ein. Der ältere Junge packte ihn und versuchte ihn zu bändigen, was ihm aber kaum gelang, so rasend gebärdete sich sein Gegenüber. "Beruhig dich doch!" Ohne Vorwarnung zog der blonde Junge das Knie hoch. Gary konnte nicht mehr ausweichen und bekam es mit voller Wucht in den Schritt gerammt. Er schrie vor Schmerzen auf und stieß Marcus mit einer solchen Kraft von sich, dass dieser rückwärts nach hinten stürzte. Gary hielt sich vornüber gebeugt und keuchend am Fensterrahmen fest und presste die andere Hand zwischen seine Beine. Er war leichenblass. Marcus lag schwer atmend am Boden. Plötzlich hatte er Schuldgefühle wegen dem, was er eben getan hatte. "Gary..." Der andere Junge hob den Kopf und funkelte ihn hasserfüllt an. "Hysterische Schwuchtel!" Mit diesen Worten ließ er Marcus einfach zurück. Er stürmte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Marcus sah auf die geschlossene Tür und realisierte erst jetzt, dass er soeben alles verloren hatte. Wieder kamen ihm die Tränen, aber diesmal aus Verzweiflung. Er sank weinend auf dem Boden zusammen. Chris verschlucke sich fast an seinem Kaffee, als Gary wie ein Berserker die Treppe hinabgepoltert kam, sein Skateboard unter der Garderobe schnappte und ebenso lautstark die Haustür hinter sich ins Schloss warf. Für einen Augenblick konnte Chris nichts tun, als an der Arbeitsfläche der Küche zu stehen und durch die geöffnete Flurtür auf den Hauseingang zu starren. Jason war unterwegs, Brötchen kaufen, und sein blonder Freund dankte dem Zufall für diese Fügung. Es war besser, wenn Jason erst einmal nichts mitbekam, denn dieser Auftritt Garys, der ihn scheinbar noch nicht einmal wahrgenommen hatte, ließ Übles ahnen. Er stellte seinen Kaffee ab und eilte nach oben. Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich, als er die Tür zum Gästezimmer öffnete. Ein Blick auf den weinend am Boden kauernden, unbekleideten blonden Jungen reichte aus. Chris zog die Decke vom Bett und ging neben Marcus in die Knie um ihn darin einzuwickeln. Der Junge schluchzte fürchterlich und sackte regelrecht in seinen Armen zusammen. "Ich hab alles verbockt..." wimmerte er. Trotz des leichten Gefälles gab Gary immer wieder mit dem Fuß Gas, er beschleunigte sein Skateboard um möglichst schnell viel Distanz zwischen sich und Marcus zu bringen. Immer noch pochte dumpfer Schmerz in seiner Lendengegend. Er kochte vor Wut obwohl er nicht einmal genau wusste, warum und auf wen. Das Schlimme war, dass es ihm genau bewusst war, dass er einen Fehler gemacht hatte. Hatte er wirklich angenommen, Marcus wäre jemand, der nur seine Geilheit befriedigen wollte? Dazu hatte er den anderen Jungen in den letzten Tagen zu gut kennen gelernt. Sie hatten über alles mögliche gesprochen und Marcus schien sehr nähebedürftig. Nachdem er nun seinen Hintergrund kannte, war das nur noch verständlicher. Warum hatte er daran nicht gedacht, als er das gestern zuließ? Und warum hatte er es eigentlich zugelassen? Er hatte noch nie Ambitionen in Richtung eines Mannes verspürt und sich für durch und durch hetero gehalten, doch so erschreckend der Gedanke war, was er gestern mit Marcus gemacht hatte, hatte ihm gefallen. Aber heute morgen, als er mit einem Jungen im Arm aufgewacht war, hatte er plötzlich Panik bekommen. Das Ganze lief in eine völlig falsche Richtung und machte ihm Angst. Und als Marcus ihm dann auch noch seine Liebe gestanden hatte. "Ich liebe dich"... so etwas hatte noch niemand zu ihm gesagt. Er selbst tat sich auch schwer, diese Worte jemandem gegenüber auszusprechen, zumindest wenn es um eine Beziehung ging. Aber bei Marcus hatte das trotz seines Zorns ehrlich geklungen, keine Floskel, die so dahin gesagt wurde. Marcus liebte ihn... aber Gary sah sich nicht in der Lage, dies zu erwidern, er wusste ja selbst nicht genau, was er fühlte, was mit ihm geschah. Und jetzt hatte er genau den falschen Weg eingeschlagen. Er hatte Marcus verletzt, dass wurde ihm in diesem Augenblick schlagartig klar. Das, was er da mit ihm abgezogen hatte, war einfach falsch gewesen. So sehr er sich dessen auch schämte, er würde mit Marcus reden müssen, all das klären. Und er musste sich endlich klar werden, was er fühlte. Eben als er den Entschluss fasste umzukehren, ertönte plötzlich die Hupe eines Autos. Der schrille Ton holte Gary in die Wirklichkeit zurück, aber alles ging zu schnell. Er sah etwas silbernes aufblitzen, hob im Affekt die Arme vors Gesicht, dann wurde er von den Füssen gerissen und seine Welt verschwand in einem tosenden Wirbel aus Schmerzen und Dunkelheit. Daniel Madison war auf dem Weg zur Arbeit. Es war ein herrlicher Tag, sonnig, warm. Und er hatte ausnahmsweise sogar Spaß am Aufstehen gehabt, was vermutlich an seiner neuen Freundin lag, die ihm das Aufwachen auf ihre ganz besondere Art versüßt hatte. Er war heute richtig gut drauf und konnte sich nicht vorstellen, dass ihm irgendetwas die Laune verderben konnte. Wie sehr er sich irrte, wurde ihm in dem Augenblick klar, als der brünette Junge auf dem Skateboard ohne Vorwarnung auf die Straße geschossen kam. Daniel trat in die Bremsen, so fest er konnte und drückte gleichzeitig im Reflex die Hupe durch, aber zu spät. Er fuhr die erlaubte Geschwindigkeit, aber die Wucht des Aufpralls reichte aus, um den Jungen auf die Motorhaube zu katapultieren. Er rutschte davon ab und stürzte zurück auf die Straße, sein Skateboard landete einige Meter entfernt. Daniel riss sein Handy aus der Freisprechanlage und wählte den Notruf, er reagierte wie eine Maschine. Er nannte der Dame am anderen Ende die Straße, in der er sich befand und legte auf, als sie ihm versichert hatte, dass ein Krankenwagen schon auf dem Weg war. Für eine Sekunde dachte er daran, den Rückwärtsgang einzulegen und zu verschwinden, aber ebenso schnell verwarf er den Gedanken wieder. Er verließ den Wagen. Auf seiner Motorhaube klebte ein wenig Blut und der Junge lag verkrümmt auf dem Boden vor dem Wagen. Daniel wusste, dass es fatal sein könnte ihn zu bewegen, deswegen widerstand er dem Drang, genau dies zu tun. Denn die Position des Jungen sah sehr schmerzhaft aus. Sein rechter Arm war merkwürdig verdreht, damit war er wohl voll gegen den Wagen geknallt. Sein Kopf blutete, warum trug er auch keinen Helm? Daniel hatte wahnsinnige Angst, dass er ihm hier auf der Straße wegstarb. Er kniete sich neben den Jungen. Dieser atmete zum Glück noch. "Halt durch. Hilfe ist unterwegs." "Ma...rc..." "Marc? Ist das dein Name?" Aber der Junge war ohnmächtig geworden. "Bitte, halt bitte durch..." Daniel war mit den Nerven am Ende. Dabei hatte er noch vor ein paar Minuten gedacht, dass dieser Tag wundervoll werden würde. Der Küchentisch war mit Taschentüchern bedeckt. Marcus schluchzte immer noch. Chris saß ihm gegenüber. Er war fassungslos über das, was da geschehen war. Nur mit Mühe hatte er es überhaupt geschafft, Marcus zum Reden zu bringen. Und es graute ihm jetzt schon davor, was passieren würde, wenn Jason heimkäme. Das war genau das, was sein Freund befürchtet hatte, die große Katastrophe, der Knall. So ganz hatte er die Zusammenhänge noch nicht durchschaut, aber offenbar hatte das noch nicht einmal Marcus vollkommen. Als das Telefon klingelte, zuckte er zusammen. "Einen Moment." "Okay..." Marcus' Stimme erstickte immer noch beinahe in Tränen. Chris eilte an den Apparat neben der Küchentür. "Fairgate... Jason! Wo bist du denn bloß? Muss der Bäcker erst noch das Mehl für die Brötchen mahlen?" Es entstand eine Pause, während er wohl Jason zuhörte. "Was?! Nein!" Marcus wurde hellhörig, Chris schien total schockiert, es musste etwas passiert sein. "Wir sind auf dem Weg! Bis gleich!" Er legte auf, sein Gesicht war kalkweiß. "Was...was ist?" "Gary... er hatte einen Unfall... er ist angefahren worden." ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Oh! My! God! Ist dieses Kapitel so lang (In Word sind es 16 Seiten)? Ich hoffe es überschreitet nicht die Animexx Bestimmungen und wird geteilt >_< Aber dieses Kapitel ist dermaßen wichtig, ich konnte es nicht trennen und ich konnte es nicht kürzer machen als es ist, am Ende habe ich mich schon kürzer gefasst als ich es wollte (eigentlich sollte der Zoff zwischen Marc und Gary weitaus heftiger werden). Ich habe so lange mit mir gerungen, ob ich die Beiden nun miteinander ins Bett schicke oder nicht. Ich hab mich dafür entschieden und hoffe, dass es nicht allzu sehr wie Fan-Service wirkt ;-) Ich hatte schon länger Neugier als Motivation für Gary im Kopf, sobald er erfahren würde, dass Marcus schwul ist und als KatoKira ebenfalls eine Idee in dieser Richtung äußerte, fand ich es vielleicht gar nicht so abwegig. Dies ist immer noch eine Geschichte und so lange Chris nicht plötzlich stirbt, Jason Wochen später morgens aufwacht, ihn unter der Dusche antrifft und realisiert, dass alles nur ein Traum war (so geschehen als Patrick Duffy "Dallas" verlassen wollte, seine Serienfigur Bobby starb, Duffy aber nach einer Staffel zurückkehren wollte und man seinen Tod und sämtliche Ereignisse der vergangenen Season kurzerhand zu einem bösen Traum seiner Ehefrau Pamela machte und für nichtig erklärte. Diesen Heckmeck machte man wohl auch, weil der Ausstieg Duffys den Quoten nicht gerade gut tat) kann ich mir wohl erlauben, den bisherigen Hetero Gary neugierig zu machen *lach* Damit ist die Story Arc um Gary und Marcus auf dem Höhepunkt (vielleicht waren es auch mehrere *g*) angelangt. Diesen Cliffhanger hatte ich seit Wochen im Kopf, mitsamt seiner Konsequenzen. Vielleicht geht es mit dem nächsten Kapitel etwas schneller als mit diesem, denn ich freue mich schon sehr darauf. Jetzt geht es rund *g* Ach ja, ich hoffe Garys Kampf für Marcus ist nicht zu abgehoben, es hat einen ziemlichen Actionheld Pathos, aber genau das war beabsichtigt, deshalb konnte ich es mir auch nicht verkneifen, dass Gary den Dealer am Ende niederschlägt. Er ist eben ein Held wie sein Bruder ;-) Und baut genauso gern Mist wie dieser, da sieht man die Familienähnlichkeit ^^ Special Thanks erneut an Alaska für super schnelles Korrekturlesen und ein paar wirklich gute Vorschläge für einige etwas holprige Formulierungen ^^ Letzteres gilt auch für KatoKira, die mir geholfen hat, aus einem Satz die vielen Küsse zu streichen *lol* *knuddels*!!! Bis zum nächsten Chap! ^^ Euer Uly PS: Im letzten Moment habe ich die Überschrift verändert, da der bisherige Titel "A wrong day's journey into right...?" etwas umständlich war ;-) Kapitel 17: The sweetest goodbye (Part 3 of 3) ---------------------------------------------- "Sag mir bitte, dass das ein schlechter Scherz ist!" Marcus war so abrupt aufgesprungen, dass sein Stuhl scheppernd zu Boden fiel. Chris schüttelte den Kopf. "Jason war fix und fertig. Gary ist mit seinem Skateboard direkt vor ein Auto gerast. Der Fahrer konnte nicht mehr ausweichen und hat ihn voll erwischt. Er liegt im Memorial. Seine Eltern sind auch schon da." "Ich muss da hin, Chris!" "Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Nach all dem, was zwischen euch passiert ist?" "Willst du mich etwa hier lassen?!" empörte sich Marcus. "Und wenn ich den ganzen Weg zum Krankenhaus laufe, ich will da hin!" "Ist ja gut." Chris hob die Hände. "Ist okay." Er sah sich um. "Shit, wie kommen wir da jetzt hin. Um diese Uhrzeit ein Taxi zu bekommen, wird dauern. David hat sicher keine Zeit, der wird in der Kanzlei sein...Moment." Er lief ins Wohnzimmer zum Telefontisch und kramte in seinem Adressbuch, Marcus, der ihm gefolgt war, blieb im Türrahmen stehen. Er war immer noch blass. "Was machst du da?" "Warte, ich hab es gleich." Eilig suchte er in dem kleinen Adressbuch, das dort lag, herum. Endlich hatte er das Gesuchte entdeckt, nahm den Hörer und wählte mit flinken Fingern eine Nummer. Er wartete kurz bis am anderen Ende abgenommen wurde. "Hi, ich bin es, Chris Fairgate. Ich hab ein großes Problem, ich brauche jemanden, der mich zum Memorial fahren könnte." Pause. "Nein, nein, keine Panik, mir geht es gut und Jason auch. Ich erklär dir alles später." Erneut eine Pause. "Das würdest du tun? Hast du wirklich Zeit?" In der folgenden Unterbrechung lächelte Chris glücklich. "Okay, ich komme dann raus, du weißt ja, wo wir wohnen. Tausend Dank, Sly, das vergesse ich dir nicht!" Er legte auf. "Sly?" "Der Exfreund von Jasons neuem Partner." "Ach, der..." "Sag das nicht so komisch, schließlich war er sofort bereit uns zu fahren." Marcus sah auf den Boden. "Tut mir leid...Chris, ich hab Angst...wenn er..." "Sag es nicht! Denk es nicht einmal!" unterbrach ihn der blonde Mann scharf. "Das darfst du nicht, okay?" Marcus nickte nur und eine Träne lief über seine Wange. "Mach dich fertig, Sly wird bald hier sein." "Okay..." Marcus ging nach oben. "Was ist denn eigentlich passiert?" fragte Sly ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Er war total überrascht gewesen, als Chris ihn angerufen hatte, auch wenn die Überraschung eine sehr schöne war. Immer wieder schaute er vorsichtig zu dem blonden Mann hinüber, bewunderte sein hübsches Gesicht im Profil. Allerdings musste er aufpassen, dass der Junge das nicht merkte, aber der schien eh mit seinen Gedanken vollkommen woanders. Beide, Chris und er, wirkten total angespannt und nervös. "Jasons Bruder ist angefahren worden..." "Shit!" Chris nickte. "Ich weiß nichts genaueres. Jason ist schon im Krankenhaus, seine Eltern auch. Ich hab Gary heute morgen mit dem Skateboard aus dem Haus gehen sehen, beim Fahren muss es passiert sein." "Es ist meine Schuld..." "Hör auf so einen Mist zu reden!" sagte Chris mit dem Kopf nach hinten zu Marcus gewandt. "Du bist nicht schuld!" Er merkte, wie hart er klang und lächelte. "Entschuldige, ich wollte dich nicht anmotzen, aber ich bin total mit den Nerven fertig." "Ich doch auch..." "Ich hatte auch mal einen Unfall..." warf Sly ein, offenbar um die Situation etwas zu lockern. "Mir ist ein Radfahrer vors Auto gerast, aber ich hab damals rechtzeitig bremsen können. Ich hab ihn nur leicht angestupst. Hat aber für eine Gehirnerschütterung gereicht..." Er registrierte, dass diese Art von Geschichte kaum hilfreich war. Seine Wangen färbten sich rötlich. "Entschuldigt, ich baue echt nur Mist. Wenn es ein Fettnäpfchen gibt, dann trete ich garantiert rein." "Ist schon gut. Allein, dass du für uns da warst, um uns zu fahren, ist Gold wert und entschuldigt jedes Fettnäpfchen." Daraufhin herrschte wieder Schweigen. Marcus sah aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Häuser. Sein Herz pochte laut in seiner Brust. Er fühlte sich leer, wie eine Hülle, es wollte ihm einfach nicht in den Sinn, wie all das passieren konnte. Gestern Abend war doch noch alles okay gewesen. Gary und er waren Freunde, Gary hatte ihm sogar buchstäblich das Leben gerettet. Und dann das. Wenn er Gary nicht so geküsst hätte, wäre vielleicht überhaupt nichts geschehen. Dann wäre Gary nicht weggelaufen und hätte nicht den Unfall gehabt. Hätte, würde, sollte, das alte Spiel. Er wusste nicht, was er tun würde, sollte Gary sterben. Wie sollte er jemals mit dieser Schuld leben? Gleichzeitig hatte er wahnsinnige Angst, Jason gegenüber zu treten. "Da wären wir." Marcus zuckte bei der Feststellung Slys zusammen. Vor ihnen ragte der große Komplex des San Francisco Memorial auf, modern, kühl und bedrückend. Chris rieb sich mit den Händen über die Oberarme, ganz so als würde er frieren. "Ich hasse dieses Krankenhaus... als ich das letzte Mal hier war, hat Jason seinen Partner verloren. Keine schöne Erinnerung..." "Kann ich mir denken. Soll ich vielleicht hier bleiben?" Chris schüttelte den Kopf. "Nein, ist schon gut. Du kannst ruhig fahren. Ich will nicht noch mehr von deiner Zeit stehlen." "Tust du nicht." Der blonde Mann lächelte. "Trotzdem, ist wirklich okay." "Wenn du meinst." Chris drehte den Kopf nach hinten. "Gehen wir?" Marcus nickte zögerlich, die Angst schnürte ihm mittlerweile beinahe die Kehle zu. Seine Hände waren eiskalt und zitterten. "Ist gut." Er stieg aus. Chris tat es ihm nach. Bevor er die Tür schloss, beugte er sich noch einmal zu Sly hinunter. "Ich danke dir, dass war wirklich nett. Ich melde mich, sobald ich etwas weiß, okay?" "Mach das. Ich hoffe, dass Jasons Bruder nichts passiert." "Ich auch...bis dann." "Bis dann..." Die Tür fiel ins Schloss und Sly beobachtete die Beiden, wie sie Richtung Hospital gingen. Chris und Marcus sahen wirklich aus wie Brüder, nur dass Chris' Haare um einiges länger waren. Es war heute windig und Böen fegten durch die blonden Strähnen des Mannes. Ein wunderschöner Anblick. Sly riss sich von diesen Gedanken los, es gab momentan wirklich wichtigeres. Er zog sein Handy aus der Tasche und drückte die Taste sechs durch, bis die im Kurzwahlspeicher abgelegte Nummer aktiviert wurde. Einen Moment lang musste er warten, bis am anderen Ende abgenommen wurde. "Donovan? Ich bin es, Sly. Du, ich fühl mich nicht so gut, hab mir den Magen wohl verdorben. Würde es dir was ausmachen, ausnahmsweise meine Schicht zu übernehmen? Hast auch was gut bei mir." Er verfolgte nebenbei, wie Chris und der Junge im Krankenhauseingang verschwanden. "Danke, Donovan. Ich mach es wieder gut! Bis dann!" Lächelnd legte er auf. Das wäre geklärt. Zwar hatte Chris ihm gesagt, dass er fahren sollte, aber er wollte auf jeden Fall hier bleiben, falls er doch seine Hilfe brauchen würde. Er konnte ja im Foyer warten. Entschlossen stieg er aus, verriegelte den Wagen und lief über den Parkplatz Richtung Klinik. Als Jason Chris und Marcus in den Warteraum kommen sah, sprang er auf und eilte seinem blonden Freund entgegen. Er zog ihn in seine Arme und hielt ihn einen Moment lang einfach nur fest, um seine Nähe zu spüren. Marcus blieb ein Stück entfernt stehen und sah auf seine Füße. Unruhig bewegte er sich hin und her. Sie waren allein im Raum, worüber Marcus unglaublich glücklich war. "Weißt du schon was?" fragte Chris, als er sich aus Jasons Umarmung löste. "Mum und Dad sind bei ihm. Er ist noch ohne Bewusstsein, aber er wird durchkommen. Momentan weißt nichts auf Komplikationen hin. Sein Arm ist gebrochen, zwei Rippen und der Fuß. Wird wohl einige Zeit dauern, bis er sämtlichen Gips los ist. Er war am Kopf verletzt, weil er keinen Helm getragen hat, aber da hatte er Glück im Unglück. Nur eine Gehirnerschütterung, aber keinerlei Anzeichen für ein Aneurysma oder so." "Dann wird er nicht sterben?" Jason wandte sich Marcus zu. "Nein, wird er nicht." Er ging zu dem Jungen herüber und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Du brauchst keine Angst haben. Sein Leben ist außer Gefahr." "Gott sei Dank..." Marcus glaubte regelrecht zu spüren, wie ihm ein tonnenschwerer Stein vom Herzen fiel. Die erste Hürde war genommen. Dass Gary nicht in Lebensgefahr war, stellte eine wunderbare Nachricht dar. Aber immer noch blieb die Tatsache, dass er wegen ihm einen Unfall gehabt hatte. "Ich begreife nur nicht, wie Gary so dumm sein konnte. Er ist direkt vor dieses Auto gefahren. Der Fahrer ist vollkommen fertig, aber es gab Augenzeugen, die bestätigen, dass er sich vollkommen korrekt verhalten hat. Gary war der, der Mist gebaut hat. Er ist verdammt noch mal einfach auf die Straße gefahren ohne zu gucken!" Jason hatte sich regelrecht in Fahrt geredet und gestikulierte, um seine Worte zu untermalen. Chris strich ihm sanft über die Wange. "Vielleicht kann er ja sagen, was los war, wenn er wieder aufwacht, wir..." "Es war meine Schuld." Die beiden Männer sahen Marcus vollkommen verständnislos an. Der Junge hatte vollkommen resigniert geklungen, voller Schuldgefühle. Chris fing sich zuerst. "Rede nicht so einen Quatsch!" "Aber es ist so!" hielt Marcus dagegen. "Wenn wir nicht..." "Sei still!" schnitt ihm Chris das Wort ab, aber es war zu spät. "Wenn ihr nicht was?" Chris fasste Jason an den Oberarm. "Jason, bitte, ich..." Sein Freund schüttelte die Hand ab, als sei sie ein lästiges Insekt. "Ich will wissen, was er meint, Chris!" "Bitte sei nicht sauer auf Chris, er will mir nur helfen!" "Marcus, ich flehe dich an, sei still!" Chris schien regelrecht Panik zu haben. "Das ist jetzt nicht der Ort und auch nicht die Zeit, um ihn damit zu belasten!" "Wann soll ich es ihm denn sonst sagen?" "Verflucht, hört endlich auf zu reden als sei ich nicht da!" Jason war so laut geworden, dass sowohl Chris als auch Marcus zusammenfuhren. "Ich will wissen, was los ist!" "Gary und ich...wir waren...miteinander im Bett..." Schockierte Stille senkte sich über den Raum. Jason starrte Marcus an, der nur mit Mühe seinem Blick stand hielt. Chris hörte sein eigenes Herz pochen, er erkannte genau, dass sich gerade Wut in seinem Freund aufbaute und er wusste nicht, wie er Herr der Lage werden sollte, wenn Marcus sämtliche diplomatische Versuche mit seinem übereilten Geständnis boykottierte. "Ihr wart was?!" "Wir haben... ich hab ihn gestern Abend geküsst und dann ist es einfach passiert... und heute morgen haben wir uns gestritten und er ist weggelaufen... ich glaube er war so sauer, dass er... dass er..." "Weil er nicht fassen konnte, zu was du ihn gebracht hast! Deswegen hat er nicht auf das Auto geachtet! Weil er so verstört war wegen dir!" "Nein... ich meine..." "Ich hab es doch gewusst, dass du nur Ärger machen würdest!" "Jason, bitte!" Chris versuchte, das Schlimmste zu verhindern. "Nein!" Jason machte sich nicht die Mühe seine Stimme zu senken, als er mit Chris sprach. "Diesmal nicht! Diesmal ergreifst du nicht seine Partei! Diesmal nicht!" Er wandte sich wieder Marcus zu. Plötzlich war er ruhiger, dabei aber lauernd und wirkte eiskalt. Beinahe hasserfüllt. "Das hast du wirklich gut gemacht, Marcus. Ich hoffe du hattest deinen Spaß. Denn das wolltest du doch die ganze Zeit, oder? Aber ich werde dir jetzt mal was verraten." Er ging auf Marcus zu, der ängstlich zurückwich. "Das Leben ist nicht nur Spaß. Weißt du eigentlich, was Gary nach der Schule machen wollte?" Der Junge schüttelte den Kopf. "Er hat dir sicher mal erzählt, dass er Baseball spielt, oder? Gary liebt Baseball, er hat es sogar zum Kapitän der Schulmannschaft gebracht und sein Sportlehrer hat ihm eine glänzende Zukunft prophezeit. Gary träumt davon, nach der Schule Profibaseballer zu werden und er hat gute Chancen. Oder besser: Er hatte!" "Was meinst du damit?" Marcus' Stimme zitterte. "Das werde ich dir sagen, Marcus. Garys rechter Arm ist mehrfach kompliziert gebrochen. Er wird wieder zusammen wachsen, aber er wird niemals wieder so wie zuvor. Er wird ihn nicht mehr belasten können wie früher. Der Arzt hat gesagt, dass er niemals wieder Baseball spielen darf, weil das eine zu große Belastung für seinen Arm wäre. Weißt du, was das bedeutet? Garys größter Traum, seine Zukunft, all das ist dahin! Unwiederbringlich. Wenn Gary aufwacht, wird er erfahren müssen, dass er all seine Träume begraben kann. Und das verdankt er dir! Ich möchte, dass du weißt, was du meinen Bruder gekostet hast! Was du ihm durch deinen Egoismus weggenommen hast. Du allein hast seine Zukunft auf dem Gewissen! Nur damit du es weißt! Und jetzt leb damit!" Marcus starrte Jason mit weit aufgerissenen Augen an. Dann warf er sich auf dem Fuß herum und rannte weg. "Marcus!" Chris lief zu Tür, aber er sah ihn gerade noch um die Ecke verschwinden. Fassungslos blickte er seinen Freund an. "Das war vollkommen unnötig!" "War ja klar, dass du dich auf seine Seite stellst! Ihr könnt mich beide mal!" Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, verließ Jason den Raum. Chris blieb allein zurück. Er konnte nicht fassen, was eben geschehen war. Und ebenso wenig wusste er, was er nun tun sollte. Sollte er jetzt Marcus nachlaufen? Oder lieber Jason? Seine Hände zitterten. Er war mit der Situation vollkommen überfordert. Warum musste das passieren? Die ganze Lage war vollkommen außer Kontrolle. "Chris?" Er sah auf. "Sly. Was machst du denn hier?" "Ich konnte doch nicht einfach verschwinden." Der junge Mann kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf. "Ich wollte hier bleiben, falls du... ihr mich braucht. Ich hab eben Marcus weglaufen sehen. Was ist denn bloß passiert?" "Hier bricht alles zusammen, das ist passiert..." Chris Stimme versagte. "Alles geht schief..." Er spürte, dass Tränen in seine Augen traten, obwohl er das nicht wollte. Die Kälte mit der Jason Marcus behandelt hatte, die Art, wie er ihn gerade hatte stehen lassen, all das war zuviel für den harmoniebedürftigen Mann. So sollte das nicht laufen. Sly schien zu merken, was in ihm vorging, mit wenigen Schritten war er bei ihm und umarmte ihn. "Hey, ist ja gut... ist ja gut..." Chris versank regelrecht in der Wärme seiner Umarmung, er presste sich an den brünetten Mann und schluchzte. Slys linke Hand glitt über seinen Rücken, während er ihm mit der rechten über das Haar strich. Er wusste, dass das nicht die Situation dafür war, aber er konnte nicht anders als festzustellen, wie gut Chris roch. Ihm so nahe zu sein, war ein wunderbares Gefühl. Er war versucht, seine Hand näher an den Po des blonden Mannes zu legen. Am liebsten hätte er ihn nie wieder losgelassen. In diesem Moment wurde er aber dazu gezwungen. Und zwar von Jason. Der Polizist packte ihn, riss ihn mit voller Wucht von Chris weg und drückte ihn gegen die Wand. Sly bekam es mit der Angst zu tun, als er die Wut in Jasons Augen sah. "Wenn du ihn noch einmal so anfasst, dann ramme ich dich durch die Wand, verstanden?!" "Ich... ich wollte doch nur..." "Verdammt, Jason, hör auf!" schrie Chris in diesem Moment. Jason funkelte ihn an. "Wieso lässt du zu, dass er dich so anfasst?" "Er wollte mich nur trösten! Er hat mich bloß in den Arm genommen! Sly war wenigstens da, im Gegensatz zu dir!" "Ja, das habe ich gesehen!" "Jason, du machst mir Angst! Bitte, komm endlich von diesem Trip runter! Das hilft Gary doch auch nicht. Lass Sly los. Er kann nichts dafür und er hat nichts getan!" Ein paar Sekunden lang schien es, als würde er nicht zu seinem Freund durchdringen, doch dann ließ dieser Sly los, der keuchend von ihm wegstolperte. Jason senkte den Blick. "Tut mir leid..." Sly rieb sich die Oberarme, an denen Jason ihn gepackt hatte. Das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass er Jason noch nicht einmal sauer sein konnte, denn er hatte ja wirklich mehr in dieser Situation empfunden. Natürlich hatte er Chris trösten wollen, aber er hatte nicht damit gerechnet, wie wundervoll es sich anfühlen würde, ihn im Arm zu halten. Aber der Zorn im Blick Jasons hatte ihn in die Wirklichkeit zurück geholt. Er würde keine Chance gegen diesen Mann haben und um ehrlich zu sein, hatte er nun regelrecht Angst vor ihm. So ganz konnte er das auch nicht wieder verdrängen, obwohl Jason sich nun wieder vollkommen normal verhielt und sich sogar entschuldigte. "Ist schon...okay... war ja nur ein Missverständnis." Er sah auf die Uhr, obwohl er gar nicht unter Zeitdruck war. "Ich muss dann mal los, ich hab Mittagsschicht." Chris nickte. "Ist gut, ich sag dir bescheid, wenn es was Neues gibt." "Danke." Er wandte sich zum Gehen. "Sly!" Es kostete ihn einige Überwindung, noch einmal zu Jason zu sehen, doch der junge Polizist lächelte nur verschämt. "Ich hoffe, dass das nicht unser Verhältnis beeinträchtigt... ich hab überreagiert, aber ich bin mit den Nerven am Ende... tut mir wirklich leid." Sly konnte nicht anders als ebenfalls zu lächeln. "Schon gut. Kann man ja verstehen. Ist okay." "Danke." Sly beantwortete dies nur mit einem Kopfnicken und ging dann. Als er draußen war, atmete Chris hörbar aus. "Bist du jetzt wieder du selbst? Das war ja schlimm, du hast mir wirklich Angst gemacht." Jason ließ sich auf einen der Stühle des Warteraumes fallen. "Das wollte ich nicht... ich bin einfach ausgetickt... ich bin nur zurück gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen und dann hab ich gesehen, wie er dich umarmt und..." "Das ist doch nichts anderes, als wenn David das tut." Jason seufzte. "Ich weiß, aber bei ihm stört mich das irgendwie... würdest du wollen, dass ich Ash umarme?" "Ich würde dir vertrauen!" "Ich dir doch auch!" "Das wirkte aber gerade nicht so. Sly ist nur ein Freund und selbst das noch nicht lange. Aber man kann sich auf ihn verlassen. Er war sofort da, als Marcus und ich hierher mussten und er ist obwohl ich gesagt hatte, dass er fahren kann, hier geblieben falls wir ihn brauchen. Er ist nur hierher gekommen, weil er Marcus hat weglaufen sehen." "Hör mir auf mit dem!" schnaubte Jason. "Das ist nicht gerade zuträglich für meine Nerven." Chris stemmte die Hände in die Hüften. "Es tut mir leid dir das sagen zu müssen, aber die Art wie du ihn eben behandelt hast, war das Allerletzte! Das hat er nicht verdient!" Jason sprang auf. "Hat er nicht?!" Er wurde schon wieder laut. "Hör endlich auf, ihn in Schutz zu nehmen! Du hast meinen Bruder noch nicht da im Bett liegen sehen! Er sieht schlimm aus! Er hätte wegen Marcus auch tot sein können! Ich will, dass dieser Junge aus unserem Haus verschwindet!" "Hör auf mich anzuschreien!" "Dann hör du auf, seine Partei zu ergreifen!" "Einer muss es doch tun!" schnappte Chris. "Nicht, wenn er es nicht verdient! Nur wegen seiner Geilheit liegt mein Bruder hier! Er ist das Opfer dieser Geschichte, nenn mir einen Grund, warum Marcus irgendein Recht hatte, das mit meinem Bruder abzuziehen!" "Weil er ihn liebt!" stellte Chris ohne mit der Wimper zu zucken fest. "Er tut...was?!" Das Entsetzen in Jasons Stimme war unüberhörbar. "Er liebt ihn, Jason. Er hat sich in ihn verliebt, deswegen hat er es zugelassen, dass das geschehen ist. Er hat unglaubliche Angst um ihn." "Marcus weiß doch gar nicht, was Liebe ist! Er ist sechzehn." "Jetzt wirst du unfair." Chris fuhr sich mit der Hand durch die Haare. "Selbst mit sechzehn kann man sich wirklich verlieben. "Wie lange weißt du es schon?" Chris ging zu Jason hinüber und schlag die Arme um seine Hüften. Er lehnte sich mit der Wange an seine Schulter. "Seit ein paar Tagen. Er hat es mir anvertraut, weil er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Er meinte, Gary sei vollkommen unempfänglich für seine Signale, er war deswegen total am Boden. Allerdings hatte er mir gesagt, dass er aufgibt, aber so ganz geglaubt habe ich ihm das nicht... aber ich begreife trotzdem nicht, wie es passieren konnte, dass die beiden miteinander ins Bett gegangen sind. Ich meine, Gary ist doch niemand, der sich dazu zwingen lässt, schon gar nicht von einem Jungen wie Marcus. Und Marcus ist nicht der Typ, der jemanden bedrängt, dazu ist er viel zu schüchtern..." "Und da bist du dir sicher?" Chris schmiegte sich an ihn. "Schatz, hör dir doch mal selbst zu. Du kennst Marcus mittlerweile auch." "Jason?" Die Beiden sahen zur Tür. Dort stand Emily Cunningham. Chris erschrak fast, als er Jasons Mutter erblickte. Emily Cunningham war stets eine adrette Dame, doch jetzt wirkte sie müde, alt, als wäre sie innerhalb von Stunden um Jahre gealtert. Die Sorge um ihren Sohn hatte sie gezeichnet. "Mutter?" "Er ist wach, Jason." "Kann ich zu ihm?" Emily nickte. "Aber pass auf, was du sagst. Er weiß noch nichts, der Arzt hat gesagt, wir sollen ihn nicht sofort damit konfrontieren." "Dann weiß ich bescheid. Kommst du mit, Chris?" Sein Freund schüttelte den Kopf. "Nein, ich komme nach. Ich muss Marcus suchen, das verstehst du, oder?" "Tu das..." Chris drückte ihm einen Kuss auf die Wange. "Bis später" Er eilte aus dem Raum. "Habt ihr euch gestritten?" Jason sah seine Mutter an. Er wollte sie nicht auch noch damit belasten, sie musste nicht wissen, dass nun auch noch ihr anderer Sohn mit einem Mann ins Bett gegangen war, selbst wenn es hier um einen sechzehnjährigen Jungen ging. "Nein, die Nerven liegen nur etwas blank, alles okay." Marcus rannte einfach immer weiter. Seine Lungen brannten mittlerweile wie Feuer, die Seitenstiche waren kaum noch auszuhalten. Während der kurzen Zeit, die sie sich im Krankenhaus aufgehalten hatten, hatte sich der Himmel bewölkt. Dunkle Regenwolken türmten sich über der Stadt und hatten längst begonnen ihren Inhalt auf die Straßen zu ergießen. Damit hatte kaum jemand gerechnet, überall eilten die Passanten durch die Gegend, Jacken, Zeitschriften oder ähnliches über den Kopf haltend, in der Bemühung nicht nass zu werden. Marcus war bereits bis auf die Haut durchnässt, aber er achtete überhaupt nicht darauf. Tränen rannen über seine Wangen, unaufhörlich, wie der Strom des Regens. Er wusste nicht wohin er lief. Zu allem Überfluss stolperte er und fiel kopfüber in eine große Schlammpfütze. Das schmutzige Wasser spritzte auf und Marcus bekam sogar etwas in den Mund, es schmeckte widerlich. Niemand kam ihm zur Hilfe, aber das hatte er auch nicht verdient. Er stemmte sich hoch und lief weiter, immer weiter. In seinem Kopf schwirrten die Worte Jasons in einem tosenden Strudel durcheinander. Er hatte Garys Leben ruiniert, er ganz allein. Er konnte dem Jungen nicht mehr unter die Augen treten, auf keinen Fall. Und Jason hasste ihn jetzt, Chris wahrscheinlich auch. Er war wieder vollkommen allein. Er hatte weder Geld für ein Taxi oder den Bus, noch Kleingeld zum Telefonieren. Also rannte er immer weiter in das Unwetter hinein. Jason schluckte, als er das Zimmer seines Bruders betrat. Der junge Mann war überall bandagiert. Am Kopf, um den Oberkörper, zudem steckte sein Arm in einem dicken Gips. Bei dem Gedanken daran, dass dieser Bruch das Ende aller Träume seines Bruder darstellte, spürte Jason schon wieder kalte Wut in sich auflodern, egal ob Marcus seinen Bruder nun liebte oder nicht. Er hatte mit seinem Verhalten all dies hier zu verantworten! Der Regen hämmerte gegen die Scheibe und übertönte die Geräusche der Maschinen, an die Gary zur Überwachung angeschlossen war. Draußen herrschte eine wahre Weltuntergangsstimmung, ein so heftiges Unwetter hatte es dieses Jahr noch nicht gegeben. Gary sah müde aus. "Hi, Bruderherz." Seine Stimme war schwach. "Na du." Jason rang sich ein Lächeln ab. "Was machst du bloß für Sachen?" "Tut mir leid, Jay. Ich... ich weiß gar nicht mehr genau, was los war..." Jason setzt sich auf einen Stuhl neben dem Bett. "Du bist angefahren worden." "Bin ich? Alles, woran ich mich erinnern kann, ist ein lautes Geräusch... Quietschen... dann nichts mehr... nur das es weh tat." "Du bist direkt vor ein Auto gefahren. Der Fahrer konnte nicht mehr reagieren und hat dich voll erwischt, obwohl er noch gebremst hat. Wahrscheinlich waren seine schnellen Reflexe dein Glück, er hat dich nicht mit voller Wucht erfasst..." Gary schloss für einen Moment die Augen, als müsse er sich sammeln und seine Gedanken ordnen. Immer noch klafften da große Lücken, ein furchtbares Gefühl. "Mum war gar nicht sauer..." "Das kommt noch, im Moment hast du den Bonus, dass sie sich um dich sorgt!" lachte Jason. "Bist du sauer auf mich?" Er strich seinem Bruder über den nicht verletzten Arm. "Nein, nur glücklich, dass du noch lebst." "Ist... ist Marc auch hier?" Jason sah ihn verdutzt an. "Warum fragst du das?" "Ich will mit ihm reden." "Ich weiß nicht, warum du das solltest! Ich habe ihn weggeschickt!" Jason konnte es nicht fassen. Er hatte erwartet, dass Gary stinksauer auf Marcus sein würde und ihn niemals wieder sehen wolle, aber doch nicht, dass er ein Gespräch suchte. "Warum denn das?" Es war offensichtlich, dass Gary, wenn er es gekonnt hätte, sich nun im Bett aufgesetzt hätte. So konnte er Jason nur schockiert ansehen. "Weil ich stinksauer auf ihn bin! Er hat mir alles erzählt. Er hat zugegeben, dass er Schuld an allem ist, dass er dich verführt hat! Und das ihr euch dann so gestritten habt, dass dir dieser Unfall passiert ist." "Aber das stimmt doch gar nicht!" "Bitte?!" Gary wurde immer aufgeregter. "Jason, ich hab ihn zuerst geküsst! Nicht er mich. Er hat mir nicht einmal Avancen gemacht. Als ich erfahren habe, dass er schwul ist... nun ja... weißt du... weil du doch... ich hatte einfach Angst. Ich wollte wissen, ob ich es auch bin. Und dann ist es einfach passiert. Ich hab ihn geküsst und damit ermutigt. Ich war es sogar, der ihn quasi verführt hat. Und am nächsten Morgen habe ich kalte Füße gekriegt. Daran kann ich mich genau erinnern. Ich hatte Panik, weil ich morgens mit ihm im Arm aufgewacht bin und wollte aus der Sache raus. Und als er mir dann gesagt hat, dass das für ihn keine einfache Nummer war, sondern dass er mich liebt... da hab ich das runtergespielt und er ist sauer geworden... daraus ist der Krach entstanden, nicht etwa durch seine Schuld. Und ich bin nur so durch die Gegend gebrettert, weil ich sauer war, größtenteils auf mich selbst." Seine Worten brauchten einen Moment, um komplett zu Jason durchzudringen. Erst dann erfasste er die gesamte Tragweite dessen, was sein Bruder da gesagt hatte. Er hatte Marcus vollkommen zu unrecht beschimpft und ihm die Schuld in die Schuhe geschoben! "Oh mein Gott..." "Eines sage ich dir, Jason! Wenn Marcus sich deswegen etwas antut, habe ich die längste Zeit einen Bruder gehabt!" Gary sagte das knallhart, man merkte deutlich, dass er es vollkommen ernst meinte. "Ich muss ihn suchen!" Jason sprang vom Stuhl auf und eilte zur Tür. Er riss sie genau in dem Augenblick auf da Chris und seine Eltern das Krankenzimmer betreten wollten. "Was ist denn los, Jason? Ich wollte dir gerade bescheid sagen, dass ich Marcus nirgendwo finden kann. Er ist nicht mehr im Krankenhaus." Der Polizist schob Chris zur Seite und eilte den Gang hinab. "Ich hab einen Fehler gemacht!" rief er über die Schulter. "Ich fahre los und suche ihn, bleib du bei Gary! Ich muss Marcus finden und zwar schnell!" Chris sah ihm verdutzt nach. "Bist du ganz sicher? Danke, Ash!" Jason legte auf und atmete erleichtert aus. Er hatte sich über die Polizei versichert, dass er nicht etwa befürchten musste, Marcus nur noch tot aufzufinden. Sein Herz raste. Wenn er daran dachte, den Jungen zu verlieren und das nur wegen seiner impulsiven Dummheit... er würde nicht nur damit leben müssen, Marcus auf dem Gewissen zu haben, sondern auch den Hass seines Bruders zu spüren bekommen. Warum geriet er eigentlich immer in solche Situationen? Na ja, viele schuf er sich ja selbst. Darin war er Meister. Aber diesmal hatte er den Vogel abgeschossen. Marcus war so vom Leben gebeutelt und dementsprechend labil und dann musste er so etwas tun. Der Junge musste vollkommen verstört sein... was ja auch letztendlich seine Absicht gewesen war. Jason hätte sich selbst in den Hintern treten können. Zusätzlich noch der peinliche Auftritt Sly gegenüber, konnte der Tag noch besser werden? Der Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe, die Scheibenwischer kamen kaum noch nach mit ihrer Arbeit. Wie sollte er Marcus in dieser Stadt finden? San Francisco war ja nicht gerade klein. Er trat auf die Bremse. Ohne es zu merken, hatte er den Weg nach Hause eingeschlagen. Er wäre um ein Haar an Chris' und seinem Haus vorbei gefahren und hätte dabei Marcus übersehen, der auf den Stufen vor dem Eingang saß. Er war vollkommen durchnässt, schien das aber nicht einmal wahr zu nehmen. Jason fuhr rechts ran und sprang aus dem Wagen. Innerhalb von Sekunden war er bis auf die Haut nass. Marcus hob noch nicht einmal den Kopf, als Jason auf ihn zulief. "Marcus! Gott sei Dank!" Er fiel auf die Knie und zog Marcus in seine Arme. Der Junge erwiderte die Geste überhaupt nicht, er ließ sie einfach über sich ergehen. "Ich bin so froh, dass du in Ordnung bist. Ich hab mir so Sorgen gemacht." "Warum...?" Marcus klang vollkommen teilnahmslos. "Lass uns da lieber irgendwo drüber sprechen, wo es nicht ganz so nass ist." "Über was wolltest du mit mir reden?" Chris zog sich den Stuhl, den vor kurzem noch Jason benutzt hatte, näher an das Bett von Gary heran. Mr. und Mrs. Cunningham waren noch einmal bei den behandelnden Ärzten, um zu klären, ob es möglich wäre, Gary nach New York zu überführen. Schließlich wartete dort Arbeit auf seinen Vater und er wollte seinen Sohn unter keinen Umständen am anderen Ende der Staaten in einem Krankenhaus allein lassen. Chris fühlte sich etwas unwohl, weil Gary immer noch nicht wusste, was ihn der Unfall gekostet hatte. Aber er hatte auch nicht vor, es diesem zu erzählen, das war eindeutig die Sache seiner Eltern. Außerdem fragte er sich immer noch, wohin Marcus verschwunden war und ob Jason ihn mittlerweile gefunden hatte. Er hätte sich in den Bauch beißen können für den Einfall, sein Handy Zuhause liegen zu lassen. Gary schaute ihn nicht direkt an, sondern schien einen Punkt woanders im Zimmer zu fixieren. Offenbar war ihm die Situation sehr unangenehm. "Ich... ich wollte dich was fragen." "Nur raus damit." "Ich weiß nicht so recht... wie ich es sagen soll..." Chris lächelte ihn an. "Gary, wir sind hier ganz allein, egal was du mich fragen willst, es bleibt unter uns." "Du sagst nichts Jason?" "Wenn du es möchtest." Gary seufzte. "Wie hast du... wie hast du gemerkt, dass du...?" "Das ich schwul bin?" "So ungefähr..." Chris verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Das war bei mir recht früh. Weißt du, man merkt, dass etwas nicht stimmt, wenn alle um einen herum anfangen, sich für Mädchen zu interessieren und du selbst, na ja, verliebst dich in den Quarterback." "Und woher wusstest du, dass du Jason liebst?" wollte Gary wissen. "Die Frage ist nicht leicht zu beantworten..." Der blonde Mann sah in Richtung Fenster, wo immer noch heftiger Regen niederging. Er schien einen Moment überlegen zu müssen, die richtigen Worte finden. "...so etwas spürt man intuitiv, denke ich... Jasons Lächeln... seine Augen... das ist wie nach Hause kommen... ich weiß nicht, ob du das verstehst... ich bin fast mein ganzes Leben einsam gewesen, aber nur ein Augenblick mit Jason macht das alles vergessen. Natürlich hat er seine Fehler, wer hat das nicht? Nur das ist nebensächlich. Er ist ein wundervoller Mensch und ich bin glücklich mit ihm. Wenn du das sagen kannst, weißt du, dass du jemanden wirklich liebst, denke ich." "Du weißt warum ich das frage, oder?" Chris nickte nur zur Bestätigung. "Und was soll ich jetzt tun?" "Das musst du ganz allein entscheiden, Gary. Dabei kann ich dir nicht helfen. Hör auf dein Herz und dann tu, was du für richtig hältst. Jason sucht nach Marcus und er bringt ihn dann sicher hierher. Nur tu mir einen Gefallen." "Welchen?" "Tu Marcus nicht weh. Mach ihm keine Hoffnungen, wo keine sind." "Wenn er überhaupt noch mit mir reden will... nach allem was Jason getan hat..." "Du musst deinen Bruder verstehen," nahm Chris Jason in Schutz, "er hat sich Sorgen um dich gemacht und er ist manchmal etwas zu impulsiv. Aber ich bin mir sicher, er wird das alles wieder hinbiegen. Ich wette, Marcus und er sprechen sich gerade aus." Eisiges Schweigen. Jason biss sich auf die Lippe. Er hatte es geschafft, Marcus ins Haus zu verfrachten. Der Junge saß auf der Couch, in ein Badetuch gewickelt, und blickte auf seine Füße. Er zitterte ein wenig. "Bist du wirklich den ganzen Weg bis hierher gelaufen?" Die Frage war dermaßen plump, dass sich Jason beinahe dafür schämte. Aber er war ins Schwimmen geraten, keinen Plan wie er die Situation entschärfen konnte, keinen Ansatz für eine Konversation. Und in der Not... Allerdings machte es ihm der Junge auch nicht gerade einfach. Ein Kopfnicken war nun nicht unbedingt redselig. "Okay! Gut, dann eben anders, hör mir einfach zu, ja?" Er wartete kurz auf eine Antwort, als keine kam, ließ er es dabei bewenden. "Ich bitte dich, meine Entschuldigung zu akzeptieren." Marcus Kopf ruckte nach oben. "Ich habe Riesenmist gebaut. Gary hat mir alles erzählt." "Er ist wach?" "Ja, ist er. Und er hat mir die Situation klar gemacht... ich habe dir Unrecht getan... es tut mir leid. Glaub mir, mir fällt das sehr schwer zuzugeben, dass ich Mist gebaut habe... aber es ist so... ich bin immer schnell dabei, Gary auf ein Podest zu heben. Er ist mein kleiner Bruder und ich sehe oft in ihm noch den kleinen Jungen, den ich früher vor Rowdys beschützt habe und der weinend zu mir kam, wenn er sich ein Knie aufgeschlagen hatte. Und als das alles passiert ist, hab ich einfach überreagiert. Ich hab keine Sekunde angenommen, dass er auch etwas mit der Situation zu tun, ja sie sogar selbst heraufbeschworen haben könnte... und ich war sofort sicher, dass es also nur deine Schuld gewesen sein konnte..." Er schaffte es trotz aller Scham Marcus fest in die Augen zu sehen. "Ich hoffe, dass du verstehst und mir verzeihst... glaub mir, die letzte halbe Stunde war grauenvoll, ich hatte solche Angst, dass du dir vielleicht etwas angetan haben könntest." "Glaubst du wirklich, ich würde so etwas tun, Jason? Ich könnte Chris... und dich... niemals in solch eine Situation bringen... außerdem geht es immer weiter. Glaubst du, ich hätte mich nicht längst umgebracht, wenn ich nicht der Auffassung wäre, dass Selbstmord keine Lösung ist?" Für ein paar Sekunden war Jason sprachlos. "Oh mein Gott..." "Was denn?" "Ich... ich begreife nur gerade die ganze Tragweite dessen, was ich verbockt habe. Ich hätte dich nicht falscher einschätzen können... ich war immer der Meinung, du wärst ein unreifer Teenager... na ja, so wie die Jungs in deinem Alter meistens sind..." "Wenn die Straße eines von dir verlangt, dann ist das schnell erwachsen zu werden. Zumindest ab und an." Er lächelte etwas verlegen. Wieder herrschte kurz Schweigen, doch dann sprang Marcus unvermittelt auf und warf sich in Jasons Arme. Er schluchzte. "Es tut mir leid, was passiert ist, glaub mir bitte... ich hab das nicht gewollt." Selten hatte sich Jason so sehr für etwas geschämt wie in diesem Moment. Er hatte kein Recht gehabt Marcus so zu behandeln. Er drückte den Jungen an sich und spürte selbst, wie ihm die Tränen in die Augen traten. Er war nicht nah am Wasser gebaut, aber er konnte nicht anders. Trotzdem drängte er die Tränen mit aller Kraft zurück, das war wirklich nicht der Augenblick für Schwäche. Vor allem, da Marcus jetzt gerade jemanden brauchte, der stark war. Noch nie hatte der Junge ihn so sehr an Chris erinnert wie jetzt. Willensstark und gleichzeitig so verletzlich. Er strich ihm übers Haar, so wie er es mit Chris tun würde. Eine beruhigende Geste, die selten ihre Wirkung verfehlte. "Ist ja gut. Ich weiß, dass du es nicht wolltest." "Ich liebe ihn so sehr!" Marcus' Stimme erstickte in Tränen. "Ich weiß." Der Junge sah ihn mit seinen verheulten blauen Augen verwundert an. "Du weißt es?" "Chris hat es mir erzählt und Gary auch... es tut mir leid, dass ich nicht erkannt habe, wie sehr du ihn liebst." Marcus schmiegte sich mit dem Kopf an Jasons Brust, er vergrub sich regelrecht in der Umarmung, schutzsuchend. "Es ist aber auch schwer, deinen Bruder nicht zu lieben..." "Das weiß ich." "Er muss mich jetzt hassen..." "Das tut er nicht..." beruhigte ihn Jason, "er will mit dir reden. Deswegen habe ich dich gesucht." Marcus löste sich von ihm. "Er will wirklich mit mir reden?" Der ältere Mann nickte. "Ja und zwar so schnell wie möglich. Ich weiß nicht, ob er mittlerweile darüber aufgeklärt wurde, was der Unfall für ihn bedeutet... vielleicht wäre es gut, wenn du da wärst." "Aber ich habe sein Leben zerstört!" "Ach ja? Hast du das Auto gefahren? Hast du ihm gesagt, er soll nicht aufpassen und einfach auf die Straße fahren? Mein Bruder hat sich dir gegenüber wie ein totaler Arsch benommen, etwas, das ihm jetzt total leid tut. Aber deine Reaktion war nur zu verständlich." "Das heißt, du hasst mich nicht?" Jason schüttelte den Kopf. "Chris hat dich wahnsinnig gern und ich auch. Trockne dich ab, zieh dich um und wir fahren zum Krankenhaus." "Ich danke dir... von ganzem Herzen." Jason lächelte ihm zu. "Mach schnell." "Ich bin sofort wieder da!" Marcus eilte aus dem Zimmer. Jason ließ sich auf die Couch sinken und seufzte. Die Frage ging ihm immer noch nicht aus dem Kopf. Warum immer er? Konnte sein Leben nicht einmal ganz normal verlaufen? Wieder einmal waren Chris und er nur knapp an einer Katastrophe vorbei gerutscht und das nicht zuletzt durch das Verantwortungsbewusstsein und die Reife eines Jungen, den er selbst für ein Kind gehalten hatte. Marcus' Herz schlug wie wild, als er das Krankenzimmer betrat. Chris war überglücklich gewesen ihn unversehrt wieder zu sehen. Das war doch kaum noch zu ertragen, offenbar dachte hier jeder, dass er extrem selbstmordgefährdet war. Hatte er irgendeinen Grund dafür geliefert? Eine Packung Schlaftabletten hatte er ebenso wenig in der Tasche wie Rasierklingen. Aber so ganz verdecken konnte er es Chris und Jason auch nicht. Das war jetzt aber eh nebensächlich. Garys Anblick traf ihn zutiefst. "Gary?" Der Junge drehte ihm den Kopf zu. "Hi, Marc..." Stille senkte sich über den Raum und zwar genau so lange, damit es peinlich wurde. Marcus suchte nach einem passenden Satz, aber ihm fiel nichts ein außer: "Darf ich mich setzen?" "Mach ruhig." Der blonde Junge ließ sich also auf den heute besonders stark ausgelasteten Stuhl neben dem Bett nieder. Wieder erlahmte die Unterhaltung zwischen den Beiden. Bis zu dem Augenblick in dem Gary plötzlich in Tränen ausbrach. Marcus erschrak regelrecht. "Was ist?" "Ich..." Er schluchzte. "Ich werde... ich darf nicht mehr..." Mit einem Mal war Marcus klar worauf Gary hinaus wollte. Er reagierte ohne groß darüber nachzudenken und nahm die linke Hand des anderen Jungen. Er hielt sie fest in der Hoffnung, ihm damit Kraft zu spenden. Dabei bemühte er sich selbst, nicht zu weinen, ohne zu wissen, dass es Jason vorhin mit ihm ähnlich ergangen war. Gary drückte seine Hand, er klammerte sich regelrecht an ihn. "Ist ja gut... beruhige dich..." "Baseball war mein Leben..." "Ich weiß, es tut mir so leid." Obwohl er weinte, erkannte man deutlich die Verwunderung auf Garys Gesicht. "Warum tut es dir leid?" "Warum schon? Ohne mich wäre..." "Sprich nicht weiter... du hast keine Schuld an dem Unfall..." Marcus erhob sich im Reflex. "Doch!" ereiferte er sich. "Egal was Jason sagt, ich fühle mich dafür verantwortlich! Wenn wir nicht..." "Dazu gehören zwei, Marc... und dann hat auch nicht nur einer Schuld..." Marcus ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Gary hatte ja Recht. Aber er konnte die Gewissheit dessen, was ihr Abenteuer den anderen Jungen gekostet hatte, kaum ertragen. In diesem Augenblick war er bereit alles zu geben, nur damit Gary geheilt und gesund sein konnte. Gary schien sich langsam ein wenig zu beruhigen. Marcus konnte das nur bewundern, ebenso wie Jason strahlte sein Bruder eine Stärke aus, die er niemals aufbringen könnte. Allein der Gedanke an das, was geschehen war, trieb ihm die Tränen in die Augen. Er war nicht in der Lage, das Gespräch wieder aufzunehmen. Gary spürte das offensichtlich. "Ich möchte mich entschuldigen." "Wofür?" "Für alles, was du wegen mir durchmachen musstest... und für die hysterische Schwuchtel, ich hatte kein Recht so etwas zu dir zu sagen." "Du warst wütend und ich hatte dich getreten..." "Das entschuldigt es nicht!" Gary gestikulierte mit der unverletzten Hand soweit ihm das seine anderen Verletzungen erlaubten. "Ich war einfach nur dumm... ich hab... ich habe nicht verstanden, vielleicht auch nicht verstehen wollen, was diese Nacht für dich bedeutet hat. Aber du musst mich auch verstehen... ich..." Er sah aus dem Fenster, scheinbar unfähig, Marcus länger ins Gesicht zu schauen. "Ich hab diese Nacht... das was wir da getan haben... es hat mir Spaß gemacht... ich fand es schön. Aber als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, mit dir im Arm... ich... ich hab einfach durchgedreht. Ich hatte Panik. Weißt du, ich habe noch nie... noch nie in meinem Leben... etwas mit einem Jungen gehabt, ich hab noch nicht einmal mit Kumpels gewichst oder so, nichts. Und dann das... und als du mir dann deine Liebe gestanden hast... ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte, die Situation ist mir über den Kopf gewachsen. Aber allmählich erinnere ich mich auch an Sachen vor dem Unfall... ich wollte zurück zu dir... mit dir reden... Ich... hab ich dich doch gern... vielleicht können wir noch mal von vorn anfangen... es langsam angehen lassen..." Marcus stützte sein Gesicht auf die gefalteten Hände und schloss die Augen. Gary hatte ihn gern. War das nicht genau das, was er sich gewünscht hatte? Bestand vielleicht doch Hoffnung für ihn und den brünetten Jungen. Marcus wünschte sich nichts sehnlicher als das, aber in diesem Moment meldete sich eine Stimme der Vernunft in seinem Kopf, die er lange unterdrückt hatte. "Gary... ich muss dich was fragen. Du musst nicht sofort antworten. Denk drüber nach." "Okay..." "Die Nacht mit mir hat dir Spaß gemacht. Aber das ist nicht alles. Es braucht mehr als hinter verschlossener Tür Spaß zu haben. Kannst du dir vorstellen, mich vor aller Welt als deinen Freund vorzustellen? Mich mit deinen Freunden in New York bekannt zu machen? Kannst du dir vorstellen, mit mir Hand in Hand über die Straße zu gehen? Mich zu küssen? Kannst du dir vorstellen, abends mit mir ins Bett zu gehen, mit mir zu schlafen? Das alles und mehr. Kurzum, kannst du dir vorstellen, mit mir eine echte Beziehung zu haben?" Gary sah ihn überrascht an, doch er blickte schnell wieder weg. Er schien zu überlegen. Dann, nach einer für Marcus fast endlosen Weile schüttelte er den Kopf, sagte jedoch: "Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht, Marc. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich weiß momentan selbst nicht mehr genau, wer ich bin und was ich will." Marcus schloss erneut die Augen. Genau das hatte er erwartet. Insgeheim hatte er auf eine andere Antwort gehofft, aber das war pure Utopie. Dies war die einzig mögliche Antwort gewesen. Und ebenso wusste er nun, was er zu tun hatte. Das, was richtig war, auch wenn es ihm das Herz zerriss. "Es tut mir leid, Gary, aber ich kann das nicht." "Was meinst du?" "So kann das nicht gehen... ich kenne dich erst ein paar Tage, aber ich liebe dich so sehr, dass es schon weh tut. Mit jeder Minute, die verging habe ich mich mehr in dich verliebt, mit jeder Stunde habe ich mich mehr nach dir gesehnt... du hast mir sogar quasi das Leben gerettet, als du mich vor Steven bewahrt hast... danach warst du für mich ein Held und du bist es immer noch..." Eine Träne rollte über seine Wange, aber er schaffte es, seine Stimme stark zu halten. "Die letzte Nacht war die Erfüllung all meiner Träume, ich habe mich noch nie so sicher gefühlt wie in deinen Armen. Ich hab schon soviel mitgemacht, aber gestern Nacht war ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich vollkommen glücklich." Sein Blick wurde trüb, so stark drängten sich die Tränen in seine Augen. "Aber ich muss auch ein wenig an mich denken... wenn ich jetzt warten würde, wie du dich entscheidest... und du würdest dich gegen mich entscheiden... das würde ich nicht ertragen. Ich kann einfach nicht abwarten, was geschieht. Ich weiß, was ich mir wünsche und das hier ist für uns beide nur eine Qual..." Er ballte die Fäuste, damit seine Hände nicht zu sehr zitterten. "Und was für eine Zukunft hätten wir schon? Uns trennen sogar Zeitzonen. Ich will nicht, dass du dich wegen mir quälst und ich will auch nicht, dass du dich selbst zu etwas zwingst, was du nicht willst, nur weil du glaubst, mir nicht weh tun zu dürfen. Für uns gibt es kein "Wir"... ich glaube es ist besser, das direkt einzusehen..." "Können wir... wenigstens Freunde bleiben?" Marcus machte eine Kopfbewegung, die eine Mischung aus Kopfschütteln und Nicken war. "Ich weiß es nicht..." "Dann ist das hier jetzt das Ende?" Statt zu antworten erhob sich der blonde Junge und beugte sich vorsichtig über Gary. Ein letztes Mal wollte er seine Lippen spüren, ihm ein letztes Mal nahe sein. Gary wehrte sich nicht. Der Kuss war unendlich langsam, zärtlich und liebevoll. Wie in Zeitlupe umspielten sich ihre Lippen und Zungen. Eine Träne von Marcus tropfte auf Garys Wange und rann daran hinab. "Ich liebe dich..." flüsterte Marcus bevor er sich gewaltsam aus Garys Nähe losriss. Mit festen Schritten ging er zur Tür. "Marcus!" Der Junge zuckte fast zusammen. Mit aller Kraft wünschte er sich, dass Gary ihn zurückhalten, ihm seine Liebe gestehen würde. Aber er wusste, dass es nicht so war, tief in seinem Inneren wusste er es. "Darf ich dich... darf ich dich mal anrufen?" Marcus lächelte. "Chris hat meine Nummer, aber du wirst nicht anrufen..." Gary erwiderte nichts und sein Schweigen wirkte wie eine stumme Bestätigung, ihre Geschichte endete hier, noch ehe sie wirklich begonnen hatte. Marcus hatte einen furchtbaren Kloß im Hals, seine Augen füllten sich schon wieder mit Wasser. "Leb wohl, Gary..." schaffte er zu sagen, dann öffnete er die Tür des Krankenzimmers und schlüpfte hinaus. Erst als sie hinter ihm ins Schloss fiel, brach er endgültig in Tränen aus. Gary sah im Zimmer aus dem Fenster. Der Regen hatte aufgehört und langsam brach die Sonne wieder durch die Wolken. Auch ihm rannen unaufhörlich Tränen über das Gesicht... Chris zog leise die Tür von Marcus' Zimmer hinter sich zu. Der Junge lag zusammengerollt auf seinem Bett und schluchzte. Chris ließ sich neben ihm nieder und streichelte ihm sanft über den Rücken. "Ich kann nicht aufhören zu weinen..." schluchzte Marcus. "Irgendwann muss man doch leer sein... warum kommen da immer noch Tränen?" Chris lächelte. Jason hatte ihn und Marcus kurz nach dem Gespräch mit Gary nach Hause gefahren. Marcus hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt und sich dann in sein Zimmer verzogen. Chris hatte es für besser gehalten, ihn ein wenig in Ruhe zu lassen. Sein Freund war daraufhin noch einmal ins Krankenhaus gefahren und hatte von Gary alles erfahren, was geschehen war. "Wenn es dich tröstet, ich bin wirklich stolz auf dich..." "Aber ich nicht auf mich... ich zweifle mittlerweile an mir. Was, wenn er mich doch lieben gelernt hätte? Vielleicht wären wir doch ein Paar geworden. Wenn ich nun voreilig war... es tut so weh..." Er rollte sich noch weiter zusammen, wie ein Fötus im Mutterleib, als wolle er in seine eigene Welt fliehen, weg von den Schmerzen seines gebrochenen Herzens. "Du hast genau das Richtige getan." Chris hoffte, dass er überzeugend klang. "Hab ich das?" nuschelte Marcus ins Kissen. "Woher weißt du das?" "Du hast unglaublich erwachsen gehandelt, Jason und ich waren sehr beeindruckt." Marcus stemmte sich hoch. "Ach ja? Aber warum fühlt es sich so falsch an, wenn es doch so reif und erwachsen war? Ich will gar nicht reif handeln, wenn das so weh tut!" Chris zog ihn in seinen Arm. "An so etwas wirst du wachsen." "Dann bleib ich lieber klein!" "Okay..." Chris zog das O absichtlich lang. "Ich habe jetzt alle weisen Sprüche verschossen und deine Reaktionen sind nicht gerade hilfreich." Marcus sah ihn an. Langsam, ganz langsam wanderten seine Mundwinkel nach oben. Chris zog absichtlich eine Flunsch und setzte einen Welpenblick auf. Jetzt konnte Marcus nicht mehr. Obwohl ihm immer noch Tränen in den Augen standen, brach er in Gelächter aus. Chris stimmte ein. Für über eine Minute erfüllte nur Lachen den Raum, dann sank Marcus in Chris' Arme. Er rang nach Atem. "Ich hasse dich!" "Ach ja?" "Ja! Ich hasse dich, weil du genau weißt, wie du mich zum Lachen bringen kannst! Dabei ist mir gar nicht nach lachen, ich will eigentlich nur weinen..." "Aber lachen macht doch mehr Spaß!" grinste Chris. Er drückte Marcus an sich. "Hör zu, ich weiß, dass es furchtbar weh getan hat, was du tun musstest, aber ich verspreche dir, und das ist jetzt kein weiser Spruch, schon bald wirst du darüber hinweg kommen und wirst einsehen, dass es genau das Richtige war." "Ich bin mir da nicht so sicher..."entgegnete Marcus. "Aber ich wäre schon froh, wenn es aufhören würde, weh zu tun..." "Ich sag dir jetzt mal was: Du kannst wirklich stolz auf dich sein. Wie du heute gehandelt hast, selbst nach der Sache mit Jason, für die er sich übrigens immer noch schämt, war unglaublich verantwortungsbewusst und erwachsen. Vor ein paar Monaten, als Jason und ich mal einen heftigen Streit hatte, habe ich mich besoffen und mich dann mit Tabletten beinahe aus Versehen umgebracht. Und du bist trotz allem noch nicht einmal auf die Idee gekommen, dir etwas anzutun, weil du der Meinung bist, dass es immer weiter geht. Du bist wirklich bewundernswert, Marcus." "Findest du das wirklich?" Chris nickte. "Das hilft aber auch nichts gegen die Schmerzen..." "Ich weiß aber, was hilft..." flüsterte Chris ihm ins Ohr, "Schokolade und Kekse." "Meinst du?" Chris strich ihm eine Träne von der Wange. "Ja, auf jeden Fall. Ich hab einen Vorschlag für dich. Ich weiß, das wird den Schmerz nicht auslöschen, aber Jason wartet drüben bei uns mit einem Berg Schokolade, Oreo Cookies und anderen Süßigkeiten, die wunderbar ungesund sind. Außerdem hat er ein paar Actionfilme besorgt, in denen es garantiert keine Romanzen gibt. Ich ertrag es nicht, dass du hier hockst und Trübsal bläst. Was meinst du? Kommst du mit rüber?" Er zwinkerte Marcus zu und sah ihn erwartungsvoll an. Der Junge konnte nicht anders als zu lächeln. Auch wenn ihm eigentlich nur nach allein sein war, fühlte er doch sofort, wie wichtig es Chris war, ihn aufzuheitern. Und wer weiß, vielleicht würde es ja wirklich helfen. Außerdem kam er so aus dem Zimmer raus, in dem so viele Erinnerungen hingen. Selbst das Bett roch nach Gary. "Also gut!" "Wunderbar, komm!" Chris sprang auf und eilte zur Tür, er öffnete sie, bevor er Marcus mit einem angedeuteten Knicks zum Mitkommen aufforderte. Der Junge stand ebenfalls auf und nahm kurz entschlossen seinen Teddy mit, den er die ganzen Nächte mit Gary über nur auf seinem Nachttisch hatte sitzen lassen, weil es ihm peinlich gewesen war. Er schaute erst den Teddy, dann Chris an. "Weißt du was, Chris? Ich liebe meine Eltern, aber ich wünschte, ich könnte für immer hier bleiben." "Ob du es glaubst oder nicht, das würde ich mir auch wünschen. Aber du kannst uns ja jederzeit besuchen." "Sieht Jason das auch so?" "Absolut!" nickte Chris. "Du musst ihn ein bisschen aufbauen, er hat immer noch ein sauschlechtes Gewissen wegen der Sache, die er mit dir abgezogen hat. Deswegen legt er sich auch so ins Zeug." "Ich mag ihn doch immer noch." "Und er dich auch. Komm jetzt, sonst fängt er noch ohne uns mit den Filmen an!" grinste Chris, nahm Marcus bei der Hand und gemeinsam verließen sie das Zimmer. Es war bereits spät in der Nacht. Marcus lag zusammengerollt auf Chris' Seite des Bettes, den Teddybär im Arm. Er schlief tief und fest. Chris saß an Jason gekuschelt neben ihm und betrachtete ihn. Um das Bett herum lagen diverse Schokoladenpapiere, leere Schachteln von Oreo Cookies und weiterer Süßkram. Jason hatte seinen Arm um Chris gelegt und strich seinem blonden Freund jetzt mit der Hand, die auf dessen Schulter lag, sanft über die Wange. "Diesen Blick würde ich gern fotografieren." Chris schaute ihn an. "Was meinst du?" "So wie du ihn ansiehst... so unendlich liebevoll." "Schaue ich dich nicht so an?" "Auf eine andere Art... du hast ihn sehr lieb, oder?" "Ja..." sagte Chris leise und zog die Decke ein bisschen weiter über Marcus' Schultern. "Ich fühle mich furchtbar wegen heute..." "Er hat dir längst verziehen." "Hat er?" Chris nickte. "Er ist erwachsener, als er selbst denkt." "Ich weiß." "Was wird jetzt aus Gary?" "Er wird morgen nach New York überführt. Dad muss zurück. Wir können uns morgen noch verabschieden." "Sind deine Eltern sauer auf ihn? Oder auf Marcus?" Jason schüttelte den Kopf. "Sie wissen es gar nicht. Gary hat mich darum gebeten. Sie könnten also höchstens sauer sein, dass er nicht auf die Straße geachtet hat, aber dazu sind sie viel zu glücklich, dass er noch lebt." Chris seufzte und kuschelte sich tiefer in Jasons Arme. "Ob wir wohl jemals zur Ruhe kommen?" "Das habe ich mich heute auch schon ein paar Mal gefragt..." "Irgendwann muss es ja mal soweit sein!" lächelte Chris. "Ja, hoffentlich... Willst du ihn wecken?" "Lass ihn schlafen," beschloss sein Freund, "ich will nicht, dass er allein schlafen muss. Wir haben ja genug Platz. Mach einfach das Licht aus." Jason langte zum Nachttisch und löschte die Beleuchtung. Leise glitten sie unter die Decke und Chris schmiegte sich an seinen Freund. Endlich wurde es ruhig im Haus. Jason schlief mit dem Gedanken ein, dass diese Krise hoffentlich die letzte gewesen war... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ That's it! Dieses Kapitel hat mir beinahe graue Haare bereitet. Mit dem gesamten Anfang bis zur Abschiedsszene bin ich nur bedingt zufrieden und eine Schreibblockade hatte ich auch noch... aber jetzt ist es endlich vollbracht ^^ Marcus und Gary wird eine besondere Ehre zuteil, ihr großes Finale füllt die 200. Seite dieser Geschichte! War nicht eben erst Seite 100 vorbei? Es geht so wahnsinnig schnell ^^ Hier mit endet Marcus und Garys Geschichte fürs Erste und ich hoffe, dass ihr nicht allzu enttäuscht seid, aber die beiden sollten von Anfang an kein Happy End bekommen. Aber lasst den Kopf nicht hängen, ich plane ein Spin-off, in dem es um die beiden geht, ähnlich "Pure as New York snow" und vielleicht wird es ja da was mit dem Happy End ;-) Die Beiden machen jetzt die Bühne frei für einen der heimlichen Stars, David und sein großes Problem werden die nächsten Kapitel bestimmen, ich hoffe es wird euch gefallen ^^ Mich mal ganz auf meine liebste Schöpfung zu konzentrieren, wird eine große Herausforderung und sicher auch lots of fun ^^ Passend dazu dudelt im Hintergrund gerade "Mr. Moonlight", der Song, den Zuckerfee David gewidmet hat (noch mal 1000 Thx für die CD *hopps*) ^^ Nach den vielen depressiven Momenten der letzten Kapitel wird es endlich Zeit für etwas Spaß!!! *gggg* Also bis dann!! ^^ Euer Uly PS: Der "Titelsong" zu diesem Kapitel ist "Sweetest goodbye" von Maroon5, der Text dieses wundervollen Songs hat mich dazu inspiriert ^^ Kapitel 18: That's what friends are for! ---------------------------------------- "Verdammte Scheiße!" David knallte seinen Aktenkoffer auf den Schreibtisch. Er war kurz vorm Explodieren. Und das nicht nur auf eine Art. Der Tag war einfach grauenvoll. Nicht einmal der Ausblick aus seinem Büro konnte ihn aufheitern. David Vanderveers Büro lag im 12. Stock eines der Wolkenkratzer im zentralen Teil der Stadt. Auch hier passte eigentlich alles zu ihm. Schlichte Eleganz, ein ausladender Schreibtisch aus edlem Holz, perfekte Ordnung. Auf dem Schreibtisch hatte eine Zeit lang ein Bild von Jason und ihm gestanden, mittlerweile hatte er es durch das Gruppenbild mit Chris, das auch bei Jason im Flur hing, ersetzt. Aus den großen Panoramafenstern hatte man einen wunderbaren Blick über die Stadt. Aber all das interessierte ihn momentan überhaupt nicht. Er ließ sich in den Ledersessel hinter seinem Schreibtisch fallen und drehte sich Richtung Fenster. Die Tür wurde geöffnet. "Was immer es ist: Nein!" "Sind Sie sich da sicher?" David stieß sich mit dem Fuß ab und wendete den Stuhl zur Tür. Trotz seiner miesen Laune musste er unwillkürlich lächeln. Eve Deveraux, seine Sekretärin, stand dort, mit einem Tablett voll chinesischen Essens. Eve war weniger eine Angestellte für ihn, als eine Freundin. Auch wenn ihr Kontakt bisher nicht privat war. Sie war eine bezaubernde Frau, schlank, bildhübsch und klug. Dunkelblond, rehbraune Augen und ein freundliches Lachen. David fragte sich manchmal, ob ihn das Gefühl, dass sie für ihn schwärmte, täuschte, aber wenn, dann ging sie vollkommen professionell damit um. Außerdem wusste sie, dass er schwul war. Eve war wie immer perfekt gekleidet, ein geschmackvolles Kostüm in nachtblau. "Haben Sie etwa keinen Hunger?" "Rindfleisch süß-scharf, gebratener Reis und Frühlingsrollen?" "Genau." "Dann mache ich eine Ausnahme!" grinste David. Eve kam zum Schreibtisch hinüber und stellte das Tablett ab. David inhalierte für einen Moment den köstlichen Duft des Essens, der seine Laune etwas hob. Zugleich nahm er sich vor, noch am Fenster eine zu rauchen, manchmal beruhigte das echt seine Nerven, obwohl er wusste, wie ungesund es war. Eve reichte ihm lächelnd die Stäbchen. "Stört es Sie, wenn ich bleibe?" "Eve, Sie sind, glaube ich, der einzige Mensch, der mir hier momentan willkommen ist." "Freut mich zu hören." "Ihre Laune scheint heute nicht die beste", stellte Eve fest, bevor sie sich mit ihren Stäbchen gebratene Nudeln in den Mund führte. David lachte kurz auf. "Nicht die beste ist stark untertrieben. Dieser Tag ist eine einzige Katastrophe! Heute morgen ist in meinem Haus das Wasser ausgefallen, genau in dem Moment, als ich mir die Haare eingeschäumt hatte, ich musste sie mit zwei Flaschen Mineralwasser spülen. Dann hat mir jemand eine Delle in meinen Wagen gefahren, den ich ja nur gerade erst abbezahlt habe und zur Krönung des Ganzen habe ich gerade einen Fall verloren und das ausgerechnet gegen diesen Windhund Rogers!" David und der Staatsanwalt Walt Rogers waren so etwas wie unausgesprochene Intimfeinde. Den meisten Richtern graute es, wenn diese Beiden in ihren Verhandlungen auftraten, weil das geradezu Kriegszustand bedeutete. Keiner von Beiden gönnte dem Anderen einen Erfolg. Es machte David rasend, wenn er Rogers unterlag, Rogers war ein vorurteilsbehafteter Chauvinist, zumindest in Davids Augen. "All das ist dann eine wunderbare Vorbereitung auf meinen Besuch beim Arzt nach der Arbeit." Er biss ein Stück von der Frühlingsrolle ab und verbrannte sich prompt an der Füllung die Zunge. Eve sah ihn erstaunt und etwas besorgt an. "Beim Arzt? Fehlt Ihnen etwas?" David winkte ab. "Nein, nur eine Routineuntersuchung, aber ich hasse die Warterei." Natürlich war das keine Routineuntersuchung, aber David würde einen Teufel tun und ihr erzählen, warum er wirklich dorthin ging. Die Gemeinschaftspraxis Petersen und Doyle hatte einen sehr guten Ruf, Petersen war ein ausgezeichneter Arzt... und Doyle einer der besten Urologen der Stadt. Der Gedanke einen solchen Arzt aufzusuchen hatte den Anwalt zutiefst erschreckt, aber er hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen. Die Nacht mit Ash, sein Versagen im Bett, es war nicht bei diesem einen Mal geblieben. Er hatte es noch mehrfach versucht, stets mit anderen Kerlen, die er in Bars aufgelesen hatte. War ja auch kein sonderlich großes Problem für ihn. Aber das Ergebnis war stets das gleiche geblieben: Blamage. Er hatte keinen hoch bekommen, jedes Mal. Und allmählich machte ihm das zu schaffen, seine größte Angst, abgesehen von der eine Glatze zu bekommen, waren immer Potenzschwierigkeiten gewesen. Und jetzt hatte er welche und war kurz davor durchzudrehen. Vor allem, weil er mit niemandem darüber sprechen konnte. Selbst Jason traute er sich nicht etwas davon zu erzählen. Aber der Besuch beim Arzt würde ihm sicher endlich Klarheit verschaffen. Zumindest hoffte er das. "David? Wo sind Sie mit ihren Gedanken? Ihr Essen wird kalt." "Entschuldigen Sie, Eve, ich bin heute einfach nicht ich selbst." "Sind Sie sicher, dass Sie über nichts mit mir reden wollen?" David lächelte und lehnte sich im Sessel zurück. "Wissen Sie was, Eve, eine Sekretärin wie Sie sollte jeder haben. Vielleicht erzähle ich Ihnen wirklich mal von meinen Problemen, aber ich glaube, erst muss ich selbst damit fertig werden. Aber machen Sie sich keine Sorgen, ich werde das schon machen." Zumindest hoffte er das. Beim Gedanken an den Arztbesuch krampfte sich sein Magen zusammen. Und es wurde nicht besser, als er im Besprechungszimmer von Doktor Petersen wartete. Doktor Doyle hatte heute zu viele Patienten, deswegen übernahm Petersen auch die Besprechung seiner Ergebnisse, David hatte nichts dagegen gehabt. Die ganze Sache war eh hochnotpeinlich. Normalerweise hatte er ja nichts gegen Doktorspielchen, aber als Doktor Doyle mit seinen in Latexhandschuhen verpackten Fingern an ihm rumgetastet hatte, war ihm das einfach nur unangenehm gewesen. Ganz zu Schweigen davon, dass dieser Kerl eiskalte Hände hatte und nicht im Entferntesten gut aussah... na ja, vielleicht für sein fortgeschrittenes Alter schon. David schüttelte es für ein paar Sekunden. Er hasste Ärzte, er hasste Blutabnahme, Urinproben und alles was dazu gehörte. Schlimm genug jährlich zum Check-up zu gehen, aber dann auch noch außer der Reihe. Außerdem hatte er Angst und das war etwas, was wirklich nicht häufig vorkam. David erlaubte sich selten Angst, sie verwirrte nur. Jetzt konnte er nicht anders, er zuckte sogar zusammen, als sich die Tür öffnete und Doktor Petersen herein kam. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Doyle war Petersen ein ansehnlicher Mann Anfang vierzig, den David unter anderen Umständen sicher nicht von der Bettkante gestoßen hätte. Aber da wäre jetzt ja eh nichts passiert. "Mr. Vanderveer, schön Sie zu sehen." David stand auf, um dem Doktor die Hand zu geben und setzte sich dann wieder. "Ich wünschte, ich könnte das erwidern, Doktor." Der Arzt ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder und schlug eine Mappe auf. "Sie sind so blass, Mr. Vanderveer. Keine Panik." "Sie sagen das so leicht, Doc. Ich bin ein wenig nervös wegen meiner Ergebnisse." "Das müssen Sie nicht sein. Ich kann das sogar sehr schnell erledigen: Es ist alles okay." Er klappte die Mappe zu und lächelte David erwartungsvoll an. "Was soll das heißen? Alles okay?" "Mr. Vanderveer, ein Patient wie Sie ist der Ruin jedes Arztes. Sie sind fünfunddreißig, haben aber die Kondition eines Mittzwanzigers, Sie sind absolut gesund, nicht einmal ihre Cholesterinwerte sind in einem kritischen Bereich, wie bei beinahe jedem Zweiten heutzutage. Ihnen fehlt absolut nichts, das Gleiche sagen die Ergebnisse meines Kollegen. Sie sind kerngesund." "Aber das kann nicht sein!" Der Arzt lachte. "Andere Leute würden sich über so eine Diagnose freuen." "Verstehen Sie mich nicht falsch, Doc, aber ich... ich hatte mir wirklich eine Erklärung erhofft." Petersen faltete die Hände und beugte sich auf den Schreibtisch gestützt ein wenig zu David vor. "Nun, was Ihre Potenzschwierigkeiten angeht..." David verzog das Gesicht als täte ihm etwas weh. "Bitte, Doktor Petersen, sagen Sie dieses Wort nicht." Der Arzt schien sich angesichts dieses Gesichtsausdrucks mühsam ein Lachen verkneifen zu müssen. "Also, was die leichte Beeinträchtigung angeht, über die Sie bei meinem Kollegen geklagt haben, ich denke, ich kenne die Ursache." "Ja?!" David spannte sich. "Ich würde Sie gern an eine Kollegin von mir überweisen, Doktor Walsh ist eine der führenden Psychologinnen von San Francisco, sie hat einen sehr guten Ruf." "Psychologin?!" David konnte es nicht fassen. "Sie wollen mich zu einem Ballerdoktor schicken? Glauben Sie wirklich, ich hätte einen Knall?" Der Arzt machte eine beruhigende Geste mit den Händen. "Kein Grund sich aufzuregen, Mr. Vanderveer. Erst einmal hat heute jeder zweite einen Psychologen, das ist modern, und zweitens heißt das nicht, dass Sie einen Knall haben, wie Sie das so schön formulierten, sondern einfach nur, dass Ihr Problem keine physische, sondern eine psychische Ursache hat. Es gibt keine andere Erklärung für ihre Potenzstörung." David knirschte mit den Zähnen. "Es muss etwas sein, dass Sie innerlich beeinträchtigt, etwas das Sie mit sich herumschleppen und das Sie unbewusst nicht aus dem Kopf bekommen. Und glauben Sie mir, Doktor Walsh wäre auf jeden Fall in der Lage das herauszufinden." David nickte. Allerdings sah es in seinem Kopf anders aus. Er war immer sein eigener Herr gewesen und hatte niemanden gebraucht, der vielleicht in seinen Kindheitserinnerungen wühlte und dort Ursachen für seine Probleme suchte. Er würde einen Teufel tun und zu dieser Quacksalberin gehen! David schleuderte seine Krawatte in die Ecke. Er war nach dem Besuch beim Arzt noch in einen der Clubs gefahren, in denen er weniger bekannt war, als im Mighty und hatte einen neuen Versuch gestartet. Jetzt wo gesundheitliche Probleme ausgeschlossen waren, stand dem Ganzen doch nichts mehr im Wege... hatte er zumindest gedacht. Er hatte sich sogar dazu herabgelassen, eine Nummer auf der Toilette des Clubs zu schieben, obwohl er auf diese akrobatischen Akte in engen Toilettenkabinen nicht sonderlich abfuhr, nicht nur war es unbequem, man musste auch noch ständig bemüht sein, nicht zu laut zu werden, um nicht im Nu ein neugieriges Publikum zu haben. David hatte zwar eine Menge Phantasien, wobei er die meisten schon ausgelebt hatte, aber von einem Haufen fremder Leute beobachtet oder zumindest belauscht zu werden, gehörte nicht dazu. So weit war es ja auch überhaupt nicht gekommen. Der Kerl war offenbar ziemlich enttäuscht gewesen, hatte sich aber wenigstens nicht über ihn lustig gemacht. Allerdings wusste David ja auch nicht, was er seinen Kumpels noch erzählt hatte, nachdem der Anwalt ihn überstürzt hatte stehen lassen, und das gleich in zweierlei Hinsicht, denn der hatte keine Probleme gehabt, einen hoch zu kriegen. Entnervt warf David sein Jackett aufs Bett und begann sich auszuziehen. Vollkommen nackt stellte er sich schließlich vor den großen Spiegel an seinem Kleiderschrank. Er stemmte die Hände in die Hüften und sah seinen Schritt über die spiegelnde Oberfläche hinweg an. "Was habe ich dir getan, hm? Ich meine, hab ich nicht immer dafür gesorgt, dass es dir gut geht? Wir waren so ein gutes Team! Und jetzt fällst du mir in den Rücken und lässt mich hängen...oder besser dich! Womit habe ich das verdient? Habe ich dich schlecht behandelt? Du kannst dich doch über nichts beklagen, oder? Morgens hast du doch auch kein Problem damit zu Stehen! Aber eine Morgenlatte reicht nun mal nicht! Ich hab mich wegen dir sogar zum Arzt geschleppt. Hat dir das Herumfummeln mit den eiskalten Händen etwa gefallen? Mir nicht, aber ich hab das alles für dich getan! Und wie dankst du es mir? Indem du mich schon wieder auflaufen lässt? Was hattest du an diesem Kerl auszusetzen? Er hatte einen geilen Arsch und sein Schwanz war auch in Ordnung, er war nicht krumm, schief oder sonst was! Was willst du denn noch?!" Erwartete er wirklich eine Antwort...? David ließ sich mit der Stirn gegen den Spiegel sinken und schloss die Augen. Das kühle Material tat gut. Mit hängendem Kopf ging er ins Wohnzimmer, schnappte sich die volle Karaffe mit Scotch und ein Glas von der Anrichte und ließ sich auf die Couch fallen. Er goss das Glas randvoll. Bevor er aber trank, griff er zu seinem Telefon und drückte die zwei des Kurzwahlspeichers. Nach ein paar mal Klingeln knackte es in der Leitung. "Hallo, ihr seid mit dem Anrufbeantworter von Jason und Chris verbunden. Wir sind gerade nicht zu erreichen, aber wenn ihr uns eine Nachricht hinterlasst, rufen wir sicher zurück! Die Sache mit dem Piepton kennt ihr ja bestimmt, also dann los!" hörte er die Stimme von Chris, gefolgt vom obligatorischen schrillen Piepen. "Sunshine? Ich bin's. Hast du vielleicht morgen Zeit für mich? Ich muss dringend mit dir..." Am anderen Ende wurde abgenommen. "David?" "Wer sonst?" Jason klang leicht außer Atem. "Sorry, du hast einen etwas unpassenden Moment erwischt, aber es klang, als wäre es wichtig und... hey, Chris! Nicht doch..." Er schien ein Stöhnen zu unterdrücken. Der Anwalt schaute den Hörer an. "Sunshine, du vögelst doch hoffentlich nicht gerade?" Jason lachte. "Noch nicht... Chris ist nur etwas übermütig, wir haben das Haus wieder für uns allein und... wow, Schatz, ich telefoniere..." Der Rest ging in einem Keuchen unter. David verdrehte die Augen. Unter normalen Umständen hätte er jetzt Witze gerissen, aber so wie die Sachlage aussah. "Morgen nach Feierabend?" fuhr Jason etwas kurz angebunden fort. "Ich hole dich an der Kanzlei ab, ich muss noch was einkaufen. Geht das..." Er holte tief Luft "Sorry, geht das klar?" "Ist okay." "Dann bis morgen!" Diesmal gelang es Jason nicht, das Stöhnen zu unterdrücken. "Bis morgen! Und Chris soll den Mund nicht zu voll nehmen!" So ganz aus seiner Haut konnte David dann doch nicht, der Spruch war ihm so rausgerutscht. "Ich sag es ihm! Bye!" lachte Jason. "Bye!" David legte auf und warf das Telefon neben sich auf die Couch. Er griff wieder zu seinem Glas. "War ja klar, dass die Beiden rummachen, Jasons Schwanz ist ja auch nicht so zickig wie du!" meckerte er zu seinem Schritt gewandt. "Na dann Prost!" Er prostete seinem besten Stück zu, wobei etwas Scotch aus dem zu vollen Glas schwappte und auf seinen Oberschenkel klatschte. "Wenn das so weiter geht, brauche ich doch noch einen Psychologen, ein Kerl der Zwiegespräche mit seinem Schwanz führt, ist sicher ein interessanter Fall..." Er setzte das Glas an und trank es beinahe in einem Zug leer. "...ich hab ihn dann endlich mal fragen können, warum er mir nicht gesagt hat, dass er schwul ist." Jason drehte einen Ständer mit T-Shirts. David und er waren in einem der angesagten Klamottenläden im San Francisco Shopping Centre in der Market Street. Jason suchte nach einem Geschenk für Chris, weil sie bald sechs Monate zusammen waren. "Vielleicht sollte ich doch lieber Schmuck kaufen... einen Ring oder so... oder ist das unangebracht? Aber Chris trägt Schmuck, also wäre es vielleicht besser." "Hm..." bestätigte David und musterte desinteressiert die ausgestellten Klamotten. Jason gab dem Kleiderständer einen abschließenden Stoß und ging dann zum nächsten. "Auf jeden Fall hat Ash gesagt, dass er es mir verheimlicht hat, zumindest zunächst, weil er nicht wollte, dass ich denke, er wolle was von mir. Er hatte Angst, dass ich es falsch verstehen könnte. Er will auch nicht, dass es publik wird, das würde nur Gerede geben. Einige Kollegen zerreißen sich eh schon über mich das Maul und wenn jetzt auch noch rauskommt, dass mein Partner schwul ist, sind wir gleich das Klatschthema Nummer eins." "Hm..." bestätigte David. Jason sah ihn von der Seite an. "Na ja, ich glaube wir sollten doch zu dem Juwelier rüber gehen." "Hm...." "Weißt du was noch schlimmer wäre?" "Hm..." "Stimmt, genau das. Stell dir mal vor, meine Kollegen würden herausfinden, dass ich früher eine Frau war." "Hm..." Erst schien es, als würde er gar nicht reagieren, doch dann schaute David Jason an, als hätte dieser nicht alle Tassen im Schrank. "Hä?!" Sein Freund lachte. "Na ja, wenigstens ein bisschen hast du mir ja doch zugehört!" David fuhr sich durch die Haare. "Entschuldige. Ich bin etwas daneben. Jetzt höre ich schon nicht mal mehr meinem besten Freund zu. Außerdem ist mir immer noch etwas schummerig, ich hab gestern Abend eine ganze Flasche Scotch gesoffen... und du solltest schon Schmuck kaufen, das passt besser zu der Romantiknummer, die ihr drauf habt..." Jason hängte ein knallig orangefarbenes T-Shirt weg, das ihm in die Hände gefallen war. "Du hast was?" "Ich war einfach in der Stimmung mir die Kante zu geben." "Warum denn?" David seufzte. Er sah sich um, ob ihnen auch niemand zuhörte. Dann beugte er sich zu Jason und flüsterte ihm ins Ohr: "Ich kriege keinen hoch..." "Was?!" Jason fragte so laut, dass sich zwei Kundinnen ein Stück entfernt überrascht umdrehten. "Psssst!" David presste ihm die Hand auf den Mund. "Geht das nicht leiser?!" "Entschuldige, aber ich glaubte, du hättest gesagt, dass du keinen hochkriegst!" zischte Jason. "Ist ja auch so!" "Seit wann?" David zählte an den Fingern ab. "Ash, Dylan, Trey, Carlos, Ross... und von dem letzten Kerl weiß ich nicht mal mehr den Namen... also seit knapp zwei Wochen oder so..." "Moment, Ash?" "Ja, mit diesem Unglücksraben hat das alles angefangen!" David lehnte sich an einen Kleiderständer. "Als ich mit ihm vögeln wollte, hat es zum ersten Mal nicht geklappt und danach dann gar nicht mehr!" "Du meinst direkt nach der Party bei uns?" wollte Jason wissen. "Ja. Ich war sogar beim Arzt deswegen, aber der findet auch nichts, der hatte nur die unglaublich grandiose Idee mich zu einem Psychologen zu überweisen! So ein Quatsch!" Jason konnte nicht anders, er fing an zu lachen. "Findest du das etwa witzig?!" David verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf. So eine Frechheit hatte er von Jason nicht erwartet. Das Lachen seines Freundes machte ihn regelrecht sauer. "Entschuldige!" Der brünette Mann hatte offensichtlich Mühe sich zu beruhigen, was David nur noch mehr auf die Palme brachte. "Aber ich fasse es nicht, dass gerade dir so etwas passiert, und dass du nicht einmal drauf kommst, woran das liegen könnte." "Vielleicht möchte Mr. Superschlau es mir sagen!" knurrte David. "Kommst du wirklich nicht drauf?" David platzte der Kragen. "Nein! Komme ich nicht, okay?! Ich bin halt so blöd!" Diesmal war es der blonde Anwalt, wegen dem sich die beiden Kundinnen umdrehten, so laut war er geworden. Eine Verkäuferin schüttelte den Kopf. Jason zuckte zusammen und sah seinen Freund verständnislos an. "Wieso brüllst du mich so an?" "Weil du mir auf die Nerven gehst!" David mühte sich, seine Stimme etwas zu senken. "Das ist wahre Freundschaft! Lachst mich aus, weil ich mit einem Problem zu dir komme!" "Ich lache nur, weil es mich verwundert, dass du nicht selbst darauf kommst! Du bist doch sonst so schlau!" Jason schien nicht bereit, Davids Launen zu tolerieren. "Die Lösung liegt auf der Hand!" "Weißt du was?! Du kannst mich echt mal!" schnappte David. "Ich höre mir hier die ganze Zeit dein Gequatsche an, obwohl wir uns wegen mir getroffen haben! Und ich hab mir auch jahrelang dein Geflenne wegen der Homosexualität angehört! David, ich kann nicht dazu stehen! David, meine Eltern! David, meine Kollegen! David, mein Leben ist so schwer!" Er äffte Jason auf eine ziemlich fiese Weise nach. "Aber jetzt wo ich mal Probleme habe, werde ich ausgelacht!" "Ja und zwar weil du den Wald vor lauter Bäumen nicht siehst! Du bist doch selbst schuld!" "Ach so, bin ich das?" Mittlerweile wurden beide wieder lauter. "Ja, wenn du nicht die ganze Zeit durch die Gegend ficken würdest, würdest du vielleicht auch mal merken, was um dich rum passiert!" "Das sagt der Richtige!" motzte David. "Wer hat sich denn gestern am Telefon live vor mir einen blasen lassen, doch wohl du!" "Das ist ja wohl nichts gegen das, was du bist!" Kaum hatten die Worte seinen Mund verlassen, bereute Jason sie auch schon wieder, aber es war zu spät. "So? Was genau bin ich denn?" fragte David lauernd. "Ich kann es nicht fassen, dass du mich dermaßen verurteilst, gerade du!" "Das hat doch nichts mit Verurteilen zu tun!" rechtfertigte sich Jason. "Doch, das hat es. Du würdest nie erleben, dass ich dich wegen deines Sexuallebens verurteilen würde!" "Das kannst du nicht vergleichen! Ich bin normal und..." Er schlug die Hand vor den Mund. "Da!" David zeigte triumphierend mit dem Finger auf ihn. "Noch vor ein paar Monaten, wolltest du so sein wie ich und jetzt schaust du offensichtlich auf mich herab! Aber eines sage ich dir! Ich lasse mich weder von dir, noch von der Gesellschaft in irgendwelche Normen zwängen! So lange ich noch atmen und knien kann, werde ich jedem, den ich will einen blasen und ich ficke auch wen ich will!" "Vielleicht solltest du den Rat mit dem Psychologen doch ernst nehmen!" erwiderte Jason voller Zorn. Sein Freund winkte entnervt ab. "Mir reicht es! Such dein Geschenk doch allein! Dann kommst du wenigstens schnell wieder nach Hause in dein "normales" Leben und kannst deinen Freund bumsen!" Er sagte das so laut, dass es sicher das ganze Geschäft mitbekam. Damit ließ er den Polizisten einfach stehen. Er stürmte regelrecht aus dem Laden, rempelte am Eingang sogar eine Kundin an, die ihm empört hinterher schimpfte. Jason spürte, dass alle Blicke auf ihm lagen, er lief hochrot an. "Ähm... hier finde ich eh nichts passendes!" meinte er laut zu sich selbst und verließ ebenfalls so schnell er konnte den Shop. Von David war allerdings nichts mehr zu sehen. Jason lehnte sich an eine Schaufensterscheibe und seufzte. Er hatte sich noch nie so sehr mit seinem besten Freund gestritten. Zur gleichen Zeit in einem anderen Geschäft. Sly ließ seinen Blick über die ausgestellten Kleidungsstücke wandern. Kleidung war vielleicht zuviel gesagt. Er war in einem Unterwäscheladen, der einige Blocks von den großen Modehäusern der Market Street entfernt lag und nur haarscharf an einem Sexshop vorbei schrammte. Um diese Uhrzeit waren nicht viele Kunden hier, die meisten waren eh Frauen. Die Männerabteilung war wesentlich kleiner und deutlich dünner besucht. Der Laden hieß "Sweet Surprise" und dieser Name war irgendwie Programm. Obwohl, wenn man es genau betrachtete, die Wäsche hier nicht viel als Überraschung übrig ließ. Er nahm einen Bügel von einem Ständer und musterte den Slip, der daran hing. Ein Stringtanga für Männer, an der Taille nur von einem dünnen Band gehalten und vorne komplett aus Netz. Dieses Kleidungsstück überließ wirklich nichts der Fantasie, nicht sonderlich erotisch... na ja, vielleicht schon, am richtigen Mann. So ganz glücklich war er hier eh nicht. "Ich weiß nicht, ob ich raus kommen sollte!" hörte er Chris' Stimme aus der Umkleidekabine neben sich. "Ich lache auch nicht!" Sly bemühte sich, enthusiastisch zu klingen. Aber mal ehrlich: Er konnte sich wirklich etwas Besseres vorstellen, als mit dem Mann, den er liebte, Reizwäsche für dessen Freund zu kaufen. Aber genauso wenig hatte er Chris den Wunsch abschlagen können. "Wie du meinst!" Chris zog mit einem Ruck den Vorhang weg. Selbst wenn Sly hätte lachen wollen, es wäre ihm im Halse stecken geblieben. Chris sah umwerfend aus. Er trug eine eng anliegende Shorts aus glänzendem, schwarzen Stoff, die an den Seiten aus engmaschigem Netz bestand. Von seinem Oberschenkel aus wand sich ein chinesischer Drache über seinen Schritt bis an den Bund, der ziemlich tief angesetzt war. Am Oberkörper hatte er ein ebenso enges, ärmelloses Oberteil aus dem gleichen Netzstoff, mit dem gleichen Drachen auf der rechten Brust. Das Oberteil endete auf Höhe des Magens und gewährte freien Blick auf seinen flachen Bauch. "Und?" "Das ist... toll. Steht dir sehr gut." "Meinst du, es gefällt Jason?" "Wenn er nicht aus Eis ist, ganz sicher." Sly hoffte, dass man die Beule in seiner Jeans nicht bemerken würde, Chris' Anblick in diesem Hauch von Nichts war einfach unwiderstehlich. "Dann nehme ich es!" grinste Chris. "Moment, ich schlüpf eben wieder in etwas weniger luftiges!" Er drehte sich um und ging in die Kabine zurück. Sly dankte dem Himmel in diesem Augenblick, dass man bei der Anprobe die Unterwäsche anbehalten musste. Denn erst jetzt sah er, dass die Shorts hinten komplett aus Netz waren und wenn Chris nicht seine schwarze Unterhose getragen hätte, dann... Sly dachte nicht weiter. Wahrscheinlich hätten nur noch seine Füße unter einem der Wäscheständer heraus geschaut, weil er ohnmächtig geworden wäre. "Ich hab jetzt richtig Hunger, du auch?" fragte Chris hinter dem Vorhang. "Ja, ich könnte auch was vertragen." Essen war jetzt genau das Richtige, am besten was mit viel Kalorien, gegen den Frust, dass er Chris wohl nie in so etwas erleben würde, zumindest nicht für ihn bestimmt. Etwas lustlos stocherte er schließlich in seinem Essen herum. Chris hatte ihn in ein Restaurant geschleift, mit dem er nun überhaupt nicht gerechnet hatte. Das "Greens" im Fort Mason wurde von Zen-Buddhisten betrieben und alles hier war vegetarisch, man genoss sein Essen zusammen mit einem imposanten Blick auf die Bay und die Golden Gate, da das Restaurant direkt auf einem Anleger am Wasser lag. "Mit so etwas kann ich Jason nicht kommen, der ist so ein typischer Fleischfresser, beim Gedanken an vegetarisches Essen schüttelt es ihn" hatte Chris gesagt und wieder hatte Sly nicht anders gekonnt, als zu lächeln und zuzustimmen. Das da auf seinem Teller sah... interessant aus. Gegrillte Zuckermöhren, Walnüsse an Wasserkresse und Tofu in einer leichten Kräuter-Vinaigrette. Er erinnerte sich an eine Sketch-Show im Fernsehen, in der eine Verkäuferin einer Frau Tofu angeboten hatte. Sie hätten es sogar in drei Geschmacksrichtungen, hatte sie gesagt, Sägespäne, Pappe und Pressspanplatte. Chris bemerkte offenbar seinen Blick. Er hatte die Bestellung übernommen. "Wie war das noch? Du liebst dieses Lokal?" Sly wurde rot. "Okay... ich war hier noch nie..." "Strafe muss sein!" grinste der blonde Mann, "Probier es einfach mal." Sly nahm ein Stück auf die Gabel und führte es etwas unsicher zum Mund. Doch als er schließlich nach einem Moment der Überwindung zu Kauen anfing, zeigte sich Überraschung in seinen Zügen. "Das schmeckt ja wirklich!" "Sag ich doch!" Chris nahm lächelnd einen Schluck von seinem Eistee. "Ich nehme alles zurück, dieser Laden ist wirklich gut." Sly machte sich gierig über das ungewöhnliche Essen her und eine Zeit lang aßen sie schweigend vor sich hin. "Es ist toll, jemanden zu haben, mit dem man auch mal einen gemütlichen Stadtbummel machen kann." nahm Chris schließlich das Gespräch wieder auf. "Ich hab hier in San Francisco eigentlich keine Freunde, außer David, und der arbeitet genauso viel wie Jason." "Ich bin gern für dich da!" versicherte ihm Sly und noch nie hatte er etwas Wahreres gesagt. "Ich bin wirklich froh, dass wir uns getroffen haben. Weißt du, ich kann mich nicht erinnern jemals einen guten Freund gehabt zu haben, aber ich glaube, wir Beide können wirklich sehr gute Freunde werden!" Der Bissen blieb Sly im Hals stecken. Er schluckte mühsam und nahm schnell einen Zug von seiner Ingwerlimonade. Was Chris da gerade gesagt hatte, schmerzte ihn bis tief in sein Herz. Der blonde Mann schien noch nicht einmal im Entferntesten etwas anderes in ihm zu sehen, als einen Freund. Aber Sly riss sich zusammen. Allein die Gesellschaft von Chris war ein Geschenk des Himmels und er würde nehmen, was er bekommen konnte. "Ich mag dich auch sehr..." stellte er schließlich als Untertreibung des Jahrhunderts fest. "Du... und Jason, ihr seid wohl sehr glücklich, was?" Chris lehnte sich ein wenig zurück. "Das kann man sagen!" Er lächelte verträumt. "Und warum wolltest du dann diese Unterwäsche kaufen? Läuft es bei euch im Bett nicht mehr so gut?" Sly kniff die Augen erschrocken zusammen. Hatte er das eben wirklich gesagt? Die Frage war ihm so in den Sinn gekommen, ein Strohhalm an den er sich klammerte. Vielleicht war Jason wenigstens ein Versager im Bett, wäre doch möglich. Chris schaute ihn etwas verdutzt an, grinste dann jedoch verschwörerisch. "Ich glaube ja nicht, dass ich das sage, aber..." Er hielt die Hand seitlich vor den Mund, als würde ihnen jemand zuhören, der es nicht sollte. "Jason ist ein unglaublicher Liebhaber. Und wir machen es, dafür dass wir schon fast sechs Monate zusammen sind, verdammt oft. Ich hab dieses Outfit nur gekauft, um ihn damit zu überraschen, zusätzlich zu dem Essen, das ich an unserem Sechsmonatigen für ihn kochen will." Sly grinste ebenfalls, auch wenn ihm gar nicht danach zumute war. Natürlich war Jason ein toller Liebhaber, wie sollte es auch anders sein? Groß, muskulös und gut im Bett, ein Traummann eben, ein Mann wie er es nie sein würde. "Du liebst ihn sehr, was?" Chris nickte. "Über alles. Ich frage mich immer wieder, wie ich einen wie ihn überhaupt verdiene. Er ist einfach wunderbar, man kann so herrlich mit ihm reden und lachen, er versteht mich und liebt mich so wie ich bin. Na ja, er ist manchmal ein wenig impulsiv, aber komm schon, wer ist ohne Macken?" "Niemand..." lächelte Sly. "Er kann sich wirklich glücklich schätzen, dich zu haben." "Findest du?" Leichte Röte zeigte sich auf Chris' Wangen. Sly nickte nur und steckte sich ein Stück Tofu in den Mund. "Du kochst gerne, was?" wechselte er das Thema, bevor er sich noch um Kopf und Kragen redete. "Ja, aber ich muss noch besser werden. Es macht großen Spaß. Ich hole mir meine Ideen bisher immer nur aus Kochbüchern oder eben aus Restaurants wie diesem. Die Küche hier in San Francisco ist phantastisch. Kein Vergleich zu New York... wobei ich dort aber eh nicht oft in Restaurants war. Konnte ich mir nicht leisten. In der ersten Zeit hier auch nicht, aber so etwas wie das "Greens" ist mittlerweile drin. Das "Fleur de Lys" oder das "Benkai" werden aber wohl erst einmal Wunschträume bleiben." "Das "Benkai"? Ist das nicht das japanische Restaurant im Nikko Hotel?" "Ja!" schwärmte Chris. "Ein Traum! Im 25. Stockwerk, Blick über die Stadt, ein echter Sandgarten, Kellnerinnen in Kimonos und dazu noch stilechte Tatami-Räume zum Essen. Ich bin einmal da hoch gefahren um es mir anzusehen, bin aber beim Anblick der Preise rückwärts wieder raus gegangen." "Warum fragst du nicht Jason?" "Ich will ihm nicht zu sehr auf der Tasche liegen und so gut verdient er als Cop nun auch nicht." Chris schien das Thema ein wenig unangenehm zu sein. "Gibt es an deiner Abendschule eigentlich auch Kochkurse?" "Ja, klar." "Cool, dann werde ich wohl auch welche davon belegen." "Mal sehen, vielleicht mache ich mit. Obwohl für einen Junggesellen wie mich das Kochen meist doch recht einfach ausfällt." "Hey, du wirst auch noch den Richtigen finden!... Oh, Mann, klang das jetzt so abgedroschen, wie es sich für mich anhörte?" Sly musste unwillkürlich lachen. Aber eigentlich eher weil die Situation so grotesk war. Der Richtige für ihn prophezeite ihm, den Richtigen sicher noch zu treffen... das Schicksal konnte schon grausam sein. "Hast du Lust noch irgendwo ein Eis essen zu gehen?" Er brauchte definitiv doch noch was Süßes! David saß an der Bar des "Crown Room" und nippte an seinem mittlerweile fünften Drink. Die gediegene Bar lag im vierundzwanzigsten Stock des berühmten Fairmont Hotels. Das Fairmont gehört wahrscheinlich zu den berühmtesten Hotels der Welt. Der altehrwürdige Bau mit seinem von Flaggen gesäumten Eingang war bereits für unzählige Filme und Fernsehserien benutzt worden. Kaum ein Film, der in San Francisco spielte, in dem nicht mindestens einmal dieses Hotel vorkam, die Fernsehserie "Hotel" aus den Achtzigerjahren gehörte mitunter zu den bekanntesten Auftritten des Hotels. Auch wenn das von James Brolin, dem heutigen Ehemann von Barbara Streisand, geleitete Hotel damals den Namen "St. Gregory" trug, die Fassade und die Lobby stellte das Fairmont. Die Bar, in der David sich befand lag im obersten Stockwerk des neu erbauten Turmes, der an das alte Hotel angrenzte, die teuren, traditionellen Suiten waren im Altbau. Der "Crown Room" genoss einen gesellschaftlich sehr guten Ruf. Leise Musik, oft wohlhabendes Publikum und ein atemberaubender Blick über die nächtliche Stadt. Hierher kam man, um in Ruhe einen der sehr gut gemixten Cocktails zu genießen. Oder wie in Davids Fall zwei... oder drei... oder mehr. Der Anwalt schob das leere Glas über die Theke und tippte daran. "Noch einen...bitte." Seine Zunge war mittlerweile ziemlich schwer. Ein junger blonder Barkeeper kam zu ihm hinüber und nahm das Glas an sich. "Sind Sie sicher, dass Sie nicht genug hatten, Sir?" "Hören Sie... mein Junge...." lallte David. "Ich trinke nicht... nicht oft... aber ich bin... alt genug um selbst zu... wissen....wissen, wann ich genug habe... okay?" "Dann mixe ich Ihnen wenigstens etwas mit weniger Alkohol." bot der Barkeeper an. "Nein..." David bewegte die Hand in die Richtung des jungen Mannes, als suche er in Gedanken nach dessen Namen. Der Barkeeper tippte auf das Namensschild an seinem Anzug. "Jeremy." "Auch das noch!" ächzte David. "Na gut... hören Sie... Jeremy... Sie mixen mir jetzt...genau... genau das Gleiche noch einmal..." "Dann geben Sie mir aber Ihre Autoschlüssel, Sir." "Nicht nötig, ich werde dafür sorgen, dass er nicht mehr fährt." David blickte sich verwundert beim Klang der weiblichen Stimme um. "Guten Abend, Miss Deveraux." "Eve!" stellte David verwundert fest, es hatte einen Moment gedauert, bis er seine Sekretärin erkannt hatte. Die junge Frau lächelte ihn an. "Schön Sie zu sehen, Boss." "Halten Sie... mir nicht... auch noch... ne Standpauke... das... das hat der junge Mann.... schon zu Genüge getan!" "Keine Angst." Sie strich ihm über den Arm. "Aber ich denke, ich sollte ein Auge auf Sie haben." "Was ... tun Sie... überhaupt hier...?" Sie lachte leise. "Ich hatte ein Date, aber ich wurde versetzt. Und da habe ich Sie bemerkt. Haben Sie etwas gegen Gesellschaft?" David zuckte mit den Schultern. "Tun Sie, was Sie... wollen..." Chris saß auf dem Bett, mit seinem Laptop auf dem Schoß. Eigentlich war es Jasons Laptop, aber sein Freund hatte ihm einen eigenen Account eingerichtet, auf dem er machen konnte, was er wollte. Seine Finger flogen über die Tastatur. Jason betrat das Schlafzimmer und zog sein Hemd aus. Achtlos warf er es über den Wäschekorb. "Was für ein Tag!" Er lächelte Chris an. "Was machst du, mein Engel?" Chris sah vom Bildschirm auf. "Ich chatte mit Marcus, er lässt dich grüßen." "Grüß ihn zurück. Wie geht es ihm?" Während er antwortete, tippte Chris auf der Tastatur herum. "Es geht ihm recht gut. Er denkt nur noch jede zweite Minute an Gary, nicht mehr dauernd, sagt er." "Na, das ist ja mal ein Anfang." lachte Jason und ließ sich auf dem Bett nieder. Er rutschte hinter Chris, so dass dieser zwischen seinen Beinen saß und zog ihn an sich. "Er will übrigens wissen, wie es deinem Bruder geht." "Soweit ich Mum am Telefon verstanden habe, wohl ganz gut. Die Überführung nach New York ist gut verlaufen und er erholt sich, aber den ganzen Gips wird er sicher nicht allzu schnell wieder los." "Hat er noch was über mich gesagt?" las Chris vom Bildschirm ab. Jason schüttelte als Antwort nur den Kopf. Chris tippte weiter. "Muss ich dich jetzt den ganzen Abend mit dem Laptop teilen?" hauchte Jason seinem Freund in den Nacken, so sanft, dass dieser eine Gänsehaut bekam. "Nein, musst du nicht!" Chris lachte auf.. "Marcus muss eh gerade gehen." Er schrieb einen abschließenden Satz und klappte das Notebook dann zu, um es neben sich zu legen. Mit einem Geräusch des Wohlbefindens glitt er nun vollkommen in Jasons Umarmung. "Ist dir mal aufgefallen, wie ruhig es hier ist, seit er weg ist?" "Vermisst du ihn?" "Ja... sehr..." seufzte Chris. "Darf ich dich mal was fragen?" "Raus damit." "Wünscht du dir ein Kind?" Chris stemmte sich von ihm weg. Er löste sich aus seiner Umarmung und drehte sich zu ihm herum. "Bitte was?" Jason legte den Kopf schräg. "Ich hab allmählich das Gefühl, dass du dir das wünscht, seit Marcus hier war. Du hast ihn regelrecht bemuttert." Chris drückte seinem Freund die Hände gegen die Brust, damit er sich nach hinten aufs Bett fallen lassen musste. Er schwang die Beine über Jason und setzte sich auf seinen Schoß. Seine Finger glitten über Jasons nackte Brust. "Willst du mir anbieten, mich zu schwängern?" "Scherzkeks!" grinste Jason. "Nimm mich doch mal ernst!" Chris ließ sich nach vorn sinken und schmiegte sich an Jason. "Ich nehme dich ernst. Keine Angst, ich will kein Kind. Marcus war eher so was wie ein Bruder für mich... aber es war wirklich schön, sich um jemanden so kümmern zu können." "Kümmere dich doch um mich!" "Spinner!" "Wie war dein Tag?" lenkte Jason ab. Chris rollte sich von ihm herunter und blieb in seinem Arm liegen. Beide sahen zur Decke. "Es war schön. Ich war mit Sly einkaufen und dann im "Greens"." "Er ist mit dir in den Grünzeugsschuppen gegangen?" Chris zwickte ihn in den Arm. "Das ist kein Grünzeugsschuppen! Und Sly hat es geschmeckt." "Ob ich das gut finden sollte, dass du den ganzen Tag mit ihm herum ziehst." "Hey!" konterte Chris. "Du warst mit David unterwegs und wenn ich dich daran erinnern darf, hast du sogar früher mit ihm geschlafen." "Jetzt weiß ich nicht, was ich erwidern soll." gab sein Freund zu. "Gelernt ist eben gelernt!" Chris spazierte mit dem Zeige- und Mittelfinger seine Hand spielerisch über Jasons Waschbrettbauch. "Wie geht es David?" Das war nun ein Thema, über das Jason nicht reden wollte. Er hatte David noch gesucht, aber nicht mehr wiedergefunden. Danach war er einfach ziellos ein wenig herumgefahren, um sich Luft zu machen. Er wusste nicht, ob er sauer auf David oder auf sich selbst sein sollte. Ihr Zoff war ebenso heftig wie sinnlos gewesen und er bereute mittlerweile, was er zu seinem besten Freund gesagt hatte, war aber immer noch wütend über den Spruch, mit dem er ihn hatte stehen lassen. "Schläfst du?" "Oh, entschuldige... ich war kurz in Gedanken..." Chris' Finger wanderten wieder in die andere Richtung den Bauch hinab und begannen, ganz beiläufig, mit dem Bund von Jasons Jeans zu spielen. "Vielleicht sollte ich dich auf andere Gedanken bringen!" Ohne auf eine Antwort zu warten, fing er an, zärtlich an den Brustwarzen seines Freundes zu knabbern. Jason schloss die Augen. In solchen Momenten würde er am liebsten die Zeit anhalten. Aber selbst wenn er in San Francisco wohnte, er war eben nicht Piper Halliwell und so konnte er auch nicht verhindern, dass in diesem Augenblick das Handy in seiner Hosentasche losklingelte. Chris prustete vor Lachen. "Wie romantisch!" "Soll ich es klingeln lassen?" "Geh ruhig ran, klingt ja wichtig." Jason hatte sich eine andere Antwort erhofft, denn dieser Klingelton gehört zu Davids Nummer, er wusste nicht so recht, was er ihm sagen sollte. Schließlich gab er sich geschlagen, setzte sich hin und klappte das Handy auf. "Hi!" Für einen kurzen Augenblick erschien Überraschung in seinem Gesicht. "Eve! Was machen Sie denn mit Davids Handy?" Er hörte weiter zu und nickte nur hier und dort, als könne die junge Frau am anderen Ende der Leitung das sehen. "Okay, ich komme sofort!" Er legte auf. Chris stemmte sich hoch und stützte sich auf die Ellenbogen. "Eve? Und wohin kommst du?" Sein Freund war schon dabei, sein Hemd wieder anzuziehen. "Eve Deveraux, Davids Assistentin oder Sekretärin, weiß nicht genau, wie sie sich nennt. Sie ist im "Crown Room" im Fairmont mit David und kriegt ihn kaum noch unter Kontrolle. Er ist wohl stockbesoffen und benimmt sich etwas daneben. Sie wusste sich nicht anders zu helfen." "Seit wann trinkt David denn soviel und das noch unter der Woche?" wollte Chris verwundert wissen. "Wenn ich das mal wüsste!" Jason drückte ihm einen Kuss auf den Mund und eilte zur Tür. "Was dagegen, wenn ich ihn hierher hole? Wer weiß, was er allein anstellt." "Mach ruhig, ich mache in der Zeit die Couch unten fertig." "Du bist ein Schatz, mein Engel! Bis gleich!" Damit ging er. Chris lehnte sich wieder zurück. In Gedanken korrigierte er seine Meinung über Jason. Er war nicht nur unglaublich liebevoll und ein wundervoller Liebhaber, er war auch ein Freund, auf den man sich immer verlassen konnte. Ganz langsam, Stück für Stück, nahezu in Zeitlupe öffnete David Vanderveer seine Lider. Nur Sekunden später presste er sie wieder zusammen. Sein Kopf schien zu detonieren, Schmerzen rasten durch jeden Winkel und unvermittelt wurde ihm furchtbar schlecht. In seinem Mund schmeckte es, als hätte er die Innenwand einer Mülltonne abgeleckt. Jeder Knochen im Leib tat ihm weh. So furchtbar hatte er sich seit Jahren nicht mehr gefühlt. Die Übelkeit wurde immer schlimmer. Er zwang sich die Augen wieder zu öffnen, um sich zu orientieren. Statt einem Hinterhof, wie er es schon fast befürchtet hatte, erkannte er Jasons Wohnzimmer. Das bedeutete, dass ganz in der Nähe eine Toilette war. Wie auf Kommando musste er würgen. Er presste die Hand auf den Mund, sprang auf und rannte ungeachtet seines pochenden Schädels in Richtung Badezimmer. Kaum hatte er das Klo erreicht, fiel er vor der Keramikschüssel auf die Knie, riss den Deckel hoch und übergab sich. Sein ganzer Körper wurde von Würgekrämpfen geschüttelt. Als endlich nichts mehr nach kam, betätigte er die Spülung, blieb aber noch einen Moment vorn übergebeugt sitzen. Seine Haare hingen ins Gesicht, ihm war immer noch übel und der Geschmack im Mund hatte sich immer noch nicht gebessert, eher im Gegenteil. Er hörte Schritte hinter sich und dann klopfte jemand an die eh geöffnete Tür. "Guten Morgen, David!" "Bitte keine bösen Sprüche..." Jason lachte nur leise, kam dann aber herüber, um ihm aufzuhelfen. Als David sich im Spiegel erblickte, erschrak er regelrecht. Er sah zum Fürchten aus. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, umrahmt von dunklen Ringen. Bartstoppeln bedeckten seine Wangen. "Ich hatte eigentlich gedacht, nicht einmal ein Kater könne dich entstellen, aber ich glaube, ich habe mich geirrt!" grinste Jason. "Wie komme ich hierher?" Er sah an sich hinunter. "Hast du mich ausgezogen?" Er trug nur noch seine Shorts. "Darin habe ich ja noch Übung!" David warf sich eine handvoll Wasser ins Gesicht und schleppte sich dann an Jason vorbei zurück ins Wohnzimmer. "Ich muss zur Arbeit..." Jason blieb mit verschränkten Armen in der Wohnzimmertür stehen. "Nein, musst du nicht. Eve hat dafür gesorgt, dass du heute frei hast, außerdem hast du keine Gerichtstermine." "Du hast wohl für alles gesorgt, was?" "Nicht ich, sondern deine Perle von einer Assistentin, der du gestern das Leben ganz schön schwer gemacht hast. Du hast sogar Leute im "Crown Room" angepöbelt." "Oh Gott..." David ließ sich auf die Couch fallen, auf den Bauch, mit dem Gesicht in den Kissen. "Jetzt kann ich mich da nie wieder blicken lassen..." "Ist doch eh ein versnobter Laden!" Jason setzte sich auf die Lehne der Couch. "Und du hast jetzt sowieso dort Hausverbot..." fügte er quittiert von einem Stöhnen Davids hinzu. Er blickte sich um, als er Schritte im Flur hörte. Chris schaute um die Ecke, noch im Bademantel. "Frühstück gefällig?" "Sprich nicht vom Essen!" nuschelte David in die Kissen. Jason schüttelte den Kopf. "Besser nicht, sonst müssen wir noch die Couch neu beziehen lassen." David machte sich nicht die Mühe, sein Gesicht aus den Kissen zu nehmen. "Jason, ich bin dir dankbar, dass du mich abgeholt hast... aber ich weiß, worauf du hinaus willst..." "Ach ja?" "Können wir es nicht einfach gut sein lassen?" Jason sah sich im Zimmer um, als würde er überlegen und mit einem Blick zur Decke stimmte er schließlich zu. "Ja, das können wir, aber natürlich nur, wenn wir vorhaben, nie wieder miteinander zu reden." David stemmte sich von der Couch hoch, um ihm ins Gesicht blicken zu können, auch wenn er dabei jeden Moment fürchtete, sein Hirn im Zimmer zu verteilen, so stark hämmerten die Kopfschmerzen los. "Jason, wir sind doch Beide fabelhaft, wir stehen doch über so etwas!" "Das wäre schön, David. Sag mal, ist es als Anwalt nicht hinderlich, so konfliktscheu zu sein?" "Ich bin nicht konfliktscheu!" "Du willst aber auch nicht darüber reden, wenn wir uns mal gestritten haben." "Es war doch keine große Sache..." "Doch war es!" widersprach Jason. "Und es tut mir wahnsinnig leid, was geschehen ist. Denn um ehrlich zu sein, habe ich dich verurteilt... vielleicht weil mein Leben sich so verändert hat und ich mich so stark von deinem Lebensstil entferne... ich ertappe mich dabei, mich zu fragen, wie du so ganz ohne Liebe, ohne Beziehung überhaupt leben kannst... und als du jetzt wegen dieser Sache zu mir kamst und nicht wusstest, warum du diese Probleme hast, da ist es einfach mit mir durchgegangen... ich hätte nicht so mit dir reden dürfen..." "Ich war doch genauso unfair... weißt du, ich bin vielleicht wirklich ein bisschen eifersüchtig. Ich hab Chris sehr gern, aber seit ihr zusammen seid, sehen wir uns viel seltener, gehen kaum noch weg und gestern hattest du nur dich als Thema oder Chris... ich bin nun mal ein bisschen Besitz ergreifend..." "Warum hast du das nicht gleich gesagt?" "Weil das albern ist, du hast schließlich jetzt eine Beziehung und da musste sich zwangsläufig etwas ändern." "Aber wir bleiben doch trotzdem die besten Freunde." "Ja, natürlich!" stimmte David zu. "Allerdings nur, wenn du mich nicht mehr auslachst, wenn ich mit Probleme zu dir komme." "Das hab ich nicht gewollt, ehrlich, aber es war einfach so unglaublich, dass du, gerade du, der sogar in mir lesen kann wie in einem Buch, an dir selbst verzweifelst. Weißt du wirklich nicht, was dein Problem ist?" "Sunshine, wenn ich es wüsste, dann wäre es kein Problem." "Ich kann es dir in einem Wort erklären." "Dann bitte!" "Jeremy." Jasons Erklärung blieb im Raum hängen, David starrte ihn nur ungläubig an. "Bitte?" "Dein Problem ist Jeremy oder besser das, was hier auf der Party zwischen euch vorgefallen ist. Erst seit diesem Tag hast du deine Ladehemmungen." "Zum Glück hast du nicht Potenzschwierigkeiten gesagt..." "Aber es ist so. Seit eurem Streit, seit der Beleidigung ist das so. Du bist plötzlich dünnfellig, gehst wegen allem an die Decke und kriegst keinen mehr hoch!" David fiel wie ein nasser Sack auf der Couch zusammen. "Erschieß mich!" forderte er dumpf durch die Kissen. "Keine Chance. Ich rate dir nur was. Geh zu Jeremy und rede mit ihm. Ich kann dir über einen Freund auf der Arbeit seine Adresse besorgen, ist nicht ganz legal, aber was soll's? Ist schließlich für meinen besten Freund." "Ich weiß nicht..." kam es aus den Kissen. "David, was hast du schon zu verlieren?" Das Gesicht des hellblonden Mannes ruckte aus den Polstern hoch. "Meine Würde!" Er schloss die Augen in der Hoffnung, dass der Schmerz, der zu schnellen Bewegung dann vielleicht nachließe. "Deine Würde, David? Du hast dich vorgestern Abend besoffen und gestern schon wieder. Zusätzlich hast du jetzt Hausverbot im "Crown Room". Das kann doch nicht so weitergehen. Geh zu Jeremy, rede mit ihm. Lad ihn zum Essen ein. Irgend so etwas, verbringe eben einen Abend mit ihm. Ich wette, wenn du mit ihm wieder im Reinen bist, lösen sich deine Probleme in Luft auf." "Ich hasse dich... gibst du denn nie auf?" "Nicht wenn es um meinen besten Freund und seine Potenz geht!" grinste Jason. "Ich gebe es auf... ich gebe auf... ich werde mit Jeremy reden..." David sank wieder in die Kissen. Ob Jason wirklich Recht hatte? War Jeremy der Grund seiner Probleme? Er hatte ihm nie viel Bedeutung zugemessen... oder unterbewusst vielleicht doch? Na ja, auf jeden Fall würde sich die Sache sicher klären lassen, Jeremy würde sich einfach für seine Frechheit entschuldigen und fertig. Dass der Barkeeper erwarten könnte, dass er selbst sich entschuldigte, auf diese Idee kam der Anwalt natürlich nicht... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Drei Tage! Ich habe dieses Kapitel in ca. 3 Tagen geschrieben, so schnell war ich schon lange nicht mehr und ich hatte auch schon lange nicht mehr so einen Spaß ^^ Selten aber es soll vorkommen, ich bin mit diesem Chap eigentlich rundum zufrieden. Na gut, er ist sehr dialoglastig, aber das ist gerade etwas was mir am meisten Spaß macht ^^ Ganz so lustig und unbeschwert wie es eigentlich werden sollte, ist es dann doch nicht geworden, wegen der spontanen Idee des Streits von Jason und David, aber ich denke damit kann man leben. David steht am Anfang von einschneidenden Veränderungen, mal sehen wie es sich auswirken wird, so ganz genau fest steht das noch nicht ^^ Mit Eve will ich die Frauenquote dieser Story mal wieder ein wenig anheben, die Sekretärin ist für regelmäßige Gastauftritte gebucht, da Frauen seit Claires Verschwinden und den wenigen Sätzen von Jasons Mutter ja eher weniger zu sagen hatten *lol* Im Zusammenhang mit Jeremy plane ich aber eine weitere weibliche Nebenrolle *g* Jem, wie Alaska schon sehr früh anfing ihn zu nennen, kehrt im nächsten Kapitel endlich zurück, nachdem seit der Party nur noch von ihm gesprochen wurde. Ich hoffe sein Charakter findet ebenso seine Fans wie die anderen Jungs. Der einzige große Dialog zwischen Chris und Jason in diesem Chap war ebenfalls eine spontane Eingebung, aber sein Inhalt könnte durchaus noch wichtig werden *ggg* Ach ja, in diesem Chap habe ich mich mal wieder ausgetobt was San Francisco angeht, ich hatte kurz zuvor intensiv in meinem Reiseführer gelesen *g* Sämtliche in diesem Kapitel erwähnten Restaurants und Bars gibt es wirklich, nur das "Sweet Surprise" habe ich erfunden, denn was Reizwäsche angeht, schweigt sich mein Reiseführer leider aus *looool* Ich hoffe, ihr hattet Spaß und wir sehen uns im nächsten Chap ^^ Euer Uly ^^ Kapitel 19: The puppy, the jerk and the locker ---------------------------------------------- David atmete tief durch und drückte den Klingelknopf neben der Tür. Er befand sich in einem Apartmenthaus in einem weniger noblen Teil der Stadt. Man konnte sicher nicht von Ghetto sprechen, aber es war trotz allem eine Gegend, in die David sich freiwillig nie begeben hätte. Er war die ganze Zeit bemüht, die Angst um sein Auto zurück zu drängen, sein neuer (und nicht billiger) Wagen stand nun ganz allein da draußen vor dem Haus. Da konnte doch sonst was passieren. David schüttelte den Kopf, als könne er damit auch diese Gedanken aus seinem Gehirn schleudern und im Flur verteilen. Der Flur war nicht besser als die Gegend. Etwas heruntergekommen, der Teppich schlug hier und dort halsbrecherische Wellen, die Tapete, die schon vor dreißig Jahren nicht mehr modern gewesen war, schälte sich an einigen Stellen von der Wand und es roch etwas muffig. Auf seinem Weg in die vierte Etage hatte er das Gefühl gehabt, durch diverse Türspione beobachtet worden zu sein. Er wusste schon, warum er das Leben in einem Haus mit Portier nicht mehr missen wollte. Er straffte sich, als Schritte hinter der Tür erklangen. Schnell hob der den Blumenstrauß in seiner Hand ungefähr auf Jeremys Augenhöhe, zumindest vermutete er, dass Jeremy so groß war. Er hatte sich gegen einen Strauß Rosen entschieden, sondern zu einem spätsommerlichen Blumenarrangement gegriffen, das war weniger verfänglich. Schließlich wollte er nicht irgendwie verzweifelt wirken, sondern Jeremy nur eine Chance geben, sich bei ihm zu entschuldigen. Den Plan hatte er sich mit ein wenig Hilfe von Jason und Chris zusammengestellt, der Abend würde ihn ein Vermögen kosten, aber das war ihm seine Potenz wert. Bevor er weiter grübeln konnte, wurde die Tür geöffnet. David senkte den Blumenstrauß und wollte gerade ansetzen zu sprechen, als er bemerkte, wem er gegenüber stand. "Oh..." war alles was er überrascht hervorbrachte. Im Türrahmen stand eine junge Frau, höchstens in Jeremys Alter. Sehr hübsch. Sie war schlank und durchtrainiert, etwas was man durch ihr bauchfreies Top sehr gut erkennen konnte. Rückenlange, haselnussbraune Haare umrahmten ein schmales Gesicht mit großen, braunen Rehaugen und vollen Lippen. Sie war dezent geschminkt, wodurch ihre natürliche Schönheit nur unterstrichen wurde. "Kann ich etwas für Sie tun?" Sie grinste. "Ähm... ich hab mich wohl in der Wohnung geirrt. Ich wollte zu Jeremy Sumner." "Was auch sonst?" Sie verschränkte die Arme. "Sind Sie schwul?" David sah sich etwas verwundert nach links und rechts um. "Ja... ist das ein Problem?" "Nein", kicherte die junge Frau, "aber es war klar. Immer kriegt Jem die süßen Jungs... Männer, meine ich." "Jem?" "Jeremy!", erklärte sie. "Ich nennen ihn immer Jem, ist kürzer." "Also bin ich doch in der richtigen Wohnung?" Das war eher eine Festsstellung als eine Frage. "Ja, das sind Sie." Sie machte einen Knicks, ohne ihr Grinsen abzusetzen. "Abigail Thompson, nennen Sie mich ruhig Abby, das ist ebenfalls kürzer und weit weniger schlimm. Ich bin Jems Mitbewohnerin." "Sehr erfreut." "Ich fürchte, die Blumen sind nicht für mich, was?" David schüttelte lächelnd den Kopf. "Typisch!" Sie zwinkerte ihm zu, bevor sie sich umdrehte. "Jem?! Besuch für dich!", rief sie laut in die Wohnung hinein, ungeachtet der Tatsache, dass diese ziemlich klein war. "Wer?", kam es von irgendwo zurück, David erkannte Jeremys Stimme. Abby wandte sich wieder ihm zu und blickte ihn fragend an. "David Vanderveer.", beantwortete der Anwalt ihre stumme Frage. "David!" brüllte sie in Wohnung. Einen Moment lang herrschte Stille. "Ich bin nicht da!" "Du weißt aber schon, dass er dich hören kann, oder?", lachte Abby. "Mir egal! Ich bin nicht da!" Sie verdrehte die Augen. Ohne zu zögern griff sie David am Arm und zog ihn in die Wohnung. "Es tut mir leid, ich muss Sie bitten zu gehen!" sagte sie laut, bevor sie die Tür ins Schloss warf. "Sie waren wohl ein ganz böser Junge..." flüsterte sie daraufhin und nickte in den kleinen Flur hinunter. Er endete an einem schmalen Fenster und links und rechts führten je zwei Türen weg. "Die Tür hinten links." "Vielen Dank!", lächelte David, dieses Mädchen war ihm jetzt schon sympathisch. Sie folgte ihm nicht, sondern bog direkt nach rechts in die Kombination aus kleinem Wohnzimmer und Küche ein. David vermutete, dass eine der anderen Türen zu ihrem Zimmer führte und die übrige ins Bad. Er wusste selbst nicht genau, warum er ein wenig nervös wurde, während er die wenigen Schritte den Flur hinab ging. Jeremys Tür stand ein Stück auf, er klopfte nicht bevor er sie ganz öffnete. Jeremys Zimmer war wie der Rest der Wohnung nicht gerade groß, aber irgendwie gemütlich. Vor allem war es überraschend ordentlich. Keine verteilten Klamotten, leere Pizzakartons oder angebissene Sandwichs. Selbst das Bett war gemacht. Das Zimmer enthielt neben der Schlafgelegenheit nur einen Kleiderschrank, ein paar Regale an den Wänden und einen kleinen Schreibtisch auf dem mit Mühe ein PC Platz fand. Vollkommen deplatziert in dem sonst eher minimalistischen Raum war eine große, topmoderne HiFi-Anlage. Das Zimmer war in Grüntönen gehalten und Jeremy hatte wohl selbst ein paar Palmen auf die Tapete gemalt, eine Zimmerpalme bemühte sich sichtlich, die Dschungelatmosphäre zu verstärken. Jeremy saß an seinem Computer, David meinte so etwas wie einen Chatroom zu erkennen. "Ist er weg?", fragte der junge Mann ohne aufzublicken. "Nein, ist er nicht." Jeremys Kopf ruckte herum, er fixierte David mit einer Mischung aus Überraschung und Wut. "Hat Abby dich rein gelassen?" David nickte. Jeremy stieß sich mit Fuß ab, so dass sein Schreibtischstuhl sich in Davids Richtung drehte, bevor er die Arme trotzig vor dem Oberkörper verschränkte. Er war nicht auf Besuch eingestellt, zumindest sah das ziemlich alte Muscle Shirt und die Shorts die er trug nicht danach aus. "Und? Was willst du, Vanderveer?" David legte den Kopf schräg. "Sind wir jetzt soweit uns beim Nachnamen zu nennen, Sumner?" "Vielleicht!" Jeremy schien es David nicht leicht machen zu wollen. Er suchte mit dem Fuß unter dem Schreibtisch nach dem rot leuchtenden Kippschalter auf der Steckdose und legte ihn mit dem Zeh um, der Bildschirm des Computers wurde schwarz. "Das ist aber nicht gesund für das Teil." "Geht dich das was an?" David seufzte hörbar. So kam er nicht weiter. Eindeutig nicht. Aber soweit aufzugeben, war der Anwalt noch lange nicht, schließlich stand hier einiges auf dem Spiel. Er deutete aufs Bett. "Darf ich mich setzen?" "Mach was du willst." "Du bist der perfekte Gastgeber!" Er ließ sich auf dem Bett nieder. "Dein Zimmer ist gemütlich...", meinte er mit einem Blick in die Runde. Jeremy begann, ungeduldig mit dem Fuß aufzutippen. "Was willst du?" "Okay, wenn du es so haben willst! Kein Smalltalk, die Kurzfassung, direkt auf den Punkt: Ich bin hier um dich zu fragen, ob du heute Abend mit mir Essen gehen willst." Er betrachtete die Blumen, die er immer noch in der Hand hielt. "Und die sind für dich!" Er streckte den Strauß Jeremy hin, der ihn vollkommen perplex entgegen nahm. "Und?" "Äh..." Der junge Mann schaute verdutzt abwechselnd den Blumenstrauß und David an. Offenbar konnte er nicht fassen, was eben geschehen war und versuchte, aus der Situation schlau zu werden. "Du willst mit mir essen gehen?" David lehnte sich auf dem Bett zurück und stützte sich ab. "Genau!" "Dir ist aber schon klar, dass das dann nicht viel mehr sein wird als eine Pizza oder Hamburger, ich bin gerade etwas knapp bei Kasse." Er sagte das in einem spaßigen Ton, aber David bemerkte sofort, dass er sich dessen ebenso schämte. Der Anwalt winkte ab. "Du bist eingeladen." "Warum?" "Warum nicht?" Die Beiden sahen sich an, dann brach Jeremy plötzlich in Lachen aus. "Du bist ein Mistkerl, David!" "Sind wir jetzt wieder beim Vornamen angekommen?", grinste der Anwalt. "Ja!" Jeremy beruhigte sich langsam wieder. "Ist ja gut. Du machst es einem wirklich schwer, abweisend zu sein." "Sinn der Sache!", lächelte David. "Ich bin um halb acht hier und hole dich ab, okay?" "Geht klar... wie muss ich mich anziehen? Ich hab keinen Anzug oder so." "So lange du nicht im T-Shirt und kurzen Hosen kommst, ist alles okay." David zwinkerte ihm zu. "Warum machst du das?" "Weil ich es möchte." David stand auf, nahm Jeremys Hand und gab ihm einen Kuss darauf. Der Tänzer schaute ihn vollkommen verstört an. "Bis heute Abend. Ich finde selbst raus." Er ging zur Tür, drehte sich noch einmal um und lächelte Jeremy an. "Ich freue mich darauf." Er meinte das wirklich ernst, obwohl er in diesem Augenblick nicht genau wusste warum freute er sich ungemein auf den Abend. "Ich... ich auch..." Jeremy blieb allein zurück. Er roch an dem Blumenstrauß. Ein berauschender Duft, wirklich schön. Ihm schwirrte immer noch der Kopf von dieser merkwürdigen Begegnung. Er hatte doch eigentlich sauer auf David sein wollen und sich nicht wieder auf ihn einlassen. Aber als er so vor ihm gestanden hatte... Er sah einfach so umwerfend aus. Diese Augen... Und er hatte sich wohl in ihm geirrt. David war hier aufgetaucht, mit Blumen und einer Einladung und das alles um sich bei ihm zu entschuldigen. Das war doch einfach wundervoll und so lieb von ihm. "Brauchst du eine Vase?" Abby stand in der Tür. "Ich sollte gar nicht mehr mit dir reden!", stichelte Jeremy, "Aber eine Vase wäre nicht schlecht." Sie hielt ihm grinsend eine bereits mit Wasser gefüllte, einfache Vase hin. Jeremy nahm sie entgegen, stellte die Blumen hinein und platzierte sie auf dem Schreibtisch. "Ein wirklich hübscher Strauß, er hat Geschmack.", stellte Abby fest. Sie setzte sich aufs Bett, fast genau an die Stelle, an der David eben noch gesessen hatte. "Ja, den hat er wirklich." "Und einen Körper zum Niederknien! Hast du diese Oberarme gesehen?" "Abby..." "Und diese Augen! Mein Gott, so ein herrliches Blau! Wie ein niedlicher Husky!" "Abby..." "Und sein süßer Hintern! So ein richtiger Knackpo!" "Abby!" Jeremy hob die Stimme, damit das Mädchen endlich mal seine Einwürfe zur Kenntnis nahm. Sie hatte diese natürlich sowieso bemerkt und grinste ihn nun frech an. "Ja bitte?" "Ich weiß wie gut er aussieht! Ich weiß sogar, wie er im Bett ist, ich habe nämlich schon mit ihm geschlafen." Sie zog eine Schnute. "Du gehst mit so einem Adonis ins Bett und ich erfahre davon kein Sterbenswörtchen? Du bist mir vielleicht einer! Los! Ich will alles wissen, jedes noch so schmutzige Detail! Schließlich bist du meine beste Freundin und die erzählen sich so etwas!" "Seit wann bin ich deine beste Freundin?", lachte Jeremy. Abby verschränkte die Arme vor der Brust. "Werde nicht kleinlich. Gut, du bist ein Kerl, aber du bist schwul, also bist du quasi meine beste Freundin. So einfach ist das!" "Ich bin immer noch bi." "Meine Güte, die ein oder zwei Mädels hier und da. Ich glaube nicht an Bisexualität, das ist nur die letzte Haltestelle auf dem Weg nach Gaytown." "Gaytown?" "Ja, das liegt nah bei Ricky-Martin-Village." Jeremy musste nun endgültig lachen. "Du hast echt einen Knall, weißt du das?" "Dann erzähl einer armen Irren jetzt endlich alles über deinen wilden Sex mit diesem jungen Gott!" "David ist kein Gott! Er ist eigentlich Gift! Egozentrisch und gefühlskalt!", ereiferte sich Jeremy. "Ach, und warum gehst du dann mit ihm aus?" "Hast du gelauscht?" Sie setzte einen völlig unschuldigen Blick auf und schlug die Wimpern nieder. "Vielleicht... also? Warum?" "Weil..." "Nun?" bohrte die junge Frau unerbittlich. "Weil ich..." "Weil du auf ihn stehst!", half sie ihm auf die Sprünge. "Vielleicht..." Sie sog die Luft ein. "Oh, oh! Wenn du es sofort zugibst, ist es was Ernstes. Hätte ich gar nicht erwartet." "Kennst du mich so gut?" Sie lächelte. "Jem, wir wohnen jetzt schon so lange zusammen, ich kenne dich mehr als gut. Mal im Ernst, wir sind die besten Freunde, da weiß man so etwas. Du spürst doch auch sofort, wenn ich schlecht drauf bin." "Hast ja Recht..." "Eben! Und jetzt spüre ich genau, dass es dich erwischt hat und zwar total." "Scheiße, ja..." brach es aus dem jungen Mann heraus, "Aber wie könnte es auch nicht?! Er ist so süß! So witzig! Er ist liebenswert, herzlich, sieht umwerfend aus und nicht zuletzt..." "Ja?" Jeremy beugte sich zu ihr hinüber, als könne jemand zuhören. "Wenn du mit ihm im Bett bist, hörst du die Englein singen!" "Gibt es solche Männer wohl auch in der nicht schwulen Variante? Du musst mir unbedingt mal deine Quellen verraten!" "Scherzkeks!" Abby lehnte sich ein wenig nach hinten. Sie strich sich ohne es zu merken durchs Haar und begann, eine Strähne zwischen ihren Fingern zu drehen, eine Marotte von ihr, die Jeremy nur zu gut kannte. "Warum habe ich nur das Gefühl, dass da noch ein entscheidendes "Aber" kommt?" Jeremy seufzte. "Das "Aber" ist, dass ich ihm nicht sagen kann, wie ich empfinde..." Er zog eine Blume aus dem Strauß und roch daran. "David gehört zu den Typen, die keine Beziehung wollen. Er wechselt ständig seine Partner... Erinnerst du dich noch, dass ich auf dieser Halloween Party war?" "Ja!", lachte Abby. "Du hast so süß ausgesehen als Pirat! Richtig schick!" "Ich war mit ihm da... und der Abend endete damit, dass ich ihn mit einem anderen Kerl erwischt habe. So ein Muskelmann in seinem Alter... und er hatte noch nicht einmal ein Problem damit..." "Aber du..." beendete Abby für ihn. "Hättest du das nicht?" "Doch, schon..." "Ich hab ihn dann ziemlich beleidigt und stehen lassen. Ich hätte aber um ehrlich zu sein nicht erwartet noch einmal von ihm zu hören." "Na siehst du!", lächelte Abby. "Meinst du, er will sich bei mir entschuldigen?" überlegte Jeremy laut. "Kann doch sein..." Abby spielte immer noch mit der Strähne. "Blumen, eine Einladung... klingt nach Friedensangebot." "Das wäre so schön..." "Dich hat es sehr erwischt, was?" "Ja....", seufzte Jeremy, "Schon als ich ihn das erste mal gesehen habe... aber er spielt in einer anderen Liga, da reiche ich wohl nie ran... Ich hab immer extra den coolen Draufgänger raushängen lassen, nur damit er nicht merkt, was ich wirklich empfinde... Aber als er gerade so da stand, da wäre ich ihm am liebsten um den Hals gefallen..." "Sei nicht so pessimistisch." "Gibt es einen Grund für Optimismus? Er ist sogar zwölf Jahre älter als ich..." "Spielt das bei Schwulen eine Rolle? Ich meine, das ist sogar bei Heteros mittlerweile fast egal. Cameron Diaz und Justin Timberlake sind elf Jahre auseinander und zwar ist sie älter als er.", gab Abby zu Bedenken. "Aber ob ihm das auch egal ist..." "Jem, wo ist dein Tatendrang? Wenn du nicht versuchst es herauszufinden, weißt du nie woran du bist! Also ran an den Feind und verbring ein schönes Date mit ihm. Dann wirst du sehen, wie die Sache aussieht." Jeremy legte den Kopf in den Nacken und sah zur Decke. Abby hatte vollkommen Recht. Er musste den Schritt wagen und David die Möglichkeit einräumen, sich zu entschuldigen. Wer weiß, vielleicht würde sich aus dem Ganzen ein wundervoller Abend ergeben... wenn nicht sogar mehr, wer konnte das schon sagen? Plötzlich klopfte sein Herz wie wild... Jason stand auch vor einer Wohnungstür. Und zwar von der von Ash. Er hatte schon vor über einer Minute geklingelt und sah erneut auf die Uhr, deren Zeiger dem Beginn ihrer Arbeit bedrohlich näher kamen. Tick tack, tick tack... Auch wenn er zum Glück vom Ticken einer biologischen Uhr verschont blieb, dieser Zeitdruck war noch schlimmer. Schließlich vernahm er eilige Schritte hinter der Tür bevor sie aufgerissen wurde. Verdutzt schaute er seinen Kollegen an, der nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet vor ihm stand. "Ähm... ist das dein neues Arbeitsoutfit? Wer weiß, Frottee könnte ja in Mode kommen!" "Ich sehe schon, du bist ein Modemuffel, nasse Frotteehandtücher als Accessoire sind der letzte Schrei." Jason zog die Augenbraue hoch. "Okay!" Ash wurde geständig. "Ich hab verpennt! Ich bin gleich fertig, komm doch rein." Er eilte in die Wohnung zurück in Richtung des Badezimmers. Jason folgte ihm etwas langsamer, damit er sich umsehen konnte. "Hübsch hast du es hier." "Danke!" Ash hatte bereits die Zahnbürste zwischen den Lippen. Jason kam zur Badezimmertür und lehnte sich mit der Schulter daran. "Vielen Dank, dass du mich zur Arbeit mitnimmst, die von der Werkstatt könnten sich ruhig etwas mehr beeilen mit meinem Wagen!", meinte der blonde Mann, nachdem er den schaumigen Rest der Zahnpasta ins Waschbecken gespuckt hatte. Er ließ Wasser nachlaufen, damit es keine Ränder gab. "Ist doch kein Problem. Habe ich heute wenigstens mal eine Ausrede für mein Kommen in letzter Minute." Ashton langte nach einer Jeans, die über dem Badewannenrand hing und warf dann einfach das Handtuch in die Ecke. Er stand mit dem Rücken zu Jason, der in diesem Moment beinahe die Hand vor die Augen gerissen hätte, aber er wollte nicht prüde wirken... und außerdem war der Anblick... Reiß dich zusammen! befahl er sich in Gedanken selbst. Ashs Hintern stand dem Rest seines Körpers aber in keiner Weise nach, perfekt geformt und knackig. Der andere Mann schien sich nicht daran zu stören, dass er nackt vor Jason stand, sondern stieg einfach in die Hose. Als er dabei das Bein ein wenig hob und sich nach vorn beugte, erlaubte er Einblicke, die dafür sorgten, dass Jason heiß wurde. Er schämte sich deswegen, aber schließlich war er auch nur ein Mann, schwul hin oder her. Ash zog die Hose hoch und drehte sich erst beim Schließen um, so dass Jason keinen Blick auf sein bestes Stück werfen konnte. Sein Kopf ruckte in diesem Moment sowieso nach oben, aber zu spät als das er hätte kaschieren können, wo seine Augen bisher geruht hatten. Sein Partner grinste ihn an. "Ist was?" "Ähm..." Jason kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf. "Steigst du immer so in die Hose? Ich meine... ohne Unterwäsche?" "Ja, ich finde das bequem." "Ich weiß nicht... ich hab das ab und zu mal probiert, aber mein Fall ist das nicht." "Jedem das Seine!" lachte Ash, während er sich sein Shirt über den Kopf zog und sich dann am Spiegel daran machte, seine Haare ein wenig zu richten. Jason spielte etwas nervös mit den Fingern. Der Gedanke, dass Ash nie etwas unter seinen Jeans trug war irgendwie aufregend. Er fühlte sich schrecklich, weil ihm solche Gedanken durch den Kopf schossen, aber er hatte ja schließlich nicht vor, Chris zu betrügen. Im Gegenteil, im Moment hätte sein Verlangen danach seinen Freund zu lieben nicht größer sein können. Vielleicht war es die augenscheinliche Erotik dieser Situation gewesen, aber er konnte nicht bestreiten, gerade unglaublich scharf auf Chris zu sein. Das war wohl das berühmte "Appetit holen, aber gegessen wird zuhause". "Warum schwitzt du so, Jason?" Der Polizist zuckte zusammen. "Oh... ich..." Ash hörte mit seinem Styling für einen Augenblick auf und drehte sich zu ihm. "Hör zu, ich will nicht, dass hier Missverständnisse aufkommen. Das war jetzt kein Verführungsversuch oder so, okay? Ich trage wirklich so gut wie nie Unterwäsche, aber es war nicht beabsichtigt, dass du mir beim Anziehen zusiehst. Ich habe da kein Problem mit, aber ich will auch keinen falschen Eindruck entstehen lassen. Ich glaube, du bist sehr glücklich mit deinem Freund und ich habe nicht vor, da Probleme zu bereiten." Damit holte er Jason wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. "Entschuldige, ich wollte nicht starren oder so." "Schon okay. Nur glaube bitte nicht, dass ich dich verführen will. Ich möchte, dass wir Freunde werden, aber sonst nichts, okay?" Jason nickte nur. So war ihm das auch sehr recht. Er sah auf die Uhr. "Fuck! Halt dich ran, das wird verdammt knapp!" David war den ganzen Tag bester Laune. So gut wie schon lange nicht mehr. Die Arbeit ging ihm heute sehr gut von der Hand, er erreichte sogar in einem Fall, der für seinen Mandanten nicht gerade rosig aussah, einen Vergleich, der günstiger nicht hätte ausfallen können. Als er danach in seinem Büro saß und auf San Francisco hinaus schaute, hätte er am liebsten laut gejubelt. Endlich ging es wieder bergauf. Er freute sich wirklicht auf den Abend und außerdem war es ein schönes Gefühl, das Richtige getan und Jeremy auf diese Weise die Möglichkeit gegeben zu haben, sich für seine Frechheit zu entschuldigen. "Jeez, das war wirklich mal nötig!" Ash und Jason befanden sich im Umkleideraum des Departments. Der Raum enthielt nur mehrere Reihen von Spinden und hölzerne Sitzbänke und konnte von den Beamten auf unterschiedliche Weise genutzt werden. Die Streifenpolizisten wechselten ihre Kleidung und nutzten die angrenzenden Duschräume, außerdem stand ein kleiner Fitnessraum zur Verfügung. Ash hatte seine Jacke hier deponiert, als er mit Jason zusammen auf den Schießstand gegangen war. Heute war wenig los, selbst der Papierkram hielt sich in Grenzen, da hatten die beiden Männer die Chance nutzen wollen, ihre Schießkünste mal wieder zu trainieren. Sie gaben sich beide nichts, hatten beinahe die gleiche Punktzahl erreicht, aber hatten ebenso beide das Gefühl, schon mal besser gewesen zu sein. "Du hast doch super geschossen." "Jason, ich war echt schon besser. Ich bin total eingerostet." "Nicht unbedingt schlecht... mein letzter Schuss war auf den Kerl, der meinen früheren Partner auf dem Gewissen hat." "Der Ripper von Frisco?" Jason lief es kalt den Rücken runter. "Ja, genau der." "Du bist ein Held, weil du ihn gestellt hast, ich meine, das war in allen Zeitungen." "Ich fühle mich sicher nicht als Held..." Das Öffnen der Eingangstür unterbrach das Gespräch der Beiden. Sie standen in einem toten Winkel von der Tür, so dass sie nicht sehen konnten wer da hinein kam, aber selbst auch nicht gesehen werden konnten. Die Neuankömmlinge blieben im Eingangsbereich stehen. "Wenig los gerade, was?" "Umso besser." Jason erkannte den ersten Sprecher als Jim Mayer, der andere war Juan Rodriguez. Jason knirschte mit den Zähnen. Juan Rodriguez war im Department das, was Walt Rogers für David war. Cunningham und Rodriguez, das passte einfach nicht zusammen. Zwischen ihnen bestand eine unausgesprochene Feindschaft, die durch Jasons Beförderung nur geschürt worden war. Rodriguez hatte auf Jason vom ersten Moment an unsympathisch gewirkt. Er war klein, mindestens zwei Köpfe kleiner als Jason, aber drahtig und machte seine Körpergröße mit einem unerschütterlichen Ehrgeiz wett. Er hielt sich für etwas ganz tolles, so nahm Jason es zumindest an. Schlecht sah er nicht aus, der typische Latinolook, aber seine schmalen, dunklen Augen wirkten immer verschlagen und Jason konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Rodriguez im Notfall sogar seine Mutter verkaufen würde, um beruflich weiter zu kommen. Was Jim nun ausgerechnet mit ihm hier zu suchen hatte, verstand er nicht wirklich. "Vielleicht haben wir dann auf dem Schießstand auch unsere Ruhe." Diese Stimme gehörte Mark Jennings, einem Cop den Jason höchstens von kurzen Hallos und vereinzelten Sätzen kannte. "Ich hab schon befürchtet, dass die Schwuchtel vielleicht hier wäre!", lachte Rodriguez. "Würde mich nicht wundern, wenn der sich hier rumdrücken würde um ein paar Ärsche sehen zu können!" Jasons Blick traf den von Ash. Sein Partner schüttelte den Kopf und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. "Von wem redest du?", wollte Jim wissen. Jennings lachte schallend. "Von wem soll er schon reden, Mayer? Kennst du hier noch eine Schwuchtel außer Cunningham?" "Jason ist keine Schwuchtel!" "Oh wie niedlich! Ergreifst du jetzt seine Partei, Mayer?" Rodriguez Stimme hatte den typischen, herablassenden Unterton. "Warum fragst du ihn nicht, ob du ihm einen blasen darfst? Vielleicht bumst die Tunte dich auch." "Hör auf so von Jason zu reden. Er ist sehr nett und verdient es nicht, dass ihr so über ihn herzieht!" Jason schloss die Augen. In Gedanken dankte er Jim für die Unterstützung. Jim Mayer war ein sehr lieber Typ, fast zu lieb für diese Welt. Er hatte keine Chance gegen Rodriguez und Jennings. "Ach, halt dich da raus, am besten gehst du zu der Tucke und ihr schminkt euch gegenseitig!" Jennings und Rodriguez brachen in johlendes Gelächter aus. "Ich hab von Wilson gehört, dass er und seine Frau Cunningham letztens mit so einem kleinen Blonden im Gate Park gesehen haben. Widerlich, dass die sich heutzutage sogar auf die Straße trauen!" "Geht es auch primitiver?! Man sollte eher nicht glaube, dass so jemand wie du sich auf die Straße traut! Ich verzichte auf die Schießübungen!" Die Beiden hörten wie Jim offenbar wutentbrannt aus dem Umkleideraum stürmte. "Besser, wenn wir den los sind. Wahrscheinlich ist der auch eine Tunte, so wie der mit Cunningham sympathisiert. Die bumsen doch sowieso alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Wer weiß, was Cunningham, Mayer und der Neue treiben, wovon Cunninghams kleiner Süßer nichts erfahren darf!" Jason wollte losstürmen, doch Ash hielt ihn plötzlich bombenfest und legte den Finger auf die Lippen. Die beiden anderen Polizisten näherten sich ihrer Position. Offenbar mussten sie, um an ihre Spinde zu kommen, direkt an Jason und Ash vorbei. Ashs Spind war der erste der Reihe, Jasons ein Stück weiter entfernt. Jason verstand nicht, was Ash vor hatte, doch was innerhalb der nächsten Sekunden geschah, hätte er eh nie erwartet. Rodriguez kam um die Ecke, er nahm die Abzweigung zu den Schränken in einem sehr engen Bogen und in diesem Augenblick riss Ash seinen Spind auf. Rodriguez, der nicht einmal realisiert hatte, dass hinter der Schrankreihe jemand stehen könnte, hatte keine Zeit mehr zu reagieren. Die metallene Spindtür knallte ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Er schrie auf und fiel rückwärts nach hinten. Blut schoss aus seiner Nase. Er lag rücklings auf dem Boden und presste die Hände aufs Gesicht. Jason konnte das Ganze nur erschrocken beobachten, ebenso wie Jennings. Ash hingegen setzt einen ganz offenbar gespielt schockierten Gesichtsausdruck auf und hob die Hand vor den Mund. "Oh, Gott, das tut mir aber leid, ich hab gar nicht gesehen, dass Sie da standen." In Rodriguez Augen funkelte Mordlust, als er sich mühsam wieder erhob. Das Blut aus seiner Nase besudelte sein weißes T-Shirt. "Wichser! Du hast genau gewusst, dass ich um die Ecke komme!" "Aber nein, absolut nicht. Ich wusste nicht einmal, dass Sie hier waren." "Wir haben uns laut und deutlich unterhalten! Du hast es gewusst, du Arsch!" "Sind wir schon beim ,Du' angekommen? Na gut?" Ash stemmte die Hände in die Hüften. "Beweis mir, dass ich es gewusst habe." Rodriguez drückte sich ein Taschentuch gegen die Nase. Er schaute an Ash vorbei. "Cunningham! Natürlich... ich hätte es mir denken können." "Hast du ein Problem, Rodriguez?" Jason versuchte, seine Stimme möglichst sicher klingen zu lassen, trotz seines Schrecks und gleichzeitig nicht zu schadenfroh. Jennings fasste Juan am Arm um ihn mit sich zu ziehen. "Lass es gut sein." Der Polizist schien einen Moment nicht reagieren zu wollen, er fixierte Jason mit hasserfüllten Blicken. Doch dann nickte er und folgte Jennings. "Blöde Schwuchtel!", zischte er, als er an Jason vorbei ging. Der junge Cop wollte ihm nach, aber wiederum wurde er von Ash zurück gehalten. "Das hat keinen Sinn. Komm." "Verdammtes Arschloch!" Jason trat heftig gegen seinen Schreibtisch, was allerdings nur zur Folge hatte, dass sein Fuß schmerzte. "Ich hasse diesen Kerl!" Ash hatte sich in einen Stuhl vor Jasons Arbeitsplatz fallen lassen und lehnte sich nun ein wenig zurück. "Nimm dir das nicht so zu Herzen." Jason seufzte. "Ich hoffe du kriegst keine Probleme, wegen der Sache mit dem Spind." "Wie sollte ich?" Ash grinste dreist. "Das war ein Unfall, nichts weiter." "Du hättest ihm die Nase brechen können." "Ich weiß..." Er zuckte mit den Schultern. "Aber dafür hat der Schwung nicht ausgereicht, leider..." "Du hattest das geplant?" "Klar..." Jason musste zugeben, dass er schockiert war. Aber andererseits hatte Rodriguez es auch nicht anders verdient. "Warum hast du das gemacht?" Ash lächelte ihn an. "Niemand redet so über meine Freunde. Und mich hat er schließlich auch beleidigt. Ich habe dir doch gesagt, dass ich dein Freund sein möchte und für meine Freunde stehe ich eben ein." Jason wusste nicht genau, was er sagen sollte. Natürlich war das nicht die feine englische Art gewesen, aber schließlich hatte Ash es für ihn getan. "Danke...", meinte er schließlich, "Aber keine solchen Aktionen mehr, okay? Ich will nicht, dass du Ärger bekommst." Ash nickte. "Wie du meinst. Das hat sicher schon gereicht, um mir Rodriguez auch zum Feind zu machen." "Wenn er wüsste, dass du auch schwul bist." "Wenn schon! Mir auch egal. Ich halte das nur geheim, damit wir in Ruhe arbeiten können und es nicht noch mehr Gerede über dich gibt. Aber ich muss dich mal was fragen." "Was denn?" "Warum hast du dich überhaupt geoutet? Ich meine, wir arbeiten in einem Beruf für," Er machte Anführungszeichen mit den Fingern nach, "echte Kerle. Harte Männer, die ihr Leben für das Gesetz aufs Spiel setzen. Hier gibt es so viele Machos, für die Homos ein rotes Tuch sind." "Ich hatte nie vor mich zu outen!" Jason verzog das Gesicht. "Ich war damals ziemlich fertig und hab meinen Partner angebrüllt, dabei ist es mir raus gerutscht... bei ihm war das kein Problem, leider waren aber auch Jungs von der Spurensicherung anwesend und ruckzuck hat das die Runde gemacht. Seitdem ist mein Arbeitsalltag nicht mehr ganz so angenehm wie früher. Kannst du dir vorstellen, dass ich noch vor ein paar Monaten einer der beliebtesten Kollegen war? Es gibt genug, denen meine Homosexualität nichts ausmacht oder denen sie zumindest gleichgültig ist, aber auch eine Menge wie Rodriguez... obwohl ich mit dem vorher schon nicht klar kam..." "Na ja,", meinte Ash, "auf jeden Fall kannst du dich auf mich verlassen." Jason musste zugeben, dass er darüber sehr glücklich war. Er lächelte seinen Partner dankbar an. Was er vermutet hatte, war nun Gewissheit, Ash und er würden sicher sehr gute Freunde werden. Jeremy stand nur mit einem schwarzen Slip bekleidet in seinem Zimmer vor dem Kleiderschrank. Sein Blick glitt über die Klamotten, die auf Bügeln oder ordentlichen Haufen im Schrank untergebracht waren. Abby war oft fasziniert davon, dass er, als Mann, viel ordentlicher war als sie selbst. Was sollte er anziehen? Die Frage, die so alt war wie die Menschheit selbst, sicherlich haben schon die Höhlenmenschen nie gewusst, ob sie nun das braune oder lieber das beige Fell anziehen sollten. Na ja, zumindest die Höhlenfrauen. Männer hatten ja meistens nicht so das Problem mit der Kleiderwahl. Jeremy schon. Er drückte auf den Play-Knopf seiner Anlage und aus den Boxen dröhnte "Then he kissed me", ein Oldie von der Band The Crystals. Jeremy liebte diesen Song, er ging ihm sofort in die Beine. Schon während der ersten Takte des Liedes fing er an, den Rhythmus mit zu tanzen. Well he walked up to me and he asked me if I wanted to dance He look kinda nice and so I said I might take the chance. When we danced he held me tight And when he brought me home the night All the stars were shining bright and then he kissed me! Er hatte mittlerweile eine schwarze Jeans aus dem Schrank gezogen und war geschickt hinein gestiegen. Übermütig sprang er auf sein Bett und sang den Bettposten an, als sei er ein Mikrofon. Each time I saw him I couldn't wait to see him again! I wanted to let him know that he was more than a friend! I didn't know just what to do So I whispered: I love you! And he said that he loved me, too, and then he kissed me! Abby betrat von der Musik angelockt das Zimmer. Als sie ihren Mitbewohner so durch den Raum springen sah, musste sie unwillkürlich grinsen. Sie stellte sich neben ihn und gemeinsam tanzten sie weiter. Abby wirbelte ihre Mähne durcheinander. Bei den nächsten Zeilen wandten Beide ihren Blick zur Zimmerdecke und schauten ganz verträumt. He kissed me in a way that I've never been kissed before he kissed me in a way that I wanna be kissed for evermore! Jeremy nahm ein weißes Hemd aus dem Schrank und warf es sich über, ließ es aber noch offen. Er fasste Abby an der Hand und sie hopsten zum Fenster. Bevor die nächste Strophe anfing, hob Abby den Vorhang an und legte ihn sich auf den Kopf, als sei er ein Schleier. I knew that he was mine so I gave him all the love that I had! And one day he took me home to meet his mum and his dad! Die Beiden schritten langsam ins Zimmer hinein, wie ein Hochzeitspaar den Gang hinab, während die nächsten Zeilen erklangen. Der Vorhang glitt langsam wieder von Abbys Kopf. Then he asked me to be his bride and always be right by his side felt so happy I almost cried and then he kissed me! Abby ließ sich lachend aufs Bett fallen, als die letzten Takte des Songs verklangen. "Sag du noch einmal, du seiest nicht schwul!" kicherte sie. "Hier wie Elisabeth Shue in "Die Nacht der Abenteuer" durch die Gegend zu hüpfen und auf deinen Boyfriend zu warten, da hilft kein Leugnen mehr!" "Wenn du meinst!", stimmte Jeremy ein. Er musterte sich kritisch im Spiegel, während er das Hemd zuknöpfte. "Kann ich mich so sehen lassen?" "Schlicht aber ergreifend!", grinste Abby. "Mir gefällt es. Lange behältst du das sowieso nicht an, wenn ich mir das so überlege!" Jeremy streckte ihr über den Spiegel hinweg die Zunge raus. Das Telefon klingelte. "Ich geh schon!" Abby eilte aus dem Zimmer und nach wenigen Sekunden meldete sie sich am Apparat. Jeremy fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Er musste heute unbedingt das Beste aus sich machen. "Jem?! Es ist für dich!" Der junge Tänzer streckte den Kopf aus der Tür. "Wer?" "Will er mich nicht sagen..." Abby klang genervt. "David-Schnuckel ist es aber nicht..." Jeremy kam zu ihr und nahm den Hörer entgegen. "Sumner." Für einen kurzen Moment erschien ein Ausdruck von Schrecken auf seinem Gesicht. Er sah Abby an, die mittlerweile in der Küche ein Sandwich machte. Sie schenkte ihm keine Beachtung, also drehte er sich eilig um und senkte die Stimme. "Ich hab doch gesagt, du sollst mich hier nicht anrufen!... Nein... Nein, es geht nicht... hör zu, ich weiß, dass ich den Job wollte, aber ich kann heute Abend nicht.... Nein, absolut nicht... Er soll sich jemand anderen suchen... Mir egal, ich kann heute auf keinen Fall und ruf nicht noch einmal unangekündigt hier an!" Er legte auf. "Wer war denn das?" "Äh... niemand... nur einer vom Mighty, ob ich heute Abend einspringen kann..." "Und warum wollte der Depp das mir nicht sagen? Ist doch kein Staatsgeheimnis!" "Keine Ahnung... ich muss mich fertig machen." "Willst du auch ein Sandwich?" "Nein, mir ist schon schlecht vor Aufregung, da esse ich lieber nichts!" Jeremy ging in sein Zimmer zurück und schloss die Tür. Mit einem Seufzer der Erleichterung lehnte er sich mit dem Rücken daran. Das war gerade noch einmal gut gegangen... Chris ließ seinen Blick über die ausgestellten DVDs im "Entertainment Planet Video Store" schweifen. Der Laden war verdammt groß, man konnte sich zwischen den endlosen Reihen fast verlaufen. Jason und er hatte beschlossen einen ruhigen Videoabend zu machen und sein Freund hatte ihn nach der Arbeit abgeholt und war mit ihm hierher gefahren. Jason hatte ihm im Auto die Geschichte von der Arbeit erzählt. Chris wusste nicht so genau, ob er absolut schockiert oder beeindruckt über bzw. von Ashs Verhalten sein sollte. Was er da gemacht hatte war schon heftig, aber er hatte es getan, um nicht nur seine, sondern auch die Ehre von Jason und ihm selbst zu verteidigen. Er zog eine DVD aus dem Regal und drehte sich zu seinem Freund um, der ein paar Meter entfernt stand. "Jason?" Der anderen Mann musterte die Hülle und verzog das Gesicht. "Notting Hill?! Bitte nicht, ich hasse Hugh Grant!" "Aber ich mag Julia Roberts und der Film ist romantisch!" "Also kennst du ihn schon!" grinste Jason. "Was ist hiermit, wenn es schon eine romantische Komödie sein soll?" Er hielt Chris eine Verpackung hin. "The Wedding Planer?! Matthew McConaughey ist doch wohl total daneben. Außerdem kenne ich den Film schon." "Ach, aber bei Notting Hill hätte es dich nicht gestört ihn zu kennen?" stichelte Jason. "Wollten wir eigentlich einen Videoabend oder einen Streitabend machen?" "Wer streitet hier?" Jason schien nicht bereit, einzulenken. "Darf ich mal kurz stören?" Die Beiden drehten sich um. Hinter ihnen stand ein junger Mann, höchstens achtzehn oder neunzehn. Er war ziemlich groß, auch wenn er nicht an Jason heran reichte, schlank und für sein Alter wirklich attraktiv. Sein dunkles Haar trug er zu einem Seitenscheitel, einige Strähnen hingen in das schmale Gesicht mit den durchdringenden blauen Augen. "Ich will nicht aufdringlich erscheinen, aber ich glaube, wir haben hier die klassische Krisensituation." fuhr der Junge fort. Er tippte auf das Namensschild an seiner Brust. "Ich heiße Colin und wenn Sie erlauben, würde ich Ihnen gern helfen, diese Krise zu umschiffen, denn im Moment sieht es sehr danach aus, dass Sie beide wieder gehen, ohne etwas zu leihen." Er zwinkerte Chris zu. "Vielen Dank, was für ein Service!" lächelte Jason. "Okay, nicht weglaufen!" Colin entfernte sich. "Netter Junge." Jason stellte die "Wedding Planer" DVD wieder ins Regal. "Ja, das stimmt. Und schwul." "Meinst du?" Chris nickte. "Findest du nicht, dass man so etwas merkt?" "Willst du mir jetzt mit dem Schwulenradar kommen?" "Warum nicht?" Chris knuffte seinen Freund in die Seite. "Also ich finde, man merkt das jemandem an. Wie er mir gerade zugezwinkert hat, zum Beispiel." "Vielleicht sollte ich ihm dann die DVD um die Ohren hauen, keiner gräbt meinen Jungen an!" Jason klopfte sich auf die Brust und grinste. "Pssst!" Chris setzte ein seriöseres Gesicht auf als Colin wieder auf sie zu kam. "Wie wäre es hiermit?" Er hielt den beiden "Die Hochzeit meines besten Freundes" vor die Nase. "Romantische Komödie, kein Matthew McConaughey, kein Hugh Grant, dafür aber Julia Roberts und Rupert Everett." "Kennst du den Film?" "Ich hab ihn noch nicht gesehen." "Dann nehmen wir ihn!", grinste Jason. "Sie waren wirklich eine große Hilfe." Colin deutete eine Verbeugung an. "Immer gern." Wenig später verließen die Beiden die Videothek und schlenderten im Licht der Abendsonne zu ihrem Auto zurück. Chris nahm Jasons Hand, etwas was er anfangs nur ungern auf der Straße gemacht hatte, aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt. Es gab ja auch keinen Grund sich zu schämen. "Ob David jetzt schon mit Jeremy unterwegs ist?" "Keine Ahnung, kann aber sein...", entgegnete Jason. "Ich hoffe er verbockt das nicht, die Beiden sind so ein süßes Paar!" "Na... ich weiß nicht..." "Schau mal!" Chris ließ abrupt Jasons Hand los und lief zu einem Schaufenster hinüber. Es war eine kleine Tierhandlung. Im Fenster war ein kleines Gehege in dem Hundewelpen herumtollten. Als Chris an der Scheibe in die Hocke ging, kam eines von ihnen, ein dreifarbiger Beagle, bis an das Glas und stellte sich mit den Pfoten dagegen. "Jason, ist der nicht süß?" Sein Freund stellte sich hinter ihn. "Ja, da hast du Recht, mein Engel." "Ich liebe Hunde. Ich hab früher immer einen gewollt, aber mein Vater hat das nie erlaubt..." Jason rieb sich nachdenklich über das Kinn. Plötzlich hatte er eine Idee, die seine Sorgen wegen eines Geschenks zum Sechsmonatigen verschwinden ließ. Jeremy schaute sich voller Bewunderung um. "Deine Wohnung ist... einfach unglaublich..." David stand ein Stück entfernt und lockerte seine Krawatte. Er trug einen eleganten schwarzen Anzug mit blütenweißem Hemd. Er hatte eine Limousine gemietet und Jeremy ins "Act IV" ausgeführt, einem Restaurant im eleganten Hotel "Inn at the Opera". Das Restaurant war wie ein vornehmes Wohnzimmer eingerichtet, komplett mit Kamin und einem imposanten Flügel, an dem ein Pianist die Gäste mit Musik unterhielt. David hatte das Essen für sie Beide bestellt, weil Jeremy nicht genau gewusst hatte, was er nun essen sollte bei den vielen Gerichten auf der Karte, von denen er teilweise noch nicht einmal gehört hatte. "Du warst noch nie hier?" Jeremy schaute den Anwalt über die Schulter hinweg an. "Das letzte Mal hast du mich im Auto auf diesem Parkplatz am Telegraph Hill gevögelt, mein Lieber. In deiner Wohnung war ich noch nie." Er strich mit der Hand über die Couchgarnitur, dann blieb sein Blick an dem Foto an der Wand hängen. "Meine Güte, das ist... das bist du?" "Ja!" lachte David. "Sag es schon, das ist narzisstisch." Jeremy sah ihn überrascht an. "Was? Nein!" "Nicht? Dann wärst du der Erste, der das nicht sagt." "Ich verstehe nicht ganz... was soll das mit den Nazis zu tun haben...?" David starrte ihn für einen Moment ungläubig an, dann fing er an zu lachen. Jeremy wurde rot. "Was denn?" David riss sich zusammen, weil er merkte, wie peinlich die Situation dem Tänzer war. "Jeremy, das war ein Missverständnis. Tut mir leid, dass ich gelacht habe, das war nur ein wenig grotesk. Es geht hier nicht um Nazis, sondern um Narziss, das ist eine Figur aus der antiken Mythologie, ein Mann, der in sich selbst verliebt war." "Tut mir leid..." Jeremy drehte sich von ihm weg. "Ich hab gerade mal den Highschool Abschluss... ich wollte nicht... ich bin nicht so gebildet..." Der ältere Mann trat hinter ihn und berührte ihn sanft an der Schulter. "Vergiss es einfach. Es kommt doch nicht darauf an ob man weiß wer Narziss ist oder das von ihm der Ausdruck narzisstisch kommt. Das ist egal." "Findest du?" "Ja, absolut." "Danke..." "Magst du etwas trinken?" wechselte David das Thema um die Situation zu lockern. Endlich drehte Jeremy sich wieder um. "Ja, gern. Soll ich dir vielleicht einen Drink mixen?" "Wenn du magst.", lächelte David, "Meine Hausbar ist da drüben." Jeremy ging zu dem Schrank hinüber den David zeigte und schaute hinein. Angesichts der vielen Flaschen und diverser Cocktailgläser konnte er sich ein "Wow! Du bist gut bestückt!" nicht verkneifen, eine Vorlage, die David natürlich nicht ignorieren konnte. "Ich dachte, dass wäre dir schon vorher aufgefallen!" "Auf jeden Fall passt deine Hausbar zu deiner Ausstattung!", grinste Jeremy, während er sich an den Flaschen zu schaffen machte. David ließ sich auf dem Sofa nieder und beobachtete Jeremy bei seinem Werk. Er hatte mittlerweile einige Flaschen und zwei Cocktailgläser aus dem Schrank geholt und war dabei, etwas zu mischen. Der junge Mann stand mit dem Rücken zu ihm, David kam nicht umhin zu bemerken, dass er einen total knackigen Hintern in dieser engen Jeans hatte. An Jeremy passte wirklich alles zusammen. Was David aber noch viel mehr freute war, dass der Gedanke an das, was unter dieser Jeans war, ihm eine wohlige Gänsehaut und ein angenehmes Kribbeln in der Leistengegend verschaffte. Schließlich kam Jeremy mit zwei Gläsern voll rötlicher Flüssigkeit zu ihm hinüber, reichte ihm eines und ließ sich dann ebenfalls auf der Couch nieder. David nippte an seinem Getränk. "Hey, das schmeckt klasse! Was ist das?" "Eigenkreation, Abby nennt es den ,Jem Surprise', nichts besonderes." "Nichts besonderes? Das schmeckt wirklich super. Was ist da genau drin?" "Geheimrezept!", grinste der Tänzer. "Na dann." David nahm noch einen Schluck. "Danke...", sagte Jeremy leise. "Wofür?" Der junge Mann stellte sein Glas auf dem Tisch ab. "Für diesen ganzen Abend. Das war wie in einer anderen Welt... auch wenn ich mir manchmal etwas deplaziert vorkam..." "Unsinn, du hast das doch alles super hinbekommen." "Na ja... ich bin normalerweise nicht so... ich bin eher der Burger und Fritten Typ, als Filet Dingensbums..." "Hat es dir nicht geschmeckt?" "Doch, doch!" beeilte sich Jeremy zu widersprechen, "Sehr sogar! Ich bin nur froh, dass ich die Rechnung nicht gesehen habe." "Schließlich warst du eingeladen, oder?" "Trotzdem..." "Und ich habe bestellt, du hast dir also nichts vorzuwerfen.", fügte David hinzu. Er stellte nun auch sein Glas weg und lehnte sich ein wenig zu Jeremy hinüber, um ihn besser ansehen zu können. "Lebst du immer so?" Der Anwalt schüttelte lächelnd den Kopf. "Nein, du wirst mich öfter in einem chinesischen Schnellimbiss oder bei McDonald's antreffen als in so einem Restaurant. Ich bin kein Snob, keine Panik." Er strich mit den Fingern über Jeremys Wange. "Du bist wirklich süß, weißt du das?" Jeremy sah ihn etwas verdutzt an. "Findest du? Wie kommst du jetzt darauf?" "Ich wollte das einfach nur mal sagen." Er rutschte ein wenig näher an den jungen Mann heran und legte ihm die Hand auf den Oberschenkel. "David..." "Was?" Ganz beiläufig glitt die Hand des Anwalts in Jeremys Schritt und begann, ihn zu massieren. "David!" keuchte Jeremy erschrocken. Der blonde Mann war die ganze Zeit näher gekommen, er war jetzt so nah bei Jeremy, dass sein Atem über dessen Wange glitt. "Was?" Der Tänzer antwortete nicht. Stattdessen schlang er den Arm um David und zog ihn an sich. David unterbrach seine Massage zwischen Jeremys Beinen für keine Sekunden, während sie sich lang und leidenschaftlich küssten. Jeremys Finger tasteten nach den Knöpfen von Davids Hemd und machte sich daran, ihn daraus zu befreien. Auch der Anwalt fing an, die Knöpfe von Jeremys Oberteil zu öffnen. Der Kuss wurde von einem Aufstöhnen Jeremys unterbrochen, als David den Reißverschluss seiner Jeans hinab zog und die Hand hinein schob. "Wie ich mich darauf gefreut habe!" "Ich wollte eigentlich nicht so leicht zu kriegen sein!", meinte Jeremy in einer Mischung als Lachen und Stöhnen. Er löste sich ein wenig von David, schwang die Beine über ihn und setzte sich auf seinen Schoß. Kaum hatte er das getan, verfielen sie wieder in schier unendliche Küsse. Davids ganzer Körper glühte vor Leidenschaft, so gut hatte er sich seit langem nicht mehr gefühlt. Seine Finger erforschten Jeremys Körper, gierig nach der warmen Berührung seiner Haut, seine Zunge tanzte einen erotischen Tanz mit der des anderen Mannes. In seinen Lenden pulsierte die Hitze, so erregt war er. "Ich bin unendlich froh, dass wir uns heute Abend getroffen haben...", hauchte David ihm ins Ohr. "Fast hätte ich dir nicht die Chance gegeben, dich zu entschuldigen..." Jeremy hatte plötzlich das Gefühl, mit einem Eimer voll Eiswasser übergossen zu werden. Sämtliche Leidenschaft verpuffte innerhalb einer Sekunde. Ruckartige drückte er David ein Stück von sich weg um ihm in die Augen sehen zu können. "Wie bitte?" David schien etwas perplex, zuckte jedoch mit den Schultern. "Na ja, ich hab das heute Abend gemacht, damit du die Möglichkeit hast, dich für die Frechheit auf der Party zu entschuldigen. Ich will nicht, dass das zwischen uns steht." Diese Worte brauchten einen Moment, bis sie zu Jeremys Gehirn durchdrangen, bis er die komplette Bedeutung erfasste. Er starrte David an, als wäre diesem gerade ein drittes Auge gewachsen... vollkommen schockiert und fassungslos. "Das darf doch nicht wahr sein...!" "Was denn?!", fragte David verständnislos. Jeremy sprang auf und zerrte seinen Reißverschluss zu, seine Erregung war wieder abgeflaut. "Ich glaube das einfach nicht." David stand ebenfalls auf. "Was soll denn dieses Rumgezicke jetzt bitte werden." "Das werde ich dir sagen! Ich bin ein Idiot!", motzte Jeremy. "Ich bin ein Idiot, weil ich wirklich gedacht habe, du hättest dich irgendwie verändert. Ich habe mich getäuscht. Du willst eine Entschuldigung? Da kannst du lange warten! Ich setze sogar noch einen drauf! Weißt du, was du bist?! Ein arrogantes, selbstgefälliges Arschloch!" Kaum hatte er das gesagt, griff er blitzschnell nach seinem Glas und schüttete David den kaum angetrunkenen Cocktail ins Gesicht. Der blonde Mann musste die Augen zusammenkneifen, so sehr brannte der Alkohol darin. Als er sie endlich wieder ein bisschen öffnen konnte, fiel die Tür seiner Wohnung lautstark ins Schloss. David sah aus wie ein begossener Pudel. Seine Haare klebten vorn an seiner Stirn, seine Augen waren feuerrot und der Drink sickerte langsam in sein weißes Hemd und färbte es von schneeweiß in rosa um. "Na das war ja mal ein rundum gelungener Abend..." Er nahm sein eigenes Glas auf, nippte noch einmal an dem Drink, dann holte er aus und schleuderte es mit voller Wucht gegen die Wand. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Aus gegebenem Anlass möchte ich diesem Nachwort ein fettes CONGRATULATIONS!!! an KatoKira voraus schicken!!! Noch einmal herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Matura, ich wusste, du schaffst es!!! *knuff* Endlich wieder ein Kapitel fertig. Mitten in der Arbeit daran hat mein Baby (mein Laptop *g*) den Geist aufgegeben und musste zur Reparatur. Ich bin mittlerweile so verwöhnt von diesem Ding, dass ich keinen Antrieb mehr hatte, überhaupt noch am PC zu schreiben, weswegen es mit diesem Kapitel nur schleppend voran ging. Aber schon innerhalb von sechs Tagen kehrte der verlorene Sohn in bzw. auf den Schoß *hust* seines Papis zurück und es konnte weitergehen *lach* Dieses Kapitel war vollkommen anders geplant *lol* Ash sollte eigentlich überhaupt nicht vorkommen, es sollte fast nur um David und Jeremy gehen. Aber jetzt hat sich einiges verändert. Die Szene mit dem Spind gibt es in ähnlicher Form in der sehr guten deutschen Komödie "Echte Kerle", in der es um einen heterosexuellen Macho-Polizisten geht, der unfreiwillig mit einem schwulen Autoschieber zusammenleben muss, der sich zu allem Überfluss auch noch in ihn verliebt. Wer die Möglichkeit hat den Film zu sehen, unbedingt tun! ;-) Eigentlich sollte man David und Jem im Restaurant erleben, aber aus Gründen der Länge habe ich diese Szene gestrichen und das Gespräch der Beiden dort auf einen späteren Zeitpunkt verlegt, zusätzlich macht Jem David die Szene nun nicht in der Öffentlichkeit *g* Eigentlich schade... ;-) Das zweite Mädel der Story ist nun auch dabei, Abby (die zunächst Patricia/Trish heißen sollte) wird eine wiederkehrende Rolle haben und zusammen mit Eve die Frauenquote etwas anheben. Das Ende von Davids und Jeremys Rendezvous war von Anfang an so geplant, zu leicht sollen die beiden es ja nun nicht haben ;-) Mit Rodriguez und dem Staatsanwalt Rogers sind nun auch zwei Charakter aufgetreten bzw. erwähnt worden, die noch von großer Relevanz sein werden, immer praktisch, wenn man das Ende einer Story schon im Kopf hat *lol* Aber bis dahin wird es noch lange dauern ^^ In diesem Sinne bis zum nächsten Chapter ^^ Euer Uly ^^ PS: Der Titel ist eine Abwandlung des bald als Film erscheinenden Fantasy-Epos "Chronicles of Narnia: The Lion, the Witch and the Wandrobe" ^^ PPS: Auch auf die Gefahr hin, dass dieses Nachwort ziemlich lang wird, an dieser Stelle ein liebes Dankeschön an Alaska, die quasi die Erfinderin von Jeremys Spitznamen ist ^^ Jem klingt wirklich cool und passt auch zu seinem Charakter! *knuff* Kapitel 20: Dance: 10; Looks: 3 ------------------------------- "Und?" Jason stellte die Kaffeetasse vor David ab. "Wie war dein Date mit Jeremy?" Jason war verdutzt gewesen, als David noch vor dem Frühstück bei ihm vor der Tür gestanden hatte. Er war noch etwas müde, aber trotzdem begierig darauf, alles über den zurückliegenden Abend zu erfahren. Die Beiden saßen am bereits gedeckten Esstisch in der Küche, Jason war heute ausnahmsweise mal früher wach gewesen als Chris und hatte sich ums Frühstück gekümmert. David setzte den Becher an und nahm einen großen Schluck. "Frag nicht..." "Ich habe es schon getan." "Ich weiß..." "Jetzt sag schon!" Jason nahm ebenfalls Platz. "Es war zum Kotzen, okay! Wir waren im ,Act IV' Essen und dann noch bei mir und haben rum gemacht..." Jason verzog das Gesicht. "Igitt, wirklich eklig, ich glaube, ich muss mich übergeben!" Er fing an zu lachen. David seufzte in seinen Kaffee. "Und dann habe ich einen Drink ins Gesicht geschüttet bekommen und bin mit meiner Latte stehen gelassen worden." "...Bitte?" Der Anwalt stützte sich auf den Ellenbogen auf. "Ich bin sitzen gelassen worden! Jeremy ist wirklich ohne Zweifel die größte schwule Zicke die ich kenne!" "Er ist bi...", warf Jason ein. "Nimm mich ernst!" "Tu ich doch... Also... wie hast du es geschafft ihn zu verärgern?" David schaute ihn vollkommen verdutzt an. "Was soll das denn nun heißen?" "Wie ich es gesagt habe: Wie hast du es geschafft, den Jungen zu verärgern?" "Ich sollte sauer sein..." David ließ den Kopf auf den Tisch sinken und stieß immer wieder mit der Stirn dagegen. "Aber selbst das ist mir zuviel... Der Abend war eine Katastrophe... ich war so wütend, dass Jeremy mich hat sitzen lassen und das auch noch mit einer Beleidigung... ich hab mein Glas gegen die Wand geschleudert. Jetzt hat die Tapete rote Flecken, die nicht mehr rausgehen, von meinem versauten Hemd ganz zu schweigen. Ich möchte wirklich mal wissen, was für ein Zeug Jeremy in die Brühe gemischt hat." Er hob die rechte Hand mit dem Pflaster am Daumen. "Und merk dir, sammle nie Scherben ein, wenn du in Fahrt bist... das kann nicht gut gehen." "Und du nennst ihn zickig? David, das war hysterisch." "Sunshine, ich bin schwul, ich habe genug weiblichen Anteil in mir um auch mal hysterisch sein zu dürfen!" Er blieb einfach mit dem Kopf auf dem Tisch liegen. "Bitte... darf ich lachen?", grinste Jason. "Mach ruhig... wenn es nicht so traurig wäre, würde ich ja selbst lachen..." Jason strich David liebevoll und mütterlich über den Kopf. "Och, komm, so schlimm ist es sicher nicht." "Störe ich?" Chris stand in der Tür, den offenen Bademantel über dem nackten Oberkörper, sonst trug er nur seine Shorts, die er zur Nacht angehabt hatte. "Wie war dein Date, David?" Der Anwalt grunzte und fing wiederum an, seine Stirn gegen den Tisch zu hämmern. "Ach? So gut also!" Chris lächelte mitleidig. "Du hast es versaut, oder?" "Gar nichts habe ich!" David hob abrupt den Kopf und schlug so heftig mit der Faust auf den Tisch, dass der Kaffee überschwappte. "Jeremy ist einfach nur zickig, das ist alles! Meine Güte, eben hockt er mir noch auf dem Schoss und fummelt wild an mir rum und im nächsten Moment macht er den theatralischen Abgang. Und das alles nur, weil ich ihm gesagt habe, dass ich seine Entschuldigung annehme. Ich wollte das geklärt haben, bevor wir vögeln..." Stille trat ein. Verwunderte blickte David zwischen seinem besten Freund und dessen Lebensgefährten hin und her, die ihn beide vollkommen schockiert anstarrten. "Sag das noch mal..." keuchte Jason. "Was denn?" "Ich fasse es nicht! Ich fasse es nicht!" Chris klatschte die Hand vor die Augen, als könne er den Anblick nicht mehr ertragen. "Ich fasse es nicht..." "Was ist los?", fragte David erneut ungeduldig. "Bist du so verbohrt oder tust du nur so?" "Bitte?!" "Chris!", mahnte Jason. "Vielleicht sollten wir..." "Nein!", fiel ihm Chris ins Wort. "Irgendjemand muss es ihm ja mal sagen und wenn du nicht den Mumm dazu hast, dann mache ich das. Das ist doch nicht mehr mit anzusehen!" David drehte sich auf dem Stuhl zu Chris. Sein Gesicht verriet eindeutig Anzeichen von Ärger. "Also?", sagte er mit herausfordernder Stimme. "Was hast du mir zu sagen?" Chris hielt seinem Blick mühelos stand. "David, ich mag dich sehr gern, das weißt du, aber manchmal bist du wirklich unmöglich. Ich weiß nicht, ob du das extra machst oder ob du gar nicht merkst, dass du es tust, aber es ist so. Bist du wirklich mit Jeremy ausgegangen, damit er sich bei dir entschuldigen kann?! Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich dir keine Tipps gegeben und Jason sicher auch nicht. Jeremy muss sich nicht entschuldigen!" "Das muss er sehr wohl!" Man hörte David an, dass er sauer wurde. "Nein, muss er nicht!", widersprach Chris entschieden. "Du bist es! Du musst dich entschuldigen! Meine Güte, David, sieh es doch mal ein! Was du da auf der Party abgezogen hast, war das Allerletzte! Wenn ich mit dir da gewesen wäre, ich hätte mehr gemacht, als dich nur zu beleidigen. Ich hätte dir eine gescheuert, aber frag nicht wie! Jeremy ist so ein lieber Kerl und er hat mir an dem Abend sogar gesagt, dass er es schön findet mit dir auf der Party zu sein. Und was machst du?!" Chris hatte sich mittlerweile so in Fahrt geredet und war dabei näher gekommen, dass David kleinlaut wurde, er sah Chris fast ängstlich an, fand Jason. Ein Anblick der ebenso überraschend wie grotesk war. "Was machst du?!", wiederholte Chris. "Du lässt ihn bei der ersten Gelegenheit sitzen und machst mit einem Anderen rum! David, das ist wirklich daneben und das nicht zu knapp! Das war eine unglaubliche Frechheit Jeremy gegenüber und hat ihn sicher sehr verletzt! Ich war der Meinung du hättest das begriffen und wolltest dich dafür bei ihm entschuldigen und ich bin sicher, dass hat er auch gedacht! Ich verstehe seine Reaktion vollkommen, glaub mir, bei mir wärst du schlechter weggekommen als mit einem Drink im Gesicht, den Handabdruck hätte man sicher noch Tage auf deiner Wange gesehen!" Er atmete aus, offenbar um wieder runter zu kommen, so sehr hatte er sich aufgeregt. "Und das vor dem ersten Kaffee... entschuldige, da bin ich etwas grantig...", grinste er und ließ sich auf den freien Stuhl fallen, bevor er einen Schluck aus Jasons Kaffeetasse nahm. Sein Freund musterte ihn voller Bewunderung. Er musste unwillkürlich lächeln. Chris hatte sich in den letzten Monaten sehr verändert, er war nicht mehr so biestig wie er es früher gern mal gewesen war, obwohl er einem wirklich die Hölle heiß machen konnte wenn er wütend wurde. Aber selbst in solchen Momenten empfand Jason eine unbändige Liebe für ihn, sogar wenn sich die Wut gegen ihn richtete. Chris wirkte zerbrechlich, aber er hatte ein Feuer in sich, dem nicht einmal David etwas entgegen zu setzen hatte wenn es mal aufloderte. Der Anwalt schaute immer noch etwas betreten auf die Tischplatte. "Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll..." "Oh, das ist selten!", grinste Jason. "Ich hab noch nicht einmal gedacht, dass das bei dir überhaupt geht." "Habe ich mich wirklich so daneben benommen?" "Ja!", antworteten Jason und Chris im Takt. "Aber ich hab das gar nicht so empfunden... ich meine, wir haben noch nicht einmal davon gesprochen, dass das ein Date sein sollte. Er hat sich angeboten mich zu begleiten weil ich niemanden gefunden habe... mehr nicht..." "Trotzdem hatte er Spaß daran mit dir wegzugehen und ich wette, er hat das auch als Date gesehen." Chris stand auf, um sich selbst einen Kaffee zu machen. "Das wirft ein ganz anderes Licht auf seinen Ausbruch gestern..." "Das kann man sagen." Jason nickte, während er an seinem Getränk nippte. "Fuck..." "David, sei mir bitte nicht böse, aber du darfst echt nicht so egozentrisch sein wenn es um Sex geht. Nicht jeder denkt so locker darüber wie du.", gab Chris zu bedenken. "Ich wollte ihm wirklich nicht weh tun..." "Das hast du aber jetzt zweimal gemacht." Chris setzte sich wieder hin. "Vielleicht hast du ja noch eine Chance, wenn du das willst." "Ich denke schon, ich will es auf jeden Fall wieder gut machen..." Der Anwalt rieb sich nachdenklich das Kinn. "Vielleicht sollte ich noch mal zu ihm... Abby könnte mir helfen..." Er schien Chris und Jason fast vergessen zu haben und nur noch laut zu denken. Plötzlich zuckte er zusammen und schaute entsetzt auf die Uhr. "Scheiße, ich muss los!" Er sprang auf. "Ich danke euch." "Du bist mir nicht böse?" "Ach was, ich muss auch mal Kritik vertragen können!", grinste er und gab Chris einen Schmatz auf die Wange. "Also wirklich, noch unrasiert!" grinste er. "Ich muss los, ich lasse von mir hören!" Damit eilte er schon aus der Küche. Chris und Jason sahen ihm nach bis die Haustür ins Schloss fiel. "Er ist unglaublich...", seufzte Chris. "Aber dafür hab ich ihn lieb!", lachte sein Freund. "Glaubst du, er geht wirklich noch mal zu Jeremy?" "Ich denke schon... Ich weiß nur nicht genau warum. Ich müsste Jeremy näher kennen lernen. Aber ganz ehrlich, ich hatte auf der Party wirklich den Eindruck, dass er in David verschossen ist. Auf jeden Fall schwärmt er für ihn." "Oh je..." Jason nahm sich einen Bagle aus dem Brotkorb und schnitt ihn über seinem Teller auf. "Hoffentlich fällt er dabei nicht auf die Nase... David ist absolut nicht der Beziehungstyp. In den fast fünf Jahren die ich ihn kenne, hat er nie, wirklich nie, auch nur annährend Interesse an einer romantischen Beziehung gezeigt und sich auch nie verliebt. Hoffentlich geht das gut..." Er nahm sich das Schälchen mit Sauerrahm und bestrich seinen Bagle damit. Chris langte ganz nebenbei nach dem Glas mit Marshmallow Fluff und genehmigte sich ungeachtet des tadelnden Blickes seines Freundes einen großen Löffel. "Warum ist er eigentlich so?" "Ich weiß nicht." Jason schluckte erst den Bissen runter den er im Mund hatte, bevor er weiter sprach. "Er ist wie gesagt schon immer so, seit ich ihn kenne auf jeden Fall." "Hast du mal darüber nachgedacht, dass es vielleicht einen Grund haben könnte?" "Beispielsweise?" "Ach komm, Jason, du weißt schon was ich meine. Vielleicht hat ihn mal jemand... nun ja..." Chris fuhr mit dem Finger über die Tischdecke und kehrte ein paar Krümel zusammen. "Vielleicht hat ihn mal jemand verletzt." Jason sah ihn überrascht an. "Meinst du?" Sein Freund zuckte mit den Schultern. "Ist das so abwegig?" "Ich kann mir das nur so schlecht vorstellen." "Eben!", triumphierte Chris. "Weil du David nur so kennst. Ist dir mal aufgefallen wie er sich gegen eine emotionale Bindung sträubt? Ich meine jetzt nicht Freundschaft, sondern zu einem anderen Mann. Er wechselt ständig seine Partner und wenn dann schläft er nur mit ihnen. Er lässt keinen an sich ran. Aber bei Jeremy ist das anders. Ich meine, er ist immer so cool, aber Jeremy scheint ihm unter die Haut zu gehen. Er ist wegen ihm vollkommen durch den Wind und er scheint sich jetzt auch noch wirklich um ihn bemühen zu wollen." "Das wundert mich ja selbst... ich hab eigentlich gedacht, dass ihn jemand wie Jeremy so nahe geht. Er hat sich deswegen sogar betrunken, das ist gar nicht seine Art." "Glaubst du... er liebt ihn auch?" Jason sah aus dem Fenster. "Ich weiß es nicht... wirklich nicht. Ich hoffe nur, dass nicht einer von Beiden wegen dieser Sache leiden muss." "Das hoffe ich auch..." "Meinst du, David würde mir sagen, wenn ihn mal jemand weh getan hätte? Wenn ich ihn darauf ansprechen würde?" Chris schüttelte den Kopf. "Lass es lieber. Zumindest nicht im Moment. Lass ihn erst einmal das mit Jeremy klären. Vielleicht löst sich damit auch alles andere in Luft auf. Wer weiß, die Liebe soll schon so einiges bewirkt haben." Jason erhob sich. "Das sieht man ja an uns, nicht wahr?" Er beugte sich zu Chris hinab und gab ihm einen zärtlichen Kuss. "Ich muss zur Arbeit, mein Engel. Ash wartet sicher schon, sein Wagen ist immer noch in der Werkstatt." "Ja, ja, natürlich!" Chris grinste schelmisch. "Der will nur von dir kutschiert werden!" "Pass auf, sonst fange ich wieder mit Sly an!" Jason zog ihn am Ohr. "Bis heute Abend." "Bis heute Abend, mein Schatz." Chris schaute ihm hinterher und lächelte. Konnte der Tag eigentlich schöner beginnen? Glücklich fing er an, den Tisch abzuräumen bis ihm auffiel, dass er noch gar nicht gegessen hatte bis auf sein geliebtes Fluff. Also räumte er alles wieder hin und frühstückte dann endlich selber. David fuhr sich zum wahrscheinlich zwanzigsten Mal durch die Haare. Er schaute auf die Uhr. Eigentlich müsste er längst bei der Arbeit sein. Er drückte eine Nummer auf seinem Handy und bald meldete sich Eve über die Freisprechanlage. Sie betete in einem wunderbar freundlichen und motivierten Ton ihre Begrüßungsfloskel herunter. "Eve, ich bin es." "David! Um Himmels Willen, wo sind Sie?" "Hören Sie, Eve, habe ich heute viele Termine?" Es war kurz still in der Leitung. "Nein, nur zwei." "Sagen Sie die bitte ab, ich melde mich krank." "Sie klingen aber sehr munter." Man konnte hören, dass sie lächelte. "Sie wissen Bescheid!", grinste David. "Okay?" "Wie Sie meinen, David. Kann ich etwas für Sie tun?" "Nein, vielen Dank. Machen Sie sich einen schönen Tag, wenn Sie möchten, Sie können sich den Rest des Tages frei nehmen." Sie lachte leise. "Sie sind wirklich ein Traum von einem Chef, wissen Sie das? Viel Spaß, bei was immer Sie vorhaben." "Danke, Sie sind ein Schatz, Eve!" David legte auf. Beinahe hätte er die Querstraße verpasst, die ihn in den Stadtteil führte, in dem Jeremy und Abby wohnten. Er musste einen Moment warten bevor die Wohnungstür geöffnet wurde. Vor ihm stand Abby, in einer etwas abgegriffenen Jogginghose und einem grauen Tanktop, die Haare einfach zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Sie sah aus, als würde sie sich einen gemütlichen Tag zu Hause machen. Was diesmal allerdings fehlte, war das freundliche Lächeln. "Heute gar keine Blumen?", fragte sie. "Abby... ist Jeremy da?" "Nein." David lächelte etwas verlegen. "Und in Wirklichkeit?" Ein Anflug eines Schmunzelns huschte über Abbys Gesicht, scheinbar konnte sie die abweisende Masche nicht lange aufrecht erhalten. "Er ist wirklich nicht da", sagte sie in viel freundlicherem Ton, "er hat ein Vortanzen, ein Casting für eine Show in der Stadt, aber nur für männliche Tänzer, deswegen bin ich nicht dort." "Oh, Sie sind auch Tänzerin?" "Ja, das bin ich." Die Tür gegenüber wurde geöffnet und eine alte Dame mit Lockenwicklern und einem unglaublich wild gemusterten Bademantel kam heraus. "Was geht denn hier vor?! Ms. Thompson, belästigt Sie dieser Mann?!" Neben ihr erschien ein kleiner Yorkshireterrier, eine Art Hund die David gern als wandelnde Klobürste bezeichnete, er hasste diese winzigen Kläffer. Und eben das tat der Hund, er bellte mit seiner hohen, durchdringenden Stimme in einem fort in Davids Richtung. "Ich rufe die Polizei!" Abby hob abwehrend die Hände. "Mrs. Kent, keine Angst, ich werde nicht bedroht." Die alte Dame schenkte David einen abschätzenden Blick und kehrte dann in ihre Wohnung zurück, etwas in der Richtung von "Unerhört! Um diese Uhrzeit! Keinerlei Schamgefühl!" zeternd. "Reizend...", flüsterte David, weil er fürchtete, dieser Drachen könnte ihn hören und die kleine Töle auf ihn hetzen. "Kommen Sie rein, da können wir besser reden!", grinste Abby. Sie führte David in die Küche und deutete ihm, an dem kleinen Esstisch Platz zu nehmen. Er war wirklich klein, damit er in der Küche unter kam und nur für zwei Leute gemacht. Große Gesellschaften fielen damit schon mal flach. "Kann ich Ihnen was anbieten? Wir haben leider nicht viel im Haus. Eistee, Mineralwasser? Vielleicht einen Orangensaft?" David schüttelte den Kopf. "Nein, danke, ich bin nicht durstig." Sie setzte sich zu ihm. "Also, was haben Sie diesmal verbockt?" Dem Anwalt fiel für eine Sekunde die Kinnlade runter. "Diesmal?!" Sie grinste. "Glauben Sie, ich wüsste nichts von der Sache auf der Party, auf der Sie mit Jem waren? Aber er hat das nur auf Drängen meinerseits erzählt, wenn Sie das beruhigt." "Ihr Beide steht euch wohl sehr nah, oder?" Sie nickte. "Jem ist nach meiner Familie der wichtigste Mensch für mich, deswegen mag ich es auch nicht wenn man ihn zum Weinen bringt!" Abby schlug die Hand vor den Mund. "Was? Er hat....?" Das Mädchen beugte sich zu ihm hinüber, als würden sie gerade eine Verschwörung planen. "Wenn Sie ihm verraten, dass ich Ihnen das gesagt habe, dann bringt er mich um. Er ist gestern nach Hause gekommen und war stinksauer. Er hat bei mir gemeckert was für ein Arschloch Sie seien und was für ein... Na ja, lassen wir das. Auf jeden Fall ist er danach in sein Zimmer und hat sich eingeschlossen, er wolle allein sein, sagte er. Aber die Wände hier haben Ohren, die sind dünn wie Papier. Ich hab ihn von meinem Zimmer aus deutlich weinen gehört." Plötzlich fühlte David sich furchtbar schlecht. Er konnte sich nicht erinnern, wann zuletzt jemand wegen ihm geweint hatte. Er musste Jeremy sehr verletzt haben. Am liebsten hätte er geschrieen, warum ging ihm diese ganze Sache so nahe? "Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich nicht will, dass Jem wieder verletzt wird." David fuhr sich durchs Haar. "Abby, bitte glauben Sie mir, das lag nicht in meiner Absicht. Ich habe das nicht gewollt, es war ein Missverständnis... okay, ein sehr dummes Missverständnis. Ich muss das mit Jeremy klären." "Ich weiß aber nicht, ob Jem das will..." "Bitte, Abby..." Sie sah ihn einen Moment an, dann hielt sie sich lachend die Augen zu. "Oh, um Himmels Willen, hören Sie auf damit! Dieser Hundeblick aus Ihren Augen ist ja nicht zu ertragen, damit könnten Sie sogar die Polarkappen zum Schmelzen bringen!" Sie stand auf, ging zur Arbeitsfläche hinüber, wo ein Stift und ein paar Zettel lagen, und schrieb etwas auf. Das beschriebene Papier gab sie David. "Hier, das ist die Adresse des Castings." Sie ließ den Zettel noch nicht los als David ihn schon annehmen wollte. "Aber ich rate Ihnen, es diesmal nicht zu verbocken, sonst trete ich Ihnen in Ihren süßen Arsch!" David nickte nur und lachte. Abby hatte sich soeben endgültig in sein Herz gespielt. Sie war ein wunderbares Mädchen, Jeremy konnte wirklich froh sein, sie zu haben. Die Adresse die Abby ihm gegeben hatte, befand sich in einem ehemaligen Industriegelände der Stadt, das sich nach und nach in eines der angesagtesten Künstlerviertel der Metropole verwandelte. Aus alten Lagerhallen wurden Lofts und Galerien, die Mieten schossen in die Höhe. Alles wurde stylischer, hipper, wilder. Abends ging man zum Ballett oder Cabarets, Nachts stiegen hier Partys, tagsüber traf man sich in den vielen Cafés, sinnierte über Stilrichtungen und moderne Kunst. Auch das Haus welches David gesucht hatte war offensichtlich früher als Lagerhalle genutzt worden, jetzt war es ein Tanzstudio mit hohen Fenstern und hellen Wänden, an denen überall Spiegel angebracht worden waren. Eine ganze Menge junger Männer drückte sich in der Halle herum, sie machten Dehnübungen, unterhielten sich, aber über allem hing ein Schleier von Anspannung. Auf einer etwas erhöhten Bühne stand eine Gruppe Tänzer, davor saß ein schleimig aussehender Mann an einem Tisch. Er trug eine dunkle Sonnenbrille und hatte seine schwarzen Haare wohl mit einer Menge Pomade theatralisch nach hinten geschmiert. Er sah auf den ersten Blick nach einem Künstler aus, war aber wohl der Regisseur. Auf der Bühne stand ein etwas hagerer Mann, der den Männern Anweisungen zurief, der Schrittcoach. Unter den Vortänzern entdeckte David auch Jeremy. Er sah niedlich aus, eine kurze Leggins, die ihn beim Tanzen nicht behindern konnte und ein ärmelloses Shirt, das locker um seinen Oberkörper hing. Beides war dunkelblau, was einen sehr netten Kontrast zu seinen roten Haaren bildete. Mit Bewunderung stellte David fest, dass Jeremy offenbar keinen der schnell hintereinander geforderten Schritte verpatzte, seine Performance sah einfach klasse aus. "Noch einmal!", rief der Schrittcoach laut. "Step, push, step, step, touch, kick! Step, push, step, step, straight arms! Step, push, shut, touch kick!", befahl er, die Tänzer führten die Bewegungen nach jedem Kommando aus. "Gut! Genau so! Zurück und weiter mit turn, turn, right, left, hop step, middle step, touch kick und down, verstanden? Weiter geht's mit turn, turn, right, left, jazz step!" Bei der Bewegung klatschten alle Tänzer synchron in die Hände. "Five, six, seven, eight, turn, turn, right, left, jazz step!" fuhr der Coach fort. "Und los! Five, six, seven, eight!" Die Musik schwoll an. "Five, six, seven, eight!", wiederholte der Coach ein letztes Mal den Takt, dann trat er zurück. David konnte nur mit offenem Mund zusehen, wie die Tänzer nun zu einem schnellen Rhythmus eben diese Choreografie vorführten, die sie erst eine Minute davor ein einziges Mal eingetrichtert bekommen hatten. Es dauerte nicht lange, aber es sah sehr kompliziert aus und Davids Bewunderung für den jungen Mann wuchs mit jeder Sekunde. Dann ging die Musik wieder aus. "Vielen Dank!", meinte der Regisseur in einem furchtbar hochgestochenen Ton. Die Tänzer auf der Bühne verstreuten sich, Jeremy nahm ein Handtuch vom Bühnenrand und legte sich es um die Schultern, bevor er herunterkam. David nutzte die Chance. "Jeremy!" Der Kopf des Tänzers ruckte herum und als er den Anwalt erkannte verdüsterte sich sein Gesicht. "Was willst du hier, Vanderveer?" "Oh Gott, wir sind schon wieder beim Nachnamen?" "Spar dir deine blöden Sprüche." "Ich wollte mit dir reden, deswegen hat mir Abby gesagt, wo du bist." "Dass die ihr Maul auch nicht halten kann...", schnappte Jeremy. "Sie meint es doch nur gut...", ergriff David ihre Partei. In diesem Augenblick wurden sie unterbrochen, denn der Regisseur tauchte neben ihnen auf und mustere Jeremy. "Du warst nicht übel, wie heißt du?" Jeremys Augen waren plötzlich von einem aufgeregten Glanz erfüllt, den David noch nie bei ihm gesehen hatte. "Jeremy, Sir, Jeremy Sumner." "Also hör zu, Schätzchen, einen wie dich kann ich sicher für die Show gebrauchen." "Das wäre wundervoll." "Zieh mal dein Shirt aus!", forderte der Regisseur plötzlich. "Bitte?!", entfuhr es David. "Warum denn das?" Aber der eisige Blick von Jeremy brachte ihn zum Schweigen. "Halt dich da raus, David!" "Ist das dein Manager?" Jeremy schaute David nur geringschätzig an. "Nein, er ist niemand." Der Anwalt fragte sich, warum ihm diese Worte einen Stich versetzten. "Also gut, dann jetzt endlich runter mit dem Ding!" Jeremy tat wie ihm geheißen und zog das Shirt aus. Sein durchtrainierter Oberkörper glänzte schweißnass und David kam nicht dagegen an zu bemerken, wie sexy das aussah, auch zusammen mit seinem Piercing in der rechten Brustwarze. Der Regisseur reagierte weniger euphorisch. Er fasste dem jungen Mann an die Brust. "Ja, die Brust ist okay, könnte etwas muskulöser sein. Aber das lenkt ein bisschen von deinem Babyface ab... vielleicht solltest du dir vom Gehalt eine Nasenoperation leisten..." David konnte nicht fassen, was er da hörte. "Aber an deinem Bauch musst du was machen..." Er klatschte mit der flachen Hand auf Jeremys Sixpack. "Könntest ein bisschen abnehmen!" "Jetzt reicht es!" David konnte nicht mehr. Er fasste den Regisseur am Arm und schob ihn ein Stück von Jeremy weg. "Ist Ihre Sonnenbrille zu dunkel?! Sie haben da einen total hübschen, durchtrainierten, sexy jungen Mann vor sich, an dessen Körper kein Gramm Fett ist und der super tanzt und dann sagen Sie ihm, er solle abnehmen?! Erziehen Sie ihre Tänzer zur Magersucht?! Sie können doch nicht mehr alle Tassen im Schrank haben!" Er klatschte dem Regisseur auf den beachtlichen Bauch. "Und das bei Ihrer Wampe! Vielleicht sollte Sie mal ans Abnehmen denken! Und warum leisten Sie sich nicht eine Operation, mit ihrem Zinken kann man ja jemandem das Auge ausstechen!" "David!", rief Jeremy entsetzt und schubste den Anwalt zur Seite. "Sir, ich muss mich entschuldigen, er..." "Ich glaube, wir können auf deine Mitarbeit verzichten!", zischte der Regisseur. "Die nächste Gruppe!", brüllte er laut in den Raum und ging zurück zu seinem Tisch. Jeremy fixierte David mit hasserfüllten Augen. "Und wieder eine Glanzleistung von dir!" Damit ließ er ihn einfach stehen. Er stürmte durch den Raum auf seine Tasche zu. David schaute Mitleid erhaschend zur Zimmerdecke. "Immer ich!" Er sah Jeremy in Richtung Tür verschwinden. "Warte!", rief er und lief ihm nach. Jeremy legte ein beachtliches Tempo vor und schmiss die Eingangstür des Gebäudes so fest zu, dass David aufpassen musste, nicht davon ausgeknockt zu werden. Es war für die Jahreszeit verhältnismäßig warm draußen und kaum eine Wolke stand am blauen Himmel über San Francisco. Auf dem Bürgersteig vor dem Lagerhaus-Tanzstudio holte David den jungen Mann endlich ein und griff nach seinem Arm. "Warte doch mal!" Jeremy befreite sich mit einer wütenden Bewegung. "Fass mich nicht an oder willst du, dass ich um Hilfe schreie?!" "Was ist dein Problem?!", gab David zurück. "Mein Problem! Du bist mein Problem!" Jeremy war so laut, einige Passanten drehten sich zu ihnen um. "Du bist eine Pest, David Vanderveer! Ich glaube, du hast es dir zur Aufgabe gemacht, mein Leben zu ruinieren!" "Ist das die Art Leben, die du dir wünscht?! Dir von schmierigen Typen am Körper herumgrabschen zu lassen, die an jeder Ecke etwas auszusetzen haben, obwohl sie selbst von einer Statur wie deiner nur träumen können?!" "Das ist meine Sache!", schrie Jeremy voller Wut. "Halt dich aus meinem Leben raus!" Er drehte sich um und ging weiter. David spazierte ihm einfach nach. Er passte das Tempo seiner Schritte dem von Jeremy an, so dass er immer ungefähr drei Meter hinter ihm lief. Nach ein paar Metern blieb der junge Mann entnervt stehen und drehte sich um. Er stemmte die Hände in die Hüften. "Was wird das?!" David zuckte mit den Schultern. "Das ist ein freies Land, ich gehe nur spazieren." "Hör auf mir nachzurennen!" "Tu ich nicht!" "Tust du wohl!" "Tu ich nicht!" "Tust du wo... warum rede ich eigentlich mit dir?!" Er machte auf dem Fuß kehrt und ging weiter, auch David setzte sich wieder in Bewegung. Wieder dauerte es ein paar Meter, bis Jeremy der Kragen platzte. Er wandte sich ganz langsam um, David konnte nicht anders als zu grinsen. "Wisch dir das dämliche Grinsen aus dem Gesicht! Und selbst wenn du mir bis nach China folgst, ich rede nicht mit dir!" "China soll um diese Jahreszeit sehr schön sein und übrigens redest du schon mit mir." "Weißt du, dass ich dir jetzt am liebsten etwas Schweres über den Schädel ziehen würde. Dann hätte ich meine Ruhe!" David beugte sich nach vorn. "Nur zu." "Du weißt, ich würde, wenn ich etwas hätte..." "Ich weiß." David lächelte ihn an. "Jetzt spuck aus weswegen du mir nachrennst oder verpiss dich, okay? Und wenn du immer noch auf eine Entschuldigung aus bist..." Jeremy zeigte ihm den Mittelfinger. "Ich wollte mich bei dir entschuldigen...", meinte David ohne die Geste seines Gegenübers zu beachten. Jeremy starrte ihn für einen Moment nur vollkommen ungläubig an. Dann klopfte er sich aufs Ohr. "Ich glaube... ich glaube, ich hatte gerade einen Hörsturz!" "Ich meine das ernst!" David verschränkte die Arme vor der Brust. "Du," Er zeigte auf den Anwalt, "willst dich bei mir," Er deutete auf sich, "entschuldigen? Und das ist kein Scherz?!" "Absolut kein Scherz." "Warum denn das nun plötzlich?!", fragte er vollkommen fassungslos. David drehte sich weg. "Na, wenn du nicht willst..." "Stopp!" Jeremy sprintete um ihn herum um ihm den Weg zu versperren. "Und ob ich will! Los! Am besten mit Kniefall!" "Werd nicht frech, das fällt mir schon schwer genug! Ich bin es nicht gewöhnt, zuzugeben zu müssen, dass ich Mist gebaut habe..." "Ich warte!", grinste Jeremy. "Es tut mir leid..." Davids Stimme klang vollkommen aufrichtig. "Ich wollte dir auf der Party nicht weh tun und ich wollte es auch gestern nicht. Ich... ich weiß nicht genau, was ich sagen soll... ich bin nun mal manchmal so... aber auf jeden Fall war es unfair dir gegenüber und du hattest allen Grund sauer zu sein..." Er sah zu Boden. "Ist schon okay, mehr wollte ich eigentlich gar nicht... es tut mir auch leid, ich war ziemlich hart drauf..." Die Stille senkte sich über die Beiden, Keiner wusste genau, was er nun tun oder sagen sollte. Schließlich war es David, der das Schweigen brach. "Lass es uns einfach vergessen, okay? Schwamm drüber und gut." "Denkst du?" David nickte. "Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich finde, wir sollten einfach noch einmal von vorn anfangen." Er lächelte. "Hi, ich bin David, schön dich kennen zu lernen." Er streckte dem Tänzer die Hand hin. Jeremy ergriff sie lachend. "Ich bin Jeremy und du bist ein Spinner!" "Nachdem wir das jetzt geklärt haben." David zeigte ein Stück die Straße hinab. "Steigst du wohl zu fremden Männern ins Auto? Ich hab heute frei und vielleicht können wir etwas zusammen unternehmen." Jeremy kratzte sich am Kopf. "Vielleicht steige ich zu fremden Männern ins Auto, wenn sie sich so schön entschuldigen können wie du! Und wenn ich mich bei dem fremden Mann im Auto umziehen darf." Er grinste breit. "Du bist fies!" "Wirst es verdient haben!", kicherte der junge Mann. Kurze Zeit später saßen die Beiden an einem Tisch im "Diner for two", einem dieser altmodischen Diners wie es sie schon in den sechziger Jahren gab. Der Laden bestand aus einem langen Tresen mit Barhockern und mehreren Nischen mit gegenüberliegenden Bänken und einem Tisch dazwischen, die an den Fenstern entlang liefen, durch die man dem Betrieb auf der Straße zusehen konnte. Zwischen den Lehnen der Sitzbänke waren Pflanzen aufgestellt worden, so dass jeder an seinem Tisch in Ruhe essen konnte. Alles war auf altmodisch getrimmt und das mit Bravour. Selbst die Bedienungen schienen direkt aus den Swinging Sixties entsprungen. Eben einer dieser Kellnerinnen stellte gerade zwei Teller vor ihnen ab. "So, Jungs, zweimal Cheeseburger mit Fritten und zwei Cokes. Lasst es euch schmecken!" "Vielen Dank!", lächelte David. Er nahm die Ketchup Flasche und tropfte etwas von der roten Soße neben seine Pommes. Jeremy nahm eines der Kartoffelstäbchen und knabberte daran. "Burger und Fritten... genau das Richtige wenn man gerade gesagt bekommen hat, man sei zu dick." David legte ihm über den Tisch hinweg seine Hand auf den Unterarm. "Hör auf damit, bitte. Du bist nicht zu dick!" "Vielleicht ja doch... ich meine, Dirk Bouvier ist ein bedeutender Regisseur, er ist ziemlich einzigartig..." "Nur wenn einzigartig das lateinische Wort für Arschloch ist!", meinte David. "Das ist er nämlich! Der hat doch nur an dir herumgemäkelt, weil er selbst weiß, dass er nie so einen tollen Körper wie deinen haben wird. Ich meine, wenn man schon Dirk heißt!" "Schmeichler..." ".Das ist keine Schmeichelei.", entgegnete David, bevor er einen großen Bissen von seinem Cheeseburger nahm. David liebte diesen Laden wirklich sehr. Das Essen war trotz des günstigen Preises einfach hervorragend, die Bedienungen immer nett und schnell und er mochte es, hier einfach mal auszuspannen. "Weißt du was? Ich glaube dir das sogar." Jeremy machte sich über seine Portion her. "Warum machst du das? Warum lässt du dich so behandeln?" "Habe ich eine Wahl? David, ich verdiene damit mein Geld. Der Job im Mighty ist nur eine Aushilfsstelle, da verdiene ich nicht viel. Ich bin darauf angewiesen, Jobs zu finden. Da darf ich nicht zimperlich sein... aber ganz ehrlich, es hat gut getan, dass jemand für mich eingestanden ist... auch wenn es mich das Engagement gekostet hat." "Ich hab echt meine Klappe nicht halten können! Du warst nämlich wirklich spitze! Du hast so super getanzt und oben ohne siehst du einfach sexy aus. Na ja, eigentlich auch oben mit." Er zwinkerte ihm zu. "Komisches Gefühl, dich so von mir schwärmen zu hören...", stellte Jeremy fest. David hatte unvermittelt den Eindruck, dass seine Wangen warm wurden. Wurde er rot? Nein, sicher nicht, das geschah ihm so gut wie nie. "Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, Tänzer zu werden?", wechselte er so schnell er konnte das Thema. Jeremy ging zu seiner Erleichterung darauf ein. "Interessiert dich das wirklich?" "Aber ja." Nachdem er ein Stück von seinem Cheeseburger zerkaut hatte, lehnte sich der junge Mann zurück. "Weißt du, meine Mutter hat mir mal erzählt, dass ich damals geboren wurde um die Ehe meiner Eltern zu retten. Aber als mein Vater sie und mich aus dem Krankenhaus holte, sagte er ihr, es würde wohl nicht klappen. Einige Monate später hat er sie verlassen. Meine Mum hatte es danach verdammt schwer, sie musste allein für meine ältere Schwester und mich sorgen. Selbst heute schickt sie mir noch oft Geld, obwohl ich ihr das schon so oft gesagt habe, dass sie das nicht soll. Meine Schwester ist Kinderärztin bei uns in Sacramento... nur meine Karriere will nicht so in Schwung kommen... ich bin immer recht knapp bei Kasse..." "Die Anlage und der Computer in deinem Zimmer sahen aber nicht billig aus." Jeremy druckste ein wenig herum. "Ich...äh... ich hab ein bisschen was zur Seite gelegt und ein oder zwei bessere Engagements hatte ich ja auch schon... der Computer ist auch schon einige Jahre alt, längst überholt." "Hast du schon immer Tänzer werden wollen?" "Ja..." Jeremy nickte und in seinen Augen erschien wieder dieser Glanz, den David schon früher bemerkt hatte. "Schon als kleiner Junge. Meine Mutter hat mal Karten für eine Ballettaufführung gewonnen und meine Schwester und ich durften mit. Wir waren beide hin und weg. Alles war so einfach, so schön im Ballett. So gar nicht wie unsere Welt. Ich war als Kind der einzige Junge in der Ballettklasse von Mrs. Carlotta." Er lachte leise. "Als ich älter wurde, fing ich mit Jazz Dance an, meine Mutter hat sich jeden Penny vom Munde abgespart um mir das zu ermöglichen." "Hattest du deswegen in der Schule Probleme?" Jeremy schüttelte den Kopf. "Nein, ich war zwar nicht so beliebt wie die Jocks, aber beim Breakdance konnte mir keiner das Wasser reichen und ich war der Einzige, der die komplette Choreographie von MC Hammer nachtanzen konnte." "Das musst du mir mal zeigen." Der junge Mann schnaufte. "Du hättest es sehen können, wenn du nicht zu sehr damit beschäftigt gewesen wärest, dir Sachen von fremden Leuten in den Mund zu stecken... aua." David hatte ihm unterm Tisch vors Schienenbein getreten. "Ist doch wahr!", grinste Jeremy. "Ich dachte, wir wollte von vorne anfangen?" Jeremy legte den Kopf schräg. "Meinst du nicht, dass du es dir zu leicht machst?" "Jeremy, ich bemühe mich wirklich." "Ist ja gut...", lächelte der Tänzer. "Ich weiß das doch, entschuldige. Gibst du mir mal den Ketchup rüber?" "Hier bitte." David reichte ihm die Flasche. "Und jetzt erzähl weiter, du warst erst bei der Schulzeit." "Und das interessiert dich ganz ehrlich?" fragte Jeremy mit zusammengekniffenen Augen. "Würde ich sonst fragen?" "Okay, du hast gewonnen. Also... nach der Schule... na ja, viel kann man dazu nicht sagen. Ich bin zuhause ausgezogen und hierher. Ich weiß, die großen Möglichkeiten gibt es eher in New York, aber ich wollte nicht soweit weg. Und nach Los Angeles wollte ich nicht, die Stadt ist scheiße. Ich hab durch Zufall Abby kennen gelernt und wir sind zusammengezogen. Sie versteht mich und meine Träume. Weißt du, ich bin Tänzer mit Leib und Seele, gib mir eine Schrittfolge und ich kriege sie hin. Mein Traum ist es, morgens aufzuwachen und wirklich stolz zu sein, dass der Mann im Spiegel ich bin, zu wissen, dass ich für die Leute tanzen kann, ihnen ein wenig von dem zu geben, was ich selbst mit dem Tanzen verbinde..." "Du kannst doch jetzt schon stolz auf dich sein." "David..." Jeremy sah ihn durchdringend an. "Ich hetze von Casting zu Casting, versuche händeringend einen Job zu bekommen und betätige mich nebenbei als Kellner in einer Homokneipe. Glaubst du wirklich, darauf kann ich stolz sein? Meine Mutter weiß noch nicht einmal, dass ich mit Männern schlafe. In der Schule hatte ich nur Freundinnen." "Wirklich?" "Ja, ich hatte noch nicht einmal Interesse an Jungs, das kam erst später." "Durch mich?" David grinste frech. "Gnadenlose Selbstüberschätzung, mein Lieber!", konterte Jeremy mit einem ebenso frechen Grinsen im Gesicht. "Also ich hab schon mit fünfzehn meinen erstes Mal gehabt.", erzählte David unverblümt. "Nicht dein Ernst!" "Doch... ich glaube aber, dass es in seinem Fall eher ein Unfall war, er war recht besoffen und am nächsten Tag vollkommen fix und fertig. Aber ich bin auf den Geschmack gekommen." Jeremy schlug sich mit der Hand vor die Stirn. "Das ist wieder typisch du! Andere suchen jahrelang nach ihrer sexuellen Identität und sind vielleicht sogar zunächst vollkommen verstört, weil sie auf Jungs stehen und du... kommst auf den Geschmack!" "Warum sollte ich da ein Problem draus machen? Ich meine, ich fand es geil und Mädchen haben mich nicht die Bohne interessiert." "Wirklich nicht?" Jeremy konnte nicht glauben, über was er da mit David in einem Restaurant redete. "Hast du nie mit einer Frau geschlafen?" David kratzte sich an der Schläfe. "Doch, einmal... mit zwanzig. Aber ich fand es einfach langweilig." Die Kellnerin kam zum Kassieren und obwohl Jeremy nach seiner Brieftasche griff, war David schneller. Die junge Frau nahm das Geld mit einem Lächeln an und bedankte sich für das Trinkgeld. "Du solltest nicht für mich bezahlen!" "Ich wollte aber, also lass es gut sein." "Du bist unmöglich... aber danke." Jeremy schob seinen Teller ein Stück weg. Er war pappsatt. "Ich muss gleich dringend heim und duschen, ich bin noch total verschwitzt." "Mach das doch bei mir.", schlug David vor. "Ich weiß nicht..." "Komm schon, wir wollten doch den Tag zusammen verbringen, keine Ahnung wann ich mir mal wieder frei nehmen kann." "Dir liegt echt viel daran, was?" "Ist das schlimm?" David setzte sein unglaublich entwaffnendes Lächeln auf und Jeremy musste sich wohl oder übel geschlagen geben. "Nein, also gut." Er trank den Rest seiner Cola. "Aber um noch mal darauf zurück zu kommen. Du findest Frauen wirklich langweilig?" David zuckte mit den Schultern. "Ja, schon. Ich meine, als Gesellschaft nicht aber im Bett. Was ist daran denn schon schön?" "Ich finde es ziemlich schön, ein Frauenkörper ist doch ganz anders, soviel weicher als ein Mann. Was aber nicht heißen soll, dass ein Mann nicht auch seine Vorzüge hat." David musterte ihn. "Darf ich dich mal was fragen?" "Raus damit." Er nickte in Richtung der hübschen Kellnerin, die gerade dabei war die Teller zurück in die Küche zu bringen. "Wenn du die Wahl hättest mit ihr oder mit mir zu schlafen, wen würdest du wählen?" "Dich." Jeremy sagte das ohne zu zögern. "Also bevorzugst du Männer.", stellte David fest. "Nein," widersprach der junge Mann und erhob sich. Er schaute David über die Schulter hinweg an. "Ich bevorzuge dich." Ein Lächeln umspielte seine Lippen, aber nur für ein paar Sekunden. "Kommst du dann?" Er ging Richtung Ausgang und David konnte ihm für einen Augenblick einfach nur nachstarren. Dann sprang er auf und folgte ihm. Jeremy ließ das heiße Wasser auf seinen Körper prasseln und überlegte für einen Moment, ob eine kalte Dusche nicht besser wäre. Er hatte sauer auf David sein wollen, ihn das auch spüren lassen, aber mehr als eine spitze Bemerkung hier und da bekam er nicht hin. Er konnte der Verlockung in Davids Nähe zu sein einfach nicht widerstehen. Dieser Mann machte ihn noch wahnsinnig. Er konnte so lieb, so nett und herzlich sein und auf der anderen Seite wiederum ein kompletter Gefühltrampel, dem seine Libido über alles ging. Und trotzdem schien sein ganzer Körper allein beim Gedanken an ihn zu verbrennen. Als er die Dusche verließ, fiel sein Blick auf die große Badewanne. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Eine Eingebung, wie er David einen Denkzettel verpassen und gleichzeitig seine Nähe bekommen konnte... "Ja, er ist jetzt hier. Er duscht." David lag ausgestreckt auf dem Sofa, das Telefon unters Kinn geklemmt. Er hatte der Versuchung Jason anzurufen nicht widerstehen können. "Nein, nicht deswegen, er hatte ein Casting... Ja, alles andere ist wieder okay, denke ich zumindest... du hättest ihn mal tanzen sehen sollen, eine Wucht..." Er verdrehte die Augen. "Ja doch! Ich weiß, dass ich es hätte sehen können, wenn ich nicht mit Ash rum gemacht hätte, viele Dank!... Ja, schon gut... Ja, ich denke, dass es noch ein schöner Abend werden wird... zumindest hoffe ich das... Also, was denkst du denn von mir?! Natürlich verbocke ich es diesmal nicht!... Hör auf zu lachen, Jason!" Dabei grinste er selbst. "Und sag deinem Hausdrachen Danke wenn du heim kommst, ich glaube seine Standpauke war wirklich mal nötig... Nein! Du solltest ihm nicht sagen, dass ich ihn Hausdrache genannt habe! Wag es nicht!" Er lachte. "Nein, wirklich, Sunshine, ich würde mich bitter rächen! Glaub mir, ich..." "Oh, störe ich?" David zuckte zusammen und vor Schreck fiel ihm das Telefon runter. Es landete neben der Couch auf dem Boden. Jeremy stand mit einem Handtuch um die Hüften hinter dem Sofa und grinste. Der Anwalt angelte nach dem Hörer. "Entschuldige, ich bin noch da. Ich muss aber aufhören, Sunshine... ja, okay... Ich melde mich... bis dann!" Er legte auf und setzte sich eilig hin. "Sunshine?" "Jason.", erklärte David. "Du nennst ihn Sunshine? Das ist ja niedlich." "Findest du?" Jeremy ließ sich neben ihm nieder, dabei klaffte das Handtuch an seinen Oberschenkel ein wenig auseinander. "Ja, finde ich. Habt ihr über mich gesprochen?" "Na ja..." "Ist nicht schlimm, schließlich habe ich mit Abby ja auch schon über dich geredet." "So, so!", grinste David. "Hat die Dusche gut getan?" "Ja, sehr, deine Dusche ist ja aber auch ein halber Ballsaal. Da passen ja locker zwei Leute rein, bei uns in der Dusche würde sich einer von Beiden ständig die Armaturen in den Rücken rammen." "Wie sexy!" David konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. "Aber bei unserer Nummer im Auto damals hatte ich auch beinahe den Schaltknüppel im Arsch, also was soll's?" Jeremy stand wieder auf und musterte die Flecken auf der Tapete neben dem Fenster. "Soweit ist der Drink aber sicher nicht gespritzt..." "Nein..." David trat hinter ihn. "Ich hab mein Glas durch die Gegend geworfen, weil ich so sauer war." Er beugte sich vor und hauchte sanfte Küsse auf Jeremys Schultern. Seine Hände fanden das Handtuch und lösten es mit einer geschickten Bewegung. Der Stoff fiel zu Boden und ließ Jeremy nackt in Davids Armen zurück. "Du machst mich wahnsinnig, weißt du das? Bitte bleib heute Nacht hier..." Er drehte den jungen Mann zärtlich in seiner Umarmung um und küsste ihn. Seine Finger fuhren über Jeremys Rücken, immer näher zu seinem Po. Plötzlich beendet der Tänzer den Kuss und langte nach hinten, um Davids Hand festzuhalten. "Bitte nicht...", flüsterte er. "Was? Warum nicht?", fragte David etwas perplex. "Ich möchte nicht mit dir schlafen... ich bleibe bei dir, aber nur unter einer Bedingung. Wir schlafen in einem Bett, aber wir schlafen nicht miteinander. Ich möchte mit dir kuscheln." "Kuscheln?" David sagte das Wort, als sei es etwas fürchterlich Abnormales. "Ja, genau. Ich möchte deine Nähe spüren, aber ohne das wir gleich beim ersten Date miteinander schlafen." "Das ist also jetzt unser erstes Date?" "Wie du gesagt hast, alles auf Anfang. Aber ich will, dass der zweite Versuch mit mehr Gefühl abläuft und das heißt auch, dass ich nicht gleich am ersten Abend rammeln will." "Das ist nicht dein Ernst!" Jeremy nickte und löste sich dabei aus Davids Umarmung. "Und ob. Komm schon, David, du hast gesagt, du wolltest dich um mich bemühen, also kannst du mir diesen Wunsch doch auch erfüllen, oder?" Er ging zum Badezimmer, immer noch vollkommen nackt und ganz offensichtlich extra gemächlich. "Wo gehst du hin?" Jeremy warf ihm in der gleichen kessen Art wie im Restaurant einen Blick über die Schulter zu. "Ins Badezimmer. Ich hab deinen Pool den du als Badewanne ausgibst gesehen und dachte, du hast vielleicht Lust mit mir ein Bad zu nehmen." David ließ sich auf die Couch fallen. Er erkannte sich selbst nicht wieder. Jeden anderen hätte er für dieses Spielchen rausgeworfen, aber bei Jeremy konnte er nicht anders, als ihn gewähren zu lassen. Dieses herausfordernde Funkeln in seinen Augen, der Anblick seines nackten Körpers, er war mittlerweile schweißgebadet und sehnte sich unglaublich danach, Jeremy nah zu sein. Dabei machte dieser Junge ihn hier gerade nahezu zum Idioten. David tat das einzige, dessen er in diesem Moment im Stande war: Er seufzte und folgte ihm. Im Badezimmer roch es nach Schaumbad, Mandarinenduft. Jeremy hatte irgendwo zwei Kerzen aufgetrieben, die am Wannenrand standen. Die Badewanne (mit eingebautem Whirlpooldüsen) war bereits voll und große Inseln aus Schaum trieben über die Wasseroberfläche. Er hatte also schon alles vorbereitet! Jeremy saß in der Wanne und lächelte David an. "Hi..." Der Anwalt stemmte die Hände in die Hüften. "Was wird das?" "Was meinst du?" "Dieses Spiel, dass du mit mir treibst!" "Ich treibe kein Spiel mit dir." "Du willst nicht mit mir schlafen, hältst mir aber quasi deinen Hintern ins Gesicht und willst dann auch noch mit mir baden... das nenne ich Spielchen treiben." "Wenn du das so sehen willst, du musst ja nicht mit mir baden..." Er spielte mit einer Schaumflocke an seinen Fingern. "Ist auch allein nett..." "Das glaubst auch nur du!" David zog einem Ruck seinen Gürtel auf, seine Schuhe hatte er eh schon ausgezogen, und schälte sich aus der Hose. Sein Hemd, seine Socken und die Shorts folgten kurz darauf. Er grinste Jeremy an. "Mach Platz!" "Das ist in diesem Fünfundzwanzigmeterbecken wohl kaum nötig!", lachte der junge Mann. David stieg mit einer lässigen Bewegung ins Wasser, so einfach wollte er sich keine Blöße vor Jeremy geben. Mit einem Laut der Entspannung ließ er sich ganz ins Wasser gleiten. "Darf ich in deinen Arm?" David öffnete als Antwort nur einladend seine Arme. Der rothaarige Mann drehte sich und schob sich in Davids Umarmung. Er saß nun zwischen den Beinen des älteren Mannes und lehnte sich an dessen kräftige Brust. "Siehst du? Ist das nicht schön?... Hey!" David hatte mit der rechten Hand unter Wasser einen ziemlich deutlichen Annährungsversuch gemacht. Jeremy klatschte ihm mit der flachen Hand vor die Brust. "Ich sagte, ich möchte in deinen Arm, das war keine Einladung mich unter Wasser zu fingern, du Perversling!" "Versuch macht klug!", grinste David. "Nimm deine Finger sofort außer Reichweite meines Hinterns, David. Ich will sie sehen." David seufzte gekünstelt, winkelte sein rechtes Bein an um die Hand darauf abzulegen, mit der Linken hielt er Jeremy. "Braver Junge." "Du quälst mich! Merkst du das eigentlich nicht?" "Oh, doch und zwar überdeutlich. Es bohrt sich sozusagen geradezu in meinen Rücken. Keinerlei Selbstbeherrschung." "Okay, jetzt reicht es!" David langte nach vorn, viel zu schnell als das Jeremy hätte reagieren können. Auf seinem Gesicht zeigte sich Triumph. "Wusste ich es doch! Soviel zum Thema Selbstbeherrschung." "Meinst du, ich bin aus Eis?" Jeremy packte Davids Handgelenk und zog dessen Hand wieder an die Wasseroberfläche. "Natürlich geht es nicht spurlos an mir vorbei, wenn du für mich strippst und ich so nahe bei dir liege." "Und trotzdem lässt du mich zappeln." "Jepp." "Das ist perfide, weißt du das?" "Nein, nur deine gerechte Strafe." Jeremy ließ seine Finger über Davids Arm gleiten und lächelte süffisant. "Ganz so leicht sollst du es nicht haben. Ich..." Weiter kam er nicht, denn David packte ihn diesem Moment mit beiden Händen an den Hüften und wirbelte ihn herum. Jeremy hatte damit nicht gerechnet und bevor er sich wehren konnte, hing er über den Rand der Wanne, David hinter sich. Das Gewicht von dessen Körper lastete auf ihm, das Wasser schwappte in alle Richtungen, ertränkte eine der Kerzen und klatschte auf den Badezimmerboden. "Lass das!", keuchte Jeremy. "Willst du das wirklich?" David hielt ihn fest, dabei ließ er seine Zunge über Jeremys Nacken gleiten und knabberte schließlich an seinem Ohr. Der junge Mann konnte sich nicht bewegen und war ihm vollkommen ausgeliefert. Er spürte deutlich die Erregung des älteren Mannes. Jeremy stöhnte auf und schüttelte den Kopf, er wollte nicht, dass David aufhörte, das wurde ihm in diesem Moment klar. Die Art wie er mit ihm gerade umsprang hatte etwas wildes, dessen er sich nicht entziehen konnte. Er wollte ihn, jetzt und gleich, Racheplan hin oder her. "Na bitte!", triumphierte David. "Keinerlei Selbstbeherrschung!" Als Jason an diesem Abend nach Hause kam, stand Chris im Garten und hängte Wäsche ab. Sie hatten einen Wäschetrockner, doch manchmal gefiel es Chris, die Wäsche in der Sonne aufzuhängen, zumal er ihren Garten sowieso sehr liebte. Er hatte die Sachen bevor er zu seiner Schicht ins IHoP gegangen war gewaschen und aufgehängt, jetzt waren sie schon trocken. Die Sonne war auch um diese Jahreszeit in Kalifornien noch ziemlich stark. Er hörte Jason schon an seinen Schritten auf dem Kiesweg, drehte sich aber absichtlich nicht um. Sein Freund legte ihm die Hände über die Augen. "Wer bin ich?" Chris grinste. "Oh nein, verschwinde schnell, mein Freund kann jeden Moment heim kommen und er darf dich nicht sehen!" "Du!" Jason schnappte ihn und kitzelte ihn durch. "Gnade! Gnade!", kicherte sein blonder Freund. Endlich ließ Jason von ihm ab. "Selbst schuld, wenn du mich mit deinem Hausfreund verwechselst!", grinste Jason. Er zog Chris an sich und gab ihm einen zärtlichen Kuss. "Hi, mein Engel." "Wie war dein Tag?", lächelte Chris. Allein dieses Lächeln wischte auf einen Schlag alle Sorgen Jasons weg. All die Probleme auf der Arbeit waren mit einem Mal vergessen, Chris Lächeln war pure Wärme. "Anstrengend, wie immer..." "Seit alle wissen dass du schwul bist, ist jeder Tag anstrengend, was?" "Es ist ein Spießrutenlauf... aber das ist mir egal. Solange ich weiß, dass ich abends zu dir heimkomme, kann passieren was will." Er schaute die Wäsche an, die noch auf dem Ständer hing. "Soll ich dir helfen? Dann geht es schneller." "Danke." Die Beiden machten sich daran, die Kleidungsstücke abzuhängen und in den Wäschekorb zu legen. "Weißt du was? Das ist alles irgendwie unwirklich...", sagte Chris plötzlich. "Was denn?", fragte Jason überrascht. "Das alles... ich hab da in den letzten Tagen öfter drüber nach gedacht... wir sind nun schon fast sechs Monate zusammen, haben dieses wundervolle Haus, gute Freunde... und wir sind vor der ganzen Welt ein Paar, sogar vor deinen Eltern, die mich in der Familie willkommen geheißen haben... ich hab immer Angst, dass ich plötzlich aufwache und das war alles nur ein Traum... ich liege in meinem schäbigen Bett hinter der Kneipe und träume..." Jason legte das Shirt, das er eben abgenommen hatte, aus der Hand und umarmte seinen Freund liebevoll von hinten. "Du träumst nicht, mein Engel. Das ist die Wirklichkeit und glaube ja nicht, dass ich dich noch einmal von mir weg lasse. Ich liebe dich." "Ich dich auch, Jason, ich dich auch..." Ein herzerweichendes Jaulen durchbrach die romantische Stille. Chris löste sich von Jason und schaute sich verwundert um. "Was war denn das?" "Verdammt!" Jason schnippte mit den Fingern. "Jetzt hat er mir die Überraschung verdorben!" "Er?" "Geh in die Küche, dann siehst du, was ich meine." "Jason, was...?" "Geh einfach, da ist ein etwas verfrühtes Geschenk zu unserem Sechsmonatigen, das auf dich wartet." Chris lief zur Hintertür und betrat das Haus, Jason folgte ihm in einigem Abstand mit dem Wäschekorb. Im Haus war es wieder still, nur ein Rascheln war zu hören. Chris sah sich um und entdeckte eine Tragebox, die auf dem Boden stand. Ein blaues Plastikgehäuse mit einer Gittertür vorn. Er ging davor in die Knie und öffnete das Gitter mit vor Aufregung zitternden Fingern. Wieder erklang das Winseln. Noch bevor er in die Box sehen konnte, schoss ihm ein kleines Fellbündel direkt in die Arme. Der kleine Kerl schien unendlich froh zu sein, dass ihn endlich jemand erhört hatte. Er drückte sich regelrecht an Chris wedelte wie wild mit seinem kurzen Schwanz und begann ihm die Hand abzulecken. Große, braune Augen schauten ihn an. Schließlich erkannte Chris, was er da im Arm hielt: Den Beaglewelpen aus der Tierhandlung, den er am Tag zuvor gesehen hatte. "Gefällt er dir?" "Du lieber Himmel, Jason... das ist ja..." Chris wusste nicht was er sagen sollte. Er kniete einfach da und hielt den kleinen Hund, der sich schutzsuchend an ihn presste. Obwohl er es nicht wollte, begannen Tränen über seine Wangen zu laufen. "Hey, nicht weinen!", lächelte Jason und strich eine Träne mit den Fingern weg. "Sonst denkt er noch, du magst ihn nicht." "Das ist das liebste Geschenk, dass ich je bekommen habe!", schniefte Chris. "Dann habe ich ja mein Ziel erreicht. Ich will nur, dass du glücklich bist und ich hatte Angst, dass er vielleicht verkauft werden würde wenn ich bis zu unserem Tag warte. Deswegen habe ich ihn heute gleich nach der Arbeit geholt." "Er ist wundervoll." "Weißt du schon einen Namen?" "Hm..." Chris musterte den kleinen Kerl, der ihn immer noch mit großen Augen anwinselte. "Wie möchtest du heißen?" Er bekam ein hohes Bellen als Antwort und der Welpe fing an zu strampeln. "Batman!" Chris lächelte. "Du wirst ab jetzt Batman heißen!" Der Hund fing wieder an seine Hand abzulecken. "Batman?! Na ja... scheint ihm zu gefallen. Wie kommst du bloß auf Batman?" "So wollte ich schon den Hund nennen, den ich als Kind nicht bekommen habe. Und mein Stoffhund hieß Batman." "Okay, dann heißt er Batman." Chris erhob sich, mit dem Hund in den Armen. "Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt, weißt du das?" "Ich dich auch, mein Engel." Jason trat näher und umarmte ihn. "Ab jetzt sind wir also zu dritt." Chris nickte. "Und weißt du was?" "Was?" Sein Freund trat einen Schritt zurück, so dass Jason sein T-Shirt mit dem großen Fleck darauf sehen konnte. "Unser Familienzuwachs hat mich gerade angepinkelt!" Jeremy schaute aus dem Fenster von Davids Schlafzimmer auf die Stadt hinaus, eingehüllt in einen von dessen Bademänteln. Er war fix und fertig. Entgegen seines Vorhabens, den Abend betont romantisch zu gestalten, hatte er eben den heftigsten Sex seit langer Zeit gehabt. Wahrscheinlich würde er morgen blaue Flecken haben, aber das hatte ihn in dem Moment nicht gestört. Er ließ in seinem Kopf die paar Male die er mit David Sex gehabt hatte Revue passieren. Jedes mal war es toll gewesen, aber auch jedes Mal wahnsinnig wild. Nicht das ihm diese ein wenig animalische, rohe Art nicht zusagte, aber er fragte sich plötzlich ob darin ein Muster bestand. Konnte es sein, dass David deswegen so wild im Bett war, weil er dabei möglichst wenig Gefühl investieren musste? Er konnte den Gedanken nicht zu Ende führen, weil David ihn in diesem Moment von hinten packte und hochhob. "David!" Jeremy musste lachen. "Bin ich dir nicht zu schwer?" "Das geht schon!", grinste David, er trug ihn auch nicht weit, sondern ließ ihn aufs Bett fallen. Er selbst folgte sofort und legte sich auf den jungen Mann, er war immer noch nackt. "Hat dir das eben gefallen?", hauchte er. "Du bist ein Tier, David, ist dir das klar? Das ganze Badezimmer steht unter Wasser, das war reines Glück, dass sich nicht einer von uns das Genick gebrochen hat beim aus der Wanne steigen!" David ließ seine Zunge über Jeremys Hals gleiten, was diesem eine Gänsehaut verpasste. "Es war unglaublich geil, wie du unter mir gestöhnt hast. Das hat man sicher noch bis ins Erdgeschoss gehört." "David, was wird das?", keuchte Jeremy. Der ältere Mann stützte sich mit einer Hand ab und schob die andere zwischen Jeremys Beine. "Die zweite Runde vielleicht..." "Du bist wirklich nicht normal! David, du kannst doch nicht schon wieder wollen... oh..." Der Rest ging in einem Stöhnen unter. "Dein Körper sagt mir, dass du auch schon wieder willst!" Er drückte seine Lippen auf die des Tänzers. Jeremy verlor sich in dem Kuss, der schon wieder voller Leidenschaft und ungezähmter Wildheit war. Egal ob das ein Abwehrmechanismus gegen Gefühle war oder nicht... es war einfach zu geil... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Langes Kapitel O_o In Word sind es stolze 17 Seiten mit Nachwort. Ich hätte eigentlich noch weiter machen können, aber ich mache hier doch lieber eine Zäsur und mit Kapitel 21 weiter. 21 Kapitel... kann man sich das vorstellen? Das hier fing als eine kleine Idee an und mittlerweile hat sich so ein Mammutprojekt daraus entwickelt, das aufwendigste Fiction-Vorhaben, das ich bisher gemacht habe. Und es ist noch kein Ende abzusehen. Vor urlanger Zeit hatte ich mal angekündigt, dass die Story so um die 25 Chapter haben wird... das war reine Utopie, ich hab noch nicht einmal die Hälfte von dem erzählt was ich noch vorhabe. Allein David und Jeremy bieten viel zu viele Möglichkeiten... zwischen den beiden stimmt die Chemie, was ich in diesem Kapitel deutlich gemerkt habe, es lief eigentlich wie von selbst, die Szenen zwischen den beiden fielen mir unglaublich leicht. Besonders auf die Szene auf der Straße und beim Casting bin ich sehr stolz ^^ Mir wurde letztens mal gesagt, dass Chris nicht mehr so biestig sei wie früher, deswegen habe ich hier sein Temperament mal wieder mit ihm durchgehen lassen ;-) Die Biestigkeit ist noch da, aber er braucht sie ja nicht mehr, um sich vor anderen zu schützen. Die Idee Chris einen Hund zu schenken habe ich schon längere Zeit mit mir herum getragen und jetzt ist es endlich soweit ^^ Ich hoffe ich kriege das genauso gut hin wie Alaska in ihrer wunderbaren Story! Viel mehr ist hier nicht zu sagen, denke ich... das Diner habe ich selbst erfunden, weil solche etwas billigeren Läden in meinem Reiseführer nicht verzeichnet sind, aber solche Restaurants gibt es dort ja eigentlich an jeder Ecke ;-) Die Schrittfolge die Jeremy beim Casting tanzen muss ist nicht von mir, sondern stammt aus dem Song "I hope I get it" aus dem wundervollen Tanzfilm "Chorusline". Schaut ihn euch an, wenn ihr ihn in die Finger bekommt, wirklich herrlich, allein der Soundtrack ist Gold wert ^^ Bis zum nächsten Chap ^^ Euer Uly ;-) PS: Der Name des vierbeinigen Neuzugangs stammt von meiner süßen Schnuffimaus *g* Sie wollte schon unseren Familienbeagle Batman nennen, durfte aber nicht, das war ihrer Mama im Park zu peinlich *gggg* Batman! Bei Fuß! *looool* Kapitel 21: Past imperfect -------------------------- Während er sein Hemd zuknöpfte, beobachtete David Jeremy im Schlaf. Der junge Mann lag nackt und in Fötushaltung zusammengerollt in seinem Bett, er hatte sich im Schlaf halb aufgedeckt und die Decke wie ein Kuscheltier in seinen Arm geknüllt. Der Anblick seines blanken Hinterns erweckte in David wohlige Erinnerungen an die letzte Nacht. Er gähnte, viel Schlaf hatte er nicht bekommen, aber noch einen Tag unangemeldeten Urlaub bzw. Krankfeiern konnte und wollte er sich nicht leisten. Er würde sich auf dem Weg ins Büro irgendwo einen Kaffee kaufen, um endlich munter zu werden. Jeremy schmatze leise im Schlaf. Unwillkürlich musste David lächeln, er war so süß. Oh Gott, was denk ich da?! Er ist nicht süß! Er kratzte sich am Kopf. Doch, er war süß, so wie er da lag. Am liebsten hätte er sich direkt wieder neben ihn gelegt. Aber das ging nun mal leider nicht. Er setzte sich vorsichtig neben ihn aufs Bett und strich ihm mit der Hand über den Rücken bis hinab an den Po. Als er den Steiß erreichte, zuckte der Tänzer zusammen. "Was'n los?" murmelte er. "Nichts, schlaf ruhig weiter. Ich muss zur Arbeit." Jeremy stemmte sich ein Stück hoch und sah David mit zusammen gekniffenen Augen an. "Soll ich... gehen?" "Nein, schlaf weiter." David gab ihm im Reflex einen Kuss auf die Stirn und erschrak deswegen fast selbst. Er stellte sich schnell wieder hin. Jeremy war schon wieder eingeschlafen. David band sich die Krawatte um, zog das Sakko über und verließ dann leise das Schlafzimmer. Im Auto wählte er Jasons Handynummer. Es klingelte ein paar Mal, dann flogen ihm beinahe die Ohren weg. Aus der Freisprechanlage ertönte ein unglaublich lautes Jaulen. "Jason?!" "Ja!" kam es lautstark aus dem Hörer. "Was ist denn da los?!" "Wir sind auf dem Weg zum Tierart, Batman muss geimpft werden!" brüllte Jason zurück. "... Batman... muss... geimpft werden...?" "Entschuldige! Unser Hund! Und er ist weder an Autofahren noch an das Klingeln eines Handys gewöhnt." "Euer Hund?!" "Den hat Jason mir geschenkt! Morgen, David!" mischte sich Chris ein. "Beruhige dich, Batman, ist ja alles okay, mein Kleiner." "Man kann euch auch keine zwei Minuten allein lassen, oder?!" David musste lachen. Er kam an eine rote Ampel und griff schnell nach dem Kaffee, der ziemlich wackelig auf dem Beifahrersitz wartete. Er verbrannte sich fast die Zunge, so heiß war das Getränk noch. "Wie war dein Date diesmal?" "Wunderbar! Wir haben gebadet, gevögelt... gevögelt... erwähnte ich, dass wir gevögelt haben?" "Habt ihr auch noch etwas Anderes gemacht?" lachte Jason. "Ja, wir haben geredet. Jeremy ist noch bei mir, ich hab ihn schlafen lassen." "Also war der Abend ein voller Erfolg?" Die Ampel schaltete auf grün und David gab wieder Gas. Er war eh schon spät dran und konnte sich jetzt schon lebhaft die Standpauke von Eve ausmalen. Seine Assistentin interessierte es herzlich wenig, dass er ihr Chef war, wenn sie ihm den Kopf waschen wollte weil er etwas ausgefressen hatte. "Kann man auf jeden Fall sagen. Ich bin wieder im Geschäft!" Er registrierte erst jetzt, dass Chris überhaupt nichts von seinen Potenzschwierigkeiten gewusst hatte, aber offenbar war Jasons Freund viel zu sehr damit beschäftigt Batman unter Kontrolle zu halten. "Und was hast du jetzt vor?" "Erst einmal arbeiten gehen und dann mal sehen. Ich hab ihm einen Zettel hingelegt, ob er vielleicht Lust hat, heute mit mir ins Kino zu gehen. Ich wollte schon immer mal im Kino einen geblasen kriegen!" "Dann hoff mal, dass Jeremy auch schon immer mal jemandem im Kino einen blasen wollte!" Jason lachte schon wieder. "Wir sind gleich da, ich muss aufhören. Bis dann!" "Bis dann, Sunshine! Bye, Chris! Bye... Batman..." Als wollte er ihm antworten, fing der Welpe schon wieder an zu Jaulen. Bevor ihm noch das Trommelfell platzte, beendete David lieber schnell das Gespräch. "Er tut es schon wieder!" Jason sah seinen Freund auf dem Rücksitz über den Rückspiegel hinweg an. Chris saß neben der Transportbox von Batman und der kleine Hund leckte ihm durch das Gitter die Hand ab. Chris schien eine beruhigende Wirkung auf den Welpen zu haben. "Was tut er?" "Er blockt schon wieder ab, Jason! Hör ihm doch nur mal zu. Er degradiert Jeremy zu einem Sexspielzeug." "Das siehst du zu eng." Jason hielt Ausschau nach einer freien Parklücke. "Tu ich das?" Batman winselte leise. "Ich finde nicht. Er erzählt nur vom Vögeln und warum will er mit ihm ins Kino? Weil es eine seiner Phantasien ist, sich dort einen blasen zu lassen, wie romantisch!" "Wir beide haben doch auch oft Sex... auch wenn ich mich davon sicher verabschieden kann, wenn du Batman weiter zu uns ins Bett lässt." "Aber er hat doch so geweint! Es ist ja nur für die eine Nacht gewesen!" rechtfertigte sich Chris. Jason lachte kurz und verächtlich auf. "Klar! Hast du schon mal "Susi und Strolch" gesehen? Susi soll auch nur für eine Nacht im Bett schlafen und Jahre später tut sie es immer noch." "Wenn ich mich recht erinnere, haben wir über David gesprochen.", grinste Chris. "Ist dir das Thema unangenehm? Etwa weil ich Recht habe?" Unüberhörbar schwang Triumph in Jasons Stimme mit. "Besserwisser! Heute schläft er in seinem Körbchen." "Ich werde dich daran erinnern." Jason hatte endlich eine Parklücke gefunden und lenkte hinein. "Außerdem sollte ich beleidigt sein." "Warum?", fragte Jason verdutzt. "Weil du unsere Beziehung mit Davids Fickmarathon vergleichst." "Na ja... so sollte das eigentlich nicht gemeint sein..." Jasons Satz verlor sich in resigniertem Schweigen. "Schatz, der Vergleich hinkt. Ich hab es ja schon fast kommen sehen. Hoffentlich nimmt das ein böses Ende, Jeremy hat es nicht verdient nur eine weitere Kerbe in Davids Bettpfosten zu werden. Er ist so ein lieber Kerl." Jason wusste nichts zu erwidern. Chris hatte ja schon Recht, David schien nur den sexuellen Aspekt an Jeremy zu sehen... oder wollte er nur diesen sehen? Es war bereits nach elf Uhr als Jeremy endlich aufwachte. Er blinzelte und schaute sich etwas verstört um, bis er realisierte, wo er sich befand. Davids Apartment. Er war allein... langsam kam die Erinnerung wieder. David war zur Arbeit gegangen und er hatte... war das Realität oder Traum gewesen? ... Hatte er ihn zum Abschied auf die Stirn geküsst...? Er stieg aus dem Bett und streckte sich. Sein Blick fiel auf den Spiegel. Er sah wirklich mies aus, total übernächtigt und die ungestüme Nummer in der Wanne hatte tatsächlich blaue Flecken hinterlassen. "Grober Ochse!", schimpfte er auf den Blonden. Aber eigentlich war die Erinnerung an diesen Moment wahnsinnig aufregend. Es war so unglaublich intensiv gewesen, er hatte in dem Augenblick gespürt, dass sich Davids gesamte Erregung, sein komplettes Verlangen, auf ihn konzentrierte und das war ein berauschendes Gefühl gewesen. Er ging ins Bad und stellte sich unter die Dusche, nachdem er seine Blase von der Nacht entleert hatte. David sollte ruhig noch eine Ladung Wasser bezahlen, als Gegenleistung für die letzte Nacht. Er spürte jeden Knochen im Leib, dieser Mann hatte ein Durchhaltevermögen und einen sexuellen Appetit, das es einem direkt unheimlich werden konnte. Die Dusche erfrischte ihn und vertrieb endlich ein wenig die Müdigkeit aus seinem Körper. Er band sich ein Handtuch um die Hüften und trottete in die Küche. Auf dem Esstisch entdeckt er einen Zettel. Morgen, Schlafmütze! Na? Endlich aufgewacht? Wenn du Hunger hast, bediene Dich ruhig am Kühlschrank, es ist genug da. Bleib so lange du magst, gern auch bis ich wiederkomme. Hast du vielleicht Lust, heute mit mir ins Kino zu gehen? David "Er hat eine schöne Handschrift." Jeremy fand unter der Nachricht einen leeren Zettel und einen Stift. Er schrieb sofort eine Antwort. Vielen Dank, ich hab deinen Kühlschrank ordentlich ge- plündert. Allerdings musste ich nach Hause, schließlich brauche ich auch mal frische Klamotten. Aber ich würde gern mit dir ins Kino gehen. Bist du ein Kavalier und holst mich ab? Der Abend mit dir war toll! Jeremy Er widerstand im letzten Moment der Versuchung, ein Herz auf den Zettel zu malen. Das wäre doch etwas zu weit gegangen und er wollte sein Glück ja nicht überstrapazieren. David hatte einige Magnete an seiner Kühlschranktür hängen, er nahm einen davon und pinnte den Zettel damit an den Kühlschrank, bevor er mal hinein sah. Er fand einiges, unter Anderem auch mehrere Kartons mit chinesischem Essen, die er lieber nicht öffnete. "Er kann den Junggesellen nicht verleugnen!" grinste er. Schließlich begnügte er sich mit einem Apfel, morgens hatte er eigentlich so gut wie nie großen Hunger. Er schlenderte ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Die Morgensonne fiel durch die Fenster hinein. Für einen Augenblick genoss der junge Mann ihre Wärme, dann nahm er das Telefon und wählte seine eigene Nummer. Nach ein paar Sekunden wurde abgenommen. "Thompson." "Hi, Abby!" "Jem! Wo bist du? Sag nicht, dass..." "Doch!" Er nickte eifrig, obwohl seine Freundin das ja nun nicht sehen konnte. "Ich bin bei David, hab hier übernachtet." "Und?" "Und was?" "Wie war es?! Jetzt spann mich nicht so auf die Folter. Du klingst ganz schön müde." "Ich bin auch müde. Du kriegst nicht viel Schlaf, wenn du dauernd jemanden in dir hast!" Er fing an zu lachen. "Du bist ein Ferkel!" kicherte Abby, "Gib gefälligst nicht so an." "Das ist mein Ernst! Wir haben es mindestens fünfmal getrieben! David ist einfach unglaublich und kann sehr überzeugend sein, wenn er dich rumkriegen will. Aber er ist auch so süß! Wir haben über Gott und die Welt gequatscht... wenn wir gerade nicht gevögelt haben. Ich bin so glücklich! Er will heute mit mir ins Kino." "Das heißt er hat auch Feuer gefangen?" Jeremy schaute aus dem Fenster in den blauen Himmel. Konnte er diese Frage beantworten? David hatte nicht durchblicken lassen, ob er mehr für ihn empfand. Er hatte ihn verteidigt und er war sehr nett zu ihm gewesen, aber sonst? "Ich weiß es nicht...", gab er ehrlich zu, "Aber er will mit mir Zeit verbringen, das ist schon mal etwas." "Sei vorsichtig, Jem. Verbrenn dich nicht an ihm." "Nicht so pessimistisch, Abby! Ich passe schon auf." "Na gut, wenn du das sagst. Wie war denn dein Casting?" wechselte Abby das Thema. "Es lief super... zumindest so lange, bis David den Regisseur angepöbelt hat. Aber selbst deswegen kann ich ihm nicht böse sein." "Das heißt, du hast den Job nicht? Das tut mir leid." "Schwamm drüber!" Jeremy winkte lässig ab. "Ich bin dafür ein ganzes Stück näher am Mann meiner Träume... denke ich. Bist du nachher da, wenn ich Heim komme? Dann kann ich mehr erzählen." "So gern ich auch alle schmutzigen Details hören möchte, ich bin gleich weg. Ich bin froh, dass du noch angerufen hast, sonst hätte ich dir einen Zettel liegen lassen müssen. Meine Mum ist krank, nichts schlimmes, aber mein Dad ist vollkommen mit dem Haushalt überfordert, ich muss hin." Jeremy musste plötzlich grinsen. Ob er wirklich so dreist sein konnte? Konnte er sich einfach für diese Zeit hier einquartieren? Erstens hasste er es allein zu sein und zweitens wäre das die Gelegenheit David näher zu kommen. Der Gedanke war herrlich. Ein paar Tage lang so oft es geht in Davids Nähe, mit ihm ins Bett gehen, mit ihm zusammen aufstehen. Wer weiß, vielleicht würden diese Tage schon ausreichen um dem Anwalt klar zu machen, dass er mehr für ihn empfand. "Jem? Bist du noch dran?" "Oh, ja! Klar! Ich war nur kurz in Gedanken." "Ich muss gleich los, mach ja keinen Unsinn!" "Ja, Mum!" "Spinner!", lachte sie. "Pass auf dich auf." Man hörte, dass sie lächelte. "Ich hab dich lieb." Jetzt lächelte auch Jeremy. "Ich dich auch. Und ich passe auf mich auf." "Gut zu wissen! Bye!" "Ach, Jem!", rief sie plötzlich, kurz bevor er den Hörer vom Ohr nehmen wollte. "Ja?" "Da hat wieder einer für dich angerufen, der seinen Namen nicht nennen wollte. Sag den Deppen vom Mighty bitte, dass wir nicht beim CIA sind, ja? Das ist hier ist kein Geheimdienst und wir unterliegen auch keiner Geheimhaltungspflicht! Wenn das so weiter geht, brauche ich bestimmt bald ein Codewort damit ich was erfahre." Sie klang etwas mürrisch. "Mach ich!" Jeremy lachte, doch wohl war ihm nicht dabei. "Okay, ich muss los! Bis dann, halt die Ohren steif... oder was anderes, das wird ja im Moment wohl mehr gebraucht!" "Und du nennst mich ein Ferkel! Bye, Süße!" "Bye!" Er legte auf und warf das Telefon neben sich. Schon wieder. Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger durch die Augen. Diese Geheimniskrämerei war wirklich unerträglich. Aber er wusste einfach nicht, wie seine Mitmenschen mit der Wahrheit umgehen würden. Bei Abby war er sich nicht sicher und David durfte es erst recht nicht erfahren. Er stand wieder auf und kehrte ins Schlafzimmer zurück, um sich erneut vor den Spiegel zu stellen. Langsam strich er mit den Fingern über seinen Bauch. Die blauen Flecken waren wirklich prachtvoll, sie waren in der Wanne dermaßen wild gewesen, dass er gar nicht gemerkt hatte, wie hart er gegen den Wannenrand geprallt war. David war wirklich grob gewesen, er hatte regelrecht ausgehungert gewirkt, wie ein Raubtier, das lange keine Beute gerissen hatte... Die anderen Male im Bett waren anders gewesen, nicht weniger wild, aber nicht so ungestüm und hart. Eines musste man David lassen, er konnte auf einem Körper fast wie auf einem Instrument spielen. Da saß jeder Griff, jede Berührung, alles passte, man konnte es schon virtuos nennen. Er konnte mit seiner Zunge Dinge anstellen... Jeremy musste sich zusammenreißen und nicht weiterdenken. Lieber anziehen und zwar schnell. Er musste sowieso dringend Heim. "Und nicht nur das! Der Mix2000 kann noch viel mehr! Er mixt, hackt, schneidet, püriert und das alles in einem Gerät! Vergessen Sie andere, umständliche Küchenmaschinen! Der Mix2000 ist der Helfer für das neue Jahrtausend! Überraschen Sie ihre Familie doch mal mit..." Jeremy schaltete den Fernseher ab. Ihm war schrecklich langweilig. Die Zeit schien still zu stehen in Erwartung des Abends. Was sollte er auch tun? Um diese Uhrzeit war online kaum etwas los, im Fernsehen lief nur Schrott und er hatte kein Buch im Haus, das er nicht schon kannte, nicht einmal einen lausigen Comic. Aber soweit sich eine Dauerwerbesendung mehr als fünf Minuten anzusehen, war er auch nicht. Nicht einmal Abby war da, um ihr von den Erlebnissen der letzten Nacht zu erzählen. Es klopfte an der Tür. Jeremy setzte sich ruckartig auf. Konnte das sein? Vielleicht war David früher von der Arbeit weg, weil er Sehnsucht nach ihm hatte! "Einen Moment! Ich komme!" Er sprang auf, eilte zur Tür und riss sie ohne durch den Spion zu schauen auf. Im nächsten Augenblick hatte er eine Zunge im Mund. Jemand packte ihn und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. Er torkelte in die Wohnung zurück und die Tür fiel ins Schloss. Ein paar Sekunden bekam er es mit der Angst zu tun einem Verbrecher ins Netz gegangen zu sein, bis er den "Angreifer" erkannte. Er drückte seine Hände gegen die Brust des Anderen und stieß ihn von sich. "Lass das! Verdammt noch mal, blöder Idiot!" "Was für eine Begrüßung!" lachte der andere Mann. Er war größer als Jeremy, schlank und scheinbar ein paar Jahre älter. Sein schwarzes Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden, offen würde es sicher bis auf die Schultern fallen, es harmonierte mit seinen graugrünen Augen. Er war dunkel gekleidet, schwarze Lederhose, eine schwarzes Hemd, auch die Schuhe waren schwarz, wenn auch etwas abgenutzt. Im Ausschnitt seines Hemdes funkelte eine einfache silberne Kette. Das dunkle Outfit streckte seine Statur noch zusätzlich. Er sah attraktiv aus. "Schön dich zu sehen, Baby." "Nenn mich nicht so!" Er strich Jeremy sanft über die Wange. "Du hast doch aber immer noch dieses niedliche Babyface." Der Tänzer schlug seine Hand weg. "Verpiss dich, Alex!" "Jetzt sei doch nicht so unleidlich, Baby. Ich bin doch gerade erst gekommen." Er ging einfach an Jeremy vorbei in Richtung von dessen Zimmer. "Du kannst auch gleich wieder gehen! Was bildest du dir eigentlich ein?!" "Ich habe mir gedacht, ich besuche dich mal." "Ich kann mich nicht erinnern, dich herein gebeten zu haben!" "Und ich kann mich nicht erinnern, dein Einverständnis gefordert zu haben!" kontere Alexander grinsend. Er betrat Jeremys Zimmer und warf sich aufs Bett. Jeremy blieb in der Tür stehen. Der andere Mann behielt das anzügliche Grinsen im Gesicht und klopfte auffordernd neben sich. "Davon träumst du!" meinte der Rothaarige verächtlich. "Ja und zwar nicht selten, Baby. Das waren Zeiten..." "Ja genau! Das waren Zeiten! Die sind vorbei!" "Wirklich?" "Und wie! Die sind so etwas von vorbei, die findest du bald nur noch in Geschichtsbüchern! Allerdings unter "Die größten Dummheiten, die von der Menschheit begangen wurden. Kapitel eins: Jeremy Sumner fällt auf Alexander Stone herein.". Wird sicher ein Bestseller!" "Zu schade, dass du das so siehst..." Er stand wieder auf und kam auf den Tänzer zu. "Dabei warst du doch immer so cool, Ricky." Jeremy zuckte zusammen. "Lass das!" "Was?", fragte sein Gegenüber scheinheilig. "Nenn mich nicht Ricky!" "Der Name passte aber gut zu dir." "Ansichtssache!" Jeremy ließ ihn stehen und schaute aus dem Fenster. Alex trat hinter ihn und schloss ihn in die Arme. Er sprach leise, hauchte die Worte regelrecht in Jeremys Ohr. "Wir waren so ein gutes Team, die Stars der Szene. Wo sind diese Zeiten hin? Seit ein paar Monaten willst du ja nicht einmal mehr wahr haben, dass es mich gibt." "Sie waren wahrscheinlich vorbei nachdem ich eine Woche lang Todesängste ausgestanden habe, weil ich fürchtete, HIV-positiv zu sein! Und wo warst du noch gleich, als ich auf meine Ergebnisse gewartet habe? Ach ja, richtig! Nicht da! Da habe ich erkannt, was du für ein Arsch bist!" "Ach komm! Du bist doch gesund!" "Ja!" Jeremy war mittlerweile laut geworden. "Aber das ist nicht dein Verdienst! Eher im Gegenteil! Du warst es doch, der..." Weiter konnte er nicht sprechen, denn in diesem Moment zerrte ihn Alex zur Seite, so heftig, dass sie gemeinsam aufs Bett fielen und versiegelte seine Lippen dabei mit einem Kuss. Ungestüm riss er das Hemd des Tänzers auf, Knöpfe flogen durchs Zimmer. Jeremy drehte den Kopf zur Seite, um den Küssen zu entkommen und versuchte, sich unter dem Gewicht des Anderen hervor zu schieben. "Lass das, du blödes Schwein! Aua!" Alex hatte, ohne es zu merken, auf die Hämatome an Jeremys Bauch gedrückt. Er schien sie erst jetzt zu bemerken, weswegen er sich hochstemmte. Jeremy nutzte den Augenblick und gab ihm einen Stoß, der ihn beinahe vom Bett geworfen hätte. Der junge Mann erhob sich so schnell er konnte und stolperte ein paar Schritte weg. "Du hast sie doch echt nicht mehr alle!" Alexander stellte sich ebenfalls wieder hin und strich sich die Klamotten glatt. "Sag mir lieber, was das da ist! Wer hat dich so zugerichtet?!" Er deutete auf die blauen Flecken. "So bist du doch nicht zu gebrauchen!" "Was für eine herzerwärmende Formulierung! Es geht dich nichts an, woher ich die habe!" "Schlägt dich dein neuer Daddy?" "Was soll das denn nun schon wieder heißen?!" Alex verschränkte triumphierend die Arme vor der Brust. "Meinst du, ich bin nicht informiert? Es hat sich herum gesprochen, dass so ein alter Sack Dirk Bouvier zusammen gepöbelt hat und das alles für dich!" "Spionierst du mir nach?! Und David ist kein alter Sack! Er ist fünfunddreißig!" "Aber was denkst du denn von mir? Glaubst du im Ernst, ich würde meine Zeit damit verbringen, dein Leben zu überwachen?", spielte Alex die Sache runter. "Aber ich kriege so einiges mit. Du hast deswegen mal wieder kein Engagement bekommen." Er sah sich um. "Aber du hast ja immer noch deinen Nebenverdienst, wenn es nötig wird." "Das geht dich absolut nichts an!" "Hör zu, ich wollte dir eigentlich einen Job anbieten! Aber so wie dein neuer Lover dich zugerichtet hat, bist du dafür wohl auch nicht zu gebrauchen." "Woher dieses plötzliche Interesse an mir? Ich hatte dir doch gesagt, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben will! Außerdem brauche ich dich ganz sicher nicht, um Jobs zu bekommen." "Ja, das hast du, aber ich dachte, das, was wir hatten, würde vielleicht einen zweiten Versuch rechtfertigen." "Das was wir hatten?!" Jeremys Stimme überschlug sich fast. "Bist du jetzt total durchgeknallt?!" "Mir hat das etwas bedeutet!" Jeremy holte aus und verpasste Alex eine schallende Ohrfeige. "Widerlicher Heuchler! Wenn ich dir je etwas bedeutet hätte, dann hättest du das damals nicht mit mir abgezogen!" Alex hielt sich die Wange. "Komm schon, die Sache ist doch vorbei." "Vorbei?! Alex, du hast mich betrunken gemacht und mich dazu gebracht, mit diesem Kerl zu schlafen! Ohne Kondom! Und das nur, weil du dafür Geld bekommen hast!" "Sie wollten halt eine Nummer ohne Gummi!" "Und das rechtfertigt es, meine Gesundheit aufs Spiel zu setzen?! Ich muss einen Schutzengel gehabt haben, dass ich mir bei dem Kerl nichts geholt habe! Denn wenn du dich erinnerst, kam wenig später heraus, dass er HIV-positiv war!" "Wahrscheinlich hat er sich das erst nach dir eingefangen!" "Wie beruhigend!" "Hör zu!" Alex Stimme war nun auch ziemlich ärgerlich. "Das war ein Fehler, okay?! Aber ich kann es auch nicht mehr ändern. Es tut mir leid, klar?! Aber ich vermisse dich... es ist nicht mehr dasselbe ohne dich. Und du tust es doch immer noch, also..." Er brach ab. Plötzlich musste Jeremy grinsen, ihm war ein Licht aufgegangen. "Daher weht der Wind! Es ist nicht mehr dasselbe ohne mich, so, so. Das heißt wohl, du kriegst keine Jobs mehr." "Nein... ja...", druckste sein Gegenüber herum. "So in der Art... sie wollten wohl immer dich oder... oder uns... aber allein... du hattest es einfach drauf..." "Weißt du was? Es interessiert mich einen Dreck, ob du Jobs bekommst oder nicht!" "Undankbares Miststück!" motzte Alex. "Ich war es, der dich damals mit der Szene bekannt gemacht hat! Ohne mich würdest du immer noch keinen Pfennig Geld haben und wahrscheinlich schon wieder aus San Francisco verschwunden sein! Aber nur weil du nicht mehr auf Partys gehst und es jetzt geheim hältst, hältst du dich wohl für was Besseres!" "Musst du ja wissen! Ich habe mich verändert, Alex! Ich mache das nur noch, wenn ich dringend Geld brauche, nicht mehr zum Vergnügen wie früher! Die Zeiten sind vorbei!" "Seit du deinen neuen Lover hast?!" "Seit du mein Leben aufs Spiel gesetzt hast, du Arschloch!" Alex sah ihn herausfordernd an. "Weiß dein Sugar Daddy eigentlich, dass sein Neuer ein Pornohengst ist?" "Soll das jetzt eine Erpressung werden?" fragte Jeremy kühl. "Weiter so, so findest du sicher einen Weg zu mir zurück. Und um es mal klar zu stellen: David und ich sind gar nicht zusammen... noch nicht. Und es würde ihn sicher nicht stören, dass ich Pornos gemacht habe." "Ach, dann sagst du es ihm? Und was heißt "gemacht habe"? Du tust es doch immer noch. Weil du diesen Kick einfach brauchst!" "Nein, weil ich das Geld brauche! Aber ich mache es nur zu meinen Bedingungen und nur dann, wenn es wirklich nötig ist, nicht mehr am Stück wie früher!" "Wie edel!" "Ich glaube, du solltest jetzt gehen, Alex." "Sonst was?" "Sonst rufe ich die Polizei, wenn du es genau wissen willst. Schon mal was von Hausfriedensbruch gehört?" "Jeremy..." Plötzlich klang die Stimme des anderen Mannes flehentlich. "Bitte... ich bin im Moment echt nicht gut drauf... ich brauche dich..." Der Tänzer schüttelte den Kopf. "Ja. Du hast mich immer gebraucht. Du brauchtest mich, wenn du mal wieder keinen Koks gekriegt hattest, wenn du mal wieder stockbesoffen warst, wenn du kein Geld mehr hattest. Aber weißt du was, ich brauche dich nicht mehr." "Das meinst du nicht so... Du kannst doch nicht wirklich so einen alten Sack mir vorziehen..." "David und dich trennen Welten, Alexander. Du könntest ihm nie das Wasser reichen, niemals!" "Du Mistkerl!" Plötzlich war Alex wieder ungehalten. "Du wirst noch sehen, was du davon hast!" "Lass die leeren Drohungen und bewahr dir wenigstens einen Rest deiner Würde! Wenn davon überhaupt noch etwas übrig ist!" Voller Wut wandte sich der Schwarzhaarige zum Gehen. An der Tür schaute er Jeremy noch einmal an, der Tänzer hatte die Hände in den Hüften und blickte ihn ohne eine Gefühlsregung im Gesicht an. "Du machst einen Fehler, Jeremy. Das wirst du noch sehen..." Damit ging er, wenige Sekunden später knallte die Wohnungstür lautstark ins Schloss. In diesem Augenblick sackte Jeremy regelrecht zusammen, all die Kraft die er eben noch demonstriert hatte, fiel von ihm ab, er schleppte sich regelrecht zum Bett und ließ sich darauf fallen. Er vergrub das Gesicht in den Händen und kämpfte gegen die Tränen an, die in seine Augen drängten. Alexander war ein Teil seiner Vergangenheit, den er am liebsten vergessen würde, doch mit einem Schlag war er wieder in seinem Leben präsent, obwohl er gemeint hatte, ihn vor ein paar Monaten endgültig daraus verbannt zu haben. Das Schlimmste war aber, dass Alex Recht hatte... Jeremy hatte wahnsinnige Angst, dass David hinter sein Geheimnis kommen könnte, obwohl es ja wirklich schlimmere Sachen gab... aber trotzdem war sich Jeremy nicht sicher wie der Anwalt so etwas aufnehmen würde und er war nicht Willens das zu riskieren. Nicht jetzt, nicht in dem Moment, wo er seinem Ziel, dem Mann seiner Träume, vielleicht näher war, als je zuvor in der Zeit, in der er ihn kannte. Er würde es schaffen, dass David ihn liebte... er musste einfach... Er sah die Menschen um sich herum, aber niemand nahm ihn wahr. Sie lebten ihr Leben und er war natürlich kein Teil davon. Er gehörte nicht dazu. Er war allein. Jeremy Sumner kannte dieses Gefühl in letzter Zeit nur zu gut. Zwar hatte er sich mit seiner Mitbewohnerin mittlerweile angefreundet, aber Abby hatte auch ihren eigenen Freundeskreis, mit dem sie ab und an was unternahm. Wenigstens störte sich jetzt niemand daran, dass er hier in dieser Bar hockte und trank, nachdem er schon zweimal seinen Ausweis hatte zeigen müssen. "Entschuldigen Sie, aber ich hatte nicht gedacht, dass Sie einundzwanzig wären." Diesen Satz konnte er schon auswendig. Er schaute in die Runde und nahm einen Zug aus einem Glas. Nichts erreichte seine Lippen, der vertraute alkoholische Geschmack blieb aus. Logisch, wenn das Glas leer war. Er zog seine Geldbörse aus der Tasche, aber diese hatte viel mit dem Glas gemeinsam. Jeremy seufzte und beschloss, einfach noch ein bisschen über seinen trüben Gedanken zu brüten und dann nach Hause zu gehen. Vielleicht war Abby ja schon wieder da und sie würde ihn etwas aufheitern können. Bald wurde die Miete fällig... natürlich konnte er die sich nicht leisten, er musste also auf jeden Fall seine Mum mal wieder um Geld anbetteln. Es war einfach frustrierend. Jetzt war er schon so lange in San Francisco und doch hatte er immer noch keine vernünftigen Engagements bekommen. "Sie tanzen sehr gut, aber sie sehen leider etwas zu jung aus, sorry." Auch diesen Satz konnte er schon auswendig. "Hi!" Jeremy blickte desinteressiert neben sich. Auf dem Barhocker nebenan hatte sich ein junger Mann mit langen dunklen Haaren niedergelassen. Er lächelte ihn an, das Gesicht lässig auf der rechten Hand abgestützt. Sah gar nicht schlecht aus, wie Jeremy feststellen musste. "Hi...," entgegnete er, trotz allem betont gleichgültig. "Bist du zum ersten Mal hier?" "Oh, bitte! Fällt dir kein besserer Anmachspruch ein?" "Wow, du bist ja bissig! Pass auf, dass man dir keinen Maulkorb verpassen muss." lachte der Andere, bevor er Jeremy die Hand entgegen streckte. "Alexander Stone, nett dich kennen zu lernen." Jeremy zögerte einen Moment, dann ergriff er sie. "Jeremy Sumner, ganz meinerseits. Und keine Angst, wenn ich beiße, dann nicht fest." Alexander stützte sich wieder auf seinen Arm, sein Gesicht ruhte auf seiner Handfläche, ab und an tippte er sich mit den Fingern gegen die Wange. "Ich würde mich sicher zu wehren wissen, notfalls kommst du an die Leine." "Jetzt wird die Hundeanalogie allmählich überstrapaziert!", grinste der Rothaarige. "Findest du? Oder sagst du das nur, weil dir kein Konter mehr einfällt. Übrigens ist dein Glas leer." "Was du nicht sagst. Hast du dir schon mal überlegt, mit deinem Talent das Offensichtliche festzustellen Geld zu machen?" Der junge Mann ignorierte die Bemerkung und deutete auf den Barkeeper. "Hey, John!" Er zeigte auf Jeremys Glas und streckte dann den Zeige- und den Mittelfinger hoch. Der Barkeeper nickte. "Hey, das war keine Aufforderung mir einen Drink auszugeben!" "Ich weiß!" grinste Alex. "Aber ich tue es trotzdem." Jeremy wusste nicht ob er angesichts dieser doch recht dreisten Anmache beleidigt oder geschmeichelt sein sollte. Aber was konnte daran schon so schlimm sein einen Drink mit einem hübschen Kerl zu trinken? "Aber nur unter einer Bedingung." "Okay, jetzt kommt also der Haken!" "Nein, kein Haken." Alex grinste. "Du musst nur meine Gesellschaft ertragen. Sonst nichts." "Das kann man gerade noch durchgehen lassen!" lachte Jeremy. Jeremy stand auf um sich aus der Küche etwas zu trinken zu holen. Die Erinnerung an diesen Abend war so klar wie schon lange nicht mehr. Mit einem Glas Milch kehrte er in sein Zimmer zurück und setzte sich wieder aufs Bett. Die Stille in der Wohnung war schon fast erdrückend. Immer noch kreisten seine Gedanken um Alexander. Er war damals so furchtbar nett gewesen, dazu sein gutes Aussehen... er hatte Jeremy sofort in seinen Bann gezogen. Seit er nach San Francisco gezogen war hatte er keine Beziehung gehabt und er hatte sich auch fest vorgenommen sein Privatleben hinter der Karriere zurück zu stellen. Diesen Vorsatz hatte er eisern befolgt, jedenfalls bis Alex alles zunichte gemacht hatte. Jeremy konnte sich an beinahe jedes Detail dieses ersten wundervollen Abends erinnern. Sie hatten über soviel geredet, soviel Spaß gehabt. Ob sein Leben anders verlaufen wäre, wenn er die Einladung des anderen Mannes ausgeschlagen hätte...? Irgendwann sah Alexander auf die Uhr. "Ganz schön spät." Jeremy tat es ihm nach, sagte aber nichts zu, sondern lächelte nur. Offenbar wusste er schon worauf sein Gegenüber hinaus wollte. "Hast du Lust noch woanders hinzugehen?" "Und wohin?" "Zu mir!", grinste der Andere. "Einen Kaffee trinken?" Jeremy erkannte sich selbst kaum wieder. Das Flirten mit Alex machte ihm Spaß und nicht nur das, je länger er darüber nachdachte umso mehr wollte er ihn. "Ja, genau." Alex stützte wieder sein Kinn auf. "Du hast wunderschöne Lippen.", stellte er völlig zusammenhanglos fest. "Ach ja?" "Ja,", nickte er, "ich stelle mir gerade vor wie sie wohl aussehen würden, wenn du mir einen bläst." Jeremy musste lachen. "Wie kommst du darauf, dass ich das tun würde?" "Eine Eingebung. Und dann werde ich..." Er beugte sich vor und flüsterte den Rest in Jeremys Ohr, wobei dessen Grinsen immer breiter wurde. "Du bist ein Schwein." Alex fuhr sich als Antwort nur mit der Zunge über die Lippen. "Na dann los! Mal sehen ob das mehr als nur heiße Luft war!", bestimmte der Tänzer. Er war wirklich ein Idiot gewesen. Triebgesteuert, so nannte man so etwas! Jeremy stellte das leere Milchglas auf seinen Nachttisch und legte sich auf den Rücken. Sein Blick wanderte über die Zimmerdecke. Waren Stockflecken eigentlich gesundheitsschädigend? Der Fleck oben in der Ecke des Zimmers war noch vom Vormieter übrig geblieben. Der Tänzer lächelte schief und rieb sich mit den Fingern durch die Augen. Als gäbe es keine größeren Sorgen als Stockflecken an der Decke. Der Abend war noch sehr gut verlaufen. Der Sex mit Alex war großartig, zumindest für sein damaliges Verständnis, aber wenn er ein wenig gesunden Menschenverstand gehabt hätte, wäre er wohl besser nach den folgenden Ereignissen auf Nimmerwiedersehen getürmt... "Gib mal her." Jeremy nahm Alex die Zigarette aus der Hand und genehmigte sich selbst einen Zug. Er lag, bis zum Bauch zugedeckt, im Bett seiner Zufallsbekanntschaft in dessen Arm. Die Wohnung war wirklich gemütlich und für einen allein auch ziemlich geräumig. Auch im Bett fanden locker zwei Leute Platz. Während er mit der einen Hand die Zigarette hielt, strich er mit der anderen unter der Decke über Alex' Oberschenkel. "Ich bin fix und alle." "Freut mich." Alex lächelte. "Magst du was zu Essen oder vielleicht ein Bier?" "Gern." Jeremy schob sich aus Alex' Arm, damit er aufstehen konnte. Der dunkelhaarige Mann verließ kurz das Zimmer (wobei Jeremy sich nicht beherrschen konnte, ihm auf den knackigen Hintern zu spannen) und kam dann mit zwei offenen Flaschen Budweiser und einer Schale mit Erdnüssen wieder. "Erdnüsse?", lachte Jeremy, "Das nennst du 'Etwas zu essen?', etwas minimalistisch!" "Ich bin nicht zum Einkaufen gekommen!" grinste Alexander. "Also sei nicht so anspruchsvoll!" Er reichte Jeremy das Bier. "Cheers." "Cheers!" Jeremy nahm einen großen Schluck. Alex setzte sich im Schneidersitz aufs Bett und griff in die Schale mit den Nüssen. "Du erfüllst ja wirklich alle Klischees, was?" "Wie meinst du das?" "Nun, du siehst gut aus, bist Tänzer und dann auch noch schwul, das passt alles zusammen." "Ich bin nicht schwul." Alex legte den Kopf schräg und schlug die Augen nieder. "Süßer, du hattest eben deinen Schwanz in meinem Arsch, wenn das nicht schwul ist, was dann?" "Ich bin bi", grinste Jeremy. "Oh! Zweispurig befahrbar! Auch nett!" Er ging auf alle Viere, beugte sich über Jeremy und küsste ihn auf den Mund. Für einen Moment herrschte Stille, während sich ihre Zungen und Lippen umspielten. "Du gefällst mir", sagte er schließlich, als der Kuss endete. Er erntete nur einen misstrauischen Blick als Antwort. "Du hast so ein süßes Babyface, das so gar nicht zu deinem Verhalten eben passen will.", fuhr er fort. "Hör mir auf mit meinem Gesicht oder die Stimmung ist gleich dahin! Das ist doch schuld, dass ich keine Engagements kriege! Ich sehe zu jung aus!" "Dein Gesicht ist einfach süß, wenn die das nicht sehen, sind sie selbst schuld!" Jeremy wusste nicht genau, ob das ein ernst gemeintes Kompliment war oder nicht, aber es tat unglaublich gut. Alex war wirklich ein verdammt netter Typ. "Wann wirfst du mich eigentlich raus?" "Möchtest du gehen?", fragte Alex überrascht. "Nein! Aber ich meine, das hier war doch ein One-Night-Stand, oder nicht?" "Willst mich wohl loswerden, was?" grinste Alexander und strich ihm über die Brust. "Meine Güte, diese Tanzerei zahlt sich wohl wirklich aus." "Willst du was von mir? Ich meine, weil du mir soviel Honig ums Maul schmierst?" "Jeez, du bist aber misstrauisch!" "So bin ich eben." Jeremy zuckte mit den Schultern. "Ich will dir was zeigen." Alex stand auf und ging zu seinem Fernseher gegenüber des Bettes hinüber. Er drückte ein paar Knöpfe auf dem Videorekorder darunter, dann schaltete er den Bildschirm ein. Augenblicklich erklang leidenschaftliches Stöhnen aus den Boxen. Jeremy setzte sich auf um einen besseren Blick zu haben, was er sah hätte er nie erwartet: Sich selbst beim Sex mit Alexander. Die Perspektive war perfekt ausbalanciert um einen genauen Überblick über die Vorgänge im Bett zu haben. "Du hast... uns beim Sex gefilmt?" "Gefällt es dir?" "Ich sollte eigentlich ausflippen..." Alex setzte sich zu ihm aufs Bett und drehte das Gestöhne im Hintergrund mit der Fernbedienung etwas leiser. "Glaub nicht, dass ich das jedem zeige, den ich aufnehme." "Du machst das öfter?" "Immer!" grinste der Andere. "Irgendwie krank!" "Ach ja? Findest du?" Er nickte nach hinten. "Ist das krank? Wenn ja, warum kriegst du einen Ständer?" Jeremy lächelte verlegen und zog die Bettdecke über seinen Schritt. "Punkt für dich!" "Siehst du? Aber du bist der Erste, dem ich das zeige." "Warum?" "Weil du ein Naturtalent bist. Schau dich an. Du hast es drauf." "Ich weiß nicht ob mir die Richtung gefällt, die dieses Gespräch einschlägt..." "Du hast doch gesagt, dass du immer Geld brauchst. Ich hätte da eine Möglichkeit mit der du ruckzuck eine Menge Geld verdienen und dabei deine Talente voll ausspielen kannst." Jeremy verschränkte die Arme vor der Brust. "Wenn du mir jetzt vorschlagen willst auf den Strich zu gehen, dann..." "Gott bewahre, nein! So etwas meine ich doch nicht! Baby, ich rede von Pornos." Jeremy fragte sich langsam aber sich in was er da hinein geraten war. Natürlich konnte der Kerl der ihn abschleppte kein Normalo sein und auch kein 08/15 Perverser... nein, ein Pornofreak. "Wie du siehst, machst du dabei eine sehr gute Figur!" "Du meinst richtige Pornos?" Alex nickte eifrig. "Natürlich! Nicht diese lächerlichen "Ich-reib-mich-an-dir-und-tu-so-als-würde-ich-dich-nageln" Filmchen, richtige Hardcore Pornografie aus allen Perspektiven." "Und das ist wirklich dein Ernst?" Jeremy konnte es nicht so recht fassen, in was er da gerade hinein schlidderte. Aber er musste zugeben, dass ihn der Anblick des Videos antörnte. Es war scharf. Aber trotz allem blieben da Zweifel. "Natürlich. Es mach wirklich Spaß, ich spreche aus Erfahrung." "Du spielst da auch mit?" "Ja klar." Alex nickte. "Und ich glaube, zusammen könnten wir ganz groß rauskommen." "Ich weiß nicht... bist du also so eine Art Talentscout?" "Nein!" Sein Gegenüber lachte und strich sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht. "Ich hab dich abgeschleppt, weil ich dich süß fand und das ist auch immer noch so. Aber ich will mehr Zeit mit dir verbringen. Und ich finde, dass du es verdienst, die Möglichkeit zu bekommen mehr Geld zu scheffeln. Das ist ja kein Vollzeitjob, du kannst trotzdem nebenbei noch deine Karriere als Tänzer verfolgen und wenn es mal nicht klappt, verschaffst du dir Kohle mit der besten Sache der Welt!" Jeremy rieb sich nachdenklich das Kinn. Was Alex da sagte klang logisch, wenn auch irgendwie zu einfach. Aber er schien wirklich von der Idee überzeugt zu sein. Außerdem war er einfach unglaublich süß und Jeremy verspürte den Drang ihn näher kennen lernen zu wollen, wer wusste schon was daraus noch werden konnte? Schließlich nickte er. "Na gut... ich schaue mir das mal an..." Konnte doch nicht so schwer sein! Wie naiv er doch damals gewesen war! Natürlich war das nicht leicht! Er hatte sich viel zu einfach von Alex überreden lassen und das war ihm spätestens vor der Tür in dem etwas schummerigen Hinterhof klar geworden, zu der ihn seine neue Bekanntschaft wenige Tage später gebracht hatte. Seine anfänglichen Zweifel, die Angst seine Selbstachtung zu verlieren, all das hatte Alexander unglaublich schnell zerstreut. Jeremy schloss die Augen und horchte in sich hinein. War er ein Materialist? Diese ganze Versprechungen waren so verlockend gewesen, die Aussicht auf Geld. Er schaute zu seiner Stereoanlage hinüber. Es hatte ihn mehrere Filme gekostet um sie sich leisten zu können, aber er war immer stolz darauf gewesen sie zu besitzen. Abby hatte ihm zum Glück seine Geschichte von der Erbschaft einer Tante geglaubt, ansonsten war er eher vorsichtig mit seinem Geld umgegangen um seine Mitbewohnerin nicht misstrauisch zu machen. Aber an all das hatte er zur Zeit seines "Vorstellungsgesprächs" überhaupt nicht gedacht. Er fragte sich ernsthaft, ob er überhaupt etwas gedacht hatte... Jeremys Herz schlug bis zum Hals, als sie das Büro der "Male Movie Productions" betraten. Allein das "Cum inside" unter dem Firmenschild am Eingang sprach Bände. Das Büro war geradezu tapeziert mit gerahmten Covern von Filmen, die in diesem Studio produziert wurden. Lauter muskulöse Kerle, meistens fast, bis ganz nackt und Titel, bei denen sich einem die Nackenhaare aufstellten, so pathetisch und gleichzeitig passend waren sie. Hinter einem monströsen Schreibtisch hockte ein etwas untersetzter Mann mit Halbglatze und einer dunklen Brille, eine Kombination die einen Hauch von Proletentum gemischt mit einem ungesunden Maß an Selbstüberschätzung verströmte. Er schien Alex zu kennen, denn er erhob sich und schüttelte ihm die Hand über den Tisch hinweg, Jeremy ließ er vollkommen links liegen. "Schön dich zu sehen, Jessie." Jeremy sah Alex verwundert an. "Jessie Blue, mein Name, den ich für die Videos benutze. Du wirst dir dann auch noch was einfallen lassen müssen", erklärte er lapidar. "Ach... ach so..." "Also, was gibt es, Jessie?" "Kannst ruhig Alex sagen, Archie. Ich hab eine Überraschung für dich: Dein neuer Star!" Er deutete auf Jeremy. "Soll das ein Witz sein?" Er betrachtete den Tänzer eingehend. "Wie alt bist du, Kleiner?" "Ich bin einundzwanzig." "Und wie alt bist du wirklich?" "Ich bin einundzwanzig!...Auch wenn ich vielleicht nicht so aussehe!" "Komm schon, Archie!" mischte sich Alex ein, "Jetzt mach keine Probleme. Jeremy ist genau der Typ für dich. Und du weißt, wie gut die Teen-Nummer ankommt und den kauft man ihm ohne Weiteres ab." Jeremy kam sich allmählich blöd vor. Er wusste überhaupt nicht was er hier machte. Die Beiden schienen ihn zeitweise völlig auszublenden und irgendwie hatte er das Gefühl, dass hier um ihn geschachert wurde. Der Kerl hinterm Schreibtisch nahm die Brille ab und wedelte etwas gelangweilt mit der Hand. "Also gut, dann zeig mal was du hast." "Was?" "Zeig deinen Schwanz, Junge! Meinst du, ich kaufe die Katze im Sack?" "Ich... was?" Archie schaute Alex genervt an. "Warst du betrunken, als du ihn aufgegabelt hast?" "Jetzt hör aber auf, Archie. Lass uns einen Moment." Er legte den Arm um Jeremy und führte ihn ein Stück vom Schreibtisch weg. "Baby, du ruinierst alles." "Ich ruiniere alles?" zischte Jeremy. "Der Kerl will, dass ich ihm hier meinen Schwanz zeige! Einfach so, hier vor seinem Schreibtisch. Ich bin doch kein Stricher!" "Süßer, das ist ganz normal. Dein Schwanz wird öfter im Bild zu sehen sein, als dein süßes Gesicht. Glaubst du nicht, dass sich Archie absichern muss? Ich hab das auch gemacht." "Du hast mir nicht gesagt, dass das so abläuft!" "Jetzt zier dich nicht so, du wirst es nicht bereuen. Das ist am Anfang immer etwas schwer, aber du kommst schon auf den Geschmack." "Wenn du das sagst...", seufzte Jeremy. Etwas widerwillig ließ er sich zum Tisch zurückleiten und noch widerwilliger öffnete er seine Hose und ließ sie hinab fallen. Er spürte wie seine Wangen heiß wurden. Diese Situation war einfach grotesk, er stand mit blankem Hintern mitten im Raum und wartete darauf, dass ein ihm völlig fremder Kerl sich ein Urteil über sein bestes Stück bildete. Das ganze hatte was von einer Fleischbeschau. Darf es ein bisschen mehr sein? Wäre ihm das ganze nicht so peinlich gewesen, hätte er glatt gelacht. Archie beugte sich etwas vor, ganz so als müsse er jedes Detail genau betrachten. "Nicht übel, nicht übel! Den Busch solltest du definitiv stutzen, der Trend geht zu weniger Behaarung, außerdem sieht dein Schwanz dann größer aus." Jeremy antwortete nicht, sondern fixierte Alex nur mit einem Blick der ihn auf der Stelle niedergestreckt hätte, wenn er hätte töten können. Das potenzielle Opfer grinste aber lediglich und zuckte mit den Schultern. "Dann los jetzt. Fang an." "Bitte?" "Jungchen, meinst du wirklich, es reicht, dass ich dich hier mit einem Hänger sehe? Du solltest dir zumindest mal einen von der Palme schütteln, damit ich einen Eindruck davon bekomme, was du zu bieten hast." "Ich soll...?" "Wichsen! Los jetzt!" Archie verdrehte die Augen. "Meine Güte, was für ein Mauerblümchen!" In diesem Moment schritt Alex ein. Er ging zum Schreibtisch hinüber, stützte sich darauf und beugte sich zu Archie. "Komm schon, Archie! Vertrau mir. Lass ihm etwas Zeit. Du hast mein Wort, er hat es drauf, auf jeden Fall. Ich war schon mit ihm im Bett, ich weiß wovon ich rede. Er hat eine Menge Potenzial, aber er muss sich erst ein wenig zurecht finden. Aber ich schwöre dir, er wird einer der ganz Großen!" "Hey! Ich bin im Raum!" meckerte Jeremy, allmählich ging ihm das ganze auf die Nerven. "Also gut", Archie schien seinen Einwand vollkommen zu ignorieren, "auf deine Verantwortung. Ich brauche noch jemanden für "Teen Boy Diaries 3: Fuck me, Teacher!", da kann er sich beweisen... Wenn er es gut macht, kann er einen Part in "Cock Raider" kriegen, der Dreh steht auch bald an. Da wolltest du doch auch dabei sein, oder?" "Du sagst es. Jeremy macht das schon. Du wirst es nicht bereuen!" grinste Alex. "Komm, wir gehen", meinte er dann zu Jeremy, der sich zumindest die Hose mittlerweile wieder hochgezogen hatte und ihm einfach hinterher trottete, er war noch vollkommen perplex über die Titel seiner ersten "Filme"... Von da an ging alles sehr schnell. Der erste Dreh war eine mittlere Katastrophe. Er sollte einen Schüler spielen, der sich dadurch vom Nachsitzen befreit, das er dem Lehrer einen bläst und sich dann von ihm ordentlich ran nehmen lässt, so formulierte es das eher spartanische Drehbuch mit den wenigen Textzeilen die er sich merken musste, bevor es zur Sache ging. Der "Lehrer" war nicht das Problem, er war groß, muskulös, gut aussehend und sehr gut bestückt, der typische Lehrer eben , aber die vielen Leute am Set, der Kameramann der ständig um sie herum huschte, all das nahm Jeremy schneller den Wind aus den Segeln als er "Ich war ein ganz böser Junge, Herr Lehrer!" sagen konnte. Retter in der Not war Alex, der Archie bat ihn in die Szene einzubauen. Angesichts der unglaublich dichten und epischen Storyline des Streifens erwies sich das nicht unbedingt als Problem, einen Referendar einzubauen, der dem Lehrer und dem Schüler Gesellschaft leistete. Alex brachte es fertig Jeremy die gesamte Umgebung vergessen zu lassen, der nächste Anlauf klappte wunderbar und wenig später hatte Jeremy seinen ersten Porno abgedreht. Nach den Startschwierigkeiten waren Archie und seine Regisseure immer begeisterter von Jeremy, besonders wenn er mit Alex im Doppelpack auftrat. Alexander führte Jeremy in die gesamte Szene ein, die aus weit mehr als nur Dreharbeiten bestand, allein die wilden Partys waren eine ganz eigene Welt. Mit der Zeit entwickelten sich die Beiden zu den ungekrönten Königen des Studios, es gab ganze Serien von Filmen mit Jessie und Ricky Blue, wie Alex und Jeremy sich nannten. Aus den Beiden war längst auch hinter der Kamera ein Paar geworden, sie unternahmen viel zusammen und Jeremy war sich sicher, noch nie im Leben so verliebt gewesen zu sein. Aber je mehr Erfolg sie hatten umso mehr veränderte sich Alexander. Anfangs war er noch liebevoll und fürsorglich Jeremy gegenüber, sie konnten über alles reden und nirgendwo fühlte sich Jeremy geborgener als in Alexanders Armen. Doch all dies änderte sich, langsam, schleichend, so dass der junge Mann es erst nicht einmal bemerkte, dann wollte er es nicht wahr haben allerdings wurde es irgendwann zu offensichtlich um es noch zu leugnen. Alex entwickelte regelrechte Starallüren. Er fing an zu trinken, er nahm Drogen, alles quer Beet was er in die Finger bekommen konnte. Meistens kokste er jedoch, etwas was in der Pornoszene weit verbreitet war. Jeremy hasste ihn dafür und hätte selbst niemals auch nur etwas von diesem Teufelszeug angerührt. Er stritt immer öfter mit Alexander und jedes Mal versprach er ihm wieder sich zu ändern. Mehr als leere Worte waren das aber nicht. Er verpasste schließlich sogar Drehtermine und Jeremy war derjenige, der den Ärger ausbaden durfte. Während Jeremy mit seinem Geld möglichst haushielt, so hoch waren die Gagen für einen Porno nun auch nicht, verprasste Alex sein Geld mit vollen Händen. Und eines Tages war es dann soweit... Die Zeiger der Uhr an der Wand näherten sich bereits der zwei, als Jeremy endlich den Schlüssel im Schloss hörte. Er war in Alexanders Wohnung und wartete, schon seit Stunden tat er nichts anderes. Sein Freund war mal wieder nicht zu erreichen, Handy ausgeschaltet, keine Adresse unter der man ihn finden konnte, fast ein Dauerzustand in letzter Zeit. Er hatte Abby gesagt, dass er bei Alex übernachten würde, seine Freundin wusste von ihm, allerdings nicht unter welchen Umständen ihre Beziehung begonnen hatte. Das sollte sie auch ganz sicher nicht erfahren. Jeremy kochte innerlich, diesmal war Alex eindeutig zu weit gegangen! Sein Freund betrat endlich das Wohnzimmer, seine Klamotten waren vollkommen durcheinander, die Haare strähnig. Er warf seine Jacke über das Sofa und ging in Richtung Bad ohne Jeremy auch nur eines Blickes zu würdigen. "Wo warst du?" Er blieb stehen und sah Jeremy teilnahmslos an. "Aus." "Und wo?" "Bin ich dir Rechenschaft schuldig? Wir sind nicht verheiratet." Er öffnete die Badezimmertür. "Bleib gefälligst hier, wenn ich mit dir rede!" Alex drehte sich vollkommen entnervt um. "Was ist?" "Ich muss mit dir sprechen." "Ich muss pissen, also lass mich in Ruhe." Er knallte die Badezimmertür hinter sich zu. Jeremy sprang von der Couch auf. So leicht würde er Alex nicht davon kommen lassen. Er folgte ihm ins Badezimmer. Sein Freund stand breitbeinig vor der Toilette. Er schwankte und verteilte den Großteil seines Urins eher um das Klo herum als in die Schüssel hinein. "Du bist ein Schwein!" zischte Jeremy. "Ach, lass mich in Ruhe!" Er verstaute seine Männlichkeit wieder in der Hose, ließ aber den Reißverschluss offen. "Wasch dir wenigstens die Hände!" "Ja, Daddy!" Er hielt die Finger kurz unter Wasser und wollte dann das Bad verlassen, aber Jeremy versperrte ihm den Weg. "Lass mich durch!" "Wir reden jetzt!" "Was willst du?" Jeremy stemmte die Hände in die Hüften. "Du bist angetrunken, schon wieder..." "Was willst du?", wiederholte Alex. "Wir müssen über Geld reden." "Oh, bitte nicht wieder diese alte Leier!" "Alexander, du warst an meiner Portemonnaie, oder?" "Wieso?" wollte Alex scheinheilig wissen. Er schien sich ertappt zu fühlen, mühte sich aber den selbstsicheren Eindruck zu bewahren. "Versuch gar nicht erst es zu leugnen! Du hast dir Geld aus meiner Brieftasche genommen! Meintest du wirklich ich merke das nicht?! Du hast mir Geld geklaut, du Mistkerl! Weißt du wie ich jetzt da stehe?! Das Geld war für die Miete diesen Monat! Jetzt habe ich so gut wie gar nichts mehr und Abby muss alles allein löhnen! Ist dir klar wie peinlich mir das ist?! Wie kommst du dazu mir Geld zu klauen?!" Jeremy redete sich immer weiter in Rage. "Wofür brauchtest du es wieder mal? Alkohol? Aufs falsche Pferd gesetzt?! Oder etwa schon wieder Koks?!" "Du gehst mir auf die Nerven, aus dem Weg!" Er wollte sich einfach an Jeremy vorbei drängen, doch dieser packte ihn am Arm. "Wag es ja nicht mich hier einfach stehen zu lassen!" "Lass mich los!" meckerte Alex. "Du bleibst hier!" "Du sollst mich loslassen, verdammt noch mal!" Alex holte aus, der Schlag kam viel zu überraschend als das Jeremy auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte sich zu wehren. Die Faust seines Freundes krachte in sein Gesicht und schleuderte ihn zu Boden. Jeremy stürzte und nur seine im Reflex nach oben gerissenen Arme bewahrten ihn davor mit dem Gesicht gegen den Rand der Dusche zu fallen. Für einen Moment sah er nur noch Sterne, alles drehte sich. Alex stand fassungslos hinter ihm. Seine Hände zitterten. "Jeremy...? Baby?" Er ging in die Knie und streckte die Hand aus. "Fass mich... an... und ich... bring dich um...", presste Jeremy hervor. "Wag es... ja... nicht... mich anzufassen!" "Baby, bitte..." Mühsam rappelte sich der Tänzer hoch. Vor seinen Augen flackerten immer noch Punkte, sein Kopf schmerzte und er schmeckte Blut an seinen Lippen. In diesem Augenblick war jegliches Gefühl von Liebe in ihm verschwunden, er empfand nur noch abgrundtiefen Hass für den anderen Mann. Am liebsten hätte er ihn umgebracht. Alex fuchtelte hilflos mit den Armen, er schien endlich realisiert zu haben, was er getan hatte. "Baby..." "Hör auf mit "Baby"! Es reicht mir! Endgültig! Du kannst mir gestohlen bleiben! Verschwinde aus meinem Leben, du widerlicher Mistkerl! Ich will dich nicht mehr sehen!" Jeremy stürmte an ihm vorbei ins Wohnzimmer. "Jeremy!" Alex hetzte hinter ihm her. Der rothaarige Mann riss seine Jacke von der Garderobe und wollte sofort gehen, aber sein Freund stellte sich vor die Haustür. Plötzlich war er überhaupt nicht mehr großkotzig, er schien sogar wieder nüchtern zu sein. Der Schock saß wohl tief. "Geh mir aus dem Weg oder diesmal schlage ich zu!" "Baby, bitte, ich..." "Nein! Spar dir deine billigen Ausreden!" "Bitte verlass mich nicht!" Alex war vollkommen verzweifelt, das hörte man seiner Stimme deutlich an. Tränen fingen an über seine Wangen zu rollen, er streckte die Arme in einer mehr hilflosen als ausdrucksstarken Geste aus, um die Tür vollkommen zu blockieren. "Bitte nicht!" Jeremy schüttelte den Kopf. "Ich wüsste nicht, warum ich bei einem, wie dir bleiben sollte!" "Aber wir sind doch ein Team, wir passen so gut zusammen!" "Du hast mich geschlagen, du Wichser! Erst beklaust du mich und dann schlägst du mich nieder! Wir haben wohl unterschiedliche Ansichten von Liebe!" "Aber ich liebe dich doch!" "Ich weiß...", entgegnete Jeremy ruhig, "aber ich glaube, meine Liebe reicht nicht mehr aus, um dein Verhalten zu tolerieren." "Nein!" Alex brach endgültig in Tränen aus. Seine Stimme versagte, er schluchzte immer heftiger, als er sogar auf die Knie fiel und sich an Jeremy klammerte. "Bitte... verlass mich nicht... ich brauche dich... verlass mich nicht... verlass mich nicht... verlass mich nicht..." Und wieder fing der ganze Kreislauf von vorne an. Als Alex so an ihm hing, hilflos wie ein kleines Kind, um seine Liebe bettelnd, da fiel die ganze Überzeugung von Jeremy ab. Er brachte es nicht fertig Alex einfach zu verlassen. Schließlich liebte er ihn doch... und jeder machte mal Fehler. Er strich sanft über den Kopf seines Freundes. "Ist ja gut..." Vorsichtig schob er ihn ein Stück von sich weg und ging selbst auf die Knie. Alex schluchzte immer noch. "Heißt das, du verlässt mich nicht?" schniefte er. Jeremy schüttelte den Kopf. "Nein, ich verlasse dich nicht, aber wehe so etwas geschieht noch einmal! Weder bestiehlst du mich, noch toleriere ich es, wenn du mich noch einmal schlägst!" "Das wollte ich nicht!" Alex fiel ihm in die Arme und presste sich an ihn. "Ich wollte das nicht... es tut mir leid... auch das mit dem Geld... ich höre auf mit dem Zeug, versprochen! Wir streiten nie wieder, ja?" "Spinner, als wäre das möglich...", flüsterte Jeremy. "Ich liebe dich so sehr... ich bin ein Idiot, ich weiß das..." "Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung." Jeremy konnte nicht anders, in diesem Augenblick war Alex wieder so wie früher, sein Alex, der älter war, aber eigentlich mehr auf ihn angewiesen als umgekehrt. So kniete er einfach da und hielt den wimmernden Mann fest. Und doch änderte sich nichts. Nach diesem Vorfall ging es einige Wochen gut, dann verfiel Alexander wieder in alte Muster. Und schließlich geschah die Sache mit dem Pornodreh, den Alex ohne Jeremys Zustimmung inszenierte. Das Ganze hatte Konsequenzen. Als Jeremy erfuhr, dass sein ihm aufgezwungener Partner HIV-positiv war brach für ihn eine Welt zusammen. Eine Woche konnte er kaum einen Bissen essen, weinte fast ständig, schlief so gut wie nicht und war mehrfach kurz davor sich etwas anzutun. Sein einziger Rettungsanker war Abby, der er natürlich nicht erzählte, woher er seine mögliche Infizierung hatte. Die ganze Woche, die er auf seine Ergebnisse wartete, bekam er Alex nicht zu Gesicht. An diesem Tag im Krankenhaus fühlte sich Jeremy so allein und so mies wie noch nie zuvor in seinem Leben. Als sein Name aufgerufen wurde, war er so sehr zusammengefahren, dass einige der Wartenden ihn verwundert ansahen. Auch der Arzt schenkte ihm einen mitleidigen Blick, als er sich an seinem Schreibtisch setzte. Der junge Mann erinnerte sich genau an die panische Angst, die er damals gehabt hatte. Es war der furchtbarste Tag in seinem Leben gewesen... "Sie sehen schrecklich aus, Mr. Sumner. Sie haben wohl in letzter Zeit nicht viel geschlafen." "Verdenken Sie mir das, Doktor?" Der Arzt schüttelte den Kopf. "Um Sie zu erlösen: Sie sind HIV-negativ." Die Worte brauchten einen Moment, bis sie Jeremys Verstand erreichten. Er war negativ. Er war gesund... wirklich gesund. Tränen schossen in seine Augen, er kam nicht dagegen an. Der Arzt reichte ihm ein Taschentuch. "Vielen Dank, Doktor." "Danken Sie nicht mir, danken Sie Ihrem Schutzengel." Er klappte seine Mappe zu. "Mr. Sumner, es ist obligatorisch, dass ich mit Ihnen jetzt ein Gespräch über Safer Sex führen muss." "Doktor,", wehrte Jeremy ab, "ich praktiziere grundsätzlich Safer Sex... nur dieses eine Mal..." Er brach ab. "Sind Sie vergewaltigt worden? Wenn ja müssen Sie das melden. Sie glauben nicht wie viele junge Mädchen hierher kommen und Angst haben, weil sie sich nicht trauen Hilfe zu suchen. Und auch ein Mann kann ja..." "Ich bin nicht vergewaltigt worden...", sagte Jeremy leise. "Ich war betrunken..." Jeremy schluckte. Hoffentlich ließ der Arzt es hierbei beenden. Natürlich war es quasi eine Vergewaltigung gewesen, er hatte sich nicht wehren können und war auch nicht mehr im Stande gewesen zu entscheiden ob er es wollte oder nicht. Selbst ohne das ihm Gewalt angetan worden war hatte man ihn vergewaltigt. Bei dem Gedanken daran, dass Alex dabei seelenruhig zugesehen hatte, keimte unendlicher Hass in ihm auf. Aber er wollte nicht, dass der Arzt die Sache aufbauschte. Es war ihm schrecklich peinlich es so hinzustellen als sei er einfach nur verantwortungslos gewesen, aber es war der einfachste Weg aus der Sache heraus zu kommen ohne sich aus einer Anzeige oder psychologischer Betreuung herausreden zu müssen. Der Arzt schien mit der Erklärung zufrieden. "Also, Mr. Sumner. Das wäre es dann. Wenn Sie noch irgendwelche Fragen haben, stehe ich Ihnen natürlich zur Verfügung. Und seien Sie in Zukunft vorsichtig." Jeremy erhob sich. "Vielen Dank, Doktor. Auf Wiedersehen." "Das will ich nicht hoffen.", lächelte der Arzt. Jeremy brauchte kurz, um den Witz zu verstehen, er war immer noch wie betäubt. Er erwiderte das Lächeln und ging dann. Als er das Krankenhaus verließ und in die Sonne hinaus trat, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er quasi gerade ein neues Leben geschenkt bekommen hatte. Und er würde diese Chance nutzen. Hier auf dem Parkplatz des Krankenhauses traf Jeremy die Entscheidung, sich endgültig von Alex zu trennen... Das Geräusch der Türklingel ließ Jeremy hochfahren. Benommen blickte er sich um. Draußen war es dunkel geworden. Er musste eingeschlafen sein. Wie lange hatte er geschlafen? Wann war Alex gegangen? Wieder klingelte es an der Tür. Jeremy sprang aus dem Bett und schlidderte auf Socken Richtung Wohnungstür. "Ich komme! Moment!" Er riss die Tür auf. Im Rahmen lehnte David, mit einem lässigen Lächeln auf den Lippen. "Fertig für's Kino? Offenbar nicht, wenn ich dich so ansehe." Jeremy blickte an sich hinunter. Seine Klamotten waren zerknitterte und er trug immer noch das Hemd ohne Knöpfe. Seine Haare waren ebenso zerzaust. "Ich...äh... ich mache mich fertig... gib mir ein paar Minuten! Komm doch rein!" Er schien einen Moment nicht zu wissen, was er tun sollte, dann trat er zur Seite und ließ David in die Wohnung. "Ich bin bald fertig." Er strich sich nervös durch die Haare. "Hast du was?" Jeremy sah David an, sein Lächeln, seine wundervollen blauen Augen, die Wärme, die in ihnen lag. Dann schüttelte er den Kopf. "Nein. Ich freue mich nur, dich zu sehen." Er beugte sich zu ihm hoch und drückte ihm spontan einen Kuss auf die Lippen. "Bin gleich wieder da." David nickte nur, auch wenn er etwas misstrauisch guckte. "Beeil dich." Jeremy eilte in sein Zimmer, als er außer Sichtweite von David war, fing er an zu grinsen. Das war seine Zukunft. Egal wie beschissen die Zeit mit Alex war, egal wieviel er durchgemacht hatte, das hier machte das alles wieder wett. David war seine Zukunft, mit ihm würde er endlich wieder vollkommen glücklich werden! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Wieder mal ein Kapitel rum ^^ Diesmal fiel es mir wieder etwas schwerer, aber ich glaube das liegt an der Wendung die ich eigentlich nicht geplant hatte und die meine bisherigen Pläne etwas über den Haufen wirft... eigentlich sollte Jeremy nämlich einfach "nur" Pornodarsteller sein... Alex war eine Figur, die gar nicht vorkommen sollte. Aber plötzlich gefiel mir die Idee mit dem Exfreund von Jeremy... wie das Ganze ausgehen wird weiß ich schon, mal sehen was bis dahin noch passiert und wie wichtig die Rolle von Alexander wird. Jeremy x David erfährt hier eigentlich so gut wie keine Entwicklung, obwohl David ja am Anfang schon ein bisschen was durchblicken lässt... trotzdem, hier steht noch viel Arbeit ins Haus *lol* Es ist vielleicht etwas überraschend hier dermaßen viel über die Vergangenheit Jeremys zu erfahren, aber das hatte den einfachen Grund das ich nicht wusste, was ich schreiben sollte! *lol* Meine Ideen stagnierten etwas und um den Rest des Kapitels zu füllen wollte ich dann ein bisschen was über Jems Hintergrund erzählen... und das ist dann dermaßen außer Kontrolle geraten, dass dieses Kapitel das längst ist, das ist bisher verfasste habe... 19 Seiten mit Nachwort. Allmählich ersticke ich in Handlungssträngen, aber ich denke mal es stört niemanden wenn das Ganze hier sich noch ein bisschen hinzieht *lol* *an den fingern abzähl* Jason, Chris, David, Jeremy, Sly, Ash, Alexander und *piep* (<- noch geheim!), das sind mittlerweile acht wichtige Charaktere plus Abby und Eve, sowie einer stets möglichen Rückkehr von Claire, das macht elf Charaktere... Ô_o Das hier sollte eigentlich eine Geschichte nur um Jason und Chris werden, selbst David war nur als Nebencharakter geplant *lol* Na ja, ich hab mir das Chaos selbst eingebrockt, jetzt löffele ich es auch aus ^^ Bei mir stehen die Semesterferien an und ich hoffe inständig, dass mich nicht wieder der Zeit-Effekt trifft *lol* Erklärung: Es ist ein natürliches Gesetz, dass ein mit seinem Laptop in Symbiose lebendes Ulysses im Falle von fehlender Zeit ein unbändiges Verlangen nach kreativer Schreibarbeit überkommt, setzt man selbiges Exemplar allerdings in eine angepasste Umgebung mit ausreichend Freizeit so verabschiedet sich die Lust an kreativen Ausbrüchen auf Nimmerwiedersehen. *lol* So war das vor Beginn meines Studiums, ich wollte damals noch möglichst viel von meiner Zelda-Geschichte schreiben und habe nicht ein Kapitel fertig gebracht *lol* Na ja, hier habe ich wesentlich mehr Antrieb, also denke ich nicht das ein Grund zur Sorge besteht und das KatoKira sich auf eine Menge Nachholbedarf freuen kann wenn sie wieder Internet hat *gggggggggg*... trotz meiner aufkommenden Sucht nach "Shin Megami Tensei: Lucifer's Call" *ggggg* In diesem Sinne bis zum nächsten Chap ^^ Euer Uly ^^ PS: Vielen Dank an Alaska, meine Retterin ;-) Ohne dich hätte das hier nicht geklappt. *knuff* Kapitel 22: Hush, hush, sweet Alex ---------------------------------- Die klare Flüssigkeit perlte über Jeremys Zunge bevor er den Champagner ganz herunter schluckte. Er saß David im "Ocean Drive" gegenüber. Das Restaurant zählte zu den zur Zeit besten Adressen von San Francisco, nahe am Hafen und bis über die Grenzen der Stadt für seine Meeresfrüchte bekannt. Das Restaurant wirkte sehr vornehm, alles war in blau und weiß gehalten, die Kellner trugen dunkle Anzüge. David und Jeremy saßen direkt am Fenster, mit Blick auf den Hafen und die Bay. Ein unglaublich romantisches Ambiente, Jeremy war stets aufs neue überrascht, wie viel Sinn für Romantik der Anwalt zu haben schien... ohne das überhaupt zu bemerken. Der Abend war schön gewesen. Sie hatten sich einen Film angesehen, aber Jeremy konnte nicht genau sagen, worum es ging. Sie hatten wie Teenager fast die ganze Zeit geknutscht und schließlich auch noch rum gemacht. Jeremy hatte es sogar wirklich gewagt irgendwann mit dem Kopf in Richtung Süden zu verschwinden, ungeachtet der Gefahr von einem anderen Zuschauer beim Blowjob erwischt zu werden. Das war eine unglaublich erregende Erfahrung gewesen. "Bist du nervös?" Jeremy zuckte zusammen, als David ihn ansprach. "Was?" "Ob du nervös bist?" "Warum fragst du?" "Och, nur so. Champagner genießt man, aber du stürzt ihn regelrecht runter, du hast schon drei Gläser weg, ich bin noch beim ersten." Jeremy wurde rot. David hatte Recht. Er trank sich Mut an. So war es... ganz eindeutig. Ein Kellner kam an den Tisch und brachte das Essen. "Zweimal Hummer nach Art des Hauses." "Vielen Dank", lächelte David. Jeremy schaute etwas verstört auf seinen Teller. "Wie isst man das?" "Ist gar nicht so schwer." David zeigte ihm wie man es machte. Der junge Mann war fasziniert wie weltmännisch der Anwalt sein konnte. Manchmal wirkte er wie ein großes Kind, dann wieder so unglaublich erwachsen. Und tatsächlich, nachdem beim ersten Versuch beinahe eine Hummerschere quer durchs Restaurant geflogen wäre, vor allem, weil Jeremys Feinmotorik durch die eilig getrunkenen Gläser Champagner etwas in Mitleidenschaft gezogen worden war, gelang es dem Tänzer seinen Hummer so zu verspeisen, wie es vorgesehen war. Und trotz anfänglicher Skepsis schmeckte das Krustentier ganz vorzüglich. Während des Essen sprachen sie kaum, Jeremy war auch viel zu konzentriert, um sich nicht einen weiteren peinlichen Fauxpas zu leisten. Als von den beiden roten Meerestieren nur noch die Schale übrig war, tupfte sich David mit der Serviette die Lippen ab. "Und?" "Was?" "Dein Blick war ja eher skeptisch, wie hat es geschmeckt?" "Sehr gut, danke..." Jeremy rutschte etwas unruhig auf seinem Stuhl herum. "Aber ich fühle mich etwas unwohl, weil du mich schon wieder einlädst und dann in so ein teures Restaurant." "So teuer ist es hier gar nicht, glaub mir. Und ich gehe sonst so gut wie nie Essen, also kann ich mir das ruhig mal erlauben. Außerdem ist das nur passend, dass wir uns etwas besser benehmen nach dem Anfang des Abends." "Hier blase ich dir sicher keinen!", lachte Jeremy. "Wäre wahrscheinlich auch etwas fehl am Platze, aber der Abend ist ja noch nicht zu Ende." "Stehst du eigentlich im Guinessbuch?" "Als was?" "Für den größten sexuellen Appetit." Jetzt war es an David zu lachen. "Mein Appetit hängt aber von meinen Tischherrn ab." Jeremy wäre am liebsten aufgesprungen, hätte sich mitten in den Raum gestellt und ständig "Yes! Yes! Yes!" rufend das Victoryzeichen gemacht. Das war für Davids Verhältnisse ein wunderbares Kompliment und unter Umständen ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht ging bei David Liebe eben nicht durch den Magen, sondern durch den A... "Vielen Dank." "Aber werde ja nicht eingebildet." "Ich doch nicht!" Jeremy grinste und kippte den Rest seines Champagners runter. "Jetzt sag endlich, was dich bedrückt", wechselte David das Thema. "Ich weiß nicht... vergiss es lieber..." "Jeremy, sag es oder du kriegst keinen Nachtisch!" Er grinste von einem Ohr bis zum anderen. "Bitte?! Was ist das für eine Drohung?" kicherte der Tänzer, David schaffte es immer wieder locker ihn zum Lachen zu bringen, eine tolle Eigenschaft. "Ich weiß, dass du auf Süßigkeiten stehst." "Aber du weißt auch, dass ich zu dick bin, also ist es gut, wenn ich keinen Nachtisch kriege!" "Mach darüber keine Witz!" knurrte David. "Wenn ich an diesen Dirk Dingensbums denke, kriege ich immer noch Aggressionen." "Du nimmst dir das echt zu Herzen, was?" "Natürlich tue ich das! Solche Menschen gehen mir einfach auf die Nerven." Jeremy musterte David eindringlich. Wenn man ihn das erste Mal sah, konnte man ihn glatt für arrogant halten, er hatte so eine Art Aura der Überlegenheit an sich, aber viel davon war einfach nur eine geschickte Fassade, um den wahren David Vanderveer zu kaschieren. Vielleicht brauchte man so etwas in seinem Beruf und vielleicht war er deswegen so erfolgreich. Wenn man sich die Mühe machte hinter die Fassade zu sehen, ergab sich ein völlig anderes Bild, eines, das Jeremy nie für möglich gehalten hätte und das ihm von Minute zu Minute besser gefiel. "Hab ich was zwischen den Zähnen? Oder warum starrst du mich so an?" Und dann sagt er so etwas! Jeremy hätte am liebsten seinen Kopf auf den Teller knallen lassen, auch auf die Gefahr hin ein Stück Hummerpanzer ins Auge zu kriegen. David hatte ein unglaubliches Talent einen romantischen Augenblick mit einem einzigen Satz zunichte zu machen. "Nein, du hast nichts zwischen den Zähnen, du unromantischer Bock!" "Ich bin unromantisch?" David setzte einen gespielt schockierten Gesichtsausdruck auf. "Hat dir das noch nie jemand gesagt?" "Nein!", grinste David. "Dann habe ich es hiermit getan. Schreib es dir hinter die Ohren!" "Vielen Dank für den Hinweis." Jeremy spielte etwas geistesabwesend mit seiner Gabel. "Wenn wir schon so unromantisch sind... darf ich dich mal was fragen?" David nickte. "Was denn?" Jeremy legte vorsichtshalber die Gabel weg. Sein Blick wanderte zum Fenster, er spiegelte sich ein wenig verzehrt darin. Die Frage war ihm so in den Sinn gekommen und er schätzte David verrückt genug ein, darauf einzugehen ohne viel dahinter zu vermuten. Er nahm all seinen Mut zusammen. "Schaust du dir eigentlich Pornos an?" Stille senkte sich über den Tisch. David starrte ihn überrascht an. "Bitte?" "Ach, vergiss es... ich..." "Du wolltest ein paar schmutzige Details erfragen, was?" David zwinkerte ihm zu. Jeremy hätte beinahe erleichtert ausgeatmet, er kannte David doch besser als er dachte, er vermutet nichts dahinter. Er setzte ein Grinsen auf. "So in der Art." "Dreist bist du wohl gar nicht. Aber ich muss dich enttäuschen, ich schaue so gut wie nie Pornos, ich erlebe lieber selbst was." Ich könnte dich küssen!, dachte Jeremy. "Überhaupt keine?" "Du hast Gesprächsthemen bei Tisch, irgendwie gefällt mir das. Nein, wirklich so gut wie keine... außer vielleicht..." Er strich sich übers Kinn. "Ab und an mal... ich hab eine Vorliebe für Army Boys, aber das bleibt unter uns." Jeremy nickte verschwörerisch. "Das bleibt unter uns." Besser konnte es eigentlich gar nicht laufen. Jeremy hatte plötzlich Panik gehabt, dass das Schicksal ihm den grausamen Streich spielen könnte einen seiner Filme in Davids Hände zu bugsieren. Aber er hatte nie in diesen Armeestreifen mitgespielt. Da wurden große, muskulöse Typen verlangt, denen man den starken Mann abnahm, dafür sah er viel zu jung aus. "Gibt es einen besonderen Grund, warum du mich nach Pornos fragst? Willst du mit mir einen schauen?" "Nein!" lachte der Tänzer. "Wahrscheinlich ist es dieses Gesöff, mir ist auch ein bisschen schwindelig." "Notfalls trage ich dich Heim." "Heim?" "Zu mir. Willst du etwa nicht mitkommen?" Jeremy lehnte sich zurück. "Schon wieder? Soll ich etwa bei dir übernachten?" "Kein Interesse?" "Doch! Doch!" ereiferte sich Jeremy. So konnte er David auch besser mit der Idee konfrontieren, ein paar Tage bei ihm einzuziehen. Ein Kellner schob einen Teewagen neben den Tisch, auf dem verschiedene Kuchen und Desserts standen. Kalorienbomben wohin man sah. "Ein Dessert, die Herren?" Jeremys Augen wurden angesichts der Köstlichkeiten geradezu riesengroß. David lächelte und nickte dem Kellner zu. "Ich denke, wir nehmen ein Dessert." Chris schloss die Schlafzimmertür leise hinter sich. Sein Freund lag ausgestreckt auf dem Bett, er hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Chris grinste schelmisch. Er zog seine Shorts, die er schon für die Nacht angezogen hatte, herunter, ging zum Bett und krabbelte über Jason. Ganz langsam, mit nahezu katzenhaften Bewegung glitt er über den anderen Mann. "Schläfst du?" Jason hielt die Augen geschlossen. "Tief und fest." Chris rieb mit seinem Becken über das von Jason. "Na ja, aber nicht alles von dir..." Jasons Arme schossen nach oben und umfingen ihn. Lachend warf er ihn um und rollte sich auf ihn. Er fing an Chris' Hals mit Küssen zu bedecken. Ihm wurde heiß, schon viel zu lange war er seinem Freund nicht mehr nahe gewesen. Er hielt es kaum ein paar Tage aus ohne ihn zu lieben. "Jetzt bist du aber plötzlich ganz schön wach!", keuchte Chris. "Das kannst du laut sagen! Nur wir zwei, ganz allein..." Er verwickelte Chris in einen leidenschaftlichen Kuss. Seine Hände wanderten über den schlanken Körper des blonden Mannes, erforschten ihn zärtlich. Er wollte ihn spüren, ihn... Ein Jaulen hallte durchs Schlafzimmer. Jasons Kopf sank auf Chris' Schulter. "Bitte... bitte sag mir, dass du das warst... ich hab nichts gegen eine Hündchennummer..." Das Jaulen schwoll wieder an. Chris schaute zur Tür. "Ich muss dich enttäuschen. Das ist Batman. Ich hatte ihn eigentlich in der Küche in seinem Körbchen gelassen. Aber er muss es wohl die Treppe hinauf geschafft haben." Der kleine Hund kratzte an der Schlafzimmertür und machte weiterhin lautstark mit einer Mischung aus Winseln und Bellen auf sich aufmerksam. "Nein... bitte... bleib einfach liegen und ich mache weiter. Du hörst ihn sicher gleich nicht mehr..." "Jason, also wirklich!" Chris drückte ihm gegen die Brust, bis sich sein Freund mit einem resignierten Gesichtsausdruck zur Seite fallen ließ. Der blonde Mann stand auf und stieg wieder in seine Hose. "Du willst doch nicht wirklich behaupten, dass du dabei Sex haben kannst! Der arme Kerl." "Der arme Kerl?! Ich bin ein armer Kerl! Ich!" Chris hörte gar nicht mehr auf ihn und öffnete die Tür. Der kleine Fellball flitzte hinein und kam mit dem Schwanz wedelnd vor dem Bett zum Stehen. Chris ging in die Knie und nahm ihn hoch. "Ja, ist ja alles gut." Er streichelte ihn zärtlich. "Du musst nicht weinen." Jason war mittlerweile auf seine Seite des Bettes gewechselt und murmelte etwas vor sich hin, das wie "Aber ich weine gleich..." klang. Chris kam wieder ins Bett und setzte den kleinen Hund ans Fußende auf die Decke. "Siehst du, so kannst du ruhig schlafen und bist nicht allein." Das sah Batman anders. Die Stelle dort war zwar schön, aber genügte den Ansprüchen des Beagles offenbar nicht mehr. Er trottet seelenruhig direkt zwischen Jason und Chris, drehte sich ein paar mal im Kreis und ließ sich dann fallen, wobei er wesentlich mehr von Jasons Platz für sich beanspruchte als von Chris', seine Besitzansprüche machte er rabiat dadurch klar, dass er dem Polizisten seine kurzen Beine in die Seite drückte. Der blonde Mann lächelte seinen Freund etwas verlegen an. "Es ist doch nur für heute Nacht. Morgen schläft er auf jeden Fall in seinem Körbchen." "Okay! Das reicht!" Chris zuckte zusammen, so abrupt setzte sich Jason auf. Er schwang die Beine aus dem Bett. "Willst du etwa woanders schlafen?" "Soweit kommt es noch!", lachte Jason etwas verächtlich. "Nein, nicht ich! Er schläft woanders!" Batman schaute ihn mit seinen großen braunen Augen etwas verwundert an, aber er quietschte freudig, als Jason ihn auf den Arm nahm. "Was hast du vor?" "Ich sperre ihn in die Küche! Da kann er Jaulen soviel er will! Mir reicht es jetzt." "Das kannst du doch nicht tun!" "Und ob ich das kann, pass nur auf." "Nein, Jason, sei nicht so sadistisch!" "Das ist kein Sadismus!" Batman guckte wie bei einem Tennismatch ständig zwischen seinen beiden Herrchen hin und her. "Dieser Hund sieht uns als sein Rudel an und wenn wir ihm alles durchgehen lassen, ist er ruckzuck das Alphatier hier und tanzt uns auf der Nase herum! Er muss sich daran gewöhnen allein zu schlafen! Ich habe nicht vor meinen Schlaf und nicht zuletzt mein Liebesleben wegen ihm aufzugeben." Damit verließ er den Raum. Chris schaute ihm fassungslos nach, als er Jason die Treppe hinab gehen hörte, löschte er das Licht und rollte sich in die Decke. Kaum eine Minute später kam Jason wieder hinauf, jetzt ohne Hund, und schloss die Schlafzimmertür. "So, ich hab die Küchentür zugemacht. Er wird noch etwas Terz machen, aber dann sicher bald schlafen." Chris gab nur ein Knurren von sich. Auch als Jason ins Bett stieg, würdigte er ihn keines Blickes. "Glaube ja nicht, dass ich jetzt mit dir schlafe!" zischte er. "Damit muss ich dann wohl leben!" Ganz offensichtlich nahm Jason ihn nicht ernst. "Gute Nacht, mein Engel." "Tierquäler..." murmelte Chris in sein Kissen. "Du weißt, dass das nicht stimmt." "Ach ja?!" Jetzt setzte sich Chris doch wieder auf. "Und wer hat gerade einen verängstigten Welpen allein in eine fremde Umgebung gesperrt?" Jason verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Du tust gerade so, als hätte ich Batman in die Küche geschmissen oder so. Ich hab ihn in seinen Korb gelegt, noch einmal gekrault und bin dann gegangen. Das ist das Beste für ihn." "Ach, und woher weißt du, was das Beste für ihn ist?" "Ganz einfach!", triumphierte Jason. "Wir hatten mehrere Hunde und ich weiß genau welche Tricks sie anwenden. Aber es gehört nun mal zur Erziehung, dass der Hund allein schlafen kann. Wenn du ihn zu sehr verwöhnst, erziehst du dir nur einen Haustyrannen!" "Aber er tut mir so leid... ich wette, er will morgen nichts mehr von uns wissen..." "Du wirst überrascht sein, wie leicht ein Hund so etwas verzeiht. Er wird morgen noch der Gleiche sein wie heute, nur das er dann eben auch allein in seinem Körbchen schlafen kann und nicht ins Bett muss. Hunde haben im Bett nichts zu suchen, hier bin ich das Alphatier!" Chris knuffte ihn in die Seite, seine Wut war verflogen. "Ach? Bist du das? Das sind ja ganz neue Töne." "Doch, nur der Alpharüde hat das Recht zum Begatten und das bin dann wohl ich." "Oh, du!" Chris warf sich auf Jason und fing an ihn zu kitzeln. Sein Freund schüttelte sich vor Lachen und konnte sich nur mühsam wehren, weil Chris genau wusste an welche Stellen er den größten Effekt erzielen konnte. Endlich bekam Jason ihn unter Kontrolle. "Pass auf, wenn du weiter so auf mir herum springst, mache ich doch noch Gebrauch von meinem Recht als Alpharüde!" "Darauf lasse ich es ankommen...", grinste Chris. "Und trotzdem willst du das alles aufgeben, damit der Hund hier schlafen kann?" Der blonde Mann knabberte am Ohr seines Freundes. "Vielleicht sollte ich dir einfach mal vertrauen... aber wehe er mag mich morgen nicht mehr!" "Da kannst du ganz beruhigt sein. Er wird dich sicher noch mögen." "Dann will ich dem Alpharüden mal nicht widersprechen!", grinste Chris, bevor er Jason leidenschaftlich küsste... Jeremy stand allein in Davids Wohnzimmer am Fenster und schaute hinaus. Der Glanz der nächtlichen Großstadtlichter hatte etwas beruhigendes. Allgemein fühlte er sich in Davids Apartment sehr sicher. Hier war er weit entfernt von seiner Welt, umgeben von Luxus wie er ihn nicht kannte, unendlich weit weg von Pornodrehs in Hinterhöfen, von Partys voller zugekokster Möchtegernsternchen... und von Alex. Das Treffen am Nachmittag ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf und die Worte seines Exfreundes jagten ihm Schauer über den Rücken. "Du machst einen Fehler, das wirst du noch sehen." Was hatte er damit gemeint? Er hatte doch hoffentlich nicht wirklich vor ihn zu erpressen. Das könnte er mit Leichtigkeit, wenn David nichts von seiner "Filmkarriere" wissen sollte. Er wanderte etwas ziellos in dem großen Raum herum, ließ seine Hand über die Sofalehne gleiten und blieb schließlich vor dem Regal mit den CDs stehen. Phil Collins, REM, Beatles, Eric Clapton, Madonna (natürlich auch mit dem Album "Erotica" vertreten), A-ha... David hatte einen sehr guten Musikgeschmack musste Jeremy neidlos zugeben. Sonderbarerweise waren viele dieser CDs sehr romantisch, was irgendwie so gar nicht zu Davids Bild von sich selbst passen wollte. Der junge Mann fuhr mit dem Finger über die CD-Rücken bis er eine hervorzog. Ein Album von Eric Clapton auf dem der Songs "Tears in Heaven" enthalten war, ein wunderbar romantisches und trauriges Lied das der Sänger seiner verstorbenen Tochter gewidmet hatte. Jeremy liebte diesen Song. Er fand sich schnell an den Bedienungselementen von Davids Stereoanlage zurecht und legte die CD ein. Kurz darauf erklangen die ersten Takte aus den überall im Raum verteilten Boxen. Jeremy schloss die Augen und bewegte sich im Rhythmus der Musik, ganz langsam. Musik hatte auf ihn schon immer eine merkwürdige Wirkung gehabt. Er konnte die Noten, den Rhythmus der Klänge, all das geradezu spüren, bis tief hinein in seinen Körper. Er wurde regelrecht eins mit der Melodie. Eine ganze Zeit lang gab er sich einfach nur dem wunderschönen Lied hin. Als er die Augen öffnete stand David in der Tür, er war in der Küche gewesen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Keiner der Beiden sagte ein Wort, Jeremy streckte ihm einfach nur die Hand entgegen. Den fragenden Blick Davids beantwortete er nur mit einer auffordernden Geste mit den Fingern. Endlich kam der Anwalt seiner Aufforderung nach und trat zu ihm. Er nahm Jeremys Hand und zog den jungen Mann an sich. Jeremy schlang die Arme um die Hüften des Blonden und schmiegte sich an ihn. David passte sich seinen Bewegungen an und sie tanzten den Rest des Songs schweigend miteinander. Jeremy lehnte mit der Wange an Davids Brust und lauschte mit geschlossenen Augen seinem Herzschlag. Er hätte in diesem Moment am liebsten geweint. So nah hatte er sich David noch nie gefühlt. Er konnte genau den angenehmen Duft des Parfüms des anderen Mannes wahr nehmen, spürte die Wärme seiner Umarmung. Sein sehnlichster Wunsch war, dass dieser Augenblick ewig dauern möge. Doch irgendwann war das Lied zu Ende und David löste sich von ihm. "Das habe ich auch noch nie gemacht..." "Du hast noch nie getanzt?" "Nein!", grinste David. "Ich meine noch nie hier in der Wohnung und noch nie auf diese Art." "Du bist fünfunddreißig und hast noch nie romantisch getanzt?" "Ich hole uns was zu trinken, ja?" Jeremy blieb vollkommen verdutzt stehen. Er konnte noch nicht einmal nicken. David schien geradezu aus dem Zimmer zu flüchten. Floh er vor ihm? Oder vor der Frage? Wahrscheinlich vor beidem. Mit einem Seufzen ließ er sich aufs Sofa fallen. Hoffnungslos, dieser Mann war einfach unglaublich. Eben noch lässt er sich auf einen eng umschlungenen Tanz ein und in der nächste Minute, bumm, nichts mehr. Vollkommen abgeschottet. Wenn er hier etwas erreichen wollte, durfte er auf keinen Fall mit der Holzhammermethode vorgehen. David war das reinste Karnickel, nicht nur, dass er dessen Kopulationstrieb zu besitzen schien, nein, er verschwand auch beim geringsten Anzeichen von Gefahr in seinem Bau und steckte seine Löffel erst wieder heraus, wenn die Luft rein war. Also war Vorsicht angesagt, anschleichen, auf den richtigen Moment warten und dann an den Ohren schnappen. Sonst konnte man das Domestizieren vergessen. Jeremy grinste breit. Die Kaninchengeschichte begann ihm zu gefallen. Unwillkürlich erschien vor seinem geistigen Auge das Bild von David mit Hasenohren auf dem Kopf. Am besten noch mit so einem niedlichen Puschel am Hintern... der Gedanke war... sexy, sehr sogar. David kam mit zwei Gläsern wieder. Er reichte Jeremy das eine und nippte direkt an dem anderen. Jeremy nahm auch einen Schluck. Cola. Etwas besseres war ihm wohl nicht eingefallen. Aber der Tänzer nahm sich vor sich zu hüten und etwas in dieser Richtung anzumerken. Immer vorsichtig, ganz langsam, bis die Löffel in Reichweite waren. Er musste sich zusammenreißen nicht schon wieder zu grinsen. "Magst du etwas zu Knabbern oder so?" "Nein, ich bin wunschlos glücklich, danke. Viel lieber würde ich dich mal etwas fragen." "Nur raus damit. Willst du diesmal wissen, ob ich Dildos benutze?" David grinste ihn breit an. "Du mal wieder!", lachte Jeremy. "Nein, ich wollte einfach feststellen, dass du mittlerweile eine Menge über mich weißt, ich aber kaum etwas über dich." "Und das möchtest du jetzt gern ändern." "So kann man es sagen, also hast du etwas dagegen?" David schüttelte langsam den Kopf. "Was willst du wissen?" "Hm... erzähl einfach was von dir." "Eine sehr genaue Frage! Also gut... Ich heiße David Vanderveer", Jeremy schnitt eine Grimasse über den für Davids Verhältnisse schlechten Scherz, "meine Eltern Beatrix und John stammen aus Holland, genauer aus Den Haag und sind zwei Jahre vor meiner Geburt nach Denver gezogen. Ich bin also waschechter Amerikaner, hab aber auch die holländische Staatsbürgerschaft. Nach der Schule hab ich Denver den Rücken gekehrt und bin nach Berkeley gegangen um zu studieren." "Du... warst in Berkeley?!" "Ja, gibt es da ein Problem?" Berkeley... jetzt hatte Jeremy erst recht Minderwertigkeitskomplexe. Er hatte mit Müh und Not die Schule beendet, weil er eigentlich nur Interesse am Tanzen hatte und jetzt saß er einem Mann gegenüber der in einer der größten und besten Intellektuellenschmieden des Landes studiert hatte. Am besten dachte er wieder an Karnickel-David. "Äh... nein, entschuldige, sprich ruhig weiter." "Danke, aber viel ist da sowieso nicht mehr zu erzählen. Ich hab mein Studium mit Auszeichnung bestanden und bin dann hierher nach San Francisco. Ich hab mich vom Anwaltgehilfen hochgearbeitet und hoffe jetzt auf eine Partnerschaft in meiner Kanzlei, jedenfalls arbeite ich daran." "Partnerschaft, das ist das Stichwort! Gibt es da etwas zu erzählen?" David zog die Augenbraue hoch. "Okay, vergiss die Frage." Soviel zum Thema langsames Anpirschen, er war gerade auf dermaßen viele Äste getreten, dass das Kaninchen die nächsten zehn Jahre den Bau nicht mehr verlassen würde. "Hast du zufällig was zum Knabbern da?" grinste er etwas verlegen. "Eine glänzende Idee!" David verschwand in Richtung Küche und Jeremy hätte am liebsten das Gleiche in einem Loch getan. Bei David musste man wirklich Fingerspitzengefühl haben, echt gewöhnungsbedürftig. Aber er war soweit gekommen er würde jetzt nicht aufgeben. Sein Handy klingelte. "Das ich auch immer vergessen muss es auszumachen..." Einen Moment lang war er versucht nicht ran zu gehen, dann tat er es aber doch. "Hallo." "Baby...?" David kam wieder ins Wohnzimmer, bewaffnet mit mehreren Packungen Chips und einer Schale mit Salsadipp. Jeremy drehte sich ein wenig zur Seite. "Was fällt dir ein mich anzurufen?!", zischte er ins Telefon. "Wag das ja nie wieder!" "Ich... ich... brauche deine... Hilfe..." Alex' Stimme war tranig, ein wenig als wäre er kurz vorm Einschlafen, aber Jeremy war viel zu wütend, um das zu registrieren. "Egal was es ist, lass mich gefälligst in Ruhe! Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben!" Seine Wangen brannten wie Feuer, er musste feuerrot vor Scham sein. "Bitte... ich habe... Angst..." "Alex, ich lege jetzt auf!" "Ich habe... Tabletten... geschluckt..." Jeremy wollte den Hörer schon vom Ohr nehmen, doch in diesem Moment hielt er inne. "Was sagst du da?" "Ich..." Einen Augenblick herrschte Stille in der Leitung. "Ich... ich hab Schlaftabletten...geschluckt... und... Wein... ich...bitte hilf... mir..." David beobachtete verwundert wie sich Jeremys Gesichtsfarbe von knallrot zu leichenblass wandelte. "Verdammte Scheiße! Wo bist du?! Alex, wo bist du?!" "Bei mir... ich... kann mich kaum... noch bewegen... bitte... mir ist so schwindelig..." "Bleib wach, du Idiot! Bleib wach! Ich bin gleich da!" Am anderen Ende war Schweigen. Jeremy starrte das Telefon an. "Alex?! Sag was!" Keine Antwort. Er legte auf. "Was ist los?" Jeremy sprang auf. "Das war mein Exfreund. Ich weiß nicht genau, aber ich glaube er hat Tabletten genommen und das Ganze mit Wein runtergespült. Er war total neben der Spur. Ich muss zu ihm!" David warf die Chips achtlos auf die Couch und war bereits auf dem Weg zu seiner Jacke. "Los, ich fahre! Wir rufen auf dem Weg zu ihm einen Krankenwagen." Er hielt Jeremy die Tür auf. "David, du musst nicht... ich meine du hast doch damit nichts zu tun..." "Witzbold! Wie willst du denn zu ihm kommen, mit einem Taxi? Jetzt komm schon." Jeremy nickte nur und kam der Aufforderung nach. Eine Rekordzeit später waren die Beiden vor Alexanders Wohnungstür in einem etwas heruntergekommenen Mietshaus am Rand der Innenstadt. Jeremy hatte drei Kreuze gemacht das sein Ex in der Zeit ihrer Trennung nicht die Wohnung gewechselt hatte. Klingeln und Klopfen an der Tür blieb jedoch vollkommen ohne Reaktion. "Verdammt, was jetzt?" David trat ein paar Schritte zurück. "Geh mal von der Tür weg." Jeremy tat wie ihm geheißen und der Anwalt drehte die rechte Schulter in Richtung Tür, nahm soviel Anlauf wie ihm der schmale Flur erlaubte und rammte dann mit voller Wucht dagegen. Das Ergebnis waren knarrendes Holz, quietschende Scharniere und ein schmerzverzerrter Ausdruck auf Davids Gesicht. "Scheiße, im Film sieht das immer so leicht aus!" Trotz der pochenden Schmerzen in seiner Schulter rannte er noch ein weiteres Mal gegen die Tür an und diesmal hatte er Erfolg. Die dünne Holzplatte des Eingangs sprang aus den Halterungen und flog in die Wohnung, David hinterher, er hatte aufgrund des plötzlich fehlenden Widerstands das Gleichgewicht verloren. Jeremy war mit wenigen Schritten bei ihm. "Alles okay?" "Ja, los, geh nach ihm sehen! Ich komme schon klar!" Während David sich aufrappelte, sprintete Jeremy auf gut Glück zu Alexanders Schlafzimmer und tatsächlich lag er da. Er hing halb aus dem Bett, der Telefonhörer war ihm aus der Hand gefallen. Im Raum standen mehrere Weinflaschen, eine Dose mit Schlaftabletten lag umgekippt auf dem Nachttisch. Mit Schrecken erkannte Jeremy auf dem Fernseher gegenüber vom Bett einen ihrer gemeinsamen Filme, Gott sei Dank ohne Ton, die zugehörigere DVD-Hülle lag auf dem Boden. Er wunderte sich über die Kaltblütigkeit, mit der er so schnell er konnte den Fernseher ausschaltete und die Hülle unters Bett kickte, bevor er sich überhaupt seinem Exfreund zu wandte. Nun kam auch David ins Zimmer. "Lebt er noch?" Der Anwalt hielt sich die Schulter. Jeremy legte sein Ohr an Alex' Mund. Der andere Mann atmete noch, flach aber spürbar. "Ja, er lebt noch, aber er scheint verdammt viel geschluckt zu haben." Jeremy wusste nicht was er tun sollte, er war plötzlich mit der Situation vollkommen überfordert. David schob ihn aus dem Weg und zerrte Alex vom Bett hoch. "Der Krankenwagen muss gleich hier sein. Wo ist das Bad?" "Gleich die nächste Tür rechts!" Jeremy beobachtete, wie David seinen Ex ins Bad schleifte und ihm dabei schon Ohrfeigen gab. Er schob den nahezu bewusstlosen Mann in die Dusche und drehte eiskaltes Wasser auf. Alex stöhnte. "Gut so! Wach bleiben, Mann, wach bleiben!" Jeremy schaute das Ganze wie aus weiter Ferne an, er stand völlig neben sich. Nur ein Gedanke kreiste durch seinen Kopf... Wenn Alex jetzt starb, war es seine Schuld... Diese Angst ließ ihn auch in der Notaufnahme des San Francisco Memorial nicht los. Ärzte und Schwestern eilten an ihm vorbei, Verletzte wurden auf Tragen von Sanitätern hinein gefahren und über allem lag der unangenehme Geruch von Desinfektionsmitteln. Er saß in einem separaten Wartebereich mit unbequemen Plastikstühlen. Um ihn herum andere Leute, einige weinten, andere schauten ständig auf die Uhr. Er kam sich vor wie in einer Folge Emergency Room und jetzt wusste er auch wieder, warum er diese Serie hasste. David kam zu ihm und reichte ihm einen Pappbecher mit Kaffee. "Hier, was anderes wirft dieser Automat leider nicht aus." Jeremy nahm das Getränk entgegen, seine Hand zitterte dermaßen, dass die schwarze Brühe bedrohlich gegen den Rand schwappte. Der Anwalt nahm ihm den Becher schnell wieder ab und stellte ihn auf einen kleinen Tisch neben seinem Sitz. "Besser doch nicht, sonst verbrennst du dich noch." "Warum sagen die mir nichts? Warum hören wir nichts?" David legte ihm beruhigend die Hand auf den Oberschenkel. "Sie pumpen seinen Magen aus, das weißt du doch. Sie werden uns schon Bescheid sagen, wenn er wieder okay ist." "Wenn er das überhaupt wird!" stellte Jeremy panisch fest. "Vielleicht stirbt er ihnen da gerade weg! Und dann ist das alles meine Schuld!" "Rede doch nicht so einen Unsinn!" "Es ist meine Schuld! Wenn ich nicht..." "Wenn du nicht was?", wollte David wissen. "Wenn ich ihn an diesem Nachmittag nicht so behandelt hätte... dann..." "Was ist zwischen euch vorgefallen?" Jeremy beobachtete eine Frau die gerade von einem der Ärzte eine Nachricht überbracht bekam. Ihr Ausbruch in Tränen machte deutlich welcher Art die Mitteilung war. "Wir hatten eine ziemlich schmutzige Trennung, ist eine Menge schief gelaufen...", untertrieb er schließlich, "Heute Nachmittag ist er bei mir aufgekreuzt und wollte sich versöhnen... ich hab ihm gesagt, er solle sich zum Teufel scheren und ..." "Du hast ihn damit nicht umgebracht!", verneinte der Anwalt den Rest des Satzes ehe Jeremy ihn überhaupt sagen konnte. "Was hättest du denn tun wollen? Wieder zu ihm zurück?" "Nein!" Jeremys Stimme war voll Überzeugung. "Aber vielleicht hätte ich ihn hiervon abhalten können." "Hat er dir gedroht sich umzubringen?" "Nein...", gab der Tänzer zu. David schenkte ihm als Antwort nur einen triumphierenden Blick. Ihre Diskussion wurde von einem jungen Arzt unterbrochen. "Mr. Vanderveer?" David hatte sich um die Formalitäten gekümmert, ein Unding wie er fand, aber die Krankenhausbürokratie war unerbittlich. "Mr. Stone ist über den Berg. Sie haben ihn noch rechtzeitig gefunden." Sein Blick irrte zwischen Jeremy und David hin und her. "Wird er wieder gesund?" Der Arzt schaute den rothaarigen Mann an. "Sind Sie mit ihm verwandt." "Er ist mein Ex... er hat keine Familie, weder David noch ich sind mit ihm verwandt." Der Arzt schien einen Moment etwas perplex, weil Jeremy Alex als seinen Ex bezeichnet hatte, fing sich aber schnell wieder. "Nun, er wird heute wohl nicht mehr aufwachen, aber morgen können Sie ihn besuchen. Es gibt nicht mehr viel, was Sie für ihn tun könnten, also fahren Sie am besten nach Hause und ruhen sich etwas aus." "Vielen Dank, Doktor." nickte David. Der Arzt ließ sie allein. "Gehen wir?" Jeremy fühlte sich zunächst überhaupt nicht angesprochen, bis David ihn am Arm berührte. Er sah ihn etwas verstört an. "Gehen wir?" wiederholte der blonde Mann die Frage. "Ja..." Jeremy nickte langsam. "Bringst du mich nach Hause?" "Ja, aber zu mir." Jeremy lächelte schwach. "David, ich wäre heute sicher keine gute Gesellschaft... und Lust habe ich auch keine..." Der ältere Mann zog ihn zu sich und kam mit den Lippen ganz nah an sein Ohr. "Schockierende Neuigkeit: Ich denke nicht nur mit meinem Schwanz. Hab mal ein bisschen Vertrauen zu mir. Ich lasse dich heute Abend unter keinen Umständen allein. Vergiss es." flüsterte er ihm leise zu. Jeremy musste lachen, noch nie war er David für etwas so dankbar gewesen. Jeremy stand in Davids Küche mit einem Glas Milch in der Hand. Die weiße Flüssigkeit schwappte hin und her, so stark zitterte er immer noch. Am liebsten hätte er die ganze Zeit geweint. David kam aus dem Badezimmer hinüber und nahm ihm das Glas aus der Hand wie schon den Kaffee im Krankenhaus. "Meine Güte, du zitterst ja immer noch so heftig. Setz dich." Er führte Jeremy zu seinem Esstisch und zog ihm einen Stuhl zurecht. Dann füllte er ein neues Glas mit Wasser und reichte dem jungen Mann eine Tablette. "Was ist das?" "Ein Beruhigungsmittel, damit du schlafen kannst." "Ich nehme keine Medikamente." "Mach eine Ausnahme. Deine Nerven werden es dir danken." Jeremy gab auf und nahm die Tablette in den Mund bevor er das Glas ansetzte und sie hinabspülte. "Warum hast du so etwas im Haus?" "Für Notfälle, keine Angst, ich bin keiner von diesen Valiumjunkies." "Das hatte ich auch nicht erwartet..." Jeremy lächelte matt. "Magst du mir erzählen, was da genau zwischen dir und Alex vorgefallen ist, oder ist das zu privat?" Der Rothaarige seufzte. "Da gibt es nicht viel zu erzählen... wir haben uns vor zwei Jahren kennen gelernt, uns verliebt und eine wahrhaft turbulente Beziehung geführt... alles inklusive, sogar handgreifliche Streitigkeiten. Alex ist sehr labil, er hat Probleme mit Drogen... Alkohol... irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten... wir sind schon ein paar Monate auseinander, fast schon ein Jahr... noch bevor ich dich getroffen habe. Ich habe den Job in der Bar angenommen, um mehr auf eigenen Beinen stehen zu können.... ich hätte nie erwartet, dass er das tun würde..." Er hasste es immer wieder David anzulügen, aber er sah einfach keine andere Möglichkeit. "Mit so etwas rechnet man nie." "Sehr tröstlich..." "Du hast ihn schließlich gerettet." "Aber er hat das nur wegen mir getan!" Jeremy hob unbewusst die Stimme. "Ich bin schuld!" "Stopp! Den Schuh ziehst du dir gefälligst nicht an!", fuhr David dazwischen. "Du hast ihn nicht dazu getrieben, so etwas entscheidet man selbst. Er war labil, das hast du selbst gesagt! Du konntest nichts dafür! Oder hättest du zu ihm zurück gehen wollen?" "Nein!" "Na siehst du! Also hör auf dir dafür die Schuld zu geben, hast du mich verstanden?" "Wie redest du eigentlich mit mir?!" Der junge Mann wollte aufstehen, doch er hielt sich erschrocken an der Tischkante fest. "Mir wird... auf einmal so... schwindelig..." "Die Tablette wirkt, komm ich helfe dir." David schlang seinen Arm um Jeremys Hüfte, legte dessen Arm um seine Schulter und führte ihn in Richtung Schlafzimmer. "Himmel... was sind das... für Pillen....?", lallte er. "Welche, von denen du sehr gut schlafen wirst", lächelte David. Er half Jeremy ins Bett und dieser ließ sich einfach nach hinten kippen. David musste ihm Schuhe und Hose ausziehen und ihm auch aus dem Shirt helfen, bevor er den beinahe schlafenden Tänzer in eine bequeme Position bugsierte. Jeremy rollte sich unter der Decke zusammen. "Bleisu bei mir...?", wollte er wissen. David strich ihm sanft über den Kopf. "Ich bin die ganze Zeit bei dir. Keine Angst." "H...hab dich... lieb..." Der Anwalt starrte Jeremy fassungslos an. Was hatte er da eben gesagt? Lag das an der Tablette? Doch David musste sich etwas eingestehen: Es war ihm vollkommen egal. "Ich hab dich auch lieb..." Und das war keine Lüge. Jeremy war ihm ans Herz gewachsen und das nicht erst in den letzten Tagen, das wurde David jetzt schlagartig klar. Wie er so da lag, so schutzbedürftig. Er hatte ihn gern... daran bestand kein Zweifel. Als Jeremy am nächsten Morgen wach wurde war er erneut allein. Allerdings im Schlafzimmer, denn als er nur mit seiner Unterhose bekleidet in die Küche kam, um nach eventuellen Zetteln Ausschau zu halten, saß dort Chris mit einer Tasse Kaffee und lächelte ihn an. "Morgen." "Ähm... Morgen... wo ist David?" Chris lächelte immer noch und ignorierte vollkommen die Tatsache, dass Jeremy beinahe nackt vor ihm stand. "Er ist zur Arbeit gefahren, hat heute einen wichtigen Gerichtstermin. Aber er wollte nicht, dass du allein sein musst, also hat er mich gebeten hierher zu kommen." Jeremy war mehr als beeindruckt. Soviel hatte er von David dann doch nicht erwartet. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er nicht gerade viel Kleidung trug. "Ich...ähm... ich ziehe mich eben an... dann muss ich eh zum Krankenhaus." Chris nickte. "David hat mir gesagt, worum es geht. Ich begleite dich, wenn du magst." Der Rothaarige lächelte nur dankbar. Nicht nur das David ein toller Mensch war, er hatte auch noch wunderbare Freunde. Alex sah schon viel besser aus, als Jeremy sein Krankenzimmer betrat. Chris wartete draußen auf dem Flur auf ihn, damit er in Ruhe mit seinem Exfreund reden konnte. Alex schaute nach einem kurzen Blick auf Jeremy schnell wieder weg und musterte beschämt seine Bettdecke. Der Tänzer setzte sich auf die Bettkante. "Was machst du bloß für Sachen?" "Entschuldige...", er sprach leise, "Ich weiß selbst nicht warum ich das getan habe... ich hab mich so einsam gefühlt... ich hatte dich verloren... und... es sah so leicht aus, aber als ich die Tabletten geschluckt hatte..." Eine Träne lief ihm über die Wange. "...da habe ich Angst bekommen... ich wollte nicht sterben... und ich konnte mich nur an dich wenden..." "Ist ja gut..." Jeremy strich ihm sanft über den Arm. Er hatte den ganzen Weg hierher in sich hinein gehorcht, aber er war nicht wütend auf Alex, im Gegenteil. Er war unendlich froh, dass ihm nichts passiert war, egal was zwischen ihnen gewesen war. "Du musst schrecklich wütend auf mich sein..." "Nein, das bin ich nicht, ehrlich. Ich bin nur froh, dass wir dir helfen konnten." "Wir?" "David und ich", erklärte er. "Er hat deine Tür aufgebrochen und er hat auch die Nerven behalten, ich war fix und fertig deswegen." "Tut mir so leid..." "Tu so etwas nie wieder, okay?" "Nein!" sagte Alex bestimmt. "Ich will mich ändern! Ich will auch von den Drogen und dem Alk weg! Ich hoffe nur, dass ich das schaffe." Jeremy lächelte ihn an. "Zusammen schaffen wir das." Er hatte vorher mit dem Arzt geredet und dieser hatte ihm geraten, sich in nächster Zeit um den jungen Mann zu kümmern, um so das Risiko eines neuen Versuchs zu verringern. Außerdem hatte Alex psychologischer Betreuung zugestimmt. "Das heißt, du hilfst mir?" "Ja, aber nur unter einer Bedingung: Ich helfe dir als Freund. Wir sind kein Paar. Du weißt, dass ich etwas für David empfinde." "Ja", nickte Alex. "Ich weiß und ich akzeptiere das. Hauptsache ich bin nicht allein. Danke, Jeremy." Er sagte absichtlich nicht Baby. "Ich muss dann auch los, ich muss im Mighty bei der Inventur helfen, aber ich komme nachher noch einmal vorbei... eines noch." Er hob den Finger als habe er gerade einen Geistesblitz gehabt. "Ich vergesse was zwischen uns war, selbst die Sache mit dem Pornodreh damals, aber dafür verlange ich von dir, dass du Stillschweigen darüber hältst, was ich gemacht habe. David darf das nie erfahren, schwör mir das!" "Ich schwöre. Ich will nur, dass ich dich ab und zu sehen kann. Außerdem ist es für mich das Wichtigste, dass du glücklich bist." "Ich danke dir." Jeremy stand auf und gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Ich schaue nachher noch mal rein." Sie verabschiedeten sich und der Rothaarige verließ das Zimmer. Kaum war er draußen verschränkte Alex die Arme hinter dem Kopf und sein beschämter Gesichtsausdruck wich einem triumphierenden Grinsen. Das war besser gelaufen, als er erwartet hatte. Okay, die Sache mit den Tabletten war ein Risiko gewesen und zwar ein nicht zu unterschätzendes, und den Magen ausgepumpt zu bekommen war nicht das schönste Erlebnis seines Lebens gewesen, aber es hatte sich gelohnt. Natürlich war er das Problem David Vanderveer dadurch nicht los geworden, aber er hatte wieder einen Fuß bei Jeremy in der Tür. Und mit der Zeit würde er schon merken, wer wirklich zu ihm passte. Er würde Jeremy zurück bekommen und wenn es nötig sein sollte, mit allen verfügbaren Mitteln... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Hm... gerade mal dreizehn Seiten... dieses Kapitel ist etwas kürzer als sonst, aber es kann ja nicht immer soviel sein ^^ Der Punkt für eine Zäsur war hier eindeutig erreicht und ich denke, dass ich jetzt einen kleinen Zeitsprung machen werde, da meine Ideen etwas stagnieren und die Handlungsfäden, die ich plane nicht direkt an diese Ereignisse anknüpfen können ^^ Aber zumindest habe ich dann wieder viele Ideen *gggg* Mit Alex habe ich endlich auch ein richtiges Miststück in der Geschichte, der mit seiner Selbstmordintrige Jeremy nun wieder näher zu sich gezogen hat und natürlich Probleme bedeutet. Aber auch David hat hier einen großen Schritt getan, hat er sich doch eingestanden, dass er Jeremy gern hat. Abwarten was daraus wird ^^ Die Jason/Chris Szene war eine spontane Idee um das Kapitel etwas zu strecken *räusper* Aber im Nachhinein bin ich sehr stolz darauf ^^ Remember the promise you made macht vielleicht jetzt eine kleine Pause, da ich mich einem Projekt widmen will, das mir momentan nicht aus dem Kopf geht. Allerdings ist ja eine Sommerpause auch im Fernsehen nichts ungewöhnliches und diese dauert sicher nicht bis Herbst. ;-) Vielleicht dauert es diesmal ein oder zwei Wochen länger, bis es weiter geht, aber allzu lange nicht, da ich synchron zu diesem Kapitel auch schon das andere Projekt begonnen habe und es schon recht weit gekommen ist ^^ Ich hoffe ihr bleibt mir gewogen und wartet auch mal ein wenig länger auf das neue Kapitel... obwohl, das habt ihr ja schon getan als mein Baby krank war ;-) Ich denke mit dem anderen Projekt (das nur ein One-Shot wird) werden viele auch was anfangen können und dann geht es hier so schnell wie möglich weiter ^^ Ich wünsche euch allen wunderbare Ferien!!! Euer Uly ^^ Kapitel 23: Everybody wants a boy like Chris -------------------------------------------- "Auf uns!" David erhob sein Glas und alle Anderen taten es ihm nach. Es war ein ausgelassener Abend im "Barn Boys". Heute war die große Eröffnung und David hatte es mit Hilfe seiner Connections ("Ich kenne den Besitzer, wir haben mal gevögelt.") geschafft sogar eine Lounge zu ergattern. Der Club weckte das Ambiente eines großen Scheunengebäudes, alles sah aus wie frisch vom Bauernhof, nur der ländliche Geruch fehlte und die Kühe und Pferde waren künstlich. Auf der großen Tanzfläche in der Mitte des Clubs wurde ausgelassen getanzt, unterstützt von einer aufstrebenden Band namens "Cow and Chicken", von denen allerdings niemand außer Jeremy bisher etwas gehört hatte. Ihr Mix aus House und Country war aber durchaus unterhaltsam und passte prima zur Stimmung und zur vorgeschlagene Abendgarderobe: Wohin man schaute Cowboys. Die Lounges lagen ein wenig abseits der Tanzfläche und waren privater, es gab einen großen Tisch und bequeme Sofas, wenn man wollte konnte man sogar mit einem Vorhang das Geschehen auf der Tanzfläche ausblenden. Auch hier versprühte alles den Charme einer Ranch. David trug eine grobe Lederweste über dem nackten Oberkörper und einen Cowboyhut, ein sehr ungewohnter Look, aber es stand ihm. Sie waren heute Abend zu siebt: David hatte Jeremy mitgenommen (der aus Zeitgründen auf den Cowboylook hatte verzichten müssen und auf Jeans und T-Shirt ausgewichen war), Chris und Jason und letzterer hatte Ash und Sly eingeladen. Die Siebte im Bunde war Abby. Im Moment waren Ash und Sly aber Richtung Tanzfläche verschwunden (eine Aktion des Polizisten um Sly ein wenig abzulenken, Chris sah in seiner Cowboykluft, bestehend aus einem altmodischen weißen Hemd, das am Hals geschnürt wurde, und einer groben Wildlederhose, geradezu verboten gut aus). Selbst Jeremy amüsierte sich. Seit der Sache mit Alex waren über drei Wochen vergangen und sein Leben normalisierte sich allmählich wieder. Noch besser: David hatte ihm von selbst angeboten bei ihm zu bleiben, so lange Abby nicht da gewesen war, damit er nicht allein sein musste. Er hatte diese Tage unglaublich genossen, das Gefühl morgens neben David aufzuwachen und den Abend stets mit ihm zu verbringen hatte ihn überglücklich gemacht. Zudem hatte Alex seine Versprechungen wirklich erst gemeint. Er ging nun regelmäßig zu einem Therapeuten und hatte seitdem weder gekokst noch getrunken. Sie verstanden sich sogar wieder richtig gut und unternahmen immer mal wieder was zusammen. David erhob sich und rückte seinen Cowboyhut zurecht. "Ich geh mal schnell pinkeln." "Warte, ich komme mit!" Jason stand ebenfalls auf. "Also wirklich, Jungs, gemeinsam aufs Klo... das machen doch nur Mädchen!" grinste Jeremy über den Rand seines Glases hinweg, das er eben angesetzt hatte. "Vielleicht wollen wir mal ungestört über euch reden!" konterte David. "Ja, dann geht ruhig, wir lästern derweil auch über euch." Chris lehnte sich lässig zurück. "Dann viel Spaß!" lachte Jason und die Beiden verschwanden im Gedränge. Jeremy sah ihnen nach. "Sein Hintern sieht in dieser engen Jeans umwerfend aus..." "Ja", nickte Chris, "das ist wahr..." "Von welchem Hintern redest du?" "Welchen meintest du denn?" gab Chris zurück. Beide mussten lachen. Jeremy und Chris hatten sich in den letzten Wochen mehr und mehr angefreundet. Der Tänzer hatte das Gefühl, Chris wirklich vertrauen zu können, er strahlte so eine Freundlichkeit und Wärme aus. "Ja, ja... ihr habt euren Spaß..." Abby nippte an ihrem Drink und spielte etwas gelangweilt mit dem Zopf, den sie sich geflochten hatte. Auch sie trug einen Cowboyhut und dazu ein bauchfreies Top aus Wildleder und eine dunkle Jeans, die sie in ihre Stiefel gesteckt hatte. "Was denn, Abby? Amüsierst du dich nicht?" "Du bist gut, Jem! Schau dir das hier doch an! Lauter sexy Kerle und keiner von denen interessiert sich für mich. Die haben hier noch nicht einmal eine Damentoilette, was glaubst du wie die Jungs vorhin gejohlt haben, als ich mal musste." "Das ist schließlich ein Gay Club." "Na und? Du bist auch nicht schwul, hier muss es doch noch mehr Bi-Boys geben... na ja, bei einer solchen Auswahl an männlichem Frischfleisch würden selbst die mich übersehen..." Chris hörte den Beiden lächelnd zu. "Vielleicht magst du mit mir tanzen?" Abby sah ihn überrascht an. "Wirklich? Macht das nicht einen merkwürdigen Eindruck?" Der blonde Mann zuckte mit den Schultern. "Bin ich hier jemandem Rechenschaft schuldig, mit wem ich tanze? Außer du hast etwas dagegen, Jem." Mittlerweile hatte jeder aus der Clique Abbys Spitznamen für Jeremy übernommen. Dieser schüttelte den Kopf. "Nein, geht ruhig, damit Abby sich endlich amüsiert. Vielleicht kommen ja Sly und Ashton irgendwann wieder und David und Jason bleiben ja auch nicht ewig weg." Chris stand auf und verbeugte sich vor Abby. "Darf ich bitten?" Sie grinste und nahm seine Hand. "Aber gern, mein Herr." Jeremy lehnte sich zurück und sah zu, wie sie auf der Tanzfläche im Gedränge verschwanden. Konnte es sein, dass er wirklich mal vollkommen glücklich war? Ein tolles Gefühl... "Der Abend ist absolut gelungen, auch wenn nur du so einen Club auftun konntest!" lachte Jason, während er seinen Reißverschluss vor einem Pissoir öffnete. Zwischen den hängenden Toiletten waren keine kleinen Trennwände, auf Privatsphäre wurde hier nicht sonderlich viel Wert gelegt. Der ganze Raum sah aus, als wäre er aus Holz, auch wenn es bei genauerem Hinsehen Plastik war. Trotzdem kein Stilbruch. David stand neben ihm und hatte die Augen geschlossen. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Ausdruck von Erleichterung. "Ich finde dieses Cowboymotto wirklich heiß." "Ja... Chris sieht in diesem Aufzug wirklich... ich freue mich auf Zuhause, muss ich sagen." David grinste. "Warum? Lässt du dich dann von ihm einreiten?" Jason boxte ihm mit der freien Hand gegen den Oberarm. "Jiiieha, der wilde Hengst wird gezähmt!" feixte David unbeeindruckt weiter. "Dir geht es gut, was?" "Warum sollte es nicht?" bestätigte der Anwalt, nachdem er sein bestes Stück wieder in der Hose verstaut hatte. "Ich amüsiere mich und werde heute sicher noch großartigen Sex haben! Jeremy ist eine Granate, was der für eine Ausdauer hat! Von seiner Gelenkigkeit habe ich dir ja damals schon erzählt. Wusstest du, dass er sich selbst einen bla..." "So genau möchte ich ihn gar nicht kennen!" unterbrach ihn Jason, sie gingen zu den Wachbecken hinüber. "Aber das ist beeindruckend! Er hat mir das mal vorgemacht und..." "David! Aus! Böser Junge!" "Hey!" Der Anwalt stemmte die Hände in die Hüften. "Ich bin nicht Batman." grinste er. "Auch wenn ich eine Leine Zuhause habe. Und ein Halsband auf dem "Fuck me" steht." "Küsst du mit diesem Mund deine Mutter?" Zwei junge Männer betraten lachend die Toilette, einer von ihnen schenkte David im Vorbeigehen einen ziemlich eindeutigen Blick. Dieser lächelte ihn an und zwinkerte. "Was war das denn?" wollte Jason wissen, er wusch sich die Hände. "Was war was?" "Na das eben! Dieser Blick. Was der von dir wollte, war deutlich." "Ja und?" "Du bist mit Jeremy hier, schon vergessen?" "Und was heißt das?" fragte David "Soll ich jedem, der mich scharf findet, sagen: Bitte guck mich nicht an, ich bin mit jemandem hier? Wie peinlich ist das denn? Aber keine Angst, ich komme schon nicht auf die Idee wieder einen Anderen zu küssen." "Das will ich auch hoffen, ihr versteht euch doch gerade super, oder nicht?" "Ja, das tun wir." "Ich finde das toll, endlich hast du es über dich gebracht." "Über mich gebracht?" Der blonde Mann sah ihn verständnislos an. "Eine Beziehung einzugehen, das meinte ich." "Eine... Beziehung... ich meine, das ist doch keine..." "Doch!" Jason nickte unerbittlich. "Du triffst dich dauernd mit ihm, du schläfst nicht mehr mit anderen Männern. Sieh es ein, Junge!" Er klopfte David auf die Schulter. "Du hast eine Beziehung! Ich bin stolz auf dich." Er ging zur Tür. "Kommst du?" David schaute perplex aus der Wäsche, bevor er ihm endlich folgte. "Sly?" Keine Antwort. "Sly!" "Hm?!" Der junge Mann schaute Ash etwas verstört an, ganz so als wäre er gerade gewaltsam aus einem Traum gerissen worden. Der Polizist zog eine Grimasse. "Vergiss bitte nicht, dass du hier gerade mit mir tanzt. Du schaust ständig zu Chris rüber. Mach das gefälligst nicht so auffällig oder willst du wieder Ärger kriegen?" Natürlich hatte Sly Ash alles über Jasons Ausbruch im Krankenhaus erzählt und statt Mitleid einen Rüffel von seinem Exfreund bekommen. Ash war der Meinung, dass Sly sich so nicht benehmen durfte, wenn er weiterhin in Chris' Nähe sein wollte. Aber seitdem waren er und Jason bestens miteinander ausgekommen. "Ist ja gut... Er tanzt mit... wie hieß sie noch... Abby, oder?" "Ja, so heißt sie." "Vielleicht sollte ich ihn auffordern..." "Vielleicht solltest du besser mit deinem Kopf gegen Jasons Faust rennen, dann hast du es hinter dir. Aua!" Sly war ihm absichtlich auf den Fuß getreten. "Du bist eine große Hilfe, Coop! Wirklich!" "Wir sind zusammen hier und Jason und Chris sind zusammen hier. Wenn du ihn anschmachten willst, dann unternehmt allein etwas. So riskierst du nur Jasons Zorn, aber du musst ja nicht auf mich hören." "Ich höre ja auf dich...", lenkte Sly ein, er nahm deutlich den beleidigten Unterton in Ashs Stimme wahr und schließlich meinte er es ja nur gut und hatte zu allem Übel auch noch Recht. Er musste sich wirklich zusammenreißen, damit er nicht noch einmal einen solchen Ausbruch des Polizisten provozierte. Aber wenn er Chris so sah, wie sich seine Haare bewegten während er tanzte, die Anmut seiner Bewegungen, sein Lächeln, dieser Anblick war pure Magie. Magie, die in dem Augenblick verflog, da Jason auf der Tanzfläche erschien und Chris von Abby übernahm, mit perfektem Timing, denn gerade begann ein langsamerer Song. Und als er sah, wie sein Chris sich verliebt an Jasons Schulter schmiegte, musste er den Blick abwenden. Was eben noch pure Magie war, verwandelte sich in brutale Realität. Chris lag außerhalb seiner Reichweite. Ash schien den Grund für seine Niedergeschlagenheit zu spüren und führte ihn beim Tanzen so, dass er nicht mehr in Chris' Richtung sehen konnte. "Es tut mir leid...", flüsterte er ihm ins Ohr. "Und mir erst...", gab Sly zurück. Chris und Jason tanzten drei Songs hindurch miteinander, beide hatten schon lange nicht mehr so einen Spaß gehabt. Endlich machte sich die Übung im Tanzen, die Jason durch David erlangt hatte, bezahlt. Bei einer anderen Fähigkeit Jasons, die er mit David intensiv trainiert hatte, kam Chris zwar noch mehr auf seine Kosten, aber sein Tanzstil war auch nicht zu verachten. Plötzlich wurde der blonde Mann von jemandem angerempelt, der sich mühsam durch das Gedränge auf der Tanzfläche vorarbeitete. Er drehte sich um. "Entschuldigen Sie, ich wollte nicht...", begann der Andere, brach dann jedoch ab, als er sein Gegenüber erkannte. "Oh, hallo!" Chris lächelte, vor ihm stand der junge Mann aus der Videothek. "Hi... Colin, richtig?" Der Andere nickte. "Ja, genau." Er schaute etwas unsicher zwischen Jason und Chris hin und her, seine Wangen waren knallrot. "Warum glühen Sie so?" wollte Jason wissen. "Nun... ich... äh..." Er druckste herum. "Ich... Sie verraten doch niemandem, dass ich hier bin, oder?" Chris ging ein Licht auf. Er grinste breit. "Wie alt sind Sie, Colin?" "Sie können mich ruhig duzen... ich bin neunzehn..." "Und der Zutritt ist eigentlich erst ab einundzwanzig erlaubt, verstehe." beendete Jason den Satz. "Nun, ich denke es ist als guter Polizist meine Pflicht, dich festzunehmen." Wenn Colin vorher knallrot war, so wurde er nun kreidebleich. "Sie... sind... bitte nicht... ich..." Chris berührte ihn an Arm und kniff gleichzeitig Jason in die Seite. "Hey! Entspann dich. Er macht nur Spaß!" "Das heißt er ist nicht...?" "Doch, ich bin bei der Polizei, aber ich bin nicht im Dienst und ich war auch mal jung. Außerdem hab ich einen Bruder in deinem Alter." lachte Jason. "Also keine Panik, ich verhafte dich schon nicht." "Danke..." Colin liefen Schweißperlen über die Stirn. "Ich werde dann mal meine Freunde suchen, die sind hier irgendwo verschwunden." "Magst du dich nicht kurz zu uns setzen?" schlug Chris vor. "Jason wird dir als Wiedergutmachung für diesen Schock einen Drink ausgeben." Jason räusperte sich hörbar. "Eine Cola! Eine Cola, meinte ich natürlich!" berichtigte sein Freund so schnell er konnte, als würde er sich jetzt erst wieder daran erinnern, dass Alkoholgenuss erst ab einundzwanzig erlaubt war. "Ich weiß nicht..." "Ach komm, mir zuliebe. Schließlich seid ihr auch mittlerweile unsere Stammvideothek, sieh es als Kundenbetreuung." "Du solltest aufgeben", mischte sich Jason ein. "Es läuft sowieso darauf hinaus, dass man ihm den Wunsch nicht abschlagen kann, ich kenne das." "Hältst du mich etwa für manipulativ?" grinste Chris. "Aber nein, mein Schatz, niemals!" Colin musste lachen. "Also gut, ich komme mit, meine Freunde laufen mir schon nicht weg. Das ist übrigens ein cooler Cowboyhut, Mr. Cunningham." "Danke, aber nenn mich ruhig Jason, okay?" Colin nickte. Gemeinsam gingen sie in Richtung der Lounge. Colin lief vorweg, so dass Chris die Möglichkeit hatte, Jason einen triumphierenden Blick zu zuwerfen. "Zweifle du noch einmal an meinem Schwulenradar!" "Würde mir nicht im Traum einfallen." Etwa zur gleichen Zeit wie Jason (der Colin an der Bar noch eine Cola geholt hatte) und Chris kehrten auch Sly und Ash in die Lounge zurück, so dass die Clique jetzt wieder komplett war. Abby lächelte freudig, als sie Colin sah, der hübsche junge Mann schien ihr auf Anhieb zu gefallen. Chris übernahm das Vorstellen. "So, Colin, das sind." Er deutete der Reihe nach auf die Anwesenden. "Sly, Ashton, David, Jeremy und Abby. Das ist Colin, ein Bekannter von Jason und mir." "Hi...", sagte Colin etwas schüchtern. "Bekannter ist vielleicht etwas viel gesagt." "Setz dich doch!" Abby klopfte auf den Platz neben sich. "Hier ist noch was frei." Colin kam der Aufforderung nach und Jeremys Freundin rückte direkt etwas näher an ihn heran. Sie grinste hoffnungsvoll. "Bist du schwul oder bi?" "Abby!" Jeremy sah sie schockiert an, David allerdings fing an zu lachen. "Lass sie doch, ich würde das auch klären wollen." Colin erwiderte Abbys Lächeln und stellte eine Gegenfrage. "Warum willst du das wissen?" "Och..." Sie spielte mit einer Haarsträhne. "Nur so..." Ihr Gesicht verriet aber etwas anderes. "Tut mir leid, aber ich bin schwul", lachte Colin und Jason konnte nicht anders als zu bewundern, wie offen der Neunzehnjährige damit umging. Na ja, er war ja auch in einer Schwulenkneipe, da fiel das sicher nicht allzu schwer. Abby sackte in der Couch zusammen. "Ich bin verflucht... ich bin allein mit sieben tollen Männern und alle sind schwul... na ja, außer Jeremy." Alle mussten lachen. Colin schien sich schon viel wohler zu fühlen, er musterte Jeremy mit wachsendem Interesse. David bemerkte seinen Blick und legte demonstrativ den Arm um den Tänzer. "Hey, glaube ja nicht, dass ich deinen Blick nicht bemerke, aber mach dir keine Hoffnungen. Dieses Loch trägt meinen Namen." Jeremy drehte ihm langsam den Kopf zu. "Bitte?" "Etwa nicht?" Wieder war für allgemeines Gelächter gesorgt, auch Jeremy nahm den doch sehr dreisten Kommentar nicht übel, im Gegenteil, besser konnte es doch eigentlich gar nicht sein. David hatte so eben "Besitzansprüche" an ihm angemeldet und das war mehr als ein gutes Zeichen. Colin winkte ab. "Nein, ich wollte hier keine Avancen machen... eigentlich..." Er schaute Jeremy eindringlich an. "Kennen wir uns?" "Nicht das ich wüsste. Ich sehe dich heute das erste Mal." "Ich bin mir nicht ganz sicher... aber du kommst mir wahnsinnig bekannt vor... irgendwie..." "Du musst dich irren", widersprach Jeremy erneut. "Muss ich wohl..." Colin kratzte sich am Kopf, aber seine Augen zeigten klar, dass er die Sache noch nicht ganz hatte fallen lassen. Er wandte den Blick kaum von Jeremy ab und dachte offenbar angestrengt nach. "Wo habt ihr euch eigentlich kennen gelernt?" warf Ash ein. "Colin arbeitet in der Videothek in der wir öfter sind, er hat uns schon sehr gut beraten", erklärte Chris. "Er kennt sich prima mit Filmen aus." "Ach du Scheiße!" Alle schauten überrascht auf Jeremy, der jetzt erst zu registrieren schien, dass er das eben laut gesagt hatte. Er schlug verlegen die Augen nieder. "Entschuldigung, ich... ich dachte nur, dass ich vergessen habe, daheim den Ofen auszuschalten." "Wie kommst du denn darauf?" Abby sah ihn an, als habe er eine totale Meise. "Wir haben den Ofen zuletzt benutzt... haben wir ihn überhaupt schon einmal benutzt?" "Tut mir leid, ich weiß auch nicht, wie ich darauf gekommen bin." Damit war das Thema erledigt. Allerdings nicht für alle in der Runde. Chris beobachtete Jeremy genau, er war plötzlich viel weniger gelöst, er wich ständig dem Blick Colins aus und es wirkte, als wolle er regelrecht in den Polstern der Couch versinken, um ja nicht in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Selbst an seinem Drink nippte er höchstens flüchtig und nervös. Chris kannte diese Zeichen nur zu genau, für ihn stand fest: Jeremy hatte ein Geheimnis. Colin blieb eine knappe halbe Stunde bei der Truppe, bevor er sich wieder auf die Suche nach seinen Freunden machte. Kaum war er weg, entspannte sich Jeremy sichtlich, was aber niemandem außer Chris auffiel. Er fand aber keinen Moment um den Tänzer anzusprechen, sie waren nie allein. Und er war sich auch nicht wirklich sicher, ob er wirklich mit ihm reden wollte. Gegen Mitternacht erledigte sich die Angelegenheit dann von selbst, denn seine Aufmerksamkeit wurde auf etwas Anderes gelenkt: Testosteron. Und das gleich im Übermaß, vermischt mit einer guten Portion Alkohol. Die Protagonisten in diesem Stück waren sein Freund, David, Ash und ein mechanischer Bulle. Jeder der Drei war sich sicher, dass er es am längsten im Sattel der Rodeomaschine aushalten würde. Und keiner wollte von dieser Meinung abrücken und schon war eine heiße Diskussion im Gange. "Dich stecke ich doch locker in die Tasche, Army Boy!" David deutete mit dem Finger auf Ash. "Glaubst du? Und was bringt dich als Sesselpupser zu dieser Meinung, Mr. Anwalt?" "Strengt euch nicht an, Jungs! Wenn einer den nötigen Mumm dazu hat, dann wohl nur ich! Daran dürfte kein Zweifel bestehen, nicht wahr, Chris?" Jason zog den blonden Mann an sich und hielt ihn mit einem Ausdruck absoluter Überlegenheit fest. "Halte mich da raus, mein Lieber! Macht das unter euch Machos aus." "Hey! Du musst zu mir halten!" Chris befreite sich aus seiner Umarmung. "Nein, da musst du jetzt allein durch. Aber ich sage dir etwas." Er drehte sich um, schwang die Beine über Jason und setzte sich auf seinen Schoß. "Wenn du gewinnst..." Sein Finger glitt über Jasons Brust. "Dann bekommst du einen Kuss, dass dir Hören und Sehen vergeht." "Hört, hört!" grinste David. "Und wenn ich gewinne? Ich will auch einen Preis von dir." Er wollte Chris provozieren und necken, so wie er es immer gern tat. Chris schaute ihn an. "Dann bekommst du den Kuss." Damit hatte David nicht gerechnet. "Meinst du das ernst?" "Aber klar! Der Sieger bekommt einen Kuss von mir." Jason kniff die Augen zusammen. "Ich weiß nicht, ob mir das gefällt." "Ach, komm schon." Chris wusste nicht genau, ob es sein eigener Alkoholspiegel war oder einfach nur purer Übermut, aber das Spiel machte ihm mittlerweile Spaß. Er beugte sich ganz nah zu Jason, so nah, dass sich ihre Nasenspitzen berührten. "Schließlich gewinnst du doch sowieso... oder etwa nicht?" Sein Freund blickte ihm tief in die Augen. "Du wirst dich noch umgucken!" Er hob Chris von seinem Schoß und sprang auf. "Also los! Wer ist dabei?" David stand ebenfalls auf. "Ich mache dich fertig, wirst schon sehen." "Ich halte die Wette." Ash klopfte sich auf die Brust und funkelte Chris herausfordernd an, wohl weil er vermutete, dass der blonde Mann nicht unbedingt scharf darauf war, ihn zu küssen, doch der hielt seinem Blick mühelos stand. "Ich auch." Alle Köpfe ruckten herum. Sly stand mit verschränkten Armen da und lächelte. "Du?!" Jasons Stimme verbarg seine Überraschung und seinen Unglauben keineswegs. Und auch nicht einen Anflug von Ärger. "Also ich finde das mutig!" mischte sich Chris ein, um die Situation zu entspannen. "Außerdem: Viel Feind, viel Ehr, mein Schatz." Er küsste Jason auf die Wange. "So sehe ich das auch." Jeremy und Abby waren bisher still gewesen. "Das wird sicher spannend." "Ich fasse es nicht..." David hielt sich den Rücken, sein Sturz vom Bullen war trotz der gepolsterten Umgebung nicht gerade sanft gewesen. Die Maschine war ziemlich hart eingestellt und fing schnell an, heftig zu bocken, was es nahezu unmöglich machte, im Sattel zu bleiben. Zudem hatte man ja nur eine Hand zum Festhalten, die andere musste man hoch halten. Der Anwalt hatte knapp anderthalb Minuten auf dem Ungetüm durch gestanden. Ash war es nicht viel besser ergangen. Jason hatte es doch tatsächlich geschafft, zwei Minuten und fünfunddreißig Sekunden auf dem Rücken des "Tieres" zu bleiben. Er hatte siegessicher und mit einer Spur Überheblichkeit seinen "Preis" am Rand der Arena schon mal in den Arm genommen, Chris, Jeremy und Abby hatten die Jungs von dort aus angefeuert. Allerdings war ihm der Triumph im Halse stecken geblieben, ebenso wie seine bissigen Bemerkungen gegen Ash und David. Sly hatte sage und schreibe zwei Minuten und vierundfünfzig Sekunden zustande gebracht, eine beachtliche Leistung, das fand sogar der Moderator, der die Reitversuche der Gäste koordinierte. Das Gesicht des jungen Mannes glühte immer noch vor Anstrengung, aber seine Züge verrieten deutlich, wie stolz er darauf war, drei so gut trainierte Männer ausgestochen zu haben. "Wie konnte das bloß passieren...?" seufzte Ash. "Das kann ich euch verraten, Jungs!" Abby grinste breit. "Ihr hätte daran denken sollen, wie viel ihr schon gebechert habt! Meint ihr wirklich, eurem Gleichgewichtssinn tut das gut. Ihr musstet ja so angeben." Keiner der Drei sagte ein Wort, sie sahen ein wenig aus wie begossene Pudel, als sie mit hängenden Schultern in die Lounge zurück kehrten. Sly setzte sich etwas schüchtern auf seinen Platz und hielt den Blick gesenkt, er zuckte beinahe zusammen, als sich Chris plötzlich vor ihn stellte. "Hast du nicht etwas vergessen?" Sly schaute an Chris vorbei zu Jason, der ein sehr finsteres Gesicht machte. "Hör mal, Chris... das war doch nur Spaß... ich meine, du musst nicht..." "Doch, doch." Chris nahm seine Hand und zog ihn auf die Beine. Er lächelte. "Wettschulden sind Ehrenschulden, Sly. Und wie heißt es so schön? The winner takes it all!" Mit diesen Worten legte er seine Hand auf Slys Hinterkopf und schob ihn zu sich. Ihre Lippen berührten sich und schon fand sich Sly in einem Zungenkuss mit dem Mann seiner Träume wieder. David johlte. Doch für Sly blieb in diesem Moment die Zeit stehen, die Musik verebbte, sämtliche Gespräch verklangen, die Welt löste sich auf. Es gab nur noch Chris und ihn. Sein ganzer Körper fühlte sich an, als sei er elektrisch geladen. Er traute sich nicht, den blonden Mann zu berühren, auch wenn er es sich mehr als alles andere wünschte. Schließlich endete dieser Augenblick absoluten Glücks. Ihm war schwindelig. Chris löste sich von ihm. "Herzlichen Glückwunsch!" lächelte er, bevor er zu Jason zurück kehrte. Er setzte sich neben ihn und schmiegte sich wieder in seinen Arm. "Schau nicht so grimmig!" flüsterte er. "Du hast eben verloren." Jason sagte nichts, er musterte Sly nur mit wütendem Blick. Das eiskalte Wasser klatschte in Slys Gesicht. Seine Haut brannte wie Feuer, ihm war immer noch heiß. Kurz nach dem Kuss war er in Richtung Toilette geflüchtet, um einen Moment Zeit für sich zu haben. Er stand über das Waschbecken gebeugt. Das Wasser half ihm endlich sich abzukühlen. Er rieb sich mit den Fingern durch die Augen und kam wieder hinauf. Im nächsten Augenblick blieb beinahe sein Herz stehen. Als sein Blick den Spiegel traf, schaute er direkt in Jasons Augen, der hinter ihm stand. Eben war er noch nicht da gewesen und er hatte auch nicht die Tür gehört. "Jason... hi..." "Können wir reden?" Sly drehte sich um, er hatte plötzlich Angst. Mühsam zwang er sich, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. "Ja... klar, worum geht es...?" "Das weißt du genau." Der junge Mann hob abwehrend die Hände. "Hör zu, ich wollte nicht, das heißt ich war... bitte ich..." Er brach ab, aus diesem Gestotter würde sowieso nichts werden, das war ihm klar geworden. In Gedanken machte er sich mit der Vorstellung vertraut, gleich von Jason verprügelt zu werden. "Du musst keine Angst haben. Ich will nur etwas klären." Jason verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich habe dich bei dem Kuss beobachtet, aber ich möchte, dass dir klar ist, dass Chris darin nur einen Spaß im Zusammenhang mit der Wette gesehen hat, nicht mehr und nicht weniger. Ich habe nichts dagegen, wenn ihr euch trefft, auch nicht allein. Schließlich wollt ihr ja auch zusammen zur Schule gehen. Aber ich warne dich: Du darfst gern für Chris schwärmen, das verstehe ich sogar zu gut, aber komm ja nicht auf die Idee, dich zwischen ihn und mich schieben zu wollen. Wenn du das tun solltest... ich glaube du weißt, wovon ich rede." "Ja...", sagte Sly leise. "Gut." Der Polizist nickte. "Außerdem bist du gar nicht sein Typ. Chris wünscht sich jemanden, der für ihn da sein kann, der die Kraft hat, ihn zu beschützen. Und dieser Typ Mann bist du ja nun nicht unbedingt, was?" Er klang verächtlich. Für einen Augenblick erschien ein Anflug von Reue in seinen Augen, angesichts der Art wie Sly bei seinen Worten in sich zusammen sackte, aber die Eifersucht gepaart mit dem Alkohol unterdrückten seine normale Freundlichkeit. Er ließ Sly stehen und verließ die Toilette ohne ein weiteres Wort. Der Abend endete dann sehr bald. Die Clique verstreute sich, David bestellte ein Taxi, das Abby nach Hause brachte, Jeremy würde bei ihm übernachten, Sly spielte den Chauffeur für Ash und Chris und Jason nahmen ebenfalls ein Taxi. Während Chris sich daheim im Bad fertig machte, lag Jason auf dem Bett und zappte durch die Kanäle des kleinen Fernsehers auf der Kommode. "Bist du eigentlich sauer auf mich?" fragte Chris vom Bad aus. "Warum sollte ich denn wütend auf dich sein?" "Na ja..." Er kam ins Schlafzimmer hinüber und schaltete das Licht aus. Batman war bei den Nachbarn untergebracht und sollte erst am nächsten Morgen abgeholt werden. Die Sheltons hatten selbst lange Jahre einen Hund gehabt und wenn Chris und Jason mal ausgehen wollten, nahm sich das ältere Ehepaar gern des schon ein ganzes Stück gewachsenen Welpen an. "Ich habe eben das Gefühl... du warst im Club so still und während der Taxifahrt auch. Ich habe ein total schlechtes Gewissen, weil ich mich so habe hinreißen lassen. Ich will nicht, dass du mich für ein Flittchen hältst oder so." Chris nutzte den Begriff Flittchen in Ermanglung eines besseren Wortes. "Ach, rede doch nicht so einen Quatsch!" Jason schaltete den Fernseher aus. "Ich denke, dass wir uns mittlerweile so gut kennen, dass du eine solche Angst nicht zu haben brauchst." "Schon, ja..." "Ich gebe es ja zu, mir hat der Anblick nicht gefallen, aber ich glaube, es sind viel mehr meine eigenen Gefühle, die mich verstört haben..." Chris kuschelte sich zu ihm unter die Decke. "Wie meinst du das?" "Nun... ich halte mich eigentlich für einen vernünftigen Menschen, aber als ich dich da mit Sly gesehen habe... ich hatte das Bedürfnis ihn umzubringen! Ich war so sauer plötzlich, ich wäre am liebsten dazwischen gegangen! Und das David so gejohlt hat, war das Allerletzte, auf ihn bin ich auch irgendwie sauer..." "Und auf mich nicht? Ich habe das Ganze doch initiiert. Also müsstest du doch auf mich am meisten wütend sein." Jason zog ihn in seinen Arm. "Möchtest du mit mir streiten? Klingt beinahe so." "Nein, natürlich nicht. Ich will nur nicht, dass du auf andere sauer bist, wegen einer Sache die von mir ausging. Vor allem wegen Sly." "Keine Angst, ich stelle mich schon nicht quer, was Sly angeht. Ich mache dir keine Probleme, du weißt, dass ich dir vertraue." "Das freut mich... ich fand den Abend nämlich wirklich schön." "Ich auch. Und wegen Sly ist sowieso alles in Ordnung, er und ich hatten ein klärendes Gespräch auf der Toilette." Jason verschwieg absichtlich seinen abschließenden Kommentar, dessen er sich mittlerweile sehr schämte. Er hatte sich hinreißen lassen. Chris hob misstrauisch die Augenbrauen. "Nein, nicht wie du denkst. Ich bin nicht brutal geworden, keine Angst. Ich habe ihm einfach nur gesagt, dass ich nichts dagegen habe, wenn ihr befreundet seid." Chris ließ es dabei bewenden. Ihm ging etwas Anderes nicht aus dem Kopf. "Sag mal... kam dir Jeremy heute Abend nicht auch komisch vor?" "Nein, eigentlich nicht." Jason schien zu überlegen. "Doch, vielleicht in dem Moment als David diesen Satz mit dem Loch, das seinen Namen trägt, losgelassen hat. Er schien sehr erfreut darüber, dass David so Besitz ergreifend ist. Die Beiden sind ja sowieso schon fast so etwas wie ein Paar, das habe ich David auch gesagt, als wir auf dem Klo waren. Er war total perplex. So etwas schafft nur er, eine Beziehung haben, ohne es zu merken..." Er lachte leise. "Na ja, das meinte ich eigentlich nicht..." "Was meintest du denn dann? Es ist fast zwei Uhr nachts, sprich nicht in Rätseln." Chris schmiegte sich in seinen Arm. "Ich meine den Moment, in dem Colin bei uns war. Jeremy schien richtig Panik zu haben, nachdem Colin gesagt hat, dass er ihn kenne. Und dann diese merkwürdige Reaktion, als ich erzählt habe, dass Colin in einer Videothek arbeitet." "Glaubst du nicht, dass du da etwas viel hinein interpretierst?" "Nein!" Chris schüttelte den Kopf, wobei seine Haare über Jasons Brust strichen. "Er hatte definitiv Angst. Er ist fast in der Couch verschwunden, das habe ich mir nicht eingebildet. Er verbirgt etwas." "Na und? Wer tut das nicht?" "Ach? Verbirgst du etwas vor mir?" fragte Chris mit einem lauernden Unterton. "Nein!" lachte sein Freund. "Aber außer David weiß auch niemand um deine Vergangenheit, also solltest du es vielleicht gut sein lassen." "Vielleicht sollte ich aber lieber noch einmal mit Colin reden." "Deine Neugier ist unmöglich, mein Engel! Du solltest deine Nase aus dem Leben anderer raus halten." "Wenn du meinst..." Chris klang nicht unbedingt überzeugend. Für Jason war das Thema damit aber erledigt. "Wollen wir schlafen?" "Okay." Chris schob sich ein Stück hoch und gab Jason einen Kuss, bevor er sich aus der Umarmung löste und sich umdrehte. Jason löschte sein Nachttischlicht und Beide kuschelten sich unter die Decke. "Gute Nacht, mein Engel." "Schlaf gut." Bald schon atmete der Polizist ruhig und gleichmäßig, bevor er leicht anfing zu schnarchen. Chris fand keinen Schlaf, nicht etwa wegen Jasons Schnarchen, sondern weil ihn der Gedanke an Jeremy nicht losließ. Hatte Jason Recht? Sollte er die Sache einfach auf sich beruhen lassen und nicht weiter nachforschen? Oder sollte er seiner Neugierde nachgeben und Colin aufsuchen? Vielleicht konnte der junge Verkäufer Licht in die Angelegenheit bringen. Es konnte doch genauso gut sein, dass er sich geirrt hatte und Jeremy gar nicht kannte. Wenn dem so wäre, dann machte er sich jetzt gerade vollkommen umsonst Gedanken. Also wäre es wohl das Beste, sich einfach mal zu erkundigen, das konnte doch nichts schaden. Mit diesem Beschluss fand auch Chris endlich in den wohlverdienten Schlaf. David stand auf dem Balkon seines Apartments und schaute auf das nächtliche San Francisco hinaus. Jeremy lag im Bett und schlief bereits tief und fest, aber er selbst konnte nicht einschlafen. Ihm gingen zu viele Gedanken durch den Kopf. Die meisten drehten sich um Jasons Worte in der Toilette. "Du hast eine Beziehung". Hatte er wirklich eine Beziehung? Jason hatte Recht, er traf sich in letzter Zeit ausschließlich mit Jeremy, sie gingen ins Kino, sie aßen zusammen in Restaurants, er konnte stundenlang mit Jeremy reden und sie hatten großartigen Sex. Und als dieser Colin Jeremy so interessiert gemustert hatte, hatte er automatisch das Bedürfnis gehabt, den Tänzer als seine Begleitung zu verdeutlichen, damit der junge Mann sich keine Hoffnungen machte. Aber das war doch eigentlich keine Beziehung... doch, es war eine. David seufzte. Plötzlich war ihm gar nicht mehr so wohl zumute. Auch in einem anderen Teil der Stadt fand jemand keine Ruhe. Sly saß in Ashs Wohnzimmer allein in der Dunkelheit und fixierte das Glas, das vor ihm stand. Durch das Fenster fielen die Lichter der Stadt ein und die braune Flüssigkeit funkelte ein wenig. Der Scotch schien ihn regelrecht zu rufen, ein wenig wie bei "Alice im Wunderland". Trink mich... trink mich... Das Licht wurde eingeschaltet. Ash stand in der Schlafzimmertür und kratzte sich verschlafen an der Seite. Seine Shorts waren etwas hinab gerutscht und saßen auf seinen Hüften. "Was machst du hier... kannst du nicht schlafen?" "Nein... ich sitze schon fast eine Stunde hier..." Ash kam näher und in diesem Moment streifte sein Blick das Glas. Er wurde blass. "Sly! Sag, dass das nicht wahr ist! Bitte nicht!" "Dreh nicht durch, ich habe nichts getrunken." "Hauch mich sofort an!" Er beugte sich zu Sly hinüber. "Ach, sei nicht albern!" Sein Freund atmete ihm ins Gesicht. "Du weißt, dass ich längst anders drauf wäre, wenn ich getrunken hätte." "Was soll das denn hier sonst werden? Du hockst vor einem Glas Scotch und brütest vor dich hin? Ist das deine Version eines Himmelfahrtskommandos?" "Geh doch einfach wieder schlafen..." "Davon träumst du!" Ash riss das Glas an sich, ebenso die Flasche, die daneben stand, und ging mit beiden Sachen ohne ein weiteres Wort in die Küche. Kurz darauf hörte Sly, wie der Scotch in die Spüle ausgegossen wurde. Als der Polizist ins Wohnzimmer zurückkehrte, flackerte Wut in seinen Augen. "Was hast du dir dabei gedacht, verflucht noch mal?! Spinnst du?!" "Hör auf mich anzuschreien!" "Ich schreie dich aber an!" brüllte Ash. "Du bist nun schon so lange trocken!" Er kam näher, Sly hatte sich erhoben. "Was sollte diese Aktion, antworte endlich!" "Hör auf zu brüllen!" "Antworte!" Wahrscheinlich hörte man Ash noch drei Stockwerke tiefer, er kochte vor Wut. "Das geht dich nichts an!" Ashtons Hand klatschte in Slys Gesicht, die Ohrfeige war so hart, dass sie den Kopf des jungen Mannes zur Seite warf. Er hielt sich die Wange. Ash senkte den Blick. Man konnte Reue darin lesen und er seufzte leise. "Was machen wir hier...?" "Ich weiß nicht..." Sly hatte Tränen in den Augen, seine Wange brannte wie Feuer. "Es tut mir leid..." Ash trat einen Schritt heran und schloss seinen Freund in die Arme, dieser erwiderte die Umarmung zunächst nicht. "Entschuldige, dass ich so ausgerastet bin... ich hab doch nur Angst um dich." Endlich legte auch Sly zögerlich seine Arme um Ash. "Ich bin ja nicht unschuldig." "Warum hast du das gemacht?" "Ich weiß es selbst nicht genau..." "Dem Himmel sei Dank, dass du nicht getrunken hast." Der blonde Mann löste sich von ihm und führte ihn in Richtung Couch. Sie ließen sich nieder. Sly vergrub das Gesicht in den Händen, rieb sich mit den Fingern durch die Augen. "Vielleicht habe ich gedacht, es könnte mir helfen... aber ich habe es nicht übers Herz gebracht, das Glas anzusetzen." "Warum bist du überhaupt auf die Idee gekommen?" Ash legte den Arm um ihn und zog ihn ein wenig an sich. Sly sank in diese Umarmung, sie gab ihm das Gefühl von Halt. "Es ist wegen Chris..." Der Polizist knurrte. "Allmählich glaube ich, dieser Typ ist Gift für dich. Du solltest dich von ihm fern halten. Oder vielleicht sollte ich mal ein Wort mit ihm reden!" "Nein!" Sly erhob sich ruckartig aus Ashs Arm. "Lass das bitte. Er kann doch gar nichts dafür!" Er stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. "Es ist doch nicht so, dass er etwas Böses wollte, ich glaube, die ganze Sache heute im Club war nur ein Spiel für ihn, aber für mich war es mehr! Als er mich geküsst hat," Er blieb stehen und gestikulierte etwas hilflos mit den Armen, auf der Suche nach der richtigen Formulierung, "das war wie eine Offenbarung. Ich habe mich wie im siebten Himmel gefühlt, es war einfach wundervoll. Absolut unglaublich! Aber dann ist er wieder zu Jason gegangen... das war beinahe unerträglich..." Er schluchzte, seine Worte erstickten in den Tränen, die sich ihren Weg bahnten. Ash stand auf und nahm ihn erneut in den Arm. "Beruhige dich erst einmal... ich glaube ich weiß, was du brauchst." Wenig später wusste Sly, wovon sein Freund gesprochen hatte. Das war eine Aktion, wie sie nur Ash einfallen konnte. Es zwar fast drei Uhr nachts und was taten sie? Sie saßen in Ashtons Badewanne, Kerzen brannten, es duftete nach Schaumbad und auf dem Wannenrand standen zwei Tassen mit heißer Schokolade. Alles Dinge, die Sly über alles liebte, besonders Schaumbäder und die heiße Köstlichkeit mit den vielen Kalorien. Sly saß vor Ashton, zwischen dessen Beinen. Sie hatten eine ganze Zeit lang überhaupt nicht gesprochen, Sly hatte nur mit verschlossenen Augen vor sich hin gebrütet. "Du bist unglaublich...", brach er schließlich das Schweigen. "Warum?", fragte Ash. "Ich muss doch morgen nicht raus und du auch nicht. Also wo liegt das Problem bei einem nächtlichen Bad?" "Glaubst du, das löst meine Probleme, Coop?" "Nein, aber es entspannt dich. Apropos." Er legte seine Hände aufs Slys Schultern und fing an, ihn zu massieren. "Du bist hart wie ein Brett." Sly stöhnte genüsslich, während der Polizist seine verhärteten Muskeln knetete, Ash konnte das wirklich gut. Plötzlich schob er sich ein Stück von ihm weg und drehte sich um. "Was ist los? Habe ich dir weh getan?" Sly schüttelte den Kopf und schaute Ash direkt in die Augen. "Sei mal ehrlich: Bin ich attraktiv?" "Was soll denn diese Frage? Natürlich bist du das!" lächelte Ash. "Attraktiver als Jason?" Ash zögerte. "Na ja... man kann euch nicht unbedingt vergleichen, ihr seid ziemlich unterschiedliche Typen." "Genau!" Sly deutete abrupt mit dem Finger auf seinen Freund, der ihn verdutzt ansah. "Genau das ist der Punkt! Ich bin ein anderer Typ! Das hat Jason auch gesagt. Ich bin eher der Typ Schwächling!" "Das hat er gesagt?! Ich glaube, ich muss mal mit ihm reden." "Nein!" Sly winkte ab. "So hat er das nicht gesagt, aber er meinte, Chris braucht einen Mann, der ihm Schutz bieten kann." "Wann hat er das gesagt?" Der brünette Mann machte eine abwertende Geste. "Auf der Toilette, nachdem Chris mich geküsst hatte, aber das ist doch jetzt egal!" Er hatte sich richtig in Fahrt geredet. "Was wichtig ist, ist das er mir gesagt hat, was Chris braucht! Einen starken Typen! Es ist wie bei uns! Du warst immer der starke Beschützer und ich der Schwächling! Schau mich doch an!" Er klopfte sich auf die Brust. "Wo Jason harte Muskeln hat, hab ich nur eine Hühnerbrust! Wo er knallharte Bauchmuskeln hat, hab ich einen schwabbeligen Bauch! Ich bin einfach nicht der Beschützertyp!" "Und weiter? Das muss doch nicht sein. Du bist auch so liebenswert und attraktiv!" "Aber eben nicht für Chris!" "Dreht sich die Welt nur um diesen Mann?" Ash klang leicht genervt. "Nein, aber meine schon! Ich will, dass er erkennt, dass ich auch etwas zu bieten habe!" Slys Stimme war voller Enthusiasmus. "Du bist schizophren, eben noch zu Tode betrübt, jetzt Himmelhoch jauchzend!" lachte Ash. "Vielleicht bin ich das, aber ich habe auch einen Entschluss gefasst! Gleich morgen werde ich mich bei einem Fitnessstudio anmelden. Wäre doch gelacht, wenn ich das nicht hinkriegen würde. Bisher hatte ich nicht den Antrieb dazu, aber wenn es einen Waschbrettbauch braucht, um an Chris heran zu kommen, dann ziehe ich das durch! Ich meine nicht, dass er oberflächlich ist, aber ich liege so schon sehr mit ihm auf einer Wellenlänge, wenn ich dazu noch ein starker Beschützer sein kann, soll sich Jason warm anziehen! Ich werde das Geld für das Studio schon irgendwie zusammen kratzen!" "Ich bezahle es dir." Es gefiel Ash, seinen Freund so überschwänglich zu sehen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob ein Waschbrettbauch die Patentlösung war, aber bis Sly den erreicht hatte, würde sowieso noch eine ganze Zeit vergehen. "Was? Nein, das kann ich nicht annehmen!" Sly schüttelte entschieden den Kopf. "Klar, kannst du, ich hab schließlich genug Geld. Und ich gehe auch die ersten paar Male mit dir und zeige dir alle Übungen. Das wird schon, wenn du es durchhältst." "Danke, Coop!" Sly warf sich in seine Arme, das Wasser spritze über den Rand. Ash drückte ihn an sich. "Für dich tue ich das gern. Schließlich bist du doch mein Sly. Und Trainieren ist um einiges besser als Trinken, soviel steht fest." "Danke..." Er gab Ash einen Kuss auf die Wange. Und er spürte außerdem noch etwas Anderes. "Kannst du dich nicht beherrschen? Wolltest du etwa nur deswegen mit mir baden?" "Nein, meine Absichten waren vollkommen edel, aber ich habe dir doch gesagt, du bist attraktiv!" grinste Ash. Slys Hand glitt unter Wasser über den Waschbrettbauch des Polizisten zu seinem Schritt hinab. "Wenn ich Chris erobert habe, ist damit aber Schluss." "Dann sollte ich es wohl genießen, du weißt nämlich genau, was mir gefällt." flüsterte Ash, bevor er Sly küsste. Draußen prasselte der Regen gegen die Fensterscheiben. Dicke graue Wolken hingen über San Francisco und verschütteten ihren Inhalt schon seit den frühen Morgenstunden. Jason hatte sich bereit erklärt, bei dem Hundewetter eben diesen Gassi zu führen, auch wenn sich Batman nicht unbedingt begeistert zeigte. Chris hatte dafür versprochen, zusätzlich zu den Frühstücksbrötchen auch noch Jasons Lieblingsdonuts (die mit der Erdbeerfüllung) vom Bäcker um die Ecke mitzubringen. Es war ihm ein Rätsel wie das hatte passieren können, aber er hatte doch tatsächlich den falschen Bus (wobei er nicht einmal hätte Bus fahren müssen...) bestiegen und war vor der Videothek gelandet. So ein Zufall, das Leben ging manchmal seltsame Wege. Chris grinste breit und drückte die Tür auf, um endlich dem Dauerregen zu entfliehen. Jetzt musste er nur noch soviel Glück haben, dass Colin heute arbeiten musste, was angesichts seiner Partylaune am Vorabend nicht ganz sicher war. Aber ein Blick hinter den Tresen am Eingang beruhigte ihn. Dort stand er, frisch wie der Frühling. Scheinbar war es in seinem Alter egal, ob er eine ganze Nacht durchgefeiert hatte oder nicht (Chris hatte zu der Zeit ja nicht unbedingt ein normales Leben geführt). Er sah so gut aus wie immer und lächelte erfreut, als er Chris erkannte. "Mr. Fairgate, was für eine Überraschung." "Guten Morgen, Colin. Übrigens war das Angebot mit dem Vornamen nicht nur auf gestern Abend beschränkt. Wir sind ja oft genug hier." Colin lächelte und nickte nur. "Was kann ich für Sie tun? Filme fürs Wochenende?" Chris druckste ein wenig herum. "Nein... eigentlich... nun, ich wollte über gestern Abend mit dir reden." "Habe ich mich irgendwie daneben benommen? Ich hatte schon ein oder zwei Drinks... ich meine... natürlich... ich... ach, Scheiße." Er wurde rot. "Vergiss es, ich bin weder bei der Polizei, noch jemand der viel Wert auf Regeln legt, man sollte sich auch mal amüsieren." "Ich mache so etwas so gut wie nie, aber ich wollte diesen Club unbedingt sehen. Und das ich dann auch noch Ricky Blue kennen lernen konnte, war einfach genial. Schade, dass ich ihn nicht um ein Autogramm gebeten habe, das wäre was gewesen. Aber mir ist leider erst heute Morgen eingefallen, woher ich ihn kannte." Chris kratzte sich am Kopf. Der junge Verkäufer hob einen Stapel mit DVDs hoch. "Würde es Ihnen etwas ausmachen? Ich muss ein paar Neuerscheinungen einräumen." "Aber nein, kein Problem." Der blonde Mann half ihm tragen. Erst als sie an einem halbleeren Regal ankamen und Colin begann, die DVDs einzusortieren, nahm er das Gespräch wieder auf. "Diesen Ricky Blue kenne ich nicht, aber ich wollte eigentlich mit dir über Jeremy reden." Colin sah ihn verständnislos an. "Ja, das sagte ich doch, Ricky Blue." Der Blick, den er erntete, war schon nicht mehr verständnislos, sondern eher total perplex. "Also allmählich komme ich nicht mehr mit. Ich rede von dem jungen, rothaarigen Mann, der bei uns in der Lounge saß, von Jeremy." "Von dem rede ich auch!" bestätigte Colin. "Er heißt in seinen Filmen Ricky Blue. Das müssten Sie doch wissen. Er hat es echt drauf." "Filme? Er hat es drauf? Entschuldige, aber jetzt verstehe ich nur noch Bahnhof und Abfahrt. Wovon redest du?" "Kommen Sie mal mit." Colin deutete ihm zu folgen. Auf dem Weg durch die Videothek redete er weiter. "Wissen Sie, es ist etwas peinlich, aber ich schaue mir eben manchmal solche Filme an, wenn ich hier abends nichts zu tun habe, unter der Woche ist oft nicht viel los. Ich hab im Moment keinen Freund, von daher..." Er grinste. Chris konnte nicht behaupten, dass er jetzt mehr verstand. Die Führung endete in der durch einen Vorhang abgetrennten Erwachsenenabteilung der Videothek. Hier gab es überlebensgroße Pappaufsteller von barbusigen Blondinen in Lack und Leder und jede Menge Filme mit klangvollen Namen und teils wirklich verstörenden Bildern auf dem Titel. Colin blieb vor einem Regal stehen, das mit "Gay Movies" betitelt war, es war das einzige dieser Art, die anderen waren wohl auf Heteros zugeschnitten. "Wir haben nicht so viele Schwulenpornos, aber es sind ein paar echt gute dabei und die Besten sind meiner Meinung nach von Ricky Blue. Am liebsten mag ich die, in denen er mit Jessie zusammen spielt, die beiden sind ein heißes Paar... entschuldigen Sie, ich klinge hier wie ein perverser Pornofetischist." Er grinste etwas verlegen. Chris war viel zu verwirrt, um darauf einzugehen. Der junge Mann zog eine DVD aus dem Regal. "Hier. "Cock Raider" ist einer von Rickys ersten Filmen. Aber er ist wirklich gut." Chris traute seinen Augen kaum. Auf dem Cover war ein Mann mit schwarzen Haaren, die er zu einem Pferdschwanz gebunden hatte. Man konnte ihn glatt für eine männliche Version von Lara Croft halten. Er trug ein hautenges, an vielen Stellen zerrissenes hellblaues Oberteil und braune, extrem kurze Hotpants. Um seine Hüften lag ein Halfter für Pistolen. Eine steckte, die Andere hatte er in seiner rechten Hand, wie schussbereit auf die Kamera gerichtet. Und in seinem linken Arm hielt er niemand anderen als Jeremy, der sich, bis auf einen knappen Lendenschurz vollkommen nackt, an ihn presste. Unter dem Schurz trug er auch nichts, denn der männliche Lara Croft Verschnitt hatte seine Hand unter dem "Kleidungsstück" und entblößte so einen Teil von Jeremys Hintern. Die Rückseite war nicht besser. Neben einem reißerischen Text, der die Vorzüge des Hengstes von einem Titelhelden, "Lance Cock" (dargestellt von Jessie Blue), anpries, fanden sich hier einige Fotos die unter anderem diesen Jessie Blue und Jeremy zeigten. Chris konnte hier mehr von Jeremy sehen, als er jemals hatte sehen wollen, viel mehr und das aus wirklich beeindruckend vulgären Blickwinkeln. "Ist Ihnen nicht gut?" Chris musste wohl ziemlich blass geworden sein. Er blickte etwas verwirrt auf. "Äh... nein... nein, alles okay... könnte ich... könnte ich den wohl ausleihen?" "Aber klar, kein Problem." nickte Colin. "Danke..." Chris war fassungslos. Mit so etwas hätte er niemals gerechnet. Wie war das gleich noch? Das Leben ging manchmal seltsame Wege... Als er daheim ankam, war Jason noch nicht wieder da. Die Videothek lag nicht weit von ihrem Viertel entfernt und mit dem Bus waren es gerade mal fünf Minuten. Der Regen hatte immer noch nicht aufgehört. Chris warf seine nasse Jacke über den Garderobenständer, trocknete sich die Haare ab und zog eine trockene Hose an, bevor er sich ins Wohnzimmer vor den Fernseher setzte und die DVD einlegte. Es gab keinen Zweifel, das war Jeremy, in voller Lebensgröße und zwar am ganzen Körper. Beachtliche Ausstattung... was denk ich da?! Pfui, Chris, pfui! Diese Situation war so grotesk, dass er tatsächlich grinsen musste. Als er den Schlüssel in der Haustür hörte, schaltete er den DVD-Player aus und ging in den Flur. Man konnte schlecht sagen wer mehr einem begossenen Pudel ähnelte, Jason oder Batman. Der kleine Welpe störte sich daran aber keineswegs, sondern flitzte mit dem Schwanz wedelnd und freudig bellend auf Chris zu. Dieser machte den großen Fehler, in die Hocke zu gehen und wenige Sekunden später war er schon wieder nass, diesmal von Batman. "Was für ein Wetter. Aber Batman hat es gar nicht mehr gestört. Erst wollte er gar nicht weg, dann wollte er nicht mehr zurück. Aber du glaubst gar nicht, wie viele junge Frauen einem hinterher schauen, wenn man mit einem Hund unterwegs ist." Er grinste und rieb sich durch die nassen Haare. "Warum bist du so still?" Chris kraulte gedankenverloren durch Batmans nasses Fell. "Schatz?" Endlich schaute er auf. "Hm?" "Gab es meine Donuts? Ich glaube, die habe ich mir verdient." "Deine... oh je..." Jason verschränkte die Arme vor der Brust. "Sag nicht, dass du sie vergessen hast. Ich habe mich so darauf gefreut." "Nein... ähm... ich." Er stand auf. Batman stellte sich an seinem Bein auf die Hinterpfoten und wedelte erwartungsvoll, bis Chris sich noch einmal hinab beugte und ihn auf den Arm nahm. Bald würde er dafür zu schwer werden. "Um ehrlich zu sein... ich war nicht in der Bäckerei, ich hatte es vor, aber ich habe es vergessen." "Lass mich raten: Die Videothek?" "Du kennst mich zu gut... bist du böse?" "Nein, ich hatte es eigentlich fast erwartet, aber ich hatte gehofft, du bringst mir trotzdem Donuts mit!" lachte Jason. "Und? Hat Colin dir tolle Erkenntnisse gebracht?" "Das kann man sagen, aber du musst es dir selbst ansehen. Komm mal mit." Er führte seinen Freund ins Wohnzimmer und schaltete den DVD-Player wieder ein, indem er auf die Resume-Taste drückte. Augenblick erfüllte wieder Stöhnen den Raum und Jeremy setzte seinen wilden Ritt auf Lance Cock fort. Jason klappte die Kinnlade herunter. Er starrte fassungslos auf den Bildschirm. "Ist das... oh, mein Gott..." "Jeremy alias Ricky Blue. Colin hat ihn wieder erkannt, weil er sich hin und wieder Pornos anschaut und unser Jeremy scheint einige Filme auf dem Kerbholz zu haben." Jason ließ sich in einen Sessel fallen. "Ich fasse es nicht... du und deine Spürnase. Noch etwas, was ich an dir niemals unterschätzen sollte. Schon mal über eine Karriere bei der Polizei nachgedacht?" "Ich weiß nicht, ob ich das witzig finden soll, Jason. Was machen wir jetzt? Ich wette, David weiß davon nichts." "Das denke ich auch. Aber was willst du machen? Ihm alles sagen? Das wäre nicht fair... oder?" "Glaubst du, es würde David etwas ausmachen?" Jason seufzte. "Ich weiß es nicht... ich kann ihn da so schlecht einschätzen. Ich meine, er ist nicht gerade prüde, aber so etwas." "Na ja..." Chris setzte Batman ab. "Er ist doch nur ein Pornodarsteller, kein Stricher oder so." Er lächelte etwas schief. "Aber ich verstehe Jeremy irgendwie... ich würde auch nicht unbedingt wollen, dass das heraus kommt." "Du meinst also, wir behalten es für uns?" Jasons Stimme klang zweifelnd. "Ich bin dafür, ja. Sieh es doch mal so. Die Beiden sind ein wunderbares Paar und endlich scheint David sich langsam in eine Beziehung einzufinden. Wollen wir das wirklich in Gefahr bringen, nur weil Jeremy ein paar Schmuddelfilme gedreht hat? Er benutzt da sogar ein Kondom, also glaube ich nicht, dass in dieser Richtung was zu befürchten ist. Wir dürfen nichts sagen." "Ich fühle mich nicht gut dabei, meinen besten Freund anzulügen." gab Jason zu Bedenken. "Wir lügen nicht. Nichts zu sagen ist doch keine Lüge." "Da legst du dir die Tatsachen aber sehr so aus, wie du sie brauchst." "Aber ich habe Recht, das kannst du nicht leugnen." Jason strich sich durch die Haare und schaute an Chris vorbei auf den Bildschirm. Er hatte David und Jeremy gestern beobachtet. Die Beiden waren wirklich ein schönes Paar. Und sollte so ein Ausrutscher das alles kaputt machen? Die Entscheidung lag klar auf der Hand. "Ja, du hast Recht." Das nicht weit entfernt von ihm gerade seine Vergangenheit den Mantel des Verschleierung abgestreift hatte konnte Jeremy nicht ahnen, als er die Augen aufschlug und herzhaft gähnte. Er war allein, die Seite neben ihm war sogar unbenutzt. Etwas verwundert blickte er sich um. Es war doch Samstag, David musste nicht arbeiten. Wo war er also? Der junge Tänzer schwang die Beine aus dem Bett und machte sich auf die Suche. Im Badezimmer war niemand. Im Wohnzimmer wurde er fündig. David lag ausgestreckt auf der Couch und schlief. Jeremy beugte sich lächelnd über ihn und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. Im nächsten Moment bekam er eine Kopfnuss. David zuckte zusammen, riss den Kopf nach oben und knallte mit seiner Stirn mit voller Wucht gegen die von Jeremy. Der Tänzer geriet aus dem Gleichgewicht und fiel rückwärts über den Couchtisch, David selbst landete hart auf dem Boden, er war von der Couch gefallen. Wenige Minuten später saß Jeremy in der Küche und presste einen Eisbeutel auf seine Stirn. David stand an der Arbeitsfläche um Kaffee zu kochen. "Was war denn das für ein Auftritt? Seit wann bist du so schreckhaft?" "Tut mir leid, was kann ich dafür? Ich rechne doch nicht mit einem Überfall." Jeremy schnaufte. "Einen Überfall nennst du das also. Ich habe dich wach geküsst. Möchte mal wissen, ob Dornröschen ihrem Prinzen auch eine Kopfnuss gegeben hat. Warum hast du überhaupt auf der Couch geschlafen? Habe ich geschnarcht?" David drehte sich nicht um, es schien ihm etwas unangenehm zu sein. "Nein, hast du nicht. Ich habe nicht schlafen können und war etwas im Wohnzimmer... zum Nachdenken." Er reichte Jeremy eine Tasse mit Kaffee, nachdem dieser den Eisbeutel weg gelegt hatte. "Und dabei muss ich wohl auf der Couch eingeschlafen sein." "Du hast nachgedacht? Worüber? Über die Arbeit? Hast du einen schwierigen Fall am Hals?" "Nein..." Er hatte etwas Kaffee verkleckert und wischte den Fleck mit dem Rücken zu Jeremy weg. "Eigentlich... um ehrlich zu sein. Wir haben uns in letzter Zeit so häufig getroffen und soviel miteinander unternommen... meinst du nicht auch, dass es an der Zeit wäre, dass wir uns auch mal mit Anderen treffen?" Mit einem lauten Knall zersprang die Kaffeetasse auf dem Küchenfußboden. Das braune Getränk breitete sich auf den Fliesen aus, vermischt mit den blauweißen Splittern des ehemaligen Gefäßes. Jeremy saß mit einem fassungslosen Blick auf seinem Stuhl. "Sag mir bitte, dass ich mich gerade verhört habe." "Was denn? Ich habe doch nur eine normale Frage gestellt." David hatte sich erschrocken umgedreht. "Warum willst du dich mit Anderen treffen? Diese Frage ist der Todesstoß jeder Beziehung, weißt du das?! Was um Himmels Willen habe ich getan, dass du mit mir Schluss machen musst?!" David gestikulierte etwas hilflos. "Jeremy, um Schluss zu machen muss man doch erst einmal eine Beziehung haben." Die Miene des jungen Tänzers war auf einmal wie versteinert. "Sei froh, dass ich die Tasse habe fallen lassen, bei Gott, ich würde sie dir jetzt am liebsten an den Schädel schmeißen!" "Sag so etwas nicht." "Ich meine es aber so! Was bildest du dir eigentlich ein?!" Er sprang auf. "Warum regst du dich so auf?!" David wurde ebenfalls laut. "Das fragst du noch?! Weißt du, wie das klingt?! Genüge ich dir nicht?! Ich dachte, wir hätten eine Beziehung!" "Ich weiß nicht, wie du darauf kommst! Wir hatten Spaß zusammen, das ist alles. Warum willst du unbedingt daraus etwas machen, was nur alles zerstört!" "Warum hast du diese beschissenen Bindungsängste?!" "Ich habe keine Bindungsängste!" meckerte David. "Ich weiß nicht, wie du darauf kommst! Aber ich habe auch nicht vor, mir von dir in mein Leben hinein reden zu lassen!" Jeremys kampflustig erhobene Schultern sackten herab. "Okay... das reicht!" Er drehte sich auf dem Fuß um und stürmte ins Schlafzimmer. Ohne ein weiteres Wort begann er, seine Klamotten vom Boden aufzuheben, wo David sie, stürmisch wie immer, am Vorabend verteilt hatte. David blieb im Türrahmen stehen. "Jeremy, komm schon..." "Nein!" Nachdem er in seine Hose gestiegen war, fixierte er David erneut, diesmal mit Tränen in den Augen. "Halts Maul, David! Bitte! Sei einfach still! Ich habe genug! Ich habe genug von dem Eiertanz, stets darauf bedacht, dich nicht zu verschrecken! Weißt du, wie viel Mühe ich mir in den letzten Wochen gegeben habe, dich nicht zu bedrängen! Ich war so glücklich, dass es so gut mit uns lief! Ich habe wirklich gedacht, dass ich dir etwas bedeute! Aber du denkst immer nur an dich! An dich und deine gottverdammte Freiheit! Du bist ein Egoist! Die letzten Wochen waren traumhaft für mich, aber das war alles nur eine Illusion! Und ich habe endgültig genug davon. Ich habe genug davon, mir Hoffnungen zu machen und dann wieder nur enttäuscht zu werden. Du wirst dich nie ändern und ich habe es satt, darauf zu warten!" Er zog sich sein Shirt über den Kopf. "Das eben hat mir gezeigt, was ich von dir zu halten habe! Lebe dein Leben weiter, bleib allein, meinetwegen für immer! Kultiviere deine Bindungsangst, am besten stellst du deine Gefühle vollkommen ab, dann geht es dir sicher am besten! Fick wen du willst, aber lass mich in Ruhe!" Inzwischen rannen ihm Tränen über die Wangen. "Ich hätte dir deine Entschuldigung nach dem Casting um die Ohren hauen sollen oder am besten schon den Blumenstrauß ganz am Anfang, dann wären mir sogar beide Enttäuschungen erspart geblieben und ich würde mich nicht so schrecklich fühlen! Komm ja nicht auf die Idee, noch einmal bei mir vorbei zu kommen! Und ich werde Abby sagen, dass ich ihr die Freundschaft kündige, sollte sie dir helfen! Ich will dich nicht mehr sehen... ich... ich wünschte... ich könnte dich hassen..." Seine Stimme erstickte in den Tränen. Er rannte mit gesenktem Blick aus dem Zimmer und Sekunden darauf knallte die Wohnungstür zu. David blieb allein zurück. Er rutschte am Türrahmen hinunter und blieb am Boden sitzen. Jetzt hatte er, was er wollte. Er hatte solche Panik gehabt, nachdem ihm Jason bescheinigt hatte, dass er mit Jeremy eine Beziehung führte. Das war das Letzte, was er wollte, keine Beziehung, nicht nach... Eigentlich müsste er sich doch von einer Last befreit fühlen, frei von der Angst. Aber warum fühlte er sich dann so mies? Am gleichen Nachmittag arbeitete Chris im International House of Pancakes. Obwohl die Kette über die gesamten Staaten verteilt war, war jedes Restaurant für sich einzigartig. Die Filiale in der Chris arbeitete, verströmte den Charme eines Landhauses. Zwischen den Tischen standen Grünpflanzen, die Einrichtung bestand komplett aus hellem Holz mit weißen Tischdecken und gediegener Dekoration. Chris stand an der Durchreiche zur Küche und wartete auf eine Bestellung. Er fühlte sich immer noch nicht ganz wohl bei dem Gedanken an das, was er an diesem Morgen heraus gefunden hatte, aber eigentlich war es ja seine eigene Schuld. Wäre er nicht so neugierig gewesen und hätte seine Nase aus Dingen heraus gehalten, die ihn eigentlich nichts angingen, so hätte er jetzt sein Gewissen nicht belasten müssen. Natürlich konnte er nicht ahnen, dass sich die ganze Angelegenheit wenige Stunden zuvor vielleicht endgültig mit dem Geräusch einer zuschlagenden Wohnungstür erledigt hatte. Und noch weniger konnte er ahnen, welche Überraschung dieser scheinbar vollkommen normale, verregnete Samstag im November noch für ihn bereit hielt. Eine Überraschung, die sein Leben nachhaltig verändern sollte. Der Bote des Ganzen war niemand anderes als Sarah Brown, seine Kollegin, die sich mit der Arbeit im IHoP ihr Philosophiestudium finanzierte. Sie kam zur Durchreiche, als gerade ein Teller mit Blaubeerpfannkuchen und Sahne aus der Küche heraus gegeben wurde. "Die Bestellung für Tisch zehn!" rief Kenneth, einer der Köche, herüber. "Das ist dein Tisch, Sarah." Die junge Frau schüttelte den Kopf. "Nein, Chris. Eigentlich ja, aber der Kunde am Tisch will von dir bedient werden. Er hat eindeutig darum gebeten, von Christopher Fairgate bedient zu werden." "Bitte? Was soll das?" "Keine Ahnung, aber mach dir keine Gedanken." Sie zuckte mit den Schultern. "Sieht süß aus, außerdem trägt er einen ziemlich teuren Anzug, Armani würde ich sagen, sehr edler Zwirn. Mach schon, sonst wird das Essen noch kalt." Chris nickte und machte sich mit dem Teller auf den Weg, ein wenig mulmig war ihm schon. An Tisch zehn saß ein brünetter Mann in seinem Alter. Sah wirklich nicht schlecht aus. Gut gebaut, soweit man das durch den tatsächlich sehr edlen Anzug erkennen konnte. Moderner Kurzhaarschnitt, der sehr gut zu seinem markanten Gesicht mit den braunen Augen passte. Er lächelte, als er Chris mit dem Teller herankommen sah. "Ihre Bestellung, Sir. Einmal Blaubeerpfannkuchen mit Schlagsahne. Guten Appetit." "Vielen Dank, Chris." Er hatte eine angenehme Stimme, aber trotzdem war diese Vertrautheit Chris ziemlich unangenehm. "Sir, ich glaube nicht, dass wir uns so gut kennen, dass Sie mich Chris nennen sollten. Genau genommen kennen wir uns gar nicht." "Oh doch." Er lächelte immer noch. "Und du bist noch schöner geworden, wenn ich das sagen darf." Chris stemmte die Hände in die Hüften. "Ich glaube, ich gehe jetzt besser." Der Mann erhob sich. "Bitte nicht, ich habe dich zu lange gesucht, um dich jetzt weglaufen zu lassen." "Allmählich werden Sie mir unheimlich. Hören Sie, mein Freund ist Polizist, also kommen Sie nicht auf dumme Gedanken." "Erkennst du mich wirklich nicht?" Er klang leicht belustigt. "Nein, das tue ich nicht. Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich habe zu arbeiten, das Essen trägt sich nicht von allein an den Tisch, auch wenn Sie sicherlich nicht allzu viel Erfahrung mit der Arbeit eines Kellners haben." "Du bist ja immer noch schnippisch, wenn du nervös wirst." "Hören Sie auf damit. Ich weiß nicht wer Sie sind oder was Sie wollen, aber mir reicht es jetzt, ich..." "Dallas, 27. Juli 1992. An diesem Tag habe ich dich das letzte Mal gesehen. Ich war damals fünfzehn, also kann ich verschmerzen, dass du mich nicht mehr erkennst." unterbrach er ihn lächelnd. Chris konnte nicht anders als den anderen Mann mit offenem Mund anzustarren. Es dauerte einen Augenblick, bis sein Gehirn die Informationen verarbeitet hatte, das Ganze war einfach zu unwirklich. Doch es gab nur eine logische Erklärung für die Identität des fremden Mannes, dessen Augen bei Chris' Anblick regelrecht vor Freude leuchteten. "D... Dave?", stieß Chris hervor. Der Andere nickte nur. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ *grins* Ich wette, jetzt werden einige erst einmal "zurückblättern" *lol* Sowie Dave nicht erwartet, dass Chris sich an ihn erinnert, kann ich wahrscheinlich nicht erwarten, dass man sich an ihn erinnert, denn sein Auftritt in der Geschichte war bisher sehr dürftig *lol* Damit die Suche leichter fällt: And the walls came tumbling down, Kapitel 4, gegen Ende, die Rückblende auf Chris' Jugend und den Bruch mit seinem Vater. Daves Rückkehr war nie geplant, aber in den letzten Monaten hat sich ein Handlungsstrang in meinen Kopf gedrängt, für den er die ideale Besetzung ist und nach dem wie bereits angedeutet nichts mehr so sein wird wie zuvor. ^^ Der Beginn in dem Club entstand wahrscheinlich durch eine Überdosis Dallas und die Szene mit dem mechanischen Bullen in Desperate Housewives. ^^ Special Guest Star dieses Kapitels ist Colin, dessen Nachname übrigens Shephart ist. Ich habe lange überlegt, auf welche Art und Weise Chris (das er es sein würde stand fest) hinter Jeremys Geheimnis kommen sollte, ich denke die Lösung ist annehmbar realistisch ^^ In diesem Kapitel werden zum ersten mal seit langem wieder viele Plots auf einmal aufgegriffen, Slys Liebe zu Chris, Jasons Eifersucht, Jeremys Vergangenheit und nicht zuletzt die Wendung der Geschehnisse zwischen David und Jem. Ich hoffe, das kommt nicht zu abrupt, bitte bedenkt den Zeitsprung zum letzten Kapitel, ich lief Gefahr auf der Stelle zu treten. Ich denke, so ist es schon annehmbar ^^ Das Kapitel hat auch wieder die gewohnte Länge, stolze 18 Seiten, selbst ohne das Nachwort, damit sollten die gerade mal 6000 Worte des letzten Kapitels gesühnt sein *g* ... übrigens weiß ich sehr wohl, dass dieses Kapitel erst nach dem geplanten One-shot erscheinen sollte, aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt ;-) ... ich sollte mich mit Ankündigungen wohl eher zurückhalten, ich scheine ein Problem mit dem Einhalten zu haben *lol* Kleine Anmerkung zum Abschluss: Zum ersten Mal sind fast alle momentanen Hauptakteure in einer Szene versammelt. Nur Alex und Eve fehlen, wobei letztere auch eigentlich nicht zum Stamm der Hauptdarsteller gehört. Der Name der Band entstammt der genialen Trickserie "Cow and Chicken", der Titel des Kapitels ist von "Everybody wants a girl like Susan", dem Titelsong der letzten Staffel von "Suddenly Susan" (bei uns kurz "Susan") abgeleitet, beides findet man in Deutschland leider nur im Nachtprogramm bei Pro7 bzw. RTL. Schluss mit Gequatsche (ist ja auch schon 01.55 Uhr *gähn*) und bis zum nächsten Kapitel ^^ Eure Labertasche Uly ^^ Kapitel 24: A rainy day in paradise ----------------------------------- Ulyaoth gewidmet - er wird wissen warum ^^ Chris starrte den anderen Mann mit einer Mischung aus Entsetzen und vollkommener Fassungslosigkeit an, bis dieser die Arme öffnete und ihn einfach an sich zog. "Ich bin so froh, dass ich dich endlich gefunden habe!" Chris stolperte ein paar Schritte zurück und fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung durch die Haare. "Ich... ich muss... arbeiten..." "Das lässt sich ändern", grinste Dave. "Miss!" Er winkte Sarah heran. "Ich muss Ihnen ihren Mitarbeiter für einige Zeit entführen, würden Sie wohl für... sagen wir... Tausend Dollar Trinkgeld seine Tische für heute übernehmen." "Was?!" kam es von Sarah und Chris wie aus einem Mund. Dave achtete nicht darauf und zog aus seiner Brieftasche wie selbstverständlich tatsächlich Tausend Dollar. Er reichte die Scheine an Sarah weiter, die sie nur ungläubig musterte. "Vielen Dank... Sir..." "Keine Ursache, mein Schatz, schließlich haben Sie mir ja Chris hergeholt. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar. Und jetzt komm, Chris, hol deine Sachen, wir fahren ein bisschen herum und reden. Ich warte auf dem Parkplatz auf dich." Damit lächelte er Chris zu und verließ das Restaurant, seinen Pfannkuchen hatte er nicht angerührt Sarah schüttelte den Kopf. "Chris, Chris... du bist zu beneiden. Dein Freund ist ein fleischgewordener Traumtyp und jetzt kommt ein weiterer süßer Typ mit einem Haufen Geld um dich auf einen Ausflug mitzunehmen... ich muss etwas falsch machen..." Sie räumte den Teller ab und ging zurück Richtung Küche, in ein leises Selbstgespräch vertieft. Chris stand einfach da und schaute auf den nun verwaisten Platz vor sich. Was war denn gerade eigentlich passiert? Jeremy wanderte ziellos durch die Stadt. Der Regen hatte wieder an Intensität zugenommen und der junge Mann war mittlerweile bis auf die Haut durchnässt. Aber so richtig wahr nahm er die eisige Kälte, die sich durch seine Kleidung fraß, nicht. Er fühlte sich wie abgestumpft, als würde er neben sich stehen. Er wusste schon nicht mehr, ob die Tropfen in seinem Gesicht seine Tränen oder der Regen waren. Sein Blick war vollkommen verklärt, ständig rempelte er Passanten an, die durch das Unwetter eilten. Einige schimpften hinter ihm her, aber er hörte sie nicht. Warum musste er immer so dämlich sein? Hatte er wirklich erwartet, dass David sich änderte? Er hatte es ja nicht besser verdient, wenn er diesem Egoisten ständig hinterher rannte, wie ein liebestolles Schoßhündchen. Aber vielleicht war es ja seine Schuld! Vielleicht war er einfach nicht gut genug für David. Jetzt fror er doch. Noch schlimmer: Der erste Gedanke, der sich in seinen Kopf drängte, war der an die wunderbare Wärme von Davids Umarmung. So konnte das nicht weitergehen. Jeremy blieben stehen und schaute in die Wolken hinauf. Der Regen prasselte ihm direkt ins Gesicht und prickelte auf seiner Haut. Es gab nur eine Lösung für sein Problem... Chris stockte er Atem, als er auf den Parkplatz hinaustrat. Direkt an der Tür wartete ein Mann in der typischen schwarzen Uniform eines Chauffeurs, um ihn mit einem Schirm zu einer großen, dunkel lackierten Limousine zu führen. Er hielt ihm die Tür zum hinteren Bereich des Fahrzeugs auf und wartete, bis Chris eingestiegen war, bevor er sie wieder schloss und selbst vorn Platz nahm. Die Fahrerkabine war durch eine mit einer Holzverkleidung umgebenen dicken Scheibe vom hinteren Teil abgetrennt. Dieser erinnert eher an einen Ballsaal denn an ein Auto. Es gab schwarze Ledersitze und Platz für mindestens acht Leute, einen Fernseher, eine Minibar und außerdem noch einen Computer. Dave saß lächelnd auf einem der Plätze und nachdem Chris hinein gekommen war, hob er den Hörer eines Telefons ab und drückte ein paar Knöpfe. "Fahren Sie los, Silvio. Das Ziel ist egal, fahren Sie ein bisschen durch die Stadt." Der Chauffeur nickte nur, er drehte sich nicht einmal um. Dave legte wieder auf und wandte sich Chris zu. Dieser schaute sich immer noch voller Bewunderung um. Hier in der Kabine hörte man weder den Straßenlärm noch das Geräusch des Motors, stattdessen erklang leise Musik aus den Lautsprechern, die überall angebracht waren. "Jeez, Dave, hast du diesen Wagen extra für mich gemietet?!" "Nein", der andere Mann schüttelte den Kopf. "Das habe ich nicht. Er gehört mir." "Was?!" Chris schlug die Hand vor den Mund, das war etwas laut gewesen. "Überrascht?" "Das trifft es nicht so ganz..." "Um deiner Verwirrung ein Ende zu bereiten: Ich war in den letzten zwölf Jahren nicht untätig und ich hatte einiges Glück an der Börse, zudem hatte ich ein Händchen für die richtigen Kapitalanlagen und mittlerweile ist mein Vermögen recht beachtlich. Aber lass uns nicht darüber reden, das klingt so prahlerisch." Chris sank im Sitz zusammen. Dieser geradezu unanständige Luxus gehörte Dave! Das konnte doch nicht wahr sein. Sie waren so lange befreundet gewesen, sie hatten schon im Sandkasten miteinander gespielt (wenn auch nicht so intensiv wie später) und nun? Dave Jerrod, der unscheinbare Junge von nebenan schien plötzlich zu so einer Art Bruce Wayne mutiert zu sein, umwerfend aussehender Multimillionär... fehlte nur noch, dass sie gerade auf dem Weg in die Batcave waren. Und was war er? Chris Fairgate, der die ganze Zeit etwas auf Dave herab gesehen hatte, wurde nun von diesem von seinem Kellnerjob abgeholt, mit dem er sich ein Mindestgehalt und etwas Trinkgeld verdiente. Plötzlich war ihm schlecht. "Ist dir nicht gut? Willst du ein Soda? Ich hab auch Scotch oder Whisky. Wenn du willst, auch Champagner." "Nein...", Chris winkte ab. "Danke, das ist genug Luxus für einen Nachmittag." "Wie geht es dir, Christopher?" "Lass das!", zischte Chris, etwas heftiger als nötig. "Ich will nicht so genannt werden!" "Warum? Hast du einen anderen Namen angenommen?" "Nein! Aber ich will nicht Christopher genannt werden! Nenn mich bitte Chris, Christopher hat mich mein Vater genannt..." "Wie du möchtest, Chris." "Was tust du hier?" Chris fühlte sich plötzlich sehr unbehaglich. Dave war ein Teil einer Welt, die hinter ihm lag, die er auch nicht wieder betreten wollte. Aber hatte diese Welt wirklich aus Luxuslimousinen bestanden? Er registrierte, dass er wesentlich kühler klang, als er eigentlich wollte, ein automatischer Schutzreflex. "Das klingt, als wärest du nicht sonderlich erfreut, mich zu sehen." "Ich habe nur nicht damit gerechnet... es hat sich soviel verändert..." "Ja, du bist noch schöner geworden..." Chris zuckte zusammen und blickte zu Boden. "Habe ich etwas Falsches gesagt?" "Nein... danke... ich meine nur... sag so etwas bitte nicht, ja?" "Bekommst du nicht gern Komplimente?" lächelte Dave. Chris bemühte sich, ihm direkt in die Augen zu sehen, warum sollte er einen Hehl um die wichtigste Tatsache in seinem Leben machen? "Doch, aber eher von meinem Freund." Dave antwortete zunächst nicht, aber etwas in seinem Blick veränderte sich, als er diese Worte hörte. Er schien auf einmal nicht mehr so selbstsicher, als hätte er plötzlich den Kurs verloren, den er eigentlich hatte einschlagen wollen. "Du hast einen Freund?" Das war eher eine Feststellung als eine Frage, sein Tonfall verriet das. "Ja, seit etwas über sechs Monaten. Wir sind sehr glücklich." Warum hatte er das gesagt? Chris wusste es selbst nicht so genau, aber er hatte plötzlich das Bedürfnis verspürt, sich zu rechtfertigen und deutlich sein Glück zu betonen. "Das freut mich." Das klang sogar ehrlich. "Du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet. Was treibt dich nach San Francisco? Hast du genug von Dallas?" "Oh", Dave lehnte sich zurück. Der Wagen hielt an einer Ampel und das Trommelgeräusch des Regens wurde etwas lauter. "Ich war in den letzten Jahren kaum in Dallas. Meine Eltern wohnen jetzt in Florida. Ich habe eine Wohnung in Boston. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Du bist der Grund, weswegen ist hier bin." "Ich...?" Der andere Mann nickte nur. "Du hast es mir nicht leicht gemacht, ich habe ein ganzes Heer von Privatdetektiven auf deine Spur gesetzt, aber dich nach den ersten Monaten in New York zu verfolgen, war wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Ich weiß bis heute nicht alles genau, was damals war, aber irgendwann habe ich deine Fährte wieder aufnehmen können. Hier in San Francisco war es dann kein größeres Problem mehr, dich aufzuspüren." "Das klingt beängstigend, weißt du das? Als wärst du ein Stalker!" Dave lachte leise. "Nein. Natürlich wollte ich dich auch wieder sehen, aber das wichtigste war, dass ich dich für deine Familie finde." Von einer Sekunde auf die andere verwandelte sich die Atmosphäre in der Limo für Chris von unangenehm auf unerträglich. "Ich möchte aussteigen!" "Was?!" Chris hämmerte heftig gegen die Trennscheibe. "Hey! Anhalten." Der Fahrer wandte sich verdutzt um, die Scheibe war isoliert, aber Chris schlug heftig dagegen. "Chris!" "Er soll anhalten! Verdammt! Ich will aussteigen!" Dave seufzte und drückte auf einen Knopf. Ein paar Sekunden später fuhr der Wagen rechts ran und hielt. Ohne groß darüber nachzudenken, riss Chris die Tür an seiner Seite auf und sprang aus dem Wagen. Die Limousine hatte auf Höhe einer kleinen Parkanlage gehalten, wie es Dutzende in der Stadt gab. Es war kaum jemand auf der Straße. Immer noch regnete es in Strömen. Chris war regelrecht in Panik, er rannte einfach vom Auto weg. Nur einen Augenblick später folgte ihm Dave. "Chris, bleib stehen!" Erst ein ganzes Stück in der Parkanlage holte er ihn ein und griff nach seinem Arm. Chris riss sich mit einer wütenden Bewegung los. "Fass mich nicht an! Lass mich einfach in Ruhe!" Die Beiden standen sich im prasselnden Regen gegenüber, Chris' Haar klebte an seinem Kopf, er zitterte am ganzen Körper. "Chris, bitte..." "Nein!" brüllte der blonde Mann, so laut, dass Dave ein wenig zusammenfuhr. "Was bildest du dir eigentlich ein?! Wer gibt dir das Recht dazu, mir so etwas anzutun?! Du kommst hierher, nach zwölf verdammten Jahren und willst mich in ein Leben zurückschleppen, dass ich um jeden Preis der Welt vergessen will! Ich werde niemals, hörst du, niemals zurück nach Dallas gehen! Ich habe keine Familie mehr! Du glaubst nicht, wie oft ich meinem Vater den Tod gewünscht habe!" "Dein Vater ist tot." Chris drehte sich um und schaute auf die Büsche am Wegesrand, deren Blätter durch den Regen in einen wilden Tanz versetzt wurden. Dave trat hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Diesmal wehrte der blonde Mann sich nicht. "Ich sollte mich jetzt besser fühlen...", sagte er leise. "Es tut mir leid..." "Mir nicht... er war ein Arschloch..." "Was hat er dir nur angetan?" Chris wandte sich um und schaute in Daves Augen, die ehrliches Mitgefühl widerspiegelten. "Willst du mich immer noch in meine persönliche Hölle zurückzerren?" "Hör mich erst einmal an, dann sehen wir weiter. Bitte." Chris zögerte einen Moment, dann nickte er langsam. "Okay..." Alexander setzte die Colaflasche an und trank einen großen Schluck. Normalerweise wäre ihm ein Bier lieber, aber er war fest entschlossen, die Sache mit den Drogen und dem Alkohol durchzuziehen, um Jeremy zu beweisen, dass er es ernst meinte. Er saß breitbeinig auf seiner Couch und musterte den Bildschirm seines Fernsehers. Dort lief "Isle of Desire", ein Streifen von Jeremy und ihm mit einem karibisch angehauchten Setting. Das war einer der aufwendigsten Filme, die das Studio je gedreht hatte, Alex erinnerte sich noch gut an die Dreharbeiten. Sie waren extra an einen abgelegenen Strand bei Bodega Bay gefahren und dort hatten es die Setbauer wirklich geschafft, den Eindruck einer tropischen Insel zu erzeugen. Jeremy und er hatten eine lange Dusche nehmen müssen, um den ganzen Sand wieder los zu werden. Aber sie hatten soviel Spaß gehabt, soviel gelacht. All das war vorbei. Jeremy schien ihn wirklich nur noch als Freund zu sehen, was immerhin etwas war, aber bei weitem nicht das, was Alex wollte. Stattdessen scharwenzelte Jeremy um diesen Großkotz von einem Anwalt herum. Alex hasste David Vanderveer wie die Pest. Er war so ein furchtbarer Schönling, ein Angeber, der sich für Gottes Geschenk an den schwulen Mann hielt. Und Jeremy fiel auf diesen Idioten herein... aber das würde sich noch ändern, er würde dafür sorgen, dass Jeremy begriff, wer wirklich gut für ihn war. Auf dem Fernseher küsste der rothaarige Mann ihn gerade leidenschaftlich, während er mit seinen Händen weiter im Süden arbeitete. Alex lächelte verträumt. Er konnte noch jetzt die wundervollen, süßen Küsse von Jeremy schmecken. Plötzlich klopfte es laut an der Tür. Alex ließ den Fernseher einfach an und ging in den Flur. "Wer ist da?" "Jeremy!" Alex riss die Tür auf. Der junge Tänzer fiel ihm regelrecht in die Arme. Er hatte wohl direkt daran gelehnt und verlor jetzt mit einem Mal den Halt. Alex fing ihn auf. "Hoppla, du bist aber stürmisch!" lachte er. "Sorry..." Jeremy befreite sich aus der Umarmung. Erst jetzt erkannte Alex, wie glasig seine Augen waren, er schwankte und stank wie ein ganzer Spirituosenladen. "Du bist ja betrunken." Jeremy prostete ihm mit der fast leeren Schnapsflasche in seiner Hand zu, er fiel dabei beinahe schon wieder um. "Jepp... ich...bin.... bin ein bisschen... beschwippst..." "Ja, ein bisschen ist gut, du bist voll wie eine Haubitze!" "Das ist... mei... meine Sache, klar?" "Wenn du das sagst." "Darf isch... rein... reinko... kommen?" Alex musste lachen. "Du bist schon drin, fühl dich wie Zuhause!" Jeremy torkelte an ihm vorbei und ging dann einfach ins Wohnzimmer, um sich auf die Couch fallen zu lassen. Er nahm einen Schluck aus der Flasche und schaute sich das Programm an. Alex blieb in der Tür stehen. "Sag mal... gucksu... au noch wasanderes?" Er bekam Schluckauf. "Als du... als du... die Tabl... die Tabl..." Jeremy musste sich sichtlich konzentrieren, um das Wort über die Lippen zu bekommen, doch versagte kläglich, "jedenfalls alsu diese Dinger ge... geschluckt hast... hast du auso... auch so... was geguckt!" "Das kann sein, ich erinnere mich nicht mehr so gut an diesen Abend. Was ist denn bloß los?" Jeremy schaute ihn einen Moment lang an, als müsse er erst einmal verstehen, was diese Frage zu bedeuten hatte. "David ist ein Arschloch!" stellte er schließlich mit schwerer Zunge fest. Das war natürlich Musik in Alexanders Ohren. Er setzte sich lächelnd auf die Armlehne der Couch und verschränkte die Arme vor der Brust. "Was hat er gemacht?" "Bin ich eigentlich langweilig?!" wollte Jeremy unvermittelt wissen. Er ignorierte Alex Frage dabei vollkommen. "Wie kommst du darauf?" "Weil ich das sein muss!", platzte es aus ihm heraus. Er musste aufstoßen, registrierte das allerdings kaum. "Er will mit A... Anderen ausgehen! Ist das... ist das... zu fassen?! Bin ich nich genug?!" Der Tänzer war laut geworden, doch mit den letzten Worten brach seine Stimme zusammen. "Bin ich nicht genug..." Er hatte plötzlich Tränen in den Augen. "Bin ich nicht genug....?", wiederholte er noch ein weiteres Mal, bevor er endgültig anfing zu weinen. Der Alkohol sorgte bei ihm für extreme Stimmungsschwankungen, das kannte Alex noch von früher. Der dunkelhaarige Mann sank auf die Couch und nahm Jeremy in den Arm. "Natürlich bist du genug, sogar mehr als das. Du bist alles, was man sich wünschen kann." Der junge Mann sah ihn mit feuchten Augen an. "Meinst du das ernst?", nuschelte er. "Natürlich, mein Schatz." Alex strich ihm über die Wange. "Er ist ein Idiot, wenn er das nicht erkennt." Jeremy schaute an ihm vorbei und brach wieder in Tränen aus. "Ich fühle mich so minderwertig..." "Hör auf damit." Er streichelte Jeremy durchs Haar. "Sei nicht so lieb zu mir... ich bin betrunken genug... um einen... einen Fehler zu machen..." "Wäre es denn einer?" "Ja..." Alex beugte sich vor und küsste Jeremy, ungeachtet seiner Fahne. Er musste diesen Moment ausnutzen, wenn er Glück hatte, würde Jeremy danach endlich begreifen, wer der Richtige für ihn war. Der Kuss war nur kurz, zurückhaltend, dabei aber sehr zärtlich. "Warum hast du das getan?", hauchte Jeremy. "Bist du mir böse?" "Ja... wenn du jetzt aufhörst..." Das ließ sich Alex nicht zweimal sagen... Chris rieb sich gedankenverloren mit der rechten Hand über den Oberarm. Der Bademantel, den er trug, war wundervoll weich, der Stoff fühlte sich herrlich auf der Haut an. Er ließ den Blick schweifen. Der pure Luxus der Suite um ihn herum, raubte ihm regelrecht den Atem. Marmor, Gold, eine Schale mit frischen Früchten auf dem Tisch, hohe Fenster, schwere Brokatvorhänge, Seidenbettwäsche. Er befand sich in der Penthousesuite des Hyatt Regency, eines der teuersten und avantgardistischsten Hotels von ganz San Francisco. Schon die gigantische Lobby mit ihren riesigen modernen Kunstwerken hatte ihn vollkommen umgehauen, aber jetzt in dieser Suite in einen Hyatt Regency Bademantel gehüllt zu sitzen, hatte schon etwas Surreales. Seine Kleidung trocknete über der Heizung. Dave kam eben aus dem Schlafzimmer hinüber, er hatte sich umgezogen, nur seine Haare glänzten noch etwas feucht. "Wird dir jetzt wärmer?" "Ja, danke..." Chris nickte langsam. Er sah sich erneut um. "Dieser Luxus ist beinahe beängstigend." "Gefällt es dir nicht?" "Doch, doch!", beeilte der blonde Mann sich zu widersprechen. "Es ist nur... so gar nicht meine Welt..." "Das sollte es aber, du würdest es verdienen." Chris blickte ihn verwundert an, Dave wich seinen Augen jedoch aus und schien das Thema auch nicht weiter verfolgen zu wollen. "Willst du jetzt die ganze Geschichte erfahren?" Plötzlich hatte Chris einen Kloß im Hals. "Ich weiß es wirklich nicht... versuch es einfach mal..." "Wo soll ich anfangen...?" Dave richtete diese Frage eher an sich selbst. Er setzte sich Chris gegenüber in einen Sessel und faltete die Hände. "Damals, in diesem Sommer 1992... als du verschwunden bist... das war schrecklich für mich. Ich hatte dich doch seit dieser Sache mit deinem Vater nicht mehr gesehen und als du plötzlich weg warst, hatte ich wahnsinnige Angst, er hätte dich jetzt umgebracht. Ich habe mir Vorwürfe gemacht... ich habe gedacht, ich hätte bei dir bleiben müssen, vielleicht hätte ich verhindern können, was er dir antat..." "Das hättest du nicht...", sagte Chris leise. "Das hat deine Mum mir auch gesagt, als ich schließlich mit ihr gesprochen habe. Sie erzählte mir genauer, was geschehen war, bat mich aber inständig nichts zu sagen. Wusstest du, dass dein Vater deine Mutter auch oft geschlagen hat?" Chris schüttelte nur den Kopf. "Es war aber so. Dein Vater war ein Tyrann, aber so lange du unauffällig und gut in der Schule warst, bist du wohl unter seinem Radar geblieben, die Sache mit mir hat dann die Sicherungen durchbrennen lassen. Langer Rede kurzer Sinn: Nachdem du fort warst und es deinen Vater scheinbar in keiner Weise störte, hat deine Mutter schließlich endlich den Mut gefunden, ihn zu verlassen. Das Haus, in dem ihr gewohnt habt, gehörte sowieso ihr, sie hatte es von ihren Eltern geerbt. Sie schaltete die Polizei ein, erwirkte einen Gerichtsbeschluss, der es deinem Vater verbot, sich mehr als fünfhundert Meter ihr oder eurem Haus zu nähern und reichte wegen seelischer und körperlicher Grausamkeit die Scheidung ein. Zwei Monate nach der Scheidung hat man deinen Vater dann gefunden, mit dem Gesicht im Wasser. Er war scheinbar im Suff in den Fluss gestürzt und ertrunken. Es gab ein paar Verdächtigungen gegen deine Mutter, aber die lösten sich schnell in Luft auf. Danach hat sie jahrelang versucht dich zu finden, aber ihre begrenzten Geldmittel haben ihr das nicht erlaubt. Ich selbst verließ Dallas nach der Highschool und ging nach Boston." Er schaute Chris an und wartete auf eine Reaktion, doch der junge Mann sagte nichts. Also fuhr Dave fort. "Ich habe dir ja erzählt, was mir später passiert ist und vor etwas über einem halben Jahr bin ich nach Dallas zurückgekehrt. Ich besuchte deine Mum und erfuhr, dass sie bis heute daran glaubte, dass du noch lebst. Mir ging es nicht anders und so beschloss ich, meine Mittel spielen zu lassen. Es hat lange gedauert, aber ich habe dich endlich gefunden." Chris stand auf und ging zum Fenster. Von hier aus konnte man die Oakland Bay Bridge sehen, der Gast dieser Luxussuite verdiente wohl auch nur den imposantesten Ausblick. "Hast du ihr schon gesagt, dass du mich gefunden hast?" "Nein", antwortete Dave. "Das tue ich erst, wenn du dich entscheidest, nach Dallas zu gehen, sonst tue ich ihr nur weh." "Dann sag ihr, ich sei tot, dann kann sie damit abschließen..." Dave sprang vom Sessel auf. "Was sagst du da?!" Chris drehte sich herum, seine Hände zitterten. "Du hast mich doch wohl schon beim ersten Mal verstanden", sagte er mit eiskalter Stimme. "Das kannst du nicht ernst meinen! Weißt du, was du da tust?! Du schlägst die Möglichkeit aus, wieder eine Familie zu haben!" "Ich habe eine!" Auch Chris hob die Stimme. "Die von Jason!" "Eine eigene Familie, bitte tu nicht so, als wüsstest du nicht, wovon ich spreche!" "Ich weiß nicht, ob ich meiner Mutter verzeihen kann, dass sie mir damals nicht geholfen hat!" Dave setzte sich wieder hin. "Glaubst du nicht, dass sie genug gestraft worden ist? Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als ihren Sohn wieder in die Arme schließen zu können. Egal was damals geschehen ist und auch ungeachtet dessen, dass du schwul bist! Das sage ich nur, falls du jetzt dieses Argument bringen willst, um weglaufen zu können!" "Ich laufe nicht weg..." "Doch, das tust du!", gab Dave unbeeindruckt zurück. "Du wirfst eine wundervolle Chance weg, noch bevor du alles weißt!" "Wovon sprichst du?" "Ach?" Seine Stimme klang triumphierend. "Jetzt bist du also doch neugierig... du hast mich ja noch nicht zu Ende erzählen lassen. In Dallas wartet nicht nur deine Mutter auf dich, sondern auch dein Stiefvater und deine Geschwister." "Meine..." Chris musste sich wieder setzen, ihm war plötzlich schwindelig. "Deine Mutter hat wieder geheiratet und ist jetzt glücklich mit ihrem neuen Mann, Darryl McKay, ihm gehören zwei Supermärkte in Dallas. Sie haben zwei Kinder, deine Stiefgeschwister. Dein Bruder Brian wird bald einundzwanzig, deine Schwester April ist sechzehn. Außerdem hat Darryl noch einen weiteren Sohn mit in die Ehe gebracht. Nicolas ist neunundzwanzig und mittlerweile selbst verheiratet." "Hör auf!" Dave schrak zusammen, er hatte nicht mit einer derart heftigen Reaktion seines Gegenübers gerechnet. "Hör auf damit! Wenn du mir jetzt noch erzählst, dass unsere Familienkatze gerade ein putzmunteres Rudel Babys geworfen hat, dann drehe ich durch!" "Was hast du, Chris?" "Was ich habe?" Der blonde Mann warf den Kopf in den Nacken und lachte beinahe hysterisch. "Denkst du, das steckt man so einfach weg? Du schlägst gerade meine gesamte Realität in Stücke. Was erwartest du jetzt von mir?!" "Vielleicht ein wenig Freude..." "Ich weiß nicht, was ich denken soll... was ich tun soll..." Dave lächelte ihn an. "Niemand verlangt von dir eine Entscheidung. Vielleicht hast du Lust, heute Abend mit mir Essen zu gehen. Was isst du gern?" "Chinesisch oder auch Japanisch...", antwortete er wie im Affekt. "Okay. Dann komm heute Abend um acht ins Benkay, weißt du, wo das ist?" "Soll das ein Witz sein?!" Chris konnte es nicht fassen. "Natürlich kenne ich das Benkay." "Dann ist es abgemacht. Heute Abend, acht Uhr." Er kam zu Chris hinüber und strich ihm über die Wange. "Ich verstehe, dass du so verwirrt bist, aber denk in Ruhe über alles nach und dann sehen wir weiter, ist das okay?" Chris konnte nicht anders, als einfach nur zu nicken. Jason langweilte sich tödlich. Samstagnachmittage waren etwas Furchtbares, wenn niemand da war. Chris war immer noch auf der Arbeit und das Haus wirkte schrecklich ruhig. Selbst Batman war keine große Hilfe, der Welpe erholte sich von seinem anstrengenden Spaziergang im Regen mit einem ausgiebigen Schläfchen in seinem Korb. Er fühlte sich mittlerweile schon so wohl und sicher, dass er nicht mehr nur zu einer Kugel zusammen gerollt schlief, sondern sogar ab und an auf dem Rücken lag, was unglaublich niedlich aussah. Auch ans Spazierengehen hatte er sich gewöhnt, am Anfang war die Leine sein ärgster Feind gewesen, er hatte sich mit seinen vier kurzen Beinen mit aller Macht dagegen gestemmt und war kaum aus dem Haus zu bringen gewesen. Auch den einen oder anderen Fleck hatte er in der Wohnung hinterlassen. Jason hatte ihn bis eben auf dem Schoss gehabt und am Bauch gekrault, etwas, das Batman heiß und innig liebte, aber jetzt hatte er wohl genug gehabt und hielt seinen Schönheitsschlaf. Der Polizist saß im Wintergarten und schaute den Sturzbächen zu, die über die Buntglasfenster hinab liefen, der Regen trommelte in einem ununterbrochenen Stakkato gegen die Scheiben. Er gähnte. Diese Lustlosigkeit war schon nicht mehr zu ertragen. Er hatte keine Videospiele mehr, die er nicht schon längst beendet hatte, er las nicht unbedingt viel und im Fernsehen gab es auch nichts außer grauenhaften Realityshows. Die Türklingel riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Chris konnte das nicht sein, aber egal, wer es war, er würde ihn so schnell nicht wieder gehen lassen. Der Lichtblick in seinem trüben Nachmittag entpuppte sich als sein bester Freund. Kaum hatte er die Tür geöffnet, stürmte David an ihm vorbei, er war klatschnass. Batman beendete ruckartig seinen Mittagsschlaf, der Anwalt gehörte zu seinen absoluten Lieblingen. Das kleine Fellknäuel schoss blitzartig in den Flur und hüpfte wie ein Gummiball freudig bellend und mit dem Schwanz wedelnd um den tropfenden Mann herum, bis dieser sich erbarmte und anfing, ihn zu streicheln. "Holy shit, es regnet draußen echt junge Hunde! Nichts für ungut, Batman." "Erzähl mir was Neues. Was treibt dich hierher?" "Komme ich ungelegen?" "Aber nein!", wehrte Jason grinsend ab. "Glaube ja nicht, dass ich dich zu schnell wieder aus dem Haus lasse. Ich sterbe vor Langeweile!" "Weißt du nicht mehr, wie man sich mit sich selbst beschäftigt, seit du mit Chris zusammen bist?" Sein dreckiges Grinsen verriet deutlich, in welche Richtung er dachte. "Ich spare meine Energien lieber für heute Abend, wenn Chris wieder hier ist!", lachte Jason. "Wer trinkt schon Wasser, wenn er Champagner haben kann." "Mein Gott, sag das ja nicht Chris! Wenn man einem Mann sagt, er sei eine Granate im Bett, dann lässt er hundertprozentig nach, weil er meint, es ginge bei ihm ganz von selbst." "Sprichst du da aus Erfahrung? Bist du deswegen ohne Jeremy unterwegs? Ein seltener Anblick in letzter Zeit." David knurrte und ging ins Wohnzimmer, ohne das Batman auch nur einen Meter von seiner Seite wich. Der Hund schaute die ganze Zeit zu ihm hoch und lief deswegen beinahe gegen den Sessel, im letzten Moment wich er aus. "Was war denn das jetzt für eine merkwürdige Reaktion?" Jason war den Beiden gefolgt. "Nichts, es ist alles okay." "Na klar, erzähl mir noch einen." "Hör zu!" David fuhr sich entnervt durch seine nassen Haare. "Ich habe keine Lust über Jeremy zu reden, ja? Jeremy ist unwichtig! Er ist Vergangenheit! Finito, okay?!" "Was ist denn jetzt schon wieder passiert?!" "Spreche ich chinesisch? Sunshine, es ist egal!" "Zufällig mag ich Jeremy, also würde ich schon gern wissen, was zwischen euch da schon wieder passiert ist!" David ließ sich aufs Sofa fallen, ungeachtet der Tatsache, dass er nass war. "Du gibst keine Ruhe, oder?" "Auf keinen Fall!", grinste Jason. "Raus mit der Sprache, aber plötzlich! Und gib es doch zu, du bist hierher gekommen, weil du mit jemandem reden willst." David spielte etwas gedankenverloren mit seinen Fingern. "Vielleicht...", gab er schließlich kleinlaut zu. "Ich koche uns einen Kaffee und du trocknest dich im Bad erst einmal ab, meinetwegen geh hoch und zieh dir was von mir an. Du machst feuchte Flecken auf der Couch." Die Mundwinkel des Anwalts ruckten zu einem fetten Grinsen nach oben. "So, so..." "Spar es dir!" Jason deutete gespielt böse auf seinen Freund. "Habe ich etwas gesagt?" "Du hast es gedacht, das reicht schon! Und jetzt los rauf und zieh dich aus... um, meine ich." "Du solltest doch wieder lernen, dich allein zu beschäftigen, Sunshine!", lachte David. Als er an Jason vorbei ging, holte dieser aus und schlug ihm mit voller Wucht auf den Hintern. Ein wenig später saßen sich David (in Jeans und Pulli aus Jasons Kleiderschrank) und Jason bei Kaffee und Oreo Cookies gegenüber. Immer noch schüttete es wie aus Eimern. Batman hatte beschlossen, seinen Schönheitsschlaf weiter zu führen und hatte sich wieder in sein Körbchen zurück gezogen. Natürlich erst, nachdem er einen Oreo Cookie von David abgestaubt hatte, ganz heimlich, als Jason den Kaffee holte, denn eigentlich sollte der Hund keinen Süßkram bekommen. Aber Batman wusste mittlerweile, dass David die perfekte Anlaufstelle war, wenn es darum ging mit herzerweichendem Hundeblick einen Regelübertritt zu erreichen. Beinahe wäre ihr kleines Geheimnis aufgeflogen, wenn der Welpe nicht im letzten Moment die schwarzen Krümel an seinem Maul weg geschleckt hätte. David nahm einen der Kekse auseinander, um die weiße Creme im Inneren abzulecken. "Jetzt sag endlich, was los ist." "Nichts... na ja... nicht ganz... ich bin mir nicht sicher, was los ist." "Das klingt ernst. Also, womit hast du Jeremy verärgert?" David hörte für einen Moment auf an seinem Keks zu lecken und schaute Jason giftig an. "Warum gehst du schon wieder sofort davon aus, dass ich es war?" "Weil ich dich kenne, mein Lieber. Das ist wie bei uns, Chris ist der Liebe, ich bin der, der Mist baut." "Wie tröstlich." "Also?", fragte Jason unerbittlich. "Ich habe ihn gefragt, ob wir nicht vielleicht auch mal mit Anderen ausgehen können." Jason stellte seine Kaffeetasse ab, legte den Kopf in den Nacken und rieb sich über die Schläfen. "Ich glaube, ich krieg Migräne..." Ein Augenblick der Stille senkte sich über die Beiden, bevor er David verständnislos ansah. "Um Himmels Willen: Warum?!" "Weil ich... nein, eigentlich wegen dir." Jason verschluckte sich an seinem Keks. Er hielt die Hand vor den Mund, um die Krümel nicht über den Tisch zu spucken. "Wie bitte?!", brachte er hervor, als er endlich nicht mehr husten musste. "Na, du hast mir doch gesagt, dass ich eine Beziehung hätte." "Hallo?! Und das ist ein Grund, gleich das Todesurteil auszusprechen?! David, dieser Satz ist das Allerletzte." "Aber ich will keine Beziehung. Und du hast mir die Augen geöffnet, in was ich da hinein schlittere." "Nein!" Jason setzte die Tasse etwas zu lautstark auf dem Couchtisch auf. "Den Schuh ziehe ich mir nicht an! Ich könnte mir in den Arsch beißen, dass ich das gesagt habe!" "Aber ich bin dir dankbar!" "David!" Jason konnte das nicht fassen. "Ich bin froh da raus zu sein! Ich habe langsam keine Luft mehr bekommen!" "Bis gestern Abend warst du noch glücklich und jetzt sagst du so etwas? Das ist doch nicht normal!" "Dann bin ich eben nicht normal!" David wurde laut. "David, ich habe dich lieb, das weißt du, aber ich verstehe dich nicht." Der Anwalt schlug die Augen nieder und seufzte. "Manchmal tue ich das selbst nicht..." "Bedeutet Jeremy dir denn gar nichts?" David sah ihn an, als habe er niemals mit dieser Frage gerechnet. Unsicherheit spiegelte sich in seinen Augen und am Ende hielt er Jasons Blick nicht stand und schaute auf den Boden. "Ich weiß es nicht... wirklich nicht..." "Aber du musst doch was spüren, wenn du mit ihm zusammen bist." Der blonde Mann erhob sich ruckartig und ging in den Wintergarten hinüber. "Was erwartest du von mir?", fragte er mit dem Rücken zu Jason. "Das ich dir jetzt sage, wie sehr ich ihn liebe?" "Nein, ich erwarte keine Liebesschwüre, sondern einfach nur, dass du mal in dich hinein horchst und einmal ehrlich zu dir bist." "Jason, das führt zu nichts! Ich will das einfach nicht, okay? Ich will keine Beziehung!" "Und warum?" Wieder herrschte Stille, nur von dem ständigen Getrommel der Regentropfen unterbrochen. Batman schob seinen Kopf durch den Spalt der Küchentür des Wintergartens, er hatte David wohl gehört und war aufgewacht. Er trottete auf den Anwalt zu und stupste ihm mit der Pfote gegen das Bein, bis er hochgehoben wurde. David ließ sich auf einem der Stühle nieder und kraulte den Welpen auf seinem Schoß, der sich genussvoll zusammenrollte. Jason kam aus dem Wohnzimmer hinüber und setzte sich zu ihm. "David..." Sein Freund hob den Kopf und sah ihn an und zum ersten Mal seit sie sich kannten, entdeckte Jason Tränen in seinen Augen. "Entschuldige... ich weine sonst nie..." "Das ist doch kein Problem." "Doch!" David schluchzte kurz. "Tränen sind ein Zeichen von Schwäche... ich will nicht schwach sein." "Warum können Tränen nicht einfach ein Zeichen von Gefühlen sein?" "Jason... ich... ich weiß einfach nicht, was ich will... das ist furchtbar. Aber ich habe mir geschworen, nie wieder eine Beziehung zu haben." "Moment! Nie wieder?" David lächelte, Jason musste zugeben, dass das sehr niedlich aussah mit den feuchten Tränenspuren auf den Wangen. "Sunshine, glaubst du wirklich, dass ich noch nie eine Beziehung hatte?" "Ich hatte diese Befürchtung, ja." "Nein... ich hatte eine..." Er streichelte Batman am Ohr, was der Hund sehr zu genießen schien. "Kurz nachdem ich nach San Francisco gekommen war. Ich wusste schon lange, dass ich schwul war, schon seit der Highschool und ich hatte einige Erfahrungen gesammelt, auf Partys am College kann einiges passieren, ich könnte dir da Sachen erzählen, die..." "David!", mahnte Jason. "Ist ja gut. Entschuldige. Auf jeden Fall habe ich kurz nachdem ich hierher kam und den Job in der Kanzlei gekriegt habe, Jack kennen gelernt... so etwas war mir bis dato noch nie passiert, ich hielt mich für kühl und abgebrüht, aber er hat mich vollkommen aus der Bahn geworfen. Ich war bis über beide Ohren in ihn verliebt. Er war Verkäufer und hat nebenbei gemalt, er hat mir immer erzählt, dass er eines Tages den großen Durchbruch haben würde und wir dann in Saus und Braus leben würden. Ich habe ihm damals jedes Wort geglaubt, ich hing regelrecht an seinen Lippen... mit jedem Cent, den ich verdiente, versuchte ich ihm zu helfen, ich ging sogar noch teilweise nachts an einer Tankstelle jobben. Ich hätte alles für ihn getan." "So kann ich mir dich gar nicht vorstellen..." "Ich mir heute auch nicht mehr, Jason, ich mir auch nicht mehr. Ich war dermaßen blöd! Jede seiner Versprechungen war wie Musik in meinen Ohren, ich habe ihn so vergöttert und er sagte mir bei jeder Gelegenheit, dass ich der schönste Mann auf Erden sei, sein ganzes Glück und so weiter. Aber weißt du, was ich war? Sein Goldesel, der für ihn die Moneten gekackt hat! Eines Tages kam ich früher von der Arbeit, ich weiß nicht mehr wieso, und ich erwischte ihn mit Louis im Bett. Louis war sein bester Freund, zumindest hat er mir das gesagt, wir haben andauernd etwas miteinander unternommen. Ich stand an der Tür und habe sie belauscht... weißt du wie es sich anfühlt, wenn man hört wie der Mann, den man über alles liebt, über einen spricht als sei man der letzte Dreck? Sie haben über mich gelacht, während sie herumgeschmust haben! Wie dämlich ich sei, ein absoluter Idiot, dass ich nicht merken würde, dass Jack mir nur das Geld aus der Tasche zieht. Louis hat ihn gefragt, warum er überhaupt noch mit einer klammernden Nervensäge, wie mir zusammen sei, und Jack hat geantwortet: ,Na gut, er geht einem tierisch auf den Sack, aber er gibt mir immer Kohle wenn ich welche brauche und sein Schwanz ist auch nicht zu verachten, obwohl ich ihm manchmal am liebsten das Maul stopfen würde, weil mich sein Liebesgelaber beim Bumsen so abturnt.' Und dann haben sie lauthals gelacht..." Jason wusste nicht, was er sagen sollte. David liefen schon wieder Tränen über die Wangen, die Erinnerung schien ihn schrecklich zu schmerzen. "Und deswegen habe ich mir damals geschworen, nie wieder jemanden so nah an mich heran zu lassen, dass er mir so weh tun kann." Der Polizist griff nach der freien Hand seines Freundes, mit der anderen streichelte David immer noch den mittlerweile schlafenden Hund. "Aber du kannst doch nicht alle Männer über einen Kamm scheren. Jeremy ist doch kein Jack, er würde dich sicher nicht hintergehen..." Die letzten Worte blieben ihm beinahe im Halse stecken, denn ihm wurde bewusst, dass Jeremy genau das tat... er belog David. Aber trotzdem konnte man das nicht vergleichen, dessen war sich Jason sicher und so gelang es ihm, diesen Gedanken zu verdrängen. "Ich weiß, dass er nicht Jack ist, aber sieh es doch mal so: Welche Zukunft würden wir schon haben? Ich bin fast vierzig, Jeremy ist noch ein halbes Kind." "Na, jetzt übertreibst du aber, Alterchen! Du bist fünfunddreißig, was dir sowieso keiner glaubt, fast vierzig ist ein wenig arg." "Jetzt fang nicht mit Haarspalterei an." "Doch, weil du nur eine Ausrede suchst, um dich dahinter zu verstecken." "Das sagt der Richtige, du hast dich doch jahrelang versteckt." "Das ist was anderes", lächelte Jason. "Du bist wirklich unmöglich, jetzt lass es doch gut sein." "Hast du Angst, dass ich Recht haben könnte?" David zuckte mit den Schultern. "Was ändert das noch? Jeremy will nichts mehr von mir wissen und ich bin eigentlich froh, da raus zu sein... weißt du, ich habe jahrelang mit Männern um die zwanzig geschlafen, weil die keine Verpflichtungen eingehen wollen und dann gerate ich ausgerechnet an den Twen, der genau das will! Ich weiß nicht genau, wie ich mit Jeremy umgehen soll, verstehst du?" "Warum nimmst du ihn nicht einfach so, wie er ist und erfreust dich daran. Du musst ihn doch nicht heiraten, aber stoße ihn doch nicht immer gleich von dir weg, wenn er dir etwas näher kommt." David schloss die Augen. "Aber ich habe Angst, verstehst du das nicht... Jeremy hat etwas Besseres verdient, jemanden der sich seiner Sache sicher ist und der nicht dauernd Mist baut." "Jetzt schiebst du es auf Jeremy", lächelte Jason. "Merkst du das nicht? Du suchst händeringend nach einer Begründung, warum es nicht gehen kann." "Vielleicht..." "Ganz sicher", beharrte der Polizist. "Warum suchst du nicht einfach mal nach Gründen, wieso es gehen könnte, hm? Ich kann dir welche nennen: Jeremy mag dich sehr, das merkt man sofort. Allein wie er dich ansieht, wenn du mal nicht hinschaust. Ihr Beide passt wunderbar zusammen, ihr harmoniert perfekt, so wie du gern mitteilst, auch im Bett, das ist nicht zu bestreiten. Um es kurz zu machen: Ihr beiden gehört einfach zusammen." "Du wärst eine tolle Kuppelmutter, weißt du das?" "Lenk nicht ab", grinste Jason. "Und was, wenn ich beschließe mein Herz zu öffnen und er tut mir genauso weh?" "Was, wenn es diesmal vollkommen anders ist?" "Ich hasse dich..." David zog einen Flunsch. "Warum?" Jason konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. "Weil du nicht aufgibst, wenn du dich mal in etwas verbissen hast. Du könntest mich auch einfach unterstützen." "Und zusehen, wie mein bester Freund sich eine wunderbare Chance entgehen lässt? No way, mein Lieber!" "Und was, wenn Jeremy nichts mehr mit mir zu tun haben will? Ich könnte es ihm noch nicht einmal verdenken." "Er wird dir schon zuhören. Lass ihm etwas Zeit, um sich zu beruhigen, meinetwegen geh morgen erst zu ihm. Bring ihm Frühstück mit, das ist nett. Das habe ich nach meinem ersten Mal mit Chris auch gemacht." David zog die Augenbrauen hoch. "Ich dachte, du wärst damals als Freier zu ihm gekommen." "Das war ich auch, aber ich habe die ganze Nacht bei ihm verbracht und am nächsten Tag Frühstück geholt..." Sein Blick wurde leicht verträumt. "Das war bei mir Liebe auf den ersten Blick..." "Ihr und euer Geschnulze!", frotzelte David. "Bei euch muss man wirklich aufpassen, dass man keine Karies bekommt." "Statt frech zu werden, solltest du dir lieber meine Ratschläge zu Herzen nehmen, Casanova! Ich will dich mit Jeremy wieder zusammen sehen, aber so schnell wie möglich!" "Ja, ja, hetz mich nicht!", lachte der Anwalt. Im Flur fiel die Tür ins Schloss. Batman sprang eilig von Davids Schoß und wieselte zur Haustür, um den Neuankömmling willkommen zu heißen. "Chris?" rief Jason. Sein Freund war eigentlich schon überfällig. Aus dem Flur kam keine Antwort. David und Jason schauten sich verwundert an. Beide standen auf und gingen hinüber. "Fuck!", entfuhr es Jason bei dem Anblick, der sich ihm bot. Chris stand im Eingangsbereich, um ihn herum bildete sich langsam eine Wasserlache. Er war bis auf die Haut durchnässt, seine Kleidung klebte an ihm, ebenso seine Haare. Er stand einfach nur da und machte keinerlei Anstalten auf das freudig wedelnde Fellbündel zu seinen Füßen zu reagieren. "Schatz, was ist denn los?" Chris sah die Beiden an, als würde er gerade aus einem Traum erwachen. "Ich bin rum gelaufen...", sagte er leise. "Bei dem Wetter?! Du musst aus den Sachen raus, aber schnell!", bestimmte Jason. "Kann ich helfen?", mischte sich David ein. "Nein, schon okay. Du hast genug eigene Probleme", lächelte der Polizist dankbar. Er berührte seinen besten Freund liebevoll an der Schulter. "Geh ruhig." "Okay, aber wenn du mich brauchst, rufst du an, ja? Ich werde los ziehen und mir Gedanken machen, was ich morgen machen kann." "Mach das." David nickte. "Ist wirklich alles okay, Chris?" Der blonde Mann schaute ihn an und nickte dann ebenfalls. "Es ist alles okay... ich bin nur... nur etwas neben der Spur... alles klar." Der Anwalt schien nicht ganz überzeugt, aber da Chris ja nicht allein war, ließ er es dabei bewenden. Er verabschiedete sich von den Beiden und ging. "Was will er morgen machen?" "Das ist jetzt egal.", Jason winkte ab. Er nahm Chris am Arm und führte ihn zur Treppe. "Das Wichtigste ist, dass du endlich aus diesen Sachen raus kommst." "Du willst mich ja nur ausziehen...", lächelte Chris schwach. Ein paar Minuten später saß er diesmal in seinem eigenen Bademantel auf dem Bett und rieb sich mit einem Handtuch die Haare trocken. Batman hatte sich neben dem Bett zusammen gerollt und hielt Wache, damit er da war, wenn einer seiner Papis ihn brauchte. Jason kam mit einer Tasse heißer Schokolade wieder. "Hier, damit du dich aufwärmen kannst." Chris nahm sie entgegen und trank in kleinen Schlucken von dem warmen Getränk. "Danke... der Auftritt tut mir leid." "Schon okay, was war denn bloß los? Hat dir jemand etwas getan?" "Nein..." Chris schüttelte den Kopf. "Nein, wirklich nicht..." "Aber warum läufst du dann bei diesem Hundewetter allein durch die Gegend? Bei diesem Regen will noch nicht einmal Batman raus." Der Welpe hob den Kopf, als sein Name fiel. "Ich habe jemanden getroffen..." "Wen? Etwa jemanden, der dich aus New York kennt?" "Nein... jemand, der mich aus Dallas kennt..." Jason ließ sich aufs Bett fallen und nahm ihn in den Arm. "Jemand, der dich aus Dallas kennt?" "Gibt es hier ein Echo?", grinste Chris. "Jetzt sag endlich, was los ist!" "Ist ja gut. Sei doch froh, dass ich wieder besser drauf bin." "Ach und woran liegt das?" "Weil ich wieder bei dir bin, du Blödmann. Ist doch klar." Jason kniff ihn in die Seite. "Also, was ist los?" "Ich habe eine Familie..." "Ich weiß, Mum und Dad haben dich total ins Herz geschlossen." "Nein! Eine echte Familie! Ich habe einen Freund von der Highschool getroffen, der noch Kontakt zu meiner Mutter hat. Nachdem ich damals weggelaufen bin, hat sie meinen Vater verlassen und später sogar neu geheiratet. Plötzlich habe ich einen ganzen Stall voll Geschwister..." "Aber das ist ja wundervoll!" Chris musterte das strahlende Gesicht seines Freundes voller Überraschung. "Ist es das?" "Etwa nicht?" Begleitet von einem verständnislosen Blick. "Ich weiß es nicht... ich weiß einfach nicht, was ich will..." "Oh, Mann, das muss echt eine Epidemie sein, heute weiß keiner, was er will..." Jetzt war es an Chris, verständnislos zu gucken. "Vergiss es, ist jetzt nicht wichtig", sagte Jason, begleitet von einer wegwerfenden Handbewegung. "Ich weiß auf jeden Fall nicht genau, wie ich damit jetzt umgehen soll. Dave möchte meiner Mutter Bescheid sagen, dass ich noch lebe. Und natürlich soll ich nach Dallas kommen... aber ich will hier wohnen bleiben. Ich will nicht zurück nach Dallas." "Was spricht denn dagegen, wenn du hier bleibst? Meine Familie wohnt in New York. Du bist doch kein Kind mehr." "Ich weiß... aber... ach, vergiss es..." Jason konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. "Das ist schon beängstigend, wie gleich du und David euch gerade benehmt. Er hat auch nur nach Ausreden gesucht." "Du bist gemein, ich suche nicht nach Ausreden!", schmollte Chris. "Doch, weil du Angst davor hast, was dich in Dallas erwartet." "Ist das denn nicht verständlich? Das ist ein anderes Leben... vielleicht erwartet meine Mutter, ihren Chris wieder zu sehen... aber ich habe mit diesem Jungen von damals nichts mehr gemein... ich bin nicht mehr ihr kleiner Chris..." Er legte den Kopf an Jasons Schulter. "Meine Mutter war immer eine gläubige Frau. Dave hat gesagt, dass sie und auch der Rest der Familie kein Problem mit meiner Homosexualität haben, aber ich bin mehr als das..." "Du warst mehr als das. Vergiss das nicht. Das liegt hinter dir und du hast es sogar geschafft, den Drogen aus eigener Kraft zu entkommen. Und deine Zeit auf dem Strich liegt auch schon lange hinter dir." "Aber mir haftet das immer noch an!" "Das bildest du dir ein." "Ach ja? Tue ich das?" Chris verzog das Gesicht. "Weil ich mir das Ganze nur einbilde, verheimlichen wir das auch vor deinen Eltern, nicht wahr?" Jason fiel kein Gegenargument ein, er wusste bis heute nicht, wie seine Eltern darauf reagieren würden, wenn sie erführen, dass sich ihr Sohn und ihr Quasi-Schwiegersohn als Freier und Stricher kennen gelernt hatten. "Aber du musst das doch nicht gleich breit treten." "Natürlich und was habe ich dann die Jahre in New York gemacht?" "Sei kreativ, meinetwegen warst du Straßenverkäufer, Burgerbrater, Schuhputzer, Tellerwäsche, der Möglichkeiten sind gar viele." Er grinste. "Schön, dass du das so locker siehst!" "Jetzt sei nicht eingeschnappt." Der Polizist streichelte Chris sanft über die Wange. "Wie wäre es einfach mit einem Schritt nach dem anderen, hm? Du könntest dir erst einmal klar werden, ob du zu deiner Familie willst oder nicht. Dann kannst du immer noch sehen, wie es läuft." Chris gab keine Antwort, er brummelte nur etwas in seinen nicht vorhandenen Bart. "War das jetzt eine Zustimmung?" "Ja doch... dann sollten wir uns wohl auch bald fertig machen." "Wofür?" Chris grinste breit. "Mit gefangen, mit gehangen, mein Süßer. Glaub ja nicht, dass dein Job als seelische Stütze damit beendet ist. Dave hat mich für heute Abend zum Essen eingeladen und ich habe beschlossen, dass du mitkommst und meine Hand hältst." "Ich soll mich selbst einladen?!", lachte Jason. Chris stand auf und streckte ihm die Zunge raus. "Die Ausrede zieht nicht. Dave hat heute einer Kellnerin im IHoP Tausend Dollar zugesteckt, damit sie meine Tische übernimmt und er residiert im Hyatt Regency, da wird er sicher nichts dagegen haben" "Ach du Scheiße! Was für ein Bonze ist das denn? Wohin schleppst du mich?" "Ins Benkay!", antwortete Chris über die Schulter, während er im Badezimmer verschwand. Jason sah ihm nach und knirschte mit den Zähnen. Da hatte er ja was Tolles angerichtet. Er hatte sich immer vorgenommen, Chris einmal in dieses Lokal einzuladen und jetzt war er nur die Begleitung, weil jemand Anderer schneller gewesen war. "Jeannie, jetzt hör auf zu weinen! Ich bin bald da! Wir verbrennen zusammen alle Fotos von ihm, okay? Ja, wir zerschneiden auch die Klamotten, die von ihm noch da sind. Und dann gehen wir aus! Wir machen einen drauf." Abby kontrollierte ihren Lidstrich im Spiegel, während sie ins Handy redete. Sie strich über ihre Kleidung und schätze auch diese mit einem Kontrollblick in den Spiegel ab. Endlich hatte Jeannie sich von diesem Idioten getrennt, der sie sowieso nur nach Strich und Faden betrogen hatte, aber leicht hatte sie es nicht genommen. Aus dem Telefon erklangen weiterhin Laute von heftigem Schluchzen. "Ja, es ist okay, ich komme zu dir. Jeremy ist mal wieder außer Haus, der verbringt in letzter Zeit soviel Zeit mit David, das weißt du doch. Ja, ich finde die Beiden auch niedlich." Sie nahm die Schlüssel vom Brett und schaltete das Licht im Flur aus. "So, ich fahre jetzt zu dir. Mach dich ein bisschen frisch und versprich mir, dass du nicht mehr weinst. Okay?" Die junge Frau zog die Tür auf. "Also, bis glei..." Vollkommen überrascht blickte sie direkt auf Alexander, der Jeremy stützte. Die Klamotten ihres Freundes waren vollkommen durcheinander und seine glasigen Augen verrieten deutlich, dass er mehr als ein Glas zuviel intus hatte. "Was? Nein, alles in Ordnung", sagte sie schnell ans Handy gerichtet, Jeannie hatte sich erkundigt, warum plötzlich Funkstille war. "Bis gleich, Jeannie." Abby legte auf. "Hi, Abby!" lallte Jeremy. "Duuu siehst doll aus, weißu das?" Sie stemmte die Hände in die Hüften. "Was ist denn mit dir los?" "Er ist betrunken", antwortete Alex an seiner Stelle. "Das sehe ich selbst, vielen Dank. Ich dachte, du bist bei David." "Davidisteinarschloch!", war Jeremys Reaktion darauf, wobei man die Worte nur mit Müh und Not auseinander ziehen konnte, so schwer war seine Zunge bereits. "Ich kümmere mich um ihn, Abby, geh du ruhig aus." Abby musterte den dunkelhaarigen Mann misstrauisch. "Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich kenne dich, Alex, du bist ein Unruhestifter." "Du hast mich nie gemocht, oder?" "Stimmt auffallend. Jeremy ist ohne dich besser dran." "Habihr auch soooo einen Du... Durst?", kicherte der Tänzer, aber die beiden Anderen beachteten ihn nicht. "Menschen können sich ändern, Abigail." Alex nutzte absichtlich Abbys kompletten Vornamen, weil er wusste, wie sehr sie ihn hasste. "Nun, Alexander", Sie betonte den vollen Namen ihres Gegenüber voller Sarkasmus, "das muss derjenige dann erst einmal beweisen. Und in deinem Fall bin ich mir ganz und gar nicht sicher, ob du dich wirklich verändert hast oder Jeremy nur wieder ins Bett kriegen willst." "Jeremy ist zu mir gekommen, oder etwa nicht? Nicht zu dir, sondern zu mir. Also ist es auch vollkommen in Ordnung, dass ich auf ihn aufpasse und du dich ruhig deinen Angelegenheiten widmen kannst." Abby rieb sich übers Kinn. Sie hatte dem dunkelhaarigen Mann nichts entgegen zu setzen, außerdem konnte sie Jeannie nicht allein lassen, die machte sonst noch Unfug. "Es kann aber sein, dass ich heute Abend nicht mehr zurück komme, ich weiß nicht, ob ich Jeannie heute Nacht allein lassen kann." "Mach dir keine Sorgen, Abby, ich werde hier übernachten und auf ihn aufpassen, wenn es dir Recht ist." Abby konnte keinen Grund finden, um es ihm zu verbieten. Sie zuckte etwas resigniert mit den Schultern und machte den Weg frei. "Aber lass ja die Finger von ihm! Gute Nacht, Jem." Der Tänzer reagierte nicht, er musterte interessiert den Türrahmen. "Keine Angst, Abby, ich bin ganz brav und schlafe auf der Couch!", lächelte Alex etwas süffisant. Abby schenkte ihm einen geringschätzigen Blick, ging aber schließlich und Alex ließ die Wohnungstür ins Schloss fallen. Kaum war sie zu, verdrehte er die Augen. "Dämliche Kuh!", zischte er. Er zog Jeremy an sich und küsste ihn auf den Nacken. "Ich freue mich schon, endlich mal wieder in deinem Bett Sex zu haben, du auch?" Jeremy schlang einfach nur seine Arme um Alex Hals und kicherte. "Duuu bist... versaut." "Nein, nur scharf auf dich." Damit führte er den Tänzer in Richtung von dessen Schlafzimmer. Die Wände des Fahrstuhls schienen sich um die beiden Männer zusammen zu ziehen. Jason nestelte unentwegt an seine Krawatte herum, als wäre sie zu eng. Chris trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. Beide trugen Anzüge, nachdem Chris seinen letzten hatte leihen müssen, hatte Jason ihm später einen geschenkt. Der Anzug war etwas besonderes: Schneeweiß, zusammen mit einem farbigen Hemd kombiniert sah der blonde Mann darin umwerfend aus, eben wie ein Engel, wie Jason betonte. Der Magen des Polizisten knurrte. Er hatte furchtbaren Hunger. "Das Benkay ist ein chinesisches Restaurant, oder?" Chris schüttelte den Kopf. "Nein, japanisch." "Bitte?! Das heißt hier gibt es nur rohen Fisch?!" Jason ließ sich gegen die Wand des Aufzugs sinken. "Ich dachte, du wolltest mal mit mir hierher?" "Ja, aber nur weil du davon geschwärmt hast! Ich dachte, du stehst auf Chinesisch!" "Tu ich auch, aber ich mag auch Japanisch. Sushi ist sehr lecker. Ich war schon ab und an mal in den günstigen Sushibars in Japantown, wenn ich es mir leisten konnte. Ich freue mich drauf, mal wieder welches zu essen." "Ich glaube, mir wird schlecht..." "Benimm dich", zischte Chris. "Du bist hier um mich zu unterstützen, nicht um mir Probleme zu machen." "Ich kann auch wieder gehen!" Für einen Moment herrschte gespannte Stimmung im Fahrstuhl, zum Glück stieg niemand ein. Die leuchtenden Zahlen näherten sich der neunzehnten Etage. Das Restaurant lag im fünfundzwanzigsten Stockwerk des japanischen Nikko Hotels. "Tut mir leid...", sagte Chris schließlich leise. "Ich bin nervös..." "Nicht nur du..." Jason seufzte hörbar. "Gibt es hier wirklich nur rohen Fisch?" "Nein, du kannst zum Beispiel auch Teriyaki essen. Und du kannst bei mir mal vom Sushi probieren." "Mal sehen." Jason lächelte schief. Die Fahrstuhltüren glitten auf und dem Polizisten stockte der Atem. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, in Japan zu sein. Sie wurden schon beim verlassen des Fahrstuhls von einer mit einem reich verzierten Kimono bekleideten Kellnerin begrüßt. Es gab einen penibel geharkten Sandgarten, leise Musik, ausgefeilte Beleuchtung, es war einfach beeindruckend. Durch die großen Fenster konnte man auf das nächtliche San Francisco hinaus schauen, der Anblick rundete das vorzügliche Ambiente ab. Die Stadt erstrahlte in den typischen Millionen Lichtern der Nacht, sogar der Regen hatte endlich aufgehört. "Guten Abend, Gentlemen.", lächelte die junge Frau freundlich. "Haben Sie eine Reservierung." "Ähm... wir sind hier verabredet, wir sind die Gäste von Mr. Jerrod... ähm... Dave Jerrod." Die Kellnerin schaute kurz auf die Liste und nickte dann. "Folgen Sie mir bitte." Sie verbeugte sich kurz und führte die beiden dann am normalen Speisesaal vorbei zu den Tatami Räumen. Hier speiste man wirklich stilecht japanisch. Jason wurde beim Anblick der niedrigen Tische ein wenig blass. "Wo sind die Stühle?", flüsterte er Chris zu. "Es gibt keine!" "Was?!" "Bitte sehr." Die Kellnerin verbeugte sich erneut und schob die dünne Papierwand hinter den Männern zu. Dave hatte bereits am Tisch Platz genommen, er stand nun auf und drehte sich lächelnd um. Sein Lächeln verlosch allerdings, als er realisierte, dass Chris nicht allein war. Aber nur für eine Sekunde, dann hatte er sich wieder im Griff, Jason jedoch hatte das durchaus wahrgenommen. "Chris, schön dich zu sehen." Er umarmte den blonden Mann sehr herzlich, bevor er sich Jason zuwandte. "Wir kennen uns noch nicht, wenn ich nicht irre." "Ja, das stimmt." Chris lächelte etwas verlegen. "Das ist Jason, mein Freund, ich hatte dir von ihm erzählt. Jason, das ist Dave." "Freut mich!" Jason ergriff Daves Hand und schüttelte sie, er nahm sich in diesem Augenblick vor, nicht einen Moment Schwäche zu zeigen, denn die Sekunden in denen Daves Lächeln verschwunden war, hatten ihm gezeigt, dass dieser Mann mit seiner Anwesenheit keineswegs zufrieden war. "Mich auch.", antwortete Dave und es klang sogar ehrlich. Entweder hatte Jason sich das vorher eingebildet oder er war einfach nur ein guter Lügner. "Ich hoffe, du bist nicht böse, dass ich Jason mitgebracht habe." "Aber gar kein Problem." Jason hätte am liebsten mit den Zähnen geknirscht. Dieser Satz hatte einen eindeutigen Unterton von Angeberei, auch wenn Chris das nicht zu merken schien. Das klang einfach protzig. Sie ließen sich um den Tisch herum nieder, Jason orientierte sich dabei an seinem Freund, um keinen Fehler zu machen, er wollte sich auf keinen Fall blamieren. Die Kellnerin kam und brachte einen Aperitif und die Karten. "Wir brauchen keine Karten, ich denke wir nehmen die große Sushiplatte, nicht wahr?", bestimmte Dave. Das "nicht wahr" hätte er sich auch sparen können. "Nein, ich glaube wir..." Jason legte unter dem Tisch seine Hand auf Chris' Knie, damit er nicht weiter redete. Die Kellnerin schaute fragend zwischen Dave und den beiden anderen Männern hin und her. "Ist schon okay, vielen Dank.", lächelte Jason. Auf keinen Fall würde er diesem Fatzke zeigen, dass er noch nie Sushi gegessen hatte, selbst wenn es so scheußlich war, wie er es sich vorstellte, irgendwie würde er es schon runter kriegen. Chris musterte ihn verwundert, sagte aber nichts. "Nun, Jason. Was machen Sie von Beruf? Ich glaube, Chris sagte etwas von der Polizei." "Ja, das stimmt. Ich bin Detective beim Morddezernat." "Interessante Berufswahl für einen schwulen Mann, haben Sie da nicht viele Probleme mit ihren Kollegen." "Was sollte ein schwuler Mann denn Ihrer Meinung nach tun? Ich war noch nie gut darin, Mode zu kreieren.", entgegnete Jason kampflustig. Dave hob die Hände und machte eine abwehrende Geste. "Oh, das haben Sie falsch verstanden. Ich meinte das wirklich mit Respekt, ich könnte es mir nicht vorstellen als Polizist zu arbeiten, ich hätte ein Problem mit den Reaktionen der Kollegen. Und ich denke keineswegs, dass ein schwuler Mann nur Designer oder Visagist werden kann, ich bin es ja schließlich auch nicht.", fügte er mit einem süffisanten Lächeln hinzu. Jason musste sich Mühe geben, dass ihm nicht die Kinnlade herunter fiel. Er schaute seinen Freund an, der sich auf die Lippe biss, dann wieder Dave. "Ich denke, ich habe mich gerade ein wenig blamiert. Entschuldigen Sie, Dave, ich war da nicht so ganz informiert.", sagte er mit einem grimmigen Seitenblick auf Chris, der unauffällig die Dekoration bewunderte. Bevor die Situation vollkommen aus dem Ruder laufen konnte, kam der Zufall zur Hilfe. Die Kellnerin betrat den Raum und lächelte Dave an. "Ein Telefongespräch für Sie, Mr. Jerrod." Dave nickte nur. "Entschuldigt mich kurz." Er ging mit der Kellnerin und Chris und Jason blieben allein zurück. "Bevor du etwas unkluges tust: Diese Wände sind sehr dünn! Bedenke das, bevor du mich anschreist." "Ich werde dich nicht anschreien." Jasons Stimme war ganz ruhig, was Chris nur viel nervöser machte. "Hast du zufällig vergessen, mir da etwas zu sagen? Er ist also schwul?" "Ja... das ist er..." "Und?" "Nichts weiter..." Er biss sich erneut auf die Lippe. "Spuck es aus." "Nein, wenn ich das tue, dann schreist du mich doch an!" "Werde ich nicht." "Wirst du doch!", lachte Chris, aber es klang unsicher. "Du erinnerst dich doch an das, was ich dir über den Tag erzählt habe, als mein Vater mich verprügelt hat, oder?" "Ja, daran erinnere ich mich..." Jasons Augen wurden groß. "Das ist nicht er! Nicht der Junge mit dem du rum gemacht hast!" "Pst!" Chris schaute sich leicht panisch um. "Jetzt wirst du doch laut." "Ich stehe da wie ein dummer Junge!" "Nein, tust du nicht! Es tut mir leid, ich hätte dir das schon noch gesagt. Aber bevor du anfängst dein Revier zu markieren: Ich habe Dave nie geliebt und ich werde ihn nie lieben, daran ändert auch seine Kohle nichts. Er war so etwas wie ein Fuck Buddy für mich und wir hatten noch nicht einmal richtigen Sex. Also bitte mach jetzt keine Szene." Jason legte den Kopf in den Nacken und holte tief Luft. "Es tut mir leid, ist schon gut." "Du musst dir wirklich keine Sorgen machen." "Ich glaube dir ja." Er gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Komm schon, zeigen wir ihm, wie glücklich man auch ohne fettes Bankkonto sein kann." Als Dave zurückkehrte, zeigte er keinerlei Interesse daran, das Thema wieder auf zu nehmen. Im Gegenteil, sie gingen zu eher belanglosem Smalltalk über. Es ging um das Wetter in San Francisco, ob hier wirklich so viele Erdbeben waren (Jason hatte zum Glück bisher noch keines erlebt), ob ein Ausflug nach Alcatraz auf jeden Fall zum Pflichtprogramm bei einem Urlaub hier gehörte, usw. Dave zeigte außerdem außerordentliches Interesse an Jasons Beruf. Der Polizist entspannte sich allmählich, er war immer noch kein Fan von Dave Jerrod, aber der Abend schien doch noch einigermaßen gut zu laufen. Chris sagte recht wenig, er schien immer noch nervös wegen der Sache mit seiner Familie, die aber bisher nicht zur Sprache gekommen war. Jasons Glückssträhne endete, als das Essen gebracht wurde. Auf mehreren Platten gab es alles, was der Sushiliebhaber begehrte, kunstvoll angerichtet. Während Chris Augen leuchteten, hoffte sein Freund, dass er beim Anblick der vielen eigenartigen Dinger (von denen einige auch noch, wie Jason mit Schrecken feststellte, ihre Schwänze beim Zubereiten behalten hatten) nicht allzu blass wurde. "Dann wünsche ich guten Appetit.", lächelte Dave und er und Chris begannen, ihre Teller mit einer Auswahl der Delikatessen zu füllen. Jason tat es Chris nach, er nahm, was er nahm, nur um die Teile mit den Schwänzen machte er einen großen Bogen. Dave reichte ihm ein Schälchen mit einer grünlichen Paste. "Möchten Sie auch Wasabi, Jason?" "Oh ja, vielen Dank." Jason nahm das Schälchen an, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, was Wasabi war. "Ich liebe diesen japanischen Senf.", mischte sich der blonde Mann ganz beiläufig ein, damit Jason ungefähr wusste, womit er es zu tun hatte. "Ich kann mich an diesem Zeug kaum satt essen." Dave lächelte Chris dabei an, der eifrig nickte. "Ja, ich habe schon öfter Sushi gegessen, aber das hier schlägt alles. Wirklich toll. Findest du nicht auch, Jason?" Er wollte seinen Freund unterstützen und lächelte ihm aufmunternd zu, doch in der nächsten Sekunde gefror seine Miene. "Jason! Nein!" Aber es war zu spät, der Polizist hatte sich ein Stück Sushi mit mehr als fingerdick geschmiertem Wasabi in den Mund gesteckt, er hatte vorgehabt, damit den Geschmack etwas zu übertünchen, vor allem weil er Senf sehr gern aß. In der nächsten Sekunde hatte er das Gefühl, sein Mund würde in Flammen stehen. Seine Augen quollen regelrecht hervor, er fing an heftig zu husten und griff so schnell er konnte nach dem Glas mit Wasser auf dem Tisch. Chris wollte ihm helfen, doch Jason stieß mit Beinen gegen den niedrigen Tisch und dabei fiel das Weinglas des blonden Mannes um und dessen Inhalt verteilte sich auf seinem Anzug. Endlich schien es Jason besser zu gehen, sein Gesicht war knallrot. "Wieder okay?" Chris ignorierte die Flecken auf seinem Anzug, Jason war wichtiger. Der Polizist sprang auf. "Entschuldigt mich!" Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum und eilte Richtung Toilette davon. "Ich bin gleich wieder da, entschuldige!" Chris stand ebenfalls auf, um ihm zu folgen. Daves schadenfrohes Grinsen sah er deswegen nicht mehr. Glücklicherweise waren sie allein in den Waschräumen. Als Chris den Raum betrat, stand Jason über eines der edlen Waschbecken gebeugt und warf sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht. Seine Haut schien immer noch regelrecht zu glühen, so rot war sie. "Alles in Ordnung?" "Nichts ist in Ordnung!", fauchte Jason. "Gar nichts! Das war Absicht! Dieser Dreckskerl hat das mit Absicht gemacht!" "Er hat dir aber nicht soviel Wasabi drauf getan, das warst du." "Er hat es gesehen! Er hatte direkten Augenkontakt mit mir, als ich dieses verdammte Ding in den Mund genommen habe! Er hätte es leicht verhindern können! Aber er wollte, dass ich mich blamiere!" "Unsinn, er hat das sicher nicht registriert!" "Natürlich, du bist mal wieder naiv und gutgläubig! Außerdem sagtest du, es sei Senf." "Das habe ich nur gesagt, um dir ungefähr mitzuteilen, was das ist!" "Glanzleistung!", meinte Jason verächtlich. "Du weißt, dass ich Senf in rauen Mengen essen kann." "Ja, gib mir ruhig die Schuld für deinen verdammten Stolz! Ich hätte die Karte verlangt, aber nein, Jason Cunningham muss den weltmännischen Feinschmecker raushängen lassen und lässt Dave bestellen, obwohl er sich vorher im Aufzug noch angestellt hat! Am besten bittest du ihn noch hierher, damit ihr messen könnt, wer von euch den Längeren hat!" "Wie lang sein Schwanz ist, kannst du ja sicher am besten beurteilen!" Chris' Hand klatschte in Jasons Gesicht. "Arschloch!" Er drehte sich um und wollte gehen, doch Jason packte ihn am Arm. "Warte!" "Lass mich los!" "Es tut mir leid..." Chris' blaue Augen funkelten zornig, doch als er Jasons Gesichtsausdruck sah, der zeigte, dass es ihm ehrlich leid tat, verflog sein Ärger. "Ich wollte das nicht sagen. Ich fühle mich nur in die Ecke gedrängt. Ich habe das Gefühl, dass dieser Kerl mir zeigen will, was für ein Trampel ich im Gegensatz zu ihm bin, nur weil er mehr Geld hat als ich." "Deine Eltern sind auch nicht arm." "Aber bei weitem nicht so wohlhabend wie er! Und schließlich leben wir größtenteils von meinem Einkommen und natürlich von deinem, nicht von dem Geld meiner Eltern." "Aber das ist doch vollkommen egal, ich bin glücklich mit dir." "Aber sei doch mal ehrlich." Jason nahm ihn in den Arm. "Wärst du nicht noch glücklicher, wenn du so sorgenfrei leben könntest wie er?" Chris drückte sich an ihn. "Jason, du bist manchmal ein echter Dummkopf. Meinst du, Geld könnte dich aufwiegen. Wir könnten in einem Pappkarton wohnen, ich würde bei dir bleiben." "Übertreib nicht!", grinste Jason. "Na gut, manchmal bist du unausstehlich, besser so?" "Ja, besser! Aber ich muss zugeben, dass mich die Ohrfeige eben irgendwie heiß gemacht hat. Was meinst du? Wollen wir uns versöhnen? Die Kabinen sind alle frei." Er fuhr ganz beiläufig mit der Hand in den Schritt seines Freundes, doch dieser beendete die Exkursion sehr schnell und trat einen Schritt zurück. "Nichts da, wir sind schon lange genug weg und ich habe genug Flecken auf dem Anzug! Reiß dich zusammen, du Lustmolch. Wenn du willst, knall ich dir zuhause noch eine!" Jetzt grinste er auch breit. "Wenn uns einer hört!" "Dann wissen alle, was ich für ein Ferkel als Freund habe!" "Gehen wir zurück?" Chris nickte, verschränkte aber gleichzeitig die Arme vor der Brust. "Aber nur, wenn es keine weiteren Machoausbrüche gibt. Du musst mir nicht beweisen, dass du hier der Hengst bist." "Diese Analogie gefällt mir." "Zuviel Kontakt mit David..." Chris verdrehte gespielt die Augen. "Eindeutig zuviel Kontakt mit David, das wird eingeschränkt, rigoros, du darfst jetzt nur noch mit ihm spielen, wenn Jeremy und ich das erlauben, damit er dich nicht auch noch verdirbt!" "Ja, Daddy!", lachte Jason, er behielt die Tatsache, dass Jeremy und David mal wieder dicke Luft hatten, immer noch für sich. "Bevor wir wieder rüber gehen: Das Thema ist ja noch gar nicht gefallen, aber was machst du jetzt wegen Dallas?" Chris atmete tief ein. "Darüber habe ich den ganzen Abend nachgedacht... und ich glaube ich habe mich entschieden." Er lächelte etwas unsicher. "Ich habe wahnsinnige Angst davor, aber in einer Hinsicht hat Dave Recht. Es ist eine wundervolle Chance. Ich habe mir immer eine normale Familie gewünscht und jetzt habe ich die Möglichkeit, eine zu bekommen..." Er schmiegte sich an Jasons Brust und schloss die Augen. "Ich werde nach Dallas gehen." ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 20 Seiten! Ô_o Dieses Kapitel hat ohne dieses Nachwort sage und schreibe 20 Seiten und es wäre eigentlich noch länger, aber die Szene im Benkay wurde gekürzt (eigentlich sollten die Beiden noch zu Dave zurückkehren und Chris dort seine Entscheidung treffen) und die Auflösung des aktuellen David-Jeremy Plots gibt es nun erst im nächsten Kapitel. Das nächste Kapitel... das ist Nummer 25... ich hatte vor Urzeiten mal gesagt, dass diese Geschichte wohl 25 Kapitel haben wird... ich gehe jetzt mal grob geschätzt von der doppelten Anzahl aus ^^ Regen, ich liebe das. Ich wollte schon lange so eine Szene wie die zwischen Dave und Chris in dem Park schreiben, Schreierei im Regen hat etwas herrlich dramatisches ^^ Der heimliche Star dieses Kapitels ist ohne Zweifel Batman, der noch nie soviel vorkam ^^ Ich kann ihn gut beschreiben, weil wir selbst einen Beagle haben, auch wenn man den schon lange nicht mehr auf den Schoss nehmen kann, 18 kg sind etwas viel *lol* Endlich ist raus, warum David so ein Beziehungsphobiker ist ^^ Eine Rückblende darauf wird es nicht geben, ich denke, das reicht so aus. Am meisten Spaß hatte ich dann aber an der Benkay Szene ^^ Ich liebe es, aus Jason den eifersüchtigen, etwas machohaften Beschützer zu machen und dass er Mist baut ist nur recht und billig, kündigt er das doch im Gespräch mit David schon an. Dieses Kapitel ist wie gesagt dem lieben Uly gewidmet, er wird sicher verstehen warum ^^ Als mein Kollege im Club der tauben Nüsschen hat er sich das verdient! (*singt* Wir alle sind taube Nüsschen! *g*) Eigentlich müsste es das nächste Kapitel sein, wenn der Grund für die Widmung öfter vertreten ist, aber ich plane eine kleine Aktion für Kapitel 25, die jemand anderem eine Widmung zukommen lassen wird *lacht geheimnisvoll* Ich halte jetzt lieber das Maul, bevor mir das Kapitel nachher noch wegen des Nachwortes geteilt wird *lach* Bis zum nächsten Kapitel ^^ Euer taubes Nüsschen Uly (da muss irgendwo ein Nest sein, ich bin aber nur ein Halb-Uly *g*) PS: Ich weiß, dass die Umschreibung des Essens im Benkay eher grob ist, schließlich gibt es viele Arten Sushi, aber ich denke, für den hier gewollten Zweck reicht es. ^^ PPS: Steckbrief Update: Sly samt Bild online ^^ Kapitel 25: One step too close ------------------------------ David wusste eigentlich immer noch nicht so richtig, was er hier tat. Er stand nun zum dritten Mal in nicht einmal zwei Monaten vor einer Entschuldigung bei Jeremy. Allmählich wurde das zur Gewohnheit, irgendwie peinlich, verdammt peinlich sogar. Seit der Sache mit Jack hatte er Gefühle in sich vergraben, niemand mehr zu nah an sich heran gelassen, mit Ausnahme von Jason. Er hatte instinktiv gefühlt, dass er Jason vertrauen konnte. Zwischen ihm und dem Polizisten hatte sich eine Bindung aufgebaut, die weit über Liebe oder Sex hinaus ging. David war sich hundertprozentig sicher, dass Jason und er für immer Freunde bleiben würden, egal was auch geschah. Schließlich war es eigentlich sogar Jason zu verdanken, dass er nun hier war, vor Jeremys Wohnungstür, mit Donuts, Bagles und Muffins. Hoffentlich machte er sich nicht zum Affen. Was, wenn Jeremy die Tür sofort wieder zu knallen würde? Oder wenn Abby dies tat? Abby... David hoffte auf ihre Hilfe, aber vielleicht hatte sie auch schon längst von Jeremy ein Briefing bekommen und war ihm gegenüber ebenso negativ eingestellt wie der Tänzer. Was hatte sie noch gesagt? Wenn er Jeremy noch einmal weh täte, dann würde sie ihn in den Hintern treten. Na, Prost Mahlzeit! Er streckte den Finger nach dem Klingelknopf aus und senkte ihn wieder. Wollte er das wirklich? Warum war er hier? Wollte er wirklich eine Beziehung mit einem jungen Mann, der ganze zwölf Jahre jünger war? Konnte das gut gehen? War er überhaupt fähig, eine Beziehung zu führen? David schüttelte wild den Kopf. Diese Gedanken machten ihn noch wahnsinnig. Er musste endlich aufhören, in diesem Fall auf die Rationalität zu vertrauen und einfach mal spontan sein. Mit einer fast mechanischen Bewegung drückte er den Klingelknopf bis zum Anschlag durch. Auf der anderen Seite erklangen Schritte. David schloss die Augen. Er machte sich mental auf Geschrei, vielleicht auch auf eine spontane Ohrfeige gefasst, aber auf das, was ihn hinter der Tür erwartete, konnte er sich beim besten Willen nicht vorbereiten. Als er hörte, wie die Tür geöffnet wurde, machte er die Augen wieder auf und im nächsten Moment hatte der das Gefühl, dass sämtliche Farbe aus seinem Gesicht wich. Im Türrahmen stand Alexander Stone, nur in Shorts, und grinste ihn frech an. Sein Haar war zerzaust und er schien ein wenig übernächtigt, aber offensichtlich glänzender Laune. "Oh, Frühstück, wie nett!" bemerkte er beim Anblick der Bäckereitüten. "Was machen Sie hier?" war alles, was David hervorbrachte. Alex legte den Kopf schräg und lächelte. "Was denken Sie?" "Wo ist Jeremy?!" "Unter der Dusche." Alex sagte das mit einer Gleichgültigkeit, als wäre diese Situation vollkommen alltäglich. David machte einen Schritt in Richtung Wohnung, aber der andere Mann verstellte ihm den Weg. "Ich denke nicht, dass Jem Sie in der Wohnung haben will, nach dem zu urteilen, was er gestern über Sie gesagt hat." "Geh mir aus dem Weg!" "Sonst was, Alterchen?Willst du mich verprügeln? Hausfriedensbruch und tätlicher Angriff, als Anwalt müsstest du das doch wissen. Aber du bist schließlich blond." Sie waren ohne Übergang zum Duzen gewechselt, von gegenseitigem Respekt war hier ja nun auch keine Rede. David platze der Kragen. "Noch ein solcher Spruch und ich vergesse mich!" Alexander ließ sich davon keineswegs aus der Ruhe bringen. "Hör mal, Vanderveer, gib es auf. Du bist ein Idiot und wirst es bleiben, Jeremy ist zu gut für dich. Und mit dem, was du gestern getan hast, hast du es sowieso verbockt. Weißt du was? Jeremy und ich haben gevögelt! Fast die ganze Nacht, er war richtig ausgehungert, wahrscheinlich weil er endlich mal wieder einen jungen Kerl in sich hatte. Er hat geschrieen und gestöhnt. Ja, Alex! Ja! Besorg es mir! Genau so!" Weiter kam er nicht, denn Davids Faust krachte in sein Gesicht und zwar mit voller Wucht. Alex wurde in den Flur zurückgeschleudert und stürzte zu Boden. "Was ist denn hier los?!" Jeremy kam aus dem Badezimmer geeilt, er glänzte nass und trug nichts weiter als ein Handtuch um die Hüften. Alex lag am Boden und hielt sich die Nase, eine dünne Linie aus Blut lief über seine Lippe. "David?" Der Anwalt betrachtete ihn mit einem Blick, der zwischen Abscheu und Hass schwankte. "Ich bin so dämlich! Da trabe ich hier an, mit jeder Menge Frühstückskram, weil das ja soooo romantisch ist, will quasi auf Knien zu dir zurückrutschen und was ist? Du hast nichts besseres zu tun, als dich deinem Exfreund an den Hals zu werfen und ihn zu bumsen!" "Du wolltest doch, dass wir uns mit Anderen treffen!" "Und du scheinheiliges Aas hast dich deswegen aufgeregt! Aber jetzt reicht es mir!" Er warf die Tüten einfach in die Wohnung, der Inhalt rollte durch den Flur. "Ihr beide habt euch wirklich verdient!" Damit drehte er sich um und ging. "Verschwinde, du Arschloch!" brüllte Alex und trat die Wohnungstür zu. Mühsam rappelte er sich auf. "Verdammter Wichser! Der ist doch krank im Kopf! Prügelt einfach auf mich ein, ohne Grund!" "Halt die Schnauze, Alex!" "Was?!" "Rede nicht so einen Stuss, ich kenne dich! Du hast ihn provoziert, oder?" "Nein!" Jeremy seufzte. "Eine Nacht Sex und schon fängst du wieder an, mich zu belügen. Es ist wohl besser, wenn du jetzt gehst, Alexander..." Er kehrte ins Badezimmer zurück. Alex folgte ihm und stellte sich hinter den Tänzer, der vor dem Spiegel seine nasse Haare durchkämmte. Der dunkelhaarige Mann fuhr mit dem Zeigerfinger ganz langsam von Jeremys Schultern aus die Wirbelsäule hinab, bis zum Steiß. "Komm schon, du willst nicht, dass ich gehe." "Nein, ich sage so etwas nur zum Spaß, weißt du? Du merkst auch nicht, wann genug ist!" "Entschuldige, ja, ich habe ihn provoziert. Na und?" "Das war nicht nötig!" Alex nahm Jeremy in den Arm, sein Freund wehrte sich nicht. "Was hättest du denn getan? Wärst du wieder zu ihm zurück gegangen." "Ich weiß nicht..." Jeremy fing an, sich die Zähne zu putzen. "Verdammte Scheiße, Baby! Komm schon! Du bist doch kein Hündchen, dass hinter David Vanderveer her läuft! Der Kerl hat dir mittlerweile dreimal einen vor den Bug gegeben! Der verdient dich nicht! Gestern hast du dich wegen ihm besoffen und heute willst du ihm die Füße küssen, weil er dir ein paar Donuts mitbringt?!" Jeremy antwortete nicht, sondern starrte stur in den Spiegel. Das Problem bei der ganzen Sache war ja, dass Alex vollkommen Recht hatte. Wäre er nicht hier gewesen, wäre er vielleicht schon wieder zu David zurück gegangen, weil er so lieb und süß gewesen wäre, mit seinen Donuts und Muffins. Aber das wäre doch wieder nur ein Fehler gewesen. David änderte sich nicht mehr, daran gab es nichts zu rütteln. Vielleicht hätte er noch einmal ein paar schöne Tage bis Wochen erlebt und dann hätte der Anwalt wieder kalte Füße gekriegt und ihm wiederum eine reingewürgt wie den "Lass uns doch Andere treffen!" - Spruch. "Warum bist du so still?" "Du bist ja immer noch da..." "Ja, weil du gar nicht willst, dass ich gehe." Er zog Jeremy an sich und versuchte ihn zu küssen, doch der Tänzer schob mit einem angewiderten Gesichtsausdruck seine Hand dazwischen. "Putz dir die Zähne, das ist ja widerlich! Ich kriege schon immer zuviel, wenn ich in Filmen und Serien sehe, wie die sich direkt nach dem Aufstehen abschlecken, das ist zum Kotzen." "Meine Güte, du hast eine Laune!" Alex verdrehte die Augen. "Ich hab hier keine Zahnbürste." "Im Schrank sind noch welche, nimm dir eine." Alex tat wie ihm geheißen und putzte seine Zähne. Jeremy ließ sich auf der geschlossenen Toilette nieder und schaute ihm zu. Er sah immer noch so gut aus wie damals. Die schlanken Hüften, das hübsche Gesicht mit den schönen Augen, die glänzenden langen Haare. Es war unbestreitbar, dass ein Rest Anziehungskraft da war. Und ebenso unbestreitbar war, dass Alex sich wirklich verändert zu haben schien und das es absolut ungerecht war, dass er als Fokus für seine Wut über David hinhalten sollte. "Gib mir Zeit, ja?" Alex sah ihn überrascht an, er nahm die Zahnbürste aus dem Mund. "Waff?" nuschelte er, bevor er eilig den Schaum ins Waschbecken spuckte. "Gib mir etwas Zeit, okay?" "Was meinst du?" Jeremy zuckte mit den Schultern. "Ich will nichts überstürzen. Ich will auch nicht, dass du denkst, ich nehme dich als Notstopfen für diesen Idioten David, weil er mir dauernd weh tut." "Du hast alle Zeit der Welt, Baby." "Hast du Lust auf Frühstück?" lächelte Jeremy. "Willst du das Zeug auflesen, das Vanderveer hingeschmissen hat?" "Ich dachte, wir gehen irgendwo frühstücken, hier gibt es ein günstiges Café in der Nähe." "Gern." "Gut, ich hole mir eben Klamotten." Er eilte aus dem Badezimmer. Alex sah ihm nach und grinste breit. Konnte die Welt schöner sein? Er hatte eigentlich so gut wie gar nichts getan, das hatte Vanderveer alles ganz allein geschafft. Dieser bescheuerte Esel hatte ihm direkt in die Hände gespielt, beziehungsweise Jeremy in seine Arme geschoben. Vielleicht sollte er ihm eine Dankeskarte schicken. "Vielen Dank, dass du so ein dämlicher Trampel bist. Viele Grüße, Jeremys neuer, alter Freund Alex." Nur mühsam unterdrückte er ein triumphierendes Lachen. Chris rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn zwischen Kleiderschrank und Koffer hin und her, packte Hemden aus, Hosen ein, dann wieder Shirts ein und Hosen aus. Jason beobachtete das Ganze vom Bett aus mit einem eher belustigten Gesichtsausdruck, während Batman seinem blonden Herrchen neugierig hinterher wuselte und ihm zielsicher ständig in die Quere kam. Chris musste dauernd Haken schlagen, um den Welpen nicht zu treten. "Was, um Himmels Willen, treibst du da?" "Siehst du doch, ich packe." "Packen nennst du das? Du verschaffst den Klamotten doch nur ein wenig Ausgang, das meiste wandert sofort zurück in den Schrank." "Ich bin eben nervös!" seufzte Chris. "Und außerdem wählerisch! Und ich muss den richtigen Eindruck machen, bei meiner... Familie." Er tat sich sichtlich schwer, das Wort zu benutzen. "Mein Anzug ist ja ruiniert, den kann ich erst übermorgen aus der Reinigung holen. Nein, Moment!" Er grinste. "Du holst ihn ab, schließlich verdanke ich die Weinflecken nur dir und einer gewissen Meerrettichpaste." "Sei froh, dass du nicht Wasabi gesagt hast!" grummelte Jason. "Meine Geschmacksnerven sind immer noch taub." "Ich muss weiter packen, Jason." "Vielleicht sollte ich das machen, sonst wirst du nie fertig." "Soweit kommt es noch!" Während er das sagte, kramte er bereits wieder im Schrank, stellte sich dabei aber so ungeschickt an, dass ihm plötzlich ein ganzer Stapel T-Shirts entgegen rutschte. Er konnte sie nicht mehr halten und die ganze Chose fiel zu Boden. "So ein verdammter Scheiß!" Chris trampelte wütend auf den hilflosen Kleidungsstücken herum, als könnten sie etwas dafür. "Hey!" Jason kam zu ihm hinüber und schloss ihn in die Arme. "Ganz ruhig, wenn du so weiter machst, explodierst du noch." "Ich bin fix und fertig... ich bin so nervös..." Jason führte ihn zum Bett und ließ sich mit ihm darauf nieder. Chris streckte sich aus und legte seinen Kopf auf Jasons Schoß. Batman sah keineswegs ein, warum er beim Kuscheln fehlen sollte, und verlagerte seinen Platz von mitten im Zimmer direkt neben Jasons Beine, um sich daran zu schmiegen. Der Polizist streichelte sanft durch die langen Haare seines Freundes. "Es tut mir so leid, dass ich dir nicht beistehen kann..." "Du kannst doch nichts dafür..." "Trotzdem... aber ich muss morgen Nachmittag auf diese gottverdammte Fortbildung. Ich hasse so etwas, wahrscheinlich wieder nur so ein neues schrottreifes Computerprogramm zur Erfassung von Verdächtigen, das für mehr Verwirrung als für Entlastung sorgt..." "Du musst dich nicht rechtfertigen...", meinte Chris leise. "Ich bin dir nicht böse. Schließlich ist das dein Beruf." "Ich wäre aber gern an deiner Seite, wenn du deine Familie triffst." "Vielleicht ist es sogar gut so. Dann überfalle ich sie nicht gleich mit meinem schwulen Alltag." "Das war ein herrliches Kompliment, mein Schatz. Als "schwuler Alltag" wollte ich schon immer mal bezeichnet werden!" Chris kniff ihn in die Wade. "Blödmann! Du weißt, wie ich das meinte." "Ich wollte dich doch nur aufheitern!" schmollte Jason, aber sein Ton verriet was anderes. "Vielleicht sollte ich doch hier bleiben..." "Nichts da! Solchen Überlegungen schieben wir gleich einen Riegel vor. Du fliegst nach Dallas und lernst deine Familie kennen, wie es geplant ist. Und beim nächsten Mal bin ich dabei und dann lernen die auch endlich deinen schwulen Alltag kennen." Er fing an zu lachen. "Wenn du mich weiter aufziehst, schmiere ich dir demnächst heimlich Wasabi aufs Frühstücksbrötchen!" "Das würdest du tun?" "Ohne mit der Wimper zu zucken! Nur damit du es weißt!" grinste Chris. Er streckte die Hand vom Bett, um Batman den Kopf zu kraulen. "Wann geht deine Maschine?" "Dave holt mich heute am frühen Abend ab, die Maschine geht um sechs." Jason knurrte unvermittelt. Dave Jerrod war ihm seit der Wasabi-Katastrophe ein absoluter Dorn im Auge. Er war sich hundertprozentig sicher, dass dieser Mistkerl ihn absichtlich hatte auflaufen lassen. Der Abend war dementsprechend kühl und rasch ausgeklungen, aber Jason hatte zumindest noch einiges an Sushi essen können, schließlich schmeckte er nicht das Geringste. Der Gedanke, dass dieser Dave mit seinem Chris allein nach Dallas flog, behagt ihm gar nicht. Er hatte Chris bereits das Versprechen abgenommen, sich sofort nach der Landung zu melden und auch jederzeit, wenn etwas los war. Jason konnte es nicht genau definieren, aber Dave Jerrod beunruhigte ihn irgendwie. Die Tatsache, dass Chris und dieser Kerl früher was miteinander hatten, egal wie sehr Chris das auch runterspielte, ließ bei ihm alle Alarmglocken schrillen. Wer konnte schon wissen, was für Chancen sich dieser Bonze ausmalte! Jason hatte beschlossen, den ersten Flug nach Dallas zu nehmen und ihm eine in die Schnauze zu hauen, sollte er auch nur von dem geringsten Annährungsversuch erfahren. Das hatte er Chris auch verkündet, der die ganze Sache aber weitaus lockerer sah. Für ihn war Dave ein alter Freund, mehr nicht. Jason wünschte sich wirklich, dass er das auch so sehen könnte. "Was machst du dann eigentlich heute Abend?" "Ich werde mich nicht aus der Nähe des Telefons weg bewegen, das kannst du mir aber glauben. Vielleicht lade ich David ein, wenn er Lust und Zeit hat, ich könnte was kochen." "Du meinst, du lässt den Pizzaservice für dich kochen!" kicherte Chris. "Das wäre dann auch gesünder für David." "Du denkst wohl, ohne dich läuft hier gar nichts, du kleiner Angeber." "Genau!" Chris schwang die Beine vom Bett. "Und jetzt muss ich weiter packen." "Bist du etwas ruhiger?" "Ein wenig, zumindest weiß ich, dass ich eine Familie und ein Heim habe, in das ich zurückkehren kann, wenn das mit meiner Familie schief geht." "Das klingt, als wolltest du in Dallas bleiben, wenn deine Familie toll ist. Das macht mir jetzt Angst." Der blonde Mann lachte leise und gab Jason einen Kuss auf die Stirn. "Quatsch. Das war nur schlecht formuliert. Ich komme natürlich zurück! Ich meinte ja nur, dass ich keine Sorgen haben muss, wieder vollkommen allein zu sein." "Du wirst nie wieder allein sein, das garantiere ich dir!" stellte Jason lächelnd fest. Am Flughafen herrschte reger Betrieb. Jason hasste solche Orte. Die vielen Durchsagen, die ständig wechselnden Anzeigen, das ungeheure Gedränge, Hektik, Stress und Durcheinander wohin man sah. Da waren Koffer verloren gegangen, dort hatte man das Flugzeug verpasst, jemand wurde vom Zoll geschnappt, wieder woanders gab es heftige Abschiedstränen. Das nervige Prozedere des Eincheckens blieb Chris allerdings erspart, wartete doch Daves Privatjet auf ihn. Jason hätte am liebsten gekotzt, Dave Jerrod wurde ihm von Minute zu Minute unsympathischer, dieser ganze Luxus schrie geradezu Verführungsversuch. Vielleicht hatte er vor, mit Chris dem Mile-High-Club beizutreten, es gab sogar Airlines, die Flüge über San Francisco anboten, nur für Liebespaare, in kleinen Jets. "Guck nicht so verkniffen!" erriet Chris die Gedanken seines Freundes. "Dave hat keine Chance bei mir, auch nicht über den Wolken." "Lass dich ja nicht darauf ein, mit ihm Champagner zu trinken, der will dich sicher nur willig machen." "Du bist unmöglich, Jason! Sieh doch nicht immer nur Bedrohungen in anderen Männern." "Ich habe einen Engel zum Freund, was meinst du, wie viele Teufel sich nach dir die Finger lecken." Chris beugte sich hoch und gab ihm einen Kuss. "Danke, das war ein schönes Kompliment", lächelte er. "Da bist du ja!" Dave kam mit ausgebreiteten Armen auf die Beiden zu und umarmte den blonden Mann mehr als herzlich. Jason hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, ihm Chris' Reisetasche rechts und links um die Ohren zu hauen. "Ich hatte schon befürchtet, du kommst nicht mehr." "Sie haben Recht, es ist immerhin nur noch eine dreiviertel Stunde bis zum Abflug! Wie konnten wir nur so trödeln?" Dave ignorierte Jasons bissigen Kommentar vollkommen, was den Polizisten nur noch wütender machte. "Bist du aufgeregt?" "Wegen des Fluges nicht so sehr", antwortete Chris, "aber wegen des Reiseziels schon." "Das musst du nicht, ich bin ja bei dir." Chris bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Jason die Fäuste ballte, so heftig, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. "Wir müssen dann auch langsam los, die Maschine ist startklar, aber das Gepäck muss ja noch verstaut werden und dieser ganze andere Kram, ich bin da nicht so bewandert." "Für solch profane Dinge hat man ja seine Angestellten, nicht wahr?" "Jason!" zischte Chris. "Sie sagen es, Jason, Sie sagen es." Dave stellte das ohne mit der Wimper zu zucken fest und tat, als habe er die Spitze in Jasons Bemerkung nicht wahrgenommen, obwohl in seinen Augen deutlich Wut erkennbar war. Ohne darauf zu achten, zog Jason Chris an sich und drückte ihn. Dies war ihr erster Abschied seit sie sich wieder gefunden hatten und gleichwohl es nur wenige Tage waren, zerriss es Jason fast das Herz. Mit aller Kraft drängte er die Tränen zurück, ein wenig feucht wurden seine Augen aber trotzdem. "Ich werde dich vermissen...", flüsterte er. "Ich dich auch..." "Du rufst gleich an, wenn ihr da seid, ja? Und pass auf dich auf." Chris nickte nur, bevor Jason ihn noch näher an sich zog und ihm einen langen, liebevollen Abschiedskuss gab. Am liebsten hätte er ihn gar nicht mehr losgelassen. "Ich liebe dich." "Ich dich auch, Jason, aber tu bitte nicht so, als würde ich sterben. Ich fang gleich an zu weinen..." Chris lächelte seinen Freund an und gab ihm noch einen kleinen Kuss. "Okay, ich bin ja schon still." "Können wir dann?" mischte sich Dave mit einem leicht entnervten Unterton ein, er hatte die Arme verschränkt und tat mächtig in Eile, was Jason innerlich geradezu jubilieren ließ. So hatte die Abschiedsszene gleich doppelt Sinn gehabt. Ein echter Volltreffer in die Magengrube dieses Schnösels. Chris schulterte seine Reisetasche, während Jason Dave grinsend den Koffer in die Hand drückte. "Hier und bringen Sie mir meinen Chris gesund wieder." Dave hielt sich unter Kontrolle, wirklich bewundernswert, angesichts der Art wie Jason ihn provozierte. Aber er ließ sich nicht aus der Reserve locken. Chris und er gingen in Richtung Gate davon, als Jason plötzlich noch etwas einfiel. "Dave!" Der andere Mann drehte sich um, Chris blieb ebenfalls stehen. "Kommen Sie doch noch einmal kurz her. Du kannst ruhig schon dein Gepäck abgeben, Chris." Der blonde Mann blickte seinen Freund verständnislos an, ging dann aber dem Angestellten entgegen, der am Gate auf das Gepäck wartete. Jason fasste Dave am Arm und zog ihn ein Stück weiter weg. Sie standen sich an den hohen Fenstern gegenüber, hinter denen man die Maschinen auf der Rollbahn sehen konnte. "Was ist denn noch?" fragte Dave sichtlich genervt, aber mit Nervosität in der Stimme. Jason überragte ihn ein wenig. "Ich wollte Ihnen nur danken, dass Sie das für Chris tun und Ihnen eine gute Reise wünschen." Er lächelte. "Ach ja! Und wenn Sie auf die Idee kommen sollten, Chris anzurühren, dann breche ich Ihnen sämtliche Knochen im Leib und davor kann Sie nicht mal Ihre Kohle retten, haben wir uns verstanden?" Für eine Sekunde erschien ein erschrockener Ausdruck auf Daves Gesicht, aber er fing sich schnell wieder. "Und so etwas von einem Polizisten. Was Chris an Ihnen findet, ist mir schleierhaft. Sie sind unausstehlich." "Sie müssen mich auch nicht mögen, ich kann Sie auch nicht leiden. Aber so lange Sie die Finger von Chris lassen, ist für mich alles okay." Dave schnaubte, drehte sich um und stürmte zum Gate, wo Chris auf ihn wartete. Jason winkte lächelnd. Er fühlte sich gleich besser. "Eine gute Reise, wünsche ich!" Chris winkte ebenfalls und warf ihm einen Kuss zu, bevor sie gingen. Jason blieb allein in der Halle zurück und so gut er sich nach dem Dämpfer für Dave auch fühlte, er vermisste seinen Freund jetzt schon. Chris beobachtete aus dem Fenster des Jets wie San Francisco in den niedrigen Wolken verschwand und plötzlich hatte er das Gefühl, dass sich sein Herz zusammen krampfte. Er hatte sich nie irgendwo Zuhause gefühlt, aber in diesen sechs Monaten, die er hier mit Jason gelebt hatte, war San Francisco ihm ans Herz gewachsen. Diese Stadt hatte etwas, einen gewissen Zauber, der einen gefangen nahm. Chris konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder von hier weg zu ziehen, jemals ohne Jason zu leben. Er riss den Blick von der dichter werdenden Wolkendecke los und musterte das Flugzeug. Luxus pur. Wirklich beängstigend. Teure Ledersitze, eine Bar, es gab sogar Teppichboden. Der blonde Mann wurde plötzlich an die Realityserie "The Apprentice" erinnert, die er gern geschaut hatte, Donald Trumps Jet sah nicht viel besser aus, als dieser. Dave kam vom Cockpit hinüber. "Alles klar, das wird ein ruhiger Flug." "Das freut mich." Die Stimmung war etwas gedrückt, Dave ließ sich ein Stück weit von Chris entfernt nieder. "Das ist ein schönes Flugzeug", sagte Chris schließlich. "Danke. Du hast doch keine Flugangst, oder?" "Nein, keineswegs. Ich bin nur etwas melancholisch. Ich vermisse Jason jetzt schon." "Ach, das vergeht schneller als du denkst." "Was soll das denn heißen?!" fragte Chris ein wenig entsetzt. Dave schien in diesem Moment zu merken, was ihm da gerade heraus gerutscht war. "Oh, ich meine..." Er brach ab, ihm fiel offensichtlich keine Erklärung ein. Chris lehnte sich im Sessel zurück und schloss die Augen. "Ich schlafe ein bisschen, ich habe letzte Nacht nur wenig Schlaf gekriegt", teilte er kühl mit. Dave sagte nichts mehr, er starrte auf der anderen Seite der Maschine aus dem Fenster. Chris hatte also wenig Schlaf gekriegt. Wahrscheinlich weil dieser Prolet ihn gevögelt hatte. Bilder drängten sich in seine Gedanken. Chris' nackter, schlanker Körper, wie er sich stöhnend unter diesem groben Klotz von einem Polizisten wand. Sein glänzendes blondes Haar vom Schweiß verklebt, die zarten Lippen leicht geöffnet, gierig nach den Küssen dieses Dreckskerls, ekstatisch seinen Namen schreiend im Augenblick der höchsten Lust. Daves Finger verkrallten sich in die Armlehnen, während er sich vorstellte, gerade Jason Cunninghams Kehle zusammen zu drücken. Ganz langsam und genüsslich. Zuschauen, wie das Leben aus Cunninghams Augen wich, während er sich immer weniger wehrte. Ein Lächeln umspielte Daves Lippen. Ein schöner Traum... Die Wohnungstür fiel hinter Jason und Batman ins Schloss. Er hatte den Welpen gerade bei den Nachbarn abgeholt. Vor ihm lag der leere Hausflur, das leere Wohnzimmer, die leere Küche... ein leeres Haus eben. Batman saß neben ihm und schaute zu seinem Papi hoch, er wedelte mit dem Schwanz und wartete wohl darauf, dass er etwas mit ihm machte. Schließlich hob Jason ihn hoch und trug ihn ins Wohnzimmer. Er kickte die Schuhe in die Ecke und legte sich auf die Couch, den Beagle auf seinem Bauch. Batman ließ sich hin plumpsen und genoss die Streicheleinheiten, die er bekam. "Jetzt sind wir Beide allein, Batman..." Der Hund fing an, genussvoll an Jasons Shirt zu lecken, aus einem eher unerfindlichen Grund. "Ich vermisse Chris jetzt schon... das ist doch nicht normal... er ist gerade mal zwei Tage nicht hier und ich verfalle in Trauer... fast peinlich... glaubst du, ich klammere zuviel, Batman?" Batman schleckte weiter an Jasons Shirt herum. "So sehe ich das auch. Danke, Batman, was würde ich nur ohne dich machen?", grinste der Polizist und war froh, dass ihn gerade niemand bei seinem Zwiegespräch mit dem Vierbeiner hören konnte. Die Türklingel riss die Beiden schließlich aus ihrer tiefsinnigen Konversation. Der Hund sprang blitzartige von seinem Herrchen herab und eilte zur Haustür. Mit dem Schwanz wedelnd hüpfte er im Eingangsbereich herum, in freudiger Erwartung der Dinge, die da kommen mochten. Jason war ihm gefolgt und als er die Haustür öffnete, gab es für den kleinen Rüden kein Halten mehr. Fröhlich kläffend stürmte er auf seinen Lieblingsonkel zu, der ihn sofort auf den Arm nahm. "Welch seltene Freude in meinem Haus!" lachte Jason und trat einen Schritt zurück, um David den Weg frei zu machen. "Tritt ein, bring Glück herein!" Der Anwalt stiefelte grinsend an ihm vorbei. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er trug dunkle Lederstiefel, eine knallenge Bluejeans und dazu ein hautenges schwarzes Shirt ohne Ärmel. Um seinen Hals lag ein schwarzes Lederband mit einem silbernen Anhänger in Form eines Blitzes, an den Handgelenken hatte er mehrere lockere Lederbänder, sowie silberne Ringe am Daumen und Mittelfinger der rechten und am Zeigefinger der linken Hand. Jason schaute ihm verblüfft hinterher. "Oder Sexappeal... wow, Baby!" "Störe ich?" Jason boxte ihn auf den Arm. "Du störst nie! Außerdem hast du mich davor bewahrt, eine Diskussion mit dem Hund anzufangen... ich habe einen akuten Anfall von Vermissen! Lenk mich ab! Wie lief es mit Jeremy?" "Sag diesen Namen noch einmal und ich muss dich leider töten..." "So gut also doch...", seufzte Jason. "Wenn du jetzt fragst, was ich verbockt habe, muss ich dich auch leider töten. Und glaube mir, Batman würde mich nicht verpfeifen." Er setzte den Hund wieder ab. "Themenwechsel: Wir sind zwei heiße Typen und zumindest einer von uns ist vollkommen frei, also, wo wollen wir hingehen? Lass uns die Stadt unsicher machen!" "Gegenangebot: Hast du Lust, mir Gesellschaft zu leisten? Ich habe keine Lust auf Alleinsein. Dann können wir auch über alles reden." "Wie langweilig! Wirst du zum Stubenhocker?" "Liebster David, ich enttäusche dich nur ungern, aber ich werde mich nicht aus der Nähe des Telefons weg bewegen." "Oh, Chris, natürlich, er ist ja auf dem Weg nach Dallas." David war natürlich noch am gleichen Abend informiert worden. "Also, machst du mit mir den Stubenhocker? Ich könnte Gesellschaft gebrauchen. Das wäre natürlich eine Verschwendung deines heißen Outfits." "Ich habe noch jede Menge Zeit, dieses Outfit spazieren zu führen! Du hast mich überredet, Männerabend daheim", grinste David. "Einen Moment!" Er eilte zur Tür zurück und hob das Paket auf, dass er dort abgestellt hatte, um Batman hochzuheben. Ohne große Umschweife drückte er es Jason in die Hand. "Ein Gastgeschenk", antwortete er auf den fragenden Blick hin und verschwand samt Anhang ins Wohnzimmer. Sobald David da war, gab es kaum etwas, dass Batman noch von seiner Seite holen konnte, ihr kleines Geheimnis war eine großartige Verbindung. Jason öffnete das Präsent. "Holy Jesus! David!" Er stürmte ins Wohnzimmer, mit dem Inhalt in der Hand. Einem übergroßen Latexpenis, sogar mit ziemlich überdimensionierten Hoden und einer separaten Fernbedienung. "Was ist das?!" "Chris ist erst so kurz weg und du hast schon vergessen, was das ist?" kicherte der Anwalt hämisch. "Ich wollte dir nur ein wenig helfen, wieder zu lernen, dich mit dir selbst zu beschäftigen." "Dieses Teil ist beängstigend." "Sunshine, wenn ich mich recht erinnere, solltest gerade du an eine gewisse Größe gewöhnt sein. Glaube mir, dieser Vibrator vollbringt wahre Wunder. Hast du übrigens noch Oreos?" "Du benutzt die Worte Vibrator und Oreos in einem Atemzug?" David lehnte sich auf der Couch zurück, die Beine lässig übereinander geschlagen und grinste nur. Jason musterte den Knüppel in seiner Hand etwas verstört. "Und diese niedlichen Elefantenhoden, die muss man gesehen haben..." "Jason, die haben ihren Sinn. Du möchtest doch nicht, dass dieser Zauberstab im Eifer des Gefechts verloren geht. Das wird peinlich in der Notaufnahme." "Das war anschaulich, vielen Dank", stöhnte sein Freund, während er die Fernbedienung in der Hand drehte. "Dazu noch eine Fernbedienung. Wie faul kann man sein?" "Entspannen und genießen, Sunshine, entspannen und genießen. Ich liebe dieses Ding, zumindest wenn gerade nichts Echtes greifbar ist." Jason zuckte zusammen, als der mächtige Phallus plötzlich ein Eigenleben entwickelte und mit einem kaum hörbaren Summen anfing zu vibrieren und leicht zu rotieren. "Stufenlos regelbar, aber die höchste Stufe ist nur bedingt empfehlenswert... hat etwas von einem Pürierstab...", kam es vom Experten. "Sag mir bitte, dass dieses Ding neu ist." David lachte schallend. "Für was hältst du mich, Sunshine? Absolut jungfräulich!" "Na, Gott sei Dank. Magst du ein Bier?" "Gern, ich dachte schon, ich müsste hier verdursten." Jason legte den Vibrator auf den Couchtisch. "Aber nur unter einer Bedingung!" Der blonde Mann hob eine Augenbraue. "Du erzählst mir, was mit Jeremy los ist!" David legte den Kopf in den Nacken, dann stand er auf und legte den Zeigefinger auf Jasons Brust. "Wie wäre es, wenn ich dir stattdessen lieber helfe, zu lernen, wie man richtig mit dem Dick-Star Eintausend umgeht." Jason schob seinen Finger weg. "Das könnte dir so passen. Setz dich hin, mach es dir bequem und ich hole das Bier." "Glaub nicht, dass ich dir noch einmal einen Schwanz schenke, du Nervensäge!" knurrte David, als Antwort erntete er jedoch nur ein Lachen. Chris warf sich in seinem Hotelzimmer aufs Bett. Wieder so ein nobler Schuppen und er konnte es nicht einmal genießen. Die Angst vor dem folgenden Tag schnürte ihm regelrecht die Kehle zu und auf der anderen Seite war die Sehnsucht nach Jasons Umarmung. Dave hatte das Zimmer neben ihm, aber er hatte ihn darum gebeten, ihm etwas Ruhe zu gönnen. Der Flug hatte nicht lange gedauert, aber er war anstrengend gewesen. Eisiges Schweigen, die ganze Zeit, erst kurz vor dem Dallas Airport hatte Dave plötzlich vollkommen normal mit ihm geredet, als wäre nichts gewesen. Chris fragte sich immer noch, was dieser Satz von Dave bedeuten sollte. Irgendwie hatte er ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Und dagegen gab es nur eines zu tun. Er griff nach dem Telefon. "Ich glaube das nicht..." Jason nippte an seiner Flasche. "Glaube es ruhig, Sunshine. Das war es und zwar endgültig." "Ganz sicher?" David stand auf und streckte sich. "Das heißt:", er drehte sich auf der Stelle und breitete die Arme aus. "Der alte David ist wieder da! Und das wurde langsam Zeit! Ich bin zu lange weg gewesen. Kein Romantikscheiß mehr! Ab jetzt gehe ich wieder auf die Piste und werde das tun, was ich am besten kann: Süße Typen flachlegen!" "Und damit bist du glücklich?" Sein Freund schaute ihn vollkommen perplex an. "Hast du mir nicht richtig zugehört?" "Doch, du willst dich wieder vollkommen aufs Vögeln konzentrieren, statt dich um Jeremy zu bemühen." "Und dann fragst du noch, ob ich damit glücklich sein werde? Natürlich!" "Wenn du das sagst." David grinste. "Sunshine, versuch es erst gar nicht! Du stimmst mich nicht um. Alles, was ich brauche, sind guter Sex und..." Er setzte sich neben Jason und legte den Arm um ihn, "meinen besten Freund auf der ganzen Welt." Jason bekam einen Kuss auf die Wange. "Ich gebe es auf... wir enden noch mal wie die Golden Girls... wir werden in einem Haus in Florida wohnen, alt und grau. Und du übernimmst die Rolle von Blanche." David kicherte albern. "Dann ist Chris Dorothy." Jason verschränkte die Arme vor der Brust und schaute gespielt böse. "Ach ja? Ich bin dann also Rose, na vielen Dank auch! Natürlich kriege ich die Rolle des Dummchens." Statt zu antworten, fing David an zu singen. "Thank you for being a friend! Travel down the road and back again! Your heart is true, your a pal And a confident!" Obwohl er sich nur mühsam ein Lachen verkneifen konnte, stimmte auch Jason mit ein. "And if you throw a party invited everyone you know you would see, the biggest gift would be from me and the card attached would say:" Die letzte Zeile grölten beide im Chor, mehr schlecht als recht. "Thank you for being a friend!" Jason und David lachten albern. Batman schaute die Beiden ein wenig verstört an. In die selige Stimmung klingelte das Telefon. Jason schoss regelrecht vom Sofa hoch und stürmte zum Apparat. "Chris?!" David nahm Batman auf den Schoss und kraulte ihn. "Schau dir das an. Ist das nicht süß?" Der Welpe antwortete nicht, aber David akzeptierte das als Ja. Das Gesicht seines Freundes hellte sich sichtbar auf. "Hallo, Schatz!" Chris rollte sich auf den Rücken und spielte mit einer seiner blonden Strähnen. "Störe ich?" "Aber nein, du könntest überhaupt nicht stören!" kam Jasons Stimme aus Kalifornien. "Wir haben nur ein wenig gesungen!" lachte David. "War das David? Ihr habt gesungen?" "Ja, er war es, einen Moment." Chris hörte einen Augenblick nichts, dann seinen Freund die Treppe hinauf hetzen. "Kannst du David einfach allein lassen?" "Er hat zugestimmt, dass wir miteinander allein sind. Er hat Batman und eine Menge anderer Unterhaltung da unten. Wir haben Zeit." "Danke, Jason... ich brauche dringend jemanden zum Reden." Chris Blick wanderte über die Decke. In diesem Hotel gab es keine Stockflecken, keine Spinnweben, alles war vollkommen sauber. "Ist Dave nicht da?" Chris setzte sich auf. "Was soll denn dieser Unterton? Er ist im Zimmer nebenan." "Wie passend, schließ ja die Zwischentür ab, sollte es eine geben!" "Jason...", meinte der blonde Mann etwas ungeduldig. "Ist ja gut. Ich traue diesem Schnösel von hier, bis um die nächste Ecke. Der will nur seine Finger an dich kriegen... oder in dich..." "Deine Eifersucht kennt wirklich keine Grenzen. Hast du so wenig Vertrauen zu mir." Jason lächelte. "Nur weil ich soviel Vertrauen zu dir habe, habe ich dich mit diesem Geldsack allein gelassen." "Ich habe Angst...", wechselte Chris das Thema. "Vor morgen?" Er nickte und registrierte im nächsten Moment, dass Jason das ja gar nicht sehen konnte. "Genau", bestätigte er zusätzlich. "Was mache ich bloß, wenn meine Familie mich nicht leiden kann?" "Wie sollte man dich nicht leiden können?" "Schmeicheleien sind nicht hilfreich, mein Schatz!" "Das war mein vollkommener Ernst", entgegnete Jason. "Du musst wirklich keine Angst haben. Lenk dich ein bisschen ab. Schau fern oder so. Dallas ist eine schöne Stadt, vielleicht gehst du aus... nein, doch besser nicht", lachte er. "Scherzkeks." Chris musste auch lachen. "Ich weiß nicht so recht, wie ich mich ablenken soll... hast du einen Vorschlag?" "Was hast du eigentlich an?" "Was ich...? Was soll die Frage?" "Antworte einfach." "Ich habe Shorts und ein T-Shirt an, weil es bequemer war, als die Klamotten vom Flug." "Welche Shorts?" "Jason!" kicherte Chris. "Na los, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen." "Die rote mit dem kleinen Snoopy auf dem rechten Bein. Die, die du mir geschenkt hast." "Oh, die steht dir gut..." Er sprach leiser, mit einem eindeutigen Unterton in der Stimme. "Wenn ich jetzt da wäre, würde ich sie dir jetzt ganz langsam ausziehen..." "Jason... was wird das?" "Dann würde ich dein T-Shirt hochschieben und dich ganz sanft um den Bauchnabel herum küssen...", fuhr Jason unbeirrt fort. Chris ließ sich in die Kissen zurück sinken, ihm wurde bei dem Gedanken an das, was Jason da gerade sagte, ganz warm. Die Situation fing an, ihm zu gefallen. Die Idee war nicht schlecht. "Was würdest du dann machen?" fragte er, während seine Hand langsam unter den Bund seiner Shorts wanderte. "Dann würde ich ganz langsam mit der Zunge an deinen Hüften entlang fahren, deine Lenden hinab, bis zu deinem..." Jetzt wurde Chris endgültig heiß. Als Jason wieder nach unten kam, saß David im Wintergarten und schaute in den Garten, der langsam im Zwielicht verschwand. Batman lag auf seinem Schoss und der Anwalt kraulte ihn gedankenverloren. Jason hoffte, dass er keine roten Ohren hatte, ihm war immer noch heiß. Er hatte noch nie in seinem Leben Telefonsex gehabt, aber das eben war einfach nur umwerfend gewesen. "Na du? Was treibst du?" "Was habt ihr getrieben?" stellte David lächelnd eine Gegenfrage. "Hast du etwa gelauscht?" "Keineswegs, aber du scheinst beschämt. Wenn ihr euch am Telefon einen runter geholt habt, ist da doch nichts dabei." "Natürlich, das ist etwas vollkommen alltägliches. Du bist wirklich ein Original." David setzte Batman auf den Boden, der Hund wich jedoch nicht von seiner Seite. "Manchmal beneide ich dich...", sagte er plötzlich. "Um Telefonsex?" "Blödmann!" grinste David, doch es schien nicht ganz so spaßig zu sein, wie er tat. "Im Ernst... ihr Beide habt etwas Besonderes... eure Beziehung ist wundervoll. Ihr vertraut einander, ihr vermisst euch, selbst wenn der Andere nur ein paar Tage weg ist... ihr könnt über alles reden, zwischen euch existieren keine Wände, keine Geheimnisse... trennt euch ja niemals, hörst du?" "Was sind denn das für Töne? Ist das jetzt der alte oder der neue David?" "Ich weiß nicht..." David wandte sich zu Jason um. "Ich weiß in letzter Zeit selbst nicht mehr, wer ich bin... als ich heute vor diesem Arschloch Alex stand und er mir vorführte, wie Jeremy gestöhnt hat, da bin ich total durchgeknallt. Ich hab mich immer für abgeklärt genug gehalten, um mich nicht zu einem Faustschlag provozieren zu lassen..." "Manchmal tut das gut!" lachte Jason. "Es hat verdammt gut getan! Aber ich fühle mich trotzdem nicht besser. Ich hab mich aufgedonnert und wollte heute Abend jemanden flach legen... aber jetzt, wo ich hier auf dich gewartet habe... ich will das gar nicht... ich will nur nicht allein sein. Ich fühle mich immer wohl in eurer Umgebung... und mir graut es vor dem Gedanken, nachher wieder allein in meine Wohnung zu fahren." Jason wusste für einen Moment nicht, was er sagen sollte. Allmählich beschlich ihn das Gefühl, David noch nicht wirklich zu kennen. Er schaffte es immer noch, ihn zu überraschen. Eben noch hatte er so getan, als würde ihn die ganze Sache mit Jeremy kein bisschen berühren und jetzt war es vollkommen anders. David schien wirklich getroffen. Und er tat Jason unendlich leid. "Wie wäre es, wenn du heute Nacht hier bleiben würdest?" Sein Freund lächelte schief. "Ich glaube nicht, dass es das Richtige wäre, wenn wir..." "Das meinte ich doch gar nicht!" Jason konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, so ganz war der schwanzgesteuerte David wohl doch nicht verschwunden. "Ich meinte, dass du hier übernachtest. Dann wärst du nicht allein und ich auch nicht. Wir könnten im Wohnzimmer pennen und noch etwas quatschen." "Lädst du mich gerade zu einer Pyjamaparty ein?" "Sieht so aus." "So etwas machen nur Mädchen, Sunshine!" grinste David. "Wir sind schwul, wir dürfen das." "Aber würde Chris das gefallen? Wegen unserer Vergangenheit, meine ich..." "Er vertraut mir und das kann er auch. Ich werde mich heldenhaft wehren, solltest du mich heute Nacht mit den Worten "Ich habe etwas Großes für dich" wecken." David kicherte albern. "Als wenn ich so etwas je sagen würde. Hast du eigentlich keine Angst, dass dieser Dave mit einem ähnlichen Satz zu Chris kommt." "Ich traue Dave Jerrod keinen Meter über den Weg, aber ich weiß, was ich an Chris habe. Er würde mich nicht betrügen und er ist erstrecht nicht empfänglich für Verlockungen wie eine dicke Brieftasche." "Die lässt Dave doch bestimmt sowieso nur so raushängen, weil er es woanders nicht so dicke hat!" grinste David. "Oder weil es da immer hängt." Beide fingen an zu lachen. Mitten in diesem ausgelassenen Moment zog David Jason plötzlich an sich und umarmte ihn. Er hielt ihn fest. Jason erwiderte die Umarmung etwas überrascht. Batman reagierte ziemlich eifersüchtig und sprang an den Beinen der beiden Männer hoch. "Was ist los?" fragte Jason leise. "Danke..." "Wofür denn?" "Das du immer da bist... und dafür, dass ich bei dir auch mal schwach sein darf..." "Deswegen bist du doch mein bester Freund." Jason lächelte, schon wieder etwas, was er von David niemals erwartet hätte. Mitten in der Nacht wurde Jason wach. Er blickte sich etwas verwundert um, bis er realisierte, dass er im Wohnzimmer auf der ausgeklappten Couch lag. Das Feuer im Kamin war runter gebrannt und glomm nur noch schwach. Endlich bemerkte er, warum er wach geworden war. Batman kratzte an der Glastür im Wintergarten. Er jaulte leise. "Was ist los, mein Kleiner?" Jason stand auf und kratzte sich. Die Seite neben ihm war leer. Der Polizist ging in den Wintergarten hinüber und nahm den Welpen auf den Arm, bevor er die Verandatür aufdrückte. Eiskalte Luft fegte ihm entgegen. Es war schon bald Dezember und obwohl es tagsüber immer noch sehr angenehm war, wurde es nachts empfindlich kalt. Jason bekam eine Gänsehaut. David stand auf der Terrasse, er hatte seine Jeans und Stiefel wieder angezogen, doch den Oberkörper frei, obwohl er eine Gänsehaut hatte. Seine Zigarette leuchtete schwach in der Dunkelheit. "Was wird das? Willst du eine Lungenentzündung?" "Habe ich dich aufgeweckt?" "Nein, dein kleiner Verehrer wollte zu dir und hat mich dabei geweckt." Batman strampelte auf seinem Arm. "Er sollte sich lieber von mir fern halten..." David zog an seiner Zigarette. "Was meinst du?" Der blonde Mann seufzte. "Nichts... ich rede Unsinn..." "Das wird die Unterkühlung sein. Dein Hirn friert ein. Und wieso rauchst du? Das hast du schon länger nicht mehr gemacht." David lachte leise. "Ich hatte irgendwie das Bedürfnis danach... Jeremy mag den Geruch nicht, aber ich hatte noch welche... und ich konnte nicht schlafen..." "Habe ich geschnarcht?" "Das auch... aber daran lag es nicht. Ich habe die ganze Zeit nachgedacht..." Für einen Augenblick herrschte Stille, nur von den schwachen Tönen aus der Stadt durchbrochen. Ein Auto fuhr vor dem Haus vorbei. "Ich wünschte, ich hätte Jeremy nie kennen gelernt...", sagte er plötzlich. Jason erwiderte nichts, sondern musterte seinen Freund nur. "Ich hätte mein Leben weiter gelebt und er seines... jetzt haben wir uns Beide nur weh getan. Und ich wünschte, ich könnte jetzt sagen, dass er mir egal ist... aber das ist er nicht... ihn heute mit Alex zu sehen, hat geschmerzt..." "Du bist verliebt, David." Der Anwalt sah ihn mit teilnahmsloser Miene an. "Ja... sieht so aus..." "Du sagst das, als wäre es etwas schlimmes." "Ist es auch. Weil es sinnlos ist." "Liebe ist nie sinnlos!" widersprach Jason. "Verwechsle uns nicht mit Chris und dir. Wir werden nie so glücklich sein. Jeremy ist viel zu jung... oder ich zu alt. Das ginge niemals gut. Außerdem hat er immer noch Gefühle für Alex... und er ist sicher auch besser für ihn, als ein Kerl wie ich, der nicht einmal mehr weiß, wie man seinen Gefühlen richtig Ausdruck verleiht..." "Aber du liebst ihn doch!" David schnippte die Zigarette in die Erde des Blumenbeets vor der Terrasse und drückte sie mit dem Fuß aus, so dass sie darin verschwand. "Manchmal reicht das nicht aus, Jason..." Damit ging er einfach wieder ins Haus. Jason schaute ihm fassungslos nach. Chris' Herz schlug bis zum Hals, als er aus dem Wagen stieg, der Dave und ihn zu ihrem Ziel gebracht hatte. Es war ein wunderschöner, klarer Wintermorgen in Dallas, der Himmel war stahlblau und nur vereinzelt zogen Wolken daran entlang. Seine Familie wohnte in einer offenbar sehr ruhigen, schönen Nachbarschaft. Niedliche Einfamilienhäuser mit Vorgärten, in denen bei einigen Nachbarn schon die Vorbereitungen für den alljährlichen Wettbewerb um die schönste Weihnachtsdekoration getroffen wurden. Mehr Kitsch, mehr Lampen, mehr Rentiere, mehr von allem und in erster Linie mehr als in Nachbars Garten, eine friedliche, wenn auch verbissene Art von Vorstadtkrieg. Das Haus der McKays war weiß gestrichen und hatte einen kleinen Teich im Vorgarten. Eine rotweiß getigerte Katze saß auf dem Weg zum Haus. Chris beobachtete Dave, wie er lächelnd zur Tür ging und die Klingel drückte. Er selbst blieb ein ganzes Stück entfernt stehen. Seine Hände zitterten, sein Puls raste, er hatte regelrecht Panik vor dem, was nun kommen würde. Als die Tür geöffnet wurde, trat eine nett aussehende Frau Ende vierzig heraus. Sie trug einen einfachen Hauskittel mit Blumen darauf, darüber eine weiße Schürze und hatte gelbe Gummihandschuhe in der Hand, offenbar hatte sie geputzt. Chris' Herz setzte einen Moment aus, als ihm bewusst wurde, dass diese Frau mit den immer noch blonden Haaren, seine Mutter war. Sie hatte sich kaum verändert. Bei Daves Anblick lächelte sie freudig. "Dave! Schön, Sie zu sehen!" "Es ist mir auch immer eine Freude, Mrs. McKay, aber heute geht es nicht um mich, ich habe Ihnen eine Überraschung mitgebracht." Mit diesen Worten trat er einfach zur Seite und gab den Blick auf den Vorgarten frei. Chris wusste nicht, was er sagen oder tun sollte, er stand einfach nur da und schaute seine Mutter an. Plötzlich hatte er Angst, dass sie ihn vielleicht nicht einmal erkennen würde. Schließlich brachte er es fertig, die Hand zu einem etwas hilflosen Gruß zu heben und fast tonlos "Hi, Mum..." zu flüstern. Das Gesicht seiner Mutter veränderte sich in einer Weise, die er noch nie gesehen hatte. Ihre gesamte Miene schien regelrecht zu leuchten, einen solchen Ausdruck unbändiger Freude hatte Chris noch nie in seinem Leben zu Gesicht bekommen. Die Gummihandschuhe fielen zu Boden und Mrs. McKay flog regelrecht in die Arme ihres Sohnes. Tränen rannen unablässig über ihr Gesicht, während sie sich an ihr Kind presste, das sie mittlerweile um einiges überragte. Chris schloss sie in seine Arme und fing selbst an zu weinen, er kam nicht dagegen an. Wenig später saß Chris bei seiner Mutter in der Küche. Das Haus was schön und hell eingerichtet, vollkommen anders, als Chris sein Elternhaus in Erinnerung gehabt hatte. Dieser Ort strahlte Wärme und Geborgenheit aus. Kathy-Sue hatte neben ihrem Sohn am Küchentisch Platz genommen und hielt unablässig seine Hand, als habe sie Angst, ihn wieder zu verlieren, wenn sie ihn los ließe. "April und Brian müssten bald aus der Schule kommen, beziehungsweise vom College, in Brians Fall, die werden Augen machen!" lächelte sie. "Und dein Vater... ich meine, dein Stiefvater, ist auch auf dem Heimweg, ich habe ihn sofort angerufen." "Ich hoffe, ich störe nicht, Mum..." "Aber nein!" Sie strich ihm über die Wange. "Das ist der schönste Tag meines Lebens. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, dich je wieder zu sehen und dann wurden meine Gebete doch noch erhört. Und nun schau sich einer an, was für ein schöner Mann mein Sohn geworden ist." "Er hat ihre Augen, Mrs. Fairgate", mischte sich Dave ein, der an der Küchenspüle lehnte. Chris schaute ihn überrascht an. Das hatte schon wieder so einen merkwürdigen Unterton gehabt. Bevor er aber darüber nachdenken konnte, beugte sich Dave zu ihm und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. "Ich werde mich dann mal verabschieden. Wenn ich schon mal in Dallas bin, kann ich auch ein paar Dinge erledigen, geschäftlicher Kram. Ich will auch die Familienzusammenführung nicht stören." "Dave, Sie könnten uns doch gar nicht stören. Sie haben mir schließlich meinen Sohn erst wieder gebracht." "Trotzdem, Mrs. McKay, ich muss wirklich los. Ich finde selbst raus." Er lächelte Chris an. "Du hast meine Telefonnummer, wenn du abgeholt werden möchtest. Viel Spaß." "Danke." Dave verließ die Küche und plötzlich war Chris mit seiner Mutter allein. Sein Herz schlug wieder schneller. "Ich kann es immer noch nicht glauben, mein Sohn ist wieder bei mir." "Ich kann es auch immer noch nicht ganz glauben... als Dave in San Francisco auftauchte und mir von all dem hier erzählte... fast wäre ich nicht gekommen." Sie schaute ihn überrascht an. "Warum?" "Weil ich nicht wusste, ob ich hierher gehöre..." "Natürlich tust du das!" "Mum..." Chris stand auf. "Mum... ich bin nicht gerade ein Traumsohn." Seine Mutter erhob sich ebenfalls und legte ihm die Hand auf die Wange. "Du bist immer mein liebster Sohn gewesen. Dein Vater hat unser beider Leben zur Hölle gemacht. Als ich dich verloren habe... ist ein Teil von mir gestorben." "Mum... ich bin nicht mehr der Junge von damals... ich bin... ich war..." Er brach ab. Was wollte er da eigentlich erzählen? Mum, ich war ein Junkie. Mum, ich war ein Stricher? Würde seine Mutter das verkraften? Sicher nicht. "Ich bin schwul", beendete er schließlich den Satz. "Und du glaubst wirklich, dass das etwas ändert?" Sie lächelte ihn voller Wärme an. "Du bist mein Sohn und ich werde dich unter keinen Umständen ein zweites Mal verlieren." "Mum! Wir sind daheim!" Die Haustür fiel lautstark ins Schloss und in der nächsten Sekunde fegte ein junges Mädchen in die Küche, gefolgt von einem älteren Jungen. April und Brian, wie Chris vermutete. April war ein Ebenbild ihrer Mutter in jungen Jahren, so wie Chris sie von Fotos im Familienalbum kannte. Lange, lockige blonde Haare, blaue Augen, zierlich und schlank. Sie trug einen Cheerleader Dress und eine Sporttasche. Brian war größer als sie und ebenfalls schlank, eher schon etwas schlaksig. Er machte einen sehr sympathischen Eindruck. Auch er hatte blonde Haare und die gleichen Augen, die Gene seiner Mutter schienen äußerst dominant. Allerdings trug er eine modische Brille, die gut zu seinen weichen Gesichtszügen passte. Seine Kleidung outete ihn als typischen Collegeboy. April blieb abrupt stehen, als sie Chris erblickte. "Wow!" entfuhr es ihr. Brian gab seiner Schwester einen gespielten Klaps auf den Hinterkopf und streckte Chris dann die Hand entgegen. "Ich wusste gar nicht, dass wir Besuch haben. Ich bin Brian und dieses starrende Wesen hier ist meine Schwester April." Chris schüttelte lächelnd seine Hand. Das war irgendwie amüsant. "Schön dich kennen zu lernen. Ich bin Chris." Überraschung zeigte sich auf seinem Gesicht. "Du bist...? Etwa der Chris, Mum?" "Ja", nickte Mrs. McKay, "das ist euer Halbbruder Chris." Jetzt waren die Beiden erst recht nicht mehr zu halten. Es dauerte nicht lange und alle saßen um den Küchentisch herum und besonders April löcherte ihren Bruder mit vielen Fragen. Sie war ein sehr aufgewecktes Mädchen, wie Chris feststellen musste, und nicht wirklich auf den Mund gefallen. Schließlich kam die unausweichliche Frage. "Und? Hast du eine Freundin?" Chris sah seine Mum für einen Moment an, offenbar hatte sie die genauen Umstände von seinem Verschwinden nicht erklärt. Sie nickte nur. Und Chris war sich plötzlich klar, dass das hier seine Familie war und er absolut keinen Grund hatte, sich zu verstecken. Wozu hatte er Jason stundenlang gepredigt, dass er keine Angst vor seiner Familie haben sollte? Natürlich hatte er zu dem Zeitpunkt noch vollkommen anders über seine eigenen Eltern gedacht, aber das war ja nun mehr als irrelevant. "Nein...", lächelte er schließlich. "Ich lebe mit meinem Freund Jason zusammen." "Oh, nein!" Brian kniff die Augen zusammen. "Das gibt eine Katastrophe!" Bevor Chris überhaupt fragen konnte, was er damit meinte, fiel sein Blick auf das Gesicht seiner Schwester. Darin hatte sich etwas verändert. Ihre Augen strahlten plötzlich regelrecht, ein Grinsen umspielte ihre Lippen und sie lief rot an. "Du... du... du bist... schwul?" Sie sprach das Wort mit gerade zu feierlichem Unterton aus. "Äh, ja...", bestätigte Chris etwas unsicher. Sie holte Luft. "Das ist ja so genial! Ich fasse es nicht! Meine Freundinnen drehen durch!" "Am besten nimmst du Eintritt für ihn!" Brian verdrehte die Augen. "Blödmann!" Sie sprang auf und schnappte sich Chris' Hand. "Komm mit!" Bevor Chris überhaupt wusste, wie ihm geschah, zerrte seine ihm noch fast unbekannte Halbschwester ihn die Treppe hinauf in Richtung ihres Zimmers. Aprils Raum, Zutritt verboten! Damit meine ich dich, Brian!, stand an der Tür. Das Zimmer war niedlich eingerichtet, ein Mädchenzimmer durch und durch, aber der Prinzessinnenkram verschwand hinter einem etwas anderen Look. Die Wände waren regelrecht tapeziert mit Postern, schwarzweiße Aufnahmen von Waschbrettbäuchen, Männern in innigen Umarmungen, darunter auch Zeichnungen von küssenden Paaren, alles Männer. April grinste ihn an. "Gefällt dir das?" "Es ist... ausgefallen..." Sie sprintete zu ihren Regalen und zog einen Stapel Bücher heraus, die sie ihm hinhielt. Chris musterte die Titel. Kizuna, Love Mode, Wild Rock, Until the Full Moon, Embracing Love, alle Bände hatten eines gemeinsam, auf den Covers waren ausschließlich Männer. Teilweise beim Küssen oder Kuscheln. "Kennst du diese Mangas?" "Mangas?" Sie nickte eifrig. "Ja! Japanische Comics! Das ist total in! Das ist Shonen-ai, da geht es nur um Schwule." Chris nahm einen der Comics in die Hand und blätterte. "Wow!" rutschte es ihm heraus, als plötzlich zwei der Charaktere über mehrere Seiten hinweg ziemlich deutlich zur Sache kamen. "Weiß Mum, dass du so etwas liest?" "Ja, natürlich. Meine Freundinnen lesen das auch alle, es ist so niedlich! Aber ich bin die Einzige, die wirklich einen echten Schwulen kennt! Meine Freundinnen werden grün vor Neid." "Du passt mir wie ein Handschuh...", las Chris laut vor. "Wenn Jason das beim Sex zu mir sagen würde, würde ich ihm eine knallen!" Er musste lachen. "Sagt ja keiner, dass das realistisch ist." Sie klang etwas beleidigt, aber das hielt nur für ein paar Sekunden an. "Hast du ein Foto von deinem Freund?" Chris gab ihr den Manga zurück, bevor er sein Portemonnaie aus der Hosentasche zog. Er klappte die Brieftasche auf und zeigte ihr ein Foto von Jason, das er immer bei sich trug. "Das ist er." "Ist der süß! Ihr seid bestimmt so niedlich zusammen!" Sie kicherte. "Wann ist schwul sein in geworden?" lächelte Chris. "Es ist doch toll. Schwule sind einfach klasse." Chris konnte nicht anders, als seiner Schwester durchs Haar zu streichen. "Wäre schön, wenn alle so denken würden. Weißt du was? Ich verspreche dir, wenn ich das nächste Mal herkomme, bringe ich Jason mit. Oder du besuchst uns in San Francisco, dann kannst du auch David kennen lernen." "Ist der auch schwul?" "Ja, du wirst ihn lieben!" lachte Chris. Als die Beiden wieder ins Wohnzimmer herunter kamen, war auch Darryl McKay da. Chris erschrak beinahe, als er den Mann erblickte. Fast zwei Meter groß, war er eine beeindruckende Erscheinung. Im Gegensatz dazu standen seine freundlichen Augen und das warme Lächeln auf seinen Lippen. Er hatte etwas von einem texanischen Cowboy, weniger von einem Supermarktbesitzer. Ohne dass Chris etwas gesagt hatte, ging Darryl auf ihn zu, umarmte ihn herzlich und klopfte ihm auf die Schulter. In diesem Augenblick wurde Chris klar, dass er nie mehr allein sein würde. Er hatte Jason, der ihn liebte, er hatte gute Freunde, die Familie seines Freundes und nun endlich hatte er auch eine eigene Familie. Erst am späten Abend kehrte Chris ins Hotel zurück. Es war ein tränenreicher Abschied gewesen, aber diesmal war es ja bloß ein Lebewohl, das Wiedersehen war schon fest beschlossen. Am liebsten hätte Chris seine neue Familie zu Weihnachten nach San Francisco eingeladen, aber die McKays hatten einen Urlaub in der Karibik gebucht, eine Kreuzfahrt, und so wurde das Ganze vertagt. Besonders April hatte ihm zum Abschied gar nicht mehr loslassen wollen und ihm das Versprechen abgerungen, ihr Fotos von sich und Jason zu schicken, damit sie all ihren Freundinnen beweisen konnte, dass ihr Bruder wirklich schwul war. Daves Chauffeur hatte ihn schließlich allein abgeholt und zurück ins Hotel gefahren. Die gemietete Limousine war nicht ganz so groß wie Daves eigene, aber immerhin. Chris schloss sein Zimmer auf und warf seine Jacke aufs Bett. Sollte er jetzt zuerst duschen oder zuerst Jason anrufen? Er kam nicht dazu, den Gedanken zu beenden, denn plötzlich stand Dave in der Verbindungstür der Zimmer und lächelte ihn an, bekleidet mit einem Smoking. "Na? War es schön?" "Unglaublich schön!" "Das freut mich", sagte er. "Kommst du mal kurz rüber?" Chris strich sich die Haare aus dem Gesicht. "Dave, ich bin müde, ich will nur noch unter die Dusche und ins Bett." "Nur ganz kurz", ließ der andere Mann nicht locker. Chris nickte dann doch und folgte ihm in die angrenzende Suite hinüber. Ihm stockte der Atem. Der ganze Raum war mit Kerzen dekoriert, überall verbreiteten sie ihr warmes Licht. Auf dem Tisch stand ein Kühler mit einer Champagnerflasche und zwei Gläser, in denen sich das Licht der Kerzen funkelnd brach. Das große Bett war über und über mit Rosenblüten bestreut. Leise romantische Musik klang durch das Zimmer und durch die offene Badezimmertür konnte Chris die volle Badewanne erkennen, auch sie war rund herum von Kerzen umgeben und im Badewasser schwammen ebenfalls Rosenblätter. "Was soll das?" "Nun ja, ich dachte... wenn wir schon mal hier sind, können wir den Abend doch auch schön ausklingen lassen. Ich habe uns Essen bestellt, wir könnten ein Bad nehmen, es ist alles vorbereitet." Chris glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. "Das ist nicht witzig, Dave!" "Das soll es doch auch gar nicht sein", lächelte sein Freund aus Kindertagen. "Ich wollte dich mal so richtig verwöhnen." "Ich reiße dich ja nur ungern aus deinen Danielle Steel Fantasien, aber ich habe einen Freund, der in San Francisco auf mich wartet." Dave machte eine wegwischende Handbewegung. "Vergiss ihn einfach! Dieser Tölpel ist nicht der Richtige für dich!" "Wer der Richtige für mich ist, entscheide immer noch ich!" "Chris! Warum sträubst du dich so?" Dave schien nicht bereit, aufzugeben. "Ich könnte dir die Welt zu Füßen legen! Schau dich doch nur um! All das und mehr könnte immer dein sein! Keine Arbeit als Kellner, keine Geldsorgen! Wir könnten überall auf der Welt Zuhause sein. Heute Paris, morgen London. Es würde dir an nichts fehlen!" Die verzweifelte Begierde in seiner Stimme war unüberhörbar. Endlich verstand Chris all die Andeutungen, all die Bemerkungen. Er schüttelte langsam den Kopf. "Dave, du musst lernen, dass es Dinge gibt, die man nicht kaufen kann... gute Nacht." Damit ging er. Er schloss die Verbindungstür hinter sich und atmete tief durch. Vollkommen problemlos hatte das ja natürlich wieder nicht laufen können. Typisch. Sein Herz klopfte lautstark. In diesem Moment wurde die Tür hinter ihm regelrecht aufgerissen. Dave stürmte in den Raum und schmiss die Tür hinter sich ins Schloss, mit voller Wucht. Etwas an ihm hatte sich verändert, in seinen Augen glomm das Feuer von rasender Wut. "Was bildest du dir ein, so mit mir zu reden?! Was glaubst du, was du bist, du kleines Miststück?!" Chris stolperte einen Schritt nach hinten, angesichts der Art, wie Dave ihn anschrie. Daves Gesicht war merkwürdig verzerrt, nicht mehr der freundliche, liebenswürdige und zuvorkommende Mann, sondern nur noch eine Fratze des Zorns. "Dave, bitte..." Er warf sich herum und rannte Richtung Tür, doch bevor er sie aufmachen konnte, war Dave hinter ihm und knallte den, erst einen Spalt geöffneten, Fluchtweg wieder zu. Ohne ihm auch nur eine Sekunde zum Reagieren zu geben, packte er Chris brutal am Arm und schleuderte ihn auf den Boden, um ihm direkt nachzusetzen. Der blonde Mann schlug mit dem Hinterkopf auf und sah nur noch Sterne vor den Augen, so gelang es Dave, ihn mühelos im Zaum zu halten, während er mit der einen Hand seinen Mund zuhielt. "Du glaubst wohl, du kannst dir alles rausnehmen! Spiel dich nicht so auf! In New York hast du es doch auch mit jedem getrieben!" Mit diesen Worten riss er Chris' Hemd in Fetzen, bevor er seine Hand in den Schritt des blonden Mannes schob. Die Berührung war dermaßen ungestüm, dass Chris die Tränen in die Augen traten. Dave achtete nicht drauf, sondern nahm die Hand von Chris' Mund, um ihm einen Kuss zu geben. Endlich wurde Chris wieder klarer im Kopf, Panik stieg in ihm auf und er fing an, auf Dave einzuschlagen, so fest er konnte. Das Gewicht des anderen Mannes lastete auf seinem Körper, aber er fand noch die Entschlossenheit, Dave in die Lippe zu beißen. Der andere Mann heulte auf und endlich ließ er von Chris ab. Dieser stieß ihn von sich und stürmte ins Badezimmer. Mit letzter Kraft warf er die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel, dann sank er zusammen. Im Zimmer war es still, doch plötzlich klopfte es an die Tür. "Chris...?" "Verschwinde!" "Bitte... ich...." "Raus hier!" brüllte der blonde Mann. "Raus hier! Verschwinde oder ich rufe den Sicherheitsdienst! Hier drin ist ein Telefon!" "Bitte, Chris, hör mir zu!" "Warum sollte ich?! Du bist ein widerliches Schwein! Glaube ja nicht, dass ich vergesse, was du eben gesagt hast! Also wusstest du die ganze Zeit genau, was ich in New York gemacht habe!" "Lass mich bitte erklären..." "Fick dich!" war Chris' zornige Antwort. Danach wurde es wieder ruhig. Chris hörte die Verbindungstür leise zu gehen, dann nichts mehr. Jetzt sackte er endgültig zusammen und fing an zu weinen. Die ganze Panik löste sich in einem heftigen Heulkrampf. Er kroch beinahe in die Dusche und drehte das Wasser auf, ungeachtet dessen, dass er noch vollkommen bekleidet war. Innerhalb von Sekunden durchnässte ihn der heiße Strahl aus der Brause und vermischte sich mit seinen Tränen. Über fünf Minuten blieb er einfach so sitzen, weinend und zitternd, trotz der Hitze des Wassers. Als er wieder aus der Dusche heraus kam, lag ein Zettel an der Tür, den Dave wohl unter dem Spalt durchgeschoben hatte. Tropfnass wie er war ging Chris hinüber und hob ihn auf. "Chris, bitte glaube mir, dass es mir leid tut, was ich getan habe... Ich habe dir nicht die ganze Wahrheit gesagt. Als du damals verschwunden bist, brach für mich eine Welt zusammen... ich liebte dich. Nein, ich liebe dich noch. Ich hatte einige psychische Probleme und war deswegen lange in Behandlung, eigentlich dachte ich, es sei wieder alles okay. Aber deine Nähe, dich endlich wieder spüren zu können, hat viele alte Wunden aufgerissen... ich weiß, dass du mir sicher nicht einfach verzeihen wirst, was ich dir angetan habe. Es ist wohl das Beste, wenn ich wieder aus deinem Leben verschwinde, denn wenn für mich kein Platz in deinem Herzen ist, dann ist es sowohl für dich als auch für mich nur eine Qual. Es tut mir wirklich leid... Der Jet wird dich nach San Francisco zurückbringen, wenn du es willst. Ich bin jetzt schon nicht mehr da. Verzeih mir, wenn du es kannst. Du warst immer die Liebe meines Lebens... Dave" Chris zerknüllte den Zettel und warf ihn in die Ecke, bevor er, immer noch nass, das Badezimmer vorsichtig verließ. Sein Zimmer war verwaist und ein Blick in die Nachbarsuite zeigte das gleiche Bild. Er war allein, Dave war verschwunden. Mit hängenden Schultern kehrte Chris in seinen Raum zurück und setzte sich aufs Bett. Seine Hand griff wie von selbst nach dem Telefon. Er wollte Jason anrufen, um ihm alles zu sagen. Weinen, getröstet werden, so schnell wie möglich wieder in die Arme seines Freundes. Doch dann legte er den Hörer wieder hin. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, ob es das Richtige war, Jason etwas davon zu erzählen. Sein Freund würde durchdrehen und nicht Ruhe geben, bevor er Dave in die Finger kriegen würde. Dave war weg und das war die Hauptsache. Chris beschloss in diesem Augenblick, Jason nichts zu sagen. Aber nicht um Daves Willen, sondern weil er seinen Freund davor schützen wollte, eine Dummheit zu begehen. Ein Geräusch riss Jason aus dem Schlaf. Es war jemand im Haus. Sofort waren all seine Sinn hell wach. Irgendjemand bewegte sich im Zimmer, ganz in seiner Nähe. Chris war noch in Dallas. Der Eindringling näherte sich dem Bett. Jason machte Gebrauch vom Überraschungsmoment, er sprang blitzschnell hoch und riss den Eindringling von den Füßen. "Hey!" Erst jetzt erkannte Jason, wen er da dingfest gemacht hatte. Unter ihm lag niemand anders, als Chris. "Was machst du denn hier?! Ich dachte, wir hätten einen Einbrecher!" "Und auf die stürzt du dich dann so? Ich hatte Sehnsucht nach dir, du Ochse. Ich bin schon heute Nacht zurück geflogen und wollte mich jetzt heimlich ins Bett schleichen. War schon schwer genug, an Batman vorbei zu kommen, ohne dass er kläfft." Jason half ihm auf. "Hab ich dir weh getan?" Statt zu antworten, warf sich Chris in seine Arme. "Nein... aber von dir getrennt zu sein tat weh...", flüsterte er. "Wie war Dallas?" "Morgen... ja? Ich erzähle dir alles morgen. Ich will nur noch in deinen Arm. Mit dir kuscheln..." Er strich über Jasons nackte Brust. "Oder mehr..." "Bist du nicht müde vom Flug?" "Kannst es ja mal ausprobieren", grinste sein blonder Freund. Jason ließ sich nicht zweimal bitten. Er schnappte Chris, hob ihn hoch und trug ihn zum Bett. Nur ein paar Minuten später hatte Chris das Erlebnis mit Dave schon fast vergessen. Seine Finger klammerten sich an Jasons Schultern, während er endlich wieder die vertraute Schwere des muskulösen Körpers seines Freundes spürte, seinen wundervollen Geruch wahr nahm, den heißen Atem auf seiner Haut, und in seinen Armen die Welt vergessen konnte. Sein Schweiß vermischte sich mit dem Jasons und Beide vergaßen alles um sich herum und gaben sich dem Rausch der Leidenschaft hin. Es war ruhig in der Hillside Street. Um diese Uhrzeit war auf der Straße kaum noch etwas los, die meisten Nachbarn lagen längst im Bett und schliefen. Die Häuser waren alle gepflegt und ordentlich, eine absolute Bilderbuchnachbarschaft, in der sogar das nette schwule Pärchen von nebenan ins Bild passten und von allen gemocht wurde. Jeder kannte hier jeden. Es gab nur ein einziges Haus in der Hillside Street, dass nicht bewohnt war. Das letzte Erdbeben hatte es ramponiert und so hatte sich bis jetzt kein Käufer gefunden. Das leer stehende Haus befand sich auf der anderen Seite der Straße, direkt vis a vis mit dem wunderschönen Anwesen des netten schwulen Pärchens. Der Nachtwind fegte durch die teilweise undichten Fenster, von der Einrichtung hatte der Vorbesitzer kaum etwas zurück gelassen. Die Familie war nach Portland umgezogen, als der Vater dort einen neuen Job bekommen hatte. Besonders der kleinen Maggie hatte der Umzug gar nicht gepasst, musste sie doch all ihre Freunde in San Francisco zurück lassen. Ihr Zimmer hatte sich im Obergeschoss des Hauses befunden, ein heller, komplett in Rosa eingerichteter Raum mit Blick auf die Straße. Von der Einrichtung zeugten nur noch die mit Rosen bedruckten Tapeten, die sich hier und dort von den Wänden schälten. Von Maggies Fenster aus hatte man einen wunderbaren Blick, waren die Vorhänge nicht zugezogen, konnte man sogar in die oberen Zimmer des gegenüberliegenden Hauses schauen. Im Dunkeln natürlich nur, wenn dort Licht brannte. Oder wenn man einen Fotoapparat mit Nachtsichtblende hatte, so wie Malcom Callaway. In der Finsternis des verlassenen Zimmers unentdeckt, lichtete seine sündhaft teure Kamera das nette schwule Pärchen bei ihrem Liebesspiel ab, bei Bedarf auch im Sekundentakt. Malcom war nicht unbedingt angetan davon, zwei Kerlen beim Vögeln zuzusehen, er hatte nichts gegen Schwule, aber was sie so trieben wollte er dann doch lieber nicht wissen. Aber sein Auftrag war klar und deutlich und dazu noch bestens bezahlt, da nahm er die Unannehmlichkeiten doch gern in Kauf. Malcom biss ein Stück von seinem Erdnussbutterriegel ab. Komischer Kauz, dieser Mr. Jerrod. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe, als das Leben eines Polizisten und seines Lovers zu überwachen. Dennoch gehörte es zu seinem Beruf, keine Fragen zu stellen. Die Kamera klickte kaum hörbar und lud dann, wie immer in regelmäßigen Abständen ihre Aufnahmen auf den in der Ecke stehenden Laptop herunter. Von dort aus gingen sie auf schnellstem Wege über eine sichere Verbindung direkt an Dave Jerrod, der ja offenbar ein wirklich großes Interesse an dem netten schwulen Pärchen aus der Hillside Street zu haben schien... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Dieses Kapitel war eine Tortur... die lange Dauer zeigt es deutlich... ich war in einem absoluten Krea-Tief -_- Aber irgendwie hat es dann doch noch geklappt. Es mag daran liegen, dass die nun anstehenden Ereignisse etwas sind, worauf ich mich schon sehr, sehr lange freue und ich deswegen nicht unbedingt mit Begeisterung bei der Sache war, die Angelegenheit mit Chris' Familie zu beenden. Durch die vielen Szenen mit David, an denen ich wesentlich mehr Spaß hatte und bei denen ich vor allem auf die Gartenszene stolz bin, musste Chris Ausflug nach Dallas Federn lassen und ist nun kürzer als geplant, aber ich denke, es ist ausreichend, zu einem späteren Zeitpunkt kann seine Familie ja weitere Auftritte bekommen. Den Auftritt Aprils als Yaoi-Fan konnte ich mir aber dennoch nicht verkneifen. *g* Ebenfalls der Schere zum Opfer gefallen, ist die geplante Widmung, leider hat die erforderliche Szene in das eh schon 20 Seiten lange Kapitel nicht mehr hinein gepasst und wurde somit verschoben. Im nächsten Kapitel habe ich aber eine viel einfachere Möglichkeit, das Ganze nachzuholen. Ich hoffe, ich habe jetzt keine Dave-Fans vor den Kopf gestoßen, aber ich denke, allzu viele dürfte es nicht geben... obwohl, einen kenne ich *g* *den anderen Uly anschiel* *insider* Danielle Steel ist übrigens so etwas wie die amerikanische Rosamunde Pilcher, fragt mich jetzt nicht, ob Chris ihre Bücher liest *lol*... oder ich *rofl* Ich hoffe, mit dem nächsten Kapitel wird es schneller gehen, schließlich werfen große Ereignisse ihre Schatten voraus... wie heißt es noch beim Marienhof? "Es wird viel passieren!" *schaller* *lol* In diesem Sinne bis zum nächsten Mal ^^ Euer Uly ^^ PS: Errät jemand, woher das Zitat stammt, das Chris bei April vorliest? ^^ Kapitel 26: It's all about Chris a.k.a. Christmas miracles ---------------------------------------------------------- KatoKira gewidmet *durchknuddel* Chris schaute sich auf der Straße um. Es war ziemlich kühl heute, wenn auch nicht so kalt, wie man es andernorts vom tiefsten Winter gewöhnt war. Trotzdem trug der blonde Mann einen weißen Rollkragenpullover und helle Jeans. Er hatte seine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und nippte immer wieder an seinem heißen Zimt-Kaffee, den er sich bei Starbuck's mitgenommen hatte. Die Leute auf der Straße hetzten an ihm vorbei, in der typischen weihnachtlichen Geschäftigkeit. Weihnachten, das heilige Fest des Konsums. Das zu verurteilen, stand Chris aber nicht zu, war er doch hier, um selbst Einkäufe zu machen. Er hatte endlich seinen Lohn gekriegt und das Trinkgeld in letzter Zeit war auch reichlich gewesen, deswegen hatte er sich vorgenommen, Jason ein ganz besonderes Geschenk zu kaufen... wenn er doch nur wüsste, was. Jason machte ihn schon seit mehreren Wochen wahnsinnig mit kryptischen Andeutungen über sein tolles Geschenk, etwas womit er nie rechnen würde, nie im Leben, usw. Chris beschlich das Gefühl, dass sein Freund beinahe platzte, wenn er es nur noch etwas länger für sich behalten musste. Gott sei Dank war bald Weihnachten. Noch drei Tage. Morgen würde Jasons Familie eintreffen, zumindest seine Eltern, Gary feierte mit Freunden in New York, Chris konnte es ihm noch nicht einmal verdenken, nach allem, was bei seinem letzten Besuch geschehen war. Chris telefonierte mittlerweile häufiger mit seiner Mutter in Dallas und auch den Rest der Familie, besonders April, sprach er oft. Von Dave hatte er aber seit mehreren Wochen nichts mehr gehört und irgendwie war er froh drum. Die Erinnerung an die Nacht im Hotel, die Beinahevergewaltigung, waren noch zu frisch. Aber sie traten, ob der Dinge, die ihn erwarteten, mehr und mehr in den Hintergrund. Dies würde sein erstes Weihnachtsfest seit vielen Jahren werden, das er im Kreis der Familie feierte. Nicht allein und deprimiert, sondern geborgen und mit dem Mann, den er liebte. San Francisco hatte sich in ein Meer aus weihnachtlicher Dekoration verwandelt. Die Dächer und Gärten der Vororte strahlten so hell, dass im Elektrizitätswerk sicher Überstunden geschoben werden mussten. Überall riefen Plastikweihnachtsmänner "Ho! Ho!", wenn man an ihnen vorüber ging, ein widerlicher Trend dieses Jahr, wie Chris fand. Auch die Innenstadt war dekoriert, Lichterketten in den Bäumen, überall hingen grünrote Girlanden und die Schaufenster quollen über vor ausgestellten Geschenken, nach gebauten Weihnachtsmannwerkstätten, Engeln und Schneemännern. Hoffnung auf Schnee musste man sich in diesen Breiten allerdings nicht machen. "Chris!" Der blonde Mann wandte sich um. Sly kam winkend auf ihn zu. Er lächelte freudig. Er war mit einem dunkelblauen Pullover und einer schwarzen Jeans bekleidet. Der Pulli war ziemlich eng geschnitten. Chris konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sly ein wenig dünner geworden war und dafür an den Schultern etwas breiter, aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein, bisher hatte der junge Mann fast nur weit geschnittene Kleidung getragen. Im Schlepptau hatte er einen anderen jungen Mann mit blonden Haaren, den Chris nicht kannte. Als Sly ihn erreicht hatte, umarmte er ihn lächelnd. "Schön, dich zu sehen." Chris nickte und schaute dann an Sly vorbei auf dessen Begleiter. Sly lächelte etwas verlegen. "Oh, entschuldige, beinahe vergessen! Chris, das ist mein Cousin Daniel McGrey. Daniel, das ist Christo..." Chris räusperte sich hörbar. "Chris Fairgate." "Schön Sie kennen zu lernen, Sly hat mir schon viel von Ihnen erzählt." Daniel streckte Chris die Hand entgegen, die dieser ergriff. "So, hat er das?" fragte der blonde Mann mit einem Seitenblick auf Sly, der dunkelrot anlief. "Natürlich nur das Allerbeste!" grinste Daniel schnell. "Dafür hat er mir nie von Ihnen erzählt. Sind Sie aus San Francisco?" "Nein, ich bin nur zu Weihnachten zu Besuch bei Sly. Wir verbringen die Feiertage öfter zusammen, seit dem Tod von meinem Onkel." "Er ist auch ein Polizist." warf Sly ein. "Oh, Sie sind bei der Polizei? Das hat Sly gar nicht erwähnt." Chris schüttelte den Kopf. "Nein, mein Freund ist beim Morddezernat." "Ach, Sie sind auch schwul?" Chris schaute Sly fragend an, der mit den Schultern zuckte. "Ich wusste nicht, ob dir das recht ist, wenn ich ihm das sage." "Um die Frage zu beantworten: Ja, ich bin schwul. Ich hoffe, das ist kein Problem", lächelte Chris freundlich. "Aber nein, schließlich ist Sly es ja auch. Ich hab nichts gegen Schwule..." Er lachte etwas verlegen und seine Wangen färbten sich rötlich, aber nur ein kleines Bisschen. "Daniel hat da ein kleines Problem mit einem Kerl namens Tobey, ist noch nicht so ganz raus, ob er ihn nun will oder nicht." Mit einem Schlag ähnelte Daniels Gesicht einer reifen Tomate. Er schlug Sly auf den Oberarm. "Spinnst du?!" "Wir sind doch unter uns!" stichelte Sly zurück, der es sichtbar genoss, nicht mehr in der Defensive zu sein. "Schließlich hast du ihn schon geküsst, oder nicht?" Chris musste unwillkürlich lachen. "Unsicherheit in dieser Angelegenheit scheint ein weit verbreitetes Problem unter Polizisten zu sein! Wie wäre es, wenn wir den Einkaufsmarathon starten, bevor es deinem Cousin noch peinlicher wird?" Dagegen gab es keine Einwände. Weiße und goldene Schneeflocken tanzten wild um die Golden Gate Bridge, bevor sie langsam in die Bucht sanken. David schüttelte die kleine Glaskugel noch einmal und drehte sie kurz auf den Kopf. Weihnachten machte ihn depressiv. Diese exzessiv zur Schau gestellte Fröhlichkeit war unerträglich. Wie schön es doch wäre, wenn schon alles vorbei wäre. Er stellte die Schneekugel ab und widmete sich wieder seinen Akten. Es stand etwas auf dem Papier vor ihm, doch was es war, wollte nicht so recht in seinen Kopf. Schließlich gab er es auf und lehnte sich mit einem Stoßseufzer im Stuhl zurück. Eigentlich liebte er Weihnachten, selbst den ganzen Kitsch, es war einfach eine schöne Zeit, nur eben nicht dieses Jahr. Die Aussicht, die Feiertage mutterseelenallein zu verbringen war nicht unbedingt schön. Aber sein Vater hatte seiner Mutter zu Weihnachten einen Urlaub in Europa geschenkt, eine romantische Rundreise durch Wien, London, Paris und Monaco. Dafür hatte er, Gott weiß wie lange, gespart und da konnte David ja schlecht beleidigt sein, Weihnachten dieses Jahr nicht in Denver zu verbringen. Er hatte das schon länger gewusst, aber so richtig klar wurde es ihm erst jetzt. Er würde an Weihnachten allein sein. Nicht einmal Jeremy konnte er fragen. David ballte die Fäuste. Schon wieder! Das war nicht das erste Mal, dass er in der Zeit seit ihrer Trennung über ihn nachgedacht hatte. Vor allem diese Nacht bei Jason ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Seitdem war ihm eigentlich erst wirklich klar, dass er in Jeremy verknallt war. Und das machte die Sache nun auch nicht einfacher. Er hatte sich fest vorgenommen, den Barkeeper zu vergessen und wieder sein altes Leben zu führen. Sex, Sex, Sex! Keine Verpflichtungen, keine Beziehungen. Und was war daraus geworden? Nichts! Wenn er nicht bei Jason und Chris war, verbrachte David seine Abende allein, ab und an war er noch mit Eve etwas trinken gegangen, aber sonst nichts. In den letzten Wochen war ihm deutlich bewusst geworden, dass er außer Jason und Chris keine Freunde hatte. Der Kontakt zu Ash war nur über Jason vorhanden und sonst war da niemand. Absolut niemand. Wie hatte er sich einbilden können, einen großen Freundeskreis zu haben? All diese Freunde war nichts Anderes, als Bettkumpanen gewesen, man traf sich in den einschlägigen Clubs auf einen Drink und eine Nummer danach, das war es. Und wer nicht die Nummer wollte, der war auch nicht angesagt. Es war ja nun nicht so, dass David wieder Probleme mit seinem besten Stück hatte, nein, er hatte schlicht und einfach kein Interesse. Ein geradezu penetrantes "Been there - done that" Gefühl hatte sich in ihm breit gemacht und machte auch keinerlei Anstalten, wieder zu verschwinden. Die Anlage auf seinem Schreibtisch riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Er drückte den Annahmeknopf. "Ja, Eve?" "Jason Cunningham ist am Telefon, Sie wollten nicht gestört werden, deswegen ist er auf meinem Apparat gelandet." "Stellen Sie ihn durch. Danke, Eve." Es knackte in der Leitung. "Hi, Sunshine!" "Na, ist ja herrlich, dass man jetzt schon an deiner Sekretärin vorbei muss, um dich zu erreichen." "Tja, man ist eben wichtig, mein Freund." "Und gar nicht eingebildet, was? Hast du meine Email bekommen? Ich hab dir Bilder von Chris' Geschenk geschickt." "Moment." David stellte das Telefon auf Lautsprecher und klickte auf seinem Computer herum, bis er in seiner privaten Mailbox landete. Tatsächlich fand sich dort eine Email von Jason, mitsamt Anhang. David lud die Daten herunter und musterte die Fotos, die kurz darauf auf seinem Bildschirm auftauchten. "Sunshine, ich bin beeindruckt. Chris wird umkippen, wenn er das sieht!" "Meinst du?" "Aber kein Zweifel. Das ist der Hammer, da wird man ja direkt neidisch!" "Ohne dich hätte das nicht geklappt." "Ich fühle mich geehrt, an diesem Projekt mitgewirkt zu haben." Jason lachte. "Anderes Thema: Was machst du an Weihnachten?" Der Polizist wusste von der Reise von Davids Eltern. "Anderes Thema, aber kein gutes... mal sehen, ich denke, ich werde mir eine Pizza kommen lassen und dann "Ist das Leben nicht schön?" im Fernsehen schauen. Spätestens an der Stelle, wenn sie sagen, dass jedes Mal, wenn ein Glöckchen klingelt, ein Engel seine Flügel bekommt, werde ich mich übergeben müssen und dann umschalten, irgendwo gibt es sicher einen grausamen Actionfilm oder einen Porno, wonach mir auch gerade der Sinn steht." "Zauberhaft! Gegenvorschlag: Was hältst du von einer Feier im Familienkreis, komplett mit Hund. Die treulose Tomate vergöttert dich ja sowieso von uns allen am meisten." "Lädst du mich gerade zu dir ein?", fragte David etwas überrascht. "Keine Lust?" "Ich kann doch nicht einfach in eure Familienfeier platzen!" Man hörte Jasons Stimme an, dass er lächelte. "Du gehörst doch zu unserer Familie." "Sunshine, ich fang gleich an zu heulen! Hör auf mit dem Geschnulze!" "Kommst du?" "Na gut, du hast mich überredet." "Gut, dann ist es abgemacht! Ich muss jetzt los. Chris ist mit Sly in der Stadt und macht Einkäufe, ich habe also Zeit, seine andere Überraschung abzuholen. Er wird Augen machen." "Erzähl mir, wie er reagiert hat." "Wird gemacht. Bis dann!" David verabschiedete sich und beendete das Gespräch. Lächelnd nahm er die Schneekugel wieder in die Hand und schüttelte sie. Mit einem Schlag ging es ihm besser. Weihnachten doch nicht allein zu sein, hob seine Stimmung. Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage. "Eve?" "Ja, Sir?" "Haben Sie Lust, nach der Arbeit noch etwas mit mir trinken zu gehen? Außerdem muss ich noch Geschenke kaufen und weibliche Unterstützung ist da nie verkehrt." "Glauben Sie nicht, dass Sie da sehr spät dran sind?" lachte seine Sekretärin. "So spät nun auch nicht!" grinste David. "Kommen Sie nun mit?" "Sehr gern." David verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lächelte, während er den letzten goldenen Flocken zusah, die auf die Bucht in der Schneekugel hernieder gingen. Vielleicht würde dieses Weihnachten doch nicht so schlecht werden. "Ist die Tasche auch nicht zu schwer für dich?" Chris grinste Sly schief an. "Sly, das sind nur eine Lederjacke und zwei Bücher. Ich werde es gerade so schaffen." Die drei Männer waren auf der Market Street unterwegs und hatten eben den Trubel der großen Emporium-Capwell Einkaufszentrums hinter sich gelassen. Chris war stolz auf sich, die Lederjacke war das mit Abstand teuerste und gleichzeitig coolste Geschenk, dass er jemals jemandem gemacht hatte, und er wusste, dass Jason sich schon lange so eine wünschte. Das eine Buch in seiner Tasche war ein Bildband über San Francisco und Umgebung, den er seinen Eltern schenken wollte, das andere eine Sammlung von männlichen, homoerotischen Akten für April. Jetzt brauchte er nur noch ein paar kleinere Geschenke für David (Jason hatte ihm per SMS mitgeteilt, dass ihr Freund die Einladung angenommen hatte), seinen Bruder und Jasons Familie zu besorgen. Plötzlich drängte sich ein Junge von etwa sechzehn Jahren an ihnen vorbei und rempelte dabei Chris an. Er wollte sofort weiter, doch bevor er in der Menge verschwinden konnte, hatte Daniel ihn am Arm gepackt und hielt ihn fest. "Hey! Lassen Sie mich los, Mister!" fauchte der Junge. "Sofort wenn du die Brieftasche wieder hergibst, die du ihm geklaut hast." Er deutete auf den blonden Texaner. Chris Hand ruckte zu seiner Gesäßtasche und tatsächlich, sie war leer. Überrascht schaute er den Jungen an. Dieser wand sich in Daniels Griff, doch schließlich gab er auf und hielt Chris sein Portmonee hin. "Da..." Chris nahm es. "Entschuldige dich!" befahl Daniel. "Ich bin Polizist, sei froh, dass ich dich nicht gleich abführe." Er wollte den Jungen erschrecken, doch als Chris ihn näher musterte, hatte er plötzlich Mitleid mit ihm. Er sah herunter gekommen aus, die Kleidung war zerschlissen und schmutzig, seine blonden Haare strähnig. Aus seinen grauen Augen schaute er den jungen Polizisten ängstlich an. "Bitte, ich..." "Lassen Sie ihn bitte los, Daniel. Ist schon okay." "Hm?" Daniel McGrey musterte den blonden Mann verdutzt, ließ den Jungen doch dann los. "Wofür wolltest du das Geld?" fragte Chris. "Ich hab Hunger...", war die knappe Antwort, der Junge starrte auf seine Füße. Chris öffnete sein Portmonee und nahm zwanzig Dollar heraus. Mussten die Geschenke eben noch ein wenig kleiner ausfallen, die Lederjacke hatte einen Großteil seines Ersparten verschlungen. Er reichte dem Jungen das Geld. "Tut mir leid, mehr kann ich dir nicht geben." "Ich wollte Sie beklauen und Sie geben mir Geld?! Warum?!" "Weil du mich an jemanden erinnerst", begründete Chris und lächelte matt. Der Anblick des Jungen rührte ihn fast zu Tränen, er musste sich zusammenreißen. Der Straßenjunge nahm das Geld und stopfte es in seine Tasche, bei ihm war alle Mühe umsonst, seine Augen schimmerten feucht. "Danke, Sir... danke. Und Entschuldigung..." Er warf sich auf dem Fuß herum und verschwand im Gewühl, offenbar war es ihm peinlich, dass er weinen musste. Chris schaute ihm nach und zuckte zusammen, als ihm Sly die Hand auf die Schulter legte. "Dein Herz muss aus Gold sein. Hast du Lust auf einen Kaffee auf den Schreck hin? Da drüben ist ein nettes Café." Chris nickte nur etwas geistesabwesend. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, fuhr der Junge regelrecht zusammen. Dabei war es hier viel angenehmer als draußen. Die Wohnung war vornehm und gediegen eingerichtet, warme Erdtöne, es duftete nach Tanne, wohl von dem großen Weihnachtsbaum in der Ecke und den vielen Zweigen und Girlanden. Am Kamin hingen drei rote Strümpfe mit den Namen John, Laura und Andrew daran. Es war so schön warm und alles strahlte Geborgenheit aus. Vor den Fenstern tanzten vereinzelte Schneeflocken auf den Central Park herab, den man von hier aus sehen konnte. Chris kratzte etwas nervös mit der Hand über sein Schlüsselbein, als sich der Mann, der ihn in die Wohnung geführt hatte, umdrehte. Die Knochen am Brustbereich des Jungen standen deutlich hervor. "Da wären wir", meinte der Mann. Er wirke freundlich und dabei etwas unscheinbar, ein typischer New Yorker Geschäftsmann im Nadelstreifenanzug. Nicht unbedingt attraktiv, aber auch nicht hässlich. Er bemerkte, dass Chris zitterte. "Ist dir kalt?" "Nein... geht schon..." "Ist es nicht sowieso etwas kalt draußen, um in diesem dünnen Hemd herum zu laufen?" "Ich... ich hab nichts... anderes... es war Sommer als ich..." Er senkte den Blick. "Entschuldigen Sie, das interessiert Sie sicher nicht." "Sprich ruhig weiter", lächelte sein Gegenüber. "Es war Sommer, als ich von Zuhause weggelaufen bin... ich habe keine Wintersachen mitgenommen..." "Weißt du was? Mein Sohn hat so viele Klamotten, die er nicht mehr anzieht, der wird gar nicht merken, wenn etwas fehlt. Ich gebe dir nachher eine Jacke von ihm und ein oder zwei Pullover, okay?" Chris zuckte schon wieder zusammen. "Sir, das müssen Sie nicht." "Ist schon okay." Erst jetzt wurde Chris klar, was der Mann da eigentlich gesagt hatte. Er schaute zum Kamin hinüber, zu den Strümpfen und zu den Bildern auf dem Sims, die von Tannen umrahmt waren. Mehrere dieser Fotos zeigten einen Jungen in Chris' Alter und eine hübsche Frau. "Das sind meine Frau Laura und mein Sohn Andrew", beantwortete John die stumme Frage im Blick des Jungen. "Schau nicht so entsetzt." "Entschuldigung." Der Mann ging zu ihm hinüber und zog ihn an sich, beinahe hätte Chris sich gewehrt, im letzten Moment riss er sich zusammen. John streichelte ihm über die Wange, den Hals hinab bis zu seiner Brust. "Ich liebe meine Frau, aber manchmal brauche ich das hier. Wie alt bist du?" "Sechzehn, Sir... aber ich werde bald siebzehn." John antwortete nicht, sondern nahm ihn bei der Hand und führte ihn ins Schlafzimmer. Er deutete Chris, sich aufs Bett zu setzen und zog selbst sein Jackett aus. Chris wurde immer unangenehmer zumute, allein schon bei dem Gedanken, mit diesem Mann in dessen Ehebett zu schlafen. Der ältere Mann beugte sich über ihn und drückte ihn dabei sanft in die Kissen. Liebevoll fing er an, die Halspartie des Jungen mit Küssen zu bedenken, während seine Finger langsam die Knöpfe von Chris' zerschlissenem Hemd öffneten. Er kniete über Chris, streichelte mit seiner linken Hand über dessen Brust und machte sich gleichzeitig mit der rechten an seiner Hose zu schaffen. Als er die Hand des Mannes in seinem Schritt spürte, zuckte Chris zusammen. Tränen standen in seinen Augen. "Was ist? Habe ich dir weh getan?" "Nein... nein... Sir..." Chris schüttelte vehement den Kopf, vermied aber Augenkontakt zu seinem Gegenüber. "Warum zitterst du dann so?" Der blonde Junge verfluchte sich selbst, dass er sich nicht besser unter Kontrolle hatte. Er hatte sich das alles so leicht vorgestellt, schließlich war er doch schwul. Aber jetzt war alles anders, Wellen der Angst fluteten durch seinen Körper und er kam nicht einmal gegen die Tränen an. "Nun... das ist... mein erstes Mal...", sagte er nun doch leise die Wahrheit. John setzte sich auf und starrte den Jungen perplex an. "Dein erstes Mal?! Aber du hast vorhin so erfahren und abgebrüht getan, als ich dich mitgenommen habe." Jetzt fing Chris endgültig an zu weinen. "Entschuldigen Sie...", schluchzte er. "Aber Billy hat mir das so erklärt... er meinte... er meinte, wenn ich cool und erfahren rüberkomme... dann finde ich viele Kunden... bitte seien Sie mir nicht böse..." John strich Chris erneut über die Wange. "Warum tut ein so lieber Junge wie du so etwas?" "Weil ich Hunger habe... und ich habe kein Geld... klauen will ich nicht... ich bin kein Dieb..." Chris blickte zur Seite, das war ihm alles so peinlich. "Und du hattest noch nie Sex?" "Nein... nur ein paar Blowjobs... ich hatte einen Freund, dem ich ab und an einen geblasen habe..." Seine Stimme ging im Weinen unter. "Sie müssen mich nicht rauswerfen, ich gehe schon." Er wollte aufstehen, doch John hielt ihn an der Schulter fest. "Warte, du musst noch nicht gehen. Es ist okay. Selbst wenn wir nicht miteinander schlafen. Ich mache dir was zu essen, hm?" Er stand auf und ging in Richtung Tür. In diesem Augenblick setzte Chris sich auf. "Sir?" Er drehte sich um. "Nenn mich ruhig John." Chris holte tief Luft. Immer noch liefen Tränen über sein Gesicht, aber ihm war etwas klar geworden, etwas, was er tun musste. "Bitte schlafen Sie mit mir...", sagte er mit zittriger Stimme. "Was sagst du da?" Chris versuchte, deutlich und mit kräftiger Stimme zu sprechen, doch es klang wieder nur kläglich. "Ich werde das... sowieso wieder machen... und ich will nicht..." Er musste die Nase hochziehen. "Ich möchte nicht... nicht an jemanden... geraten, der brutal ist... ich glaube, Sie... Sie würden mir nicht weh tun..." John kehrte zum Bett zurück und setzte sich neben Chris. "Bist du dir da wirklich sicher?" "Nein..." Chris senkte den Blick. "Aber ich glaube, es ist vernünftig... dann habe ich es hinter mir..." Er schaute an die Zimmerdecke. Das war es also gewesen. Sex, das große Mysterium eines Teenagers. Wie oft hatte er sich gewünscht, in den Armen von Sam, seinem geliebten Quarterback, zu liegen, ihn in sich zu spüren, mit ihm gemeinsam zum Höhepunkt zu kommen, in einem perfekten, romantischen ersten Mal, an das er sich noch in Jahren erinnern würde. Sein Unterleib schmerzte, aber nicht so stark, wie er befürchtet hatte. John war wirklich zärtlich gewesen, aber Chris hatte nicht damit gerechnet, wie groß er war. Es hatte trotz allem ganz schön weh getan, aber zumindest nicht geblutet. Ein wirklich seltsames Gefühl. Nicht wirklich so, wie er es sich erhofft hatte. Er hatte keine Englein singen gehört und es war noch nicht einmal schön gewesen, eher unangenehm, aber schließlich war das ja auch von der Natur nicht unbedingt so vorgesehen. John hatte ihm versichert, dass es schöner werden würde, mit der Zeit. Aber im Moment war die Erinnerung nicht gerade schön und sicher auch nichts, woran er gern zurück denken wollte. Und mit einem Schlag holte ihn die Realität ein. Hier lag er nun, im Bett eines verheirateten Mannes, der einen Sohn in seinem Alter hatte, eine wunderschöne Wohnung, eine gut bezahlte Arbeit und einfach alles, was man sich wünschen könnte. Und er selbst war nur hier, weil er die geheimen Sehnsüchte dieses perfekten Mannes befriedigen konnte. Das war nicht seine Welt, die Straße war nun sein Zuhause und sie erwartete ihn bereits wieder mit ihrem Schmutz und ihrer eisigen Kälte. John kam ins Zimmer, schon wieder voll angezogen. Er setzte sich auf die Bettkante, nahm Chris Hand und steckte etwas in seine geballte Faust. Chris öffnete die Hand und zählte genau hundertfünfzig Dollar. "Mehr kann ich dir nicht geben, ohne das es meiner Frau auffallen würde. Nur das hier noch." Er hielt ihm eine Tüte mit zwei Wollpullovern und einer alten Winterjacke hin. Chris setzte sich auf und nickte langsam. "Vielen Dank, Sir..." "Tut mir leid, dass ich dich weg bringen muss, aber meine Frau wird bald daheim sein." "Kein Problem..." Wenig später stand er wieder an der Straßenecke, an der John ihn aufgegabelt hatte. Jetzt mit dem Pulli und der Jacke bekleidet, war ihm weniger kalt, aber innerlich herrschte eisige Kälte. Er wankte in eine Seitenstraße und lehnte sich an die kühle Backsteinwand. Weit über ihm schimmerte der graue Himmel zwischen den Häusern. Er hatte die Linie überschritten. Er hatte sich verkauft, für Geld Sex gehabt. In seiner Tasche steckten hundertfünfzig Dollar, genug Geld um für einige Zeit was zu essen zu haben. Und trotzdem... wie eine Ohrfeige traf ihn die Erkenntnis, dass er nun endgültig Abschaum war. Er hatte so viele Hoffnungen gehabt, nur von seinem Vater weg gewollt, ein neues Leben beginnen und hier war es nun. Glorreiches neues Leben in New York. Aus Chris Fairgate, dem gut aussehenden Highschool Schüler, war Chris Fairgate, der Strichjunge geworden. Plötzlich war ihm schlecht, schrecklich schlecht. Sein ganzer Körper verkrampfte sich. Er wirbelte herum und übergab sich neben die Mülltonnen. Sein Magen war beinahe leer, es kam fast nur Gallenflüssigkeit und Magensäure, sein Mund brannte schrecklich, aber Würgereiz um Würgereiz schüttelte seinen mageren Körper. Endlich beruhigte er sich, seine Augen waren voll Wasser, er musste schon wieder weinen. Ohne Vorwarnung klatschte eine Hand auf seine Schulter. "Na, Chrissie? Hast du es hinter dir?" Hinter ihm stand Billy, der Straßenjunge, der ihm diese Geldquelle gezeigt hatte. Er war ein Jahr älter als Chris und größer, aber noch dünner. Chris hatte ihn noch nie in einem anderen Pullover gesehen als dem, den er jetzt trug, schwarz und mit langen Ärmeln. Er hatte sehr kurzes dunkles Haar und dunkelbraune Augen. "Ja..." "Und?" "Hundertfünfzig Dollar...", beantwortete Chris die ungestellte Frage. "Gratuliere, Schnuckel. Da hast du es ja richtig drauf. Komm mit, ich zeig dir, wo man günstige Hotdogs kriegt und ich kann auch ne Flasche Schnaps organisieren, wir feiern." Chris schaute den anderen Jungen an und obwohl er Billy nicht unbedingt mochte, nickte er. Er wollte nicht allein sein. Am nächsten Morgen wachte Chris in einem abbruchreifen Haus in der Bronx auf, dem Unterschlupf, den Billy ihm gezeigt hatte. Sie hatten sich Hotdogs gekauft und Billy hatte wirklich eine Flasche mit billigem Fusel beschaffen können, danach waren sie hierher gegangen. Chris hatte sich sehr wohl gefühlt. Billy war ziemlich ran gegangen. Er konnte sich noch daran erinnern, dass sie schon nach ein paar Schlucken aus der Flasche miteinander gekuschelt hatten und wie glücklich er gewesen war, nicht allein schlafen zu müssen. Außer Kuscheln war nichts vorgefallen, auch wenn Billy ihm im Schritt herumgefummelt hatte, aber Chris war schnell zu betrunken gewesen, um noch etwas hinzukriegen. Seine letzte Erinnerung war, wie er in Billys Arm eingeschlafen war. Chris rieb sich durch die Augen und setzte sich auf der alten, durchgelegenen Matratze auf. Neben ihm stand die Tasche mit dem zweiten Pulli, aber von Billy war keine Spur. Hatte sich einfach verzogen. Chris gähnte und schluckte seinen Ärger über Billys Verschwinden mit der Vorfreude auf ein Frühstück runter. Wenn er es richtig anstellte, konnte er mit dem Geld von John eine ganze Ecke lang auskommen. Seine Hand fuhr in seine Tasche, um noch einmal das beruhigenden Gefühl der Geldscheine zu spüren. Er fand nichts. Panisch fummelte er in seiner Tasche herum, aber da war nichts, auch kein Loch, durch das er das Geld hätte verlieren können. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Billy! Chris ballte die Fäuste. "Du verdammter Wichser!" brüllte er in die leere Halle hinein. "Du Wichser...", wiederholte er immer wieder, während er weinend auf der Matratze zusammensank. Wieder allein... "Chris? Ist mit Ihnen alles okay?" Daniels Stimme riss den blonden Mann regelrecht aus seiner Tagträumerei. Er saß vor seinem Kaffee und starrte in die dunkle Flüssigkeit. Jetzt fuhr er zusammen und schaute sich etwas verstört um. "Ja... entschuldigt..." "Du wirktest etwas abwesend." meinte Sly. "Ich war in Gedanken..." Chris fröstelte, er hatte eine Gänsehaut, obwohl es hier im Café warm war. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass ihm deutlich der Schriftzug "Abschaum" auf der Stirn zu lesen war und das alle im Lokal ihn anstarrten, was natürlich nicht der Fall war. Seine Erinnerungen hatten ihn vollkommen überwältigt, ausgelöst vom Anblick dieses Jungen. Er hatte Billy damals ein paar Wochen später wieder gesehen. Tot in einer Gasse, Schaum vorm Mund, die Augen verdreht. Neben ihm hatte eine zerbrochene Spritze gelegen. Der goldene Schuss, die Endstation jedes Junkies. Was er damals getan hatte, verfolgte Chris bis heute: Er hatte die Taschen des toten Jungen durchwühlt und alles Geld, dass er finden konnte, an sich genommen. Insgesamt gerade mal fünfunddreißig Dollar. Dann war er weg gelaufen. "Du bist so blass. Vielleicht solltest du lieber nach Hause fahren. Wir können dich hinbringen." Chris winkte ab. "Nein... ist schon okay. Ich möchte etwas allein sein, wenn es euch nicht stört." Er zog seine Brieftasche hervor, doch diesmal war es an Sly, abzuwinken. "Vergiss es, du bist eingeladen." "Danke...", sagte Chris fast mechanisch. "Wir sehen uns. Hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Daniel." "Gleichfalls", nickte Slys Cousin. Chris stand auf, beugte sich dann aber noch einmal zu Sly herunter und gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Fröhliche Weihnachten." Damit ging er. Sly sah ihm nach und lief dabei hochrot an. "Und ich dachte, ich hätte wegen Tobey Probleme!" lachte Daniel und erntete dafür einen bösen Blick von seinem Cousin. Im Bus konnte sich Chris dann endgültig nicht mehr zusammenreißen. Die Tränen kamen einfach so, ohne dass er sie hätte aufhalten können. Er saß allein auf einem Doppelplatz und schaute aus dem Fenster, die Stadt zog vor seinen Augen vorbei. So gut er konnte, unterdrückte er sein Schluchzen. Er wollte nur noch heim. Heim zu Jason, zu seinem Felsen in der Brandung, seiner Rettung, heim in die Wärme und Geborgenheit seiner Arme. "Ist alles okay mit dir?" Er sah sich um. Neben ihm beugte sich ein kleines Mädchen von höchstens fünf oder sechs Jahren über den freien Sitz und lächelte ihn mit ihren niedlichen Zahnlücken an. "Lindsay! Lass den Mann in Ruhe!" Ihre Mutter saß auf der anderen Seite des Busses. Die Kleine guckte etwas beleidigt. Chris lächelte zunächst sie, dann die Mutter an. "Ist schon okay." "Warum weinst du?" fragte Lindsay, die seinen Satz als Freibrief über die Anweisung ihrer Mutter ansah. "Das weiß ich selbst nicht so genau..." "Hat dir jemand weh getan? Timmy hat mich letztens im Kindergarten gehauen, aber ich habe nicht geweint, ich hab ihn vors Knie getreten!" "Lindsay!" Ihre Mutter wurde rot, doch Chris musste schmunzeln. "Richtig so, lass dir nichts gefallen. Aber mir hat keiner weh getan." "Mama sagt immer, dass der Weihnachtsmann es nicht gern sieht, wenn jemand weint, die Menschen sollen zu Weihnachten glücklich sein." Sie griff in die Tasche und hielt Chris eine in Plastik verpackte Zuckerstange hin. "Hier, für dich." Chris schaute ihre Mutter an, die nickte. "Tun Sie ihr den Gefallen, sie spielt gern Weihnachtsengel." "Danke." Der blonde Mann nahm die Zuckerstange an und wischte sich die Tränen aus den Augen. Lindsay hüpfte wieder auf den Sitz neben ihrer Mutter und lächelte Chris an, bis die Beiden ausstiegen. Chris schloss die Haustür auf und schlüpfte in die Behaglichkeit des Anwesens. In der Wohnung war es still. Vielleicht war Jason gar nicht da, dabei wünschte er sich im Moment nichts mehr, als endlich in seinen Armen zu liegen. Er ging am Wohnzimmer vorbei, doch da war Jason nicht, nur Marcus, der auf dem Sofa saß und den Hund streichelte. Kaum war er an der Tür vorbei, blieb Chris abrupt stehen. Er ging zurück und sah noch einmal ins Wohnzimmer. Marcus schaute ihn grinsend an und winkte. Keiner von Beiden sagte etwas, der Junge stand einfach auf und lief auf Chris zu, der ihn in die Arme schloss. Für ein paar Sekunden hielt er ihn fest, bevor sie sich voneinander lösten. "Was machst du hier, Marcus?" "Freust du dich nicht, deinen kleinen Bruder zu sehen?" "Und wie, ich habe nur nicht damit gerechnet. Du hast nie was gesagt." "Das sollte er auch nicht, wir wollten dich überraschen." Jason war aus dem Wintergarten herüber gekommen und lächelte breit. "Du hast das gewusst?!" "Klar", grinste sein Freund. "Schon lange geplant." "Ich hasse euch!" "Nein, tust du nicht." "Stimmt!" Chris musste lachen, auf einen Schlag war seine Laune wieder besser. Marcus zu sehen, war eine unglaubliche Freude. Jason machte Tee und Kaffee und kurz darauf saßen die drei im Wintergarten und knabberten Weihnachtsplätzchen und Lebkuchen, die Chris gebacken hatte. "Damit hätte ich niemals gerechnet." "Tja!" Marcus lehnte sich auf dem Stuhl zurück. "Ich bin immer wieder für eine Überraschung gut." "Das kannst du laut sagen. Wie lange bleibst du hier in San Francisco?" Jason und der blonde Junge wechselten einen Blick, bevor Marcus zur Decke schaute, als müsse er die Zeit nachrechnen. "Hm...", meinte er schließlich, "Was hältst du von... für immer?" "Ist das ein Scherz?" "Nein, ist es nicht", antwortete Jason an Marcus' Stelle, bevor er sich einen Mandelkeks in den Mund steckte und genüsslich kaute. "Meine Therapeutin meinte, dass ein Besuch auf der gleichen Schule wie früher absolutes Gift für mich wäre, besonders da die Meisten mich dort noch kennen und wissen, dass ich schwul bin. Sie hat meinen Eltern vorgeschlagen, einen Neuanfang zu machen, der mir helfen soll, neue Freunde zu finden, blablabla, du kennst dieses Therapeutengerede." "Und da suchen sich deine Eltern ausgerechnet die Stadt aus, in der deine Probleme angefangen haben?" Marcus verschränkte die Arme vor der Brust und zog einen Flunsch. "Das klingt ja wirklich begeistert, dass ich jetzt hier wohne." Chris stellte schnell seine Tasse ab und hob abwehrend die Hände. "Nein, du weißt, wie ich das meine." "Schon klar", lenkte der Junge ein, "aber es spricht nun mal eine Menge für diese Stadt. Der Umgang mit Homosexualität ist hier sehr offen, das kann mir später zugute kommen, es gibt sehr gute Schulen hier und nicht zuletzt habe ich hier bereits zwei wunderbare Freunde. Meine Eltern haben sich schließlich breitschlagen lassen, unter der Bedingung, dass ich auch hier noch zur Therapie gehe und mich von den Vierteln fern halte, in denen ich mich früher herum getrieben habe. Aber wenn mich jemand fragt, da kriegen mich keine zehn Pferde mehr hin." Er nahm einen Schluck Tee. "Mein Vater wurde in die Niederlassung seiner Firma hier in San Francisco versetzt, das war kein großes Problem, und meine Mum sucht sich einen Job, sie ist Buchhändlerin und Geschäfte für Bücher gibt es hier ja genug." "Das heißt..." "Dass ich euch Beiden jetzt so oft ich will auf die Nerven gehen kann!", grinste Marcus. Batman hopste um Marcus' Stuhl herum und wedelte freudig mit dem Schwanz. "Treulose Tomate...", zischte Jason. "Ich weiß auch nicht warum, aber euer Hund scheint mich eben zu mögen!" Was Jason und Chris nicht sehen konnten, war der Lebkuchen, den Marcus dem Welpen unter dem Tisch hinhielt. Batmans Augen leuchteten, wieder eine neue Anlaufsstelle für Regelüberschreitungen. Als Chris abends ins Bett stieg, hatte Jason die Augen bereits geschlossen, auch wenn er noch nicht schlief. Er gähnte herzhaft. Marcus war noch eine ganze Zeit lang geblieben und die Drei hatten zusammen den Weihnachtsbaum geschmückt, den Jason morgens besorgt hatte. Leider hatte er sich mit den Maßen etwas verschätzt, so dass der Baum erst einmal auf der Terrasse getrimmt hatte werden müssen. Aber was sein musste, musste sein, denn sonst hätte sich die Spitze an der Decke zur Seite gebogen und die Äste hätten dermaßen weit übergestanden, dass man wie eine Wildsau durchs Unterholz hätte brechen müssen, um vom Flur ins Wohnzimmer zu kommen, die einzige freie Ecke für den Baum war nämlich direkt neben der Wohnzimmertür. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Äste des Baumes in alle Richtung ausgeschlagen hatten, als der Polizist die haltenden Bänder durchgeschnitten hatte, und dabei die große Standvase umgeworfen hatten, die Mrs. Cunningham den Beiden geschenkt hatte. Chris kam auf die glorreiche Idee, die Seite mit dem heraus gebrochenen Loch zur Wand zu drehen. Jason hatte es dann doch noch hinbekommen, den Brocken von einem Baum so zu stutzen, dass diese kosmetischen Eingriffe nicht weiter auffielen. Nachdem sie die Tanne erneut ins Wohnzimmer verfrachtet hatten, wobei sowohl Chris, als auch Jason beim Aufstellen ein paar Hiebe von diversen Ästen hatten einstecken müssen, konnte das fröhliche Dekorieren endlich losgehen. Jason hatte extra für dieses Weihnachtsfest zusammen mit Chris eine vollkommen neue Ladung Christbaumschmuck gekauft, in Silber und Gold, mit viel Glitzerapplikationen, kitschig aber schön. Batman setzte dem Ganzen einen frühen Höhepunkt, als er den Weihnachtsbaum als eine willkommene Abwechslung zu den Parkspaziergängen betrachtete und in einem unbeobachteten Moment erst einmal gemütlich sein Gebiet markierte. Beim feierlichen Einschalten der Kerzen war dann erst einmal die Sicherung rausgeflogen und hatte auch dem Chor mit Weihnachtslieder von CD, sowie sämtlicher Wohnzimmerbeleuchtung den Saft abgedreht. Die nächste halbe Stunde hatte Jason damit verbracht, die kaputte Glühbirne in den zwei Ketten mit je Hundert kleinen Lämpchen zu finden, wobei er sich dem Spott von Chris hatte aussetzen müssen, der es sich nicht nehmen ließ, zu betonen, dass er doch eher die teurere Version der Ketten gekauft hätte und Marc fing lauthals an "Advent, Advent, der Christbaum brennt" zu singen. Die Quittung für seine Gehässigkeit hatte Chris später aber auch prompt bekommen und zwar in Form von Baumharz, das in seinen Haaren klebte, Hinterlassenschaften der Äste beim Aufstellen. Zum Glück hielt sich die Menge in Grenzen und nach einem halben Dutzend Haarwäschen, konnte er sich wieder problemlos kämmen. Jason zog ihn in seinen Arm. "Das war ja eine mittlere Katastrophe heute." "Was erwartest du? Bei uns steht ein Familienfest an, das endete schon beim letzten Mal im Chaos." "Sag so etwas nicht...", stöhnte Jason. "Wollen wir uns darauf einigen, dass ein so übler Anfang nur ein wunderbares Fest prophezeien kann?" "Von mir aus gern." "Bist du böse, wenn wir jetzt schlafen? Ich bin hundemüde." Chris drückte ihm einen Kuss auf die Lippen und löste sich dann aus der Umarmung. "Gute Nacht." "Schlaf gut, mein Engel." Jason drehte sich zur Seite und war innerhalb einer Rekordzeit eingeschlafen, doch Chris konnte nicht schlafen. Das Auftauchen von Marcus hatte ihn aus den trüben Gedanken gerissen und die Christbaummisere hatte den Rest seiner Aufmerksamkeit verlangt, doch jetzt, in der Dunkelheit des Schlafzimmers, krochen seine Dämonen wieder hervor. Er zitterte, plötzlich war ihm schrecklich kalt. Langsam und vorsichtig setzte er sich auf, damit er Jason nicht weckte und beobachtete seinen Freund im Schlaf. Der brünette Mann war, entgegen der Regel bei seinem Geschlecht, ein sehr schöner Anblick im Schlaf. Kein weit aufstehender Mund, keine Sabber, die gemächlich aufs Kissen tropfte. Er sah einfach friedlich und schön aus, wie er so da lag. Chris schwang die Beine aus dem Bett und verließ auf Zehenspitzen das Zimmer. Das letzte Mal war es ihm nicht geglückt, aber der Kampf mit der Festlichkeit des Wohnzimmers hatte seinen Freund offensichtlich so sehr geschlaucht, dass er wie ein Stein schlief. Der blonde Mann ging ins Wohnzimmer hinab und steckte den Stecker für den Weihnachtsbaum in die Steckdose. Diesmal lief alles glatt, die Lämpchen leuchteten auf und erfüllten den Raum mit warmem Licht. Chris setzte sich auf die Couch und zog eine Wolldecke zu sich, die dort zusammengelegt lag, um sich darin einzuwickeln. Batman trottete verschlafen aus dem Wintergarten hinüber, wo sein Körbchen mittlerweile stand. "Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken." Der Welpe sah sein blondes Herrchen mit schief gelegtem Kopf an. "Schade, dass du mich nicht verstehst...", lächelte Chris. Batman stupste mit der Pfote gegen die Couch, bis sich sein Herrchen erbarmte und ihn zu sich hinauf hob, woraufhin sich die kleine Fellkugel neben ihm zusammenrollte und wieder einschlief. Chris musterte den Weihnachtsbaum, die Mischung aus dem silbernen und goldenen Schmuck zusammen mit den vielen Lichtern ergab einen funkelnden Teppich, der sich über den ganzen Baum spannte. Die Lichtpunkte verschwammen langsam vor seinen Augen. 24. Dezember 1994: Über der 5th Avenue tobten die Schneeflocken durch die Luft. Die Leute eilten an ihm vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Chris stellte den Kragen seiner alten Jeansjacke hoch und hielt ihn mit der rechten Hand am Hals zusammen, damit die Kälte nicht stark in die Jacke eindringen konnte. Trotzdem fror er erbärmlich, Jeans war nicht gerade der perfekte Stoff für eine solche Witterung. Er musste dringend einen Ort finden, wo er heute Nacht schlafen konnte. Viel war nicht mehr auf der Straße los, die meisten Leute waren in ihren warmen Häusern oder Wohnung bei ihren Familien, die Kinder freuten sich auf den Weihnachtsmann, stellten ihm Kekse und Milch an den Kamin oder ans Fensterbrett und hofften die ganze Nacht, doch vielleicht die Glöckchen von Santa Claus' Schlitten zu hören oder zumindest Rudolphs leuchtende Nase am Nachthimmel zu entdecken, nur um irgendwann einzuschlafen und am nächsten Morgen die Geschenke unterm Weihnachtsbaum zu finden. Chris zog die Nase hoch. Weihnachten war widerlich, diese Zuschaustellung von Familienwerten, diese innige Wärme und Herzlichkeit. Wenigstens war sein Magen voll, er hatte bei einer Armenspeisung in der St. Patrick's Cathedral teilgenommen, das Essen war nicht sonderlich gut gewesen, aber zumindest warm und vor allem kostenlos. Die letzten Tage waren wirklich schwach gewesen, die Nachfrage nach schnellem, unverbindlichem Sex gegen Geld nahm zur Weihnachtszeit leider deutlich ab. Als würde sich einer von den Typen, die zu ihm kamen, groß um die Weihnachtszeit scheren. Jemand rempelte ihn an, so unerwartet, dass Chris strauchelte und hinfiel, sofort weichte der matschige Schnee auf dem Gehweg durch seine dünne Hose und hinterließ einen eiskalten, nassen Film auf seiner Haut. "Oh, verzeihen Sie, ich hoffe, Sie haben sich nicht weh getan." Chris schüttelte den Kopf und ergriff die Hand, die ihm entgegen gestreckt wurde. "Passen Sie am besten das nächste Mal auf, wenn Sie..." Er brach ab. Der Mann der ihm gegenüberstand, war ihm sehr wohl bekannt. John, sein erster Freier vor zwei Jahren. Neben ihm stand seine Frau und ihr Sohn, der junge Mann hatte sich verändert, Johns Ehefrau kein bisschen. Obwohl Chris ebenfalls noch ein Stück gewachsen war und sich sein Gesicht ein wenig verändert hatte, erkannte John ihn offensichtlich sofort. "Alles okay?" fragte er. "Nein, du Wichser, seit du mich gebumst hast, ging es immer weiter bergab!", hätte er am liebsten gesagt, schluckte den Satz dann aber runter und beließ es bei einem "Ja, schon okay, ich hätte ja auch aufpassen können." "Fröhliche Weihnachten", lächelte Johns Ehefrau, bevor sie weitergingen. Chris verspürte das Bedürfnis, ihr einen matschigen Schneeball in die Frisur zu schmeißen, doch dann kam ihm eine Idee. Er drehte sich um und folgte der Familie in einigem Abstand. Schließlich bogen sie in eine Niederlassung von Cartier ein, natürlich nur das Beste für das liebe Frauchen, Chris verzog das Gesicht. Der blonde Mann musterte die Schaufenster mit dem ausgestellten, sündhaft teuren Schmuck und drückte sich in der Nähe des Eingangs herum, so dass John ihn über kurz oder lang sehen musste, was dann auch prompt geschah. Chris lächelte ihn süffisant an, woraufhin der ältere Mann regelrecht blass wurde. Er ging zu seiner Frau hinüber, zog sein klobiges Mobiltelefon aus der Tasche, der letzte Schrei für alle, die etwas auf sich hielten, und deutete dann auf den Ausgang. Chris entfernte sich ein Stück und blieb an einer Seitenstraßen stehen, so dass John ihn beim Verlassen des Ladens sehen musste. Der Mann blickte sich etwas verstört um und hielt dann sofort auf Chris zu, als er ihn erblickte, welcher sich daraufhin ein Stück in die Seitenstraße zurückzog. "Was soll das?" fragte er erbost, als er ihn schließlich erreicht hatte. "Warum verfolgst du mich?" "Bist du nicht froh, mich zu sehen?" Chris grinste. "Wie geht es dir?" stellte John eine Gegenfrage, er klang etwas unsicher. "Beschissen. Ich habe mir eben mit einem Teller Fraß ein schönes Weihnachtsfest gemacht, den du wahrscheinlich noch nicht einmal deinem Hund vorsetzen würdest!" "Das tut mir leid." "Dafür kann ich mir auch nichts kaufen." Chris trat näher zu ihm und schob ihm ohne Vorwarnung die Hand in den Schritt. "Lass das!" John schubste ihn erschrocken von sich und stolperte selbst einen Schritt zurück. "Was hast du?" Chris fuhr sich durch seine Haare. "Stehst du nur auf kleine Jungs? Ich bin fast achtzehn, aber glaube mir, ich habe mehr drauf als damals." Er überbrückte den Abstand zwischen sich und John erneut und fasste den New Yorker an seiner Krawatte. "Komm schon, du hast es doch genossen, der Erste zu sein, du hast es genossen, meinen Arsch ganz für dich zu haben. Ich mache dir auch einen Sonderpreis." Er beugte sich hoch und fuhr mit der Zunge über Johns Wange. Der ältere Mann stieß ihn so heftig von sich, dass Chris stürzte und auf seinem Hintern landete. Zornig schaute er zu John hinauf. "Du hast dich wirklich verändert, du bist nicht mehr der Junge, den ich damals traf." "Arroganter Wichser! Natürlich bin ich das nicht! Glaub mir, zwei Jahre auf dem Strich machen auch aus dem bravsten Jungen eine Hure! Aber du kannst dir doch was drauf einbilden, du hast bei mir den ersten Stich gemacht!" John sah ihn mit mitleidsvollen Augen an, dann drehte er sich um und wollte gehen. "Deine Frau heißt Laura, oder?" rief Chris ihm hinterher. Der andere Mann drehte sich um. "Warum willst du das wissen?" "Ich will sie nicht beim falschen Namen nennen, wenn ich ihr sage, dass ihr ach so geliebter Mann gern kleine Jungs vögelt, wenn sie nicht da ist. Und denk nur, was Andrew dazu sagen würde!" "Das wagst du nicht, du..." Er ballte die Fäuste. "Du glaubst nicht, was ich alles wagen würde." "Wenn du das tust, zeige ich dich an und dann bist du dran! Wegen Prostitution wirst du in diesem Staat eingebuchtet!" "Mag sein, aber dann gehst du mit mir unter, John." Er rappelte sich vom Boden auf. "Ich werde dich mitreißen und du kannst nichts dagegen tun!" Für einen Augenblick glühte so eine Wut in den Augen des älteren Mannes, dass Chris befürchtete, einen Fehler gemacht zu haben und vielleicht jetzt gleich in dieser Straße ermordet zu werden. Doch dann lockerten sich Johns geballt Fäuste und er sackte regelrecht zusammen. "Was willst du?" Chris atmete innerlich auf. "Geld!" war seine deutliche Antwort. Das Licht der Kerzen brach sich funkelnd in den Tränen auf Chris' Wange. Er ekelte sich vor sich selbst, wenn er an diesen Tag zurückdachte. Er hatte diesen Mann eiskalt erpresst, obwohl John so zärtlich zu ihm gewesen war. Das hatte er eigentlich nicht verdient gehabt, aber in seiner Wut und rasenden Eifersucht auf alle, die mehr hatten als er, die ein Leben hatten, wie er es sich gewünscht hatte, war ihm das damals egal gewesen. Und überhaupt, schließlich war John nicht mehr als das seltene Exemplar eines zärtlichen Kinderschänders, wenn man es streng betrachtete. Dank des Geldes, das er nach und nach von John erpresst hatte, war es Chris möglich gewesen, sich die kleine Wohnung zu leisten, in die er auch Jason bei ihrem ersten Treffen mitgenommen hatte. Eine Zeit lang hatte er sogar einigermaßen davon leben können, bis zu dem Tag, an dem John bei ihm auftauchte, um ihm mitzuteilen, dass mit seinen Zahlungen Schluss war. Er hatte seiner Frau alles gestanden und diese war samt ihres Sohnes ausgezogen und hatte die Scheidung eingereicht. John hatte danach New York verlassen, aber eben nicht ohne Chris einen Besuch abzustatten. Von seiner liebevollen Art war nichts mehr übrig gewesen, was man ihm angesichts der Erpressung auch nicht übel nehmen konnte. Er hatte Chris zum Abschied eine heftige Ohrfeige verpasst und war dann hysterisch lachend verschwunden. Von diesem Tag an hatte Chris noch mehr arbeiten müssen, um genug Geld auf die Beine zu stellen, um sowohl die Wohnung zu halten, als auch seinen ein Jahr später beginnenden Drogenkonsum zu finanzieren. Sein einziges Glück war, dass sein Vermieter, ein schmerbäuchiger, widerlicher Typ, der ständig nach Schweiß roch, dermaßen eklig war, dass ihn keine Frau auch nur mit der Kneifzange anfassen wollte. Chris war weniger zimperlich gewesen und obwohl er jedes Mal danach hatte kotzen müssen, hatte er mit vollem Körpereinsatz auch die Monate überstanden, in denen er zu klamm für Stoff und Miete gewesen war. "Was machst du hier unten?" Chris blickte auf und sah in Jasons Gesicht, der in der Tür stand und sich seinen Bademantel zuknotete. "Ich konnte nicht schlafen..." "Weinst du?" Der blonde Mann wischte sich so schnell er konnte die Tränen aus dem Gesicht. "Nein... schon gut." Jason seufzte und ließ sich dann neben Chris auf der Couch nieder. Er schlüpfte unter die Wolldecke und nahm seinen Freund in den Arm, so dass er sich an ihn schmiegen konnte. "Sehr überzeugend", brach der Polizist schließlich das Schweigen. "Es ist schon okay, Jason... wirklich..." "Mein Freund sitzt mitten in der Nacht weinend vor dem Weihnachtsbaum und sagt, es sei alles in Ordnung. Was stimmt nicht an diesem Bild?" "Ist dir eigentlich klar, dass du so gut wie nichts über das weißt, was ich in New York getan habe?" Jason strich ihm durchs Haar. "Ach so, daher weht der Wind." "Ich habe so widerliche Sachen gemacht... und irgendwie kommen all die Erinnerungen daran zurück... ich frage mich im Moment, wie du mich überhaupt lieben kannst..." "Schatz... du kannst dich doch nicht wirklich mit dem Chris von damals gleich setzen. Der Chris Fairgate aus New York ist lange schon Vergangenheit und hat mit dem neuen Chris doch überhaupt nichts mehr gemein." "Aber ich bin immer noch der selbe Mensch und mir haftet immer noch dieser Schmutz von damals an..." "Es ist Weihnachten, Chris, es ist unser Weihnachten, das erste Mal, dass wir dieses Fest gemeinsam feiern können. Warum einigen wir uns nicht darauf, dass dieses Fest gleichzeitig der endgültige Neuanfang für uns Beide ist? Jeder hat eine Vergangenheit, aber man kann sie auch hinter sich lassen." Chris schaute in die grünen Augen seines Freundes, in denen sich die Lichter des Weihnachtsbaumes spiegelten, und er erkannte nichts als Liebe darin. Jason meinte seine Worte vollkommen ernst und hier, in den Armen seines Freundes, in der Geborgenheit dieser Beziehung, die soviel überstanden hatte, war die Vergangenheit in New York plötzlich vollkommen egal. Längst vergangener Schrecken, der keine Bedeutung mehr hatte. Chris musste unwillkürlich lächeln. "Einverstanden...", flüsterte er. "Heißt das, du kommst jetzt mit ins Bett?" "Hältst du mich im Arm, bis ich eingeschlafen bin?" Einer solchen Aufforderung kam Jason nur zu gern nach... "Ja bitte!" David sah von seinen Papieren auf, als es an der Tür klopfte. Noch ein paar Tage bis Weihnachten und immer noch gab es mehr als genug Arbeit. Aber die Aussicht auf das Weihnachtsfest mit Chris, Jason und seiner Familie machte sogar das erträglich. Eve Deveraux, seine Sekretärin, steckte den Kopf herein, ihr langes Haar fiel ihr dabei mit einer flüssigen Bewegung über die Schulter. "Sir, da ist jemand, der sie unbedingt sprechen möchte. Ich habe ihm gesagt, Sie seien beschäftigt, aber er gibt keine Ruhe. Er meint, Sie kennen ihn und würden sich sicher freuen, ihn zu sehen." "Hat er seinen Namen genannt?" "Nein, aber er sagt, sie hätten gemeinsame Bekannte." "Was soll denn der Scheiß? Lassen Sie ihn meinetwegen rein, man ist ja in Weihnachtsstimmung." Eve verschwand und öffnete die Tür dann ganz, in der nächsten Sekunde bereute David, einen guten Tag gehabt zu haben, denn Alexander Stone rauschte mit einem fetten Grinsen an seiner Sekretärin vorbei. "Danke, Schätzchen. Ich habe doch gesagt, dass er mich kennt." "Kann ich noch etwas für Sie tun, Sir?" fragte Eve, ohne Alex auch nur eines Blickes zu würdigen. "Nein, vielen Dank, Eve." Sie nickte und ging. Alex schaute sich immer noch grinsend in Davids Büro um. "Nobel, nobel, Alterchen. Schickes Büro und dann auch noch so eine Bombe von einer Sekretärin. Schade für sie, dass du ein Arschbumser bist." "Niemals im Glashaus mit Steinen werfen. Was willst du?" Alex zog sich einen Stuhl vor Davids Schreibtisch zurecht, drehte ihn herum und setzte sich breitbeinig darauf, um sich auf der Lehne abzustützen. "Mit dir reden, Alterchen." Er wartete offensichtlich darauf, dass David sich wegen des Namens aufregte, aber den Gefallen tat ihm der Anwalt nicht. "Das hast du ja jetzt getan, also kannst du wieder gehen." "Noch nicht, wir unterhalten uns doch gerade so nett." "Muss mir entgangen sein." "Wahrscheinlich, die grauen Zellen arbeiten in deinem Alter nicht mehr gut, wie auch alles andere, nicht wahr?" "Oh, eine feinsinnige Beleidigung!" lachte David verächtlich. "Schließ nicht von deinem mangelnden Stehvermögen auf andere, von deiner Intelligenz ganz zu schweigen." Alex verzog keine Miene, aber David war sich sicher, eben einen Punkt gelandet zu haben. "Jem und ich sind so gut wie wieder ein Paar." wechselte Alex das Thema und bestätigte David so, dass ihm kein Konter einfiel. "Schön für euch." "Du bist ein Heuchler, Alterchen. Es kratzt dich sehr wohl." "Wenn Jeremy sich mit dir einlässt, ist das seine Schuld. Dumm genug von ihm." "Vielleicht tut er das einfach nur, weil ich besser für ihn bin.", grinste der jüngere Mann. "Ach? Und du meinst wirklich, dass du der Bessere für ihn bist." "Wir haben viel gemeinsam, bei mir kann er sein, wie er ist." David antwortete nicht, sondern lehnte sich nur im Stuhl zurück, das Leder knarrte leicht. "Allerdings ist Jem sehr leicht beeinflussbar", fuhr Alex schließlich fort. "Das kann dir ja nur recht sein." Der dunkelhaarige Mann ignorierte den Einwurf. "Und deshalb will ich sicher gehen, dass du dich aus unserem Leben raus hältst, Alterchen. Und ich glaube, ich habe auch schon eine Idee, wie ich das erreiche." "Soll das der klägliche Versuch einer Erpressung werden?" "Nein", widersprach Alex. "Ich tue dir einen Gefallen. Du bildest dir doch einiges auf das ein, was du bist, oder? Dann ist in deinem Leben auch sicher kein Platz für einen Pornohengst wie Jeremy." David kniff die Augen zusammen. "Was soll das heißen?" "Ich wusste es ja, schwer von Begriff. Ich sage es dir deutlicher: Jeremy hat eine Menge Pornos gedreht, die meisten mit mir zusammen! Wir sind das dynamische Duo guter Fickfilme." "Was für ein erbärmlicher Auftritt! Raus hier jetzt, ich habe zu arbeiten!" Alex stand auf. "Glaub es mir oder glaub es nicht, es ist die Wahrheit. Ich hoffe, dich jetzt nicht mehr in unserem Leben ertragen zu müssen. Jeremy gehört mir!" "Raus hier!", schrie David, er verlor für einen Moment die Kontrolle. Alex zwinkerte ihm zu und verließ dann lachend das Büro. Kaum war er draußen, steckte seine Sekretärin wieder den Kopf in den Raum. "Ist alles in Ordnung?" "Ja..." Sie schaute ihn misstrauisch an, aber der Gesichtsausdruck ihres Chefs verriet ihr, besser den Mund zu halten. Sie schenkte ihm einen mitleidvollen Blick, bevor sie die Tür wieder schloss. David lehnte sich zurück. Hatte Alex gerade wirklich die Wahrheit gesagt? Das konnte doch einfach nicht sein. Oder doch. Er klappte den Aktenordner vor sich zu, das war sowieso nur Papierkram. Der Anwalt schnappte sich seine Jacke und eilte aus dem Büro. "Eve, ich muss etwas klären. Ich nehme meine Überstunden, damit fängt mein Urlaub jetzt an. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten." Bevor die junge Frau überhaupt etwas entgegnen konnte, war er schon Richtung Ausgang verschwunden. "Denkst du, ich sollte mir die Haare wachsen lassen?" Jason stand vor dem Spiegel im Bad und fingerte in seiner Frisur herum. Er trug einen schwarzen Rollkragenpullover, der seine schmalen Hüften und seine Brustmuskeln deutlich betonte, und dazu eine enge dunkelblaue Jeans. Stand ihm ausgezeichnet, wie Chris fand. Der blonde Mann saß hinter ihm in der Badewanne, die langen Haare am Hinterkopf zusammengesteckt. Der Duft seines Schaumbads, Orange und Zimt, erfüllte den Raum. Er spielte mit dem Zeh am Wasserhahn, eine Angewohnheit von ihm. "Wie kommst du darauf?" "Ach, nur so..." Jason knetete etwas Gel in sein Haar. "Ein bisschen Veränderung ist doch niemals schlecht." "Du siehst umwerfend aus, genau wie du bist." Der Polizist drehte sich lächelnd um und beugte sich über seinen Freund in der Wanne, um ihm einen Kuss zu geben. "Danke." Er ließ den Finger über die Wasseroberfläche gleiten. "So ein Mist, dass ich meine Eltern vom Flughafen abholen muss." "Warum?" "Weil ich sonst über einen kleinen Tauchgang nachdenken würde." Chris grinste. "So was Dummes! Soll ich nicht doch mitkommen?" "So wie du bist?" "Ich würde mir schon was anziehen." "Nein, bleib lieber so wie du bist, bis ich wieder da bin. Ich muss los, mein Engel." "Na dann. Grüß deine Eltern, ich freue mich auf sie." "Wird gemacht." Jason verabschiedete sich von seinem Freund und ging. Chris drehte den Wasserhahn auf und ließ noch einmal heißes Wasser nachlaufen. Er liebte lange Schaumbäder. Das war so entspannend und gemütlich. In der Badewanne konnte man herrlich seine Gedanken schweifen lassen. Und das war eigentlich etwas, was er im Moment besser nicht tun sollte. "Du bist so geil!" Der rothaarige Mann biss Chris in die nackte Schulter. Die beiden Männer lagen mit nacktem Oberkörper auf dem Bett des jungen Strichers. "Hey! Wenn du Hunger hast, kauf dir einen Hamburger! Ich kann es nicht leiden, wenn man mich beißt." "Du hast ganz schöne Ansprüche, dafür dass du auf den Strich gehst. Dann gib mir wenigstens einen Kuss, Süßer." Er näherte sich Chris' Gesicht und öffnete den Mund ein wenig, wobei seine Bierfahne dem blonden Mann entgegen schlug. "Vergiss es!" Chris drückte ihm die Hände gegen die Brust, was ihn einige Kraft kostete, weil das Gewicht des leicht übergewichtigen Mannes schwer auf ihm lastete. "Jetzt stell dich nicht so an!" "Ich sagte, nein!" Doch der Freier packte Chris' Wangen und zwang ihn, den Kopf gerade zu halten, damit er ihn küssen konnte. Chris wehrte sich, aber er hatte keine Chance. "Hey!" Beide zuckten zusammen. In der Tür stand ein brünetter, muskulöser Mann, der die Hände in die Hüften stemmte. Seine Augen funkelten zornig. "Jason!" keuchte Chris. "Runter von ihm! Los!" "Was ist denn jetzt kaputt?" fragte der Mann verwirrt. "Runter von ihm und raus hier! Aber plötzlich!" "Warum sollte ich?!" Jason zückte seelenruhig seine Dienstmarke und hielt sie dem Freier entgegen. Dieser wurde leichenblass. Blitzschnell, überraschend schnell für seine Körperfülle, sprang der Mann aus dem Bett, zerrte sein Hemd und seine Jacke an sich und verließ ohne ein weiteres Wort die Wohnung, noch nicht einmal richtig angezogen. Der Polizist steckte die Marke wieder weg. Chris stieg ebenfalls aus dem Bett und ging zu ihm hinüber. "Schön dich zu sehen", lächelte Jason. In der nächsten Sekunde hatte er eine kleben. Chris' Hand klatschte in sein Gesicht. "Wofür war das?!" Er hielt sich die Wange. "Hast du einen Knall?! Kommst hier rein und wedelst mit deiner Marke?! Weißt du, wie schnell sich so etwas herum spricht?! Willst du mir meine Kunden vergraulen?!" Jason antwortete zunächst nicht, weil es ihm wirklich am liebsten wäre, wenn Chris keine Freier mehr haben würde, aber sie kannten sich erst knapp zwei Wochen und da konnte er so etwas nicht einfach fordern. "Tut mir leid. Ich wollte dir helfen." Der blonde Mann schnaubte, doch dann huschte der Anflug eines Lächelns durch sein Gesicht. "Ich weiß... danke. Aber warum kreuzt du hier einfach auf? Waren wir verabredet?" "Nein, ich wollte einfach mal vorbei schauen. Ich hab Mittagspause." "Willst du vögeln?" Jason legte den Kopf schräg. "Nein, ich wollte dich nur sehen. Ach ja! Und dich fragen, ob du Lust hast, heute Abend mit mir ins Kino zu gehen. In der Nähe meiner Wohnung ist dieser altmodische Filmpalast, da geben sie heute "Frühstück bei Tiffany", der Film ist schön. Kennst du ihn?" Für ein paar Sekunden entgleiste Chris seine betont coole Miene dermaßen, dass es schon fast grotesk wirkte. Er sah den anderen Mann mit einer Mischung aus totalem Unglauben und Überraschung an. "Kino?" "Du weißt schon, so ein Ort wo viele Leute hingehen, um sich bewegte Bilder auf großen Wänden anzusehen." Der Polizist kicherte über seinen eigenen Witz. "Ach, und ich dachte, dass man da seine Wäsche wäscht!" konterte Chris trotz Überraschung recht schlagfertig. "Willst du dort etwa eine Nummer schieben?" Jason ließ die Schultern sinken. "Chris, warum machst du es mir so schwer? Ich will mit dir ins K-I-N-O!" betonte er das letzte Wort. "Ich will mit dir "Frühstück bei Tiffany" schauen und danach vielleicht noch eine Pizza essen gehen. Das sind Tätigkeiten, die vollkommen ohne Sex auskommen!" Chris antwortete nicht, sondern fing stattdessen an, sein zerwühltes Bett zu machen. Er vermied eindeutig den Blickkontakt zu Jason. "Warum zeigst du mir jetzt die kalte Schulter?" Der blonde Mann warf das Kissen, das er eben aufgeschüttelt hatte, einfach aufs Bett, bevor er sich umdrehte. "Weil ich nicht weiß, was ich davon halten soll, okay? Du kommst hierher und willst mit mir ins Kino gehen. Auf so etwas bin ich nicht gefasst!" "Und wo liegt das Problem?" "Jason, ich bin nicht Julia Roberts und du bist nicht Richard Gere... auch wenn du besser aussiehst, als er... aber dir muss das langsam mal klar werden, dass wir hier nicht Pretty Woman spielen!" "Hat diese Analogie auch eine Pointe?" "Na klar hat sie das!" Chris strich sich eine Strähne seines widerspenstigen Haares aus dem Gesicht. "Hör auf, mich retten zu wollen! Ich brauche keine Rettung!" "Wer spricht denn hier von Rettung?" "Verarsch mich nicht, Jason. Du willst aus mir einen guten Bürger machen." "Das habe ich doch gar nicht gesagt!" "Das musstest du auch nicht." Der Stricher verdrehte die Augen und ging dann einfach an Jason vorbei ins Badezimmer seiner kleinen Wohnung. Ohne auf den Polizisten zu achten, hantierte er in seinem Badezimmerschrank herum. "Warum bist du so kalt zu mir. Habe ich dir etwas getan?" "Nein..." "Was ist es dann?" "Egal..." "Wirst du jetzt einsilbig?" Jason klappte den Badezimmerschrank mit Schwung zu, um Chris daran zu hindern, ihn weiter zu ignorieren. Dabei fiel eine Spritze heraus und landete im Waschbecken. Für einen Moment herrschte Schweigen, der Polizist starrte auf die Nadel unter der Plastikhülle. Chris musterte ihn mit einem herausfordernden Blick. "Was jetzt, mein Ritter? Entsetzen? Abscheu? Du weißt doch, dass ich fixe." "Manchmal habe ich das Gefühl, du bist stolz darauf." Chris trat direkt vor ihn und sah ihn tief in die grünen Augen. Ein sarkastisches Lächeln umspielte seine Lippen. "Oh ja, ich bin stolz darauf. Jedes Mal, wenn ich diese Nadel in meinen Arm steche, weiß ich, dass ich der Größte bin. Fixen ist geil, willst du auch mal?" "Das meinst du nicht so." Chris lachte kalt. "Schade. Ich dachte, wir setzen uns mal zusammen einen Schuss." Erneut ließ er ihn einfach stehen. Er kehrte in den Wohnraum zurück und holte sich eine Flasche Cola von einer Billigmarke aus dem Kühlschrank. "Du spielst wirklich gern das Arschloch, oder?" Jason lehnte im Rahmen der Badezimmertür. "Woher willst du wissen, dass ich keines bin?" "Weil ich es weiß." "Wie überzeugend! Polizist, Ritter auf dem weißen Ross, Psychologe... du bist wirklich ein Multitalent, mein Süßer. Also, willst du mich jetzt flachlegen oder verschwindest du endlich, damit ich Geld verdienen kann?" "Okay, das reicht!" Jason stürmte auf Chris zu und hob den völlig überraschten Mann hoch. Die Colaflasche landete auf dem Boden und verschüttete ihren Inhalt in den sowieso schon dreckigen Teppich. Ohne auf die heftige Gegenwehr des blonden Strichers zu achten, trug er ihn zum Bett und warf ihn darauf. Das Gestell knarrte lautstark. Jason sprang hinterher und legte sich auf Chris. "Was soll dieser Auftritt?!" Chris' Stimme klang weit weniger hochmütig, als noch vor wenigen Sekunden. "Anders hörst du mir ja nicht zu. Ich denke, ich verdiene eine klare Antwort. Ich habe dir nicht weh getan, ich habe dich nicht schlecht behandelt, warum also, springst du so mit mir um?" "Geh von mir runter!" "Antworte!" entgegnete Jason in ebenso lautem Ton wie Chris. "Weil ich aufgehört habe, mir Illusionen zu machen! Ich bin kein Idiot, Jason! Ich weiß, wo ich in dieser Welt stehe! Ich bin Abschaum! Ich bumse jeden, der mich dafür bezahlt, nur damit ich ein bisschen was zu essen habe und mir regelmäßig Spritzen setzen kann! Ich will nicht, dass du mir vorgaukelst, ich sei etwas Besonderes!" Ihm lief eine einzelne Träne aus dem rechten Augenwinkel. "Ich habe ein Jubiläum, weißt du das? Ich gehe mittlerweile acht Jahre auf den Strich und vor fast sechs Jahren, habe ich mit den Drogen angefangen. Glaubst du wirklich, dass du noch die Möglichkeit hast, mich zu retten?!" "Kurz gesagt, du hast Angst." Chris antwortete nicht. "Du hast Angst, dass dir jemand zu nahe kommen könnte, hinter deine kalte Fassade schauen könnte. Aber weißt du was? Ich wollte mich dir nicht aufdrängen. Sag mir jetzt ins Gesicht, dass du mich nicht magst und nicht mehr willst, dass ich dich besuche, dann verschwinde ich für immer aus deinem Leben. Aber nur, wenn du es mir sagst, während du mir in die Augen siehst. Wenn du das willst, dann sag es jetzt." Er schaute Chris fest an und nach einigen schier endlosen Sekunden schloss der blonde Mann seine blauen Augen und drehte den Kopf weg. "Dachte ich es mir doch...", lächelte der Polizist. "Dann frage ich dich jetzt noch einmal: Willst du heute Abend mit mir ins Kino gehen?" Chris biss sich auf die Lippe, all die kühle Überzeugung war von ihm abgefallen, als er Jason wieder anblickte, sah er mehr aus wie ein hilfloses Kind. "Warum tust du das?" "Weil ich mit dir ins Kino gehen will." "Ich kann mir das nicht leisten..." "Ich bezahle", schmetterte Jason die Ausrede ohne zu zögern ab. "Willst du mit mir ins Kino gehen?" "Ja..." Chris' Gegenwehr brach zusammen und er konnte das dankbare Lächeln auf seinem Gesicht nicht länger unterdrücken. Jason zog ihn an sich und hielt ihn fest. "Das freut mich." "Du machst einen Fehler...", flüsterte der Stricher. "Das musst du schon mir überlassen." Zum Glück hatte er das getan. Chris stieg aus der Wanne und begann, sich abzutrocknen. In dieses Badezimmer hätte sein altes mindestens drei mal hinein gepasst. Und im Schrank waren Duschgels, Deos, Zahnpasta, aber keine Spritzen. Er zog sich seinen Bademantel an und ging ins Schlafzimmer hinüber, wo er sich einfach aufs Bett fallen ließ. Nachdem er die Spange aus seinen Haaren entfernt hatte, rollte er sich zusammen und nahm Jasons Kissen in den Arm. Es roch nach seinem Freund. Jason hatte ihn wirklich gerettet... also warum sollte er immer noch in der Vergangenheit leben... Endlich war es soweit. Christmas Eve in San Francisco. Die Hillside Street erstrahlte im Glanz von Hunderten von Glühbirnen, selbst Jason und Chris hatten am Dekorationsmarathon teilgenommen. Allerdings waren nur der Weg zur Haustür, das Vordach über dem Eingang und der Baum im Vorgarten mit Lichtern geschmückt und es gab keine kitschigen Weihnachtsmänner, Rentiere oder ähnlichen Tand. Sonnige fünfzehn Grad hatten die letzte Hoffnung auf weiße Weihnacht zunichte gemacht, aber Chris störte das kein bisschen. Er stand in der Küche am Herd und machte Glühwein, eine große Schale mit Eierpunsch stand ebenfalls schon bereit. Auf einem Backblech kühlte die letzte Ladung Lebkuchen aus. Auch der Festtagsbraten war bereits vorbereitet, zusammen mit einer Vielzahl an leckeren Beilagen. Marcus war mittags vorbei gekommen, den Abend verbrachte er natürlich mit seiner Familie, aber er wollte es sich nicht nehmen lassen, trotzdem ein kleines Geschenk für Jason und Chris vorbei zu bringen. Damit er die Reaktion erleben konnte, hatten sie es sofort ausgepackt, der Junge hatte ihnen von seinem knappen Geld einen silbernen Standbilderrahmen von schlichter Schönheit gekauft, mit einem Bild von sich und Jason und Chris, das im Oktober aufgenommen worden war. Natürlich hatte er sich auch riesig über das Paket (und noch mehr über den Inhalt) gefreut, das die beiden Männer ihm überreicht hatten, Jason hatte es schon länger besorgt, weil er ja von Marcus' Ankunft gewusst hatte. Er hatte sich mit den Eltern des Jungen abgesprochen und ihm eine Playstation 2 gekauft, die man mittlerweile recht günstig bekommen konnte. Dazu noch das Spiel "Devil may cry", Jason hatte es selbst nie gespielt, aber er ging davon aus, dass allein schon der Hauptdarsteller Marcus zusagen würde. Im Moment streckte der blonde Junge seine Finger nach einem der Lebkuchenmännchen aus, zog sie jedoch schnell wieder zurück. Sein Gesichtsausdruck verriet deutlich, dass sie noch heiß waren. "Wann sind die endlich kalt?!" "Sei nicht so ungeduldig!" lachte Chris. Er drehte den Temperaturregler der Kochplatte runter, so dass der Glühwein heiß blieb, aber nicht kochte. Die ganze Küche roch danach. "Darf ich stören?" Jason steckte den Kopf zur Tür herein, mit einem flachen, großformatigen Geschenk in der Hand. "Ich will dir was geben, Schatz." "Och, das wäre doch nicht nötig gewesen! Noch ein Geschenk!" Marcus grinste. "Seit wann bist du mein Schatz?" "Wenn er es wäre, würde ich dir jetzt eine Glühweindusche verpassen!" lachte Chris, bevor er auf Jason zuging und ihm einen Kuss auf die Lippen drückte. "Warum jetzt schon? Es ist doch nicht Weihnachten." "Nun ja..." Jason wurde etwas rot. "Das ist ein besonderes Geschenk und meine Eltern kommen doch auch morgen früh zur Bescherung und da will ich nicht unbedingt, dass sie das sehen. Du kriegst noch etwas Anderes, aber das hier ist... eher privat." "Pack aus!" forderte Marcus. "Ich sagte privat, du Schnüffler!" Jason kniff ihn in die Wange. "Ich gehöre doch schon fast zur Familie, also los!" "Der gibt sowieso keine Ruhe, als pack schon aus." Er reichte das Geschenk an Chris weiter, der eilig die Verpackung entfernt. Schließlich hielt er einen großen Wandkalender in der Hand. Mit einem fragenden Blick in Jasons Richtung klappte er den Januar auf und im nächsten Moment wurden Marcus' Augen groß. "Meine Fresse!" entfuhr es ihm. Auf der Seite für den Januar war Jason zu sehen. Er trug eine enge Jeans, die am Bund geöffnet war und den Blick auf seinen Schamhaaransatz frei gab. Er zog sich gerade ein Unterhemd über den Kopf und streckte dabei seinen muskulösen Oberkörper. Das Bild war in kunstvollem Schwarzweiß gehalten. Ungläubig blätterte Chris weiter. Im Februar lehnte sein Freund an einer Backsteinwand, bis auf einen weißen Slip unbekleidet, überall auf seinem Körper glitzerten Wassertropfen und der nasse Stoff der Hose ließ den Inhalt erahnen. Im März kniete der Polizist vollkommen nackt in einer hockenden Position, als wollte er gleich zum Sprint ansetzen, die Schatten der Schwarzweißaufnahme verdeckten dabei die privaten Bereiche seines Körpers. Und so ging es weiter, April war ein Foto ähnlich dem von David, nackt, Rückenansicht, mit einem verführerischen Blick über die Schulter, der Mai zeigte Jason in einer Industriehalle, eine nur an einer Seite geschlossene Latzhose über dem mit Öl beschmierten nackten Oberkörper. Chris legte den Kalender auf den Tisch und warf sich seinem Freund in die Arme. "Das ist das schönste und intimste Geschenk, das mir je jemand gemacht hat!" "Das will ich hoffen!" Der blonde Mann bedankte sich mit einem zärtlichen Kuss. Plötzlich löste er sich von Jasons Lippen und musterte den Polizisten durchdringend. "Das heißt, dieser Fotograf hat dich so gesehen?!" "Es war eine Fotografin und eine Visagistin, absolut keine Gefahr", grinste er. "Ich glaube, ich kriege einen Koller..." Die Beiden schauten überrascht neben sich zum Tisch, Marcus hatten sie vollkommen vergessen. Der Junge blätterte im Kalender. Eben war er beim August angelangt, Jason stehend in einem altmodischen Badezuber, ein nasses Tuch um die Lenden, und er goss sich gerade einen Eimer mit Wasser über den Kopf. "Du bist echt zu beneiden, Chris... darf ich mir das mal ausleihen? Da kommt man ja richtig in Festtagsstimmung." Sein anzügliches Grinsen sagte alles, auch wenn er es offensichtlich nicht ernst meinte. "Träum weiter, mein Lieber!" lachte Jason und zog ihm den Kalender aus der Hand. "Du gönnst mir auch gar nichts!" "Du wirst nicht glauben, was ich herausgefunden habe!" David, festlich in dunklem Anzug und Krawatte, stürmte an Jason vorbei, direkt ins Wohnzimmer, um sich auf die Couch zu setzen. "Dir auch fröhliche Weihnachten!" lachte Jason, der mit seinem Glas in der Hand im Türrahmen stehen blieb. "Davon kann keine Rede sein. Wo ist denn Chris?" "Der ist mit Mum und Dad unterwegs, die wollten unbedingt noch auf den letzten Drücker etwas kaufen." "Ach so..." "Eierpunsch?" "Bitte?" David sah ihn etwas verständnislos an. Der Polizist hob sein Glas. "Willst du Eierpunsch?" "Nein, danke... dann würde ich mich wahrscheinlich nur betrinken." Jason ließ sich neben seinem Freund nieder. "Was ist denn passiert?" Statt zu antworten, sprang David wieder auf, was Jason mit einem Augenverdrehen quittierte. Der Anwalt fing an im Raum auf und ab zu gehen. Plötzlich blieb er stehen. "Jeremy dreht Pornos!" Jason verschluckte sich dermaßen an seinem Eierpunsch, dass er das Getränk beinahe über den ganzen Wohnzimmertisch hustete. Während er sich mühsam beruhigte, stellte er vorsichtshalber das Glas ab. "Ja, das kannst du laut sagen!" ereiferte sich David gleich weiter, als sei der Hustenanfall eine adäquate Antwort gewesen. "Dieser kleine Mistkerl dreht Bumsfilme und hat mir das nie erzählt! Und dann fragt der mich auch noch scheinheilig, ob ich Pornos gucke! Ich verstehe erst jetzt, dass dieser scheinheilige Heuchler da nur abchecken wollte, ob er in Gefahr ist, aufzufliegen!" Jason klopfte sich auf die Brust, immer noch reizte es ihn zum Husten. "Und woher weißt du es?" "Von dieser Kanalie Alex! Der ist gestern zu mir gekommen und hat es mir verraten! Und ich bin in die Videothek und hab mir Pornos durchgesehen und tatsächlich drei Filme mit ihm gefunden! Ist das zu fassen?" "Nun ja...", druckste Jason. "Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?" "Ich wusste es...", gab sein Freund zu. "Ich glaube, ich habe mich gerade verhört?! Was für eine Art Freund bist du eigentlich?!" Jason stand ebenfalls auf. "Ach, komm schon! Wir haben es durch Zufall heraus gefunden." "Wir?! Chris weiß es auch?! Was denkt ihr euch?!" "Hör auf, mich anzuschreien!" hielt Jason in ebenso lautem Ton dagegen. Er war näher gekommen und stand nun vor David. "Was habt ihr euch dabei gedacht, mir das einfach nicht zu erzählen?!" David kochte vor Wut, die Adern an seinem Hals traten deutlich hervor, seine Gesichtsfarbe veränderte sich langsam in tiefrot. "Reg dich doch nicht so auf!" "Ich soll mich nicht aufregen!" David ballte die Fäuste. "Das ist doch wohl das Letzte, dass ihr wisst, dass mein Freund Pornos dreht und es nicht für nötig haltet, mir etwas darüber zu sagen!" Die beiden Freunde standen sich wie zwei Duellanten gegenüber, keiner wollte auch nur einen Deut von seinem Standpunkt abweichen. Batman duckte sich ob der lautstarken Auseinandersetzung hinter die Couch. "Was hätte denn das schon geändert?! Es ist doch egal, ob er Pornos gedreht hat oder nicht! Was ändert das schon?! Jeremy ist ein lieber Mensch und er wäre genau der Richtige für dich! Aber das willst du nicht sehen!" David schnaubte verächtlich. "Was das verändern würde?! Jason, würdest du mit einem Kerl zusammen sein wollen, der für Geld mit anderen Männern vögelt?!" Mit einem Mal herrschte Stille. Als Jason wieder sprach, war seine Stimme ganz ruhig, eiskalt sogar. "Pass auf, was du sagst." David funkelte ihn an. Er schien zu registrieren, was er gerade von sich gegeben hatte, aber er war zu sauer, um sich zu beruhigen. "Okay, mag sein, dass es dir egal ist, mit einem ehemaligen Stricher zusammen zu sein, das muss für mich noch lange nicht gelten!" Etwas fiel zu Boden und zerbrach mit einem dumpfen Geräusch in Stücke. Die Köpfe der beiden Männer ruckten herum. Ohne dass sie es gemerkt hatten, waren Chris und Jasons Eltern nach Hause gekommen. Die Cunninghams und Jasons Freund standen im Flur an der Wohnzimmertür, das Geräusch war von dem verpackten Geschenk gekommen, das Chris aus der Hand gefallen war. Der blonde Mann war leichenblass, seine Augen spiegelten schieres Entsetzen wieder. Auch Jasons Eltern waren bleich. Ohne ein Wort zu sagen, drehte sich Chris um und stürmte die Treppe hinauf. Jason schaute zu David zurück und sein Blick war voller Hass. David hob ein wenig die Hände. "Jason... ich..." Der Polizist holte aus und rammte seine Faust mit voller Wucht in Davids Gesicht. Der Anwalt konnte nicht mehr reagieren, er wurde nach hinten geschleudert und stürzte rückwärts in den Tannenbaum. Sein Aufprall riss den Baum um, Christbaumschmuck flog durch die Gegend, Kugeln zersprangen und der Nadelbaum zertrümmerte endgültig die Standvase von Jasons Mutter. Im Umstürzen riss die Spitze zudem noch die Tannengirlande und ein Bild von der Wand. Ohne auch nur noch einen Blick auf David zu werfen, rannte Jason seinem Freund hinterher. Chris hockte zusammengekauert auf seinem Bett, ein Heulkrampf schüttelte ihn. Jetzt war alles vorbei. Aus und vorbei. Wie hatte er auch nur eine Sekunde annehmen können, dass er den Schmutz von New York hatte ablegen können, dass er irgendjemanden lange täuschen konnte. Jetzt wussten Jasons Eltern, was für widerlicher Abschaum er war. Sie würden niemals zulassen, dass ihr Sohn mit einem Stricher zusammenlebte. Jetzt würde alles zusammen brechen. Die Tür wurde geöffnet. "Schatz?" "Geh weg!" Chris Stimme erstickte regelrecht in den Tränen. "Ich bin es doch." "Ist mir egal..." "Chris..." Jason setzte sich neben ihn und zog ihn in seinen Arm. Jetzt brachen sich die Gefühle des jungen Mannes erstrecht Bahn, er schluchzte immer heftiger, seine Wangen und seine Nase waren knallrot, die Augen jetzt schon völlig verquollen. "Jetzt ist alles vorbei...", wimmerte er. "Was soll das denn heißen?" "Deine..." Er zog die Nase hoch. "Deine Eltern... werden doch nie erlauben, dass du mit Abschaum wie mir zusammen bist!" Jason schob ihn ein Stück von sich, um ihm direkt in die Augen blickten zu können. "Und du glaubst ernsthaft, dass das etwas ändern würde? Glaubst du wirklich, ich würde mir von meinen Eltern befehlen lassen, mich von dir zu trennen? Und außerdem sag nie wieder, dass du Abschaum bist! So redet man nicht über meinen Freund!" "Es ist alles kaputt..." "Ich halte zu dir, egal was passiert, egal was meine Eltern sagen oder tun! Das sollte dir klar sein! Du bist kein Abschaum, mein Engel!" Die Tür ging auf und David trat ein. Er sah furchtbar aus, in seinen Haaren klebten Tannennadeln und Harz, seine Lippe blutete und ihm drohte eindeutig ein Veilchen. Außerdem hatte er seine rechte Hand notdürftig verbunden. "Wo wir gerade von Abschaum reden!" zischte Jason. Er ließ Chris los und stellte sich zwischen David und seinen Freund. "Du hast Mut, noch hier aufzutauchen! Verschwinde aus meinem Haus, du Wichser! Oder willst du, dass ich dir auch noch das andere Auge blau schlage?!" "Jason, es tut mir leid..." "Spar dir deine Sprüche! Du bist ein gefühlloser Trampel! Du kannst in deiner egozentrischen Welt doch gar nicht erfassen, was du Chris eben angetan hast!" "Aber du bist perfekt, ja?!" "Wenigstens bin ich nicht so ein intolerantes Arschloch wie du!" "Du sagst das nur, weil du sauer bist! Ich verstehe das ja, aber..." Jason gab ihm eine Ohrfeige, mit voller Wucht, so heftig, dass Davids Kopf zur Seite geschleudert wurde. "Dann verstehst du das sicher auch, du Schwätzer!" David platzte der Kragen. Er ging auf seinen Freund los und rammte ihm die Faust in den Bauch. Innerhalb von Sekunden war eine Prügelei im Gange, Chris hatten sie vollkommen vergessen. Der blonde Mann sprang vom Bett und versuchte, die Beiden zu trennen. "Hört auf!" Es kam wie es kommen musste, Chris langte zwischen die Streithähne und im Eifer des Gefechts bekam er von den Beiden einen so heftigen Stoß, dass er das Gleichgewicht verlor und zu Boden ging. Dabei schlug er mit dem Rücken gegen den Nachtschrank. Sowohl Jason als auch David schauten ihn schockiert und fassungslos an. "Das war deine Schuld!" "Das glaubst du doch selbst nicht!" motzte David. "Ihr habt mich beide geschubst, ihr blöden Machos!" Chris Stimme war voller Enttäuschung und Resignation. "Das sollte das schönste Weihnachtsfest meines Lebens werden... und jetzt ist es die Hölle!" Er ignorierte die ihm entgegen gestreckten helfenden Hände und rappelte sich auf. "Hört endlich auf! Ich will keine Schuldzuweisungen mehr, keine Schreierei und vor allem keine Boxkämpfe! Ruiniert mein Weihnachten nicht noch mehr!" Er warf sich bäuchlings aufs Bett und vergrub das Gesicht in den Kissen. David und Jason sahen sich an, beide waren nun ziemlich ramponiert, der Verband an der Hand des Anwalts färbte sich rötlich. "Was tun wir hier....?" "Ich weiß nicht...", seufzte David. "Ich wollte eigentlich gehen, nachdem mir dein Vater aus dem Baumresten geholfen hat und deine Mum mir die Hand verbunden hatte... ich hab in eine zerbrochene Kugel gelangt... aber ich... es tut mir so leid..." "Denkst du wirklich so schlecht von mir...?" Chris hatte sich hochgestemmt und blickte zu David hinüber. "Nein... ich... nein. Ich weiß doch selbst nicht, warum ich das gesagt habe... ich war so sauer, dass ihr mir verschwiegen habt, dass Jeremy Pornos dreht und daher..." "Ist das denn so schlimm?" fragte Chris abrupt. "Jeremy ist ein wunderbarer Mensch, so herzlich und lieb! Weißt du, warum er das getan hat? Du kannst ihn doch nicht für etwas verurteilen, was er vielleicht aus einer finanziellen Notlage heraus angefangen hat! Vielleicht ist er da rein gerutscht, ohne es wirklich zu wollen! Er ist doch deswegen nicht schlechter als andere." "Das gilt nicht nur für Jeremy...", sagte Jason leise. Chris schaute ihn überrascht an, antwortete jedoch nichts darauf, er verstand deutlich, was sein Freund ihm sagen wollte. "Glaubst du nicht eher, dass du einen Vorwand gesucht hast, um vor Jeremy wegzulaufen?" fuhr Jason an David gewandt fort. "Noch etwas, damit du dich nicht damit befassen musst, dass du in ihn verliebt bist." "Habt ihr Beiden euch jetzt gegen mich verbündet?" Der Anwalt ließ sich vor dem Bett auf den Boden sinken und lehnte sich mit dem Rücken daran. Jason blieb mit verschränkten Armen stehen und Chris lag immer noch auf dem Bett. Die Szenerie war geradezu grotesk. Der blonde Texaner war vollkommen verheult, der Anwalt aus Colorado hatte mittlerweile deutlich Jasons Handabdruck auf der Wange, zusätzlich zu seinen weiteren Blessuren, und der New Yorker Cop selbst sah auch alles andere, als taufrisch aus. Und dann, aus heiterem Himmel, brachen alle drei in Gelächter aus, Jason hielt sich seinen schmerzenden Bauch vor Lachen. "Das kriegen auch nur wir hin...", keuchte David schließlich, als er sich langsam wieder beruhigen konnte. "Wir haben innerhalb einer Rekordzeit das Weihnachtsfest in ein Kriegsgebiet verwandelt." Chris rutschte vom Bett hinab und setzte sich neben ihn, Jason nahm neben seinem Freund Platz. "Es tut mir wirklich leid...", begann David schließlich und er klang vollkommen ehrlich. "Ich wollte das nicht... und ich weiß auch selbst nicht, wie ich so etwas sagen konnte..." "Ist schon okay...", entgegnete Chris mit leiser Stimme. "Was geschehen ist... ist geschehen. Ist vielleicht auch besser so... jetzt ist der Eierlauf wenigstens beendet..." Jason sah ihn von der Seite an. "Das sind ja völlig neue Töne... wo ist die Weltuntergangsstimmung hin?" "Nenn es ein Weihnachtswunder... aber ich glaube, ich habe jetzt wirklich mit meiner Vergangenheit abgeschlossen..." "Und was hat dieses Wunder bewirkt?" wollte David wissen. "Vielleicht der Anblick meines Freundes, wie er seinen allerbesten Freund wegen mir verprügeln will... versteht mich nicht falsch... aber ich denke, in diesem Moment habe ich gemerkt, dass es Menschen gibt, denen ich etwas bedeute, egal was ich war..." Er lehnte den Kopf an Jasons Schulter und David legte seinen Kopf daraufhin an die Schulter von Chris. "Ich habe in den letzten Tagen soviel über die Vergangenheit nachgedacht... ich war teilweise richtig depressiv deswegen... aber ein Gutes hatte es... mir ist nun endlich klar geworden, dass der Chris Fairgate aus San Francisco nichts mehr mit dem aus New York zu tun hat. Ich habe einen Partner, der mich liebt, ich habe eine Familie, einen Job und gute Freunde... auch wenn einer von denen oft schneller redet als er denkt...", grinste er. "Verzeiht mir, dass ich euch das Weihnachtsfest ruiniert habe..." David seufzte. "Wäre vielleicht doch besser gewesen, wenn ich allein geblieben wäre..." "Niemand sollte Weihnachten allein sein... glaube mir, ich war es oft genug, keine schöne Erfahrung...", widersprach Chris lächelnd. Mitten in die große Versöhnungsszene platzte in diesem Moment Emily Cunningham. Jason spürte, wie sich sein Freund spannte, so ganz egal war ihm die Eröffnung der Wahrheit also doch nicht. Der Polizist erhob sich so schnell er konnte. "Mum, ich...", fing er an, noch bevor seine Mutter etwas sagen konnte, doch Emily hob die Hand. "Jason, Schatz, würdest du mich kurz mit Chris allein lassen?" Ihr Blick streifte über David. "Vielleicht verarztet ihr Beiden euch mal gegenseitig und bis dahin wird dein Vater auch wieder hier sein." "Wo ist er hin?" "Er versucht, einen Baum aufzutreiben. Was wäre denn Weihnachten ohne Baum?" lachte sie herzlich. "Und jetzt hopp." Sie deutete auf die Tür. Jason sah Chris fragend an, der blonde Texaner nickte nur. "Geh ruhig..." Jedoch als die beiden Männer den Raum verließen, rutschte sein Herz doch in die Hose. Emily hatte noch nichts gesagt, sie lächelte ihn nur an. "Geht das bei euch immer so zu?" brach sie dann ihr Schweigen. "Nein... das war schon ein denkwürdiges Ereignis..." Chris lächelte verlegen. "Mrs. Cunningham, ich..." "Seit wann sind wir denn wieder bei Mrs. Cunningham angekommen, mein Junge?" unterbrach ihn Jasons Mutter. "Emily...", berichtigte sich Chris. "..ich habe nie gewollt, dass die Wahrheit so ans Licht kommt... wahrscheinlich habe ich eigentlich überhaupt nicht gewollt, dass sie ans Licht kommt... aber ich liebe ihren Sohn und wir sind glücklich..." "Hast du Angst, dass Jasons Vater und ich wollen, dass ihr euch trennt?" "Der Gedanke kam mir...", gab er zu und kratzte sich peinlich berührt am Hinterkopf. "Ohne euch zu nahe treten zu wollen, aber ist schlecht von den Eltern denken eine schwule Grundregel? Mein Sohn glaubt, dass wir ihn verstoßen, weil er einen Mann liebt, und mein Schwiegersohn in spe glaubt, dass wir ihm sein Glück zerstören, weil er eine Vergangenheit hat." Und daraufhin lachte sie tatsächlich. "Ich habe aber keine x-beliebige Vergangenheit..." Sie ging auf Chris zu und streichelte ihm über die Wange. "Junge, es ist egal, was du warst. Ich kenne nur den jetzigen Chris und ich weiß, dass mein Sohn noch nie so glücklich war, wie mit dir. Ich weiß, dass du warmherzig und liebevoll bist, ich habe erlebt, wie du dich um Gary gekümmert hast, als er den Unfall hatte, ich habe gesehen, wie du mit Marcus umgegangen bist und ich sehe, wie wundervoll Jason und du zusammen seid. Und mein Mann denkt da nicht anders. Hört doch endlich auf, uns als Bedrohung zu betrachten." Chris konnte nichts sagen, er spürte nur, wie er rot anlief und ihm schon wieder die Tränen in die Augen traten. Wenn es jemals so etwas wie ein Weihnachtswunder gegeben hatte, dann ja wohl das hier. Emily schien seine Rührung zu bemerken und nahm ihn einfach an der Hand. "Und jetzt ist genug. Du kommst jetzt mit mir in die Küche und vorher suchen wir diese beiden Raufbolde und verdonnern sie dazu, das Wohnzimmer aufzuräumen, damit der neue Baum einen Platz hat. Es ist Weihnachten und das verbringt man im Kreis der Familie!" Chris konnte bei diesem resoluten Befehl nur noch lachend nicken. Jeremy quetschte sein Handtuch so fest, dass seine Knöchel an der Hand weiß hervor traten. Fünf Tage nach Weihnachten, hätte man da nicht doch noch auf ein Weihnachtswunder hoffen können?! Aber nein, wieder eine Pleite! Um ihn herum unterhielten sich andere Tänzer und Tänzerinnen, alles schnatterte aufgeregt durcheinander. Es ging um Rollen in einer Tanzfassung von Romeo und Julia. An sich schon abstrus genug, aber da Jeremy ja auch eine Ausbildung im klassischen Ballet hatte, hatte er es auf einen Versuch ankommen lassen. Und was war das Ergebnis gewesen? "Vielen Dank, wir melden uns bei Ihnen, wenn wir Sie brauchen." Übersetzung: "Schieb deinen untalentierten Arsch hier raus und stiehl uns nicht die Zeit!" Jeremy seufzte und nahm einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche. Wenn seine Karriere weiter so schwungvoll lief, konnte er es gleich aufgeben. "Oh, hallo, Jeremy!" Der Tänzer knirschte mit den Zähnen und drehte sich langsam um. Lloyd Flanigan, ein unausstehlicher Schönling mit blonden Locken und blauen Augen, gesegnet mit einem markant-attraktiven Gesicht. "Hi, Lloyd..." Leider war es fast unumgänglich, dass man über kurz oder lang öfter bekannte Gesichter bei Castings traf. Lloyd hatte sogar einen eignen Manager, wovon Jeremy nur träumen konnte. "Und? Hast du eine Rolle gekriegt?" "Sie wollen sich bei mir melden." Er wünschte sich in diesem Moment, dass er einer der Strahler von der Decke fallen und diesen Fatzke ausknocken würde, doch nichts dergleichen geschah. "Oh", machte er in leicht überheblichen Ton. "Und du?" "Ich hab den Romeo." "Was?!" rutschte es Jeremy raus. Lloyd legte ihm den Arm um die Schulter. "Man muss nur wissen, wie man zu seinem Ziel kommt." Er formte mit dem Mund eine Höhle und stieß mit der Zunge gegen die Innenseite seiner Wange. "Bis dann, Süßer." Er ließ Jeremy fassungslos zurück. Dieser Dreckskerl hatte dem Regisseur einen geblasen und damit die Hauptrolle bekommen. Das war doch das Allerletzte! "Jeremy..." Der rothaarige Mann schloss die Augen und zählte langsam bis fünf, bevor er sich umdrehte. Er hatte sich nicht verhört. Hinter ihm stand David Vanderveer. "Oh klasse, der Unglücksrabe kreist also über mir." Erst jetzt registrierte er die abklingenden Blutergüsse in Davids Gesicht. "Hat dich eine Dampfwalze überrollt?!" "So ähnlich..." "Schade, dass ich nicht am Steuer saß, Vanderveer..." "Der Nachname schon wieder...", lächelte David. "Und diesmal bleibt es dabei! Was willst du?" "Mit dir reden." Jeremy winkte entnervt ab. "Nein! Diesmal nicht! Niemals! Lass mich ja in Ruhe!" "Jeremy, ich habe die letzten drei Tage auf jedem verdammten Casting hier in der Stadt vorbei geschaut, in der Hoffnung, dich zu finden, weil ich ja nicht wusste, ob ich von Abby noch Informationen kriegen würde." "Mir kommen die Tränen! Was das allein für Benzinkosten sein müssen! Und wie viele andere du in dieser vergeudeten Zeit hättest treffen oder flachlegen können." Er drehte sich um und wollte gehen, aber David hielt ihn am Arm fest. "Ich weiß alles, Ricky Blue." Der Rothaarige erstarrte in der Bewegung, ganz langsam wandte er sich wieder dem Anwalt zu. Er war bleich geworden. "Woher?" "Das tut nichts zur Sache." David hatte sich fest vorgenommen, nur im Notfall auf Alex' Niveau zu sinken und den intriganten Mistkerl zu verraten. Wenn er Jeremy so wieder für sich eroberte, würde das den sauberen Mr. Stone viel mehr treffen. "Reden wir?" "Aber nicht hier." "Mein Auto steht vor dem Haus." Kaum waren die Autotüren zugefallen, verschränkte Jeremy leicht bockig die Arme vor der Brust und funkelte David vom Beifahrersitz aus an. "Also?" "Schön dich zu sehen." "Ist das alles?" David fühlte bei der Kälte von Jeremys Worten einen Stich in der Brust. Plötzlich hatte er ein bisschen Angst, keine Chance zu haben. Er hatte sich am Weihnachtsabend noch lange mit Jason und Chris über Jeremy unterhalten und hier war er nun und hoffte auf ein spätes Weihnachtswunder. "Okay... dann hör mir einfach nur zu... ich war ein Idiot." "Bravo!" Jeremy klatschte spöttisch in Hände. "Erkenntnis ist doch wirklich was Feines!" "Ich dachte, du wolltest einfach nur zuhören?" "Entschuldige, die Euphorie über diesen Durchbruch hat mich übermannt." Er kicherte und für einen kleinen Moment erkannte David wieder den Jeremy, den er kannte. "Ich habe von Anfang an nur Mist gebaut... aber du musst mich verstehen... ich habe auch meine Erfahrungen gemacht... ich habe nur einmal mein Herz wirklich geöffnet und der Kerl hat es mir gedankt, indem er einmal kräftig drauf getreten hat." "Und da dachtest du dir, die Kerle sind doch sowieso alle gleich, also schubse ich Jeremy mal eiskalt weg, hm?" David schloss verlegen die Augen. "Das trifft es sogar teilweise..." "Ich würde sagen, dass trifft es sogar genau! Und was jetzt?! Soll ich dich jetzt bedauern? Soll ich reumütig zu dir zurückkriechen, weil ich mit Alex geschlafen habe?!" "Nein, du sollst gar nichts... ich meine..." David geriet ins Stottern. "Du sollst nur wissen, dass ich endlich weiß, was ich will..." Jeremy zog die Augenbrauen hoch, sagte aber diesmal nichts. "Ich will mit dir zusammen sein..." Der Tänzer legte den Kopf in den Nacken und seufzte. "Nein, David... lass das..." "Aber es ist so!" ereiferte sich der blonde Mann. Er hatte sich zu Jeremy gedreht und sah ihn fast flehentlich an. "Ich habe viel zu lange gebraucht, um es zu begreifen, aber du bist der Mann, mit dem ich zusammen sein möchte! Du musst vielleicht etwas Geduld mit mir haben... aber ich... ich... ich will mit dir zusammen sein..." Jeremys Kopf ruckte herum, er fixierte David voller Verwunderung. "Du siehst in mir einen Mann?" "Was denn sonst?" "Die meisten Leute sehen in mir immer noch einen Jungen..." "Jeremy, du bist manchmal ein reiferer Mann als ich es bin... ich weiß, dass ich etwas Schweres von dir verlange... aber bitte... denk darüber nach... gib mir bitte noch eine Chance... ich weiß, ich kann mich ändern, mit dir zusammen auf jeden Fall." Der jüngere Mann lächelte. "David... du willst mir wirklich weiß machen, dass dir das alles nichts ausmacht? Meine Pornos, der Altersunterschied... und zu einer Beziehung gehört Monogamie, weißt du? Willst du das wirklich?" "Ja!" sagte David einfach nur und Jeremy erkannte in seinen Augen, dass das die volle Wahrheit war. "Ich weiß nicht..." "Jeremy! Bitte, hör auf dein Herz und sag mir dann, was du willst... ich werde deine Entscheidung akzeptieren, aber wenn du dich gegen mich entscheidest, verspreche ich dir, ich werde um dich kämpfen!" Der Tänzer fuhr sich durch die Haare und für einen Augenblick senkte sich die Stille über den Wagen. Als er wieder sprach, schimmerten seine Augen, mit denen er David fest ansah, feucht. "Du bist unmöglich, David... aber dabei so süß... ich weiß nicht, ob ich nicht gerade einen Fehler mache, aber mein Herz sagt mir..." Er fasste sich an die Brust. "Es sagt mir, dass das deine allerletzte Chance ist. Tu mir weh und das war es! Dann siehst du mich nie wieder! Das ist nur eine Beziehung auf Bewährung, wenn du wieder kalte Füße kriegst, kannst du mich mal, verstanden?" David nickte und da entdeckte Jeremy etwas, was er noch nie bei David gesehen hatte. Tränen, die sich ihren Weg über die Wangen des blonden Mannes bahnten. Der Tänzer streckte die Hand aus und strich sie sanft weg. Im nächsten Augenblick fand er sich in einem innigen Kuss mit David wieder und ein Gefühl, endlich wieder Zuhause zu sein, überwältigte ihn. Als sich ihre Lippen lösten, flüsterte David nur ein Wort. "Danke..." Und einfach so, bekamen Beide doch noch ihr Weihnachtswunder. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Und noch ein Weihnachtswunder (Ja is denn scho Weihnachte?): Dieses Kapitel hat satte 28 Seiten (das Nachwort schneidet die 29.)!!! *jubel* Ein neuer Rekord in der nun schon einjährigen Geschichte dieser Story ^^ Das Verrückte dabei: Ich habe das Kapitel mindestens doppelt so schnell fertig bekommen, wie das letzte. An den Rückblenden auf Chris' Vergangenheit hatte ich einen Mordsspaß, vor allem weil es herrlich ist, den Kontrast des alten und des neuen Chris hervorzuarbeiten. Eine Rückblende hat es (zu meinem eigenen Bedauern) nicht mehr ins Kapitel geschafft, ich hab keine ordentliche Möglichkeit gefunden, sie einzubauen. Sie wird zu einem späteren Zeitpunkt wohl noch zurückkehren ^^ Apropos: Marcus ist zurück ^^ Ich denke, dass wird viele jetzt sehr glücklich machen, obwohl er nie als fester Cast geplant war, hat der Junge doch schon einige Fans ^^ Er war auch der Grund, warum ich Gary in New York ließ, nicht wundern, warum die Trennung nicht noch einmal aufgearbeitet wird, das wird ebenfalls noch passieren. Was ist noch erwähnenswert...? Die Idee zu Jasons Weihnachtsgeschenk kam mir beim Blättern der Cosmopolitan beim Arzt, da war ein Werbeartikel für den Cosmopolitan Male Calender 2006 mit ähnlichen Bildern... warum liegen bei Ärzten eigentlich fast ausschließlich Zeitschriften für Frauen? Nicht dass ich nicht gern mal die Bunte oder die Gala lesen würde *ggggg* Ach ja, last but not least! Dieses Kapitel ist KatoKira gewidmet und sie weiß sicher schon längst warum ^^ Daniel McGrey ist ihr Charakter aus ihrer Fiction "Sirenen der Nacht" und er stand mit seinem Nachnamen bekanntlich Pate für Sly. Da er schlecht Slys Bruder sein konnte, wurde er kurzum zu seinem Cousin ^^ Ich hoffe, ich habe ihn richtig getroffen und du magst es ^^ *katokira knuddel* Auf diesem Wege noch mal viel Glück für deinen Weg durchs Studium!!! Und als letztes möchte ich diesen langen Kommentar zu diesem langen Kapitel nutzen, um allen zu danken, die mich auf dem Weg durch ein Jahr Remember the promise you made begleitet haben und natürlich auch denen, die erst neu dazu gekommen sind! Erst liebe Leute wie ihr machen das Schreiben zu einem wahren Vergnügen!!! Danke euch allen!!! Ich hoffe, ihr bleibt mir auch weiterhin gewogen. ^^ Besonderer Dank gilt wie immer meinen beiden Beta-Tierchen Alaska und Zuckerfee. Noch ein kleiner Zusatzknuddler an Alaska für ihre Hilfe bei einem noch geheimen Thema, sie weiß, was ich meine *muahahahahaaaaaaa* *ggggggggg* *evil grin* Nach Beendigung dieses Kapitels muss mein Laptop mal wieder zur Reparatur, das gleiche Problem wie damals plus ein kaputtes Rom-Laufwerk... aber ich freue mich bereits so auf das nächste Kapitel, dass ich wohl auch am PC mehr zum Schreiben komme als das letzte Mal ^^ In diesem Sinne, man liest sich!!! Vielen Dank euch allen!!! Euer Uly ^^ PS: Um ein Kursiv-Chaos wie das letzte mal zu vermeiden, sind die Rückblenden diesmal in normaler Schrift verfasst >_< PPS: Alaska fragte sich, woher Chris eigentlich so vieles in der Küche kann... nun ja... sagen wir einfach, er ist begabt und hat in dem halben Jahr eine Menge Kochbücher geschmökert und viel geübt *ggggg* Kapitel 27: How Marcus got his groove back (Part 1 of 5) -------------------------------------------------------- "Jemand Zuhause?!" Marcus streckte den Kopf zur Haustür rein. Niemand antwortete ihm. Der Flur und das Wohnzimmer lagen in völliger Stille, nicht einmal Batman begrüßte ihn. Der Junge hängte seine Jeansjacke, draußen waren die für Januar vollkommen normalen sechzehn Grad, an einen Haken der Garderobe und ging dann in die Küche. Auch hier war niemand. "Chris? Jason?" Ein Blick in den Garten sowie den Wintergarten zeigte auch hier absolute Leere. Marcus seufzte und beschloss, nun im Obergeschoss nachzusehen. Er eilte die Treppe hinauf und betrat schnurstracks das Schlafzimmer der beiden Männer. Wieder Fehlanzeige. Waren die etwa Beide arbeiten? Letzte Chance: Das Badezimmer. Marcus drückte die Tür auf. "Jemand hier?" Er riss die Augen auf. "Ups!" Der Junge hob die Hand vors Gesicht. Vor ihm stand Jason, vollkommen nackt und noch nass vom Duschen. "Ich habe nichts gesehen! Na ja... fast nichts..." Er öffnete einen kleinen Spalt zwischen Mittel- und Ringfinger, doch Jason hatte sich schon ein Handtuch um die Hüften gebunden. Er funkelte den Jungen an. "Würdest du dann bitte raus gehen?" "Du hast doch jetzt was an." "Marcus!" Der blonde Teenager schnaufte übertrieben. "Wenn du meinst." Er öffnete die Tür. "Vielen Dank!" "Du musst dich aber wirklich nicht schämen, ich kenne doch sowieso schon fast alles von dir, auf das Bisschen mehr kam es doch jetzt nicht an." Er grinste breit, zog aber schnell die Tür hinter sich zu, als Jason mit einem wütenden Knurren ausholte und die Seife dagegen warf. Wenig später kam der Polizist aus dem Bad, jetzt voll angezogen. Marcus lag ausgestreckt auf dem Bett und grinste ihn an. "Na, Adonis?" "Na, Spargeltarzan?" "Das war gemein!" Marcus zog einen Flunsch. "Ich bin nun mal nicht so sportlich. Ich bin eher der schlanke, elegante Typ." "Und auch gar nicht von dir eingenommen", lachte Jason und rieb sich mit einem Handtuch die Haare trocken. "Wie bist du überhaupt rein gekommen?" "Chris hat mir einen Schlüssel gegeben, schon vergessen?" "Verdrängt." Jason warf das Handtuch aufs Bett und setzte sich an den Rand neben Marcus. "Hast du es bequem?" lächelte er. "Ja, euer Bett ist wirklich sehr gemütlich." Er setzte sich auf und stützte sich auf die Ellenbogen. "Was planst du zu Chris' Geburtstag?" "Wie kommst du darauf, dass ich etwas plane?" "Na komm schon! Chris hat bald Geburtstag, du willst mir nicht weiß machen, dass du das vergessen hast, oder? Sonst wärst du ein ganz schöner Trottel." Jason verschränkte mit einem gespielt beleidigten Gesichtsausdruck die Arme. "Wenn ich mich recht erinnere, hast du irgendwann mal Respekt, ja sogar Angst, vor mir gehabt, was ist damit geschehen?" Der Junge umarmte ihn und lachte. "Stimmt, aber mittlerweile habe ich gemerkt, dass du ein ganz lieber, freundlicher Bär bist. Sozusagen ein Knuddelbärchen." "Ich gebe dir gleich Knuddelbärchen!" Jason konnte ein Lachen nicht unterdrücken. "Stell dir mal vor, deine Eltern hören, wie du mich so nennst." "Sie sind nicht hier, oder?" "Zum Glück." "Ja...", sagte Marcus in einem Ton, der so gar nicht zum Rest des Schlagabtauschs passen wollte. Sein Grinsen löste sich auch in Wohlgefallen auf. "Was war denn das für ein ,Ja'? Das klang gar nicht gut. Hast du Stress?" Marcus stand auf und ging zur Kommode hinüber. Dort stand eine kleine silberne Dose, in der Chris seine Ringe aufbewahrte. Der Junge öffnete sie und spielte etwas gedankenverloren mit einem der Schmuckstücke. Jason sah ihm vom Bett aus zu. "Du hast mir noch nicht geantwortet, wegen Chris' Geburtstag." "Ich gebe eine Überraschungsparty für ihn, nur ein paar Freunde. David und Jeremy, Ash und Sly, Jim Mayer vom Department will vielleicht mit seiner Freundin vorbei kommen, ich weiß, Chris hat nicht allzu viel mit ihm zu tun, aber ich mag ihn und will, dass er merkt, dass ich nicht nur ein ranghöherer Cop bin, Jim war immer auf meiner Seite, auch nach meinem, Outing", erklärte Jason auf den fragenden Blick des Jungen hin. "Wenn sie es einrichten kann, will sogar Claire kommen. Ach ja und natürlich seine Familie, seine Schwester ist schon ganz heiß darauf, hierher zu kommen. Sie wird dich lieben, schließlich bist du schwul", beendete er seine Ausführungen mit einem schiefen Lächeln. "Das heißt, ich bin auch eingeladen?" "Marcus, das war jetzt die dümmste Frage des Jahrhunderts, gratuliere!", lachte Jason. "Hättest du was dagegen, wenn wir meinen Geburtstag mit dem von Chris zusammenlegen? Ich werde doch am 21. siebzehn. Und wenn wir zusammen feiern würden... hätte ich wenigstens eine Feier mit Freunden..." "Was soll das denn heißen? Was ist mit den Leuten aus der Schule? Du gehst doch schon einige Wochen wieder hin. Sind da nicht ein paar Leute, die du magst?" Marcus stieß die Luft auf. "Die Schule..." Er legte den Ring wieder in das Kästchen. "Nein, da ist niemand. Ich verbringe meine Zeit dort meistens allein." "Aber du bist doch ein lieber Kerl." "Trotzdem... die sind alle blöd... ich fühle mich einfach nicht wohl dort..." Er drehte sich zu Jason um. "Chris und du, ihr könntet nicht vielleicht mit meinen Eltern reden, oder?" "Wegen der Party?" "Nein, weil ich die Schule abbrechen will." Jetzt konnte Jason nicht anders, ihm blieb der Mund offen stehen. Jeremy riss die Wohnungstür auf und noch bevor Abby einen Pieps von sich geben konnte, zog er sie am Arm ins Apartment. "Gott sei Dank, bist du da! Na endlich!" "Schatz, du bist gut! Weißt du, was draußen für ein Verkehr herrscht? Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte." Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ging dann weiter in die Wohnung hinein, während sie ihre Hochsteckfrisur wieder richtete, die durch Jeremys Aktion gelitten hatte. "Meine Güte, was für eine Bude! Jetzt verstehe ich, warum du Verräter mich andauernd allein in unserem schäbigen Apartment sitzen lässt!" Sie lachte ihn an und strafte damit den Verräter Lüge. Abby hatte sich riesig darüber gefreut, dass Jeremy wieder mit David zusammen war und noch mehr freute sich sie auf das Gesicht von Alex, wenn er wieder da war. Er war über Silvester zu seiner Familie gefahren, die irgendwo im tiefsten Utah hauste, schon bevor David Jeremy wieder für sich erobert hatte. Abby hoffte inständig, dass sie anwesend sein würde, wenn dieser Blödmann sein Fett weg kriegte. Ihr Blick blieb an dem Bild an der Wand hängen. "Ich fasse es nicht!" "Ich weiß, unglaublich, oder?" "Dieser Arsch sieht ohne Hose noch knackiger aus... Jem... ich hasse dich..." "Abby, könnten wir über etwas anderes als den Hintern von meinem Freund reden?" Er lächelte unvermittelt. Es tat wahnsinnig gut, von David als "mein Freund" zu reden, geradezu berauschend. "Wenn es sein muss!" lachte die junge Frau. "Ich habe ein Problem..." Sie schaute ihn überrascht an. "Bitte nicht. Was ist es diesmal? Kriegst du kalte Füße? Oder etwa wieder er?! Tut mir das nicht an! Ich will euch Beide zusammen sehen!" "Es ist doch gar nichts in der Richtung!" Jeremy hob die Hände. "Das Problem... ist im Badezimmer..." Unverständnis zeigte sich auf Abbys Gesicht. "Im Badezimmer?" Statt zu antworten, zeigte Jeremy in Richtung des Zimmers. Seine Freundin ging an ihm vorbei. "Oh, mein Gott! Jeremy!" Der rothaarige Mann folgte ihr mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck. Abby stand neben Davids Badewanne und hatte die Hände vor den Mund geschlagen. Die schneeweiße Wanne sah aus, als habe man darin einen Mord begangen oder zumindest ein mittleres Schwein geschlachtet. Überall waren dicke rote bis braune Flecken auf der Oberfläche. "Was hast du da gemacht?!" "Ich habe mir die Haare gefärbt... und dann ist das passiert." "Das Keramik hat die Farbe aufgenommen! Hat David denn gesagt, dass du dir die Haare über seiner Wanne färben sollst?!" "Nein...", gab Jeremy zu. "Aber sein Waschbecken ist so furchtbar unbequem, ich komme mit dem Kopf nicht unter den Wasserhahn und da dachte ich..." "Hast du David nicht gefragt?" "Nein..." "Jem!" "Ich weiß! Ich weiß!" Er gestikulierte hilflos mit den Armen. "Hilf mir! Ich will nicht, dass er mich raus wirft! Hilf mir, die Wanne wieder sauber zu kriegen! David ist auf Ordnung bedacht! Wenn er das sieht, dreht er durch!" "Okay, du suchst jetzt alle Scheuermittel, die du finden kannst. Wenn hier alles so ordentlich ist, hat er entweder eine Hilfe oder eine ganze Menge Putzmittel. Also los!" "Habe ich mich gerade verhört?! Du willst die Schule schmeißen?!" "Ja." "Spinnst du?!" Marcus stemmte die Arme in die Hüften. "Wie freundlich von dir! Gleich soviel Verständnis auf einmal!" "Na hör mal, was erwartest du von mir?! Begeisterung, weil du so eine Dummheit begehen willst?!" "Was ist daran dumm? Ich will nur selbst über mein Leben bestimmen!" Er schlug sich mit der Faust in die Handfläche. "Und es ganz gemütlich ruinieren?! Was willst du denn tun?" Jason konnte es nicht fassen. Er schaute den Jungen vollkommen verständnislos an. "Ich will arbeiten. Ich habe sowieso schon einen Job... seit einer Woche..." "Du arbeitest?! Wo, um Himmels Willen?!" Marcus legte den Kopf schräg. "Das klingt ja so, als würdest du befürchten, dass ich wieder anschaffen gehe! Keine Panik, ich arbeite in einer Autowaschanlage. Ist nur ein Aushilfsjob. Wagen abwaschen und so weiter." "Und so stellst du dir deine Zukunft vor?" Jason versuchte es auf einem anderen Weg. Im ersten Moment war er schockiert und wütend auf Marcus gewesen, aber er merkte, dass er auf diesem Weg sicher nicht zu dem Jungen durchdringen würde. "Es ist ein Anfang, oder nicht?" "Was genau ist eigentlich dein Problem? Du warst doch so glücklich, dass sich dein Leben wieder normalisiert hat und jetzt machst du so etwas." Marcus ließ die Schultern hängen. "Mein Leben hat sich normalisiert ja... aber ich bin trotzdem nicht glücklich... ich glaube, es kommt daher, weil ich so lange das ausgelebt habe, was ich bin, Jason." Er wartete scheinbar auf eine Reaktion des Polizisten, doch als die ausblieb, fuhr er fort. "Ich will nicht sagen, dass die Zeit auf dem Strich schön war, ganz sicher nicht. Aber ich vermisse es, so zu sein, wie ich bin." "Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst." "Na darauf, dass ich schwul bin! Weißt du, wie beschissen das ist, wenn man die ganze Zeit so tun muss, als wäre man ein gottverdammter Hetero?!" "Ich kann es mir ungefähr vorstellen", untertrieb Jason maßlos. "Die Leute auf der Schule sind alle so dämlich! Ich kann mich mit niemandem anfreunden! Ich finde nun mal nicht, dass J-Lo einen geilen Arsch hat oder das Hillary Duff ein scharfes Luder ist!" Er gestikulierte wild mit den Armen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. "Ich stehe auf Keanu Reeves oder schwärme für Benjamin MacKenzie. Ich will nicht einen auf Hetero machen. Aber wenn ich mich outen würde, würde der ganze Albtraum von vorne beginnen. Deswegen bin ich ständig allein und..." Seine Stimme war mittlerweile leise geworden. "Habe eigentlich nur zwei Freunde..." Er lächelte Jason an. "Bei euch bin ich frei, da kann ich sagen, was ich denke. Da kann ich zugeben, dass die Bilder in deinem Kalender für Chris unglaublich scharf sind." Jason zog eine Augenbraue hoch, doch der Junge achtete nicht darauf. "Ich bin schwul und ich liebe es, schwul zu sein. Ich will nicht wieder in eine Verkleidung schlüpfen müssen... und wenn ich die Schule nicht verlassen darf, dann sorge ich eben dafür, dass ich fliege. Vielleicht zünde ich die Turnhalle an oder so!" Er schaute den Polizisten in Erwartung eines Lachens an. Als er die finstere Miene seines Gegenübers sah, biss er sich jedoch auf die Lippe. "Okay, das war nicht komisch..." "Nein, nicht wirklich. Aber dummerweise verstehe ich dich sonst sehr gut." "Siehst du? Also, was ist besser, als diesen ganzen Scheiß zu beenden und die Schule zu schmeißen!" "Du stehst doch aber kurz vor dem Schulabschluss." "Irrtum! Ich muss schließlich eine Klasse wiederholen. Ich hänge als einziger fast Siebzehnjähriger in einer Stufe voller Fünfzehnjähriger, die sich darauf freuen, endlich Sechzehn zu werden." Marcus setzte sich neben Jason aufs Bett und der Polizist folgte einem plötzlichen Reflex, den Jungen in den Arm zu nehmen, um ihn zu trösten. Manchmal erinnerte er schon auf unheimliche Weise an Chris. "Ich will doch nur ich selbst sein..." "Aber die Schule ist wichtig, Marcus. Das musst du einsehen. Willst du als Müllmann enden?" "Ich hörte, die verdienen nicht schlecht." "Du schaffst auch nur selten, länger als zwei Minuten ernst zu sein, oder?" Der Junge musste lachen. "Sei froh, dass ich noch Humor habe." Jason knuffte ihn in die Seite. "Hör zu, ich sage dir etwas. Du rufst deine Eltern an und fragst sie, ob du heute bei uns übernachten darfst. Schließlich ist heute Samstag. Wir bestellen uns Pizza zum Essen, leihen uns DVDs, machen uns einen gemütlichen Abend und schwärmen von süßen Jungs in den Filmen! Was meinst du?" Er lächelte Marcus aufmunternd an. Der Teenager lächelte zurück und nickte dann langsam. "Grillen wir Marshmallows in eurem Kamin?" "Wenn du möchtest." Marcus warf sich in Jasons Arme. "Ich danke dir!" Chris gähnte herzhaft. Was für ein langweiliger Tag, heute war ihm sämtliche Arbeit zuviel. Es waren kaum Kunden im Lokal und das Einzige, was ihn auf den Beinen hielt, war die Aussicht auf eine Mittagspause. In letzter Zeit war sein Leben herrlich ruhig, keine Katastrophen, keine Probleme, alles absolut ruhig. Seit Marcus in San Francisco wohnte, fühlte er sich hier noch wohler als vorher schon. Der Auftritt von Dave in Dallas war mittlerweile nur noch dunkle Vergangenheit. Jetzt würde auch bald das neue Semester an der Abendschule beginnen, an dem er teilnehmen wollte. Sly redete schon länger von nichts anderem mehr. "Das Essen für Tisch vier." Der blonde Mann drehte sich zur Küchendurchreiche um und nahm den Teller entgegen. Pfannkuchen mit Schokoladensoße und Sahne. Was für eine Kalorienbombe. Chris nahm den Teller entgegen und machte sich auf den Weg. Als er Tisch vier erreichte, blieb er verdutzt stehen. Ashton Tallman lächelte ihn an. Der Polizist sah so gut aus wie immer, er hatte seine blonden Haare mit etwas Gel nach hinten gebändigt und trug ein lockeres hellblaues Hemd, dass einen kleinen Blick auf seine muskulöse Brust freigab. Im Ausschnitt funkelte ein silberner Anhänger in Form eines japanischen Schriftzeichens, dessen Bedeutung Chris nicht kannte. "Hi, Chris." "Ashton. Schön dich zu sehen. Was machst du hier?" "Zunächst einmal würde ich gern das essen, was du da in der Hand hältst." "Oh, natürlich." Chris stellte ihm schnell den Teller hin und reichte ihm sein Besteck. "Vielen Dank." "Ich wusste gar nicht, dass du dich so ungesund ernährst." "Man gönnt sich ja sonst nichts." Irgendwie wurde Chris die Situation unangenehm. Er war so gut wie nie mit Ash allein, konnte sich nicht einmal mehr erinnern, ob und wann das jemals der Fall gewesen sein sollte. Er strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Dann lass es dir schmecken." Der junge Mann wollte gehen, doch Ash tat ihm den Gefallen nicht. "Chris?" "Ja?" "Hast du bald Feierabend?" "Nein", Chris schüttelte den Kopf. "Aber ich habe gleich Pause." "Können wir hier irgendwo reden?" Sein Gegenüber schluckte etwas nervös. Warum wollte Ash plötzlich mit ihm reden. "Äh... vielleicht hinter dem Lokal, auf dem Personalparkplatz? In zwanzig Minuten?" "Okay, ich komme hin." Chris rieb sich über die Oberarme. Er hätte doch seine Jacke anziehen sollen, die IHoP-Uniform war nicht unbedingt das geeignete Kleidungsstück bei gerade mal dreizehn Grad. Der Himmel war wolkenverhangen und trüb, wie seine Stimmung. Was konnte Ash nur von ihm wollen? Und warum war er so nervös? Schließlich bestand kein Grund dazu. Oder etwa doch? Hatte er etwas getan, was den Polizisten verärgern könnte? Nein. Wie auch? Sie hatten doch eigentlich kaum Kontakt. Wäre Jason nicht Jason, hätte Chris jetzt wohl Angst gehabt, dass der Partner seines Freundes ihm ihre Affäre unter die Nase reiben wollte, aber der junge Texaner hatte es schon längst aufgegeben, auf Ashton eifersüchtig zu sein. "Frierst du?" Chris zuckte zusammen, Ash war vollkommen lautlos hinter ihm aufgetaucht. "Nein, geht schon." "Deswegen zitterst du auch so, was? Hier." Er zog seine dunkle Lederjacke aus und legte sie Chris um die Schultern. Irgendwie war ihm diese Geste sowohl unangenehm als auch sehr willkommen, einmal war sie nämlich viel liebevoller, als er es je von Ash erwartet hätte, andererseits zeigte sie, dass man vor ihm sicher keine Angst haben musste. "Wie galant." "Tja, ich bin nicht so ein Klotz, wie du denkst." "Wie kommst du darauf, dass ich das von dir denke?!" "Ich habe eben manchmal das Gefühl, dass du mich nicht sonderlich magst", erklärte der blonde Polizist mit einem Lächeln. "Du wirkst auf mich immer ziemlich distanziert." "Das stimmt nicht!" Chris schollt sich selbst, eine dümmere Antwort hätte ihm auch nicht einfallen können, aber bei Ash mangelte es ihm ein wenig an Schlagfertigkeit. Zumindest dann, wenn er nicht gerade angetrunken war, wie damals in der Cowboy Bar. "Wenn du ehrlich bist, schon." "Ich habe dich vielleicht am Anfang nicht so leiden können, aber du warst eben eine potenzielle Bedrohung!" rechtfertigte der Texaner sich. "Schön, dass ich das war. Ich entnehme dem, dass du nicht mehr Angst hast, ich könnte dir deinen Jason angraben." "Sollte ich diese Angst haben?" "Nein!" lachte Ash und hob abwehrend die Hände. "Bei Leibe nicht! Jason ist ein cooler Typ, ein Kumpel, aber ich habe kein Interesse an ihm." "Über was willst du dann mit mir reden?" "Sly", war die knappe, aber aussagekräftige Antwort. "Was ist mit ihm? Ist ihm etwas passiert?" "Nein..." Ash fuhr sich durch die Haare. "Weißt du... ich will dir nicht zu nahe treten. Aber ich glaube, ich mache mir Sorgen, wegen dir und ihm." "Wegen mir und... was? Wir haben doch nichts miteinander." Ash lehnte sich an die Hauswand und schaute in den wolkigen Himmel. "Ist dir eigentlich klar, was du für eine Wirkung auf Männer hast?" Chris sah ihn verständnislos an. "Was soll das denn nun wieder heißen?" "Tu doch nicht so." Der blonde Mann verdrehte die Augen. "Ash! Komm auf den Punkt!" "Du weckst den Beschützerinstinkt! Das wirkt sich ja sogar teilweise auf mich aus. Ich habe bis heute nicht heraus gefunden, ob du das mit Absicht und Berechnung machst oder ob es einfach nur ein Teil deiner Ausstrahlung ist. Es ist alles an dir, man will dich beschützen, für dich da sein." "Ich frage mich gerade, ob ich das jetzt als Beleidigung auffassen soll." "Nein... versteh mich nicht falsch... ich will dich wirklich nicht beleidigen." "Habe ich wirklich so eine Wirkung?" Ash lächelte ihn an. "Ja, du hast diese Wirkung. Aber scheinbar machst du das wirklich nicht extra, oder?" "Nein..." Chris strich sich Strähnen aus dem Gesicht. Das was Ash da gesagt hatte, verwirrte ihn. War er tatsächlich so? Rief er immer Beschützerinstinkte wach? "Ich will dich nur bitten, aufzupassen. Ich meine wegen Sly. Du weißt, was er ist, oder?" "Ein Alkoholiker meinst du? Er hat mir das gesagt." "Dann weißt du ja Bescheid." Plötzlich war da etwas an Ash, was Chris so noch nie an ihm wahr genommen hatte. Der Polizist wirkte wie ein anderer Mensch, nicht mehr der Sunnyboy, sondern in seinen Augen lag eine tiefe Sorge. "Sly bedeutet mir wahnsinnig viel, selbst jetzt noch. Ich war dabei, als er noch trank, und ich war derjenige, der ihn Nacht für Nacht im Arm gehalten hat, schreiend nach Alkohol, als er auf Entzug war. Und ich lebe immer in der Angst, dass irgendetwas Sly wieder zum Trinker machen könnte..." Er sah an Chris vorbei auf einen unbestimmten Punkt des Parkplatzes. "Einmal wäre es fast geschehen... ein Kerl, mit dem er nach mir zusammen war, hat ihn beinahe wieder an die Flasche gebracht. Ich habe ihn krankenhausreif geprügelt." Chris wich einen Schritt zurück. Als Ash dies bemerkte, lachte er. "Keine Angst! Das war doch etwas völlig anderes!" "Du denkst also wirklich, dass ich eine Gefahr für Sly bin?" "Sei doch nicht so empfindlich. Ich will dir nur klar machen, was du Sly bedeutest. Er mag dich wirklich sehr, er schwärmt für dich... er würde mich umbringen, wenn er wüsste, dass ich dir das sage." "Eine Überraschung ist das nicht für mich." Ash trat auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Chris, ich erkenne Sly in letzter Zeit nicht wieder. Er trainiert wie ein Wilder im Fitnessstudio, er isst kaum noch etwas und wenn, dann nur extrem gesunden Kram. Und er redet von nichts Anderem mehr, als mit dir zur Schule zu gehen." Chris konnte sich gegen den Eindruck nicht wehren, dass ihm die direkte Berührung von Ash irgendwie unangenehm war. Und egal, was der Mann sagte oder wie freundlich er wirkte, diese Erzählung, was er mit dem Freund von Sly gemacht hatte, beunruhigte ihn zutiefst. "Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun? Einfach den Kontakt zu ihm abbrechen, weil er mich mag?" "Natürlich nicht, ich will nur, dass du vorsichtig bist. Pass auf, welch Signale du ihm gibst und wenn du nicht vorhast, in nächster Zeit Jason zu verlassen, dann mach ihm bitte keine falschen Hoffnungen." Plötzlich schaute er auf die Uhr. "Scheiße, ich wollte ihn ja abholen, wir wollten Klamotten kaufen." "Das ist alles? Du eröffnest mir das alles und dann lässt du mich stehen?" "Chris, ich wollte dir wirklich nicht zu nahe treten, dir drohen oder sonst was. Sly bedeutet mir viel und ich weiß, dass du ihn auch magst. Deswegen wollte ich mit dir reden. Versprich mir bitte, dass du daran denkst, wenn du mit Sly zusammen bist." "Okay", war alles, was Chris hervorbrachte. "Ich danke dir! Und sag Sly bloß nicht, dass ich mit dir geredet habe." "Klar..." "Gut, ich muss dann los. Grüß Jason von mir!" Ash verabschiedete sich, kam dann aber noch einmal zurück, denn Chris trug immer noch seine Jacke. Der Texaner gab sie ihm und schaute ihm dann verwundert hinterher. Soviel zum stressfreien, sorglosen Leben. Wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Wie eine Bestätigung, ging in diesem Moment ohne große Vorwarnung ein Platzregen auf San Francisco nieder, Chris konnte sich gerade noch ins Restaurant flüchten. Lange Zeit, um über Ash und die Tragweite seiner Worte nachzudenken, hatte der blonde Mann dann allerdings nicht. Kaum war er Zuhause gewesen, hatte er auch schon wieder los gemusst. Jason hatte ihn zur Seite genommen und ihm erklärt, was mit Marcus los war. Die Tatsache, dass sein "kleiner Bruder" die Schule schmeißen wollte, hatte Chris ganz schön mitgenommen. Er war sich mit Jason einig, dass man das unter allen Umständen verhindern musste. Und in dem Moment, als Jason das Auto in Richtung Videothek steuerte, um die Filme für den Videoabend zu besorgen, kam ihm genau der richtige Gedanke. "Marcus, könntest du schon rein gehen? Du kannst ja schauen, ob du bereits einen Film findest. Jason muss noch einen Parkplatz suchen", wandte er sich an den Jungen auf dem Rücksitz. "Warum? Da ist doch einer direkt vor der Videothek." "Da hat Marcus Recht", stimmte Jason zu und deutete auf die freie Parklücke vor dem Gebäude. Immer noch regnete es heftig. Chris knirschte mit den Zähnen und schlug seinem Freund auf den Oberarm. "Schatz! Sei doch nicht immer so schusselig! Da ist Parkverbot!" "Ich sehe gar kein Schild", merkte Marcus an. Jason öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dabei fiel sein Blick auf Chris' Gesicht und er schloss ihn wieder. Er klatschte sich stattdessen gegen die Stirn. "Ach ja, das hat ja so ein Idiot letztens umgefahren, gut, dass du mitdenkst, mein Engel." "Ja, nicht wahr? Ohne mich wärst du verloren. Also geh ruhig schon rein, Marcus." "Wenn ihr wollt..." Der Teenager zuckte etwas resigniert mit den Schultern, sprang dann aus dem Wagen und eilte mit der Hand über dem Kopf zur Tür der Videothek. "Und jetzt fährst du eine Runde um den Block", lächelte Chris süffisant. "Was hast du vor?" "Ein Experiment." "Ja, klar. Du willst Kuppelmutter spielen, mein Schatz! Du spekulierst darauf, dass Colin da ist, richtig?" "Du liest in mir wie in einem Buch, mein Geliebter!" kicherte Chris. "Na ja, in einem komplizierten Buch, du hättest es ja eben gerade beinahe versaut. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich dir ans Schienenbein getreten!" "Und du meinst wirklich, dass das was bringt? Ich meine, wir kennen Colin fast nicht, vielleicht hat er längst einen Freund." "Er hat mir damals gesagt, dass er solo sei. Du weißt schon, als er mir Jeremys Pornos gegeben hat." "Das ist lange her", gab Jason zu bedenken, "und er sieht nicht übel aus." "Jetzt hör endlich auf, du alter Miesmacher! Lass mir meinen Spaß und wenn es etwas wird, dann hat Marcus endlich eine Möglichkeit, seine Homosexualität auszuleben. Ich wette, dass es bei den Beiden funkt." Während er auf den Verkehr achtete, streckte Jason seinem Freund seine Hand entgegen. "Okay, ich halte die Wette. Und wenn nichts daraus wird? Was kriege ich dann?" "Dann lege ich für dich einen Strip hin, einen richtigen. Mit Lapdance." Chris zwinkerte ihm zu und fuhr sich dabei mit den Zunge über die Lippen. "Das ist keine Strafe für dich!" Jason wurde bei dem Gedanken bereits jetzt heiß. "Na ja, muss es doch auch nicht sein. Und wenn ich gewinne, strippst du für mich! So richtig wie in "9 ½ Wochen", zu "You can leave your hat on". Abgemacht?" "Abgemacht, die Wette gilt!", grinste Jason. "Übe schon mal, für deinen Auftritt." "Du bist dir deiner Sache wohl verdammt sicher. Na ja, selbst wenn sie sich nur anfreunden, ist das etwas. Auch wenn ich dann verloren habe." Jason konnte nicht anders als zu lächeln. Er beobachtete seinen Freund aus den Augenwinkeln, wie er sich am Spiegel des Sonnenschutzes die Haare etwas richtete und dabei die Melodie von "You can leave your hat on" summte. Chris war einfach zu gut für diese Welt. Colin Shephard langweilte sich tödlich. An solchen Tagen verfluchte er seine Arbeit. Den ganzen Vormittag ein einziger Kunde und der hatte dann noch nicht einmal etwas mitgenommen. Ansonsten nur gähnende Leere. Dann hatte es auch noch angefangen zu regnen und das ewig gleiche Stakkato der Wassertropfen an den Scheiben wirkt geradezu einschläfernd. Aber Schlafen durfte er nicht, wenn er dabei erwischt wurde, konnte er in Teufels Küche kommen. Schließlich hatte er seinen MP3-Player aus dem Rucksack gekramt und sich die Zeit mit Musik vertrieben. Er hatte sich seinen Lieblingssoundtrack überspielt, Dirty Dancing. Eben sang er lautstark sein Lieblingslied mit, "Hungry Eyes". Seine eigenen Augen hatte er geschlossen, die Fäuste geballt, legte er seine ganze Leidenschaft in die Stimme. "I look at you and I fantasize, you're mine tonight! Now I've got you in my sights with these Hungry eyes! One look at you and I can't disguise..." Während des folgenden "I've got" öffnete er seine Augen und sah sich im nächsten Moment einem blonden Jungen gegenüber, der sich auf die Theke lehnte und ihn amüsiert beobachtete. Dem jungen Verkäufer rutschte noch ein "hungry eyes" heraus, nur leise, dann verstummte er. Eric Carmen sang ihm weiter Texte über Augen voller Verlangen, Leidenschaft und Liebe ins Ohr, doch Colin entglitt für ein paar Sekunden die Realität. Alles, was er sah, waren die Augen seines Gegenüber, wunderschöne blaue Augen, umrahmt von einem attraktiven Gesicht und feucht schimmernden blonden Haaren. So etwas wie in diesem Augenblick war dem jungen Mann noch nie geschehen, plötzlich hatte er Herzklopfen. Der andere Junge legte den Kopf schräg und sagte etwas, was Colin natürlich nicht verstand. So schnell er konnte, zerrte er sich die Kopfhörer aus den Ohren und warf den MP3-Player in seinen geöffneten Rucksack hinter der Theke. "Oh, entschuldige..." Er lächelte verlegen. "Das ist jetzt etwas peinlich." "Nein, wieso? War doch eine nette Darbietung." "Ich dachte, ich wäre allein." "Das habe ich gemerkt!" kicherte der blonde Junge und sah dabei unglaublich niedlich aus. "Kann ich etwas für dich tun?" riss sich Colin mit aller Kraft zusammen. "Hm, mal sehen, vielleicht kannst du das sogar." Er lächelte und entblößte dabei seine weißen Zähne. Colin spürte, wie sich Schweißperlen in seinem Nacken bildeten. Was geschah da mit ihm? Er führte sich doch sonst nicht so auf. Aber dieser Junge warf ihn vollkommen aus der Bahn. Insgeheim hoffte er, dass er mit "Vielleicht kannst du das sogar" meinte, dass er eine Begleitung für ein Rendevouz suchte. "Videos." "Was?" "Ich möchte Filme leihen." Colin schloss die Augen und zählte bis drei. Er war ein Idiot. Er war ein Idiot. Er war ein kompletter Idiot. So was von einem Idiot. "Natürlich." Er lachte verlegen. "Hast du was bestimmtes im Auge?" "Eigentlich nicht... vielleicht was mit Keanu Reeves oder Johnny Depp?" Hieß das, dass er schwul war? Colin mahnte sich innerlich zur Vernunft. Nur weil man vielleicht Filme mit Keanu Reeves oder Johnny Depp gut fand, war man noch lange nicht schwul. Ansonsten wäre Matrix ein Segen für die Homogesellschaft gewesen. Beinahe hätte er gelacht. "Komm mal mit, mal schauen, was wir da haben. Kennst du "Fluch der Karibik"?" "Habe ich bisher nicht gesehen." "Na bitte, dann ist das doch was." Colin ging voraus. Aus den Augenwinkeln versuchte er abzuschätzen, ob der Junge vielleicht auf seinen Po schaute, schließlich hatte er heute eine seiner knackigsten Jeans an und hässlich war sein Hintern sicher nicht. Im gleichen Moment kam er sich total lächerlich vor. "Ich bin übrigens Colin." Falls ihn das überhaupt interessierte. "Marcus", lächelte der Blonde. Was für ein schöner Name. Der passte zu ihm. Colin musste sich zusammenreißen, um ihn nicht dauernd anzustarren. An ihrem Ziel, dem DVD Regal mit den Abenteuerfilmen, blieb er stehen und suchte nach der passenden DVD. Marcus stand nah hinter ihm. Trug er Parfum? Auf jeden Fall roch er gut. Endlich entdeckte er den Film und reichte die DVD an den Jungen weiter. Für einen Sekundenbruchteil berührten sich ihre Hände und Colin hatte das Gefühl, einen elektrischen Schlag zu kriegen, so kribbelte seine Haut daraufhin. Mitten in diesem Moment klingelte die Glocke über der Tür, die weitere Kunden ankündigte. Am liebsten hätte Colin laut "Raus hier!" gebrüllt, doch zu seiner Überraschung erkannte er bekannte Gesichter. "Hallo, Colin", grinste ihn Chris Fairgate an und stupste dabei unauffällig seinen Freund in die Seite, als würde ihn etwas amüsieren. "Chris, Jason, schön Sie zu sehen." Mehr oder weniger. "Hast du schon was gefunden, Marcus?" Colin schaute überrascht auf den Jungen, der gerade dabei war, die DVD zu mustern. "Ihr kennt euch?" "Was dagegen?" grinste Marcus. Und wieder ein Fettnäpfchen. Colin biss sich auf die Lippe. Aber hatte er das eben gesehen? Hatte der blonde Junge ihn angelächelt? War da so etwas wie Gefallen in seinem Blick? "Natürlich nicht." Er zeigt den Dreien noch weitere DVDs, schließlich entschieden sie sich neben "Fluch der Karibik" noch für "Constantine" mit Keanu Reeves und für "Spiderman 2". Colin schaffte es sogar, ab und an Chris und Jason, statt immer nur Marcus anzusehen. Als sie sich verabschiedeten, rasten Colins Gedanken mit Höchstgeschwindigkeit. Was sollte er jetzt tun? Diesen süßen Typen einfach gehen lassen? Ihn dreist nach seiner Nummer fragen? Aber vielleicht war er ja gar nicht schwul. Natürlich war er mit Chris und Jason befreundet, die ja eindeutig ein Paar waren, aber man musste ja nicht schwul sein, um mit einem Homopaar gut auszukommen. Dann war es zu spät. Die Tür des Laden fiel hinter ihnen ins Schloss und Colin war wieder allein. Der Regen trommelte gegen die Fenster. Plötzlich wurde die Tür erneut aufgerissen, aber die Hoffnung, Marcus würde sich jetzt in seine Arme werfen, machte der Anblick von Chris schnell wieder zunichte. Der blonde Mann hatte seine Jacke über den Kopf gehoben und ließ sie jetzt sinken. "Colin, ich glaube, ich habe mein Portmonee bei dir vergessen." Der dunkelhaarige Junge schaute sich um. "Nein, haben Sie nicht." "Ich weiß!" lachte Chris und zog es aus seiner Jackentasche. Er kam zur Theke hinüber. "Hast du einen Zettel und einen Stift?" Etwas verwundert reichte ihm Colin die gewünschten Gegenstände. Chris schrieb etwas darauf und schob den Block dann wieder zurück. Hillside Street acht, stand auf dem obersten Zettel. "Was soll das?" "Das ist unsere Adresse", erklärte sein Gegenüber. "Ich weiß, es klingt sicher total daneben, aber hättest du Lust, heute Abend bei uns vorbei zu kommen? Pizza essen und Videos schauen?" Er grinste verschwörerisch. "Marcus wird auch da sein." "Ich kann doch nicht einfach..." "Doch, kannst du. Marcus braucht etwas Gesellschaft in seinem Alter und du wärst dafür genau der Richtige. Tu mir den Gefallen." "Ich weiß nicht..." Und dann, aus heiterem Himmel, sagte Chris nur drei magische Worte, die Colins ganze Überzeugung in Wohlgefallen auflösten. "Er ist schwul." Der Verkäufer konnte nicht antworten, ihm blieb der Mund offen stehen. Chris grinste nur erneut. "Also heute um halb acht, sei pünktlich." Damit ging er und ließ einen vollkommen perplexen Colin zurück. Der junge Mann ließ sich auf den Stuhl hinter der Theke fallen und atmete tief ein. Dann, in der Einsamkeit des verlassenen Ladens, brüllte er aus vollem Halse: "YES!" Chris beobachtete Marcus über den Rückspiegel. Der Junge lehnte mit der Schulter an der Tür und sah auf die vorbeiziehende Stadt hinaus. Irgend etwas an seinem Blick war anders als zuvor. "Gefiel er dir?" Marcus schaute zu Chris hinüber, als würde er eben aus einem langen Traum erwachen. Er konnte nur die Augen des blonden Mannes im Rückspiegel sehen, aber das reicht ja. "Hm?" "Ob Colin dir gefallen hat?" "Er war sehr nett." "Und er sieht gut aus, oder?" "Ja, das kann man sagen", lachte der Junge. Chris lehnte sich im Sitz zurück und fing grinsend an, "You can leave your hat on" zu summen. Jason setzte die beiden "Brüder" am Anwesen ab und fuhr dann weiter, noch ein paar Getränke und Knabbereien kaufen. Nachdem sie die Jacken aufgehängt hatten, musste Batman erst einmal eine ausführliche Runde Streicheleinheiten bekommen. Der kleine Rüde war extrem anhänglich und obgleich er lernen musste, auch mal allein zu sein, reagierte er leicht eingeschnappt, wenn man ihn dann mal zurückließ. Dagegen half nur Bestechung in Form von Kraulen. Chris hatte den Jungen daraufhin zum Helfen in der Küche verdonnert, er wollte noch eine Salsa zum Dippen machen, die Zutaten hatte er glücklicherweise im Haus. Batman bekam sein Körbchen in die Küche geholt und rollte sich darin zusammen, schlief aber nicht fest. Immer mal wieder ging ein Auge auf, um zu kontrollieren, dass man ihn ja nicht wieder einfach allein ließ. Beim Tomaten schneiden hatte Chris dann endlich Zeit zum Reden. Marcus hackte neben ihm Peperoni klein. "Und? Was hältst du von Colin nun?" "Was soll ich von ihm halten? Ich habe ihn doch nur höchstens eine halbe Stunde gesehen." "Langweiler. Du weißt genau, was ich meine." "Er war niedlich. Und er hatte schöne Augen. Außerdem kann er singen, auch wenn er in dem Moment dachte, ihm hört keiner zu." "Was würdest du sagen, wenn ich dir verraten würde, dass Colin schwul ist." Marcus ließ das Messer sinken. "Echt?" "Keinerlei Zweifel. Wir haben ihn letztens sogar in einer Schwulenbar getroffen... na ja, eher erwischt, er hatte sich rein geschlichen." "Cool...", sagte Marcus voller Bewunderung. "Das lass nicht Jason hören!" Chris reichte ihm noch eine Peperoni, Jason liebte es scharf, daran hatte selbst die Wasabi-Katastrophe nichts geändert. "Wäre er nicht etwas für dich?" "Sag mal, kuppelst du gerade?" "Ach, ich doch nicht." Der blonde Mann vermied den Augenkontakt zu Marcus und konzentrierte sich voll auf seine Tomaten. "Na ja... ich weiß nicht...er ist schon süß, aber..." "Aber nicht Gary?" Damit war das Thema zum ersten Mal auf dem Tisch. Chris und Marcus hatten lange Zeit nicht mehr über Jasons Bruder gesprochen, über den Unfall und die Liebesnacht davor. Marcus legte das Messer zur Seite. "Natürlich ist er das nicht... aber ich weiß nicht, ob das wirklich das Problem ist..." "Hast du Kontakt zu ihm? Ich meine, du hast mich schon lange nicht mehr nach ihm gefragt." Der Junge schüttelte den Kopf. "Nein, kein Kontakt... es ist, wie ich es prophezeit habe, er hat sich nie gemeldet. Aber warum sollte er auch? Ich war es schließlich, der ihm seine Sportlerkarriere versaut hat, weil ich ihm unbedingt die Freuden der schwulen Liebe zeigen wollte..." "Machst du dir immer noch Vorwürfe?" "Ich weiß nicht, ob es wirklich Vorwürfe sind...", meinte Marcus leise. "Vielleicht ist es eher Reue. Ich bereue diese Nacht, ich bereue es, dass ich ihn geküsst habe..." "Du warst verliebt." "Und trotzdem immer noch allein... aber das Verrückte daran ist... vorhin in der Videothek... Er gefiel mir wirklich, aber das mit Gary ist gerade mal vier Monate her... ich kam mir mies vor, weil ich Colin attraktiv fand." "Marcus, du tust gerade so, als wärst du in Trauer. Gary ist nicht tot", gab Chris zu Bedenken, begleitet mit einem schiefen Lächeln. "Und außerdem wart ihr noch nicht einmal zusammen." "Trotzdem..." Jetzt legte auch Chris sein Schneidewerkzeug zur Seite. "Das muss eine Epidemie sein. Ich erzähle dir jetzt mal etwas. Du hast Angst. Angst davor, schon wieder verletzt zu werden. Du kennst doch Jeremy und David. Die Beiden sind jetzt endlich zusammen, aber davor sind sie beinahe endlos um einander herum getanzt, hin und zurück, hin und zurück, und das nur, weil David mal jemand so weh getan hat, dass er Angst vor Gefühlen hatte. Und jetzt bist du dabei, den gleichen Fehler zu machen. Du willst deine Homosexualität ausleben, aber dazu gehört mehr als ein Outing." "Mir wurde nicht nur einmal weh getan! Denk an den Jungen auf meiner alten Schule." Marcus sah auf seine Füße. "Marcus, das waren beides Heteros! Du hast dich einfach in die falschen Jungs verliebt. Aber du musst wieder in den Sattel steigen, wenn du vom Pferd fällst. Ich sage ja nicht, dass Colin der Mann fürs Leben ist, aber hab doch wenigstens ein bisschen Spaß." "Warum reden wir überhaupt darüber? Das ist doch sowieso alles nur graue Theorie. Schließlich war das Treffen mit Colin nur flüchtig." "Na ja, er kommt nachher hierher. Ich habe ihn eingeladen", grinste Chris. Marcus' Augen wurden groß. "Nein!" "Doch!" "Du alter Kuppler! Ich fasse es nicht! Schau dir doch an, wie ich aussehe!" "Ach, ist das nicht egal? Du willst doch nichts von ihm." "Du bist so gemein! Ich muss mich zumindest stylen! Darf ich euer Bad benutzen?" Mit diesen Worten rannte er aus der Küche, er hatte gerade noch so das Nicken des Texaners abgewartet, Chris hörte ihn die Treppe hinauf poltern. Vor einer Stunde kam der sicher nicht mehr aus dem Bad. Aber er hatte natürlich überhaupt kein Interesse an Colin. Chris schnitt weiter Zutaten und summte dabei die Melodie seines Triumphes. Colin fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und richtete seinen Scheitel. Er stand oben ohne vor seinem Badezimmerspiegel und musterte sich. Für seine Größe war er etwas zu dünn, dafür hatte er breite Schultern und recht kräftige Arme. So oft es seine Freizeit erlaubte, ging er ins Climb-X, eine Kletterhalle in der Innenstadt. Freeclimbing war für ihn etwas sehr Entspannendes. Der junge Mann drehte sich zur Seite und zog seinen sowieso kaum vorhandenen Bauch ein. Gar nicht schlecht. Er wusste selbst nicht genau, was er da tat. Er kannte Jason und Chris kaum und Marcus noch weniger und trotzdem freute er sich wie ein Schneekönig auf den Abend. An so etwas wie Liebe auf den ersten Blick hatte er nie geglaubt, aber der Gedanke an den blonden Jungen ließ Tausend Schmetterling in seinem Bauch tanzen. Nach einer Ladung Deo unter die Arme und ein paar Spritzern Parfum auf den Hals, nahm er sein Hemd von der Ablage und zog es über. Auf dem schwarzen Stoff waren einige feuerrote Tribalsymbole, die sich von der Brust über die Arme hinab zogen. Dazu eine einfache Lederkette mit einem silbernen Kreuz, seinem Glücksbringer. Colin war nicht sonderlich gläubig, aber darauf kam es ja auch nicht an. Es klopfte an der Badezimmertür. "Colin?" Der junge Mann atmete aus. "Mum. Was machst du hier?" "Ich wollte dich fragen, ob du mitessen möchtest. Dein Vater kommt gleich heim und ich habe Nudeln mit Käsesauce gemacht." Das beste Rezept seiner Mutter, sie war wirklich eine einzigartige Köchin, deren Kreationen teilweise Waffenscheinpflichtig waren. Aber immerhin konnte sie Nudeln mit Käsesauce sehr gut. "Nein, Mum, danke. Ich esse auswärts." Die Tür öffnete sich und Mrs. Shephard steckte ihren Kopf hinein. "Ach ja?" "Mum! Hast du mal daran gedacht, dass ich nackt sein könnte?!" "Ich bin deine Mutter, mein Schatz, nichts, was ich nicht schon gesehen hätte." "Aber nicht mehr, seit ich dem Kindergarten entwachsen bin! Ich sollte mir doch überlegen, dir den Schlüssel wegzunehmen." Kelly Shephard, eine resolute, etwas korpulente Frau in ihren Fünfzigern, stemmte die Hände in die Hüften. "Vergiss nicht, wo du hier wohnst, mein Sohn." Colin nickte. Er wohnte im selben Haus wie seine Eltern, hatte es aber erreicht, dass die oberste Etage für ihn ausgebaut worden war. Er hatte sein eigenes Bad, einen Wohn- und einen Schlafraum, sogar durch eine Wohnungstür vom Rest des Hauses getrennt, einziger Nachteil: Keine Küche. Colin liebte seine Familie, nicht nur seine Mutter Kelly, auch sein Vater Don und seine kleine Schwester Dana lagen ihm sehr am Herzen, aber manchmal wäre ihm eine eigene Wohnung doch lieber. "Hast du jemanden kennen gelernt?" "Mum..." "Sag doch mal." "Ja...", gab ihr Sohn zu. "Und du gehst heute mit ihm aus?" Colin hatte seinen Eltern gestanden, dass er homosexuell war und hatte, eigentlich nicht zu seiner Überraschung, viel Verständnis geerntet. Seine Mutter ging sogar so weit, ihn darauf anzusprechen, ob dieser oder jener Schauspieler im Fernsehen seine Kragenweite war, was dem jungen Mann ziemlich peinlich war. "So in der Art." "Mein Sohn, du bist wirklich sehr gesprächig." Sie verdrehte die Augen. "Wie heißt er?" "Marcus." Colin drehte sich um. "Mum, ich kann dir nicht viel sagen. Er ist etwas jünger als ich, blond und sehr lieb, soweit ich das bewerten kann. Ich habe ihn heute in der Videothek getroffen." Mrs. Shephard rückte ihrem Sohn den Kragen zurecht, was dieser mit einer etwas genervten Bewegung unterbrach. Er wandte sich wieder dem Spiegel zu, um das Endergebnis zu betrachten. Zusammen mit seiner schwarzen Jeans gab das Outfit ein ziemlich gutes Erscheinungsbild ab. "Du schützt dich doch, oder?" Der junge Mann wirbelte herum und sah seine Mutter vollkommen fassungslos an. "Mum!" "Colin, ich will doch nur, dass du vorsichtig bist." "Mum, ich bin neunzehn! Ich weiß, wie man mit einem Kondom umgeht. Hättest du auch solche Angst, wenn ich mit einem Mädchen ausgehen würde?" "Na ja, man hört schließlich so einiges." "Mum, ich gehe mit einem gepflegten, freundlichen Teenager aus und habe immer Kondome im Portmonee, also beruhige dich bitte." "Ist ja schon gut." "Ich muss gleich los." Colin bemerkte die Zerknirschtheit seiner Mutter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. "Danke, Mum. Ich weiß, dass du dir nur Sorgen machst." "Nun geh schon!" lächelte seine Mutter. David steckte seinen Hausschlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Was für ein Tag. Er hatte einen Fall verloren und es gab kaum etwas, was ihn mehr wurmte. Walt Rogers hatte es tatsächlich geschafft, das einzige Beweismittel für die Unschuld seines Mandanten aus dem Verfahren ausschließen zu lassen, damit war alles dahin gewesen. Selbst Davids Plädoyer hatte nichts mehr genutzt. Aber eigentlich war es mehr die Niederlage gegen Rogers, die den Anwalt wurmte, denn in diesem Fall hatte er den Advocatus Diaboli spielen müssen, denn sein Mandant war eindeutig schuldig gewesen, die Menge seiner hinterzogenen Steuern war geradezu unverschämt und der erbrachte Gegenbeweis mehr als fadenscheinig. Aber er war einer der prestigeträchtigsten Klienten der Kanzlei gewesen und die Anweisungen der Partner waren deutlich. David hoffte inständig, dass diese Niederlage seiner Karriere nicht schadete. Jetzt gab es nur noch eines, was ihn auf den Beinen hielt: Ein inniger Kuss von Jeremy, ein gemütliches Essen vor dem Fernseher und dann... wer weiß. Wie schön es doch war, nach Hause zu kommen, wenn jemand dort wartete. Und Jeremy wartete tatsächlich schon. Für einen Moment war David sprachlos. Das Wohnzimmer war abgedunkelt, überall brannten Kerzen. Auf dem Tisch standen Gläser mit Wein, der Duft von chinesischem Essen lag in der Luft, leise drang "Tears in Heaven" aus den Boxen, der Song, zu dem Jeremy und er damals getanzt hatten. Jeremy selbst stand neben dem Tisch, sein weißes Hemd ein ganzes Stück geöffnet, um den Blick auf seine Brust frei zu geben. Er eilte auf David zu und warf sich in seine Arme. "Ich habe dich vermisst!" Und damit bekam der Anwalt den ersten Teil seiner Erholung von der Arbeit, den innigen Kuss. "Was ist das hier?" "Darf man dich nicht mal verwöhnen?" David legte den Kopf schräg und Jeremy lenkte ein. "Also gut. Das Essen geht auf dein Kundenkonto und den Wein hattest du im Schrank, aber ist es nicht der gute Wille, der zählt?" "Ja, das ist er!" lächelte David und hob seinen Freund hoch, um ihm einen weiteren Kuss zu geben. "Aber ich muss dich noch kurz vertrösten. Ich habe bei Gericht drei Tassen Kaffee getrunken und die Natur verlangt endlich ihr Recht." Der Tänzer wurde blass, zumindest schien es im Licht der Kerzen so. "Muss das sein?" "Jeremy, ich will doch nur kurz schiffen." David löste sich von ihm und ging in Richtung Badezimmer, sofort setzte Jeremy ihm nach und hielt ihn am Arm fest. "Geh doch bitte nicht da rein." David musste lachen. "Was soll das? Jem, ich kann ja wohl schlecht hier ins Wohnzimmer pinkeln und vom Balkon herab könnte als Erregung öffentlichen Ärgernisses gewertet werden, also bitte, ja?" Resigniert ließ Jeremy ihn los und beobachtete, wie sein blonde Freund im Badezimmer verschwand. Er schloss die Augen. "Drei... zwei... eins..." "JEREMY!" Mit hängenden Schultern trottete der junge Mann dem Anwalt hinterher. David stand neben der Badewanne, das Gesicht knallrot. Mit einer zornigen Bewegung deutete er auf die Badewanne, deren Flecke sich teilweise von rot in hellbraun verwandelt hatten, aber der Unterschied zu vorher war marginal. "Was ist das?! Erklär mir das!" "David..." "Was ist das?!" Die Adern am Hals des blonden Mannes trat deutlich hervor. "Ich... ich..." "Raus damit, jetzt stottere nicht herum!" "Hör auf, mich anzubrüllen... bitte..." Jeremy spürte, dass Tränen in die Augen stiegen. David atmete tief ein und strich sich die Haare aus dem Gesicht. "Okay, dann bleibe ich ruhig. Jetzt erklär mir bitte, was los ist." "Ich habe mir die Haare gefärbt... dein Waschbecken ist so unbequem... und..." "Hast du einen Knall?!" David wurde wieder laut. "Schon mal was vom Überlegen gehört?! Oder fragen?! Wenn du auf diese grandiose Idee gekommen wärest, dann hätte ich dir sagen können, dass dieses teure Keramik sicherlich deine billige Haarfarbe nicht verträgt!" Jetzt fing Jeremy endgültig an zu weinen, die Tränen bahnten sich ihren Weg, sowohl aus Angst als auch aus Wut. "Tut mir leid, dass ich mich mit diesem Luxuskram nicht auskenne! Ich habe das nicht gewollt... vielleicht sollte ich wieder in meine billige Wohnung zurückgehen... ich habe ja gewusst, dass du mich rauswirfst!" Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, nahm sein Weinglas vom Tisch und schüttete den Inhalt in einem Zug runter. David folgte ihm. "Glaubst du, dass ich dich deswegen rauswerfe?" "Was denn sonst...? Aber keine Angst, ich bezahle dir das verdammte Ding, irgendwie kriege ich das Geld schon zusammen." Der Anwalt trat hinter ihn und umarmte den jungen Mann. "Hältst du mich für so oberflächlich?" "Der Auftritt eben legt diesen Verdacht nahe..." "Es war ein harter Tag..." Er küsste den Tänzer sanft auf den Nacken. "Ich bin geschafft und ich bin manchmal ein Choleriker... es tut mir leid... Ich bin das noch nicht gewöhnt. Aber glaube mir, es ist ein schönes Gefühl, wenn jemand da ist, der auf einen wartet." "Und deine Badewanne ruiniert...", seufzte Jeremy. "Vergiss sie... es ist nur eine Badewanne. Und wer außer uns Beiden kriegt sie zu sehen? Irgendwann ersetze ich sie." "Ich habe den ganzen Tag Angst gehabt, dass du mich aus der Wohnung schmeißt... ich hatte echt Panik... Abby und ich haben alles versucht, um die Flecken raus zu kriegen, aber es hat nicht geklappt..." "Wie wäre es, wenn wir einfach essen und die Sache vergessen, hm?" Jeremy drehte sich in der Umarmung um. "Bist du das wirklich, David Vanderveer? Manchmal erkenne ich dich kaum wieder." "Tja..." David küsste ihn auf die Lippen. "Das wird wohl dein Einfluss sein." Colins Herz schlug bis zum Hals, als er an der Tür des hübschen Anwesens in der Hillside Street schellte. Er strich sich nervös übers Hemd, richtete zum mindestens zehnten Mal seinen Gürtel und zupfte sich etwas nervös an seinem silbernen Ohrring, eine Marotte von ihm. Für einen Moment hatte er überlegt, einen Blumenstrauß zu kaufen, aber er wusste nicht, ob das angebracht war, vielleicht blamierte er sich dann auch vor Marcus. Also hatte er sich um entschieden und eine Flasche Wein gekauft, die seinen Gastgebern hoffentlich schmeckte. Als die Tür geöffnet wurde, zuckte er beinahe zusammen. Chris Fairgate lächelte ihn erfreut an. "Da bist du ja." "Bin ich zu spät?" "Nein, genau richtig. Komm rein." Colin nickte, machte dann aber doch keinen Schritt. "Sind Sie sicher, dass das okay ist?" "Sonst hätte ich dich nicht eingeladen. Marcus freut sich schon." Das wirkte wie ein Zauberwort, Colin putzte sich die Schuhe ab und trat ein. Von Innen gefiel ihm das Haus noch besser. "Marcus! Colin ist da!" Kaum waren die Worte verklungen, erschien der blonde Junge in der Tür des Wohnzimmers. Er schien sich mächtig beeilt zu haben, doch dann bremste er ab und blieb etwas verschämt stehen. "Hi...", sagte er leise. "Hi..." "Na wunderbar, ein guter Anfang!" Chris musste grinsen. "Ach ja, das ist für Sie." Colin reichte dem Texaner die Weinflasche. "Ich hoffe, Sie mögen ihn. Ein kleines Dankeschön für die Einladung." "Oh, ein guter Jahrgang", meinte Chris mit einem Blick aufs Etikett, obwohl er von Weinen recht wenig verstand, wenn es nicht gerade um Wein ging, der an bestimmte Gerichte gehörte. "Er hat einen guten Geschmack!" lächelte er in Marcus Richtung und bevor Colin etwas dagegen sagen konnte, schob er den Jungen sanft zu seinem "kleinen Bruder" hinüber. "Macht es euch doch im Wohnzimmer bequem! Jason und ich kommen gleich, wir holen nur noch eben was aus der Küche." Damit ließ er sie allein. Jason schaute zu, wie Chris den Wein entkorkte. Der Polizist lehnte an der Küchenspüle und knabberte Erdnüsse. "Ein Gastgeschenk?" "Der Junge weiß eben, was sich gehört." "Du bist jetzt sein persönlicher PR-Mann, was?" lachte Jason. "Und ein Intrigant noch dazu. Wie soll ich denn noch Chancen haben, die Wette zu gewinnen, wenn du dich so ins Zeug legst?" Chris stellte Salzstangen in ein Glas und leerte dann eine Tüte Chips in eine Glasschüssel. "Heißt ja nicht, dass du untätig sein musst." "Scherzkeks! Als könnte ich dagegen arbeiten! Das wäre ja mies." "Das Leben ist eben unfair, Geliebter!" kicherte der blonde Mann hämisch. Jason half seinem Freund, die Knabbersachen auf ein Tablett zu räumen und holte dann die Cola aus dem Kühlschrank. "Glaubst du wirklich, dass das richtig ist?" "Soll Marcus sein ganzes Leben auf Gary warten? Dein Bruder hat sich doch nicht einmal mehr nach ihm erkundigt, oder?" "Ja...", gab Jason zu. "Nachdem er aus dem Krankenhaus raus war, hat er nie wieder etwas von Marcus gesagt oder nach ihm gefragt." "Na, siehst du. Also ist es das Beste, wenn Marcus vielleicht wieder neues Glück findet. Und selbst wenn es nur ein Abenteuer und etwas Spaß wird oder sie sich nur anfreunden, selbst das wäre etwas." "Wenn sie sich nur anfreunden, kriegst du aber keinen Strip, mein Engel!" grinste Jason. "Das werden wir ja noch sehen!" Marcus und Colin saßen sich im Wohnzimmer gegenüber. Über dem Raum hing betretenes Schweigen. Der blonde Junge kraulte etwas gedankenverloren den Beaglewelpen. "Ein niedlicher Hund." "Stimmt", meinte Marcus. Und wieder wurde es still. Colin zupfte an seinem Ohrring. "Okay... das ist jetzt etwas peinlich..." Marcus blickte auf. "Findest du?" "Du nicht? Wir sitzen uns hier gegenüber und wenn der Hund nicht wäre, dann hätten wir gar keinen Gesprächsstoff." "Stimmt, das ist peinlich!" Die Beiden sahen sich an und plötzlich zogen sich die Mundwinkel der beiden Jungen nach oben. Von einer Sekunde auf die andere, fingen sie an zu lachen. "Kommst du dir auch ein bisschen komisch vor? Ich habe das Gefühl, dass hier arg gekuppelt wird." "Nicht nur du." "Ist dir das unangenehm?" Marcus lächelte ihn an. "Nein, eigentlich nicht.", sagte er wahrheitsgemäß. Colin gefiel ihm von Minute zu Minute besser. Er sah umwerfend aus und hatte sich offensichtlich extra für ihn gestylt. Der junge Kalifornier versuchte auszumachen, ob sich unter dem modischen Hemd Muskeln verbargen, die breiten Schultern ließen den Rückschluss zu. "Wo schaust du hin?" Marcus zuckte zusammen. "Oh, ich schaue nur so rum." "Soll ich mein Hemd ausziehen?" Für einen Augenblick blieb dem Jungen der Mund offen stehen. Das hatte er nun nicht erwartet. Er spürte, wie seine Wangen rot wurden. "Ich wollte nicht dreist sein." Colin winkte ab. "Der Spruch tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen." "Leider hast du Recht, ich habe dich abgeschätzt." "Du weißt also, was du willst." "Ich bin aber nicht oberflächlich!" wehrte sich Marcus. "Aber empfindlich", war Colins Konter, allerdings mit einem entwaffnenden Lächeln. "Wie soll ich dich eigentlich nennen? Marcus? Oder lieber Marc?" "Marcus!" antwortete der blonde Junge etwas zu scharf. Zwar hatte Gary den Spitznamen nicht gepachtet, aber trotzdem war es ihm unangenehm, von Colin so genannt zu werden. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt. "Also gut, dann Marcus", überging der Andere den unpassenden Tonfall. "Mich kannst du Coli nennen, wenn du magst, zumindest haben das welche auf der Schule getan." "Colin ist ein so schöner Name, den will ich nicht verstümmeln." "Danke für das Kompliment." Marcus wurde schon wieder rot. Wie blöd führte er sich hier eigentlich auf? Colin machte ihn nervös und gleichzeitig genoss er seine Anwesenheit. Das war ja schizophren. Zu seiner Rettung eilten in diesem Moment Chris und Jason, mit Tabletts voller Knabbereien, Cola und dem Wein von Colin. "Na? Amüsiert ihr euch?" "Ja, glänzend", lächelte Colin und stand auf, um Chris das Tablett abzunehmen. "Wow, Junge, leg dich nicht so ins Zeug, sonst werde ich noch eifersüchtig!" lachte Jason. "Wie ich sagte, er weiß, was sich gehört", grinste sein blonder Freund. "Aber du musst es wirklich nicht übertreiben, Colin. Ich bin groß und stark." Colin stellte das Tablett auf den Tisch und kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf. "Entschuldigung, ich wollte..." "Schon gut, ich ziehe dich nur auf." Chris legte ihm die Hand auf den Oberarm. "Wollen wir jetzt den Videoabend anfangen?" Darauf gab es einheitliche Zustimmung. Der Abend war bereits weit fortgeschritten, als Batman plötzlich sein Körbchen verließ und unruhig zwischen seinen Herrchen hin und her tapste. Manchmal stupste er auch einem der Beiden gegen das Bein. Chris nahm ihn schließlich hoch. "Ich glaube, der Kleine muss noch einmal raus. Marcus, würdest du das tun?" Der blonde Junge sah ihn überrascht an. "Natürlich. Kein Problem." "Vielleicht könnte Colin ja mitkommen. Du könntest ihm den Garten zeigen." "Oh ja, er wird ihn lieben, der Garten hat so einen besondern Flair... im Januar und wenn es draußen stockdunkel ist." Chris drehte seinem Freund ganz langsam den Kopf zu. "Vielen Dank, mein Schatz!" zischte er durch zusammengebissene Zähne. "Da der Garten so einen besonderen Flair hat, wirst du ja auch kein Problem damit haben, heute dort zu schlafen!" Colin musste lachen und stand auf. "Ich werde sicher auch den Garten im Dunkeln schön finden." Die beiden Jungs holten ihre Jacken und gingen dann durch den Wintergarten in den Außenbereich. Batman konnte es gar nicht schnell genug gehen. Wie ein geölter Blitz schoss die kleine Fellkugel zwischen den Beinen der Beiden durch und verschwand im Garten, um gemütlich dem quälenden Ruf der Natur zu folgen. Colin und Marcus blieben auf der Terrasse stehen. Es war ziemlich kühl geworden und ihr Atem zeigte sich deutlich in der Nachtluft. "Die Beiden sind ja wirklich ein süßes Paar, wenn man sie mal so privat erlebt", stellte Colin fest. "Ja, sie sind das perfekte Paar, findest du nicht? Jason, der starke und verboten gut aussehende Beschützer und Chris, der nicht minder hübsche, ein wenig zerbrechliche, aber nichtsdestotrotz schlagfertige Gegenpart." "Wie in einem Manga!" lachte der dunkelhaarige Junge. "Du liest diese Dinger?" fragte Marcus überrascht. "Na ja, hier und dort. Es gibt da ein paar sehr nette Serien mit süßen Kerlen." Marcus sagte dazu nichts. Er betrachtete den Nachthimmel, der vollkommen schwarz war, die Lichter von San Francisco schluckten die Sterne völlig. Aber umso schöner war der Blick auf die Skyline der Stadt, den man über den hohen Gartenzaun hinweg erhaschen konnte. Von hier aus konnte man den beleuchteten Coit Tower auf dem Telegraph Hill sehen. "Das war ein schöner Abend", durchbrach Colin die Stille. "Ja, fand ich auch..." "Ich habe mich schon lange nicht mehr so gut amüsiert und das, obwohl ich sämtliche Filme schon fast auswendig kannte." "Hm...", brummelte Marcus eine Zustimmung. "Darf ich dich küssen?" Der blonde Junge blickte ihn etwas schockiert an. "Was?!" Colin zupfte sich am Ohrring, er schien sehr nervös. "Tut mir leid... ich bin normalerweise nicht so... aber ich... ich meine... na ja... vergiss es besser..." Marcus musterte sein Gegenüber, sein Gesicht im Zwielicht des Gartens. Hier stand er nun, gerade mal vier Monate nach der Enttäuschung mit Gary. Was sollte er nun tun? Aber hatte Chris nicht Recht? Er war weder in Trauer, noch Gary in irgendeiner Weise verpflichtet, denn dieser hatte ihn nicht gewollt und nicht umgekehrt. Und Colin war so wahnsinnig lieb, so zuvorkommend und freundlich. Sein gutes Aussehen nicht zu vergessen. Irgendwas war da, schon die ganze Zeit, schon seit ihrem Treffen in der Videothek, das Chris, dessen war sich Marcus mittlerweile sicher, inszeniert hatte. Und mit einem Mal wusste er, was er wollte. Er trat vor, streckte sich hoch und küsste Colin sanft auf den Mund. Ihre Lippen trennten sich gerade einmal ein paar Millimeter, als er flüsterte. "Das heißt ja." Colin zog ihn an sich und diesmal küssten sie sich nicht nur auf die Lippen. Das Gefühl durchströmte Marcus wie ein elektrischer Schlag, sein ganzer Körper kribbelte, die Zeit schien für ein paar Sekunden einfach stehen zu bleiben. Und genau da wusste er, dass er sich richtig entschieden hatte. Chris und Jason standen im Schatten des unbeleuchteten Wintergartens und sahen hinaus. Selbst im Dunkeln konnte man deutlich erahnen, dass Chris breit grinst. "Mission beendet." "Du bist unheimlich...", stellte Jason fest. "Woher hast du das gewusst?" "Instinkt, mein Lieber." "Wer's glaubt! Das war ein Schuss ins Blaue, oder? Du hast einfach nur gehofft, dass das passieren würde." Chris lehnte sich an ihn, so dass Jason den Arm um ihn legte. "Mag sein. Na ja, das war wirklich Glück. Aber ich kenne Marcus gut genug, um schon zu wissen, dass ihm ein Typ wie Colin gefallen könnte. Und ich hoffe, dass er Marcus glücklich machen kann, das hat er sich nach der Pleite mit deinem Bruder echt verdient." "Erinnere mich nicht daran." Der blonde Mann lächelte und nahm seinen Freund bei der Hand, um ihn ins Wohnzimmer zu führen, damit Marcus und Colin sich nicht noch beobachtet fühlten. "Es ist wohl wirklich besser, wenn Marcus weiter zieht und Gary hinter sich lässt." "Und du hast ihm dabei geholfen, du kannst stolz auf dich sein." Chris räumte Gläser aufs Tablett, damit er sie in die Küche bringen konnte. "Ja, das bin ich auch. Aber glaube ja nicht, dass Komplimente dich davor bewahren, dass ich meine Wettschulden einfordere! Vergiss nicht, du darfst höchstens den Hut aufbehalten!" Lachend ließ er den Polizisten zurück und ging in die Küche. Jason ließ sich auf die Couch fallen und atmete gespielt schwer aus. Chris streckte den Kopf noch einmal ins Zimmer. "Und jetzt gehst du raus und fragst Colin, ob er heute hier übernachten will. Es ist schon spät und ich will nicht, dass Marcus und er sich schon verabschieden müssen." "Meinst du, dass so etwas den Eltern von Marcus gefallen würde? Das wir ihren Sohn mal einfach mit einem fremden Jungen ins Bett stecken?" "Dann übernachtet er eben auf dem Sofa und Marcus schläft oben im Gästezimmer, oder umgekehrt. Macht ihr das aus." Jason seufzte erneut. Wenn Chris sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war nichts mehr zu machen. Marcus drückte seinen Teddy an sich, das Stofftier war mittlerweile ziemlich abgegriffen. Seit Chris es ihm geschenkt hatte, hatte er ihn jeden Abend im Bett bei sich gehabt, außer in den Nächten in denen Gary neben ihm gelegen hatte. Gary... Er hatte schon lange nicht mehr so oft an ihn gedacht wie heute. Aber warum eigentlich? Fühlte er sich wegen des Kusses schuldig? Der Kuss... Ihm wurde heiß. Colins Lippen schmeckten angenehm süß. Dieser Kuss im Garten war einfach herrlich gewesen... sogar schöner als die Küsse von Gary. Ja, genau! Marcus setzte sich abrupt auf. Der Kuss war wirklich schöner gewesen! Langsam sackte er in die Kissen zurück und nahm seinen Bären in den Arm. Der arme Kerl hatte immer noch keinen Namen. Vielleicht sollte er ihn Colin nennen, dann konnte er sich immer vorstellen, mit ihm zu schmusen. Und dann lasse ich mich einweisen. Schlagzeile: "Junge in Nervenheilanstalt gebracht - Fünf Männer beim Versuch verletzt, ihn von seinem Teddy zu trennen". Traumhaft... und außerdem ist Colin sicher nicht so haarig... Er schloss die Augen. Colin lag jetzt unten im Wohnzimmer. Allein... ob er an ihn dachte? Vielleicht sogar an den Kuss? Oder war das nur ein Abenteuer für den Jungen gewesen. Klar, einer der so aussieht, gibt sich mit einem Kuss als Abenteuer zufrieden... Das war doch überhaupt eine Idee. Möglicherweise überlegte Colin schon, wie er sich hier hinauf schleichen konnte, um ihm mehr als nur einen Kuss zu rauben. Aber war er bereit dazu? Und dann auch noch mit Jason und Chris quasi in Hörweite. Die Vorstellung, mitten drin von einem der Beiden überrascht zu werden, hatte etwas beängstigendes. Als in diesem Augenblick die Tür geöffnet wurde, hätte der blonde Junge beinahe vor Schreck seinen Teddy durchs Zimmer geworfen. Er stemmte sich ruckartig auf. Durch den Lichtspalt, der zwischen den Gardinen klaffte, erkannte er den Eindringling als niemand anderen als Colin. "Hi..." "Was machst du hier?!" Oh, shit! Das klang jetzt anders als es sollte! "Soll ich wieder gehen?" "Nein!...Nein", sagte Marcus schnell. "Schon okay." Colin schloss so leise er konnte die Tür. "Ich habe so lange mit mir gerungen, ob ich nun hoch komme oder ob du vielleicht nach unten kommst... aber du hast schließlich das Bett, also war es nicht allzu wahrscheinlich, dass du es aufgibst." Der andere Junge musste lachen und erkannte sich dann selbst kaum wieder, als er auf die Seite neben sich klopfte. Colin griff nach dem obersten Knopf von seinem Hemd, erst jetzt fiel Marcus auf, dass er nur das und Shorts trug. "Stört es dich, wenn ich das ausziehe? Ich wollte nur nicht fast nackt über den Flur laufen." "Nein, kein Problem!" Nicht einmal im Entferntesten! Runter mit dem Ding! Marcus zwickte sich selbst unter der Decke in den Arm. Nicht übers Ziel hinaus schießen. Colin befreite sich von seinem Kleidungsstück und stieg dann ins Bett, bevor er sich jedoch hinlegen konnte, musste er sich schon wieder aufsetzen. "Was drückt denn da?" Mit Schrecken erkannte Marcus, dass Colin seinen Beinahe-Namensvetter in der Hand hielt, den der blonde Junge neben sich abgelegt hatte. "Ein Teddy?" Marcus antwortete nicht, er spürte, wie er rot wurde. "Gehört der dir?" "Ja...", gab er zu. "Peinlich..." "Ich finde das süß." "Echt?" "Ja. Ich hab auch noch eines meiner Kuscheltiere aus der Kindheit, einen Stoffhasen, Mr. Flippidi, ihm fehlt nur leider ein Auge, seit er mal in der Waschmaschine war... und ich glaube nicht, dass ich dir das gerade wirklich erzähle..." "Wahrscheinlich, damit es für mich nicht ganz so peinlich wird!" Marcus brach der Schweiß aus, schlimmer noch als damals bei Gary. Gleiches Bett, gleiche Entfernung, anderer Junge, nicht minder süß und sexy, aber in diesem Fall offenbar absolut an ihm interessiert. Er wagte einen Blick zur Seite. Das Licht der Straßenlaternen vor dem Haus fiel nur schwach auf Colin, aber es reichte aus, um ihn erkennen zu können, zugedeckt bis knapp unter die Brust, einen Arm hinter dem Kopf, das Gesicht ihm zugewandt. Da war wieder dieses umwerfende Lächeln und seine Brust war so... "Träumst du?" "Was?! Nein!" Marcus biss sich auf die Lippe, klar hatte er geträumt, aber ziemlich unanständig. Sollte er es wagen, den ersten Schritt zu machen? Vorsichtig rutschte er ein Stück näher und dann geschah es einfach so, als wäre genau diese Bewegung die stumme Zustimmung gewesen. Er sank in Colins Arme und sie küssten sich, noch länger und zärtlicher als im Garten. Marcus Hände glitten über die Brust des anderen Jungen und wie von selbst schob sich eine von ihnen unter die Decke. Es war beinahe schon Routine, Marcus wusste, was er zu tun hatte und wo ein Mann berührt werden wollte. Seine Finger fanden den Bund von Colins Shorts und in diesem Augenblick beendete der Ältere seine Exkursion und auch den Kuss. "Wow, du hast es aber eilig." Der blonde Junge zuckte zurück, schnell brachte er etwas Abstand zwischen sich und Colin. Klasse Leistung... jetzt hält er dich für ein Flittchen, am besten bietest du ihm noch einen Sondertarif! "Entschuldige." "Hoffst du auf einen Geschwindigkeitsrabatt?" "Ich dachte, du wolltest..." "Eine schnelle Nummer?" Er klang beleidigt. "Na ja... ich..." "Ich geh wohl besser wieder runter..." Colin schlug die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. "Nein!" stieß Marcus viel lauter als beabsichtigt hervor. Der andere Junge hielt in der Bewegung inne und drehte sich zu ihm um. "Ich meine... bitte nicht..." Marcus fuhr sich durchs Haar. "Es tut mir leid... ich wollte nicht... ich... ich versaue immer alles... das ist wieder typisch für mich..." Colin lächelte ihn an. "Okay, noch ein Versuch. Ich stelle dir zwei Fragen, sag einfach nur ja oder nein. Geht das?" Marcus nickte. "Erstens: Darf ich meinen ursprünglichen Plan wieder aufnehmen und dich in den Arm nehmen? Und zweitens: Darf ich dich wieder sehen? Vielleicht morgen Abend? Ich könnte dich ins Kino einladen." Beinahe hätte Marcus angefangen zu weinen. Dieser Junge war einfach wunderbar, wie hatte er das verdient? Er konnte nicht anders, als zu nicken, er hatte einen Kloß im Hals vor Rührung. Colin glitt zurück unter die Decke und zog Marcus in seinen Arm. Mit einem Mal befand sich der blonde Junge in der Wärme einer liebevollen Umarmung. Colin hielt ihn fest und gab ihm einen Kuss auf den Haaransatz. "Ich bin froh, dich kennen gelernt zu haben..." Marcus lächelte und drückte sich fester an ihn. Vielleicht war das hier seine Chance auf ein normales Leben. Endlich. "Ich auch...", sagte er leise. Am nächsten Morgen stand Chris bereits in der Küche, als Marcus herunter kam. Der blonde Mann nippte an seinem Kaffee und zog seine Augebraue hoch. "Gut geschlafen?" "Ja." "Und Colin?" "Der auch." "Auf der Couch." "Wo sonst?" Chris grinste. "Der Junge hat es echt drauf, er muss sich unsichtbar gemacht haben, als ich heute Nacht ein Glas Wasser in der Küche geholt habe." "Ein Glas Wasser?" fragte Marcus in eindeutigem Ton. "Na gut! Ich hab spioniert! Aber ich hatte Recht! Er war nicht auf der Couch, er war bei dir!" "Ertappt." "Und?" "Hm?" Marcus lächelte unschuldig. "Jetzt rück schon raus! Ich habe ihn gefunden, ich will Fakten!" "Wir haben gekuschelt." Chris stellte seine Tasse ab. "Mehr nicht?" "Nein, mehr nicht. Es war unglaublich. Er hat es nicht einmal versucht. Er war ein unglaublicher Gentleman. Er hat mich festgehalten, mich sogar auf die Stirn geküsst. Er ist so süß! Und so lieb! Und er will mit mir ins Kino, heute Abend! Ich bin so glücklich!" "Das freut mich." Chris legte den Arm um den Jungen und knuffte ihn in die Seite. "Ich muss dich aber trotzdem etwas fragen, was dir nicht gefallen wird: Was ist mit deiner Entscheidung, die Schule zu schmeißen?" Marcus seufzte und löste sich von dem älteren Mann. Er nahm sich eine Tasse aus dem Schrank und goss sich ebenfalls etwas Kaffee ein. "Ich werde die Schule nicht schmeißen... vorerst!" fügte er schnell noch hinzu. "Meine Eltern würden durchdrehen und vielleicht würden sie mir dann den Umgang mit Colin verbieten... oder noch schlimmer, mit euch... das kann ich nicht riskieren." "Sehr weise." "Ach, du hast das doch geplant! Du hast gehofft, dass die Begegnung mit Colin so etwas auslösen würde." "Schuldig im Sinne der Anklage. Aber ihr Beiden habt es mir auch furchtbar einfach gemacht. Ich hätte niemals geglaubt, dass es so leicht werden würde." "Ich danke dir...", lächelte Marcus. "Wofür?" "Das du immer dafür sorgen willst, dass es mir gut geht." "So etwas machen große Brüder." Chris zwinkerte ihm zu. "Frühstück?" "Gern, ich hole nur eben Colin." "Ich bin schon hier." Der dunkelhaarige Junge erschien im Türrahmen. Er hatte wieder sein Hemd an und bereits die Jeans über die Shorts gestreift, sogar seine Haare waren schon gerichtet. "Guten Morgen!" grinsten die beiden Blonden. Colin rieb sich über den Hinterkopf. "Störe ich?" "Nein, die sind immer so!" lachte Jason in diesem Moment, als er hinter Colin auftauchte. Er klopfte dem Jungen auf den Rücken. "Willkommen in meiner Welt." David knotete seinen Bademantel auf dem Weg zur Tür zu. Was sollte dieser Krach und das auch noch am Samstag? Irgendein dämlicher Idiot hämmerte ohne Unterlass gegen die Tür, wenn der so weiter machte, dann würden noch die Nachbarn rebellisch werden. David hatte im Gegensatz zu Jason keine Probleme mit seiner näheren Umgebung, es war im Haus allgemein bekannt, dass er schwul war und es wurde toleriert oder zumindest übersehen. Allerdings spürte er deutlich, dass viele Mitbewohner es gut hießen, dass er nun eine feste Beziehung führte und nicht ständig wechselnde Begleiter hatte. Der Anwalt öffnete die Tür und wurde im nächsten Moment zur Seite geschubst. Alexander Stone stürmte an ihm vorbei. "Wo ist er?!" "Erlaube mal! Was fällt dir ein, hier einfach rein zu marschieren?! Wie bist du überhaupt ins Haus gekommen?!" "Dein Portier war Pinkeln, denke ich! Aber das ist egal, du Arsch! Wo ist Jeremy?!" "Was geht es dich an?!" "Antworte oder ich schlag dir dein ach so hübsches Gesicht zu Brei, du Ratte!" "Versuch es und du wirst es bereuen!" David ballte die Fäuste. "Was geht denn hier vor?!" Jeremy stand in der Schlafzimmertür, nur in seinen Shorts. Ehe er überhaupt reagieren konnte, war Alex schon bei ihm und schlug ihn mit voller Wucht ins Gesicht. Seine Ohrfeige warf den Tänzer fast gegen den Türrahmen. Mit wenigen Schritten war David bei ihm, packte ihn am Arm und zerrte ihn so heftig von Jeremy weg, dass Alex stürzte. "Raus aus meiner Wohnung!" Er stellte sich zwischen seinen Freund und den wütenden Schwarzhaarigen. Alex rappelte sich auf und funkelte Jeremy an, ohne auch nur auf David zu achten. "Du widerliches Dreckstück! Ich war die ganze Zeit für dich da! Ich habe dich getröstet, als du wegen diesem Arschloch am Boden warst! Ich habe mich für dich geändert, bin sogar für dich auf Entzug gegangen! Und wie dankst du es mir?! Kaum bin ich ein paar Tage weg, lässt du dich wieder von ihm bumsen! Und ich muss es von Abby erfahren! Du bist doch das Allerletzte!" "Alex, ich habe dir nie Versprechungen gemacht..." "Du kotzt mich an, Jeremy! Du und dein ekelhafter Köter von einem Anwalt! Fahrt doch zur Hölle! Alle Beide!" Wutentbrannt ging er zur Tür. David rührte sich nicht von der Stelle, in Abwehrhaltung blieb er vor Jeremy stehen. Im Türrahmen blieb Alex noch einmal stehen und sah die Beiden an. "Das werdet ihr bereuen! Glaubt mir! Genießt eure traute Zweisamkeit so lange sie währt! Ihr kriegt, was ihr verdient!" Mit diesen Wort knallte er die Tür so fest hinter sich zu, dass mehrere Bilder daneben von der Wand fielen. Kaum war er weg, hatte David Jeremy schon im Arm und hielt ihn fest. Der Tänzer zitterte. Seine Wange war knallrot. "Ich hab Angst, David..." Der Anwalt sah auf die geschlossene Tür und schüttelte den Kopf. "Hunde, die bellen, beißen nicht. Mach dir keine Sorgen." Aber so richtig beruhigt war er auch nicht. Da war etwas Erschreckendes in Alexanders Augen gewesen, etwas geradezu Unmenschliches. Einen solchen Tobsuchtsanfall hatte er ihm niemals zugetraut, er hatte seit seiner Wiedervereinigung mit Jeremy noch nicht einmal mehr über ihn nachgedacht. Aber jetzt... er würde auf jeden Fall die Augen offen halten. Die Wochen vergingen und ehe man es sich versah, war der Februar in San Francisco eingekehrt. Der "harte" kalifornische Winter ging seinem Ende zu und bald würde der Frühling Einzug halten. Die Witterung in diesen Breiten versprach bereits zu diesem frühen Punkt des Jahres angenehme Temperaturen, auch wenn man mit dem einen oder anderen Schauer rechnen musste. Chris stopfte pfeifend Wäsche in die Waschmaschine. Er war glänzender Laune. Was auch sonst? Heute war sein Geburtstag und entgegen der schlechten Prognose, die er nach dem Besuch von Ash gemacht hatte, waren weitere Probleme ausgeblieben. Eher im Gegenteil. Die ersten Unterrichtsstunden hatten ihm wahnsinnigen Spaß gemacht und das obwohl er erst ein wenig verkrampft war, weil er Sly auf keinen Fall falsche Hoffnungen machen wollte. Aber irgendwann war ihm klar geworden, wie dumm er sich verhielt. Sly schien sehr gelöst, keinesfalls verbittert oder gar von Liebeskummer zerfressen und schon bald hatte Chris es aufgegeben, immer über Ashs Worte nachzudenken. Marcus' siebzehnter Geburtstag war doch schön geworden. Die Eltern des Jungen hatten es sich nicht nehmen lassen, den Lebensretter ihres Sohnes und seinen Freund zum Essen einzuladen. Marcus kam nebst Begleiter. Seit der Nacht in ihrem Haus waren Colin und er unzertrennlich, etwas, dass Chris ungemein erfreute, fast so sehr wie der wirklich gelungene Strip, den der Polizist für ihn hatte hinlegen müssen. Jason hatte Talent, kein Zweifel. Am Ende hatte er nicht weiter als eine Polizeimütze aufgehabt, was unglaublich heiß gewesen war. Einziger Wehmutstropfen war die Tatsache, dass sie alle, auch Marcus' Eltern, vorsichtig sein mussten, wenn es um die Vergangenheit ging. Marcus hatte noch nicht die Kraft gefunden, Colin über alles reinen Wein einzuschenken und besonders die Wahrheit über ihr Zusammentreffen vor fast einem Jahr, sollte unter allen Umständen geheim bleiben. Aber da diese dunkle Zeit sowieso längst vergessen sein sollte, fiel es keinem der Beteiligten schwer, sie nicht zu erwähnen. Chris schaltete die Waschmaschine ein und ging immer noch pfeifend nach oben. So fühlte man sich also mit neunundzwanzig. Heute Abend war die große Party und Übermorgen flogen Jason und er nach Dallas zu seiner Familie. Im letzten Moment hatten sie den Besuch in San Francisco absagen müssen, Chris' Stiefvater hatte sich den Fuß gebrochen. April redete am Telefon schon lange von nichts anderem mehr als ihrem Besuch. Endlich würde sie ihren Bruder live mit seinem Freund erleben, Chris konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie am liebsten bei ihnen im Bett schlafen würde, um ja nichts zu verpassen. Im Moment war sein Freund aber noch mit David in der Stadt. Es klingelte an der Tür. Beschwingt machte sich der blonde Mann auf den Weg. Er streichelte Batman über den Kopf, der beim Geräusch der Türklingel wie immer sehr aufgeregt wurde. "Ich komme schon!" rief er, bevor er die Haustür öffnete. Die Sonne schien für diese Jahreszeit sehr warm auf den Ghiradelli Square herab. Es war wenig los, weder in den Cafés noch in den Geschäften war viel Betrieb. Selbst die kleine Schokoladenfabrik mit ihrem wunderbaren Pralinenkreationen lockte kaum Kunden an. Es war Nebensaison und auch noch Arbeitszeit, also trieben sich nicht einmal viele Einheimische hier herum. Am Brunnen stand eine Gruppe Studenten, sie lachten und scherzten, eine völlig überlastete Mutter mit einem Zwillingskinderwagen und einem Hund hetzte ebenfalls über den Platz. Jason biss von seinem Hotdog ab, er war mit David unterwegs, um noch etwas für Chris' Geburtstag zu besorgen, besonders seine Lieblingspralinen. Er musterte seinen Freund von der Seite, David hatte die Sonnenbrille abgenommen und sah mit geschlossenen Augen Richtung Sonne. "Was grinst du so? Du strahlst ja wie ein Reaktorkern." "Sieht man das so deutlich?" "David, von deinem Dauerlächeln wird man fast blind!" "Ich bin eben gut drauf!" lachte sein Freund. "Das ist doch erlaubt, oder?" "Klar", antwortete Jason, nachdem er den Mund leer hatte, "es ist sogar klasse, vor allem nach den vielen Katastrophen in letzter Zeit." "Du hast Recht, aber in letzter Zeit läuft alles geradezu erschreckend glatt. Selbst dieser Knallkopf Alex ist aus meinem Leben verschwunden und ich habe zwei Prozesse hinter einander gewonnen, jedes Mal gegen Walt Rogers!" "Also waren die Drohungen von Jems Ex nur heiße Luft?" "Große Klappe, nichts dahinter!" stellte der Anwalt aus Colorado lachend fest. "Was anderes habe ich auch nicht erwartet." Jason warf das Papier, in welches das Hotdog verpackt gewesen war, in einen nahe stehenden Mülleimer. "Ihr seid dann heute Abend um halb acht da, nicht wahr?" "Pünktlich! Ich treibe die lahme Ente schon an!" Der Polizist musste lachen. David meinte Jeremy, der einen außerordentlichen Hang zur Verspätung hatte, im Gegensatz zu seinem Freund, der ein absoluter Pünktlichkeitsfanatiker war. "Wer kommt eigentlich jetzt alles?" Jason rieb sich das Kinn. "Claire, wenn sie es schafft, Ash und Sly, Abby und dann noch Marcus mit seinem Schatten." "Hat der Kleine jetzt also doch endlich die Liebe gefunden?" "Ja, Chris hat ja auch gekuppelt wie ein Irrer. Aber Marcus scheint wirklich einen Glücksgriff gemacht zu haben. Die Beiden sind unzertrennlich und wenn Marcus mal allein ist, hat er nur ein Thema: Colin." "Hach, die junge Liebe...", seufzte David theatralisch. "Dich mal von der Liebe schwärmen zu hören... das Armageddon ist nahe!" "Tja, das ist der neue, verbesserte David." "Er gefällt mir!" lachte Jason. Rose DeBois hatte es eilig. Seit ihre Firma bankrott gegangen war, suchte sie händeringend eine neue Stelle als Sekretärin. Und nun endlich hatte die junge Farbige einen Job in Aussicht und was geschah? Sie verschlief. Rose trat in die Pedale ihres Fahrrads und beschloss, die Abkürzung über den Ghiradelli Square zu nehmen. Rose DeBois war spät dran... und sie hatte keine Ahnung, dass sie an diesem Tag Schicksal spielen würde... "Hast du noch Lust auf einen Kaffee?" "Ja, gern. Aber nur auf die Hand. Jeremy wartet auf mich." Jason stöhnte gespielt auf. "Na bitte, es geht schon los. Kaum hat er eine Beziehung, bin ich abgemeldet." "Als könnte ich meinen Sonnenschein vergessen." "War ja auch nur Spaß!" grinste der New Yorker. "Ich bin wirklich froh, dass du soviel Zeit mit ihm verbringst." "Ich hätte nie gedacht, dass ich an einer Beziehung wieder Spaß haben könnte, aber Jeremy ist wundervoll. Sunshine, ich habe allmählich wirklich den Eindruck, ein neuer Mensch zu sein. Wenn man sich auf ihn einlässt, wirbelt dich Jeremy ordentlich durcheinander und man genießt es." "Das klingt tatsächlich kaum noch nach dem David, den ich kannte. Aber der Neue ist viel besser, glaub mir. Sozusagen die Deluxe Edition." "Hör auf zu schleimen!" lachte David. "Aber ich habe wirklich beschlossen, mein neues Leben zu genießen. Ich war schon immer auf dem Standpunkt, dass das Leben viel zu kurz ist. Es kann jeden Moment vorbei sein. Zack! Und deshalb sollte man jede Minute auskosten!" Kaum hatte er den Satz beendet, preschte Rose DeBois auf ihrem Fahrrad heran. Sie klingelte wild, weil sie beim Blick auf die Uhr die beiden Männer übersehen hatte. David musste aus dem Weg springen, er stolperte gegen Jason, der zur Seite taumelte. Im gleichen Augenblick hallte ein Knall über den Platz. Ein Schwarm Tauben stob auf und stieg in die Luft. Rose dachte, ihr sei ein Reifen geplatzt, aber ihr Fahrrad fuhr ohne Schwierigkeiten weiter. Die junge Frau trat in die Pedale und gab Gas, ihrem neuen Job entgegen. "Blöde Kuh!" fluchte Jason wenig galant hinter ihr her. Er wandte sich wieder David zu. "So was! Die hat noch nicht einmal darauf geachtet, wohin sie fährt!" David antwortete nicht. Er starrte Jason an, dann sank sein Kopf langsam nach unten, der Blick zu seiner Körpermitte. Sein Freund tat es ihm nach und erstarrte. Der Anwalt hatte seine Hände ein Stück unter seiner Brust, sie zitterten furchtbar und waren voller Blut. Sein himmelblaues Hemd färbte sich an dieser Stelle immer stärker rot. Tropfen seines Lebenssaftes waren bis auf Jasons Kleidung gespritzt. Plötzlich war dem New Yorker klar, was er gehört hatte. Einen Schuss. All das geschah in wenigen Sekunden, aber sie schienen wie eine Ewigkeit. David schaute ihn wieder an, die Augen immer noch in stummem Entsetzen aufgerissen. Er öffnete den Mund. "Alles... so... rot...", waren die einzigen Worte, die er herausbrachte. Dann fiel er vornüber und brach in Jasons Armen zusammen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Endlich geschafft... das Ende gefällt mir sogar *lol* Wäre Remember the promise you made eine Fernsehserie (eine wirklich tolle Vorstellung, da könnte ich mich Inszenierungstechnisch noch besser austoben. ^^), so würde dieses Kapitel wahrscheinlich als "Filler" bezeichnet werden. Und viel mehr ist es auch nicht, eine Füllepisode. Ich brauchte Stoff, um den Platz zu füllen, der zwischen dem letzten Kapitel (ich bin immer noch fix und alle, wie gut es ankam...) und dem Schuss auf David klaffte, der ohne Zweifel ein Cliffhanger werden musste. Also gab es eine kleine Episode aus dem neuen Leben von David und Jem und ich konnte den losen Faden des letzten Kapitels (Alex) aufgreifen, sowie Ash einen Auftritt gönnen, Jasons Partner kam ja in letzter Zeit etwas kurz. Ja und dann ist da eben Marcus. Kaum wieder da, steht er schon im Mittelpunkt. Zugegeben, seine miese Stimmung vergeht sehr schnell und noch schneller kommt er mit Colin zusammen, nachdem er ja mit Gary ziemlich lange gerangelt hat. Aber ich wollte hier erstens zeigen, dass es vor allem von Colins Seite Liebe auf den ersten Blick war. Colin steigt mit diesem Kapitel in den Main Cast auf, von ihm und Marcus wird man noch einiges zu sehen bekommen, womit ich auch endlich Teenagerliebe in der Story hätte ;-) Gary-Fans mögen mir verzeihen ^^ Chris Kuppelei läuft schon fast zu glatt, aber das hatte einen einfachen Grund: Ich brauche Colin und Marc als Paar für die nächsten Ereignisse, ich konnte ihnen nicht mehr Zeit gewähren. Also freuen wir uns einfach mal für die Beiden ;-) Mit diesem Kapitel beginnt einer der Höhepunkte der Geschichte, auf den ich mich schon lange freue. Es werden einige Veränderungen auftreten, die den Status Quo nachhaltig wandeln werden, was nie verkehrt ist, um die Story frisch zu halten (die letzte große Änderung, der Umzug und das neue Leben von Jason und Chris, liegt ja schon etwas zurück). Und da diese Geschichte noch längst nicht an ihrem Ende angekommen ist, wird es mal Zeit für eine kleine Frischzellenkur. ^^ Also viel Spaß beim Warten auf das nächste Kapitel *lacht diabolisch* Besonders KatoKira wird mich sicher lynchen wollen, denn ich weiß noch, dass ich sie mal fragte: "Was würdest du sagen, wenn ich David umbringen würde?". Um die Spannung zu halten: Ich habe die Geschichte wie gesagt grob bis zum Ende im Kopf und nicht jeder Chara wird dieses Ende erleben, soviel ist sicher. Bis zum nächsten Kapitel ^^ Euer diabolischer Uly ^^ Kapitel 28: And if at first you don't succeed... (Part 2 of 5) -------------------------------------------------------------- Jason sank unter Davids Gewicht auf die Knie, plötzlich war überall Blut. An seinen Händen, auf seiner Kleidung, überall. Der ganze Körper des blonden Mannes zuckte unkontrolliert, während er stoßweise nach Atem rang, die Augen immer noch weit aufgerissen. Jason presste seinen Freund an sich und kämpfte für ein paar Sekunden gegen das übermächtige Gefühl der Panik, das sich in ihm aufbaute. Die Studenten am Brunnen schauten erschrocken zu den beiden Männern herüber. "Verdammt! Glotzt nicht so blöd! Ruft einen Krankenwagen! Los!" brüllte Jason zu den Jugendlichen. Einer von ihnen riss daraufhin so schnell er konnte sein Handy aus der Tasche. Davids Hand ruckte hoch und verkrampfte sich in Jasons Shirt. "Lass... mich nicht... allein..." Jason fasste seine Hand und hielt sie fest, während er mit dem anderen Arm seinen Freund fester an sich zog. "Ich bin ja da. Ich bin da." Davids Augen waren glasig. Er atmete immer heftiger. Sein Brustkorb hob und senkte sich ruckartig. Jason spürte das warme Blut seines besten Freundes, das sich auf seinem Oberkörper ausbreitete. "Will... nicht... ster... sterben..." "Das wirst du auch nicht!" Jason drückte seine Hand noch fester. "Du wirst nicht sterben, verstanden! Wag es ja nicht, mir hier wegzusterben!" David hustete. "Ist das... ein Befehl...?" Er brachte trotz seiner Situation ein Lächeln zustande. "Nichts anderes! Und wehe du gehorchst mir nicht!" "Hab... Angst..." "Alles wird gut. Alles wird gut. Ich bin bei dir." Jason sah die Tränen in den Augen des blonden Mannes, die sich ihren Weg über seine fahlen Wangen suchten. Er hatte noch nie soviel Furcht in Davids blauen Augen gesehen und sein Herz verkrampfte sich bei dem schrecklichen Anblick. Die ganze Situation war geradezu surreal. Er hielt hier seinen besten Freund in den Armen, den Mann, der seit über vier Jahren immer für ihn da gewesen war, der ihn aufgebaut hatte, wenn er am Boden gewesen war, der immer zu ihm gehalten hatte. David war da gewesen, als er Probleme wegen seiner Homosexualität hatte, er war an seiner Seite gewesen, als er Angst davor hatte, sich seine Gefühle für Chris einzugestehen. Egal wann er jemanden zum Reden gebraucht hatte, David war zur Stelle gewesen. Sie hatten sich gestritten, sie hatten sich sogar schon geprügelt, aber all das hatte niemals einen Keil zwischen sie treiben können. David war ein Teil seines Lebens, auf den er auf keinen Fall verzichten wollte. Er konnte sich sein Leben ohne David nicht vorstellen. Wenn Chris die Liebe seines Lebens war, so war David der eine Freund, den man meist nur einmal findet, der Freund, mit dem man durch dick und dünn gehen konnte. Er hatte es sogar geschafft, ihn aus dem Tief zu holen, dass Randys Tod ausgelöst hatte. Und an eben diese Situation musste Jason plötzlich denken. Randys Anblick in diesem Keller, sein Blut, seine letzten Worte, bevor er in den Krankenwagen kam, der letzte Moment, in dem er seinen Partner lebend gesehen hatte. Dies durfte nicht so enden! "So kalt...", flüsterte David. Von einer Sekunde auf die andere sackte sein Kopf zur Seite, sein krampfender Körper erschlaffte in Jasons Armen. "Nein!" schrie der Polizist verzweifelt. "Nein!" Doch zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass sein Freund noch atmete, wenn auch nur sehr flach. Eine Sirene heulte auf und wurde stetig lauter. Jason blieb über David gebeugte sitzen und hielt seinen Freund fest, er wiegte ihn in seinen Armen und flüsterte ihm immer und immer wieder "Bitte stirb nicht..." zu. Erst als die Sanitäter bei ihm waren, ließ er ihn los. "Sir?" Jason schaute den jungen Sanitäter an, als wäre er eben aus einem Traum erwacht. Der Krankenwagen raste dem Memorial entgegen. Jason konnte seinen Blick kaum von David abwenden, der bewusstlos auf der Liege lag, bereits an einen Tropf angeschlossen und mit einer Beatmungsmaske über dem Gesicht. "Sir, ist alles mit Ihnen in Ordnung? Möchten Sie ein Beruhigungsmittel?" "Nein... ich brauche nur ein Telefon..." Er hatte sein Handy irgendwo in der Aufregung verloren. "Sofort wenn wir im Krankenhaus sind." "Wird er durchkommen?" Jason hatte Angst vor der Antwort. "Das kann ich nicht sagen, aber die Ärzte im Memorial sind sehr gut." Jason gab ein Geräusch von sich, dass irgendwo zwischen Zustimmung und Abneigung schwankte. "Diese Ärzte haben meinen Partner verloren..." Der Sanitäter sagte nichts mehr. Jason griff hinüber und nahm die Hand seines blonden Freundes, er stützte sein Gesicht in die andere Hand, ohne darauf zu achten, dass er dabei Davids Blut auf seine Haut schmierte. Tränen traten in seine Augen. Endlich kam das Fahrzeug vor dem Krankenhaus zum Stehen. "Er versetzt mich! Mister Pünktlichkeit lässt mich warten!" Jeremy kickte seine Schuhe in die Ecke und zog seine Jacke wieder aus. Abby lehnte im Türrahmen seines Zimmers. "Ihm wird etwas dazwischen gekommen sein." "Ja, aber wehe, mir passiert so etwas! Dann bin ich wieder ein Trödler." "Regen wir uns künstlich auf? Du kannst es doch nur nicht mehr erwarten, endlich wieder in die Arme deines Adonis zu sinken." Jeremy streckte ihr die Zunge raus, doch dann nahm er das Bild von David in die Hand, das auf seinem Schreibtisch stand. David lächelte ihn aus dem Rahmen heraus an. "Ist das normal?" "Was denn?" Abby band sich ihre Haare mit einem pinkfarbenen Zopfgummi nach hinten. "Das ich ihn wirklich vermisse...? Ich habe Angst, dass ich ihn bedränge und anfange zu klammern." "Du bist eben in ihn verliebt." "Ja." Jeremy stellte das Bild zurück. "Und genau das ist das Problem. Weißt du, ich würde ihm zu gern sagen, dass ich ihn liebe, aber irgendwie habe ich Angst davor, dass ihn das wieder in Panik versetzt." "Nimm doch nicht wieder drei Schritte auf einmal." Abby setzte sich auf Jeremys Bett und schlug die Beine übereinander. "Genieß doch erst einmal das, was du erreicht hast. Ihr Beiden seid so süß zusammen. Ich glaube, ich wäre ausgeflippt, wenn du wirklich mit Alex zusammen gekommen wärst... ich kann diesen Kerl nicht leiden!" "Dafür ist er ausgeflippt, das weißt du doch." "Ach komm. Der Kerl ist ein Schwätzer. Der kneift doch sowieso wieder nur den Schwanz ein und bellt noch ein bisschen. Außerdem ist er doch in der Versenkung verschwunden." "Ich traue dem Frieden nicht." "Das liegt nur daran, dass ihr eindeutig zu viele weibliche Gene habt! Dieses Rumgezicke kennt man von Männern ja eigentlich nicht." Jeremy musste lachen. So kannte er Abby, nie um einen Spruch verlegen. Auch die junge Frau konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. In das Lachen des Tänzers hinein schrillte das Telefon. "Na bitte!" stellte Abby fest. "Adonis will sich entschuldigen." Jeremy langte nach dem Hörer und nahm ab. "Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung für deine Verspätung! Ich höre?" Überraschung zeigte sich auf seinem Gesicht. "Oh, hallo, Jason. Entschuldige, ich dachte, es sei David. Wo steckt er? War er nicht mit dir unterwegs?" Abby wippte fröhlich mit ihrem Fuß, während sie Jeremy zuhörte, doch als plötzlich sämtliche Farbe aus dem Gesicht ihres besten Freundes wich, unterbrach sie die Bewegung. "Was ist?" "Nein... nein...", stammelte Jeremy, ohne auf ihre Frage zu achten. "Nein... ich... ich komme sofort..." Er legte auf und das Telefon rutschte ihm aus der Hand. "Was ist?!" wiederholte Abby die Frage mit deutlicher Sorge in der Stimme. "David wurde angeschossen...", antwortete der Tänzer wie eine Maschine. Er stand offensichtlich unter Schock. "Oh mein Gott..." "Ich muss ins Memorial..." "Keine Chance! Du gehst nicht allein! Ich komme mit." Abby hob die Schuhe vom Boden auf und begann, sie Jeremy anzuziehen. Der junge Mann wehrte sich nicht einmal. Marcus drückte die Badezimmertür auf und trat ein. Im Raum war es warm, die Wände der Dusche und der Spiegel über dem Waschbecken waren beschlagen. Durch die trübe Oberfläche konnte er Colins Silhouette ausmachen. Unwillkürlich musste er grinsen. Langsam zog der blonde Junge seine Boxershorts aus und öffnete dann die Türen der Duschkabine. Heiße Luft strömte ihm entgegen. Colin sah ihn überrascht an. "Oh, bist du auch endlich aufgewacht?" Es war am Abend zuvor spät geworden. Die Beiden waren im Kino und danach noch am Pier gewesen. Erst mitten in der Nacht waren sie zu Colin gegangen und Marcus hatte dort übernachtet. "Warum hast du mich nicht geweckt?" Marcus streckte sich zu Colin hoch und gab ihm einen Kuss auf die Lippen. Der heiße Wasserstrahl traf sie jetzt beide und der blonde Junge spürte, wie das Nass zwischen seinen auf Colins Brust gedrückten Fingern hinab rann. Der ältere Junge schloss ihn in die Arme. "Du hast so niedlich ausgesehen, da konnte ich dich nicht wecken." "Und da lässt du mich lieber den ganzen Spaß verpassen?" Die Hände des Jüngeren lösten sich von Colins Brust und umfassten frech dessen Po. Das alles war für Marcus vollkommen neu. Sie waren nun knapp drei Wochen zusammen und hatten gerade ein wenig Petting hinter sich. Colin schien sich Zeit lassen zu wollen, was Marcus aber nur zeigte, dass den Anderen mehr als nur sein Körper interessierte. "Stimmt, wie egoistisch von mir." Er grinste und drückte Marcus fester an sich, so dass dieser deutlich spürte, dass Colin die Nähe zu ihm sehr gefiel. Der Jüngere brachte seine Hände wieder nach vorn und erkundete mit dem Zeigefinger spielerisch Colins Oberkörper, von der Brust hinab über den Bauch. Er zog ein paar Kreise um den Bauchnabel, bevor er langsam aber sich der verheißungsvollen dünnen Linie aus Haaren weiter nach Süden folgte. Konnte ein Tag besser beginnen als so? Sicher nicht. In diesem Augenblick verwandelte sich der heiße Strahl aus der Brause in einen eiskalten Regen. Marcus stieß einen erschrockenen Schrei aus, versuchte im Reflex, dem Wasser auszuweichen und geriet ins Rutschen. Seine Füßen glitten weg und er sah sich selbst schon hinschlagen, als sein Freund ihn geistesgegenwärtig auffing. Dabei hielt er sich selbst an dem mit Saugnäpfen befestigen kleinen Regal mit Waschutensilien fest, das sich daraufhin löste und seinen Inhalt in der Duschkabine verteilte. Colin gelang es irgendwie, das Gleichgewicht zu halten und er versuchte verzweifelt den Regler der Dusche zu erreichen, um das Wasser abzustellen. Endlich gelang es ihm. Die Beiden stolperten zitterten aus der Kabine, darauf bedacht, nicht auf die herumliegenden Shampoo- und Duschgelflaschen zu treten, und Colin schnappte sich so schnell er konnte sein großes Badelaken, um sich und seinen Freund darin einzuwickeln. "Scheiße, was war das denn?" Marcus presste sich mit klappernden Zähnen an Colin, der ihn und sich trocken rieb. "Wenn ich das mal wüsste." Jetzt mussten Beide doch lachen, die Situation war total verrückt. "Mein Held, du hast mich gerettet!" lachte Marcus und küsste Colin erneut. Der andere Junge beugte sich zu ihm hinunter und zog ihn an sich, das Badetuch glitt zu Boden und ließ die Beiden nackt zurück, genau in dem Moment, da Colins Mutter aufgeregt die Tür des Badezimmers aufriss. "Mum!" Colin zerrte so schnell er konnte das Badetuch nach oben und hielt es vor sich und Marcus, der hinter seinem Freund in Deckung ging. Doch es war eh zu spät, die Situation war mehr als eindeutig, waren Beide doch klatschnass und unbekleidet. "Oh... ich... oh..." Mrs. Shephard drehte sich um. "Ich wollte nur... es hat eben einen Schaden mit dem Boiler gegeben, bis der Klempner da war, haben wir kein warmes Wasser... ich wollte das nur sagen... und ich hab einen Schrei gehört, ich dachte... du seiest vielleicht vor Schreck in der Dusch hingefallen." stammelte sie peinlich berührt. "Mum! Anklopfen! Merk es dir! Anklopfen!" Mrs. Shephard schnaufte beleidigt. "Natürlich! Und wenn du ohnmächtig in der Dusche liegst, antwortest du dann auch!" "Du blamierst mich!" Colin klang reichlich sauer. "Dann sag gefälligst das nächste Mal Bescheid, wenn du Besuch mitbringst!" Damit war das Thema für sie erledigt. Sie ging erhobenen Hauptes aus dem Zimmer und knallte die Tür zu. "Es sind noch Brötchen da! Wenn ihr frühstücken wollt!" rief sie noch durch die geschlossene Tür, schon wieder viel mütterlicher. "Vielen Dank, Mrs. Shephard!" antwortete Marcus lautstark. Colin löste sich von ihm und stützte sich aufs Waschbecken. "Gott ist das peinlich!" Marcus umarmte ihn von hinten und schmiegte seine Wange an seinen Rücken. "Ach komm. Es gibt schlimmeres. Bei mir hätten wir gerade mal mein Zimmer, das wäre noch weniger privat. Und ich mag deine Mum." "Nimm sie nicht in Schutz!" "Mache ich gar nicht, aber sei froh, dass du sie hast." Im Nebenzimmer fing Marcus' Handy an die Titelmelodie von "The O.C." zu dudeln. Der blonde Junge eilte hinüber und wühlte in seinen Klamotten nach dem Telefon. Endlich fand er es. "Hallo? Oh, Jason. Hi." Colin kam hinterher und blieb in der Badezimmertür stehen. Beim Anblick seines trainierten Körpers hatte Marcus Mühe, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. "Nein, Chris ist nicht bei mir, ich bin bei Colin.... nein, ich habe ihn heute auch noch nicht gesehen. Warum ist das so wichtig? Und wo bist du? Das ist ja tierisch laut bei dir." Nach einer kurzen Pause veränderte sich der Gesichtsausdruck des Jungen. Er sah erschrocken aus. "Im Krankenhaus?!" Er beobachtete, wie sich Colin spannte, seine lässige Haltung war mit einem Mal dahin. "Was machst du im Krankenhaus?... Nein!" Marcus erbleichte. "Das ist nicht dein Ernst! Oh Gott! Ich komme hin!" Er hörte kurz zu und schüttelte dann vehement den Kopf, als könne Jason dies sehen. "Keine Chance! Ich komme da hin! Bis gleich!" Marcus legte auf und setzte sich fassungslos aufs Bett. "Was ist passiert?" "David wurde angeschossen..." "Der Freund von Jason? Ich glaube, ich habe ihn damals im Club getroffen." "Ja, der... fährst du mich hin? Jason klang fix und alle und er kann Chris nicht erreichen, weder auf der Arbeit, noch daheim oder am Handy. Deswegen hat er mich angerufen." Colin fing bereits an, sich anzuziehen. "Klar, fahre ich dich!" Jason knallte den Telefonhörer auf. Rund um ihn herum herrschte das geschäftige Treiben des Krankenhausalltags, mittlerweile schon viel zu bekannt für den Mann. Im Moment hatte er das dringende Bedürfnis, entweder in Tränen auszubrechen oder etwas zu zertrümmern. Er fühlte sich so schrecklich hilflos. David war bereits im OP, mehr wusste er nicht, weder wie es um ihn stand, noch was wirklich geschehen war. Jeremy war auf dem Weg hierher, Marcus und Colin ebenso, nur von einem fehlte jede Spur. Ausgerechnet von Chris. Er ging daheim nicht ans Telefon und im IHoP war er auch nicht. Auf seinem Handy antwortete nur die Mailbox. Jeder starrte ihn an und endlich wurde ihm auch klar warum: Er war immer noch voller Blut. Davids Blut klebte in seinem Gesicht und auf seinem Shirt, auch seine Arme waren damit beschmiert. Er wankte in den Waschraum und beugte sich über eines der Becken, um sich zu waschen. Das eiskalte Wasser löste nach und nach die rote Flüssigkeit aus seinem Gesicht und mit einigem Schrubben bekam er auch die Arme sauber. Das rötlich gefärbte Wasser verschwand im Ausguss. In der Kabine hinter ihm wurde die Spülung betätigt und ein Mann kam heraus, als er sah, wie Jason sich hektisch von dem Blut befreite, verzichtete er aufs Händewaschen und verließ so schnell es ging den Raum. Der Polizist musterte sich im Spiegel, das Gesicht von der Kälte des Wasser gerötet, am ganzen Körper zitternd, die Kleidung besudelt mit dem Blut seines besten Freundes. In diesem Augenblick setzte bei Jason etwas aus. Er brüllte voller Wut auf und fing an, wie von Sinnen auf den Handtuchspender neben den Waschbecken an der Wand einzuschlagen. Wie ein Berserker prügelte er auf den Kasten ein, bis er schief in der Halterung hing, verbeult und verbogen. Erst dann sank er zusammen und stützte sich schwer atmend an die Wand. Die Tür wurde geöffnet und sein Partner, Ashton, trat ein. Er musterte den zertrümmerten Kasten mit einem schiefen Blick und wandte sich dann Jason zu. "Hat dir das geholfen?" "Lieber würde ich das Schwein verprügeln, das David das angetan hat!" "Vielleicht kriegst du ja die Möglichkeit." "Was machst du hier, Ash?" Der Blonde zuckte mit den Schultern. "Na was schon? Ermitteln. Das ist unser Fall, Jason. Auch wenn hier kein Mord vorliegt, so ist es immerhin ein Mordversuch." "Wer weiß, ob es nicht noch ein Mord wird... ich hasse dieses Krankenhaus..." "Rede nicht so einen Unsinn! David wird durchkommen. Weißt du schon irgendwas?" Jason schüttelte den Kopf. "Nichts... er wird operiert. Es ging alles so schnell. Wir sind unterwegs, es knallt und das Nächste, was ich weiß, ist das David in meinen Armen liegt und blutet." "Die Spurensicherung ist schon am Tatort und es läuft eine Fandung, aber wir haben bisher keine Anhaltspunkte. Als ich hörte, wer das Opfer war, habe ich mir gedacht, dass du hier sein würdest." "Lass uns rausgehen...", sagte Jason leise. "Jeremy muss bald hier sein und ich will ihn nicht verpassen." Er sollte Recht behalten. Als sie die Toilette verließen, hörte er sofort Jeremys Stimme. Der junge Mann stritt lautstark mit der Schwester an der Anmeldung der Station. "Hören Sie, ich habe Ihnen eine einfache Frage gestellt! Ich will wissen, was mit David Vanderveer ist! Ich bin sein Lebensgefährte!" "Entschuldigen Sie, Sir, aber ich bin nicht befugt, Informationen an Nichtfamilienmitglieder heraus zu geben", ritt die ziemlich kratzbürstig aussehende Krankenschwester auf ihren Vorschriften herum. "Aber ich lebe mit ihm zusammen! Ich habe doch wohl ein Recht darauf, zu erfahren, was mit ihm los ist!" "Sir, ich habe meine Vorschriften." "Ich scheiße auf ihre Vorschriften, sie dämliche Kuh! Jetzt sagen Sie mir endlich, was mit ihm ist!" brüllte Jeremy. "Sir, bitte mäßigen Sie sich oder ich muss den Sicherheitsdienst rufen!" Abby legte ihrem Freund die Hand auf die Schulter. "Jem, gib es auf." In diesem Moment erblickte sie Jason. "Da drüben." Sie nickte in Richtung des Polizisten und als Jeremy ihn erkannte, rannte er zu ihm hinüber. Beim Anblick von Jasons blutbeflecktem Hemd schien er kurz aus der Fassung zu geraten, fing sich dann aber doch wieder. "Jason! Was ist hier los?!" "Nicht hier", sagte der New Yorker leise. "Komm, wir gehen da drüben in den Aufenthaltsraum, da ist gerade niemand, dort können wir reden." Daraufhin wiederholte Jason die albtraumhafte Geschichte ein weiteres Mal für Abby und Jeremy, der mittlerweile weiß wie die Wand war, seine Hände zitterten und er biss sich ständig auf die Lippe. Als Jason fertig war, wandte sich Ash dem jungen Tänzer zu. "Ich weiß, dass das jetzt schwer ist, Jeremy, aber du musst jetzt genau nachdenken. Fällt dir irgendjemand ein, der einen Grund hätte, David vorsätzlich etwas anzutun?" Jeremy musste nicht lange überlegen. "Alexander Stone! Er war es! Hundertprozentig! Er hasst David und er hat uns gedroht, dass wir uns noch umschauen würden. Er war es! Er war es!" Abby legte besorgt die Hand auf Jeremys Oberschenkel, sagte aber nichts dazu. "Kennst du den Kerl?" Jason nickte. "Persönlich nicht, aber David hat mir schon von ihm erzählt. Scheint ein ziemlicher Choleriker zu sein. Er war hinter Jeremy her und als er mit David zusammen kam, ist er ganz schön ausgetickt." "Also hat dieser Alexander Stone ein Motiv", folgerte Ash. "Ein Motiv für was?" Alle Köpfe ruckten herum. In der Tür des Aufenthaltsraumes stand niemand anders als Alex, eine Hand locker in der Hosentasche. Bevor jemand im Raum reagieren konnte, war Jeremy schon auf den Beine und stürzte sich mit einem Schrei auf seinen Exfreund. Von der Wucht des plötzlichen Angriffs überrascht, fiel dieser mit dem Tänzer zu Boden. "Du Dreckschwein! Ich bringe dich um!" Jeremy war wie von Sinnen, er schrie immer wieder, dass er Alex umbringen werde. Er lag auf dem anderen Mann, prügelte unkontrolliert auf ihn ein und schließlich schlossen sich seine Finger um Alex' Hals. Der dunkelhaarige Mann wehrte sich verzweifelt und fing an zu röcheln. Es gelang Jason und Ash nur gemeinsam, den rasenden jungen Mann von Alex herunter zu zerren. Der blonde Polizist hatte alle Mühe, Jeremy festzuhalten, der sich verbissen gegen seinen Griff stemmte. Jason stellte sich zwischen die Beiden und half Alex wieder auf die Füße, der leichenblass seinen Hals hielt und nach Luft rang. "Du hast ja einen Knall...", keuchte er. "Krepier, du Ratte!" Jeremy spuckte nach ihm. "Wenn ich dich in die Finger kriege, dann mache ich dich kalt!" "Niemand macht hier irgendwen kalt!" Jason wurde laut, er schlug einen unmissverständlichen Befehlston an. Auf dem Flur hatte sich eine Menschentraube versammelt, deren Schaulust Ash aber schnell unterband. Er ließ Jeremy los, der gleich wieder auf Alex losstürmen wollte, aber von Jason daran gehindert wurde, und hielt einer älteren Schwester seine Dienstmarke unter die Nase. "Hier findet eine polizeiliche Ermittlung statt, diesen Raum betritt nur ein Arzt, der Neuigkeiten über Mr. Vanderveer bringen kann, verstanden?" Die Frau nickte und noch bevor sie etwas sagen konnte, knallte der Polizist die Tür des Aufenthaltsraumes zu. Jason verfrachtete Jeremy mit leichter Gewalt auf einen Stuhl in der linken Ecke des Raumes, Ash brachte Alex auf die andere Seite. "Was ist denn hier überhaupt los?!" wollte Jeremys Ex wissen. "Du Wichser! Du weißt genau was los ist!" schrie der Tänzer aufgebracht. "Jeremy! Halt bitte die Klappe!" Jason schaute ihn wütend an, woraufhin dieser sich mit verschränkten Armen auf dem Sitz zurücklehnte, Abby musterte ihn etwas ängstlich von der Seite. "Was machen Sie hier, Mr. Stone?" wandte sich Jason schließlich an Alex. Dieser zuckte mit den Schultern. "Ich wollte zur Therapie. Hier im Krankenhaus finden Sitzungen für Drogenabhängige auf Entzug statt. Ich habe Jeremy gesehen und bin ihm gefolgt, weil ich wissen wollte, warum er hier ist." Jeremy wollte den Mund aufmachen, doch ein böser Blick von Jason brachte ihn dazu, es nicht zu tun. "Und wo waren Sie heute Mittag gegen zwölf Uhr?" "Bei den Anonymen Alkoholikern, wenn Sie es genau wissen wollen." "Reizend, du kommst viel rum...", rutschte es Abby raus. "Ach, halt die Klappe, blöde Kuh!" zischte Alex. "Was soll der ganze Scheiß hier?! Wofür soll ich ein Motiv haben?!" "Heute Mittag wurde auf David geschossen. Er ist im OP und schwebt in Lebensgefahr." "Ja und? Was soll ich damit zu tun haben?!" blaffte Alex die Polizisten an. "Jason! Er lügt doch, wenn er den Mund aufmacht! Er war es! Wer sonst?!" ereiferte sich Jeremy. "Jetzt hör mir mal zu! Du und David Vanderveer, ihr seid nicht der Nabel der Welt! Mag sein, dass einer diesen Fatzke abknallen wollte, aber nicht ich! Ich war bei den AA und danach hier, dafür gibt es eine Menge Zeugen! Ich hätte gar nicht schießen können!" "Dann hast du eben einen Killer engagiert!" hielt der Tänzer dagegen. Alex lachte verächtlich. "Ja, klar! Von welchem Geld denn, du Klugscheißer?! Bin ich Krösus?! Ich habe so schon kaum genug zum Leben, dann leiste ich mir locker nebenbei noch einen Auftragskiller, der deinem Stecher das Hirn wegpustet! Klar!" "Du lügst!" Jeremy sprang auf, wurde aber sofort wieder von Ash in die Schranken verwiesen. "Es reicht jetzt, Jeremy. Setz dich gefälligst hin und spiel hier nicht Lynchmob!" Der Rothaarige ließ sich auf den Sessel zurückfallen. Ash drehte sich um und bemerkte überrascht, dass Jason sich ebenfalls niedergelassen hatte. Der New Yorker starrte konzentriert auf einen Punkt in der Ferne. "Jason?" Doch der Polizist war in Gedanken. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt, etwas, das Alex gesagt hatte. Auftragskiller. Vor seinem geistigen Auge kehrte er auf den Ghiradelli Square zurück, zurück an die Stelle des Anschlags. Er sah alles genau vor sich. Die Studenten, die Mutter mit den Zwillingen und dem Hund, die Tauben, die Radfahrerin, die beinahe mit David zusammen gestoßen wäre, Sekunden vor dem Schuss. Er fuhr regelrecht aus dem Stuhl hoch. "Das ist es!" "Was ist denn los mit dir?" Plötzlich war Jason schrecklich aufgeregt. "Ash, wenn du jemanden mit einem Schuss töten willst, wohin schießt du dann?" Sein Partner schaute ihn verständnislos an. "Ins Herz oder in den Kopf." Er deutete dabei auf die entsprechenden Stellen an seinem Körper. "Eben! Aber David wurde nicht in den Kopf oder ins Herz getroffen. Die Kugel hat ihn in der Brust, fast im Bauch, erwischt. Eine solche Verletzung ist nicht zwingend tödlich, wenn derjenige dann Hilfe bekommt." "Das heißt, der Schütze war schlampig oder er wurde gestört." "Genau!" Jason hob den Finger. "Kurz bevor der Schuss fiel, ist eine junge Frau auf einem Fahrrad über den Platz gefahren. Ich weiß nicht warum, aber sie hätte David beinahe über den Haufen geradelt. Er musste ihr ausweichen, ist aus dem Weg gesprungen und hat mich dabei geschubst. Das ist mir eben erst bewusst geworden! Ash, er hat in dem Moment quasi meinen Platz eingenommen!" Im Raum wurde es still, alle starrten den Braunhaarigen an. "Das heißt...", begann Ash leise. "Das heißt, die Kugel war nicht für David. Hätte er mich nicht geschubst, hätten wir jetzt einen Mord, dann würde ich auf dem Ghiradelli Square liegen! Die Kugel war für mich bestimmt!" Marcus steckte sein Handy in die Tasche und atmete entnervt aus. "Scheiße." "Immer noch kein Glück?" Colin warf seinem Freund einen Blick zu, während er eine Parklücke suchte. "Nein, immer nur die Mailbox. Ich hab ihm auch eine SMS geschickt, aber was bringt das, wenn er sein Handy sowieso ausgeschaltet hat?" "Ist das seine Art? So vollkommen unerreichbar zu sein?" Marcus schüttelte den Kopf. "Nein, das sieht ihm überhaupt nicht ähnlich. Kein bisschen." "Vielleicht ist er im Kino." "Allein?" Marcus schenkte dem älteren Jungen einen schiefen Blick. "Nein, er geht nicht allein ins Kino." Endlich fand Colin einen Parkplatz. Er manövrierte sein Auto hinein und stellte den Motor ab. "Dann mal los." Marcus schaute das Krankenhaus durch die Windschutzscheibe an. Der große Komplex, dessen Fenster im Sonnenlicht strahlten. Erinnerungen wurden wach, Erinnerungen an die Zeit nach seiner Entführung. An die bangen Stunden nach dem HIV-Test, an die Angst vor seinen Eltern. Und an Chris' Lächeln, das ihm all diese Angst für einige Zeit nehmen konnte. "Ich war das Ziel!" wiederholte Jason voller Aufregung. "Jason..." "Was gibt es daran zu zweifeln?!" erkannte der Polizist den Tonfall seines Partners korrekt. "Ein Auftragsmörder schießt nicht daneben! Zumindest nicht in so einem Fall. Wir waren vollkommen unvorbereitet. Wenn David das Ziel gewesen wäre, dann wäre er tot! Aber er lebt noch, weil er nicht im Fadenkreuz war, sondern ich." Es klopfte an der Tür. Jason ging hin um zu öffnen und die Krankenschwester von der Anmeldung schaute ihn etwas verunsichert an. "Detective Cunningham, hier sind zwei Jungen, die unbedingt zu Ihnen wollen. Ich habe ihnen gesagt, dass Sie nicht gestört werden wollen, aber..." Jason sah zur Anmeldung herüber, Marcus winkte ihm zu, neben sich Colin. "Das ist okay, lassen Sie die Beiden hierher." Er öffnete die Tür weiter, damit die Jungen in den Warteraum gehen konnten und schloss sie dann wieder. "Oh, noch mehr Besuch! Gibt es auch Snacks und Partyspiele?" frotzelte Alex beim Anblick der Neuankömmlinge. "Halt die Schnauze, Alex!" schnappte Jeremy. "Gibt es etwas neues von David?" Jason musste den erwartungsvollen Blick enttäuschen. "Nein, es ging nur um Marcus und Colin. Ich hab die Beiden angerufen." Jeremy schien erst jetzt zu registrieren, wer da neben Marcus stand. Der Anblick Colins löste den gleichen Gesichtsausdruck wie damals im Club aus, wie Jason nun bemerkte, aber nur für ein paar Sekunden, die Angst um David war stärker. "Die meisten hier kennt ihr ja und das hier ist Alexander." stellte Jason vor. "Ich unterbreche ja nur ungern, Jason, aber es gibt Wichtigeres. Wenn du wirklich das Ziel gewesen bist, dann muss ich jetzt die gleiche Frage an dich stellen. Fällt dir jemand ein, der einen Grund haben könnte, dich töten zu wollen?" Ash verschränkte die Arme. Jasons Blick irrte zum Fenster und verharrte auf den Dächern der Stadt. "Nein... ich meine... du weißt von meinem Privatkrieg mit Rodriguez, aber der würde nicht..." Das Aufflackern der Erkenntnis zeigte sich in seinen Augen. "Natürlich... aber eigentlich... nein, warum sollte er...? Aber es ist die einzige Möglichkeit..." "Jason?" Der Angesprochene schaute seinen Partner an. "Dave Jerrod." "Dieser Bonze? Ist der nicht schon lange wieder weg?" "Ja, aber er liebt Chris, da bin ich mir sicher! Und wer weiß, vielleicht will er ihn immer noch für sich haben." "Und dann meinst du, dass ein Mann, der sogar in der Öffentlichkeit steht, einen Killer anheuert, um den Freund seines Geliebten zu ermorden? No way!" "Ach, fuck! Ich weiß es doch nicht!" meckerte Jason leicht genervt. "Du wolltest jemandem mit einem Motiv und das ist der Einzige, der mir einfällt. Vielleicht ist das etwas weit hergeholt, aber sonst wüsste ich niemanden!" "Aber er ist doch seit Chris' Ausflug nach Dallas nicht wieder aufgetaucht. Das hat mir Chris erzählt", mischte sich Marcus ein, er hatte unbewusst nach Colins Hand gegriffen und hielt sie fest. "Ja, aber vielleicht hat er nur auf eine Chance gelauert... ach, was weiß ich... vielleicht war es auch ein Irrer, der mal aus Spaß jemanden abknallen wollte!" Jason kniff die Augen zusammen. "Colin, kannst du mit Marcus zu uns fahren und schauen, ob ihr Chris findet? Ich habe David versprochen, hier nicht weg zu gehen. Aber ich fühle mich wohler, wenn Chris bei mir ist." Der Junge nickte. "Sollte der Anschlag, gehen wir davon aus, dass es einer war, dir gegolten haben, dann lasse ich dich ohne Schutz sowieso nicht hier weg!" stellte Ash klar. Die beiden Teenager verabschiedeten sich, um zu Jason und Chris zu fahren. Als sie den Raum verließen, stand in diesem Augenblick ein Arzt vor der Tür. Ein Mann mit grauen Schläfen und einem militärischen Haarschnitt. Er hatte die Hände in den Taschen seines weißen Kittels. "Detective Cunningham?" Jason nickte. "Das bin ich." Er sah aus den Augenwinkeln, wie Jeremy aufstand. "Ich bin Doktor Mancini. Dürfte ich Sie kurz sprechen, ich brauche noch ein paar Informationen von Ihnen. Es gibt Komplikationen." "Was für Komplikationen?!" Doch der Arzt ignorierte Jeremy vollkommen, er nahm kaum Kenntnis von ihm. "Es ist nichts lebensbedrohliches, aber Sie sollten doch bitte mitkommen." "Wie Sie meinen", entgegnete Jason etwas verwirrt. "Ich bin gleich wieder da, wenn das in Ordnung ist." Ash nickte. "Hier im Krankenhaus ist das schon okay, denke ich." Der Polizist verließ mit dem Arzt den Raum. Jeremy setzte sich wieder hin. "Frechheit..." "Was erwartest du? Vielleicht solltest du ihm sagen, dass du Vanderveers Sohn bist, dann lassen sie dich vielleicht zu ihm!" Alex verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Warum verpestest du nicht woanders die Luft?!" Abby funkelte den dunkelhaarigen Mann wütend an. "Oh je, noch ein Mitglied im Vanderveer-Fanclub! Warum eigentlich, dich bumst er doch nicht, Abbylein?" "Das reicht, ich brauche frische Luft! Ich ertrage deine Gesellschaft nicht noch eine Sekunde länger!" Jeremy sprang auf und stürmte zur Tür. Kaum hatte er sie aufgerissen, stieß er beinahe mit einem Arzt zusammen, ein väterlich wirkender Mann mit schlohweißen Haaren und einem freundlichen Gesicht. "Entschuldigen Sie." Er schaute in die verdutzte Runde und erspähte Ashs Polizeimarke am Hosenbund. "Ich bin Doktor Pierce. Sind Sie Detective Cunningham?" Ash schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin sein Partner, Detective Tallman." "Nun, Detective, vielleicht können Sie mir weiterhelfen, es gibt gewisse Komplikationen beim Fall von Mr. Vanderveer." "Das wissen wir schon. Doktor Mancini ist eben mit Jason weg. Ich meine, mit Detective Cunningham." Der Arzt betrachtete Ash mit einem völlig verständnislosen Blick. "Entschuldigen Sie, bitte wer?" "Doktor Mancini. Mittelgroß, kurze Haare, graue Schläfen", erklärte der Polizist. "Detective, ich arbeite seit zehn Jahren in diesem Krankenhaus, hier gibt es keinen Doktor Mancini." Ashton schaute an seinen Gegenüber vorbei auf die Tür zum Flur. Plötzlich kam ihm ein schrecklicher Verdacht. "Verdammte Scheiße!" fluchte er. "Aus dem Weg!" Bevor der Arzt überhaupt reagieren konnte, stieß der blonde Mann ihn zur Seite, riss seine Waffe aus dem Halfter und rannte den Gang in die Richtung hinunter, in die Jason mit dem Arzt verschwunden war. Doktor Pierce sah ihm verstört hinterher. "Doktor! Was sind das für Komplikationen?" Jeremy schien den Tränen nahe. Der Arzt wandte sich ihm zu. "Sind Sie mit Mr. Vanderveer verwandt, mein Junge?" Alex prustete los. "Ja, er ist sein Söhnchen!" "Halt deine Schnauze, du Arschloch!" Abby ballte die Fäuste, ihr Gesicht war knallrot vor Wut. "Ich bin sein Lebensgefährte", erklärte der Tänzer ohne auf Alex zu achten. "Bitte, Doktor... ich liebe ihn, bitte sagen Sie mir, was los ist. Mit Jason hätten Sie doch auch geredet." Doktor Pierce nickte langsam. "Im Moment sieht es gut aus für Ihren Freund, aber er hat viel Blut verloren. Mr. Vanderveer hat eine recht seltene Blutgruppe und aufgrund eines großen Unfalls heute Morgen ist ausgerechnet die nicht mehr ausreichend in der Blutbank vorhanden. Es ist bereits ein Kurier losgeschickt worden, aber es wäre am besten, wenn die Infusion nicht unterbrochen werden müsste." "Sie meinen, dass einer von uns spenden soll?" "Nun, es wäre zumindest hilfreich." "Welche Blutgruppe hat er?" fragte Abby. "Mr. Vanderveer hat AB negativ." "Ich habe A positiv", gab Jeremys Freundin zur Kenntnis, was sie automatisch als Spenderin ausschloss, schon wegen der Unverträglichkeit der Resusfaktoren. "Und ich weiß meine nicht...", seufzte der Rothaarige selbst. Alex stand auf und strich sich ein paar Haare aus der Stirn. "Ich habe seine Blutgruppe." "Nein! Von dir kann er sich sonst was holen!" Der dunkelhaarige Mann zeigte Abby den Mittelfinger. "Es geht dich zwar nichts an, aber ich war letzte Woche erst zu einem Check-up im Rahmen meiner Therapie, ich bin absolut gesund." "Therapie?" mischte sich Doktor Pierce ein. "Er ist ein Junkie!" schnappte Abby. "Ich bin clean! Schon länger. Rufen Sie meinen Hausarzt Doktor Carlton an, wenn Sie sich davon überzeugen wollen. Fordern Sie meine Ergebnisse an." "Das werden wir tun", nickte der Arzt. "Und Sie wären bereit, Mr. Vanderveer Blut zu spenden." Die beiden Freunde sahen Alex an, besonders Jeremy mit einer vollkommen fassungslosen Miene. Der Dunkelhaarige ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. "Durchaus." "Dann folgen Sie mir bitte." Er schaute die anderen Beiden an. "Und sie Beide warten bitte hier. Ich komme zu Ihnen, sobald Mr. Vanderveer im Aufwachraum ist. Machen Sie sich keine Sorgen, er ist in fähigen Händen. Kommen Sie, Mr...?" "Stone", ergänzte Alex. Er ging ohne ein weiteres Wort an Jeremy vorbei zur Tür, Doktor Pierce war schon auf dem Flur. "Alex!" Der junge Mann drehte sich zu dem Tänzer um. "Danke...", sagte Jeremy leise. Alex schnaubte und ging, die Tür fiel hinter ihm zu. Jeremy und Abby blieben allein zurück. Wortlos trat die junge Frau zu ihrem besten Freund und schloss ihn in die Arme. Und in diesem Moment löste sich die ganze Anspannung in Jeremy und er sackte weinend zusammen. "Hier hinein, bitte." Doktor Mancini machte eine einladende Geste in Richtung einer Tür. Jason nickte. "Okay. Aber sagen Sie mir jetzt bitte endlich, was für Probleme mit David aufgetreten sind!" "Sofort, so etwas sollte man nicht auf dem Flur besprechen, kommen Sie in mein Büro." Der Polizist zuckte mit den Schultern und trat durch die Tür, dicht gefolgt von dem Arzt. Für einen Moment sah Jason nicht die Hand vor Augen, als die Tür hinter ihm zufiel. Es war stockdunkel. "Haben Sie keine Fenster in ihrem Büro? Was soll das hier?!" Das Licht ging an und Jasons Blick fiel auf Regale mit Kartons und medizinischem Bedarf. Das war kein Büro, sondern eine Abstellkammer. Bevor er weiter realisieren konnte, was überhaupt los war, traf ihn ein harter Schlag gegen den Hinterkopf. Jason sah Sterne und dann gar nichts mehr. Die Leute wichen erschrocken zurück, als der blonde Mann mit der eindrucksvollen Statur und gezogener Waffe den Krankenhausflur hinunter eilte. Der Polizist mahnte sich, Ruhe zu bewahren. Wenn er richtig lag, war Jason nichts ahnend mit dem Killer mitgegangen. Warum sonst sollte ein Arzt auftauchen, von dem in diesem Krankenhaus sonst niemand wusste? Er bremste und fasste eine Schwester am Arm, die vor Schreck aufschrie. Routiniert deutete Ash auf seine Marke. "San Francisco Police. Haben Sie hier einen Mann in Begleitung eines Arztes vorbei gehen sehen? Er hat ungefähr meine Größe und Statur, braune Haare, ist eigentlich nicht zu übersehen. Der Arzt hat graue Schläfen und einen militärischen Kurzhaarschnitt!" Die Schwester schien kurz zu überlegen. "Ja! Den habe ich gesehen. Einen so gut aussehenden Mann bemerkt man schließlich. Er ist dort entlang." Sie deutete in eine Richtung und Ash stürmte los, viel mehr als ein über die Schulter gerufenes Dankeschön bekam die Schwester nicht. Es ging um jede Sekunde. Jasons Bewusstsein strampelte in den dunklen Tiefen eines schwarzen Sees verzweifelt dagegen an, nicht völlig in der Finsternis zu versinken. Er spürte einen dumpfen Schmerz, an den er sich klammerte, um der Wirklichkeit nicht zu entgleiten. Langsam wurde der helle Fleck in der Ferne größer, so als würde er durch die zähe Brühe des Gewässers nach oben tauchen. Als er die Oberfläche seines Bewusstseins erreichte, verlor er für ein paar Sekunden die Orientierung. Vor seinen Augen drehte sich alles, ihm war schlecht. Sein Körper war schlaff und kraftlos. Langsam, ganz langsam gelang es ihm, klare Formen in seiner Umgebung wahr zu nehmen, den Schleier vor seinen Augen ein wenig zu lüften. Neben ihm kniete der Arzt und zog mit einer Spritze eine Flüssigkeit aus einer Flasche auf. Er hielt die Spritze ins Licht, die Nadel funkelte, ebenso wie die Tropfen, die auf seinen sanften Druck hin aus ihr heraus spritzten. Der Mann schob Jasons Ärmel hoch und klopfte auf die Ellebeuge, bis er eine Vene ausmachen konnte. "Gleich ist es vorbei, schön ruhig...", flüsterte er. Jasons Gedanken wirbelten durcheinander, die Eindrücke verschwammen. Die Nadel, die sich langsam seinem Arm näherte... er war in Gefahr. Mit aller Macht kämpfte er gegen die Taubheit seines Körpers an, nur von dem Gedanken beseelt, wieder bei Chris sein zu können. Ihm durfte nichts geschehen. Sein anderer Arm ruckte hoch und schlug dem vermeintlichen Arzt das Mordwerkzeug aus der Hand, erschrocken über die plötzliche Bewegung, konnte der Mann nicht mehr reagieren und die Spritze segelte in eine Ecke des Raumes. "Verdammter Drecksack! Krepier endlich!" Zwei starke Hände schlossen sich um Jasons Kehle und schnürten ihm die Luft ab. Der Druck auf seinen Kehlkopf wurde immer stärker. Der Polizist versuchte, mit seinen eigenen Händen an den Handgelenken des Anderen zu zerren, aber er war zu schwach. Sein Bewusstsein drohte wieder in den See zu stürzen, vor seinen Augen wurde es dunkel. In diesem Moment ging die Tür auf und ein Schrei hallte durch die Ohren des jungen Mannes. Eine Krankenschwester taumelte kreidebleich von der Tür weg. In der nächsten Sekunde schrie sie um Hilfe. Ash rannte auf die Schwester zu, die sich ängstlich an die Wand vor einer offenen Tür presste. Noch bevor er den Raum erreichen konnte, stürmte "Doktor Mancini" heraus, erblickte den blonden Mann und hetzte den Gang in die entgegengesetzte Richtung hinab. Mit wenigen Schritten erreichte Ashton den Raum und fand Jason am Boden kauernd. "Jason!" Der Polizist hielt sich den Hals mit den rötlichen Würgemalen und rang nach Luft. "Alles okay...", stöhnte er. "Schnapp ihn dir!" Eine Ärztin kam hinzu. "Was geht hier vor?" "Detective Cunningham wurde angegriffen! Kümmern Sie sich um ihn!" befahl Ash mit einem Deut auf seine Marke, nickte Jason zu und verließ die Kammer. Die Ärztin beugte sich über Jason, der seine Hand betrachtete, mit der er sich eben an den Hinterkopf gegriffen hatte. An den Fingern klebte Blut. Der Blick der Ärztin fiel auf die Spritze, die in der Ecke lag. "Detective, das ist wichtig: Haben Sie einen Einstich gespürt?" Jason schüttelte den Kopf und hatte sofort das Gefühl, er würde explodieren, so schmerzte er. "Zeigen Sie mir Ihre Arme." Der benommene Mann streckte der jungen Frau seine Arme entgegen, so dass sie diese auf Einstiche untersuchen konnte. "Da hatten Sie Glück im Unglück." Sie schaute auf die Schwester, die immer noch mit einem Packen Handtücher auf dem Arm wie eine Salzsäule da stand. "Holen Sie zwei Pfleger! Wir müssen Detective Cunningham in ein Behandlungszimmer bringen!" Claire Wentworth stieg die Stufen des Treppenhauses im Memorial Krankenhaus hinauf, natürlich hatte sie den Aufzug unten genau verpasst. Sie war eben in San Francisco angekommen, sogar direkt von der Arbeit losgefahren, in Erwartung eines schönen Abends im Kreis von Freunden. Auf das Wiedersehen mit Jason und Chris hatte sie sich schon lange gefreut. Es hatte perfekt gepasst, dass sie eben Ermittlungen in Los Angeles hatte beenden können, wo sie als Profiler tätig gewesen war. Sie war zwar eine Bundesagentin, aber ihre Kenntnisse im Bereich der Psychologie wurden innerhalb des Bureaus hoch geschätzt. Und was war aus dem Tag geworden? Sie hatte Jason im Department besuchen wollen und dort hatte man ihr mitgeteilt, dass Cunningham und sein Partner Ashton Tallman in einem Attentat ermittelten und im Memorial Krankenhaus waren. Der Name des Opfers hatte ihr das Blut in den Adern gefrieren lassen, kannte sie David Vanderveer doch noch von der Halloween Party als einen in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten und sehr sympathischen Mann. Sie hoffte inständig, dass sie nicht statt zu einer Geburtstags- zu einer Trauerfeier erschienen war. Ashton bog um eine Ecke und erkannte Mancini, der wie ein Irrer auf den Knopf des Aufzugs hämmerte. "Stehen bleiben! Polizei!" brüllte er. Der vermeintliche Arzt schaute zu ihm hinüber, entschied sich gegen den Lift und eilte stattdessen zur Tür des Treppenhauses. Ash folgte ihm, wobei er darauf achten musste, keine Patienten oder Personal über den Haufen zu rennen, die in Panik über den Flur drängten. "Stehen bleiben! Polizei!" Claire hörte die Worte genau, ihre Sinne waren vom Training beim FBI bestens geschult. Selbst die Stimme erkannte sie wieder, hatte sie sich doch mit dem Besitzer damals bei Jason unterhalten: Ashton Tallman. Die Agentin zog ihre Dienstwaffe, die sie glücklicherweise noch unter ihrem Mantel bei sich trug. Ash rammte mit der Schulter die Tür des Treppenhauses auf. Er hörte Schritte auf den Stufen, die sich eilig entfernten. Ein Blick in den Schacht zeigte ihm schnell, dass der Killerdoktor nach oben statt nach unten floh und er erkannte auch warum. Die Bundesagentin, die er auf Jasons Halloween Party kennen gelernt hatte, stürmte die Treppe empor, ihre Waffe im Anschlag. "Was ist hier los?!" "Später!" Ash deutete nach oben. "Wenn der uns durch die Lappen geht, ist Jason weiterhin in Gefahr!" Er setzte dem Angreifer nach, teilweise drei Stufen auf einmal nehmend, Claire hatte Mühe, dem blonden Mann zu folgen. Die Luft brannte in seinen Lungen, so strengte er sich an. Schließlich gelangte er durch eine Tür aufs Dach und musste, für einen Moment, von der plötzlichen Helligkeit geblendet, stehen bleiben. Endlich konnte er den Flüchtigen ausmachen, der über das Flachdach rannte. Das Krankenhaus hatte zwei separate Trakte, von denen jeder ein ebenes Dach mit einer Vielzahl an Röhren und Lüftungssystemen hatte. Diese behinderten Ash im Moment derart, dass er sich einen Schuss auf den Killer abschminken konnte, dafür wurde ihm dessen Ziel klar. Das andere Dach. Zwischen den Trakten klaffte eine Lücke von mindestens fünf Metern, nur überbrückt von einer schmalen Belüftungsröhre. Der Killer schwang gerade seine Beine über den Rand der Dachbegrenzung, um über genau diese Röhre zu balancieren. Der kann nur vollkommen wahnsinnig sein, schoss es Ash durch den Kopf. Er rannte los, kurz bevor Claire auf dem Dach auftauchte. "Stehen bleiben oder ich schieße!", wiederholte er noch einmal, obwohl er bezweifelte, dass es was brachte. Er hoffte, dass freies Schussfeld den Mann dazu bringen würde, sein Vorhaben aufzugeben, aber soweit kam es nicht. Noch bevor Ash freie Bahn hatte, glitt der falsche Arzt aus, ruderte für ein paar Sekunden mit den Armen und fiel. Als der Polizist den Rand erreichte, hing er strampelnd an der Röhre, viele Meter über dem Schrägdach des Verbindungstraktes. "Halten Sie durch!" rief Ash. "Ich helfe Ihnen!" Er stieg ohne groß nachzudenken auf das Geländer und wollte ebenfalls auf die Röhre gelangen. "Seien Sie vorsichtig!" Claire war bei ihm angekommen. Doch es war zu spät. Der Mann verlor den Halt und stürzte. Ash konnte ihm für einen Sekundenbruchteil in die weit aufgerissenen Augen sehen. Der Attentäter knallte auf das Dach weiter unten und rutschte wie ein grotesk verdrehter Frosch daran hinab, wobei er eine dünne Blutspur hinterließ. Er rollte über den Rand und fiel noch einmal ein ganzes Stück, bis der Beton des Vorplatzes seinen Sturz beendete. Ash schloss die Augen und stieg wieder vom Geländer herunter. Vor dem Krankenhaus sammelte sich eine Menschenmenge um den Auftragsmörder, der seinen letzten Anordnung mit dem eigenen Leben bezahlt hatte. Colin schloss den Wagen ab, während Marcus bereits die Treppe zu Jasons und Chris' Haus empor stieg und in seiner Tasche nach dem Schlüssel kramte. Mit einigen Schritten schloss der ältere Junge zu ihm auf. "Ich liebe dieses Haus! Wenn ich später mal einen gut bezahlten Job in der Filmbranche habe, kaufe ich für uns auch so eines!" Marcus musste lachen. "Und ich warte dann jeden Abend daheim auf dich, oder was? Ich hüte die Kinder, streiche unseren weißen Gartenzaun, wasche deine Wäsche, stopfe deine Socken und putze das Haus. Wenn du Heim kommst, wartet ein warmes Essen auf dich, danach massiere ich dir die Füße und dann haben wir exakt drei Minuten Sex bevor du wahlweise einpennst oder Football schauen gehst." "Du willst also Kinder?" grinste Colin und übersah absichtlich die restlichen Spitzen. "Okay, wie viele soll ich dir machen?" Der Blonde boxte ihn spielerisch in die Seite, wurde dann aber wieder ernst, als er den Schlüssel im Schloss drehte, plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen, dass sie in dieser Situation Witze rissen. Innerlich strahlte er allerdings. Denn gleichwohl ihr Dialog in Blödelei ausgeartet war, so war doch Colins erster Satz offenbar ernst gemeint gewesen, und das machte Marcus unsagbar glücklich. Wenn ein attraktiver Junge in Colins Alter bereits bei einer Beziehung so weit in die Zukunft dachte, konnte man ihn ja eigentlich nur als Hauptgewinn bezeichnen. Die Beiden betraten den Eingangsbereich und augenblicklich stürmte Batman auf sie zu. Der kleine Rüde überschlug sich fast, kaum war Marcus in die Knie gegangen, sprang er auch schon in seine Arme und winselte ängstlich. "Was ist denn mit ihm los?" "Ich weiß nicht...", sagte Marcus leise. "Chris?!" rief er dann laut ins Haus. "Chris?! Bist zu Zuhause?!" In der Wohnung blieb es still. "Chris?!" wiederholte Colin den Ausruf. Keine Antwort. "Ich sehe oben nach, du hier unten." Marcus stieg die Treppe hinauf, sein Freund ging vom Wohnzimmer aus in den Wintergarten hinüber. Die Sonne malte farbige Muster in den Raum, ihre Strahlen brachen sich funkelnd in den Buntglasfenstern. Auf dem gusseisernen Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch über die Geschichte der Vereinigten Staaten, das Chris für den bald beginnenden Unterricht brauchte. Daneben stand eine Teetasse samt Kanne, aus der kleinen Stereoanlage auf der Anrichte neben der Tür zur Küche spielte leise Musik, ein altes Album von Phil Collins. Der junge Mann warf einen Blick in die Tasse, sie war halbvoll. Auf dem Buch lag ein Textmarker, neongelb, mit offener Verschlusskappe. Colin ging in die Küche, auch sie war verwaist und sauber. Ein merkwürdiges Geräusch erregte seine Aufmerksamkeit, ein Rumpeln. Er lauschte angestrengt nach der Quelle und fand sie in der offenen Kellertür in der Ecke des Raumes. Der Junge trat näher heran und endlich erkannte er das Geräusch: Eine laufende Waschmaschine. Unwillkürlich musste er grinsen, drängten sich doch Assoziationen zu ihrer Frotzelei vor der Tür in seine Gedanke. "Chris?!" Der neunzehnjährige stieg die Treppe in den schummerigen Keller hinab, aber auch hier gab es nichts, außer der ratternden Waschmaschine und einer Menge Gerümpel. "Colin?! Wo steckst du?!" "Im Keller!" brüllte er nach oben. Marcus' schlanke Silhouette erschien im Gegenlicht der Kellertür. "Fehlanzeige, ob ist keiner. Aber dafür liegt sein Handy auf dem Bett, klar, dass ich ihn nicht erreichen kann." "Hier unten ist er auch nicht. Aber die Waschmaschine läuft und im Wintergarten ist das Radio an und eine angetrunkene Tasse Tee steht herum." Er verließ den Keller. "Aber er hat heute Geburtstag!" ergänzte Marcus, noch bevor Colin die Küche erreichte. Batman kauerte neben ihm. "Wo treibt er sich bloß rum?" "Wenn ich das mal wüsste." Marcus schauderte, er bekam eine Gänsehaut. Das Haus sah aus wie immer, kein Zeichen für etwas Ungewöhnliches, aber trotzdem war es so kalt hier. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Einem plötzlichen Bedürfnis folgend, schmiegte sich der blonde Junge an seinen Freund. Batman jaulte wieder leise. "Was ist hier nur los?!" flüsterte Marcus. Ash hörte schon von Weitem, in welchem Behandlungsraum sein Partner untergebracht war - an seiner erhobenen Stimme. Nach dem Fehlschlag auf dem Dach hatte er im Department angerufen, der Coroner war schon auf dem Weg, das Krankenhauspersonal hielt die Schaulustigen von der Leiche vor dem Haus fern. Der Cop ärgerte sich schwarz. Jetzt war diese Ratte tot und konnte ihren Auftraggeber nicht mehr verpfeifen. "Mir geht es gut! Ich habe jetzt keine Zeit für so einen Unsinn!" fluchte Jason. "Detective!" Ash und die Bundesagentin blieben belustigt in der Tür stehen, die im Raum anwesenden schienen sie gar nicht zu bemerken, kein Wunder, stritt sich doch die Ärztin mit ihrem störrischen Patienten, der auf der Behandlungsliege saß. "Detective, wir mussten Sie mit drei Stichen nähen, das ist nicht viel, aber der Schlag gegen Ihren Kopf war nicht ohne. Als Ihre behandelnde Ärztin rate ich Ihnen dringend dazu, das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Lassen Sie ein CT machen, um innere Verletzungen auszuschließen!" "Ich habe keine Zeit!" insistierte Jason erneut. "Nimm sie dir." mischte sich Ash ein. "Was bringt es uns, wenn wir uns noch mehr Sorgen um dich machen müssen?" Der Polizist schaute zuerst seinen Partner, dann die junge Frau hinter ihm, überrascht an. "Claire! Schön dich zu sehen!" "Das kannst du laut sagen, aber die Umstände sind doch etwas unglücklich." "Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?" Claire zückte ihren Ausweis und hielt ihn der Ärztin entgegen. "Special Agent Wentworth vom FBI." "Wo ist der Kerl?!" unterbrach Jason ungeduldig die Vorstellung. "Im Hof", bekam er von seinem Partner als Antwort. "Und was machst du dann hier?! Lässt du ihn entkommen?!" "Mach dir keine Sorgen." Ash zuckte mit den Schultern. "Der Aufzug war ihm zu langsam, deswegen hat er die direkte Verbindung genommen, Dach - Vorhof in wenigen Sekunden, nur mit einem Zwischenstopp auf dem Schrägdach des Verbindungstraktes." "Reizend!" lachte Claire. "Sie geben sich wirklich Mühe, in Detective Forbes Fußstampfen zu treten, Detective Tallman." Sie lächelte schief. "Was war eigentlich in der Spritze?" wandte sich Jason wieder an die Ärztin. "Spritze?" Ash schaute verdutzt zwischen den Beiden hin und her. "Bevor er versucht hat, mich zu strangulieren, wollte er mir etwas injizieren." "Um genau zu sein, wollte er Ihrem Partner eine gehörige Ladung Zyankali verpassen, er wäre fast augenblicklich ins Koma gefallen und sehr schnell gestorben." "Na das hat Stil..." Ash verdrehte die Augen. "Das Problem ist, dass wir die platte Flunder auf dem Pflaster draußen nicht mehr fragen können, wer ihm den Auftrag dazu gegeben hat." "Die Hauptsache ist doch erst einmal, dass es vorbei ist." "Sieh das nicht so leichtfertig, Jason." mahnte Claire. "Wenn das wirklich ein Auftragsmörder war, was sollte seinen Auftraggeber davon abhalten, den nächsten zu schicken?" "Wie wäre es fürs erste mit dem Tod von Jason?" "Drehst du jetzt vollkommen durch?!" Jason wedelte mit der flachen Hand vor seinem Gesicht. "Im Ernst! Einer aus der Pathologie schuldet mir noch einen Gefallen. Wir lassen die Leiche dieses Mistkerls als deine ausgeben, ich denke, dass derjenige, der ihn geschickt hat, zumindest kontrollieren wird, ob du wirklich tot bist", schlug Ash vor. "Meinen Sie wirklich, dass das reicht?" "Fürs Erste zumindest ja. Wir wissen ja, dass wir auf Jason aufpassen müssen, er hält sich eben bedeckt und vielleicht reicht die falsche Leiche im Leichenschauhaus aus, um uns zumindest etwas Zeit zu erkaufen." "Wenn überhaupt noch ein weiterer Killer aufkreuzt. Vielleicht hat sich das damit schon erledigt." Jason erhob sich. "Du und dein Vertrauen in die Zukunft...", ächzte Ash. "Auf jeden Fall will ich erst einmal nicht, dass du ins Anwesen zurück kehrst! Und Chris muss den Trauernden spielen, vielleicht wird euer Haus beobachtet." "Mir wäre wesentlich wohler, wenn Chris endlich bei mir wäre. Sind Colin und Marcus schon zurück?" "Bisher nicht... zumindest weiß ich nichts davon." In diesem Moment wurde die Tür des Behandlungszimmers beinahe aus den Angeln gerissen. Jeremy stand im Türrahmen, vollkommen außer Atem und mit Tränen im Gesicht. Jasons Herz setzte für ein paar Sekunden aus, plötzlich hatte er wahnsinnige Angst, dass der Tänzer mit der Nachricht kam, dass er eben seinen besten Freund für immer verloren hatte. Doch der Gesichtsausdruck des Rothaarigen erlöste ihn schnell. Jeremys Miene war voll von Erleichterung und Freude und das, obwohl immer noch Tränen über seine Wangen rannen. "Es ist alles okay! Er hat es überstanden!" Für einen Augenblick herrschte Stille, Jason musste das Gesagte erst einmal richtig realisieren. Es war vorbei. David lebte. Er lebte! Der Polizist riss seinen Partner an sich und umarmte ihn voller Freude. Ash wusste im erste Moment überhaupt nicht, wie ihm geschah, doch dann erwiderte er Jasons Geste. Dem brünetten Cop liefen Tränen übers Gesicht, er schluchzte unverblümt vor Freude. Jeremy schwebte im siebten Himmel. Sie alle warteten in der Nähe des Aufwachraumes, um sofort da zu sein, wenn David in sein Zimmer gebracht wurde. Der junge Tänzer konnte es immer noch nicht fassen. Keiner sagte etwas, aber auf allen Gesichtern war das Gleiche zu lesen. Freude. Die erste gute Nachricht des Tages, die selbst den zweiten Anschlag auf Jason in den Hintergrund drängte, der Polizist schien nicht einmal mehr daran zu denken. Ash hatte sich verabschiedet, er freute sich auch wegen David, aber er hatte gemeint, er müsse ein paar Sachen regeln und eine Möglichkeit finden, Jason so heimlich wie es ging aus dem Krankenhaus zu schaffen. Sein Partner sollte zunächst in seiner Wohnung unterkommen, so lange die Scharade mit der falschen Leiche andauerte. Abby hatte sich ebenfalls verabschiedet. Sie musste in ihrem Hotel einchecken, bevor man noch annahm, dass sie ihre Reservierung nicht antreten würde. Nachdem sie sich frisch gemacht hatte, wollte sie bei Ash vorbei schauen, sobald er und Jason dort waren. Jeremy tigerte ungeduldig auf dem Gang hin und her. "Jetzt bleib doch mal an einer Stelle stehen, du machst mich langsam kirre!" lachte Abby. "Ich bin so aufgeregt! Ich will endlich zu ihm!" Doch dann blieb er wirklich abrupt stehen, denn er hatte Alex entdeckt, der ein Stück entfernt im Gang stand und zu ihm hinüber sah. "Entschuldigt mich kurz..." Jeremy eilte zu seinem Exfreund hinüber, der sich allerdings in diesem Moment zum Gehen wandte. "Warte doch mal!" "Warum sollte ich?" "Jetzt tu nicht so theatralisch!" Jeremy hielt ihn an der Schulter fest. "Wenn du nicht mit mir reden wollen würdest, hättest du da nicht gerade den schweigsamen Beobachter markiert!" Alex blieb stehen, drehte Jeremy jedoch den Rücken zu. "Wie geht es Vanderveer?" "Er ist über den Berg... auch Dank dir..." Der Dunkelhaarige legte den Kopf in den Nacken und atmete schwer. "Alex..." "Hast du mir das wirklich zugetraut?" unterbrach er den Tänzer. "Hast du mir tatsächlich zugetraut, einen Menschen kaltblütig ermorden zu wollen? Hältst du mich für so widerlich?!" "Alex, nach allem, was du früher..." "Ich liebe dich, du dämlicher Idiot!" fiel er Jeremy erneut ins Wort. "Ich habe mein ganzes Leben für dich umgekrempelt! Ich weiß, dass ich viele Fehler habe, ich weiß, dass ich eine Menge Mist gebaut habe! Ich habe dich betrogen, dich sogar geschlagen, ich hab gesoffen und jeden Scheiß genommen, den ich in die Finger kriegen konnte, aber ich habe mich geändert! Und selbst damals hätte ich niemals jemanden getötet!" "Es tut mir leid, okay?" "Das sollte es auch!" Alex wirbelte herum. "Denn wenn hier jemand unfair war, dann du! Du hast mir Hoffnungen gemacht! Und dann wirfst du dich doch wieder ihm an den Hals! Weißt du, wie weh das tut?!" Jeremy antwortete nicht, er blickte zu Boden. "Und trotzdem habe ich ihm mein Blut gespendet. Ich hoffe, dass zeigt dir, dass ich kein psychopathischer Mörder bin, wie du es ja wohl von mir denkst." "Ich danke dir dafür... und David wird es sicher auch..." "Ich will deinen Dank nicht und erst recht nicht seinen!" Der junge Tänzer hatte plötzlich ein furchtbar schlechtes Gewissen. Er folgte dem Bedürfnis, sein Gegenüber einfach zu umarmen. Alex tat es ihm nicht nach. "Und trotzdem danke ich dir...", flüsterte Jeremy. "Ich danke dir von ganzem Herzen..." Ein paar Sekunden lang schienen seine Worte keine Wirkung zu haben, doch dann endlich erwiderte Alex die Umarmung. "Ist ja schon gut..." "Ich will nicht dein Feind sein, Alex, das habe ich nie gewollt. Ich wünschte, wir könnten Freunde sein... das wünsche ich mir wirklich. Ich hasse es, mit jemandem zerstritten zu sein." Der andere Mann löste sich von ihm, er lächelte. "Ich denke darüber nach, okay? Ruf mich an und sag mir, wie es Vander... wie es David geht. Vielleicht unternehmen wir mal was zusammen..." Jeremy lächelte ebenfalls und nickte nur. Alex tippte sich an die Schläfe und ging dann einfach. Er drehte sich nicht noch einmal um, sondern entfernte sich mit festen Schritten, den Gang hinab. Der Rothaarige sah ihm nach. Mit klopfendem Herzen betrat Jeremy das helle Krankenzimmer. Die Vorhänge vor den Fenstern waren weit geöffnet und ließen die Sonne hinein, man konnte von hier aus ein Stück über die Stadt sehen, in der Ferne erhoben sich die Türme des Financial District glitzernd in den blauen Himmel. David lag mit geschlossenen Augen im Bett, immer noch angeschlossen an einige Apparate. Auf Monitoren wurde sein Herzschlag und der Kreislauf überwacht. Als er den jungen Mann hörte, öffnete er langsam die Augen und lächelte. "Hi..." Seine Stimme klang kratzig und leise und er schien Mühe zu haben, überhaupt zu sprechen. Jeremy trat ans Bett heran und legte etwas scheu seine Hand auf Davids Finger, aus Angst, ihm vielleicht weh zu tun, wenn er an die Kanüle im Handrücken des Mannes käme. "Hi...", meinte auch er. "Entschuldige... ich bin noch etwas... etwas benebelt... die geben einem hier wirklich gutes Zeug, bis man da wieder aufwacht..." Und trotz der Situation erkannte Jeremy mit einem Mal wieder diesen schelmischen Glanz in den blauen Augen seines Freundes. Eines der vielen Sachen, die er so an David liebte. Er war Mitte dreißig, aber seine Augen waren oft noch die eines Lausbuben, der Streiche ausheckte, in ihnen lag gleichzeitig eine unbeschreibliche Wärme, die einem entging, wenn man keinen genauen Blick hinter die Kulissen des extrovertierten Mannes warf. Mit aller Kraft kämpfte der junge Tänzer gegen die Tränen an, so ganz gelang es ihm aber doch nicht, seine Augen wurden feucht. "Warum... weinst du...? Ist jemand... gestorben?" lächelte David. "Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren." "So schnell... wirst du... mich nicht los... vergiss es!" "Hast du Schmerzen?" David bewegte leicht den Kopf hin und her. "Nein... aber ich fühle... mich... total kaputt... müde..." "Du warst lange im OP... hast viel Blut verloren. Alex hat..." Jeremy brach ab. Natürlich wollte er David von Alex' Tat erzählen, aber er hielt es nicht für den richtigen Moment, weil er nicht abschätzen konnte, wie David darauf reagieren würde. "Hat er... geschossen...?" Jeremy schüttelte den Kopf. "Nein, hat er nicht. Aber das war auch das Erste, was ich gedacht habe. Ich bin sogar auf ihn los gegangen. Aber er ist unschuldig. Ruh dich erst einmal aus, es ist alles in Ordnung." "Danke..." "David...?" Sein blonder Freund sah ihn aus seinen leicht geschlossenen blauen Augen an. Jeremy hatte einen Kloß im Hals, seine freie Hand verkrampfte sich in sein Hosenbein. Er wollte David etwas sagen und gleichzeitig hatte er Angst davor. Aber der Drang es zu tun, war übermächtig, vor allem angesichts der Tatsache, dass er ihn beinahe verloren hätte. Als seine Lippen die Worte formten, betete er inständig darum, jetzt nicht alles zu zerstören. "Ich liebe dich." Der andere Mann öffnete ein wenig den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Jeremy rieb sich etwas verlegen über den Ausschnitt seines Shirts. "Ich erwarte nicht, dass du antwortest... ich meine... du musst nichts sagen... ich... ich wollte nur, dass du es weißt... mehr nicht..." David deutete ein Nicken an. Ein Klopfen an der Tür erlöste die beiden Männer aus ihrer Verlegenheit. Jason steckte den Kopf ins Zimmer. "Ich will nicht drängen, aber lange halte ich es nicht mehr aus, hier vor der Tür zu warten." "Komm rein, Jason", lächelte Jeremy. Er stand auf. "Ich lasse euch allein und sage Abby Bescheid. Sie ist auch hier." "Grüß sie... von mir... ja?" "Natürlich." Er beugte sich vor und gab David einen sanften Kuss auf die Lippen, dabei sah er ihm direkt in die Augen. "Ich wollte dich nicht bedrängen, denk das bitte nicht", flüsterte er. "Ich weiß", gab David ebenso leise zurück. Jeremy ließ die beiden Freunde allein und zog die Tür hinter sich zu. David lächelte Jason an, der auf dem Stuhl Platz nahm, den eben noch der Tänzer besetzt hatte. "Mein Lebensretter." "Ach, hör auf. Ich habe doch gar nicht viel gemacht." "Du warst... da... ich erinnere mich... noch an den Moment.... bevor ich ohnmächtig wurde..." Jason berührte ihn am Unterarm, er wollte nicht mehr an diesen Augenblick denken müssen. "Wie fühlst du dich?" "Matt... aber sonst gut... die haben hier schnuckelige Ärzte und Helfer... hier hätte ich früher... reiche Beute gehabt..." "Du denkst selbst im Krankenbett nur an das Eine, was?" David lachte heiser. "Soll ich mich... hängen lassen? Ich habe es... hinter mir... nur das zählt... Bald bin ich hier... wieder raus." "David?" Der Anwalt schloss die Augen. "Willst du mir... jetzt deine... Liebe gestehen, Sunshine?" "Hä?" fragte Jason mit einem Gesichtsausdruck völligen Unverständnisses. "Bloß ein Witz." Sein Freund verzog das Gesicht zu einer Grimasse, wurde dann aber wieder ernst. "Ich wollte mich... ich wollte mich bei dir entschuldigen." "Hä?" äffte David seine Reaktion nach, doch Jason ging nicht auf den Scherz ein. "Du liegst hier wegen mir... David, der Schuss galt nicht dir. Er war für mich bestimmt. Irgendjemand wollte mich umlegen und nur weil du diesem Fahrrad ausweichen musstest..." Seine Stimme wurde schwach. "Es tut mir so leid..." "Sunshine, rede keinen Unsinn..." David hustete, wobei er das Gesicht verzog, die Bewegung war schmerzhaft gewesen, trotz der Schmerzmittel. "Wofür solltest du dich... entschuldigen? Du hast weder gewusst, was passieren würde... noch hast du... etwas für diese Frau auf dem Fahrrad gekonnt und schon gar nicht... für den Schuss... das war eben Schicksal. Und besser... ich liege hier... als du tot auf dem Ghiradelli Square." "Aber ich..." "Kein aber!" unterbrach David schon viel munterer. "Schluss jetzt!" Jason lächelte dankbar und gab dem Bedürfnis nach, David einen Kuss auf die Wange zu geben. "Ich bin so froh, dass du nicht..." "Mich wirft so leicht... nichts um. Unkraut vergeht nicht." Jason erhob sich. "Ich werde dich noch etwas ausruhen lassen. Schwester Rabiata da draußen ist eh schon sauer, weil mehr als einer zu dir wollte. Ich muss mich sowieso mal umsehen, ob Ash schon wieder da ist... Oder Marcus und Colin endlich mit Chris gekommen sind." Sein Blick fiel auf das Telefon neben dem Bett. "Soll ich deine Eltern anrufen?" David überlegte kurz, schüttelte dann aber kaum sichtbar den Kopf. "Nein. Sie sollen sich nicht... unnötig aufregen. Sonst kommen sie noch hierher und meine Mutter... stirbt Tausend Tode vor Sorge." "Wie du meinst." Jason wandte sich zum Gehen. "Werde schnell wieder gesund, hörst du?" "Ein Befehl?" "Nichts anderes", lächelte der Cop. "Bis später." David hob zur Verabschiedung ein wenig die Hand mit der Kanüle. Die Tür fiel zu und er war wieder allein. Obwohl die Rückstände der Betäubung immer noch wie Nebelschwaden in seinem Kopf herum zogen, konnte er nur an eines denken. Jeremy hatte ihm seine Liebe gestanden. Nicht nur, dass er ihn mochte oder ähnliches, er hatte die drei magischen Worte gesagt. Und was hatte er getan? Nichts. Kein Wort hatte er heraus bekommen, als ob seine Kehle zugeschnürt gewesen wäre. Warum, wusste er selbst nicht genau. Tief in seinem Herzen war ihm klar, dass er für Jeremy ebenso empfand. Er liebte den jungen Mann, sonst hätte er auch nie die Kraft gefunden, über seinen Schatten zu springen. Aber weiter konnte er einfach noch nicht. Vor ihm lag die dunkle Schlucht seiner Ängste, die Kluft, die Jack mit seinem Verhalten in Davids Gefühle geschlagen hatte. Er hatte es beim letzten Mal geschafft, sich wieder nach oben zu ziehen, nicht hinein zu fallen. Sein neues Leben hatte er ohne die offenen Gefühle gelebt, die auf der anderen Seite lagen. Und er brachte es nicht übers Herz, den Sprung hinüber zu wagen und zu hoffen, dass Jeremy ihm die Hände entgegen streckte. Er hatte Angst, dass er doch wieder nur fallen würde. Und noch einmal, würde er das nicht verkraften... Ash erwartete Jason bereits auf dem Flur. Er hatte einen schwarzen Pulli dabei, den er seinem Partner reichte. Jason zog sich das blutige Shirt über den Kopf, um das andere Kleidungsstück anzuziehen und dachte dabei überhaupt nicht darüber nach, wo er war, er war einfach nur froh, aus dem alten heraus zu kommen. Abby pfiff anerkennend durch die Zähne und bekam dafür einen Klaps von Jeremy, eine junge Krankenschwester, die eben vorbei ging, lief hochrot an und war sichtlich bemüht zu verbergen, dass sie den Cop angestarrt hatte. Ash grinste nur. "Freizügig, mein Guter." Der andere Polizist knurrte und überging die Scherze auf seine Kosten. "Gibt es was Neues?" "Wir sollen so schnell es geht aufs Department kommen. Der Chief will mit uns reden." "Er will sicher die weitere Vorgehensweise klären." "Mag sein. Außerdem habe ich die Sache mit der Leichenhalle abgeklärt. Fürs Erste wird dein Name in den Akten der Leiche eingetragen. In der Lobby warten zwei Cops, die dich unauffällig ins Department und danach in meine Wohnung bringen. Du solltest dich bedeckt halten, bis wir mehr wissen." "Das kann ja heiter werden... ich bin gespannt, was Chris zu der ganzen Sache sagt... schließlich muss er auch noch meinen trauernden Witwer spielen, falls unser Haus überwacht werden sollte." "Vielleicht klärt sich die Angelegenheit schneller, als du denkst." Weiter konnten sie nicht reden, denn Marcus und Colin kamen den Gang entlang auf sie zu. Der blonde Junge eilte voraus. "Wie geht es David?" rief er schon aus einiger Entfernung. "Alles klar", lächelte Jason. Die Gesichter der Beiden hellten sich deutlich auf. Marcus lief zu Jeremy hinüber und umarmte ihn überschwänglich. "Ich bin wirklich froh!" "Danke, Marcus." Der Tänzer klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken. "Ich bin auch froh darüber." Colin blieb ein Stück von Jeremy entfernt stehen. Der Rothaarige sah ihn an, als Marcus sich von ihm löste, und schien zu überlegen, was genau er sagen sollte. Schließlich war es nicht mehr als ein leises "Danke", bevor er seinen Blick von Marcus' Freund abwandte. Jason konnte sich denken, warum ihm Colins Anwesenheit peinlich zu sein schien, sagte aber nichts. "Was ist denn mit deinem Kopf passiert?", fragte Marcus verdutzt bei Jasons Anblick. "Nicht wichtig... ist schon okay. Wo ist Chris?", wollte dieser stattdessen wissen. Marcus' Miene verfinsterte sich wieder. "Er war nicht daheim. Es war niemand da. Ich erreiche ihn auf seinem Handy nicht, weil es im Schlafzimmer bei euch auf dem Bett liegt. Dafür lief die Waschmaschine im Keller immer noch. Wir haben Batman mitgenommen, er schläft im Auto. Der Kleine war vollkommen verstört." Jason spürte, wie sich Angst wie eine eiskalte Hand um sein Herz legte. Da stimmte etwas nicht, das wusste er sofort. Chris war etwas zugestoßen. "Ich muss ihn suchen!" Ash packte ihn am Arm. "Du musst gar nichts, verstanden? Du fährst jetzt mit mir zum Department und dann in meine Wohnung! Dann werde ich losziehen und Chris suchen." "Ash! Hast du nicht gehört, was Marcus gesagt hat?! Kommt dir das nicht komisch vor?!" Er ballte die Fäuste. "Je länger ich darüber nachdenke, umso sicherer bin ich, dass Dave Jerrod was damit zu tun hat!" "Jason, nicht schon wieder!" "Verdammt noch mal! Sind das nicht ein paar Zufälle zuviel?! Der Mann, den dieser Kerl liebt, verschwindet am gleichen Tag, an dem auf dessen Freund ein Mordanschlag verübt wird?!" "Zugegeben, das ist schon arg seltsam, aber wir sollten trotzdem keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir fahren jetzt zum Department und dann sehen wir weiter, okay? Außerdem gilt eine Person erst nach vierundzwanzig Stunden als vermisst. Vielleicht ist Chris einkaufen, in der Bibliothek zum Lernen oder sonst wo!" Jason lenkte ein, auch wenn es ihm sichtlich schwer fiel. Er nickte nur etwas resigniert, bevor er sich Marcus und Colin zuwandte. "Was ist mit euch?" "Ich bringe Marcus nach Hause", antwortete Colin. "Nein!" Der blonde Junge nahm seine Hand. "Lass mich bitte mit zu dir fahren. Ich rufe meine Eltern von dort aus an. Es ist Samstag und ich will heute nicht allein sein." Colin nickte und legte seinen Arm um seinen Freund. "Ich bleibe noch hier", erklärte Jeremy ungefragt. "Ich auch. Ich habe eine Freundin, die hier auf der Kinderstation arbeitet, ich schaue mal bei ihr vorbei, dann muss ich Jem auch nicht allein lassen." Abby lächelte den Rothaarigen an, der die Geste dankbar erwiderte. Damit war alles beschlossen. Die Gruppe verabschiedete sich voneinander und in der Lobby trennten sich dann auch die Wege von Jason, Ash und den beiden Jungen. Während Ash in seinem eigenen Auto zum Department fuhr, nahmen zwei zivile Cops Jason durch einen Nebenausgang mit zu ihrem Wagen. Marcus sah dem Polizisten nach und sendete ein Stoßgebet zum Himmel, dass Chris bald wieder auftauchen möge, dann folgte er seinem Freund zum Parkplatz. David lachte laut auf. Die Vorstellung, wie Jeremy sich wie ein Berserker auf Alex gestürzt hatte, amüsierte ihn. Der Tänzer war nun schon fast eine dreiviertel Stunde bei ihm und die Stimmung hatte sich deutlich verbessert. Vielleicht auch deswegen, weil Jeremy den Vorfall mit den drei Worten einfach zu übergehen schien. Er war mit einem Blumenstrauß aus dem Geschenkladen im Foyer wieder zu seinem Freund gekommen und hatte getan, als wäre nie etwas geschehen, wohl um David zu zeigen, dass er ihn wirklich nicht bedrängen wollte. Doch irgendwie war er mit der Situation so nicht zufrieden, es schien zwischen ihnen zu stehen und das wollte David nicht zulassen. Deswegen fasst er sich ein Herz und schnitt das Thema selbst noch einmal an. "Jeremy... wegen vorhin..." Der Rothaarige schluckte. Seine gute Laune fiel von ihm ab. "David... bitte, vergiss es einfach, es ist nicht wichtig." "Doch, natürlich!" widersprach sein Freund. "Ich will nicht, dass du denkst, ich würde dich nicht ernst nehmen, es ist nur..." Jeremy schaute ihn unsicher an. "Ja?" David suchte nach den richtigen Worten, er wollte auf keinen Fall einen Fehler machen. "Gib mir Zeit... ja? Ich brauche etwas Zeit. Die Sache mit der Beziehung war schon ein großer Schritt für mich... so komisch das auch klingen mag. Ich bin sehr glücklich mit dir... aber ich... ich kann einfach nicht... noch nicht..." Er brach ab, angesichts seines Gestotters. "Tolle Leistung... und ich will Anwalt sein... Ich sollte besser mit Worten umgehen können." Jeremy lächelte und nahm seine Hand, diesmal die andere, ohne Kanüle. Er hatte die Seite des Bettes gewechselt. "Ist okay. Ich verstehe, was du meinst. Du hast alle Zeit der Welt, David. Alles was für mich zählt, ist in deiner Nähe zu sein." Sein Gesicht verriet, dass er das ehrlich meinte. Ihm wurde ganz warm ums Herz. David hatte ihm eben auf seine unbeholfene Art gezeigt, wie viel er ihm bedeutete und das allein war schon ein wunderbares Geschenk. Da brauchte es kein "Ich liebe dich" unter allen Umständen. David lächelte nur dankbar und ein Hauch von Röte zeigte sich auf seinem noch blassen Gesicht. Ein seltener und unglaublich niedlicher Anblick, wie Jeremy fand. Wieder war es die Tür, die den Moment der Innigkeit unterbrach, nur betrat diesmal nicht Jason, sondern ein Arzt nach kurzem Klopfen den Raum. Jeremy erkannte den gleichen Arzt, der sie nach einem Blutspender gefragt hatte. "Dürfte ich kurz stören? Ich müsste mit Ihnen allein reden, Mr. Vanderveer." Jeremy stand auf. "Ich werde Abby suchen und mit ihr in der Kantine was zu Essen auftreiben." David nickte. Sein Freund wandte sich zum Gehen, überlegte es sich dann doch anders und gab David einen Kuss, bevor er an dem Arzt vorbei ging. Doktor Pierce schaute kurz zur Tür und trat dann näher an das Bett des Anwalts heran. "Ein sehr netter junger Mann." "Warum betonen Sie das "jung" so merkwürdig, Doktor? Er ist volljährig, falls sie etwas anderes denken." Davids Ton klang lauernd. "Keineswegs, Mr. Vanderveer. Sie Beide scheinen sehr glücklich zu sein. Es gibt so viele Männer, die mit viel jüngeren Frauen zusammen sind, warum sollten das nicht auch homosexuelle Paare dürfen?" "Ich möchte nicht unhöflich sein, Doktor, aber sind Sie hierher gekommen, um mit mir Konversation über mein Liebesleben zu führen?" Doktor Pierce seufzte. "Ich wünschte, ich wäre es, Mr. Vanderveer, aber ich muss mit Ihnen etwas Anderes besprechen. Wir haben bei der OP festgestellt, dass die Kugel, die sie getroffen hat, ihren Körper nicht glatt durchschlagen hat. Sie hatten Glück, dass keine Organe lebensgefährlich verletzt wurden, aber die Kugel ist an einer ihrer Rippen abgeprallt und dabei gesplittert." "Gesplittert...?" Der Arzt nickte langsam. "Fragmente des Geschosses haben sich in Ihrem Körper verteilt. Wir haben alle entfernen können, bis auf eines." David wurde schwindelig. Er konnte nichts erwidern, hinter seiner starren Miene wallte Panik auf, die er mit aller Macht unterdrückte. Nur die Kurve des EKGs strafte mit ihrem stärkeren Ausschlag seine betonte Ruhe Lüge. "Das Fragment steckt in Ihrem Rückenmark. So lange es sich dort befindet, kann es je nach Position dafür sorgen, dass es zu temporären Lähmungserscheinungen, vor allem in Ihrem Armen, kommen kann." "Kann man es entfernen?" fragte David mit absolut emotionsloser Stimme. Der Arzt nickte erneut. "Wir konnten diese Operation nicht sofort durchführen, weil wir dafür Ihr Einverständnis brauchen, denn es gibt gewisse Risiken." "Welche?" David antwortete wie eine Maschine. "Diese Operation ist bis heute sehr kompliziert. Je nachdem wie lange wir damit warten, besteht zu einem gewissen Grad das Risiko, dass sie nach der Operation vom Hals abwärts gelähmt sein werden. Im Moment fünfzig Prozent, vielleicht vierzig." Für David schien für einen Augenblick die Zeit stehen zu bleiben. Die Worte des Arztes brauchten etliche Sekunden, bis sie endgültig zu seinem Gehirn durchdrangen. Dann schlug er die Augen nieder. "Niemals." sagte er mit fester Stimme. "Dieses Risiko gehe ich nicht ein! Dann lebe ich lieber mit temporären Lähmungen." "Mr. Vanderveer." Der Arzt schien betroffen, obwohl er wohl häufig solche Situationen erlebte. "Sie wissen noch nicht alles. Wenn Sie den Splitter nicht entfernen lassen, dann wird er innerhalb Ihres Rückenmarks wandern. Die Dauer und die Häufigkeit der Lähmungsanfälle können dadurch zunehmen und dann ist es nur eine Frage der Zeit bis..." Er hatte sichtlich Mühe, David in die Augen zu sehen. "Bis Sie sterben." ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Und ich sollte mich wahrscheinlich allmählich ins Zeugenschutzprogramm aufnehmen lassen *lol* Bitte verzeiht mir, aber ihr müsst euch daran gewöhnen, jetzt beginnt die Zeit der Cliffhanger. Die nächsten Kapitel werden wieder etwas actionreicher und gerade die Situation mit David schreit geradezu nach offenen Enden. Angesichts des tragischen Endes im letzten Kapitel, ist gerade mal einer Leserin die Szene mit Chris und der Haustür spanisch vorgekommen, nur Silent-Voice stellte da Vermutungen an. Was nun wirklich mit dem blonden Engel passiert ist, erfahrt ihr aber erst im nächsten Kapitel ^^ *diabolisch lach* Eigentlich sollte das schon hier geschehen, aber ich habe mich dann doch dagegen entschieden. David ist also über den Berg und irgendwie doch wieder nicht. Er steht nun vor der Entscheidung, sich operieren zu lassen oder dem Tod ins Auge zu sehen. Alex macht eine 180 Grad Drehung und wird zum großen Retter, nachdem im letzten Kapitel jeder ihn für den Schützen hielt... was durchaus beabsichtigt war und herrlich aufgegangen ist, niemand kam auf die Idee, in Jason das eigentliche Ziel zu sehen *gggg* Das Kapitel zog sich ansonsten zäh wie Kaugummi, erst gegen Ende platzte der Knoten plötzlich (Dank meiner Retterin Alaska *knuffs*) und ich habe bis drei Uhr nachts die letzten fünf Seiten getippt ^^ Also weiter geht's beim nächsten Mal ^^ Euer Uly Kapitel 29: Run, Chris, run! (Part 3 of 5) ------------------------------------------ "Wie lange?" David hörte sich selbst die Frage stellen. Es kam ihm vor, als habe er seinen Körper verlassen und schaue auf sich selbst und den Arzt herab. Seine ganze Welt zerbrach in diesem Moment in Stücke. Ganz langsam bekam sie Risse und bröckelte, was übrig blieb, war Leere. Doktor Pierce rückte seine Brille gerade. "Von der momentanen Position zu schließen... ich würde sagen, ein halbes Jahr, vielleicht etwas mehr." "Ein halbes Jahr...", wiederholte David ohne eine Emotion in der Stimme. "Mr. Vanderveer, ich kann Ihnen nur dringend raten, sich dieser Operation zu unterziehen. Sie rettet Ihnen das Leben. Und ist das nicht die Hauptsache?" David schüttelte den Kopf. "Doktor, würden Sie eine völlige Lähmung vom Hals abwärts als Leben bezeichnen? Ans Bett gefesselt zu sein, gefangen im eigenen Körper?" "Es ist ja nicht gesagt, dass Sie danach gelähmt sind", widersprach der Arzt. "Fifty-Fifty nenne ich nicht gerade hoffnungsvoll!" "Mr. Vanderveer, bedenken Sie bitte die Tragweite Ihrer Entscheidung. Sie sind fünfunddreißig, bei bester Gesundheit und leben in einer Beziehung." "Lassen Sie Jeremy gefälligst da raus! Das hat nichts mit ihm zu tun!" "Hat es das nicht? Mr. Vanderveer, Sie müssen sich im Klaren darüber sein, dass die Entscheidung gegen diese Operation Ihren Tod bedeutet! Und eines sage ich Ihnen, der wird nicht friedlich sein." Der blonde Mann schaute den Arzt mit einem geradezu kindisch trotzigen Blick an. "Doktor Pierce, meine Entscheidung steht fest. Ich werde nicht riskieren, den Rest meines Lebens ans Bett gefesselt zu sein! Das ist es nicht wert! Dann genieße ich lieber die Zeit, die mir noch bleibt." Die Schultern des anderen Mannes sackten regelrecht herab. Vollkommen resigniert schob er erneut sein Brillengestell zurück auf die Spitze des Nasenrückens. "Ich kann Sie nicht zwingen, aber ich möchte Ihnen empfehlen, diese übereilte Entscheidung noch einmal zu überdenken. Vielleicht besprechen Sie das mal mit Ihrem Freund oder mit dem Herrn von der Polizei, der Sie hierher gebracht hat. Er schien mir ein guter Freund von Ihnen zu sein. Wenn Sie mit den Menschen reden, die Ihnen etwas bedeuten, dann..." "Kein Wort davon verlässt dieses Zimmer!" unterbrach David. Der Arzt reagierte mit einem ungläubigen Blick. "Haben Sie mich verstanden, Doktor? Ich bin Anwalt, ich kenne jedes Detail der Schweigepflicht. Kein Wort, zu niemandem. Weder zu Detective Cunningham, noch zu meinem Freund!" "Sie wollen das ganz mit sich allein ausmachen?" keuchte Pierce bestürzt. "Mr. Vanderveer, das ist der falsche Weg, Sie sollten..." "Das ist meine Sache!" fiel David erneut ins Wort. "Und jetzt lassen Sie mich bitte allein. Ich möchte meine Ruhe haben." Der Arzt nickte und ging mit hängenden Schultern in Richtung Tür. Er hatte etwas von einem getretenen Hund. Bevor er die Tür öffnete, blieb er noch einmal stehen und wandte sich zu David. "Denken Sie noch einmal darüber nach. Die OP kann jederzeit durchgeführt werden, aber je länger Sie warten, umso höher ist das Risiko." Damit verließ er den Raum. David legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein, er ignorierte dabei die Schmerzen, die durch seinen Oberkörper flammten, jetzt, da die Wirkung des Schmerzmittels nicht mehr hundertprozentig war. Ganz langsam wurde ihm klar, was gerade geschehen war. Er hatte sein eigenes Todesurteil unterzeichnet. Der Schuss war nicht tödlich gewesen, aber seine Nachwirkungen würden es sein. Und trotzdem betrachtete er seine Entscheidung als richtig. Niemals würde er zulassen, anderen soviel Mühe zu machen, und noch weniger war er bereit dazu, eine völlige Abhängigkeit von anderen zu akzeptieren. Seine Augen brannten und das Zimmer verschwamm leicht, aber er erlaubte den Tränen nicht sich ihren Weg zu bahnen. Mit seiner ganzen Kraft, drängte David sie zurück, wischte sich die ersten feuchten Spuren mit der freien Hand weg. Die Tür wurde geöffnet und Jeremy kam herein, gefolgt von Abby. Der junge Mann trug ein Tablett mit drei Sandwiches und Kaffeebechern. "Zimmerservice!" flötete Abby. "Wir haben nachgefragt, wenn du möchtest, kannst du ein Sandwich essen, nur auf Kaffee musst du leider verzichten, aber wir haben ganz leckeren Kamillentee für meinen Süßen!" Jeremy zwinkerte ihm zu. David sah das Grinsen der Beiden, spürte die Freude, die sie ausstrahlten und die sie offenbar an ihn weitergeben wollten. "Alles okay?" War es das? Nein, gar nichts war okay. "Ja, alles okay", antwortete David. Jason trommelte nervös mit den Fingern auf die Armlehne des bequemen Stuhls vor dem Schreibtisch seines Chiefs. Er und Ash warteten nun schon eine ganze Weile auf den Obersten des Departments. Sie hatten sich durch die grüne Hölle seiner Sekretärin, Mrs. Hoover, gekämpft, deren Dschungel aus Grünpflanzen von Woche zu Woche dichter zu werden schien. "Wenn du nicht gleich damit aufhörst, muss ich dir leider wehtun...", zischte Ash zu ihm hinüber. "Ich bin nervös." "Und mich machst du nicht nur nervös, sondern aggressiv, mit diesem Getrommel!" Jason wollte zur Antwort ansetzen, als die Tür aufging. Die beiden Männer sprangen auf, als der Chief das Büro betrat, hinter ihm niemand anders als Detective Rodriguez. "Was will der denn hier?" rutschte es Jason heraus. "Was er hier will, werden Sie schon gleich sehen, Cunningham!" gab Rodriguez zurück. "Meine Herren, bitte. Setzen Sie sich." Die drei Männer nahmen Platz, während sich Chief Carter, ein beeindruckender Mann Anfang fünfzig, ihnen gegenüber in seinem Stuhl niederließ. "Ich bin froh, Sie wohlauf zu sehen, Detective", begann er an Jason gerichtet. "Detective Tallman hat uns alles über den Anschlag im Krankenhaus erzählt. Ich hoffe, ihrem Freund geht es auch gut?" "Den Umständen entsprechend, ja. Danke, Sir." Carter nickte. "Nun, ich denke, Sie alle wissen, warum wir hier sind. Ein Mordanschlag auf einen Polizisten ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Unsere Stadt lebt vom Tourismus und wir können von Glück sagen, dass der Täter bereits geschnappt ist. Schlagzeile über einen Heckenschützen würde uns der Bürgermeister niemals verzeihen. Wobei "geschnappt" natürlich das falsche Wort ist, ist unser Schütze ja bedauerlicherweise tot." "Allerdings habe ich einen Verdacht, wer den Kerl geschickt hat, Sir." "Jason!" mahnte Ash, er wusste genau, auf wen sein Freund hinaus wollte. "Was? Ich werde das ja wohl noch mitteilen dürfen." "Wie dem auch sei." Der Chief unterbrach den Dialog mit fester Stimme, die Jason und Ash sofort zum Verstummen brachte. "Ich habe Sie hierher geholt, um Ihnen mitzuteilen, dass die Ermittlungen in diesem Fall von Detective Rodriguez geführt werden." Jason spürte, wie sämtliche Farbe aus seinem Gesicht wich. Ohne es unterdrücken zu können, wandte er sich mit fassungslosem Gesicht dem verhassten Kollegen zu, der schadenfroh grinste. "Sir, warum das? Es war unser Fall!" ereiferte sich Ash, auch ihm stank diese Entscheidung deutlich. "Detective Rodriguez hat mich davon überzeugt, dass Sie beide in diesem Fall nicht mit der nötigen Distanz und Objektivität zu Werke gehen können. Schließlich ist Detective Cunningham direkt betroffen und durch Ihre unorthodoxe und eigenmächtige Aktion mit dem gefälschten Totenschein außer Gefecht gesetzt, Detective Tallman. Und allein diese Handlung zeigt mir schon, dass Sie für diesen Fall emotional zu sehr involviert sind." "Ich bin was?! Nur weil ich meinen Partner und guten Freund auf diese Weise schützen wollte?!" Ash wurde laut. "Außerdem habe ich bereits einen eindeutigen Verdacht, der davon untermauert wird, dass mein Freund verschwunden ist!" fügte Jason hinzu. Rodriguez zischte etwas, das wie "Schwuchtel" klang, aber es war zu undeutlich, als das der Chief es beachtet hätte. "Meine Entscheidung steht fest, Detectives. Besprechen Sie alles weitere mit Detective Rodriguez. Er wird Sie dann sicher über den Fall auf dem Laufenden halten." "Aber natürlich, Sir", schleimte der unsympathische Cop. "Sir, bitte, ich..." "Das wäre alles, Detective Cunningham." "Sir!" Ash berührte Jason am Arm. "Gib es auf." Er erhob sich und Rodriguez und schließlich auch Jason folgten seinem Beispiel. Zu dritt verließen sie den Raum. Kaum hatten sie das Dickicht des Vorzimmers hinter sich gelassen und waren ins Großraumbüro gekommen, platzte Jason der Kragen. "Was soll die Scheiße, Rodriguez?!" "Jason!" Ash wollte seinen Partner darauf aufmerksam machen, dass er dermaßen laut war, dass alle Köpfe im Büro sich in ihre Richtung drehten, doch Jason beachtete ihn gar nicht. "Was bilden Sie sich ein, uns den Fall wegzunehmen?!" "Das war der Chief, nicht ich!" "Ach, Haarspalterei! Das ist unser Fall! Es geht hier schließlich auch um meinen Freund!" "Unsinn! Was hat es mit diesem Fall zu tun, dass sich Ihr kleiner Betthase wahrscheinlich einfach nur einen anderen Stecher gesucht hat und abgedampft ist?!" "Wichser!" Jason packte den Detective am Kragen und rammte ihn mit voller Wucht gegen die Wand. Er holte aus, um seine Faust in das Gesicht seines Gegenüber krachen zu lassen, doch Ashs Hand schnellte vor und packte ihn am Arm. Jason funkelte seinen Partner an, in seinen Augen glomm rasende Wut, doch Ash schüttelte nur den Kopf. Widerwillig senkte Jason den Arm wieder und ließ Rodriguez los. Dieser gewann sofort wieder Oberwasser und rückte grinsend seine Kleidung zurecht. "Und das nennen Sie emotional nicht involviert!" "Wir besprechen das unter uns!" beschloss Ash, er schob Jason in Richtung von Rodriguez' Büro. Als die Tür hinter ihnen zufiel, ließ der Latino auch mit einem Mal seine scheinheilige Maske fallen. "Dein Glück, dass du so einen klugen Partner hast, Schwuchtel! Wenn du mich anfasst, hetze ich dir eine Disziplinaruntersuchung auf den Hals!" "Soviel Professionalität, wirklich beeindruckend, Rodriguez!" schnappte Ash mit verschränkten Armen. "Tallman... wie immer gleich zur Stelle, wenn es darum geht, für die Rechte der Tunte ein zu stehen. Was kriegst du dafür? Bläst er dir einen?" "Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein!" Jason wollte sich auf den Detective stürzen, doch wieder war Ash schneller. "Jason! Verdammt, reiß dich zusammen. Das will er doch nur!" Während der blonde Mann seinen Partner unter Kontrolle hielt, ging Rodriguez seelenruhig um seinen Schreibtisch herum und setzte sich. "Würden die Herren, ich meine natürlich der Herr und die Tunte, bitte mein Büro verlassen, ich habe zu arbeiten!" "Das ich nicht lache!" schrie Jason ihn an. Er gönnte Rodriguez den Triumph nicht, aber er konnte sich einfach nicht beherrschen. Die letzten Stunden hatten ihn zu sehr mitgenommen und die Angst um Chris machte ihn schier wahnsinnig. "Wie sollen die Ermittlungen in meinem Fall denn aussehen?!" "Nun ja... ich werde ein paar Zeugen befragen... hier und da... aber der Attentäter ist schließlich tot und die Schwuchtel im Krankenhaus lebt auch noch... ich denke, ich werde dem Chief recht schnell mitteilen können, dass die Ermittlungen leider ins Leere laufen. Wahrscheinlich war der Auftraggeber sowieso einer von deinen hysterischen Tuntenfreunden. Vielleicht einer, dem du deinen Arsch nicht hinhalten wolltest!" "Es reicht jetzt!" donnerte Ash, er war knallrot vor Wut, schließlich gingen die vielen schwulenfeindlichen Bemerkungen eigentlich auch gegen ihn. "Und was soll dann aus Chris werden?! Du verdammtes Arschloch, du kannst die Ermittlungen nicht einfach schleifen lassen!" Rodriguez grinste Jason breit an. "Wie ich bereits sagte, Cunningham, deine kleine blonde Tucke wird sich wohl einen mit einem größeren Schwanz gesucht haben, Pech für dich!" Ash griff zur Seite und fasste Jason am Handgelenk, so fest, dass dieser genau merkte, was ihm sein Partner mitteilen wollte. "Darin ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, das schwöre ich dir!" Ashton zog Jason regelrecht aus dem Büro, der brünette Polizist feuerte die Tür dermaßen fest zu, dass beinahe das milchige Glasfenster aus der Fassung gesprungen wäre. Rodriguez verdrehte die Augen. "Dämliche Schwuchtel..." Dann wandte er sich wieder wichtigeren Sachen zu - einer Runde Tetris auf seinem Arbeitscomputer. Langsam öffnete Chris die Augen. Das helle Licht im Raum tat ihnen weh, deswegen kniff er sie so schnell es ging wieder zusammen. Erst nach ein paar Sekunden wagte er einen neuen Versuch. Ihm war schwindelig. Ganz vorsichtig setzte der blonde Mann sich auf. Er lag auf einem bequemen Bett inmitten eines freundlich eingerichteten Zimmers. Die Wände waren in einem warmen, sonnigen Gelb gestrichen und verströmten zusammen mit den rustikalen Möbeln einen mediterranen Flair. Alles passte bis ins kleinste Detail, angefangen vom Teppichboden bis zu den Bilder an den Wänden, die südländische Stillleben mit Tonkrügen und Oliven zeigten. Die Decke zeigte einen blauen Himmel mit sanften weißen Wolken, über dem Bett war ein geöffnetes Fenster täuschend echt auf die Wand gemalt, das den Ausblick auf eine typisch italienische Landschaft freigab. Chris schwang langsam die Beine aus dem Bett und stand auf. Für einen kurzen Moment wurde ihm schwummerig, er schwankte und musste sich am Bettpfosten festhalten. Übelkeit wallte in ihm auf, ebbte aber ebenso schnell wieder ab. Er machte ein paar unsichere Schritte, bevor er langsam aber sicher die Kontrolle über seinen Körper wiedererlangte. Nach ein paar Sekunden der Orientierung, begann Chris den Raum zu untersuchen. In den Schubladen der Kommode lagen Utensilien wie Kämme, Bürsten und sogar Haarbänder, die er selbst besaß. In anderen Schubladen befand sich säuberlich gefaltete Unterwäsche, im Schrank hingen Kleidungsstücke, von denen er auch eine Menge in seinem eigenen Schrank hängen hatte, aber auch neue, teilweise ziemlich teuer wirkende Klamotten. Erst jetzt sah er an sich herab. Er trug weiße Hosen, nicht etwa Jeans, sondern feinster Stoff, und ein fließend fallendes Seidenhemd, ebenfalls strahlend weiß. Um seinen Hals lag immer noch die Kette, die Jason ihm am Morgen geschenkt hatte, ein schmales, weißgoldenes Band mit einem Stern daran, dessen Fläche teilweise mattiert war, sein Freund hatte sie extra für ihn anfertigen lassen und sie ihm zusammen mit einem Frühstück am Bett überreicht. Chris ging zum Fenster und sah hinaus. Das Zwielicht des späten Nachmittags schimmerte durch die Baumkronen eines dichten Mischwaldes. Ein sehr friedlicher Anblick, wären da nicht die dicken Metallstangen vor dem Fenster gewesen. Öffnen ließ es sich auch nicht, wie er schnell feststellen musste. Der Schlüssel drehte sich in der Tür. Chris zuckte zusammen und wich automatisch ein paar Schritte zurück, als sie geöffnet wurde und jemand das Zimmer betrat. Ihm stockte der Atem. "D... Dave?" Sein Freund aus Kindertagen lächelte ihn an. Er sah blendend aus, wie immer. Edler Nadelstreifenanzug, die Krawatte ordentlich gebunden, seine Schuhe glänzten wie frisch poliert. "Hallo, mein Schatz." Chris war viel zu perplex, um überhaupt auf die ungewohnte Anrede einzugehen. "Was ist hier los? Wo bin ich hier?!" "Gefällt dir meine kleine Überraschung? Du hast damals in Dallas immer davon geredet, dass du irgendwann einmal nach Europa möchtest, Frankreich oder Italien. Ich mochte schon immer Italien mehr. Das Zimmer ist wundervoll gelungen, oder?" "Dave, was soll das?" "Hast du die Kleider im Schrank gesehen? Ich habe alles gekauft, was dir gut stehen könnte. Ich bin so gespannt darauf, dich in all dem Zeug zu sehen! Ein paar alte Sachen sind natürlich auch dabei, aber nur die, die du oft und gern trägst." "Dave!" sagte Chris schon wesentlich lauter, doch der andere Mann schien ihn gar nicht zu bemerken. "Nebenan ist ein Badezimmer mit einer gigantischen Badewanne. Mit Whirlpool natürlich, du wirst es lieben." "Verdammt noch mal! Was soll das alles?!" "Chris, nicht so laut", beschwichtigte Dave immer noch lächelnd. "Lass mich doch ausreden, ich muss dir doch alles über dein neues Zuhause erzählen." "Mein neues... was?! Spinnst du jetzt völlig?!" "Keineswegs." "Ich denke schon!" Chris schüttelte empört den Kopf. "Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank! Ich will nach Hause, sofort!" Er ging auf Dave zu und wollte an ihm vorbei, doch dieser packte ihn am Arm. "Du bist Zuhause, Chris." "Lass mich los, du kranker Spinner!" zischte Chris. Dave lächelte ihn an, holte aus und schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht. So heftig, dass der blonde Mann zur Seite taumelte, gegen die Kommode stieß und zu Boden ging. Für einen Augenblick sah er Sterne, so stark war der Schlag gewesen. Der Millionär ging vor Chris in die Hocke. "Das war nicht nett, mein Schatz." "Arschloch...", entgegnete der blonde Mann leise und spuckte Dave ins Gesicht. Ohne darauf zu achten, dass Chris' Speichel seine Wange hinab lief, packte Dave den Kopf seines Gegenüber und hämmerte ihn, bevor dieser reagieren konnte, mit Schwung gegen die Kommode. Chris hatte das Gefühl, dass sein Schädel jeden Moment explodieren würde, er bekam pochende Kopfschmerzen. Er hatte sich auf die Zunge gebissen und bemerkte den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund. Dave stand seelenruhig auf und begann, im Raum auf und ab zu gehen. Der Blonde wagte es nicht, noch etwas zu sagen, Angst kroch in ihm herauf, panische Angst. "Es tut mir leid, Chris, aber du hast mich dazu eben gezwungen. Ich kann es nicht leiden, wenn man mir gegenüber unhöflich und aufsässig ist, verstehst du?" "Dave... bitte..." "Halt den Mund!" brüllte der Angesprochene, nur um sofort wieder in einen völlig ruhigen und emotionslosen Ton zu verfallen. "Ich denke, das ist mein Problem. Ich habe ein Problem damit, wenn man mir widerspricht. In der Klinik damals haben sie gesagt, ich habe meinen Emotionen nicht unter Kontrolle. Dass ich mit Ablehnung nicht klar käme. Kindheitstraumata. Unerfüllte Wünsche. Dass ich nicht lache. Alles Idioten! Solange man tut, was ich sage, ist doch alles in Ordnung. Also bitte, Chris, sei lieb und widersprich nicht dauernd." Chris bekam kein Wort heraus, seine Kehle war wie zugeschnürt. Dave ging wieder in die Hocke und sah den anderen Mann mit schräg gelegtem Kopf und einem geradezu unheimlichen Lächeln an. "Hast du verstanden, was ich sagte?" Chris nickte hektisch, dabei hatte er das Gefühl, dass in seinem Kopf Schnellzüge kollidierten. "Das ist gut." Dave tätschelte ihm die Wange. "Das ist sehr gut. Weißt du, Chris. Ich muss dir sonst weh tun. Und ich will dir doch nicht weh tun. Verstehst du?" "Bitte lass mich gehen...", flüsterte Chris mit schwacher Stimme, ohne dass er es kontrollieren konnte, liefen Tränen über sein Gesicht. "Das kann ich nicht, Chris. Das hier ist doch jetzt unser Zuhause. Wir werden hier glücklich sein. Nur du und ich. Wir werden miteinander essen, miteinander reden und lachen, wir werden uns küssen und uns lieben, voller Leidenschaft." "Das kannst du nicht ernst meinen..." "Aber vollkommen. Das hier ist unser Paradies." "Jason wird das niemals zulassen! Er holt mich hier raus." Daves Gesichtsausdruck veränderte sich, als Chris den Namen des Polizisten erwähnte. So etwas wie Triumph umspielte seine Züge. "Jason...", wiederholte er den Namen in einem seltsam gleichgültigen Tonfall. "Dieser grobe Gorilla, von dem du dich sonst hast besteigen lassen, ist kein Problem mehr. Nur noch für die Würmer und Maden, dich sich an ihm den Magen verderben werden." "Wovon redest du?!" Dave beugte sich weit nach vorn, so dass er Chris ins Ohr flüstern konnte. "Das ist mein zweites Geschenk für dich. Ich befreie dich von diesem Klotz. Ich habe ihn beseitigen lassen. Happy Birthday, mein Schatz." Chris hörte die Worte seines Jugendfreundes, aber er konnte nicht glauben, was er da vernahm. Seine Ohren mussten ihm einen Streich spielen. Das durfte nicht wahr sein. "Du lügst..." "Meinst du? Ich werde dir den Beweis bringen." Er schaute auf Chris' Ausschnitt und die Kette darin. "Und das brauchst du nicht mehr." Seine Hand schloss sich um den Anhänger und er riss dem Blonden mit einem Ruck das Schmuckstück vom Hals. Damit stand er einfach auf und ging zur Tür. Erst als er sie schon hinter sich zu zog, erwachte Chris mit einem Mal aus seiner Starre. Er sprang auf. "Dave! Nein!" Doch es war zu spät. Die Tür war zu und draußen bewegte sich der Schlüssel durch die Mechanismen, die verhinderten, dass man sie wieder öffnete. Chris warf sich dagegen, er drückte wie wild auf die Klinke, hämmerte wie von Sinnen gegen das Holz. "Lass mich sofort raus hier! Lass mich raus!" Draußen blieb es still. Die gesamte Panik bahnte sich in diesem Moment ihren Weg. Chris tobte noch minutenlang. Er riss Schubladen aus der Kommode, verteilte Kleidungsstücke und Pflegeutensilien dabei im ganzen Zimmer und warf mehrmals eine der Laden gegen das Fenster. Aber es war kein normales Glas, der Aufprall der Schublade verursachte nicht einmal einen kleinen Sprung. Über fünf Minuten trommelte er gegen die Tür, bis er weinend und zitternd, mit schmerzenden Händen, daran hinab sank. "Jason...", wiederholte er immer wieder. "Jason... bitte hol mich hier raus..." "Ich muss ihn finden!" Jason schlug mit der Hand auf Ashs gläsernen Couchtisch, die durchsichtige Platte klirrte bedrohlich. Nachdem sie das Department verlassen hatten, hatte Ash Jason in seine Wohnung gebracht und war dann selbst losgezogen, um Chris zu suchen. Erfolglos. Jasons Freund war wie vom Erdboden verschluckt. Inzwischen war Claire vorbei gekommen, die Agentin hatte sich tierisch über die Neuigkeiten aufgeregt. Auch sie hatte sich in ihrem Leihwagen auf die Suche nach Chris gemacht, ebenfalls ohne Ergebnis. Bei Marcus und Colin, die Batman mit zu sich genommen hatten, hatte er sich auch nicht gemeldet und Sly war nicht zu erreichen, sein Handy war aus. Mittlerweile dämmerte es draußen bereits, aber immer noch fehlte von Chris jede Spur. "Im Moment musst du dich erst einmal bedeckt halten!" hielt Ash dagegen. "Du hast leicht reden! Dein Freund ist nicht verschwunden!" "Kunststück, ich habe keinen." "Nicht witzig, Ash, nicht witzig." Jason stand auf und tigerte unruhig durch das Wohnzimmer seines Partners. "Jason, es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass ihm etwas passiert ist! Und auch nicht, dass dieser Dave Jerrod etwas damit zu tun hat." "Er hat mich nicht verlassen!" Jason verlor die Kontrolle über sich, er brüllte Ash an. Doch dieser ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er wusste, was Jason da durchmachte. Sorge um den Freund kannte er nur zu gut. "Du musst die Ruhe bewahren, Jason. Glaubst du wirklich, dass du Chris etwas nützt, wenn du dich hier wie ein Berserker aufführst oder Rodriguez in die Umlaufbahn prügelst?" "Hör mir auf mit dieser Ratte! Der wird keinen Handschlag tun, um Chris zu finden, das garantiere ich dir! Dem ist es doch scheißegal, was mit einer Schwuchtel passiert!" "Ich weiß selbst, was er für ein Idiot ist. Aber wir sind schließlich nicht auf ihn angewiesen! Wenn Chris vierundzwanzig Stunden vermisst ist, gibst du erst einmal eine Vermisstenanzeige auf, dann muss nach ihm gesucht werden." "Das bringt mir viel!" schnappte Jason. "Das übernehmen dann Kollegen von der Abteilung für Vermisste und nicht ich!" "Aber dann geht es wenigstens voran. Und sollte sich der Verdacht verhärten, dass Chris etwas zugestoßen ist, dann hast du auch gehört, dass Claire mit allen Mitteln helfen wird." "Ich hasse es... diese Ungewissheit und die Hilflosigkeit sind grauenvoll! Ich würde am liebsten direkt diesen Wichser Jerrod ausfindig machen und aus ihm heraus prügeln, wo sich Chris befindet!" "Glänzende Idee, besonders das mit dem Verprügeln. Im Gefängnis soll es um diese Jahreszeit sehr schön sein." "Behalt deinen dämlichen Sarkasmus für dich!" Ash stand auf und ging zu Jason hinüber. Er berührte seinen Partner sanft an der Schulter und zog ihn dann an sich. Jason ließ das widerstandslos mit sich geschehen, er fiel regelrecht in Ashtons Umarmung. "Es tut mir leid... ich habe nur so Angst um ihn..." Ash strich ihm beruhigend über den Rücken. "Wir finden Chris, das verspreche ich dir. Weißt du was? Du gehst jetzt ins Bad und stellst dich unter die Dusche, so lange du willst. Entspann dich mal." "Ich muss auch noch bei den McKays anrufen... Bescheid sagen, dass wir nicht kommen." "Aber erst danach. Ich versuche noch mal Sly zu erreichen, ob Chris bei ihm ist und du gehst jetzt duschen. Nimm dir einfach ein Handtuch aus dem Schrank." "Habe ich eine Wahl?" "Nein, denn sonst zerre ich dich persönlich da runter und das dürfte Chris nicht gefallen, wenn er wieder bei dir ist." "Überredet", lächelte Jason schwach. Er trottete in Richtung Badezimmer davon. Ash fuhr sich durch die Haare. Diese ganze Situation war einfach nur beschissen. Er wollte es Jason nicht spüren lassen, aber die Unauffindbarkeit von Chris beunruhigte ihn sehr. Er teilte zwar nicht Jasons vehementen Verdacht gegen Dave Jerrod, aber eigentlich hatte sein Partner ein gutes Gespür, was so etwas anging, sein hitziges Gemüt hin oder her. Chris war niemand, der Jason Hals über Kopf und dann auch noch ohne Angabe von Gründen verlassen würde, dessen war sich Ashton sicher. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht und allmählich beschlich ihn das Gefühl, dass sie in dieser Angelegenheit auf sich selbst gestellt waren. Es klingelte an der Tür. Der Blonde eilte hinüber und spähte durch den Spion. Sly. Schwungvoll riss Ash die Tür auf. "Da bist du ja! Endlich, ich versuche die ganze Zeit, dich zu erreichen!" Sein Freund trug ein perfekt geschnittenes Sakko in schwarz, mit einer passenden Hose und einem bordeauxroten Hemd. Er sah aus wie aus dem Ei gepellt, bis hin zu seiner Frisur. "Willst du heute noch weg?" fragte Ash verdutzt. "Nein. Ich laufe immer so rum! Blödmann, natürlich will ich heute noch weg! Ich war extra noch beim Friseur. Warum bist du nicht umgezogen? Die Party beginnt doch um halb acht." Endlich begriff Ash. Chris' Geburtstagfeier. Natürlich wusste Sly von nichts. Und hiermit erledigte sich auch der letzte mögliche Aufenthaltsort für Chris, der ihm einfiel. Sly drängte sich an seinem Freund vorbei in die Wohnung. "Zieh dich endlich um!" "Sly... ich..." Der Brünette lauschte. "Läuft da etwa die Dusche?! Hast du einen Kerl hier, von dem ich nichts weiß?" Die Antwort kam in diesem Moment von selbst. "Ash? Ich will nicht alle deine Schränke durchwühlen, wo genau sind die Handtücher?" "Oben links!" rief Ash zurück. Die Badezimmertür fiel wieder zu und das Geräusch der Dusche wurde wieder leiser. "Darf ich dich mal sprechen?" fragte Sly in einem sehr bedrohlichen Ton. "Ich stehe neben dir, also denke ich schon." "Was bildest du dir eigentlich ein?!" Sly ging hoch wie ein Vulkan, so heftig, dass Ash regelrecht zusammenzuckte. "Hältst mir Vorträge darüber, dass ich nicht mit Chris flirten soll und vögelst dann heimlich den Supercop?! Was für eine hinterhältige Schlange bist du denn?! Das ist ja wohl das Allerletzte!" "Sly!" "Und überhaupt! Jason, dieser scheinheilige Fatzke! Mich von Chris fernhalten wollen, aber selbst bumst er am Geburtstag seines Freundes einen Anderen! Dem werde ich was erzählen!" Er wollte ins Bad stürmen und Jason direkt unter der Dusche zur Rede stellen, doch Ash verhinderte das. Er überholte Sly und brachte ihn mit ausgestreckten Armen zum Stehen. "Sly, es ist nicht, wie du denkst!" "Was besseres fällt dir nicht ein?! Es ist nicht, wie du denkst, wir haben nur aus Versehen gebumst. Er ist auf mich drauf gefallen und wir hatten rein zufällig keine Hosen an, da ist es einfach passiert!" "Chris ist verschwunden." Für einen Augenblick wurde es still. "Was sagst du da...?" "Setzen wir uns, ich erkläre dir alles." Sly hatte keine Einwände. Marcus hockte neben Colins Bett auf dem Boden und hatte Batman auf dem Schoss. Der Welpe hatte sich langsam wieder beruhigt und schmiegte sich eng an den Jungen, während er sich den Bauch kraulen ließ. Colin kam ins Zimmer, er balancierte ein Tablett mit Tellern und Gläsern in der einen Hand und in der anderen einen Napf mit Hundefutter. Sie hatten auf dem Heimweg noch in einem Supermarkt gehalten und Futter für ein paar Tage besorgt, sicherheitshalber. Der Schwarzhaarige stieß die Tür mit dem Fuß zu und stellte dann zunächst das Tablett auf dem Bett und danach die Futterschüssel auf dem Boden ab. Batman sprang sofort von Marcus' Schoss und machte sich über sein Abendessen her. Colin hob das Tablett vom Bett herab und setzte sich im Schneidersitz neben Marcus. "Spaghetti Bolognese. Nicht ganz so gut wie ihre Nudeln mit Käsesauce, aber immerhin kann meine Mum das hier kochen, ohne Probleme mit der Seuchenschutzbehörde zu bekommen." "Sei nicht immer so gemein zu deiner Mutter!" grinste Marcus. "Sei froh, dass sie für dich kocht." "Ich bin gar kein übler Koch, ich habe sogar mal einen Kurs in der Abendschule über europäische Küche gemacht. Ich bin nur..." "Faul." "Das auch. Aber eigentlich wollte ich "Um dich besorgt" sagen und dich deswegen nicht allzu lange hier allein brüten lassen." "Du bist süß." "Faul und süß, ich bin eben ein Traumtyp." Marcus drückte ihm einen Kuss auf die Wange. "Danke." "Wofür? Das ich dir Mamas Essen hochbringe?" "Weil du für mich da bist, du Spinner!" "Ach so, deswegen", grinste Colin breit. Er langte nach der Fernbedienung auf dem Bett und schaltete den Flachbildschirm an der Wand ein, eine Anschaffung, die er mit Hilfe seines Gehalts und spendabler Verwandtschaft zur Weihnachtszeit hatte tätigen können. Der Fernseher war nicht unbedingt riesig, aber es reichte. Auf dem Bildschirm erschien ein flackerndes Kaminfeuer, eine spezielle DVD, die er dazu bekommen hatte. Aus den Boxen drangen die typischen Geräusche eines prasselnden Feuers. Zusätzlich drehte er das Licht runter und stand noch einmal auf, um ein paar Kerzen zu entzünden. Marcus war hin und weg. Es war eine wunderschöne, beruhigende Atmosphäre entstanden, die sogar von seinen Sorgen ablenken konnte. Colin ließ sich wieder neben ihm nieder und für eine Zeit lang aßen sie schweigend ihre Spaghetti. Die Bolognese war wirklich nicht umwerfend und die Nudeln waren so weich gekocht, dass man sie am Gaumen zerdrückten konnte, aber der Hunger trieb es rein. "Schade, dass heute soviel Chaos war..." "Warum?" Colin sah ihn von der Seite an. "Wenn das alles nicht wäre, wäre diese Stimmung perfekt für unser erstes Mal." Marcus verschluckte sich an dem Bissen, den er gerade im Mund gehabt hatte. Er musste heftig husten und hatte Mühe, nicht die zerkauten Nudeln auf den Teppich zu spucken. Eilig griff er zu seinem Colaglas und stürzte den Inhalt in einem Zug runter. "Was für eine romantische Reaktion!" lachte Colin. "Na ja, meine Aussage war ja auch nicht sonderlich romantisch!" "Entschuldige...", keuchte der Blonde. "Verzeihung... ich habe mich nur erschreckt..." "Du brauchst keine Angst zu haben. Ich will dich nicht bedrängen. Klar, jeder ist aufgeregt vor seinem ersten Mal, das war ich damals auch. Wir warten einfach auf den richtigen Moment." Colin beugte sich rüber und küsste ihn auf die Stirn. "Und ich verspreche dir, ich werde ganz zärtlich sein." Marcus sah seinem Freund in die Augen. Er meinte es wirklich ernst. Colin schenkte ihm ein so herzerweichendes Lächeln, einen so liebevollen Blick, dass dem blonden Teenager ganz schwummerig wurde. Was sollte er jetzt sagen? Schließlich war er selbst schuld. Er hatte Colin doch gesagt, dass er noch nie eine Beziehung gehabt hatte. Und wer vermutete schon, dass der eigene Freund bereits mit mehr Kerlen geschlafen hatte, als man selbst... für Geld versteht sich. Mach dir keine Gedanken. Da waren schon so viele drin, einer mehr oder weniger macht da nichts aus. Natürlich... genau das sollte man sagen, wenn man seine Beziehung möglichst schnell über den Jordan schicken wollte. Oh Geliebter, bitte weine nicht, aber ich wurde bereits mehrfach geschändet, meine Jungfräulichkeit kann ich dir leider nicht vermachen. Ja genau... und dann als Krönung oben drauf noch gemeinsam in den Freitod gehen. Glänzende Idee. Schatz? Wärst du ganz arg böse, wenn du vielleicht doch nicht der Erste wärest? Die Letzten werden doch die Ersten sein, heißt es schon in der Bibel. Amen. Nein, das war alles Quatsch. Marcus griff zu der einzig richtigen Reaktion. Ablenken und so tun, als sei nichts gewesen. Nicht ganz ehrlich, aber effektiv. "Entschuldige, ich bin nicht ganz bei der Sache. Chris und Jason... das nimmt mich sehr mit." "Natürlich, kein Problem", stimmte Colin in einem derart verständnisvollen Ton zu, dass es Marcus fast das Herz zerriss. Dieser Junge war zu gut um wahr zu sein. "Sie bedeuten dir viel, oder?" Der blonde Junge nickte. "Sie bedeuten mir wahnsinnig viel. Sie waren meine einzigen Freunde, bevor ich dich kennen gelernt habe. Auf meiner alten Schule war ich unten durch, nachdem ich geoutet wurde... Chris und Jason haben mich so akzeptiert, wie ich bin, und haben mir geholfen, mich vor meinen Eltern zu offenbaren. Wenn Chris etwas passiert... er ist doch mein großer Bruder... zumindest im Geiste." "Es wird alles gut." "Ach, lass doch diese Floskeln, Colin. Du kannst nicht sagen, ob alles wieder gut wird. Ob ihm nicht vielleicht etwas passiert ist... vielleicht ist er tot." Marcus schob den Teller von sich und hob Batman wieder auf seinen Arm. Colin stand auf und räumte das Geschirr aufs Tablett, um es außerhalb der Reichweite des Hundes auf die Kommode zu stellen, Batman hatte schon mehrfach versucht, sich vom Teller seinen Nachtisch zu beschaffen. "Das sind keine Floskeln. Es geht immer irgendwie weiter, mein Schatz." Marcus musste lächeln. Colin hatte ihn Schatz genannt, das gefiel ihm. "Warum stehst du so vehement für die Hoffnung ein?" "Weil ich selbst weiß, wie wichtig das ist." Er drehte sich um und lehnte sich an das Möbelstück. "Als ich dreizehn war, wurde ich beim Sport ohnmächtig. Ich hatte vorher schon öfter Atemnot gehabt. Die Ärzte fanden einen Schatten auf meiner Lunge." "Oh mein Gott..." "Kein Grund zur Panik. Es stellte sich schließlich als ein gutartiger Tumor heraus. Aber bis ich das wusste, musste ich mit der Vorstellung leben, vielleicht meinen vierzehnten Geburtstag nicht zu erleben. Lungenkrebs ist sehr gefährlich. Aber ich habe aus der Sache eines gelernt: Hoffnung gibt es immer und man darf nie aufgeben." Sein Freund konnte nichts erwidern, denn Colin hatte vollkommen Recht. "Aber ich komme trotzdem nicht gegen die Angst an." Colin kehrte zu ihm zurück und setzte sich neben ihn. Er legte den Arm um den Jüngeren. "Natürlich darfst du Angst haben. Deswegen bin ich so froh, dass du heute hier schläfst. Ich werde für dich da sein und dich die ganze Nacht festhalten, wenn es sein muss. Ich bin bei dir." Marcus kuschelte sich in Colins Arm, legte die Hand auf seine Brust und genoss für einen Augenblick den Duft seines Freundes. Die Umarmung schenkte ihm soviel Wärme und Geborgenheit. Und mit einem Mal wusste er, dass er in Colin jemanden gefunden hatte, bei dem er ganz er selbst sein konnte. Hier musste er keine Gefühle verstecken, keine Angst vor Ablehnung haben. Es war so ganz anders als mit Gary. Gary war so unnahbar gewesen, unerreichbar und dadurch so wahnsinnig reizvoll. Aber selbst nach ihrer Nacht hatte er sich nicht dazu durchringen können, sich Marcus weiter zu nähern als in sexueller Hinsicht. Bei Colin war das anders. Er war auf ihn zu gegangen, er hatte sich nicht um ihn bemühen müssen. Und ihre Bindung war nicht auf sexueller Basis entstanden, dafür hatte der Schwarzhaarige persönlich gesorgt. Aber statt ihn dadurch langweilig erscheinen zu lassen, machte ihn das im Gegenteil noch attraktiver. In diesen drei Wochen hatte er sich zu einem Felsen in der Brandung entwickelt. Zu seinem Jason, das wurde Marcus in diesem Moment klar. Und noch etwas. "Ich liebe dich." Colin schaute ihn überrascht an, doch der anfänglichen Überraschung folgte sogleich ein warmes Lächeln. "Ich dich auch." "Das hätte ich jetzt nicht erwartet." "Warum?" lächelte sein Freund. "Weil ich Angst hatte, du könntest vielleicht nicht bereit sein, so etwas zu sagen." "Wenn es nun einmal das ist, was ich fühle." Marcus lächelte nur, er fühlte sich unglaublich gut. Für ein paar Augenblicke verschwamm selbst die Realität, die Sorgen um Chris, die langen Stunden der Angst um David. Er war einfach nur glücklich. Alex öffnete die Tür zur Aussichtsplattform des Coit Towers. Der Turm hatte die Form der Spritze eines Feuerwehrschlauchs und war als Erinnerung an die alte Garde der hiesigen Feuerwehr errichtet worden. Gestiftet und benannt nach der reichen Lillie Coit, die selbst in der Freiwilligen Feuerwehr Dienst getan hatte, zählte der Turm zu den Wahrzeichen des alten San Francisco. Er befand sich am Ende der weltberühmten Lombard Street, oben auf dem Telegraph Hill. Coit Tower kam in zahllosen Filmen vor, die in der Küstenstadt spielten, unter anderem hatte Eddie Murphy hier in "Doktor Dolittle" den Selbstmord eines depressiven Tigers verhindert. Nachts erstrahlte das Gebäude im hellen Licht mehrerer Scheinwerfer, auch der Wandelgang auf der Spitze war beleuchtet. Jeremy stand an einem der bogenförmigen Öffnungen und schaute auf die Stadt hinaus. Von hier ging der Blick ungehindert bis zur Bucht. Die Golden Gate und Downtown San Francisco strahlten in Tausenden von Lichtern. Ein sanfter Wind wehte von der See her und bewegte die roten Haare des Tänzers. Alex stellte sich neben ihn und stützte sich ebenfalls mit den Händen auf das Geländer. "Der Ausblick ist jedes Mal aufs Neue atemberaubend." "Wie hast du mich gefunden?" fragte Jeremy, ohne den Blick von der Stadt zu wenden. "Das war nicht schwer. Abby hat mir widerwillig gesagt, dass du noch unterwegs bist. Du wollest etwas allein sein und nachdenken. Dafür kam nur ein Ort in Frage. Du warst auch früher oft hier." "Was genau an "allein sein" hast du nicht verstanden?" "Früher galt das nicht für mich." "Jetzt schon..." Alex seufzte. "Soll ich wieder gehen?" "Bleib meinetwegen." "Wirklich gut, dass immer noch der alte Joe hier Nachtwächter ist. Der hat uns damals schon immer hier rauf gelassen. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft wir hier oben waren. Aber ich weiß noch genau, was wir hier manchmal getan haben." "Alex...", stöhnte Jeremy genervt. "Ich bin nicht in der Stimmung, um mit dir in der Erinnerung daran zu schwelgen, dass wir hier oben gevögelt haben." "Entschuldige... wie geht es deinem Freund?" "David...", betonte der Tänzer. "...geht es schon besser. Ich war noch lange bei ihm, aber er wollte nicht, dass ich über Nacht bleibe... na ja, er ist ja auch kein kleines Kind mehr." "Also wird er wieder ganz gesund?" "Enttäuscht?" Jeremys Ton war ziemlich kalt. Alex drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand neben der Öffnung. Er verschränkte die Arme vor der Brust und winkelte ein Bein an, um den Fuß gegen die Mauer zu drücken. "Unsinn. Hör bitte damit auf." "Warum bist du nun hierher gekommen? Nach dem Gespräch im Krankenhaus hatte ich nicht erwartet, so schnell wieder etwas von dir zu hören." "Ich bin heim gefahren... aber ich konnte nicht abschalten... ich muss mit dir reden, mit dir etwas klären." "Schieß los...", forderte der Rothaarige mit mäßigem Interesse in der Stimme. "Also ich..." Alex sah zur Decke über ihnen. "Wegen damals... als ich versucht habe, mich umzubringen... ich... wie soll ich sagen..." Er holte tief Luft. "Ich habe die Tabletten erst geschluckt, nachdem ich sicher war, dass du kommst... ich wollte, dass du mich findest... und dass du dadurch wieder mehr Zeit mit mir verbringst." Jeremy drehte ihm den Kopf zu und sah ihn mit einem völlig ausdruckslosen Gesicht an. Dann stieß er sich vom Geländer ab, trat einen Schritt auf Alex zu, holte wortlos aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Der Schwarzhaarige hielt seine Wange. "Das habe ich wohl verdient", sagte er traurig. "Du hättest noch viel mehr verdient, du Blödmann! Weißt du, was du mir damals für einen Schreck eingejagt hast?! Wie viel Angst ich um dich hatte?! Stell dir vor, ich wäre im Stau stecken geblieben oder so. Du wärst verreckt!" "Dann hättest du einen Krankenwagen vom Auto aus gerufen." "Das tut doch jetzt gar nichts zur Sache!" motzte Jeremy. "Du bist doch wirklich total daneben, so ein Risiko einzugehen!" "Ich habe es für uns getan!" "Es gibt kein uns, Alexander! Versteh das endlich!" "Aber das ist nicht so leicht zu akzeptieren! Besonders nicht, nachdem du mir dann plötzlich wieder näher warst! Ich habe das zunächst nur für dich getan, aber nach und nach wurde mir klar, dass ich genau auf dem richtigen Weg war! Die Anonymen Alkoholiker, der Entzug, die Therapie, ich bin glücklicher als je zuvor. Ich habe sogar mit den Pornos aufgehört und jobbe jetzt als Verkäufer in einem Klamottenladen. Ich habe mein Leben endlich wieder im Griff... nur du... du fehlst mir." "Alex, glaubst du wirklich, dass Intrigen, Lügen und Spielchen der richtige Weg in mein Herz sind?" Jeremy lächelte schief. "Nein... vielleicht habe ich das gedacht... aber dein Herz ist mir eh verschlossen..." "Daran bist du selbst schuld." Alex schlug mit der Faust gegen die Wand. "Ich habe alles ruiniert..." "Na ja, nicht alles." Irgendwie tat sein Exfreund Jeremy leid, nicht zu vergessen, dass er auch Blut für David gespendet hatte. "Mein Angebot mit der Freundschaft steht weiterhin. Aber wenn ich dich noch einmal bei einer Lüge oder einem Spielchen erwische, dann war es das." "Dann gestehe ich lieber auch gleich, dass ich David gesagt habe, dass du Pornos gedreht hast...", flüsterte Alex mit gesenktem Blick. "Aber das weißt du ja sicher sowieso schon von ihm." "Nein, keineswegs. Er wollte mir nicht verraten, woher er es weiß, ich habe vermutet, dass ihm ein Film von mir in die Hand gefallen war." Alex blickte überrascht auf. Das hatte er nicht erwartet. "Kriege ich noch eine?" "Ohrfeige? Macht dich scharf, was? Vergiss es, diesmal nicht. Denn du hast schließlich dafür gesorgt, dass es keine Geheimnisse mehr zwischen David und mir gibt und so unsere Beziehung erst ermöglicht." "Das nennt man wohl einen Schuss, der nach hinten losging." "Kann man so sagen", grinste Jeremy. "Hast du noch Lust auf einen Kaffee? Merkst du? Ich habe Kaffee gesagt, früher hätte es ,Hast du noch Lust auf einen Drink?' geheißen." "Brav gesagt. Aber leider nein. Ich bin müde. Ich fahre heim, damit ich morgen früh wieder ins Krankenhaus kann." "Grüß David von mir, ja?" "Mal sehen", lächelte der Rothaarige. "Soll ich dich heimfahren?" "Ich bin mit dem Fahrrad da, vielen Dank." Er klopfte Alex auf die Schulter. "Gute Nacht." Damit ging er, die Tür der Aussichtsplattform fiel hinter ihm zu. Der Schwarzhaarige blieb noch hier oben und beobachtete, wie Jeremy auf dem Vorplatz auf sein Rad stieg und in Richtung Lombard Street davon fuhr. Er lächelte auf eine undefinierbare Art, die aber deutlich etwas triumphierendes hatte. Jason saß allein in der Dunkelheit von Ashs Wohnzimmer. Das Bettzeug auf der Couch war zerwühlt von seinem unruhigen Dämmerzustand. Schlaf konnte man das beim besten Willen nicht nennen. Einmal wäre er sogar beinahe herunter gefallen. Er fand einfach keine Ruhe. Jetzt hockte er vorn über gebeugte auf der Couch und stützte das Gesicht in die Hände. Und hier in der Einsamkeit gestattete er sich sogar, seiner Schwäche freien Lauf zu lassen. Im Licht der Großstadt, das durch den nicht ganz geschlossenen Vorhang einfiel, funkelten Tränen. Die Angst um Chris wuchs von Minute zu Minute, die Gewissheit, dass seinem geliebten Engel etwas zugestoßen war, wurde mit jeder Sekunde, die verstrich, größer. Er hatte alle Mühe gehabt, Chris' Mutter davon abzuhalten, die nächste Maschine nach San Francisco zu nehmen. Erst als er ihr versprochen hatte, sie stets auf dem Laufenden zu halten und Chris so schnell wie möglich zu finden, hatte sie ihren Plan fallen gelassen. Die arme Frau tat Jason unendlich leid. Eben erst ihren Sohn wieder gefunden und schon wurde er vermisst. Sly war total fix und fertig, als Jason ihn nach der Dusche bei Ash im Wohnzimmer angetroffen hatte, und mit einem Mal waren alle Differenzen zwischen den ungleichen Männern vergessen gewesen. Ash hatte schließlich nicht zulassen wollen, dass Sly, aufgelöst wie er war, noch nach Hause fuhr, deswegen schlief sein Exfreund jetzt bei ihm nebenan. Jason war das ganz Recht, er wäre sich etwas unwohl vorgekommen, mit Ash das Bett zu teilen und hatte auch nicht gewollt, dass dieser auf die nicht zum Schlafen gedachte Couch auswich. Eine Nacht Seite an Seite mit Sly zu verbringen, das war dann doch nicht so ganz seine Kragenweite, und wäre sicherlich auch irgendwie peinlich geworden. Deswegen hatten sie sich schließlich auf diese Lösung geeinigt. "Du solltest das nicht tun." Jason sah auf. Chris stand vor dem großen Fenster, im Gegenlicht des nächtlichen San Francisco. Er trug immer noch die lockere Jogginghose und den schlabberigen Pullover, die er bei Jasons Aufbruch am Vormittag anhatte, zusammen mit der Kette, seinem Geburtstagsgeschenk. "Was?" Chris lächelte, das konnte man sogar im Halbdunkel deutlich erkennen. "Ich kenne deinen Blick, Jason. Und ich weiß, was du tust." "Es ist dunkel. Du kannst gar nicht wissen, wie ich schaue." "Aber ich weiß trotzdem, was du tust", beharrte sein blonder Freund. Chris kam näher zu ihm und ging vor der Couch in die Hocke. Er strich mit dem Zeigerfinger eine Träne von Jasons Wange. "Tut mir leid...", sagte der Polizist leise. "Was tut dir leid?" "Dass ich weine... ich weiß, ich sollte stark sein... aber ich..." "Du musste nichts weiter sagen. Ich verstehe dich." Chris Hand fuhr sanft über seine Wange und wuschelte dann liebevoll am Hinterkopf durch Jasons Haar. "Du fehlst mir..." "Und deswegen möchtest du wieder alle Probleme der Welt auf deine Schultern laden?" Chris klang ein wenig amüsiert. "Das tu ich überhaupt nicht." "Mach mir nichts vor, das schaffst du nicht." "Na ja, und wenn schon...", gab Jason klein bei. "Es ist doch auch alles meine Schuld... egal, was David sagt, ohne mich würde er nicht im Krankenhaus liegen... und ohne mich wärst du nicht entführt worden..." "Ohne dich, wäre ich heute vielleicht tot." Jason sah seinem Freund überrascht in die blauen Augen. In diese Augen, an denen er sich niemals satt sehen konnte. Unendlich tief, voller Wärme und so voller Liebe und Verständnis. Die Augen eines Engels. Er konnte nicht anders, als zu nicken. "Erinnerst du dich noch, was ich dir mal erzählt habe? Wo ich gerne einmal küssen würde?" "Auf dem Eifelturm", lächelte Jason. "Und du hast mir versprochen, dass du mich eines Tages dort küssen wirst." "Ich weiß..." "Halte dein Versprechen, okay?" Chris beugte sich vor und seine Lippen berührten flüchtig die von Jason. Der Polizist wollte die Arme ausstrecken, seinen Freund an sich reißen und nie wieder, niemals wieder los lassen. "Jason?" Sein Kopf ruckte nach oben. Ash stand im Türrahmen zum kleinen Verbindungsflur, der zu den restlichen Räumen des Apartments führte, seine muskulöse Silhouette zeichnete sich scharf im Licht der Flurbeleuchtung ab. "Ist alles okay?" Jason blickte sich um. Er war allein. Kein Chris. Langsam, unendlich langsam, nickt er. "Ja... alles klar..." "Ich habe dich reden gehört, als ich zum Klo gegangen bin. Ich dachte, du würdest schlafen. Hast du Selbstgespräche geführt?" "Ja..." Jason verspürte keine Lust, seinem Partner zu erklären, was genau eben geschehen war. Das ging nur ihn etwas an. "Wirklich alles okay?" Ash legte den Kopf schräg, dabei fielen ihm Strähnen seines vom Schlaf zerzausten Haares in die Stirn. "Ja... eigentlich nein... gar nichts ist okay....", lächelte Jason. "Aber für heute Nacht schon..." "Soll ich noch etwas hier bleiben?" "Geh ruhig schlafen." "Wie du meinst." Ash gähnte. "Bis Morgen, Jason." Sein Partner wünschte ihm eine gute Nacht und nachdem Ashton das Licht gelöscht hatte, kroch auch Jason wieder auf die ungemütliche Couch und zog die Decke über sich. Und als er die Augen schloss, hatte er für einen kurzen Moment das Gefühl, dass sich Chris' Arme um ihn legten. Irgendwann schlief er endlich ein. Chris erwachte langsam aus einem unruhigen Schlaf. Um ihn herum herrschte das pure Chaos. Er hatte sich einfach in dem verwüsteten Zimmer auf dem Bett zusammengerollt und war dann wohl doch eingeschlafen. Sein Nacken und sein Rücken schmerzten von der verkrampften und ungewohnten Schlafposition. Das Geräusch des Schlüssels in der Tür hatte ihn geweckt und er setzte sich ruckartig auf. Sein blondes Haar fiel ihm ins Gesicht, zerzaust von der Nacht, auf dem Laken hatte sich ein kleiner Blutfleck ausgebreitet, bei seinem Tobsuchtsanfall hatte er sich an der Hand verletzt. Dave betrat das Zimmer, offensichtlich glänzender Laune und geschniegelt und gestriegelt wie immer. "Guten Morgen, mein Schatz." Er schaute sich um. "Oh, waren wir etwas wild letzte Nacht? Warum hast du mich nicht dazu gebeten? Ich hätte deine Ungezähmtheit schon kanalisieren können." Chris verkniff sich eine Antwort, in Erinnerung der Schläge und der brutalen Kopfnuss gegen den Schrank vom Vortag. "Ich habe dir die Morgenzeitung mitgebracht. Höchst interessant." Grinsend hielt er Chris ein Stück Papier entgegen. Dieser starrte ihn einfach nur trotzig an. "Nimm es!" donnerte Dave in wesentlich weniger freundlichem Ton, so dass Chris sich dann doch überreden ließ. "Was soll ich damit?" "Ließ es, mein Schatz", lächelte Dave. Chris faltete das Blatt auseinander und seine Augen huschten über die Zeilen. Mit einem Mal wich sämtliche Farbe aus seinem Gesicht. Seine Lippen bebten, als er die Worte vor sich sah und plötzlich entglitt der Zettel seinen zitternden Fingern. "Das ist nicht wahr!" presste er hervor. "Das ist nicht wahr!" Dave nahm seelenruhig den Zettel wieder an sich. "Aber natürlich ist das wahr. Das ist eine beglaubigte und echte staatliche Sterbeurkunde, mein Schatz. Datiert auf gestern, wie du siehst, unterschrieben vom leitenden Pathologen. Ich lese es dir noch einmal vor, wenn du magst: Jason Robert Cunningham. Geboren: 21. September 1974. Gestorben: 3. Februar 2005. Größe..." "Hör auf damit!" brüllte Chris. "Hör auf damit! Das ist nicht wahr!" Seine Stimme überschlug sich, so laut schrie er. "Das ist nicht wahr! Das ist eine Lüge! Nein! Das ist nicht wahr!" Er sprang auf und stürzte sich auf Dave. Voller Wut schlug er mit den Fäusten auf die Brust des anderen Mannes ein, was sich dieser für ein paar Sekunden gefallen ließ. Dann packte er den Blonden an den Schultern und stieß ihn heftig von sich, so sehr, dass Chris ins Stolpern geriet und rückwärts hinfiel. Er landete in einem chaotischen Haufen Klamotten. Tränen liefen über sein Gesicht, seine Worten waren über die stoßweise gehende, hektische Atmung kaum noch zu verstehen. "Das wirst... wirst... du... bereuen! Ich... bringe... bringe dich um... du widerliches Monster!" Kaum hatte er das gesagt, war Dave auch schon in der Hocke vor ihm und hielt sein Gesicht mit beiden Händen fest. Chris Finger verkrampften sich um die Handgelenke seines Jugendfreundes, aber er hatte nicht die nötige Kraft, sich aus Daves Griff zu befreien. "So etwas möchte ich nicht noch einmal hören, okay, mein Liebling?" flüsterte Dave in gefährlich ruhigem Ton. "Ich bin nicht dein Liebling!" schluchzte Chris. "Du ekelhafter Mörder!" "Chris, sei vorsichtig! Überspanne nicht den Bogen." Er lächelte. "Weißt du eigentlich, wie leicht ein Genick bricht? Ich müsste jetzt nur deinen Kopf einmal ruckartig herumreißen, dann war es das für dich. Deine Wirbel würden der plötzlichen Überbelastung nicht stand halten, sich verdrehen und schließlich auseinander reißen. Dabei würde das Rückenmark durchtrennt und dein Kopf würde niedlich herunter hängen, so wie ein abgebrochener Ast, der nur noch mit einem kleinen Stück am Baum befestigt ist. Zwing mich nicht dazu, dir deinen niedlichen Hals umzudrehen!" "Tu es doch!" Chris war in diesem Moment alles egal. Er war mit den Nerven am Ende. Jason war tot. Sein Jason, sein geliebter Jason. Der Fels in der Brandung, der Mann, der immer für ihn da war, der ihn mehr als alles auf der Welt geliebt hatte und den er ebenfalls über alle Maßen liebte, lebte nicht mehr. Ausgelöscht von der Gier und Rachsucht dieses Monsters, das ihn im Augenblick mit dem Tode drohte. Seine Welt zerbrach in Tausend Stücke und zurück blieb nur die furchtbare Leere der Einsamkeit. Und gleichzeitig glomm die Angst vor Dave wie ein Buschfeuer in ihm auf und fraß sich durch seinen Körper. Wenn dieser Mistkerl ihn nun tötete, dann würde er nie seine gerechte Strafe bekommen. Und da war noch etwas. Tief aus den Schatten seiner Seele, sonst verborgen hinter all seiner Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit, kroch etwas hervor. Ein finsteres Ungetüm, das seine Reißzähne fletschte und mit seinen Fängen Chris' ganzes Selbst einnahm. Es drängte sich sogar vor die panische Angst vor dem Psychopathen: Hass. Abgrundtiefer, alles verzehrender Hass. Diese Bestie hatte innerhalb eines Tages sein ganzes Leben ruiniert. Dafür sollte es zahlen! "Wirfst du dein Leben wirklich so einfach weg?" Chris erkannte sich selbst nicht wieder. Er hob den Blick und fixierte Dave plötzlich mit einer Kraft, die er sich selbst nie zugetraut hätte. "Nein", sagte er mit fester Stimme. "Oh, ein Sinneswandel, mein Schatz? Etwas zu plötzlich für meinen Geschmack." "Selbsterhaltungstrieb." "Wie kühl von dir. Stört es dich gar nicht, dass dein Hengst jetzt eine Kugel im Kopf hat, nur weil du dich lieber von ihm besteigen ließest und mich abgewiesen hast?" Chris' Herz durchfuhr ein schmerzhafter Stich, doch er schaffte es, nicht einmal mit der Wimper zu zucken. "Zumindest möchte ich ihm nicht folgen." Daves Blick war voller Skepsis. "Das klingt so gar nicht nach dir." Die Hände des blonden Mannes lösten sich von den Handgelenken seines Gegenüber und umfassten dessen Hinterkopf. Chris zog Dave an sich und gab ihm einen tiefen und leidenschaftlichen Kuss, obwohl er dabei einen Brechreiz unterdrücken musste. Ihre Zungen umspielten sich lang, viel zu lang für Chris, aber er wagte nicht, den Kuss zu beenden, bevor Dave es tat. Er war ein mieser Küsser, viel zu ungestüm und grob, keinerlei Verbesserung seit ihren Experimenten im Teenageralter. "Wow...", flüsterte Dave und ließ sogar seine Hände von Chris' Gesicht gleiten. "Du hast geschickte Lippen, noch viel geschickter als damals." Mit diesen Worten zog er seinen Reißverschluss auf und ohne Chris überhaupt zu fragen, drückte er den Kopf des blonden Mannes in seinen Schritt. Chris hockte am Boden und wischte sich mit dem Handrücken den klebrigen Tropfen weißer Flüssigkeit aus dem Mundwinkel, nur mühsam verbarg er dabei seine Abscheu. Übelkeit wallte in ihm auf. Dave stand vor ihm und schloss soeben seinen Reißverschluss. Schweißperlen glitzerten auf seinem erröteten Gesicht. "Wie in alten Zeiten, mein Schatz." Chris antwortete nicht. "Ich muss leider noch einmal weg, aber heute Abend haben wir ganz für uns allein. Und dann werden wir das hier etwas vertiefen." Er ging zur Tür. "Egal wie gut du küsst oder bläst, du verstehst sicher, dass ich dich noch hier einsperren muss, bis ich sicher sein kann, dass du keinen Unsinn machst. Im Schrank ist etwas zu trinken und auch was zum Essen, aber das hast du bei deiner kleinen Umräumaktion ja sicher schon bemerkt. Ein richtiges Abendessen gibt es dann leider erst, wenn ich zurück komme. Ich bin heute Abend wieder da." Bevor er die Tür hinter sich zu zog, lächelte er Chris noch einmal an. "Und räum ein bisschen auf und mach dich frisch. Ich will nicht, dass du vielleicht noch nach diesem Affen riechst, wenn wir uns heute Abend lieben. Einen schönen Tag, mein Schatz." Die Tür fiel zu und der Schlüssel drehte sich im Schloss. Chris war wieder allein. Und noch bevor die Schritte auf dem Flur vollkommen verklungen waren, sprang er auf die Füße, rannte in das angrenzende Badezimmer und konnte gerade noch die Brille der Toilette hochreißen, ehe er sich heftig erbrach. Sein Körper krampfte und zitterte, er würgte so lange, bis nichts mehr kam, und noch über diesen Moment hinaus. Dann sank er neben der Toilette zusammen und weinte fast eine halbe Stunde hemmungslos. Erst als er das Gefühl hatte, dass in ihm gar keine Tränen mehr sein konnten, beruhigte er sich langsam. Die Nachricht von Jasons Tod hatte seine Welt bis in die Grundfesten erschüttert, aber noch sicherer war, dass er hier raus musste. Dave Jerrod musste für seinen Taten büssen, unter allen Umständen. Wenn er fliehen konnte, würde er seine Strafe bekommen und wenn er persönlich dafür sorgen musste, dass dieser Bastard in seinen Heimatstaat überstellt und dort auf dem elektrischen Stuhl gebraten wurde. Liebend gern würde er selbst den Strom anschalten. Der Hass und die Wut verzerrten den Blonden von innen heraus und ließen nichts übrig, als eine kühl agierende Hülle. Die Emotionen, die Trauer über Jason, traten in den Hintergrund, bis ihre Zeit gekommen war. Er rappelte sich auf und machte sich auf die Suche nach etwas, dass er benutzen konnte, um dieser Ratte zu entkommen. In wilder Eile riss er sämtliche Schränke des Badezimmers auf und durchwühlte sie. Tonnen von Badeölen, Duschgels und ähnlichem Zeug, alles in Plastikflaschen, keine Chance, die als Waffe zu gebrauchen. Auch eine Packung Massageöl fiel ihm in die Hand. "Ekelhafter Widerling, das hättest du gern...", zischte Chris. Und endlich fand er, was er gesucht hatte. Ganz hinten, in der Ecke des Schränkchen unter dem Waschbecken, stand etwas, das er gebrauchen konnte. Als Colin und Marcus sich an diesem Morgen dem Krankenzimmer von David näherten, wurde just in diesem Moment die Tür des selbigen geöffnet. Jeremy trat heraus, überrascht schaute er zunächst den blonden Jungen, dann dessen Begleiter an, der Blick auf Colin war jedoch eher von Schrecken geprägt. "Morgen, Jeremy", lächelte Marcus. "Wir wollten David besuchen." "Oh... ähm... da wird er sich sicher freuen." Jeremy rieb sich über den Ausschnitt seines Shirts. "Hört zu... ich wollte gerade Kaffee holen... wie wäre es, wenn du schon mal rein gehst, Marcus, und... äh, Colin hilft mir." Der Schwarzhaarige legte den Kopf schräg, nickte dann aber trotz des verdutzten Gesichtes seines Freundes. "Klar, gerne." "Kennt ihr euch eigentlich?" fragte Marcus etwas misstrauisch. "Nein, bisher nicht wirklich, obwohl ich das Gefühl habe, Jeremy schon sehr genau zu kennen." Colin grinste. "Wollt ihr mich verarschen?" "Nein, natürlich nicht. Geh ruhig schon rein, David wird sich freuen." Marcus schenkte seinem Freund und dem rothaarigen Tänzer einen weiteren mehr als misstrauischen Blick, zuckte dann aber mit den Schultern und betrat nach einem Klopfen Davids Zimmer. "Wir müssen reden!" begann Jeremy ohne Umschweife, kaum dass die Tür ins Schloss gefallen war. "Wenn du möchtest." Die Beiden schlenderten den Gang hinab in Richtung des Kaffeeautomaten. Durch die Fenster fiel die Vormittagssonne ein, Ärzte und Schwestern eilten hin und her, ein paar Patienten gingen allein oder mit ihren Familienangehörigen auf den Gängen spazieren. "Wie geht es David?" "Schon viel besser als gestern", griff der Rothaarige dankbar den hingeworfenen Gesprächsansatz auf. "Er scheint sich sehr schnell zu erholen, ich bin wirklich froh darüber." "Das freut mich ehrlich, auch wenn ich David noch nicht gut kenne." "Wenn du vorhast, weiter mit Marcus zusammen zu sein, wirst du ihn sicher besser kennen lernen", lächelte Jeremy. "Worüber genau wolltest du mit mir reden, nur damit wir zum Punkt kommen, bevor wir den Automaten erreichen." "Ich glaube, das weißt du genau." "Über Ricky Blue?" riet Colin ohne großes Risiko, daneben zu liegen. "Du hast das damals im Club schon gewusst, oder?" Jeremy schaute den größeren Jungen nicht an, er blickte stur gerade aus. "Nein, nicht sofort... ich wusste, ich kenne dich, aber mir wurde das später erst bewusst. Schon komisch, eine seiner Wichsvorlagen persönlich kennen zu lernen." Der Tänzer blieb abrupt stehen und starrte Colin an, dieser erwiderte den Blick für ein paar Sekunden. Plötzlich begannen Jeremys Mundwinkel zu zucken und auch die von Colin gerieten in Bewegung. Augenblicke später brachen Beide in schallendes Gelächter aus. Viele Köpfe drehten sich verwundert in ihre Richtung, niemand konnte nachvollziehen, was dermaßen komisch sein konnte. "Du Blödmann!" kicherte der Rothaarige. "Das hier sollte ein ernsthaftes Gespräch werden!" Er schnappte nach Luft. "Ich weiß!" Colin hielt sich den Bauch, er war knallrot im Gesicht vor lachen. "Aber ich hatte das Gefühl, es sei dir peinlich. Deswegen wollte ich etwas auflockern." "Ach, und du meinst, die Vorstellung, dass du dir bei meinem Anblick einen runter geholt hast, ist weniger beschämend?" "Hey, du hast mir durch einige sehr einsame Stunden hindurch geholfen. Was meinst du, wie ich dich beneidet habe?" grinste der Schwarzhaarige. Seine Augen wurden groß. "Moment mal! Ich war gestern zu aufgeregt, aber der freche Kerl mit den schwarzen Haaren im Warteraum, war das etwa?!" "Ja, das war er." "Hehe, ich fasse es nicht. Jessie und Ricky Blue auf einmal. Zusammen wart ihr unschlagbar." Jeremy wurde wieder ernst. "Mal ehrlich. Das liegt hinter mir. Und ich würde dich gern bitten, das möglichst für dich zu behalten... ich bin nicht unbedingt stolz darauf..." "Weiß dein Freund davon?" Auch Colin schaltete auf ernsthaft um. Er spürte, dass Jeremy das Thema lange nicht so locker nahm, wie er tat. "Ja. Aber ich möchte das möglichst nicht so häufig auf den Tisch packen. Also erzähl nach Möglichkeit Marcus nichts davon. David hat mir gesagt, dass Chris und Jason davon wissen, nachdem ich nun weiß, dass ihr euch aus der Videothek kennt, denke ich mal, von dir." "Schuldig im Sinne der Anklage... tut mir leid." gab Colin zu. "Schwamm drüber, die Beiden haben mich nie darauf angesprochen. Aber wie gesagt, Ricky Blue ist Vergangenheit. Ich drehe keine Filme mehr und Alex, also Jessie, tut das auch nicht mehr." "Kein Wort werde ich mehr darüber verlieren, versprochen", lächelte Colin. "Danke." Der Schwarzhaarige nickte nur. "Sag mal, hast du vielleicht Lust, heute Abend etwas mit Marcus und mir zu unternehmen? Ich will ihn etwas von der Sorge um Chris ablenken und du könntest sicher auch etwas Abwechslung gebrauchen. Bring doch... wie heißt sie noch... Abby! Ja, genau, bring Abby mit. Wir können ins Kino gehen, oder so." Jeremy erwiderte sein Lächeln. "Wirklich?" "Wenn ich das sage, meine ich das auch so." "Na dann, gerne!" Colin freute sich über die Zusage. Etwas an dieser Begegnung sagte ihm, dass er gerade einen Freund gefunden hatte. Er mochte Jeremy auf Anhieb sehr gern, nicht die Fantasiegestalt Ricky Blue, sondern den jungen Mann, der hier vor ihm stand. Und Marcus konnte ihn auch gut leiden, dass wusste er. Was sprach also dagegen? Gemeinsam machten sie sich daran, endlich den "wohlschmeckenden" Automatenkaffee zu holen. Zur gleichen Zeit rückte sich Marcus einen Stuhl neben Davids Bett zurecht. Der Anwalt saß aufrecht, mit einem Kissen im Rücken, da, das typische Krankenhaushemdchen verdeckte dabei seinen bandagierten Oberkörper. Er war überrascht gewesen, allerdings nicht negativ, den Jungen zu sehen, war ihr Kontakt doch bisher nicht ganz so eng gewesen. "Geht es... dir schon etwas besser?" Marcus musste sich erst wieder ins Gedächtnis rufen, dass David ihm bereits erlaubte hatte, ihn zu duzen. "Danke, ja. Und bei so liebem Besuch, kann es einem ja nur gut gehen." David spürte genau, dass die Situation dem Teenager etwas unangenehm war. Er lächelte ihn an und Marcus wurde leicht rot. "Ich... äh. Gern geschehen." "Hör mal, Marcus, ich möchte nicht, dass du dich unwohl fühlst. Sieh in mir nichts anderes als in Jason. Und Jasons Freunde sind auch meine Freunde." "Es ist mir ja eigentlich nicht unwohl oder so!" ereiferte sich Marcus. "Ich mag dich gern, aber wir haben uns lange nicht mehr gesehen und ich will nicht unverschämt wirken." David lachte leise. "Du bist süß, weißt du das?" "Findest du?" "Ja." Der ältere Blonde zwinkerte ihm zu. "Hast du deinen nicht minder süßen Freund nicht mitgebracht?" "Du kennst Colin?" Marcus blickte verblüfft auf. "Flüchtig, ich habe ihn mal in einem Club kennen gelernt und hab gedacht, er wollte Jeremy angraben. Aber da wart ihr noch nicht zusammen." David merkte, dass der Junge bei diesem Thema auftaute, deswegen verfolgte er es weiter. "Ich hoffe, mit ihm läuft es besser, als mit Jason zwei." "Mit Gary habe ich keinen Kontakt mehr", tat Marcus die Erwähnung von Jasons Bruder ab, "Aber mit Colin läuft es spitze..." Er schlug die Augen nieder. "Na ja... bis auf..." "Bis auf was?" "David, du liegst hier im Krankenhaus, nachdem dir eine Kugel rausoperiert wurde, hast du wirklich den Nerv, dich mit den Problemen eines Teenies zu befassen?" David zuckte fast unmerklich zusammen. Die Erinnerung an das, was mit ihm geschehen war, was noch mit ihm geschehen würde, brachte ihn beinahe aus der Fassung. Aber er schaffte es irgendwie, sich wieder in den Griff zu bekommen und die finsteren Gedanken in den Hintergrund zu drängen. "Marcus, ich bin seit gestern hier und mir fällt schon die Decke auf den Kopf. Lenk mich etwas ab." "Es ist aber nichts erfreuliches." "Komm schon, raus damit." "Colin will mit mir schlafen." Stille. David schaute ziemlich blöd aus der Wäsche. "Und?" fragte er schließlich. "Nichts und, das ist das Problem." "Wenn du nicht minderjährig wärst, würden mir jetzt eine ganze Menge Fragen einfallen, woran es liegen könnte, aber ich warte lieber auf das, was du dazu zu sagen hast." "Er denkt ich sei noch... ich sei noch Jungfrau." Marcus wurde schon wieder rot, aber er hatte mit einem Mal das Gefühl, dass er sich Jasons bestem Freund anvertrauen konnte. "Und du bist es nicht...?" David kratzte sich am Hinterkopf. "Oh... ich verstehe." "Du weißt es?" "Jason hat mir mal erzählt, wie Chris und du euch kennen gelernt habt. Keine Panik, das bleibt unter uns." "Aber dann weißt du, was mein Problem ist! Colin ist so ein lieber Kerl. Er hat mir gestern sogar gesagt, dass er mich liebt. Und er macht sich solche Hoffnungen, er plant ein total romantisches erstes Mal mit allem Drum und Dran. Und wie sagt man so einem wunderbaren Jungen, dass man selbst schon mit mehr Männern Sex hatte, als er vermutlich in seinem ganzen Leben haben wird?" "Das ist beschissen... aber die Wahrheit wäre keine Möglichkeit? Wenn er so ein toller Junge ist, wie du sagst, dann müsste er doch Verständnis haben, glaubst du nicht?" Marcus spielte etwas unsicher mit seinen Fingern. "Ich weiß nicht..." "Ich bin kein Beziehungsexperte, Marcus, ganz sicher nicht. Aber ich glaube nicht, dass eine Beziehung eine Zukunft hat, die auf einer Lüge aufbaut." "Das weiß ich auch... vor allem... selbst wenn... ich glaube nicht, dass ich ihm überzeugend vorspielen kann, dass es mein erstes Mal wäre... dazu bin ich mittlerweile zu..." Er suchte das richtige Wort. "...erfahren... denke ich." "Das klingt ganz schön abgebrüht, mein Schatz." Marcus stieg schon wieder das Blut in die Wange. Einmal wegen dem, was David gesagt hatte bzw. wie er eben rüber gekommen war, und andererseits, weil der selbst jetzt unbestritten umwerfend aussehende Mann ihn "Schatz" genannt hatte. "Na ja, ich meine, ach, er...Colin hatte schließlich auch schon einen Freund, es ist doch nicht so, dass er mit mir die Liebe entdecken müsste. Er weiß, wie es sich anfühlt, jemanden zu vögeln!" Er schlug erschrocken die Hand vor den Mund. David grinste nur. "Ich kann dir keinen allgemein gültigen Rat geben, denke ich. Die Wahrheit ist wahrscheinlich der beste Weg," Sagt ausgerechnet der Mann, der jetzt alle Menschen um sich herum belügt, fügte er in bitterem Ton im Kopf hinzu, "aber du solltest ihm keinen Holzhammer an den Kopf zimmern. Warte auf den richtigen Moment, vielleicht wenn sich die Wogen etwas geglättet haben, wegen der ganzen Scheiße, die hier abläuft. Wenn er dich wirklich liebt, dann wird er es verstehen." Marcus konnte nicht anders als dankbar zu lächeln. Im Reflex stand er auf, beugte sich vor und drückte David einen Kuss auf die Wange. Der ältere Mann nahm ihn in diesem Moment in den Arm. "Genieß dein Leben, Marcus, jede Sekunde davon", flüsterte er. Als sich der Teenager von ihm löste, schaute er ihn leicht verwundert an. Davids Worte hatten so komisch geklungen, mit einem verbitterten Unterton und so endgültig. Aber bevor Marcus ihn dazu befragen oder auch nur den Gedanken daran weiterverfolgen konnte, öffnete sich die Tür und sein Freund und Jeremy kamen bester Laune in den Raum. Vor den vergitterten Fenstern dämmerte es, als Chris endlich Schritte auf dem Flur hörte. Alles war vorbereitet. Mit geradezu eiskalter Ruhe hatte er das gesamte Zimmer wieder aufgeräumt, das Bad wieder in Ordnung gebracht und sich selbst gestylt. Er hatte seine Haare zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden und ein paar Strähnen in die Stirn gezupft. Ein Hauch seines Lieblingsparfums, wusste der Teufel, woher Dave die Marke kannte, umspielte ihn. Dazu trug er einen schneeweißen Seidenbademantel, der an einen Kimono erinnerte, das gleiche Modell, mit dem er Jason vor Marcus' erstem Besuch becirct hatte. Die Erinnerung daran vergrub er aber mit aller Kraft in sich, solche Gedanken behinderten ihn jetzt nur. Für eine kurze Zeit kam wieder der Chris aus seiner Zeit in New York ans Tageslicht, der Straßenjunge, der sich jahrelang allein durchgeschlagen hatte, kühl und berechnend. Als er den Schlüssel im Schloss hörte, legte er sich aufs Bett, in dem vollen Bewusstsein, dass der Mantel bei seiner Position mehr zeigte denn verdeckte. Dave betrat den Raum und sofort wurde deutlich, dass ihm der Anblick mehr als gefiel. "Schatz, du siehst umwerfend aus." "Vielen Dank", hauchte Chris und setzte sich auf, wobei rein zufällig die Seide von seinem nackten Oberschenkel glitt und das ganze Bein entblößte. Dave kam ans Bett und reicht Chris eine mit einer großen Schleife verzierte Packung seiner Lieblingspralinen. "Oh, die liebe ich!" jubelte der blonde Mann, während er sich vorstellte, jede einzelne dieser Kalorienbomben langsam in Daves Hals zu schieben, bis er daran erstickte. Beinahe erschrak er vor sich selbst, über soviel Hass, aber sein Gewissen hatte in diesem Moment nichts zu melden. "Woher wusstest du das?" "Ganz ehrlich? Ich habe dich und deinen ehemaligen Freund überwachen lassen, seit ich zum ersten Mal bei dir war. In dem alten Haus gegenüber von eurem ist ein Detektiv stationiert gewesen. Ich habe Hunderte von Fotos von dir, auch welche davon, wie dieser Affe dir eine Packung davon schenkt. Und dein Lieblingsparfum, deine liebsten Kleidungsstücke und so weiter, kenne ich, weil ich ein paar Mal in eurem Haus war, als ihr nicht da wart." Chris lief es eiskalt den Rücken runter. Beinahe wäre ihm ein "Perverser Psychopath!" herausgerutscht, aber er riss sich zusammen. "Ich bin immer noch überrascht, dass du dich so plötzlich gedreht hast. Immerhin habe ich deinen ach so geliebten Jason ermorden lassen." Chris stand auf und schmiegte sich an Dave, seine Hand glitt am Bauch des Mannes hinab in dessen Schritt, wo er die Männlichkeit seines Jugendfreundes durch die Hose zu massieren begann. "Mag sein. Aber ich will ganz sicher nicht sterben. Ehrlich, Dave, ich habe keine Lust, den Rest meines Lebens in diesem Zimmer zu verbringen. Da will ich lieber ein Leben an deiner Seite führen, in dem Luxus, den du mir bieten kannst." Er sah Dave dabei in die Augen, die plötzlich zu strahlen begannen. "Siehst du?" lachte der Millionär übermütig. "Du brauchtest nur ein bisschen Überredung! Jason war ein Idiot, er hat den Tod verdient! Jetzt bist du frei und wir sind füreinander bestimmt! Das waren wir schon immer!" Chris wurde genau jetzt endgültig klar, dass Dave Jerrod krank war. Ein totales psychisches Wrack. Er hatte so normal gewirkt, aber wahrscheinlich hatte seine Ablehnung in Dallas ihn endgültig über die Grenze geschickt. Er war gefährlich, aber in seiner Fixierung auch unglaublich dumm. Jeder normale Mensch hätte in dieser Situation Lunte gerochen. Keiner, der einigermaßen bei Verstand war, konnte nach dem Mord an dem Menschen, den er liebte, so schnell umschwenken und den Mörder vergöttern, außer man war ein wirklich widerliches Miststück. Aber bei Dave reichten schon ein paar liebe Worte und ein angedeuteter Handjob, um ihn zu überzeugen. An das Ekel erregende Erlebnis vom Morgen wollte er lieber nicht denken. "Ja. Wir sind füreinander bestimmt, das erkenne ich jetzt auch." Trotz allem Widerstreben küsste er Dave erneut voller Leidenschaft. Dann nahm er ihn an der Hand und führte ihn in Richtung Badezimmer. "Wo gehst du mit mir hin?" Chris öffnete die Tür und betrat das Bad. Er ließ Daves Hand los und drehte sich kokett um. Dabei öffnete er den Gürtel seines Mantels und ließ ihn mit einer geschickten Bewegung von seinem Körper gleiten. "Ich will, dass du mich nimmst. Fick mich, Dave. Ich will, dass du es mir besorgst. Machst du das, mein Süßer?" Er fasste sich mit einer vulgären Bewegung in den Schritt. Das ließ sich Dave nicht zweimal sagen. Er packte Chris, hob ihn hoch und drückte ihn gegen das Waschbecken. Ihre Lippen trafen sich und schon wieder musste Chris einen ekelhaften Kuss über sich ergehen lassen. Daves Erregung drängte gegen sein Becken. Ihm wurde schon wieder übel, am liebsten hätte er sich direkt in den Mund des anderen Mannes übergeben. Endlich ließ Dave von ihm ab. Chris griff nach hinten. Mit einem Lächeln nahm er die Plastikflasche mit Massageöl in die Hand. "Damit dein großer Junge besser rutscht", grinste er. Vermutlich ist das Ding seit du sechzehn warst eh nicht mehr gewachsen, du Wichser!, beendete er den Satz in Gedanken. Dave leckte sich mit der Zunge über die Lippen und beugte sich etwas vor, um seinen Reißverschluss zu öffnen. Bevor er noch etwas daraus hervor holen konnte, intervenierte Chris. "Eines noch, Dave..." Der Mann hob den Kopf. "Hm?" Chris drückte die Ölflasche mit beiden Händen zusammen. Ein dicker Strahl einer zähen Flüssigkeit schoss hervor und klatschte Dave direkt in die Augen, noch bevor er sie schließen konnte. Der Entführer fiel mit einem Schrei auf die Knie und presste seine Hände auf die Augen. Der blonde Mann atmete schwer. Kaum das Dave die Finger kurz von seinem Gesicht nahm, hielt er noch einmal mit der Flasche drauf. Selbst als er seine Augen wieder bedeckte, spritzte er ihm die Flüssigkeit weiter ins Gesicht, bis die Flasche leer war. "Was hast du?" fragte er mit einer Stimme weit unter dem Gefrierpunkt. "Es gibt doch kaum etwas geileres, als eine Ladung Abflussreiniger in die Augen zu bekommen." Das war seine Entdeckung gewesen. Dumm wie er offenbar war, hatte Dave in einer Packung Abflussfrei in der hintersten Ecke des Schranks keine Bedrohung gesehen. Chris aber hatte den Inhalt des Massageöls im Ausguss verschwinden lassen und die Gott sei Dank undurchsichtige Flasche mit dem aggressiven Putzmittel gefüllt. Es war beinahe zu leicht gewesen. Dave schrie und zeterte, er benutzte Schimpfworte, die Chris kaum über die Lippen brachte und immer wieder drohte er ihm mit dem Tod. Der Blonde ignorierte ihn und wollte das Badezimmer verlassen, als Daves Hand vorschoss und seinen Knöchel packte. Obwohl er sicher nicht das Geringste sehen konnte, seine Augen waren rundherum feuerrot und er musste sie zukneifen, hielt er ihn bombenfest. "Lass mich los, du Dreckskerl!" "Niemals! Ich mache dich fertig, du mieses, verlogenes Stück Scheiße!" Chris trat ihm in den Schritt, er konnte die Stelle in Daves hockender Position mit dem freien Fuß mühelos erreichen. Der andere Mann heulte erneut auf und bevor er reagieren konnte, gab ihm Chris einen Stoß. Er verlor das Gleichgewicht, stürzte nach hinten und schlug mit dem Hinterkopf an die Toilette. Dann war es still. Dave lag reglos am Boden, aber Chris wagte es nicht, zu kontrollieren, ob er tot war oder noch lebte. So schnell er konnte, fingerte er in den Taschen des Mannes nach dessen Schlüsselbund. Dave atmete flach, aber selbst wenn er jetzt sterben sollte, Chris war es egal. Er rannte ins Zimmer nebenan, fand am Bund den Schlüssel für die Badezimmertür und verriegelte sie. Dann zog er sich in Windeseile etwas an und verließ sein Gefängnis in Richtung Flur, natürlich nicht ohne auch die zweite Tür zu verschließen. Das restliche Haus entpuppte sich als ziemlich groß. Es war wohl eine Art nobles Landhaus. Holzvertäfelungen, eine Menge Zimmer. Von Chris' Gefängnis aus führte ein kurzer Gang auf eine Galerie des Hauptraumes, ein ausladendes Wohnzimmer komplett mit einem großen Kamin und Jagdtrophäen an den Wänden. Allerdings war das ganze Haus offenbar schon lange nicht mehr genutzt worden. Überall lagen dicke Schichten von Staub, in den Ecken waren ausufernde Spinnweben und alle Möbel waren mit weißen Laken abgedeckt. Chris eilte die Treppe von der Galerie in den Wohnraum hinab. Die einzigen nicht bedeckten Möbelstücke waren der große Esstisch in der Ecke des Raumes, von oben nicht zu sehen, da die Balustrade den Blick behinderte, und ein Stuhl. Auf dem Tisch verteilt lagen Unmengen von Blättern. Der Blonde näherte sich, damit er sie besser sehen konnte. Fotos. Unendlich viele Fotos. Jason und er, wie sie ins Auto stiegen, er beim Aufschließen der Haustür, während sein Freund hinter ihm Einkaufstüten balancierte, sowohl Jason als auch Chris beim Verlassen des Hauses mit Batman an der Leine, Fotos von Marcus, Colin, David und sogar dem Postboten. Und nicht nur der Eingangsbereich war ein Motiv. Chris stockte der Atem als er die mit einem offensichtlich sehr teuren Objektiv gestochen scharf geschossenen Fotos aus ihrem Schlafzimmer entdeckte. Er bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass sie die ganze Zeit beobachtet und fotografiert worden waren, und noch mehr bei der Vorstellung, wie Dave sich diese Fotos betrachtete. Die Aufnahmen wären perfekter Stoff für ein Pornoheft gewesen, selbst beim Orgasmus waren sie abgelichtet worden. Außerdem gab es noch Dutzende andere Bilder. Chris beim Einkaufen, im IHoP, beim Bummeln und Kaffee trinken mit Sly, bei einem Ausflug mit Marcus, Jason und Colin in den Golden Gate Park, sogar von dem Gespräch mit Ash, dass er an dem Tag geführt hatte, an dem er seinen "kleinen Bruder" verkuppelt hatte. Es war alles da, quasi sein ganzes Leben seit Daves erstem Auftauchen in San Francisco. "Du perverser Mistkerl!" Seine Hände zitterten. Angewidert warf er die Fotos wieder auf den Tisch. Sein Blick fiel auf den Schürhaken am Kamin. Für einen Augenblick überlegte er sich, das metallene Werkzeug zu nehmen, wieder ins Badezimmer zurückzukehren und so lange auf Dave einzudreschen, bis man nicht mehr erkennen konnte, ob er Männlein oder Weiblein war. Aber er konnte es nicht. Außerdem wäre das sicher nicht als Notwehr durchgegangen und vielleicht noch wegen Selbstjustiz im Gefängnis zu landen, das war die Sache nicht wert. Neben den Papieren lag ein Handy. Chris Herz setzte für eine Sekunde aus. Seine Rettung. Er musste nur jemanden anrufen, dann könnte man das Gespräch zurückverfolgen und ihn finden. Er nahm das Telefon zur Hand und klappte es auf. Kein Empfang. Die Striche der Antennenanzeige waren auf null, nicht einmal das Betreiberlogo war zu sehen. "Verdammte Scheiße!" In diesem Moment wurde es im Obergeschoss laut. Jemand hämmerte gegen die Badezimmertür, das konnte man bis hier unten hören. Dave war wohl doch nicht schwer verletzt gewesen. Er war schon wieder wach. Panik erfasste den blonden Mann. Er griff sich das Handy, riss die Schlüssel wieder an sich und war mit wenigen Schritten bei der Haustür. Er taumelte ins Freie. Um ihn herum nichts als dichte Wälder. Eine schmale, unbefestigte Straße führte vom Haus in den Forst hinein, schnurgerade, wenn er dort entlang lief, würde Dave ihn sofort finden. Das Auto seines Peinigers stand vor der Jagdhütte, aber neben der Tatsache, dass er immer noch nicht fahren konnte, fand Chris keinen Autoschlüssel bei seiner Beute. Also tat er das einzig Mögliche: Er stopfte den Schlüsselbund und das Handy in seine Tasche und rannte ins Unterholz, weg von diesem Haus, weg von Dave, erst einmal nur hinein in das immer düsterer werdende Zwielicht des abendlichen Waldes. "Wollt ihr etwas trinken?" Marcus und Colin schüttelten den Kopf. Sie saßen Jason gegenüber im Wohnzimmer von Ash, welcher ihnen eben diese Frage gestellt hatte. Draußen wurde es schon dunkel, Chris war nun schon mehr als vierundzwanzig Stunden unauffindbar. "Und? Gibt es etwas Neues?" Jason nippte an seinem Drink, sein Partner hatte ihm einen doppelten Bourbon eingeschenkt, damit er seine Nerven etwas beruhigte. "Nein. Wir waren heute im Department und haben eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Und wisst ihr, was dieser Idiot gesagt hat?" Er wartete einen Moment, aber da es wohl niemand außer ihm wusste, von Ash mal abgesehen, fuhr er fort. "Haben Sie sich in letzter Zeit vielleicht häufiger mit ihrem Lebensgefährten gestritten? Gab es Anzeichen, dass er vielleicht anderweitige Kontakte pflegte?!" Er knallte sein Glas regelrecht auf den Tisch. "Hallo?! Ich hätte dem am liebsten eine rein gehauen! Würde ich eine Vermisstenanzeige aufgeben, wenn ich vermuten würde, dass Chris mich verlassen hat?! Aber Schwule sind ja dermaßen wechselhaft, heute bums ich den, morgen einen Anderen. Und wenn der besser ist, lasse ich meine ganze Habe bei meinem letzten Deckhengst und verschwinde auf Nimmerwiedersehen!" Der Polizist schnaubte verächtlich. "Das sind doch alles gottverdammte Idioten! Bescheuerte Spinner und Schwulenhasser!" "Jason, reg dich nicht wieder so auf." "Hör auf mit mir zu reden, als sei ich ein zurückgebliebener Geisteskranker, Ash!" fuhr Jason seinen Partner in einem dermaßen wütenden Ton an, dass sowohl Marcus als auch Colin zusammenzuckten. Er fixierte den blonden Mann kampfeslustig, der sich aber nicht aus der Ruhe bringen ließ. Schließlich sackten Jasons Schultern nach unten, er blickte zu Boden. "Entschuldigung... was müsst ihr von mir für einen Eindruck haben? Besonders du, Colin..." Marcus' schwarzhaariger Freund lächelte nur. "Du hast Angst um den Mann, den du liebst." Er nahm seinen Freund in den Arm. "Ich würde wahrscheinlich genauso sein, wenn Marcus verschwunden wäre." "Ist er nicht süß?" grinste dieser und drückte Colin einen Kuss auf die Wange. "Das rechtfertig trotzdem nicht, dass ich mich bei den Menschen, die mir helfen wollen, wie die Axt im Walde benehme. Tut mir leid, Ash." "Schon okay." Sein Partner machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich kenne dich mittlerweile gut genug, um mir so etwas nicht zu Herzen zu nehmen." "Lenkt mich ab!" forderte Jason mit einem Hilfe suchenden Blick in Richtung der Teenager. "Wie geht es David? Ihr wart doch bei ihm. Ich hoffe, er ist nicht sauer, weil ich ihn nicht besuchen kann." "Keine Spur, er klopft schon wieder lockere Sprüche!" grinste Marcus. "Tut er das?" Colin schaute ihn von der Seite an. "Ja...äh, du warst doch erst mit Jeremy draußen. Und später habt ihr ihn schließlich kaum zu Wort kommen lassen, du und Jem. Ihr habt gequatscht wie ein Wasserfall." "So, so", mischte sich Jason ein, "magst du Jeremy?" Colin nickte lächelnd. "Er ist cool. Ich habe ihn übrigens gefragt, ob er heute Abend mit uns was unternehmen will, so sind wir alle etwas abgelenkt." "Schön, dass du mir das auch mal sagst!" Marcus stemmte die Hände in die Hüften. "Hat er dich etwa angemacht? Ich werde ein Auge auf euch Beide haben!" Sein Lachen strafte seine Worte Lüge. "Aber keine Spur, du bist mein Ein und Alles, mein Schatz." Colin zog Marcus an der Nasenspitze zu sich und küsste ihn. "Waren wir in dem Alter auch so?" Ash beugte sich von hinten über die Couch und legte seine Hand kumpelhaft auf Jasons Schulter. Dieser lächelte, der Wortwechsel und die Neckerei zwischen Marcus und Colin hatten ihn tatsächlich einen Moment von der Wirklichkeit abgelenkt. "Ich war sicher nicht so. Ich war in dem Alter verklemmt und hatte Angst, dass jemand merkt, dass ich schwul bin." "Ich hatte eine Freundin", lachte Ash. "Sie war lesbisch und ich war schwul, das war die perfekte Kombination. Keiner von uns Beiden wurde belächelt, weil er solo war, und keiner von uns musste sich schämen, weil er kein Interesse am jeweils Anderen hatte." Alle Augen im Raum wandten sich ihm zu, besonders Jason schaute vollkommen perplex über seine Schulter. Ash streckte ihnen die Zunge raus. "Was gibt es da zu glotzen?" kicherte er. Mitten in diesen Moment der Entspannung klingelte Marcus Handy. Chris stürmte weiter in den immer finsterer werdenden Wald. Äste schlugen ihm ins Gesicht und die Büsche, durch die er brach, zerkratzten ihm die Arme. Aber er rannte einfach weiter, immer weiter. Seine Lungen brannten wie Feuer, die Seitenstiche waren kaum noch auszuhalten, aber trotzdem wagte er es nicht, anzuhalten. Das Gehölz um ihn herum war vollkommen unberührt und scheinbar verdammt groß. Es gab keine Wanderwege, Schilder oder Wegweiser, nur Bäume, Sträucher und jede Menge Stolperfallen in Form von Wurzeln. Es drang mittlerweile kaum noch Licht durch die Baumkronen, die den Himmel nahezu verdeckten. Die Nacht brach über den Wald herein. Plötzlich verfingen sich Chris' in einem tief hängenden Ast. Der schmerzhafte Zug zwang ihn, stehen zu bleiben. Mit verzerrtem knallroten Gesicht versuchte er, seinen verschwitzten blonden Schopf von dem aufdringlichen Auswuchs des Baumes zu befreien, dabei zerriss sein Haarband. Endlich kam er frei. Nach Luft ringend lehnte er sich an den Baum, der ihn zum Anhalten genötigt hatte. Er war vollkommen allein, kein Anzeichen für einen Verfolger, aber trotzdem traute er sich nicht, lange an diesem Ort zu verweilen. Mit immer noch zitternden Fingern suchte der Blonde in seiner Tasche nach dem Handy, um es zu öffnen. Das Licht des Displays war so hell, dass es ihn für einen Moment blendete, seinen Augen hatten sich zu sehr an die Finsternis des Waldes gewöhnt. Beinahe hätte Chris vor Freude aufgeschrieen. In der linken Ecke des Bildschirm war das schönste Geschenk, dass ihm die moderne Mobilfunkindustrie hatte machen können: Die Antennenanzeige hatte einen von fünf möglichen Balken! Ein Käuzchen begann durch den Wald zu rufen und läutete die Nacht ein. Aus Angst, entdeckt zu werden, lief Chris weiter, während er die erste Nummer wählte, die ihm außer Jasons in den Kopf kam. Marcus hielt sein klingelndes Handy in der Hand, die Titelmelodie der Teenie-Soap um Orange Countys Schickeria, O.C., California, erfüllte den Raum. "Unbekannter Teilnehmer, keine Nummer." "Nimm trotzdem ab.", riet Colin. Sein Freund drückte die Taste zur Annahme des Gesprächs und führte den Hörer an sein Ohr. "Hallo?" Seine Augen wurden riesengroß. "Oh mein Gott! Chris!" Jason setzte sich erschrocken auf. Am liebsten hätte Chris geweint, als er Marcus' Stimme hörte. Der erste vertraute, freundliche Klang seit fast zwei Tagen. Die Verbindung rauschte und war sehr schwach, aber er hatte Kontakt zur Außenwelt, er war gerettet! Seine Gedanken überschlugen sich, er wusste kaum, was er zuerst sagen sollte. "Marcus! Ich brauche Hilfe! Er ist hinter mir her, glaube ich!" Marcus zitterte am ganzen Körper. "Chris?! Verstehst du mich?! Die Verbindung ist so schlecht! Wo bist du?! Und wer ist hinter dir her?! Chris!" Jason sprang fast über den Couchtisch, als er dem Jungen das Handy geradezu brutal aus der Hand riss. Sein Glas wurde umgeworfen und verteilte seinen Inhalt auf der durchsichtigen Oberfläche und im Teppich. Irgendwo im Wald, in der näheren Umgebung, knackte etwas. Ein Ast zerbrach. Chris wirbelte herum. War da jemand? Er konnte niemanden erkennen. Panik erfasste ihn. Marcus schrie etwas gegen die Störgeräusche an, aber er konnte es kaum verstehen. Sollte er es wagen und in den Hörer brüllen? Was, wenn dieses Geräusch nun von Dave stammte. Wenn er sich verriet und dann seinen Kontakt zu Marcus mit dem Leben bezahlte? Hektisch trat er ein paar Schritte zurück, damit er in den großen Büschen verschwand, die sich hinter ihm aufbauten. Er drückte sich ins Unterholz und nahm all seinen Mut zusammen, um ins Handy zu rufen, als sein rechter Fuß plötzlich ins Leere trat. Er kippte nach hinten, verlor die Balance und stürzte mit einem erstickten Schrei auf den Lippen. Die Äste des Busches hatten nicht die Kraft, seinen Fall zu bremsen. Hinter dem Gebüsch befand sich ein steiler Abhang, verdeckt von der Dunkelheit und den Gewächsen. Chris überschlug sich und das Handy flog aus seiner Hand, Dreck, Blätter und kleine Äste knallten in sein Gesicht. Der Wald verwandelte sich in einen tosenden Wirbel aus Finsternis und Schmerz, bevor er endlich am Ende des Abhangs benommen liegen blieb. "Chris?! Schatz?! Sag etwas! Bitte! Los doch!" Jason brüllte wie ein Wilder in den Hörer von Marcus' Handy. "Sag etwas! Bitte!" Die Adern an seinem Hals traten deutlich hervor, er hielt das Telefon so fest umklammerte, dass man befürchten musste, es würde jeden Moment zerbrechen. Alles blieb still, in der Leitung war nur noch ein statisches Rauschen zu hören. "Verflucht!" Der Polizist feuerte das Gerät auf die Couch. "Warum hast du Idiot mir das Handy nicht sofort gegeben?! Jetzt ist die Verbindung weg! Wie blöd bist du eigentlich?!" schrie er Marcus an, der sich ängstlich in die Kissen drückte, seine Lippen bebten und Tränen zeigten sich in seinen Augen. "Es reicht!" schritt Colin ein. "Hör auf, ihn so anzuschreien! Er kann doch nichts dafür!" "Colin hat Recht, Jason! Beruhige dich!" "Ich soll mich beruhigen?! Ich soll mich beruhigen?!" Jasons Zorn suchte sich ein neues Ziel, er ging auf Ash zu. "Das war mein Freund da am anderen Ende! Und wenn Marcus nicht unbedingt hätte den Helden spielen müssen, hätte ich vielleicht erfahren, was los ist! Also sag mir nicht, ich soll mich beruhigen! Ich..." Weiter kam er nicht, denn Ash verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. "Jetzt reiß dich mal zusammen! Deine irrationalen Wutanfälle nützen Chris einen Dreck! Marcus hat keinerlei Schuld daran, dass die Verbindung abgebrochen ist, er hat gerade mal einen Satz gesagt! Und er war ebenso überrascht wie wir, dass Chris am Telefon war! Also komm jetzt gefälligst runter!" Ashs Stimme duldete keinen Widerspruch. Jason schien in diesem Moment seine ganze Kraft zu verlassen. Langsam kehrte er zum Sofa zurück und ließ sich darauf fallen. Seine Wange färbte sich rot, man konnte deutlich Ashs Handabdruck erkennen. Marcus hatte die Tränen nicht mehr zurückhalten können, er lag weinend in Colins Armen, der schwarzhaarige Junge fixierte Chris' Freund mit unverhohlenem Zorn, während er mit der Hand über Marcus' blonde Haare streichelte. "Entschuldige, Marcus... es tut mir leid...", sagte Jason leise, seine Stimme zitterte dabei. "Ich bin das reinste Nervenbündel... verzeih mir..." "Schon okay...", schluchzte der Teenager, er schien mühsam zu versuchen, mit dem Weinen aufzuhören. Ash ließ sich neben dem Jungen nieder. "Marcus, was hat er gesagt?" Er löste sich von Colin und wischte sich mit der Hand über die Augen, bevor er die Nase hochzog. "Ich konnte ihn kaum verstehen." Seine Finger suchten die Hand seines Freundes und umschlossen sie. "Er hatte Angst. Und er sagte, jemand sei hinter ihm her. Er ist hinter mir her... war sein Wortlaut, glaube ich..." "Soviel zum Thema, dass dich dein Freund verlassen hat, Jason. Jetzt haben wir wenigstens den Beweis, dass etwas nicht stimmt, und gleichzeitig, dass er noch am Leben ist." "Aber wo ist er?" Jason vergrub sein Gesicht in den Händen. So nah dran und doch wieder gescheitert. "Wo bist du nur...", flüsterte er verzweifelt in seine Handflächen. Chris stemmte sich ein Stück vom Boden hoch und spuckte angewidert. In seinem Mund war ein Geschmack, als hätte er eine Handvoll Erde gekaut. Alles tat ihm weh. Mittlerweile war es so dunkel, dass er nicht einmal mehr den oberen Rand des Abhangs erkennen konnte, der für seinen Sturz verantwortlich war. Mühsam stand er auf. Zum Glück schien er sich nichts gebrochen, nicht einmal verstaucht oder gezerrt zu haben. Zwar hatte er im ganzen Körper Schmerzen, aber er konnte zumindest stehen und auch laufen, wie er mit ein paar vorsichtigen Schritten feststellt. Das Handy! Wo war es?! Auf allen Vieren kroch der blonde Mann über den Waldboden, fuhr mit den Fingern durch den Dreck und die Blätter, auf der Suche nach seiner einzigen Verbindung nach San Francisco. Irgendetwas krabbelte über seinen Arm, aber trotz seiner Abneigung vor Insekten und Spinnen wischte er das undefinierte Tier mit einer schnellen Bewegung weg. Endlich schlossen sich seine Finger um etwas aus Plastik, das eindeutig nicht zu den Früchten des Waldes gehörte: Die obere Seite des Handys. Es war wohl in der Mitte auseinander gebrochen, wahrscheinlich gegen einen Stein oder ähnliches geprallt. Der Bildschirm war gesplittert. Wieder traten Tränen in seine Augen. Mit einer wütenden Bewegung feuerte er die kläglichen Überreste des Mobiltelefons in die Dunkelheit. Für ein paar Sekunden hatte er gedacht, er sei gerettet. Jetzt konnte er nur auf Marcus hoffen, dass er Jason... Jason. Hier, in der Einsamkeit und unheimlichen Finsternis des Waldes, kehrte die Gewissheit mit einem Schlag zurück. Jason war tot. Sein Ein und Alles, der wichtigste Mann in seinem Leben, war gestorben. In der Überzeugung, Dave entkommen zu können, hatte er die Schmerzen über den Verlust verdrängt, aber jetzt brach alles über ihn herein. Weinend und schluchzend lief er langsam weiter in den Wald hinein, bis er ganz in der Nähe einen Überhang aus Felsen und Wurzeln entdeckte. Natürlich konnten dort Spinnen hausen, aber im Augenblick war ihm alles egal. Während weiter Tränen über seine Wangen rannen, drückte er sich unter den Überhang, damit er ihm zumindest ein wenig Schutz bot. Es war bitter kalt und rund herum erklangen die nächtlichen Geräusche des Waldes. Äste brachen, der Wind fegte durch die Baumkronen und ließ die Bäume rauschen. Irgendwo rief wieder das Käuzchen. Chris winkelte die Knie an und schlang die Arme um seine Beine, damit möglichst wenig von seiner Körperwärme abgegeben wurde. Trotzdem fror er erbärmlich. Beim Sturz hatte er sich seine Wange verletzt, brennender Schmerz zog sich über einen Streifen seines Gesichts, wohl weil Erde in die Wunde gekommen war. Mehr als einmal hatte er das Gefühl, in den Büschen um sich herum Augen funkeln zu sehen und er betete inständig dafür, dass es hier keine Bären oder gar Wölfe gab. Irgendwann forderte sein Körper den Tribut für die Anstrengungen der letzten Stunden und er glitt in einen unruhigen und angsterfüllten Schlaf. Die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Morgens weckten den blonden Mann. Etwas kitzelte an seinem Bein. Er riss die Augen auf und entdeckte einen Waschbären, der interessiert an seinem Schuh nagte. Das kleine Tier blickte ihn erschrocken an und nahm die Beine in die Hand. Blitzschnell war es im Unterholz verschwunden. Unwillkürlich musste Chris lächeln, trotz der schrecklichen Situation. Er hatte die Nacht überlebt und das einzige Tier, dass ihm nahe gekommen war, war ein grauweiß gestreifter, niedlicher Nager gewesen. Er war vollkommen verspannt, sein Nacken krachte, als er sich aus seinem notdürftigen Versteck schob und streckte. Immer noch allein. Dave hatte ihn nicht gefunden, das war ein gutes Zeichen. Wenn er es schaffte, aus diesem Wald zu kommen und irgendeine Form von Zivilisation zu erreichen, war er gerettet. Und in Amerika sollte es doch möglich sein, eine Straße oder ein Telefon zu finden. An einem Baum in der Umgebung des Überhangs leerte er seine Blase und machte sich dann mit knurrendem Magen auf den Weg. Der Winter verließ die Natur allmählich, aber hier hatte er noch alles fest in der Hand. Zwar waren die Nadelbäume grün, aber im Tageslicht präsentierte sich das Unterholz in einem ganz anderen Bild. Es gab kaum Blätter an den Büschen und Sträuchern, geschweige denn Beeren, die Chris aber sowieso nicht gewagt hätte zu essen. Die vereinzelten Laubbäume des Mischwaldes waren weitestgehend kahl. Auch seine nächtliche Angst vor Bären erwies sich als übertrieben, sollte es hier welche geben, wurde Chris klar, hielten sie noch Winterschlaf. Was allerdings Wölfe anging... Er dachte lieber nicht weiter. Die Sonne kletterte immer höher und zeigte dem blonden Mann, in welcher Richtung er sich bewegte. Immer weiter nach Osten. Gut, dass sein Vater ihn als Kind zu den Pfadfindern geschleift hatte. Auch an dem Moosbewuchs an den Bäumen konnte er sich die Himmelsrichtungen erschließen. Seine Füße begannen bald zu schmerzen, ebenso wie sein vollkommen leerer Bauch. Aber Chris gab nicht auf. Er bahnte sich seinen Weg durchs Unterholz, kletterte über Steinbrüche und überquerte sogar einen klaren eiskalten Bach. Er hatte Durst, traute sich aber nicht, das schneidend kalte Wasser des Flüsschens zu trinken. Außerdem sollte man das in der heutigen Zeit nicht mehr tun, rief er sich ins Gedächtnis, egal wo man war. Und dann war es endlich soweit. Die Sonne hatte den Zenit schon lange überschritten, als der Wald plötzlich dünner wurde. Nach wenigen Schritten trat Chris aus dem schattigen Forst in das Licht des Tages hinaus. Das Himmelsgestirn brannte mit für diese Jahreszeit erstaunlicher Kraft auf die Straße hinab, an deren Rand der Blonde nun stand. Er konnte sich entscheiden, ihr nach Norden oder Süden zu folgen und entschloss sich spontan für Norden. Ein Hochgefühl erfasste ihn. Er hatte den Wald hinter sich gelassen, wenn er jetzt noch eine Notrufsäule finden konnte, war alles vorbei. Dann würde er nur noch am Waldrand ausharren müssen, bis die Rettung nahte. Und dann würde Dave Jerrod büßen. Er hörte das leise Geräusch eines Motors hinter sich und drehte sich im Gehen um. Ein Auto. Tatsächlich ein Auto. Noch besser als die Notrufsäule zu Fuß zu suchen. Vielleicht hatte der Besitzer ein Handy. Chris trat aus dem Waldrand hervor und stellte sich auf die Straße. Noch war der Wagen weiter entfernt, aber es konnte nichts schaden. Er winkte mit den Armen und rief "Hierher!" obwohl der Fahrer das sicher nicht hören konnte. Und tatsächlich wurde das Auto langsamer und kam schließlich circa zehn Meter von ihm entfernt zum Stehen. Die Sonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe des schwarzen Geländewagens. Chris hätte vor Freude am liebsten laut gejubelt. Er machte einen Schritt auf das Auto zu und blieb im nächsten Moment abrupt stehen. Plötzlich war alles um ihn herum still, er hörte seinen eigenen Herzschlag, der sich immer weiter beschleunigte. Er kannte diesen Wagen. Und er wusste auch woher. Er hatte ihn vor der Jagdhütte gesehen! Wie zur Bestätigung öffnete sich die Fahrertür und Dave Jerrod stieg grinsend aus. Er hatte einen Verband um den Kopf und winkte Chris zu. "Nein!" Der blonde Mann warf sich auf dem Fuß herum und rannte los. Wie von Sinnen stürmte er in den Wald hinein. Er nahm Daves Schritte wahr, die sich ebenfalls beschleunigten. Das durfte nicht wahr sein, nicht jetzt! Ohne auf die Richtung zu achten, rannte Chris immer weiter. Hinter ihm brachen Äste und Sträucher, als sein Verfolger aufholte. Er war weniger erschöpft als sein Opfer, viel agiler und flinker. Schließlich kam es, wie es kommen musste. Chris' Fuß verfing sich an einem Stein und er schlug der Länge nach hin. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, war Dave bei ihm und packte ihn am Kragen. Chris riss die Hände vors Gesicht. "Dave! Bitte nicht!" Der andere Mann rang nach Atem. "Ich hätte dir das Paradies auf Erden bieten können, du undankbares Miststück. Aber damit ist Schluss! Willkommen in der Hölle, Christopher!" Mit diesen Worten holte er aus und schlug Chris so heftig mit der Faust ins Gesicht, dass der junge Mann das Bewusstsein verlor. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Zeugenschutzprogramm, Zeugenschutzprogramm *flöt* *namen änder* *umzieh* Uly I, vielleicht solltest du doch mit der Kettensäge zu meinem Schutz anrücken *gggg* Obwohl dir dieses Kapitel sicher sehr gut gefällt. *das mal annehm* Das Ganze hier hat sich etwas gezogen, auch weil meine Freundin krank ist und ich mich natürlich um sie kümmere. Ich bin meistens erst abends ein Stündchen oder so zum Schreiben gekommen und habe deswegen sogar meinen Laptop immer noch nicht zur Reparatur gebracht (weil die Tastatur am PC zu laut ist, um noch zu tippen, wenn meine Liebste schläft XD). Aber er ist noch recht brav und die Garantie gilt noch *g* Das Kapitel der Enttäuschungen *g* David lehnt die lebensrettende Operation ab und Chris' Flucht wird auf den letzten Metern vereitelt, aber das wäre doch auch zu schnell gegangen, oder? *grins* Jetzt legt Dave erst richtig los. *muahahahahaaaaaa* Als Gegenpol gibt es etwas Zucker bei Colin und Marcus, aber natürlich auch hier nicht ohne dunkle Wolken, ich kann es nicht lassen *g* Wenigstens stehen der Freundschaft von Colin und Jem keine Hindernisse im Wege, somit ergibt sich ein weiterer Partner mit dem der Neuzugang (platonisch!!!) näher interagieren kann ^^ Ich bin heute irgendwie etwas unkreativ, was das Nachwort angeht und meinen Rekord was Seitenzahlen angeht, habe ich leider auch nicht gebrochen, aber dieses Kapitel hat immerhin 28 Seiten reine Story ^^ Ich hoffe, ihr verzeiht mir die längere Wartezeit und alles Unbill, durch das ich meine Charas jage, und bleibt mir gewogen ^^ Bis zum nächsten Mal ^^ Euer Uly PS: Zumindest den Rekord an Wörtern habe ich im Vergleich zu "It's all about Chris" gebrochen *g* PPS: Der Titel ist eine Abwandlung des englischen Titels von "Lola rennt", im englischsprachigen Raum heißt der Film "Run, Lola, run!" Kapitel 30: I won't get fooled again! (Part 4 of 5) --------------------------------------------------- "Woran denkst du?" "Hm?" Jeremy erwachte wie aus einem Tagtraum. Er saß am Fenster von Davids Krankenzimmer und schaute auf die Stadt hinaus. Sein blonder Freund hatte sich im Bett aufgesetzt und mit Jeremys Hilfe ein Kissen in seinem Rücken platziert. Er hielt ein Buch in der Hand, in dem er bis eben gelesen hatte. Das war das Wunderbare an ihrer Beziehung. Sie mussten nicht unbedingt reden, wenn sie zusammen waren, manchmal reichte schon die Anwesenheit des jeweils anderen, um ein Gefühl der Geborgenheit auszulösen. "Du starrst aus dem Fenster, als würdest du darauf warten, dass es gleich Geld regnet." Der Himmel über San Francisco war an diesem Tag nahezu wolkenlos und strahlend blau, soweit das Auge reichte. "Ich habe nur nachgedacht." "Verrätst du mir auch, worüber genau du nachgedacht hast?" "Über Chris und Jason." "Wenn ich dir weiter jedes Wort aus der Nase ziehen muss, werfe ich dir gleich mein Buch an den Kopf, Jeremy!", grinste David. "Ist ja gut!" Der Rothaarige wandte sich lachend vom Fenster ab und schaute den Anwalt an. "Ich mache mir Sorgen um die Beiden, besonders um Chris." Colin hatte Jeremy noch am Abend angerufen und den Kinobesuch abgesagt, das Lebenszeichen von Chris hatte sie zu sehr aufgewühlt. "Wenn er sagt, dass jemand hinter ihm her ist, ist er definitiv in Gefahr. Ich finde diese Ungewissheit furchtbar." "Und Jason vermutet wirklich, dass dieser Jugendfreund aus Dallas damit zu tun hat? Dave hieß er, oder?" Jeremy nickte nur. "Jason hat ein verdammt gutes Gespür, wenn es um so etwas geht. Ich vertraue seinem Instinkt. Und wenn es um Chris geht, dann kämpft er wie ein Löwe. Er hätte ihn schon einmal beinahe verloren, nochmals lässt er das nicht zu. Aber wahrscheinlich sehen das die restlichen Machos auf dem Department nicht. Er hat einfach den falschen Beruf, bei der Polizei bist du als Schwuler sofort unten durch." "Ist doch nicht nur dort so. Und nicht nur im Beruf. Ich merke doch, wie die Leute uns anstarren, wenn ich hier bin. Alle Ärzte gucken blöd, wenn ich dir einen Kuss gebe, bevor ich gehe. Als wäre ich eine Abnormität auf dem Jahrmarkt!" "Das liegt daran, dass du so jung aussiehst, Jeremy. Die glauben, ich treibe es mit einem Minderjährigen." "Findest du auch, ich sehe zu jung aus?" "Wäre ich mit dir zusammen, wenn du mir zu jung aussehen würdest?", stellte David grinsend eine Gegenfrage. Jeremy ging langsam um das Bett herum Richtung Tür. Ohne ein Wort zu sagen, drehte er den Schlüssel im Schloss und verriegelte sie. "Was wird das?" "Nichts, ich will uns ein bisschen von den Sorgen ablenken." "Ach ja?" Der Tänzer trat wieder ans Bett und zog seinen Pulli über den Kopf. Mit nacktem Oberkörper beugte er sich über die Bettkante. "Hast du eigentlich nichts unter diesem niedlichen Hemdchen an? Mal abgesehen von diesem Verband, der an dir auf seine Weise unglaublich sexy aussieht?" "Bis auf den Verband bin ich nackt wie Gott und das Fitnessstudio mich schufen." David legte sein Buch zur Seite. "Vielleicht muss ich mal kontrollieren, ob da noch alles in Ordnung ist. Ich muss schließlich auf deine Gesundheit achten." "Das musst du wohl." Jeremy schlug die Bettdecke zur Seite und ließ seine Hand langsam unter Davids Krankenhaushemd gleiten. Ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht. "Oh ja, da scheint noch alles in Ordnung zu sein." "Na ja, du solltest vielleicht etwas genauer kontrollieren!" Der Rothaarige nickte, leckte sich über die Lippen und senkte dann seinen Kopf in den Schritt seines Freundes. David legte den Kopf in den Nacken und stöhnte auf. Selbst er kam sich gerade wahnsinnig verdorben vor. Im Krankenhaus. Das war sogar für ihn neu. Er gab sich Jeremys Liebkosungen hin und schaffte es tatsächlich, der Realität in diesem Moment zu entfliehen. Es gab nur noch seinen Jeremy und ihn. Und ihre Liebe füreinander. Keine vermissten Freunde und vor allem keinen winzigen Metallsplitter, der innerhalb eines halben Jahres sein Leben beenden konnte. Chris schlug die Augen auf. Ruckartig. Wie ein Peitschenschlag kam sein Bewusstsein wieder zu ihm zurück. Für einen Augenblick drehte sich alles, ihm wurde übel. Ein paar Mal musste er die Augen fest zusammen kneifen, bevor die Realität vor ihnen endlich klarer wurde. Was er sah, brachte ihn an den Rand der Verzweiflung. Verschwunden war der Wald, die Landstraße, die Sonne. Chris befand sich wieder dort, wo seine Flucht angefangen hatte. Und noch schlimmer: Er konnte sich nicht bewegen. Verwirrt schaute er an sich herunter und keuchte erschrocken auf. Er saß auf einem Stuhl, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, so straff, dass es bereits jetzt begann, furchtbar zu schmerzen. Seine Füße waren ebenfalls mit Seilen umwickelt, er konnte sie keinen Zentimeter auseinander bewegen. Zu allem Überfluss war er auch noch nackt, nicht ein Kleidungsstück hatte Dave ihm gelassen. Panik erfasste den blonden Mann. Er zwang sich selbst, tief durchzuatmen und wieder etwas zu beruhigen, wenn er jetzt durchdrehte, hatte er gar keine Chance mehr. Wie lange war er ohne Bewusstsein gewesen? Vielleicht hatte Dave noch etwas nachgeholfen, denn nur von seinem Schlag konnte es nicht so lange gewesen sein. Sein Gesicht tat weh, dort wo der Mistkerl ihn geprügelt hatte. Wo war er? Chris schaute sich um, aber er konnte Dave nirgends entdecken. Er befand sich in einem anderen Schlafzimmer des Hauses, nicht so kitschig dekoriert wie das ihm zugedachte. Seine Augen wurden groß. Auf dem Bett lag ein anderer Kerl. Höchstens Mitte zwanzig, mit ebenso langen allerdings offensichtlich nur gefärbt blonden Haaren wie er. Ziemlich dünn und ebenfalls komplett unbekleidet. Er räkelte sich genussvoll in den Laken. "Hey! Du! Mach mich los! Bitte!", rief der Blonde voller Hoffnung. Der andere Mann hob den Kopf und sah Chris an, als wäre er ein Alien, vollkommen verständnislos. Dann erhob er sich unbeholfen aus dem Bett und kam zu ihm herüber. "Na, du bist ja doch echt. Ich dachte, du wärst nur eine Puppe oder so! Du hast dich die ganze Zeit nicht bewegt!" Chris zog im Affekt die rechte Augenbraue hoch. "Hast du einen Knall? Ich bin gefesselt, wie soll ich mich da bewegen?! Mach mich los! Mach schon." "Nein, nein, nein, er hat gesagt, ich darf das nicht. Das gehört zum Spiel." "Scheiß auf das Spiel! Mach mich los, du Blödmann!" Chris erntete einen schiefen Blick. "Nicht nett! Du bist nicht nett!" Der Blonde atmete tief ein und mahnte sich, nicht auszuflippen, dieser Dorftrottel war vielleicht seine Fahrkarte nach draußen. "Hör zu... wie heißt du eigentlich?" "Lenhardt. Wenn du nett bist, darfst du auch Lenny sagen." "Lenny.", begann Chris mit einer wahren Engelsgeduld. "Ich bin nett zu dir, aber mach mich bitte, bitte vorher los. Diese Fesseln tun mir weh und das ist nicht nett, oder?" Lenny legte den Finger ans Kinn, als würde er nachdenken. Dann schüttelte er den Kopf. "Nein, geht nicht! Darf ich nicht. Aber ich kann trotzdem etwas lieb zu dir sein." Mit diesen Worten langte er Chris in den Schritt. "Pfoten weg, du Depp!", fauchte dieser. Lenhardt trat zurück und streckte ihm die Zunge raus. "Du bist doof!" "Und du scheinbar ein totaler Trottel, jetzt mach mich..." Chris brach ab. Sein Blick war auf den Arm seines Gegenüber gefallen... und auf die zahllosen Einstiche in der Beuge. "Na bravo. Du bist auf Drogen." "Hehe, ja!", kicherte Lenny. "Ist er nicht niedlich?" Chris' Kopf fuhr herum. Dave stand grinsend in der Tür, bekleidet mit einem marineblauen Bademantel. Seine Augen und das Gesicht waren immer noch feuerrot, wie Chris nicht ohne Schadenfreude feststellte. "Was soll das? Was wird das für ein krankes Spiel?!" "Werde nicht laut!", donnerte Dave so heftig, dass Lenny erschrocken zusammenfuhr. "Ich mag kein Gebrüll.", fügte er in sofort wieder völlig ruhigem Ton hinzu. "Dave, bitte..." Er kam zu Chris hinüber und schlug ihm kommentarlos ins Gesicht. "Leise jetzt. Der ungezogene Christopher hat jetzt mal Sendepause. Genieß die Show." Damit nahm er Lenny an der Hand und führte ihn zum Bett. Er setzte sich breitbeinig darauf und zog den nackten Jungen zwischen seine Beine, so dass dessen Kopf Daves Schritt vor Chris' Blicken verbarg. Der Gefesselte konnte nur erkennen, wie Dave seinen Bademantel vorn auseinander zog. "Fang an, schließlich bezahle ich dich dafür und du hast Stoff gekriegt!" Lenhardt kam der Aufforderung ohne zu zögern nach. Er senkte seinen Kopf zwischen Daves Beine und begann ihn auf und ab zu bewegen. Der Brünette fixierte dabei Chris mit starrem Blick. Obwohl alles in ihm danach schrie, das Gesicht abzuwenden, brachte dieser es doch nicht über sich, er hatte zuviel Angst vor dem, was Dave planen könnte. "Gefällt dir, was du siehst, mein Schatz?" "Was soll das, Dave? Was bezweckst du damit?" "Christopher, du bist ein Langweiler. Der Junge macht das wirklich gut, vielleicht darfst du nachher auch mal." "Er hat doch nichts damit zu tun." Dave presste den Kopf des Strichers in seinen Schritt. "Ja. Gut so!" Er schaute wieder Chris an. "Ich kenne dich. Du denkst die ganze Zeit darüber nach, wie du ihn dazu bringen kannst, eine Nachricht nach San Francisco zu bringen, zu den Bullenfreunden von deinem toten Ex.", lächelte er, nur unterbrochen von gelegentlichem Stöhnen. "Nein!" Chris schüttelte wild den Kopf. "Nein!" Plötzlich bekam er Angst um den Stricher. Er durfte auf keinen Fall riskieren, dass Dave in ihm eine Bedrohung sah. "Natürlich nicht." Dave packte den jungen Mann an den Haaren und zog ihn etwas nach oben. "Mach mal kurz Pause." Sein Blick ging wieder zu Chris. "Christopher. Ich möchte dir etwas zeigen. Du musst lernen, dass dein Verhalten nicht in Ordnung war, weißt du? Also merk dir bitte gut, was ich dir vorführe." Chris' Herz schlug bis zum Hals. "Dave, bitte, ich..." "Pst!" Sein Entführer legte die Hände auf die Wangen des Mannes zu seinen Füßen und bewegte ihn dazu, zu ihm auf zu schauen. "Chris ist immer so frech. Was meinst du, wollen wir ihm unseren kleinen Trick vorführen?" "Hä?", lallte der Stricher. "Ach, kein Problem wenn du nicht weißt, wovon ich rede. Entspann dich einfach, ich mache das schon." "Okay...", kicherte Lenny. "Du bist lustig." "Und du bist ein braver Junge. Und Chris wird auch bald brav sein, nicht wahr, mein Schatz?" Der blonde Texaner bekam kein Wort heraus. "Okay. Dann wollen wir mal!" Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen verstärkte Dave den Griff um Lenhardts Wangen und riss daraufhin ruckartig den Kopf des Strichers herum. Mit einem Mal endete Lennys Kichern. Noch in dem Moment da das Genick des Drogensüchtigen mit einem widerlichen Geräusch zerbrach, fing Chris an zu schreien. Sämtliche Panik bahnte sich ihren Weg, er brüllte voller Verzweiflung. Dave stieß den leblosen Körper des jungen Mannes von sich und stand auf, um seelenruhig zu dem schreienden Blonden hinüber zu gehen. Chris wollte fliehen, er wollte weg von diesem Monster, aber die Fesseln hinderten ihn. "Fass mich nicht an! Bleib weg von mir!" Er hatte Todesangst, doch Dave ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Der Entführer und mittlerweile Mörder hob ihn von der Couch und zerrte ihn zum Bett. "Du Wahnsinniger! Lass mich los! Nein!" Dave warf ihn in die Laken und sprang dann selbst hinterher. Chris lag auf dem Bauch, das Gesicht in den Kissen, immer noch schreiend. Sein Peiniger drückte ihn seinem eigenen Gewicht herunter, dabei überdehnte er die gefesselten Arme des wehrlosen blonden Mannes so heftig, dass sie anfingen zu schmerzen. "Und jetzt zu uns, was denkst du?" "Was denken Sie sich dabei?" Chief Carter erhob sich erbost aus seinem Bürostuhl. Vor seinem Schreibtisch saßen zwei Männer mittleren Alters. Der eine hatte ein Diktiergerät in der Hand, an ihren Jacketts waren Besucherausweise befestigt, die sie als Presseleute kennzeichneten. Carters wütender Ausbruch galt aber nicht den beiden Reportern sondern Jason, der ohne zu klopfen in das Büro gestürmt kam, einen hochroten Ashton im Schlepptau. Die Sekretärin konnte nicht einmal mehr etwas sagen, bevor die Tür zwischen ihrem Dschungel und dem Büro ins Schloss fiel. "Chief, ich muss Sie sprechen, das duldet keinen Aufschub!" "Detective Cunningham! Ich rede gerade mit zwei Vertreter des..." Er schaute die Männer an. "Von welchem Blatt waren Sie gleich noch?" "Bay Mirror, Sir.", antwortete der mit dem Diktiergerät. "Und ist Detective Cunningham nicht der Mann, der in den Anschlag auf dem Ghiradelli Square verwickelt war?" "Phyllis?!", rief der Chief ohne auf den Mann einzugehen in seine Sprechanlage. Seine Sekretärin streckte den Kopf zur Tür rein. "Sir?" "Machen Sie den beiden Herren doch bitte einen Kaffee. Wenn Sie dann draußen warten mögen, ich habe offensichtlich etwas dienstliches mit meinen Detectives zu klären." Die Reporter verließen, wenn auch sichtlich widerwillig, mit Mrs. Hoover den Raum. Kaum war die Tür zu, ging Carter erst richtig an die Decke. Man konnte Wutausbrüche bei ihm schon vorher deutlich sehen. Die Adern auf seiner Stirn traten hervor, seine Wangen färbten sich rötlich und sein Schnauzbart schien sich regelrecht zu kräuseln. "Was erlauben Sie sich?! Ich versuche hier mit allen Mitteln die Presse davon abzuhalten, über diese Attentate zu berichten und Sie haben nichts besseres zu tun als hier Radau zu schlagen! Was treiben Sie überhaupt hier?! Ich hatte gedacht, dass Sie sich in Detective Tallmans Wohnung bedeckt halten sollten?!" "Sir, es ist wichtig! Es geht um den Fall." Der Chief ließ sich mit einem Stoßseufzer in seinen Sessel fallen. "Detective, ich habe mich doch wohl klar und deutlich ausgedrückt. Das ist nicht Ihr Fall! Detective Rodriguez leitet die Ermittlungen." "Rodriguez ist ein Arschloch!" "Jason!", fuhr Ash mit mahnender Stimme dazwischen. "Was er sagen wollte ist..." "Ich wollte sagen, dass er ein Arschloch ist!", fiel ihm Jason ins Wort. Er konnte nicht anders, alles in ihm schrie danach, seinem Ärger endlich Luft zu machen. Nach dem Anruf von Chris waren sie sofort morgens ins Department gefahren, um Rodriguez zu erwischen. So sehr es ihm auch missfiel, Ash hatte Jason klar gemacht, dass sie nicht ohne den unausstehlichen Kollegen agieren konnten. Und was war geschehen? Rodriguez hatte ihnen eiskalt erklärt, dass der Fall kurz vor dem Abschluss stünde. Eine Ermittlung gegen Unbekannt im Falle des Auftraggebers und der Attentäter selbst hatte sich schließlich aus dem Verkehr gezogen. Jasons Widerspruch und die Erzählung von dem Anruf interessierten ihn nicht im Geringsten. Kurz darauf hatte Jason zum Sturmangriff auf das Büro seines Vorgesetzten geblasen und war wie die Kavallerie dort eingefallen. "Man kann es nicht anders ausdrücken, Sir! Mein Freund hat mich angerufen und..." "Detective Cunningham! Es reicht mir jetzt! Und zwar endgültig!" Carter schlug mit der Faust auf den Tisch. "Bis auf weiteres werden Sie Urlaub nehmen. Mir reicht es endgültig mit Ihrem Verhalten und mit Ihrem Kleinkrieg mit Detective Rodriguez, der das ganze Department lächerlich macht! Ich möchte nicht wissen, was diese Schreiberlinge von der Presse über Ihren Auftritt verzapfen werden, aber ich werde nicht zulassen, dass Sie so weiter machen!" "Sir!", beharrte Jason, allerdings mit deutlicher Verzweiflung in der Stimme. "Raus jetzt! Und zwar schnell, außer Sie wollen, dass ich mir das mit dem Urlaub noch einmal überlege und Sie gleich suspendiere! Sie sind einer unserer besten Männer, aber seit auf Ihren Freund geschossen wurde, wirken Sie ja direkt hysterisch! Also bitte." "Chief, wenn ich auch was sagen dürfte?" "Nein, dürfen Sie nicht, Detective Tallman. Das war mein letztes Wort. Guten Tag, die Herren." Wenig später fiel die Tür zu Phyllis Hoovers Vorzimmerdschungel hinter den Beiden zu und ließ sie im Tumult des Großraumbüros zurück. Jasons Blick wanderte zu Rodriguez Bürotür, der Cop lehnte im Rahmen und grinste zu ihnen hinüber, bevor er mit der linken Hand neckisch winkte und dann in seinem Büro verschwand. "Dieser...!" Ashs Hand legte sich dermaßen fest um Jasons Handgelenk, dass dieser aufstöhnte. Sein Partner hatte sofort erkannt, dass der Brünette in das Büro seines Rivalen hatte stürmen wollen. "Lass mich los!", zischte Jason. "Es reicht jetzt! Und zwar nicht nur Carter, sondern auch mir! Du kommst jetzt mit!" Unter den verwunderten Blicken einiger Kollegen zerrte der blonde Polizist Jason daraufhin in sein Büro. Kaum waren sie allein, legte Ash los. "Was geht eigentlich in deinem Kopf vor?! Denkst du in letzter Zeit auch mal oder handelst du nur aus dem Bauch raus?! Allmählich kommen mir da Zweifel!" "Ach, halt dich da raus!" "Nein! Das werde ich nicht! Langsam gehst du mir auf die Nerven! Du machst dich lächerlich!" Jason stemmte die Hände in die Hüften. "Es geht dich nichts an, wie ich mich aufführe! Außerdem hast du kein Recht, dir ein Urteil über meine Situation zu bilden! Das kannst du gar nicht nachempfinden!" "Oh ja!", schnappte Ash, "Natürlich kann ich das nicht! Du bist hier der einsame Held, der seinen Geliebten verloren hat! Du bist hier der einzige, der wirklich weiß, was zu tun ist! Deswegen benimmst du dich auch wie die Axt im Walde und machst dir alles selbst kaputt! Du gehst dauernd auf die Provokationen von Rodriguez ein, wirklich Jason, du machst es ihm lachhaft einfach! Und dann das eben! Ich habe gesagt, dass du warten sollst, aber nein! Der große Held muss dem Chef sagen, wo es lang geht!" "Es kann auch niemand nachvollziehen! Du weißt nicht, was Chris mir bedeutet! Und du kannst nicht wissen, wie es in mir aussieht! Ich habe Chris schon einmal beinahe verloren! Und ich schwöre dir, ich werde ihn nicht im Stich lassen!" "Du bist ein romantischer Idiot!" Ash verdrehte die Augen. "Glaubst du wirklich, dass du deinem Freund helfen kannst, wenn du dich von all deinen Möglichkeiten abschneidest?! Denk doch mal eine Sekunde nach, du Choleriker! Du hast dir gerade selbst Zwangsurlaub verpasst, wärst beinahe suspendiert worden! Reiß dich endlich mal zusammen!" Jason öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber einfach wieder. Seufzend ließ er sich auf den Stuhl vor Ashs Schreibtisch fallen. "Du hast ja Recht..." "Bravo, endlich siehst du es ein." Ash musste unwillkürlich lächeln. "Das kommt nur davon, dass ich krank vor Angst bin! Dieser Anruf, Ash, Chris ist in Gefahr! Und ich kann ihm nicht helfen." Sein Partner ging vor dem Stuhl in die Hocke und sah Jason von unten an, fast so wie ein Vater seinen bockigen Sohn anschauen würde. "Wir werden ihn finden. Das verspreche ich dir. Aber ab jetzt lassen wir Terminator-Jason im Schrank und machen es auf meine Art, klar?" Das Klopfen an der Tür unterbrach die Beiden. "Ja bitte?", rief Ash, während er sich erhob. Jim Mayer betrat das Büro. Er sah sich kurz wie ein Geheimagent auf der Pirsch um, als würde er meinen, verfolgt zu werden, dann zog er den Zugang hinter sich zu. "Jim, was wird das? Mission Impossible Light?" "Haha, Jason, du warst auch schon mal witziger." Er zog mit dem Zeigefinger sein Augenlid herunter. "Ich muss doch aufpassen, dass Arschloch-Rod mich nicht sieht. Der wittert doch sofort Verrat." "Glaubst du nicht, du bist etwas paranoid, Mayer?", lachte Ash. "Na ja, auf jeden Fall habe ich Infos für dich, Jason. Aus erster Hand, ganz frisch aus der Pathologie." "Ich bezweifle, dass dort unten irgendetwas frisch ist!" Ash schaute zwischen den Beiden hin und her, doch sein Kalauer verpuffte in der gespannten Stimmung. "Wie dem auch sei," fuhr Jim fort, "ich gehe mit Warren Cassidy öfter squashen, der arbeitet ja da unten. Und jetzt haltet euch fest. Gestern ist die Datenbank der Pathologie Opfer eines Hackers geworden. Die Jungs mit den scharfen Gegenständen halten das unter Verschluss, weil so gut wie nichts angerührt wurde, nur eine einzige Datei wurde kopiert. Und jetzt ratet, welche." "Mach es nicht so spannend." "Du bist heiß begehrt, Jason. Nur deine Sterbeurkunde wurde kopiert und da die noch nicht einmal echt ist, haben die darum kein Aufhebens gemacht. Weil Rodriguez den Fall bearbeitet, wurde er informiert, aber ich denke, da kann man die Nachricht auch gleich in den Reißwolf stecken, das macht mehr Sinn." Jason lächelte dankbar. Auf Jim Mayer war Verlass. "Danke, Jim." "Gern geschehen." Der im Rang tiefere Cop nickte, als er zur Tür ging, drehte er sich noch einmal um. "Jason, wenn ich dir helfen kann, sag bescheid, ja? Ich mag Chris." Jason lächelte erneut. "Du glaubst nicht, wie gut das tut, das zu hören, Jim." Nachdem Mayer gegangen war, setzte sich Ash in seinen Bürostuhl und stützte seinen Kopf auf die Hände. "Sehr gut. Wer auch immer deinen Tod wollte, wird jetzt sicher denken, dass er erreicht hat, was er sich wünschte." "Was nur heißt, dass ich mich weiter in deiner Bude verkriechen muss." "Gemach, gemach, mein lieber Freund.", grinste Ash. "Ich werde dich jetzt nach Hause bringen und dann fahre ich mit deiner Agentenfreundin zu deinem Haus und schnüffele etwas herum. Denn wenn uns CSI eines gelehrt hat, dann, dass böse Buben immer etwas vergessen." Er zwinkerte Jason zu. Dave zog seinen Bademantel wieder an und erhob sich mit aller Gemütsruhe vom Bett. Chris lag bäuchlings in den Laken. Er schluchzte immer noch. "Ach, warum weinst du, mein Schatz? Wir haben uns doch gerade geliebt." Chris konnte nicht antworten, seine Kehle war vollkommen zugeschnürt, er konnte nur weinen. Dave hatte ihn sich genommen, ohne Rücksicht auf Verluste. Es hatte furchtbar weh getan, so grob und lieblos hatte er Sex schon Jahre nicht mehr erlebt. Seine Arme schmerzten, ebenso seine Beine, die Dave befreit hatte, damit Chris die Schenkel hatte spreizen können. Während des ganzen Aktes hatte der blonde Mann vom Bett aus die tote Hülle des ermordeten Strichers sehen können. In seiner Angst, Dave könnte ihm genau das Gleiche antun, hatte er nicht einmal gewagt, den Brünetten aufzufordern, mit seinem Treiben aufzuhören. Er fühlte sich widerlich, schmutzig und benutzt, wie ein Spielzeug. Dabei hatte Chris dieses Gefühl fast vergessen gehabt. In New York hatte ihn manchmal dieser Eindruck von sich selbst überwältigt, aber er hatte dort zumindest bis zu einem gewissen Grad meistens die Kontrolle behalten können. Hier nicht. Dave hatte mit ihm gemacht, was er wollte, brutal, wollüstig und ekelhaft. Nicht einmal ein Kondom hatte er benutzt, doch Chris war zu fertig, um überhaupt noch Angst vor einer Ansteckung durch HIV zu haben. Plötzlich stand Dave wieder neben dem Bett. "Was hast du mit mir vor...?" Wieder überwältigte den Blonden pure Todesangst. Dave grinste, zerrte Chris dann hoch und befreite ihn mit einer geschickten Bewegung von den Fesseln an den Handgelenken. Dann stieß er ihn wieder von sich. Chris krabbelte rückwärts auf den Laken ein Stück von ihm weg und rieb sich die aufgescheuerten Hautpartien, die von den Fesseln zurück geblieben waren. Und auch einen weiteren Überrest spürte er, eklig, feucht, an den Innenseiten seiner Schenkel. Übelkeit kroch in ihm hoch, aber er unterdrückte sie mit aller Kraft. "Ich hoffe, du bist jetzt brav, Christopher." Dave ging zu einem Stuhl in der Ecke des Raumes, auf dem seine Kleidungsstücke lagen, dabei stieg er seelenruhig über die Leiche hinweg. Er begann, sich anzuziehen. "Warum musstest du ihn umbringen? Er hatte nicht damit zu tun!", schluchzte Chris. "Ich musste dir eine Lektion erteilen, ganz einfach." Chris schaute sich um, statt zu antworten. Die Tür des Raumes stand immer noch auf. Wenn er nur schnell genug war... Dave drehte ihm den Rücken zu. Von hier aus konnte er die Balustrade im Hauptraum sehen, das hieß, er war nicht weit von dem Schürhaken entfernt. Wenn er die Überraschung ausnutzte... Chris setzte alles auf eine Karte. Er sprang aus dem Bett und rannte los, Dave wirbelte herum, doch da war der Blonde schon aus dem Zimmer. Weit kam er jedoch nicht. Schon auf der Mitte der Treppe holte Dave ihn ein, er packte Chris brutal an den Haaren und zerrte ihn zurück. "Du kleines Biest!" Doch er hatte nicht mit Chris' Gegenwehr gerechnet. Der blonde Mann bekam die Hand zu fassen, die Dave nach ihm ausstreckte, und biss hinein, so fest, dass er Blut in seinem Mund schmeckte. Sein Entführer riss die Finger weg, lockerte dabei den Griff um Chris' Haare, und dieser stieß ihn von sich. Durch die plötzliche Bewegung gerieten Beide ins Stolpern und stürzten die letzten fünf Stufen der Treppe hinab. Von dem Sturz benommen blieben sie am Fuß liegen, Chris gelang es als erstem, wieder auf die Beine zu kommen. Durch das Adrenalin aufgepeitscht, registrierte er sofort, dass Dave zwischen ihm und dem Schürhaken lag, er traute sich nicht, den Weg an seinem Peiniger vorbei zu nehmen. Dennoch, etwas anderes fiel ihm ins Auge, auf dem Tisch mit den Fotos. Hatte dort beim letzten Mal noch ein Handy gelegen, war es nun noch etwas viel besseres: Eine Pistole. Chris warf sich auf dem Fuß herum, hechtete auf den Tisch zu und bekam die Waffe zu fassen. Das kühle Metall wog scheinbar tonnenschwer, aber er richtete sie trotz allem auf Dave, der sich gerade aufrappelte. "Das war aber ungezogen, mein Schatz." "Bleib wo du bist!", schrie Chris. "Aber, aber. Wer wird denn gleich so laut werden! Du bist wirklich unmöglich, Christopher. Was soll ich denn noch alles tun, damit du endlich ein braves kleines Täubchen bist?" Chris' Atem ging in heftigen Stößen. "Du wirst mich jetzt gehen lassen, kapiert?!" Dave trat einen Schritt näher. "Und wenn nicht?", lächelte er. "Ich warne dich, Dave! Ich knall dich ab! Ich schwöre es dir!" "Das tust du nicht." Der Entführer machte kalt lächelnd noch einen weiteren Schritt. "Und ob! Bleib stehen!" "Christopher, sei doch ein braver Junge und mach keinen Unsinn." "Nenn mich nicht Christopher!", brüllte der Blonde, seine Stimme überschlug sich. "Aber du bist doch mein kleines Täubchen, Christopher. Du gehörst mir." Dave kam immer näher, ungeachtet der Mündung, die auf ihn gerichtet war. "Du bist doch nicht in der Lage, mich zu töten. Meinst du wirklich, dass du mit Blut an deinen Händen leben kannst? Stell dir nur vor, dann bist du noch dreckiger als jetzt schon. Oder meinst du, dass dich jetzt noch einer außer mir will? So ein kleines Stück Dreck wie dich?" "Bleib stehen!" Chris liefen Tränen über die Wangen, seine Hände mit der Kanone zitterten fürchterlich. "Du schießt nicht! Du schießt nicht!" Dave hörte sich an wie ein alberner Schuljunge, der einen Mitschüler veräppelte. "Du schießt nicht!" Er hatte ihn fast erreicht. "Du schießt nicht!" Chris drückte ab. "Wonach genau suchen wir eigentlich?" Claire drehte sich im Schlafzimmer von Chris' und Jasons Haus auf der Stelle. Alles war picobello aufgeräumt. Das Bett gemacht, die Kleider im Schrank ordentlich zusammengelegt, die Vorhänge sorgsam zurück gebunden, auf dem Nachttisch an Chris' Seite lag ein Roman von Sidney Sheldon, "Das Erbe". Alles machte einen friedlichen Eindruck und gleichzeitig wirkte es falsch. So kühl. Ash kam aus dem Badezimmer hinüber. "Irgendeinen Hinweis." "Dafür wäre eigentlich die Spurensicherung zuständig. Wir haben überhaupt nicht das Werkzeug.", gab die Agentin zu bedenken. "Na ja, immerhin hab ich die Grundausrüstung zum Sichern von Beweisen dabei." Er deutete auf seinen kleinen Koffer und auf die Kamera um seinen Hals. Aber ich weiß nicht, ob wir hier zu brauchbaren Ergebnissen kommen." "Von den Nachbarn will keiner was gesehen haben. Aber in diesem Fall glaube ich das sogar. Chris und Jason scheinen hier ganz schön beliebt zu sein. Eigentlich verwunderlich in einer so bilderbuchmäßigen, vornehmlich weißen Nachbarschaft. Randgruppen wie schwule Pärchen sind da normalerweise nicht gern gesehen." "Ein Hoch auf die Toleranz für Randgruppen!", lachte Ash. Die Agentin grinste ebenfalls. Sie musste sich immer mal wieder ins Gedächtnis rufen, dass auch Detective Tallman schwul war. Nicht weiter verwunderlich, er war nicht minder attraktiv wie Jason. Eine Schande. "Haben Sie zumindest eine Vermutung?" Ash zog mit seinen in Gummihandschuhen steckenden Fingern die Nachttischschublade auf Jasons Seite auf, schob sie dann aber beim Anblick der Gleitcreme und der Handschellen darin sofort wieder zu. "Wer auch immer den Anschlag auf Jason veranlasst hat, er wusste verdammt genau bescheid. Er wusste, wo Jason sein würde, er wusste, dass Chris allein zu Hause war. Er muss also ihre kleine Idylle hier überwacht haben, ohne das sie etwas davon gemerkt haben. Nur von wo aus?" Claire ging zum Fenster hinüber, Ash gesellte sich zu ihr. Sie ließen den Blick über die Straße schweifen. Ein paar Kinder spielten auf der anderen Seite lärmend Ball, das erste Grün des nahen Frühlings zeigte sich auf den Bäumen. Über den viktorianischen Häusern zeichnete sich die Skyline der Stadt ab. Sie befanden sich hier in einer Senke zwischen den Hügeln. Die Sonne stand hoch am Himmel und blendete Claire, sie spiegelte sich in den Fenstern des abbruchreifen Hauses auf der anderen Straßenseite. Die Bundesagentin schaute den blonden Mann neben sich an. "Denken Sie, was ich denke?" Ash nickte. "Ja und zwar ob wir uns erst einmal Sturzhelme besorgen sollten, bevor wir da rein gehen." Ganz so schlimm war es dann doch nicht. Mit ein paar nicht vorschriftgemäßen Handgriffen hatte Ash das Schloss der Haustür geknackt und die Beiden konnten die verlassene Residenz betreten. "Was für eine Bruchbude." "Ja, hier wohnt schon lange niemand mehr. Nicht einmal Möbel gibt es hier noch.", stellte Claire fest. "Sie schauen sich hier unten um, ich gehe hoch." Mit gezogenen Waffen trennten sich der Cop und die Agentin. Ash stieg in die obere Etage hinauf und sicherte alle Zimmer. Vom heruntergekommenen Badezimmer bis zur kleinen Abstellkammer am Treppenhaus war alles verlassen. Schließlich betrat er das Zimmer, dass seinem Gefühl nach dem Schlafzimmer von Jason und Chris direkt gegenüber lag. Von hier aus musste man einen guten Blick haben, nicht nur auf den Eingangsbereich, sondern auch in viel privater gelegene Teile des Hauses auf der anderen Straßenseite. Der Raum entpuppte sich als altes Kinderzimmer. Die Tapete kam von den Wänden, aber es war deutlich, dass hier mal ein sehr niedlicher Raum gewesen sein musste. Eine dicke Staubschicht lag auf dem Fußboden, aber da war noch etwas. Jemand hatte Fußspuren im Staub hinterlassen, unter dem Fenster waren drei runde Abdrücke im Staub, wie von einem Stativ, und in einer Ecke war sogar der Umriss einer Matratze oder ähnlichem zu erkennen. Hier hatte jemand gehaust. Vielleicht ein Landstreicher, aber das war eher unwahrscheinlich. Ash nahm die Kamera, die um seinen Hals hing, vors Gesicht und machte vorsichtshalber ein paar Aufnahmen, auch wenn die den ermittelnden Beamten sicher nicht interessieren würden. Und dann, plötzlich, stach ihm etwas ins Auge, dass banaler nicht hätte sein können, aber gleichzeitig sehr wertvoll: Ein Schokoriegelpapier. "Jackpot!", grinste Ash. Wer auch immer hier gewesen war, mit etwas Glück waren seine Fingerabdrücke auf dem Papier! Chris hatte die Augen geschlossen, erwartete den Knall, den Ruck des Schusses. Aber nichts geschah. Verdutzt hob der Blonde wieder die Lider. Dave stand direkt vor ihm und drückte seine Brust genau gegen den Lauf der Kanone. Er grinste. "Bumm!" Bevor Chris reagieren konnte, riss der andere Mann ihm die Waffe aus der ausgestreckten Hand und schlug ihn mit der anderen direkt ins Gesicht. Er stolperte gegen den Tisch und fiel hin, rappelte sich aber so schnell es ging auf um eine Distanz zwischen sich und Dave zu bringen. "Chris, Chris, Chris... du kleines Dummchen." Dave schüttelte den Kopf. "Ich gebe dir einen Rat für die Zukunft: Wenn du jemanden erschießen möchtest," Er machte einen Handgriff an der Kanone. "dann entsichere die Waffe zuerst, sonst wird das nichts. Siehst du? So geht das?" Er zielte auf Chris und drückte ab. Die Entladung der Waffe klang wie ein Donnerschlag. Chris hatte nicht einmal mehr Zeit zu schreien, als das Projektil knapp an seinem Kopf vorbei raste, so dicht, dass es sein Haar berührte. Der blonde Mann blieb starr vor Schreck am Boden sitzen. "Hast du es verstanden? Vielleicht zur Sicherheit..." Er schoss ein weiteres Mal. Diesmal streifte die Kugel sein Opfer. Das Projektil riss einen blutigen Striemen in den linken Arm des Mannes vor ihm. Chris wagte nicht einmal, seine Hand auf die Wunde zu legen, das Blut rann an seiner Haut herab. "Bitte hör auf..." Chris hasste sich selbst, aber er konnte die Worte sowie die Tränen nicht zurückhalten, er hatte einfach zu viel Angst. "Christopher, du musst mich verstehen. Du machst es mir nicht gerade leicht, weißt du? Immer diese Bockigkeit. Sei doch einfach mal ein lieber Junge." Vorsichtig drückte Chris die Hand auf seinen Streifschuss, die Wunde brannte wie Feuer. "Warum tust du mir das an? Ich dachte, du liebst mich!" "Das tu ich auch!" Mit einem Mal schrie Dave wieder so laut, dass Chris ängstlich zusammenfuhr. "Aber du! Du tust es nicht! Du hast mich weg gestoßen! Für diesen verblödeten Affen, diesen Jason! Du hättest alles haben können, aber du hast das kleinbürgerliche Leben mit diesem Nichts vorgezogen! Was erwartest du?! Wie heißt es so schön? Bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!" Er tippte sich mit dem Lauf der Pistole an die Schläfe, was seinen hysterischen Monolog an Irrsinn zu unterstreichen schien. "Aber nein, selbst jetzt musst du noch aufsässig sein! Abflussreiniger in die Augen, eine schöne Idee. Ich hätte blind werden können, weißt du das?!" Chris schluckte die bissige Antwort herunter, er hielt die Lippen aufeinander gepresst. "Du hast mein Handy geklaut! Wen hast du angerufen?" Der Blonde antwortete nicht. "Wen hast du angerufen?!" Dave richtete die Waffe ruckartig wieder auf Chris. "Niemanden!", schluchzte er. "Ich hab kein Netz gekriegt... und dann habe ich das Handy im Wald verloren... es ist kaputt." "Kaputt, so, so... dafür musst du noch bestraft werden, das ist dir klar, oder?" In Chris setzte etwas aus. "Du Psychopath! Was denkst du eigentlich?! Glaubst du, dass auf diese Art meine Liebe gewinnst?! Du bist doch nicht mehr ganz dicht! Glaube mir, sobald ich die Möglichkeit habe, bringe ich dich um!" Dave antwortete nicht, sondern zog stattdessen den Abzug durch. Das dritte Geschoss bohrte sich direkt zwischen Chris Beinen in den Boden, nur Zentimeter von seinem Schritt entfernt. Der Blonde kniff die Augen zusammen und unterdrückte einen Schrei, so ganz gelang es ihm aber nicht. "Halt deine freche Klappe, sonst schieße ich dir beim nächsten Mal nicht daneben. Du glaubst gar nicht, auf wie viele Arten man jemanden mit einer Pistole verletzen kann, ohne das derjenige stirbt." Chris zitterte am ganzen Körper, aber er schwieg nun. "Wir müssen jetzt mal etwas klären.", fuhr Dave fort. "So geht das nicht weiter, Christopher. Wir Beide müssen lernen, miteinander auszukommen. Wie wäre es, wenn wir ein Gentlemen's Agreement treffen würden?" Er ging zum Tisch hinüber und hob einen Stapel Fotos auf. "Wir machen es so. Wenn du wieder aufsässig bist, suchen wir zusammen eines dieser Fotos aus und..." Er lächelte. "die Person darauf wird dann sterben." Chris hatte das Gefühl, dass sein Herz aufhörte zu schlagen, eisige Kälte breitete sich in seinem Körper aus. "Das meinst du nicht ernst!" "Doch, doch." Dave zwinkerte ihm zu. "Christopher, du glaubst gar nicht, wie günstig ein Mord heutzutage ist. Unsere Befreiung von Jason waren gerade mal Peanuts." Er schaute wieder auf die Fotos. "Was hältst du zum Beispiel davon, wenn wir mit diesem süßen Kerlchen anfangen? Ich könnte ihm zum Beispiel die Kehle aufschlitzen lassen." Dave drehte die Aufnahme in seiner Hand um und hielt Chris ein Foto von Marcus entgegen. "Nein!", entfuhr es Chris. "Wag es ja nicht, ihm etwas anzutun, sonst..." "Sonst was?", unterbrach Dave schroff. "Christopher, es liegt bei dir. Ganz allein bei dir." Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. "Du hältst dich sicher für schlau, mir nicht den Namen des Bürschchens zu sagen. Wollen wir mal sehen." Während er die Namen nannte, hielt er jeweils das passende Bild hoch. "Marcus Reed. Colin Shephard. David Vanderveer. Jeremy Sumner. Abigail Thompson. Dann hätten wir da noch Silvester McGrey und Ashton Tallman, den Partner deines verstorbenen Hengstes." Er schnippte mit den Fingern. "Fast vergessen." Sein Blick wanderte über das Foto in seiner Hand. "Ich finde das Gekläffe von Tölen ja einfach nervtötend, aber es klingt viel niedlicher, wenn man sie aufschlitzt. Das habe ich sogar selbst mal gemacht." "Nein..." Chris verlor endgültig den Kampf gegen die Tränen und die Verzweiflung, er sank auf dem Boden zusammen und schluchzte. "Also, hier ist mein Vorschlag: Jedes Mal, wenn du ab jetzt nicht gehorchst oder ungezogen bist, stirbt einer von ihnen. Wir fangen mit dem Köter an und arbeiten uns dann bis zu dem kleinen Blonden vor. Der scheint dir am meisten zu bedeuten, was?" "Du Monster...", wimmerte Chris. "Na, na, na! Hüte deine Zunge!" "Warum tötest du mich nicht einfach? Warum das alles?" Dave kam zu ihm hinüber und ging in die Hocke. Er zog Chris' Kinn nach oben, so dass er in die verheulten blauen Augen des Mannes sehen konnte. "Warum sollte ich dich töten? Du gehörst jetzt mir, Christopher. Und tot nützt du mir überhaupt nichts, was soll ich mit einem leblosen Spielzeug? Wir Beide werden viel, viel Spaß haben." Er küsste Chris auf die Nase. "Und jetzt leg dich hin, das kleine Gerangel da vorhin hat mir sehr gefallen." "Dave, bitte nicht..." "Leg dich hin und spreiz die Beine!" Er drückte Chris den Lauf an die Schläfe, während er sich mit der anderen Hand die Hose öffnete. "Denk an deinen Köter, den Jungen und die Anderen!" Der Blonde tat, wie ihm geheißen. "Malcom Callaway." Ash schaute den jungen Mann vor dem Computerbildschirm an. "Noch nie gehört." "Ist auch eher ein kleiner Fisch, zumindest wenn man es aus der Perspektive von euch Jungs aus der Mordkommission betrachtet.", erklärte Eric. Der Computerfreak mit den violett schimmernden Haartönung hatte den Fingerabdruck ausgewertet, den Ash von einem Freund in der Spurensicherung hatte erstellen lassen. Sie hatten verdammtes Glück gehabt. Auf dem achtlos weg geworfenen Erdnussbutterriegelpapier aus dem abbruchreifen Haus hatte sich ein absolut makelloser Fingerabdruck befunden. Es hatte nicht lange gedauert und Erics Computer hatte das passende Gesicht dazu ausgespuckt. Ein etwas hinterhältig wirkender Mann Ende Dreißig, mit kleinen eng beieinander stehenden Augen und einer schleimigen Gelfrisur, die seine pechschwarzen Haare nach hinten bändigte. Eric schob seine Brille ein Stück nach oben. "Malcom Callaway hatte die eine oder andere Anzeige wegen Einbruchs am Hals, aber er ist nie belangt worden, weil er sich über seinen Beruf rausreden konnte. Er ist Privatdetektiv, allerdings schlingert er mit seinen Methode oftmals knapp daran vorbei, dass ihm die Lizenz entzogen wird. Aber bisher konnte er immer seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Er ist auf Observation spezialisiert und wird meist von Frauen engagiert, die ihren untreuen Ehemann erwischen wollen. In letzter Zeit liegt nichts ungesetzliches gegen ihn vor. Eher langweilig, finden Sie nicht?" "Nein, ganz und gar nicht.", lächelte Ash. "Manchmal sind es gerade die scheinbar langweiligen Personen, die einem die besten Sachen erzählen können. Wo finde ich ihn?" "Ich habe Ihnen die Adresse seiner Detektei hier in San Francisco per Email auf ihren Computer geschickt. Und hier..." Er zog ein Blatt aus dem Drucker. "Ist Ihr persönlicher Ausdruck von Meister Eric." Ash nahm das Blatt entgegen. "Danke!" Er klopfte Eric auf den Rücken und stand auf. Als er schon auf dem Weg zur Tür war, packte der junge Mann einen Twix Riegel aus und biss herzhaft hinein. "Um welchen Fall geht es hier eigentlich?" Der blonde Cop blieb lächelnd in der Tür stehen. "Du darfst alles essen, Eric, aber nicht alles wissen." Damit ging er. Colin holte aus und warf das Stöckchen in seiner Hand über die Wiese des Golden Gate Parks. Das Gelände war gigantisch, viel zu groß, um es komplett zu Fuß zu erforschen. Der schwarzhaarige junge Mann hatte den Park zusammen mit Jeremy in der Nähe des Japanischen Teegartens betreten, um Batman Gassi zu führen. Der Welpe schien Chris und Jason sehr zu vermissen und brauchte jede Ablenkung, die er bekommen konnte. Zumindest jetzt zeigte er wieder seine gewohnte Quirligkeit und er schoss wie ein Blitz auf seinen kurzen Beinen hinter dem kleinen Ast her. Colin strich sich die Haare aus der Stirn. "Dieser Hund ist einfach niedlich." "Stimmt." lächelte Jeremy. "Er passt zu Chris und Jason." Batman kam stolz wie Oscar mit dem Ast zurück. Er trug ihn hoch erhobenen Hauptes und wedelte freudig mit dem Schwanz. Vor Colin blieb er sitzen und präsentierte seine Beute. Der Junge nahm ihm den Ast ab und tätschelte ihm den Kopf. "Braver Junge." Zwei Mädchen gingen vorbei und schauten den Schwarzhaarigen unverhohlen an. Die eine zwinkerte ihm sogar zu. Jeremy sah ihnen nach. "Wow, du kommst gut an. So ein Hund ist eindeutig eine tolle Flirthilfe." "Das habe ich nicht nötig, ich bin vollkommen versorgt." grinste Colin. "Ich hoffe, Marcus ist nicht beleidigt, dass ich jetzt mit dir unterwegs bin. Er hat noch Schule." "Ist er eifersüchtig? Keine Angst, ich fahr eher auf ältere Semester ab!" Jeremy lachte und nahm von Colin das Stöckchen entgegen, um es für Batman zu werfen. "Hast du keine Probleme damit, dass David soviel älter ist als du? Wie viel eigentlich?" "Er ist zwölf Jahre älter als ich, aber ich habe damit keine Probleme. Und Gott sei Dank, hat er die auch nicht. David ist ein wundervoller Mann, manchmal glaubt man gar nicht, dass er schon Mitte dreißig ist. Er ist witzig, liebevoll, frech... und eine Granate im Bett." Colin musste unwillkürlich grinsen. "Und du bist ganz schön verliebt. Das merke ich ja sogar jetzt schon, obwohl wir uns erst so kurz kennen." "Ich bin eben leicht durchschaubar. Danke übrigens, dass du mich eingeladen hast, dich zu begleiten. Ich glaube, ich falle David etwas auf den Wecker, wenn ich vierundzwanzig Stunden am Tag um ihn herum wusele. Und so habe ich auch jemanden, den ich voll quatschen kann. Abby ist ja arbeiten und allein Zuhause würde mir die Decke auf den Kopf fallen..." "Musst du nicht arbeiten?" Jeremy schüttelte den Kopf. "Ich habe mir Urlaub genommen, bin ja sowieso nur Aushilfskraft. So habe ich mehr Zeit für David." Batman kam zurück gesaust und Colin legte ihn nach einer ausgiebigen Knuddelrunde an die Leine, damit sie weitergehen konnte. Es war ein wundervoller Tag, sehr warm für die Jahreszeit und immer noch war keine Wolke am Himmel. Die beiden Jungen kamen an einem der vielen Seen im Park vorbei, auf dem sogar jetzt Leute in Booten unterwegs waren. Ein Jogger kam ihnen entgegen. "Oh shit...", zischte Colin. Jeremy sah ihn verwundert an, der Schwarzhaarige blickte sich nach einer Ausweichmöglichkeit um, aber es war schon zu spät. Der junge Mann in den Trainingsklamotten wurde kurz vor ihnen langsamer. Er war hünenhaft groß, mindestens ein Meter fünfundneunzig, schätzte Jeremy. Er kam sich wie ein Zwerg vor. Der Andere hatte blonde Haare in kurzen niedlichen Locken und blaugraue Augen. Unter seiner Sportkleidung zeichneten sich kräftige Muskeln ab. "Hi, Colin." Für einen Moment wirkte es, als wollte der Angesprochene nicht reagieren, dann antwortete er aber doch, seine Stimme klang dabei ziemlich kühl. "Hi, Brandon." Der Riese bedachte Jeremy mit einem fragenden Blick. "Oh..." meinte Colin. "...darf ich vorstellen? Brandon, das ist Jeremy, Jem, das ist Brandon." "Dein Neuer?" Eine knappe, recht schroff gestellte Frage. "Nein, er ist ein Freund." "Aber du hast einen Neuen, oder?" "Hast du was dagegen?" Brandon zuckte mit den Schultern. "Natürlich nicht." "Gut." Jeremy hörte den merkwürdigen und von einer gewissen Peinlichkeit geprägten Dialog mit wachsendem Interesse zu. Hier gab es eindeutig negative Schwingungen und eine Menge unausgefochtene Konflikte. "Na dann... ich muss weiter, meine Herzfrequenz darf nicht zu stark runter gehen." "Okay. Mach's gut." "Du auch..." Er machte eine kleine Pause. "War schön, dich zu sehen." Colin sagte nichts, er brummelte nur eine Antwort zurecht, die weder hundertprozentig nach Zustimmung, noch nach Verneinung klang. Für ein paar Sekunden zeigte sich ein trauriger Ausdruck auf dem Gesicht des größeren Jungen, dann joggte er weiter. Jeremy gab Batman ein bisschen mehr Leine, damit der Rüde sein Gebiet an einem der Bäume markieren konnte. "Mir brennt es auf der Zunge, neugierige Fragen zu stellen." "Mach ruhig." meinte Colin etwas teilnahmslos. "Wer war das? Sah ja fesch aus." "Hast du Zeit?" Der Schwarzhaarige deutete auf eine Bank am Wegesrand. "Für so etwas doch immer!" Jeremy setzte sich grinsend hin und half Batman hoch, der unbedingt auf seinen Schoss wollte. Colin setzte sich neben ihn und streckte die Beine aus, den Blick in den wolkenlosen Himmel gerichtet. "Das war mein Exfreund." "Habe ich mir beinahe gedacht." Jeremy lächelte schief. "Klang nach einer harmonischen Trennung." "Ist nicht so leicht... wusstest du schon in deiner Schulzeit, dass du auf Kerle stehst?" Der Tänzer schüttelte den Kopf. "Nein... na ja... schon irgendwie. Ich hab mal gemerkt, dass mich nackte Männer auch anmachen, aber ich habe mir da nicht viel draus gemacht, weil ich auch meinen Spaß mit Mädchen hatte. Meine ersten Erfahrung mit einem Mann hatte ich erst nach der Schulzeit." "Bei mir sah das anders aus." Colin verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich hab das schon mit vierzehn gemerkt. Sehr früh eigentlich. Und ich kam auch irgendwie ganz gut damit klar. Bei uns auf der Schule war es eigentlich wie überall. Es gab die Beliebten, die Freaks und die, die einfach durchs Netz hindurch gerutscht sind. Ich war irgendwo zwischen den Freaks und den Nichtbeachteten. Meine Kategorie war der Videofreak, der alle wichtigen und weniger wichtigen Zitate kennt, die Filme nach Regisseuren ordnen konnte und eigentlich kaum etwas anderes als Videos im Kopf hatte. Damit war ich qualifiziert für Freundschaften mit den Videogame- und Comicfreaks, aber auf keinen Fall mit der Elite. Ich wurde nicht soviel gehänselt wie Andere, zum Beispiel die aus dem Schachclub oder der Mathearbeitsgruppe, aber auch nicht an den," Er machte Anführungsstrich mit den Fingern, "coolen Tischen in der Mensa geduldet. Brandon war anders. Er war der beliebteste Junge an der Schule, der absolute Star unseres Footballteams. Alle angesagten Jungs bewegten sich in seiner Entourage und sonnten sich in seinem Glanz, alle angesagten Mädchen und auch die, die es nicht waren, hätten mit großer Freude für Brandon die Beine gespreizt." Jeremy verzog das Gesicht. Er hatte diese typische Hackordnung an Schulen schon immer zutiefst verachtet. "Auf jeden Fall weiß ich gar nicht, wie es passiert ist, aber ich fand es schon immer merkwürdig, dass Brandon nie gemein zu mir war, selbst wenn ich ihm und seinen Jungs mal auf dem Flur im Weg war, hat er nie ein Wort gesagt. Und eines Tages hat er mich gebeten, ihm Nachhilfe in Mathe und Bio zu geben, weil er wirklich nicht der Hellste war, was Naturwissenschaften anging. Ich war zu früh dran und die Terrassentür stand auf, also bin ich einfach rein gegangen, weil auf mein Klopfen an der Haustür keiner reagierte, die hatten noch so einen altmodischen Klopfer, weißt du?" Jeremy nickte, die Geschichte gefiel ihm, er wollte mehr hören. "Na ja, ich gehe also ins Haus, rufe auch mal nach Brandon, kriege aber keine Antwort. Also gehe ich hoch, klopfe an die Tür mit der Aufschrift "Brandon" und gehe rein und..." Er musste lachen. "Brandon hat gerade verzweifelt versucht, seine Hose wieder hochzukriegen, dabei hatte er die Flasche mit Babyöl umgeworfen, die sein Pornoheft durchweichte. Es war eines dieser Blätter mit den hübschen halbnackten Kerlen vorne drauf und den Aufnahmen, bei denen man manchmal beinahe die Prostata sehen kann, innen drin. Und so war der erste Satz, den Brandon privat mit mir gewechselt hat: "Wenn du irgendjemandem davon ein Wort erzählst, breche ich dir alle Knochen!". Das werde ich wohl nie vergessen." Jeremy lachte mittlerweile auch. So etwas kam sonst nur in Teeniekomödien vor. "Und weiter?" "Neugierig bist du gar nicht, was?" Colin boxte ihn in die Seite. "Ich habe ihm gesagt, dass ich kein Wort darüber verlieren würde... und dann habe ich ihn einfach geküsst. Ich weiß selbst nicht genau, warum ich das damals gemacht habe. Er war sexy und ich fand ihn süß. Ich war ziemlich überrascht, dass er mich sofort zurück geküsst hat und noch mehr, er wollte mich gar nicht mehr loslassen. Auf einmal hat er mir gestanden, dass er schon lange in mich verknallt wäre. Ich habe ihn ausgelacht, aber er sagte, es sei sein vollkommener Ernst. Er habe nur nie gewusst, wie er sich mir nähern sollte." "Das klingt reichlich abgehoben? Bist du sicher, dass du dir das gerade nicht ausdenkst?" "Ich kann auch aufhören." grinste Colin. "Nein!" Jeremy hob abrupt die Hände, beinahe wäre Batman von seinem Schoß gerutscht. "Bloß nicht, erzähl weiter!" "Ich glaube es nicht, dass ich dir das erzähle." Colin fuhr sich etwas verlegen durch die schwarzen Haare. "Wie soll ich es sagen... circa eine halbe Stunde später wusste ich, wie unromantisch schmerzhaft ein erstes Mal sein kann..." "Ihr habt..." Jeremy zog in Ermanglung von Popcorn einen Kaugummi aus der Tasche und schob ihn sich in den Mund, bevor Batmans Interesse, das im Allgemeinen allem galt, was essbar war, groß genug werden konnte. "Ich weiß, das ist nicht romantisch und wirkt etwas notgeil, aber was soll ich sagen? Wir waren siebzehn, hatten Beide noch nie Sex gehabt und zum ersten Mal die Möglichkeit, all das auszuprobieren, worüber wir sonst nur phantasiert hatten..." Er wurde rot. "Ich weiß wirklich nicht, was ich hier gerade mache..." "Mich glänzend unterhalten, weiter! Los!" "Wenn du jetzt glaubst, dass ich dir Details gebe, bist du schief gewickelt, dazu bin ich zu gut erzogen." "Schade... Abby würde mir jetzt alles genau erzählen. Vor allem wichtige Details wie Größe, eventuelle Neigungswinkel und so weiter." "Hat sie immer ein Geodreieck mit im Bett?!" "Weiter jetzt!" forderte Jeremy statt einer Antwort. "Ist ja gut!" Colin seufzte übertrieben theatralisch. "Also, wir sind dann quasi miteinander gegangen... was soviel bedeutete, wie, dass wir es bei jeder Gelegenheit wie die Karnickel getrieben haben." "Ich wusste es!" unterbrach der Tänzer triumphierend. "Dein schüchternes Gehabe war nur aufgesetzt. Mann, du und David, ihr werdet euch gut verstehen." "Ruhe auf den billigen Plätzen!" grinste der Andere. "Das ging eine ganze Zeit lang gut. In der Schule hat er mich weiter wie Luft behandelt, was mir allerdings weniger gut gefiel. Nachdem es anfangs nur Neugier und Gelegenheit war, habe ich mich auch ziemlich schnell in ihn verguckt. Wenn wir allein waren, war er so niedlich, so liebevoll und freundlich. Und er lernte schnell, welche Knöpfe er drücken musste, um mich im Bett wahnsinnig zu machen. Und irgendwann war es dann soweit. Die Schulzeit ging zu Ende und der Abschlussball stand an. Da hatte ich meine geniale Idee. Ich habe Brandon gefragt, ob er mit mir zum Ball geht, als mein Freund. All diesen Idioten eins auswischen. Denn während der Schulzeit habe ich die Heimlichtuerei noch eingesehen, aber danach... Weißt du, ich bin niemand, der sagt "Oh Gott, ich bin schwul, ich muss mich verstecken!". Ich bin so und ich bin damit zufrieden. Ändern kann ich es sowieso nicht. Sich in der Schule zu outen ist tödlich, das habe ich erst wieder bei Marcus gesehen, aber was spricht dagegen, sich danach endlich so zu geben, wie man ist?" Colin unterstrich seine flammende Rede mit vielen Gesten. "Brandon hatte Angst, aber ich habe ihm gesagt, dass jeder, der danach nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, auch vorher nie wirklich sein Freund gewesen sei. Und schließlich hat er zugesagt. Ich war schrecklich aufgeregt. Ich hatte mich mittlerweile vor meinen Eltern geoutet und bin mit meiner Mutter stundenlang durch sämtliche Boutiquen gewandert, auf der Suche nach dem perfekten Anzug. Ich wollte perfekt sein, damit Brandon auf mich stolz sein konnte. Und am Abend des Balls..." Colins Blick irrte zum Horizont, die Erinnerung tat ihm offensichtlich weh. "Er ist nicht aufgetaucht?" fragte Jeremy. "Ja, genau. Er ist nicht gekommen. Ich hab bei seinen Eltern angerufen und erfahren, dass er mit Heather Biblow dahin gegangen war, der Anführerin der Cheerleader... ich war stinksauer. Weißt du, wir hatten mal Fotos in so einem Fotoautomaten gemacht, auf einem hat er sein Shirt ausgezogen und ich schmiege mich an seine Brust, auf einem anderen hat er mich wild geküsst. Ich war so wütend, dass ich die Fotos sofort kopieren, zum Ball fahren und sie jedem in die Hand drücken wollte... Aber meine Mum hat mir dann klar gemacht, dass ich nicht so bin... ich bin niemand, der mit billiger Rache glücklich wird. So kindisch das klingt, sie hat mir Kakao gemacht und ich durfte mich den ganzen Abend bei ihr ausheulen." Jeremy legte ihm die Hand auf den Arm. "Danke..." lächelte Colin. "Aber keine Panik, ich bin drüber weg, schließlich bin ich ja auch vorwärts gegangen und habe jetzt Marcus. Auf jeden Fall kam Brandon am nächsten Tag mit einer Rose zu mir und hat sich entschuldigt. Und ich habe ihm vergeben. Es lief noch ein paar Wochen, dann kam ich dahinter, dass er schon in dieser Nacht nach dem Ball, stockbesoffen mit einem Anderen gevögelt hatte. Aber bei dem einen Mal ist es nicht geblieben, er hat mich mehrfach betrogen. Also habe ich ihm den Laufpass gegeben und den Job in der Videothek angenommen, um mich abzulenken. War eine ziemlich schwere Zeit. Der Kontakt zu Brandon riss total ab, das Letzte, was ich weiß, ist, dass er nach der Schule direkt in die Jugendmannschaft der San Francisco 49ers gekommen ist. Ich hatte mir überlegt, auf der Uni sicher jemand neuen kennen zu lernen. Das es schon so schnell passieren würde, konnte ich nicht ahnen. Aber bei Marcus ist einfach der Blitz eingeschlagen. Ich bin total in ihn verliebt und es ist gerade so schön, weil es nicht wie mit Brandon ist. Ich genieße es richtig, mal der Seme zu sein." Der Tänzer sah Colin verständnislos an. "Der was?!" "Ups!", lachte Colin. "Entschuldige, ich lese zuviel Manga. Das heißt soviel, wie der, der oben liegt." "Du bist wirklich ein Freak!" Jeremy machte eine Kaugummiblase. "Aber ich mag dich." fügte er hinzu, nachdem sie geplatzt war. "Oh, was für ein tolles Kompliment. Hör mal, ich habe hier eben vor dir einen Seelenstriptease hingelegt, so genau über Brandon weiß niemand Bescheid, nicht einmal Marcus." "Redest du nicht mit ihm über so etwas?" "Redest du mit David über deine Verflossenen?" stellte der Schwarzhaarige eine Gegenfrage. "Er weiß von einem, das langt völlig!" "Alex?" Jeremy nickte, während er nebenbei Batman kraulte. "Das ist genug harter Tobak." "Wie heißt es so schön? Ich zeig dir meins, du zeigst mir deines!" grinste Colin. Er schaute auf die Uhr. "Du hast Glück, ich habe Marcus versprochen, ihn von der Schule abzuholen, Küsse gibt es natürlich erst, wenn wir außer Sichtweite sind!" Er stand auf und Batman sprang von Jeremys Schoss. Der kleine Hund ließ sich widerstandslos wieder anleinen. "Ich komme darauf zurück." "Verstanden!" lachte der Rothaarige. Die beiden jungen Männer verabschiedeten sich voneinander und Colin machte sich auf den Heimweg. Das Gespräch mit Jeremy hatte ihm gut getan. Er kehrte zu dem Parkplatz am Rande des Parks zurück, wo er seinen Wagen geparkt hatte, ein ziemlich altes Modell, aber für seine Zwecke durchaus genügend. Und ihm treu ergeben, seit er den Führerschein hatte. Diesmal jedoch bescherte ihm das Auto eine weniger schöne Überraschung. Brandon lehnte daran. Colin blieb vor dem Wagen stehen und stemmte die Hände in die Hüften. Der kleine Rüde war wesentlich weniger distanziert, er hoppelte fröhlich auf den großen Blonden zu. "Was wird das?" "Ich hab deine alte Karre wieder erkannt. Ich kenne sie schließlich noch." "Ja, besonders die Rücksitze, nicht wahr?" "Warum bist du so eisig?" "Das fragst du noch?" Colin verdrehte die Augen. "Komm schon, da kommst du selbst drauf, Ballkönig." "Du reitest doch nicht immer noch auf der Sache mit dem Abschlussball herum, oder?" Brandons Blick fiel auf Batman, der neugierig an seinem Fuß schnüffelte. "Und seit wann hast du einen Hund?" "Der ist nur bei Marcus und mir in Pflege." "Marcus, so heißt er also." "Brandon," schnaufte der Schwarzhaarige genervt. "Komm endlich zur Sache. Wenn du was von mir willst, dann sag es." "Ich will nicht, dass es zwischen uns so aussieht! Ich würde dich gern wieder öfter sehen... und ich wünschte, du wärst nicht mehr böse auf mich..." Colin schloss die Augen. So war das immer. Jedes Mal, wenn er glaubte, dass Brandon nur ein egoistischer Klotz aus Muskeln war, sagte er so etwas niedliches und freundliches. In seinem Inneren war der junge Mann sehr sensibel, auch wenn er diese Seite von sich unter dem Druck, der King der Schule zu sein, tief hatte vergraben müssen. "Brandon, du kannst nicht erwarten, dass ich einfach so tue, als sei nichts gewesen." "Aber ich will doch nur dein Freund sein, so wie der Kleine gerade im Park!" "Der Kleine ist vier Jahre älter als du und im Gegensatz zu dir, hatte ich mit ihm keine Beziehung und er hat mich auch nicht nach Strich und Faden hintergangen!" "Denk doch wenigstens drüber nach, bitte." Sein Exfreund seufzte. "Okay, okay. Ich denke darüber nach, aber erwarte nicht zuviel. Vor allem denke ich nicht, dass Marcus sehr begeistert ist, wenn ich plötzlich dauernd mit meinem Ex unterwegs wäre. Ich rufe dich mal an, okay? Und jetzt muss ich los." Er zog den Autoschlüssel aus der Tasche, brachte Batman in seine Box im Kofferraum und öffnete dann die Fahrertür, die ganze Zeit sagte der Footballspieler kein Wort, sondern sah ihn nur mit einer Mischung aus Traurigkeit und Zuversicht an. Bevor Colin jedoch die Tür zuziehen konnte, eilte Brandon ums Auto herum und hielt sie kurz fest. "Das heißt, mit uns ist es endgültig vorbei?" "Der Zug ist abgefahren, Brandon. Du hast seit unserer Trennung nichts mehr von dir hören lassen und jetzt ist es eben zu spät. Ich liebe Marcus und bin sehr glücklich mit ihm. Ich melde mich bei dir." Damit zog Colin mit einem Ruck an der Autotür. Brandon gab sie frei und schaute zu, wie der Schwarzhaarige den Motor startete, aus der Parklücke manövrierte und davon fuhr. Jeremy streckte sich und gähnte herzhaft. Die frische Luft machte ihn irgendwie müde. Er fuhr sich durch die Haare und schloss die Augen. Klick. Klick? Verwundert hob er die Lider und schaute sich um. Ein Stück entfernt stand eine junge Frau, Mitte bis Ende zwanzig, mit ihrer Kamera. Ihre langen blonden Haare fielen glatt und glänzend über ihre schmalen Schultern. Die zierliche Figur der Frau steckte in modischen Jeans und einem kuschelig aussehenden Wollpullover mit Rollkragen. Als Jeremy sie ansah, senkte sie den Fotoapparat. "Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht stören." "Wenn ich mich nicht irre, gibt es Gesetze gegen das, was sie gerade tun!" grinste Jem. "Recht am eigenen Bild oder so ähnlich." Zahlte sich doch aus, mal durch Davids dicke Anwaltsschinken geblättert zu haben. "Sie sind gut informiert." Die Frau kam heran und hielt Jeremy die Hand hin. "Alice Elliot, schön Sie kennen zu lernen." Etwas perplex erhob sich der Rothaarige und nahm die angebotene Hand. "Jeremy Sumner. Und auf die Gefahr hin unhöflich zu wirken: Was sollte das eben?" Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel von Alice. "Ich muss mich noch einmal entschuldigen, es ist einfach mit mir durchgegangen. Wissen Sie, ich bin Fotografin und als ich Sie da so sitzen sah, die Augen geschlossen, wie Sie sich durch die Haare gefahren sind, das war einfach umwerfend." "Ach... war es das?" Jeremy kam sich gerade ziemlich dämlich vor. "Es war phantastisch. Sie haben soviel Ausstrahlung und Charisma!" "Ach... hab ich das?" "Ja! Ihre Haare im Sonnenlicht, die langen Wimpern, das zarte Gesicht, Sie sind einmalig! Einfach perfekt!" "Äh... bin ich das?" Der Rothaarige wich einen Schritt zurück. Irgendwie war das unheimlich. Alice kramte in ihrer Tasche und zerrte eine etwas zerknitterte Karte hervor. Alice Elliot, Fotografin, stand darauf, außerdem die Adresse ihres Ateliers und ihre Telefon- sowie Handynummer. "Sie müssen einfach für mich posieren, ich bitte Sie." "Mrs. Elliot, ich..." "Ms. Elliot, bitte." Sie hob ihre Hand. "Sehen Sie? Kein Ring an diesen Fingern." "Also Ms. Elliot... ich glaube nicht, dass ich... ich meine..." Jeremy fühlte sich total überrumpelt. "Ich bin Tänzer, nicht Modell. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein kindliches Gesicht wie meines etwas für Sie ist..." Alice schüttelte lächelnd den Kopf. "Jeremy, Sie sehen das falsch. Gerade weil Ihr Gesicht so besonders ist, ist es genau das, was ich suche. Vergessen Sie diese kantigen Männergesichter, ein jungenhafter Typ ist im Moment viel gefragter! Und schauen Sie sich doch nur an, Sie haben zu diesem fabelhaften Gesicht auch noch der Körper eines Modells. Sie können soviel leugnen wie Sie wollen, Sie sind perfekt für mich!" "Ms. Elliot..." Was sollte er jetzt sagen? Der Anfang blieb in der Luft hängen, Jeremy fiel nichts ein. "Hören Sie, Jeremy. Ich brauche Sie dringend. Ich muss Probeaufnahmen von Ihnen machen und wenn alles klappt, und davon bin ich überzeugt, habe ich einen Auftrag, der perfekt für Sie ist. Eine Kampagne wie geschaffen für einen Typ wie Sie. Sie würden bald auf jeder Plakatwand in Downtown zu sehen sein!" "Okay, das ist genug, mehr muss ich nicht wissen." Jeremy drehte auf dem Fuß herum und marschierte los. Egal ob das nun schrecklich unhöflich war oder nicht. Nur weg von hier. Doch so leicht ließ sich Alice nicht abschütteln. Sie holte ihn ein und hielt neben ihm das Tempo, ungeachtet der Tatsache, dass ihre Oberweite dabei wild hüpfte, offenbar trug sie keinen BH. "Was haben Sie denn?" "Hören Sie!" Jeremy blieb abrupt stehen. "Ich bin für so etwas nicht geschaffen, so im Mittelpunkt zu stehen, meine ich." "Ach? Und das sagt ein Tänzer? Was ist denn Ihr Ziel? Ein Platz in der hintersten Reihe der Backgroundtänzer? Damit Sie nicht auffallen?" Damit hatte sie nur zu Recht. Natürlich träumte Jeremy von einem großen Durchbruch und das würde auch bedeuten, im Mittelpunkt zu stehen. Dagegen zu reden, erübrigte sich also von Anfang an. "Aber ich bin kein Modell!" "Aber Sie könnten es sein! Das heißt doch nicht, dass Sie den Tanz aufgeben müssten! Aber denken Sie doch auch einmal an die Möglichkeiten. Haben Sie im Moment ein Engagement?" "Ich wüsste nicht, was Sie das angeht!" "Also nicht!" stellte die junge Frau erbarmungslos fest. "Wie verdienen Sie sich Ihr Geld?" "Hören Sie mal! Was geht... ach." Der Rothaarige presste die Lippen aufeinander. "Ich bin Barkeeper." gab er dann zu. "Und finden Sie nicht, dass ein zweites Standbein als Modell mehr einbringen würde? Wenn alles klappt, könnten Sie für die Kampagne..." Sie beugte sich vor und flüsterte Jeremy den Rest ins Ohr. Der Tänzer wurde bleich. "Soviel?! Auf einmal?!" "Auf einmal, ganz genau. Jeremy, denken Sie darüber nach, ich flehe Sie an!" Sie gestikulierte fast flehentlich. "Ihr Talent zu verschwenden, wäre einfach nur traurig. Das darf nicht passieren!" "Lassen Sie mir wenigstens etwas Zeit! Ich möchte das mit meinem Freund besprechen!" griff der Tänzer nach dem letzten Strohhalm, den er noch sah. "Sie sind schwul?" "Nein, bi, aber wenn das ein Problem ist, dann kann ich da leider nichts machen." Ein Hochgefühl erfasste den jungen Mann, sein Schlupfloch! "Ich werde mich nicht verstellen, ich bin..." "Das müssen Sie auch nicht!" zerschlug Alice all seine Hoffnungen. "Das ist perfekt! So haben Sie auch kein Problem damit, vielleicht homoerotisch angehauchte Fotos zu machen." "Ich mache keine Pornografie!" Jedenfalls nicht mehr!, fügte er sarkastisch in Gedanken hinzu. "Wollen Sie mich beleidigen? Jeremy, schauen Sie sich moderne Werbung, zum Beispiel für Designer, doch mal an. Die strotzt vor Homoerotik! Metrosexualität ist angesagt, der Mann, den sowohl Frau als auch Mann erotisch finden können, ein Hauch androgynes... und dabei so fabelhafte Muskeln wie Ihre." "Hören Sie auf, Ihre vielen Komplimente erschlagen mich gleich!" lachte Jem, obwohl er sich allmählich wirklich geehrt fühlte. "Ich will ja nur, dass Sie sich diese Chance nicht entgehen lassen. Mit etwas Glück kommen Sie ganz groß raus. Und wer weiß, vielleicht öffnet Ihnen das auch Türen im Showbusiness. Wenn Sie erst einmal von den Plakatwänden lächeln, kommen die Angebote eigentlich ganz von selbst." Sie zog Jeremy an sich und drückte ihm Küsse links und rechts auf die Wangen. "Ich muss dann los, habe hier im Park heute noch ein Shooting, aber ich beschwöre Sie noch einmal: Melden Sie sich bei mir! Sprechen Sie alles mit Ihrem Freund durch, aber dann rufen Sie an! Ich zähle auf Sie!" Sie zog von dannen und ließ einen total verwirrten Jeremy zurück. Der Tänzer starrte der quirligen Fotografin einfach nur hinterher. Was zum Teufel war hier eigentlich gerade geschehen?! Dave stieg wieder in seine Hose. "Hör auf zu flennen!" befahl er, während er den Knopf schloss. Chris hockte zusammengekauert auf dem Boden und weinte. Diesmal war es noch schlimmer gewesen. Sein Herz raste wie verrückt, er zitterte am ganzen Körper. Nicht nur, dass Dave sich an ihm vergangen hatte, nein, er hatte auch noch die ganze Zeit die Kanone bei sich gehabt, sie zeitweise sogar an den Kopf des Blonden gehalten oder sie ihm in den Mund gesteckt. Chris wusste nicht, was schlimmer gewesen war, die Schmerzen und die Demütigung des erzwungenen Aktes oder die schreckliche Angst, dass Dave im Eifer seiner widerlichen Leidenschaft der Finger abrutschen und er ihn somit töten könnte. Nichts dergleichen war geschehen und plötzlich war sich Chris nicht mehr sicher, ob nicht ein tödlicher Schuss das Beste gewesen wäre, was ihm hätte passieren können. "Ich sagte, du sollst mit der Heulerei aufhören!" Dave riss seinen Gürtel aus der Hose, holte aus und ließ den Lederriemen auf Chris niedersausen. Er traf ihn hart an der Brust, ein roter Striemen zeigte sich auf der Stelle. Chris unterdrückte einen Aufschrei und rieb sich so schnell er konnte mit den Fingern durch die Augen. Wenn er Dave nicht gehorchte... er wollte nicht weiter denken. Wenn er ihn tötete, dann wäre diese ganze Sache endlich vorbei, aber wenn er nicht bekam, was er wollte, würde er es an seinen Freunden auslassen und an Batman, der für ihn mittlerweile fast so etwas wie ein Kind war. Das durfte er nicht zulassen. "Tut mir leid..." "Hör mal, Christopher, du bist doch keine Memme! Stell dich nicht so an! Du müsstest Sex doch sehr gewöhnt sein." "Aber nicht mit einer Pistole am Kopf!" rutschte es Chris heraus. "Willst du wieder ungezogen sein?!" Der Blonde sackte zusammen. "Nein....", flüsterte er. Die Wunde an seinem Arm schmerzte immer noch, seine Brust brannte wie Feuer. "Sehr gut. Du lernst, mein Schatz." Dave zog seinen Pulli wieder über. "Ich muss jetzt noch einmal weg und da du ja eindrucksvoll bewiesen hast, mehrfach, dass du ein sehr ungezogenes Püppchen bist, muss ich dich leider einsperren." "Wieder in das Zimmer?" Dave schnalzte mit der Zunge. "Chris, Chris, Chris... also wirklich? Sei mal ehrlich? Hast du es verdient, in dieses Zimmer zu kommen? Nein, oder? Freche Jungs wie du werden nicht so belohnt. Und außerdem musste ich dank dir die Tür dort oben aufbrechen..." Er lächelte. "Nein, wir müssen eine andere Bleibe für dich finden. Und jetzt steh auf!" Den letzten Satz hatte er in heftigstem Befehlston formuliert. Chris stemmte sich mühsam hoch. "Da entlang!" Sein Entführer fuchtelte mit der Waffe in Richtung des hinteren Teiles des Hauses, unter der Treppe. Chris machte einen Schritt, dann blieb er wieder stehen. Mit flehendem Blick schaute er Dave an. "Dave... du liebst mich doch... bitte lass mich gehen, ich verrate auch niemandem, was hier..." "Für wie blöd hältst du mich?!", unterbrach Dave schroff. "Los jetzt!" "Dann gib mir bitte wenigstens etwas zu essen, ich hab seit du mich entführt hast nichts mehr gegessen..." Chris hasste sich abgrundtief, aber er kam nicht gegen den bettelnden Ton an. "Christopher..." Dave legte den Kopf schräg und lächelte ihn an, als würde er mit einem absoluten Volltrottel reden. "Glaubst du, dass du es verdient hast, etwas zu Essen zu bekommen? Oder etwas zu trinken? Christopher, nur wer absolut brav ist, verdient sich so etwas." Er hob die Waffe. "Und jetzt beweg dich endlich!" Chris senkte die Schultern und trottete in die angegebene Richtung. Vor einer Tür unter der Treppe musste er stehen bleiben. "Aufmachen!" befahl Dave. Chris tat wie ihm geheißen und sein Blick verlor sich in der Dunkelheit des Kellerloches vor ihm. Hinter der Tür führte eine Treppe in die Finsternis. Das Tageslicht reichte nicht weit genug und neben der Tür war kein Lichtschalter. Irgendwo tropfte Wasser. "Bitte nicht... nicht da hinein!" Dave drückte ihm als Antwort den kühlen Lauf der Waffe in den Rücken. "Los!" zischte er. Chris machte einen Schritt die Treppe hinunter, nur um dann festzustellen, dass sie nach ein paar Stufen nicht etwa in der Dunkelheit nicht mehr zu sehen war, sondern schlichtweg aufhörte. Bevor er etwas sagen konnte, bekam er einen Stoß. Mit einem Schrei verlor Chris das Gleichgewicht und fiel vornüber. Er stürzte ca. zweieinhalb Meter, dann beendete die Umarmung von eiskaltem Wasser seinen Sturz. Er versank, seine Glieder fühlten sich für einen Moment schrecklich schwer an, doch er kämpfte gegen die Kälte und strampelte sich wieder an die Oberfläche. Ein ganzes Stück über sich erkannte er Daves Silhouette im schwachen Licht. Panik erfasste ihn. Unter seinen Füßen war kein Boden, er musste schwimmen. Wenn Dave ihn nun einfach hier unten ließ, würden seine Kräfte bald nachlassen und er würde elendig ersaufen. Plötzlich drängten sich Bilder in seinen Kopf, Bilder aus einem Horrorfilm, den Jason und er mal gesehen hatten, und ihn furchtbar verstört hatte. Plötzlich wusste er, wie sich das Mädchen in dem Brunnen gefühlt haben musste. "Dave! Bitte hol mich hier raus!" Von oben kam keine Antwort, stattdessen fiel die Tür ins Schloss und ließ den jungen Mann in absoluter Dunkelheit zurück. Das einzige Geräusch war das Schwappen des Wassers gegen die Wände des Gewölbes. Die Kälte fraß sich durch seinen immer noch nackten Körper und drohte ihn allmählich zu lähmen. "Dave!" brüllte Chris. Aber es kam keine Antwort. Plötzlich streifte etwas nasses pelziges seinen Arm. Quieken, die Berührung eines nackten Schwanzes. Eine Ratte! Chris schrie auf und ruderte wie von Sinnen von dem Geräusch weg. Er hasste Ratten, in New York hatte er genug Erlebnisse mit diesen widerlichen Viechern gehabt! Auf seiner Flucht rammte er mit der Hüfte mit voller Wucht gegen einen Vorsprung. Mit schmerzverzerrtem Gesicht tastete er in der Finsternis nach dem Hindernis. Eine Erhebung, die aus der Wand ragte, höchstens ein paar Zentimeter mit Wasser bedeckt. Mit letzter Kraft schob sich der blonde Mann darauf und kauerte sich zusammen. Er fror fürchterlich und dass das eisige Wasser gegen seinen Unterleib schwappte, half dabei nicht gerade. Der Vorsatz fühlte sich glitschig an, Chris wagte nicht, sich darauf zu stellen, in der Angst wieder in die Brühe mit den Ratten zu fallen. Er presste seinen Rücken an die glatte kalte Wand hinter sich und zog mit den Armen die Beine eng an den Körper. Und damit gesellte sich noch ein weiteres Geräusch zu den Lauten in der Dunkelheit des Kellerlochs, Chris' Schluchzen. "Fünfzig auf Devil's Wind im sechsten Rennen!" forderte Malcom Callaway am Wettschalter der Pferderennbahn. Um ihn herum herrschte der typische Trubel der nachmittäglichen Rennbegeisterung. Natürlich zählte diese Rennbahn nicht zu der Creme de la Creme der Szene, aber für Malcoms Bedürfnisse war es vollkommen ausreichend. Hier fand man sich ein, wenn man niemanden sehen und selbst auch nicht gesehen werden wollte, anders als auf den Rennbahnen der Schickeria. Er bekam seinen Wettschein und trollte sich dann in Richtung Hotdogstand Eine kleine Mahlzeit bis zum Rennen konnte nicht schaden. Kaum hatte er den ersten Bissen des nicht einmal mittelprächtigen Junk Foods herunter gewürgt, wurde er von der Seite angelabert. "Malcom Callaway?" "Wer will das wissen?" antwortete er mit der nötigen Coolness, obwohl die muskulösen Arme des Anderen ihn durchaus nervös machten. "Tallman ist mein Name. Ich denke, wir sollten uns mal unterhalten." Malcom schaute den hoch gewachsenen blonden Typen mit der Sonnenbrille an. "Wenn Sie von Sergei kommen, sagen Sie ihm, er kriegt sein Geld." "Das wird Sergei freuen, aber leider habe ich damit nichts zu tun." "Schickt Sie meine Exfrau... oder sind Sie ein Bulle?" Der Blonde grinste. "Was wäre Ihnen denn lieber?" "Um ehrlich zu sein: Der Bulle." "Na dann ist das Glück Ihnen heute wohl hold." "Hören Sie, ich habe nichts verbrochen." "Oh, das haben Sie sehr wohl, aber darüber wollen wir nicht reden. Ich will nur ein paar Informationen von Ihnen." Callaway schnaubte. "Sehe ich aus wie die Auskunft?" "Nein, aber wie jemand, dem daran gelegen ist, dass man nicht zu sehr in seinen Angelegenheiten herumschnüffelt. Wenn ich erfahre, was ich wissen will, dann vergesse ich vielleicht, meine Kollegen darüber zu informieren, Sie mal wieder ordentlich zu durchleuchten." "Seid ihr Cops mittlerweile alle korrupt? Um was geht es?" Ash setzte die Sonnenbrille ab und sah den schmierigen Privatdetektiv aus seinen blauen Augen von oben herab an. "Informationen über einen Ihrer Kunden." "No way, so etwas kann ich nicht heraus geben. Ich würde meinen guten Ruf aufs Spiel setzen." "Dazu muss man erst einmal einen guten Ruf haben. Hören Sie, ich kriege diese Infos von Ihnen. Entweder jetzt, diskret, oder mit einem Gerichtsbeschluss und einer Spazierfahrt zum Verhör, suchen Sie es sich aus." Ein guter Bluff war besser als nichts, Ash hoffte inständig, dass der kauzige Kerl darauf eingehen würde. Und tatsächlich hatte er Glück. "Geht es auch genauer? Welcher Kunde?" "Na bitte." Ash deutete auf eine Bank. "Setzen wir uns." "Das Rennen fängt gleich an." "Wenn Sie gewonnen haben, erfahren Sie das noch früh genug." Widerwillig ließ sich Malcom neben dem blonden Polizisten nieder. "Also?" "Sie haben sich in letzter Zeit häufiger in der Hillside Street herumgetrieben, nicht wahr? Zumindest verrät das ihre Leidenschaft für Butterfingers. Sie sollten das Papier nicht einfach wegwerfen, denken Sie an unsere Umwelt." "Ja, ich war dort. Ich hatte einen Auftrag, sehr lukrativ, wenn auch etwas unangenehm. Ist schon etwas komisch, wenn man als Hetero die ganze Zeit zwei Homos beobachten soll. Ich meine, nichts gegen die warmen Jungs, aber ich muss doch nicht alles wissen, was die so treiben." "Reizend." "Na ja, aber wenn das Geld stimmt, mache ich alles... fast alles!" verbesserte er schnell. "Und das stimmte in diesem Fall?" Ash setzte die Sonnenbrille wieder auf. "Ja und wie! Meine Güte, von dem Batzen kann ich locker meine Wettschulden begleichen. Dem Kerl war das Leben der Beiden wirklich einiges wert... Moment mal." Späte Erleuchtung zeigte sich auf seinem Gesicht. "Sie waren einer der Leute, die ich bei den Beiden fotografiert habe. Ihr Name kam mir gleich so bekannt vor! Ashton, richtig?" "Mich haben Sie auch überwacht?!" "Nein, Mann, nein, ich sollte nur jeden fotografieren und überprüfen, der bei dem Cop und seinem Freund ein und aus geht. Und Sie waren dabei." Ash traute seinen Ohren nicht. Je mehr er hörte, umso fester glaubte er an Jasons Theorie. Hier war etwas oberfaul und die Tatsache, dass nicht nur Jason und Chris selbst, sondern auch all ihre Freunde Fokus der Überwachung gewesen waren, war mehr als beunruhigend. "Wer hat Ihnen diesen Auftrag gegeben." "Der Kerl hieß John Landon." erklärte der Detektiv. "Aber der konnte mir viel erzählen, ich wusste sofort, wer er war." "Ach ja? Er hieß also nicht wirklich so?" "No way, Mann. Ich meine, er hat wahrscheinlich gedacht, dass jemand wie ich ihn nicht kennen würde, aber man kommt um ihn nicht herum, wenn man Wirtschaftsmagazine liest." "Und das tun Sie? Ich hielt Sie eher für den Playboy-Typ". "Sie sollten Komiker werden, Mann. Im Ernst, was glauben Sie denn, was ich hier mache? Ich muss lukrative Jobs annehmen, sonst bringt das ja alles nichts. Und zu wissen, wer im Moment die meiste Kohle in der Tasche hat, ist nie verkehrt. Kann bei der Auswahl von Aufträgen super wichtig sein, verstehen Sie?" "Also, wer war er wirklich?" fragte Ash statt einer Antwort. "Dave Jerrod. So ein Bonze aus Texas, steinreich. Kam mir schon etwas komisch vor, das mit dem falschen Namen, aber ich meine, der Kerl hat mir zwanzig Riesen für die Sache gegeben, da stellt man doch keine Fragen." "Natürlich nicht." stöhnte der Blonde. "Und Sie haben auch sicher keinerlei Unterschriften oder so von ihm." "Ich habe mein Geld bar bekommen und um Verträge schere ich mich in dem Fall nicht." Ash erhob sich. "Vielen Dank, Callaway. Sie haben mir wirklich geholfen." "Lag nicht in meiner Absicht!" grinste der Schnüffler. "Das denke ich mir." Ash deutete auf die Anzeigentafel über den Wettschaltern. "Übrigens, Ihr Gaul hat verloren." Er ließ Malcom stehen, der fassungslos auf die Tafel starrte, bevor er sein mittlerweile kaltes Hotdog auf den Boden schleuderte und wütend darauf herum sprang. "Sie hat dir einen Job als Modell angeboten?" Jeremy rutschte etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er wusste selbst nicht genau, warum er Angst hatte, David diese Neuigkeit zu überbringen, aber es war so. "Ja... ich weiß selbst nicht genau, wieso sie das gemacht hat. Aber sie hat mich direkt bestürmt, zu zustimmen." "Ich wüsste wieso." "Und verrätst du mir das auch?" David grinste. "Vielleicht weil mein Freund toll aussieht?" Jeremy konnte nicht anders als zu lächeln. Er stand auf, beugte sich vor und gab David einen zärtlichen Kuss. "Weißt du eigentlich, wie wundervoll es klingt, wenn du mich deinen Freund nennst?" flüsterte er, als sich ihre Lippen voneinander lösten. "Ja, mir gefällt das auch." "Ehrlich?" Der Blonde nickte. "Wenn ich es sage." David genoss für einen Moment den Anblick von Jeremys zufriedenem Gesicht. Er hatte an diesem Nachmittag, als er allein gewesen war, eine Entscheidung getroffen. Er würde die ihm verbleibende Zeit so gut nutzen, wie er konnte. So viel Zeit wie möglich mit Jeremy verbringen, sowie mit seinen besten Freunden. Das Leben einfach nur genießen, etwas, dass er noch nie als so wichtig empfunden hatte, wie heute. Gedanken darüber, wie es gegen Ende werden würde, konnte er sich immer noch machen, wenn es soweit war. "Du würdest also wollen, dass ich das mache?" "Du kannst mir ja eventuelle Verträge zur Durchsicht geben, wenn du magst. Aber ansonsten bin ich sehr dafür. Das könnte die Chance sein, auf die du immer gewartet hast. Und vielleicht bringt dich das sogar als Tänzer weiter." "Woher weißt du eigentlich immer, was ich gerade hören will? Diese Eigenschaft hast du lange wirklich gut versteckt, wenn ich an deine Fauxpas in der Vergangenheit denke." "Willst du mir wieder mit dem "Wir sollten uns mit anderen treffen" Satz kommen?" David streckte die Zunge raus. "Ja", lächelte Jeremy mit schräg gelegtem Kopf, "das werde ich auch niemals sein lassen. Bis ans Ende unserer Tage, wenn wir alt und grau zusammen im Altersheim wohnen, werde ich dir das vorhalten!" Als David das hörte, hatte er plötzlich das Bedürfnis in Tränen auszubrechen. Er begriff, dass er sich jetzt, da er um sein Ende wusste, nichts sehnlicher wünschte, als genau das zu erleben. Alt werden mit den Menschen, die ihn liebten. In dem Moment als seine Überzeugung, über sein Schicksal Stillschweigen zu bewahren, ins Wanken geriet, rettete ihn ein Klopfen an der Tür. "Ja bitte?" rief er schnell. Eve öffnete die Türe. Bewaffnet mit einem Blumenstrauß und einem Geschenk. Sie bot einen ungewohnten Anblick, trug sie doch nicht eines ihrer eleganten Businesskostüme, sondern ein in sonnigem Gelb strahlendes Kleid mit dezentem Ausschnitt und darüber einen weißen Mantel, der mit roten Seesternen bedruckt war. Ihre langen Haare fielen ihr offen über die Schultern, abgesehen von der kleinen Spange mit dem goldgelben Schmetterling daran, die sie auf der rechten Seite trug. Aus der gedeckten Sekretärin war mit einem Mal eine lebenslustige Frau geworden. "Hallo, Chef!" lächelte sie. "Eve, ist das schön, Sie zu sehen." "Gleichfalls." Sie schenkte auch dem Rothaarigen ein Lächeln. "Und Sie müssen Jeremy sein. Schön, Sie kennen zu lernen. Ich habe schon soviel von Ihnen gehört." "Ach, haben Sie das? Ist ja interessant." "Nur das Allerbeste natürlich!" lachte die Sekretärin. "Sie haben soeben Ihren Job gerettet, Eve!" mischte sich David ein. "Möchten Sie einen Kaffee? Ich wollte mir auch gerade einen holen." Jeremy stand auf und bot Eve mit einer Handbewegung seinen Stuhl an. "Oh, wie galant. War ja klar, dass Sie für die Frauenwelt verloren sind!" kicherte sie, stellte den Blumenstrauß auf dem Nachttisch ab und nahm dann Platz. Jeremy lächelte nur, gab David einen Kuss auf die Wange und verließ dann den Raum, um Kaffee zu organisieren. David und er waren auf der Station unter den Schwestern so beliebt, dass sie ihnen erlaubt hatten, Kaffee aus der Schwesternküche statt aus dem Automaten zu holen, natürlich durfte das niemand wissen. "Bitte schön, die Kollegen haben gesammelt." Eve drückte ihrem Chef das Paket in die Hand. "Geben Sie es zu, das war Ihre Initiative." "Für meinen Lieblingschef, natürlich!" grinste sein Gegenüber. "Ach, haben Sie mehrere?" "Aber niemandem verraten, ja? Ich arbeite heimlich auf dem Bau, Schwarzarbeit." David lachte. Die kleine Blödelei tat gut. "Wie geht es Ihnen, David?" "Schon besser..." Er überlegte einen Moment, ob es passend war, aber da Jeremy gerade nicht anwesend war, war der Augenblick günstig. "Hören Sie, Eve, bevor Jeremy wieder hier ist. Ich werde zunächst nicht wieder ins Büro kommen. Sorgen Sie bitte dafür, dass meine Fälle von Anderen übernommen werden. Empfehlen Sie den Klienten Sandford und Martens als Ersatz für mich, die Beiden sind gut. Ich bin sowieso erst einmal krank geschrieben, danach werde ich meinen Jahresurlaub nehmen und meine Überstunden." Eve schaute ihn verdutzt an. "Das klingt überhaupt nicht nach Ihnen. Was ist denn los? Stimmt etwas nicht?" "Versprechen Sie mir einfach, dass Sie sich darum kümmern, ja?" "Natürlich", nickte sie, "aber finden Sie nicht, dass Sie mir das erklären sollten? Sie sind doch geheilt, oder?" Ihr Unterton verriet Misstrauen. "Es ist alles okay, Eve. Ich bin nur geschafft, von daher..." Eve wollte etwas erwidern, sie glaubte ihrem Chef, den sie als ausgesprochenes Arbeitstier kannte, kein Wort, aber genau in diesem Augenblick kehrte Jeremy mit den Kaffeetassen zurück. Ein Blick auf Davids Gesicht zeigte der jungen Frau, dass er keine weiteren Worte über das Thema wünschte. Eve fügte sich der unausgesprochenen Aufforderung, aber sie beschloss, nicht so leicht locker zu lassen. "Ich habe es die ganze Zeit gewusst!" "Ja, ich weiß!" ächzte Ash in Jasons Richtung. "Und wenn du das noch einmal sagst, werfe ich dir meine Mouse an den Kopf!" Die Beiden saßen in Ashs Büro, trotz der Gefahr, dass der Chief oder Rodriguez Wind von Jasons Anwesenheit bekommen könnten. Jim Mayer hatte versprochen, dass er aufpassen würde. Vor den Fenstern war es bereits wieder dunkel. Bald würde ein weiterer Tag zu Ende gehen, ohne das es eine Spur von Chris gegeben hatte. Zumindest noch keine konkrete. Sowohl Jason als auch Ash waren sich sicher, dass es absolut nichts bringen würde, zu Chief Carter geschweige denn zu Rodriguez zu gehen. Ihre Erkenntnis stützte sich auf die Aussage eines mehr als fadenscheinigen Schnüfflers, der auch noch öfter mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Und laut seiner Sekretärin hielt sich Dave Jerrod gegenwärtig in Europa auf. Er mache Urlaub, hatte sie gesagt, und wünsche daher nicht gestört zu werden, habe deswegen auch keine Nummer hinterlassen, unter der man ihn erreichen könne. Ziemlich unglaubwürdig, aber leider nur für Jason und mittlerweile Ash. Sie waren in dieser Angelegenheit auf sich allein gestellt, zumal Rodriguez den Fall heute auch noch offiziell zu den Akten gelegt hatte. Eine Farce, wie Jason fand. Nicht einmal auf die Hilfe von Claire konnten sie sich verlassen, sehr zum Missfallen der Agentin. Aber sie war ja niemals den Ermittlungen zugeteilt worden und dank der tatkräftigen Nichtsnutzigkeit von Rodriguez gab es streng genommen noch nicht einmal einen Fall. Kurz nach der Spurensuche in der Hillside Street war Claire zu einem Fall nach Baltimore gerufen worden, wo ihre Fähigkeiten als Profiler gebraucht wurden. Und das die Verfolgung eines Serienmörders für ihre Vorgesetzten mehr Gewicht hatte, als ein verschwundener Mann in San Francisco, dafür konnte Jason ihr noch nicht einmal einen Vorwurf machen. Man hatte der jungen Frau die Zerknirschtheit und das schlechte Gewissen deutlich angemerkt. Jason hatte versucht, sie so gut es ging zu beruhigen und ihr versprochen, sie auf dem Laufenden zu halten. Ebenso wie sie zusagte, so schnell wie möglich wieder nach Kalifornien zurück zu kommen. "Da wären wir." Ash zeigte auf die Seite des Grundbuchamtes. "Wollen wir doch mal sehen. Die Telefongesellschaft hat das letzte Signal von Dave Jerrods Handy in der Nähe des Yosemite National Park geortet..." Jason hatte das in Erfahrung gebracht. Allerdings hatte er keine genauen Angaben bekommen können und mittlerweile war das Signal verloschen. Ashs Finger huschten über die Tastatur. "Fehlanzeige. Zumindest ist dort keinerlei Besitz von Dave Jerrod eingetragen. Aber vielleicht gehört ihm das Haus oder wo auch immer er ist, ja gar nicht." "Glaubst du das? Und wenn dem so wäre, wären wir so gut wie aufgeschmissen. Das Gebiet dort ist gigantisch." "Und so lange Chief Carter auch der Meinung ist, dass dein Freund dich einfach nur verlassen hat, werden wir keine Suchmannschaft bekommen, darauf kannst du Gift nehmen. Egal, ob das Handy von Dave seinem angeblichen Aufenthaltsort widerspricht." "Wo hat er denn überall Besitz?" Ash schaute auf den Bildschirm. "Glaub mir, die ganze Liste willst du nicht. Aber auf einen Blick sieht man, dass das alles Stadtbezogene Immobilien sind. Mehrere Lofts in New York, ein Stadthaus in Boston, eine Villa in den Hamptons, mehrere Apartments in Dallas, sowie in einigen europäischen Städten. Außerdem in Los Angeles, Denver, Las Vegas, Miami, Boulder... Boulder?! In dem Kaff möchte ich nicht einmal begraben sein!" Ash verzog das Gesicht. "Ach, die fallen alle von vornherein aus..." "Aber mehr ist da nicht..." Jason lehnte sich im Stuhl zurück und sah zur Decke. Es war zum aus der Haut fahren. Er versuchte, sich alles noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, was er über Dave Jerrod erfahren hatte, besonders bei ihrem missglückten Abendessen im Benkay. Und plötzlich hatte er eine Erleuchtung. "Versuch Cynthia Jerrod! Das ist seine Mutter. Chris erwähnte ihren Namen bei dem Abendessen und Dave war etwas geknickt. Er hat sie wohl sehr geliebt, aber sie ist vor ein paar Monaten verstorben." Ash tippte und wartete einen Moment. Der Bildschirm wechselte und der blonde Cop schlug sich mit der Faust in die Handfläche. "Bingo!" grinste er. "Auf Cynthia Jerrod ist ein Jagdhaus eingetragen. In den Pinewood Creeks, das ist ein weitläufiges Wald- und Jagdgebiet in der Nähe von Yosemite!" "Dann nichts wie los!" "Sachte, Jason." Ash schüttelte den Kopf. "Ich muss erst die genaue Adresse rauskriegen, die steht hier nicht. Ist wohl sehr abgeschieden. Ich werde ein bisschen herum telefonieren. Und bei der Gegend ist es besser, wenn wir bei Tageslicht anrücken. Mit dem Auto sind wir in wenigen Stunden da." "Mir wäre jetzt wirklich lieber, aber ich denke, dass du leider Recht hast." "Darf ich auch mit?" Die Beiden schauten zur Tür. In ihrer Euphorie hatten sie nicht bemerkt, wie Jim Mayer das Zimmer betreten hatte. Der junge Cop lächelte etwas schüchtern. "Warum willst du mit?" Jim kratzte sich verlegen am Kopf. "Ich mag Chris... und es ist doch besser, wenn wir zu dritt sind. Je mehr, umso sicherer ist die Angelegenheit." "Ich weiß nicht...", meinte Ash. "Bitte! Ich will helfen! Wenn schon die anderen Deppen hier nichts tun!" Jason stand auf und klopfte Jim auf die Schulter, er überragte den jungen Mann um ein ganzes Stück. "Danke, Jim." "Das heißt, ich kann mitkommen?" "Abhalten kann man dich ja sicher sowieso nicht. Wir fahren morgen, so früh wie möglich." "Cool!" Jason lächelte. Jim war neben Ash offenbar sein einziger wirklicher Freund und Kollege hier auf dem Department. Seine innere Unruhe wurde immer stärker. Endlich waren sie fast am Ziel. Die letzten Tage waren ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen. Aber morgen würde es endlich vorbei sein. Chris lebte noch, das spürte er. Jason schwor sich, dass er seinen Engel retten würde, koste es, was es wolle. Und Dave Jerrod, würde zahlen! Und wieder ist ein Kapitel rum ^^ So heftig wie hier, ging es in Remember the promise you made noch nie zu... ich hoffe mal, dass das hier noch durchgeht und nicht als Adult frei geschaltet werden muss, ich wollte die Story nämlich jugendfrei halten, auch angesichts des Alters einiger LeserInnen ^^ Uly I dürfte an diesem Kapitel seine helle Freude haben *g* Im Vorfeld hatte ich mir eine Menge Bösartigkeiten überlegt, mit tatkräftiger Unterstützung der Großmeisterin der Pein, Alaska *g* *knuff* Wir haben uns gegenseitig an Vorschlägen nur so überboten *lol* Natürlich konnte ich nicht alles einbringen und irgendwie entwickelte das Kapitel eine eigene Dynamik. Ich konnte nicht Quälerei an Quälerei hängen, das hätte auch doof gewirkt und die Anleihen an Ring kamen quasi beim Schreiben, auch die Szene mit der Pistole war nur in ähnlicher Form geplant. Das "Beste" unsere Ideen habe ich mir aber für das nächste Kapitel aufgehoben *fg* Auch an den anderen Fronten passiert einiges. David ist ja ziemlich außer Gefecht, aber ich konnte Eve mal wieder einbringen, im Gegensatz zu Claire, die nach CSI-Light wieder mal verschwindet, ich habe einfach nicht genug Ideen für die Agentin, sorry -_- Apropos CSI. Die Lösung des Falles läuft ja schon recht einfach ab, Fingerabdruck, Computerrecherche... ich hatte mir eine wesentlich elegantere Lösung ausgedacht, in die das rufende Käuzchen aus dem letzten Kapitel verwickelt war, aber leider haute das nicht hin, wie es sollte, weil es wohl keine Möglichkeit gibt, an das Telefongespräch zwischen Marc und Chris zu kommen. Und so musste ich auf etwas einfachere Wege zurück greifen. Einfacher aber natürlich nicht schlecht, stammt die Idee mit dem Grundbuchamt doch von Alaska und ihrer Oma *g* Vielen Dank noch mal ^^ Mit Brandon bekommt Colins Vergangenheit mehr Profil, und es ist sicher nicht das letzte, was man von seinem Exfreund gesehen hat, aber dieser wird wohl eher Randfigur bleiben, diesmal ganz sicher... anders als bei Marc... Jeremy... Alex... *öhm* Ich habe heute noch einen Kommi von Alaska gelesen, wo sie Jeremy als Nebenfigur bezeichnet *g* Das war während der Halloweenparty ^^ Eben dieser wird nun wohl Modell, wie genau dieser Handlungsstrang weiterläuft, weiß ich selbst noch nicht genau ^^ Alice Elliot ist übrigens eine Hauptdarstellerin meiner Lieblingsvideospielreihe Shadow Hearts ^^ @Zuckerfee: Das ist Yuris Freundin, die mit dem neckischen Dress *g* Gläubige Katholikin mit megakurzem Rock, so etwas gibt es auch nur in japanischen Spielen *g* Bevor dieses Nachwort noch weiter ausufert, mache ich mal Schluss. Ich weiß nicht, ob ich vor Weihnachten noch ein Kapitel fertig kriege, weil mein Laptop jetzt wirklich und endgültig in die Reparatur muss, keine Ausrede mehr möglich... Sollte ich es nicht schaffen, wünsche ich schon einmal allen meinen lieben Lesern frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Remember-Jahr... nein, ich werde nicht größenwahnsinnig *loooool* Haltet Ausschau nach einem geplanten Weihnachtsbild, dass dieses Jahr meinen traditionellen Weihnachts-Link ersetzen wird ^^ Liebe Grüße!!! *alle mal knuddel* Euer Uly ^^ Kapitel 31: The day my angel died... (Part 5 of 5) -------------------------------------------------- Ulyaoth gewidmet, hoffentlich ist es ein Showdown nach deinem Geschmack ^^ Mit jedem Meter, den das Auto durch das Licht des anbrechenden Morgens fuhr, wurde Jason unruhiger. Sie hatten San Francisco schon vor anderthalb Stunden verlassen, noch in der Dunkelheit. Die drei Männer hatten niemandem Bescheid gesagt, Jason wollte keine falschen Hoffnungen wecken. Sie fuhren der Rettung von Chris entgegen, aber wer konnte schon wissen, ob es wirklich klappte? Wenn er nun Marcus gesagt hätte, dass er ihm seinen "großen Bruder", seinen besten Freund, wieder nach Hause bringen würde und dann ging etwas schief... nicht auszudenken. "Woran denkst du?" Jim legte dem Polizisten von hinten die Hand auf die Schulter. Ash fuhr, Jason saß auf dem Beifahrersitz, Jim Mayer hinten. "Eigentlich an nichts." "Glaub ihm kein Wort, Jim.", lächelte Ash. "Dafür kenne ich ihn mittlerweile zu gut." "Vielleicht sollten wir "Ich sehe was, was du nicht siehst" spielen, Jason!" Jim wartete, ob der schwache Witz zünden würde, aber er verglomm in der gespannten Atmosphäre wie ein nass gewordener Feuerwerkskörper. "Entschuldige..." "Schon gut, Jim, du meinst es ja nur gut...", sagte Jason leise. "Soll ich dir mal etwas sagen?" Der Brünette schaute in den Rückspiegel und suchte über die Oberfläche den Augenkontakt zu dem jüngeren Cop. "Was denn?" Jim sah ihn mit seinem typischen ein wenig verschmitzten Blick an. "Warum ich Polizist bin... beziehungsweise es immer noch bin." Er schien eine Reaktion abzuwarten, als diese jedoch ausblieb, nahm er das als Zusage. "Ich bin eigentlich kein guter Polizist. Ich habe die Ausbildung nur mit Ach und Krach abgeschlossen und eigentlich bin ich sogar etwas feige. Ich hab schon öfter darüber nachgedacht, den Dienst zu quittieren, aber dann kam ich aufs Bay Area Department und traf einen Polizisten, der mich wirklich beeindruckt hat." Ash nahm für einen Moment den Blick von der Straße und wandte ihn seinem Partner auf dem Sitz neben sich zu, Jason fixierte weiterhin den Rückspiegel. "Dieser Cop machte seinen Job nicht des Geldes wegen, sondern weil er etwas verändern wollte. Weil er an die Ideale glaubte, die von der Polizei vertreten werden sollten. Und er hat nie aufgegeben. Nicht einmal als etwas geschah, dass seine gesamte Situation und den Umgang mit den Kollegen vollkommen veränderte. Er hat sich nicht einmal davon aus der Bahn werfen lassen, sondern ist stark geblieben. Und diesen Polizisten habe ich mir zum Vorbild genommen. Nur wegen ihm bin ich noch dabei." "Kann mir nicht vorstellen, wer das sein könnte!", grinste Jason schief. "Er möchte namentlich nicht genannt werden, aber glaube mir, wenn ich eines von ihm gelernt habe, dann das es immer einen Weg gibt." "Amen! Du hast vollkommen Recht, Mayer!", stimmte Ash zu. Jason lächelte erst seinen Partner, dann Jim dankbar an. Es bedurfte eigentlich keiner Worte. Diese Beiden hielten zu ihm und Jim Mayer hatte ihm gerade deutlich gemacht, was er in ihm sah. Er würde keinen von ihnen enttäuschen. Am Horizont ging langsam die Sonne auf und schickte ihre Strahlen über den Freeway. Bald würden sie da sein. Yosemite. Pinewood Creeks. Der Ort, wo sich mit verdammt großer Sicherheit Chris befand, gefangen gehalten von diesem Mistkerl. Jasons Hand glitt zu seinem Revolver. Er wünschte sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als Dave Jerrod Auge in Auge gegenüber zu stehen und von diesem einen Grund zu bekommen. Nur einen kleinen Grund. Die Morgenandacht in der St. Patrick's Church war vorbei. Die Kirche nun wieder weitestgehend leer. Ein paar Gläubige saßen noch in den Bänken, genossen die ehrfürchtige Stille über diesem Ort. St. Patrick war keine prunkvolle Kirche, sondern eher schlicht. Abgesehen von den beeindruckenden Buntglasfenstern gab es kaum Schmuck im Kirchenschiff. Die Bänke waren aus einfachem Holz, der Altar nur dezent mit Gold verkleidet. Alex schritt langsam die Bankreihen entlang, im Licht der Sonne, das von den Fenstern in schillernde Farben verwandelt wurde. In aller Ruhe näherte er sich dem Altar, kniete kurz davor nieder und schloss die Augen. Er bekreuzigte sich und stand dann wieder auf, um sich in die Ecke des Raumes zu begeben, in dem die Beichtstühle standen. Er hatte Glück. Im Moment war niemand darin, also öffnete er die Tür des hölzernen Beichtstuhls und trat ein. Drinnen setzte sich der Schwarzhaarige auf die Bank und wartete, bis die Klappe vor dem engmaschigen Gitter zurück gezogen wurde, dass die beiden Kammern des Beichtstuhls voneinander trennte. Man konnte kaum hindurch sehen, aber da es von der anderen Seite geöffnet worden war, wusste Alex, dass der Priester anwesend war. Er schloss die Augen. "Verzeiht mir, Vater, denn ich habe gesündigt." "Niemand von uns ist ohne Sünde.", entgegnete der Priester. "Aber wir können in der Gewissheit leben, dass unser Herr Jesus Christus uns all unsere Verfehlungen vergibt." "Ob er mir meine vergibt, wage ich zu bezweifeln." "Wovon sprichst du, mein Sohn?" Alex lächelte. "Nun, ich denke, Vater, die Kirche würde allein meinen Lebensstil als eine einzige große Sünde ansehen, ich teile mein Bett nämlich ausschließlich mit Männern." Einen Moment lang herrschte Stille. "Nun, vor Gott ist jeder gleich. Und unter uns: In mancherlei Hinsicht ist die katholische Kirche gerade zu mittelalterlich. Was könnte mehr in Gottes Willen sein, als seine Kinder glücklich zu sehen, egal ob mit einer Frau oder einem Mann." "Sie gefallen mir, Vater!", lachte Alex. "Heißt das, Gott vergibt mir auch, dass ich herumgehurt, gesoffen und Drogen genommen habe?" "Führst du dieses Leben immer noch?" "Nein, ich bin absolut clean mittlerweile." "Dann solltest du Gott für die Kraft danken, die er dir gab, aus dieser Dunkelheit zu entkommen." Die Stimme des Priesters verriet, dass er dies mit einem Lächeln gesagt hatte. "Darf ich Sie etwas fragen, Vater?" "Alles, mein Sohn." "Was ich Ihnen hier sage, das darf diesen Beichtstuhl doch nicht verlassen, oder irre ich mich da?" "Du hast absolut Recht.", kam es von der anderen Seite. "All dies hier fällt unter das Beichtgeheimnis und das ist eine heilige Verpflichtung eines Priesters. Du könntest mir nun einen Mord gestehen und ich dürfte nichts davon weitersagen." "Würden Sie das wirklich nicht?", fragte Alex belustigt. "Willst du mir etwa einen Mord gestehen, mein Sohn?" Der Schwarzhaarige lachte kurz auf. Dieser Priester gefiel ihm wirklich. "Nein, so schlimm ist es nun doch nicht." "Was ist es denn, was dich so grämt?" "Vergibt der Herr auch abgrundtiefen Hass?" "Man sollte niemanden hassen, mein Sohn. Nächstenliebe ist das höchste Gebot unserer Kirche." Alex schnaubte. "Nächstenlieben... um die Liebe geht es hier wirklich, Vater. Ich liebe einen Mann, mit meinem ganzen Herzen. Nur für ihn habe ich mich zusammengerissen und habe mein Leben verändert, dem Alkohol und den Drogen abgeschworen. Ich bin sehr glücklich darüber, aber der eigentliche Grund dafür war er. Aber er liebt mich nicht. Er wirft sich einem anderen an den Hals, zieht ihn mir vor. Und habe diesem Anderen sogar mein Blut gespendet, als er es brauchte." "Das spricht für dich, mein Sohn. Du solltest versuchen, den Hass loszulassen und dich für die Beiden zu freuen. Hass führt zu nichts. Aber wer bereit ist, sich für andere zu freuen, anderen ihr Glück zu gönnen, dem wird selbst Glück widerfahren." "Aber ich komme nicht dagegen an, Vater. Ich habe sogar Intrigen gesponnen, die Todsünde des Selbstmordes vorgetäuscht, nur um die Beiden auseinander zu bringen." "Und um dieser Sünden Willen bittest du um Vergebung?" Alex schwieg und schaute das Fenster an. Es dauerte fast dreißig Sekunden, bis er wieder sprach. "Ja, Vater. Ich bitte um Vergebung für diese Sünden und für alle, die ich noch begehen werde. Denn mittlerweile weiß der Mann, den ich liebe, von allem, was ich getan habe, und wiegt sowohl sich als auch den Hund, dem er seine Liebe schenkt, in Sicherheit. Ich werde ihr Freund sein, ich werde mich für sie freuen, sie unterstützen. Ich werde der perfekte Kamerad sein. Aber irgendwann wird mein Tag kommen. Irgendwann werde ich meine Rache bekommen. Ich bin nicht verrückt, Pater, ich wünsche ihnen nicht den Tod oder Krankheiten. Ich will, dass sie leiden. Ich will sehen, wie ihre Liebe in Tausend Stücke zerbricht. Und dann werde ich endlich wieder meinen Frieden haben. Wenn Jeremy dann zu mir kommen und um Liebe betteln sollte, werde ich ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, so wie er es mit mir getan hat. Ich werde sie vernichten und dieser Tag wird mein persönliches Paradies werden." Der Priester auf der anderen Seite war sprachlos. Bevor er noch wusste, was er sagen sollte, fiel die Tür der anderen Kammer zu. Alex ging mit festen Schritten durch das Kirchenschiff, die Buntglasfenster malten Muster auf seine hellen Wangen. Er trat aus der Kirche hinaus ins Sonnenlicht und lächelte. Sein Tag würde kommen. David wurde langsam ins Innere des Kernspin Tomographen gefahren. Die bedrückende Enge des Gerätes war bei ihm besonders stark, war er doch ziemlich groß und stieß mit seinen Schultern fast an den Rand. In seiner Hand ruhte der Druckknopf, der ihn im Notfall sofort aus der Maschine befreien würde, sollte ihn Platzangst erfassen. Er spürte, dass seine Hand mit dem Knopf zitterte, seine Atmung war unruhig. "Alles in Ordnung, Mr. Vanderveer.", hörte er die Schwester über den Lautsprecher. "Das Gerät beginnt jetzt mit der Untersuchung. Es könnte etwas laut werden. Keine Panik, Ihnen kann nichts geschehen." Über den kleinen schrägen Spiegel über seinem von einem Gestell fixierten Kopf konnte der blonde Mann aus der Röhre hinaus sehen, doch er schloss die Augen. Um ihm herum fing die Untersuchungsmaschine an zu Rattern und zu Klackern. Die Stelle an seinem Arm, an der man ihm das Kontrastmittel gespritzt hatte, tat noch ein wenig weh. Er hasste Spritzen so sehr. Plötzlich spürte David, wie ihm langsam eine Träne über die Wange rann. Er hatte solche Angst. Und niemand war für ihn da, doch dafür konnte er auch niemandem einen Vorwurf machen. Es war ja seine eigene Schuld. Die Liege ruckte ein wenig, als der Blonde ein Stück verschoben wurde, damit das Gerät weitere Querschnittsaufnahmen von seinem Körper machen konnte. Schicht für Schicht. Anhand der Aufnahme wollte Doktor Pierce die genaue Lage des Splitters feststellen und ihm so eine möglichst genaue Prognose über die Zeit geben, die ihm noch blieb. David hatte ihn darum gebeten. Jeden Tag aufs neue bestürmte ihn der Arzt mit der Bitte, sich doch operieren zu lassen. Bisher vollkommen vergeblich. Chris zuckte zusammen, als über ihm die Tür aufging. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht, hatte die Ratten gehört, ihr Quieken, die Geräusche im Wasser. Mehr als einmal hatte sich ihm einer der Nager genähert. Seine Füße waren vollkommen taub und sein Unterleib schmerzte von den Misshandlungen durch Dave und die Nacht im eiskalten Wasser. Seine Haare waren mittlerweile trocken und hingen in dicken Strähnen um sein Gesicht mit den zitternden blauen Lippen und den einstmals so strahlenden Augen, die nun tief in ihren Höhlen saßen, umrahmt von dunklen Ringen. Er hörte Schritte über sich und kurz darauf klatschte das Ende von etwas ins Wasser. Im schwachen Licht erkannte er eine Strickleiter. "Komm hoch!", forderte die Stimme seines Peinigers. Chris hatte nicht einmal mehr die Kraft, überhaupt zu widerstehen. Die Aussicht, auch nur eine Stunde länger in diesem Loch zu verbringen, machte ihn vor Angst fast verrückt. Er stellte sich vorsichtig hin und tastete nach der Leiter, dabei beugte er sich jedoch zu weit vor und verlor den Halt. Der Blonde fiel vornüber und stürzte ins Wasser. Keuchend strampelte er gegen die Taubheit seiner Glieder an, drückte sich immer wieder über die Oberfläche und suchte wie von Sinnen nach der Leiter. Endlich schloss sich seine Hand um etwas aus Holz. Mit letzter Kraft zog sich Chris Stufe für Stufe nach oben, bis Dave plötzlich nach ihm griff und ihn brutal am Arm zu sich hoch zerrte. Auf allen Vieren kroch Chris zwei Stufen von dem Loch weg. Dave ging einfach an ihm vorbei. "Komm." "Hilf mir..." Für eine Sekunde glomm die Hoffnung in ihm auf, Dave vielleicht überraschen und in den Brunnen stoßen zu können. "Das kannst du auch allein.", beschloss Dave gnadenlos. Chris rappelte sich auf und versuchte zu laufen, dabei fiel er fast wieder hin, weil seine Füße den Dienst verweigerten. Er hielt sich am Geländer fest und zog sich Stück für Stück dem Licht entgegen, das ihm in den Augen schmerzte. Endlich schaffte er es über die Schwelle der Tür, verlor jedoch der Stütze des Geländers beraubt gleich wieder das Gleichgewicht. Diesmal fing Dave ihn auf. Chris wollte sich gegen die Berührung sperren, doch ihm fehlte die Kraft und der Mut. Sein Entführer zerrte ihn an sich und gab ihm einen Kuss die immer noch bläulichen Lippen. "Jetzt bist du nie wieder ungezogen, nicht wahr?" Chris deutete ein Kopfschütteln an. Dave führte ihn daraufhin zu einer der abgedeckten Sofas und ließ ihn Platz nehmen. Er wickelte ein großes Handtuch um den blonden Mann. "Trockne dich ab. Du machst alles nass." Damit ließ er ihn einfach allein und stieg die Treppe hinauf. Chris sah ihm nach, während er sich mühsam mit dem Handtuch trocknete. Sein Blick irrte durch den Raum und blieb ein weiteres Mal an dem Schürhaken neben dem Kamin hängen. Mittlerweile brannte ein Feuer darin, die Wärme reichte bis zu ihm hinüber. In einer anderen Situation wäre das hier romantisch und wunderschön, nun aber wirkte das prasselnde Feuer wie ein Bote der Hölle. Dave war noch nicht zurück. Chris nahm allen verbleibenden Mut zusammen. Die Drohungen seines Peinigers hatte er im Kopf, aber er musste etwas tun. Diesmal war die Überraschung auf seiner Seite. Er stand von der Couch auf und stürzte sich auf die Polster. Sein Körper schien ihm gar nicht mehr zu gehören, immer noch saß die eisige Kälte in jedem Muskel. Aber er musste es einfach schaffen. Ein paar Schritte in Richtung Kamin. Nur ein paar Schritte. Seine Beine waren anderer Meinung. Chris fiel der Länge nach hin und hatte nicht einmal die Kraft, seinen Sturz zu bremsen. Er schlug mit dem Gesicht auf dem Boden auf. "Das darf doch nicht wahr sein!" Dave stand am Ende der Treppe, mit einer Platte mit Essen in der Hand. Wutentbrannt schleuderte er die Speisen auf den Fußboden und stürmte die Treppe hinunter. Chris drückte sich ein Stück hoch. "Dave! Ich wollte... mich nur... wärmen... ich..." Sein Entführer erreichte ihn und packte ihn an den nassen Haaren. Brutal riss er ihn daran nach oben, so heftig, dass Chris kaum schnell genug aufstehen konnte. Dave zog ihn näher an den Kamin und stieß ihn dann von sich. Der Blonde knallte mit dem Rücken gegen die Wand daneben und sank zusammen. Der Psychopath packte den Schürhaken und hielt ihn in die Flammen. Innerhalb kürzester Zeit fing er an zu glühen. Daraufhin riss er das Werkzeug aus dem Feuer und hielt es Chris direkt vors Gesicht. Dieser weinte schon wieder in Panik. "Du wolltest dich also wärmen?! Mit welcher Seite deines Gesichtes soll ich anfangen?! Damit dir richtig schön warm wird!" "Nein! Bitte nicht!", wimmerte Chris, durch den Schleier seiner Tränen erkannte er nur noch das rötlich leuchtende Metall des Schürhakens, dessen Hitze seine unterkühlte Haut zum Schmerzen brachte. Dave warf das Werkzeug achtlos neben den Kamin, so dass Chris es nicht erreichen konnte. "Du lernst es nicht, was?! Jetzt reicht es mir! Ich werde dir eine Lektion erteilen, die du kleines Miststück nicht vergessen wirst! Und danach wird sowohl dein Köter als auch der Junge dran glauben! Das schwöre ich dir! Und du bist Schuld an ihrem Tod! Halte dir das vor Augen!" Bevor Chris antworten konnte, traf ihn ein harter Schlag, der seinen Kopf so heftig gegen die Kaminwand donnerte, dass er das Bewusstsein verlor. "Kannst du nicht schneller fahren, verdammt?!" "Jason, das ist ein Privatwagen, wir haben keine Sirene. Es bringt nichts, wenn ich den Bleifuß durchdrücke und wir dann von einem übereifrigen Streifenpolizist angehalten werden. Und an einem Baum nützen wir Chris auch nichts." Jason fixierte die Straße vor ihnen. Er konnte direkt fühlen, dass Chris in großer Gefahr war. Sie mussten zu ihm und zwar so schnell wie möglich. Schon lange war die Gegend um sie herum ländlicher geworden, mittlerweile säumten dichte Wälder ihren Weg. Je weiter sie sich Yosemite näherten, umso dunkler und bedrohlicher wurden die Wolken am Himmel. Es sah stark nach einem Unwetter aus. "Da!", rief Jim plötzlich. Er deutete auf ein Schild, dem sie sich näherten. Pinewood Creeks - Jagen außerhalb der Saison bei Strafe verboten, stand darauf. Ein paar Meter hinter dem Schild zweigte eine Straße in den Wald hinein ab. "Na bitte! Gleich ist die Sache zu Ende!", lächelte Ash grimmig. Jason's Finger schlossen sich um den Griff seiner Waffe. Ja, gleich würde alles vorbei sein. Langsam öffnete Chris wieder die Augen. Sein Kopf dröhnte. Um ihn herum war es vollkommen still und die Luft war miefig und warm. Alles war finster. Der Blonde setzte sich auf und stieß nach wenigen Zentimetern gegen die Decke über sich. Stöhnend sank er zurück. Wo war er? Vorsichtig tastete Chris nach oben. Holz. Er spürte grobes Holz unter seinen Fingern. Plötzlich knallte etwas gegen den Holzdeckel über ihm. Das Geräusch klang merkwürdig dumpf, als würde etwas darauf gestreut. "Dave?" Es kam keine Antwort. Nur das Geräusch wiederholte sich. Immer und immer wieder. Und mit einem Mal erinnerte sich der junge Mann, woher er diesen Ton kannte. Er hatte es schon einmal im Fernsehen gehört. So ungefähr klang es, wenn Erde auf einen Sarg fiel! Das konnte doch aber nicht wahr sein! Wie wild griff er um sich und dann bekam er etwas zu fassen. Metall, rund, länglich. Eine Taschenlampe! So schnell er konnte, ertastete er den Knopf. Licht flammte auf. Für ein paar Sekunden konnte er nichts mehr sehen. Als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, erschloss sich das gesamte Grauen. Er lag in einer Holzkiste und scheinbar wurde er tatsächlich eingegraben! "Dave! Nein!", brüllte Chris voller Verzweiflung. In den Augenwinkeln bemerkte er etwas, das ihm vorher noch nicht aufgefallen war. Langsam drehte Chris den Kopf. Er war nicht allein. Die Kiste war groß genug für zwei Leute und im Licht der Taschenlampe schaute er in Lennys glasige Augen. Die Leiche des Strichers lag direkt neben ihm, den Kopf auf groteske Weise in seine Richtung gedreht. Das war zuviel für Chris. Er fing an zu schreien, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er schrie in absoluter Todesangst. Dann fiel die Taschenlampe aus seiner Hand und er wurde ohnmächtig. Die Dunkelheit senkte sich wieder über den Sarg, der für Chris eine Todesfalle sein würde. Dave stellte seelenruhig die Schaufel in die Ecke des Wohnraumes, dabei fielen Erdbrocken auf den Boden. Er schaute auf die Uhr. Wenn man die Größe der Kiste bedachte, würde Chris für etwas mehr als eine Stunde Luft haben. Würde er hysterisch werden, dann wohl für weniger. Genug Zeit um ihn wieder auszugraben. Danach würde sein Täubchen ihm sicher keine Schwierigkeiten mehr machen, natürlich musste er noch den Mord an dem Jungen organisieren, den Hund nicht zu vergessen. Der Verlust von Leben kratzte ihn nicht weiter. Chris war alles, was er wollte, und wenn der Mann seines Herzens sich ihm derart widersetzte, musste er eben nach härteren Mitteln greifen. Das er gerade vorgehabt hatte, dieses Stück Dreck zu verscharren, dessen Namen er schon wieder vergessen hatte, hatte ihm eine glänzende Möglichkeit gegeben, Chris endgültig zu zeigen, wer hier das Sagen hatte. Ein Auto fuhr vor. Dave zuckte zusammen. Was sollte das?! Niemand konnte von seinem kleinen Liebesparadies wissen, Chris und er sollten hier allein sein! Nur sie Beide, allein und glücklich! Er stürmte zum Fenster. Ein blauer Wagen hatte vor dem Haus gehalten und als die Tür auf der Beifahrerseite aufging, stieß Dave einen Fluch aus, bei dem selbst der Papst mit einem Herzinfarkt umgefallen wäre. Das konnte nicht sein! Das durfte verdammt noch mal nicht sein! Wie konnte diese dreckige Missgeburt eines räudigen Hundes, Jason Cunningham, noch am Leben sein?! Man hatte ihn reingelegt! Dave rannte die Treppe nach oben. Er brauchte seine Waffe! Wenn man nicht alles selber machte, klappte doch sowieso nichts! "Wow, schicke Bude...", zischte Ash beim Anblick des Jagdhauses. "Ob er wirklich hier ist?" "Der Wagen da spricht eine deutliche Sprache.", beantwortete Jason die Frage von Jim Mayer. Er zog seine Pistole aus dem Halfter und die anderen beiden Männer taten es ihm nach. Jason stellte sich neben die Eingangstür, flankiert von Jim und Ash, der Jüngere war etwas blass. "Ich zähle bis drei. Eins. Zwei." Statt drei zu sagen, trat der brünette Polizist die Tür mit voller Wucht aus den Angeln, einer solchen Belastung hielt das alte Holz nicht stand. Ash stürmte mit gehobener Waffe an ihm vorbei, Jason und Jim sicherten hinter ihm. "Hier ist niemand.", flüsterte Jim. Ash legte den Finger auf die Lippen. Er deutete auf die Treppe, dann auf Jason und den Jüngeren. Danach zeigt er auf sich und nickte in Richtung der Tür im Untergeschoss. Jason stieg wie abgesprochen vorsichtig die Treppe hinauf, Jim folgte ihm in kurzem Abstand. Beide hatten die Waffen im Anschlag. Alles war still, kein Lebenszeichen von Chris, auch Dave war nirgendwo zu sehen. Aber die Fotos auf dem Tisch, über die Ash gerade den Blick schweifen ließ, zeigten eindeutig, dass sie hier richtig waren. Auf der Galerie zeigte Jim Jason stumm, dass er nach links gehen würde, Jason nach rechts. Chris' Freund nickte und entfernte sich dann, um die Zimmer auf der rechten Seite zu untersuchen. Das Holz knarrte leicht unter Jim Mayers Füßen, als er die Galerie entlang zur einzigen Tür ging. Diese war offenbar aufgebrochen worden, mit ziemlich grober Gewalt, als habe jemand versucht, von innen das Zimmer zu verlassen. Vielleicht war Chris ja entkommen, obwohl Jim sich in der Erinnerung an die schlanke Statur des blonden Mannes einen solchen Kraftakt nur schwer vorstellen konnte. Er blickte zurück und sah, wie Jason eines der Zimmer auf der anderen Seite betrat, Ashton konnte er von hier aus auch nicht mehr sehen. Sein Herz schlug wie wild, als er seine Waffe wieder schussbereit erhob und in den Raum ging. Insgeheim hoffte er, dass einer der anderen Männer den Entführer zuerst finden würde. Er war nie ein besonders guter Schütze gewesen und seine Nerven waren nicht die Besten. Aber er wollte vor Jason nicht als Feigling da stehen. Das Zimmer sah aus wie ein Schlachtfeld. Alles war verwüstet. Vorher musste hier ein einladendes, wenn auch etwas kitschiges Schlafzimmer gewesen sein. Jim ging vorsichtig weiter in den Raum hinein, sicherte die angrenzende Badezimmertür und trat dann dort ein. Es roch scharf nach Putzmittel und an der Toilette entdeckte er ein wenig verschmiertes Blut. Hatte es hier einen Kampf gegeben? Aber sonst war alles verwaist. Jim kehrte in den Schlafraum zurück und wollte zu Jason aufschließen, um die restlichen Zimmer zu durchsuchen. Das Adrenalin in seinen Adern drückte seine Anspannung ein wenig, allmählich war er sich sicher, das hier doch zu schaffen. Als er das Zimmer eben verlassen wollte, hörte er neben sich ein Geräusch. Jim wirbelte herum. Und das Letzte, was Jim Mayer in seinem Leben sah, war der mit einem Schalldämpfer bestückte Lauf einer Pistole, die auf seinen Kopf gerichtet war. Jason verließ den letzten Raum auf seiner Seite. Er warf einen Blick ins untere Geschoss, aber Ash war noch nicht wieder zu sehen. Auch von Jim fehlte jede Spur. Der Cop hörte das Blut in seinen Ohren rauschen, jeder Muskel seines Körpers war bis zum Zerreißen gespannt. In einem Raum hatte er ein benutztes Bett gefunden, daneben lagen Stricke. Jason knirschte mit den Zähnen. Wenn dieser Dreckskerl Chris vergewaltigt hatte, würde er ihn höchstpersönlich kastrieren. Wo blieb Jim nur? Wie lange konnte man zum Untersuchen eines einzelnen Zimmer brauchen? Es sei denn... Mit klopfendem Herzen näherte sich Jason der Tür. Und was er sah, machte seine schlimmsten Befürchtungen wahr. Jim Mayer lag ausgestreckt auf dem Boden dieses zweiten Schlafzimmers. Seine Augen waren weit aufgerissen und aus dem Loch in seiner Stirn lief unablässig Blut. Ein Kopfschuss. Der Junge hatte keine Chance gehabt. Jason verlor für einen Moment die Kontrolle über sich. Er rannte in den Raum und kniete neben Jim nieder, in der irrationalen Hoffnung, der noch so junge Kollege würde noch leben. Das durfte nicht wahr sein. Jim hatte ihm vor wenigen Stunden noch gesagt, wie sehr er ihn bewunderte und nun war er tot. "Und du willst ein Cop sein? Lächerlich!" Neben ihm wurde eine Pistole entsichert und der noch vom letzten Schuss heiße Lauf drückte gegen seine Schläfe. "Die Waffe weg!", forderte Dave ruhig. Jason ließ sie fallen und sah zu, wie der andere Mann sie weg kickte. "Und die Hände wo ich sie sehen kann. Los." Der Polizist legte die Hände hinter den Kopf. "Das war ja eine erbärmliche Show. Der Kleine da stöbert durchs Zimmer und vergisst doch glatt, in den Schrank zu sehen. Und du rennst einfach rein, ohne zu sichern, nur weil ich dem Blödmann das Hirn durchlöchert habe!" Jason sagte nichts. Sein Blick war auf Jim gerichtet. "Warum lebst du noch? Du solltest tot sein, du Arschloch." "Pech, wenn man einen schlampigen Killer beschäftigt. Dann kann es passieren, dass der drauf geht, statt des Ziels." "Ihr habt mich verarscht, ihr Wichser! Aber gebracht hat es euch nichts." "Wo ist Chris?" "Meinst du, das sage ich dir?!", höhnte Dave. "Außerdem kann dir das egal sein. Denn ich bin nicht so schlampig, wie dieser Stümper. Ich werde dir genug Luftlöcher in deinen hässlichen Schädel schießen, dass man dich später als Bowlingkugel gebrauchen kann." Er tippte mit dem Lauf gegen Jasons Kopf. "Schau mich an. Ich will dir in die Augen sehen, wenn ich dich abknalle!" Der Polizist bewegte sich nicht. "Schau mich an, habe ich gesagt!", brüllte Dave. Ein Schuss donnerte durch den Raum. Warmes Blut spritzte gegen Jasons Gesicht. Er kniff für eine Sekunde die Augen zusammen. Daves Waffe segelte davon und der Entführer brach neben ihm schreiend zusammen. Ash stand in der Tür. Er hatte Dave direkt in die ausgestreckte Hand geschossen. Der Millionär hatte sich so auf seinen Triumph über Jason konzentriert, dass er die Anwesenheit des Blonden überhaupt nicht bemerkt hatte. Innerhalb von Sekunden war Jason auf den Füßen, stürzte sich auf Dave und begann, wie ein Berserker auf den Mann einzuschlagen. Immer und immer wieder ließ er seine Faust in das Gesicht des Anderen krachen, bis dessen Lippen und Nase ein Meer aus Blut war. Dave stöhnte, schaffte es aber nicht, sich gegen das Gewicht des Mannes auf sich zu wehren. Als Jason von ihm abließ, hatte er nicht einmal mehr die Kraft, sich zu rühren. Der Polizist riss Daves Waffe vom Boden hoch, trat dem Entführer mit voller Wucht auf die Brust und richtete dann den Lauf direkt auf Daves Gesicht. "Hey!" Ash ging dazwischen. Mit zwei schnellen Schritten war er bei seinem Partner und fasste ihn am Arm. Jasons Kopf ruckte herum. In seinen Augen glomm pure Mordlust, die blanke Wut. "Tu das nicht.", sagte der Blonde ruhig. "Er verdient den Tod!" "Das weiß ich. Aber nicht so, Jason. Nicht so. Das bist nicht du. Und außerdem müsstest du später erklären, warum du den offensichtlich überwältigten Mann erschossen hast. Ruinier dir nicht deine Karriere. Das ist er nicht wert. Und außerdem ist Chris nirgendwo im Erdgeschoss. Er weiß, wo dein Freund ist." Jasons Blick irrte zwischen seinem Partner und dem stöhnenden Mann am Boden hin und her. "Gib mir die Waffe.", forderte Ash in sanftem Ton. "Aber..." "Gib sie mir." Jason reichte Ash den Revolver und stieg keuchend mit dem Fuß von Daves Brust. "Wo ist Chris?", fragte er an den blutenden Entführer gewandt. "Fahr zur Hölle..."Dave spuckte Blut. "Du findest... ihn... nie... rechtzeitig. Er wird... krepieren... wenn ich ihn nicht... bekomme... dann kriegt ihn kei... keiner..." Regentropfen schlugen ans Fenster. Draußen öffnete der Himmel seine Schleusen, die ersten Vorboten des Unwetters. "Wo ist er?" "An einem... Ort... wo ihr... ihn niemals finden werdet!" "Verdammtes Arschloch! Ich werde...!" "Lass mich mit ihm allein." Jason sah seinen Partner verständnislos an. "Was?!" "Gib mir ein paar Minuten mit ihm." Ash lächelte auf eine seltsame Art. Irgendwie unheilvoll. "Ich war bei den Marines, erinnerst du dich? Ich kriege aus ihm raus, was ich wissen will?" "Aber ich..." "Bitte geh, Jason. Schau, ob du einen Anhaltspunkt findest. Und mach die Tür zu." Der Brünette gab nach. Mit einem verächtlichen Blick auf Dave verließ er das Zimmer und zog die zugerichtete Tür so gut es noch ging hinter sich zu. Er war noch nicht ganz auf der Treppe, als er einen fast unmenschlichen Schrei von Dave hörte. Er empfand keinerlei Mitleid mit dem Mann, aber er bekam trotzdem eine Gänsehaut. Was Ash wohl mit ihm machte? Das war eine vollkommen andere Seite an seinem Partner. Aber im Moment hatte er wichtigeres zu tun, als sich darum Gedanken zu machen. Jason kehrte ins Erdgeschoss zurück. Mit Entsetzen durchsuchte er die vielen Fotos auf dem Esstisch, die ihm das ganze Ausmaße der Angelegenheit vor Augen führten. Aus der oberen Etage drangen immer noch Schreie. Wo konnte Chris nur sein? Plötzlich hörten die Schmerzensrufe auf. Jason lauschte angestrengt, aber außer dem Prasseln des Regens und er Geräusche des Kaminfeuers konnte er nichts hören. War Dave etwa gestorben? In diesem Augenblick kam Ash aus dem Schlafzimmer gestürmt. Er hatte Blut an den Händen, vermutlich das von Dave. "Wir müssen raus!" "Was ist denn?!" Ash war kreidebleich. "Er hat ihn verscharrt, Jason! Chris liegt da draußen, anderthalb Meter unter der Erde. Er hat ihn in eine Kiste gepackt. Wenn wir ihn nicht schnell finden, wird er ersticken!" Jason fühlte sich für einen Moment, als würde er den Verstand verlieren. Die Nachricht übers Chris' Verbleib brauchte ein paar Sekunden, bis er sich der ganzen Tragweite bewusst wurde. Dann gab es für ihn kein Halten mehr. Jason rannte aus dem Haus in den strömenden Regen hinaus. Ash folgte ihm, er hatte von irgendwo eine Schaufel aufgetrieben. "Chris?!", brüllte Jason gegen den Regen an. Das Wasser hatte die Erde überall aufgeweicht, der Lehmboden um das Haus herum sah an jeder Stelle gleich aus. Innerhalb von Augenblicken hatte der Regen die beiden Männer vollkommen durchnässt. Jason stolperte in das Unwetter. "Wo kann er sein, verdammte Scheiße! Hol diesen Drecksack! Er soll uns die Stelle zeigen!" "Geht nicht!", schrie Ash gegen den Wolkenbruch an. "Er hat das Bewusstsein verloren!" "Verflucht!" Wie ein gehetztes Tier rannte Jason herum, warf den Kopf hin und her, untersuchte in panischer Eile jedes Fleckchen Erde. Und dann plötzlich versank er mit dem Fuß im Morast. Er verlor das Gleichgewicht und fiel hin, Schlamm spritzte auf und besudelte ihn von oben bis unten. Ash kam zu ihm, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. "Alles okay?" "Ja, schon gut, ich bin nur..." Jason fiel es wie die Schuppen von den Augen. Der Sturz hatte keine Bedeutung, seine Ursache umso mehr! "Dort!", rief er und deutete auf die etwas niedriger liegende Stelle. "Ich bin mit dem Fuß eingesunken! Die Erde über Chris ist nicht so fest wie überall sonst, sie sackt durchs Regenwasser ab, wie auf einem frischen Grab!" "Schnell, bevor der Regen sie endgültig in Schlamm verwandelt!", entgegnete Ash. Jason stürzte sich in die morastige Grube. Mit bloßen Händen schaufelte er die immer nasser werdende Erde aus dem Loch, Ash unterstützte ihn mit der Schaufel nach Leibeskräften. Immer wieder rutsche Schlamm nach, aber Jason gab nicht auf. Schließlich prallte er mit der Hand schmerzhaft gegen etwas hölzernes. Gemeinsam legten er und sein Partner genug von der Kiste frei, um an den Deckel kommen zu können. "Zieh!", befahl Jason. Mit einem Ruck gab der Deckel nach und selbst Ash entfuhr bei dem Anblick ein erstickter Schrei. Chris lag nicht allein in dem Ding, neben ihm war ein nackter junger Mann, dessen Genick offenbar gebrochen war. Schon floss nasse Erde in den behelfsmäßigen Sarg. Jason packte seinen Freund und zog ihn in die Freiheit, Ash übernahm die sterblichen Überreste des anderen Opfers, damit dieser nicht vom Morast begraben wurde. Der New Yorker Polizist befreite sich aus der Grube und sank mit Chris in den Armen auf die Knie. Der Regen auf seinem Gesicht mischte sich mit Tränen. "Atmet er noch?" Ash hatte selber Angst vor der Antwort. "Ja! Er atmet!", antwortete Jason mit einer Mischung aus Lachen und Weinen. "Er atmet! Er atmet!" "Ins Haus! Los!", befahl der blonde Cop. Jason hob Chris hoch und trug den schlaffen Körper seines Freundes zum Haus hinüber, hinaus aus dem Sturm. Kurz darauf schob Ash die Tür so gut wie möglich wieder ins Schloss, das Jasons Angriff nicht ohne Schaden überstanden hatte. Die Geräusche des Sturms wurden etwas leiser, aber wärmer wurde ihm nicht, war er doch bis auf die Haut durchnässt. Er wandte sich Daves Opfer zu, die Leiche lehnte neben der Tür an der Wand. "Der Junge ist höchstens Anfang zwanzig. Junkie. Ein glatter Genickbruch. Dieses perverse Schwein!" Von Jason kam keine Antwort. Ash sah zu ihm hinüber, sein Partner kniete vor einem der Sofas und hielt Chris in den Armen, der darauf lag. "Na ja, das hat ja auch Zeit...", flüsterte Ash. Er legte den armen toten Jungen vorsichtig auf den Boden und deckte ihn mit einem der Tücher von den Möbelstücken zu. Dann ging er zu Jason hinüber. "Warum wird er nicht wach?", fragte sein Partner mit zitternder Stimme. "Er atmet ganz normal, aber er wird nicht wach!" "Geduld, Jason. Vielleicht hat er einen Schock erlitten. Verdenken würde ich es ihm nicht." "Schau dir an, was dieser Dreckssack mit ihm getan hat! Er hat einen verkrusteten Streifschuss am Arm. Und diese vielen blauen Flecken im Gesicht... was hat er nur mit ihm gemacht..." Jason strich Chris sanft eine mit Dreck verklebte Strähne aus der Stirn. "Wir müssen ihn ins Auto verfrachten. Hier kriegen wir keinen Empfang." "Und was ist mit Dave?" Jason spie den Namen regelrecht aus. "Ich habe ihn oben an die Heizung gekettet, der kommt nicht weit, selbst wenn er wieder bei Bewusstsein ist." "Ich will ihn töten, Ash...", sagte Jason mit emotionsloser Stimme. Der Blonde ging neben seinem Partner in die Hocke und schaute ihm von der Seite ins Gesicht. "Nein, das willst du nicht. Er ist wehrlos, Jason. Glaube mir, du könntest nicht damit leben, einen wehrlosen Mann zu erschießen." "Ich habe schon einmal getötet! Er verdient es nicht anders! Dieses Monster hat Jim und diesen armen Kerl da ermordet! Und er hat Chris Gott weiß was angetan! Ich habe schon einmal jemanden erschossen!" "Das ist etwas anderes!", beharrte Ash. "Damals waren Chris und Marcus in Gefahr, ich kenne deinen Bericht von der Sache mit Randy. Bleib bei Chris. Ich hole ihm etwas anzuziehen, damit er nicht nackt ins Auto muss, oben lagen eine Menge Klamotten. Und dann kontrolliere ich auch noch einmal, dass Dave uns nicht entwischen kann." "Notfalls zerschieß ihm die Kniescheiben!", knurrte Jason. "Reizende Idee!" Ash klopfte ihm auf den Rücken. "Wir haben Chris wieder. Das ist die Hauptsache. Dave wird seine Strafe kriegen und..." Sein Gesicht verdüsterte sich. "Seit Schwarzenegger Gouverneur ist, haben doch auch gute Chancen auf die Todesstrafe. Und sonst verfrachten wir ihn nach Texas, die fackeln nicht lange!" Der Cop ließ Jason und Chris allein und stieg die Treppe hinauf. Im Schlafzimmer empfing ihn Dave mit höhnischen Blicken. Der psychopathische Mörder hatte sein Bewusstsein wieder erlangt und scheinbar auch seinen Hochmut. Und das obwohl sein Gesicht kaum mehr als eine blutige Masse war, Jason hatte ihm definitiv die Nase zertrümmert. Das musste höllisch weh tun. "Und? Hat der Köter sein Stück Dreck wieder?" "Das du jemanden als Stück Dreck bezeichnest ist schon witzig. Sei froh, dass du unsere modischen Armbänder trägst!" "Ui, die Superbullen in Aktion!" Der Blonde zog seine Waffe und richtete sie auf Daves Kopf. Seine Stimme war vollkommen ruhig. "Überspann den Bogen nicht. Jason wollte dich töten, aber er würde niemals damit klar kommen, einen wehrlosen Mann ermordet zu haben." Er entsicherte die Waffe. "Jason ist ein guter Mensch, aber ich bin das nicht. Mir würde es nichts ausmachen, dir deinen Schädel zu durchlöchern." Für einen Moment sah es so aus, als würde er es tun, dann sicherte er die Waffe wieder und steckte sie weg. Ash öffnete den Kleiderschrank und wühlte in dem Chaos nach Klamotten. "Ihr seid doch erbärmlich!", lachte Dave, wenn auch weniger selbstsicher als vorher. "Ich bin reich, glaubt ihr wirklich, ihr kriegt mich in den Knast?! Ich hetze euch ein Heer der besten Anwälte auf den Hals, werde für zeitweise unzurechnungsfähig erklärt und bin nach einem Aufenthalt in einem Luxussanatorium wieder ein freier Mann! So einfach ist das!" Ash presste die Lippen aufeinander. Dieses Arschloch hatte leider Recht. Genauso konnte es laufen. Aber er wollte sich das nicht anmerken lassen. Am liebsten hätte er den Kerl umgebracht, aber dann wäre er dran, besonders Rodriguez würde sich mit Freuden darauf stürzen. Die Handschellen, mit denen er Dave an die Heizung gefesselt hatte, klackerten. "Gib dir keine Mühe! Wir werden Chris von hier weg bringen und dann kommen unsere Jungs und holen dich ab. So lange wirst du schön hier warten." Ash klappte die Tür des Schrankes zu und schaute genau in Daves zerstörtes Gesicht. Der Psychopath stand aufrecht da, ohne Handschellen, und richtete Jasons Pistole auf ihn. "Scheiße!", entfuhr es Ash, dann drückte Dave ab. Jason hörte den Schuss. Hier lief etwas schrecklich schief. Diesmal reagierte er nicht über, auch weil es um den Schutz von Chris ging. Er packte seinen Freund so schnell es ging, hob ihn hoch und trug ihn unter die Treppe. Von hier aus konnte man aus dem oberen Stockwerk nicht gesehen werden. Sein Verstand arbeitete fieberhaft. Was sollte er nun tun? Seine Dienstwaffe lag irgendwo oben in dem verdammten Zimmer, Ash hatte seine dabei und die von Dave war auch dort oben. Wenn Ash den Schuss abgefeuert hatte, war alles okay, aber warum sollte er das tun? Oder hatte er den Entführer einfach erschossen? "Jason!" Dave zog den Namen betont lang. "Komm raus, komm raus, wo immer du steckst!" "Fuck!", flüsterte der Cop zu sich selbst. "Drei kleine Polizisten gingen ins Haus hinein, zwei hab ich abgeknallt, der Letzte blieb allein!", fing Dave an zu singen. "Ein kleiner Polizist blieb nicht gern allein, drum jag ich ihm zum guten Schluss auch ne Kugel rein!" Der Schweiß rann an Jasons Rücken herab, beinahe hatte er das Gefühl, man könne sein rasendes Herz im ganzen Raum hören. "Na komm schon, Jason! Mach es nicht unnötig schwer." Er hörte Daves Schritte am Anfang der Treppe. "Du hast keine Waffe, die sind alle hier oben bei mir! Gib mir mein Täubchen wieder und stirb wie ein Mann!" Dave kam die Treppe hinunter. Zwischen den Stufen waren Freiräume und mit einem Mal wusste Jason, was er tun musste. In dem Moment, da er sie erreichen konnte, sprang er vor und riss mit voller Kraft an Daves Knöcheln. Der Psychopath geriet ins Stolpern und Jason sorgte dafür, dass er die Treppe hinab segelte. Er stieß einen Schrei aus, der aber mit seinem Aufprall am Boden verstummte. Dann war alles still. "Dreckskerl!" Jason eilte hinüber und hob die Waffe vom Boden auf. Dave rührte sich nicht, aber das musste nichts heißen. Man kannte das ja aus einschlägigen Filmen, das Monster bäumt sich am Ende immer noch einmal auf. Diesmal sah es jedoch nicht so aus. Jason bewegte sich rückwärts auf Chris zu. Er konnte und wollte ihn nicht einfach auf dem Boden liegen lassen. Sein Freund hatte die Augen immer noch geschlossen und atmete recht flach, aber gleichmäßig. Als Jason ihn hochheben wollte, bemerkte er aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Dave hatte den Sturz besser weg gesteckt, als man hätte vermuten sollen. Jason wirbelte herum. Er konnte nichts genaues erkennen, sah den Peiniger seines Freundes, den Wahnsinn in seinen Augen, hörte den nahezu unmenschlichen Schrei, als dieser sich mit einem Schürhaken in der Hand auf ihn stürzen wollte, und reagierte instinktiv. Der Polizist drückte den Abzug seiner Waffe durch und schoss. Dave stoppte in der Bewegung. Er riss die Augen auf, wollte etwas sagen, doch nur Blut quoll aus seinem Mund hervor. Dann fiel er einfach zu Boden. Vollkommen unspektakulär. Der Schürhaken rutschte aus seiner Hand. Jason senkte die Pistole und ging zu ihm. Dave zuckte, seine Augen waren immer noch weit geöffnet. Er röchelte und immer noch kam Blut aus seinem Mund. Scheinbar rang er verzweifelt nach Atem. Sein Hemd färbte sich an der Brust blutrot. "Ich habe dich in die Lunge getroffen... muss schwer sein, Luft zu bekommen, was?" Jason schaute auf Dave herab. Er empfand nicht den Hauch von Mitgefühl, so einen eiskalten Hass hatte er noch nie im Leben gespürt. Der Andere keuchte. "Deine Lunge kollabiert wohl... muss ziemlich qualvoll sein... ich könnte dir einen Kopfschuss verpassen, damit du nicht leiden musst und elend krepierst..." Jason richtete seine Waffe auf den Kopf des Mannes. "Aber weißt du was?" Er sicherte sie. "Ich tu es nicht." Damit ließ er Dave einfach liegen und kehrte zu Chris zurück, um ihn wieder auf die Couch zu tragen. Daves Zucken wurde immer schwächer, sein Röcheln leiser. Jason küsste Chris sanft auf den Mund. "Ich bin gleich wieder bei dir, mein Engel. Alles wird gut." Bevor er die Treppe hinauf stieg, ging er noch einmal zu Dave zurück. Dessen Kopf war zur Seite gefallen. Er tastete am Hals nach seinem Puls, aber da war nichts mehr. Dave war tot und es war eigentlich noch viel zu schnell gegangen. Er hatte schlimmeres verdient, fand Jason. Der Brünette ließ die Leiche zurück und eilte ins Obergeschoss. Plötzlich hatte er wieder Angst vor dem, was ihn erwartete. Im Moment verhinderte die Aufregung und der Ernst der Situation, dass er Jims Tod zu sehr berühren konnte, aber wenn er nun auch noch Ash verloren hatte. Er wollte nicht weiter denken. Doch als er das Schlafzimmer betrat, blickte er direkt auf die Mündung von Jims Pistole, die Sein Partner auf ihn richtete. Er lag neben Jims Leiche am Boden. "Heilige Scheiße! Gott sei Dank!" Ash senkte die Waffe. "Ich dachte schon, diese kranke Sau hätte dich erwischt!" "Ähnliches habe ich von dir gedacht." Jason lief zu ihm. "Was ist denn passiert?" "Der Wichser hat sich irgendwie befreit! Er hat nur gewartet, bis ich abgelenkt war, dann wollte er mich abknallen." Erst jetzt fiel Jason auf, dass der Blonde seine Hand auf die Hüfte presste, darunter war alles voller Blut. Ash bemerkte seinen Blick. "Keine Panik, nur eine Fleischwunde!", lachte er, wenn auch mit einem Stöhnen. "Der Mistkerl dachte wohl, er hätte mich erwischt, weil ich mich nicht gerührt habe. Ich bin mit dem Kopf an den Schrank geknallt und war ausgeknockt, denke ich... Dem Himmel sei Dank, dass er nicht kontrolliert hat, ob ich hinüber bin." Jason half ihm aufzustehen. "Ich bin wieder wach geworden und hab den Schuss unten gehört. Ich dachte, wenn es Dave ist, der hoch kommt, mach ich ihn kalt." "Er ist tot." Ash stützte sich ein wenig auf seinen Partner. "Besser ist das... verdammtes Schwein." "Hauen wir von hier ab...", sagte Jason leise. "Chris soll keine Sekunde länger hier bleiben." "Kannst du nicht schneller fahren?!" Beinahe hätte Jason gegrinst. Gleiche Frage, andere Person. Während er fuhr, saß Ash auf dem Rücksitz und hielt Chris. Sie hatten das Jagdhaus so schnell es ging verlassen, nachdem sie Ash notdürftig verbunden und Chris etwas angezogen hatten. Beide Polizisten waren über die Art schockiert gewesen, durch die sich Dave aus den Handschellen befreit hatte. Trotz seiner verwundeten Hand, hatte er sich absichtlich den Daumen der Anderen dermaßen gebrochen, dass er sie aus dem Ring der Handschelle hatte ziehen können, die ihn an die Heizung fesselte. Als Ash nach oben gekommen war, hatte er schon längst Jasons Waffe gehabt und so getan, als sei er immer noch angekettet. Draußen regnete es immer noch in Strömen. "Ich kann nicht schneller, außer du hast Sehnsucht nach einem Baum! Die Scheibenwischer werden kaum mit dem Regen fertig." Er sah kurz in den Rückspiegel. "Wie geht es Chris?" "Gut, danke!", frotzelte Ash, "Aber ich blute dir die Rückbank voll, danke der Nachfrage!" "Entschuldige!" Jetzt musste Jason wirklich grinsen. "Der Verband ist zu locker." Sein Partner presste die Hand auf die Seite. "Sorry für die Sauerei, Blut geht nicht so leicht wieder raus!" "Hast du da deine Erfahrungen?" "Klar, hast du noch nie eine Leiche zerstückelt?", lachte der Blonde. Ein Schlagloch schüttelte das Auto durch und Ash prallte mit seiner Wunde gegen die Tür. "Scheiße! Pass doch auf!", knurrte er. "Tut mir leid, ich kann die Schlaglöcher nun mal nicht richtig sehen!" "Nein, Chris ist nichts passiert!", beantwortete Ash die Frage, bevor Jason sie stellen konnte. "Ist er immer noch nicht wach?" "Jason... glaubst du nicht, dass du der Erste wärst, der das erfahren würde?" Ash klang leicht genervt. Der New Yorker wollte eben zu einer Antwort ansetzen, als er plötzlich mit voller Wucht auf die Bremse trat. Die Straße war verlassen, daher konnte er sich das leisten. Sein Partner flog im Sitz nach vorn und wurde vom Sicherheitsgurt zurück gezerrt. Er hatte Mühe, Chris festzuhalten. "Hast du eine Meise?!" "Nein, aber verdammtes Glück! Sieh mal dort." Ash folgte mit den Augen Jasons ausgestrecktem Zeigefinger. Das war wirklich Glück. Auf dem Handy zeigte sich immer noch kein Empfang, Chris musste echt Schwein gehabt haben, um die kurze Verbindung im Wald hinzubekommen, aber da war genau das, was er auf seiner Flucht gesucht hatte, auch wenn die Männer das natürlich nicht wussten: Das grelle Orange einer Notrufsäule schimmerte durch den Regen. Jason wartete allein im Aufenthaltsraum des Krankenhauses einer nahe gelegenen Ortschaft, deren Namen er in der Aufregung schon wieder vergessen hatte. Irgendwas mit Wood am Ende. Pleasant Wood, Woody Wood oder vielleicht auch Everwood, nein, das war ja eine Fernsehserie. Eigentlich interessierte es ihn auch nicht, Hauptsache es gab Ärzte in diesem Kaff. Das Krankenhaus konnte natürlich nicht mit dem San Francisco Memorial mithalten, aber in der sprichwörtlichen Not fraß der Teufel bekanntlich Fliegen. Ash wurde eben wieder zusammengeflickt und Jason hatte sich mit der örtlichen Polizei in Verbindung gesetzt. Zwei Deputies waren gekommen und hatten die Aussage ihres Kollegen aus San Francisco aufgenommen. Ihre Augen hatten regelrecht gestrahlt in Aussicht auf einen derart spektakulären Tatort, so etwas kam hier sicher nicht alle Tage vor. Jason hatte sich arg zurückhalten müssen um ihnen nicht die Begeisterung aus dem Gesicht zu prügeln, denn eigentlich konnten sie ja nichts für ihre Blödheit. Auf jeden Fall würde das Haus nun gesichert und die Leichen für die Überstellung in die Hafenstadt bereit gemacht werden. "Hey, Grübler, guck nicht so grimmig! Dein Lieblingspartner ist wieder da." Jason blickte auf. Ash stand lächelnd in der Tür. Er war ein wenig blass, aber sonst schien er in Ordnung. "Na, wieder okay?" "Jep. Sieben Stiche auf dem Weg zum Helden. Mit etwas Glück gibt das nicht einmal eine Narbe, obwohl so etwas ja verwegen aussieht." "Gott sei Dank..." "Du hattest echt Angst um mich, was?" Jason sah ihn überrascht an. "Dumme Frage! Na klar hatte ich Angst um dich! Meinst du, ich will einen guten Freund verlieren?!" "Ich hab dich auch gern!", grinste Ash und setzte sich neben ihn, wenn auch ein wenig vorsichtiger als sonst. Unter dem Loch im mittlerweile getrockneten blutigen Hemd konnte man seinen Verband sehen. "Wetten, der Chief reißt uns den Kopf ab..." Jason knurrte. "Soll er machen, was er will. Diese Horrorbude ist Beweis genug... und der arme Junge..." Er hatte einen Kloß im Hals. "Und Jim..." Für einen Moment herrschte Stille. Beide Männer mussten an den fröhlichen jungen Mann denken, den sie heute verloren hatten. "Neues von Chris?", durchbrach Ash schließlich die Stille. "Nein... bisher nicht. Diese Warterei macht mich noch verrückt!" "Du solltest sie doch langsam gewöhnt sein! Bald kriegst du eine Rabattkarte für Krankenhäuser." Jason boxte seinen Partner auf den Arm. "Deinen ätzenden Humor hat der Schuss offenbar nicht beschädigt!" "Nein, alles noch dran!", lachte Ash, wurde dann aber wieder ernst. "Jason, denk bitte nicht, ich sei pietätlos oder so... aber ich finde, dass nach soviel Scheiße ein Lachen manchmal gut tut, damit man nicht durchdreht... und ich glaube, wenn ich all das jetzt an mich ran lasse, drehe ich durch..." "Ich verstehe, was du meinst..." Das tat Jason wirklich. Er sperrte sein Herz mit aller Macht gegen die Trauer um Jim. Das verkraftete er nicht auch noch. "Detectives?" Jason sprang beim Anblick der Ärztin auf. Die Frau mittleren Alters trug eine strenge Hornbrille und ihr dunkles Haar zu einem ordentlichen Knoten am Hinterkopf. Sie war recht klein, Jason überragte sie um einiges. "Gibt es Neuigkeiten?" Auch Ash stand nun auf. "Wir haben die Untersuchung von Mr. Fairgate abgeschlossen." "Und? Geht es ihm gut?" "Gehören Sie zu seiner Familie, Detective?" Sie schaute Jason über ihre Brillengläser hinweg kritisch an. Der Gefragte seufzte. "Bitte! Nicht auch noch das! Ich bin sein Lebensgefährte, aber wenn das nicht reicht, sagen Sie mir es eben in meiner Funktion als Ermittler! Bitte, ich flehe Sie an!" Die Ärztin lächelte. "Keine Panik. Damit kann man leben, denke ich." Sie rückte ihre Brille zurecht. "Mr. Fairgate ist körperlich den Umständen entsprechend in überraschend guter Verfassung. Er hat keinerlei Knochenbrüche, lediglich eine leichte Unterkühlung, die aber schon abklingt. Er hatte wohl lange nichts mehr gegessen, deswegen wird er im Moment künstlich ernährt. Ihr Freund zeigt Zeichen von körperlicher Misshandlung, besonders im Gesicht aber auch am restlichen Körper finden sich einige Hämatome. Außerdem ist er mindestens einmal..." Sie blickte zu Boden, man merkte ihr an, dass sie dies besonders erschreckte, "vergewaltigt worden. Ich denke nicht, dass Sie wünschen, dass ich hier weiter ins Detail gehe. In Anbetracht dieser Tatsache führen wir einen HIV-Test durch. Immerhin hat er keinerlei innere Verletzungen oder Blutungen, nur eine Gehirnerschütterung, wie es aussieht aber nicht zu schwer. Das CT hat keine Hämatome im Gehirn feststellen können, was ein ausgesprochen gutes Zeichen ist. Allerdings liegt Mr. Fairgate in einer Art komatösem Zustand, wohl hervorgerufen durch einen heftigen Schock oder auch Sauerstoffmangel, vielleicht in Verbindung." Jason wurde schwindelig. Das war einfach zuviel! Jetzt hatte er seinen Engel endlich wieder und der Albtraum nahm immer noch kein Ende! Mit hängenden Schultern kehrte er zu seinem Platz zurück und ließ sich darauf fallen. "Darf ich zu ihm?" "Natürlich.", antwortete die Ärztin und ihre Stimme war voll Mitgefühl. "Ich warte hier, damit du mit ihm allein sein kannst.", fügte Ash hinzu. Der Anblick seines Freundes in dem Krankenbett versetzte Jason einen Stich im Herzen. Chris lag reglos auf dem Rücken, die Augen geschlossen. Seine Brust hob und senkte sich regelmäßig und ruhig, ganz so als würde er nur schlafen. Er war blass, bis auf die Blutergüsse in seinem Gesicht. Seine Körperfunktionen wurden überwacht und über eine Kanüle bekam er intravenös Nahrung. Jason trat näher und nahm die kühle Hand seines Freundes. "Hallo, mein Engel..." Er erwartete keine Antwort und doch schmerzte ihn die Stille. Die Finger des Blonden lagen schlaff in seiner Hand. Jason sank auf die Knie. Er presste Chris' Hand an sein Gesicht. Hier, allein mit seinem geliebten Engel in diesem Krankenzimmer, schmolz alle Selbstbeherrschung, alle nach außen getragene Kraft dahin. Diesmal waren es nicht einzelne Tränen wie in Ashs Wohnung. Jason bekam einen regelrecht Weinkrampf. Er vergrub sein Gesicht in den Laken neben Chris und schluchzte und weinte hemmungslos. Immer noch war in ihm die Hoffnung, dass sein Engel gleich die Augen aufschlagen und ihn trösten würde. "Komm zu mir zurück... bitte... komm zu mir zurück..." Doch Chris blieb stumm. Jason kehrte zu Ash zurück, als dieser sich gerade mit einem Polizisten von hier unterhielt. Der New Yorker war sich sicher, dass Ash deutlich sehen konnte, dass er geweint hatte, war ihm aber umso dankbarer, dass sein Partner dieser Umstand überging. "Alles okay?" "Nein,", sagte Jason leise. "Aber das ist jetzt egal..." Ash nickte nur. "Deputy Duncan hat mir eben mitgeteilt, dass sie das Haus gesperrt haben. Daves Leiche, die von dem Abhängigen und..." Er machte eine kleine Pause. "... die von Jim sind schon im örtlichen Leichenschauhaus. Ich habe mit Carter telefoniert, er kocht vor Wut, weil wir eigenmächtig gehandelt haben und ich denke, nur die Tatsache, dass wir diesen Psychopathen gestellt haben, hindert ihn daran, uns zu feuern. Allerdings wird es Rodriguez wohl schlechter ergehen, weil er nichts gemacht hat. Aber der redet sich sicher wieder raus." "Meinetwegen soll er an seiner eigenen Scheiße ersticken, die er von sich gibt...", knurrte Jason. Der Deputy sah ihn etwas verstört an und verabschiedete sich dann eilig. "Den hast du vergrault!", lachte Ash. "Mir egal." "Gehen wir ein Stück an der frischen Luft? Ich glaube, das brauchst du." Jason hatte keine Einwände und bald gingen die Beiden durch den kleinen Park, der ans Krankenhaus angrenzte. Es roch irgendwie nach Frühling, die Bäume begannen zu sprießen und hier und dort schauten Krokusse durch die harte Erde. Es war deutlich kälter hier als in San Francisco, dabei waren sie soweit von der Stadt gar nicht entfernt, wenn man die Dimensionen des amerikanischen Kontinents bedachte. "Kümmern die sich gut um Chris?" "Ich denke schon." Jason kickte einen Stein weg. "Es ist grausam, ihn so zu sehen." "Sieh es mal von einer anderen Seite, Jason, er lebt, das ist die Hauptsache. Dave hätte ihn locker umbringen können. Tut mir immer noch leid, dass ich deinem Instinkt nicht vertraut habe." "Das habe ich ja selbst nicht hundertprozentig... Aber ich habe Angst, Ash. Wenn Chris in diesem Zustand bleibt, kann das wer weiß was für Folgen haben. Er könnte nicht mehr gehen oder sprechen können... manchmal müssen Komapatienten das alles neu erlernen." "Er liegt erst wenige Stunden in diesem Zustand, soweit ich weiß müssen es schon mehrere Tage, wenn nicht Wochen sein, damit eine ernsthafte Beeinträchtigung erfolgt und er in eine Reha müsste." "Und wer sagt, dass das nicht passiert?" Ash blieb stehen. "Seit wann bist du so ein schrecklicher Pessimist? Denk positiv, Chris braucht das jetzt. Mehr denn je, denke ich." "Du hast ja Recht..." "Wie so oft in den letzten Tagen, was?" "Ich hasse dich!", grinste Jason. "Wenn es dir Freude macht!" Ash klopfte ihm auf die Schulter. "Wir sind ein gutes Team, Partner." "Ob Jim das auch denkt...?" "Jason!", mahnte Ash in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. "Das ist jetzt nicht deine Sorge... deswegen musste ich sowieso noch mit dir reden." "Du fährst zurück nach San Francisco, nicht wahr?" Das schien Ash unangenehm. "Ja, genau... ich muss, Jason. Ich werde mich um die Angelegenheiten kümmern, die Berichte... und ich werde zu Jims Eltern gehen. Wenn ich dich damit entlasten kann, mache ich das gern. Und ich will nicht, dass sie irgendeinen Deppen vom Department zu den Mayers schicken." Jason antwortete nicht. Er drehte sich wortlos um und zog Ash in seine Arme. Sein Partner erwiderte die Umarmung. "Danke, dass du für uns da bist, Ash." "Das bin ich gern...", flüsterte der Blonde. "Sag mir sofort Bescheid, wenn es Neuigkeiten wegen Chris gibt, ja?", fügte er hinzu, als sie sich voneinander lösten. "Klar." Ash verabschiedete sich von Jason und ging in Richtung Parkplatz davon. Jason sah ihm nach und war seinem Partner in diesem Moment unendlich dankbar. Auf Ash konnte er sich verlassen, dessen war er sich sicher. Er fror und steckte die Hände in die Tasche. Dann machte er sich auf den Rückweg ins Krankenhaus, um bei David und Marcus anzurufen. Chris' Mutter nicht zu vergessen, davor graute es ihm am meisten. Jason saß neben Chris am Bett und streichelte ihm über den Arm. Man hatte für ihn freundlicherweise ein Notbett in das Zimmer stellen lassen, Ärzte wie auch Schwestern waren in diesem Krankenhaus ausgesprochen nett. Im Moment lief der Fernseher, aber Jason schaute gar nicht richtig hin. Er hatte mehrere Anrufe getätigt, wobei der bei Mrs. McKay wirklich am schlimmsten gewesen war. Sie hatte schrecklich geweint, aber Jason hatte ihr davon abgeraten, hierher zu kommen. Sie waren so verblieben, dass Chris' Mutter nach San Francisco kam, sobald ihr Sohn wieder dort war. Im Augenblick war es besser für Chris, wenn er nicht transportiert wurde. Eine Krankenschwester nahm gerade den Beutel mit der künstlichen Nahrung ab, der erst am nächsten Tag ersetzt werden sollte. "Kann er mich eigentlich hören?" Die Schwester schaute Jason an. "Darüber streiten sich Experten bis heute. Aber gehen Sie mal davon aus, dass er Sie hört. Ist ein beruhigender Gedanke, finde ich." "Stimmt." "Ich schaue nachher noch einmal vorbei. Wenn Sie etwas brauchen, Mr. Cunningham, dann sagen Sie einfach Bescheid. Natürlich auch, wenn sich mit Ihrem Lebensgefährten etwas verändert." Jason nickte und die Schwester ging. Sie drückte in typischer Gewohnheit auf den Lichtschalter und merkte das nicht einmal. Der Polizist blieb im Dunkeln zurück, das Licht der Laternen vor dem Krankenhaus und der Fernseher tauchten den Raum in Zwielicht. "Endlich allein, was?" Jason blickte auf. Chris saß auf dem Fensterbrett. Er lächelte. Diesmal trug er das Krankenhausnachthemd. "Ja, endlich allein..." Der Blonde stieß sich von der Fensterbank ab und stellte sich neben seinen Freund. "Ich sehe gut aus, wenn ich schlafe, oder?" Jason lachte leise. "Ja, das tust du. Ist nichts neues für mich. Ich habe dich oft nachts beim Schlafen beobachtet. Du siehst dann noch mehr wie ein Engel aus." "Das heißt, du starrst mich nachts an... ich finde das bedenklich!" Er strich Jason sanft über die Wange. "Ich habe dich vermisst, weißt du das?" "Ich dich auch... so sehr..." Chris setzte sich auf Jason's Schoss und schlang die Arme um seinen Freund, um ihm einen leichten Kuss auf die Lippen zu hauchen. "Wir sind wieder zusammen, nur das zählt." "Aber zu welchem Preis. Ich habe solche Angst um dich..." "Mach dir nicht zu viele Sorgen. Alles wird gut, du wirst schon sehen. Ich bin dein Engel, du musst mir glauben." "Ach, muss ich das?", fragte Jason und vergrub sein Gesicht in Chris' Haaren. "Ja, weil Engel niemals lügen, hörst du? Es wird wieder alles gut." "Ich liebe dich...", hauchte Jason. "Ich liebe dich auch." Jason zuckte zusammen, im Fernsehen hatte ein Krimi angefangen und der plötzliche Schusswechsel auf der Mattscheibe hatte ihn in die Wirklichkeit zurück gerissen. Er war allein, Chris lag reglos wie vorher auf seinem Bett. "Wäre ja auch zu schön gewesen um wahr zu sein, oder?" Er schaltete den Fernseher aus. "Und was machen wir Beiden jetzt?" Er schaute sich um. "Die Schwester hat gesagt, dass du mich hören kannst... vielleicht sollte ich dir ein Schlaflied vorsingen, dass meine Mum immer für Gary und mich gesungen hat, als wir klein waren..." Er wusste selbst nicht genau warum, aber irgendwie hatte er das Bedürfnis. Chris wirkte auf ihn so hilflos wie ein kleines Kind und wer wusste schon, welche Kämpfe der blonde Mann in seinem Bewusstsein ausfechten musste? Vielleicht würde ihn das beruhigen oder wieder auf den richtigen Weg leiten. Er war kein besonders begabter Sänger, aber er hatte sich oft vorgestellt, wie es wohl wäre, dieses Lied für seine eigenen Kinder zu singen. Den Text kannte er auswendig. "Wo wirst du sein wenn der Tag zu Ende geht und der letzte Sonnenstrahl sich bis morgen versteckt? Wer bleibt bei dir Wenn der Abendwind weht Und die Dämmerung ganz langsam die Hand nach dir streckt?" In San Francisco kuschelte sich Marcus in Colins Arm. Der Anruf von Jason hatte ihn aufgewühlt. Das Chris im Koma lag, machte ihm noch mehr Angst als die Ungewissheit um den Verbleib seines besten Freundes und "großen Bruders". Colin hielt ihn einfach nur fest, zusammen gekuschelt unter der Decke seines Bettes. Marcus presste das Gesicht an die Brust seines Freundes und weinte. Vor Colin musste er seine Tränen nicht verstecken... "Vom Mond fallen Tausend Träume, sie gehören alle nur dir. Und willst du sie mit mir teilen, dann schick einen zu mir. Jetzt soll niemand allein sein Und ich sag dir gute Nacht. Die Welt wird so schön sein, wenn du morgen früh dann erwachst." Sly schaute vom Auto aus zu wie Ash langsam die kleine Treppe zum Haus der Mayers hinaufstieg. Er wusste genau wie schwer seinem Exfreund jeder Schritt näher an die Haustür fiel. Das war eine der schrecklichsten Seiten am Job eines Polizisten, etwas, wovor Sly schon immer Angst gehabt hatte, seit er Ash kannte. Der Blonde klingelte und bald darauf wurde die Tür geöffnet und tauchte ihn in warmes Licht aus der Wohnung. Sly wusste, was er nun sagte. "Mr. und Mrs. Mayer, es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Sohn Jim heute in Ausübung seines Berufes verstorben ist." Sekunden später brach Jims Mutter weinend in den Armen ihres Mannes zusammen. Sly schloss die Augen. Alles in ihm schrie danach, jetzt Chris beizustehen, aber das war nicht der richtige Weg. Chris war bei Jason und er musste für Ash da sein. Er brauchte ihn wahrscheinlich in diesem Moment mehr als je zuvor... "Hörst du die Melodie? Sie fliegt in deine Stadt, denn jemand wie du, der die gleichen Träume hat, schickt sie auf den Weg, dann gehört sie auch dir und wiegt dich ganz sanft in den Schlaf." Jeremy hatte sich vorsichtig in Davids Arm zu ihm aufs Bett gekuschelt. Sie schauten zusammen einen Film, den sie Beide schon fast auswendig kannten, aber was zählte war, dass sie zusammen waren. Die Nachricht über Chris hatte sie Beide erschreckt, aber David hatte Jeremy davon überzeugt, dass positives Denken das Beste war, was sie in dieser Situation tun konnten. Der blonde Mann schaute immer wieder heimlich auf seinen rothaarigen Freund. Das Ergebnis der CT hatte die Vermutung der Ärzte bestätigt. Ein halbes Jahr. Nicht länger, vielleicht sogar weniger. Und Doktor Pierce hatte ihm gesagt, dass die ersten Ausfall Erscheinungen sicher nicht lange auf sich warten ließen und ihn erneut zur Operation gedrängt. Aber das Risiko war David einfach zu groß. Also schaute er Jeremy an, wie er lachte und sich über den Film amüsierte. Und innerlich war ihm zum Heulen... "Du siehst heut Nacht dort oben den Mond in hellem Licht, das leuchtet auf den Garten, der dein Königreich ist. Die Blüten sind geschlossen, wünsch ihnen gute Nacht. Die Welt wird noch schöner, wenn am Morgen die Blume erwacht." Jason lächelte Chris an. "Ich verstehe dich... wenn für mich jemand so schräg singen würde, dann würde ich auch lieber im Koma liegen bleiben..." Er beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. Danach stieg zog er sich das Shirt über den Kopf und stieg in das Notbett. Es war ziemlich unbequem, aber das störte ihn nicht weiter. Jason legte sich auf die Seite und stürzte den Kopf auf die Hand. "Weißt du was? Wenn du wieder wach bist, machen wir Urlaub. Wir kratzen unsere Ersparnisse zusammen und hauen ab. Was hältst du davon?" Natürlich bekam er keine Antwort. Jason rollte sich im Bett zusammen, wie er es seit seiner Kindheit nicht mehr gemacht hatte. Ganz eng, wie ein Fötus im warmen Mutterleib. Er schloss die Augen und erinnerte sich an die Nacht nach der Halloweenparty, als er so Angst gehabt hatte, seinen Eltern die Wahrheit über sich zu erzählen. Chris hatte ihn damals die ganze Nacht festgehalten, jede Minute war er in seiner Nähe gewesen, hatte ihm Sicherheit und Geborgenheit gegeben. Und soviel Kraft. Man vermutete es nicht, aber in dem zierlichen Mann schlummerte eine innere Stärke, wie sie nur wenige Menschen hatten, davon war Jason überzeugt. "Ich würde gern mit dir in Urlaub fahren." Während Chris sprach, strich sein Atem zart über Jasons Nacken. Der Brünette kuschelte sich enger an seinen Freund. "Fahren wir nach Paris? Das wolltest du doch schon immer." "Ja. Und dann knutschen wir auf dem Eifelturm, dass alle neidisch werden." Chris küsste ihn aufs Schulterblatt. "Ein schöner Gedanke...", stimmte Jason zu. "Und wir machen eine nächtliche Rundfahrt auf der Seine. Wir machen uns darüber lustig, wie aufgeblasen Französisch klingt. Und ich will nach Versailles! Und nach Disneyland! Ich war noch nie in Disneyland, nicht einmal hier in den USA!" "Das machen wir!", lachte Jason. "Und Anaheim und Orlando besuchen wir auch noch. Man sollte diese Ressorts mal gesehen haben." "Au ja! Dann gehen wir in diese Wasserparks und ich kann mit deinen Muskeln angeben. Wenn da Mädels dir hinterher geiern, kann ich sagen: "Ätsch! Das ist meiner!" Wird sicher lustig." Er kicherte. "Du bist überdreht, weißt du das?" "Das ist der Geruch deiner Haut!", grinste Chris und drückte seine Nase gegen Jasons Rücken. "Davon werde ich immer gut drauf!" "Ich liebe dich.", sagte sein Freund statt einer Antwort darauf. "Ich dich auch!" Jason lächelte im Schlaf. Auf dem Monitor wurde weiter der gleichmäßige Herzschlag seines komatösen Freundes angezeigt. Früh am nächsten Morgen war für den Polizisten die Nacht vorbei. Irgendetwas im Zimmer klirrte. Jason öffnete die Augen und setzte sich ruckartig auf. Er blickte sich um und was er sah, konnte eigentlich nur wieder ein Traum sein. Chris saß aufrecht im Bett, die Augen geöffnet. Er hatte die Blumenvase runter gestoßen, die Jason mit einem kleinen Strauß Rosen aus dem Krankenhausladen neben sein Bett gestellt hatte. Wohl aus Versehen. Die Blumen lagen auf dem Boden verstreut. So schnell wie in diesem Moment hatte Jason noch nie sein Bett verlassen. Er flog regelrecht in Chris Arme. Tränen liefen über sein Gesicht. "Chris! Mein Gott! Du bist wach! Du bist wach! Ich bin so froh!" Er presste den blonden Mann an sich, doch in diesem Augenblick merkte er, dass hier etwas nicht stimmte. Chris machte keinerlei Anstalten, seine Umarmung zu erwidern, im Gegenteil. Er verspannte sich. Jason löste sich ein Stück von ihm und sah ihm in die Augen. Was er darin erkannte, war pure Angst. "Chris, was hast du?!" Plötzlich kam Leben in den anderen Mann. Er drückte seine Hände mit voller Kraft gegen Jasons nackten Oberkörper, so heftig, dass der Brünette erschrocken zurück stolperte. Dann fing er an zu Schreien. Er rief um Hilfe, wollte aufstehen, doch er war noch zu schwach. Er fiel aus dem Bett, riss dabei den Ständer mit den Infusionsflaschen um und sich selbst die Kanüle aus dem Handrücken. "Um Himmels Willen, Chris, was hast du?!" Jason wollte ihm helfen, doch der Blonde schlug seine Hand weg. "Fassen Sie mich nicht an! Hilfe!", brüllte er. Jason verstand die Welt nicht mehr. In diesem Moment stürmte die Ärztin vom Vortag mit einem Krankenpfleger ins Zimmer, vom Geschrei angelockt. "Großer Gott! Was haben Sie getan?!", keifte sie Jason an. "Nichts, ich bin eben erst aufgewacht, er..." "Raus, sofort!" "Aber ich..." "Gehen Sie! Los!" Sekunden später fiel die Tür hinter Jason zu. Er stand mit seinem Shirt in der Hand auf dem Krankenhausflur und hörte im Zimmer hinter sich das Geschrei seines Freundes. Immer noch hatte er nicht den blassesten Schimmer, was hier gerade geschehen war. Warum hatte Chris ihn gesiezt? Panik erfasste ihn. Und Jason wurde auch über eine halbe Stunde nicht davon erlöst. Wie ein unruhiger Tiger im Käfig wanderte er vor der Zimmertür auf und ab. Die Hilfeschreie waren verklungen, aber die Stille war fast noch schlimmer. Schließlich, nach einer, wie ihm schien, halben Ewigkeit, trat Doktor Franklin, so der Name der Ärztin, auf den Flur. Mit wenigen Schritten war Jason bei ihm. "Was ist mit ihm?!" "Sachte!" Die Ärztin hob die Hände zu einer beschwichtigenden Geste. "Gehen wir in mein Büro." "Ich will zu meinem Freund! Was ist mit ihm?" "Mr. Cunningham, ich glaube nicht, dass wir das hier auf dem Flur besprechen sollten. Kommen Sie bitte mit in mein Büro." Jason gab nach und saß kurz darauf vor dem Schreibtisch von Doktor Franklin. Die Ärztin nahm gegenüber Platz, vor dem großen Fenster, hinter dem sich der Park erstreckte. "Nun, Mr. Cunningham, es ist etwas aufgetreten, womit wir nicht gerechnet haben. Angesichts der Vorgeschichte des Patienten ist es aber nur bedingt ungewöhnlich. Ihr Lebensgefährte leidet an etwas, was wir als partielle Amnesie bezeichnen." "Partielle Amnesie...", wiederholte Jason, "Er hat Gedächtnisverlust?!" "So etwas in der Art. Wissen Sie, unser Gehirn, soviel ist der Forschung mittlerweile sicher bekannt, funktioniert als eine Art Wächterorgan unseres Körpers. Wenn ein Schmerz für den Menschen zuviel wird, entscheidet das Gehirn, dass Schutzmaßnahmen in Form einer Ohnmacht notwendig sind. So etwas kann auch bei extremen Traumata auftreten und das von Ihnen beschrieben Szenario kann man wohl getrost als Trauma bezeichnen. Ich gehe davon aus, dass Ihr Freund bei Bewusstsein war, als er lebendig begraben wurde." Jason bekam eine Gänsehaut. Wie musste Chris gelitten haben? "Für das Gehirn von Mr. Fairgate war zu diesem Zeitpunkt, er hatte ja auch vorher schon einiges durchgemacht, wie seine Verletzungen zeigen, der Punkt gekommen, an dem es entschied, dass er Gefahr lief, seinen Verstand angesichts der Schrecken, die er durchmachte, zu verlieren. Und so hat sein Unterbewusstsein Maßnahmen ergriffen. Nicht nur, dass er in diesen komaähnlichen Schockzustand verfiel, ich denke auch, dass das schwere Trauma tief in seinem Gehirn vergraben, wenn nicht sogar ausradiert wurde. Das erklärt den Verlust des Gedächtnisses. Was mich allerdings sehr wundert, ist die Tatsache, wie groß die Lücke ist. Mr. Fairgate war nach Ihren Angaben nur ein paar Tage verschwunden, der Mann mit dem ich aber eben gesprochen habe, denkt er sei ein sechzehnjähriger Junge aus Dallas, Texas. Er ist verängstigt, weiß nicht, wie er hierher in dieses Krankenhaus gekommen ist, und verlangt nach seiner Mutter." "Sechzehn..." Jason sackte in seinem Stuhl zusammen. Hörte dieser Albtraum denn nie auf? "Exakt.", bestätigte die Ärztin. "Chris ist in dieser Zeit von zuhause weg gelaufen... eigentlich war sein Leben von da ab bestimmt von Traumata...", sagte Jason mehr zu sich selbst als zu Doktor Franklin. "In geregelten Bahnen verläuft sein Leben erst seit knapp einem Jahr..." "Das erklärt einiges." "Was kann man da tun?" Ein Ausdruck von Bedauern erschien auf dem Gesicht der Ärztin. "Nicht viel, tut mir leid. Es gibt keine OP für so etwas. Mr. Fairgate ist körperlich gesund, auf sein Unterbewusstsein haben wir keinen Einfluss." "Wann wird er sein Gedächtnis wieder erlangen?" Doktor Franklin klappte die Mappe vor sich zu. "Mr. Cunningham, ich will ehrlich zu Ihnen sein. Es kann passieren, dass er es niemals wieder erlangt. Es kann genauso gut nächste Woche oder in fünf Minuten passieren. Für so etwas gibt es keine Garantien." Am liebsten hätte Jason zum wiederholten Male in den letzten Tagen geweint. Aber er ließ sich nichts anmerken. "Was kann ich da tun, Doktor?" "Haben Sie Geduld mit ihm. Er weiß jetzt, was mit ihm los ist, aber er muss das erst einmal verkraften. Sie müssen sich das vorstellen, als würden Sie abends ins Bett gehen und am nächsten Morgen in einem Körper erwachen, der nicht der Ihre zu sein scheint. So fühlt er sich im Moment. Sobald wir die letzten Testergebnisse haben, sollten Sie mit ihm nach Hause fahren. Bringen Sie ihn in seine gewohnte Umgebung, aber überfordern Sie ihn nicht. Beantworten Sie Fragen, aber bestürmen Sie ihn nicht mit Fakten über sein Leben, auch seine Freunde oder seine Familie dürfen das nicht. Er muss allein zu sich selbst finden oder sich mit seinem neuen Leben vertraut machen. Helfen Sie ihm dabei." Jasons Augen waren feucht, als er kaum mehr fertig brachte, als ein Nicken anzudeuten. Sein Herz schlug bis zum Hals als Jason wenig später das Krankenzimmer von Chris erneut betrat. Sein Freund saß aufrecht im Bett und schaute Fernsehen. Die Nachrichten. "Hallo..." Jason hob etwas unsicher die Hand. "Wer ist dieser Bush? Welcher Idiot hat denn so einen Zausel an die Macht gesetzt?" Jason musste unwillkürlich lachen. "Kein neuer Tobsuchtsanfall. Das ist schon einmal etwas." "Bringt ja auch nichts... dann kommt nur wieder diese Alte und will mich ruhig stellen! Blöde Kuh!" Er schaltete den Fernseher aus und schaute Jason an. "Oh, diesmal nicht halbnackt?" Ein Lächeln umspielte Jasons Mundwinkel. Er kam nicht dagegen an. Eigentlich war es traurig, aber sein Freund benahm sich wirklich so, wie er ihn sich als Teenager vorgestellt hatte. "Entschuldige, wenn ich dich vorhin erschreckt habe." "Na ja, werden Sie mal direkt nach dem Aufwachen in fremder Umgebung von einem halbnackten Kerl besprungen. Das kann einen schon erschrecken..." Er grinste schelmisch. "Selbst wenn es so ein Typ wie Sie ist." "Ich bin Jason. Und du musst mich nicht siezen." "Ich bin Chris. Eigentlich Christopher, aber ich mag den Namen nicht." "Das weiß..." Jason brach ab, stattdessen streckte er Chris die Hand entgegen. "Ich nenne dich Chris, keine Angst." Der Blonde ergriff seine Hand. Der Moment war viel weniger dramatisch als Jason ihn sich vorgestellt hatte und doch zerbrach innerlich sein Herz beim Anblick der totalen Unkenntnis in den Augen seines Freundes. Selbst sein Blick hatte sich verändert. Es war grotesk, das war Chris und doch wieder nicht. Auf jeden Fall war es nicht sein Engel. "Die sagen, ich würde unter Amnesie leiden... ich kapiere nicht wieso... aber es stimmt wohl. Haben Sie mal gesehen, wie alt ich aussehe?!" "Hast du gesehen.", korrigierte Jason. "Und du bist nicht alt. Du bist gerade mal neunundzwanzig." "Das ist alles so verwirrend! Ich weiß nicht, wie ich hierher komme und ich weiß nicht wer Sie... wer du bist! Aber ich sollte dich kennen, oder? Deine überschwängliche Begrüßung lässt darauf schließen." Jason setzte sich neben sein Bett. "Du hattest einen Unfall, deswegen bist du hier. Aber es geht dir wieder gut." Er würde einen Teufel tun und Chris genau erzählen, was mit ihm geschehen war. "Und ich..." Er zögerte kurz. "Ich bin dein Freund." "Mein Freund... Moment mal!" Er legte den Kopf schräg. "Mein Freund wie in "Mein fester Freund"? Also so richtig? Mit Sex und allem?!" Wäre das hier nicht so ernst, hätte Jason am liebsten laut gelacht. Diese Frage, zusammen mit dem Leuchten in Chris' Augen war einfach umwerfend. Er nickte nur. Chris klatschte in die Hände. "Wahnsinn! Das ist wirklich Wahnsinn! Ich lebe also mit einem Kerl zusammen?! Mein Alter wird durchdrehen! Das geschieht ihm Recht!" "Na ja. Da hat sich auch einiges getan, aber das erzählt dir am besten deine Mum, wenn wir wieder in San Francisco sind." "Stopp! San Francisco? Lebe ich nicht mehr in Dallas?!" "Nein, wir wohnen zusammen in San Francisco." "Genial! Dallas war sowieso ein blödes Kaff! Wie gut, dass ich da weg bin. Da wusste sowieso nur Dave, wie ich wirklich war... weißt du, was aus dem geworden ist?" Bei der Erwähnung von Jerrods Namen kochte Wut in Jason hoch. Er verwünschte diesen Mann aus tiefstem Herzen und hoffte, dass er seinen wohlverdienten Platz in der Hölle hatte. "Nein, ich kenne ihn nicht." "Na ja, auch egal. Wann fahren wir nach Frisco?!" Chris' Augen waren voller Vorfreude. "Sobald die letzten Testergebnisse da sind. Aber sag mal... Doktor Franklin sagte, du seiest verängstigt und würdest unbedingt zu deiner Mutter wollen. Das wirkt gar nicht so." Chris zuckte mit den Schultern. "Na ja. Zuerst schon. Aber jetzt weiß ich ja, was los ist... na ja... ist schon alles sehr komisch... aber scheinbar hat es mich nicht übel getroffen, also könnte ich mir das Ganze doch auch mal näher ansehen, oder?" Jason sagte nichts, er lächelte nur und nickte. Irgendwie war es ihm auch lieber. Nach der Beschreibung der Ärztin hatte er ein weinendes Häufchen Elend erwartet, aber so war der junge Chris wohl nicht gewesen. Stattdessen wirkte er eher ein wenig frühreif für sein vermeintliches Alter und ziemlich frech noch dazu. Aber irgendwie waren das auch Züge, die sein Chris irgendwo noch gehabt hatte, besonders die gelegentlichen frechen Anflüge. Vielleicht sollte er die Hoffnung doch noch nicht aufgeben. Und trotz allem schmerzte es ihn. Er hatte gehofft, Chris wieder in die Arme schließen, wieder mit ihm glücklich sein zu können. Diese Hoffnung war fürs Erste dahin. Zwei Tage später war es dann endlich soweit. Jason bog mit seinem Auto, dessen Rücksitze mittlerweile frisch bezogen waren, in die Hillside Street ein. Es hätte kein schönerer Frühlingstag sein können. Knapp eine Woche nach der Katastrophe schien plötzlich alles wieder vollkommen normal zu sein. Normal bis auf die Tatsache, dass sein Beifahrer voller Faszination aus dem Fenster starrte und so hellauf begeistert von der Stadt war, als sei er noch nie im Leben hier gewesen. Sie hatten auf der fahrt recht wenig gesprochen, wie auch sonst in den letzten Tagen. Nach dem guten Anfang, war Chris doch etwas befangen geworden, vor allem wenn es um die Tatsache ging, dass er und Jason ein Paar waren. Zu Jasons Erleichterung hatte sich der HIV-Test als negativ erwiesen, wenigstens etwas war gut gegangen. Vor ihrem Haus hielt Jason an. "Wow! Das ist unsere Bude?!", entfuhr es Chris. "Ja.", antwortete sein Freund und dabei fiel sein Blick auf die Ballons und das Plakat über dem Eingang. Ein bunten Buchstaben stand dort "Welcome home, Chris!". "Werden wir erwartet?" Jason biss sich auf die Lippe. Natürlich wurden sie erwartet. Er hatte Marcus mitgeteilt, dass sie kommen würden, ihm aber noch nichts genaues über Chris' Zustand erzählen können. Das Geräusch der Autotür riss Jason aus seinen Gedanken. Chris war schon ausgestiegen und ging zum Haus hoch. In diesem Moment wurde die Eingangstür aufgerissen und Marcus kam heraus gerannt. Er stürmte auf Chris zu und warf sich in die Arme des älteren Mannes. Colin blieb lächelnd im Türrahmen stehen. So schnell es ging löste Jason seinen Sicherheitsgurt und stürmte aus dem Auto. Chris stand vollkommen verwirrt da und schien nicht so recht zu wissen, ob er die Umarmung des Jungen nun zurück geben sollte oder nicht. Jason erlöste ihn, indem er Marcus sanft aber bestimmt von Chris wegzog. "Was ist denn?" Marcus schaute zwischen Chris und Jason hin und her, auch Colin reckte sich, er hatte bemerkt, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Chris suchte Jasons Blick. "Ähm... ich kenne ihn, oder?" "Was soll das denn?!" Jason nickte nur. "Was soll das heißen?! Er kennt mich?!" "Entschuldige, ich wollte nicht unhöflich sein...", lächelte Chris. "Aber ich weiß leider nicht genau, wer du bist. Tut mir leid." Statt einer Antwort erntete Jason nur einen völlig entsetzten Blick von Marcus. "Ich denke, wir sollten drinnen weiter reden. Das da in der Tür ist übrigens Colin, Marcus' Freund." Chris nickte und ging dann einfach an Marcus vorbei auf Colin zu. Er streckte ihm die Hand entgegen. "Hi, ich bin Chris." "Ähm..." Etwas verdattert schüttelte Colin dem blonden Mann die Hand. Jason und Marc hatten die Beiden mittlerweile erreicht. "Lass mich raten... ich kenne ihn auch?", deutete Chris den Blick des schwarzhaarigen Jungen richtig, indem er Jason dies fragte. "Sind wir hier so etwas wie eine Homo-WG?" "Du kennst ihn, ja." Er zeigte in den Hausflur und ignorierte den zweiten Teil der Frage. "Wie wäre es, wenn du dich ein bisschen umsiehst, vielleicht kommt dir ja etwas bekannt vor. Schau dir einfach alles an." Kaum hatte Chris die Schwelle übertreten, schoss ein schwarz braun weiß geflecktes Fellbündel aus dem Wohnzimmer auf ihn zu. Batman freute sich wie verrückt, sein Herrchen wieder zu sehen. Er sprang wie ein Gummiball vor Chris herum, bis dieser ihn hochhob. "Was für ein süßer Hund. So einen wollte ich auch immer." "Der gehört dir." Jason unterdrückte ein Seufzen, das artete in Arbeit aus. "Cool!", grinste Chris. "Heißt er Batman?" Jason nickte erneut nur. "Genial. Und diese Bude ist der Hammer! Ich schaue mich um, okay?" "Tu dir keinen Zwang an. Wir sind dann im Wohnzimmer." Kaum hatte er das gesagt, verschwand Chris bereits Richtung Obergeschoss. "Was ist hier los?" Marcus stemmte die Hände in die Hüften. "Chris hat Amnesie...", sagte Colin leise, er hatte die Situation richtig interpretiert. "Amnesie?", wiederholte Marcus. "Gedächtnisverlust." "Ich weiß was Amnesie heißt!", pflaumte der Blonde seinen Freund an. "Aber ich will endlich wissen, was passiert ist!" All das erfuhren die Beiden wenig später von Jason. Sie saßen im Wohnzimmer zusammen, Chris war immer noch nicht wieder aufgetaucht, er war nur kurz im Treppenhaus erschienen um zu fragen, ob die vielen Klamotten im Schrank ihm gehören würden. Dann war er wieder verschwunden. "Das ist grauenhaft..." Colin war blass geworden. Allein die Vorstellung, lebendig begraben worden zu sein, schreckte ihn beinahe zu Tode. "Dann versteht ihr aber jetzt, warum er so ist." "Und wann wird er wieder normal?!" Das war das erste, was Marcus sagte, seit Jason mit seiner Erklärung begonnen hatte. "Das kann man nicht sagen. Vielleicht wird er das nie wieder." "Das ist nicht dein Ernst! Wir müssen doch was tun!" "Marcus.", Jason setzte einen mahnenden Ton auf, "Ich bitte dich, sei vernünftig. Die Situation ist für mich genauso schwer, wenn nicht schwerer. Chris erinnert sich nicht einmal mehr daran, dass er mal in mich verliebt war. Aber wir dürfen ihn nicht bedrängen. Er muss allein zu sich zurück finden, wenn überhaupt... und ich weiß nicht einmal, ob das gut ist..." "Was soll denn das heißen?! Willst du nicht, dass er wieder der Alte ist?!" Colin legte den Arm um seinen Freund. "Ich glaube, ich weiß, was Jason meint. Wenn du so etwas durchgemacht hättest und dich nicht mehr daran erinnern könntest, würde ich wohl auch nicht wollen, dass dir diese Last wieder auferlegt wird." "Genau so ist es." Jason lächelte den älteren Jungen an, Colin war sehr reif für sein Alter. "Das heißt du willst die Liebe deines Lebens aufgeben?!" "Wir dürfen nicht so egoistisch denken, Marcus. Natürlich wäre der Verlust für uns Beide am größten, aber denk mal an ihn. Er hat alles vergessen, all seine Dämonen, die ihn quälten. Er hat die Chance wieder von vorne anzufangen." "Und du willst mir weiß machen, dass du so einfach damit leben kannst?!" Jason antwortete nicht. Der Junge hatte Recht. Allein der Gedanke, Chris nie wieder so zu erleben wie er mal war, zerriss ihm fast das Herz... Irgendwann ging auch dieser Tage zu Ende und die Nacht legte sich über die Hillside Street. Colin hatte Marcus nach Hause gebracht bevor Chris wieder herunter gekommen war. Jason hielt es für besser, den blonden Mann zunächst nicht mit seinen vielen Freunden und Bekannten zu überfordern, vor allem weil es Marcus sicher schwer gefallen wäre, nicht doch immer wieder nach zu bohren, ob sich Chris nicht an das Eine oder das Andere erinnerte. Jason konnte ihn nur zu gut verstehen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als alles einfach wieder aufzurollen, sich mit Chris hinzusetzen und ihm alles über sich und ihn zu erzählen, bis die Erinnerung plötzlich wieder kam. Er kam gerade ins Schlafzimmer, als Chris vor dem Spiegel stand. Er trug nichts weiter als Boxershorts und musterte sich eingehend. Am liebsten hätte Jason ihn umarmt, aber er riss sich zusammen. Chris berührte seine Brust und strich darüber, dann weiter über seinen flachen Bauch. "Mir gefallen meine Haare... aber ich hatte mal mehr Muskeln..." "Stimmt, du hast als Junge Football gespielt, nicht wahr?" Jason setzte sich aufs Bett. "Ja, ich war aber nie wirklich gut... wann habe ich damit aufgehört?" "Ist schon eine Weile her.", wich Jason der Frage aus. Chris tastete über sein Gesicht. "Das ist wirklich seltsam... spannend und beängstigend zugleich... ich fühle mich wie sechzehn, aber da im Spiegel ist dieser Mann..." "Ein wunderschöner Mann." Der Blonde drehte sich zu Jason um. "Findest du mich wirklich schön?" "Ich kenne keinen schöneren Mann als dich." "Du siehst aber auch nicht übel aus. Für einen Kerl der schon dreißig ist, meine ich. Deine Muskeln sind scharf." Jason schloss die Augen. Was für ein Dialog war das denn? Er ist ein Teenager, innerlich ist er ein Teenager, rief er sich wieder ins Gedächtnis. Chris ließ das Thema dabei bewenden und ging zu seinem Kleiderschrank. Er öffnete ihn und zog ein weißes Hemd mit hellblauen Applikationen heraus, um es vor sich zu halten. "Was mache ich eigentlich so den ganzen Tag? Habe ich einen coolen Job? Ich wollte immer einen eigenen Nachtclub haben!" Jason lächelte. "Na ja... eigentlich bist du die meiste Zeit hier. Ich hab meinen Job als Polizist und du kümmerst dich um den Haushalt. Und du hast einen Nebenjob in einem Schnellrestaurant. Außerdem kochst du sehr gern und verdammt gut. Dein Traum ist ein Restaurant, kein Club." Chris ließ den Arm mit dem Hemd herunter sinken. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Ich bin dein Heimchen am Herd?! Bin ich so ein Langweiler geworden?! Meine Fresse..." "So würde ich das nicht sehen." "Aber ich!", ereiferte sich Chris. "Meine Güte, gehen wir wenigstens Party machen? Ich meine, hier in San Francisco ist doch sicher eine Menge los. Und ich darf ja jetzt Alkohol trinken, ganz offiziell!" Teenager, Teenager, wiederholte Jason im Kopf. "Nun, wir verbringen die Abende eigentlich meistens hier. Kuscheln, Fernsehen... ab und zu gehen wir mit David und Jeremy weg. Du gehst gern mal Bummeln mit Sly, einem Freund von uns. Wir sind nicht unbedingt Clubgänger. Man muss doch auch nicht jeden Abend feiern." "Oh. Mein. Gott! Ich bin ein Stubenhocker?! Ich fasse das nicht! Was ist denn bei mir bloß schief gelaufen?!" Er schleuderte das Hemd in die Ecke, lief zu Jason hinüber und sank vor ihm in die Hocke. "Tust du mir einen Gefallen? Gehen wir mal zusammen aus? Vielleicht sogar heute?" Der Anblick seiner großen bettelnden Augen war beinahe zuviel für Jason. "Tut mir leid, aber das geht echt nicht. Ich muss dich morgen früh ein paar Stunden allein lassen. Ich gehe auf eine Beerdigung." "Wer ist denn gestorben?", fragte Chris. "Etwa noch einer den ich kennen müsste?" "Nicht wirklich... du hast ihn mal getroffen, aber du musst nicht mit. Ein Kollege von der Arbeit." Jason weigerte sich weiterhin, den Tod von Jim allzu nah an sich heran zu lassen, einfach aus Angst, die Kontrolle zu verlieren. "Tut mir leid für dich." Mit einem Mal war da wieder ein Anflug von Chris, wie Jason ihn kannte. Das Mitgefühl in seinen Augen war echt, keine geheuchelte Anteilnahme weil es sich so gehörte. Aber der Moment währte viel zu kurz, dann stand der Blonde auf und kehrte zum Kleiderschrank zurück. "Macht es dich eigentlich an, mich so zu sehen?" Jason blickte erschrocken auf. "Was?" "Ob es dich scharf macht, wenn ich hier so halbnackt stehe? Ich meine, haben wir wenigstens noch ab und zu Sex, wenn wir schon so langweilig sind?" "Wir haben recht häufig Sex!", lachte Jason. Chris kam wieder zu ihm. "Willst du mit mir schlafen?" "Bitte?!" Chris zuckte mit den Schultern. "Ich meine, da ist doch nichts dabei, oder? Wenn wir eigentlich zusammen sind..." Er strich Jason über den Oberarm. Der Brünette konnte sich nicht mehr zusammen reißen. Er zog Chris an sich, drückte ihn sanft aufs Bett und beugte sich über ihn. Sekunden später trafen sich ihre Lippen. Jason sehnte sich nach Chris' Nähe, nach dem Geruch seines Körpers, nach der Hitze der Leidenschaft, wenn sich sein Freund eng an ihn presste, wenn sie eins waren und es nur sie gab auf der Welt, niemanden sonst. Doch schon der Kuss war vollkommen anders. Chris küsste viel härter, ungestümer als er es früher getan hatte. Es wirkte unerfahren. Plötzlich beendete Jason den Kuss und sah Chris in die Augen. "Warum willst du mit mir schlafen?" "Na ja.... du bist sexy und ich dachte, dass man es mal probieren könnte..." Diese Antwort traf Jason wie ein Messerstich ins Herz. Das war einfach nicht richtig. Dies war noch schlimmer als damals in New York, wo Chris ihm anfangs hatte weiß machen wollen, dass ihr Sex nur eine Geschäftssache war. Das hier war nur Neugier. Keine Sehnsucht oder Leidenschaft, Chris war schlichtweg neugierig, wie Sex war. Er stemmte sich hoch. "Tut mir leid." "Habe ich was falsch gemacht?", wollte Chris verdutzt wissen. "Nein... oder doch... eigentlich nicht, du kannst nichts dafür... Chris, ich..." Jason strich sich durchs Haar. Er saß mit dem Rücken zu Chris auf der Bettkante. "Ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich sehr und ich kann nicht mit dir schlafen, wenn du als Begründung Neugier anführst..." Chris stützte sich auf seine Ellenbogen. "Aber ich dachte, ich tu dir einen Gefallen, wenn wir miteinander schlafen. Du kümmerst dich so nett um mich." Jason wandte sich ruckartig um. "Mach das nie! Verstehst du?! Niemals! Du darfst niemals mit jemandem als Gefälligkeit oder als Gegenleistung für etwas schlafen! Nie!" "Was tickst du denn jetzt so aus? Ich hab doch kein Geld von dir verlangt. Tu nicht so, als wäre ich ein Stricher!" Jason zuckte zusammen. "Verzeih. Ich wollte nicht so überreagieren. Ich liebe dich eben und mache mir Sorgen um dich." Chris blieb still. Er schaute ein wenig an Jason vorbei. "Warum sagst du nichts?" "Ich weiß nicht was... ich meine, du sagst, dass du mich liebst, aber was soll ich darauf antworten... ich kenne dich ja kaum..." Der Brünette stand auf. Seine Bewegung wirkte ein wenig hölzern. "Ich gehe noch duschen...", verkündete er mit emotionsloser Stimme. "Jetzt noch?" Chris sah ihn verständnislos an. "Wenn du meinst... habe ich was falsches gesagt? Ich wollte nicht..." "Schon gut!", wiegelte Jason ab. "Deine Seite ist rechts, falls du dich schon hinlegen willst." Er wartete keine Antwort ab, sondern ging mit großen Schritten ins Bad, wo er sofort die Tür hinter sich schloss. Eilig zerrte er sich die Kleider vom Leib, drehte die Dusche auf und trat sofort unter den Strahl, ungeachtete der Wassertemperatur. Es war ein wenig zu kühl, aber das ignorierte er einfach. Jason hielt das Gesicht in den Strahl und ließ das Wasser auf seine Haut prasseln. Er stützte sich mit beiden Armen an der Wand ab und schaute zu Boden, das Nass perlte an seinem Gesicht und seinem ganzen Körper nach unten. Dann fing er an zu weinen. So heftig, wie noch nie seinem Leben. Nur ein Gedanke hämmerte durch seinen Kopf: Womit haben wir das verdient?! Als er viel später ins Schlafzimmer zurückkehrte, lag Chris schon zusammengerollt im Bett. Jason machte kein Licht an, sondern ging ums Bett herum und stieg auf seiner Seite hinein. Chris schien zu schlafen, also drehte sich Jason nach links und starrte die Wand an. Sein Freund schaute nach rechts. Zwischen ihnen war eine Kluft, nicht nur eine emotionale, sondern auch eine deutlich sichtbare. So nah beieinander und gleichzeitig so weit entfernt vom Anderen hatten sie noch nie geschlafen. Jason konnte sich nicht einmal erinnern, ob sie jemals eingeschlafen waren, ohne vorher zumindest etwas gekuschelt zu haben. Auch Chris schlief noch nicht. Er hatte die Augen geöffnet, kaum das Jason im Bett gelegen hatte, und blickte ebenfalls in die Dunkelheit. Aber etwas zu sagen, wagte keiner von Beiden. Es war ein schöner Frühlingstag in San Francisco, als Jim Matthew Mayer begraben wurde. Ein sanfter Wind wehte über den Friedhof und bewegte die ersten Blumen des Frühjahrs. Die Sonne schien und die Luft roch nach Ozean. Doch nicht für jeden war dies ein schöner Tag. Jason stand mit versteinerter Miene neben dem Grab seines Kollegen, zusammen mit einer Vielzahl von Mitarbeitern des Departments. Auch Jims Familie war vollzählig anwesend. Seine Mutter weinte fürchterlich an der Schulter ihres Mannes. Der Priester fand tröstende Worte, Worte des Lobes, für einen Mann, der viel zu früh aus dem Leben gerissen worden war. Neben Jason stand George Carmichael, einer der Kollegen, die näher mit Jim zusammen gearbeitet hatten, als der New Yorker. "Das du dich hierher traust, ist eine Frechheit!", sagte George plötzlich leise an Jason gewandt, kaum das der Priester seine Andacht beendet hatte. Der Brünette sah ihn verständnislos an. "Was soll das heißen?" "Das soll heißen, dass viele Kollegen es gar nicht gut finden, dass du dich hier herumtreibst." "George, bitte, ich denke Jim hat nicht verdient, dass wir das hier austragen..." "Ach, es gibt noch ganz andere Dinge, die Jim nicht verdient hatte.", gab George in ätzendem Ton zurück. Jasons Blick irrte zu Ash, der gerade den Eltern sein Beileid aussprach. "Worauf willst du hinaus, Carmichael?" "Darauf, dass schon wieder ein guter Cop krepieren musste, weil es darum ging, deinen Stecher zu beschützen." Jason glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. "Was bildest du dir...?" "Ach komm schon, Cunningham, ist doch wahr!", unterbrach ihn George. "Die meisten Anderen sind nur zu feige es dir ins Gesicht zu sagen! Wegen dir und deiner Schwuchtel sind Mayer und Forbes drauf gegangen." Der Brünette ballte die Fäuste so fest, dass es weh tat. Er war sich sicher, wenn George nur noch ein Wort sagte, würde er sich vergessen und ihn verprügeln. Jim würde das sicher gefallen, er hatte solche Reden immer gehasst. "Soll ich dir was sagen? Die Meisten hier würde es wesentlich besser finden, wenn du da in dem Loch liegen würdest, und nicht Mayer. Am besten noch statt Forbes." Jason gefror regelrecht. Er hatte nicht mehr die Kraft etwas zu erwidern. Er öffnete die Faust wieder und sah seinen Kollegen voller Entsetzen an. Seine Augen verrieten, dass er es absolut ernst meinte. Jason schaute in die Runde und wo er hinsah, erkannte er mit einem Mal Abscheu und Feindseligkeit in den Blicken der Männer, mit denen er Jahrelang gearbeitet hatte. George verzog das Gesicht und ließ ihn einfach stehen, genau in dem Moment da Ashton zu ihm kam. "Was hattest du denn mit Carmichael zu bereden? Das ist doch der letzte Idiot." Jason starrte auf Jims Sarg. "Nichts... ist schon gut..." Ash berührte ihn an der Schulter. "Ich glaube dir nicht wirklich." "Es ist alles okay. Komm, lass uns gehen." Er bekreuzigte sich und floh regelrecht vor den Blicken der sich zerstreuenden Trauergemeinde. Jason bemühte sich, aufrecht und ungebrochen vom Grab weg zu gehen, innerlich aber fühlte er sich leer und ausgebrannt. Und doch hatten Ash und er heute noch eine weitere traurige Pflicht. In einem abgelegenen Winkel des Friedhofes, weit ab von den großen Grabsteinen und den teuren Gruften, fand das Begräbnis von Lenhardt Webster statt, jenem armen Stricher, dessen Leben vollkommen sinnlos von Dave beendet worden war. Jason und Ash waren die einzigen Trauergäste. Lenhardts Vater wohnte in einem Vorort der Stadt, Ash hatte ihn angerufen. Er hatte nur einen Satz gesagt, bevor er aufgelegte: "Ich habe keinen Sohn!" Die Partner hatten beschlossen, für Lenhardt's Beerdigung aufzukommen. So bekam er wenigstens die letzte Ehre und ein schlichtes Kreuz mit seinem Namen darauf, statt anonym irgendwo verscharrt zu werden. Ash und Jason standen mit gefalteten Händen neben dem bereits geschlossenen Grab mit dem einfachen Sarg darin und hörten dem Priester zu. Diesmal gab es keine ausufernde Lobesrede auf die Tugenden des Verstorbenen. Schon bald hatte der Geistliche seine Pflicht getan und verabschiedete sich von Jason und seinem Partner. "Armer Kerl...", sagte Ash leise. "Manchmal habe ich Angst, auch so zu enden... niemand auf meiner Beerdigung..." "Was redest du da für einen Unsinn? Außerdem solltest du in deinem Alter über so etwas noch nicht einmal nachdenken." Ash lächelte. "Und wenn es dich tröstet: Ich würde kommen." "Spinner..." Obwohl ihm nicht danach war, musste Jason auch lächeln. Ash schob die blonden Strähnen aus seinem Gesicht, die ihm der Wind hinein wehte. "Wie geht es Chris?" "Ich weiß nicht... er ist da und auch wieder nicht..." Jason seufzte. "Manchmal habe ich das Gefühl, dass Dave doch erreicht hat, was er wollte. Er hat Chris nicht bekommen und ich habe ihn auch nicht wieder..." Ash zog Jason in seinen Arm und hielt ihn fest. Er spürte, dass sein Partner genau das in diesem Moment brauchte. Jemandem, der ihm zumindest ein wenig Kraft gab. "Mein Engel ist in dieser Hölle in Pinewood Creeks gestorben...", flüsterte Jason. "Mein Engel ist tot, Ash..." Jason schloss die Tür auf und feuerte seine Jacke an die Garderobe im Hausflur. Seit er sich auf dem Friedhof von Ash verabschiedet hatte, war ihm kontinuierlich nach Weinen zumute. So schwach, so verletzlich und niedergeschmettert hatte er sich noch nie in seinem Leben gefühlt. Es kostete ihn all seine Kraft, die Fassade von Stärke und Gefasstheit aufrecht zu erhalten, die er so sorgsam um sich aufgebaut hatte. Er war immer stark gewesen. Er war für Chris da, beschützte ihn. Aber in Wirklichkeit war es anders. Chris war sein Schutz. Er brauchte ihn wahrscheinlich noch viel mehr, als Chris ihn brauchte, das wurde ihm in diesem Moment klar. Am liebsten hätte er Chris jetzt einfach in den Arm genommen, aber das war einfach nicht dasselbe. Als er das Wohnzimmer betrat, blieb er verdutzt stehen. Auf dem Sofa saß eine Frau mittleren Alters und streichelte Batman. Der kleine Rüde stürmte freudig auf Jason zu. Die Frau stand auf. "Schön Sie endlich persönlich kennen zu lernen, Jason." Nun erkannte er sie und zwar an der Stimme. "Mrs. McKay!" Jason kam auf sie zu und schüttelte ihre Hand. "Ich hatte noch gar nicht mit Ihnen gerechnet. Chris wird sich sehr freuen. Hat er Sie rein gelassen?" Chris' Mutter druckste ein wenig herum. "Ja... das hat er." "Wo ist er? Kocht er Kaffee? Er kennt sich hier doch gar nicht aus... zumindest nicht mehr." "Er ist... nun ja..." Sie lächelte etwas unsicher. "Er ist oben... und packt." Jason zog die Augenbraue hoch. "Er packt? Was soll das denn?" Kathy-Sue McKay atmete tief ein. "Er packt seine Sachen, weil ich ihn mit nach Dallas nehmen will." ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ That's it! Entgegen meiner Vermutung gibt es nun doch noch ein Kapitel vor Weihnachten und bevor mein Laptop in die Reparatur geht. Wegen Verpflichtungen an der Uni kann ich ihn nämlich erst kommenden Montag (19.12.) abgeben und ich habe es tatsächlich geschafft, innerhalb von gerade einmal vier Tage knapp dreißig Seiten zu schreiben und das alles in Nachtarbeit *lol* So seid ihr wenigstens alle von dem Warten auf das Ende der Dave-Handlung befreit. Das war es, Leute! Show's over! ^^ Natürlich nur was die Entführung angeht, denn Remember the promise you made ist damit noch lange nicht vorbei. Wie angekündigt, hat sich der Status Quo verändert. Chris' Liebe zu Jason ist Geschichte... ob endgültig oder nicht wird sich noch herausstellen. Aber wie auch immer, Chris wird wohl nie wieder ganz der Alte, denn selbst wenn er sein Gedächtnis wieder erlangen sollte, wird er wohl kaum das Erlebte so einfach wegstecken wie nach der Sache am Anfang der Geschichte. Und Jason weiß nun, dass außer Ash eigentlich niemand auf dem Department ihn leiden kann, was auch ihn zu drastischen Veränderungen bewegen wird. Das Alles schafft mir aber gleichzeitig neues Potenzial für Konflikte und frische Geschichten. Die anderen Charas offenbaren hier nicht Neues, nur Ash zeigt eine dunkle Seite, obwohl die nicht weiter ausgeführte Folter an Dave wahrscheinlich niemanden zu Schüben von Mitleid verleitet. Ursprünglich sollte es auch Ash sein, der Dave letztendlich tötet, aber ich habe dieses Privileg dann doch Jason überlassen. Dieses Kapitel ist etwas besonderes, geht doch eine über fünf Kapitel erstreckte Storyline zu Ende, die straffer und fixierter als sonst angelegt war... und der Story zwei Adultkapitel (diesmal setze ich das hier sofort als Adult on) bescherte, was in dieser Art nie geplant war... keine Angst, ab jetzt wird es wieder jugendfrei, versprochen! Bevor jemand fragt: Nein, Jim gehört nicht zu meiner "Todesliste", sein Ende war eine spontane Idee und leider wohl ein wenig vorhersehbar, wie mir Kommentare zum letzten Kapitel verrieten. Aber er musste sterben, um die am Ende vorherrschende Situation heraufzubeschwören und die Krise von Jason zu verstärken. Aber mal Hand aufs Herz: Wer hat befürchtet, dass ich auch Ash erledigt hätte? *g* Zuletzt wäre da noch die Szene mit Alex, die endlich Klarheit über seine Intentionen schafft und bei all dem Misstrauen ihm gegenüber wohl nicht unbedingt unerwartet kommt. Sie ist in ihrem Ablauf von der beeindruckenden Szene zwischen Brees Sohn Andrew und dem Priester gegen Ende der ersten Desperate Housewives Staffel inspiriert... auch wenn ich Andrews geniale Analogie von Schokoladen- und Vanilleeis, um seine Küsse mit Justin zu erklären, hier nicht benutzen konnte. ^^ Trotzdem eine Verbeugung vor dem erschreckenden Soziopathen Andrew van de Kamp *g* Ach ja, bevor ich endlich zum Schluss komme: Bitte, bitte, schlagt mich nicht für die triefige Szene mit dem Schlaflied. Da ist es einfach mit mir durchgegangen. Der Song stammt vom Pretty Cure Soundtrack und lief am Ende der letzten Episode. Ich habe ihn im Zug auf Dauerrepeat gehört und mir ist dabei diese Szene in den Sinn gekommen, die natürlich in einer Fernsehserie weit wirkungsvoller als in einer Geschichte ist... aber ich bin mit dem Ergebnis durchaus zufrieden. Selbiges gilt für das Finale mit Dave. Uly I, ich hoffe, du hältst diesen Abgang für würdig. Das Lob aus deinem Munde ist mir in dieser Sache sehr wichtig ^^ Bevor das Nachwort jetzt noch Seite 31 streift, höre ich lieber auf, aber besondere Kapitel brauchen besonders viel Gequatsche von Uly II *lol* Also trotz aller Düsternis in diesem Abschnitt ein besinnliches Weihnachtsfest euch allen und einen guten Rutsch in ein tolles Jahr 2006!!! Wir sehen uns!!! *alle kräftig knuddel* Euer Uly ^^ PS: Ein Cliffhanger... *d'oh* Ich kann es nicht lassen *lol* Kapitel 32: Total eclipse of the Heart -------------------------------------- Zuckerfee gewidmet *knuddel* Jason fixierte Chris' Mutter, als wolle er ihr jeden Moment an den Hals springen. "Mrs. McKay... ich hatte einen wirklich beschissenen Tag, ich bin nicht in der Stimmung für Scherze." "Jason, Sie müssen das verstehen." Sie schien hilflos. "Ich muss gar nichts!" Jason platzte der Kragen, er hob seine Stimme weit über das eigentlich höfliche Maß. "Sie werden ihn mir nicht wegnehmen, haben Sie das verstanden?! Und überhaupt, was bilden Sie sich ein?! Mag sein, dass er sich fühlt wie ein Sechzehnjähriger, aber er ist immer noch fast dreißig! Sie haben kein Recht, ihm zu befehlen, mit Ihnen zu gehen!" "Das musste ich nicht.", entgegnete Mrs. McKay ruhig, obwohl Jasons Ausbruch sie sichtlich erschreckt hatte, "Er möchte mitgehen." "Ich fasse es nicht!" Jason schüttelte den Kopf und stützte sich schwer atmend an den Türrahmen des Wohnzimmers. "Jason, Sie müssen an ihn denken. Daran, was für ihn am besten ist." "Was für ihn am besten ist?!" Jason machte sich nicht die Mühe, die Frau wieder an zu sehen. "Sie denken wirklich, dass es das Beste für ihn ist, ihn aus seiner gewohnten Umgebung zu reißen?!" "Seine gewohnte Umgebung ist in Dallas!" "Und was soll er da?! Mit seinen mittlerweile erwachsenen Schulkameraden Baseballkarten tauschen?! Hier sind die Menschen, die ihn lieben!" Kathy-Sue stemmte die Hände in die Hüften. "Was erlauben Sie sich?! Wollen Sie behaupten, ich würde ihn nicht lieben?!" Jasons Kopf ruckte herum. Er fixierte Chris' Mum kampflustig. "Natürlich lieben Sie ihn, aber wer hat ihn von der Straße geholt?! Sie oder ich?!" Er zog die Augenbrauen in Erwartung hoch, fuhr dann aber gleich fort. "Wer hat ihm mittlerweile zweimal das Leben gerettet?! Sie oder ich?! Wer war für ihn da, hat ihm ein richtiges Zuhause gegeben?! Sie oder ich?! Wer hat ihn ermutigt, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen?! Sie oder ich?!" Mit jedem "Sie oder ich" war er lauter geworden, immer näher zu Mrs. McKay gekommen. "Und trotz allem bin ich seine Mutter!" "Eine Mutter, die sich jahrelang einen Dreck um ihn geschert hat!" Kathy-Sue rutschte die Hand aus. Sie verpasste Jason eine Ohrfeige. "Sie sind ein Ekel!" "Nein, ich bin hier nur scheinbar der Einzige, der noch normal ist! Mein Chef ist sauer auf mich, weil ich eigenmächtig einen Psychopathen zur Strecke gebracht hab, nur weil er auf seinem Arsch saß und nur an Publicity gedacht hat! Meine Kollegen wünschen mir den Tod, weil bei Chris' Rettung ein Cop, den ich sehr gern hatte, drauf gegangen ist! Ich muss hier damit klar kommen, dass der Mann, den ich über alles liebe, mich ansieht und mir sagt, dass meine Muskeln geil seien! Mein ganzes Leben bricht auseinander und Sie spazieren hier seelenruhig rein und wollen mir das Letzte nehmen, was mir noch geblieben ist! Kein Mensch auf der Welt bedeutet mir mehr als Chris! Und wenn ich Sie eigenhändig aus meinem Haus werfe, Sie werden ihn mir nicht wegnehmen!" "Wagen Sie es, mich anzurühren und ich..." "Mum? Jason?" Beide schauten sich erschrocken um. Chris stand am Fuß der Treppe und sah etwas unsicher auf die Streitenden im Wohnzimmer. "Bitte... streitet euch nicht wegen mir..." "Wolltest du nicht packen?", fragte seine Mutter, ungeachtet der bösen Blicke Jasons. "Ich habe die ganze Zeit da oben herum gesessen und nachgedacht." "Chris, bitte geh nicht...", fing Jason an, verstummte jedoch, als der Blonde die Hand hob und ihm deutete, aufzuhören. "Ich werde nicht nach Dallas gehen." "Aber warum nicht?" Kathy-Sue sah ihren Sohn verständnislos an. Chris machte eine ausladende Handbewegung durch den Flur. "Weil das hier mein Zuhause ist, Mum. Auch wenn ich mich nicht daran erinnern kann. Schau dir die Fotos an den Wänden an, das bin ich! Ich weiß nicht genau, wer die Menschen darauf sind, aber ich bin bei ihnen. Im Wohnzimmer liegen Bücher, in denen mein Name steht, in meinem Nachtschrank liegt ein angefangener Roman... das hier ist mein Leben... und... hier sind die Menschen, die mich am meisten brauchen..." Er lächelte Jason an, der nicht anders konnte, als ihn stürmisch in die Arme zu schließen. Kathy-Sue McKay stand verloren im Wohnzimmer herum. "Dann werde ich wohl nicht mehr gebraucht." "Mum..." Chris löste sich von Jason. "So ist das doch nicht gemeint." "Mrs. McKay, ich wollte nicht..." "Doch, Sie wollten.", unterbrach sie den Brünetten, "Was Sie mir da gesagt haben, war Ihr vollkommener Ernst." "Mum, bitte sei ihm nicht böse." "Na ja, ich habe schon verstanden, dass ich hier unerwünscht bin." Jason ging an Chris vorbei zu dessen Mutter. Bevor sie sich wehren konnte, nahm er ihre Hand. "Mrs. McKay. Ich möchte mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Ich hatte kein Recht, so mit Ihnen zu sprechen. Aber sie müssen mich verstehen, der Gedanke, Ihren Sohn zu verlieren... das macht mich verrückt... Ihr Sohn, er..." Jason brach ab. Er wollte Mrs. McKay alles sagen, ihr erzählen, wie viel er für Chris empfand, doch er spürte deutlich die neugierigen Blicke des blonden Mannes. Und er wollte ihn auf keinen Fall, dass Chris sich unter Druck gesetzt fühlte. "Ich glaube eher, dass Sie sich nur bei mir entschuldigen, weil Sie ihren Willen gekriegt haben und Chris bei Ihnen bleibt." Jason stemmte die Hände in die Hüften. "Mehr als entschuldigen kann ich mich nicht. Ich werde nicht vor Ihnen auf den Knien rutschen. Sie haben über meinen Kopf hinweg beschlossen, dass Chris von hier weg soll, also sollten auch Sie sich bei mir entschuldigen." Mrs. McKay schnaubte und ging dann einfach in Richtung Flur. "Mum!" Chris klang verzweifelt. "Es tut mir leid, Chris, aber alles muss ich mir auch nicht bieten lassen. Du weißt in welchem Hotel ich wohne." Damit ging sie und die Haustür fiel ins Schloss. Chris verschränkte die Arme vor der Brust und fixierte den Mann, der sein Freund war, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte. "Warum musste das sein?" "Wenn du sie in Schutz nehmen willst, dann mach das bitte allein. Das ertrage ich nicht auch noch." "Sie meinte es doch nur gut!" "Alle meinen es immer nur gut! Mein Kollege meinte es sicher auch nur gut, als er mir den Tod gewünscht hat!" Jason machte seinem Unmut Luft und trat heftig gegen die Couch. Mit dem Ergebnis, dass ihm der Fuß wehtat. "Was?" "Du hast doch verstanden, was ich gesagt habe." "Willst du darüber reden?" "Nein!" Jason stürmte in den Wintergarten, eigentlich eher ziellos. Er blieb vor den Fenstern zum Garten stehen und schaute hinaus. Chris kam ihm hinterher. Wortlos trat er zu dem größeren Mann, stellte sich hinter ihn und legte die Arme um ihn. "Warum machst du das?" "Weil ich das Gefühl habe, dass du genau das brauchst." Wie Recht er doch hatte. Jason konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als die Nähe zu Chris. Und trotzdem war es nicht dasselbe. Aber im Moment war das Gefühl fast wieder wie früher. Und genau das tat gleichzeitig gut und schrecklich weh. Jason kam nicht dagegen an, all die verschütteten Gefühle, die nach außen getragene Kraft, der Schock wegen der Abscheu seiner Kollegen. Er sackte regelrecht in Chris' Armen zusammen und fing an zu weinen. Chris hielt ihn fest, obwohl er sichtlich mit der Situation überfordert war. Er streichelte Jason über den Rücken. Es lag ihm auf der Zunge "Alles wird gut" zu sagen, aber über die Lippen bekam er die Worte nicht. In dieser Nacht fand Jason keinen Schlaf. Unruhig drehte er sich von links nach rechts, drückte sein Kissen zurecht, deckte ein Bein ab, direkt darauf wieder zu. Immer wieder irrte sein Blick in Richtung Wecker, die Minuten verstrichen und hatten sich mittlerweile zu anderthalb Stunden gemausert. Trotz der Decke war ihm kalt. Emotional. Er hörte Chris' Atemgeräusche neben sich, spürte den übermächtigen Drang, ihn in den Arm zu nehmen, und traute es sich gleichzeitig nicht. Sie hatten den ganzen Tag kaum ein Wort miteinander gewechselt, schon fast eine Gewohnheit. Chris schien die Räume zu suchen, in denen Jason sich gerade nicht aufhielt, spielte mit Batman im Garten oder wanderte ziellos durchs Haus, durchwühlte Schränke und Schubladen. Jason konnte es ihm noch nicht einmal verdenken, die Situation war nicht leicht und der Disput mit seiner Mutter hatte da sicher auch nicht geholfen. Zudem hatte er das Gefühl, dass Chris sich in seiner Anwesenheit etwas bedrängt fühlte, vielleicht durch das Wissen um ihre ehemalige Verbindung. Jason hatte die Zeit genutzt und ein langes Telefonat mit David geführt, der bald aus dem Krankenhaus entlassen werden wollte. Er hatte seinen besten Freund über alles was geschehen war genauer aufgeklärt. Aber ein anderer Gedanke ließ ihn nicht los. Die Angst vor dem nächsten Tag, vor der Arbeit. Was ihm sein Kollege auf der Beerdigung gesagt hatte, hatte sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt, die Ablehnung im Blick der anderen würde er so schnell auch nicht vergessen. "Du nervst etwas, lieg endlich mal still!" Jason setzte sich abrupt auf. "Du bist wach?" "Kunststück! Wie soll man neben dir auch pennen?", knurrte Chris in die andere Richtung, mit dem Gesicht halb im Kissen. "Entschuldige. Soll ich im Gästezimmer schlafen?" "Bloß nicht, ich fühle mich allein in dieser fremden Umgebung nicht wohl." Jason musste schmunzeln, irgendwie niedlich. "Willst du mir was sagen?", unterbrach Chris seine Gedanken. "Nein, wieso?" "Hätte ja sein können... ich meine, du bist ja nicht gerade ein Typ, der gern seine weiche Seite rauslässt, aber vielleicht ist da ja was, was du loswerden möchtest." "Wie meinst du denn das jetzt?", fragte Jason verdutzt. "Ach komm." Chris setzte sich ebenfalls auf. Jasons Augen hatten sich soweit an die Dunkelheit gewöhnt, dass er sehen konnte, wie die blonden Haare seines Freundes um dessen Gesicht herum fielen. "Die Nummer mit dem Flennen unter der Dusche ist doch nicht gerade unauffällig." "Ich habe nicht..." Er brach ab. "Woher weißt du das?" "Na ja, das lag nahe. Du warst gestern Abend so komisch und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass du gleich in Tränen ausbrichst." "Beeindruckend, aber du hast mich schon immer schnell durchschaut." "Habe ich das?" Das klang fast gleichgültig. "Waren wir etwa eines dieser schmalzigen Paare, die schon beinahe die Sätze des Anderen zu Ende sprechen können?" "Hältst du nicht viel von Romantik und Vertrautheit? Das wirkte heute im Wintergarten anders." "Je vertrauter man ist, umso langweiliger wird es, so sehe ich das. Ich habe dich vorhin umarmt, weil ich das Gefühl hatte, dass du sonst durchdrehen würdest, ich wollte dir helfen, mehr nicht." Jason hätte fast geseufzt. So war Chris in seiner Jugend drauf gewesen? Da war ihm ja fast der bemüht kühle Stricher aus New Yorker lieber, denn das war damals nur aufgesetzt gewesen, tief drinnen hatte sich Chris nach Liebe gesehnt. Aber das hier war nicht aufgesetzt, das war seine echte Überzeugung. "Na ja, mich beschäftigt schon etwas, aber das hat ausnahmsweise nichts mit dir zu tun...", wechselte er das Thema, bevor es noch schmerzhafter wurde. "Dann sag schon, damit wir vielleicht noch etwas Schlaf kriegen." "Die Arbeit." "Ach ne, vorhin wolltest du doch nicht darüber reden!" "Ich habe mich halt geirrt!" Langsam machte Jason diese etwas großkotzige Art wütend. "Schieß los." Jason atmete tief ein, um sich selbst zu beruhigen, Chris konnte ja nichts dafür, dass er seine Erwartungen von dem verständnisvollen Partner, den er kannte, nicht erfüllte. "Meine Kollegen geben mir die Schuld am Tod eines Polizisten... und an dem meines ehemaligen Partners. Sie wissen, dass ich schwul bin, und seitdem bin ich bei den meisten vollkommen unten durch." "Und warum lässt du dich von diesen homofeindlichen Arschlöcher traktieren? Ist dir der Job so wichtig?" "Irgendwie muss ich schließlich Geld verdienen und Polizist war schon immer mein Traumberuf." "Sexy." "Was?" "Ich würde ich gern mal in Uniform sehen.", grinste Chris. "Vielleicht sollten wir lieber schlafen...", stöhnte Jason entnervt. "Nein! Schon okay, sei doch nicht gleich eingeschnappt!" Der Blonde schob sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. "Im Ernst, warum lässt du das mit dir machen?" Jason wusste keine Antwort darauf. Klar, da war der Aspekt des Geldes, aber war es das wert, sich das Leben zur Hölle machen zu lassen? Er hatte noch ein bisschen was auf der hohen Kante von der Belohnung damals und vom Verkauf der alten Wohnung. Aber sollte er wirklich...? "Hallo? Spielst du jetzt den schweigsamen Grübler und ignorierst mich?" "Entschuldige, ich habe nur nachgedacht." "Das habe ich gemerkt. Willst du denn jetzt reden oder nicht?" "Schon okay... schlaf ruhig." "Dann lieg jetzt aber auch still!", lachte Chris und drehte sich dann einfach um. Jason tat es ihm nach. "Danke, dass du so nett zu mir bist." Der Brünette hob den Kopf. "Was hast du eben gesagt?" "Ich weiß, dass ich nicht dem entspreche, was du kennst... danke, dass du nicht ausrastest oder so... Schlaf gut." "Du auch." Jason verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah zur Decke. Das war wieder vollkommen anders als der Chris vorher. Sollte er sich getäuscht haben? Vielleicht war Chris in seiner Jugend viel eher wie Marcus gewesen. Der Junge kehrte gern den Coolen raus, war aber eigentlich sehr lieb und verletzlich. Und je mehr er darüber nachdachte, umso logisch wurde dieser Ansatz. Schließlich musste irgendetwas von seinem Chris auch schon damals vorhanden gewesen sein, sonst hätte die Zeit auf der Straße eher den umgekehrten Effekt gehabt. Vielleicht bestand doch noch Hoffnung. Und endlich konnte er einschlafen. Am nächsten Morgen saß Jason in Chief Carters Büro. Vollkommen entspannt. Er hörte sich die Standpauke seines Chefs mit geradezu unnatürlicher Gelassenheit an. Ash neben ihm wirkt dagegen genervt, er kannte den Text schon. Jason musterte ihn beiläufig. Er sah übernächtigt aus, wahrscheinlich ließ ihn die Erinnerung nicht gut schlafen. Unter den stechenden blauen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. "... und deshalb wünsche ich, dass solche Aktionen demnächst mit mir abgesprochen werden. Noch ein weiterer Alleingang dieser Art und ich muss Sie Beide degradieren. Wir müssen auch ein wenig an das Image der Polizei denken. Haben Sie dazu noch etwas zu sagen?" Jason blickte auf. "Ja." "Nun, ich höre, Detective Cunningham." Jason sagte ein paar Sekunden nichts, jetzt war noch Zeit für einen Rückzieher, aber er hatte nicht vor, einen zu machen. "Ich kündige." "Was?!" Ash schaute entsetzt zu seinem Partner. "Was soll das, Detective?" "Ich habe einfach genug, Sir. Ich hab diesen Beruf ergriffen, weil es hier um Gerechtigkeit gehen sollte und nicht um Prestige und Publicity. Außerdem sollte jeder gleich behandelt werden, sowohl diejenigen, denen geholfen werden muss, als auch unter den Kollegen. Als mein Freund verschwunden war, haben das alle außer Jim und Ash, Sie eingeschlossen, als Lappalie abgetan. Der Freund eines Schwulen ist verschwunden, der hat ihn einfach nur verlassen! Ich gehe jede Wette ein, dass wenn die Frau, vielleicht sogar nur die Freundin, eines Kollegen plötzlich wie vom Erdboden verschwunden wäre, sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt würden, um sie zu finden. Dank Ihnen und meiner geschätzten Kollegen, wäre mein Freund beinahe gestorben. Hätten Sie gleich Ihren Arsch bewegt, hätte es gar nicht soweit kommen müssen. Und jetzt verurteilen Sie uns wegen dieser eigenmächtigen Aktion. Wenn man mir geholfen hätte, dann hätte Jim vielleicht nicht einmal sterben müssen, aber was ist? Man gibt mir die Schuld an seinem Tod. Damit meine ich jetzt nicht Sie, ich will Ihnen da nichts unterstellen.", fügte er schnell hinzu, als er bemerkte, wie Carter sich spannte, "aber trotzdem ist mir diese ganze Arbeitssituation zuwider. Außerdem hat mein Freund Schäden davon getragen und ich will für ihn da sein." Der Chief rückte seinen Sessel zurecht. "Ist das Ihr letztes Wort?" "Ja, Sir." Jason zog seine Marke von der Hose und die Waffe aus dem Halfter und legte beides auf den Tisch. Er blieb gleich stehen. Ash war blass geworden. "Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihre Kündigung anzunehmen, Detective. Es tut mir sehr leid." "Ich weiß nicht, ob es mir leid tut. Vielen Dank, Sir." Jason nickte und verließ dann einfach das Büro. Er verabschiedete sich von Phyllis Hoover und ging dann erhobenen Kopfs in seinen eigenen Raum zurück. Ash folgte ihm. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, legte der Blonde los. "Was hast du dir denn dabei gedacht?!" "Ash, bitte, reg dich jetzt nicht auf." Jason fing an, seine Sachen in eine Kiste zu packen, die in einer Ecke des Raumes gestanden hatte, den Anfang machte das Foto von Chris. "Ich soll mich nicht aufregen?! Wann hattest du vor, mir das zu sagen?! Du lässt mich hängen, siehst du das nicht?!" Jason hielt mit seiner Arbeit inne. "Du findest einen neuen Partner, von dir weiß doch keiner, dass du schwul bist." "Ich will aber keinen neuen Partner! Du bist mein Partner! Du!" Sein Gegenüber blieb weiterhin ruhig. "Ash, du tust gerade so, als wäre dies das Ende unserer Freundschaft. Wir arbeiten nur nicht mehr zusammen." "Du verstehst mich nicht. Jason, wir sind zusammen durch die Hölle gegangen. Wie kannst du dich von ein paar Arschlöcher einfach entmutigen lassen?!" "Ash, es ist mehr als das!" Der Blonde stemmte die Hände in die Hüften. "Was hat Carmichael dir auf der Beerdigung gesagt?! Raus damit! Ich will es wissen, bevor ich ihn mir vorknöpfe!" "Lass das bitte..." Jason ging um den Tisch herum und stellte sich vor Ash, um ihm die Hand auf die Schulter zu legen. "Ich bin dir dankbar, aber es würde doch auch nichts ändern. Mit meinem Outing hat sich hier etwas verändert und der Tod von Jim hat das alles auf die Spitze getrieben. Ich weiß, ich sollte stark sein, aber noch so eine emotionale Belastung halte ich nicht aus. Und so kann ich auch besser für Chris da sein." "Aber wovon willst du leben?" Ash klang verzweifelt. "Chris hat doch auch keine Arbeit, sein Job in dem Restaurant dürfte ja wohl dahin sein." "Ich habe noch etwas gespart von damals, davon kommen wir erst einmal über die Runden und dann sehe ich weiter..." Mit einem Mal zog Ash seinen ehemaligen Partner an sich und umarmte ihn. "Ich werde dich hier vermissen, du Mistkerl!", lächelte er. Jason legte seine Hände auf den breiten Rücken des Anderen. "Du tust schon wieder so, als würden wir uns nie wieder sehen. Wir werden immer Freunde bleiben, ich werde dir nie vergessen, wie du Chris und mir geholfen hast." "Versprochen?" Der Brünette nickte nur. Das war richtig niedlich, Ash, der harte Kerl, der Ex-Marine, plötzlich ganz zahm. "Wenn du Hilfe brauchst, wenn ich etwas für dich oder Chris tun kann, lass es mich wissen, ja?" "Klar. Vielleicht können wir ja morgen oder so mal essen gehen." "Gern." Sie lösten sich voneinander und Jason beendete mit Ash's Hilfe seine Packarbeiten. Als er mit seinem vollen Karton in das Großraumbüro hinaus trat, wurde es plötzlich still, fast alle schauten zu ihm hin. "Wenn einer einen dummen Spruch macht, kriegt er es mit mir zu tun!", verkündete Ash laut. Keiner sagte etwas. Jason lächelte den Blonden dankbar an und Erinnerungen an Randy wurden wach, dann ging er mit festen Schritten in Richtung Tiefgarage davon. Als die Türen des Treppenhauses hinter ihm zufielen, wusste er, dass in diesem Moment ein Abschnitt seines Lebens zuende gegangen war... und er spürte nicht einmal einen Anflug von Reue. "Und ich muss diesen Film wirklich gesehen haben?" Marcus schaute etwas skeptisch zu seinem Freund hoch, der beschlossen hatte, ihn als Ablenkung ins Kino zu schleppen. Er ging Hand in Hand mit Colin die Market Street hinunter, ungeachtet der Blicke einiger Leute. Das fühlte sich toll an. Der Schwarzhaarige hatte kein Problem damit gehabt, ihn an die Hand zu nehmen. Ein paar Mädchen an denen sie vorbei kamen, strahlten abrupt so sehr, als wäre ein Atomreaktor hochgegangen. Einige sahen ihnen nach, als wären sie ein Weltwunder. "Ja, man sollte "Vom Winde verweht" gesehen haben! Dieser Film ist ein Meisterwerk und so herrlich tragisch, Scarlett und Rhett und ihre Liebe... herrlich." "Wenn es bis eben einen Zweifel gab, jetzt ist es sicher, dass du schwul bist!", lachte Marcus. "Du bist ein Banause, Kätzchen." Marcus blieb abrupt stehen und zwang somit auch Colin anzuhalten. "Bitte?" "Du bist ein Banause.", grinste der Ältere. "Nein, das andere! Du weißt genau, was ich meine!" "Entschuldige. Wenn dir das nicht gefiel, dann lasse ich es sein. War so ein spontaner Einfall. Ist dir das peinlich?" "Nein... ich meine... du hast... ich hatte noch nie einen Kosenamen, außer vielleicht Schatz oder Liebling... von meinen Eltern her." "Wärst du bereit, mein Kätzchen zu sein?" Colin lächelte auf seine unwiderstehliche Art, die einen Widerspruch nahezu unmöglich machte. "Willst du mich wirklich so nennen? Auch vor Anderen?" "Nur wenn es dir nicht peinlich ist." Der Schwarzhaarige gab ihm einen Kuss auf die Stirn. "Auf einen Versuch kommt es an!", grinste Marcus. Irgendwie gefiel ihm der Gedanke, dass Colin auf so liebevolle und niedliche Art von ihm sprach. Sehr sogar. "Dann lass uns endlich weiter, sonst kommen wir noch zu spät." "Wie lang geht dieser Film? Drei Stunden? Da ist es wohl kaum schlimm, wenn man ein paar Minuten verpasst!" Colin lachte. "Und du bist doch ein Banause." Er machte eine Pause. "Kätzchen." Sein Blick zeigte, dass er Marcus' Reaktion beobachtete. "Sei friedlich, sonst nenne ich dich ab jetzt meine Wildsau oder so!", kicherte der Junge. "Hengst wäre mir lieber!" "Angeber!" Sie gingen weiter. Marcus hätte am liebsten gesungen, er fühlte sich im Moment unglaublich gut. Das änderte sich aber schlagartig, als er plötzlich in einiger Entfernung drei Jungs aus seiner Klasse entdeckte, die ihnen entgegen kamen. Fast panisch riss er seine Hand aus der des älteren Jungen und hoffte inständig, dass er noch rechtzeitig reagiert hatte. "Was hast du?", fragte Colin verblüfft. "Schulkameraden!", zischte Marcus noch, dann wurde er auch schon erkannt. "Marcus! Hi!", rief der Erste, ein recht kleiner Junge mit brünetten hoch gestellten Haaren. "Jack, Phil, Kevin! Wie geht es?" Marcus gab sich offenbar Mühe, vollkommen belanglos zu klingen. "Gut, Marcy, und dir? Was treibst du so?" Alle richteten ihren Blick auf Colin. "Oh, ich, wir..." "Wir gehen ins Kino, meine Freundin hat mich versetzt und Marcus hat sich erbarmt, damit ich die Karten nicht umsonst gekauft habe." "Gehst du auf unsere Schule?", wollte Kevin wissen, dessen blonde Haare beinahe raspelkurz waren. "Nein. Ich gehe bald aufs College. Aber Marcus und ich kennen uns von klein auf, unsere Eltern sind befreundet, von daher." Das kam alles vollkommen glaubhaft, obwohl Colin sich das offenbar gerade aus den Fingern saugte. "Welchen Film seht ihr euch an? Wir haben nichts vor." Marcus spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Alles nur das nicht. "Ach, so eine altes Schwarzweißding, das meine Freundin unbedingt sehen wollte, Casablanca oder so. Wir gehen da nur hin, weil die Karten so schweineteuer waren, sonst würde ich mir so etwas gar nicht antun. Ich steh mehr auf Actionstreifen." "Ja! Hast du ,Terminator 3' gesehen? Der war geil! Hat richtig gefetzt!" "Das kannst du laut sagen!", grinste Colin. "Hammerfilm." Was geht denn hier ab? Verbrüderung? Jetzt übertreibt er! Marcus versuchte seinen Freund ein Zeichen zu geben. "Ich denke, wir müssen dann langsam los.", meinte er schließlich. "Stimmt, je eher desto besser, dann haben wir es hinter uns. War nett, euch kennen zu lernen." "Wir sehen uns dann in der Schule, bis dann, Alter!" Phil knallte Marcus die Hand auf die Schulter und die Drei zogen weiter. Der blonde Junge rieb sich die Stelle der Verabschiedungsgeste. "Deppen..." Er sah ihnen nach, bis sie außer Sichtweite waren. "Es tut mir leid..." "Was denn?" Marcus schaute zu Colin hoch. "Es tut mir leid, dass du da jetzt diese Show abziehen musstest..." "Das habe ich doch gern gemacht. Ich weiß noch, wie es ist, auf der Schule zu sein. Hast du überhaupt Freunde da?" "Ein paar... locker..." Er biss sich auf die Lippe. "Na ja, nicht wirklich... ich bin ein Einzelgänger. Ich habe immer Angst, dass ich mich verplappere oder so. Ich habe eigentlich nur Chris und Jason... und eben dich." "Na ja, ersticken in der Menge meiner Freunde tu ich auch nicht!", lachte Colin. "Kopf hoch, das wird schon. Vielleicht weiß ich da sogar was. Aber erst einmal sollten wir jetzt endlich ins Kino gehen." Marcus hatte keine Einwände. Sie beeilten sich, das kleine Programmkino in der Innenstadt zu erreichen, das zur Matinee "Vom Winde verweht" zeigte. "Ich hole die Karten und du das Popcorn." "Du tust gerade so, als würden wir es eilig haben, keine Angst, es wird schon nicht ausverkauft sein!", kicherte der Jüngere. "Miesmacher! Wir... ich fasse es nicht..." Colins gerade noch fröhlicher Gesichtsausdruck verändert sich mit einem mal. Marcus folgte seinem Blick und entdeckte einen hünenhaften blonden Jungen in Colins Alter vor der Kinokasse. "Wer ist das?" "Eine Pestbeule, die ich nicht loswerde." "Hä?" Marcus schaute ziemlich blöd aus der Wäsche. Doch bevor er noch etwas sagen konnte, kam der blonde Kerl auf sie zu. "Hi, Colin...", sagte er, kaum dass er nah genug war. "Was soll das? Spionierst du mir nach?!" "Deine Mum hat gesagt, dass du ins Kino wolltest, und du warst immer gern hier und da dachte ich..." "Ja, vor allem weil du "Von Winde verweht" immer so geliebt hast! Du hast den Film schon damals nicht gemocht!" "Ich wollte doch nur..." Brandon gestikulierte etwas hilflos. "Hallo?! Ich bin auch noch da!" Kaum hatte er das gesagt, schlug Marcus die Hand vor den Mund. Das war lauter gewesen, als er beabsichtigt hatte. "Oh, entschuldige. Hi, ich bin Brandon." Der Große streckte Marcus die Hand entgegen. "Okay, jetzt reicht es! Entschuldige uns kurz, Kätzchen!" Colin packte Brandon am Arm und zog ihn ein Stück von seinem vollkommen verdutzten Freund weg. "Du nennst ihn Kätzchen? Findest du das nicht kitschig?" Colin stemmte die Hände in die Hüften. "Was bildest du dir eigentlich ein? Und es geht dich einen Dreck an, wie ich meinen Freund nenne!" "Dieses Bürschchen ist dein neuer Freund?" "Lenk nicht ab, du Blödmann! Was denkst du dir dabei, mir hinterher zu laufen?!" "Colin, ich wollte nur..." Der Schwarzhaarige winkte entnervt ab. "Mir ist egal, was du wolltest! Ich will dir jetzt mal was sagen: Ich liebe Marcus und selbst wenn du mir auf diese etwas kranke Weise nachstellst, ändert das nichts. Halte dich verdammt noch mal aus meinem Leben raus! Ich will auch um ehrlich zu sein keine Freundschaft mit dir! Dazu ist zuviel zwischen uns passiert!" Damit ließ er ihn einfach stehen, stürmte zu Marcus und fasste ihn an der Hand. "Mir ist die Lust auf Kino vergangen, komm." "Aber ich..." Weiter kam Marcus nicht, denn Colin zerrte ihn einfach mit sich. Jason warf die Haustür ins Schloss und seine Jacke an die Garderobe. Endlich hatte er das überstanden, der Gang durchs Büro nach der Kündigung war nicht leicht gewesen. Er zog sein Shirt aus der Hose und kratzte sich gedankenverloren am Bauch. "Oh, Hallo." Der ehemalige Polizist blieb überrascht in der Wohnzimmertür stehen. "Sly?!" Ashs Freund saß auf dem Sofa und kraulte Batman. Er lächelte Jason an. "In voller Lebensgröße." "Was machst du hier?! Wie bist du rein gekommen?!" Sly stand auf und setzte den Welpen vorsichtig aufs Sofa, wo dieser allerdings nicht lange blieb, sondern sofort auf sein heimgekehrtes Herrchen zustürmte. "Das klingt ja, als wäre ich ein Einbrecher. Chris hat mich reingelassen. Und er wollte zu seiner Mum, also habe ich angeboten, auf Batman aufzupassen." "Wie nett von dir." Jason ließ ihn stehen und ging einfach in die Küche, um sich einen Kaffee aufzusetzen. Der kleine Rüde ignorierte die bis eben noch genüsslich ausgekostete Quelle für Streicheleinheiten ebenfalls und trottete neben dem großen Brünetten her, wobei er ständig mit einem Blick kontrollierte, was dieser tat. Sly kam den Beiden hinterher. Er rückte sein Hemd gerade, das er offen über einem T-Shirt trug. "Warum hast du dieses "nett" so ätzend betont?" Jason füllte Kaffeepulver in den Filterbeutel und stellte dann den Behälter mit einem Ruck auf der Ablage wieder hin. "Ach komm schon, Sly, spiel nicht den Ahnungslosen." "Du hast ja eine Laune!" "Ich habe eben gekündigt und habe mich auf die Ruhe meines Hauses gefreut und nicht etwa auf ungeladene Gäste!" Sly verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. "Du hast gekündigt? Was sagt denn Ash dazu?" "Frag ihn selbst, ja?" "Jason, was habe ich dir getan?" Sly's Stimme zeigte deutlich, dass er wirklich nicht wusste, warum der Andere so abweisend war. "Hältst du mich für blöd, Sly?" "Nein, aber scheinbar bin ich es, ich kapiere nämlich gar nichts!" "War ja klar, dass du die Chance gleich nutzt. Chris hat sein Gedächtnis verloren und auch mich vergessen, da musst du gleich mal einen Versuch machen, was?!" "Jason..." Sly schaute hilflos auf den anderen Mann. "Das stimmt doch nicht." "Glaubst du, ich habe keine Augen im Kopf?" Jason kam auf den Jüngeren zu, der sichtlich bemüht war, nicht vor Schreck einen Schritt zurück zu weichen, um sein Gesicht nicht zu verlieren. "Du kaschierst es noch, aber meinst du nicht, dass ich sehe, das du plötzlich trainierst?" Der Ex-Polizist drückte Sly den Finger auf die Brust. "Meinst du wirklich, dass du nur mit Muskeln bei Chris landen kannst?" Jetzt trat Sly doch einen Schritt zurück. "Natürlich trainiere ich und zugegeben, ich wollte Chris erst damit beeindrucken, aber mittlerweile mache ich das für mich, weil ich mich so besser fühle! Chris ist niemand, der nur auf Äußerlichkeiten achtet." "Aber wer weiß, vielleicht ja der junge Chris, was? Versuch macht klug!" Sly kniff die Augen zusammen. "Was soll diese Arschlochnummer? Ich will doch nur helfen." "Klar. Sly, du musst kein Mitgefühl heucheln. Meinst du, ich weiß nicht, dass du mich nicht leiden kannst?" "Du bist ein Idiot!", brach es plötzlich aus dem sonst so ruhigen Mann heraus, derart unvorbereitet, dass Jason zusammenfuhr. "Glaubst du das wirklich?! Du kannst einem mit deiner einsamer Kämpfer Nummer und der ewigen Eifersucht echt auf die Nerven gehen! Es wäre alles so einfach, wenn ich dich wirklich nicht leiden könnte! Aber das Problem ist ja gerade, dass ich dich mag, du Blödmann!" Jason öffnete den Mund, doch Sly hob nur die Hand. "Jetzt hältst du mal dein Maul und lässt mich ausreden! Natürlich bin ich in Chris verliebt, das kann ich gar nicht bestreiten und du weißt es auch, das wissen wahrscheinlich alle! Aber ich bin kein Arschloch, Jason! Ich wäre wahnsinnig gern mit ihm zusammen und habe auch mit dem Trainieren angefangen, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Das war kurz nach deinem Auftritt in der Cowboy Bar. Aber ich habe eingesehen, dass das nicht richtig ist. Chris liebt dich und er ist glücklich mit dir! Und ich wäre der Letzte, der eine glückliche Beziehung zerstören würde! Und wenn du das von mir denkst, dann ist das deine Schuld! Ich wollte nur helfen!" Der Andere schaute auf seine Füße. "Ich..." Sly war rot geworden. "Tut mir leid... ich wollte dich nicht anschreien, schon gar nicht in deinem eigenen Haus." "Ich habe es ja verdient." Und obwohl es ihm schwer fiel, hob Jason den Blick und streckte Sly die Hand entgegen. "Entschuldige." Der Andere nahm sie. "Du siehst aus, als würde dir das gerade schreckliche Schmerzen verursachen." "Die paar innere Blutungen stecke ich weg!", lachte Jason. "Spinner!" "Ne, im Ernst... entschuldige, ich bin unausstehlich in der letzten Zeit..." "Ist doch auch nur zu verständlich... ich habe ja unseren Wunderknaben kennen gelernt... es tut mir so leid, Jason." Der New Yorker ging zurück zur Kaffeemaschine und schaltete sie ein. Fast augenblicklich fielen dunkle Tropfen in die Kanne. "Und was hat er so gesagt?" "Nicht viel, er wusste nicht so recht etwas mit mir anzufangen. Und dann hat er mich einfach als Babysitter für euren Hund abgestellt und wollte zu seiner Mutter. Aber er hat mir noch gesagt, ich solle dir ausrichten, dass er nicht nach Dallas gehen würde, du solltest dir keine Sorgen machen. Was meint er damit?" "Seine Mutter ist hier und wollte ihn mitnehmen. Ich habe mich mit ihr gefetzt deswegen und sie hat wütend das Haus verlassen." Sly ließ sich am Esstisch nieder. "Na toll, als wäre die Situation nicht beschissen genug, was?" Jason setzte sich auf die Ablage. "Genau. Ich drehe hier sowieso bald durch. Eigentlich hast du gute Chancen, obwohl du Chris wahrscheinlich auch zu langweilig wärst... er hat nicht das geringste Interesse an mir, habe ich das Gefühl. Und ich hatte vergessen, wie anstrengend Teenager sein können, Marcus ist ein Traum dagegen." "So schlimm?" "Schlimmer..." Jason hätte fast gelacht. "Und ich dringe einfach nicht zu ihm durch... und ganz ehrlich, ich weiß auch nicht, ob ich es will. Ich meine... habe ich ein Recht dazu, ihn dazu zu bringen, sich an all die Scheiße, die ihm passiert ist, wieder zu erinnern? Besonders an das, was dieser Drecksack mit ihm angestellt hat? Es reicht schon, dass er sich über die blauen Flecken und Schürfwunden gewundert hat, aber ich habe ihm gesagt, er habe einen Unfall gehabt..." "Und was willst du sonst machen? Alles so lassen wie es ist?" Sly nahm sich einen Keks aus der Schale auf dem Tisch und knabberte daran. "Genau das... und hoffen, dass auch Jung-Chris sich wieder in mich verliebt..." "Ich möchte echt nicht in deiner Haut stecken... aber wenn du Hilfe brauchst, selbst wenn ich nicht deine erste Wahl wäre, ich bin da." Jason lächelte. Er fühlte sich innerlich ziemlich mies, weil er so schlecht von Sly gedacht hatte. Der junge Mann war kein hinterhältiges Arschloch, er war ehrlich und hilfsbereit und stellte wirklich seine eigenen Gefühle zurück. Bewundernswert, fand Jason. "Was war denn das für ein Auftritt?!", fragte Marcus etwas erbost, als sie wieder im Auto saßen und das Parkhaus verließen, in dem Colin den Wagen untergestellt hatte. "Entschuldige." "Glaubst du nicht, dass ich vielleicht etwas mehr Erklärung verdiene als das?" "Das war mein Ex.", seufzte Colin, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. "Ach du Scheiße!" "Was denn?" Marcus drehte sich zu ihm. "So ein Typ ist dein Ex?! So ein Muskelberg?!" "Ja und?" "Ich dachte, du wärst auch vor mir vielleicht mit so einem Hänfling wie mir gegangen..." "Hast du was eingenommen, oder warum redest du jetzt so einen Mist?" "Warum bist du so gereizt?" Colin schnaufte. "Mein Freund sitzt gerade neben mir und gibt vollkommen Nonsense von sich, wie soll ich denn da reagieren?" "Colin, hast dir diesen Kerl mal angesehen?! Ich bin nicht zu einem Viertel soviel Mann wie der!" Der Schwarzhaarige trat an einer Ampel hart auf die Bremse. "Na und?", fragte er in Marcus' Richtung. "Was soll mir das sagen?! Brandon hat Muskeln bis zum Abwinken und weiter?! Meinst du, darauf kommt es an?!" "Na ja, aber wenn du einmal so einen im Bett hattest, dann wirst du dich doch sicher nicht mit mir zufrieden geben!" "Um das herauszufinden, müssten wir ja wohl erst einmal miteinander schlafen!" Marcus sog die Luft ein. "Halt an!" "Marcus..." Colin merkte offenbar, was er da gerade von sich gegeben hatte. "Halt an oder ich springe gleich hier aus dem Wagen!" Der Ältere steuerte eine Parkbucht an und lenkte das Auto geschickt hinein. Kaum hatte er das getan, riss Marcus seine Tür auf und verließ das Gefährt. Colin folgte ihm so schnell es ging. "Kätzchen, bitte!" "Hör mir auf mit Kätzchen! War ja klar, dass du mir vorhältst, dass ich dich noch nicht ran gelassen habe! Er und du habt sicher dauernd gebumst!" Colin hob beschwichtigend die Hände. "Sei leiser!" Ein älteres Ehepaar hatte sich schockiert umgedreht, die Frau hielt die Hand an die Brust, dass die hier noch einen Herzanfall kriegte, hätte gerade noch gefehlt. "Bitte beruhige dich, warum flippst du so aus?" "Weil...!" Marcus gestikulierte hilflos. "Weil... weil..." "Marcus..." Colin kam näher und nahm seine Hand. "Ich weiß, wie das gerade im Auto klang, aber so war das nicht gemeint. Denk doch nicht so schlecht von mir." "Ich... das tu ich nicht... ich meine... ich hab überreagiert..." "Das kann man wohl sagen." Marcus löste sich von ihm und ging ein paar Schritte zur Seite. Er blickte in den Himmel. "Ich habe Angst gekriegt... verstehst du... ich war dir offensichtlich vor Brandon peinlich und das kann ich auch verstehen. Er ist ein... ein Mann... mit mir hast du nur ein Kind... einen Jungen..." Colin legte den Kopf schräg. "Du hast gedacht, du seiest mir peinlich? Kätzchen, ich wollte nur von ihm weg! Der Typ nervt mich! Natürlich ist er ein Berg aus Muskeln und sieht gut aus, natürlich war ich mal in ihn verliebt, aber soll ich dir was sagen? Er ist nicht halb soviel Mann wie du. Brandon hat mich belogen und betrogen, er wollte nicht zu mir stehen... du bist viel vernünftiger als er und es könnte nicht weiter von der Wahrheit weg sein, wenn du denkst, du wärest mir peinlich." Der Blonde drehte sich um. "Ehrlich?" "Dummerchen, natürlich meine ich das ehrlich." Ohne darüber nachzudenken wo sie waren warf sich Marcus in Colins Arme. Er drückte sich an seinen Freund und hielt ihn fest, glücklich über das, was er eben gesagt hatte. Und doch regte sich tief in ihm etwas, eine Angst, die er nicht unterdrücken konnte. Brandon hatte Colin belogen und der wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Nichts anderes tat er... er belog Colin. Jason saß vor dem Fernseher als Chris nach Hause kam. Batman sprang seinem blonden Herrchen sofort entgegen, der ihn hochhob und kraulte. Auf der Mattscheibe lief eine Familienserie, die Jason sowieso nicht interessierte, er schaltete ab. "Na?" Chris setzte sich mit dem Hund aufs Sofa, ein Stück von dem anderen Mann entfernt. "Na?" "Wie war es?" Er zuckte mit den Schultern. "Mum war immer noch sauer auf dich, aber sie versteht, warum du so reagiert hast. Aber das so zu sagen, das kann sie natürlich nicht." "Und du darfst mir das einfach sagen?" Chris lachte kurz. "Ich tu es einfach. Meinst du, ich habe Lust auch noch Genörgel von dir über meine Mutter zu hören?" "Du bist wohl Pragmatiker." "Pragmawas?" "Vergiss es.", lächelte Jason. "Willst du was essen?" "Au ja, das wäre cool!" Der Brünette lächelte erneut. Das wäre cool... das klang so überhaupt nicht nach Chris. "Kochst du?" Er schaute überrascht auf. "Was?" Chris verdrehte ein wenig die Augen und machte eine Geste, als würde er mit einem Kochlöffel rühren. "Kochst..." Er zeigte auf Jason. "...du?" "Scherzkeks. Ich war nur auf die Frage nicht gefasst. Bei mir brennt sogar Wasser an, der tolle Koch von uns Beiden bist du." "Ich?" Chris sank zurück auf die Couch und legte den Kopf in den Nacken. "Und noch ein Nagel zu meinem Sarg. Ich bin wohl wirklich ein total langweiliges Hausmütterchen, was?" "So würde ich das nicht sehen." "Aber ich!" Er setzte den Hund ab und stand auf. "Meine Güte, mein Leben ist total verbockt. Ich meine, ich wohne in diesem Haus und habe einen Freund, der nackt sehr geil aussieht," Er sah Jasons Blick und fügte hinzu, "ich habe den Kalender gesehen. Wirklich scharf. Aber ich habe nichts von dem erreicht, was ich tun wollte. Ich wollte immer einen guten Job, am liebsten einen eigenen Nachtclub, ich wollte kein Heimchen am Herd sein! Und da ist soviel anderes! Du sagst, ich hätte einen Unfall gehabt, aber woher kommt denn diese Narben an meinem Schwanz, hm? Das ist mir beim Pinkeln aufgefallen!" Für einen Moment war Jason total überfordert. Er konnte Chris verstehen, aber er war nicht in der Lage, ihm einfach alles zu sagen. Aber auf ein Stückchen Wahrheit hatte er sicherlich ein Anrecht. "Chris... diese Narbe... Das war..." Batman krabbelte zu Jason und drückte sich an ihn. "Das war dein Vater. So, jetzt weißt du es. Er hat dir das angetan, als er erfuhr, dass du schwul bist. Du bist daraufhin von Zuhause weg gelaufen, deswegen ist dein Leben nicht so verlaufen, wie du wolltest." Chris ließ sich auf den Sessel fallen. "Jesus... hat mein Alter wirklich so etwas getan?" Jason nickte nur langsam. "Dieser alte Drecksack! So eine Sau!" Chris brüllte plötzlich so los, dass Batman jaulend zusammenfuhr. "Wie kann diese Ratte sich so etwas rausnehmen?!" Jason sprang auf und eilte zu Chris hinüber. "Schatz..." Er biss sich auf Lippe. "Chris, bitte, beruhige dich. Ich hätte dir das nicht sagen sollen." Der Blonde weinte, obwohl er immer noch vor Wut zitterte, ließ er sich widerstandslos in den Arm nehmen, Tränen rannen über seine Wangen. Trotz der Situation genoss Jason die Nähe zu ihm in vollen Zügen. "Beruhige dich. Das liegt schon so lange zurück. Und dein Leben ist gar nicht so schlimm. Du hast wundervolle Freunde, du hast Spaß am Leben... du hast mich. Ich werde immer auf dich aufpassen." Chris sagte nichts, er schluchzte nur weiter. "Ich habe immer dafür sorgen wollen, dass du diese Sache hinter dir lassen kannst, vollkommen. Vielleicht hast du jetzt die Chance. Vertrau mir." Sein Freund antwortete immer noch nicht, er presste sich an Jasons Körper und drückte sich Schutz suchend in dessen Umarmung. Und für einen kleinen Moment stand die Welt in diesem Zimmer still, die Zeit schien zurückgedreht zu sein. Aber nur für einen Augenblick, dann kehrte die Wirklichkeit zurück. Chris drückte Jason weg und erhob sich. "Entschuldige... ich möchte etwas allein sein." "Chris..." Doch der blonde Mann verließ einfach den Raum. Fünf Tage später wurde David Vanderveer aus dem Krankenhaus entlassen. Auf eigenen Wunsch. Der Arzt war sich nicht sicher, ob er schon daheim sein sollte, aber David hatte ihn bekniet, ihn so schnell es ging wieder zu entlassen, damit er seine Zeit nicht im Krankenhaus verbringen musste. Trotz allem fühlte sich David total schlapp, als er endlich die Schwelle seiner vertrauten Wohnung überschritt. Jeremy war bei ihm. "Geht es dir gut?" Nein, ging es nicht. In Davids Oberkörper tobten Schmerzen, wie er sie noch nie erlebt hatte. Die Wunde verheilte gut und er musste erst in zwei Tagen zum Verbandwechseln wieder ins Krankenhaus, aber im Moment war es fast unerträglich. "Ging mir schon besser..." David biss die Zähne zusammen, endlich konnte er sich auf seiner Couch niederlassen. "Du bist so blass..." "Lass du dir mal in den Bauch schießen.", grinste der Blonde etwas verkniffen. "Entschuldige." Jeremy wurde rot. "Tust du mir einen Gefallen?" "Jeden.", lächelte der Rothaarige. "Na ja, da würden mir doch gleich ein paar Sachen einfallen!" David musste lachen. "Aber für den Anfang reicht es, wenn du mir das orangefarbene Döschen aus meiner Jackentasche gibst. Und ein Glas Wasser." Jeremy tat wie David es wünschte. Auf dem Weg zu seinem Freund musterte er neugierig den Behälter. "Was ist das?" "Schmerzmittel. Ziemlich heftiges Zeug. Doktor Pierce hat mir die aufgeschrieben, wenn es zu schlimm wird." "Bist du dir sicher, dass du so etwas nehmen willst?" "Wenn du spüren würdest, was ich gerade spüre, würdest du nicht fragen." David streckte auffordernd die Hand aus. "Gib jetzt bitte her." Jeremy beeilte sich, David eine Tablette aus dem Röhrchen zu holen und gab ihm dann das Glas. Der Anwalt warf sich das Medikament in den Mund und spülte es mit dem Wasser runter. "Ich danke dir." "Entschuldige, ich wollte dich nicht bevormunden, oder so. Ich bin nur was Medikamente angeht immer etwas skeptisch." Jeremy stellte das Döschen auf den Tisch. "Glaube mir, ich auch. Aber im Augenblick geht das einfach nicht anders. Das tut einfach nur beschissen weh. Aber ich bin heilfroh, dass wir endlich wieder hier allein sind." "Ich auch, das kannst du laut sagen." Der Rothaarige setzte sich zu Davids Füßen auf den Boden und schmiegte sich an das Bein seines Freundes. "Ich bin so glücklich, dass diese ganze Sache endlich vorbei ist." "Du hast dir das ziemlich zu Herzen genommen, oder?" Jeremys Blick war ziemlich verständnislos, er zog eine Grimasse. "Manchmal sagst du Sachen... erst einmal die ganze Angelegenheit mit Chris und dann war da doch noch was... ach ja! Der Mann, den ich liebe, wäre beinahe gestorben. Doch... ja, man kann sagen, dass mich das mitgenommen hat." David lachte und streichelte dem Anderen im Reflex durch die roten Haare. "Was hättest du getan, wenn ich gestorben wäre?" "Sag so etwas nicht!" Jeremy schüttelte sich unbewusst. "Ich wüsste nicht, was ich dann tun würde... ich kann mir das nicht vorstellen...", flüsterte er. "Glaubst du nicht, dass du mich irgendwann vergessen und weiterziehen würdest?" Der Tänzer erhob sich und machte eine warnende Geste mit dem Zeigefinger. "Du hast den Krankenbonus, aber sag das ja nicht noch einmal! Wenn du meine Gefühle für dich noch mal so abwertest, dann scheuer ich dir eine!" "Jeremy..." "Ich liebe dich, David. Das habe ich dir im Krankenhaus gesagt.", fiel er dem Blonden ins Wort. "Und daran hat sich auch nichts geändert. Du bist der erste Mann in meinem Leben, dem ich solche Gefühle entgegen bringe. Und ich glaube nicht, dass ich das so schnell wieder könnte, wenn überhaupt." Eine paar Sekunden herrschte peinliche Stille. Jeremy schien zu merken, was für ein Geständnis er da eben gemacht hatte und David wusste nichts, was er erwidern könnte. "Ich mache uns einen Tee.", beschloss der Rothaarige daher und floh quasi in die Küche. "Im Schrank oben rechts." David schaute ihm nach der Erklärung vom Sessel aus hinterher. Er konnte Jeremy durch die halb geöffnete Küchentür sehen, wie er anfing, den Wasserkocher zu füllen. Plötzlich war ihm ganz warm ums Herz. Dieser junge Mann, fast noch ein Kind, war etwas ganz Besonderes. In seiner Brust kämpften zwei Gefühle miteinander, der Drang, Jeremy alles zu erzählen, sowie der, ihn nicht zu belasten. Aber irgendwann würde er sowieso etwas merken. Spätestens wenn ich tot bin..., dachte David voller Sarkasmus. Für den Moment gewann eine dritte Partei: Sein eigener Egoismus. Er wollte nicht als Sterbenskranker abgestempelt, von Jeremy von vorn bis hinten bemitleidet werden, er wollte sein Leben noch genießen! "Sag mal, hast du etwa wirklich nur Kamillentee im Haus? Wer hat denn bitte nur eine Teesorte im Schrank?!", rief Jeremy ins Wohnzimmer hinüber. Allmählich wirkte die Tablette und die Schmerzen klangen ab. Das nutzte David. Er stand auf und folgte Jeremy in die Küche. Ohne etwas zu sagen stellte er sich hinter den Rothaarigen und schloss die Hände um dessen Brust. "Ist was?" Man hörte Jeremy an, dass er lächelte. "Nein, nichts..." Davids linke Hand suchte sich ihren Weg unter das T-Shirt des jungen Mannes und glitt ganz beiläufig über die festen Bauchmuskeln darunter. "Nichts... so, so..." Die Fingerkuppen zeichneten die feinen Erhebungen unter der Haut nach, tauchten kurz in die Höhle des Bauchnabels und wanderten dann höher. Während sich seine Lippen an Jeremys Hals zu schaffen machten, begannen die Finger ein herausforderndes Spiel mit den Brustwarzen. "David..." "Gibt es ein Problem...?" Mit sanftem Druck drehte er sie zwischen Daumen und Zeigefinger, kniff aber auch leicht mit den Fingernägeln hinein, was Jeremy ein leises Keuchen entlockte. In der Zwischenzeit hatte sich David bereit bis zum Ohr vorgearbeitet, wo er nun verführerisch über die Muschel knabberte und am Ohrläppchen saugte. "Meinst du, dass das gut für dich ist?" Statt einer Antwort drückte David sein Becken gegen Jeremys Körper. Selbst durch den dicken Stoff der Jeans spürte der Jüngere deutlich, was in der Hose vor sich ging. Seine rechte Hand näherte sich dem Bund von Jeremys Hose. "Ich habe schon viel zu lange darauf gewartet...", hauchte er gegen den Hals des Rothaarigen, wobei sein Atem über die feinen Härchen auf der Haut strich. Jeremy drehte sich in der Umarmung herum. "Dafür, dass du so ausgehungert bist, bist du auffällig liebevoll, mein Lieber." "Wenn es dich stört, kann ich dich auch hart rannehmen, kein Problem." Der Zeigefinger des Rothaarigen glitt langsam über Davids Lippen, er öffnete sie ein kleines Stück, um mit der Zunge daran entlang zu fahren. "Nichts da,", lächelte Jeremy, "keine wilden Aktionen. Oder meinst du, ich habe Lust darauf, dass deine Wunde wieder aufgeht?" "Sexy, wie du mich bemutterst." David schnappte spielerisch nach der Fingerkuppe. "Sei vorsichtig, sonst gibt was hinten drauf." "Super, das wäre doch was!" David drängte Jeremy in Richtung Küchentisch, bis der junge Mann mit dem Hintern dagegen stieß. Durch sanften Druck auf die Brust brachte er ihn dazu, sich darauf zu setzen und dann nach hinten zu legen. Jeremys Beine schlossen sich um Davids Unterleib. Vorsichtig beugte sich der Blonde über ihn und versiegelte seine Lippen mit einem zärtlichen Kuss. "Willst du wirklich hier...?" "Genau hier und jetzt...", flüsterte David, bevor er sich noch einmal vom Tisch entfernte. Jeremy stemmte sich auf die Ellenbogen hoch, sein Gesicht glänzte ein wenig, er hatte angefangen zu schwitzen, so erregend war das, was David mit ihm tat. Sein Freund zog eine Schublade auf und holte etwas heraus. Als er zum Tisch zurückkehrte, konnte Jeremy endlich erkennen, was es war. Er kniff die Augen zusammen und unterdrückte ein Lachen. "Du hast gerade mal eine Sorte Tee im Haus, aber dafür Gleitmittel und Kondome in der Küchenschublade?!" "Man muss eben Prioritäten setzen!", grinste David. David saß vor dem Fernseher, als Jeremy aus dem Bad kam. Der junge Mann hatte geduscht, seine Haare waren noch nass und er trug nur ein Handtuch um die Hüften. Im Fernseher regte sich gerade Thaddäus Tentakel wieder mal tierisch über Spongebob Schwammkopf und seinem Freund Patrick Star auf. "Bist du nicht ein bisschen zu alt für so etwas? Erst eine Nummer auf dem Küchentisch und dann Cartoons?" "Hey, nichts gegen Spongebob Schwammkopf!", lachte David. Jeremy beugte sich von hinten über die Couch und küsste den Nacken seines Freundes. "Ich liebe dich." "Warum sagst du das jetzt?" Für einen Moment entgegnete Jeremy nichts, er hatte beinahe gehofft, David würde es erwidern. "Ich wollte nur... es ist mir so rausgerutscht... weil das eben... du hast mich noch nie so zärtlich geliebt... das war kein Sex, wir haben uns geliebt..." David seufzte. "Hör bitte auf damit, ja?" "Womit?", fragte Jeremy verdutzt. Der Blonde stand auf, schaltete den Fernseher aus und ging ein paar Schritte zum Fenster, bevor er sich wieder zu seinem Freund umdrehte. "Hör auf damit, ständig von Liebe zu reden. Ich weiß, dass dich die letzten Tage aufgeregt haben und ich bin mir im Klaren darüber, wie du für mich fühlst, aber ich..." Er hob die Hände in einer verzweifelt wirkenden Geste, nur um sie dann wieder sinken zu lassen. "Ich habe mein Herz früher auf der Zunge getragen, aber mein Lohn dafür waren nur Schmerzen. Ich bin nicht bereit dafür, aber immer wenn du damit anfängst, dann fühle ich mich bedrängt... ich weiß, dass du das nicht willst... aber es ist so..." Jeremy schaute kurz auf seine Füße. "Tut mir leid...", sagte er leise. "Du musst dich nicht entschuldigen, versteh mich nicht falsch..." "Ich verstehe schon..." David kam zu ihm hinüber und nahm ihn fest in den Arm. Jeremy drückte sich an ihn. "Sei mir nicht böse, wenn ich es noch nicht kann, du bedeutest mir trotzdem viel..." "Ich weiß..." Jeremys warmen Körper so dicht bei sich zu spüren war für David ein wundervolles Gefühl. Er konnte sich kaum überwinden, den kleineren Mann aus seiner Umarmung zu entlassen. "Was hältst du von Chinesisch? Nach dem ganzen Krankenhausfraß, wäre das jetzt genau das Richtige." "Tolle Idee!", lächelte der Tänzer. "Gut, ich bestelle das Übliche, oder willst du was anderes?" "Nein, schon okay. Ich rufe eben Abby aufs Handy an und sage ihr, dass ich heute Nacht hier schlafe, wenn es dir nichts ausmacht." "Ich hatte schon befürchtet, dass du niemals fragst.", grinste David und ging in die Küche, um den Lieferservice des Golden Dragon anzurufen. Jeremy begab sich ins Schlafzimmer um in den Klamotten auf seinem Bett nach dem Handy zu suchen. Dabei fiel ihm ein Zettel in die Hand, der zusammengeknüllt in seiner Tasche gesteckt hatte. 14.02. Modenschau, Sky Club, mit After-Show Party, kann mitbringen, wen ich will, hatte er dort in seiner Handschrift notiert. "Verdammter Mist..." Das hatte er vollkommen vergessen. Alice war schon von den Probefotos so begeistert gewesen, dass sie die überall herum gezeigt hatte, und prompt hatte einer dieser jungen hippen Designer Interesse daran bekundet, Jeremy bei seiner aktuellen Sommermodenschau laufen zu lassen. Der junge Mann hatte dermaßen Panik davor, dass er es vollkommen verdrängt hatte. "Das Essen wird in einer halben Stunde geliefert... warum bist du so blass?" David war in der Tür erschienen. Ohne zu antworten streckte Jeremy seinem Freund den Zettel hin. "Du läufst auf einer Modenschau? Warum weiß ich davon nichts?" "Weil ich selbst nicht wusste, ob ich es mache... aber jetzt ist es zu spät, um noch abzusagen! Alice würde mich umbringen und ich wäre gleich als zickig verschrieen!" "Ich freue mich darauf." "Du willst mit?!" David setzte sich aufs Bett und stützte sich mit den Händen nach hinten ab. "Also hör mal! Natürlich will ich mit! Und das wäre doch auch was für Jason und Chris, zur Ablenkung! Und soweit ich gehört habe, ist Chris ganz versessen darauf, mal so richtig zu feiern." "Sonst noch Wünsche?!" David hielt Jeremy die Hand entgegen. "Komm mal her." Der junge Mann trat näher und sein Freund umfasste seine schlanken Hüften. "Ich will mir das um keinen Preis in der Welt entgehen lassen, wie mein umwerfender Freund in der neusten Haute Couture über den Laufsteg kommt, verstehst du? Du wirst großartig sein." "Hör auf, mir Honig ums Maul zu schmieren, das passt nicht zu dir!", knurrte Jeremy gespielt. "Und du hör auf den Schüchternen zu spielen, das bist du im Bett auch nicht!", konterte David. "Das ist doch wohl auch was anderes, da sind wir allein." "Du bist auch sonst nicht schüchtern, das weiß ich. Tu mir den Gefallen, ja?" Ein Blick in Davids große Huskyaugen und es war um den Tänzer geschehen. Er konnte nicht mehr nein sagen, allein der Gedanke, das zu tun war vollkommen unmöglich. "Na gut... überredet..." Mitten in der Nacht schreckte Jeremy aus dem Schlaf hoch. Das Geräusch von zerbrechendem Glas hatte ihn geweckt. Verschlafen tastete er neben sich und fand Davids Seite des Bettes leer, aber noch warm. Lange konnte er nicht weg sein. Jeremy schwang die Beine aus dem Bett und ging auf die Suche nach seinem Freund. Die Heizungen waren aus und die kühle Luft in der Wohnung brachte seinen nackten Körper zum Zittern. In der Küche war Licht. "David?" "Bleib stehen!" Der Befehl war so harsch, so scharf gewesen, dass Jeremy wie angewurzelt auf der Stelle verharrte. "Was ist denn?" "Du hast nackte Füße und mir ist ein Glas runter gefallen." David stand mitten in der Küche, ebenfalls nackt, aber er hatte zumindest seine Hausschuhe an, ein wirklich niedlicher Anblick, wie Jeremy feststellen musste. "Ist was passiert?" Der Rothaarige rieb sich die Augen. "Nein, es ist mir nur aus der Hand gerutscht, ich hatte Durst. Geh wieder schlafen." "Wenn du meinst..." Jeremy trottete zurück ins Bett und ließ David in der Küche allein. Der blonde Mann starrte auf die Scherben, die überall verteilt waren. Mit der linken knetete er seine rechte Hand. Sein Herz schlug bis zum Hals, die rechte Hand kribbelte, als wäre sie eingeschlafen. Aber das war sie nicht. Für ein paar Sekunden, nur den Bruchteil eines Momentes, hatte er gerade sämtliches Gefühl in diesem Teil seines Körpers verloren. Seine Finger hatten schlichtweg ihren Dienst versagt und das Glas einfach losgelassen, ohne das er etwas dagegen hatte tun können. Gleichzeitig waren die Schmerzen wieder aufgeflammt, schlimmer als am Nachmittag. David ging an den Kühlschrank und stopfte sich drei Schokoriegel hintereinander in den Mund, damit er was im Magen hatte. Über die knirschenden Scherben begab er sich mit einem neuen Glas ins Wohnzimmer und spülte eine der Schmerztabletten runter bevor er wieder ins Bett ging. Jeremy öffnete noch einmal die Augen. "Hast du was?" "Nein, schlaf einfach weiter. Ich mache die Küche morgen sauber, geh nicht mit nackten Füßen da rein, okay?" "Okay..." Dann war der junge Mann schon wieder eingeschlafen. David hörte seinem gleichmäßigen Atmen und dem leisen Schnarchen zu. Und ganz leise, vorsichtig, damit Jeremy nichts hörte, fing er an zu weinen. Wie ein kleines Kind, voller Angst. Darüber schlief er irgendwann ein. Die Sonne schien auf David herab, als er langsam den mit Steinen ausgelegten Weg auf dem Friedhof entlang ging. Über ihm in den Bäumen ließen Krähen ihren unheimlich Ruf erklingen. Auf einer Anhöhe über dem Gräberfeld blieb der blonde Mann schließlich stehen. In einem Stück Entfernung den Hügel hinab hatte sich eine Trauergemeinde versammelt. Jemand wurde zu Grabe getragen. Neben ihm auf dem Hügel stand ein hagerer kleiner Mann in einem kunterbunt gestreiften Anzug. Seltsamerweise störten David weniger die Farben, als die Anwesenheit des Mannes. Er blickte auf das kleine Männchen herab, dieser erwiderte den Blick zu ihm hinauf. "Schön hier, oder? Ich komme häufig hierher." "Wer wird da begraben?" David schaute wieder zum Friedhof hinüber. Der Andere antwortete zunächst nicht. "Möchten Sie Käsehäppchen?" Verdutzt wandte er dem Gnom wieder seine Aufmerksamkeit zu. Dieser streckte ihm tatsächlich eine Platte mit Käse entgehen. "Bitte?" "Möchten Sie Canapés?" Nun lag statt Käse eine Auswahl an kleinen Snacks darauf. David schüttelte den Kopf und ließ den Mann stehen. Er ging den Hügel hinab, auf die Trauernden zu. Seine Schritte waren recht beschwingt, obwohl man sich auf einem Friedhof eigentlich nicht so fühlen sollte, aber der Duft der Sommerblumen, zusammen mit dem satten Grün des Grases und der strahlenden Sonne, hoben seine Stimmung. Als er die Gemeinde erreichte, stutzte er verblüfft. Am weitesten vom Grab entfernt befand sich Chris, er hatte einen kleinen antiken Metallofen vor sich, auf dem ein Teekessel stand. Jasons Freund schaute David etwas teilnahmslos an. "Gut, im Kessel blubbern husch, husch Blasen." "Oh, du möchtest einen Tusch blasen?", fragte Marcus, der neben ihm stand. "Hier." Er reichte Chris eine Trompete und dieser begann, einen Trauermarsch zu spielen. Marcus wandte sich derweil um und sprang wie ein junges Reh zu Colin hinüber, der ein Stück entfernt auf der Wiese auf dem Boden lag. Er warf sich auf den Schwarzhaarigen und fing an, ihn wild zu küssen. David lief weiter, bahnte sich seinen Weg durch die Trauernden, die gar keine Notiz von ihm zu nehmen schienen, bis er am offenen Grab angekommen war. Dort hielten sich Jason und Jeremy auf, beide schwarz verschleiert, die Hände gefaltet. "Wer ist gestorben?", hörte David sich sagen. "Schade um ihn, er war noch nicht alt.", seufzte Jason. Jeremy gab nur ein lang gezogenes Schniefen von sich. "Wir werden ihn vermissen." Wieder nur ein Schiefen. Chris' Trauermarsch hörte sich mittlerweile reichlich schräg an, Colin und Marcus hingen wie Affen eng aneinander geklammert von einem Baum in der Nähe, während Gary unter ihnen auf dem Skateboard immer und immer wieder um den Baum herum fuhr. "Wer zum Teufel ist denn tot?" David drängte sich an den beiden vorbei, um den Grabstein zu sehen. David Vanderveer, 1969-2005, beloved son and dear friend, stand darauf. Eve hockte in einem knallroten Dress auf dem Stein, ließ die Beine baumeln und schminkte sich ihre bereits blutroten Lippen mit einem Lippenstift immer weiter, so dass sie bald schon den Mund eines Clowns zu haben schien. David riss die Augen auf. "Aber ich bin doch noch gar nicht tot!" "Möchten Sie Mürbeplätzchen?" David schaute erschrocken neben sich. Der kleine Mann war wieder da und hielt ihm ein Tablett entgegen. "Vorsicht mit den Beißerchen, sind etwas angebrannt." In diesem Moment schoss eine Stichflamme aus den Plätzchen empor. David stolperte einen Schritt zurück und geriet ins Wanken. Hinter ihm tat sich das offene Grab auf, plötzlich ein tiefer schwarzer Schlund. Er kämpfte vergeblich um das Gleichgewicht und fiel. Im letzten Augenblick bekam er den Rand zu fassen und klammerte sich mit einer Hand fest. Jeremy und Jason standen über ihm. "Jeremy! Ich bin noch nicht tot! Ich bin hier!" Alex stellte sich neben den Rothaarigen und schlug den schwarzen Schleier weg, als würde er das Gesicht seiner Braut enthüllen. Sanft küsste er Jeremy auf den Mund. "Finger weg, du Aasgeier! Ich bin nicht tot!" "Wir werden ihn nie vergessen.", lächelte Alex, dann trat er David auf die Hand. "Nein!" Mit einem Schrei auf den Lippen fiel David in die Dunkelheit. Ein Sargdeckel klappte über ihm zu. "Ich bin nicht tot! Ich bin nicht tot! Ich bin nicht tot!" Schweißgebadet und mit den Worten noch auf den Lippen fuhr David aus dem Schlaf hoch. Jeremy neben ihm brummelte etwas, dass wie "Schön für dich" klang und schlief einfach weiter. David sank zurück in die Kissen und atmete so heftig wie ein gehetztes Tier. Nein, er war noch nicht tot. Ein paar Tage später: Hinter der Bühne der Modenschau im Sky Club starb Jeremy Tausend Tode. Dutzende fremde Leute liefen wie in einem Bienenstock durcheinander, es herrschte Lärm und Geschäftigkeit. Halbnackte Models, Visagisten (die natürlich bekleidet waren) und alles mögliche andere Volk rannte aufgescheucht durcheinander. Der Rothaarige hockte vor einem beleuchteten Schminkspiegel und war mit den Nerven am Ende. "Neuling?" Jeremy schaute auf. Neben ihm stand ein junger Mann mit freiem Oberkörper. Durchtrainiert, bildschön, viel hübscher als er selbst, fand der Tänzer. "Wie kommst du darauf?" "Du bist so blass. Du siehst aus, als würdest du Hilfe brauchen." "Kannst du mich hier raus bringen?" Der Andere lachte. "Du bist Alice' neuer Protegé, oder? Das Naturtalent Jeremy." "Du kennst mich?" "Wenn Giovanni einen Neuling bei einer seiner wichtigsten Shows laufen lässt, spricht sich das rum. Ich bin Andy. Nett dich kennen zu lernen." "Ebenso." Jeremy reichte ihm die Hand. Das Model grinste. "Meine Güte, deine Hand ist ja klatschnass. Junge, die Visagisten killen dich, die brauchen ja Stunden, um dich zurecht zu machen." "Toll, eine große Hilfe." Andy ließ sich neben ihm auf einem Stuhl nieder. "Schau, das ist gar nicht so schlimm. Du hast jetzt vielleicht Angst, aber du kommst dir da draußen vor, als wärst du allein. Die Strahler und die Blitzlichter sind so hell, da siehst du eigentlich niemanden. Du gehst einfach die Fläche entlang, guckst ein bisschen lasziv und drehst wieder um. Du hast das doch bei der Probe gut gemacht, oder nicht?" "Das war ja auch wie Schwimmen auf dem Trockenen." "Du gefällst mir!", lachte Andy. "Hör zu, du schaffst das. Ich bin direkt nach dir dran." Jeremy schaute vor sich auf den Zettel. Dort war die Reihenfolge der Models vermerkt. "Stimmt." "Das klappt schon. Nur merk dir eines: Wenn dir hier jemand etwas aufschwatzen will, dass dich ruhiger, cooler oder was auch immer macht, dann geh einfach weg. Es sei denn, du hast Lust auf Koks. Ich sehe dich später, muss mich umziehen!" Der Tänzer schaute ihm verwirrt hinterher. Als Jeremy wenig später auf den Laufsteg kam, war sein Lampenfieber jenseits aller Messbarkeit. Doch dann geschah etwas Seltsames. Er hatte erwartet, nun gleich von Hunderten von Augen angestarrt zu werden, aber es war vollkommen anders. Vor ihm tat sich eine andere Welt auf. Der Catwalk zog sich wie ein leuchtendes Band in einem Reich aus Dunkelheit und grellen Lichtern. Er erkannte keine Zuschauer, sah nur den Laufsteg, spürte die Hitze der Scheinwerfer. Aus den Boxen dröhnte lautstark "If you're gonna" von Natasha Beddingfield. If you're gonna jump Then jump far! Fly like a Skydiver! If you're gonna be a singer Then you'll better be a rockstar! If you're gonna be a driver Then you'll better drive a racecar! 'Cause I'm looking for a guard dog not buying a Chihuahua Der treibende Beat des Songs rührte etwas in dem Tänzer. Automatisch fand er den richtigen Rhythmus, um den Laufsteg entlang zu gehen. Mit festen Schritten, das Gesicht zu einer coolen Miene verzogen. Das offene Hemd umwehte seinen nackten Oberkörper und die enge Jeans schien auf einem wie eine zweite Haut an seinen Beinen zu liegen. Selbst die streng nach hinten gestylten Haare störten ihn nicht mehr. Er erreichte das Ende des Catwalks und ein Gewitter aus Blitzlichtern brach über ihn herein. Eine Drehung, ein lasziver Blick über die Schulter und schon war er wieder auf dem Rückweg. Andy kam ihm entgegen. Als er ihn fast erreicht hatte, tat der junge Mann etwas, was eigentlich nicht eingeplant war, aber perfekt passte. Er hob die rechte Hand und Jeremy klatschte mit der Linken ab. Noch nie in seinem Leben war er so stolz gewesen. Nur zwei Stunden später war alles vorbei und die große Aftershow Party in vollem Gange. Für das Spektakel hatten sich die Veranstalter etwas ganz besonderes einfallen lassen. Die Party stand unter dem Motto "Sound of the Fourties" und statt einer normalen Band stand eine versammelte Big Band auf der Bühne, die drei niedliche Sängerinnen in typischen Outfits der Vierziger Jahre begleitete. Die Musik versetzte zurück in die Nachkriegszeit, in der man versucht hatte, dass Schreckliche der letzten Jahre, ein wenig hinter sich zu lassen. Die drei Sängerinnen standen um das Mikro herum, leicht vorgebeugt und sangen aus voller Kehle, während sie den Rhythmus mit schnipsten. "Mr. Moonlight! Upside down! Mr. Moonlight! Upside down! Wanna be with you right on the top Take the rollercoaster spin upside down! Baby do a chick dance or a swing, twenty-four hours of paradise! Please tell me that it's true You like me and I like you! Our night could be perfect, come on now, it's worth it! Mr. Moonlight! We're gonna have some fun! Mr. Moonlight! It's just begun! So she says: Lalala, I will go with you..." "Das ist Wahnsinn!" Chris' Augen strahlten, als er sich in dem voll gestopften Raum umsah und zum ersten Mal seit langem wirkte er total gelöst. Jason genoss den Anblick. Neben ihm standen David und Jeremy und, zu Davids Leidwesen, Alex. Der Rothaarige hatte seinen Freund eingeladen, damit er mal unter Leute kam. Allerdings hatte Alex erst zur Aftershow Party kommen können, vorher war er auf der Arbeit. "Ich will tanzen!" Chris schnappte sich Jason an der Hand und zerrte ihn in Richtung Tanzfläche. "Wollt ihr auch tanzen?", fragte Alex an Jeremy gewandt. "Wollen wir?" Der Tänzer sah seinen blonden Freund an. David zuckte mit den Schultern. "Von mir aus gern, am besten schön wild, ich blute so gern!" Dabei zog er sein Hemd ein Stück nach oben, um den Verband zu zeigen. "Oh, stimmt ja, du bist ja Invalide!" "Alex!" Jeremy boxte ihn auf die Schulter. "Schon gut, ich hole uns was zu trinken. Wartet doch da drüber an dem freien Stehtisch. Oder solltest du besser sitzen, David?" Alex lächelte süffisant und zog ohne auf eine Antwort zu warten ab. "Ich kann diesen Kerl einfach nicht leiden!", meckerte David, als die Beiden sich an den Tisch gestellt hatten. "Wenn ich daran denke, dass der mir sein Blut gespendet hat und ich ihm auch noch dankbar sein muss, wird mir immer noch ganz schlecht!" "Jetzt stell dich nicht so an." Jeremy schmiegte sich vorsichtig an ihn. "Er erwartet doch überhaupt keinen Dank und er hat sich wirklich geändert, glaub mir." "Du bist immer viel zu schnell bereit, alles zu vergessen." "Und du bist zu paranoid! Lass uns doch ein wenig Spaß haben. Ich glaube sowieso, dass es das Beste wäre, wenn wir für Alex einen guten Kerl suchen, damit er auch mal etwas Abwechslung hat." Er schaute sich um. "Das hier ist die Aftershow Party einer Modenschau, also müssten ungefähr fünfzig Prozent aller Männer hier schwul sein. Nur wer...?" David nickte gelangweilt in Richtung Bar. "Der Brünette da drüben, aber das ist keine gute Idee, der ist eine absolute Niete im Bett." Jeremy blickte erst seinen Freund, dann den Mann, dann wieder David an. "Und... das weißt du, indem du ihn einfach nur anguckst?" Der Blonde grinste breit. "Nein, indem ich mit ihm schlafe." In diesem Moment schien der Mann an der Bar David zu erkennen und winkte kurz hinüber. David tat es ihm nach und zog demonstrativ Jeremy an, um dem Anderen gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Rothaarige schnaufte. "Ich hätte es mir denken sollen... wie nennt man eigentlich ein männliches Flittchen?" David schaute ihm für einen Moment in die Augen, dann lächelte er. "Ganz einfach: Zufrieden!" Bevor Jeremy etwas sagen konnte, versiegelte er seine Lippen mit einem Kuss. "Hey, ihr Beiden!" Jason gesellte sich an den Tisch. Er war rot im Gesicht, schien ziemlich angestrengt zu sein. "Was? Schon fertig mit Tanzen? Wo ist deine Kondition?" "Die ist noch da, aber mein Partner nicht. Chris musste mal zum Klo." "Geht es ihm also besser?", wollte Jeremy wissen. "Das ist eine Party, so etwas hat er sich die ganze Zeit gewünscht!", schrie Jason gegen die laute Musik an. "Übrigens: Du warst toll, hatte ich dir noch gar nicht sagen können." "Danke, Jason!", lächelte der Tänzer. Plötzlich drängelte sich Alex zwischen David und Jem, er stieß den Anwalt regelrecht zur Seite. "Entschuldige, David, aber der Song ist so genial! Ich muss dir mal deinen Freund entführen. Der Kellner bringt gleich die Drinks!" Jeremy kam nicht dazu, auch nur einen Satz zu sagen, geschweige denn David, dann hatte der Schwarzhaarige seinen Exfreund auch schon zum Dancefloor gezogen. Der Blonde schaute ihnen zähneknirschend nach. "Dieser Kerl ist eine Pest!" "Jeremy scheint sich aber wieder gut mit ihm zu verstehen.", bemerkte sein bester Freund. "Ja... leider...", knurrte David. Ein junger ziemlich fescher Kellner trat an den Tisch. Er stellte zwei Gläser mit bunten Cocktails und eine Flasche Mineralwasser samt Glas darauf und lächelte die beiden Männer dann an. "Kann ich euch sonst noch was besorgen, Jungs?" Jason schluckte, das Angebot war eindeutig gewesen. In Davids Anwesenheit schien man vor solch extrovertierten Kerlen nie sicher zu sein. "Eine Axt und ein wasserdichtes Alibi, danke.", antwortete David, ohne den Blick von seinem Freund und dessen Ex zu nehmen, die ausgelassen tanzten. Scheinbar hatte er das unmoralische Angebot noch nicht einmal wahrgenommen. Der Kellner trollte sich mit einer beleidigten Miene. Jason schaute seinen Freund an und dann konnte er sich nicht mehr zusammenreißen. Er fing an zu lachen, so befreit wie seit Wochen nicht mehr. "Schön, dich mal wieder lachen zu sehen!" David legte den Arm um Jason. Dafür gab er sogar für einen Moment seine Observation auf. "Ich habe mir echt Sorgen um dich gemacht." Jason beruhigte sich langsam wieder. "Gilt auch für mich. Schön, dass es mit dir bergauf geht." "Und was ist mit euch?", lenkte der Anwalt schnell vom Thema ab. "Bisher kein Durchbruch..." Der Brünette wurde wieder ernst. "Chris erinnert sich nicht an das Geringste und die Sache mit seinem Vater, die ich ihm erzählt habe, scheint er vollkommen zu verdrängen. Er redet auch so gut wie nicht mit mir und wenn, dann nicht wirklich gehaltvoll. Alles was er im Kopf hat, ist Party." "Wir waren auch mal sechzehn." "Aber ich war damals nicht mit meiner Homosexualität so im Reinen wie er." "Ich schon." "Oh ja, das ist wirklich ein Wunder, hätte ich nie von dir erwartet!", frotzelte Jason. "Gib ihm Zeit." "Ja, das versuche ich ja, aber wie lange... wie lange...?" David wusste nichts zu erwidern. Jason ließ das Gespräch fallen und sah sich verwundert in der Menge um. "Chris ist aber lange auf dem Klo. Bist du sauer, wenn ich ihn suchen gehe?" "Mach ruhig.", gab David seine Zustimmung und fixierte seinen Blick wieder auf das Objekt seiner Abneigung und seinen rothaarigen Freund. Der ehemalige Polizist bahnte sich seinen Weg durch die Menge bis zu den Toiletten. Ein schneller Blick zeigte ihm, dass sein Freund nicht mehr hier war. Auf dem Rückweg kam er an einem jungen Mann vorbei, der den undankbaren Job hatte, darauf zu achten, dass immer genug Toilettenpapier, Handtücher etc. vorhanden waren. "Hey. Ich weiß, das klingt komisch, aber war hier ein Kerl mit schulterlangen blonden Haaren, blaue Augen, ziemlich aufgedreht?" "Ungefähr zwanzig!", lachte der Toilettenboy. "Aber wenn du in den letzten Minuten meinst, da war nur einer. Hat da am Pissoir ganz schön heftig mit einem anderen geflirtet, dann sind sie zusammen ab." Jason hatte das Gefühl, dass für einen Moment sein Herz aussetzte. "Bitte?! Wohin?!" "In die Richtung." Er deutete auf den Hinterausgang. "Verdammte Scheiße!" Jason rannte los. "Du bist aber ganz schön wild!", lachte der Kerl, dessen Namen Chris nicht einmal kannte, als der Blonde ihm die Hand in den geöffneten Reißverschluss schob. "Ja und ausgehungert!" Chris fühlte sich fabelhaft. Er hatte nicht einmal etwas trinken müssen, um richtig gut in Stimmung zu kommen. Als dieser Kerl ihn auf dem Klo die ganze Zeit angegrinst hatte, hatte er sofort gewusst, was Sache war. Er war irgendwie aufgeregt, aber gleichzeitig hatte er keine Angst. Wehtun würde das sicher nicht, schließlich hatte er Erfahrung, auch wenn er sich nicht daran erinnerte. Als er seine Hand aus der Hose herauszog, schnappte ihn sich der Andere und drückte ihn gegen den Wand des Hinterhofs. Chris schlang die Beine und die Hüften des Mannes und küsste ihn gierig. Er war so geil. "Was denkst du, was du da tust?!" Die Beiden zuckten zusammen. Jason stand ein Stück entfernt und stemmte die Hände in die Hüften. "Hey, immer schön warten, der Kleine ist so rattenscharf, der hat sicher genug fürs uns Beide!", lachte der Kerl Jason an. In dem ehemaligen Polizisten brannte eine Sicherung durch. Er stürzte vor, riss den Mann brutal von Chris weg und rammte ihm die Faust ins Gesicht. Der Blonde presste sich ängstlich an die Backsteinwand. Jason war wie von Sinnen, er schlug auf den Kerl ein, der ebenfalls anfing sich zu wehren. Im Nu war eine wüste Prügelei im Gange. Doch Jason war stärker. Er behielt schließlich die Oberhand und bekam eigentlich nicht einmal wirklich viel ab. Der Andere sah weniger gut aus und nahm schnell die Beine in die Hand und suchte das Weite. Schwer atmend blieb Jason vor Chris stehen. "Was sollte das?!" "Was das sollte?! Was das sollte?!" Die Stimme des Brünetten überschlug sich fast. "Was bildest du dir ein, hier mit dem erstbesten dahergelaufenen Typen zu vögeln?! Spinnst du eigentlich?!" "Was geht es dich an?!", brüllte Chris zurück. "Es geht mich sehr wohl etwas an! Du bist mein Freund, hörst du?! Mein Freund!" "Das bin ich nicht!" Jason verlor den Faden. Er brachte nichts weiter fertig, als Chris nur verblüfft anzustarren, aber der Blonde war noch lange nicht fertig. "Du sagst das immer wieder, das ist aber auch schon alles!" "Was?!" "Du bist nicht mein Freund, okay?! Du bist nett, ja! Aber du bist nicht mein Freund! Ich wohne bei dir, aber sonst! Du bist... du bist langweilig! Ein totaler Langeweiler! Du nervst mich, weißt du das?!" Jason ging einen Schritt zurück. Er starrte Chris nur an, dann lief er einfach weg. Zurück in den Club. Auf dem Weg zum Ausgang kam er an David vorbei, der ihn am Arm packte. "Hey, wohin so eilig?" Er erschrak fast, als er in Jasons Augen sah, der Ausdruck darin tat ihm regelrecht im Herzen weh. "Weg!", war alles was sein Freund sagte, dann riss er sich los und verschwand. David schaute ihm fassungslos nach. Nur Sekunden später erkannte er Chris in der Menge der Tanzenden. Der blonde Mann wirbelte zum Takt der Musik ausgelassen herum, als sei überhaupt nichts gewesen. David ging zu ihm hinüber, darauf bedacht möglichst nicht angerempelt zu werden. Sein Arzt würde ihm sowieso den Kopf abreißen, wenn er jemals erfahren würde, dass er hier gewesen war. "Darf ich dich mal sprechen?" Der Anwalt wartete gar nicht erst auf Antwort sondern zog Chris einfach mit sich zum Rand des Dancefloor. "Spinnst du?!" "Was soll das hier?! Was ist mit Jason?!", stellte David einfach eine Gegenfrage. "Der zickt rum!" "Der zickt... wie bitte?! Was war denn nun schon wieder los?!" Chris verdrehte die Augen. "Muss ich mich jetzt auch noch vor dir rechtfertigen, wenn ich einen Kerl geil finde? Ich hab ja gar nicht mit ihm geschlafen, mein toller Aufpasser ist ja dazwischen gegangen!" David hatte für einen Augenblick das Gefühl, vollkommen belämmert aus der Wäsche zu gucken. Das konnte doch einfach alles nicht wahr sein. "Okay! Party's over!" Er packte Chris an der Hand. "Nein! Ich will hier bleiben!" Der Blonde stemmte sich gegen den Griff des älteren Mannes. "Hör zu, wenn du jetzt nicht sofort mitkommst, mache ich dir hier eine Szene, dass du dir wünschen wirst, nie wieder einen Club von innen zu sehen!" Das war so kühl, so gefährlich rüber gekommen, dass Chris nicht einmal wagte zu widersprechen. Widerstandslos ließ er sich von David mitschleifen, bis zu Jeremy, der sich gerade mit Alice und seinem Ex unterhielt. "Jem, ich muss Chris nach Hause bringen." Der Rothaarige schaute etwas verwirrt, nickte aber sofort. "Ich komme mit." "Das ist doch aber quasi deine Party!", mischte sich Alex ein. "Glaubst du, ich bleibe wenn mein Freund heimgeht? Du amüsierst dich sicher ohne mich." "Ja, bestimmt rasend gut." Alex verschränkte die Arme vor der Brust, redete aber nicht mehr dagegen an. Die Beiden verabschiedeten sich von Alice und verließen mit Chris im Schlepptau so schnell es ging den Club. Der Texaner starrte wie ein bockiges Kind vor sich hin und sagte kein Wort. "Was ist denn eigentlich los? Wo ist Jason?" "Keine Ahnung! Aber wenn du wissen willst, was los ist, frag unseren Don Juan hier!", motzte David. "Ihr habt doch alle einen Knall!" Das war alles, was Chris von sich gab, selbst später im Auto. Nicolai fror ganz schön, trotz seines dicken Pullovers. Es war ziemlich kalt, nachts um diese Jahreszeit. Er stand zusammen mit Liam, einem Bekannten, an einer Ecke im verruchten Teil des Hafenviertels. Letztes Jahr war hier Angst und Schrecken umgegangen, aber seit die Morde des Rippers von Frisco aufgehört hatten, blüht das Geschäft mit der käuflichen Liebe wieder. "Glaubst du, du kriegst einen ab?", fragte Liam und deutete auf den schlabberigen wenig sexy aussehenden Pulli des Anderen. "Na ja, zumindest keine Grippe, so wie du!" Liams Lippen waren blau, er zitterte am ganzen Körper. Zwar sah er durchaus aufreizend aus, aber Nicolai zog ein wenig mehr Wärme dem vor. Vorsichtshalber überprüfte er noch einmal sein Haarband, dass seine etwa schulterlangen blonden Haaren zu einem Pferdeschwanz zusammenhielt. Plötzlich hielt ein Wagen neben ihnen. "Glückspilz, du hast Kundschaft!", lächelte Liam, denn der Fahrer schaute jetzt schon Nicolai an. Der Russe grinste. "Bis später dann." Er trat ans Auto und wartete, bis die Scheibe heruntergelassen worden war, bevor er sich hinab beugte. "Hi!", lächelte er anzüglich den überraschend gut aussehenden Mann im Wagen an. "Wie viel nimmst du?", antwortete Jason mit einer Frage. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Frohes neues Jahr, alle zusammen!!! ^^ Nur 26 Seiten und dann auch noch die zwei Songauszüge... ich lasse nach... aber irgendwie war das komisch... Die Geschichte mit Chris' Entführung hatte ich genau im Kopf und auch was danach passiert, aber irgendwie hatte ich mir keine Gedanken um die anderen gemacht. Klar, ich weiß auch den groben Verlauf der Handlungen von David, Jeremy, Ash usw., aber eine genaue Vorstellung, was zu diesem Zeitpunkt geschehen sollte, hatte ich leider nicht oO Na ja, ich habe mir dann etwas aus den Fingern gesaugt, womit ich im Nachhinein sehr zufrieden bin, besonders mit der Colin/Marc Handlung. Hoffentlich geht es mit dem nächsten Kapitel leichter voran, Nicolais Auftritt habe ich nämlich lange erhofft. Ich wollte noch einmal etwas Strichermilieu reinbringen und selbst wenn Nico kein fester Chara wird, so denke ich, dass er doch Freunde finden wird ^^ Bei Marc und Colin krieselt es ein wenig, aber nicht heftig, die Beiden sind noch am glücklichsten... na ja, das nächste Kapitel kommt ja bald *fg* Ich hoffe, der Schock mit Jason und Chris ist nicht zu groß, aber ich denke, niemand hat erwartet, dass ich sie schnell wieder zusammenbringe, oder? ^^ Zuletzt noch: Das Kapitel ist Zuckerfee gewidmet, Betatierchen hat sich das mal verdient und sie weiß sicher auch warum gerade dieses *fg* *knu*, und für die Szene in der Küche zwischen David und Jeremy dürft ihr auch Alaska Credit geben, sie hat mir dabei geholfen und ein Großteil der genialen Formulierungen stammt von ihr *knuddel* Also bis zum nächsten Mal ^^ Euer Uly ^^ Kapitel 33: Goodbye, my love... ------------------------------- Nicolai musterte beiläufig den Fahrer des Wagens neben ihm. Der Mann sah gut aus. Verdammt gut sogar. Kurze braune Haare, kantiges Gesicht, kräftige Muskeln, wirklich sehr attraktiv. "Ist etwas?" Und auch noch aufmerksam. Er hatte sofort gemerkt, dass Nicolai ihn angestarrt hatte. "Nein... nichts..." Auch Jason hatte seinen Beifahrer immer mal wieder angesehen, wenn der gerade nicht geguckt hatte. Ziemlich dünn, aber nicht so dürr wie Chris es gewesen war. Wahrscheinlich ernährte er sich, im Gegensatz zu dem Texaner damals, einigermaßen regelmäßig. Seine langen Haare waren blond, aber er schien einen Ansatz zu haben, möglicherweise gefärbt. Ein hübscher junger Mann, der ihm vor allem wegen seines schlabberigen Pullis aufgefallen war, der ihn deutlich von den kaum bekleideten anderen Strichjungen abhob. "Was hattest du noch mal gesagt, nimmst du?" "Oh, bist du nervös?" lächelte der Andere. "Du hast mich doch schon gefragt, bevor ich eingestiegen bin. "Vergessen. Also?" Wie ruppig, hat es aber ganz schön eilig. Nicolai zählte an den Fingern mit, ganz professionell. "Zwanzig Dollar, wenn ich es dir mit der Hand besorgen soll, Sechzig für einen Blowjob und Hundert für das volle Programm. Ach ja, spar dir die Frage nach einer Nummer ohne Gummi gegen Aufpreis, ich bin nicht lebensmüde!" "Dann also Hundert." Nicolai lehnte sich zurück. Ausnahmsweise schüttelte es ihn nicht jetzt schon bei dem Gedanken daran. "Wie heißt du?" "Nicolai. Und du?" "Das ist ein schöner Name. Russisch, oder?" Jason nahm den Blick nicht von der Straße. "Ja. Darf ich deinen jetzt erfahren oder soll ich dich ,Schöner Fremder' nennen?" "Jason." "Ein schöner Name. Amerikanisch, oder?" Jason musste lachen. Der Kerl gefiel ihm. Schlagfertig. "Wohin fahren wir eigentlich? Wenn du auf dieser Straße weiterfährst, kommen wir Downtown. Die billigen Hotels liegen in der anderen Richtung." "Nimmst du die Freier nicht mit zu dir?" Nicolai schüttelte den Kopf. "Das geht leider nicht. Meine kleine Schwester ist da und... na ja, ich lasse mich ungern von einem Mann flachlegen, während mein Engelchen das hören kann." Der Brünette zuckte zusammen, als Nicolai den Kosenamen seiner Schwester sagte. Er schüttelte den Gedanken an Chris ab. Diese kleine Ratte. Er hatte ihn... "Ist etwas mit dir?" "Nein." "Du hast mir immer noch nicht gesagt, wohin du mit mir fährst. Bist du etwa von der Sitte oder so?" Langsam wurde Nicolai nervös. Jason lächelte ihn an. "Wir fahren in ein ordentliches Hotel. Ich will keine kurze Nummer in einem quietschenden Bett in einem kakerlakenverseuchten Bumsschuppen." "Oh, du weißt, was du willst, gefällt mir." Nicolai streckte die Hand nach Jasons Oberschenkel aus. "Du musst keine Verführungsnummer abziehen, ich nehme dich auch so mit." "Meine Güte, du bist aber gut drauf. Entschuldige." Der Blonde zog die Hand wieder weg. "Trotzdem wird das sicher ein schöner Abend." fügte er hinzu. Jason sah zu ihm hinüber, doch der junge Mann schaute aus dem Seitenfenster. Offenbar war das Gespräch für ihn beendet. Chris schleuderte seine Jacke an den Haken der Garderobe und ging an Batman vorbei, ohne den Hund auch nur eines Blickes zu würdigen. Jeremy erbarmte sich des winselnden Welpen und nahm ihn auf den Arm. "Ich gehe ins Bett!" schnappte der Texaner. "Nichts wirst du! Du bleibst hier, junger Mann!" Jeremy drehte langsam den Kopf zu David und sah ihn mit absolutem Unverständnis an. ,Hast du einen Knall? Er ist doch kein Kind', war die unausgesprochene Frage, die den Blick begleitete. Der Anwalt zuckte mit den Schultern. "Entschuldige! Aber er benimmt sich doch so!" gab er trotzdem darauf Antwort. "Seid ihr Beide eigentlich ein altes Ehepaar oder so? Eure stumme Kommunikation ist toll, fast wie bei Flipper!" "Sei nicht so frech! Ab ins Wohnzimmer und hinsetzen!" "Sonst was, Alterchen?!" grinste Chris. David packte ihn wortlos am Arm und zerrte ihn ins Wohnzimmer. Chris stemmte sich gegen den Griff. "Lass mich gefälligst los!" Der blonde Anwalt war stinksauer. Er hörte nicht auf Chris. Was bildete sich dieser Kerl ein?! Was auch immer er seinem besten Freund angetan hatte, das würde jetzt auf der Stelle geklärt werden! "David!" Jeremy eilte ihm in den Weg. "Was ist?!" fragte er, ohne den Griff bei Chris zu lösen. "Lass mich mit ihm reden, hm? Ich bin eher seine Altersklasse." "Spinn nicht rum! Du bist viel reifer als dieser infantile kleine Mistkerl!" David sagte das alles, obwohl er genau wusste, dass er hier eigentlich von einem der nettesten Männern sprach, die er je kennen gelernt hatte. Aber diese junge Ausgabe von Chris war eine Landplage erster Güte. "Trotzdem! Versuch doch Jason zu erreichen. Vielleicht hat er sein Handy an." Der Ältere fügte sich seinem Freund. Jeremy schien fest entschlossen, die Sache zu klären. "Wie du meinst, das Früchtchen gehört dir." Er schob Chris mehr oder minder sanft auf die Couch und verließ dann das Wohnzimmer, zog die Tür hinter sich zu. Jeremy nahm gegenüber von dem Blonden Platz und lächelte ihn an. "Entschuldige, aber er ist etwas aufbrausend, vor allem wenn es um seinen besten Freund geht." "Das merke ich. An deiner Stelle wäre ich da vorsichtig, vielleicht bumsen die Beiden ja." "Oh, das ist lange vorbei." Jeremy winkte ab, als er Chris' verstörten Blick sah. "Vergiss es, nicht so wichtig. Ich will lieber wissen, was du dir dabei gedacht hast, heute Abend diese Nummer abzuziehen... was hast du überhaupt abgezogen, das wäre auch mal interessant zu wissen." "Ich hab nur diesen Typen kennen gelernt und wollte mich amüsieren..." meckerte Chris trotzig. "Amüsieren? Etwa auf die Art, für die man ein Kondom braucht?!" "Er hatte welche. Ich bin ja nicht blöd!" Jeremy vergrub das Gesicht in den Händen und atmete tief aus. "Warum tust du so etwas?" fragte er schließlich. "Das ist doch nicht verboten!" "Wenn man in einer Beziehung lebt, dann sollte das schon verboten sein!" Chris sprang auf. "Nicht du auch noch!" Er entfernte sich ein paar Schritte und starrte entnervt aus dem Fenster auf die Hillside Street hinaus. Sein Gesicht spiegelte sich im Glas. Jeremy drehte sich auf dem Sessel herum und sah über die Schulter zu ihm hinüber. "Was meinst du?" "Ihr geht mir alle so auf die Nerven!" Chris wandte sich abrupt um und gestikulierte etwas hilflos. "Ich habe keine Beziehung, okay?! Ich habe allmählich genug davon, dass alle über mich bestimmen wollen! Jeder hier kennt Chris! Jeder hier mag Chris! Chris ist so lieb! Chris ist so ruhig! Chris tut dies! Chris tut jenes! Chris ist ein grundguter Mensch! Chris und Jason sind ein Traumpaar! Chris! Chris! Chris! Ihr alle wisst genau, wer Chris ist und ihr habt genaue Erwartungen, wie sich Chris verhalten muss!" Er war laut geworden. "Aber ich bin das nicht! Ich bin nicht euer toller Chris! Eure verfluchten Erwartungen machen mich fertig! Allen voran die von Jason! Wie er mich ansieht! Immer quellen seine Augen vor Liebe über, so sehr, dass mir Angst und Bange wird! Ich finde ihn nett, aber das reicht ja nicht! Chris liebt Jason ja! Toll! Ich kenne diesen Kerl aber kaum! Muss ich deswegen gleich sein Hausweibchen spielen?! Chris ist mit Sly befreundet! Chris ist ganz dicke mit David! Marcus! Colin! Meine Mum! Du! Jeder will, dass sein Chris genau das tut, was sein Chris immer tut! Kapiert doch endlich, dass ich nicht dieser Chris bin!" Er war so in Fahrt, dass er eine Vase vom Schrank riss und sie auf den Boden schmetterte. Schwer atmend stand er in der sich ausbreitenden Wasserlache. Dicke Tränen rannen über seine Wangen, seine geballten Fäuste zitterten wie verrückt. Jeremy stand wortlos auf, ging zu dem blonden Mann hinüber und schloss ihn einfach in die Arme. Chris sackte regelrecht zusammen und brach endgültig in Tränen aus. Jasons Handy klingelte. "Willst du nicht rangehen?" fragte Nicolai. Der Brünette lächelte. "Einen Moment, die Freisprechanlage hebt gleich ab." Es knackte. "Hi, David!" "Jason, Mann, wo bist du?! Wir machen uns Sorgen!" "Keine Panik, mir geht es gut!" "Ich habe Chris hier. Jeremy kümmert sich um ihn. Komm nach Hause, ja?" "Vergiss es! Meinetwegen müsst ihr auch nicht bei ihm bleiben." "Jason, komm schon!" Eine Ampel schlug auf Rot um und Jason trat heftig in die Eisen. Nicolai wurde im Sitz nach vorn geschleudert und vom Sicherheitsgurt zurück gerissen. "Mensch, pass doch auf!" "Entschuldige." "Jason, war das eben ein Kerl?!" fragte David mit einem entsetzten Unterton aus dem Handy. "Ja." war die kurze Antwort seines besten Freundes. "Sunshine! Mach keinen Mist! Komm nach Hause." "Bis später, David." "Sunshine, du..." Jason beendete die Verbindung und schaltete das Telefon aus. "Mein bester Freund." erklärte er knapp. "Aha." Nicolai schaute kurz zu Jason, doch der konzentrierte sich schon wieder auf den Straßenverkehr. Komischer Kauz. Jeremy kam zu David in die Küche. Er hatte Chris ins Bett gebracht, der Blonde war sofort eingeschlafen. Er hatte noch eine ganze Zeit geweint, bevor er sich endlich hatte beruhigen können. David nippte an einem Mineralwasser. "Wo ist er?" Jeremy nickte nach oben. "Im Bett. Er schläft. Hast du Jason erreicht?" Der Anwalt ließ sich seufzend am Esstisch nieder und stellte sein Glas etwas zu heftig hin. "Ja, das habe ich... er sitzt irgendwo in der Stadt in einem Auto... mit einem anderen Kerl." "Das würde er nicht." "Er würde... er hat mich einfach abgewürgt. Der ist drauf und dran einen Anderen flachzulegen." "Was geht hier nur vor...?" Der Tänzer stützte sich auf die Küchenspüle. "Das darf doch alles nicht wahr sein. Die Beiden waren das Überpaar! Ich habe sie immer als Vorbild betrachtet, ich war der Meinung, dass sie für ewig zusammen bleiben... hier geht alles kaputt... Chris fühlt sich überfordert. Er hat genug von all den Erwartungen, die an ihn gestellt werden." "Er übertreibt!" "Tut er das?" fragte Jeremy und wollte sich durch die Haare fahren, scheiterte aber kläglich an den Tonnen von Haargel, die noch von der Modenschau dort weilten. "Wenn du mal ehrlich bist, dann stellen wir alle Erwartungen an ihn. Chris war ein wundervoller Mensch und wir alle hoffen inständig, dass er wieder so wird, wie er war. Aber dieser Mann da oben ist jemand anders und er geht daran kaputt, dass alle auf ihn einstürmen, ohne es zu merken." "Du solltest Anwalt werden, das war eine gute Verteidigungsrede. Willst du jetzt hören, dass das sein Verhalten in dem Club rechtfertigt?" "Ich meine ja nur!" "Jeremy! Dieser kleine Mistkerl hat erst mit Jason getanzt, um sich dann von einem Anderen vögeln zu lassen, das rechtfertigt nichts!" "Du tust gerade so, als wärst du ein Unschuldsengel, was wechselnde Sexpartner angeht!" "Das ist ja jetzt wohl unfair!" "Ich kenne jemanden, der mit einem anderen Jemand zu einer Party ging, nur um dann einem dritten Jemand einen zu blasen!" David seufzte entnervt. "Wenn du jetzt diese alte Sache wieder aufrollst, haben wir gleich Streit!" "Dann gib einfach zu, dass ich Recht habe!" "Nimm ihn doch nicht die ganze Zeit in Schutz!" "David!" Jeremy rollte mit den Augen. "Du reagierst nur so über, weil du zum Tier wirst, wenn jemand Jason weh tut! Eigentlich sollte ich auf ihn eifersüchtig sein, möchte wissen ob du dich bei ihm so zieren würdest, ,Ich liebe dich' zu sagen!" Eigentlich wollte Jeremy das nicht gegen den Blonden verwenden, aber er war sauer über die Art, wie David mit ihm umging. Im Moment behandelte er ihn wie ein kleines Kind, das nicht wusste, wovon es sprach. "Du hast ja einen Knall!" David wollte wütend zu seinem Glas greifen, doch er hatte es kaum aufgehoben, da entglitt es seinen Fingern. Wieder das gleiche Gefühl oder besser das gleiche Nicht-Gefühl. Seine Finger wurden innerhalb von Sekunden taub. Das Trinkgefäß rutschte aus ihnen heraus, stieß an die Tischkante und zerbrach dann auf dem Küchenboden. "Scheiße..." Jeremy schaute ihn verdutzt an. "Was war denn? Das ist dir letztens doch auch schon passiert." "Nichts war!" sagte David schnell und harsch. "Du machst mich nur wahnsinnig, das ist alles! Ist doch kein Wunder, dass ich dann so etwas mache!" Damit sprang er auf und eilte ins Gästebad, ohne Jeremy auch nur noch eines Blickes zu würdigen. Er drehte mit einem Ruck das Wasser auf und hielt seine rechte Hand unter den Strahl. Die Flüssigkeit wurde heiß, fing sogar an zu dampfen, aber David spürte nichts. Absolut gar nichts. Das heiße Wasser rann über seine Haut, als wäre es gar nicht da. "Verdammte Scheiße..." "David, ist alles okay?" rief Jeremy durch die Tür. "Lass mich in Ruhe, du Nervensäge!" "Was soll das? Was habe ich dir getan?!" "Lass mich zufrieden!" Auf der anderen Seite der Tür wurde es still. In diesem Moment kehrte das Gefühl in seine Hand zurück. "Au! Verflucht!" David riss seine geröteten Finger unter dem heißen Wasser hervor. Er ließ sich auf der Toilette nieder und starrte an die Tür. "Was machst du da?" Colin setzte sich breitbeinig hinter Marcus aufs Bett und schaute ihm über die Schulter. Sein Freund saß vor seinem Laptop. "Suchst du Pornos?" Seine Augen wanderten über den Bildschirm, auf dem eine prall voll geschrieben Internetseite zu sehen war, deren einziges Bild ein bunter Querschnitt eines Gehirns darstellte. "Amnesie?" Marcus nickte. "Ich hab das Gefühl, dass ich Chris irgendwie helfen müsste... aber das ist schon die mindestens zwanzigste Website dieser Art und nirgendwo finde ich etwas Neues. Weitestgehend unerforscht. Psychisch. Traumata. Schwer behandelbar. Schwer einzuschätzen. Bla bla bla..." "Mein armes Kätzchen..." Colin küsste ihn auf den Hals. Seine Arme legten sich um Marcus und berührten die Tastatur. Mit flinken Fingern tippte er darauf herum und in der Eingabezeile des Webbrowsers erschienen die Worte ,Ich liebe dich'. Marcus kicherte und drückte auf Eingabe. Der Bildschirm wechselte und AOL verkündete ihnen, dass man die Seite ,Ich liebe dich" nicht finden könne und das man am besten die Schreibweise kontrollieren und notfalls über eine Suchmaschine danach suchen solle. Der blonde Junge hob den Laptop von seinen Beinen und drehte sich zu Colin um, damit er ihn küssen konnte. Gemeinsam sanken sie aufs Bett. Colin strich mit seinen Fingern sanft durch die blonden Haare seines Freundes, genoss das Gefühl von Marcus' Gewicht auf seinem Körper. Seine Hände erforschten den Rücken des Jungen, während sie sich weiterhin zärtlich küssten. Langsam zog er das Hemd seines Freundes nach oben und glitt mit den Fingern darunter. Seine rechte Hand wanderte zum Nachttisch und zog die oberste Schublade auf. Marcus folgte aus den Augenwinkeln der Bewegung und brach den Kuss abrupt ab. "Was ist?" "Was soll das?" Der Blonde nickte in Richtung der offenen Schublade, in der Kondome und Gleitmittel lagen. "Ich wollte nur..." "Du wolltest nur gewappnet sein, was?" Marcus drückte sich hoch, dabei stemmte er absichtlich seinen Hände in Colins Bauch. Der Schwarzhaarige keuchte. "Was hast du denn plötzlich?!" Sein Freund stand bereits neben dem Bett. "Geht es vielleicht noch ein wenig unsubtiler?! Warum drapierst du die Dinger nicht am besten auf dem Kopfkissen, damit ich gleich weiß, dass du an nichts anderes denkst!" "Marcus, bitte..." "Du bist verlogen, Colin! Damals als wir uns kennen gelernt haben, hast du so getan, als hättest du kein Problem damit, wenn wir warten, aber jetzt bist du plötzlich ganz versessen darauf, mich zu vögeln!" "Das bin ich doch gar nicht!" "Colin! Wenn du mir die Kondome ins Gesicht werfen würdest, wäre das nicht deutlicher!" "Was ist eigentlich dein Problem?" Colin stemmte sich auf die Ellenbogen hoch. "Du warst doch in der ersten Nacht ganz wild darauf, mir gleich an den Schwanz zu fassen!" "Das war... ich..." Marcus verlor den Faden. "Ach vergiss es..." Der Schwarzhaarige stand auf und wollte ihn in den Arm nehmen, aber Marcus wich der Zärtlichkeit aus. "Was ist denn bloß los? Hast du solche Angst davor?" "Du würdest das sowieso nicht verstehen!" Er eilte an Colin vorbei, warf die Badezimmertür hinter sich zu und drehte den Schlüssel. "Marcus, bitte!" Der blonde Junge sank mit dem Rücken an der Tür herunter. "Lass mich bitte!" "Sag mir doch, was ich getan habe." "Bitte! Lass mich in Ruhe!" Colin gab nach und Stille kehrte ein. Zumindest vorerst. Marcus stand wieder auf, ging zu der kleinen Badewanne hinüber und legte sich einfach hinein. Er zog ein Badelaken heran und legte es sich unter den Nacken, damit es nicht so hart war, um dann zur Decke zu starren. Vor seinen Augen verschwamm alles und er wusste nicht einmal, ob das nur an den Tränen lag. Seine Gedanken schweiften ab und kehrten an einen Ort zurück, den er lange hinter sich gelassen hatte. Plötzlich war er wieder dort, auf der Straße. Einsam und allein. Wie vor fast zwei Jahren. San Francisco 2003. Marcus zog seine Jacke fester zu. Die Gegend war ihm unheimlich. Er wusste nicht, wo er genau war, niemand, der ihn kannte, niemand, den er kannte. Die Stadt war schön, aber viel gesehen, hatte er bisher nicht. Sein Geld war längst alle und er hatte absolut keine Ahnung, wohin er als nächstes gehen sollte. Das war doch alles total beschissen. Am liebsten hätte er geweint, aber das traute er sich nicht auf offener Straße. Seit einer Woche war er von Zuhause weg. Das Wichtigste war gewesen, aus der Hölle von Yorba Linda zu entkommen. Weg von seinen Eltern, die ihn sowieso niemals verstehen würden und weg von seinen Mitschülern, die nur noch Worte wie ,Schwuchtel', ,Tunte' oder gar ,Arschficker' für ihn übrig hatten. Wie dämlich hatte er eigentlich sein können? Wie blöd musste man sein, um mit fast sechzehn Jahren einem Mitschüler die Liebe zu gestehen?! Den Blick in seinen Augen würde er nie vergessen. Kein Lächeln, kein zärtliches ,Ich dich auch' oder so etwas. Nein. Er hatte kurz einfach nur blöd geguckt und war dann in schallendes Gelächter ausgebrochen. Alle Versuche von Marcus die Situation zu retten, waren missglückt. Er hatte ihn auf Knien angeflennt, niemandem etwas davon zu sagen, doch am nächsten Tag hatte es die ganze Schule gewusst. "Marcy, willst du mir einen runterholen?!" hatte Ted gerufen. "Marcy, zeig uns deinen Arsch!" ein Anderer. "Marcy, wo ist dein Röckchen?!" Er wäre beinahe gestorben. Ein paar Mal hatte er sogar darüber nachgedacht, sich wirklich umzubringen. Aber soweit wäre er niemals gegangen, niemals. Selbstmord war keine Lösung. Weglaufen schon eher. Und das hatte er auch getan. Einfach weg, weit weg. San Francisco war nicht wirklich so extrem weit weg, aber immerhin groß und anonym genug, um dort unterzutauchen. Und unterzugehen. Hilflos. Marcus hätte sich niemals vorgestellt, dass er sich einmal so einsam, allein und schutzlos fühlen könnte. Marcus schloss die Augen. Dieses Gefühl... er hatte lange nicht mehr daran gedacht... Die Therapie, die Freundschaft zu Jason und Chris, dann die Irrungen und Wirrungen mit Gary und zuletzt Colin... all das hatte ihn davon abgelenkt. Wie hatte er eigentlich vergessen können, wie es sich anfühlte, vollkommen allein und hilflos zu sein? So verzweifelt, dass er sich damals mit offenen Augen ins Unheil gestürzt hatte, mehr als willig zu Drogen gegriffen und dafür Sachen getan hatte, die andere Jugendliche in seinem Alter noch nicht einmal kannten. Er hatte lange gebraucht, um all das zu verarbeiten und wirklich darüber hinweg war er bis heute nicht... sein erstes Mal Sex war der pure Horror gewesen, aber er hatte es geschafft, diese Erfahrung hinter sich zu lassen und nach vorn zu blicken, seine Therapeutin war begeistert gewesen von seiner Kraft und seinem Willen. Wann hatte er angefangen, seine Probleme in sich hinein zu fressen? Colin war so ein wundervoller junger Mann und er liebte ihn. Aber was, wenn er es nicht mehr tat, wenn er ihm die Wahrheit sagte? Und wenn nicht, war er dann überhaupt das, für das Marcus ihn gehalten hatte? "Marcus? Kätzchen, bitte mach die Tür auf..." unterbrach die Stimme seines Freundes seine Gedanken. "Ich mache mir Sorgen..." Der Blonde lächelte und stieg aus der Wanne. Langsam ging er zur Tür und drehte den Schlüssel. Colin stand da und schaute ihn aus sorgenvollen Augen an. "Was machst du bloß?" Marcus antwortete nicht, sondern warf sich in Colins Arme. Er presste sich an seinen Freund, wollte ihn am liebsten nicht mehr loslassen. Und dann formten seine Lippen wie von selbst die Worte, vor denen er so schreckliche Angst hatte. "Ich war nicht ehrlich zu dir..." Colin drückte ihn an sich. Er hielt die Augen geschlossen. "Was immer es ist... du kannst doch mit mir über alles reden..." Er nahm Marcus zärtlich an der Hand und führte ihn zum Bett, gemeinsam setzten sie sich darauf. "Was ist denn nur?" fragte er, während seine Hand liebevoll über die Wange des blonden Jungen strich. Marcus schaute ihm in die Augen und plötzlich war seine Angst noch größer als zuvor. Aber nun hatte er die Büchse der Pandora geöffnet, es gab kein Zurück mehr, außer vielleicht in noch mehr Lügen und das wollte er nicht, auf keinen Fall. "Ich... ich war unehrlich zu dir... wenn wir miteinander schlafen würden... das wäre nicht mein erstes Mal..." "Das ist alles?" wunderte sich Colin überrascht. "Du hattest schon Sex?" Auf einmal verdüsterte sich sein Gesicht. "Hat dich etwa jemand vergewaltigt?!" "Nein... Nein!" gab Marcus schnell zurück. Wirklich vergewaltigt war er nie worden... er war immer einverstanden gewesen, weil er ja Geld dafür bekam. "Es ist nur... ich..." "Marcus, du kannst mir alles sagen." "Ich war drogenabhängig und bin auf den Strich gegangen!" platzte es aus dem jungen Blonden heraus. Jetzt hatte er es hinter sich. Endlich. Colin sah ihn etwas verständnislos an, dann fing er an zu lachen. "Klar! Marcus, jetzt verarsch mich nicht!" kicherte er. Sein Freund löste sich von ihm und stand auf, die Hände in die Hüften gestemmt, irgendwie ärgerte ihn Colins Gelächter zutiefst. "Das ist kein Scherz! Ich habe das wirklich gemacht... ich habe über ein Jahr auf der Straße gelebt, weil ich von Zuhause weg gelaufen war! Du wolltest die Wahrheit hören!" Colins Lachen erstarb, er starrte Marcus fassungslos an. "Das ist... doch nicht..." "Du wolltest es wissen!" Mit einem Mal hatte Marcus eine Stinkwut im Bauch. Er wollte sich nicht rechtfertigen müssen und um Vergebung flehen, er hatte gelitten, nicht Colin. "Und du hast es nicht für nötig gehalten, mir das zu sagen?!" Der Schwarzhaarige stand ruckartig auf. "Klar! Ich mache das immer so! ,Hi, ich bin Marcus, ehemaliger Junkie und Strichjunge, nett dich kennen zu lernen'!" "Findest du das witzig?!" "Nein, siehst du mich lachen?!" motzte Marcus zurück, "Soviel dazu, dass du Verständnis hast! Gott, wenn du deine Augen sehen könntest!" "Marcus, was erwartest du?! Meinst du, ich kriege jeden Tag gesagt, dass mein Freund eine..." Er brach ab. "Eine was?" Marcus hatte sich in Rage geredet. "Eine Nutte war?! Glaub mir, für mich ist das auch nichts Alltägliches! Das quält mich schon lange, aber du wolltest die Wahrheit hören!" Stille baute sich zwischen ihnen auf. Schließlich war es Marcus, der sie durchbrach. "Colin, ich..." Er kam auf den Schwarzhaarigen zu, doch dieser wich zurück. "Was hast du?" Colin schüttelte den Kopf. "Bitte geh, Marcus..." "Was?" "Ich bitte dich... geh... schlaf daheim, ja?" Marcus spürte wie ihm die Tränen in die Augen traten. Das war es also. Soweit ging Colins Verständnis. Er presste die Lippen zusammen. "Wie du meinst..." Damit drehte er sich um und ging, die Zimmertür feuerte er hinter sich zu. Ohne sich von jemandem zu verabschieden, zog er seine Jacke und Schuhe an und verließ das Haus. Erst im Bus brach er in Tränen aus. Jason lächelt den Portier des Marriott Hotels in Downtown an. Nicht gerade ein Luxushotel, aber ein grundsolider Laden mit freundlichem Ambiente und erschwinglichen Preisen. "Was kann ich für Sie tun, Sir?" "Ich hätte gern ein Zimmer für Zwei." Der Portier schaute an Jason vorbei und musterte den jungen Mann hinter ihm mit einem abschätzigen Blick. Nicolai grinste. "Sir, wir sind kein Stundenhotel." "Sir, das habe ich auch nicht gesagt, oder?" "Sir." Der Portier zog das Wort mittlerweile akzentuiert lang. "Es ist ja wohl klar, dass Ihr Begleiter..." "Mein Begleiter..." betonte Jason süßlich. "...ist meine Sache. Geben Sie mir einfach ein freies Zimmer und zwar für die ganze Nacht, da kann man ja wohl nicht von einem Stundenhotel reden. Also bitte." Der Portier unterdrückte offensichtlich ein Knurren. Er drehte sich um und suchte am Schlüsselbrett, bevor er eine Karte hervorzog. "Zimmer 261. Ich wünsche eine angenehme Nacht, Sir." "Vielen Dank." Jason nahm die Karte entgegen und dann demonstrativ Nicolai an die Hand, um ihn zu den Aufzügen zu führen. Langsam genoss er dieses Spiel sogar. Der blonde Mann kicherte. "Du bist ja plötzlich viel besser drauf." "Kann sein!" lachte Jason und zog ihn in seinen Arm, als sich die Fahrstuhltüren hinter ihnen schlossen. Der Fahrstuhlboy riss die Augen auf, sagte aber nichts. "Du bist wirklich heiß, weißt du das?" "Danke!" Nicolai ging auf die Annährung des Brünetten ein und schob einfach seine Hand hinten in den Bund von Jasons Hose. Ganz schön knackig, wie er feststellen musste. "Ich bin so scharf auf dich. Ich will dich die ganze Nacht vögeln!" Jason erkannte sich selbst nicht wieder. Das klang überhaupt nicht nach ihm, ganz und gar nicht. Und gleichzeitig drängten sich Bilder von Chris in seinen Kopf, wie er sich an diesen Kerl gepresst hatte, willig sich nehmen zu lassen. Dadurch bekam das hier wieder seinen Sinn. "Du bist aber ganz schon wild, Süßer! Halt dich wenigstens noch etwas zurück oder der Kerl da kriegt gleich einen Herzinfarkt." "Wenn du das sagst!" Auf ihrer Etage stürmten die Beiden aus dem Fahrstuhl und Jason öffnete so schnell es ging die Tür zum gemieteten Zimmer. Noch das ,Do not disturb' Schild an die Tür, dann waren sie allein. Der Brünette zog Nicolai den Pullover über den Kopf, hob ihn dann einfach hoch und trug ihn zum Bett. Er warf den jungen Mann darauf und stieg selbst hinterher. Währenddessen zog er bereits die Jacke aus. Nicolais Hände fanden Jasons Pullover und befreiten den ehemaligen Polizisten von dem Kleidungsstück. Nackte Haut auf nackter Haut lagen sie auf dem Bett. Jason beugte den Kopf nach unten und wollte den Blonden küssen, doch Nicolai schob die Hand dazwischen. "Nein, keine Küsse. Ich küsse nicht, niemals, okay?" "Auch recht!" Jason fing an, statt der Lippen den Hals des Mannes zu küssen, seine Finger waren derweil schon damit beschäftigt, Nicolai von der Hose zu befreien. "Ich werde dich vögeln, dass dir hören und sehen vergeht!" stöhnte der Brünette. "Sag, dass du mich willst!" Nicolai lächelte. Brauchte der wirklich so eine Nummer, um scharf zu werden? "Ich will dich!" hauchte er dann doch. Irgendwie stimmte das auch. Jason bedeckte den Bauch des jungen Mannes mit Küssen, während er seine Hand in die Hose des Strichers schob. "Du bist unglaublich, Chris." "Nicolai." Der ehemalige Polizist sah auf. "Hm?" "Ich heiße Nicolai, nicht Chris. Aber du darfst mich so nennen, wenn dir das gefällt." Jason starrte ihn an. "Habe ich... ich habe Chris gesagt, oder?" Nicolai nickte nur. "Fuck!" Er stemmte sich hoch und stieg aus dem Bett. Am liebsten hätte er den Kopf gegen die Wand geschlagen. Das durfte doch nicht wahr sein! Der junge Russe setzte sich im Bett auf und verschränkte locker die Arme vor dem Körper. "Wer ist er?" "Das ist unwichtig..." "Er hat dir weh getan, oder?" "Das geht dich nichts an, kapiert! Du bist zum Vögeln hier, nicht als Seelenklempner!" fauchte Jason, die Worte taten ihm im nächsten Moment leid. Nicolai stand schweigend auf und ging zu Jason hinüber. Ohne etwas zu sagen, nahm er den Mann einfach in den Arm. Und das war genau das Richtige. Jason sackte einfach in sich zusammen und brach in Tränen aus. Hier schämte er sich ihrer nicht, vor Nicolai musste er nicht der starke Mann sein, er kannte ihn nicht, stellte keine Erwartungen an ihn. "Entschuldige..." schluchzte er. "So darf ich nicht mit dir reden..." "Ist schon okay, ich wurde schon schlimmer beschimpft." Jason klammerte sich an ihn. "Ist ja gut..." Nicolai streichelte ihm zärtlich über den Rücken. "Ich glaube, den Sex lassen wir sein, was? Das ist auch gar nicht, was du willst, oder?" Der ältere Mann schaute ihn aus verweinten Augen an. "Sag mal, bist du sicher, dass du auf den Strich gehst und nicht heimlich doch Psychologe bist?" Wenig später saßen die Beiden, wieder voll angezogen, auf dem kleinen Balkon des Zimmers und schauten auf die Stadt hinaus. Jason hatte den Zimmerservice kommen lassen und Nicolai war gerade kurz davor, in den Cheeseburger zu beißen, den er sich bestellt hatte. "Ich liebe diese Dinger!" grinste er. Jason lächelte nur. Er fühlte sich auf einmal vollkommen anders. Die letzten Stunden kamen ihm geradezu unwirklich vor. Hatte er wirklich geglaubt, dass eine billige Nummer die Lösung für seine Sorgen war? Er hatte das Gefühl gehabt, sich an Chris rächen zu müssen, aber das war plötzlich so sinnlos und kindisch. Sein Blick wanderte zu dem jungen Mann an seiner Seite. Nicolai war wirklich ein bisschen wie Chris und doch völlig anders. Er hatte nichts von der Kälte, die sein Freund immer so kultiviert hatte. "Willst du jetzt reden?" fragte der Russe, nachdem er einen Bissen zerkaut hatte. "Ich weiß es nicht... ich kann dich doch nicht mit meinen Problemen nerven." "Ich bin ein guter Zuhörer, auch wenn das die Wenigsten von mir verlangen." "Warum machst du das eigentlich?" Jason nahm einen Schluck Cola. Er wollte keinen Alkohol trinken. "Du hast keine..." "Keine Einstiche?" lächelte Nicolai. "Nein, ich würde niemals Drogen anrühren. Ich mache das nicht gern, aber... ich muss schließlich irgendwie für meine Schwester und mich aufkommen..." "Es gibt auch Arbeiten, bei denen man sich nicht ausziehen muss...", sagte er, lächelte dann aber etwas verschämt, "Entschuldige, der Spruch war mies." "Schon okay." Der Blonde lehnte sich zurück. "Ich habe keine Arbeitserlaubnis, verstehst du? Ich kann nichts anderes tun... denk nicht, dass mir das Spaß macht, aber ich werde nicht zulassen, dass mein kleiner Engel vielleicht nichts zu Essen bekommt. Meine Schwester Anna ist mein Ein und Alles." Jason kam nicht umhin, den jungen Mann zu bewundern. Auch wenn es natürlich nicht richtig war, was er tat, es gab noch andere, meistens auch illegale Wege, an Geld zu kommen, Schwarzarbeit zum Beispiel. "Aber wir wollten doch eigentlich nicht über mich reden, oder?" "Ich hatte gehofft, du hättest das vergessen." "Meinst du, ein Cheeseburger sorgt bei mir für Gedächtnislücken?" Der Brünette lächelte. "Bevor ich es vergesse... dein Geld kriegst du natürlich trotzdem." Nicolai winkte ab. "Das musst du nicht. Ich finde schon noch einen Freier." "Doch, ich bestehe darauf. Dann musst du dich auch nicht darum reißen, vielleicht noch einen von diesen Schweinen zu bedienen..." Der Russe schaute ihn von der Seite an. "Sag mal... kennst du dich eigentlich mit Strichern aus? Du hast nicht den Eindruck gemacht, als wärst du häufig auf Freiersfüßen." Jasons Blick irrte über die Stadt. "Sagen wir... sagen wir, ich hab schon mal in diesem Umfeld zu tun gehabt..." "Und derjenige, der dich in meine Arme getrieben hat... kommt der aus dem ,Umfeld', wie du sagst?" Der Ex-Polizist nippte an seinem Glas. "Na ja... darum geht es nicht..." Er fuhr sich durch die Haare. "Wir waren glücklich... sehr sogar... und dann ist alles vor die Hunde gegangen. Er wurde entführt, von einem Jugendfreund... und schrecklich gequält." Plötzlich sprudelte alles aus ihm heraus. "Ich konnte ihn retten und habe dabei einen Kollegen verloren..." "Einen..." Nicolai setzte sich auf. "Bist du ein Bulle?!" "Beruhige dich, ich habe gekündigt. Du hast nichts zu befürchten. Auf jeden Fall hat mein Freund durch diese ganze Scheiße sein Gedächtnis verloren. Er hat mich vergessen und nun... du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich es ist, wenn der Mann deines Lebens auf einmal nichts mehr von dir wissen will... dich langweilig findet, mit dir ausgeht und dann einen anderen vögeln will..." "Und du hast dir gedacht, dass du es ihm heimzahlst, indem du dir einen Kerl suchst und gleiches mit gleichem vergeltest?" Auf einmal schämte Jason sich. "Ja... so in der Art. Zum Glück habe ich es verbockt... Chris ist auch nicht dazu gekommen... wenn ich das jetzt getan hätte..." "Du hast ja nicht." Nicolai war mit seinem Burger fertig und lehnte sich gemütlich zurück. "Du bist ein netter Kerl... glaubst du nicht, dass du über so etwas stehst?" "Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll, verstehst du? Ich bin vollkommen überfordert... ich weiß nicht, wie ich mit ihm umgehen soll, wie ich ihm klar machen soll, was ich für ihn empfinde... und ich weiß nicht, wie ich damit leben soll, wenn ich ihn wirklich verliere... ich kann mir nicht vorstellen, nur mit ihm befreundet zu sein." Der junge Blonde stand auf und stellte sich an die Brüstung. Der Nachtwind bewegte seine nun offenen Haare. "Darf ich dir etwas vorschlagen?" "Natürlich." Er drehte sich um und lehnte sich an die Begrenzung des Balkons. "Schreib auf, was du für ihn empfindest. Schreib alles auf, was dir einfällt. Du musst ihm das nicht geben, aber schreib es auf. Das hilft dir, glaub mir." Jason schaute ihn interessiert an. "Meinst du wirklich?" "Natürlich. Du musst mir nicht glauben, ich bin ja eigentlich nur ein Stricher, aber versuch es einfach mal." Der New Yorker konnte nicht anders als zu lächeln. Dieser junge Mann war vielleicht genau das, was er gebraucht hatte. Nicht im sexuellen Sinne, nein, sondern ganz einfach, weil er ihm zugehört hatte. Weil er mit ihm reden konnte und Nicolai Abstand zu den Dingen hatte. Diesen Abstand konnte ihm keiner seiner Freunde gewähren, nicht Jeremy, Ash oder gar David. Alle verbanden etwas mit Chris und ihm. Alle hatten ihre Vorstellung, ihre Erwartungen. Nicolai nicht. Mochte sein Rat auch noch so einfach sein, so genial schien er gleichzeitig. Jeremy sah vom Wohnzimmer aus, wie David das Badezimmer endlich verließ. Er hatte in der Zeit die Scherben in der Küche beseitigt und sich abgeregt. Der Rothaarige hasste Streit mit seinem Freund bis aufs Blut, weil sie beide furchtbare Dickschädel waren und schnell etwas sagten, dass sie später bereuten. "Ist alles okay?" David knurrte nur. Batman kam aus der Küche und strich um die Füße seines Lieblingsonkels. "Sprich mit mir... was habe ich dir getan?" "Nichts!" David klang mehr als genervt. "Jetzt hör auf damit... es ist alles okay. Wir haben gezofft und mehr nicht." "Aber die Sache mit dem Glas..." "Bedeutet nichts, das war ein Versehen!" fiel ihm der Anwalt ins Wort. Er zog zwanzig Dollar aus der Tasche und legte sie auf den Couchtisch. "Hier, nimm das und ruf dir ein Taxi nach Hause." "Aber ich kann doch mit dir fahren." "Ich meinte dein Zuhause." "Oh..." sagte Jeremy leise. "Und du?" David hörte den verletzten Unterton in Jeremys Stimme und lenkte ein. Seine weiteren Worte klangen schon weicher. "Ich bleibe noch hier und warte auf Jason. Der macht wahrscheinlich gerade Gott weiß was für Dummheiten, aber ich will nicht, dass niemand da ist, wenn er kommt. Wer weiß, ob Chris und er sich dann nicht die Schädel einschlagen." "Ich bleibe auch hier." "Nein, verschwinde ruhig, reicht doch, wenn sich einer von uns die Nacht um die Ohren schlägt." Jeremy stand auf und ging zu David hinüber, um ihm die Arme um die Hüften zu legen. "David, ich bin schon groß, wenn ich hier bleiben will, lass mich doch..." "Gibt es einen Weg, dich doch noch zu überzeugen?" Der Jüngere schüttelte grinsend den Kopf. "Nichts zu machen..." "Wie du meinst..." seufzte David gespielt theatralisch und ging dann mit seinem Anhang zur Couch. Sie setzten sich und Jeremy schmiegte sich in den Arm seines Freundes. Keiner von Beiden sagte mehr was. So warteten sie auf ihren verschollenen Freund. Jason zog seine Jacke an. Nicolai stand an die Balkontür gelehnt und lächelte ihn an, die Arme verschränkt, einen Fuß nach hinten gestellt. "Ich werde dann wohl verschwinden, vielleicht kriege ich noch einen Bus." "Unsinn, bleib heute Nacht hier!" bestimmte Jason. Der Blonde schüttelte den Kopf. "Nein, das geht nicht. Selbst wenn ich dein Geld behalte, ich muss heim, ich kann meine Schwester doch nicht die ganze Nacht allein lassen." Jason ließ sich auf dem Bett nieder . "Ich hätte da einen Vorschlag: Wir fahren zu dir, holen deine Schwester und ich fahre euch wieder hierher. Dann übernachtet ihr hier, bestellt euch was ihr wollt beim Zimmerservice, das geht auf meine Kreditkarte. Und morgen früh frühstückt ihr noch ordentlich." Nicolai schaute ihn voller Unverständnis an. "Von welchem Planeten kommst du...? Wir kennen uns seit ein paar Stunden und du vertraust mir quasi dein Konto an? Weißt du, was ich alles anstellen könnte und was dich das dann kosten würde?!" Jason stand lächelnd auf und kam zu ihm hinüber, um ihm eine Hand auf die Schulter zu legen. "So etwas nennt man wohl vertrauensselig, was?" "Verarscht du mich?" "Nein..." Jason lächelte immer noch. "Du hast mir zugehört und das hat mir wirklich geholfen... ich will dir danken... und so kann ich das wenigstens ein bisschen..." Er griff nach hinten und zog sein Portemonnaie hervor. "Und das hier." Er reichte Nicolai eine kleine Karte. "Ist meine Visitenkarte, mit Handy- und Privatnummer. Wenn du Probleme haben solltest... ruf mich einfach an." Nicolai drehte die Karte in seiner Hand und musterte sie mit einem vollkommen ungläubigen Blick. Er schien vollkommen überfordert und perplex angesichts dieser Behandlung. "Ich... danke..." "Du bist ein lieber Junge..." Jason strich ihm über die Wange. "Pass auf dich auf, versprich mir das." "Dein Freund ist zu bemitleiden... selbst wenn er sich nicht an dich erinnern kann... einen wie dich muss man doch lieben." Jason erwiderte nichts. Nicolais Worte waren nett gemeint gewesen, aber sie verletzten ihn auf eine Weise, die er selbst nicht richtig verstand. Vielleicht weil sie die Wunden wieder aufrissen, die noch nicht einmal verheilt waren. David zuckte zusammen, als er den Schlüssel in der Tür hörte. Jeremy und er waren eingeschlafen. Vorsichtig schob er den Rothaarigen aus seiner Umarmung heraus und stand auf, um in den Flur zu gehen. Jason sah ihn überrascht an, konnte aber nichts sagen, David hob eilig den Fingern an die Lippen und deutete in Richtung Küche. Der Braunhaarige folgte seinem Freund. "Na? Hast du deinen Spaß gehabt?!" fragte David. "Was soll denn dieser Unterton?" "Das war nur eine normale Frage." "Ja, mit einem total vorwurfsvollen Unterton!" David stemmte die Hände in die Hüften. "Ich habe nicht auf dich gewartet, um mit dir zu streiten." "Dann lass diesen Unterton! Du tust gerade so, als hätte ich ein Verbrechen begangen." "Gleiches mit gleichem vergelten ist nicht gerade reif, Jason." "Wer sagt das? Seit wann handelst du reif und verantwortungsvoll?" "Ich habe gesagt, dass ich nicht mit dir streiten will!" "Dann hör auf, dich in meine Angelegenheiten einzumischen!" motzte Jason. "Hör auf mir Vorwürfe zu machen!" David schlug mit der Faust auf die Arbeitsfläche. "Du verdammter Sturkopf! Ich dachte, wir sind beste Freunde?! Seit wann hast du dir diese verdammten Egotrips angewöhnt?!" "Seit mein Leben ein Trümmerhaufen ist, aber davon verstehst du nichts!" Der Blonde sah ihn vollkommen verständnislos an. "Was bildest du dir ein?!" Mit einem Ruck riss er sein Hemd nach oben und entblößte den dicken Verband um seinen Körper. "Mein Leben hat sich ebenso verändert wie deines!" "Ach ja, du hast das aber überstanden! Bei mir ist alles kaputt!" David zuckte zusammen, das hatte ihn getroffen. Aber er konnte Jason in diesem Fall noch nicht einmal einen Vorwurf machen, woher sollte dieser wissen, wie es um ihn stand. Er hatte es überlebt, aber nur auf geborgte Zeit, bald würde er... bevor der Gedanke ihn vollkommen aus der Bahn warf, riss er sich zusammen und drängte ihn mit aller Macht von sich weg. "Selbstmitleid steht dir nicht, Jason!" "Arschloch!" war die einzige Antwort des Brünetten. Stille senkte sich über die Küche. Keiner der Beiden sagte ein Wort, sie starrten in verschiedene Richtungen. "Du weißt nicht, wie ich mich fühle..." begann Jason schließlich, weitaus ruhiger als vorher. "Du hast ihn nicht gesehen... wie er diesen Kerl abgeleckt hat... er wollte ihn vögeln... und dann hat er mir ins Gesicht gesagt, dass er mich langweilig findet... das er mich nicht will..." "Jason, er führt sich auf wie ein Sechzehnjähriger, was erwartest du?" David kam sich langsam schizophren vor, vorhin hatte er Chris noch verdammt, jetzt verteidigte er ihn. Aber er konnte einfach nicht zusehen, wie alles kaputt ging, was er für Bestimmung des Schicksals hielt. "Entschuldigt das alles?" Jason setzte sich an den Tisch. "Ich halte das nicht mehr aus... David... ich war bei einem Stricher." "Jason!" "Ich habe nicht mit ihm geschlafen!" beeilte sich Jason. "Wir wollten... ich wollte, aber dann haben wir doch nur geredet... das tat gut." "Weil man mit mir nicht reden kann?" "Jetzt sei doch nicht gleich wieder beleidigt. Seit wann bist du empfindlich?" "Entschuldige... ich bin in letzter Zeit etwas gestresst..." "Ärger mit Jeremy?" "Jason, wir reden über dich...", sagte David leise. "Wie du meinst..." Jason musterte seinen Freund. Da stimmte doch etwas nicht. Aber offenbar wollte David da nicht drüber reden. "Wo ist Chris eigentlich?" "Im Bett... er hat Jeremy gesagt, dass wir ihn überfordern..." "Tun wir das..." Jason klang etwas teilnahmslos. "Na ja... auch wenn ich das vorhin nicht hören wollte... irgendwie tun wir das... wir stellen alle Erwartungen in ihn, stell dir vor, du wärst sechzehn und eine ganze Gruppe erwachsene Kerle will unbedingt, dass du etwas bist, was du eigentlich nicht bist... oder denkst nicht zu sein... Meine Güte, eben habe ich mich noch mit Jeremy deswegen gezofft und jetzt ergreife ich doch wieder Partei für ihn... aber vorhin war ich so sauer auf ihn, weil er dich so verletzt hat..." "Das hat er wirklich..." Jason stützte das Gesicht in die Hände. "Ich war nahe dran, diesen anderen Kerl umzubringen... oder Chris... ich war so sauer... warum können wir nicht einfach unser schönes Leben führen? Du hast Jeremy, Marcus hat Colin, ich habe Chris, alle sind glücklich... aber nein... wenigstens ist bei Marcus und Colin keine Katastrophe passiert..." "Das sind Kinder..." "Sei nicht so unfair, David. Colin ist kaum jünger als Jeremy." David machte ein leicht genervtes Geräusch. "Habt ihr etwa Probleme?" Der Blonde schaute ihn überrascht an, damit hatte er nicht gerechnet. Doch er schüttelte den Kopf, auch wenn es eigentlich nicht stimmte, zumindest von seiner Seite aus. "Nein, alles klar..." Jason musterte seinen Freund. Irgendetwas war da nicht in Ordnung, aber er wollte auch nicht fragen. Im Moment war er mit sich allein beschäftigt, so egoistisch er sich dabei auch vorkam. Am nächsten Morgen stand Jason in der Küche und kochte Kaffee als Chris herunter kam. Der blonde Mann blieb in der Küchentür stehen, als wisse er nicht wohin. Nach allem, was in der letzten Nacht geschehen war, fühlte er sich in Jasons Anwesenheit mehr als unbehaglich. "Morgen." Chris zuckte zusammen, dabei war die Begrüßung eigentlich nur kühl und distanziert, nicht feindselig. Aber der Ausbruch des Brünetten war ihm deutlich im Gedächtnis geblieben. "Morgen..." Er ging vorsichtig weiter in den Raum. "Wo hast du... deine Seite war nicht benutzt." "Ich habe im Gästezimmer geschlafen.", antwortete Jason, würdigte Chris aber keines Blickes. Verbissen starrte er auf die Tropfen, die in die Kaffeekanne fielen. "Du hast ja offensichtlich auch so gut schlafen können." "Jason, ich..." "Nein.", fuhr der Andere dazwischen. "Keine Begründungen, keine Rechtfertigungen, das brauchst du nicht." "Aber ich..." "Ich sagte nein!" Jason war herum gewirbelt und brüllte den Blonden regelrecht an. Chris stolperte zurück und stieß gegen den Frühstückstisch, dabei warf er das Kännchen mit Milch um, die weiße Lache breitete sich aus und tropfte herunter. Jason schien das nicht einmal zu beachten. "Egal, was du sagen willst, ich will es nicht hören, klar?" Chris schwieg und schaute auf den Boden. "Wir klären das jetzt ein für alle Mal!" Jason schlug wieder den sachlichen, geradezu kalten Ton an, anders konnte er das, was er sagte, nicht über die Lippen bringen. "Ich habe von David gehört, dass du dich von unseren Erwartungen belastet fühlst. Ich will nur, dass du weißt, dass ich von heute an keine Erwartungen mehr an dich stellen werde! Wir werden unser Leben so weiter führen und ich werde dich nicht mehr bedrängen." "Soll ich ausziehen?" "Unsinn!", widersprach Jason. "Du bleibst hier! Allerdings werde ich auch weiterhin im Gästezimmer schlafen. Ich habe mich doch nicht mit deiner Mutter überworfen, nur damit du jetzt ausziehst! Ich werde dir helfen, mit deinem Leben klar zu kommen. Und solltest du merken, dass da noch Gefühle für mich sind oder sich welche entwickeln, okay, wenn nicht, dann ist es auch gut." Noch nie in seinem Leben hatten ihm Worte, die er selbst aussprach, so sehr weh getan. Er hatte das Gefühl, dass sein Herz in diesem Moment in Tausend Stücke zersprang. "Aber eines sage ich dir: Solltest du wie gestern noch einmal das Bedürfnis haben, dich von einem Wildfremden ficken zu lassen, dann tu es gefälligst so, dass ich es nicht mitkriege! Und wag dich nicht, einen anderen Mann mit hierher zu bringen!" Er wartete kurz auf eine Reaktion, die aber nicht kam. "Okay. Dann wäre das ja geklärt. Haben wir uns also verstanden?" Stille. "Chris? Haben wir uns verstanden?" "Ja...", flüsterte der Blonde und starrte weiter zu Boden. "Gut." Jason ging zur Tür. "Ich bin mit Ash zum Frühstück verabredet, es ist alles vorbereitet, du kannst essen, was du willst. Und wisch die Milch auf." Damit verließ er das Zimmer, ohne ein weiteres Wort. Er holte seine Jacke im Flur, streichelte Batman noch einmal und ging dann aus dem Haus, um in sein Auto zu steigen. Erst dort, als die Tür hinter ihm geschlossen war, fing er an zu weinen und schlug mit der Faust so lange heftig aufs Armaturenbrett, bis sie schmerzte. Zur gleichen Zeit, Downtown. "Du siehst ja übel aus..." lächelte Jeremy. Er und Colin saßen in einem der Starbuck Niederlassungen und schlürften Kaffee. Colin einen ,Vanilla Latte' und Jeremy eine ,Hot White Chocolate'. "Vielen Dank, sehr charmant." "Unter Freunden sollte man ehrlich sein!" lachte der Rothaarige. "Harte Nacht hinter dir gehabt?" Er ließ seine Augenbrauen dreimal auf und ab hüpfen, klar was er meinte. "Wäre schön, wenn es das wäre..." "Zoff mit Marcus?", fragte Jeremy schon viel ernster. "Ja... so in der Art... ach, ich weiß nicht... ich verstehe ihn nicht..." "Scheint in der Luft zu liegen." Der Tänzer lehnte sich zurück und nippte an seiner heißen Schokolade. "David ist in letzter Zeit auch echt merkwürdig, ich weiß nie, woran ich bei ihm bin. Heute so, morgen so. An einem Tag vernascht er mich auf seinem Küchentisch, am anderen sperrt er sich im Bad ein und motzt mich an, vollkommen grundlos... vielleicht sind das seine Tabletten..." Er rieb sich übers Kinn. Colin sagte nichts, sein Blick war auf die hellbraune Oberfläche seines Getränks geheftet. "Entschuldige..." lächelte Jeremy etwas verschämt. "Wir haben ja von dir geredet." "Schon okay..." "Willst du mir nicht sagen, worum es geht?" "Ich kann nicht..." antwortete Colin wortkarg. Wenn er Jeremy sagte, was er von Marcus wusste, wäre er wahrscheinlich bei dem Jungen unten durch und das nicht ohne Grund. "Wenigstens andeuten?" ließ Jeremy einfach nicht locker. Colin stellte seinen Kaffee ab und schaute zur Decke. Seine Augen hefteten sich an den Ventilator, der dort oben kreiste. "Na gut... ich weiß nicht, was ich tun soll. Kennst du die Situation? Du weißt etwas von deinem Freund, etwas, von dem du nicht weißt, wie du damit klar kommen sollst. Etwas, worüber du hinweg sehen musst, aber nicht weißt, ob du es kannst?" "Ich bin mit David Vanderveer zusammen, klar kenne ich das!" Der Schwarzhaarige sah ihn verdutzt an. "Ist das eine Erklärung?" "Wenn du David näher kennen würdest, würdest du nicht fragen!" grinste Jeremy. "Na dann..." "Vielleicht solltest du es mir doch sagen?" Colin schaute ihm in das erwartungsvolle Gesicht, schüttelte dann aber den Kopf. Nein, er konnte das nicht machen. Er vertraute Jeremy mittlerweile schon, aber er konnte es Marcus nicht antun, sein Geheimnis so mir nichts dir nichts an jemand anderen preis zu geben, selbst wenn der Rothaarige ein guter Freund war. "Ich kann es dir nicht sagen... ich glaube, Marcus würde mir das nicht verzeihen..." "Wie du meinst, aber dann bleibt die Frage bei dir hängen. Kannst du mit dem leben, was er dir gesagt hat oder kannst du es nicht? Aber er wird dir ja nicht gerade verschwiegen haben, dass er schon Vater ist oder so etwas. Glaubst du nicht, dass ihr euch genug liebt, um mit allem auskommen zu können?" Colin blickte wieder in seinen Kaffee. Hatte Jeremy Recht? Sollte er einfach darüber hinweg sehen, was geschehen war? Was änderte das schon an Marcus? Oder änderte es alles? Colin wusste nicht, was er denken sollte... "Was denken Sie, Doktor? Sagen Sie endlich was." David saß Doktor Pierce in seinem Büro gegenüber. Er hatte die Verbände wechseln lassen und dann um eine Unterredung mit dem Arzt gebeten. In Kurzfassung hatte er dem Mediziner die letzten Tage beschrieben und von den Problemen mit seiner Hand erzählt. Doktor Pierce rückte seine Brille zurecht, die Marotte kannte David mittlerweile schon. "Mister Vanderveer... was Sie mir da beschreiben, gefällt mir überhaupt nicht. Die Erscheinungen treten sehr früh auf, auch noch sehr häufig. Das sagt mir, dass der Verfall schneller voran schreitet als erwartet." Er beugte sich vor. "Mr. Vanderveer, ich muss Sie noch einmal beschwören, lassen Sie sich operieren!" "Nein!" David schüttelte entschieden den Kopf. "Nein, Doktor." "Wissen Sie, was das für Sie bedeutet? Ich hatte Ihnen ein halbes Jahr prophezeit, vielleicht mehr, acht Monate... aber unter diesen Umstände muss ich sogar das halbe Jahr anzweifeln! Nutzen Sie die Chance, die noch bleibt!" "Welche Chance, Doktor? Die Chance, für den Rest meines Lebens ein in seinem Körper gefangener Krüppel zu sein? Niemals!" Als David aus dem Krankenhaus heraus kam, stieg er ins Auto und fuhr einfach los, ohne Ziel. Schließlich hielt er in der Nähe des Golden Gate Parks und besuchte ein abgelegenes kleines Café, dass er dort einmal entdeckt hatte. Die Kellnerin begrüßte ihn, brachte ihm einen Kaffee und der blonde Mann genoss den Blick auf die Parkanlagen, den er von hier aus hatte. Ein leichter Wind wirbelte seine Haare durcheinander, es war recht warm für diese Jahreszeit. Noch nicht einmal mehr ein halbes Jahr. Es geschah schneller, als er befürchtet hatte. Wenn man Doktor Pierce glauben konnte, würde es von nun an nur noch schlimmer werden. So konnte es nicht weitergehen. Und hier, allein mit seinen Gedanken, im Sonnenschein des spätwinterlichen Tages, traf David Vanderveer eine schwere Entscheidung. Als Colin von seiner Verabredung mit Jeremy zurück kam und aus dem Auto stieg, blieb er verdutzt stehen. Auf der Treppe vor seinem Haus saß Marcus. Er hockte einfach nur da und schaute ihn an. "Was machst du hier?" "Auf dich warten..." "Warum nicht drinnen?" "Ich wollte nicht..." Er sah verweint aus. "Vielleicht hätte deine Mum gefragt, was mit mir los ist." "Wie lange sitzt du hier?" Marcus zuckte mit den Schultern. "Ungefähr anderthalb Stunden." "Eine Blasenentzündung ist nicht unbedingt angenehm, das weißt du, oder?" "Kann dir doch egal sein." Colin seufzte. Das lief ja nun überhaupt nicht in die richtige Richtung. "Hör zu, lass uns nicht streiten..." "Aber vielleicht müssen wir das!" Marcus stand auf. "Vielleicht müssen wir uns einmal streiten, damit ich endlich aufhören kann zu weinen! Vielleicht müssen wir uns streiten, damit ich endlich einen Schlussstrich ziehen kann!" Der Schwarzhaarige guckte ihn, ob des plötzlichen Ausbruchs ziemlich verdutzt an. "Marcus..." "Nein, Colin! Ich lasse mich nicht abwiegeln! Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen wegen dir und ich habe verdammt noch mal das Recht auf dich sauer zu sein und mich mit dir zu streiten!" "Na, hör mal!", motzte sein Freund nun. "Meinst du, ich habe schlafen können?!" "Na ja, du siehst gut erholt aus! Und offensichtlich geht es dir gut genug, um dich rum zu treiben! Wo warst du? Bei diesem Muskelprotz?!" "Und wenn es so wäre?!" Colin wusste, dass das gemein war, aber er wurde allmählich wirklich sauer. "Dann wäre es mir auch egal! Bums ihn doch, wenn du willst!" "Marcus, schrei hier gefälligst nicht so rum! Die Nachbarn sind neugierig!" "Ich schreie, wann ich will!" Marcus war nun richtig laut, er brüllte Colin an. "Ich lasse mir von dir scheinheiligem Arschloch doch nicht den Mund verbieten! Was glaubst du, wer du bist?!" "Hör auf mich anzuschreien!" "Hattest du nicht Besseres zu tun, als gleich den Nächstbesten flachzulegen?!" Sie waren aufeinander zu gekommen, wie zwei Kampfhähne in der Arena. Ein paar Fußgänger auf der anderen Straßenseite schauten etwas verstört hinüber. "Damit müsstest du dich doch auskennen! Wer uns Beiden war denn eine Nutte?!" Marcus' Hand klatschte in Colins Gesicht, mit voller Wucht. "Du widerlicher Dreckskerl!" "Marcus..." Colin hielt sich die Wange, seine Worte taten ihm schrecklich leid, aber er hatte sie gesagt, es war einfach so passiert. "Du bist... ich finde keine Worte für dich!" Der Blonde ging an ihm vorbei, mit erhobenem Kopf, auch wenn seine Augen feucht glänzten. Er war schon ein ganzes Stück den Gehweg hinab, als Colin aus seiner Starre erwachte und hinter ihm her lief, um ihn am Arm zu packen. "Lass mich los!", fauchte Marcus. "Es tut mir leid!" "Das ist mir scheißegal!" Der Blonde funkelte ihn voller Zorn an. "Ich habe es nicht nötig, mir meine Vergangenheit von dir vorhalten zu lassen! Es ist genug! Ich habe genug davon, mich dafür zu entschuldigen, mich dafür zu schämen! Ich war so und ich kann es nicht ändern! Ich habe einen Fehler gemacht, aber Gott verdammt, du hast kein Recht dazu, über mich zu urteilen! Du weißt nicht, was geschehen ist! Du weißt nicht, wie ich gelitten habe und warum ich auf der Straße gelandet bin! Du weißt gar nichts! Du lebst in deiner kleinen perfekten Welt zwischen deinen beschissenen Videos und denkst, du seiest ein Rhett Butler für mich, aber das bist du nicht! Weißt du, was du bist?! Ein beschissenes Arschloch! Du heuchelst Verständnis, aber in Wirklichkeit hast du nicht einen Funken davon! Du wolltest die Wahrheit hören, aber damit leben kannst du nicht! Ich mag eine Nutte gewesen sein, aber wenigstens war ich ehrlich mit dir, auch wenn nicht sofort! Aber du hast mich auch angelogen, immer und immer wieder! Dein ,Ich liebe dich' kannst du dir in den Arsch schieben, du Wichser!" Er stand Colin gegenüber, sein Atem ging nur noch stoßweise, so sehr hatte er sich aufgeregt, seine Hände zitterten und dicke Tränen rannen über sein Gesicht. Der Schwarzhaarige sagte nichts. Statt zu antworten, riss er Marcus an sich und küsste ihn. Voller Leidenschaft. "Nein!" Marcus stemmte sich gegen die Umarmung, wollte ihn von sich weg drücken, aber bevor er mehr sagen konnte, hatte er schon wieder Colins Lippen auf seinen, dessen Zunge in seinem Mund. Und seine Gegenwehr erschlaffte immer mehr. Nur Momente nach seinem Zornesausbruch lag er in den Armen des Jungen, den er eben noch aufs übelste beschimpft hatte und erwiderte mittlerweile den Kuss selbst voller Verlangen und Leidenschaft. Keiner von Beiden sagte ein Wort, Colin nahm ihn an der Hand und zerrte ihn regelrecht in Richtung seines Hauses. Knapp eine Dreiviertelstunde später lag Marcus halb auf Colins Bauch, hatte den Kopf an dessen Brust gekuschelt, der Schwarzhaarige hatte die Arme um ihn. Die Decke des zerwühlten Bettes reichte nur knapp bis zu ihren Hüften und entblößte teilweise den Po des blonden Jungen. Die Nachttischschublade war aus dem Möbelstück gerissen, ihr Inhalt auf dem Boden verteilt. "Wir sind krank...", flüsterte Marcus gegen die verschwitzte Haut Colins. Die Finger des anderen Jungen kraulten durch die feuchten blonden Haare seines Freundes. "Vielleicht sind wir das..." "Was hat dich heiß gemacht? Das ich dich Wichser genannt habe oder das du dir dein ,Ich liebe dich' in den Arsch schieben solltest?" Colin lachte. "Beides ein bisschen!" Obwohl er auch lachen musste, schaute Marcus schließlich doch etwas verwirrt zu Colin hinauf. Jetzt wo die Leidenschaft sich verflüchtigte, kamen die Fragen zurück. "Was war das jetzt? Abschiedssex?" "Von meiner Seite aus würde ich es Versöhnungssex nennen... aber die Entscheidung liegt bei dir...", sagte Colin, wobei unüberhörbar Hoffnung in seiner Stimme mitschwang. "Es kommt darauf an, ob du mich noch willst..." "Colin..." Der Ältere legte ihm den Finger auf die Lippen. "Warte. Darf ich zuerst? Lass mich reden und dann... dann entscheide." Marcus nickte nur. "Es tut mir leid..." Er atmete aus. "Ich weiß, das klingt abgedroschen, aber das tut es wirklich. Ich habe mich aufgeführt wie ein Arschloch." "Du wirst keinen Widerspruch hören.", lächelte der Blonde. "Aber ich hoffe,", fuhr Colin fort, "dass du mir verzeihen kannst. Das alles war so unwirklich, so unglaublich unerwartet... ich hatte gedacht, dass ich auf alles gefasst sein würde, aber ich war es nicht. Und in meiner Überraschung, in meiner Verwirrung... habe ich nur noch mich gesehen... ich hab den Blick dafür verloren, wer von uns Beiden hier wirklich das Opfer ist... das bin nicht ich, sondern du... ich kann mir nicht vorstellen, was du durchgemacht haben musst... Ich habe gesagt, dass ich für dich da sein will und ich habe dabei kläglich versagte..." Er schob den Blonden ein Stück von sich und kniete sich aufs Bett. "Ich hoffe daher, dass du mir verzeihen kannst... vielleicht verdiene ich es nicht... aber... na ja..." Ein etwas unsicheres Lächeln folgte. "Was erwartest du jetzt von mir? Du kniest hier nackt auf dem Bett und erwartest, dass ich jetzt ebenso tolle Worte finde wie du eben?" Marcus grinste. "Ich will nur wissen, ob wir beide eine Zukunft haben. Ich liebe dich, Marcus, und ich habe die ganze Nacht über uns nachgedacht. Ich will dich nicht verlieren, das weiß ich jetzt, egal was du warst oder was du getan hast! Das sind nicht wir! Wir sind hier und jetzt und ich kann mir nicht vorstellen, wieder ohne dich zu sein!" Marcus konnte nichts erwidern. Er warf sich einfach in Colins Arme und fing an zu weinen, Freudentränen. Colin drückte ihn an sich und hielt ihn fest, seinen Marcus. Und für den blonden Jungen war es, als würde er endlich Zuhause sein. Keine Lügen mehr, keine Versteckspielchen. Endlich daheim. David saß in seinem Wohnzimmer auf der Couch und fixierte sein Glas mit Eistee auf dem Tisch. Daneben stand die Dose mit den Schmerztabletten. Er hatte mal wieder eine gebraucht, das war wirklich unerträglich. Und noch etwas anderes war genauso unerträglich. So wie es gerade lief, konnte es nicht weitergehen. Er hatte sich ausgemalt, dass er noch ein paar schöne Wochen mit Jeremy verbringen konnte, aber dem war nicht so. Niemals hätte der blonde Mann damit gerechnet, dass die Ausfallerscheinungen so schnell kommen würden. Und vor allem so völlig ohne Vorwarnung. Es gab keine Schmerzen, kein Ziehen oder Stechen, es geschah einfach. Das war nichts, was man verbergen konnte. Er hatte schon Horrorvisionen, wie ihn mitten beim Sex mit Jeremy plötzlich die Kraft in den Armen verließ und er vielleicht hilflos auf ihn fallen würde. Nein, so ging das nicht, weder für ihn, noch für den Tänzer. Das Geräusch des Schlüssels in der Wohnungstür riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Jeremy kam herein gestürmt, mit prall gefüllten Tüten von McDonald's. "Hi, David!" lachte er fröhlich. "Ich hab gedacht, ich lade uns mal zum Essen ein! Ich wusste nicht, ob du Lust hast wegzugehen, von daher habe ich BigMäcs, Pommes, die Milchshakes müssen noch in den Kühlschrank." "Ich muss mit dir reden." unterbrach David den Redeschwall des Rothaarigen. "Oh, das klingt aber ernst, was ist denn los?" "Setz dich..." Jeremy folgte der Anweisung etwas verwirrt. Er nahm David gegenüber im Sessel Platz und stellte die fettigen Tüten auf den Glastisch. "Was ist denn?" David seufzte. Er hatte sich seine Worte schon genau überlegt, aber es fiel ihm nun doch schwer. Aber es musste raus. "Es kann so nicht weitergehen." "Was? Das Essen?" fragte Jeremy. "Willst du lieber was gesünderes? Tut mir leid, ich esse gern Fast Food und..." "Ich meine nicht das Essen! Ich meine uns!" Stille senkte sich über den Raum. Jeremys Blick schwankte zwischen purem Unverständnis und Überraschung. "Was meinst du?" David fuhr sich durch die Haare. Er bemühte sich, ständig in Jeremys Augen zu sehen, so unglaublich schwer ihm das auch fiel. "Ich möchte, dass du deinen Schlüssel wieder abgibst." Der Rothaarige sagte zunächst nichts. "Warum denn das? Ich melde mich doch an, bevor ich komme und... warum?!" "Jeremy, ich möchte nicht mehr, dass du hierher kommst." Jetzt konnte der Jüngere nicht anders als verwundert den Kopf zu schütteln. Die Worte hatte er gehört, aber er verstand den Sinn beim besten Willen nicht. "Spinnst du? Hast du was getrunken?" "Ich bin bei klarem Verstand, vielleicht das erste Mal seit langem!" "David!" Der Blonde stand abrupt auf. "Es ist aus, Jeremy! Akzeptier das!" "Du hast sie ja nicht mehr alle!" Auch Jeremy hielt es nicht mehr auf seinem Platz. "Was soll denn das?! Das ist doch total bescheuert! Habe ich dir was getan?!" David funkelte den jungen Mann an. Diese Reaktion hatte er erwartet. Und er hatte sich schon überlegt, was er nun sagen wollte. Hier kam ihm seine jahrelange Erfahrung als Anwalt zu Gute, auch wenn ihm innerlich das Herz blutete. "Du kapierst es nicht, oder? Ich habe genug. Wir hatten unseren Spaß, aber jetzt reicht es! Ich habe gedacht, dass es einen Versuch wert ist, aber ich merke immer mehr, dass es einfach nicht das Richtige für mich ist. Du bist zu jung für mich und du gehst mir mit deinem ständigen Gerede von Liebe auf die Nerven! Ich will wieder mein altes Leben! Ich will wieder Spaß!" "Das ist nicht dein Ernst..." David verdrehte die Augen. "Glaubst du, ich mache Witze?! Jeremy, ich kann nicht den Rest meines Lebens an ein Kind verschwenden! Außerdem führt das sowieso nirgendwo hin, das sieht man ja an Jason und Chris!" "Das kannst du doch nicht vergleichen!" "Jeremy, halt einfach dein Maul und verschwinde, okay? Mach es doch nicht unnötig schwer!" Dem Rothaarigen liefen Tränen über die Wangen. Er wusste überhaupt nicht, wie ihm geschah. Das war alles so surreal. Er hatte sich auf einen wunderbaren Nachmittag mit seinem Freund gefreut und was jetzt? "Was tust du da?" "Ich mache Schluss mit dir, bist du so blöd oder was?!" "Das musst du mir erklären! Ich will wissen, was ich dir getan habe!" "Ich habe es dir erklärt!" lachte der Anwalt in ätzendem Ton. "Wenn du es immer noch nicht kapiert hast, tut es mir leid! Und jetzt raus!" Jeremy war zu perplex, um überhaupt zu widersprechen. Er ging an David vorbei, als dieser ihn am Arm packte. "Meine Schlüssel!" Immer noch mit Tränen in den Augen drückte er David die Schlüssel zur Wohnung in die Hand. "Warum...?" "Verschwinde endlich!" Jeremy brach endgültig in Tränen aus. Er rannte aus dem Apartment und knallte die Tür hinter sich zu. David blieb im Wohnzimmer stehen, die Schlüssel in der Hand. Jeremys Gesicht hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Die Augen voller Tränen, das Unverständnis. Er sank auf die Couch zurück und presste das Gesicht in die Hände. "Es tut mir leid... Jeremy... es tut mir leid..." Jason saß allein im Wintergarten, mit einem Blatt Papier vor sich. Seine Hand zitterte leicht, der Füller bebte mit. Er musste aufpassen, keine Spritzer aufs Papier zu machen. Im Haus war es still, Chris war im Schlafzimmer und wartete, dass die Badewanne voll war, Batman pennte in seinem Körbchen. Über dem Wintergarten spannte sich der dunkle Himmel, die Lichter der Stadt schluckten die Sterne. Nach einer scheinbar unendlich langen Zeit setzte der Brünette die Feder an und plötzlich kamen die Worte wie von selbst. Mein Engel, komm mit mir. Wenn ich einen Tag mit dir hätte, nur mit dir allein, würde ich mich an den einfachen Dingen erfreuen. Die Dinge, die Freude in die Mühen des Lebens bringen, die Dinge, an die man sich am Ende erinnert, wenn die Zeit einem alles nimmt... Ich würde mit dir in einem kleinen Boot über einen ruhigen See rudern, dir Gedichte vorlesen, bis du darüber einschläfst. Und ich würde nie, niemals, an die Zeit denken... Wenn ich nur einen Tag mit dir, und nur mit dir, hätte, würde ich jedes kleine Lachfältchen in deinem Gesicht bewundern, jede Strähne deines Haares, jede wundervolle Bewegung deiner Hände, deiner Augen oder deines Körpers. Wenn ich nur einen perfekten Tag hätte... Siehst du nicht, dass mein Herz nur für dich schlägt? Das sind die Dinge, an die ich mich erinnere, mein Geliebter... deine warme Hand, dein warmer Atem, dein warmer Mund, deine Arme um mich. Ich erinnere mich an das Gefühl der Sicherheit, unendlich... Wir zwei, wie eine Person, ruhig, friedlich, eng umschlungen. Ich erinnere mich an das Gefühl, dich zum ersten Mal zu küssen... es fühlte sich an wie ein Fallschirmsprung... unglaublich intensiv... An was erinnerst du dich? Wie soll ich jemals erfahren, was du im Herzen trugst? Wohin gehen all diese Dinge, die wir denken und fühlen, aber nie sagen? Das sind die Dinge, die ich niemals gesagt habe, die Dinge, von denen ich wünschte, du würdest sie wissen... Das ich dich immer geliebt habe und dass meine Liebe so stark ist, dass sie immer noch existiert, obwohl du, der Chris, den ich kannte, fort bist... Ich würde dir gern sagen, dass ich alles anders machen würde... wenn ich nur einen perfekten Tag hätte, einen Tag noch, an dem ich alles richtig machen würde. Aber ich weiß, ich würde die gleichen Fehler noch einmal machen... das heißt bis auf einen... Ich würde nicht Lebewohl sagen... Jason legte den Füller weg. Er konnte nicht mehr weiter schreiben, seine Augen waren voller Tränen. Eine tropfte auf das Blatt vor ihm und verschmierte die Punkte hinter dem letzten Satz. Bevor noch mehr passieren konnte, faltete er den Zettel zusammen. Sollte er ihn zerreißen? Oder gleich verbrennen? Er entschied sich dagegen. Diese Worte für Chris wollte er immer bei sich behalten. Selbst wenn er nicht mehr bei ihm war. Ein merkwürdiges Gefühl, wie die Trauer um einen Toten und in gewisser Weise war sein Chris ja auch gestorben. "Ich gehe baden, das Badezimmer ist also für die nächste Stunde belegt!" tönte es von oben. "Ist gut!" rief Jason hinauf. Als die Badezimmertür ins Schloss fiel, brach er endgültig in Tränen aus. Drei Tage später stiegen Colin und Marcus die Treppe zum Anwesen von Jason und Chris hinauf. Der blonde Junge hatte beschlossen, dass sie Jason etwas aufheitern mussten und deswegen wollten sie mit ihm zum Fisherman's Wharf fahren und eine Tour mit dem kleinen Motorboot, das Colins Eltern gehörte, durch die Bay machen. Marcus wusste, dass Jason einen Führerschein für Boote gemacht hatte, ein Geschenk seiner Eltern zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag. Wann und warum der ehemalige Polizist ihm das mal verraten hatte, hatte er allerdings vergessen. "Und du glaubst wirklich, dass das eine Aufheiterung ist?" "Klar!" grinste Marcus. "Alles ist eine Aufheiterung, wenn er nur mal aus dem Haus kommt und nicht die ganze Zeit mit Chris zusammen hängen muss. Aber der ist sowieso nicht da, er ist mit seiner Mum unterwegs." "Woher weißt du das?" "Geheimnis!" Marcus hob den Finger. "Du darfst alles essen, aber nicht alles wissen!" "Mistkerl!" lachte Colin und zog ihn in seinen Arm. Während sie sich küssten, drückte Marcus bereits auf die Klingel. "Nicht!" kicherte er. "Ich will vor Jason nicht rummachen, das ist unfair!" "Nur bis die Tür aufgeht!" Und schon waren sie wieder in einen wilden Kuss verwickelt, Colin konnte kaum mehr die Finger von Marcus lassen, seit sie sich wieder versöhnt hatten. Als die Haustür sich öffnete, stieß Marcus Colin mehr oder minder sanft ein Stück weg und lachte. "Entschuldige, Jason, wir..." Der Satz blieb in der Luft hängen, in der Sekunde als der Blonde sah, wer in der Haustür stand, verlor er den Faden sowie sämtliche Farbe im Gesicht. "Oh, hallo, Marcus...", sagte Gary. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Endlich... es hat lange gedauert... Dieses Kapitel war die reinste Qual. Ich hatte mein dramatisches Pulver verschossen und musste jetzt erst einmal die Nachwirkungen beschreiben, bevor es richtig weitergehen konnte... Irgendwie wollte das nicht so recht klappen... und zusätzlich zu dem Krea-Tief kam auch noch Stress mit der Uni... etwas wovon Lycidas sicher ein Lied singen kann ;-) Eigentlich sollte in diesem Kapitel ähnlich wie bei Chris ganz viel aus Marcs Vergangenheit erzählt werden... aber ich habe das einfach nicht aus den Fingern gekriegt, deswegen blieb es bei der kurzen Rückblende, die mir so gefiel, dass sie trotzdem drin blieb. Wahrscheinlich wirkt das Kapitel etwas deprimierend, Colin und Marc versöhnen sich, aber da ist ja jetzt jemand da, der für Probleme sorgen könnte ^^ Und bei den beiden anderen großen Paaren ist Schluss... ob endgültig sei dahin gestellt, mal abwarten. Dieses Kapitel ist kürzer als die bisherigen und es kann auch in Zukunft öfter mal so werden. Ich habe mich zu den 30 Seiten nie gezwungen, aber diesmal habe ich mich dabei ertappt, wie ich unbedingt soviel erreichen wollte, es aber nicht ging... Alaska hat mich da wieder auf Kurs gebracht, danke dafür!!! Hab dich lieb!!! *knu* Das war es erst einmal von mir, das nächste Kapitel kommt sicher schneller, ich hab Ferien und Gary beflügelt *fg* Euer Uly ^^ PS: In nächster Zeit wird etwas Neues von mir online gehen und ich hoffe auf euer Feedback. Alaska und ich haben als RPG eine Geschichte zusammen verfasst und auf das Ergebnis bin ich sehr stolz. Ich hoffe, es findet Anklang. ^^ Kapitel 34: Welcome back, Gary... just go away, ok? --------------------------------------------------- Marcus starrte den brünetten Jungen in der Tür einfach nur an. Es war tatsächlich Gary. Das gleiche freundliche Lächeln, die gleichen schönen Augen, die gleiche Stimme mit dem warmen tiefen Tonfall. Colin schaute seinen Freund von der Seite an, stupste ihn an den Arm. "Was ist denn los mit dir?" Marcus antwortete nicht. Sämtliche Worte blieben in seiner Kehle stecken. Nicht Gary! Nicht jetzt! Nicht hier! Am besten niemals! "Wie dem auch sei.", lächelte Jasons Bruder. "Ich bin Gary, der jüngere Bruder von Jason. Nett dich kennen zu lernen." "Colin.", nannte der Schwarzhaarige seinen Namen. "Ich bin Colin." "Kommt doch rein." "Was machst du hier?!" Der Ausbruch von Marcus kam total plötzlich, er blickte Gary nur voller Unglauben an. "Was willst du hier?!" Die Frage klang fast vorwurfsvoll. "Entschuldige mal." Gary stemmte die Hände in die Hüften. "Hier wohnt zufällig mein Bruder und ich studiere jetzt hier an der Uni. Bis ich meine Bude auf dem Campus beziehen kann, stelle ich mich bei ihm unter." "Du bleibst hier?! Nein!" "Marcus, was hast du denn? Warum bist du so unhöflich?" Colin schaute verwirrt hin und her. "Kommt ihr nun rein? Mir ist kalt." Gary trug nur ein enges schwarzes Shirt mit kurzen Ärmeln. Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern ging wieder ins Haus, ließ dabei die Tür offen. "Was hast du, der ist doch nett?" Colin betrat ebenfalls das Haus. Marcus blieb auf der Fußmatte stehen. Das durfte nicht war sein. Nicht jetzt! Nicht hier! Niemals! Nicht Gary! Warum konnte nicht einmal alles glatt laufen? Mit viel Überwindung folgte er endlich seinem Begleiter. Im Haus lief er beinahe Jason in die Arme. Er erschrak fast beim Anblick seines Freundes. Der ehemalige Polizist sah übernächtigt aus, eingefallen, mit dunklen Ringen unter den sonst so glänzenden Augen. Er hatte einen ungepflegten Dreitagebart und hielt ein Glas Orangensaft in der Hand.. "Oh, hallo, Marcus." "Morgen, Jason." Der Brünette war sogar noch in Shorts und Bademantel, er wirkte regelrecht verlottert. "Du hast also Gary schon begrüßt?" Marcus linste ins Wohnzimmer, wo sich doch tatsächlich sein Freund und sein ehemaliger Schwarm angeregt unterhielten. Sie schienen ihn vollkommen vergessen zu haben. Deswegen drängte er Jason in Richtung Küche. "Was tut er hier?" "Hat er dir das nicht gesagt?" Jason ging zur Anrichte und füllte noch etwas O-Saft in sein Glas. Und zu Marcus' Entsetzen schraubte er danach die Flasche mit Wodka auf, die daneben stand, und goss auch davon etwas hinein. "Doch, hat er, aber... was um alles in der Welt machst du da?" Der Brünette nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas. "Hm?" "Jason! Wodka?! Es ist noch nicht einmal Mittag!" "Ich glaube nicht, dass dich das was angeht.", entgegnete Jason kühl. "Außerdem ist das nur ein Glas und ich werde schon nicht betrunken. Ich muss ja heute nirgendwo hin." "Und das ist ein Grund zu saufen?" "Halt dich da raus, Marcus! Davon verstehst du nichts!" Seine Stimme war scharf geworden, duldete keinen Widerspruch. Marcus senkte den Blick. Jason tat ihm leid, aber was sollte er tun? "Gary hat dich etwas aus der Bahn geworfen, oder?", wechselte der Ältere abrupt und endgültig das Thema. "Ja... er... ist er wegen mir?" "Nein!", lachte Jason und trank seelenruhig noch einen Schluck von seinem Wodka-Orange. "Er will hier studieren. An dich hat er sicher nicht gedacht." "Danke schön." "So meinte ich das nicht!" Jason winkte ab. "Ich meine, dass er sicher keine Intentionen hat, sich wieder an dich ran zu machen. Und du hoffentlich auch nicht.", fügte er lauernd hinzu. "Nein!" Marcus hob abwehrend die Hände. "Nein! Auf keinen Fall!" "Dann ist ja gut. Er soll sich auf sein Studium konzentrieren. Der Unfall hat ihn schon zuviel gekostet." Jason merkte, wie sich Marcus' Augen verdüsterten. "Das war kein Vorwurf.", sagte er schnell. Marcus reagierte nicht. Er wusste selbst, dass es keiner gewesen war, aber die Erinnerung an Garys Unfall holte ihn ein. Und auch die an ihre gemeinsame Nacht. "Was wolltet ihr eigentlich hier?" Marcus schaute überrascht auf. Er war vollkommen in Gedanken gewesen. "Wir wollten dich abholen und etwas mit dir unternehmen." Jason schüttelte den Kopf. "Nein... lieb von euch, aber nein... ich glaube, ich lege mich noch etwas hin..." Er ging einfach aus der Küche, ohne auch noch auf eine Antwort zu warten, und ließ Marcus allein. Der blonde Junge war fassungslos. Das war doch nicht mehr der Jason, den er kannte. Er hätte niemals gedacht, dass diesen Mann etwas derart aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Aber die Sache mit Chris hatte ihm offenbar den Boden unter den Füßen weggezogen und Jason war es bisher nicht gelungen, wieder aufzustehen. "Du willst also dein Testament ändern?" David saß Steve Nichols gegenüber, einem befreundeten Anwalt. Sie kannten sich über die Kanzlei und obwohl Steve glücklich verheiratet war und zwei Kinder hatte, also eher nicht zum bevorzugten Freundeskreis von David gehörte, verstanden sie sich gut und sahen sich hier und dort mal. "Stimmt." "Und warum so plötzlich?" "Reicht es nicht, dass ich es will?", lächelte David. "Man wird ja noch fragen dürfen. Also, was ist die Änderung?" David lehnte sich zurück. "Dieses Jahr habe ich die letzte Rate für meine Wohnung bezahlt, sie gehört jetzt mir. Ich möchte, dass sie nicht wie im Testament vermerkt veräußert wird, sondern ich möchte Jeremy Sumner als Erben einsetzen." "Den Jungen, mit dem du ausgehst?" "Er ist dreiundzwanzig, Steve, also lange kein Junge mehr.", widersprach David, "Und wir gehen nicht mehr miteinander... aber ich will trotzdem, dass er die Wohnung kriegt." "Weiß er davon?" "Nein und er wird auch bis zur Testamentseröffnung nichts davon erfahren." Steve verschränkte die Arme vor der Brust. "Gibt es da etwas, wovon ich wissen müsste, David?" Der Blonde schüttelte den Kopf, nickte dann aber doch. "Ich will, dass du das Testament schnell änderst und ich verlasse mich auf deine Schweigepflicht." "Bist du krank?" Steve legte den Kugelschreiber weg und schaute den anderen Anwalt besorgt an. "Hat es was mit dem Schuss damals zu tun?" "Steve, ich betone noch einmal, als mein Anwalt hast du zu schweigen. Wenn du irgendjemandem etwas davon erzählst, zerre ich dich vor Gericht und mache dich fertig!" Er schaute auf den Tisch. "Entschuldige... meine Nerven sind im Moment etwas gespannt..." "David, was ist denn nur los?" Der Blonde sah auf. "Ich werde sterben, Steve. In ein paar Monaten." Der Anwalt starrte ihn entsetzt an. "Das ist..." Er suchte nach Worten. "Kann man da denn nichts tun?" "Nicht wirklich, außer ich habe Lust, den Rest meines Lebens vom Hals abwärts gelähmt zu sein." "Und du schleppst das Ganze mit dir allein rum? Niemand weiß davon?" "Nein, niemand,", bestätigte David, "und das bleibt auch so." "Du warst schon immer ein Spinner..." Steve schüttelte den Kopf. "Was soll ich denn tun?!", brach es aus dem blonden Mann heraus. "Soll ich allen die Ohren voll heulen?! Sollen sich alle wegen mir schlecht fühlen?! Mein bester Freund macht gerade die schwerste Zeit seines Lebens durch und Jeremy hat es nicht verdient, da mit hinein gezogen zu werden! Ich muss es für mich behalten! Ich muss einfach..." Er kämpfte gegen Tränen, hatte nicht geahnt, dass ihn der Gefühlsausbruch so mitreißen würde. "Entschuldige...", meinte er kühl. "Ist gut." Steve nickte, er spürte, dass David nicht mehr darüber reden wollte, fühlte direkt, wie der Mann eine Mauer um sich aufbaute. Da war nichts zu machen, das wusste er. "Und so kam ich nach San Francisco. Ich konnte ja nicht ahnen, dass hier gerade alles drunter und drüber geht." Gary hatte die Beine lässig übereinander geschlagen und erzählte Colin gerade seine Lebensgeschichte. Alles bis auf seinen Zusammenstoß mit dem Schwulenleben, den ließ er komischerweise aus. Oder glücklicherweise, wenn es um Marcus ging. Er saß wie auf glühenden Kohlen, nippte immer wieder an seinem Eistee ohne wirklich etwas zu trinken. Es war zum aus der Haut fahren. Da saßen sein Freund und sein ehemaliger Schwarm und freundeten sich offensichtlich an! Das war doch einfach nur grausam! Freunde und Schwärme sollten sich entweder Spinnefeind sein oder sich nicht kennen. Aber doch nicht so! "Und du wolltest wirklich Profibaseballer werden?" "Ja, aber dann kam etwas dazwischen, ich hatte einen Autounfall und dann war es Essig mit der Karriere... aber ich bin drüber weg. Ich will jetzt hier in San Francisco an der Uni Sportjournalismus studieren, so bin ich wenigstens ein bisschen mit dem Sport verbunden." "Das ist cool, ich studiere ab diesem Semester dort Medienwissenschaft, es kann sogar sein, dass sich bei unseren Fächern ein paar Kurse überschneiden." Marcus bekam eine Gänsehaut. "Cool!", lächelte Gary. "Dann kenne ich wenigstens jemanden und weiß, neben wen ich mich setzen kann." Die Gänsehaut wurde immer stärker. "Ja und wir können für einige Fächer vielleicht zusammen lernen, keiner meiner Freund geht auf die San Francisco Uni, ich kenne auch niemanden.", schlug Colin vor. Marcus hatte das Gefühl, dass seine Gänsehaut gerade Gänsehaut bekam. "Ist ja toll, dass ihr euch so klasse versteht!", zischte er. "Hast du was gesagt, Kätzchen?" Gary warf Marcus einen Blick zu und zog die Augenbraue hoch, ganz wie Jason es immer tat. "Kätzchen?" Colin lachte liebevoll. "Ja, Marcus ist mein Kätzchen." Konnte die Gänsehaut einer Gänsehaut auch Gänsehaut bekommen? Wie nannte man das dann? Marcus wünschte sich in diesem Moment ein Loch, in das er versinken konnte. "Jason hat nie erwähnt, dass du hier her kommen würdest. Warum eigentlich ausgerechnet San Francisco?", wechselte er das Thema und lächelte Gary süffisant an. "Na ja," Gary zuckte mit den Schulter, "in New York hat mich nichts mehr gehalten. Als ich aus dem Team ausscheiden musste, hat sich gezeigt, wie viele meiner "Freunde"," Er machte Anführungszeichen mit den Fingern, "echt waren und das waren leider nicht unbedingt viele. Die sind auch in alle Winde an Unis verstreut, also habe ich mir gedacht, dass ich hierher gehe. Meine Mum ist dann auch glücklich, weil Jason ein Auge auf mich haben kann." "Ist ja toll..." "Ja, nicht wahr?" Entweder hatte Gary die Ironie in Marcus' Worten nicht gehört oder er überging sie absichtlich. "Na ja, eine Zeit lang weiß er es schon, aber ich denke, die Sache mit Chris hat ihn ganz schön mitgenommen. Ich denke, es ist gut, dass ich hier bin, er macht mir Sorgen." "Er hat eben Wodka in seinen Orangensaft getan.", petzte Marcus, aber er meinte, dass Gary das wissen sollte. "Schon wieder...", seufzte Jasons Bruder. "Hat er gestern auch schon... er ist nie richtig betrunken, aber ich habe das Gefühl, er steigert das allmählich..." "Vielleicht sollten wir David davon erzählen." Colin schaute bei der Erwähnung des Namens überrascht zu seinem Freund hinüber. "Das habe ich ganz vergessen, ich wollte es dir noch erzählen! Jeremy hat mich gestern angerufen! David hat mit ihm Schluss gemacht! Einfach so! Zack und aus." "Was?!", war alles, was der blonde Junge hervorbrachte. "Ja, Jeremy war fix und fertig, David muss ihn wohl richtig beschimpft und quasi aus der Wohnung geworfen haben! Arschloch!" "Das klingt überhaupt nicht nach ihm...", murmelte Marcus mehr zu sich, als zu den Anderen. "Mann, ich hatte fast vergessen, wie viele Schwule es hier gibt!", lachte Gary. "Du bist also keiner von uns?" Die Frage kam von Colin, mit einem frechen Grinsen. "Nein! Ist er nicht!" Beide schauten zu Marcus herüber, der die Quelle dieses urplötzlichen Ausbruchs war, der Gary das Wort abgeschnitten hatte. Der Blonde lächelte verlegen. "Entschuldigung... ich wollte nicht vorgreifen." Garys Blick ruhte einen Moment länger auf Marcus, als es der von Colin tat. Und irgendetwas daran störte den Jüngsten der Runde. Es klingelte an Davids Wohnungstür. Bis der Anwalt jedoch öffnete, dauerte es ziemlich lang. Er trug nur einen Bademantel und Hausschuhe, seine Haare waren unfrisiert und auf seinen Wangen zeigten sich ein paar hellblonde Bartstoppeln. "Wer ist da?", fragte er noch durch die geschlossene Tür. "Abby!" David senkte die Lider und öffnete mit einem Stoßseufzer. "Du verdammtes Arschloch!" Er hatte Abby mittlerweile das ,Du' angeboten. Sie stürmte an ihm vorbei in die Wohnung wie eine Furie. "Du beschissenes, elendes, dreckiges, mieses, blödes Arschloch!", brüllte sie ihn mit den Händen in den Hüften an, bevor sie ausatmete. "So, jetzt geht es mir schon besser..." "Abby..." David hob die Hände. "Nein! Nichts da! Du hörst zu!" In ihren Augen lag ein Feuer, das David regelrecht Angst machte. Eine Horrorvision baute sich auf. Er sah es genau vor Augen. "Abby, bitte, hör mir zu." "Nein, David, jetzt ist genug!" Das zierliche Mädchen zog sein Maschinengewehr. "Abby! Nein!" "Ich hatte dir gesagt, dass ich dir in den Arsch trete, wenn du Jem weh tust." "Abby!" Rattatatatatatatatatatataa. Zwei Tage später würde man ihn finden. Weil er anfing zu stinken. David Vanderveer, mit fünfzig Kugeln durchsiebt, an der Wand zusammen gesunken. Mit einem Zettel auf der Brust, auf dem "Arschloch" stand. Der Blonde schüttelte den Kopf. Abby stand immer noch vor ihm, aber nicht mit ihrer automatischen Waffe, sondern nur mit einem stinksauren Gesichtsausdruck. "Wie konntest du ihm das antun?! Rede, bevor ich richtig sauer werde." "Du bist es noch nicht?" "Glaube mir! Du willst mich nicht wirklich sauer erleben!" "Abby..." David ging ins Wohnzimmer und setzte sich hin. "Bitte... ich kann das nicht brauchen." "Du... Du kannst das nicht brauchen?! Du verdammter Wichser! Glaubst du, Jeremy konnte das brauchen?! Glaubst du, er hat es gebraucht, dass du widerliches Drecksschwein auf seinen Gefühlen herum getrampelt bist?! Dass du ihn aus der Wohnung geworfen hast wie ein lästiges Insekt?! Du beschissenes Schwein! Du hast ihm sein Herz aus der Brust gerissen und bist darauf herum gesprungen! Wie kannst du dich eigentlich noch selbst im Spiegel ansehen? Wie kannst du das ohne zu kotzen?!" David starrte sie an. Sie hatte Recht. Natürlich hatte sie Recht. Und das hieß, dass es nur eine mögliche Art zu reagieren gab. Langsam stand er wieder auf. "Raus." Das war ganz ruhig gewesen. "Was?" David hob den Blick, in seinen Augen funkelte eisige Kälte. "Ich sagte: Raus! Und zwar sofort! Verschwinde, du Miststück!" Abby verlor den Faden. Sie schluckte. "Du... was?" "Ich will, dass du auf der Stelle meine Wohnung verlässt! Auf der Stelle!" "David..." "Raus hier! Raus!", brüllte er Anwalt plötzlich, so laut, dass Abby zusammen fuhr. "Raus! Wenn du deinen Arsch nicht innerhalb der nächsten zwei Minuten aus dieser Wohnung schwingst, rufe ich den Sicherheitsdienst! Und glaube mir, die werden dich hier raus werfen! Egal, ob du ein Weib bist oder nicht! Hau ab und komm ja nicht wieder! Ich will weder dich, noch Jeremy je wieder sehen! Verschwindet aus meinem Leben und lasst mich endlich mit euren Kindereien zufrieden!" Stille senkte sich über den Raum. "David..." "Raus! Raus! Raus!" Abby schüttelte den Kopf. "Du bist so ein ekelhaftes Schwein. Ich fasse es nicht, dass wir uns so in dir täuschen konnten. Fahr doch zur Hölle." Sie wandte sich um und verließ die Wohnung, knallte die Tür hinter sich zu. David stand einfach nur da, atmete so schwer und heftig wie jemand, den man gerade zu Tode hetzte. Er zitterte am ganzen Körper. Seine Herz raste. Quälend langsam ging er zu seiner Hausbar und schüttete sich einen Scotch ein. Scheiß auf die Tabletten und die Wechselwirkung. Er stürzte den Alkohol in einem Zug runter. Sein Rücken tat so weh. Mit bebender Hand stellte er das Glas wieder ab, schleppte sich zu seinem Bett und ließ sich darauf fallen. Schlafen. Nur noch schlafen. Ihm kamen die Tränen, er ekelte sich vor sich selbst, aber schließlich hatte er keine andere Wahl. Mit diesem quälenden Gedanken schlief David irgendwann ein. "Warum hast du mir nie erzählt, dass Jason so einen netten Bruder hat?" Marcus ruhte mit seinem Kopf auf Colins Oberschenkel, der Schwarzhaarige kraulte ihm durchs Haar, während er diese Frage stellte. "Müssen wir jetzt über Gary reden?" Sie lagen in Colins Zimmer auf dem Bett, draußen war es schon dunkel. "Warum nicht? Magst du ihn nicht? Er ist doch echt cool." "Ja...", stöhnte Marcus. "Er ist cool, er sieht gut aus, er ist sportlich..." Er verdrehte die Augen. Keine Lügen, keine Halbwahrheiten mehr, das hatten sie sich schließlich versprochen. "Und ich war letztes Jahr bis über beide Ohren in ihn verliebt." Das Kraulen stoppte abrupt. "Verliebt?" "Ja...." Marcus setzte sich auf und schaute Colin in die Augen. "Wir waren ein paar Tage ständig zusammen, ich habe damals bei Jason gewohnt. Und wir haben miteinander rum gemacht. Er weiß, was ich früher getan habe und den Unfall hatte er wegen mir... Gott, ich rede wie ein Wasserfall, aber ich will nicht, dass wir wieder Geheimnisse haben." "Du hast mit ihm...?" "Nichts Tolles... ich meine, es war schon toll. Aber nur ein bisschen rumfummeln, ich hab ihm einen geblasen, ich meine... das ist doch auch egal. Aber da war nichts. Er weiß nicht einmal, was er will. Ich glaube eher, dass er hetero ist und ich der homosexuelle Ausrutscher war. Na ja, wir haben uns dann gestritten, er ist aus dem Haus und irgendwie vor einen Wagen... war verdammt hart damals." Während er sprach, gestikulierte er hilflos, mal wegwischende Gesten, mal etwas ratlose, als wolle er unter allen Umständen zeigen, dass das Ganze unwichtig war. Colin beugte sich vor und strich ihm über die Wange. "Dein Leben ist wirklich ein Chaos, weißt du das? Gut, dass du jetzt mich hast, ich werde dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder passiert." Marcus berührte verblüfft die Hand auf seiner Wange. "Und das ist alles, was du dazu sagst? Kein Eifersuchtsanfall?" "Warum sollte ich?", lächelte Colin. "Wenn du sagst, dass da nichts ist, glaube ich dir das auch. Gary ist ein netter Kerl und scheinbar denkt er gar nicht mehr daran, dass ihr mal miteinander in der Kiste wart. Also warum ein Drama machen?" "Du bist wundervoll, weißt du das?" "Ja, ich weiß, das sagt man mir öfter!" "Blödmann!", lachte der Blonde und warf sich gegen seinen Freund, so dass sie beide umfielen. "Ich liebe dich!" "Ich dich auch!", kicherte Colin. "Und wenn Gary was dagegen hat, vermöbele ich ihn nach Strich und Faden, so einfach ist das... und bis dahin... hast du was dagegen, wenn wir uns mit ihm anfreunden?" Marcus strich mit dem Finger über Colins Brust, spielte durch das Shirt mit dessen Brustwarzen, so dass sie sich verhärteten. "Nein... merkwürdiges Gefühl... aber es ist schon okay. Und jetzt reden wir nicht mehr über Gary, sondern vielleicht lieber über... uns..." Er knabberte an Colins Ohr. "Gern... hast du ein bestimmtes Thema im Sinn?" Marcus' Hand wanderte zur Gürtelschnalle des Schwarzhaarigen. "Wie wäre es mit: Was trägst du heute für Unterwäsche?" Colin grinste nur. "Gutes Thema." Ein paar Tage später. "Jeremy!" Der Fotograf ächzte genervt. "Schätzchen. Wie soll ich so Fotos von dir schießen?! Du siehst aus, wie eine wandelnde Leiche! Alice! Alice! Wo steckt die wieder?! Mit so etwas kann ich nicht arbeiten! Alice!" Jeremy bekam davon überhaupt nichts mit. Er hockte auf dem Stuhl vor seinem Spiegel und starrte vor sich hin. Einfach nur auf die reflektierende Oberfläche in das Gesicht des Fremden, das er dort sah. Tiefe schwarze Augenringe, eben diese tief in ihren Höhlen, blutunterlaufen. Wann hatte er aufgehört zu weinen? Irgendwann war er scheinbar ausgetrocknet, es kamen keine Tränen mehr. Aber es tat so weh. In ihm war etwas gestorben. Sein Herz schlug eigentlich gar nicht mehr. "Jeremy...?" Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Alice beugte sich über ihn. "Süßer, was ist los? Ich verstehe, warum sich Antoine so aufregt, du siehst furchtbar aus." "Das ist mir egal..." "Jeremy. Dieses Shooting ist wichtig. Es geht um eine Menge Geld, Schatz." Der Rothaarige sah sie an und seine Augen wirkten leer, leblos. "Das ist mir egal... mir ist das egal, verstehst du... ich habe keine Lust." "Schatz, was ist denn?" "Ich habe keine Lust! Ich habe einfach keine Lust! Kapiert das doch endlich!" Er stand abrupt auf und warf dabei den Stuhl um. "Ich will heute einfach nicht!" Alice sah ihn mitleidig an. "Ist das dein letztes Wort?" "Bitte... sei mir nicht böse, Alice... sei mir nicht böse. Ich kann einfach nicht..." "Ist schon okay. Ich rufe Andy an, der springt sicher ein." "Danke..." Die junge Frau streichelte ihm über die Wange. "Lass dich von deinem gebrochenen Herzen aber nicht zu lange niederschmettern, du bist angesagt, setz das nicht aufs Spiel." "Ja..." Tonlos, fast gleichgültig. "Da wartet übrigens jemand auf dich." Jeremy schaute auf. David! David hatte es sich überlegt! Es war alles nur ein Fehler gewesen. Er liebte ihn immer noch. Er liebte ihn! Er war hier! Ohne ein weiteres Wort eilte er aus der Halle, in der das Shooting statt fand. Doch als er sah, wer auf ihn wartete, blieb er stehen und seine Schultern sanken herunter. "Ach du..." "Was für eine nette Begrüßung!", lachte Alex und strich sich eine Strähne aus der Stirn. "Ich wollte mir dein Shooting ansehen." "Es fällt aus." "Was ist denn los mit dir? Du siehst so... verändert aus." Jeremy sagte einen Augenblick nichts. Alexander hatte ihn seit diesem Abend nach der Modenschau nicht mehr gesehen, er wusste nicht einmal, was vorgefallen war. Er fuhr sich durch die Haare. "Ich hasse es, wenn du Recht hast... ich hab das schon immer gehasst, weißt du das?" "Wovon sprichst du?" Alex verstand kein Wort. "Wegen David. Du hattest wegen David Recht... er ist... er hat... Er ist ein Arschloch. Er hat mich aus seiner Wohnung geworfen, aus seinem Leben! Völlig ohne Grund! Einfach so." "Oh nein... komm her..." Alex zog den Rothaarigen in seinen Arm. Er drückte Jeremy an sich, ganz fest, schaute im dabei über die Schulter. "Das tut mir so leid..." In seinen Augen glitzerte Hohn. "Danke...", flüsterte Jeremy und ließ sich regelrecht in die Umarmung fallen. "Bringst du mich bitte hier weg... irgendwo hin... ich muss einen klaren Kopf kriegen..." Alex nickte nur. Er setzte Jeremy in sein Auto und fuhr mit ihm aus der Stadt hinaus an die Küstenstraße, die sich Richtung Golden Gate Bridge und von dort aus in die Vororte der Stadt in Marin County schlängelte. Hier gab es mehrere Rastplätze, an denen man den Wagen parken und auf das Meer und die Bucht von San Francisco hinaus sehen konnte. Es war ein sonniger, wenn auch kühler Tag, der Wind fegte durch die langen offenen Haare von Alex, während er mit Jeremy an der Absperrung stand und aufs Wasser schaute. "Besser so?" Jeremy reckte die Nase in den Wind und hielt die Augen geschlossen. "Viel besser... ich hatte das Gefühl zu ersticken." "Ist das Modelbusiness doch nichts für dich?" "Doch, es macht Spaß, nur im Moment nicht... es wird mir einfach alles zuviel..." "Was ist denn geschehen?" Alex fragte das voller Mitgefühl, aber eigentlich ging es ihm darum, jedes noch so unschöne und brutale Detail zu erfahren, mit dem Jeremy von diesem blonden Sack das Herz gebrochen worden war. Gott, wie Jeremy das verdient hatte! Der Tänzer erzählte ihm alles, von vorne bis hinten und Alex hörte voller Interesse und geheucheltem Mitleid zu. Als Jeremy fertig war, weinte er schon wieder, so dass Alex ihn liebevoll in seine Arme schloss. "Ist ja gut, Baby, ist ja gut... er ist ein Wichser. Das hast du echt nicht verdient...", log er dem Rothaarigen ins Ohr. "Ich verstehe es einfach nicht... bin ich wirklich so nervig?" Du bist eine elende Heulsuse, hätte Alex ihm am liebsten gesagt, beließ es aber bei einem: "Natürlich nicht, du bist der wundervollste Mann, den ich kenne und er ist ein bescheuerter Idiot, wenn er das nicht erkennt." Jeremy lächelte ihn mit feuchten Augen dankbar an. "Das habe ich echt gebraucht..." "Ich bin immer für dich da, Baby..." "Ich weiß..." Jeremy wusste nicht, ob es sein gebrochenes Herz war, die Stimmung dieses schönen Ortes oder endlich wieder das Gefühl von Geborgenheit, aber er reckte den Kopf etwas, um Alex zu küssen. Doch dieser schob schnell die Hand dazwischen. "Nein.", lächelte er. "Das würdest du nur bereuen. Du bist verletzt und suchst nach Halt. Den gebe ich dir gern als dein Freund, aber nicht als dein Liebhaber. Und wenn du ehrlich zu dir bist, willst du das auch gar nicht." Das klang alles furchtbar klug, aber in Wirklichkeit hätte Alex nichts dagegen, wenn Jeremy sich von ihm aus Dankbarkeit vögeln lassen würde. Aber das durfte nicht sein. Es würde das sorgsam geschaffene Bild des treuen Freundes zerstören und er würde wieder am Anfang stehen. Und außerdem hatte er Angst, dass die Nähe zu Jeremy seinen Rachegelüsten schaden würde. "Na gut...", lächelte Jeremy und lehnte sich an ihn. "Dann halt mich einfach nur fest..." "Das werde ich... bei mir bist du sicher, Baby... vollkommen sicher..." Alex schloss ihn in die Arme und schaute Richtung San Francisco. Das war ja alles leichter, als er dachte. Am nächsten Tag klopfte es an der Tür des Hauses von Jason und Chris. "Ich gehe schon!", rief Jason durch den Flur, bekam aber keine Antwort von seinem blonden Mitbewohner, der sich irgendwo oben herum trieb. "Oh, Jeremy... was für eine Überraschung." Jason öffnete die Haustür ein wenig weiter. Der Rothaarige schaute ihn aber etwas entsetzt an, statt einzutreten. "Habe ich dich aus dem Bett geholt? Es ist vier Uhr, ich dachte..." "Nein, hast du nicht, warum?" Jason sah an sich herab. Boxershorts, oben ohne, Bademantel und dann noch unrasiert. Eilig schloss er zumindest den Bademantel. "Komm doch rein." Jeremy trat an ihm vorbei und ging dann einfach ins Wohnzimmer, Batman begrüßte ihn überschwänglich. "Ich habe lange nichts mehr von dir und David gehört. Nicht mehr seit diesem Abend." Er fuhr sich durch die unfrisierten Haare. "Aber ich verstehe das schon, ich bin im Moment sicher nicht die beste Gesellschaft." "Darum geht es gar nicht!", entgegnete Jeremy schnell. Er setzte sich auf die Couch. "Du hast also von David seitdem nichts mehr gehört?" "Nein, nichts. Aber um ehrlich zu sein, habe ich auch nicht versucht ihn zu erreichen. Hier gab es... Klärungsbedarf, weißt du...?" Jeremy nickte nur, ging aber nicht darauf ein. "Ich bin hier, weil ich... ich muss mit dir über David reden." "Hat er wieder Mist gebaut? Jeremy, sei mir nicht böse, aber ich habe im Augenblick..." "Er hat Schluss gemacht.", fiel ihm der Tänzer ziemlich rüde ins Wort. Jason brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff, was Jeremy ihm eben gesagt hatte. Trotzdem fragte er ziemlich dämlich: "Mit dir?" "Nein, mit dem Postboten!", ätzte der Jüngere. "Sorry... aber... warum um Himmels Willen?" "Frag mich was Leichteres! Er hat mich rausgeworfen, Jason! Ich glaube, wenn ich nicht gegangen wäre, hätte ich noch einen Tritt in den Arsch bekommen!" In Jeremy kochte Wut hoch, obwohl Jason die ja eigentlich nicht verdiente. "Er hat... ich weiß nichts davon." "Ja, das denke ich mir." Jeremy fing an, im Raum auf und ab zu gehen. "Ich habe das nicht verdient, verstehst du! Ich habe mir den Arsch für ihn aufgerissen, habe ihm mehrere heftige Fehltritte durchgehen lassen! Ich hab alles für ihn getan! Als wir hier auf dich gewartet haben, haben wir gekuschelt und ein paar Tage später, zack! Ende! Aus! Vorbei! Ohne einen Grund! Er will wieder Spaß! Und sein Leben nicht an ein Kind verschwenden!" Jason hörte dem Wutausbruch fassungslos zu. "Ich will ihn nicht bei dir schlecht machen, versteh mich nicht falsch!", fuhr Jeremy fort. "Aber ich musste herkommen... ich meine ich..." Er schien sich wieder zu fangen, aber man erkannte trotzdem Tränen in seinen Augen. "Ich muss endlich aufhören, wegen ihm zu weinen, verstehst du? Es ist genug... er hat mir ein Messer in die Brust gerammt und es genüsslich dreimal gedreht, aber ich hasse ihn noch nicht einmal..." "Jeremy..." "Jason, ich muss wirklich damit aufhören...", ignorierte der Tänzer den Ansatz des ehemaligen Polizisten. "Ich will nicht mehr an ihn denken, ich will ihn nicht mehr sehen, ich will nicht einmal mehr wissen, ob er tot ist oder lebt!" Der Brünette hörte ihm schweigend zu. "Deswegen..." Er schaute zu Jason, blickte ihm fest direkt ins Gesicht. "Es ist nichts gegen dich oder Chris und ich hasse es, das in dieser Situation tun zu müssen, aber... ich werde nicht mehr herkommen und ich bitte dich, mich auch in Ruhe zu lassen. Ruf mich nicht an, komm nicht vorbei... streicht mich aus eurem Leben, alle Beide... okay?" Stille senkte sich über den Raum. Jason war sprachlos. "Denkst du wirklich, dass das die richtige Lösung ist?", fragte er schließlich, als er seine Fassung wieder fand. "Ja!", kam es von Jeremy wie aus der Pistole geschossen, als habe er Angst, es selbst nicht zu glauben. "Das ist der richtige Weg! Hier könnte ich jederzeit David treffen und wenn ich mit euch befreundet bleibe, werde ich immer an diesen Dreckskerl erinnert werden. Ich muss einen Schlussstrich ziehen!" "Aber ich..." Er brach ab. Was sollte er da sagen? Wortlos ging er zu Jeremy hinüber und nahm ihn in den Arm. Was für ein Idiot war er eigentlich? Rund um ihn herum zerbrach die Welt und er dachte nur an sich. Wenn er so weiter machte, würde er irgendwann noch ganz allein enden. Jeremy sackte in seine Arme und fing an zu weinen. "Entschuldige... ich wollte jetzt einfach gehen... aber ich..." "Ist schon gut... ich verstehe dich... nur..." Er hielt ihn bei sich, obwohl er spürte, dass sich der Tänzer von ihm lösen wollte. "Ich will dich nicht so einfach gehen lassen. Lass mich mit David reden, hm?" Jeremy schüttelte entschieden den Kopf. "Nein! Es ist sowieso sinnlos! Noch eine Chance kriegt er nicht!" "Aber ich mag dich und ich will nicht, dass unsere Freundschaft so endet." Der Rothaarige schob ihn nachdrücklich von sich. "Ich auch nicht, aber es geht nicht anders. Ich will nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen, aber an mir liegt es nicht! Er hat alles zerstört. Er hat sogar noch Abby wie den letzten Dreck behandelt und ihr mit dem Sicherheitsdienst von seinem verdammten Schickimicki-Wohnhaus gedroht!" Er ging mit festen Schritten zur Wohnzimmertür. "Es tut mir leid, Jason... wirklich... ich wünschte, es wäre anders gelaufen..." Bevor der Brünette noch etwas sagen konnte, stürmte er aus dem Raum und kurz darauf knallte die Haustür hinter ihm zu. "Verdammte Scheiße!", fluchte Jason und trat gegen den Couchtisch, der scheppernd umflog. Chris erschien auf der Treppe und schaute ins Wohnzimmer hinunter. "Hast du einen Schaden?" "Ich habe diesen Tisch gekauft, also kann ich auch damit machen, was ich will!", fauchte Jason zurück. Chris schüttelte nur den Kopf und ging wieder nach oben. "Der kann was erleben!", meckerte der ehemalige Cop zu sich selbst. Er würde zu David fahren und ihn sich vorknöpfen. Was dachte der Kerl sich dabei? In diesem Moment klingelte sein Handy, Jason eilte in den Wintergarten, wo es auf dem Metalltisch lag. Ein unbekannter Teilnehmer, wohl eine Nummer aus dem Festnetz. "Cunningham." Er schien einen Augenblick zu überlegen, dann wurden seine Augen groß. "Nicolai?!... Wo bist du?... Auf dem Polizeirevier?" Er fuhr sich durch die Haare. "Fuck... ich komme sofort, keine Angst." Er legte auf. Musste David eben doch noch warten. Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis Jason soweit gepflegt war, dass er das Haus verlassen konnte. Zum Glück hatte er heute mal auf seinen morgendlichen Wodka mit Orangensaft verzichtet, er musste ja fahren. Nicolai hatte ihn ausgerechnet von seinem alten Revier aus angerufen. Natürlich nicht aus der Abteilung für Mord, aber trotzdem war es beschissen, denn auf dem Revier kannte ihn eigentlich jeder. Er hielt diesmal auf dem Besucherparkplatz, Zugang zur Tiefgarage hatte er ja nicht mehr. Am Empfang traf er auf Sandy, eine korpulente junge Dame, die dort schon seit Jahren arbeitete. "Jason! Dich habe ich ja lange nicht mehr gesehen! Urlaub?" "Gekündigt, Sandy.", antwortete er nur schnell, "Ich muss zur Sitte, kann ich durch?" "Aber klar...", meinte die Frau, sie schien ehrlich betroffen über Jasons Weggang, sagte aber nichts mehr. In den Büroräumen der Sitte traf Jason Larson Wendall, einen Kerl, den er noch nie hatte leiden können, ein guter Freund von Rodriguez. Und als wäre es nicht schlimm genug, war genau der anwesend. Die Beiden stopften Donuts in sich hinein und tranken Kaffee. "Nein! Wen haben wir denn da?!", feixte der Latino. "Cunningham! Was für eine nette Überraschung! Sehnsucht nach mir? Ich weiß, ich bin zum Verlieben! Auch wenn du ziemlich scheiße aussiehst, rasier dich mal wieder!" Er spielte auf Jasons mittlerweile mehr als Dreitagebart an, der Brünette hatte sich vor der Abfahrt nicht rasiert. Jason schaffte es, seinen ehemaligen Kollegen vollkommen zu ignorieren und wandte sich stattdessen Wendall zu. "Ich bin wegen eines Jungen hier, den ihr eingesperrt habt. Er heißt Nicolai." "Die Strichschwuchtel!", grölte der Polizist los. Rodriguez grinste breit. "Das passt ja, Cunningham, genauso stelle ich mir deinen Umgang vor!" "Kann ich nun zu ihm oder nicht?" Wendall bekam sich nur mühsam unter Kontrolle. "Klar kannst du zu der kleinen Bordsteinschwalbe! Der freut sich sicher, wenn er endlich wieder eine andere Tucke trifft! Er kann sowieso gehen, ist ja das erste Mal, dass wir ihn geschnappt haben. Aber wir wollten ihn noch ein bisschen in der Zelle lassen, damit er weiß, wohin es ihn bringt, anderen seinen Arsch anzubieten!" "Es reicht jetzt. Bring mich endlich zu ihm.", knurrte Jason, "Schöne Grüße an die Kollegen, Rodriguez!", fügte er mit ätzender Stimme hinzu. Wendall führte ihn grinsend zur Sammelzelle, einem größeren Raum, bei dem eine Wand aus Gitterstäben bestand. Es gab drei Liegen und ein offen an der Wand hängendes Metallklo. Auf einer der Liegen fläzte ein ziemlich ungemütlich dreinblickender Typ mit circa fünfhundert Tattoos, ansonsten war die Zelle zu Nicolais Glück leer. Der blonde junge Mann hockte in der anderen Ecke, möglichst weit entfernt von seinem Mithäftling. Als er Jason sah, sprang er auf und eilte zum Gitter. "Gott sei Dank!" Er schien den Tränen nahe, trug die gleiche Kleidung wie an dem Abend als Jason ihn getroffen hatte. Der Brünette musterte ihn kurz, lächelte und wandte sich dann Wendall zu, wobei sein Lächeln augenblicklich verschwand. "Woher hat er das blaue Auge?!" "Er hat sich der Verhaftung widersetzt, nicht wahr, Schwuchtel?" Nicolai sah den Polizisten an und nickte dann langsam. Man hätte schon blind sein müssen, um nicht zu erkennen, dass es nicht die Wahrheit war. "Nicolai, ist das wirklich wahr?", fragte Jason einfach noch einmal. "Ja! Ist es! Wirklich! Und jetzt hol mich bitte hier raus! Bitte!" Jason tat ihm den Gefallen. "Und jetzt sag die Wahrheit!", forderte Jason, während er in den Verkehr auf der Van Ness Avenue einfädelte. Nicolai saß auf dem Beifahrersitz. "Was meinst du?" "Spiel nicht den Dummen, ich habe dir geholfen, also verdiene ich auch die Wahrheit." "Jason, bitte... es bringt doch sowieso nichts." "Was war los?", beharrte der Brünette. "Ich habe... na ja, der Freier war ein Bulle, als ich ihn angesprochen habe, wollte er mich mitnehmen. Ich habe nur gesagt, dass ich mit meiner Schwester reden müsse, dass sie nicht allein bleiben kann so lange... da hat er zugeschlagen." "Ich wusste es!" Jason setzte den Blinker. "Das wird ein Nachspiel haben!" "Nein! Bitte!", flehte der Blonde. "Bitte nicht. Ich bin doch dort weg. Mehr will ich nicht... wenn du den Kerl anzeigst... oder ich... ich will nicht, dass meine Schwester erfährt, was ihr Bruder tut." Jason seufzte lautstark und schaltete den Blinker wieder ab, blieb auf der Straße, die sie immer weiter vom Department weg führte. "Du siehst nicht gut aus, übernächtigt.", stellte er stattdessen fest. "Ich habe in letzter Zeit kaum geschlafen..." Nicolai sah aus dem Fenster. "Entschuldige, das musst du dir nicht aufladen... du hast mich rausgeholt, dafür bin ich dir sehr dankbar, aber mehr musst du nicht tun." "Unsinn! Ich lade dich jetzt auf einen Kaffee ein und dann erzählst du mir alles. Ich brauche Ablenkung und ich will dir helfen, wenn ich kann." So war es vielleicht wirklich besser. Wenn er direkt zu David gegangen wäre, hätte er ihn vor Wut sicherlich fast umgebracht. Erst einmal beruhigen, war der bessere Weg. "Ich frage noch einmal: Von welchem Planeten kommst du?!", lachte Nicolai. Wenig später saßen sie in einem kleinen Café in der Innenstadt. Jason trank nur einen Espresso, während der blonde Stricher an einer großen heißen Schokolade nippte, zudem stand ein beachtliches Stück Kirschkäsekuchen vor ihm. "... und deswegen musste ich die letzten Nächte durcharbeiten. Wenn ich die Miete nicht zusammenkriege, wirft uns der Vermieter raus. Er hat einfach die Preise erhöht... ich kriege das niemals zusammen und weiß nicht, wohin ich mit meiner Schwester soll..." Er machte sich über den Kuchen her. Jason hatte ihm die ganze Zeit schweigend zugehört. "Dir ist schon klar, dass du ins Gefängnis wanderst, wenn sie dich jetzt noch einmal beim Anschaffen erwischen, oder? Und da kann ich nichts tun, ich bin kein Cop mehr." Nicolai erstarrte mit der Gabel noch halb im Mund. "Wirklich...?" "Ja, noch einmal und du landest hinter Gittern." "Verdammt!" Der junge Blonde warf das Besteck klirrend auf den Teller. "Und jetzt? Wenn ich nicht bald bezahle, dann schmeißt uns der Vermieter raus!" Jasons Mund öffnete sich und sagte etwas. Der New Yorker wusste selbst nicht, was er da tat und es konnte eigentlich nur ein Fehler sein, hatte er doch schon genug Probleme am Hals, jetzt auch noch die mit David, aber seine Lippen formten den Satz wie von selbst. "Ihr zieht zu uns." "Bitte?" "Du hast mich doch verstanden. Wir haben ein großes Haus, ein Gästezimmer, einen Hund... letzteres ist sicher für deine Schwester interessant." "Jason... du kannst doch nicht, ich meine ich kann doch nicht..." Nicolai stammelte vor sich hin. "Du kennst mich doch kaum..." "Gut genug, um dir helfen zu wollen. Vielleicht lenkt mich das auch ein bisschen ab, also ist das durchaus auch ein wenig Eigennutz." Er grinste breit. "Hast du immer noch Probleme mit deinem Freund?" "Exfreund." Jason hörte sich das Wort selbst sagen und es klang so merkwürdig in seinen Ohren. Aber anders konnte man es nicht nennen, Chris war nun sein Exfreund, ihre Beziehung war zu Ende und der Blonde schien auch kein Interesse daran zu haben, sie wieder aufzunehmen. "Das tut mir leid zu hören." "Schwamm drüber!", wischte Jason den Gedanken beiseite. "Wir fahren jetzt deine Schwester abholen und ein paar Sachen packen und dann kommt ihr mit zu uns. Deine Wohnung kannst du dann noch später kündigen." "Jason, das geht doch nicht..." "Doch, ich bestehe darauf!", beharrte der Brünette und erfreute sich an dem dankbaren Gesichtsausdruck seines Gegenübers. Chris saß an seinem Laptop und klickte sich durchs Internet. Das war alles so unheimlich. In seiner Erinnerung war die Technik bei weitem nicht so fortgeschritten und Begriffe wie AOL oder Internetbrowser, URL, Webchat oder Onlineforum waren ihm vollkommen unbekannt. Aber er hatte schnell gelernt, mit diesem Ding hier umzugehen. Seine Finger flogen über die Tastatur, während er sich durch die Welt klickte. Nachrichten, Jahresrückblicke, er sog diese Sachen auf wie ein Schwamm. Wer war gerade wo an der Regierung, wo schlugen sich die Menschen wieder einmal die Köpfe ein, welche Mannschaft hatte wann die Meisterschaft gewonnen... besonders die Berichte über den 11. September schockierten den jungen Mann, er war froh, dass nicht erlebt zu haben, zumindest dachte er das ja. Chris wusste nicht, dass er näher am einstürzenden World Trade Center gewesen war, als viele andere auf der Welt, die diese Katastrophe nur im Fernsehen mitverfolgt hatten, schließlich lebte er zu der Zeit in New York. Etwas drängte sich an seine Beine und er erkannte Batman, der ihn fiepend ansah. Mit einem Schmunzeln nahm der den Welpen auf den Schoss. "Na, mein Kleiner... wollen wir mal gucken, was die Hundefutterindustrie in den vielen Jahren gemacht hat?" Batman hechelte nur glücklich, als er mit einer Hand gekrault wurde. Chris hatte nun nur noch eine Hand frei, die er der Mouse zuwandte. Schluss mit Internet, er klickte lieber noch ein wenig in den zahllosen Files herum, die sich auf dem Gerät verbargen. Schließlich geriet er an einen Ordner, der "J&C" hieß. Neugierig öffnete er ihn und gelangte so in eine umfangreiche Galerie von Digitalkameraaufnahmen. Alle zeigten Jason und ihn. An allen möglichen Orten der Stadt, manchmal nur allein auf dem Bild, manchmal war auch David dabei oder Jeremy. Es gab auch eine Menge Aufnahmen nur von Jason allein und welche, die sie wohl mit dem Selbstauslöser gemacht hatten. Eine ganze Serie von Fotos in ihrem Schlafzimmer mit wenig Textilien. Eines hatten alle Aufnahmen gemeinsam: Sowohl sein Gesicht als auch das von Jason strahlte unglaubliches Glück aus. Hatte er sich so verändert, dass er das nicht einmal mehr fühlen konnte? Nicht einmal mehr im Ansatz? Chris schloss den Ordner und machte einen Klick mit der rechten Maustaste, schob das Highlight auf die Zeile "Delete". Eine Bestätigung später zeigte eine Leiste an, wie die Bilder in den Papierkorb des Rechners rasten. Chris lehnte sich zurück und atmete aus. Es war besser so. Sein Blick wanderte über Batman, der eingeschlafen war, das Gewicht des wachsenden Welpen war nicht unbedingt angenehm, aber Chris wollte ihn nicht vertreiben. "Was mache ich hier...?", flüsterte er dem Hund zu, der sich aber nicht angesprochen fühlte. Dann öffnete er den Papierkorb und stellte den Ordner "J&C" wieder her, bevor er das Notebook ausschaltete. Unten im Flur wurde die Haustür geöffnet und Chris hörte mehrere Stimmen. Eine gehörte Jason, die andere kannte er nicht, außerdem noch ein Kind. Batman wetzte von seinem Schoss und peste so schnell er konnte ins Treppenhaus. Kurz darauf fing das Kind, wohl ein kleines Mädchen, freudig an zu quietschen. Chris stand auf und folgte dem Welpen. Im Wohnzimmer fand er Jason zusammen mit einem blonden jungen Mann, den er nicht kannte und einem kleinen ebenfalls blonden Mädchen. Die Kleine tollte mit Batman durch die Gegend, der sich sichtlich freute, jemanden getroffen zu haben, der mit seiner unendlichen Spielenergie umzugehen wusste. Jason entdeckte ihn zuerst und lächelte. "Chris, das ist Nicolai und der kleine Wirbelwind ist seine Schwester Anna. Sie werden für einige Zeit hier wohnen." Chris musterte den blonden Mann mit kühlem Gesicht. Die langen Haare, die schmale Statur. "Ist das mein Ersatz?", fragte er, immer noch unterkühlt. "Chris!" Jason konnte es nicht fassen, sein Chris wäre nie so unhöflich gewesen. Der Blonde aus Dallas zuckte mit den Schultern. "Meinetwegen wohnt er hier, ist ja dein Haus. Ich habe noch zu tun." Damit war er wieder verschwunden. "Es tut mir leid.", sagten Jason und Nicolai fast gleichzeitig. "Was tut dir leid?" Der Brünette schien verdutzt über Nicolais Entschuldigung. "Na, dass er wegen mir jetzt sauer auf dich ist. Vielleicht ist das doch keine gute Idee." "Oh ja, das ist eine gute Idee! Chris ist dauernd so zickig und wie er sagte, dass ist mein Haus." Anna und Batman fegten jagend an ihnen vorbei, als Jason beherzt zugriff und die Kleine hochhob. Sie war höchstens sechs oder sieben Jahre alt. "Und du? Wollen wir mal sehen, ob wir Eiscreme da haben?" Anna nickte so wild, dass ihre blonden Locken flogen. "Ja!", freute sie sich. Nicolai schaute sich die Szene an und er kam nicht dagegen an, dass ihm warm ums Herz wurde. Jason war ein wundervoller Mann, sicherlich nicht perfekt, aber trotz allem ein echter Gewinn. "Jason! Schön dich zu sehen!" David wollte seinen Freund in die Arme nehmen, doch der marschierte schnurstracks an ihm vorbei in seine Wohnung. "Ich muss mit dir reden." "Das merke ich, Sunshine, das merke ich." David kam ihm hinterher, nachdem er die Tür geschlossen hatte. "Wie geht es Chris?" "Wir haben uns getrennt." Der Blonde blieb abrupt stehen. "Dein Ernst?" Jason lächelte ihn süffisant an. "Ja, weißt du, Trennungen sind in! Am besten man macht es so richtig grausam, damit der Andere auch leidet." David schaute ertappt zur Seite, aber er schaffte es nicht, die gleiche Kälte an den Tag zu legen, die er sie Jeremy und Abby gezeigt hatte. Jason kannte ihn besser als kaum jemand sonst und er brachte es nicht fertig, vor ihm den Arsch zu mimen. "Jason... bitte..." "Was hast du dir dabei gedacht?", fragte der Brünette erbost. "Was hat der Junge dir getan?" "Nichts!" David gestikulierte etwas hilflos mit den Armen. Er hatte nicht erwartet, dass Jason ihn direkt darauf ansprechen würde. Woher wusste er das überhaupt? Genau das fragte der Anwalt dann auch. "Oh, ich weiß das von Jeremy. Er war bei mir, um mir die Freundschaft zu kündigen, damit ihn nichts mehr an den Mann erinnert, der sein Herz in Stücke gerissen hat, zudem läuft er so auch nicht Gefahr, dich zu treffen." David ließ sich ihm gegenüber in den Sessel fallen. "Das tut mir leid, ich hätte nicht damit gerechnet, dass er das tut." "Was erwartest du? Jeremy sah aus wie der wandelnde Tod, fix und fertig." Er griff sich an sein kaum rasiertes Kinn, das sagte eindeutig der Richtige. "Jason, das ist meine Sache, es geht eben nicht anders." "David, ich bin dein bester Freund, ich will wissen, was los ist. Du hast dich doch nicht auf diese Beziehung eingelassen, um beim ersten Anzeichen von Problemen das Handtuch zu werfen, das bist nicht du!" "Du weißt nichts, Jason..." "Dann sag es mir! Verdammt, sag es mir! Ich bin kein rohes Ei, nur weil Chris mich nicht mehr will! Ich bin nicht abhängig von diesem Mann, ich leben auch noch ohne ihn!" "Das sieht man dir an! Das pralle Leben!", frotzelte David. "Lenk nicht ab, David!" "Aber es stimmt! Mann, du siehst wirklich ätzend aus. Wann hast du dich das letzte Mal rasiert? Und deine Haare gewaschen?" "David!" "Verträgst du keine Kritik, Sunshine! Du tust so, als wäre alles okay, aber dabei siehst du einfach beschissen aus und offensichtlich bist du keineswegs darüber hinweg, dass mit Chris Schluss ist.", fuhr David unbeirrt fort. "Halt deine Schnauze!" Jason brüllte ihn regelrecht an. David hielt verdutzt inne. "Wir reden hier nicht über mich! Wir reden über dich, fuck! Über dich! Über dich und die widerliche Art wie du Jeremy abserviert hast!" "Jason..." "Warum! Sag mir jetzt auf der Stelle, warum du das getan hast! Hat er dich betrogen?! Hast du ihn betrogen?! Was in aller Welt ist geschehen?!" "Es geht dich nichts an!" David erhob sich. "Ach ja? Ich bin dein bester Freund, schon vergessen?!" "Es gibt auch Dinge, die einen besten Freund nichts angehen!" "Und wer beschließt das?!" Jason stand auch auf. "Ich! Kapiert?! Ich! Ihr könnt mich bald alle mal!" Wutentbrannt drehte er sich um und wollte zur Tür stürmen, Jason rauswerfen. Die Situation entglitt ihm, er konnte Jason nicht mehr weiter davon abhalten Fragen zu stellen. Musste er ihn eben auch vor den Kopf stoßen, zumindest erst einmal, er konnte sich ja später entschuldigen. Weit kam der Blonde nicht. Von einer Sekunde auf die andere verlor er sämtliches Gefühl in seinem rechten Bein. David kämpfte für einen Moment mit dem Gleichgewicht, aber er verlor und schlug hin. "Scheiße!", fluchte er. Jason war sofort bei ihm. "David! Was ist?! Bist du gestolpert!" "Ja... schon okay..." David versuchte aufzustehen, aber es gelang ihm nicht, sein Bein knickte einfach weg. "Scheiße! Scheiße!" Der Brünette sah ihn an. Erkenntnis lag in seinen Zügen. "Du kannst dein Bein nicht bewegen, oder?" "Doch, es ist alles okay." "Dann steh auf, sofort!" David senkte den Blick. Er konnte nicht. "Habe ich mir gedacht..." Jason schob seine Hände ohne zu fragen unter den Körper seines Freundes und hob ihn mit einem Ächzen hoch. "Gott, bist du schwer." Mit knallrotem Gesicht trug er David in dessen Schlafzimmer und legte den blonden Mann aufs Bett um sich dann daneben zu setzen. "Und jetzt die Wahrheit." "Jason..." Der Brünette strich seinem Freund sanft über die Wange. "David, ich bin dein bester Freund... ich liebe dich... und ich glaube, ich habe die Wahrheit verdient, oder? Wir haben uns doch immer alles gesagt... oder nicht?" David schaute ihn an. Dieses liebevolle Gesicht, das ihn voller Mitgefühl ansah. Jason war immer für ihn da gewesen. Sie hatten sich immer respektiert, selbst wenn sie sich gestritten hatten. Jason war ihm so wichtig wie seine eigene Familie. Nein, er gehörte zu seiner Familie. "Jason, ich... ich werde sterben..." Ein Moment herrschte Stille, dann sank der ehemalige Polizist nach vorn und zog David in seine Arme. Der Blonde klammerte sich an ihn. Jason wusste, dass es die Wahrheit war. Mit so etwas würde David niemals Scherze machen. "Halt mich fest..." Davids Stimme war schwach und kaum hörbar, er weinte. Danach sagte Minuten lang keiner von beiden mehr ein Wort. Jason hielt ihn einfach nur in den Armen. Scheinbar unendlich. Auch er weinte lautlose Tränen. Irgendwann ließ Jason den Blonden langsam wieder in die Kissen sinken. "Seit wann weißt du es?" Er fragte das ganz sachlich, fast kühl. "Schon seit der Operation... Ich habe einen Splitter in meinem Rückenmark, der auch diese Lähmungen verursacht..." "Und du... wirst...?" "In ein paar Monaten..." Jason hatte das Gefühl, neben sich zu stehen. "Und deswegen hast du..." David schaute zur Decke, seinen Augen schimmerten feucht. "Ja... deswegen. Ich kann es ihm nicht antun... er ist so jung, so lebensfroh... ich kann ihm das nicht antun. Er bedeutet mir soviel, soviel wie noch nie jemand zuvor, abgesehen von dir..." "Du hast das so lange mit dir herum getragen, ohne das mit jemandem zu teilen? Wie hast du das überstanden?" "Gar nicht... ich bin am Ende, am Ende meiner Kräfte..." "Und es gibt keine Hoffnung?" Was fragte er da? Wenn es noch eine Möglichkeit geben würde, dann würde David sie doch nutzen. "Na ja..." Wieder herrschte einen Moment Stille. "Dieses ,na ja'... David... meinst du etwa, dass es eine Möglichkeit geben würde?" David schloss die Augen und dann fing er an zu erzählen. Alles. Er redete und redete und endlich, seit so langer Zeit, fühlte er sich frei. Jason sagte kein Wort. Er hörte nur zu. "Und du willst nicht...?" "Nein." "Warum?! Es wäre doch eine Chance! Eine echte Chance!" "Eine Chance, mein Leben vom Hals abwärts gelähmt zu verbringen! Jason, das ist keine Chance, nicht für mich! Ich war immer unabhängig und ich könnte das nicht ertragen..." Jason seufzte resigniert. "Und was erwartest du jetzt von mir? Soll ich mit ansehen, wie mein bester Freund freiwillig in den Tod geht?" David setzte sich auf, das Gefühl war in sein Bein zurück gekehrt. "Ich erwarte dein Stillschweigen, das musst du mir schwören! Jeremy darf nichts davon erfahren!" "Du bist grausam!" "Ich weiß, aber bitte schwöre es mir, schwöre es mir als mein bester Freund!" "Du hast mein Wort...", sagte Jason leise. David zog ihn ohne etwas zu sagen zu sich herunter, Jason schloss ihn in seine Arme, er lag nun hinter dem Blonden, an ihn gedrückt, während seine rechte und Davids linke Hand vor dessen Körper gefaltet waren. Wieder herrschte Stille. "Ich bin so froh, dass ich jetzt nicht mehr allein bin...", sagte David irgendwann kaum hörbar. Jason antwortete zunächst nichts, er war sich nicht sicher, ob er nun froh oder noch mehr am Boden sein sollte. "Ich liebe dich, David, wie meinen eigenen Bruder, natürlich werde ich für dich da sein..." "Danke...", war alles, was der Blonde dazu sagte. Dann senkte sich wieder das Schweigen über die Beiden. Sie lagen noch lange so da. Nicolai streckte sich genüsslich in der Badewanne aus. Er hatte Chris um Erlaubnis gefragt, obwohl er sich etwas scheute, mit dem kühlen Mann zu reden, der ihn irgendwie spüren ließ, dass er ihn hier nicht haben wollte. Allerdings war Chris mit Anna ganz anders, die Kleine hatte er bereits ins Herz geschlossen. Deswegen hatte Nicolai ihn mit seiner Schwester und dem Hund im Garten gelassen und sich selbst in die Badewanne gelegt. Das war so wundervoll. Das heiße Wasser, der duftende Schaum, er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal voller Genuss ein Schaumbad genommen hatte. Es musste eine Ewigkeit her sein. Allmählich verfiel er in einen Dämmerzustand und wäre wahrscheinlich sogar eingenickt, wenn nicht in diesem Moment die Badezimmertür aufgerissen worden wäre. Jason stürmte hinein, offensichtlich mieser Laune, oben ohne und mit einem Gesicht, dass einem regelrecht Angst machen konnte. Dieses veränderte sich aber abrupt zu einem überraschten Ausdruck. "Oh... entschuldige." Nicolai zuckte mit den Schultern. "Kein Problem. Schließlich ist das dein Bad." Jason lächelte, wenn auch etwas abwesend. "Ja... ich geh dann mal wieder, ich muss pinkeln, von daher..." "Tu dir keinen Zwang an, ich gucke auch weg!", lachte der Blonde und drehte demonstrativ den Kopf zur Seite. Er hatte damit kein Problem. Jason wusste nicht so recht, ob er das tun sollte, aber warum eigentlich auch nicht? An einem Pissoir scheute er sich ja auch nicht. Also tat er, was zu tun war. Ein Grinsen schlich sich über Nicolais Züge. "Guter Junge, du setzt dich hin..." "Ich dachte, du guckst nicht!", lachte Jason, während er die Spülung betätigte. Nicolai antwortete nicht, er grinste bloß. "Hast du Sorgen?", fragte er, als Jason schon nach der Türklinke griff. Der Brünette drehte den Kopf und musterte den jungen Russen in der Badewanne. "Sieht man mir das an?" "Es fehlt nur noch das kleine blitzende Gewitterwölkchen über deinem Kopf." Nicolai setzte sich etwas auf. "Magst du reden? Dann schlaf ich auch nicht ein und sauf ab!" "Ist schon okay..." "Wie du meinst, großer Krieger. Du machst wohl immer alles mit dir aus, was?" "Ist die beste Methode.", lächelte Jason. "Keineswegs, aber ich will meinen Wohltäter ja nicht kritisieren." "Frech bist du gar nicht, oder?" "Nein, nie.", lachte Nicolai verschmitzt. "Na ja, es ist aber verdammt warm hier drin, in meiner Hose wird es schon feucht und..." Jason schloss die Augen. "Okay... Fettnäpfchen lieben mich abgöttisch..." Er wurde tatsächlich ein wenig rot. "Bevor es noch feuchter in deiner Hose wird,", kicherte der Blonde, "zieh sie doch aus und komm rein." Er winkelte die Beine ein wenig an. "Genug Platz für zwei." Jason schaute ihn verdutzt an. "Ich kann doch nicht einfach..." "Keine Angst, ich angele schon nicht nach verbotenen Früchten, ich bin brav, erinnerst du dich?" Jason fasste sich an die leicht verschwitzte Stirn und resignierte. Warum eigentlich nicht, ging es ihm schon zum zweiten Mal durch den Kopf. Er stieg aus seinen Schuhen, entledigte sich der Hose und seiner Unterwäsche und stieg dann Nicolai gegenüber in die Wanne. "Na siehst du, war doch gar nicht so schwer!" "Nein, war es nicht." Jason spürte, wie seine Beine die des Blonden berührten. Er hatte so eine weiche Haut, keinerlei Haare, offenbar rasierte er sich seine Beine. "Willst du jetzt reden?", lächelte Nicolai und legte die Arme links und rechts auf den Wannenrand. Trotz seines blauen Auges, war der junge Mann wirklich hübsch, wie Jason erneut feststellen musste. "Nein, eigentlich nicht... ich habe versprochen, nicht darüber zu reden." "Noch mehr Probleme?" "Mein Leben besteht im Moment nur noch aus Problemen, Nicolai. Ich warte eigentlich jeden Tag darauf, dass sie mich erschlagen." "Du siehst auch nicht gut aus. So erschöpft. Soll ich dich massieren?" "Kannst du das?", fragte Jason überrascht. "Dreh dich um und probier es aus!" Der Brünette kam der Aufforderung nach. So geschickt es in der Wanne eben ging, drehte er sich und schob sich mit dem Rücken voran zwischen Nicolais Beine. Der junge Russe legte seine schlanken Hände auf den breiten Nacken des anderen Mannes und griff beherzt zu. Er machte seine Sache wirklich gut, Jason begann schon bald genießerisch zu stöhnen, als sich die Verspannungen etwas lösten. "Du hast wirklich magische Hände...", seufzte er und drängte sich näher an den Blonden. "Oh..." Er hatte etwas gespürt, dass sich nun überdeutlich gegen seinen Steiß drückte. Augenblicklich hörte Nicolai mit der Massage auf. "Entschuldige!", stieß er verschämt hervor. Jason drehte sich halb herum, damit er dem Jungen in sein Gesicht schauen konnte. "Schon okay... mir geht es nicht anders..." "Wirklich?" Der Ältere sagte nichts mehr, sondern ließ nur seinen Blick über Nicolai gleiten. Über das ebene jugendliche Gesicht, den schlanken Hals, die blonden Haare. Ein wenig wie Chris und doch anders. Jason drehte sich vollkommen herum, Badewasser schwappte über den Rand, aber er achtete nicht darauf. Sein sehniger Körper schob sich über den schlanken Leib des jungen Russen, seine Hand legten sich auf Nicolais Hinterkopf und zog ihn zu sich, damit sich ihre Lippen trafen. Nicolai hatte ihm gesagt, dass er nicht küssen würde, aber Jason tat dies nicht als Freier und er hoffte, dass der Blonde das ebenso sehen würde. "Bist du sicher, dass du das tun willst...?", flüsterte der Stricher, als der Kuss endete, er schien nicht im Geringsten schockiert. "Ja... aber nur, wenn du es auch willst...", war Jasons Antwort. Nicolai nickte. "Du gehst mir seit diesem Abend schon nicht mehr aus dem Kopf." Der Brünette reckte seine Lippen wieder denen Nicolais entgegen, doch dieser legte seinen Zeigefinger dazwischen. "Aber ich bin kein Chris-Ersatz... das habe ich nicht nötig." "Das würde ich auch niemals so sehen. Ihr seid grundverschieden." Nicolai lächelte und nahm den Finger wieder weg. Sofort fand er sich in einem weiteren leidenschaftlichen Kuss wieder und bald schwappte noch einiges Badewasser mehr über den Rand. Chris öffnete die Schlafzimmertür, er musste sich eine frische Hose anziehen, Batman hatte sie vollkommen versabbert. Anna hatte er mit einer großen Portion Eis und dem Welpen in der Küche gelassen. Im Gegensatz zu diesem komischen blonden Kerl hatte er die Kleine sofort gern gehabt, er hatte auch in Dallas oft auf Kinder aus der Nachbarschaft aufgepasst, so etwas lag ihm. Eigentlich wusste er auch nicht, was ihn an Nicolai störte, er kannte ihn ja kaum, aber es war so ein merkwürdiges Gefühl. Er suchte sich leise eine Hose aus dem Kleiderschrank, damit Nicolai ihn im Bad nicht hörte. Dafür vernahmen seine Ohren aber etwas. Lachen. Ziemlich ausgelassenes Lachen. Er schlich sich an die Badezimmertür und legte sein Ohr daran. Das waren zwei Stimmen, die von Jason und die von Nicolai. Sie schienen sich glänzend zu amüsieren. Chris zuckte zusammen. War das eben ein Stöhnen gewesen?! Hatte Jason gestöhnt?! Er wusste nicht, warum er es tat, aber mit einem Ruck riss der blonde Mann die Tür auf. Was er sah, ließ ihn erbleichen. Jason und Nicolai lagen eng umschlugen in der Wanne und wenn man den Winkel von Nicolais ins Wasser gestrecktem Arm weiterdachte, konnte man unschwer erkennen, warum Jason lustvolle Laute von sich gab. "Entschuldige bitte, du störst!", knurrte Jason ihn an. "S...Sorry...!", war alles was Chris heraus brachte, dann schlug er die Tür wieder zu und floh so schnell er konnte aus dem Schlafzimmer. Nicolai schaute Jason etwas erschrocken an. "Sollen wir... ich meine... sollen wir aufhören?" Jason schüttelte den Kopf und sein nasses Haar verteilte Wassertröpfchen. "Auf keinen Fall! Er ist mein Ex und er kann klopfen!" Mit diesen Worten küsste er Nicolai einfach wieder und schnitt ihm jeden weiteren Einwurf ab. Vier Tage später stand Colin mit verschränkten Armen im Golden Gate Park. Es hatte einen erneuten Kälteeinbruch gegeben und seine Jacke schützte nur notdürftig vor der Witterung. Der Seewind fegte durch seine Haare und wirbelte sie in sein Gesicht. Er war am Rande eines der Wäldchen des Parks, etwas abseits der größten Wanderwege in der Nähe des japanischen Gartens. Hier hatte er sich früher oft mit Brandon verabredet und so war es auch heute. Die SMS hatte so eindringlich "geklungen", dass Colin zugestimmt hatte, Marcus hatte einen gigantischen Berg Hausaufgaben und hatte deswegen keine Zeit, Colin hatte ihm jedoch nicht gesagt, mit wem er sich traf, auch wenn er ein schlechtes Gewissen deswegen hatte. Endlich wurde er vom Warten erlöst und der blonde Hüne der früher sein Freund gewesen war kam den Weg entlang. "Du bist wirklich gekommen." "Überrascht dich das? Ich hatte doch zugestimmt. Aber wenn du mich noch lange in dieser Saukälte hättest warten lassen, wäre ich sauer geworden." Die Saukälte war natürlich an kalifornischen Maßstäben gemessen. "Danke, dass du da bist..." "Brandon... bitte, lass diesen Unterton." "Welchen?" Colin seufzte. "Dieses leidige Getue sollst du lassen. Du klingst, als wolltest du den Boden küssen, auf dem ich wandle. Das hier ist kein Date. Du wolltest mich sprechen und damit hat es sich. Also, was ist los?" "Seit wann bist du so widerlich kratzbürstig?" Der Schwarzhaarige stieß die Luft aus und schaute in den leicht bewölkten Himmel. "Seit ich weiß, was für ein treuer Freund du warst..." "Wirst du mir das nie verzeihen?" "Ich weiß nicht, wie ich Lust habe... mal sehen..." Colin schaute in die traurigen Hundeaugen seines Exfreundes und schon schmolz ein wenig seiner kühlen Schale dahin. "Okay... okay...", gab er sich geschlagen, "Ich reiße mich zusammen, schließlich liegt das alles schon zurück und ich bin mit Marcus sehr glücklich." "Das freut mich ehrlich für dich." "Beeindruckend, wie du mir ins Gesicht lügen kannst.", lächelte Colin. "Bitte!" Der Schwarzhaarige hob die Hände. "Schon gut! Aber erwarte trotzdem nicht, dass ich dir das abkaufe." Er sah sich um. "Ich habe auf dem Weg hierher die 49ers Youth League trainieren gesehen, schwänzt du?" Brandon schaute auf seine Füße. "Ich bin nicht mehr im Team." "Was? Warum?!" Der Blonde blickte den Weg entlang. "Gehen wir ein Stück?" In schweigender Zustimmung setzte sich Colin in Bewegung. Mit langsamen Schritten wanderte das ehemalige Paar durch die trotz Winter immer noch grünen Parkanlagen. "Nun...?", fragte Colin nach einer Zeit des Schweigens. "Ich bin aus dem Team geflogen, Col." "Hast du einen der Spieler befummelt?" Das kam mit einem Grinsen, doch es drang nicht bis zu Brandon durch. "Bei meinem Gesundheitscheck kam etwas heraus, was man als Profispieler nicht haben darf." Colin blieb ruckartig stehen. "Bist du krank?!" Der Blonde drehte sich um und tatsächlich schimmerten Tränen in seinen Augen. "Ja..." Seinem Exfreund stockte der Atem. Brandons Gesicht verhieß nichts Gutes. Im Gegenteil. Colin bekam es mit der Angst zu tun. Er war immer noch sauer auf den anderen Jungen, aber nicht so, dass er ihm etwas Schlechtes wünschen würde. Auf keinen Fall. "Sag bitte nicht, dass es Krebs ist..."; flüsterte er. Brandon schüttelte den Kopf, unendlich langsam. Er biss sich auf die Lippe, bewegte hilflos die Hände, als suche er nach Worten. "Colin... ich wünschte fast, es wäre Krebs... ich bin... ich... ich bin HIV-positiv..." Der Schwarzhaarige hatte für einen Moment das Gefühl, dass sein Herz aussetzte. Einfach so. Er hörte die Worte, wollte aber ihren Sinn nicht akzeptieren. Ohne etwas zu sagen ging er zu Brandon und schloss ihn in die Arme. Der muskulöse Junge sackte zusammen und fing endgültig an zu weinen. Nach einer endlosen Zeit des Schweigens klopfte Colin ihm auf den Rücken. "Hey... das heißt doch aber nicht, dass du jetzt sterben musst. Heute ist das doch etwas, womit man leben kann..." Der Satz klang sogar in seinen eigenen Ohren hohl. "Ich muss eine Diät einhalten und jeden Tag einen ganzen Pillencocktail schlucken, dann kann man sogar mit HIV alt werden..." Brandon sagte diese Worte wie ein auswendig gelerntes Mantra. Sanft schob er Colin von sich. "Aber das ist nicht alles... ich meine..." "Was denn noch?" Brandon löste sich ganz von ihm und drehte ihm den Rücken zu, ging ein paar Schritte, blieb dann stehen und sah auf die Hügelkette, hinter sich die Wolkenkratzer der Innenstadt erhoben. "Ich weiß nicht, wie lange ich schon positiv bin. Ich hatte mit mehreren Partner ungeschützten Verkehr..." "Brandon... warum bloß?" Colin blickte zur Seite und mahnte sich für den vorwurfsvollen Ton, auch wenn es angebracht war. "Ich weiß selbst wie blöd das war... ich war leichtsinnig, aber ich..." Er hielt weiter den Rücken zu Colin gewandt. "Ich hatte auch... ich habe auch damals, als ich dich betrog... ich war betrunken... es war ohne Gummi..." In diesem Augenblick fror die Zeit ein. Zumindest für Colin. Sämtliche Laute verschwanden, die Vögel sangen nicht mehr, der Wind rauschte nicht mehr in den Bäumen, das Hundegebell von der nahen Spielwiese verstummte. "Nein..." "Colin, ich..." "Du dreckiges Arschloch!", ging der Junge in die Luft. Er stürmte auf Brandon zu, riss ihn herum und schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht. "Du hast mich damals auch ohne Gummi gebumst! Was hast du dir dabei gedacht?!" Brandon und er hatten damals beide heimlich einen HIV-Test machen lassen und waren beide negativ gewesen, das war am Anfang ihrer Beziehung. "Ich weiß nicht... ich..." "Du hast mich auch noch ohne Kondom genommen nach dieser Nacht!" "Woher hätte ich denn wissen sollen...?! Und wie hätte das ausgesehen, wenn ich plötzlich bei dir ein Kondom genommen hätte." "Da gehst du lieber das Risiko ein, deinen Freund mit AIDS zu infizieren?! Wie krank bist du, du Arschloch?!" "Ich habe doch damals nicht an AIDS gedacht!", brüllte Brandon zurück. "Nein! Gedacht hast du wirklich nicht! Das hast du nie!" Colin atmete heftig ein und aus. "Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich in diesem Moment hasse! Weißt du was, verreck doch und fahr zur Hölle!" "Colin!" Brandon zog ihn an sich, doch der Schwarzhaarige beendete den Körperkontakt, indem er seinem Ex ins Gesicht spuckte. "Ich hasse dich...", zischte er, dann warf er sich auf dem Fuß herum und rannte los, einfach nur weg. Brandon kam ihm nicht nach. Colin rannte bis seine Lungen wie Feuer brannten und er nicht mehr konnte. Irgendwo mitten im Gate Park brach er an einem Baum zusammen und weinte bittere Tränen. Marcus drückte seinen Füller so fest auf das Papier, dass die Mine in die Schreibunterlage einschnitt und einen dunklen Riss zog. Wie er Mathematik hasste. Es gab doch nichts schlimmeres außer vielleicht Sport. Sein Blick wanderte zu dem Bild von Colin auf dem Schreibtisch und er lächelte. Wenn er doch jetzt nur hier wäre. Colin war gut in Mathe und er würde es ihm vielleicht erklären können... oder ihn auf seine unnachahmliche Weise ablenken. Aber er hatte ja heute keine Zeit. Marcus' Finger strichen über das kühle Glas des Bilderrahmens, seine andere Hand ruhte in seinem Schritt. Durfte man sich in einer Beziehung beim Gedanken an den Freund einen runterholen? Über so etwas hatte er nie nachgedacht. Aber eigentlich sprach doch nichts dagegen. Abgesehen von dem Klopfen an der Tür. Schnell ruckte seine Hand wieder auf den Schreibtisch. "Ja?" Seine Mum öffnete und lächelte ihn an. "Da ist ein junger Mann, der dich sprechen will." "Colin?" "Dann hätte ich auch Colin gesagt, Schatz. Er sagt, er sei Jason Cunninghams Bruder." "Sag ihm, ich hätte Kopfschmerzen!", entschied Marcus schnell. "Schatz, er steht hinter mir." Seine Mutter lachte. Volltreffer! Das war kein Fettnäpfchen, sondern eine Fetttonne gewesen. Marcus legte die Stirn auf den Schreibtisch. "Schon okay..." Gary trat grinsend an Marcus' Mutter vorbei, die daraufhin die Tür schloss. "Ich komme wohl nicht gelegen. Sind die Kopfschmerzen so schlimm?" "Immer feste drauf!", knurrte Marcus, bevor er den Kopf hob. "Was willst du?" "Wow, du bist wirklich weit unter Null, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Bei deiner Art erfriert man ja." "Sorry..." Marcus merkte selbst, dass er sich ziemlich arschig benahm, aber er kam nicht wirklich dagegen an, es war so eine Art Schutzreflex. "Ich weiß nur nicht, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll!" Er stand auf. "Seit der Sache damals hast du den Kontakt zu mir total abgebrochen und jetzt bist du plötzlich wieder da und tust so, als wären wir die besten Freunde." "Aber ich dachte, wir wollten Freunde sein." "Ja! Aber Freunde telefonieren mal oder schreiben sich eine Mail. Du hast absolute Funkstille vorgezogen." "Ich wusste eben nicht... es ist damals soviel passiert. Und soweit ich Jason verstanden habe, hast du ziemlich gelitten." "Das ist untertrieben. Aber Colin hat mir da raus geholfen." Gary nickte. "Ja, er ist ein netter Kerl." "Das klang jetzt fast wie eine Beleidigung, was soll dieser Tonfall?" Marcus musterte zum ersten Mal seit er wieder da war, den Brünetten genauer. Sah immer noch verdammt gut aus. Auch wenn er weniger Sport treiben durfte, war er immer noch ausgeprägt muskulös, auf jeden Fall mehr als Colin, der ja schon beachtlich war. Und sein Lächeln war immer noch so warm und freundlich wie damals, die Haare trug er ein ganzes Stück länger, was ihm aber ausgezeichnet stand. "Nichts, ich wollte nur feststellen, dass er ein netter Kerl ist." "Das hast du ja jetzt..." Marcus sammelte seine Schulsachen zusammen und brachte sie zu seinem Rucksack, um sie darin zu verstauen. Er fühlte sich wirklich unwohl in Garys Gesellschaft, es war so ein merkwürdiges Gefühl, ihm wieder gegenüber zu stehen. "Also, was willst du nun?", fragte er mit dem Rücken zu Jasons Bruder gewandt. Es kam keine Antwort, doch als Marcus sich wieder herumdrehte, stand Gary plötzlich direkt hinter ihm. Bevor der blonde Junge reagieren konnte, zog der Andere ihn an sich und küsste ihn auf den Mund, leidenschaftlich und verlangend. "Dich...", flüsterte Gary, als sich ihre Lippen lösten. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Im Moment ist es wirklich ätzend... ich komme kaum voran, schramme immer knapp an Schreibblockaden vorbei... warum geht es mir bei meinen RPGs nicht so, aber hier? Na ja, es ist wohl das Problem, dass ich weiß, wohin der Weg führt, ich dieses Zwischenstück aber nie bedacht habe. Die Rettung kam in Form von Nicolai, dessen Rückkehr zwar geplant war, auf die gleiche Art wie hier, aber nicht so früh und auch nicht in der Form, in der es hier geschieht. Er wird die Story nun etwas länger begleiten und mal sehen, was da noch passiert. Im Nachhinein bereue ich Anna, aber da muss ich jetzt durch, ein kleines Kind hat eben wenig Potenzial. Ansonsten Sturm an allen Fronten. Colin muss eine HIV-Infizierung fürchten, Garys Intentionen in Richtung von Marcus sind offenbar geworden, Jason verfällt Nicolai und erfährt endlich die Wahrheit über David. Und dann ist da noch Jeremy, der sich vollkommen von allen zurückzieht und in die Arme seines ach so fürsorglichen Ex stürzt. Ich glaube, so viele Cliffhanger auf einmal hatte ich noch nie ^^ Aber am Ende hatte ich wieder richtig Spaß an diesem Kapitel und die letzten sechs Seiten schrieben sich wie von selbst. ^^ Nur Sly und Ash haben im Moment eher Pause, obwohl ich eine Idee für Sly für dieses Kapitel hatte, die mir dann aber gespart habe, sie passt besser auf das nächste ^^ Hoffentlich kommt das diesmal etwas schneller, da ich aber mit Riesenschritten auf die Zwischenprüfung zugehe *zitter* wird natürlich auch meine Zeit etwas knapper. Aber ich verspreche, mir Mühe zu geben und habe hoffentlich die Schreibblockade überwunden ^^ Ganz liebe Grüße und danke, dass ihr mir trotz der längeren Wartezeit treu bleibt ^^ *wink* Dat Uly ^^ Kapitel 35: Noises everywhere (Part 1 of 4) ------------------------------------------- Marcus gelang es, seine Starre zu überwinden und er drückte Gary mit soviel Kraft von sich, wie sein zitternder Körper aufbringen konnte. „Was bildest du dir eigentlich ein?“, stieß er hervor. Jasons Bruder lächelte ihn an. „Ich habe mich so darauf gefreut, das zu tun... du weißt gar nicht, wie ich dich vermisst habe...“ Er machte einen Schritt auf ihn zu, Marcus zwei von ihm weg. „Wow, stopp, Cowboy! Was soll das werden?“ Er hielt eine Hand abwehrend vor sich, um sich zumindest ein wenig das Gefühl zu geben, Gary aufhalten zu können. Dabei rutschte sein Ärmel hoch und zeigte das Armband, das er trug. „Du hast es noch?“ Auf Garys Gesicht erschien ein triumphierendes Grinsen. „Das ist kein Verlobungsring, Gary, du hast es mir damals geschenkt, bevor du überhaupt wusstest, dass ich schwul bin!“ „Aber trotzdem trägst du es.“ „Ja, ich trage es, kleb dir einen Sticker auf die Stirn!“, fauchte Marcus, dieses Verhalten regte ihn auf. „Das gibt dir noch lange nicht das Recht, mich einfach zu küssen!“ „Hat der Kuss dir nicht gefallen?“ „Wenn du weiter so grinst, trete ich deine Kronjuwelen in die Umlaufbahn, Gary! Das ist nicht witzig!“ „Warum wehrst du dich so, Marcus?“ „Warum?! Das fragst du im Ernst?! Erinnerst du dich? Colin? Groß, gut aussehend? Mein Freund?“ Gary nickte. „Du nickst?!“ Marcus war kurz davor an die Decke zu gehen. „Und?“ „Gary, was soll das?!“ Der Brünette ließ sich auf Marcs Schreibtischstuhl nieder und seufzte. „Ich weiß es doch selbst nicht so genau... aber ich habe eben das Gefühl, das hier tun zu müssen. Du bist mir seit damals nicht mehr aus dem Kopf gegangen und ich habe nicht einmal mehr mit einem Mädchen geschlafen, seit unserer Nacht...“ Marcus schloss die Augen. „Nein...“ „Ich glaube, ich bin wirklich bi, Marc!“ „Nein!“ Das hatte Marcus regelrecht geschrieen. „Na-hein! Stopp! Auf der Stelle!“ „Was?“ Gary sah ihn vollkommen verdutzt an, der blonde Junge hatte den Zeigefinger mahnend erhoben und atmete schwer. „Hör sofort auf damit! Ich will das nicht hören! Was für ein kranker Mistkerl bist du eigentlich?! Erst willst du mich nicht, brichst mir das Herz, lässt über Monate nichts von dir hören und dann „Hallo hier bin ich! Jetzt will ich dich doch!“? Nein, mein Lieber, so nicht! So nicht!“ „Marcus...“ „Nein!“, fuhr der Junge dazwischen. „Nein und noch mal nein! Das wirst du nicht tun! Was bildest du dir eigentlich ein?! Ich habe hier ein Leben, Gary! Ich bin über dich hinweg, ich habe endlich wieder eine Richtung gefunden! Und ich habe Colin, der mich liebt! Und ich liebe ihn! Wage es ja nicht, noch einmal zu sagen, dass du mich willst! Du hattest deine Chance, Gary Cunningham! Noch eine kriegst du nicht!“ Gary erhob sich und ging seelenruhig auf Marcus zu, er baute sich vor ihm auf und sah auf den Blonden herunter. „Okay, ich habe verstanden. Aber wenn du denkst, dass mich das aufhält, kennst du mich nicht. Ich werde um dich kämpfen, Marc. Und ich werde gewinnen.“ Damit drehte er sich einfach um und ging. Marcus blieb mit offenem Mund stehen und starrte auf die geschlossene Zimmertür. Über eine Minute. Dann kam seine Mutter mit einer Packung Oreos und Milch rein. „Wollte ihr Keks... oh, dein Besuch ist schon gegangen?“ Marcus antwortete nicht. Ja, er war weg, aber wenn er seine Drohung ernst meinte, würde er sicher wieder kommen. „Guten Abend, Marcus!“, lächelte Mrs. Shephard den blonden Jungen an. „Was für eine Überraschung.“ „Eigentlich nicht...“ Marcus erwiderte das Lächeln. „Colin und ich waren verabredet, aber er hat mich versetzt und geht nicht ans Telefon... ich wollte mal sehen, ob alles in Ordnung ist.“ „Er ist oben, mein Schatz.“ Colins Mutter war regelrecht vernarrt in den Freund ihres Sohnes, sie sah in ihm ein willkommenes Ziel für ihre überschäumende Mutterliebe, aus deren Umarmung sich Colin gerade frei zu strampeln versuchte. Marcus bedankte sich brav und eilte dann die Treppe hinauf. Er war hin und her gerissen zwischen Wut und Sorge. Für welches von beidem sollte er sich nun entscheiden? Als er die Tür zu Colins Zimmer öffnete, hatte er die Antwort sofort bekommen. Sein Freund saß zusammengekauert in der Ecke zwischen Wand und Bett und weinte. Er schluchzte beständig vor sich hin. „Colin...?“ Tränennasse Augen wandten sich ihm zu. „Marcus... was machst du hier?“ „Wir waren verabredet... was ist denn passiert?“ Es dauerte noch eine ganze Weile bis Colin soweit war, dass er Marcus alles erzählen konnte. Er schluchzte und wimmerte immer wieder zwischendurch, musste mehrmals die Nase putzen. Nur mühsam schaffte er es, Marcus die ganze Geschichte zu berichten. Danach war auch der blonde Junge leichenblass. „Das ist nicht dein Ernst...“ „Glaubst du, ich mache Scherze mit so etwas?! Glaubst du das wirklich?!“, schrie Colin ihn an. „Glaubst du das?!“ „Ist ja gut! Bitte!“ Marcus hob die Hände. „Ich weiß, du würdest nicht...“ „Ich könnte sterben...“ „Colin, sag so etwas nicht!“ „Es ist doch wahr!“ Marcus schaute ihn an, die verweinten Augen, die rote Nase, die zitternden Hände. Und plötzlich war er ganz ruhig. Geradezu beunruhigend ruhig. Sanft strich er ihm über die Wange. „Du hörst jetzt sofort auf mit diesem Gerede. Wir gehen morgen zum Arzt und lassen einen HIV-Test machen. Und du wirst sehen, er ist negativ. Und dann hat sich die ganze Sache in Luft aufgelöst.“ „Was?“ „Du reißt dich jetzt zusammen! Ich lasse nicht zu, dass du dich in diese Scheiße hinein steigerst und dich in den Sarg legst, bevor du überhaupt weißt, was los ist!“ Marcus wurde lauter, er konnte das nicht ertragen. „Schrei mich nicht an!“ „Ich schreie dich aber an! Du benimmst dich eben wie ein ängstliches Kind. Und du tust so, als wärst du allein!“ „Ich bin vielleicht HIV-positiv!“ „Und vielleicht bist du es nicht!“ Marcus seufzte. So ging das nicht. Er schloss Colin in die Arme. „Ich bin für dich da und wir stehen das gemeinsam durch.“ „Ich kann das nicht, Kätzchen...“ „Du kannst... du kannst das. Ich bin bei dir und du wirst sehen, dass alles gut wird...“ Colin klammerte sich an seinen Freund und fing wieder an zu weinen. Marcus war so stark, warum konnte er das nicht? Die Angst fraß ihn regelrecht auf. Er hatte solche Panik vor dieser tödlichen Krankheit. Trotz seiner Ansage, ging Gary zunächst nicht zum Angriff über, es wurde sogar überraschend ruhig im Leben der ganzen Clique. Jason verbrachte viel Zeit mit Nicolai und blühte sogar wieder ein wenig auf, im Gegensatz zu Chris, der mit jedem Tag zickiger zu werden schien, denn das Geschnäbel von Jason und dem Russen ging ihm tierisch auf die Nerven. An diesem Mittwoch hatte er die Flucht ergriffen und war mit Gary, den er sehr mochte, Utensilien für den baldigen Semesterbeginn kaufen gegangen, Anna hatte auch unbedingt mitgewollt. Jason lag mit Nicolai in den Armen auf der Couch im Wintergarten und kuschelte. Den warmen Körper des jungen Mannes in den Armen zu halten, war ein tolles Gefühl, endlich wieder ein bisschen wie Zuhause nach all der Kälte in der letzten Zeit. Nicolai schmiegte sich an seinen Oberkörper. „So schön ruhig...“ Die Türklingel schrillte auf. „Du musstest ja was sagen...“, seufzte Jason. „Geh nicht...“ „Vielleicht ist es was Wichtiges...“ Sanft schob er den Blonden von sich und eilte in den Flur, um zu öffnen. „Ich hab was für dich!“ David war schon an ihm vorbei, kaum dass er die Tür auf hatte, und ging direkt ins Wohnzimmer. „Dir auch einen guten Tag!“, lächelte Jason den leeren Rahmen der Haustür an, bevor er seinem besten Freund folgte. „Also ich...“ David stockte und schaute überrascht in den Wintergarten hinüber, wo Nicolai sich mittlerweile erhoben hatte. „Du hast Besuch?“ „Er wohnt hier. David, das ist Nicolai Romanov, Nico, das ist David Vanderveer, mein bester Freund.“ „Sehr erfreut.“ Der junge Russe verbeugte sich leicht. „Meine Güte, was für Manieren! Aber wenn man schon den Namen der Zarenfamilie trägt.“, lächelte David und ging zu ihm hinüber, um ihm einen Handkuss zu geben. „Auch sehr erfreut.“ Er schenkte ihm einen tiefen Blick aus seinen blauen Augen. „Lass stecken, Casanova!“, grinste Jason und trat neben den Russen. „Nico ist schon vergeben.“ „An wen?“ Jason zog die Augenbraue hoch. „An dich?! Warum denn das?!“ Die Beiden schauten überrascht den Anwalt an, der sichtlich schockiert war. „Na, hör mal!“, lachte der Brünette. „Was war das denn?“ „Ich werde einen Tee kochen, möchten Sie auch welchen, David?“ „Gern, danke.“ Nicolai nickte und ging dann in die Küche, die Verbindungstür zum Wintergarten fiel zu, doch trotzdem zog David Jason am Arm ins Wohnzimmer, um mehr Distanz zwischen sie zu bringen. „Er ist was?“ „Er ist mit mir zusammen!“ „Sunshine, tickst du noch ganz sauber?!“ David stemmte die Hände in die Hüften. „Du machst Chris eine Szene, weil er einen anderen Kerl wollte und jetzt schleppst du selbst einen an und holst ihn dir gleich ins Haus?“ „Es ist mein Haus.“ „Jason, hältst du das für klug?“ „Ja.“ Der Anwalt schüttelte den Kopf. „Du Dickschädel, mit dir kann man ja sowieso nicht über eine von deinen Entscheidungen diskutieren...“ „Sagt der Mann, der eine lebensrettende OP ablehnt...“ „Wir haben gleich Streit, Sunshine...“, knurrte David. „Dann wechsele das Thema, David.“ Der Blonde schloss die Augen und seufzte. „Na gut. Hier.“ Er griff sich in die Tasche und streckte Jason vier Eintrittskarten entgehen. „Was...“ Jason drehte sie in seinen Händen. „Der Schwarzweiß Ball zu Gunsten der AIDS-Stiftung... scheiße...“ „Ja, ich hab es auch vergessen. Er ist am Samstag und wir hatten die Karten schon vor Monaten bestellt. Sechs Stück, Chris, Jeremy, Ash, Sly, du und ich...“ „Wollen wir noch hin?“ „Ich werde gehen, ist schließlich für einen guten Zweck. Es sterben so viele Menschen an AIDS, so viele von uns.“ Jason nickte langsam. „Warum gibst du mir vier Karten?“ „Das sind auch die von Jeremy und die von Ash. Mit ihm habe ich telefoniert, er kann nicht, nur Sly kommt. Und Jeremy... na ja...“ „Willst du ihn nicht doch einladen?“ „Streit, Jason, Streit.“, ermahnte der Anwalt. Bevor Jason noch etwas sagen konnte, kam Nicolai mit einem Tablett und drei großen Teetassen. „Störe ich?“ Er blieb in der Tür stehen. „Nein, Nico, natürlich nicht.“ Jason ging hinüber und nahm ihm seine Last ab, stellte sie auf den Couchtisch. „Ich habe mich eben gefragt, ob du nicht Lust auf einen Ball hast. Ich habe Karten für uns.“ „Ball? Aber ich... ich war noch nie...“ „Das wird sicher schön, nicht wahr, David?“ Dieser nickte nur. „Tu mir den Gefallen.“ „Na gut!“, lachte Nicolai und ließ sich mit Jason auf der Couch nieder, David saß gegenüber im Sessel. Einen Moment schlürften alle genüsslich ihren Tee. „Und was machen Sie beruflich, Nicolai?“ Der Russe sah David etwas überrascht an. „Ich... nun, ich habe eigentlich keinen Job und davor...“ „Er hatte viel mit Menschen zu tun! Darüber haben wir uns auch kennen gelernt.“, sagte Jason schnell und machte hinter dem Rücken Nicolais eine Geste in Richtung David. Er zog seinen Zeigefinger ruckartig über seine Kehle und fletschte die Zähne. David verstand und ließ dann fast die Tasse fallen, als ihm dämmerte, was eigentlich nur gemeint sein konnte und wer der junge Mann war. „Kann ich Ihnen noch etwas bringen, David?“ „Habt ihr Kekse? Tee ohne Kekse ist irgendwie nicht das Wahre.“ „Ich schaue mal nach.“, lächelte der junge Mann und erhob sich, nachdem er Jason einen flüchtigen Kuss gegeben hatte. „Tee ohne Kekse ist nicht das Wahre?“, fragte Jason mit hochgezogener Augenbraue, kaum dass sie allein waren. „Ein Stricher?“, gab David zurück. „Fang nicht schon wieder an. Nicht wieder die gleiche Leier wie bei Chris!“ „Stichwort! Chris! Was soll das? Du nimmst einen blonden Stricher bei dir auf und weiter? Nennst du ihn bald Chris zwei?“ „Du bewegst dich auf dünnem Eis, David.“, knurrte Jason. „Nicolai ist nicht Chris zwei. Ich habe ihn gern und er macht mich glücklich. Und außerdem ist er nur blond gefärbt.“, fügte Jason schon fast trotzig an, als sei dies ein schlagendes Argument. „Du stürzt dich da Hals über Kopf in etwas hinein, Sunshine.“ „Das ist meine Sache...“ „Wie du meinst...“ David ließ das Thema fallen, Jason hatte sich da was in den Kopf gesetzt und hielt verbissen daran fest. Sie waren sich so erschreckend ähnlich was den Dickkopf anging. „Willst du dir das mit Jeremy nicht noch einmal überlegen?“, schnitt Jason gleich wieder ein brisantes Thema an. „Sunshine...“ „Ich meine ja nur!“ Jason zuckte hilflos mit den Schultern. „Du bist fest entschlossen zu sterben, warum willst du dann nicht noch die verbleibende Zeit,“ Er hatte einen Kloß im Hals bei dem Gedanken, „genießen so gut es geht? Und denkst du nicht, dass Jeremy dazu gehört?“ „Ich will ihm das ersparen!“ „David, hast du auch nur eine Sekunde daran gedacht, wie er sich später fühlen könnte? Wenn du... stirbst... und er damit leben muss, dass er dich gehasst hat und nicht für dich da war? Und zwar nur, weil du ihn belogen hast?“ „Er wird es so leichter haben, mit etwas Glück erfährt er nicht einmal von meinem Tod.“ „Hast du einen Knall?! Das soll ich ihm auch noch verschweigen?“ David erhob sich. „Denk an den Ball, wir haben eine Limousine gemietet, die holt dich um acht ab. Ich muss los.“ „David...“ „Sunshine... bitte lass es. Bitte. Hör auf mir ins Gewissen zu reden, hör auf mich zu etwas drängen zu wollen, sonst bereue ich noch, es dir gesagt zu haben.“ Er küsste Jason auf die Wange. „Bis später.“ Der Brünette blieb einfach stehen, bis die Haustür hinter seinem besten Freund zugefallen war. Nicolai kam von der Küche her mit einem Teller Kekse. „Er ist schon weg?“ „Ja... der Tee hat ihm auch ohne Kekse geschmeckt...“, sagte Jason leise. „War es wegen mir? Weil er... ich meine, hat er doch gemerkt, dass ich ein Stricher bin?“ „Das du ein Stricher warst, Nicolai. Warst. Und nein, das war nicht das Problem, das hat er schon mit Chris durchgemacht.“ „Was dann?“ Der gefälschte Blonde stellte die Kekse auf den Tisch und ließ sich dann nieder, um seinen mittlerweile fast kalten Tee zu trinken. „Wenn du etwas von deinem besten Freund wüsstest...“, fing Jason an, er schaute aus dem Fenster auf die Hillside Street, die Arme auf dem Rücken verschränkt, „und er dich gebeten hat, das niemandem zu sagen, auch nicht demjenigen, der ihn über alles liebt, du aber das dringende Gefühl hast, dass derjenige das wissen muss... was würdest du tun?“ „Das nennt sich ein Dilemma, Jason. Du riskierst seine Freundschaft, wenn du es sagst, und nicht endenden Druck auf dein Gewissen, wenn du es nicht sagst.“ „Hilfreich...“ Nicolai lachte leise. „Ich würde es sagen, Jason. Es scheint ja nicht eben eine Lappalie wie ein Kratzer in der Autotür des Anderen zu sein... wenn es wirklich so etwas Wichtiges ist und das Liebesglück der Beiden davon abhängt... ich würde mein Versprechen brechen.“ Jason drehte sich um und musterte seinen jungen neuen Freund. Sollte er sich den Rat zu Herzen nehmen und zu Jeremy gehen? Vielleicht wäre der Ball genau die richtige Gelegenheit, um alles wieder ins Lot zu bringen. Aber was wenn nicht? Was, wenn es zum Eklat käme und er David dadurch noch früher verlieren würde? „Brauchst du noch Collegeblöcke?“ Chris hielt einen karierten Block für Notizen hoch, damit ihn Gary von der anderen Seite des Regals sehen konnte. Der junge Mann wühlte eben in einem Fach mit Textmarkern. „Einpacken!“, lächelte er zustimmend, so dass Chris sie in seinen Korb fallen ließ. Es fiel Gary anfangs schwer, mit dem vollkommen veränderten Texaner umzugehen, schließlich war es Chris gewesen, der ihm damals am meisten in der Zeit mit Marc geholfen hatte. Jetzt konnte er ihn nicht einmal mehr fragen, was er tun sollte, wie er Marcus am besten erobern konnte. Den jungen New Yorker quälten hier und da Zweifel, ob es überhaupt das Richtige war, sich zwischen Marcus und seinen neuen Freund zu stellen. Aber seit ihrem ersten Treffen war ihm der blonde Junge nicht mehr aus dem Kopf gegangen und das musste doch etwas zu bedeuten haben. Wenn er schon bisexuell war, dann wollte er das auch mit dem Jungen ausleben, der ihm diese Seite der Beziehungsmedaille gezeigt hatte. “Darf ich das haben?“, quäkte plötzlich eine Mädchenstimme neben ihm. Gary blickte hinunter und erkannte Anna, die ihm übermütig einen Stift entgegen hielt, der über und über mit Federn und Strass verziert war. „Ja, weil du uns so gut hilfst.“, antwortete der junge Mann und nahm das Schreibutensil entgegen, um es in seinen Einkaufskorb zu legen. Er fand Anna einfach nur lieb, genau wie ihren Bruder, obwohl es verdammt komisch war, Jason mit einem anderen Mann zu sehen. Aber es hatte sich soviel verändert, da hatte so etwas passieren können. Trotzdem war die neue russisch-amerikanische Verbindung in seiner Familie mehr als gewöhnungsbedürftig. Es wirkte irgendwie... falsch. Gary kam nicht gegen den Eindruck an. Chris schaute derweil weiter durch die Schreibwarenabteilung, blieb hier und da an Regalen stehen, froh mal einige Zeit aus dem Haus zu sein. Jason und Nicolai waren ihm unerträglich. Dieses liebevolle Geschnäbel war einfach zum Kotzen. Dabei wusste er immer noch nicht genau, warum. Schließlich hatte er Jason doch gesagt, dass er ihn nicht wolle, weil er langweilig sei. Aber war der Mann langweilig? Er sah verdammt gut aus, unbestreitbar, aber sonst... Chris wusste einfach nicht, was er denken oder wie er seine Gefühle definieren sollte. Eigentlich war es ja sowieso egal. Jason wollte ihn nicht mehr. Ende. Aus. Chris drückte auf einen Knopf an einem Kugelschreiber und ließ ihn vor Schreck fast fallen, als dieser plötzlich blinkte und „Itsy Bitsy Spider“ dudelte. „Chris?“ Der Blonde drehte sich um und schaute Sly ins Gesicht. Es war ein merkwürdiges Bild, der bunte Stift in seiner Hand blinkte wie ein Feuerwerk und mittlerweile war die Spinne schon wieder die Regenrinne herab gespült worden. Schnell warf er das Schreibgerät in den Korb zurück. „Was machst du denn hier?“ „Ich muss ein paar Sachen besorgen und du?“ „Ich muss auch ein paar Sachen besorgen.“ „Wow!“, lachte Sly. „Das war jetzt ein tolles Gespräch, wir sind gut.“ „Ja, sind wir wohl.“ „Und wie machen wir jetzt weiter?“ „Na ja...“ Chris war nicht wirklich wohl. Er spürte deutlich, dass Sly sich zu ihm hingezogen fühlte und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. „Hör zu... ich...“ Sly trat etwas unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Also ich... unsere Karten sind ja angekommen.“ “Karten?“ Der Brünette verlor kurz den Faden. „Ja, für den Schwarzweißball.“ Ihm wurde bewusst, dass Chris gar nicht wissen konnte, wovon er redete. „Wir haben vor ein paar Monaten Karten dafür geordert und die kamen jetzt an. Jason müsste deine haben. Geht ihr zusammen hin?“ Chris knurrte. „Mit mir? Der geht sicher mit Nicolai hin.“ „Mit Nicolai?“ „Ja, sein neues Russenliebchen.“ Sly glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Jason hatte einen Neuen? Er war nicht mehr mit Chris zusammen und hatte auch noch einen neuen Freund? Das war ja großartig. „Gehen wir zusammen hin?“ Die Worte hatten Slys Lippen verlassen, noch bevor er groß darüber nachgedacht hatte. „Wir?“ „Ja... ich meine.“ Sly kratzte sich am Hinterkopf. „Ash kann nicht und seine Karte verfällt sonst. Nimm du sie doch.“ Chris schaute ihn an. Die Augen des Braunhaarigen strahlten regelrecht, er schien abheben und durch den Raum schweben zu wollen. Chris brachte es nicht übers Herz, ihn vor den Kopf zu stoßen. Und warum auch eigentlich nicht? Jason würde ja definitiv nicht mit ihm gehen, sondern mit der Russenschlampe. Also was sprach dagegen? „Ja, okay.“ „Okay?!“, fragte Sly ungläubig. „Ja.“ Einen Moment blieb er still, dann explodierte der junge Mann geradezu. „Wahnsinn! Das ist cool! Ich muss los, ich brauche einen neuen Anzug.“ Er lächelte. „Du glaubst nicht, was du mir für eine Freude damit machst!“ Und schon eilte er davon. Chris sah ihm verwundert hinterher. Was war das denn jetzt gewesen? „Komm schon, Schatz, steh auf...“ Abby lehnte in der Zimmertür und starrte auf das Knäuel aus Decken und Kissen, in dem irgendwo Jeremy stecken musste. „Nein...“, nuschelte es aus den Decken hervor. „Jem... bitte. Dann geh wenigstens einmal ans Telefon. Deine Alice hat schon viermal angerufen.“ „Sie soll mich in Ruhe lassen!“ „Schatz... du kannst doch nicht dein Leben anhalten, nur weil dieser Arsch dich abserviert hat.“ Abby ging zu Jeremys Schreibtischstuhl und setzte sich mit überschlagenen Beinen hin. Während sie sprach, band sie sich die Haare zu einem Pferdeschwanz. „Mein Leben geht nur mich etwas an...“ „David Vanderveer hat es nicht verdient, dass dein Leben endet, während er weitermacht, als sei nichts gewesen!“ „Wer weiß, ob er das tut...“ „Natürlich!“, schnaubte Abby. „Wahrscheinlich fickt der sich schon wieder durch die Betten und hat dich vergessen.“ Ruckartig schlug die Decke zurück und ein zerzauster Rotschopf kam zum Vorschein. „Wahnsinn, dein Einfühlungsvermögen ist überragend.“ „Ist doch wahr!“ Abby verdrehte die Augen. „Du tust so, als wäre jetzt alles vorbei. Du musst endlich weitermachen! Vergiss ihn! Du hast alle Brücken abgebrochen, jetzt solltest du endlich auch deinen Weg gehen.“ „Abby, er war meine große Liebe!“ „Er ist ein Arsch!“ „Das auch...“, gab Jeremy zu. „Aber das ändert nichts daran, dass ich meine Gefühle nicht abschalten kann...“ „Jem...“ „Abby, ich kann es doch nicht ändern... ich kann ihn nicht vergessen. Ich liebe ihn. Egal, was passiert ist... ich würde ihn so gern vergessen, aber es geht nicht...“ „Aber er verdient das nicht! Er ist Dreck!“ „Ich weiß! Ich weiß!“, schrie Jeremy und verschwand wieder unter der Decke. „Lass mich allein... bitte...“ „Jeremy, komm schon, lass uns was essen gehen, hm?“ „Ich will allein sein...“ Seufzend stand Abby auf und ging in den Flur. Das war ja nicht zu ertragen. Am liebsten wäre sie direkt wieder zu David gegangen und hätte ihm eine verpasst. Diesmal aber mit der Faust. Es klingelte. Entnervt wechselte die junge Frau den Kurs und steuerte statt der Küche die Wohnungstür an. Als sie jedoch sah, wer da stand, wollte sie gleich wieder schließen. „Was willst du denn hier?“ „Ich muss mit Jeremy reden.“, antwortete Jason. „Er will doch nichts mehr von euch hören, das hat er ja wohl klar gemacht.“ „Abby, bitte, es ist wichtig.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht zulassen, dass Davids Sippe ihm noch mehr Kummer macht! Es reicht jetzt!“ „Abby, ich werde mich nicht abwimmeln lassen! Es ist wirklich wichtig!“ „Jason! Du weißt sicher was Hausfriedensbruch ist!“ „Er soll reinkommen!“, tönte es aus dem Zimmer von Jeremy hinüber. Abby zuckte mit den Schultern. „Das ist wieder typisch er...“ Sie trat zur Seite. „Macht doch, was ihr wollte...“ Damit ging sie in die Küche. Jason sah ihr kurz hinterher, ob es sicher war, vielleicht warf sie ja gleich mit Tellern. Als nichts passierte, schloss er schnell die Tür und eilte in Jeremys Zimmer. Der junge Mann erwartete ihn auf seinem Bett sitzend. Er sah total ungepflegt aus. Dunkelbraune Bartstoppeln, tiefe Augenringe, die Haare unfrisiert. Allerdings wollte er wohl den Eindruck erwecken, als ginge es ihm gut. „Die Funkstille hat ja lange vorgehalten.“ „Tut mir leid...“ „Schon okay...“, winkte der Rothaarige ab. „Was gibt es?“ „Ich muss mit dir über David reden.“ „Du weißt ja, wo es raus geht.“Er stand auf und drehte Jason den Rücken zu. „Jeremy, bitte, ich fühl mich schon beschissen genug deswegen, mach es mir nicht noch schwerer!“ „Jason, was erwartest du denn?“ Der Tänzer schlug mit der Hand gegen den Fensterrahmen. „Ich will nichts davon hören, nicht das David es nicht so meinte, nicht dass ich ihm noch eine Chance geben soll, nicht dass...“ „Er wird sterben.“ Jeremy erstarrte. Für einige Zeit herrschte Stille. Hatte Jason das eben wirklich gesagt? Er musste sich zwingen, sich umzudrehen. Jason sah ihn mit einem geradezu unheimlich ruhigen Gesicht an. „Was?“ „Er wird sterben, Jeremy. Deswegen hat er mit dir Schluss gemacht, weil er das weiß...“ „Rede nicht so einen Scheiß!“ „Das ist kein Witz!“, gab Jason in ebenso lautem Ton zurück. Er hatte so lange mit sich gehadert, ob er Jeremy das sagen sollte oder nicht und er würde nicht zulassen, dass der Rothaarige das jetzt als Scherz abtat. „Nein!“ Jeremy schüttelte wild den Kopf. Er stürmte auf Jason zu und schlug ihm mit der Faust auf die Brust. „Nein! Das ist ein schlechter Scherz! Sag sofort, dass du nur einen kranken Humor hast!“ Jason nahm ihn einfach in den Arm. „Es tut mir leid.“ „Das ist ein Scherz! Das ist nicht wahr!“ Der ehemalige Cop schloss die Augen und seufzte. „Ich bin bisher der Einzige, der davon weiß. David will nicht, dass es jemand erfährt und er wollte dich nicht belasten.“ Jeremy sank in Jasons Arme und vergrub sein Gesicht an dessen Brust. Er fing an zu weinen, von einer Sekunde auf die andere. „Dieser Idiot... dieser dämlich Idiot... das ist so typisch... das ist so typisch, verdammt noch mal!“, schluchzte er. Jason hielt ihn erst einmal einfach nur fest. Abby war von dem Geschrei angelockt ins Zimmer gekommen und schaute die Szene entsetzt an. „Ich muss zu ihm!“, sagte Jeremy plötzlich und drückte seine Hände gegen Jasons Oberkörper. „Nein, warte!“ Der Brünette hielt ihn am Handgelenk fest. „Du kannst ihn damit nicht überfallen, schon gar nicht in seiner Wohnung, er würde alles abstreiten, dich vielleicht rauswerfen. Du musst ihn auf neutralem Terrain erwischen. Und ich weiß auch wo.“ Der Rothaarige sah ihn aus verweinten Augen an. „Ach ja?“ „Ja....“, lächelte Jason und betete, nicht gerade den Fehler seines Lebens zu machen. „Du hast was?!“ Ash verschluckte sich fast an seiner Pommes, als Sly ihm die Nachricht überbrachte. Sein Ex hatte zwei prall gefüllte Tüten Junk Food von McDonald’s angeschleppt, mit der Aussage, es gäbe etwas zu feiern. „Ich habe Chris gebeten, mich zu dem Ball zu begleiten.“ „Spinnst du jetzt völlig? Jason killt dich!“ „Nein!“ Sly schüttelte den Kopf und zog an seinem Strohhalm. „Er hat einen Neuen.“ „Er hat... ich bin nicht mehr auf dem Laufenden...“ „Scheint so, mein Lieber. Die Institution Chris und Jason ist geschlossen, er hat jetzt einen Russen namens Nicolai und Chris ist wieder frei! Sogar vollkommen! Er hat zugestimmt, er kommt mit!“ „Ich fasse es nicht...“ Ash legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich durch die blonden Haare, zog die Finger aber schnell zurück als er realisierte, dass sie fettig und salzig waren. „Was denn?“ „Sly, wann wirst du endlich klug?“ „Ash, bitte mach mir die Freude nicht kaputt.“ „Ich mache mir viel eher Sorgen um dich! Das kann doch nicht gut gehen! Chris und du ihr seid...“ „Was?“, fragte Sly säuerlich. „Ein Molotowcocktail! Das kann nur knallen!“ „Übertreib mal nicht so maßlos.“ „Du warst kurz davor, wegen ihm wieder zu trinken! Das nenne ich nicht übertrieben!“ Sly lehnte sich zurück. „Ich weiß, dass ich damals fast Mist gebaut hätte, aber ich habe mich verändert und Chris hat das auch. Er ist ein anderer Mensch.“ „Er ist kein anderer Mensch, er hat Amnesie! Dir ist schon klar, dass er sonst gemütlich in Jasons Armen kuscheln würde, oder? Willst du den Lückenbüßer machen?“ „Ich wäre kein Lückenbüßer, schließlich hat Jason jemand Neuen und da sehe ich nicht ein, warum ich nicht meinen Zug machen sollte. Du“, er deutete auf Ash, „hast mir damals auf der Halloween Party gesagt, dass kaum eine Beziehung ewig hält und dass meine Chance kommen würde, jetzt ist sie da und ich lasse sie mir von dir nicht schlecht reden!“ Ash schloss die Augen. „Sly, sei doch vernünftig...“ „Nein!“ Der Brünette sprang auf, er war stinksauer, dass Ash ihm so in den Rücken fallen würde, hatte er nicht erwartet. Er schnappte sich seinen Teller und ging in die Küche. „Was hast du?! Sei nicht so zickig!“ „Ich bin jetzt aber zickig, mir ist der Appetit vergangen durch dein ewiges Genörgel!“ „Ich mache mir nur Sorgen!“ „Tust du gar nicht!“, gab Sly motzend zurück und erschien in der Küchentür. „Tu doch nicht so scheinheilig, es ist nur, weil ich jetzt jemanden habe und du nicht!“ Ash starrte ihn an. „Was?“ Sein Exfreund hatte sich regelrecht in Rage geredet. „Du kommst nicht damit klar, dass du, der tolle Hengst, der muskelbepackte Schönling, schon seit unserer Trennung niemanden mehr gefunden hast! Du hast sicher gedacht, dass du schneller einen festen Freund finden würdest und jetzt versuchst du mir mein Glück aus purer Missgunst madig zu machen!“ Der Polizist sog die Luft ein. Das war zuviel. „Weißt du was?“, sagte er in gefährlich ruhigem Ton. „Tu, was du willst! Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank! Du solltest dich mal reden hören! Fester Freund, dass ich nicht lache! Du greifst etwas vor, denn noch sehe ich nicht, dass Chris dein fester Freund ist! Und wenn er dir wieder weh tut, dich wieder weg stößt und enttäuscht, dann komm ja nicht zu mir! Wage es nicht, mir die Ohren voll zu heulen! Das ist deine Sache und interessiert mich nicht im Geringsten!“ Er war immer lauter geworden. „Schön!“, brüllte Sly. „Schön!“, entgegnete Ash in ebenso lautem Ton. Der Brünette schnaubte, riss seine Jacke vom Haken und verließ die Wohnung, die Tür flog scheppernd hinter ihm zu. Ash blieb noch einen Moment stehen, dann sank er mit einem Stoßseufzer auf den Sessel. Während für die Clique der große Tag des Balls immer näher rückte, es war mittlerweile Freitag, sah sich Colin ganz anderen Problemen gegenüber. Er saß mit Marcus im Warteraum der Arztpraxis, in der er den HIV-Test hatte machen lassen. Weil bei ihm ein hohes Risiko bestand, hatte die Wartezeit nur zwei Tage betragen, die schlimmsten zwei Tage seines Lebens. Und auch jetzt war es nicht besser. Er hockte neben seinem Freund und starrte die gegenüberliegende Wand an, an der ausgerechnet ein Plakat Safer Sex anpries. Colins Kopf war wie leer gefegt. Er wusste nicht, was er denken oder tun sollte. Durch die Leere huschten Bilder, aber immer nur kurz. Wie wäre es, wenn er positiv wäre? Wie würde sich sein Leben verändern? Wie lange würde er noch leben? Es war Ironie, dass er einen mit unter sehr gefährlichen Krebs überstanden hatte, um nun an so etwas zu scheitern. An der Dummheit seines Liebhabers. Und an seiner eigenen Blauäugigkeit. Marcus schaute in eine Zeitschrift, aber sein Blick irrte immer wieder zu Colin hinüber. Er wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Wie machte man diese Situation erträglicher? Konnte man das überhaupt? „Ich werde sterben...“, sagte Colin auf einmal. „Das wirst du nicht.“ „Marcus, ich habe AIDS und jetzt sag nicht, dass ich HIV-positiv bin und erst AIDS habe, wenn es ausbricht.“ Der Blonde legte die Zeitschrift nieder. „Hast du eben per Gedankenübertragung mit dem Arzt kommuniziert und dein Ergebnis erfahren?“ “Was?“ Marcus lächelte. „Colin, du kannst noch gar nicht wissen, ob du positiv bist.“ „Ich weiß es... ich weiß es...“ „Panikattacke...“ Der blonde Junge griff nach Colins Hand und drückte sie. „Du bist nicht positiv.“ „Woher willst du das wissen?“ „Woher willst du wissen, dass ich es nicht bin!“ „Colin!“ Sein Freund schaute ihn an. „Marcus... wenn ich positiv bin, dann machen wir Schluss.“ Fassungslos starrte Marcus ihn an, die Worte brauchten einen Moment, bis sie sein Gehirn überhaupt erreichten. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch in diesem Moment kam die Helferin herein und rief Colins Namen. Schlagartig stand der Schwarzhaarige auf und ging aus dem Zimmer. Marcus blickte ihm nach. ‚Wenn ich positiv bin, machen wir Schluss’... der Satz hämmerte durch seinen Kopf. Er sprang auf und rannte Colin hinterher. Ruckartig riss er die Tür des Sprechzimmers auf, sowohl der Arzt als auch Colin starrten ihn entsetzt an. „Marcus?“ „Das kann doch nicht dein Ernst sein, oder?!“ Der Schwarzhaarige erhob sich. „Marcus, bitte...“ „Nein! Das geht uns Beide an!“ Marcus ließ sich nicht beirren. Das ging zu weit. Colin wollte wegen dieser Sache Schluss machen und er sollte das einfach hinnehmen. „Sind sie Beide verwandt?“ „Nein, er ist mein Freund!“, gab der Blonde dem Arzt die ruppige Antwort. „Und ich will dabei sein.“ Colin schaute den Arzt an. „Lassen Sie ihn hier bleiben.“ Der Mediziner nickte, wenn auch offensichtlich widerwillig. „Wie Sie wünschen.“ Marcus ließ sich auf dem freien Stuhl neben seinem Freund nieder und nahm seine Hand. „Danke...“, flüsterte der Schwarzhaarige ihm zu. Der Arzt klappte seine Mappe auf und musterte die Zeilen vor sich. „Nun, Mr. Shephard... Sie hatten Glück im Unglück. Ihr Test ist negativ ausgefallen.“ Colins Hand verkrampfte sich um die von Marcus. So heftig, dass der Blonde das Gesicht schmerzhaft verzog. „Ich bin...“ „Sie sind gesund, Mr. Shephard.“ „Dem Himmel sei Dank...“, flüsterte Marcus. „Ganz sicher?“ Colins Stimme schwankte. „Wirklich ganz sicher?“ „Absolut sicher. Sie sind kerngesund. Allerdings muss ich Sie nun doch über Safer Sex aufklären.“ „Nein, das brauchen Sie nicht...“, Colin hob die Hände. „Das war damals... ich war in einer Beziehung, wissen Sie? Und er ist fremd gegangen. Marcus und ich haben nur Safer Sex. Wir kämen gar nicht auf die Idee, ohne Kondom miteinander zu schlafen. Aber jetzt könnten wir ja eigentlich, weil ich weiß, dass Marcus negativ ist und ich bin es auch. Und wir...“ Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. „Colin“, lachte der Blonde verschämt. „Schon gut, schon gut, Mr. Shephard.“, stimmte auch der Arzt zu. „Entschuldigen Sie!“ Colin wurde rot. „Aber ich bin nun mal so glücklich!“ Er zog Marcus an sich und küsste ihn übermütig. Marcus’ Finger kraulten zärtlich über die nackte feuchte Haut von Colins Brust. Sein Körper fühlte sich wohlig und matt an, vollkommen erschöpft. Vorsichtig schob er sich ein wenig mehr über seinen Freund und schmiegte sich an ihn. Der Schwarzhaarige schaute zur Decke, seine Wangen waren rosig. „Woran denkst du?“ „An Brandon.“ „Das ist es, was man von seinem Freund nach dem Sex hören will. Dass er an einen Anderen denkt.“ Er lachte leise. Vor den Fenstern dämmerte der Abend. „Entschuldige...“ „Na ja, angesichts der Leidenschaft, mit der du mich eben genommen hast und der Tatsache, dass wir deine Rückkehr ins Leben gefeiert haben, will ich dir noch einmal verzeihen.“ Colins Hand klatschte lautstark auf den Po seines Freundes. „Blödmann!“ „Danke, ich liebe dich auch.“ Einen Moment herrschte Stille. „Warum denkst du an Brandon?“ „Ich muss ihn gleich morgen besuchen. Er muss erfahren, dass ich negativ bin. Vielleicht baut ihn das etwas auf. Außerdem habe ich ihn furchtbar angeschrieen... ich habe ein schlechtes Gewissen.“ „Er wird dir sicher verzeihen.“ „Das hoffe ich. Er tut mir so leid.“ Colin strich mit der Hand über den Steiß nach oben. „Ich habe die letzten Tage gespürt, wie er sich ständig fühlt... er ist ja infiziert.“ „Das stelle ich mir so schrecklich vor...“ Marcus schauderte. „Es ist auch sicher so... zu wissen, dass man sterben muss.“ „Aber er kann doch heutzutage lange mit so einer Infizierung leben, wenn er sich an die Vorschriften und Medikamente hält, oder?“ „Das sagt man zumindest...“, flüsterte Colin. Wieder wurde es still. „Ich liebe dich... und ich bin so glücklich, dass du gesund bist.“, sagte Marcus plötzlich und drückte sich fest an den warmen Körper. „Ich liebe dich auch.“ „Soll ich morgen mit zu ihm kommen?“ „Würdest du das tun?“ Marcus nickte, seine blonden Haare kitzelten über Colins Haut. „Ja, ich will für dich da sein.“ „Ich danke dir.“ Er küsste seinen jüngeren Freund sanft auf die Stirn. „Gleich morgen früh gehen wir hin und dann wird alles gut, denke ich.“ „Ja...“, wisperte Marcus tonlos und ließ seine Lippen Colins Brust berühren. Alles würde gut werden. Wenn da nicht Gary wäre. Die Luft im Raum war aufgeheizt und schwül, Wasser perlte von den Wänden ab. Der sanfte Duft von Badeschaum umhüllte alles. Brandon lag ausgestreckt in der Badewanne und starrte an die Decke. Er hatte seit dem Tag im Park nichts mehr von Colin gehört. Warum auch? Er hatte sein Leben ruiniert, ihn vielleicht sogar zum Tode verurteilt. Er war ein ekliger Mistkerl, der allen nur Unglück brachte. Die Jungs in der Mannschaft hatten sich von ihm abgewandt, als raus kam, dass er schwul war, der Coach hatte allen erzählt, dass sich ihr gefeierter Quarterback bei einem Mann mit HIV angesteckt hatte. Was besseres war ihm nicht eingefallen, dabei hatte er immer betont, dass Brandon sein bestes Pferd im Stall sei. Danach war alles bergab gegangen. Brandon kam nicht damit klar, dass er positiv war und seine Eltern hatten ihm einen Therapeuten besorgt. Aber er ging nicht mehr hin. Das brachte doch sowieso nichts. Dieses Gerede... was wusste der Kerl schon davon, wie er tickte. Keiner wusste das. Die wussten alle nichts. Nur er hatte ihn jemals wirklich gekannt. Nur er. Nur Colin. Brandons Finger tasteten nach dem Foto auf dem Badewannenrand. Eine Aufnahme von Colin am Pier 39, die er damals gemacht hatte. Der Junge lächelte so wunderschön und glücklich, so verliebt und voller Freude. Dieses Gesicht. In dieses Gesicht hatte er sich verliebt. Und dieses Gesicht liebte er immer noch. „Colin... es tut mir so leid...“ Er hatte ihm so weh getan, damals wie heute. Nur durch seine Schuld war alles kaputt gegangen und nur durch seine Schuld würde Colin vielleicht sterben. Und selbst wenn er nicht HIV-positiv war, würde er ihn für den Rest seines Lebens hassen. Er hatte ihn in die Hölle gewünscht. Brandon legte das Foto weg. Neben ihm auf dem Rand lag noch etwas. Seine Finger bebten leicht, als er das funkelnde Metall der Rasierklinge aufhob, vorsichtig, damit er sich nicht schnitt. Er spiegelte sich in der Klinge. Die verweinten Augen, das um Jahre gealterte Gesicht. Brandon hob die linke Hand aus dem Wasser, die Klinge ruhte in der rechten. Unendlich lang schaute er sein nass glänzendes Handgelenk an. Es hatte doch alles keinen Sinn mehr. Die Welt war besser dran ohne ihn. Vielleicht konnte er so ein wenig davon wieder gut machen, was er den Menschen um sich angetan hatte. Was er Colin angetan hatte. Brandon schloss die Augen. Er hasste Schmerzen. Aber trotzdem tat er es. Seine rechte Hand vollführte eine Hiebbewegung. Im ersten Moment geschah gar nichts. Dann kam der Schmerz und das Blut quoll hervor. Brandon keuchte auf, das Wasser färbte sich sofort immer mehr rot. Die linke Hand zitterte, während er die Klinge in diese nahm und sich mit Mühe das rechte Gelenk öffnete. Dann warf er sie irgendwo ins Bad und sank ins Wasser zurück. Der Badeschaum brannte in den Wunden, durch die sein Blut in Strömen austrat. Mittlerweile war das Wasser in dem er lag knallrot. Brandon atmete heftig. Er angelte panisch nach dem Bild von Colin und drückte es an seine nasse Brust. Ihm wurde schwindelig. „Colin... ich liebe dich... bitte verzeih mir...“ Er senkte die Lider. Bald würde es vorbei sein. Der Schmerz, das Leiden, er würde niemandem mehr weh tun. Das Foto löste sich aus seiner Hand und trieb auf der blutroten Wasseroberfläche. „Guten Morgen.“ Nicolai nickte Chris zu, der im Bademantel in die Küche kam. Der Mann mit den echten blonden Haaren murrte eine Erwiderung, die kaum den Namen verdiente. Er ließ sich wortlos auf einen Stuhl am Esstisch fallen. „Gibt es Kaffee?“ „Klar.“ Ein Danke kam nicht. Zwischen den Männern herrschte eine mehr als unterkühlte Stimmung. Nicolai stellte Chris eine dampfende Tasse hin. „Hast du gut geschlafen?“ „Wieso willst du das wissen? Glaub ja nicht, dass ich dir meine Seite vom Bett abtrete! Das kannst du vergessen!“ Chris hatte sich strikt geweigert, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen. Und da Nicolais Schwester im Gästezimmer schlief und diese höchstens mit ihrem Bruder ein Bett teilen wollte, mussten Jason und der Russe darauf verzichten, zusammen zu schlafen. Die Couch, die als Liebesnest eh nicht in Frage kam, belegte Gary. „Ich habe bloß gefragt, Chris.“ Nicolai nervte es, dass der andere Mann scheinbar jeden seiner Sätze als Angriff wertete. So was von empfindlich. „Und du gehst heute wirklich mit Jason zu dem Ball?“ Nicolai drehte sich um, er hatte Teller eingeräumt, die aus der Spülmaschine kamen. „Ja, das tu ich.“ „Mutig von ihm.“ Der Russe zog eine Augenbraue hoch. Chris nippte genüsslich an seiner Tasse. „Ich meine... du magst vielleicht diese Ausstrahlung haben, die Jason offenbar gefällt.“ Er setzte den Kaffee ab. „Schund mit einem kleinen Hauch Klasse, aber dass er sich gleich auf einem solchen Ereignis mit dir zeigt.“ Nicolai fing an zu lachen. Das war plump, geradezu amüsant. „Spinnst du oder warum lachst du so dämlich?“ „Ich lache über deine Eifersucht, Chris. Und du solltest darüber nachdenken, bevor du Jason unterstellst, er stehe auf Schund, schließlich war er mit dir zusammen.“ Das hatte gesessen. Chris sprang auf. „Das ist etwas Anderes!“ „Ach ja?“ „Ja, ist es! Du bist nur der billige Ersatz für mich! Die Straßenhure, die er in sein Bett schleppt, weil ich ihn nicht mehr will! Er muss schon sehr verzweifelt sein, um Dreck wie dich anzufassen!“ „Du lehnst dich etwas weit aus dem Fenster, Chris...“, sagte Nicolai ruhig. Schließlich wusste er aus Jasons Andeutungen, dass Chris einmal ebenso eine Hure gewesen war wie er. „Das würde ich auch sagen.“ Beide sahen sich um. Jason stand in der Küchentür, Shorts und ein Muskelshirt am Körper. „Sei froh, dass Anna noch schläft.“, fuhr er an Chris gewandt fort. „Und hüte gefälligst deine Zunge!“ „Sonst was? Ich lasse mir doch nicht den Mund verbieten! Und dieser Hure sage ich, was ich will!“ „Das ist mein Haus, Chris!“, donnerte Jason. „Und im Gegensatz zu Nicolai lebst du hier wie ein Schmarotzer! Du tust ja nicht einmal einen Handschlag im Haushalt! Hör endlich auf dich wie ein verzogenes Balg zu benehmen und werde erwachsen!“ Chris war zusammen gezuckt, starrte Jason aber unverwandt an. „Vielleicht sollte ich doch ausziehen! Mit einer Nutte und seinem Lover unter einem Dach zu leben ist eine Zumutung!“ „Dann zieh doch aus!“, schrie Jason zurück. „Was ist denn hier los?“ Gary war aus dem Wintergarten gekommen, er hatte schon früh eine Runde gejoggt, damit seine alte Kondition wieder aufgebaut werden konnte. „Du kannst mich echt mal!“, motzte Chris weiter, ohne Jasons Bruder auch nur zu beachten. „Und nur damit du es weißt: Ich gehe heute Abend mit Sly zum Ball!“ Damit stürmte er an Jason vorbei aus der Küche. “Mir doch egal!“, brüllte dieser ihm nach. „Euch auch einen guten Morgen...“ Gary setzte sich an den Tisch. „Mann... ich war lange weg.“ „Spar dir deine altklugen Sprüche!“, fauchte Jason. „Jason, bitte...“ Nicolai legte ihm die Hand auf die Schulter. „Er kann doch nichts dafür.“ „Ich weiß... entschuldige...“ Gary nickte nur. „aber er macht mich wahnsinnig! Und jetzt auch noch Sly... ausgerechnet!“ „Was interessiert es dich, mit wem er zum Ball geht? Ihr seid doch nicht mehr zusammen...“ Gary schaute auf den gedeckten Tisch, etwas geistesabwesend. „Wie das klingt... total komisch... irgendwie falsch.“ Er schaute Nicolai an, ein wenig entsetzt über seine Worte. „Oh, sorry... ich wollte nicht....“ „Schon gut.“ Nicolai gab ihm lächelnd Kaffee. Er schien ein echt dickes Fell zu besitzen. „Das mit Sly kann nur ein Fehler sein.“ Jason setzte sich ebenfalls zu ihnen. „Er ist so vernarrt in Chris, wenn er ihn nur benutzt um jemanden zu haben, dann...“ Jason wollte lieber nicht weiterdenken. Chris polterte die Treppe hoch und in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Was dachte sich dieser Mistkerl, ihn direkt vor der Nutte vorzuführen?! Chris hatte einen regelrechten Tobsuchtsanfall. Er riss die Schubladen aus Jasons Nachttisch und pfefferte sie aufs Bett, der Inhalt verteilte sich darauf. Schwer atmend blieb er stehen. Was machte er da eigentlich? Er benahm sich wirklich wie ein Kind und das alles nur, weil er... ja... weil er... Mit verschämtem Gesicht klaubte er die Sachen von Jason wieder zusammen, er hoffte inständig, dass er nicht rein kam. Ein paar Zettel, Handschellen und Gleitmittel, Chris musste unwillkürlich grinsen, riss sich aber schnell wieder zusammen, ein paar Medikamente, die Jason dort aufbewahrte und ein Roman. Als Chris das Buch aufhob, rutschte ein Briefumschlag raus auf dem ganz deutlich sein Name stand. Verwirrt hob der Blonde ihn auf und drehte ihn. Er war nicht einmal zugeklebt, keine Marke. Aber warum sollte Jason auch einen Brief an seinen Mitbewohner per Post schicken? Sollte er ihn öffnen? Nein. Oder doch? Schließlich war er auch für ihn verfasst worden, oder nicht? Chris hebelte die Schublade wieder in ihre Schienen und räumte so schnell er konnte die Sachen hinein. Der Umschlag blieb auf dem Bett liegen, eine Verheißung in weiß, flüsternd wie die Schlange im Garten Eden. Öffne mich... Lies mich... Öffne mich... Chris war noch nie gut mit Verlockungen klar gekommen und seine Neugier war legendär. Eilig zerrte er den Zettel aus dem Umschlag und faltete ihn auf. Seine Augen wanderten langsam über die Zeilen. Und mit jedem Wort wich mehr Farbe aus seinem Gesicht... „Brandon?“ Colin klopfte schon zum dritten Mal lautstark gegen die Tür der Wohnung seines Exfreundes. „Er ist nicht da.“ Marcus stand hinter ihm. „Sieht wohl so aus.“ „Vielleicht sollten wir ein anderes Mal wieder kommen.“ „Das denke ich auch, wir...“ Die Tür öffnete sich. Colin war an die Klinke gekommen und sie war einfach aufgegangen. Nicht abgeschlossen. „Wie unvorsichtig.“ „Das kannst du laut sagen, Kätzchen.“ „Willst du jetzt einfach reingehen? Darf man das?“ „Er ist mein Ex.“ Colin zuckte mit den Schultern. „Dann darf ich auch in seine Wohnung einbrechen.“ „Wo ist denn da die Logik?“ „Tja, man muss schon so genial sein wie ich, um das zu durchschauen.“ „Und ebenso eingebildet, was?“, lacht Marcus. „Also, bereit für deinen ersten Einbruch?“ „Nur wenn du mich dann im Gefängnis vor den Jungs beschützt, für die ich die Seife aufheben soll.“ „Ich werde dich heldenhaft verteidigen!“, grinste der Schwarzhaarige. Sie betraten gemeinsam die kleine Wohnung von Colins Exfreund. „Brandon?“, rief Marcus’ Freund. „Brandon, bist du da?“ „Riechst du das?“ „Hm?“ Marcus reckte die Nase in die Luft. „Riech mal. Es riecht komisch hier. So süßlich...“ Colin tat es ihm nach. „Stimmt... du hast Recht... ist hier was gegoren?“ „Nein, das riecht anders.“ Der Blonde sah sich um. „Colin, da drüben brennt Licht. Sieht aus wie das Badezimmer.“ Marcus konnte durch den Türspalt Fliesen sehen. „Brandon? Bist du mal wieder in der Badewanne eingepennt? Ich bin es, Colin!“ Der Schwarzhaarige ging hinüber und stieß die Tür auf. „Ich muss mit dir... Oh, mein Gott...“ „Was denn?“ „Nein...“ „Colin?“, fragte Marcus etwas unsicher. Sein Freund war plötzlich so blass. „Colin, was ist los?“ Er lief zu ihm hinüber. „Ist was nicht in Ordnung?“ Marcus schaute an Colin vorbei ins Bad. Er sah nicht viel. Die Hand, die aus der Wanne hing, das Blut auf dem Boden, das knallrote Wasser. Dann wurde ihm schlecht und er musste sich übergeben. Der große Abend begann schließlich mit einer großen Ernüchterung. David hatte für sie alle eine große Limousine gechartert und die Atmosphäre im Wagen war geradezu eisig. Chris redete nicht mit Jason, geschweige denn mit Nicolai. Jason redete natürlich nicht mit Chris und seine Blicke auf Sly sprühten regelrecht Funken. Nicolai hockte dazwischen und fühlte sich unwohl, zudem machte er sich Sorgen um seine Schwester, die eigentlich unter Garys wachsamen Augen mehr als sicher war, nur David schien krampfhaft gute Laune versprühen zu wollen. Sly, Jason und er trugen schwarze Smokings, die von Nicolai und Chris waren schneeweiß von Kopf bis Fuß. „Leute, es reicht mit der trüben Stimmung!“, fing David einen neuen Versuch an. „Wir wollten uns doch heute amüsieren!“ „Also, was mich angeht!“ Chris langte nach Slys Hand und legte sie auf sein Knie. „Ich habe vor, mich glänzend zu amüsieren.“ „Wie schön für dich. Ich auch!“, gab Jason in eisigem Ton zurück und legte den Arm um Nicolai. Dessen Augen ruhten auf Davids und zwischen den beiden Männern, die sich eigentlich ja gar nicht kannten, entstand eine seltsame Einigkeit. Beide wusste genau, was hier los war, allerdings waren sie wohl die einzigen im Wagen. Sly dagegen schwebte plötzlich in anderen Sphären. Verklärt starrte er auf seine Hand, die auf Chris’ Knie ruhte. Er musste im Himmel sein. Der Ball fand in der San Francisco City Hall statt, einem großen Veranstaltungsort für alle möglichen Events. Der gesamte Raum war stilvoll dekoriert, alles in schwarz und weiß, selbst die Aidsschleifen wurden für diesen Ball statt in leuchtendem Rot in diesen Farben hergestellt und am Eingang verteilt. Damit sie besser auffielen, steckten sich die Gäste in weiß schwarze an und umgekehrt. Eine Band spielte und über der ganzen Veranstaltung hing eine Atmosphäre der Leichtigkeit. Hier musste sich niemand verstecken. Auf der Tanzfläche tummelten sich gemischte Paare, ebenso wie schwule als auch lesbische Pärchen, keiner wurde schief angeguckt. Als Jason den Blick über den Saal schweifen ließ, Nicolai an der Hand, wünschte er sich augenblicklich, dass es immer so sein könnte. Warum war es so schwer zu akzeptieren, dass nicht jeder Mensch gleich tickte? Wie kam man auf die Meinung, dass schwul sein mit Minderwertigkeit einher ging? „Woran denkst du?“, fragte Nicolai lächelnd. Jason schreckte aus seinen Gedanken hoch. „Ich... an nichts... ich war nur kurz abgelenkt.“ „Mach dir nichts daraus.“ David stieß den jungen Russen leicht in die Seite. „Jason ist immer so. Er ist ein großer Denker und dann vergisst er die Welt um sich herum. Zumindest wenn er nicht gerade einen seiner hitzköpfigen Anfälle hat.“ „Vielen Dank, David!“, knurrte Jason. „Wozu hat man gute Freunde?“, lächelte der Anwalt süffisant. „Wollen wir tanzen?“, fragte Nicolai aufgeregt. Er war auf einmal richtig hibbelig, er kam sich ein wenig wie eine schwule Fassung von Cinderella vor. „Kannst du das denn?“ Das war Chris gewesen. „Wehe du versaust uns den Abend!“ Jason schob sich vor Nicolai und funkelte Chris böse an. Dieser schnaubte. „Das habe ich nicht vor! Ich hole mir was zu trinken!“ Bevor Sly überhaupt etwas sagen konnte, war er in der Menge verschwunden. Jason verdrehte nur die Augen und zog Nicolai mit sich zur Tanzfläche. „Wenn du einen Rat von mir haben willst.“ David legte die Hand auf Slys Schulter. „Mach die Augen auf und renn nicht in dein Unglück. Es gibt auch andere hübsche Männer.“ Der Brünette schaute ihn verständnislos an. „Was laberst du da?“ „Du verstehst mich schon.“ Wenn Sly das tat, so zeigte er es nicht. „Steck deine Nase nicht in Dinge, die dich nichts angehen!“, fauchte er und ließ David einfach stehen. Dieser seufzte und zuckte mit den Schultern. Unverbesserlich. Er fuhr zusammen als seine Hand kurz prickelte, als würde sie jeden Moment taub werden. Nicht jetzt, nicht hier. Aber es ging wieder vorbei. David wurde schwindelig. Er brauchte dringend frische Luft. Eilig verließ er die Halle und ging ein Stück in die große Parkanlage, die sie umgab. Es war kühl heute Nacht und kaum jemand war hier draußen. Aber der Moment der Einsamkeit tat ganz gut. „Schon keine Lust mehr?“ David sah auf und erstarrte. Ein Stück entfernt auf dem Weg stand Jeremy, in einem blütenweißen Anzug. Er leuchtete regelrecht im Licht der Laternen. Für einen kurzen schwachen Augenblick ergab sich David diesem Anblick, dann riss er sich zusammen. „Was machst du denn hier?“ „Ich habe auch eine Karte und ich muss mit dir reden.“ David schnaufte genervt. „Es reicht, Jeremy, ich will mir dein kindisches Gequatsche nicht noch einmal anhören müssen!“ Er stand auf. „Geh spielen, ja?“ Umdrehen und weggehen. Einfach nur umdrehen und weg. „Wie lange hast du noch?“ Der Satz fror die Zeit ein. David blieb wie vom Donner gerührt stehen. Scheinbar unendlich lang. Seine Hände fingen an zu zittern. „Was?“, fragte er schließlich. „Ich will wissen, wie lange dir die Ärzte noch geben!“ „Was redest du da für einen Unsinn?!“ Jeremy lächelte. „Gib dir keine Mühe, ich weiß es...“ Davids Blick wanderte zur Festhalle. „Jason...“, zischte er. „Dieser dreckige Hurensohn!“ Er stürmte los. „Ich mach ihn fertig! Ich prügele ihn, dass er nicht mehr weiß, ob er Männlein oder Weiblein ist!“ „David!“ Jeremy rannte ihm hinterher und packte ihn nach wenigen Metern am Arm. „Nicht!“ „Lass mich los!“, schrie ihn der Blonde an und stieß ihn von sich. „Was bildete sich dieser Wichser ein?! Wie kann er es wagen, sich mein Freund zu nennen?! Ich habe ihm vertraut!“ „Er ist dein Freund und wenn du nicht so verbohrt wärst, würdest du auch erkennen, was für ein guter Freund er ist!“ „Ach ja?! Er hat mein Vertrauen missbraucht!“ „Er wollte nur das Richtige tun!“ „Wer ist er, zu entscheiden, was für mich das Richtige ist?!“, brüllte David. „Er ist dein bester Freund und er weiß, was für ein Idiot du bist!“, gab Jeremy ebenso laut zurück. „Wie konntest du das tun?! Weißt du, wie ich mich fühle?! Hast du eine Sekunde an meine Gefühle gedacht, du elender Egoist? Ich habe seit wir uns getrennt haben kaum noch geschlafen! Ständig liege ich wach und denke daran, was ich hätte tun oder nicht tun sollen! Was ich falsch gemacht habe und was nicht! Wie ich es verdient habe, von dir wie Dreck behandelt zu werden! Was ich verbrochen habe, um das, was wir hatten, zu zerstören! Und dann muss ich erfahren, dass du einfach alles weg wirfst, nur weil du denkst, dass ich mit deinem Schicksal nicht klar komme?! Was für ein gottverdammter Blödmann bist du eigentlich?! Immer alles alleine machen! Nur keine Hilfe annehmen! Lieber allen um dich herum weh tun, als einmal zuzugeben, dass du Angst hast! Du jämmerlicher Feigling! Du bist erbärmlich! Einfach nur ein erbärmlicher Schwächling!“ Davids Hand rutschte aus, er verpasste Jeremy eine Ohrfeige. Und dieser schlug zurück. Prompt und ohne Umschweife. Seine Hand knallte gegen Davids Wange. Und das Nächste, was Beide wussten, war, dass sie sich in den Armen lagen und sich voller Leidenschaft küssten. „Wonach schaust du ständig?“ Nicolai lächelte seinen Tanzpartner an. Jason schien absolut nicht bei der Sache. „Ich... nach nichts.“ Der Braunhaarige schien ertappt. „Sie tanzen nicht. Sly steht da hinten an einem Tisch, allein, und wo Chris ist, weiß ich nicht.“ „Wie kommst du darauf, dass ich nach den Beiden sehe?“ „Weibliche Intuition? Schließlich tanze ich eben Damenschritte.“ „Spinner.“ „Es muss dir nicht peinlich sein.“ „Was denn?“ Jason spielte entweder den Dummen oder er wusste es wirklich nicht. „Jason, du vergehst vor Eifersucht.“ „Nein, das tue ich nicht. Wir sind hier zusammen und nicht Chris und ich!“ „Und wenn du dich entscheiden könntest, mit wem du hier sein könntest?“ Jason sah ihn an. „Natürlich mit dir!“ Davor war eine extreme Denkpause gewesen. „Natürlich...“, lächelte Nicolai. „Hör zu... mir ist nicht so gut. Vielleicht liegt es am Champagner, ich habe noch nichts im Magen. Ich geh kurz vor die Tür, ja?“ Der Blonde ließ ihn los. „Klar.“ Jason nickte nur und eilte davon. Nicolai lächelte immer noch. Sie hatten noch gar keinen Champagner getrunken. Er verließ die Tanzfläche und steuerte die Waschräume an, trotz fehlenden Alkoholkonsums plagte ihn ein menschliches Bedürfnis. Es war nur wenig los, verwunderlich eigentlich für einen so großen Abend. Aber er hatte ja auch eben erst begonnen und noch floss der Schampus nicht in Strömen. Als er die Kabine wieder verließ, stand er plötzlich Chris gegenüber, der an einem der Waschbecken vor dem beleuchteten Spiegel stand und hinein starrte. Als er den Russen über die Oberfläche entdeckte, rollte er entnervt mit den Augen. „Du schon wieder.“ „Ja, ich.“ Nicolai lächelte und wusch sich die Hände, er spürte die ganze Zeit den Blick von Chris. „Es tut mir leid.“ Das war genuschelt und kaum verständlich gewesen. „Bitte?“ „Es tut mir leid, okay?!“, brach es aus Chris heraus. Er hatte ein schlechtes Gewissen und wusste selbst nicht warum. „Mein Verhalten heute in der Küche! Eigentlich immer! Der Spruch mit der Nutte... all das... es tut mir leid.“ „Schon okay.“ „Nein, ist es nicht!“, beharrte Chris. „Ich bin nicht so, klar? Mag sein, dass alle mich für ein verzogenes Blag halten, aber eigentlich bin ich nett!“ „Du kaschierst das aber gut.“ Nicolai lehnte sich an die Wand und schaute ihn freundlich an. Endlich war es soweit. Er hatte eigentlich nur darauf gewartet. „Ich drehe auch bald durch! Ich kann nicht mehr. Diese ganze Situation macht mich fertig!“ Er schlug mit der Hand auf das Waschbecken. „Warum erzähle ich dir das überhaupt?!“ „Weil es um mich geht. Oder eher um Jason.“ „Nein.“ Nicolai hob die Augenbrauen. „Ja!“, gab Chris dann nach einer Pause doch zu. „Ich weiß nicht mehr, was ich denken oder tun soll. Und keiner versteht mich. Das alles hier ist so... es überfordert mich. Ich bin ein sechzehnjähriger Junge aus Dallas... und ich bin es eigentlich nicht. Ich bin Chris, den alle schätzen und lieben. Ich bin die andere Hälfte von Jason...“ Er biss sich auf die Lippe. „Warum sieht denn keiner, wie schwer das alles ist? Natürlich... die Erwartungen haben sie zurückgedreht, aber nur oberflächlich. Jason ist so... er... wir... ach, scheiße...“ „Du liebst ihn.“ Chris sah auf, Nicolai zum ersten Mal direkt ins Gesicht, direkt in die Augen. „Ja...“, sagte er schließlich, „Ich liebe ihn...“ Das Lächeln des jungen Russen blieb warm und freundlich. Er bekam nur bestätigt, was er wusste. Ein Blinder konnte das sehen. „Aber ich weiß nicht, was ich tun soll! Er kennt mich... er kennt Chris... den Chris, der ich nicht mehr bin... wie könnte ich mit ihm zusammen sein... vielleicht würde ich ihn enttäuschen oder verletzen. Ich kann doch nicht einfach wieder so sein wie vor meinem Unfall.“ Er wusste ja bis heute nicht, was wirklich geschehen war. „Er hat mir Angst gemacht... deswegen habe ich... nur deswegen...“ „Deswegen hast du ihm gesagt, dass du ihn nicht willst.“ „Ja...“ Chris fühlte sich plötzlich, als würden Tonnen der Last von seiner Seele krachen. Die Wahrheit tat so gut. „Damals dachte ich das auch... aber jetzt... ich weiß, was ich fühle, aber er hasst mich jetzt...“ „Das tut er nicht.“ Chris nickte, eine Träne lief über seine Wange. „Natürlich tut er das! Er kann gar nicht anders. Ich bin so eklig zu ihm und zu dir... und vor allem ist er mit dir zusammen! Ich könnte doch gar nicht mehr... und er... er will mich sicher nicht... und...“ Nicolai stieß sich von der Wand ab und nahm den ihm eigentlich noch immer fremden Mann in den Arm. „Nicht weinen... er liebt dich, Chris. Er hat nie aufgehört, das zu tun.“ Chris klammerte sich an den anderen Mann. „Aber er... und du...“ „Keine Angst, ihr brecht mir nicht das Herz.“ Er strich ihm über den Rücken. „Wenn man Augen im Kopf hat, konnte man gleich sehen, dass er sich nur einredet, etwas für mich zu empfinden, weil er sich gewaltsam von dir lösen will. Er denkt, du willst ihn nicht... aber glaube mir, er will dich. Letztens ist er in meinem Arm eingenickt und hat deinen Namen im Schlaf gesagt... mehrmals.“ „Hat er?“, schniefte Chris. Nicolai nickte nur sanft. „Es tut mir leid... ich wollte dir nicht...“ „Ich weiß...“ Nicolai wusste, was Chris sagen wollte. Er hatte ihm nicht den Freund ausspannen wollen, doch der junge Russe war sich bewusst, dass Jason eigentlich nie sein Freund gewesen war. Jason war kein schlechter Mensch, er hatte ihn nicht als Notnagel benutzt, sondern sich wirklich über ihn von Chris lösen wollen. Aber Nicolai wusste auch selbst, dass er Jason nicht die Gefühle entgegenbrachte, die zwischen ihm und Chris vorhanden waren. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob überhaupt jemand das konnte. „Was soll ich jetzt tun?“ Nicolai lächelte und wischte ihm eine Träne von der Wange. „Geh zu ihm. Er ist draußen vor der Halle.“ Chris löste sich von ihm. Er ging ein paar Schritte in Richtung Tür, drehte sich aber dann wieder um. „Nicolai... bitte entschuldige...“ „Später.“ Der junge Russe hob immer noch lächelnd die Hände. „Jetzt geh endlich! Hol ihn dir!“ „Danke!“ Chris warf sich herum und eilte aus dem Waschraum. Mit einem Seufzen lehnte sich Nicolai gegen die Armaturen. Es war richtig so. So musste es sein. Jason hatte soviel für ihn getan und er war sich sicher, dass er ihn nicht sofort aus dem Haus werfen würde, nur weil er jetzt endlich wieder bei dem Mann war, der zu ihm gehörte. Zumindest hoffte Nicolai darauf, dass der Brünette nicht auf stur schaltete und Chris abwies. Dann würde er dem Depp eine scheuern. Jason stand vor der Halle und schaute in den Himmel. Er wusste nicht mehr weiter. Der Gefühlssturm in seinem Inneren zerriss ihn allmählich. Er war es gewesen, der Chris den Abschiedsbrief geschrieben hatte, er hatte ihm gesagt, dass er nichts mehr von ihm wolle, dass es vorbei sei, und er hatte das Verhältnis mit Nicolai angefangen. Was war er eigentlich für ein Arsch? Er hatte Chris verboten, einen Mann ins Haus zu bringen und er selbst hatte keine Zeit verloren. Was hatte er sich dabei gedacht? Und vor allem: Wie kam er zu der plötzlichen Erkenntnis? Jason wusste es. Sly und Chris. Der Anblick seines Exfreundes, Hand in Hand mit Sly... „Du vergehst vor Eifersucht.“ Wie recht Nicolai doch hatte... Und wie mies er sich vorkam. Wie konnte er Nicolai das antun, das hatte der junge Mann doch nicht verdient. Er war so mies. Wie sollte es jetzt weitergehen? Er hatte Chris verloren und mit Nicolai konnte er auch nicht mehr zusammen bleiben. Nicht unter diesen Umständen. „Jason...?“ Der Angesprochene wirbelte herum. Chris stand hinter ihm, die Hände nervös vor dem Schoss gefaltet, die Finger spielten miteinander. „Was machst du hier draußen? Bist du nicht bei Sly?“ „Ich... ich...“ Chris hatte einen Kloß im Hals. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Was sollte er nun tun? „Was ist denn?“ Jason merkte, dass er vollkommen anders mit dem Blonden sprach als vorher. Viel liebevoller. „Dieser perfekte Tag nur für uns zwei... besteht darauf noch eine Chance?“ „Der perfekte...?“ Jason begriff. „Du hast den Brief... durchwühlst du meine Sachen?“ „Nein!“, meinte Chris schnell. „Nein! Ich... er ist mir... es war ein Zufall.“ „Chris, das sind nur Worte. Du musst dich jetzt nicht verpflichtet fühlen...“ Was zum Teufel redete sein Mund da? Er wollte so etwas doch gar nicht sagen. „Nein, das sind nicht nur Worte! Das sind deine Gefühle für mich! Und ich habe endlich begriffen, wie stark die sind! Jason, ich... ich hatte solche Angst! Ich bin nicht Chris, verstehst du? Nicht der Chris, den du kennst! Wenn ich dich nun enttäusche!“ Er plapperte wie ein Wasserfall. „Du hast doch sicher Hoffnungen, die du in mich setzt, du erwartest Verhaltensweisen von Chris, von deinem Chris. Und wenn ich das nicht schaffe, dann bist du enttäuscht und wendest dich von mir ab. Dann war alles umsonst und ich stehe allein da, obwohl ich einen Mann gefunden habe, der mich so sehr liebt, der sogar so einen wundervollen Brief schreibt und der...“ Weiter kam er nicht, denn Jason zog ihn an sich und küsste ihn. Die Welt blieb stehen. Einfach so. Ihr hektisches Treiben hielt an für diesen Moment. Für einen Augenblick der Liebe und des Glücks. Jasons Lippen fuhren sanft über den so vertrauten Mund seines Freundes, leiteten dessen Lippen in einen wundervollen Kuss. Chris’ Arme schlangen sich um Jasons Hüften, dessen Hände erforschten den Rücken des Blonden. In diesem Moment waren beide einfach nur glücklich. Es war sowohl für Chris als auch für Jason wie Nachhause kommen. Sie waren so lange weg gewesen, hatten sich beide im Schneesturm verirrt und doch hatten sie sich wieder gefunden. Endlich. „Nein...“ Eine fremde Stimme drang in ihre Welt und durchbrach den Zauber, die Magie des Augenblicks. Die Realität kehrte in den Alltag zurück und mit ihr die Probleme. Und zwar in der Gestalt von Sly. Beide sahen den Braunhaarigen an, immer noch eng umschlungen. „Nein... das ist nicht wahr.“ „Sly...“ Chris löste sich von Jason. „Bitte... bitte versteh mich. Ich habe mich in Jason verliebt... schon lange. Ich wollte es nur nicht wahrhaben.“ „Sly, es tut mir leid.“ Jason kam ebenfalls näher. „Wir wollten dir nicht weh tun.“ „Halt dein Maul, du verlogenes Arschloch!“ Beide schreckten zurück, als der sonst so ruhige Mann plötzlich an die Decke ging. „Was bildest du dir ein?! Erst wirfst du ihn weg und dann, als ein Anderer ihm nahe kommt, musst du ihn plötzlich wieder haben?! Das ist doch das Letzte! Chris und ich waren uns endlich näher.“ „Sly...“ „Nein, Jason! Du redest dich nicht raus! Du bist ekelhaft!“ „Das ist er nicht!“, rief Chris wütend dazwischen. „Hör auf, ihn zu beschimpfen! Er kann nichts dafür! Ich war schon länger in ihn verliebt und ich bin nur mit dir ausgegangen, weil ich eifersüchtig auf ihn und Nicolai war! Sonst hätte ich das doch gar nicht gemacht.“ Slys angriffslustig erhobene Schultern sanken herunter, in seinem Blick schien etwas zu zerbrechen. Er ging einfach an Jason und Chris vorbei. „Sly...“ Jason streckte die Hand aus, aber Sly wich ihr aus. Er stieg die Treppe hinunter und ging immer weiter. „Sly, bitte...“ Chris wollte ihm hinterher laufen, doch Jason hielt ihn fest. „Lass ihn, er muss sich erst einmal beruhigen.“ „Aber ich... ich wollte ihm nicht weh tun.“ „Ich weiß...“ Jason schloss ihn in die Arme. Seinen Chris. Endlich wieder. Endlich. Mitchell Donovan war Barkeeper im 7th Heaven. Leider war die Bar nicht gerade der siebte Himmel. Er hatte so große Träume gehabt, er hatte sich soviel vom Leben versprochen. Und dann hatte er es nur zum Barkeeper einer billigen kleinen Spelunke irgendwo Downtown von San Francisco gebracht. Nicht einmal in einer der großen Bars. Nein, nur im 7th Heaven. Hier trafen sich notorische Singles und Taugenichts, abgewrackte Typen und die, die auf dem besten Weg dahin waren. Der Abend war noch jung, es war recht wenig los. Mitchell langweilte sich. Also gesellte er sich, ein Glas putzend, zu dem einzigen Kerl der an der Bar hockte. „Na, Kumpel, schlechten Tag gehabt?“ „Kann man sagen...“ „Und? Kann ich dir was gutes tun?“ „Ja... einen doppelten Wodka.“ Mitchell lächelte wissend. Typischer Fall. Da sprang sicher gutes Trinkgeld raus. Er brachte dem Mann seinen Drink. „Bitte, zum Wohl.“ „Danke.“ Sly setzte das Glas an und trank es fast in einem Zug aus. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Endlich. Endlich. ENDLICH!!! Über einen Monat... so lange hat es noch nie mit einem Remember the promise Kapitel gedauert. Es war wie verhext. Ich hatte so wenig Zeit wegen meiner Zwischenprüfung, dann kam die Grippe auf einen Besuch vorbei und meine Betas waren auch nicht verfügbar... außerdem kam ich ab Seite 15 kaum voran... Und dann kam der Kommentar von Silent-Voice. Der hat den Knoten gelöst. Sie hat mir vor Augen geführt, wie viel Spaß ich immer an dieser Geschichte hatte und plötzlich ging es wie von selbst. Und jetzt wo Jason und Chris wieder zusammen sind, wird es vielleicht auch wieder einfacher zu schreiben ;-) Ich hab euch mal wieder ein paar Cliffhanger gegönnt ^^ Deswegen lasse ich auch offen, was aus dem Kuss zwischen Jeremy und David wird. *fg* Ich hoffe, die nächste Wartezeit wird nicht so lang, ich werde mir alle Mühe geben. Die Jungs haben es verdient und ihr sowieso!!! Vielen Dank euch allen für eure Geduld und eure Unterstützung. ^^ Und einen Extradank an Silent-Voice für den Kommentar, der meine Schreibblockade gelöst hat! ^^ Euer Uly ^^ PS: Wenn ihr DEN Song zu diesem Kapitel hören wollt, zieht euch „Die Welt steht still“ von Revolverheld rein ;) Kapitel 36: Sly's Tragedy (Part 2 of 4) --------------------------------------- „So sollte das nicht laufen! Das ist falsch!“ David riss sich nahezu gewaltsam von Jeremy los, stolperte einen Schritt zurück. Seine Wange brannte von der Ohrfeige, sein Herz raste als Folge des herrlichen Kusses. Ihre Berührung war so voller Verlangen, Sehnsucht und tiefer Gefühle gewesen, dass es ihm regelrecht Angst machte. „Ist es das?“ Jeremy lächelte ihn an. „Ja, was meinst du wohl, warum ich das alles abgezogen habe?!“ „Du gibst also zu, dass das alles nur Show war. Gut.“ David guckte mit einem Mal ziemlich dumm aus der Wäsche. Voll in die Falle gegangen, mit Pauken und Trompeten. „Nein... ja!“, gab er zu, „Es war nur Show... ich bin nicht so ein Arschloch, aber es war doch nur zu deinem Besten!“ „Du tickst manchmal wirklich nicht richtig.“ „Jeremy...“ „Ich bin kein Kind!“ Der Rothaarige legte den Kopf schräg. „Ich liebe dich, David! Und du hast kein Recht für mich Entscheidungen zu treffen! Ich will bei dir sein!“ „Du weißt nicht, was du da sagst!“ David ließ sich auf einer Parkbank nieder. „Das weiß ich sehr wohl! Warum denkst du, dass es „Bis das der Tod euch scheidet“ und nicht „Bis es mal schwer wird“ heißt?“ „Wir sind nicht verheiratet.“ „Na und?“ David schaute ihn nach der trockenen Erwiderung an. Er wusste nicht, was er tun sollte. Alles in ihm schrie nach Jeremy, aber sein Verstand versuchte noch die Oberhand zu gewinnen. „Ich werde sterben, Jeremy.“ „Und du denkst, es ist dann das Klügste, alle Stützen von dir zu stoßen? David, wie viel haben wir zusammen überwunden? Den Altersunterschied, die Pornos, Alex’ Intrigen, deine Angst vor einer Beziehung... und du wirfst alles weg? Einfach so?“ „Ich konnte nicht anders...“ „Die Wahrheit war keine Alternative?“ „Du hast mich wegen der Pornos auch belogen!“ „Aber ich habe dich nicht verlassen!“ Jeremy war nicht bereit, auch nur einen Schritt zurück zu weichen. „Begreif doch endlich, dass wir keine Zukunft haben!“ „Du stirbst ja wohl nicht morgen!“ Im Moment konnte Jeremy den Gedanken von sich weg halten, schaffte es, dies nüchtern festzustellen. Schweigen. „Ha!“, lachte der Rothaarige. „Dir gehen die Argumente aus, Herr Anwalt!“ „Mach dich nicht über mich lustig.“ David fühlte sich in die Ecke gedrängt. Jeremy setzte sich neben ihn. „Nun versteh doch endlich, dass ich kein kleines Kind mehr bin. Ich liebe dich und ich will für dich da sein.“ Er legte seine Hand auf Davids Oberschenkel. „Ich brauche dich und wenn du ehrlich zu dir bist, brauchst du auch mich. Wir sind füreinander bestimmt, David.“ „Du elender Romantiker...“ Doch der Blonde lächelte dabei. Er deckte Jeremys Hand mit seiner zu und lehnte sich an ihn. „Du bist ein Idiot... wie kannst du dir das antun?“ „Das habe ich dir schon erklärt.“ „Bleib heute Nacht bei mir, ja?“ David wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher. Sich Jason zu offenbaren war schon erleichternd gewesen, aber Jeremys warmen Körper so nah bei seinem zu fühlen, seinen Geruch wahrzunehmen, durch die roten Haare streichen, seine Lippen küssen zu können, das war unvergleichlich. Wie hatte er ohne das leben können? Und das so lange... „Sehr gern...“ Jeremy küsste ihn auf die Wange. „Du blöder Bock...“ „Ich wollte dich doch nur schützen...“ „Deswegen ja...“ Jeremy stand auf und hielt ihm die Hand hin. „Wollen wir?“ Sein Freund ergriff sie. „Und was ist mit Jason und den Anderen?“ „Die werden sich schon amüsieren.“ Der Tänzer grinste breit. „Heute Abend sind nur noch wir beide wichtig, niemand sonst. Ich will auch mal egoistisch sein.“ „Klingt wunderbar...“ Und das meinte David wirklich so. Er wollte nur noch bei Jeremy sein, ihn halten und küssen. Nichts sonst. Als Gary den Haustürschlüssel hörte, schreckte er aus dem Schlaf hoch. In seinen Armen ein zusammen gerolltes Bündel mit blonden Haaren das tief und fest schlief. Der Fernseher lief immer noch auf Nikelodeon, der hatte mit Anna den „Spongebob Schwammkopf“ und „Cosmo und Wanda – Wenn Elfen helfen“ Marathon geguckt, so lange, dass er allmählich schon beide Titellieder auswendig und jeden Charakter im Effeff benennen konnte. Irgendwann mussten sie eingeschlafen sein. Die Kleine war geradezu vernarrt in ihn. Sie konnte sich offenbar nicht entscheiden, wer in ihrer Gunst zuerst kam, Batman oder ihr erster Schwarm. „Wir heiraten mal, wenn ich groß bin, ja?“, hatte sie zwischen einer Folge mit dem Schwamm und den chaotischen Zauberpaten gefragt. Natürlich hatte Gary ihren Antrag angenommen, Anna war wirklich zum Fressen. Vorsichtig entließ er sie aus seinen Armen und deckte sie zu, bevor er in den Flur ging und vorsichtshalber den Finger an die Lippen legte. „Pst, Anna schläft.“, lächelte er. „Dann kann das Haus einstürzen.“ Nicolai schaute rüber ins Wohnzimmer. „Sie würde nicht wach werden.“ „War alles okay?“ „Ja, Chef!“ Gary salutierte in Jasons Richtung. „Und wie du siehst, gibt es sogar noch ein Zuhause zum Nachhause kommen, ich habe nichts abgefackelt.“ Er grinste dabei Chris an, der aber natürlich nicht auf die Anspielung auf seine Ermahnung letztes Jahr einging. Er wusste ja nichts davon. „Wir gehen dann schlafen. Kommst du?“ Jason nahm Chris bei der Hand. „Und wir reden morgen, ja?“ Das Licht flackerte. „Und um die Glühbirne muss ich mich auch noch kümmern...“, meinte er nebenbei. Nicolai lächelte nur und nickte. „Gute Nacht, ihr zwei.“ Gary guckte seinem Bruder und dem blonden Mann etwas dümmlich hinterher, als sie die Treppe hinaufstiegen. „Moment mal... er und...?“ „Ja, sie sind wieder zusammen.“ Jasons Bruder stemmte die Hände in die Hüften. „Hat er dich einfach abserviert?!“ „Nein, keine Panik. Es war mir eigentlich schon die ganze Zeit klar. Dein Bruder hat sich in etwas verrannt, aber was er wirklich wollte, war die ganze Zeit vor seiner Nase. Und Chris ging es nicht anders.“ „Ihr Homos seid wirklich ein komisches Volk.“ „Sind wir das?“ Nicolai lachte leise. „Darf dir das Mitglied des komischen Volkes noch einen Kakao oder so machen? Ich will auf jeden Fall noch einen.“ „Da sage ich nicht nein.“ Gary folgte dem jungen Russen in die Küche, wo dieser Wasser aufsetzte. Er selbst ließ sich am Esstisch nieder. „Bist du wirklich kein bisschen sauer auf ihn?“ „Hast du jemals wirklich geglaubt, dass dein Bruder in mich verliebt ist?“, stellte Nicolai die Gegenfrage. „Aber du gehst da so locker mit um. Ich würde ausrasten.“ Gary beantwortete die Frage indirekt. Er hatte sich schon die ganze Zeit gefragt, was sein Bruder da eigentlich trieb. „Na ja, ich mag ihn sehr gern, aber wirklich verliebt bin ich auch nicht. Er hat das ja nicht böswillig gemacht, dein Bruder kann so ein richtig tapsiger Bär sein, der überhaupt nicht merkt, was er so tut. Aber Hinterhältigkeit oder absichtliches Ausnutzen ist das Letzte, was man ihm unterstellen könnte. Dazu ist er nicht fähig.“ „Nein, das wohl nicht...“ „Meinst du, er lässt mich weiter hier wohnen?“ Gary lachte. „Du kennst ihn schon so gut und stellst trotzdem noch eine so dumme Frage?“ „War die dumm?“ Nicolai stellte ihm den Kakao hin und setzte sich mit seiner Tasse zu ihm. Es war eher heiße Schokolade, die man mit Wasser aufschütten konnte. Lecker, aber weniger Kalorien, Jason achtete darauf, weil er im Moment seltener ins Studio ging. „Na ja... sie war es wohl.“ „Er hat dich gern und Jason hat einen Helferkomplex, glaube mir, die Welt würde untergehen, bevor er dich jetzt auf die Straße setzen würde. Und meine Braut auch nicht.“ „Wen?“ „Anna!“, lachte Gary. „Deine Schwester ist ein ganz schönes Früchtchen. Sie hat bei Spongebob Schwammkopf um meine Hand angehalten.“ „Oh, willkommen in der Familie. In Russland ist so etwas absolut bindend!“ Nicolai stieß mit seiner Tasse an die von Gary. „Nastrowje.“ „Danke für die Warnung, dann setze ich mich besser ab.“ “Wird deine Freundin sonst sauer?“ Gary blickte in seine Schokolade. „Ich bin solo.“ „Oh. Und keine süße Maus in Sicht? Oder ein süßer Mäuserich?“ Der Brünette schaute entsetzt auf. „Was?“ „Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten, aber dein Bruder ist nun mal schwul und da dachte ich, dass es ja sein könnte.“ „Da ist jemand... ein Junge.“ Gary wusste selbst nicht genau, warum er das jetzt sagte, aber Nicolai hatte so eine Ausstrahlung an sich, die automatisch Vertrauen aufbaute. „Ein Junge also....“ „Ja... aber ich hatte auch schon was mit Mädchen, ich bin also... ach, ist ja egal. Er hat auf jeden Fall einen Anderen.“ „Das ist immer Mist. Wenn du dich dazwischen drängst, bist du der Arsch.“ „Aber er wollte mich! Damals als wir uns kennen lernten, wollte er mich. Nur ich Idiot hab kalte Füße bekommen...“ „Ist ja auch nicht leicht in deinem Alter.“ „Du bist doch kaum älter als ich!“ Nicolai lächelte und das etwas bitter. „Aber vom inneren Alter bin ich dir weit voraus, glaube mir... das hat mein Leben mit sich gebracht.“ Gary bekam eine Gänsehaut. Marcus war es nicht anders ergangen und er war sogar noch jünger gewesen. Er wusste, dass Nicolai auf den Strich gegangen war, wollte ihn aber nicht darauf ansprechen. „Dafür bist du aber ein toller Typ.“ Nicolai lächelte ihn über den Rand der Tasse aus an. „Ach ja?“ Seine Augen blitzten. „Gefalle ich dir?“ „Was?!“ Gary zuckte zusammen. „Ich...äh... du weißt, was ich meine!“ “Natürlich, ich weiß das.“ Nicolai lachte leise und stieß mit seiner Tasse gegen die von Gary. „Auf uns einsame Herzen.“ „Auf uns!“ Jasons Bruder musste auch lachen. Nicolai war wirklich nett. Chris stand in der Schlafzimmertür und starrte das Bett an. Er konnte kaum einen Schritt tun. „Hast du Garys Gesicht gesehen? Er war total perplex.“ Jason stand im Badezimmer vor dem Spiegel, nur noch in Shorts. Er warf sich ein wenig Wasser ins Gesicht und musterte sich im Spiegel. Gar nicht übel. Er schwebte eigentlich wie auf Wolken. Chris, sein Chris, war endlich wieder bei ihm. Er war in ihn verliebt. Er liebte ihn wirklich. Das Gefühl war göttlich. Einfach unbeschreiblich. „Was ist denn los?“ Er schaute aus der Badezimmertür, als er keine Antwort bekam. „Du bist so still... hast du was?“ Chris sah ihn an. „Nein... nein...“ Ihm wurde heiß. Jason war halbnackt und allein dieser Anblick ließ ihm den Schweiß ausbrechen. Wusste dieser Mann eigentlich, wie umwerfend er aussah? Diese Muskeln, der Kerl war ein Adonis. „Wirklich nicht?“ „Nein, alles okay.“ „Willst du nicht aus dem Smoking raus?“ „Ausziehen?!“, fragte Chris entsetzt. Jasons Augenbrauen zogen sich zusammen. „Nein, du kannst auch so bleiben, wird sicher gemütlich im Bett. Vielleicht zwickt deine Fliege ein bisschen.“ Chris wurde rot. „Nein... schon gut...“ Jason ging wieder ins Bad, er fing an, vor sich hin zu summen. Sein blonder Freund ging langsam ans Bett heran und setzte sich. Mit zitternden Fingern löste er seine Fliege und nahm sie ab. Seine Gedanken kreisten um Jasons Anblick und blieben dann an der Erinnerung an dessen Nachttischschublade hängen. Das Gleitmittel und die Handschellen. „Du bist ja immer noch in voller Montur.“ Chris fuhr zusammen. Und das nicht zu knapp. Erschocken starrte er Jason an. „Was?!“ Der Brünette seufzte. „Und jetzt raus mit der Wahrheit! Was ist?“ „Nein... es ist nichts, es...“ Chris senkte den Blick. „Ich habe Angst...“ “Vor mir?“ „Ja... nein!“, fügte er schnell nach einer Pause hinzu. „Nein.“ „Chris... mein Engel.“ Jason lächelte. War das schön, das wieder zu sagen. „Was ist denn los?“ „Ich hab eben Angst!“ Chris verschränkte die Arme vor der Brust „Du bist... und ich... wir... wir sind doch zusammen und wir waren es auch und wir sind... wir waren... nein, wir sind...“ „Chris...“ „Ich hab Angst vorm Sex, okay!“, fauchte der blonde Mann. „Und jetzt darfst du lachen!“ Jason setzte sich neben ihn. „Vorm Sex?“ „Ja! Jason... ich bin sechzehn... nein, bin ich nicht, aber ich fühle mich so. Ich hatte noch nie Sex!“ „Du hattest schon Sex, eine Menge. Wir beide sind ein gutes Team, es gibt kaum eine Ecke dieses Hauses, die wir nicht schon eingeweiht hätten.“ „Das meine ich!“ Chris ließ sich nach hinten fallen und schloss die Augen. „Wir ist nicht gleich wir... Gott, rede ich eine Scheiße... ich habe keine Erfahrung, Jason. Ich habe noch nicht einmal richtig küssen gelernt, nur so ein bißchen mit Dave herum experimentiert... ich kann dir einen blasen, aber das ist es schon!“ Jason war bei der Erwähnung von Daves Namen kurz zusammen gezuckt, fing sich aber schnell wieder. „Du musst doch aber keine Angst davor haben. Du hast viel Erfahrung. Und damals auf der Party hattest du bei dem Kerl doch auch keine Hemmungen.“ „Auf der Party war ich angetrunken und sauer und überhaupt... ich erinnere mich nicht! Ich habe Angst vor den Schmerzen! Und ich habe Angst, dich zu enttäuschen, dich nicht befriedigen zu können. Wenn ich versage und du dann keinen Spaß mehr hast und du mich...“ Jasons Lippen beendete seine Worte. Er hatte sich einfach über Chris gebeugt und küsste ihn. Der Blonde riss die Augen auf, aber Jason leitete ihn. Seine weichen Lippen umspielten zärtlich die von Chris, seine Zunge suchte sich langsam aber bestimmt den Weg in die warme Mundhöhle seines Freundes. Er gab das Tempo vor und Chris zog mit. Es gefiel ihm. Der Kuss war so süß und zärtlich. Keine Spur von Wildheit. Das war Liebe. „Wow...“, flüsterte er, als ihre Lippen den Kontakt aufgaben. „Fand ich auch... du küsst gut.“ Jason strich ihm über die Wange. „Tu ich nicht...“ „Widersprich mir nicht, sonst versohle ich dir den Hintern.“ „Das traust du dich nicht.“ „Woher willst du wissen, dass du das nicht magst.“ „Verunsichere mich nicht wieder...“, lächelte Chris schwach, „Ich schwebe gerade ein wenig... der Kuss war so schön.“ „Und es wird noch schöner, das verspreche ich dir. Und was du nicht willst, machen wir nicht...“ Seine Finger öffneten langsam die Knöpfe von Chris’ Hemd, strichen über die helle Haut darunter. „Ich habe mich so sehr danach gesehnt, dir wieder nahe zu sein. Ich liebe dich sehr...“ Chris keuchte leise. Er schloss die Augen und gab sich den Berührungen hin. Das hier war sicher das Richtige. Mit Jason wollte er sein „erstes Mal“ erleben. David saß auf seinem Bett. Die weichen Laken fühlten sich gut an seiner nackten Haut an. Neben ihm lag Jeremy, der junge Mann hatte sich zusammengerollt und in die Decke gewickelt. Sein schlanker Körper zeichnete sich ab. Ein paar rote Strähnen hingen ihm ins Gesicht. Er war so wunderschön. Sanft strich David ihm die Haare aus der Stirn, Jeremy wurde nicht einmal wach. Sie hatten eigentlich reden wollen und dann waren sie im Bett gelandet. Stundenlang hatten sie sich geliebt und David konnte sich nicht erinnern, jemals soviel Lust, Sehnsucht und Leidenschaft auf einmal gespürt zu haben. Jeremy wusste, wo und wie er ihn berühren musste, sie funktionierten perfekt zusammen. Es war direkt unheimlich. „Wie konnte ich dich nur jemals los werden wollen...“, murmelte der blonde Mann fast tonlos. Langsam stand er auf und ging ins Wohnzimmer. Die Vorhänge waren nicht zugezogen und ließen das diffuse Licht der nächtlichen Metropole hinein. Er ging zu seiner Hausbar und goss sich einen Scotch ein. Er hatte den ganzen Tag noch keine Tablette genommen, da konnte er sich das mal leisten. Zur Feier des Tages. Aber gab es überhaupt etwas zu feiern? David ging zum Fenster hinüber und schaute hinaus. Was tat er hier? Er ließ Jeremy wieder an sich heran. Das war doch genau das, was er hatte verhindern wollen. Jeremy sollte nicht leiden. Aber er kam nicht dagegen an. Allein der Gedanke, den jungen Mann wieder zu verlieren machte ihn wahnsinnig. Dieser Abend war so schön gewesen. „Was wird das hier? Nackte Schönheit in der Nacht?“ Er drehte sich um. Jeremy stand im Türrahmen, ebenfalls nackt. David kam nicht dagegen an, wiederum festzustellen, wie schön er war. „Ich wollte dich nicht wecken.“ „Dann hättest du mir nicht deine Wärme stehlen sollen.“, lächelte der Rothaarige. „Was ist?“ David schaute ihn eine ganze Zeit an, ohne eine Antwort. Was wollte er? Eigentlich wusste er es, er hatte es nur geleugnet. Sich hinter seiner Angst versteckt. „Ich will nicht sterben.“, sagte er mit schwacher Stimme. Er ließ sich am Fensterrahmen herunter sinken, mit dem Rücken an dem kühlen Glas. „Ich will nicht sterben...“ Jeremy zerriss es das Herz. Er eilte zu David hinüber und setzte sich neben ihn, nahm seine Hand. Er wusste nicht so direkt, was er sagen sollte. „Gibt es denn gar keine Chance?“ Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren hohl und leer. Wie fragte man so etwas im richtigen Ton? Wie sprach man mit einem Todgeweihten? Wieder dauerte es lange bis David etwas sagte, er setzte das Glas an und trank einen Schluck. „Doch...“ „Was?!“ Die Stimmung war mit einem Schlag dahin, Jeremy zog seine Hand zurück, starrte seinen Freund entsetzt an. „Sag das noch mal!“ „Es gäbe da eine Operation...“ „David!“ Jeremy konnte es nicht fassen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein! Was ist denn nur los mit dir?!“ „Schrei mich nicht an bevor du alles weißt.“ „Dann sag es mir endlich!“ David seufzte. „Bei der OP besteht ein hohes Risiko... mittlerweile schon über fünfzig Prozent, denke ich... dass ich danach vom Hals abwärts gelähmt bin.“ „Und weiter?!“ „Tickst du noch richtig?! Ist es das, was du dir wünschst?!“ Schon wieder Streit. „Ist es das, was du dir wünschst?! Einen Freund, dem man den Arsch abwischen muss?! Den man füttern muss?! Der dich nicht einmal mehr vögeln kann?! Ans Bett gefesselt, in seinem Körper gefangen!“ „Meinst du, ein toter Freund wäre mir lieber?!“ „Du elender Egoist! Denk mal an mich! Ich könnte nicht ertragen, so zu leben!“ „Und wegen dieses Risikos wirfst du dein Leben weg?! Seit wann bist du so ein Feigling?!“ „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ „Doch!“ Jeremy kniff ihn in den Oberarm. „Der David, den ich kenne, war eine Kämpfernatur, egal wo, ob im Gerichtssaal, im Privatleben oder im Bett. Dir war keine Herausforderung zu groß. Und jetzt?“ „Ich habe Angst, Jeremy!“ „Das weiß ich...“ Die Stimmung wurde wieder besser, der Rothaarige kraulte seinem Freund durch den Nacken. „Aber du bist doch nicht mehr allein... und warum kannst du nicht einfach mal davon ausgehen, dass die OP gut ausgeht?“ „Jeremy...“ „Ich wäre immer für dich da.“ „Du weißt nicht, was du da sagst.“ „Oh doch...“ Jeremy beugte sich zu ihm hinüber und küsste ihn sanft und langsam, unendlich langsam. „Ich liebe dich...“ David erwiderte den Kuss. Die Wärme zwischen ihnen war so angenehm, so herrlich. Er zog den jungen Mann in seinen Arm und küsste ihn weiter. Am liebsten hätte er nie wieder aufgehört. Trotz des Kusses arbeitete sein Kopf fieberhaft. Was sollte er jetzt tun? Er hatte sich schon so damit abgefunden zu sterben und jetzt war alles wieder anders. Jeremy war wieder da und der Gedanke ihn zu verlieren, nicht mehr bei ihm sein zu können, zerriss ihm das Herz. Er war unvorsichtig gewesen. Jeremy hatte eine Tür in seinem Herzen gefunden, die eigentlich für immer hätte verschlossen bleiben sollen. Jetzt war er hindurch und David schaffte es nicht, ihn wieder hinaus zu treiben. Und er wollte es auch eigentlich nicht. „Begleite mich am Montag zum Arzt, ja?“, flüsterte er, ihre Lippen waren kaum auseinander. „Ja...“ Gary stellte Chris eine Schale mit Cornflakes hin, in der Milch trieben auch ein paar Marshmallows. Er setzte sich mit seiner eigenen Portion ebenfalls an den Tisch und beobachtete Anna, die mit Batman durch den Garten tollte. „Reden sie immer noch?“ Chris nickte. Gary sprach von seinem Bruder und Nicolai. Die Beiden waren im Wintergarten. „Ich hoffe, dass sie das klären wegen euch Beiden und dem Ende ihrer Beziehung... ich mag Nicolai.“ Der Blonde nickte wieder nur. Seine Gedanken waren bei letzter Nacht. Sein erstes Mal... quasi. Wahrscheinlich war es wohl das gelungenste erste Mal der Weltgeschichte gewesen. Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken. „Ich gehe schon.“ Chris stand auf und rief das Gleiche auch noch mal in Richtung Wintergarten durchs Wohnzimmer, als er in den Hausflur kam. Kaum hatte er die Tür geöffnet, legte Ash auch schon los. „Ist er hier?“ Er stürmte an Chris vorbei. „Sly?! Sly?!“ „Er ist nicht da.“ „Wo ist er dann?!“ Ash wurde laut. „Hey! Schrei mich nicht an!“ „Was ist denn hier los?“ Jason erschien im Türrahmen. „Warum brüllst du hier so rum?“ „Weil ich wissen will, wo Sly ist!“ Er zeigte auf Chris. „Und er war schließlich gestern mit ihm aus!“ „Aber ich bin doch nicht sein Babysitter!“, empörte sich Jasons Freund. „Pass auf...“ Ash funkelte ihn an. „Ich habe schon den ganzen Morgen versucht, Sly zu erreichen, ich habe letzte Nacht kaum geschlafen, aus Sorge um ihn, weil er mit dir aus ist. Ich bin geladen!“ „Lass die Drohungen!“, ging Jason dazwischen, „Dafür gibt es keinen Grund.“ Chris trat näher zu ihm. „Wo ist er nun? Weißt du es?“ Chris schüttelte den Kopf. „Er war... ich habe ihn nicht mehr gesehen, nachdem... er uns... nun... uns...“ „Seit er uns beim Küssen erwischt hat.“, beendete Jason. „Was?!“, brüllte Ash. Aus der Küche erklang Weinen. Gary kam mit Anna auf dem Arm herüber, Nicolai im Schlepptau. Der Kleinen liefen die Tränen, sie war aus dem Garten gekommen und hatte alles mitgekriegt, der Lärm hatte sie erschreckt. „Könntet ihr wohl gütiger Weise das Geschrei lassen? Anna hat schon Angst!“ „Was ist das hier eigentlich für ein Irrenhaus?!“ Ash hatte einen hochroten Kopf. „Jetzt beruhige dich endlich!“ Jason schlug gegen den Türrahmen. „Gary, Nico, geht bitte mit Anna raus in den Garten, ja?“ Sein Bruder erkannte die Brisanz der Situation und schob den jungen Russen vor sich her aus dem Flur. „Was denkt ihr euch?!“, fuhr der Polizist gleich fort. „Ash, das war keine Absicht!“ „Genau!“, mischte sich Chris ein, „Ich habe mich in Jason verliebt, da konnte ich doch nichts für. Ich wollte mir das nur nicht eingestehen!“ Ash platzte der Kragen. Er packte Chris und rammte ihn gegen die Wand. „Du dämliches Arschloch! Sly ist Alkoholiker! Hast du auch nur eine Sekunde daran gedacht, was du mit deinem widerlichen egoistischen Verhalten anrichten kannst! Eines sage ich dir, wenn er wegen dir wieder anfängt zu trinken, wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein!“ Chris hatte Tränen in den Augen, doch Ash kam nicht viel weiter in seiner Schimpftirade. Jason zerrte ihn so heftig von seinem Freund weg, dass sein ehemaliger Kollege fast zu Boden ging. Doch Jason ließ ihm keine Sekunde Ruhe. Er riss ihn mit sich ins Wohnzimmer und knallte die Tür zu, bevor er Ash mit dem Rücken dagegen stieß. Sein Unterarm drückte sich auf die Kehle des blonden Mannes. „Es reicht...“, zischte er, „Ash, ich respektiere dich und sehe dich als meinen Freund an. Du hast viel für Chris und mich getan. Aber wenn du es noch einmal wagst, Chris so anzufassen und zu bedrohen, schwöre ich dir, ich bringe dich um!“ Gary, der eben ein Spielzeug von Anna aus dem Wintergarten hatte holen wollen, wich entsetzt in Richtung Garten zurück, so dass die Beiden ihn nicht bemerken konnten. Einen solchen Ton hatte er bei seinem Bruder noch nie gehört. „Jason...“ Ash bekam kaum noch Luft. „Hast du verstanden?!“ Der Druck erhöhte sich weiterhin. „Hast du verstanden?!“ „Ja... ja!“, keuchte der Blonde. „Ja...“ Jason ließ von ihm ab, sein ehemaliger Kollege sackte an der Tür zusammen. Chris kam herbei geeilt, er hatte den Weg durch die Küche und den Wintergarten genommen. „Jason!“ „Alles okay...“ Er nahm seinen Freund in den Arm. „Wir haben das geklärt.“ Chris sah ihn an, er war leichenblass, immer noch hatte er Tränen in den Augen. „Entschuldige dich!“, herrschte Jason Ash an. Der Polizist hob den Kopf und fixierte Chris, der Ausdruck in seinen Augen war nicht richtig zu deuten. „Entschuldige.“, sagte er fast betonungslos. „Sch... schon okay...“ Chris löste sich von Jason. Ihm war unwohl in der Gesellschaft von Ash, schrecklich unwohl. „Ich... ich gehe mal... und schaue, was mit Anna und... ich gehe mal.“ Damit lief er aus dem Zimmer. Ash stand mühsam auf, er rieb sich den Hals. „Du bist ja übergeschnappt...“ „Das musst du gerade sagen!“ „Ich mache mir Sorgen, verdammte Scheiße!“ „Das ist noch lange kein Grund, meinen Freund zu bedrohen!“ „Hätte ihm nicht etwas früher einfallen können, dass er dich will?! Möglichst bevor er Sly mal wieder falsche Hoffnungen gemacht hat, in die er sich tierisch hinein gesteigert hat?!“ „Ash...“ Jason senkte die Stimme, anschreien war doch sinnlos. „Chris hat Amnesie. Glaubst du, wenn er gewusst hätte, was mit Sly los ist, hätte er das getan?“ Ash funkelte ihn an, doch nun sanken auch seine Schultern herab. „Ich habe solche Angst um ihn...“ „Das verstehe ich.“ „Nein, tust du nicht. Wir haben uns im Streit getrennt. Ich habe ihm gesagt, dass er, wenn er Probleme hat wegen Chris, ja nicht zu mir kommen solle... was wenn er nun...“ Jasons Wut war verraucht, er legte Ash die Hand auf den Oberarm. „Wir werden ihn finden, das verspreche ich dir. Er ist sicher in Ordnung. Vielleicht hat er nur jemanden aufgerissen, um sich über Chris hinweg zu trösten...“ Das Sonnenlicht verursachte Schmerzen in Slys Augen, als er langsam die Lider öffnete. Wo war er? Alles tat ihm weh. Er lag auf dem Boden in einer Seitengasse. Wo genau in der Stadt konnte er nicht sagen. Dreckige Wände voller hässlicher Hinterlassenschaften von drittklassigen Sprayern, überall lag Müll. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich explodieren, in seinem Mund war ein Geschmack, als hätte er an Pflastersteinen geleckt. „Sieh da! Ein Neuer! Willkommen, Schätzchen!“ Sly schaute auf. Neben ihm stand eine alte Frau in vor Dreck starrenden Kleidern. Sie hatte einen Einkaufswagen voller Unrat bei sich und eine in eine Papiertüte gewickelte Flasche in der Hand. Der junge Mann stand auf. Orientierungslos blickte er sich um. In der Gasse hockten noch mehr Penner und musterten ihn. „Was für ein feiner Pinkel!“, knurrte einer angesichts von Slys verdrecktem Smoking. „Quatsch!“, krächzte die Alte, „Er ist einer von uns, nicht wahr, Schätzchen? Magst du was?“ Sie hielt ihm die offene Flasche hin, fast schon an den Mund. Sly zuckte zurück. Er sah den Flaschenhals, die aufgesprungenen Lippen der Alten, ihre schiefen und dreckigen Zähne in dem zu einem Grinsen verzogenen Mund. „Na komm, Schätzchen!“ Sly warf sich auf dem Fuß herum und rannte weg, unter dem gackernden Lachen der Alten. „Bitte sprich mit mir!“ Marcus saß hilflos neben seinem Freund vor dessen Bett auf dem Boden. Sie waren in Colins Zimmer und das nun schon seit Stunden. Colin starrte nur vor sich hin. „Was soll ich denn sagen?“ Auf diese Frage wusste Marcus keine Antwort, er wollte nur diese grässliche Stille loswerden. Die letzten Stunden erschienen ihm wie ein Albtraum. Die Lichter des Notarztwagens, die Hektik der Sanitäter, die aber sowieso umsonst gewesen war. Man hatte nur noch Brandons Tod feststellen können. Er hatte sein Leben freiwillig beendet. Im Badezimmer hatte man einen Abschiedsbrief gefunden, adressiert an Colin. Brandons Vermächtnis quasi. Er schien es schon lange geplant oder zumindest mit dem Gedanken gespielt zu haben. Er erwähnte sogar ein Testament, in seinem Alter eigentlich ein eindeutiges Zeichen. „Colin...“ „Es ist meine Schuld...“ „Was?“ „Es ist alles meine Schuld. Er hat meine Nähe gesucht, meine Hilfe. Und ich habe ihn von mir gestoßen.“ „Das konnte niemand ahnen, Colin.“ Marcus streichelte ihm sanft über das Haar. „Niemand trägt die Schuld daran.“ „Ach ja?!“ Plötzlich wurde der Schwarzhaarige laut, „Das ist die typische Ausrede! Niemand konnte das ahnen! Klar! Natürlich! Weil es niemanden interessiert hat, dass Brandon Probleme hatte!“ „Warum brüllst du mich so an?“, fragte Marcus betont ruhig. „Weil du nicht zu kapieren scheinst, dass ich ihm hätte helfen können! Ich! Ich!“ „Wie denn? Er hat dir ebenso wenig etwas gesagt wie den Anderen! Hast du seine Mum nicht gesehen? Sie war total verzweifelt! Er hat nicht einmal mit seinen Eltern geredet!“ „Das ist mir egal! Ich bin nicht irgendwer! Er hat mir immer vertraut!“ „Und er hat dich trotzdem betrogen und beinahe mit HIV angesteckt!“ „Das du ihn nicht leiden konntest, ist mir klar!“ „Was?“, fragte Marcus perplex. „Na ja, er war doch schließlich dein Konkurrent.“ Marcus schnaubte. „Na danke schön! Ich wusste gar nicht, dass ich mit ihm in Konkurrenz stand! Wie ist das?! Wenn er nicht positiv gewesen wäre, wäre ich dann mal abgemeldet gewesen , wenn du Lust auf dummen Muskelprotz verspürt hättest?!“ „Rede nicht so über ihn!“ „Colin!“ Der Schwarzhaarige stand auf und ging zum Fenster. Er drehte Marcus den Rücken zu. „Wenn du nichts anderes vorhast, als mich mit deinem dummen Gerede zu nerven, dann geh bitte.“ „Wie kannst du so etwas sagen?“ „Weil es so ist!“ Colin wirbelte herum, „Marcus, er ist tot! Mein Exfreund ist tot, weil ich zu dumm war, um ihm zu helfen! Und du hast nichts besseres zu tun, als eifersüchtig zu werden?!“ „Du hörst mir ja nicht einmal zu, wenn ich dir helfen will!“ „Weil du mir nicht hilfst mit deinen Floskeln!“ „Das sind keine Floskeln!“ Marcus gestikulierte hilflos, „Du bist nicht schuld an seinem Tod! Du hast ihm nicht die Hand geführt.“ „Aber ich hätte es verhindern können!“ „Und wie?!“, brüllte Marcus zurück, „Sag mir wie!“ Colin starrte ihn an und schwieg. Sein Freund hatte ja Recht. Wie hätte er ihm helfen sollen? Er war von der Situation überfordert gewesen, viel zu panisch, weil er fürchtete, positiv zu sein. Aber konnte man ihm dafür einen Vorwurf machen? Er ließ sich zu Boden gleiten. „Warum hat er das nur getan?“ Marcus seufzte und setzte sich neben seinem Freund. „Das weiß sicher nur er selbst.“ „Kommst du mit auf seine Beerdigung?“ „Natürlich...“ „Ich weiß nicht, wie ich da allein durch soll...“ „Du bist nicht allein.“ „Aber er war es...“, murmelte Colin und lehnte sich an den warmen Körper seines Liebsten. „Er war es... sogar als er starb... er war allein...“ Marcus wusste nichts zu erwidern, er hielt Colin nur fest. Ralph und Kain kamen lachend aus dem Schnapsladen. Nun waren sie mal wieder blank, aber das interessierte die Beiden nicht. Das Geld aus der geklauten Brieftasche hatte gerade für ihre Ausbeute im Laden gereicht. „Und wohin jetzt?“ „Weiß nicht!“, lachte Ralph und hob die drei Flaschen teuren Wodka, die sie erstanden hatten, hoch. „Irgendwo feiern!“ „Warum glotzt der so dämlich?“ Ralph folgte dem Blick seines Kumpels. An der Tür des Laden drückte sich ein total abgehalftert wirkender Typ herum, grotesker weise in einem Smoking. „Ist was?“ Der junge Mann zuckte zusammen. „Hast du ein Problem?“ Kains Stimme war ruhig und dabei sehr gefährlich. „Kann ich einen Schluck haben?“ Der Mann klang kratzig. „Was?“ „Darf ich einen Schluck von euch haben?“ Er kam näher. Die Augen die ganze Zeit auf die Flaschen geheftet. „Du willst was von unserem Schnaps?“ Der Braunhaarige nickte eifrig. „Was kriegen wir dafür?“ Ralph schaute Kain verwundert an, doch dieser winkte nur ab. „Alles!“, rief Sly so schnell er konnte. „Alles, was ihr wollt!“ Ein hämisches Grinsen schlich sich auf Kains Gesicht. „So, so, alles... dann komm mal mit!“, lachte er. „Immer noch kein Lebenszeichen?“ Jason hatte das Telefon unters Kinn geklemmt. „Kann ich was tun?“ Ash steuerte seinen Wagen durch den Straßenverkehr, er war fix und fertig, seine Augen brannten wie Feuer. „Nein... nichts... und ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Keine Einlieferungen in die Krankenhäuser der Umgebung... und auch nicht in die Leichenschauhäuser.“ „Aber das ist doch wirklich mal was.“ „Findest du? Das heißt nur, dass er irgendwo durch San Francisco rennt und sich vielleicht zu Tode säuft! Oder das man seine Leiche noch nicht gefunden hat!“ „Ash!“, mahnte Jason, „Reiß dich zusammen.“ Er hatte zusammen mit Chris den ganzen Tag alle Orte abgeklappert, an denen Sly sonst zu treffen war. Aber das eigentliche Problem war die Größe der Stadt und die recht geringe Schwierigkeit mit dem Bus bis nach Sacramento, Oakland oder Marine County zu kommen. Sly konnte sprichwörtlich überall und nirgends sein. „Du bist gut!“ „Und was ist mit unseren Freunden und Helfern im Büro?“ „Das alte Gerede! Vierundzwanzig Stunden vermisst sein, sonst kann man nichts machen.“ „Hätte ich mir denken können.“ „Jason, ich suche weiter. Ich hab noch ein paar Ecken übrig und dann rufe ich noch einmal in allen Krankenhäusern an.“ „Ash, bau keinen Unfall, du musst doch vollkommen kaputt sein.“ „Jason, ich kann jetzt nicht aufgeben.“ „Pass aber auf.“ Ash nickte, auch wenn Jason das nicht sehen konnte. Er legte schon den Finger auf den Knopf zum Auflegen, dann überlegte er es sich anders. „Jason?“ „Hm?“, kam es aus der Leitung. „Sag Chris, dass es mir leid tut.“ „Mach ich.“ „Danke...“ Die Verbindung wurde unterbrochen. „Nichts?“ Chris beobachtete, wie sein Freund das Telefon hinlegte. „Gar nichts...“ „Es ist meine Schuld...“ Der blonde Mann legte den Kopf mit der Stirn auf den Tisch. „Meine Schuld.“ „Ist es nicht, hör auf damit.“ „Aber es ist doch so, Jason!“ Chris setzte sich wieder auf. „Ich habe seine Einladung angenommen, obwohl ich genau wusste, wen ich wirklich liebe.“ Jason kam nicht dagegen an, bei diesen Worten ein warmes Gefühl in der Brust zu verspüren. Chris liebte ihn. Chris liebte ihn. Er könnte tanzen vor Glück. Es war geradezu unheimlich, wie Chris sich verändert hatte. Auf einmal ähnelte er seinem alten Ich viel mehr als vorher. Er war am Anfang so kühl gewesen, hatte sich so unfair verhalten, teilweise wie ein richtiges Arschloch. Und nun? Hundertachtzig Grad Drehung. Er war nicht sein Chris, aber schon fast. Vielleicht war es sogar am besten, wenn es einfach so blieb und ihm die Erinnerungen an die Traumata erspart bliebe. „Du konntest nicht wissen, dass er so schrecklich in dich verliebt ist und du konntest genauso wenig wissen, dass er ein trockener Alkoholiker ist.“ „Das ist es ja... Jason, ich weiß gar nichts. Ich habe das Gefühl, neben euch her zu leben... ihr alle wisst, wovon ihr sprecht, nur ich... ich stehe daneben und verstehe oft nur Bahnhof und ich habe Angst, dass ich aus Unwissenheit noch mehr Fehler begehe.“ „Du hast keinen Fehler begangen, mein Engel.“ „Das ist lieb von dir, dass du versuchst, mir das einzureden. Aber Ash hatte Recht... ich habe nur an mich gedacht.“ „Aber du hast es doch auch schrecklich schwer im Moment.“ Chris nippte an seinem Kakao. „Hilf mir.“ „Was?“ Der Blonde sah ihn an. „Hilf mir, mich erinnern. Erzähl mir was über mich. Soviel es geht. Erzähl mir von meinem... von unserem Leben. Wie haben wir uns kennen gelernt? Wo? Wie war ich früher? Ich weiß, was mein Vater mir angetan hat und dass ich deswegen von Zuhause weggelaufen bin. Aber mehr nicht...“ „Der Arzt hat damals gesagt, dass es nicht unbedingt das Beste wäre, dir alles zu erzählen.“ „Das Beste?! Jason, ich muss doch wenigstens wissen, wer oder was ich bin, wenn ich mit dir zusammen sein will.“ „Chris...“ Jason setzte sich ihm gegenüber hin. „Ich weiß nicht...“ „Was ist denn so schlimm? War ich ein Verbrecher, als wir uns kennen gelernt haben? Wie habe ich denn meinen Lebensunterhalt verdient?“ „Chris...“ „Jetzt sag es mir endlich!“ Er knallte die Tasse auf den Tisch. „Habe ich gedealt?!“ „Du bist auf den Strich gegangen...“, flüsterte Jason. Es wurde still im Raum. Chris starrte ihn an. Wortlos. Seine Augen flackerten. Er hatte viel erwartet, aber das nicht. Nicht das. Eine Hure... „Ich wollte es dir ja nicht sagen, mein Engel...“ „Wie habe ich das tun können...?“ „Chris, verurteile dich nicht. Es ist eben alles über dir zusammen gebrochen. Du bist ohne Plan weggelaufen, warst vollkommen hilflos und dann bist du da hineingeraten. Drogen, Strich...“ „Drogen?! Ich war ein Junkie?!“ Plötzlich durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Er zog seinen Ärmel hoch, in der Beuge waren noch ganz schwache Einstichnarben zu sehen. Er hatte sie nur nie beachtet. Jason nickte nur. „Nein... nein...“ Der Blonde stand auf und ging zum Fenster. Draußen schien die Sonne über San Francisco, der Himmel war strahlend blau, würde sich aber bald rötlich färben, der Abend näherte sich. Doch in Chris’ Herz tobte ein Sturm. „Chris...“ „Nein! Nein!“ Er brach in Tränen aus. Zitternd hielt er sich an der Fensterbank fest. „Nein... nein...“ Mit wenigen Schritten war Jason bei ihm und schloss ihn in die Arme. „Mein Engel. Alles wird gut, ist doch okay. Das ist Vergangenheit!“ „Ich bin eine verdammte Hure!“ „Das bist du nicht!“ Jason wurde laut, er musste zu Chris durchdringen. „Du bist schon lange nicht mehr der Mann, der du damals warst. Du bist ein wundervoller Freund, jemand auf den man sich immer verlassen kann! Herzensgut, hilfsbereit! Du hast für jeden ein Ohr gehabt. Weißt du, dass Marcus und Colin nur dank dir zusammen sind? Du hast das damals eingefädelt und Marcus damit seine Lebensfreude wieder gegeben.“ „Aber ich...“ „Chris, hör auf. Hör auf.“ Er zog Chris fester in seinen Arm. „Es ist alles gut. Du wolltest deine Vergangenheit kennen und genau das ist es... nur die Vergangenheit. Niemand hier denkt heute noch daran und außer Marcus, David und mir weiß das sowieso keiner.“ „Du ekelst dich nicht vor mir...?“, fragte Chris weinerlich. „Nein, wie kommst du auf so etwas, mein Engel?“ Die Türklingel ratterte in die Tränen reiche Szene. „Sonntagnachmittag... wer kann das sein?“ Die beiden Männer waren allein, Nicolai hatte Gary und Anna auf einen Spaziergang im Gate Park mitgenommen, er und Jasons Bruder verstanden sich immer besser. „Geh ruhig...“ Chris lehnte den Kopf an Jasons Brust. „Ist schon okay. Wirklich.“ Der Brünette zeigte wenig Begeisterung, seinen Freund allein lassen zu müssen, aber es klingelte noch einmal. Er eilte in den Flur. Vor der Tür stand ein Mann um die vierzig im Nadelstreifenanzug, einen Aktenkoffer unter dem Arm. „Entschuldigen Sie die Störung. Mr. Fairgate?“ Jason schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin Jason Cunningham.“ Seine Augen verengten sich zu misstrauischen Schlitzen. „Was wollen Sie von Mr. Fairgate?“ „Mein Name ist Williams, von der Kanzlei Walberg, Williams und Partner.“ „Kommen Sie immer an Sonntagen vorbei?“ Der Mann lachte. „Nun, Sir, es ist eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit für unsere Kanzlei, es wurde mir heute mitgeteilt und ich musste einfach sofort handeln. Es geht um unseren wichtigsten Mandanten.“ „Das ist ja wohl kaum Chris.“ „Was ist mit mir?“ Der blonde Mann erschien im Flur, er wischte sich noch einmal unauffällig über die Augen und rückte seinen Pullover zurecht. „Guten Tag, Mr. Fairgate. Es freut mich, Sie kennen zu lernen.“ Er streckte ihm die Hand entgegen, die Chris etwas perplex ergriff. „Äh... ebenso.“ „Wessen Anwalt sind Sie denn nun?“, mischte Jason sich ein. „Unser Mandant ist der kürzlich verstorbene Dave Jerrod.“ Jason wurde blass. „Dave ist tot...?“, war alles, was Chris hervorbrachte. „Darf ich reinkommen?“ Der Anwalt lächelte. „Aber bitte.“ Chris machte eine einladende Geste, bevor Jason überhaupt etwas sagen konnte. Er führte den Mann ins Wohnzimmer. Jason folgte mit einem mehr als finsteren Gesichtsausdruck. „Kann ich ihnen etwas anbieten?“, murrte er deutlich unfreundlicher als vorher. „Nein, vielen Dank.“ Der Anwalt setzte sich hin und öffnete seinen Koffer. „Wie gesagt, Mr. Jerrod ist kürzlich verstorben und als Mandant unserer Kanzlei liegt uns sein Testament vor. Normalerweise würde eine formelle Testamentseröffnung anstehen, allerdings hat Mr. Jerrod darauf bestanden, dass diese Mitteilung im privaten Bereich erfolgt. Vor allem, da nur eine Person im Testament bedacht worden ist.“ Chris stellte sich neben Jason, er wusste überhaupt nicht, was hier gerade passierte. „Nun... um diese Sache möglichst kurz zu halten und wenig von Ihrem verdienten Sonntag zu stehlen: Dave Jerrod hat im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte verfügt, dass nach seinem Tod seine gesamten Besitztümer und Firmen veräußert werden und deren Erlös zusammen mit seinem Privatvermögen und seinem umfangreichen Aktienbesitz an den einzigen Erben gehen. Mr. Jerrod hatte keine Familie mehr und deswegen hat er Mr. Christopher Samuel Fairgate als seinen Erben eingesetzt.“ „Was?!“ Das kam wie aus einem Mund. Sowohl Jason als auch Chris starrten den Anwalt an. „Ich gratuliere Ihnen, Mr. Fairgate. Sie sind von heute an Besitzer eines Vermögens von knapp achtzig Millionen Dollar plus einer umfangreichen Anzahl gut laufender Aktien weltweit.“ Einen Moment blieb es still im Raum. „Jason...?“ „Hm?“ Der Brünette konnte es selbst nicht fassen. Das war doch unglaublich. „Mir wird... eben... so schwindelig...“ Kaum hatte er das gesagt, wurde er ohnmächtig. Jason konnte ihn gerade noch auffangen. „Batman! Hol das Stöckchen!“, quäkte Anna über die Wiese. Der kleine Hund flitzte los und holte ihr den Stock, mindestens zum fünfzigsten Mal. „Schwer zu sagen, wer von beiden mehr Energie hat.“, lachte Nicolai. Er saß mit Gary auf einer Parkbank und schaute seiner Schwester zu. So fröhlich war sie schon lange nicht mehr gewesen. „Sie steckt ihn in die Tasche, Batman geht zuerst die Luft aus, wetten.“ „Gut, dann setze ich mal auf den Hund, auch wenn es dann gegen meine Schwester geht!“ Er nahm Garys Hand und besiegelte die ‚Wette’. „Hast du dich mit Jason versöhnt.“ „Ich war nie mit ihm zerstritten.“ Gary lachte leise. „Du bist wirklich außergewöhnlich, weißt du das?“ „Danke, ich nehme das als Kompliment.“ „Jason und Chris sind schon ein komisches Paar. Aber ich glaube, er tut meinem Bruder gut.“ „Er ist seine andere Hälfte.“ Jasons Bruder schaute ihn von der Seite an, der sanfte Wind spielte in Nicolais blonden Haaren. „Was?“ „Jeder Mensch hat eine andere Hälfte. Sein Gegenstück. Den Menschen, den er sein ganzes Leben lang sucht. Und wenn er ihn gefunden hat, erst dann ist er komplett.“ „Das klingt schön.“ „Es ist so, jeder hat irgendwo auf der Welt sein Gegenstück und wenn man wirklich Glück hat, findet man es auch.“ Gary wandte den Blick in den klaren Himmel. „Also denkst du, dass Chris Jasons andere Hälfte ist?“ „Ja, das ist er. Er hat ihn nie aufgegeben, egal was war. Nicht einmal, als er sich einredete, nichts mehr von ihm zu wollen. In seinem Herzen war immer nur Chris.“ „Ob Marcus meine andere Hälfte ist?“ Jetzt war es an Nicolai, ihn anzuschauen. „Du meinst den Jungen, auf den du stehst?“ „Ja... Marc. Ob er meine andere Hälfte ist? Oder ist er die von Colin? Und Colin seine...? Dann habe ich doch keine Chance.“ „Gary, ich wollte dich nicht entmutigen. So war das nicht gedacht.“ „Ich weiß...“ Er streckte die Beine aus. „Aber es ist auch irgendwie scheiße... wenn ich um Marcus kämpfe, tue ich Colin weh und er ist eigentlich ein netter Kerl. So der Typ guter Schwiegersohn.“ „Bist du das nicht?“ „Findest du das?“ „Du bist attraktiv, du bist klug und sportlich, was willst du mehr?“ „Danke... das ist nett von dir.“ „Selbst wenn Marcus nicht deine andere Hälfte sein sollte, du wirst sie sicher finden.“ „Und was ist mit dir?“ Nicolai strich sich die Haare aus der Stirn. „Man soll die Hoffnung niemals aufgeben, oder...“ Er lächelte etwas traurig, sah dann aber auf die Uhr. „Es ist schon spät, wir sollten allmählich heimgehen.“ Der junge Russe stand auf. „Anna! Komm, wir gehen! Hol Batman!“ Die Kleine nickte und kam mit dem Hund zu ihnen geeilt. Gary legte ihm die Leine an und sie machten sich auf den Heimweg. „Warum hast du eben so traurig aus der Wäsche geguckt.“ „Habe ich nicht...“ „Doch, das hast du.“ Nicolai grinste schief. „Vielleicht weil ich mir ins Gedächtnis gerufen habe, dass ich keine so gute Partie bin.“ „Warum, das ist doch Unsinn.“ „Ich habe eine Vergangenheit, die das ausschließt.“ „Wer hat keine Vergangenheit, hm?“ „Lieb von dir, dass du das sagst...“ Nicolai sah ihn an und lächelte dankbar, dabei trat er in ein Schlagloch auf dem Weg und knickte um. Er verlor das Gleichgewicht und wäre gefallen, wenn Gary nicht blitzschnell seine Arme ausgestreckt und den jungen Mann aufgefangen hätte. „Vorsicht.“ Nicolai blieb für einen Augenblick, nur einen ganz kurzen Augenblick, in Garys Armen liegen, überrascht wie stark der Junge war. Nein, das war das falsche Wort. Er war kein Junge, sondern ein Mann. „Danke...“ Er löste sich von Gary. Der restliche Heimweg verlief fast schweigend, zumindest was Nicolai anging. Er beobachtete Jasons Bruder beim Scherzen und Rumalbern mit Anna. „Aufwachen, Prinzessin!“ Die Stimme drang langsam in Slys benebelten Verstand. Wo war er? Was war geschehen? Hatte er sich das nicht schon einmal gefragt? Er öffnete die Augen und schaute in das Gesicht einer ältlichen Frau mit geblümtem Kittel und einem Wischmopp in der Hand. „Was wollen Sie?“ Seine Stimme hörte sich an wie ein Reibeisen. „Das hier ist nicht das Grand Hotel, Schätzchen. Du müsstest schon längst aus dem Zimmer sein. Es ist Montag Morgen und das Zimmer war nur für eine Nacht gebucht! Ich muss Putzen!“ „Hotel?“, fragte Sly schwach. „Das muss ja eine wilde Party gewesen sein! Ausnahmsweise... ich mache diese Zimmer zuletzt. Mach dich fertig, ja?“ Sie verließ den Raum. Sly schaute sich langsam um. Ein schäbiges Zimmer in einem Stundenhotel. Bett, Schrank, ein kleiner Fernseher, ein Bad so groß wie eine Konservendose. Wie kam er hierher? Das Bett war zerwühlt, seine Sachen lagen überall herum, nur die Unterhose hatte er noch an. Als er das Bein bewegte, stieß er gegen eine leere Flasche. Zwischen den Laken lagen noch zwei. Wodka. Hatte er die allein geleert? Vorsichtig setzte er sich hin, kaum hatte er das getan, zuckten Schmerzen durch seinen Unterleib. Er fasste nach hinten, es tat noch stärker weh. Dort wo er gelegen hatte, war ein Blutfleck im Laken. Entsetzt stellte Sly fest, dass er die Unterhose verkehrt herum an hatte. „Nein...“, flüsterte er. Mühsam schwang der Braunhaarige die Beine aus dem Bett. Es gab ein widerliches Geräusch, als er mit dem nackten Fuß auf das Latex eines benutzten Kondoms trat. Die Rückstände darin quollen hervor und klebten sich kalt an seine Haut. „Nein...“ Er wankte zu dem kleinen Spiegel an der Wand, musste dabei weiteren achtlos weg geworfenen Präservativen ausweichen. Aus der reflektierenden Oberfläche sah ihn ein Monster an. Rot verquollene Augen, brüchige Lippen, die Augen tief in den dunkel umrandeten Höhlen, strähnige Haare, einige sahen aus, als seien sie von Samen verklebt. Sly schaute an sich herab. Seine Uhr war weg, ein Erbstück von seinem Vater. Auch der Ring, ein Geschenk von Ash, fehlte, ein Griff an seinen Hals bestätigte ihn darin, dass die schmale Platinkette, ebenfalls ein Präsent von Ash nach seinem ersten trockenen Jahr, genauso verschwunden war. „Du bist so ekelhaft!“, brüllte er sein Spiegelbild an., „So widerlich! Der letzte Dreck! Wie konntest du nur glauben, dass einer wie Chris dich lieben könnte?! So einen elenden Versager liebt man nicht! Niemand tut das! Ich hasse dich, Sly McGrey! Ich hasse dich so sehr!“ Weinend klaubte er die Überreste seiner Kleidung zusammen. Er brauchte was zu trinken. „Ich habe Angst... ich hasse es, Angst zu haben.“ David spielte nervös mit seinen Fingern. „Warum dauert das so lange?“ Jeremy legte ihm die Hand auf die zitternden Finger. „Ganz ruhig, ich bin doch bei dir.“ „Ich habe Angst, dass das hier ein Fehler ist.“ „Es ist richtig...“ Sie saßen im Wartezimmer des Krankenhauses, man hatte sie angewiesen, dort auf Doktor Pierce zu warten, der noch eine Behandlung hatte. Rund um sie herum tobte der Krankenhausalltag. „Ich weiß, ich bin erbärmlich.“ „Unsinn...“ Jeremy strich ihm über die Wange. „Du bist doch nicht erbärmlich. Hast du Jason schon angerufen?“ Er wollte das Thema wechseln, David ein bisschen ablenken. „Nein...“ Der Blonde schüttelte den Kopf. „Ich will, wenn auch persönlich mit ihm reden. Aber ich hatte eine SMS von ihm, die ich aber noch nicht beantwortet habe... Chris hat das Vermögen von Dave Jerrod geerbt.“ „Der Kerl, der ihn entführt hat und wegen dem du niedergeschossen wurdest?“ „Exakt... wir sind jetzt mit einem Millionär befreundet. Laut Jason ist Chris nun mehrere Millionen Dollar schwer, knapp achtzig um genau zu sein.“ „Wahnsinn...“ Jeremy versuchte, sich soviel Geld auf einem Haufen vorzustellen. Es ging nicht. Das überstieg sein Vorstellungsvermögen. „Finde ich auch... dieser Psychopath ruiniert fast drei Leben auf einmal und dann passiert das. Chris wird sich jetzt nie wieder Sorgen machen müssen.“ „Aber Jason doch schon, oder? Wegen Chris...“ „Irrtum.“ „Hm?“ Jeremy sah ihn überrascht an. „Sie sind wieder zusammen.“ „Du scherzt.“ „Mit so etwas würde ich keine Scherze machen. Chris und er sind seit gestern wieder zusammen, das stand auch in der SMS.“ „Das ist wunderbar...“ Jeremy kuschelte sich an ihn. „Jetzt wird alles wieder gut.“ „Dein Gottvertrauen möchte ich haben.“ „Dann bin ich eben für uns zusammen optimistisch.“ David nahm wortlos die Hand seines Freundes und drückte sie. Er wollte das auch so gerne glauben. So gern. „Mr. Vanderveer?“ David hob den Kopf. Eine junge Krankenschwester stand in der Tür des Wartebereichs. „Doktor Pierce erwartet Sie.“ „Kann ich mit rein kommen?“ Jeremy schaute ebenfalls zu der Frau. “Ich denke nicht, dass etwas dagegen spricht, wenn Mr. Vanderveer zustimmt.“ „Klar...“ Davids Stimmte klang dünn. Er stand mechanisch auf und ging mit Jeremy zu Doktor Pierce’ Zimmer. Er hielt den jungen Mann an der Hand und ließ ihn keinen Augenblick los. David schien es nicht einmal zu merken. Er löste den Kontakt zu Jeremy kurz, um Doktor Pierce die Hand zu geben, dann nahm er wieder die seines Freundes. „Sie haben sich also nun doch zur Operation entschlossen, Mr. Vanderveer?“ Kurz, nur ganz kurz, war David davor, einen Rückzieher zu machen. Einfach den Kopf zu schütteln und zu gehen. Doch dann wechselte er einen Blick mit Jeremy und nickte langsam. „Wie stehen meine Chancen?“ Doktor Pierce rückte seine Brille zurecht. „Nun... vor ein paar Wochen hätte ich Ihnen noch sechzig zu vierzig gesagt... sechzig für einen Erfolg. Nun ist es wohl eher umgekehrt. Sie haben sich lange Zeit gelassen.“ „Aber es besteht eine reelle Chance, dass es gut geht?“ Jeremy drückte Davids Hand fester. „Nun, Mr....“ „Sumner.“ „Mr. Sumner. Ihr Lebensgefährte und Sie müssen sich über die Risiken dieser OP im Klaren sein, es bringt nichts, wenn ich als behandelnder Arzt die Lage unrealistisch verschönere. Das soll aber nicht heißen, dass ich nicht absolut der Meinung wäre, dass diese Operation notwendig ist. Das ist sie auf jeden Fall.“ „Gibt es eine Möglichkeit, meine Chancen zu erhöhen?“ David hörte seine eigene Stimme dumpf in seinen Ohren. „Leider nicht, Mr. Vanderveer. Aber ich kann Ihnen garantieren, dass Sie hier in guten Händen sind und alles getan werden wird, damit Sie dieses Krankenhaus gesund und munter verlassen können.“ „Wie tröstlich.“ „Mr. Vanderveer, ich habe Sie damals über die Risiken aufgeklärt und ich mache auch keinen Hehl daraus, dass Sie auch nach der Operation eine schmerzhafte Erholungsphase vor sich haben werden. Aber Sie müssen sich vor Augen halten, dass diese Operation Ihr Leben retten wird.“ „Ich weiß...“ David seufzte. „Also kann ich einen Operationstermin für Sie ansetzen?“ Langsam kam Sly um die Ecke. Er kannte diese Gasse. Hier war er aufgewacht. Wann war das gewesen? Er stolperte über die Beine eines schlafenden Penners, der lautstark pöbelte. Sly achtete nicht darauf. Er zitterte am ganzen Körper. Die Schmerzen in seinem Unterleib waren nicht gegen den tobenden Sturm in seinem Inneren. Alkohol. Er brauchte dringend was zu trinken. Der brünette Mann trug nur noch das Hemd und die Hose seines Smokings, das Sakko hatte er im Motel vergessen, das Oberhemd war schief zugeknöpft. „Da bist du ja wieder, Herzchen!“ Die alte Vettel mit dem Einkaufswagen zockelte auf ihn zu. „Ich wusste, dass du wiederkommst, das tun alle!“ Sly sah sie kaum an, sein Blick war auf die Flaschen in ihrem Wagen fixiert. Sie bemerkte es und hielt ihm eine angebrochene Flasche Rum hin. „Trink ruhig.“ Sly riss sie ihr regelrecht aus der Hand und setzte sie gierig an. Endlich! „Ja, genieß den guten Tropfen!“, krakelte die Alte, „Du bist doch jetzt einer von uns!“ Ihr Lachen klang fast gehässig. Chris saß an seinem Laptop und tippte in die Tasten. Auf dem Bildschirm war seine Liste. Er notierte Dinge, die er kaufen wollte. Seine Träume. Ganz oben stand ‚Mein eigener Club’, direkt danach ‚vielleicht auch ein Restaurant’. Auch ein Auto stand auf der Liste. Und eine Reise nach Europa. Das war alles so unwirklich. Er war reich. Steinreich. Dank Dave Jerrod, den er nun schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Zumindest in seinem Leben, an das er sich noch nicht erinnerte. Sein Gedächtnis gaukelte ihm vor, Dave erst vor wenigen Tagen in Texas gesehen zu haben. Den kleinen Langweiler, der wenigstens gut im Blasen war. Scheinbar war er verdammt gut gewesen, wenn ihm das ein Vermögen als Nachlass eingebracht hatte. Es wollte ihm noch nicht so recht in den Kopf, dass Dave wirklich tot war. Er hatte den Tod sicher nicht verdient, er war immer so lieb und treudoof gewesen. Chris schaltete das Schreibprogramm aus und öffnete wieder den Ordner mit den Fotos von Jason und ihm. Auf einmal erschienen sie ihm in einem anderen Licht. Sie waren wunderschön. Wie glücklich sie waren. Und sie würden es auch sicher wieder sein. Vielleicht noch mehr als vorher, zumindest wünschte sich Chris das. Er machte sich immer noch Gedanken um Sly, ob es ihm wohl gut ging. Er fühlte sich schuldig, weil er ihn da mit hineingezogen hatte. Chris konnte nur hoffen, dass alles gut gehen würde. Jason war unten und wechselte endlich die Glühbirne im Flur aus. Das Licht flackerte ständig. Chris klappte den Laptop zu und machte sich auf den Weg nach unten. Sein Freund stand auf einer Trittleiter und hantierte an der Glühbirne herum. Chris blieb auf dem Treppenabsatz stehen. „Na, mein Hausmann?“ „Tja, ich bin eben vielseitig einsetzbar, ein wunderbarer Liebhaber und auch noch ein begabter Hausmeister.“ „Und kein bisschen eingebildet!“ „Nein, das bin ich nic...“ Jason konnte den Satz nicht beenden. Es knallte und er bekam einen Schlag aus der Halterung der Glühbirne. Es riss ihn von den Füßen und der Braunhaarige fiel von der Leiter. Er schlug am Boden auf, zum Glück hatte er aufgrund seiner Größe nur die zweite Stufe benutzt. „Jason!“ Chris rannte so schnell die Treppe runter, dass er beinahe noch selbst stürzte. Sein Freund lag mit geschlossenen Augen im Flur. „Jason! Jason!“ Er sank neben ihm in die Knie. „Jason!“ Die Augenlider des Braunhaarigen flimmerten, als er sie öffnete, ganz langsam. „Aua...“, murmelte er. „Was... war... das...“ „Du Dummkopf...“ Chris streichelte ihm lächelnd über die Stirn. „Hast du wieder vergessen, das Licht auszuschalten? Wann wirst du das lernen?“ Er küsste ihn auf den Mund. „Du hast das schon in New York einmal vergessen und als wir hier eingezogen sind, musste ich auf Schritt und Tritt hinter dir her und aufpassen, dass du dich nicht aus Versehen frittierst. Wenn du an den Lampen rumhantierst, denk daran sie vorher auszuschalten, auch wenn du testen musstest, welche flackert!“ „Ja, ich weiß... halt mir nicht immer diese... Vorträge...“ Jasons Kopf ruckte hoch. „Hey, langsam!“, lachte Chris. „Was hast du eben gesagt?!“ „Was meinst du?“ „Du hast eben von New York gesprochen! Von der Zeit unseres Einzuges! Ich habe dir nie von so etwas erzählt!“ Chris sah ihn an, seine Augen weiteten sich. „Erinnerst du dich?“ „Ja...“, hauchte der blonde Mann. „Jason...“ Sein Freund erwiderte nichts, er zog ihn nur an sich und hielt ihn fest. Seinen Chris. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ha! Diesmal ging es wesentlich schneller, trotz Uni ^^ Dieses Kapitel ging viel leichter von der Hand, auch wenn im Moment wohl die Zeiten der 30 Seiten Chapter vorbei ist. Aber ich denke nicht, dass es so schlimm ist. Im Augenblick ist soviel Stoff auf einmal angesagt und das auch noch an allen Fronten, dass noch mehr Seiten vielleicht auch eine Überforderung wären. Chris ist wieder da und David entscheidet sich für die OP. Und Chris ist nun schwer reich. Damit ändert sich der Status Quo mal wieder deutlich. Ich hoffe, euch gefallen die Wendungen immer noch, denn langweilig soll es ja nicht werden. ^^ Wer von euch Lust hat (und volljährig ist *lol*) kann gern mal bei meiner Neuveröffentlichung „Addiction“ vorbei schauen, einem Kurz-RPG mit Alaska ^^ Ebenso haben wir vor, bald endlich eines unserer großen Werke zu veröffentlichen, also freut euch entweder auf eine romantische Liebesgeschichte aus dem kühlen London oder eine abenteuerliche Reise durch das antike Rom, je nachdem was wir zuerst raus bringen. ^^ Und für alle, die „Don’t forget to catch me lesen“: LinkyBaby und ich haben uns fest vorgenommen, endlich die letzten beiden Kapitel zu korrigieren, damit endlich herauskommt, wie es mit Madison und Tom aus geht. Übrigens ist hier möglicherweise ein Teil 2 drin, Linky und ich denken darüber nach. Viele liebe Grüße an euch alle und danke für euer Feedback! (ich weiß, ich wiederhole mich, aber es ist nun mal so *lach*) Euer Uly ^^ Kapitel 37: Bye, bye, David! a.k.a. Bottom of the bottle (Part 3 of 4) ---------------------------------------------------------------------- Jasons Kopf dröhnte, aber er achtete gar nicht darauf. Er küsste Chris immer wieder übermütig, drückte ihn an sich, strich ihm durch die Haare und über das Gesicht, hielt ihn fest als habe er Angst, dass sich dieses Traumbild jeden Moment auflösen könnte. Chris ließ es alles mit sich geschehen, er starrte fassungslos vor sich hin, seine Hände lagen auf Jasons breitem Rücken. „Chris... mein Chris...“ „Jason...“ „Endlich habe ich dich wieder. Kannst du dich an alles erinnern?“ Jason liefen die Tränen, er schluchzte ohne sich dafür zu schämen. „Ja...“ „An uns, an New York? An alles was wir zusammen erlebt haben?!“ „Ja...“ „An unsere Liebe? Es ist alles wieder da?!“ Er drückte ihn noch fester an sich. „Ja...“, meinte Chris nur wieder. Der Druck seiner eigenen Hände verstärkte sich plötzlich, die Finger krallten sich in den Stoff von Jasons Oberteil. Es war alles wieder da. Die Hütte, der Wald, die Flucht durch die Nacht, Daves Drohungen, die Nacht im Keller, das kalte Wasser, der arme Kerl, den Dave getötet hatte... und der Sarg. „Jason...?“ „Ja, mein Engel?“ „Dave ist wirklich tot, oder?“ Seine Stimme schwankte. Blitzartig löste er sich von seinem Freund weit genug, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Ja, das ist er. Ich habe selbst... er ist tot.“ „Er kommt mich also nicht wieder holen, nein?“ „Nein, mein Engel, nein.“ „Er hat... er hat mich...“ Er schnappte nach Luft, Panik stieg in ihm auf. Jason zog ihn wieder an sich, so fest er konnte, um ihm Halt zu geben. „Ganz ruhig, ganz ruhig... es ist alles gut. Er ist fort.“ Chris wimmerte nur vor sich hin, sein Atem ging stoßweise. „Er war so grausam... ich... ich...“ Sein Gesicht sank gegen Jasons Schulter. „Ich wollte fliehen... hatte Marcus am Handy... aber er... er hat mich wieder eingefangen.“ „Ist gut, mein Engel...“ „Er hat mich in den.... in den Keller gesteckt... da war überall kaltes Wasser... und Ratten und... er hat mich die ganze Nacht da...“ Jason konnte nichts mehr erwidern. Er hatte bisher nur Teile von Chris’ Martyrium zusammenreimen können, aber das alles war schrecklich. „Ich hatte... ich hatte solche Angst... solche Angst...“ „Ich weiß, mein Engel, aber es ist jetzt vorbei...“ „Jason...“ Er schnaufte, rang nach Atem. „Ich habe... ich habe jede Sekunde... jeden Moment habe ich nur an dich... nur an dich gedacht... und dann... Dave sagte mir... Dave hat gesagt... du wärst...“ „Sprich nicht weiter, beruhige dich.“ „Er hat mir... er hat gesagt, du wärst... du wärst tot... da war die Sterbeurkunde... und als ich... du... ich war so verzweifelt...“ Er brach endgültig in Tränen aus. Jason nahm Chris’ Gesicht sanft in seine Hände, hielt dessen verweinte Augen auf seine eigenen fixiert. „Hör mir zu, mein Engel. Du bist sicher. Wir sind zusammen und so etwas wird nie wieder geschehen. Du bist mein Engel, mein Ein und Alles, und ich werde dich beschützen, jede Sekunde meines Lebens. Dave ist tot und er kann dir nichts mehr tun, nie wieder. Verstehst du mich, Chris? Du bist in Sicherheit, vollkommen in Sicherheit. Niemand wird dir etwas antun, dafür werde ich sorgen.“ Der Blonde sah ihn an und nickte dann unendlich langsam. „Ich hatte solche Angst...“ „Das weiß ich... aber jetzt ist alles wieder gut. Alles. Wir zwei sind zusammen und niemand wird je wieder etwas daran ändern. Dieses Monster ist Vergangenheit, er ist tot und begraben, niemand wird je wieder an ihn denken.“ „Und was ist...“ Chris zog die Nase hoch. „Mit seinem Geld? Ich erinnere mich ja... auch an alles andere... was danach...“ „Willst du das Geld nicht? Das ist deine Entscheidung.“ „Es ist sein Geld...“ Chris beruhigte sich langsam, der Themenwechsel schien ihm gut zu tun, selbst wenn es immer noch um Dave ging. „Nicht mehr.“ „Aber er hat es mir vererbt, ich will mit dieser Ratte nichts mehr zu tun haben.“ „Sieh es mal so: Er hat uns Beiden soviel angetan, dass dies unsere Revanche sein könnte. Deine Revanche. Es gibt soviel, wovon du immer geträumt hast und mit diesem Geld kannst du dir all deine Wünsche erfüllen.“ „Meinst du wirklich....?“ Jason nickte nur und küsste Chris eine Träne von der Wange. „Aber wenn du es nicht willst, dann ist das auch in Ordnung.“ „Lass mich darüber nachdenken, ja?“ „Natürlich.“ Chris lächelte und zog erneut die Nase hoch. „Tu mir einen Gefallen, ja?“ “Jeden.“ „Lass uns hochgehen und nimm mich in den Arm. Halt mich einfach nur fest... ich will mich so fühlen wie damals im Februar... vor ihm...“ Jason sagte nicht dazu, er hob ihn einfach hoch und trug seinen Engel in den ersten Stock. „Wie fühlst du dich jetzt?“ Jeremy zog Davids Wohnungstür hinter sich zu, es tat gut, wieder in der vertrauten Wohnung des Anwalts zu sein. „Als hätte ich mein Todesurteil unterzeichnet...“ David ging direkt in die Küche, füllte ein Glas Wasser am Spülbecken und schluckte damit eine Schmerztablette herunter. „Nimmst du nicht allmählich zu viele davon?“ „Ich fühle mich wirklich mies, mein Rücken bringt mich um... die Formulierung ist echt passend.“ „David...“ „Diese Tabletten helfen mir, Jeremy. Ich habe die letzten Wochen nur damit überstanden.“ „Da liegt auch eine Schachtel neben deiner Hausbar...“ Jeremy hatte es schon am Vorabend bemerkt. „Du nimmst die doch nicht etwa mit Alkohol zusammen, oder?“ „Nein... nur einmal.“ „David! Damit kannst du dich umbringen!“ Der Blonde lächelte ihn an, doch seine Stimme duldete keinen Widerspruch. „Lass es bitte gut sein, das war nur ein Ausrutscher, mehr nicht. Diese Dinger helfen mir wirklich.“ „Übertreib es nur nicht, versprich mir das, ja?“ „Versprochen.“ David stellte das Glas weg und kehrte ins Wohnzimmer zurück, dabei zog er den Pullover über den Kopf und feuerte ihn in die Ecke. „Eine Stripshow?“ Jeremy blieb in der Tür stehen. „Um das eben aufzugreifen, du hast nicht dein Todesurteil unterzeichnet, sondern es zerrissen. Ist dir das klar?“ Der Blonde ließ sich mit einem übertriebenen Stöhnen auf die Couch fallen und legte sich lang hin. „Ich bin mir da nicht so sicher...“ Jeremy ging zu ihm hinüber und schwang sein Bein über ihn, um sich auf seine Hüften zu setzen und ihm über die nackte Brust zu kraulen. „Sei nicht so ein Pessimist.“ „Optimismus ist im Moment nicht meine starke Seite...“ Jeremys Hüften bewegten sich in einem steten aber subtilen Rhythmus gegen das Becken seines Freundes. „Wie könnte man dich ablenken?“ „Ich weiß nicht...“ David keuchte leise auf und legte eine Hand in die wilden roten Haare. „Aber deine Idee geht in die richtige Richtung...“ „Wie wäre es, wenn wir mit Jason und Chris etwas unternehmen. Vielleicht mal wieder ins Mighty oder ins Barn Boys... heute Abend...“ „Du denkst jetzt an... Jason...?“, grinste David. „Na ja, eigentlich nicht mehr... im Moment denke ich nur an deinen prallen, großen...“ Er biss sich auf die Lippe, seine Hüften wurden schneller. „So, so...“ Davids Hand machte sich an Jeremys Reißverschluss zu schaffen. „Wann soll ich Jason anrufen?“ Jeremy sank hinab und küsste ihn, lang und leidenschaftlich. „Wer ist eigentlich Jason...?“, lachte David leise und legte die andere Hand um den Hinterkopf des jungen Mannes. Jason löste sich langsam von Chris, der fest eingeschlafen war. Unten klingelte das Telefon. Ganz vorsichtig stand er auf und verließ das Zimmer mit einem letzten Blick auf seinen schlafenden Freund. Er sah so friedlich aus, ganz wie immer. Ein paar blonde Strähnen hingen in sein weiches Gesicht, die langen Wimpern zuckten leicht, er träumte wohl. Hoffentlich waren es schöne Träume und nicht Erinnerungen an dieses Monster. Bevor der Anrufer es sich vielleicht anders überlegte, eilte er nach unten, Batman jaulte leicht, aber Jason brachte den Rüden mit einer Knuddeleinheit schnell wieder zur Ruhe. Nicolai war mal wieder mit Gary und Anna unterwegs. Jason gefiel es, dass sich der Russe so mit seinem Bruder anfreundete und sich so auch beschäftigte, ihn plagte immer noch trotz aller Aussprache ein schlechtes Gewissen. Endlich schnappte er sich das Telefon. „Cunningham.“ „Du hast dich ja lange bitten lassen.“ „David?“ „Wer sonst?“ Der Blonde lehnte sich auf der Couch zurück und strich sich über den nackten Bauch, da klebte noch was. Jason fühlte sich weniger wohl, er schloss die Augen. „David, hör zu... ich...“ “Danke.“ Für einen Augenblick gaffte Jason das Telefon etwas verstört an. „Wie meinen?“ „Danke, dass du dein Versprechen gebrochen hast...“ „Kein Zeter und Mordio? Keine Flüche? Kein Kinnhaken an der Haustür?“ „Jeremy ist eben unter der Dusche.“ „Er ist bei dir?“ Jason lächelte. „Das freut mich...“ „Mich auch.“ David streckte sich. „Hör zu, Sunshine... habt ihr beide Lust, heute Abend mit mir und Jeremy was zu unternehmen? Mighty oder vielleicht das Barn Boys?“ „Partylaune?“ „Ich lasse mich operieren, Sunshine.“ Einen Moment herrschte Stille in der Leitung. „So...“ „Für uns... Jeremy und mich... und dich... Chris... Jeremy hat mir klar gemacht, was ich habe...“ „Keiner von uns würde dich missen wollen, das ist dir hoffentlich klar?“ „Ich weiß...“ „Wann?“ Jason wusste nicht so recht, was er sagen sollte. „Nächste Woche... der früheste Termin, der möglich war, Doktor Pierce kann es kaum erwarten, mich aufzuschneiden.“ „Hast du Angst?“ David schien eine Weile zu überlegen. Er schaute zur Badezimmertür, hinter der man die Dusche hören konnte. „Ich habe eine Scheißangst, Sunshine...“ „Weiß Jeremy über alles Bescheid?“ Jasons Stimme klang verständnisvoll, er wusste, dass es David schrecklich peinlich war, Angst einzugestehen, deswegen sagte er nichts mehr dazu. „Weiß er... er war mit bei Pierce.“ „Er ist ein toller Kerl.“ „Sag mir was Neues...“ „Du schienst das vergessen zu haben.“ „Ich weiß...“ „David, fühlst du dich auch so merkwürdig bei diesem Dialog?“ „Sind wir so weit gekommen?“ David lachte leise. „Ich hatte so ein schlechtes Gewissen wegen meines Versprechens an dich.“ „Lass es gut sein...“ „Ich will nicht, dass du mir nicht mehr vertraust.“ David schüttelte den Kopf, auch wenn Jason das natürlich nicht sehen konnte. „Es war richtig, das weiß ich jetzt. Ich habe Mist gebaut und trage jetzt die Konsequenzen. Das Risiko der OP ist noch viel höher als vorher...“ Jason sagte nichts, er schloss die Augen und seufzte. „Chris und ich gehen gern mit, um acht, okay?“ „Danke für den Themenwechsel, Sunshine.“ „Gern geschehen...“ Er lächelte. „Ich habe mich übrigens vorhin beinahe selbst gegrillt...“ „Bitte?!“ „Ich habe aus Versehen die Fassung einer Glühbirne berührt und das Licht war an...“ „Bist du wahnsinnig?!“ David setzte sich ein wenig auf. „Chris hat das Gleiche gesagt, er war fix und alle.... David?“ „Hm?“ „Er hat sein Gedächtnis wieder.“ „Was?!“ David saß ruckartig aufrecht. „Ist was passiert?!“ Jeremy stand mit einem Handtuch um die Hüften im Türrahmen des Bades. David winkte ab, bemerkte aber den säuerlichen Gesichtsausdruck seines Freundes. „Chris hat sein Gedächtnis wieder.“ „Ist Jeremy da?“, fragte Jason aus der Leitung und bekam es von David bestätigt. „Mein Gott! Das ist ja toll!“ Jeremy eilte herüber und ließ sich neben dem Anwalt nieder. „Grüß ihn, Jason!“, rief er Richtung Hörer. „Geht es ihm gut?“ David knuffte ihn in die Seite. „Brüll mir nicht so ins Ohr!“ Er drückte einen Knopf. „Ich stelle dich auf Lautsprecher, Sunshine.“ „Es geht ihm den Umständen entsprechend. Er ist verstört. Mit einem Mal ist alles wieder da, auch die Sachen, die Dave mit ihm gemacht hat. Ich wusste nicht einmal die Hälfte... Chris muss wie ein Tier gelitten haben... er hat ihn eine Nacht in einem Keller voller Wasser eingesperrt, ich habe dieses Loch gesehen... und er hat es nicht ausgesprochen, aber er hat ihn ja auch vergewaltigt...“ „Oh, Gott...“ Jeremy war blass geworden. „Bist du sicher, dass du damit fertig wirst? Wenn er davon ein Trauma zurück behalten hat, dann wird das nicht leicht, Sunshine. Vielleicht sollte er sich helfen lassen, wegen des Geldes muss er sich ja keine Sorgen mehr machen.“ „Er weiß ja noch nicht einmal, ob er es annimmt.“ „Ist er bescheuert?!“ Jeremy schlug die Hand vor den Mund. „Oh... sorry, ich... entschuldige, Jason...“ Davids mahnender Blick ruhte auf ihm, so dass sich der Rothaarige dazu verpflichtet fühlte, ihm die Zunge rauszustrecken. „Na ja, es ist eben das Geld von Dave Jerrod... der Mann hat zwei Menschen das Leben gekostet und das von Chris, David und mir beinahe ruiniert.“ „Aber genau darum sollte er das Geld annehmen! Einen besseren Ausgleich gibt es nicht!“ „Jeremy, du klingst eben ganz schön materialistisch, das Geld geht an Chris, nicht an dich!“, lachte David. „Ich meine ja nur!“ „Er hat Recht, ich habe Chris ungefähr das Selbe gesagt... er könnte sich seine Träume erfüllen und noch viel mehr... wir haben mal darüber gesprochen, dass es gut wäre, wenn es hier in San Francisco eine Einrichtung geben würde, die sich um die Strichjungen kümmert... das sind alles so Sachen, für die ein großes Kapitel benötigt wird, von Wünschen wie seinem eigenen Restaurant ganz zu schweigen.“ „Also denkst du, er nimmt es an?“ „Ich hoffe es zumindest.“ Chris öffnete langsam die Augen. Er war allein. Jason musste aufgestanden sein, die Wärme fehlte ihm fast schmerzlich. Seine Träume waren wirr gewesen. Ratten, dunkle Wälder, finstere Kisten, dann wieder Jasons Arme, seine freundlichen Augen. Er wälzte sich aus dem Bett. Draußen war es hell, er konnte nicht lange geschlafen haben. Er ging gemächlich ins Badezimmer, um sich etwas Wasser ins Gesicht zu werfen. Die kalten Spritzer brannten regelrecht auf der Haut, taten aber auch gut. Chris richtete sich auf und schaute in den Spiegel. Seine Augen weiteten sich, er fing an zu schreien. In der Dusche stand Dave und lächelte ihn an. Als Chris’ Schreie durchs Haus gellten, ließ Jason fast das Telefon fallen. „Scheiße!“, rief er. „Jason, was...?“, fragte David über den Hörer. „Heute Abend um acht, wir kommen zu euch!“ Jason legte auf. Er rannte so schnell wie noch nie in seinem Leben die Treppe nach oben, drei Stufen auf einmal nehmend. Als er ins Schlafzimmer kam, lag Chris auf dem Bett, er schlug um sich und schrie nach Leibeskräften. „Chris!“ Jason eilte zu ihm, versuche ihn zu fassen zu kriegen. Er kassierte mehrere Schläge, einer sogar mitten ins Gesicht. „Chris! Wach auf!“ Der Blonde schlug die Augen auf. Als er Jason erkannte, warf er sich in seine Arme, klammerte sich an ihn. „Jason! Er ist da! Dave! Dave ist im Bad! Er ist da!“ „Nein...“ Jason strich ihm Strähnen aus dem Gesicht, redete beruhigend auf ihn ein. „Nein, er ist nicht da.“ “Doch! Sieh nach! Er ist wieder hier!“ Sein Freund war regelrecht panisch. „Chris!“ Jason hielt ihn fest. „Hör mir zu, hör mir gut zu. Dave ist nicht da. Dave ist tot, Chris. Er lebt nicht mehr. Ich habe ihn selbst umgebracht. Ich habe ihm in die Lunge geschossen. Er ist tot, vor meinen Augen gestorben.“ Einen Augenblick starrte Chris ihn nur an, dann sank er zusammen und fing an zu weinen. „Ganz ruhig, es war nur ein Albtraum. Alles ist gut.“ „Jason... ich...“ „Schon gut...“ Jason wiegte ihn sanft in seinen Armen, wie ein kleines Kind nach einem schrecklichen Traum. „Jason, ich bin so fertig...“ „Ich weiß, mein Engel, ich weiß...“ „Ich will nicht Angst haben müssen, ihn jedes mal zu sehen, wenn ich meine Augen schließe...“ „Das wird vorbei gehen...“ „Kannst du mir das versprechen?“ Jason sagte nichts mehr, er hielt ihn nur fest. Konnte er das versprechen? Konnte man so ein Trauma jemals komplett verarbeiten? Es gab nur eines, was er seinem völlig aufgelösten Freund sagen konnte. „Ich verspreche es dir...“ „Mir reicht es jetzt!“ Ash fegte einen Kaffeebecher vom Tisch, der klirrend an der Wand zerschellte, überall spritzte die braune Automatenbrühe herum. „Detective!“ „Nein! Ich will endlich, dass etwas unternommen wird!“ „Alle Streifenpolizisten der Umgebung haben seine Beschreibung.“ „Streifenpolizisten? Ist das alles?!“ „Detective Tallman, das hier ist kein Fall von Toppriorität.“ „Kein... ich drehe Ihnen gleich den Hals um!“ Ash schlug mit den Händen auf den Tisch. „Er ist irgendwo da draußen! Er könnte sterben!“ „Da sagen Sie mir nichts Neues!“ „Was machst du hier für ein Geschrei, Tallman?“ Ash wirbelte herum. Rodriguez lehnte im Türrahmen. „Auf dich kann ich gerade überhaupt nicht!“ „Das merke ich. Du machst dem Erbe der Schwuchtel ja alle Ehre! Normalerweise hat doch Cunningham hier immer rumgekreischt!“ Er lachte. „Hat er dich schon angeschwult?“ „Noch ein Wort, Rodriguez, und ich prügele dich unangespitzt in den Boden.“ „Wie schlagfertig von dir!“ „Verzieh dich, du Arschloch.“ „Worum geht es diesmal? Ist Cunninghams Tucke wieder weg gelaufen? Oder hat sich Cunningham einen Fingernagel eingerissen?“ Er grinste. „Oder hat man deinen kleinen Säufer immer noch nicht gefunden?“ Ashs geballte Faust sank herab. „Was?“ „Ach komm, Tallman, es ist kein Geheimnis, nach wem du suchen lässt. Die Jungs fragen sich schon, wer die Schnapsdrossel wohl ist. Du hast so lange mit Jason zusammen gearbeitet, wahrscheinlich hast du dich auch in eine Tucke verwandelt. Aber einen Säufer? Kriegst du nichts besseres vor die Flinte?“ Er konnte nicht mehr weiter sprechen. Ash stürzte sich auf ihn. Seine Faust krachte in das Gesicht des Polizisten und streckte ihn nieder. Er prügelte wie ein Irrer auf Rodriguez ein, bis ihn zwei Kollegen von dem Mann herunter zerrten und wegschleppten. „Auf die neuen und die alten Zeiten!“ Jason hob sein Glas. „Hört, hört!“ David tat es ihm nach, Chris und Jeremy folgten. Sie saßen an einem kleinen Tisch im Mighty, etwas abseits der Tanzfläche, sozusagen in der Chill out Zone. Bequeme kleine Couchgarnituren, niedrige Tische, die Getränke wurden von Kellnern gebracht. Im Moment war im Club noch nicht viel los, die meisten Gäste fanden sich erst nach zweiundzwanzig Uhr hier ein. „Wir haben uns noch gar nicht richtig unterhalten können, wie geht es dir, Chris?“ Jeremy beugte sich zu dem Blonden hinüber und lächelte ihn an. „Ganz gut... es ist schön wieder hier zu sein.“ Der Rothaarige nickte, er wusste nicht so genau, wie er darauf jetzt reagieren sollte. Er kam aber auch nicht in die Verlegenheit, denn plötzlich stürmte ein junger Mann zum Tisch. „Jem!“ Der Tänzer schaute auf. „Danny!“ Er sprang auf. „Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?“ „Seit ich hier aufgehört habe!“ Er klopfte ihm lachend auf die Schulter. „Na ja, letztens habe ich dich von einer Plakatwand grinsen sehen, du hast es weit gebracht!“ Die anderen drei Männer schauten etwas verdutzt zwischen den Beiden hin und her. „Oh!“ Jeremy schlug sich an die Stirn. „Verzeiht. Danny, das sind Jason, Chris...“ Er lächelte. „Und David. Mein Freund.“ Sein Gesicht strahlte vor Freude. „Das ist Danny Williams, wir waren Kollegen... natürlich.“ „Freut mich.“ Der junge Mann verbeugte sich leicht. Er blickte David an. „Sie sind Jeremys Freund?“ „Das trifft zu.“ David erhob sich. Er überragte sowohl den Tänzer als auch seinen ehemaligen Kollegen um einiges. „Ich wusste, dass du mal den großen Wurf machst!“, grinste Danny. Er gab David die Hand, bevor er sich wieder dem Rothaarigen zuwandte. „Kann ich dich kurz entführen? Die Anderen wollen dir sicher hallo sagen.“ „Geht das klar?“ „Hau schon ab.“ David beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die Lippen. „Bin gleich wieder da!“ Jeremy eilte mit seinem Ex-Kollegen weg. Als David sich umdrehte, war das Grinsen von Jason so breit und frech wie schon lange nicht mehr. Seine Augen blitzten seinen besten Freund an und er schien sich blendend zu amüsieren. „Ist was?“ „Nein!“ Er kicherte. „Sunshine! Was ist?“ Jason schlug sich aufs Knie. „Ich finde das nur so amüsant! Du, Mr. Ich-brauche-keine-Beziehung, bist eben vor stolz fast geplatzt, als Jeremy dich als seinen Freund vorgestellt hat! Du hättest dein Gesicht sehen sollen!“ „Du redest Unsinn!“ „Tut er nicht...“, nuschelte Chris über den Rand seines Glases hinweg. „Bitte?“ „Er redet keinen Unsinn!“ Jasons Freund lehnte sich zurück. „Du bist vor Stolz schier geplatzt.“ „Ich hasse euch!“ David ließ sich wieder auf die Couch fallen und legte den Kopf in den Nacken. „Lasst mich doch einfach in Frieden.“ Allerdings lächelte er. „War er wenigstens auch stolz?“ „War er.“ Jason legte ihm die Hand auf den Arm. „Er war total glücklich.“ „Und das bleibt gefälligst auch so.“ Chris grinste, doch innerlich war ihm gar nicht wohl zumute. Er wusste von Jason wie es um David stand und war sich nicht klar, wie er darauf genau reagieren sollte. Einen Moment herrschte Stille am Tisch, nur die Musik dudelte vor sich hin. „Ihr müsst nicht so tun, als wäre nichts. Ich weiß, dass nächste Woche alles vorbei sein kann und ihr mich dann nur noch am Bett besuchen könnt.“ „Sag so etwas nicht!“ „Es ist aber so, Chris.“ David sah ihm tief in die blauen Augen. „Und du weißt das auch. Es ist so. Und ich komme schon damit klar.“ Jason schaute zu seinem Freund und nickte nur. Ihm war klar, dass es nichts brachte, hier jetzt die Pferde scheu zu machen. David war ein Meister im Verdrängen und er wollte sich dann auch nicht davon abbringen lassen. Er würde jetzt nicht weiter auf dieses Thema eingehen. Jasons Telefon klingelte. Er hielt sich das linke Ohr zu und das Telefon ans rechte. „Cunningham... Ash! Wo bist du?... Was?... Ja, schon gut. Ich komme...“ „Was ist denn los?“, fragte Chris, als Jason wieder auflegte. „Ash wartet draußen, er muss was besprechen. Er weiß von Gary, dass wir hier sind.“ „Muss ich mit?“ Chris’ Blick wirkte unsicher. „Nein, ich bin gleich wieder da.“ Ein flüchtiger Kuss und Jason verschwand aus dem Club. „Okay. Was war das?“ David beugte sich vor. „Was meinst du?“ „Deine Augen? Du hattest eben total Angst. Warum?“ „Entgeht dir eigentlich nichts?“ „Chris...“ Der Texaner seufzte. „Ich bin mit Ash aneinander geraten und zwar heftig. Jason musste dazwischen gehen. Er hatte sich auf mich gestürzt und mich bedroht.“ „Bitte?!“ „Schon okay... er ist eben etwas aufgeregt, wegen Sly.“ „Ich kriege gar nichts mehr mit, oder? Worum geht es hier? Ich will Informationen!“ „Das war noch vor... bevor mein Gedächtnis wieder da war. Ich war doch mit Sly auf dem Ball und da sind Jason und ich... na ja. Er hat uns beim Küssen gesehen. Seitdem ist Sly verschwunden, spurlos. Und Ash hat Angst, dass er wieder angefangen hat zu trinken.“ „Hier geht wirklich alles drunter und drüber...“ „Ja.“ Chris seufzte, er schaute ständig zur Tür. Jason sollte endlich wiederkommen, er fühlte sich seit der Rückkehr seiner Erinnerung schrecklich beklommen, wenn sein Freund nicht in der Nähe war. David milderte das Gefühl, aber nicht so wie es Jason konnte. Ash lehnte vor dem Club an seinem Wagen als Jason hinaus kam. Er hatte eine Zigarette im Mundwinkel. „Seit wann rauchst du?“ „Ich habe wieder angefangen.“ „Was gibt es denn? Hast du Sly gefunden?“ Der Blonde schnippte die Kippe auf den Boden und trat sie aus. „Ich brauche dich.“ „Jetzt rück endlich raus.“ Ash strich sich Haare aus der Stirn, er sah völlig übermüdet aus. „Ich habe...“ Er holte tief Luft. „Hast du ein blaues Auge?“ Erst jetzt konnte Jason das blühende Veilchen in Ashs Gesicht sehen. „Meinungsverschiedenheit mit Rodriguez. Unwichtig. Ich bin für einige Zeit vom Dienst suspendiert, aber es gibt in diesem Drecksladen auch noch ein paar Leute, die ihren Dienst tun.“ Er schaute Jason an. „Ich muss nach Marine County rüber... ins Leichenschauhaus.“ Der Brünette wurde bleich. „Sie wissen nicht... der Mann dort... es könnte Sly sein. Und er... ich soll hinkommen, ihn identifizieren.“ „Ash...“ Der Blonde sah auf, in seinen Augen standen Tränen. Jason hatte ihn noch nie so gesehen. „Ich... ich kann das... nicht...“ Er vergrub das Gesicht in den Händen, schob sich die wirren Haare immer wieder aus der Stirn. „Jason, ich weiß... ich weiß, dass ich wegen Chris... ich habe Mist gebaut... aber ich... ich...“ Der sonst so starke Mann schien nicht mehr einen Hauch Kraft zu haben. „Ich brauche dich... hilf mir... ich stehe das nicht allein durch...“ Jason war sofort bei ihm, seine Hand legte sich auf seine Schulter. „Ich bin da. Ehrensache. Gib mir deine Schlüssel, ich fahre. Ich sage nur eben drinnen Bescheid...“ Er lächelte. „Und ich bringe dir einen Schnaps mit.“ Ash zog ihn an sich, umarmte ihn. „Danke...“, flüsterte er über Jasons Schulter hinweg. „Danke...“ Als Jason den Club wieder verlassen hatte, herrschte am Tisch der übrigen Drei, Jeremy war zurück, betretenes Schweigen. Jeremy kaute auf einem Fingernagel, David starrte in seinen Drink, einen alkoholfreien wegen seiner Tabletten. Und Chris schaute ins Nichts. Er war bleich und vermisste seinen Freund jetzt schon schmerzlich. Seine Hände zitterten, der Inhalt seines Glases schwappte leicht. „Chris...?“ David sah ihn an. Er hatte sich als Erster wieder einigermaßen gefasst. Ihm fiel auf, wie blass er war. Chris reagierte nicht. „Chris? Hallo?“ „Hm?“ Der Blonde zuckte zusammen, als wäre er aus einem Traum erwacht. „Was ist mit dir? Du siehst aus wie der wandelnde Tod.“ „Es ist alles okay...“ „Meinte du, dass das wirklich Sly sein könnte?“, mischte sich Jeremy ein. Er ließ den Nagel in Ruhe, die Stylisten würden ihn sonst noch umbringen, selbst seine Nägel mussten so perfekt wie möglich sein. „Sag so etwas nicht...“ David lehnte sich zu ihm und legte ihm den Arm um die Schulter. „Er ist es nicht.“ „Es ist meine Schuld...“ Zwei Augenpaare wandten sich ihm zu. „Was?“ David zog die Brauen zusammen. „Es ist meine Schuld... er ist vielleicht tot... wegen mir...“ „Was redest du da?!“ „Versteht ihr das nicht?!“ Der Blonde wurde plötzlich laut, seine Stimme schwoll über vor Verzweiflung und Angst. „Es ist meine Schuld! Ich bin mit ihm ausgegangen und ich habe Jason ausgerechnet an diesem Abend wieder küssen müssen! Wie dumm war das?! Wenn Sly sich jetzt wirklich zu Tode getrunken hat, dann habe ich ihn auf dem Gewissen!“ „Chris...“ „Es ist so! Oder willst du mir etwas anderes sagen?! Sly ist in mich verliebt! Ich hätte das selbst ohne Gedächtnis merken müssen! Es ist so offensichtlich! Und ich habe es ignoriert! Aus Wut auf Jason, aus Angst vor meinen Gefühlen! Ich habe ihn egoistisch ins offene Messer laufen lassen!“ „Du hast das nicht gewollt!“, ging Jeremy dazwischen. „Aber ich habe es getan!“, brüllte Chris so laut, dass sich einige Gäste umdrehten. Der Texaner brach in Tränen aus. „Nicht doch!“ David sprang auf und eilte zu ihm, Jeremy tat das Gleiche. Sie nahmen den blonden Mann in ihre Mitte, der Anwalt zog ihn in seinen Arm und lehnte das weinende Gesicht an seine Brust, sein Freund strich Chris über die Schulter. „Du bist nicht daran schuld.“ „Das bin ich... wenn er tot ist... ich bin es...“ „Wir wissen doch noch gar nicht, ob er es wirklich ist...“ Chris drückte sich hoch und schaute David direkt ins Gesicht. „Und was, wenn er es ist? Was ist dann, David?“ Weder der Angesprochene, noch Jeremy wussten eine Antwort. Die langen weißen Gänge schienen kein Ende zu nehmen. Die Schritte der beiden Männer hallten dumpf von den Wänden wider. Eine Lampe flackerte auf dem Weg Richtung Pathologie. „Ich...“ Ash blieb stehen. Er war weiß wie die Wand und schwankte, musste sich abstützen. „Ich kann das nicht... es geht nicht...“ Jason blieb ebenfalls stehen und sah ihn an. „Ich bin bei dir.“ „Was tue ich... wenn er es ist...?“ „Geh doch erst einmal davon aus, dass er es nicht ist.“ „Was tue ich, wenn er es ist?!“, brüllte Ash. „Was ist dann?! Ich hätte auf ihn aufpassen müssen!“ „Reiß dich zusammen, Ashton!“, gab Jason ebenso laut zurück. „Ich stehe das nicht durch.“ „Doch, das tust du! Hörst du mich?!“ Der Brünette kam zu ihm, umfasste die Wangen seines ehemaligen Kollegen. „Hörst du mich, Ashton? Du stehst das durch, Ashton!“ Er wiederholte absichtlich immer wieder den vollen Namen des Mannes. „Verstanden? Ashton, antworte!“ „Ja...“ „Wir sind zu zweit hier, du bist nicht allein. Du. Bist. Nicht. Allein!“ „Er ist doch mein Ein und Alles...“ „Das weiß ich...“ „Meine letzten Worte mit ihm könnten ein Streit gewesen sein.“ „Jetzt reiß dich endlich zusammen! Wenn du jetzt nicht aufhörst, knall ich dir eine, aber frag nicht wie!“ „Jason...“ „Das war ein Versprechen!“ „Gentlemen?“ Ein Mann mit einem weißen Kittel kam den Gang hinab. „Würden Sie sich bitte ein wenig mäßigen?“ Jason ließ Ash los, sah ihm aber weiter tief in die Augen. „Okay?“ Der Blonde nicht langsam. „Okay... okay.“ „Dann komm.“ Jason tat das Einzige, was er in diesem Moment für das Richtige hielt. Er nahm Ashton bei der Hand, ähnlich wie es Jeremy für David getan hatte. Nur wirkte das Bild hier weitaus grotesker, führte hier doch ein augenscheinlich harter Kerl den anderen. Der Mann im Kittel sagte nichts dazu, er lotste die Beiden in einen Raum mit einer Wand voller kleiner Metallschränke. Jasons Magen krampfte sich zusammen, hinter jeder dieser kleinen unscheinbaren Türen aus mattem Edelstahl lag vermutlich eine Leiche auf ihrer Bahre, in Erwartung einer Autopsie oder dem Weg zu ihrer letzten Ruhestätte. Vor der Nummer 05 blieb der Mann stehen und sah die Beiden an. „Sind Sie bereit?“ Jason schaute zu Ash, der noch bleicher war, seine Lippen zitterten. Die Hand des blonden Mannes krampfte sich um die seines Ex-Kollegen. „Ja...“, flüsterte er fast tonlos. Der Mann im Kittel nickte und öffnete das Fach, zog eine mit einem Tuch bedeckte Leiche hervor. Der Druck auf Jasons Hand erhöhte sich noch mehr, Jasons Herzschlag beschleunigte sich, aber Ash ging es schlimmer. Sie hatten beide Besucherpässe an ihren Shirts über der linken Brust, Ashs Herz schlug scheinbar so heftig, dass man leichte Bewegungen des Ausweises sehen konnte. Der Mann klappte die Decke zurück und entblößte das Gesicht des Toten. David und Jeremy hatten Chris nach Hause gebracht, ähnlich wie damals nach der Party, auf der Chris diesen Mist gebaut hatte. Doch diesmal ohne Zetern und Geschrei. David brachte ihn ins Bett, er half ihm sogar sich umzuziehen, Jasons Freund war vollkommen fertig. Als er unter der Decke lag, löschte David die Lampe und ging zur Tür. „Versuch ein wenig zu schlafen.“ Chris schaute sich um. Die Dunkelheit schien aus allen Ecken des Zimmers zu kriechen, sich um ihn zu ballen. Seine Hände verkrampften sich in die Decke. Plötzlich fühlte er sich wieder wie in dem Sarg, seine Atmung beschleunigte sich. David hatte die Tür noch nicht einmal erreicht, als Chris so heftig hochfuhr und mit der Hand nach dem Schalter seiner Nachttischlampe schlug, dass der Anwalt zusammenzuckte. „Herrgott, Chris!“ Er drehte sich um. „Was ist denn jetzt los?“ Der Angesprochene sah ihn an. Er war blass. „Ich... ich würde gern... das Licht anlassen...“ „Warum?“ „Lass mich einfach, ja?!“ Es war ihm peinlich, er hatte noch nie Angst im Dunkeln gehabt. „Danke...“, meinte er schon viel ruhiger. „Danke fürs Heimbringen.“ David nickte. „Wir sind unten und warten auf Jason, okay? Wenn etwas ist, ruf oder komm runter.“ „Danke...“ Chris sank in die Kissen zurück. Er schloss die Augen und drehte sich zur Seite. David senkte den Blick und ging, er zog die Tür nicht ganz zu, ließ sie wie bei einem Kind einen Spalt auf. Im Wohnzimmer wartete Jeremy. Gary war mit Nicolai unterwegs, die Tochter der Nachbarn hatte auf Anna aufgepasst, die schon tief und fest schlief, David hatte sie aus eigener Tasche bezahlt und nach Hause geschickt. „Wie geht es ihm?“ David seufzte. „Da stimmt mehr nicht, als es scheint...“ „Wie meinst du das?“ „Er will nicht im Dunkeln schlafen. Ich glaube, Chris’ Traumata gehen tiefer als Jason und er sich eingestehen wollen.“ „Wunderbar...“ Der Rothaarige rieb sich mit den Fingerkuppen über die Schläfen, er hatte leichte Kopfschmerzen. „Das darf doch alles langsam nicht mehr wahr sein...“ „Ist es aber leider...“ „Meinst du, dass sie das durchstehen?“ Sein Freund setzte sich neben ihn. „Daran habe ich keine Zweifel, nicht den leisesten. Du hast Jason erlebt, du hast gesehen, wie er wie ein Löwe um seinen Chris gekämpft hat. Er hat alles aufgegeben, seinen Job, sein bisheriges Leben, er hat alles ertragen. Meinst du, dass er sich jetzt von so etwas abhalten lässt?“ „Nein, eigentlich nicht.“ „Siehst du, er wird auch diesmal...“ Plötzlich raste beißender Schmerz durch Davids Rücken, sämtliches Gefühl wich aus seinem rechten Arm. Er hatte ihn auf Jeremys Schulter gelegt, doch nun glitt er einfach herunter. Davids Gesicht verzerrte sich. „Schatz?!“, rief Jeremy alarmiert. „Scheiße...“ Der Blonde presste seine Hand auf den Arm. „Nicht schon wieder...“ Ihm brach der Schweiß aus. „Scheiße!“ „Was kann ich tun?“ „Meine Jacke... Innentasche... bring mir eine Tablette!“, presste David zwischen seinen Zähnen hervor. „David...“ „Jeremy!“, Der Blonde brüllte ihn regelrecht an. „Ich habe heute nichts getrunken! Ich bin vollkommen nüchtern! Gib mir die verdammte Tablette! Gib. Sie. Mir! Los!“ Sein Freund zuckte zurück und sprang auf, er rannte regelrecht in den Flur und zerrte die Tabletten aus der Jackentasche. Sein nächster Weg führte in die Küche, wobei er beinahe über Batman fiel, der neugierig zwischen seinen Beinen herumwuselte. Mit einem Glas Wasser in der Hand kehrte er zu David zurück, hielt ihm die Tablette hin, die der Blonde direkt mit dem Mund annahm, bevor er Jeremy das Glas entriss und gierig stürzte. Danach sank er gegen die Rückenlehne und legte den Kopf in den Nacken. „David...“ „Gib mir einen Moment... bitte... sei einfach nur still.“ Jeremy sank neben der Couch auf den Boden und legte den Kopf ans Knie seines Freundes. Er sagte nichts mehr, sondern hörte nur dem abgehakten Atem Davids zu, der sich langsam wieder beruhigte. Die Tabletten waren echte Hämmer, sie wirkten schnell. Allmählich ließen die Schmerzen nach. „Ich habe... jedes Mal Angst... dass das nicht wieder weg geht... dass die Taubheit bleibt...“ Das unangenehme Kribbeln im Arm zeigte David, dass das Gefühl auf dem Rückweg war. „Wieder besser?“ „Ja... Danke...“ „Nächste Woche ist das alles vorbei.“ Jeremy lächelte ihn ermutigend an. „Das ist wohl so...“ David schaute nicht zu ihm herunter. Er war sich da nämlich nicht so sicher. Absolut nicht. Vielleicht fing der Albtraum dann erst an. Ash starrte die Leiche an, das bereite etwas eingefallene Gesicht, die bleichen Wangen, die geschlossenen Augen. Seine Hand lockerte den Griff um Jasons ein bisschen. „Nein... das ist er nicht...“ Er brach fast zusammen, so schwach wurden seine Beine plötzlich. Ihm war schwindelig. „Okay.“ Der Mann mit dem Kittel deckte die Leiche wieder zu und schloss das Fach. „Vielen Dank, Gentlemen.“ „Schon okay.“ Jason wollte keine Sekunde länger in dieser Gruft bleiben. Er zog Ash einfach mit sich. „Er ist es nicht, umso besser...“, meinte er, während sie den Flur entlang gingen. „Das heißt aber, er ist noch irgendwo da draußen!“ „Ist dir das nicht lieber, als ihn dort im Kühlschrank zu finden?“ „Ja...“ Ash beschleunigte seine Schritte, um mit Jason mitzuhalten. „Ich muss Zuhause anrufen. Chris macht sich sicher Sorgen. Und David und Jeremy auch.“ „Ist gut.“ „Und du setzt dich ins Auto und beruhigst dich ein wenig.“ Sie verließen das Gebäude und Jason bugsierte seinen ehemaligen Kollegen in dessen Wagen. Dann nahm er sein Handy und meldete sich daheim. Er bekam Jeremy an den Apparat, der versprach, Chris sofort alles zu erzählen. Jason legte auf und sah erst jetzt, dass Ashton sein eigenes Handy in der Hand hatte und aufgeregt darauf einredete. Er öffnete die Tür und stieg ein, natürlich auf der Fahrerseite. Ashton legte eben auf. „Was ist los?“ Der Blonde schaute ihn an. „San Francisco Memorial... sie haben einen Mann eingeliefert bekommen, der auf Slys Beschreibung passt. Er ist schlimm dran. Ich muss da hin.“ „Wir sind so gut wie auf dem Weg.“ Jason ließ den Motor an. Wieder durch die Flure des Krankenhauses zu wandern, war ein beklemmendes Gefühl. Jason hasste diese Flure. Er verachtete jeden Winkel, die hellen Wände, den Geruch nach Desinfektionsmittel. Natürlich wurden hier Menschenleben gerettet, jeden Tag, aber ebenso viele wurden verloren. Und er war zu oft hier. Jedes Mal ging es um das Leben eines seiner Freunde, jedes Mal drohte ihm ein kaum zu verkraftender Verlust. Ash schien es nicht anders zu gehen, aber bei ihm war es wohl die Angst um Sly, die ihn schier wahnsinnig machte. Sie wurden von einer Schwester zu einer abgelegenen Station im Westflügel des Hauses geführt. „Entgiftung“ stand an der Tür. Auf dem Flur kam ihnen eine Ärztin entgegen. Sie wirkte freundlich, aufgrund ihres mittleren Alters und des beachtlichen Körperumfangs fast mütterlich. „Detective Tallman?“ „Ja.“ Ash nickte schwach. „Das ist Jason Cunningham.“ Die Ärztin begrüßte auch den anderen Mann. „Folgen Sie mir bitte.“ Sie wurden zu einem Fenster gebracht, durch das man auf einen Raum mit sechs Betten sehen konnte. „Dies ist die Entgiftungsstation, würden Sie sich bitte den Mann im ersten Bett auf der linken Seite ansehen?“ Ash trat ans Fenster und blickte hindurch. Nur kurz, dann kehrte sein Blick zu Jason zurück. „Ja... er ist es...“ Jason kam zu ihm und warf einen Blick hindurch. Sly lag auf einem der Betten, er war fixiert und rollte ständig mit dem Kopf hin und her. Seine Stirn war klatschnass, die Haare klebten am Gesicht. Immer wieder zerrte er an seinen Fesseln. „Oh, mein Gott...“ Das Gesicht der Ärztin zeigte ehrliche Betroffenheit. „Es sieht im Moment nicht gut aus. Er hätte es fast geschafft, sich zu Tode zu trinken. Mr. McGrey ist bereits im Zustand des Delirium Tremens, das ist eine kritische Phase.“ „Ist er ansprechbar?“ „Ja, aber...“ „Dann kann ich zu ihm?!“ Ash war bereits nahe der Tür. „Detective...“ „Ich muss zu ihm!“ „Hör ihr doch erst einmal zu.“, mahnte Jason. Er legte die Hand auf Ashs Arm. „Aber ich...“ „Er ist doch da. Alles wird gut.“ Ash ließ sich von Jason zurückhalten, er lehnte sich an die Wand neben der Tür. „Was heißt das genau? Was ist mit ihm passiert?“ Die Ärztin senkte ein wenig den Blick. „Ihr Freund hat es geschafft, in kurzer Zeit eine derartige Menge Alkohol zu konsumieren, dass sein Körper es kaum noch abbauen kann. Jeder weitere Schluck könnte sogar seinen Tod bedeuten. Außerdem...“ Sie schaute auf. „Detective Tallman, es fällt mir schwer, das zu sagen, aber ihr Freund wurde offenbar mehrfach sexuell missbraucht. Er hat immer noch Blutungen im Analbereich, wir haben es nach Kräften behandelt, aber er lässt kaum jemanden lange genug an sich heran.“ „Wer war das?!“ „Ash, woher soll sie das wissen?“ Jason war nicht weniger bestürzt als sein ehemaliger Partner, aber er schaffte es, die Fassung zu behalten. „Ich will zu ihm! Lassen Sie mich zu ihm!“ Die Ärztin nickte. „Aber nicht lange.“ Sie öffnete die Tür ein Stück. Schreie und Gezeter hallten heraus. Ash trat ein, gefolgt von Jason, der aber mit der Ärztin an der Tür stehen blieb. Ash ging langsam ans Bett. Slys Anblick zerriss ihm das Herz. „Hallo, mein Schatz...“ Slys Kopf rollte in seine Richtung, die Augen wirkten fast wahnsinnig, leuchteten aber, als sie Ash fixierten. „Ashton...“ „Ja, ich bin da, mein Schatz. Alles wird wieder gut.“ „Die tun mir hier weh, Ash... die tun mir weh...“, lallte der Braunhaarige. „Nein...“ Ash strich ihm über das nasse Gesicht. „Nein, die wollen dir helfen. Es wird alles gut, du wirst wieder gesund.“ „Die tun mir weh... die tun mir weh...“, wiederholte Sly immer wieder, dann wurde er plötzlich ruhiger und schaute geradezu flehend zu Ash. „Hast du was zu trinken?“ Der Blonde erstarrte, er wusste einen Moment nicht, was er sagen sollte. „Nein...“, flüsterte er schließlich. „Nein, mein Schatz. Und das willst du auch gar nicht.“ „Doch... doch!“ Sly wurde lauter. „Ich will was trinken!“ „Sly...“ „Gib mir was!“, fauchte der angebundene Mann. „Gib mir was zu trinken!“ „Nein, das geht nicht, Sly, das...“ Der Braunhaarige spuckte ihn an, er hatte nicht genug Kraft um das Gesicht zu treffen, der Speichel tropfte am Hemd seines Freundes herab. „Du Schwein! Gib mir was zu trinken!“ Ash wich angesichts des Geschreis zurück. „Gib mir was zu trinken! Gib mir was!“ „Ich kann nicht, Sly, das würde dich töten!“ „Ich hasse dich!“, brüllte sein Exfreund. „Ich hasse dich! Ich hasse dich!“ Er zerrte wie ein Irrer an seinen Fesseln. „Ich hasse dich! Ich hasse dich!“ Die Ärztin eilte herbei und zog Ash weg. „Gehen Sie! Los doch!“ Ash starrte sie an, als hätte sie ihm eben die Existenz von Außerirdischen bestätigt, doch er wich weiter zurück, bis er gegen Jason stieß, der näher gekommen war, um ihm zu helfen. „Komm...“ Ash ließ sich aus dem Raum führen, er floh regelrecht vor den wütenden Flüchen Slys, der immer wieder brüllte, wie sehr er Ash doch hasse. Zwei Tage später wurde Brandon zu Grabe getragen. Die Sonne schien auf den Friedhof hinab, ein sanfter Wind wehte in den Bäumen. Um das Grab herum standen neben der Familie des Toten und Colin und Marcus auch noch das komplette Football Team und ein paar Schulkameraden. Colin stand nah bei Marcus, immer wieder suchten seine Finger den Kontakt zur Hand seines Freundes. Sie hatten sich wieder vertragen, ein richtiger Streit war es sowieso nicht gewesen. Er empfand die Anwesenheit der Football Spieler als eine Beleidigung an Brandon. Keiner dieser Säcke hatte sich um Brandon gekümmert, keinen hatte es interessiert, was den Schwulen bewegte, welche Probleme er hatte. Aber jetzt kamen sie angerannt, standen reglos an seinem Grab und heuchelten Mitgefühl. Ihm selbst liefen immer wieder Tränen über die Wangen. Marcus stand neben ihm und starrte das Grab an, während sich der Sarg langsam senkte. Manchmal machte er sich Gedanken darüber, wie lange es wohl noch gedauert hätte, bis er in so einem Sarg gelegen hätte, wäre er nicht auf Chris und Jason gestoßen. Er bekam eine Gänsehaut, aber nicht weil er seinen eigenen Tod vor Augen sah, sondern weil er sich beobachtet fühlte. Langsam schaute er sich um und blieb schließlich an einer Gruppe ehemaliger Mitschüler von Colin hängen, die trotz seiner Aufmerksamkeit unverblümt zu ihnen hinüber sahen. „Colin...?“ Der Schwarzhaarige blickte ihn fragend an. „Die Typen dahinten starren uns so an.“ Colin sah sich um. „Das sind Leute aus Brandons alter Clique, die Supersportler der Schule.“ „Warum gucken die so?“ „Vielleicht weil wir Händchen halten?“ „Sind die gefährlich? „Unsinn...“ Colin wandte sich wieder dem Grab zu. „Ich möchte jetzt nicht reden, ja?“ „Klar...“ Marcus senkte den Blick, doch er spürte immer noch die Augen der ehemaligen Mitschüler. Er gab sich Mühe, nicht noch einmal hinzuschauen, aber auf seinem Rücken bildeten sich Schweißtropfen. Da stimmte doch was nicht. „Ich gehe schon!“, rief Chris in die Wohnung. Es hatte geklingelt. Er eilte zur Tür und öffnete sie schwungvoll, allerdings erstarrte er im nächsten Moment. „Ash... hi...“ „Hallo, Chris.“ Jasons Freund senkte den Blick, ihm wurde unwohl. „Komm... komm doch rein...“ Ash öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Er wusste nicht so genau, was er nun zu seinem blonden Gegenüber sagen sollte. Wortlos ging er an ihm vorbei. „Kann ich dir was anbie...“ Chris zuckte zusammen. In Ashs Hosenbund steckte eine Waffe. „Was... hast du damit vor?“ „Ist Jason da?“ „Ja, das bin ich.“ Der Braunhaarige kam die Treppe hinunter. „Wie geht es Sly.“ „Immer noch kritisch, aber er ist auf dem Weg der Besserung, denke ich... die Ärzte denken zumindest positiv.“ „Das ist gut.“ „Braucht ihr mich?“ Chris hatte schweigend zugehört, er schaute die ganze Zeit Jason an, vermied jeden Blick auf Ash. „Ich muss noch...“ Ihm fiel nichts ein. „Geh ruhig.“ Chris nickte seinem Freund zu und stieg die Treppe hinauf. „Er hat...“ “Er hat Angst vor dir.“ „Nur zu verständlich, so wie ich mich aufgeführt habe.“ „Das würde ich auch sagen.“ Jason deutete aufs Wohnzimmer. „Setzen wir uns? Mach dir nicht zu viele Gedanken wegen Chris, wir sind im Moment alle etwas durch den Wind und dieser Tag war nicht unbedingt leicht, ich habe auch viel gesagt, was ich nicht so meinte.“ Ash machte ein zustimmendes Geräusch bevor er ins Wohnzimmer ging und sich auf der Couch niederließ. „Was kann ich für dich tun?“ „Ich will nur... etwas mit dir klären... für alle Fälle.“ „Was zum Teufel redest du da?“ „Jason, ich werde den Typen finden, der Sly vergewaltigt hat.“ Der Angesprochene schwieg, seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Spinnst du?“ „Der wird damit nicht durchkommen!“ „Was willst du denn tun? Ihn jagen und dann?“ Ash sah ihm in die Augen. „Das ist meine Sache...“ „Ash, ich hab die Waffe gesehen.“ Jason lehnte sich zurück. „Verkauf mich nicht für dumm. Was soll diese Einsamer-Rächer-Nummer? Du bist suspendiert, das ist die Arbeit der Jungs vom Department.“ „Die kriegen doch ihren Arsch nicht hoch!“ „Ash, du bist kein Sheriff! Ich werde nicht zulassen, dass du los gehst und versuchst, Lynchjustiz zu begehen. Wahrscheinlich findest du die Kerle eh nicht.“ „Das sehen wir ja dann.“ „Nein, das werden wir nicht sehen. Ash, Sly braucht dich, was nützt du ihm, wenn du in den Knast wanderst?“ „Das werde ich nicht.“ Jason seufzte übertrieben laut. „Hör zu. Chris hat Kaffee gemacht, wir setzen uns hin und reden über alles.“ Ash schnaubte eine Zustimmung und verschränkte die Arme über dem Kopf. „Bin gleich wieder da.“ Sein Ex-Partner stand auf. Er ging in die Küche und holte zwei Tassen aus dem Schrank, um Kaffee einzugießen. Mit der dampfenden Flüssigkeit in den Gefäßen kehrte er ins Wohnzimmer zurück. Und fand den Raum leer vor. „Ash?“ Er stellte die Tassen ab und schaute in den Wintergarten. „Ash?“ „Er ist gegangen.“ Chris stand im Türrahmen zum Flur. „Scheiße!“ Sein Freund stürmte an ihm vorbei in Richtung Haustür. „Bleib hier!“ Jason verharrte in der Bewegung, die Hand schon an der Klinke. Der Unterton von Chris’ Stimme hatte ihn abgehalten. „Was?“ Der blonde Mann stand immer noch mit dem Rücken zu ihm. „Bleib bitte hier... bitte.“ „Chris, ich muss ihn aufhalten!“ „Das musst du nicht...“ Er drehte sich um. „Ich flehe dich an, geh nicht.“ „Er baut Mist!“ „Dann lass ihn!“ „Das kann ich nicht!“ „Doch, du kannst! Du kannst!“ Chris schlug gegen den Türrahmen. „Du bist nicht für ihn verantwortlich!“ „Er ist mein Freund!“, beharrte Jason. „Das rechtfertig nicht alles! Ich bin mit dir zusammen, das zählt mehr!“ „Worauf willst du hinaus?“ „Er bringt dich in Schwierigkeiten, das weiß ich. Bitte geh nicht... tu mir das nicht an... dieser Mann ist...“ „Chris, wegen dem was er getan hat, er...“ „Genau davon rede ich!“, unterbrach ihn sein Freund, „Ich habe in seine Augen gesehen, als er mich angegriffen hat! Dieser Mann ist gefährlich!“ „Du redest von Ash. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dich zu retten!“ „Das weiß ich! Aber im Moment ist er unberechenbar! Sein Ausbruch hat das gezeigt! Und wenn du ihm jetzt hinterjagst... ich habe Angst um dich.“ Jason fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Er sah hilflos zwischen Chris und der Tür hin und her. „Bitte, Jason, bitte...“ Ihm kamen die Tränen. „Ist ja gut... ich bleibe. Ist gut.“ Jason entschied sich für seinen Freund. Er kam zu Chris hinüber und nahm ihn in den Arm, drückte ihn an sich. Der Blonde klammerte sich an ihn. „Danke...“, flüsterte er immer wieder. „Danke...“ Marcus und Colin waren auf dem Heimweg von der Beerdigung. Sie waren mit dem Bus zum Friedhof gefahren, weil Colins Wagen in der Werkstatt war. Da das Wetter schön war, hatten sie sich nun entschieden, zu Fuß nach Hause zu gehen. „Geht es dir etwas besser?“ Colin nickte etwas fahrig. „Ja... danke.“ „Es war eine schöne Beerdigung...“ Marcus zuckte ob dieser mehr als hohlen Worte beinahe selbst zusammen, was redete er denn da? „Ja... das war es...“ Und Colin stimmte auch noch zu. Marcus lächelte leicht, so musste er sich wenigstens keine Sorgen machen, dass ihm sein Freund diesen mehr als blöden Spruch vorhielt. Er hörte offenbar sowieso so gut wie nicht zu. „Wollen wir noch irgendwo etwas trinken gehen?“ „Können wir...“ „Hey, Col!“ Die beiden Jungen sahen sich um. Am Zugang zu einer Seitengasse stand ein Junge in Colins Alter, dunkelblond und kräftig. Er war auch auf der Beerdigung gewesen, Marcus erkannte ihn. „Vince, was machst du denn hier?“ „Können wir reden?“ Der Blonde lächelte. Etwas daran gefiel Marcus nicht. „Nur kurz.“ „Vince, ich bin müde, wir verschieben das.“ „Bitte, es ist wichtig, wirklich.“ Der Schwarzhaarige seufzte. „Also gut.“ „Colin, können wir nicht...?“ Marcus hielt seine Hand fest. Er hatte ein schreckliches Gefühl. „Schon okay, Marcus.“ Der Blonde lenkte ein und folgte seinem Freund. Sie näherten sich Colins ehemaligem Schulkollegen. „Also, Vince?“ „Lass uns ein Stück gehen, ja?“ Er drehte sich einfach um. Marcus konnte es nicht fassen. Colin ging ihm tatsächlich hinterher. Warum konnten sie nicht hier reden? War er hier der Einzige mit halbwegs gesundem Menschenverstand? Gerade er... Trotzdem konnte er Colin nicht allein lassen, er lief ihm nach. Ein ganzes Stück in die Gasse hinein blieb Vince stehen. „So. Da wären wir.“ „Und? Was ist nun?“ Plötzlich hörte Marcus Schritte hinter sich. Er wirbelte herum. Hinter einem Müllcontainer kamen drei weitere Jungen hervor, allesamt auch von der Beerdigung. Und auf der Seite von Vince ebenfalls noch einmal zwei. „Was geht hier vor?“ „Das möchtest du gern wissen, Schwuchtel, was?“ Vince war mit einem Mal wie ausgewechselt. Marcus beobachtete die Szene voller Entsetzen, er schrie auf als sich plötzlich zwei kräftige Hände um seine Oberarme legten und ihn nach hinten rissen. „Marcus!“ Colin stürmte zu ihm, doch er rannte direkt in eine Faust, die ihn zu Boden schleuderte. Seinem blonden Freund entwich ein neuer Aufschrei, als Colin hinstürzte. „Was soll das?! Lasst uns in Ruhe!“ „Klappe, Loverboy!“, zischte der, der ihn festhielt. Die Anderen umringten Colin. Der Schwarzhaarige hockte am Boden, seine Lippe blutete. Er wollte eben aufstehen, als er einen Tritt bekam, der ihn gleich wieder niederstreckte. „Was wollt ihr von uns? Lasst sofort Marcus in Ruhe!“ „Halt die Schnauze, du Schwuchtel!“, schrie ihn Vince an. „Du solltest deine Schwanz lutschende Fresse halten, wenn du nachher noch Zähne im Maul haben willst!“ „Lasst ihn in Ruhe!“ Einer der Jungen ging zu Marcus hinüber und schlug ihm ins Gesicht. Der Kopf des Blonden flog zur Seite. „Er hat doch nichts damit zu tun!“ Colin wollte nicht, doch seine Stimme wurde flehend. „Ihr wollt doch mich, oder nicht? Lasst ihn laufen!“ „Das hättest du gern!“ Vince zerrte ihn hoch. „Er ist meine Versicherung, dass du nicht zurückschlägst.“ „Warum tut ihr das?“ „Brandon war unser Freund.“ Vince rammte Colin die Faust ins Gesicht und ließ ihn wieder fallen, ein anderer Junge setzte einen Tritt nach. „Ach ja... war er das?“ Colin krümmte sich, doch er schaute stur auf. „Wusste einer von euch, was mit ihm los war?!“ „Aber du, nicht wahr?!“ Einer der Jungs wollte zutreten, doch Vince hob die Hand. „Du hast ihn gekannt, was, Schwuchtel? Du hast ihn doch erst so weit gebracht, sich umzubringen! Weil du ihm eingeredet hast, so eine widerliche Tucke wie du zu sein!“ „Wir haben uns geliebt, du Arschloch!“, brüllte Colin, „Wir waren ein Paar! Unter euren Augen! So gut habt ihr ihn gekannt! Keiner von euch kannte den wahren Brandon! Nur ich!“ „Du miese kleine Tunte!“ Vince gab den Startschuss. Er trat nach Colin, ein anderer tat es ihm nach. „Colin! Colin!“ Marcus zerrte an dem Griff seines Bewachers und schrie sich die Lunge aus dem Leib, während die anderen Fünf auf seinen Freund einschlugen und traten. Er fing an zu weinen, flehte um Gnade, doch nichts nützte. Endlich ließen sie von Colin ab, der Schwarzhaarige lag gekrümmt am Boden, blutete aus Nase und Mund. „Lass dir das eine Lehre sein, Tunte!“ Vince spuckte ihn an. Er winkte Marcus’ Bewacher und dieser schubste den Jungen wuchtig hin. Dann verzogen sie sich. Marcus hob den Kopf, er hatte sich beim Sturz die Hände und Arme aufgeschürft. „Colin! Colin!“ Wankend kam er auf die Beine, fiel vor Angst fast wieder hin, als er zu Colin lief und neben ihm auf die Knie sank. „Colin!“ Der Schwarzhaarige stöhnte und hustete, dabei spuckte er Blut. Marcus zog seinen Kopf auf seinen Schoss und strich ihm durchs Haar, er war fix und fertig. Zitterte am ganzen Körper. Eigentlich müsste er den Notruf wählen, aber als er sein Handy aus der Tasche riss, wusste er nur eine Nummer. „Gary?! Ich bin’s, ich brauche deine Hilfe!“, rief er in den Hörer, als endlich abgenommen wurde. David riss seine Jacke vom Haken und warf sie sich über, noch auf dem Weg zur Tür stopfte er Autoschlüssel und Brieftasche in seine Hose. So etwas war ihm noch nie passiert! Er hatte sich nur kurz hingelegt und dann prompt verschlafen. Ausgerechnet er. Die Tabletten schienen seinen Körper stärker zu beanspruchen als er gedacht hatte. Er hatte Jeremy versprochen, bei seinem Fotoshooting zuzusehen und nun war er schon viel zu spät dran. Eilig riss er die Tür auf und blieb dann doch stehen. Alexander hatte eben die Hand zum Klopfen erhoben. Er glotze etwas blöd und ließ sie dann wieder sinken. „Was willst du denn hier?“ „Mit dir reden, was sonst?“ „Hör zu, Alex,“ stöhnte David, „ich habe es eilig und auch eigentlich keine Lust mit dir zu sprechen.“ Er drängte sich an ihm vorbei und zog die Tür zu, „Du bist aber unhöflich!“, lachte der Schwarzhaarige und lief unbeirrt hinter David her, der den Aufzug ansteuerte. „Wo sind bloß meine Manieren? Ich muss sie irgendwo liegen gelassen haben in der Eile.“ David hämmerte auf den Aufzugsknopf. „Mach dir nicht die Mühe zu suchen, du hattest noch nie welche.“ David sah ihn kurz an, unterbrach aber den Schlagabtausch. Der Aufzug kam einfach nicht, also stieß er die Tür zum Treppenhaus auf, drehte aber gleich wieder um. Ein Schild wies auf frisch gewachste Stufen hin, wenn er sich nicht gerade den Hals brechen wollte, war das hier keine gute Idee. „Du bist ja schlimmer als ein aufgescheuchtes Huhn!“ Alex grinste frech. Davids Blick irrte den Flur hinab, der Aufzug war immer noch nicht da. Kurz entschlossen drehte er um und ging durch die Tür zu separat gelegenen Feuertreppe, Alex immer an seinen Fersen. „Ist das erlaubt?“ David hatte schon die ersten paar Stufen der jeweils siebenstufigen Metalltreppen genommen, blieb aber nun entnervt stehen. „Was geht es dich an?“ Der Blonde fuhr sich durch die Haare, sein Rücken schmerzte schon wieder. „Was willst du, Alexander?“ „Habe ich doch schon gesagt: Mit dir reden!“ „Dann rede! Aber schnell!“ Er stieg weiter die Treppen hinab. „Sei doch nicht so unfair!“ „Unfair? Ich?“ David legte sich die Hand an die Brust, um die Frage zu unterstreichen. „Das ich nach allem noch mit dir rede, ist der Gipfel der Fairness!“ „Ich weiß, ich habe Mist gebaut, aber ich will mich ändern.“ David machte ein abfälliges Geräusch. „Ich will doch nur eine Chance!“ „Von mir?“ „Ja!“ Alex hielt ihn am Arm fest. „Jeremy hat mir vergeben und gibt mir die Möglichkeit. Ich will doch nur mit ihm befreundet sein.“ David schaute wütend die Hand an, so dass Alex ihn losließ. „Du willst sein Freund sein... und was willst du dann von mir?“ „Ich möchte dich nur bitten, mir keine Steine in den Weg zu legen. Das ist alles.“ Der Blonde verschränkte die Arme und sah Alex durchdringend an. „Ich will das jetzt mal klarstellen: Ich mag dich nicht, Alexander, ich habe dich noch nie gemocht und ich werde dich auch niemals mögen. Du hast mir Blut gespendet, aber ich gehe jede Wette ein, nur aus purem Eigennutz!“ Alex wollte etwas sagen, doch David schnitt ihm das Wort ab. „Ich traue dir nicht von hier bis zu meiner Nasenspitze, du wirst dich nicht ändern. Wenn Jeremy mit dir befreundet sein will, ist das seine Sache, aber eines sage ich dir: Ich behalte dich im Auge. Wenn du auch nur versuchst, unsere Beziehung zu bombardieren oder Jeremy in Schwierigkeiten bringst, mache ich dir dein Leben zur Hölle!“ Alex sah ihn nur an. „Klare Worte.“ „Und ich hoffe, sie sind auch angekommen!“ David ließ ihn stehen, sein Rücken pochte immer heftiger und er wollte sich nicht länger mit dem Anderen befassen. Er lief weiter die Treppen hinunter, das hatte ihn schon genug Zeit gekostet. „Lass mich gefälligst nicht wie einen dummen Jungen stehen!“, rief Alex. „Verschwinde endlich!“, fauchte David zurück. Plötzlich zuckte er zusammen. Ein Schmerz, schlimmer als je zuvor, raste durch seinen Rücken. Bevor er reagieren konnte, gaben seine Beine nach, das war noch nie passiert, nicht beide. David wollte nach dem Treppengeländer greifen, aber seine Arme versagten den Dienst. Er bekam nicht einmal einen Schrei heraus, er stürzte polternd die eben begonnene Treppe hinab und blieb am Absatz liegen. Seine Hand war unnatürlich verdreht, an seinem Hinterkopf perlten rötliche Tropfen durch die Gitter des Absatzes und fielen in die Tiefe. Alex stand eine Treppe höher und schaute entsetzt hinunter. David konnte sich nicht rühren, sein Körper schien ihm nicht mehr zu gehören. Er konnte keinen Muskel bewegen, nur seine Augen fixierten sich voller Panik auf Alex. „Na gut...“, meinte der Schwarzhaarige, „Wie du willst, ich verschwinde dann mal.“ Er drehte sich um und stieg die Treppe zum nächsten Ausgang empor. Noch bevor sie ins Schloss fiel, verlor David das Bewusstsein. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Yeah! *lol* Endlich habe ich es mal wieder geschafft ^^ Innerhalb von vier Tagen ein komplettes Kapitel, knapp 20 Seiten. ^^ So leicht ging es schon lange nicht mehr und während ich diese Zeilen schreibe, liegen neben mir schon sechs handschriftliche Seiten des nächsten Kapitels ^^ So etwas nennt man wohl ein Krea-hoch. *lach* Vielleicht sind es auch eure wunderbaren Kommentare, die mich stets ermutigen und antreiben, die Geschichten der Jungs niederzuschreiben und mir auch zusätzlich zu denen, die ich im Kopf habe, noch neue einfallen zu lassen. *schleim* ^^ Dieses Kapitel hätte fast keinen Cliffhanger gehabt, aber in Kooperation mit Alaska *abknuddel* fand sich dann doch einer. Dafür entfallen für das nächste Kapitel geplante Szenen zwischen David und Jeremy, aber es ergeben sich neue, wesentlich spannendere Möglichkeiten. ^^ Im Moment kochen die Ereignisse ziemlich hoch, aber keine Angst, diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. Im Moment denke ich, dass es so um die 50 Kapitel werden könnten, keiner der Jungs ist am Ende seines Weges angekommen. Alex hat seit langem mal wieder einen Auftritt, der ist dafür eine Bombe, die ihm sicher sehr viel Sympathie einbringen wird. *lach* So, das war’s, wir lesen uns sicher bald wieder ^^ Liebe Grüße und Knuddels!!! ^^ Euer Uly ^^ Kapitel 38: I love you... (Part 4 of 4) --------------------------------------- Alex stürmte durch den Flur zum Aufzug. Sollte dieser dämliche Sack doch krepieren! Der Schwarzhaarige war stinksauer. Warum genau konnte er nicht sagen. Vielleicht weil David, trotz seiner blonden Haare, sofort durchschaute hatte, was wirklich los war. Dieser Kerl war nicht so blauäugig wie Jeremy. Er war ein echter Gegner. Und deshalb war es so sicher viel besser. Gefahr erkannt – Gefahr gebannt! Mit einem „Ping“ öffnete sich die Aufzugtür. Alex setzte einen Fuß hinein und blieb dann wieder stehen. Er schaute zum Zugang der Feuertreppe. Vielleicht starb David eben elendig. Er hatte sich den Kopf angeschlagen, da war Blut gewesen. Unschlüssig schaute Alex zwischen Tür und Aufzug hin und her. David hatte das für seine beschissene Arroganz verdient! Es geschah ihm recht! Aber dennoch... Wenn der Anwalt drauf ging und man fand heraus, dass er hier gewesen war – und er hatte bestimmt genügend Beweise hinterlassen – dann war er dran. Unterlassene Hilfeleistung. „Ach Scheiße!“ Alex riss sein Handy aus der Tasche und wählte den Notruf. Er nannte die Adresse, das Stockwerk und die Art des Unfalls, dann rannte er zu David zurück und kniete sich neben ihn. Der Blonde hatte die Augen geschlossen, atmete flach. „Lass das, Dramaqueen!“, knurrte Alex, „Kämpf wie ein Mann und zieh gefälligst nicht so eine Show ab! Natürlich antwortete David nicht. Alex griff wieder zum Handy. „Jeremy! Schatzi!“ China McLean stürmte aus der Maske in den Raum, in dem das Fotoshooting stattfand. China war eine beeindruckende Erscheinung, über 1,90 m groß, farbig. Das lange lockige Haar wehte, als sie sich mit wogendem Busen näherte, auffällig geschickt trotz Highheels an den Lackstiefeln und einem knallengen Minirock. Auf ihren üppigen Busen war China mächtig stolz und im Moment sparte sie darauf, sich ‚das Würstchen abschnippeln zu lassen’, wie sie es selbst nannte. China hieß eigentlich Andy, aber sie war tödlich beleidigt, wenn man sie so ansprach. „China, bitte! Wir arbeiten!“, motzte der Fotograf. „Ach, Schatzi, mach dich doch nicht so wichtig!“, lachte China, „Du willst doch nur unseren leckeren Jungen ganz für dich haben!“ Jeremy lächelte ob des Kompliments. Er stand mit offenem Hemd und einer kniehohen engen Jeans in einer Kulisse eines modernen spartanisch eingerichteten Wohnzimmers, schwarze Möbel, weiße Wände, nur das Nötigste an Dekoration. Um seinen Hals und seine Handgelenke lagen eine Vielzahl an silbernen Ketten und Armbändern. „Jeremy, Schatzi, bei dir muss man als Frau echt aufpassen!“ China leckte ihren Zeigefinger ab und hielt ihn sich mit einem zischenden Geräusch an die Hüfte. „Besonders weil so eine Erektion im Minirock verdammt peinlich sein kann! Und unbequem!“, knurrte der Fotograf. „Was meinst du, wie unbequem erst der Absatz von meinem Stiefel in deinem rosa Knackarsch ist?!“ Die Maskenbildnerin, auf das –in legte sie Wert, stemmte ihre mit langen künstlichen Nägeln gezierten Hände in die Hüften. „China, worum geht es?“, mischte sich Jeremy ein. „Hach, Schatzi, das hätte ich fast vergessen!“ Sie wedelte mit Jeremys Handy. „Dein Telefon klingelt andauernd so penetrant, such dir doch mal einen anderen Klingelton, ich kenne da eine Seite, auf der du die echt günstig herunterladen kannst! Also echt, deine Melodie ist so...“ „China!“, fielen ihr Jeremy und der Fotograf fast gleichzeitig ins Wort. „Oh... ja...“ Sie strich sich Haare aus dem Gesicht. „Also, wie ich sagte, es klingelte so penetrant, dass mir bald die Dauerwelle hochging! Da bin ich mal dran gegangen.“ Ein kurzes Kichern, „Da war so ein Typ mit sexy Stimme dran, der meinte, du sollest ihn dringend anrufen.“ „Hat er seinen Namen genannt? David Vanderveer vielleicht?“ „Nein... nein, das war er nicht.“ Die Fingernägel kraulten über das Kinn, „Es war etwas mit A... Arthur... Armin... nein...“ “Alexander?“, half Jeremy auf die Sprünge. „Ja!“ China strahlte, „Ja! Genau das war es! Klang irrsinnig aufregend der Typ! Da kann ein Mädchen wie ich glatt schwach werden.“ „China.“ „Ich meine, die Typen lecken sich sowieso die Finger nach einer Sahneschnitte wie mir, aber sie...“ „Sie hören sofort auf damit, wenn die merken, dass die Sahneschnitte auch noch eine Zuckerstange zu bieten hat.“ „Ich gebe dir gleich Zuckerstange!“, motzte die Visagistin „China!“ „Ja doch, Schätzchen! Was denn?!“ „Mein Handy...“ Jeremy streckte ihm die Hand entgegen. „Bitte.“ „Ach so, na klar, Schätzchen.“ Sie reichte es ihm rüber, begleitet von einem Hinweis des Fotografen, dass Jeremy sich beeilen solle. Der Rotschopf wählte die Nummer seines Exfreundes und wartete auf das Freizeichen, er beobachtete dabei China, wie sie nun den Fotografen quer durchs Studio jagte, weil der schon wieder einen Kommentar über ihre Zuckerstange gemacht zu haben schien. „Alex. Du hast angerufen?“ „Verdammt, endlich gehst du ran!... Arschloch!“ „Wie meinen?!“ Jeremy starrte den Hörer an. „Nicht du! Das Arschloch, das mich eben geschnitten hat!“ „Alex, man soll nicht beim Autofahren telefonieren.“ „Behalt deine Ratschläge für dich und komm zum Krankenhaus! David ist eine Treppe runter gestürzt!“ „Was?!“ „Komm einfach!“ Alexander legte auf. Jeremy sah sein Handy an, er stand einfach nur da. Langsam glitt das Telefon aus seiner Hand und fiel auf den Boden. China blieb erschrocken stehen. „Schätzchen...?“ Der Rothaarige lächelte nur etwas abwesend. „Ja... ich... ja... ich muss ins Krankenhaus...“ Er trat zur Seite und fiel fast über den Sessel neben sich. „Ich muss ins Krankenhaus...mein Freund hatte einen Unfall... ich muss... ja, ich ... geh dann mal...“ „Du spinnst wohl!“ Die Visagistin lief zu ihm. „Ich fahre dich! Los,“, Sie zeigte auf den Fotografen, „gib mir deine Autoschlüssel!“ „Ist alles okay mit dir? Willst du wirklich nicht zum Arzt?“ Gary stand mit Marcus neben Colins Bett, sie hatten den Jungen zum Glück nach oben bekommen, ohne dass dessen Eltern etwas bemerkt hatten. Über kurz oder lang würden sie aber sicher dennoch von den Verletzungen erfahren. „Ja, danke. Ich brauche keinen Arzt“ Colin lag auf dem Rücken und starrte zur Decke. Seine Lippe war dick geschwollen, das Gesicht färbte sich bereits teilweise, morgen würde es wohl blau sein. Auch seine Seiten taten weh, überall spannte die Haut. „Kann ich noch was für dich tun?“ „Nein, schon gut. Kannst ruhig gehen.“ Marcus schaute seinen Freund etwas verdutzt an. Was war das denn gewesen, der Unterton war geradezu unhöflich. Und noch viel schlimmer: Undankbar. „Schon klar, du willst dich sicher ausruhen.“ Entweder hatte Gary es überhört oder er ignorierte es bestens. „Ich bringe dich noch raus.“ Marcus begleitete Jasons Bruder aus dem Zimmer, auf der Verbindungstreppe zum unteren Bereich blieb er jedoch stehen. „Es tut mir leid.“ „Was denn?“ Gary war schon zwei Stufen weiter und drehte sich nun um, Marcus und er waren dadurch plötzlich auf Augenhöhe. „Das er dich eben so rausgeworfen hat. Das ist nicht seine Art.“ „Ist doch egal.“ Gary legte ihm die Hand auf die Wange. „Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist. Das wäre schrecklich gewesen.“ Marcus schlug die Finger fast panisch weg, die Berührung hatte ein prickelndes Gefühl hinterlassen, dass er sich aber auf keinen Fall eingestehen wollte. „Lass das gefälligst! Wie soll das aussehen, wenn seine Mutter vorbei kommen würde!“ “Seine Schuld wenn er noch bei Mami und Papi wohnt.“ „Du wohnst bei deinem Bruder.“ „Noch. Und Jason geht mein Liebesleben nichts an.“ Gary lächelte süffisant. „Auf einmal halte ich es doch für eine gute Idee, wenn du dich verziehst, Gary.“ Der Brünette senkte den Blick. „Entschuldige, das war gemein von mir.“ „Oh, nein! Kein bisschen! Sei nicht immer so streng mit dir...“ Marcus streckte ihm die Zunge raus. „Ich bin nur sauer, du bist wegen ihm in Gefahr geraten!“ „Das ist doch Unsinn! Er konnte nichts dafür. Diese Kerle wollten ihn sich vorknöpfen, weil sie meinten, er habe Brandon eingeredet, schwul zu sein.“ „Und hat er das?“ „Mach dich nicht lächerlich bitte, ja? Dann habe ich dir auch eingeredet, dass du schwul bist.“ „Du hast mir nur gezeigt, dass es auch eine andere Art von Liebe gibt.“ „Wie poetisch, Gary, aber ich muss dich enttäuschen, auch andere Jungs haben Schwänze, ich bin nicht der einzige.“ Er stemmte die Hände in die Hüften. „Ich will aber dich.“ „Nicht schon wieder.“ Marcus atmete aus. „Meine Antwort bleibt die gleiche: Du kommst ein paar Monate zu spät.“ „Chris hat übrigens sein Gedächtnis wiedererlangt.“ Marcus glotzte Gary für einen Moment total blöd an. Der Themenwechsel war so abrupt und vor allem so unerwartet. „Wirklich?“ „Ja, es kam ganz plötzlich. Er ist wieder der alte Chris von früher.“ “Dem Himmel sei Dank, ich muss ihn unbedingt besuchen. Ich habe ihn so vermisst.“ „Er hat uns damals helfen wollen, zusammen zu kommen.“ So weit vom Thema ab waren sie also doch nicht. Marcus lächelte triumphierend. „Uns wollte er helfen, aber Colin und mich hat er aktiv zusammengebracht. Er hat gekuppelt wie ein Irrer. Komm gar nicht erst auf die Idee, ihn um Hilfe zu bitten, er würde es nicht tun.“ Gary presste die Lippen aufeinander. „Ich wollte dir nur sagen, woran du bist.“, fügte der Blonde hinzu. „Warum bist du so giftig, wir haben uns doch so gut verstanden...“ „Du hast dich verändert, Gary.“ „Das habe ich nicht.“ Jasons Bruder schaute ihm tief in die Augen. „Hast du nicht eher Angst, dass du merken könntest, wen du wirklich willst?“ Marcus’ Augen wichen seinem Blick aus, wanderten über die Schulter des Jungen zu Colins Mutter, die unten an der Treppe stand. „Gary würde gerne gehen, kannst du ihn zur Tür bringen?“ „Natürlich, Schätzchen.“, lächelte Mrs. Shephard. „Ich habe euch gar nicht heimkommen hören.“ „Colin wollte sich nach der Beerdigung etwas ausruhen, ich gehe gleich zu ihm.“ „Gut, ich störe euch nicht.“ „So war das nicht gemeint!“, lachte Marcus etwas verschämt. „Ich verstehe dich schon, mein Schatz!“ Die resolute Frau nickte nur. „Bye, Gary, danke.“ Der blonde Junge drehte sich einfach um und ging. Er wartete nicht auf eine Erwiderung von Gary, sondern betrat Colins Zimmer und schloss die Tür. Entsetzt blieb er stehen. „Warum bist du auf?!“ Colin hatte sich bis zum Schrank geschleppt und lehnte daran. „Ich wollte mal sehen, wo du bleibst...“, presste er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. „Ich habe noch mit deiner Mum geredet.“ „Nicht eher mit ihm.“ „Was soll denn dieser Unterton?“ Marcus schnaubte. „Geh wieder ins Bett, bitte.“ „Es geht schon...“ Dabei zuckte er zusammen. „Das sehe ich.“ Marcus ließ sich einfach nichts mehr erzählen, er ging zu seinem Freund, stützte ihn und führte ihn zurück zum Bett, Colin erlaubte es ihm, er hatte auch kaum eine andere Wahl. „Hat er was gesagt?“ „Was soll er gesagt haben?“, fragte Marcus verwundert. Colin drehte sich im Bett vorsichtig etwas auf die Seite. „Warum musstest du ihn anrufen?“ „Wir brauchten Hilfe.“ „Dann ruft man die Polizei! Oder Jason!“ Colin setzte sich auf. „Was meinst du, wie ich mich gefühlt habe?! Denkst du, es ist toll, vom Ex-Lover seines Freundes ins Auto getragen zu werden?!“ „Er ist nicht mein Ex-Lover!“ „Ihr hattet Sex!“ „Was wird das denn jetzt?!“ Marcus konnte nicht fassen, dass sie sich plötzlich anmotzten. „Er hat uns doch nur geholfen! Und wir hatten keinen Sex!“ „Ach, ich vergaß! Monica Lewinskis Blowjob bei Clinton war ja auch kein Sex!“ „Was soll das, Colin?!“ “Warum musstest du ihn anrufen?!“, wiederholte Colin. „Du magst ihn doch, dachte ich.“ „Da wusste ich noch nicht, dass du seinen Schw...“ „Sprich weiter und ich scheuer dir eine!“, knurrte Marcus. „Seit wann bist du so ein elender Macho?!“ Sie starrten sich kampflustig an, Colin hatte bereits den Mund geöffnet, um etwas zu erwidern, aber er schloss ihn wieder und sank nach hinten. „Tut mir leid....“ „Danke, das sollte es auch.“ Doch Marcus lächelte dabei und setzte sich an die Bettkante. „Hab ich dich damit wirklich so verletzt?“ „Meinen Stolz... ein wenig. Ich finde es schon so schlimm, dass du wegen mir in diese Situation gekommen bist und dann musste er mich auch noch tragen.“ „Er hat dazu nichts gesagt.“, log Marcus. „Er war nur froh, dass er helfen konnte.“ Seine Finger strichen sanft über eine nicht verletzte Stelle am Körper seines Freundes. „Wir sollten bald zur Polizei gehen.“ „Was sollen wir da?“ „Was ist denn das für eine Frage? Du sollst Anzeige erstatten.“ Colin schüttelte den Kopf. „Das werde ich nicht tun, das bringt auch nichts.“ „Die haben dich zusammengeschlagen!“ „Aber jetzt ist es vorbei. Die haben sich ausgetobt und damit ist Schluss. Die wollten mir eine Lektion erteilen und damit hat es sich.“ „Wie kannst du das nur sagen? Diese Typen sind gefährlich!“ „Ich kenne sie, die werden Ruhe geben.“ Colin blieb hart, offenbar wollte er sich von seinem Standpunkt nicht abbringen lassen. „Ich habe doch nur Angst um dich.“ Nun wurde der Blick des Schwarzhaarigen doch deutlich weicher. „Ich weiß das, Kätzchen, aber glaube mir, es ist vorbei, ganz sicher.“ Marcus sagte nichts mehr, er dachte sich seinen Teil dazu. Colin schien fest davon überzeugt zu sein, diese Sache durch gestanden zu haben, aber Marcus war nicht so sicher, absolut nicht. Und die Wut auf Gary war auch noch nicht verraucht. Was dachte sich dieser Blödmann eigentlich? „Platz da! Platz da! Das ist ein Notfall! Platz da!“ Eigentlich musste China das nicht einmal rufen, aber ihre schrille Stimme unterstütze ihren beeindruckenden Auftritt noch. Es war beachtlich, dass ein Mann in einem Minirock und Highheels so schnell laufen konnte, aber China legte ein geradezu unglaubliches Tempo vor. Wenn das noch nicht dafür sorgte, dass alle zur Seite wichen und hinterher starrten, so war es sicher der Anblick des attraktiven jungen Mannes, den er hinter sich herzerrte. Jeremy hatte sich ja nicht umgezogen, nur sein Hemd leidlich geschlossen... einen Knopf. Seine knappen Jeans und die klirrenden Silberketten taten das Übrige. Die wilde Jagd endete am Schalter der Station. „Schätzchen, hör zu!“, China bestürmte sofort die Krankenschwester. „Das hier ist ein Notfall! Der Schnuckel hier muss sofort zu seinem Freund!“ Die ziemlich beleibte Schwester starrte ihn entsetzt an. „Schätzchen, hören Sie schwer?“ „Worum geht es denn hier überhaupt?!“ Jeremy schob sich an China vorbei nach vorn, er hatte seinen Schock langsam überwunden, auch wenn sein Herz immer noch wie wild schlug. „Mein Freund wurde hier eingeliefert. David Vanderveer. Ich würde gern zu ihm.“ „Sind Sie...?“ „Nein, ich bin kein Familienmitglied. Ich habe Ihnen doch eben gesagt, dass ich sein Freund bin. David ist mein Lebensgefährte. Seine Familie lebt in Denver und ist vielleicht noch nicht einmal benachrichtigt worden.“ „Jetzt geben Sie sich doch mal einen Ruck, Schätzchen! Schauen Sie sich diesen armen Jungen doch mal an! Er leidet!“ „China...“ „Ist doch wahr, Schatz! Nur weil diese Planschkuh dich nicht vorbei lassen will!“ „Also hören Sie mal, Sie... Sie....“ Die Schwester lief rot an. „Sie was? Schätzchen, nur weil ich hübscher bin als Sie, müssen Sie noch lange nicht ausfallend werden!“ „Sie haben mich doch als Planschkuh bezeichnet!“, ereiferte sich die Schwester, „Und Sie sind ja nicht einmal eine Frau!“ „Also das ist doch! Ich bin mehr Frau als Sie, Sie Nilpferd!“ Jeremy ging einfach. Hinter ihm wurden die Streitigkeiten immer lauter, er hoffte nur, dass China der Schwester nicht noch die Augen auskratzte, ihre künstlichen Nägel waren gefährlich. Er fuhr sich durch die Haare, verzog schmerzhaft das Gesicht, sie waren so vom Gel verklebt, dass diese Bewegung ziemlich wehtat. Etwas konfus eilte er durch die Gänge, bis er beinahe mit Alex zusammenstieß. „Da bist du ja!“ „Wo ist David?!“ „Er wird eben in den OP gebracht.“ Jeremy antwortete nicht mehr, er rannte einfach los, obwohl er nicht einmal wusste, wo genau der Operationssaal war. Sein Herz schlug wie wild, er musste David sehen. Auf jeden Fall. Es war so ein beklemmendes Gefühl, seinen Freund in den OP zu schicken, ohne noch einmal mit ihm zu reden. Wenn er nun... er konnte den Gedanken nicht beenden. Plötzlich blieb er abrupt stehen. Er sah nur blonde Haare, eine Liege neben der eine Schwester herging. „David!“ Der Rothaarige brüllte den Namen über den ganzen Gang. „David!“ Dann rannte er hinterher. Er hatte wirklich recht gehabt, die total verdutzte Schwester schaute ihn etwas perplex an, ebenso der Krankenpfleger, der die Liege schob. „Jeremy...“ „Hi, David...“ Der Blonde sah schlecht aus, er war blass, hatte einen Verband am Kopf. Seine Augen waren etwas glasig, doch er schien noch nicht unter Narkose. „Würden Sie uns... kurz allein lassen...?“, fragte er, an die Schwester gewandt. Sie schien kurz zu überlegen, nickte dann aber. „Ein paar Minuten.“ Sie sah den Pfleger an und beide gingen ein Stück weg. „Was machst du denn für Sachen?“ Jeremy wusste nicht so genau, was er sagen sollte. Davids Anblick erschreckte ihn. „Ich bin eine Dramaqueen...“ „Das kannst du laut sagen.“ „Du stehst aber auch auf... große Auftritte, was? Nettes... Outfit...“ Sein Freund lächelte. „Ich komme direkt von einem Shooting.“ „Extra für mich...?“ „David... du wirst operiert, was denkst du denn? Das ich nicht hier sein will?“ „Ich danke dir.“ Jeremy strich ihm über den Arm. „Das mache ich doch gern.“ Er hielt inne, weil ihm etwas auffiel, etwas, was er noch nie bei David gesehen hatte. „Weinst du...?“ Der Blonde tat es tatsächlich. Tränen liefen über seine Wangen und er fasste nach Jeremys Hand, hielt sie so fest er konnte. „Ich habe Angst...“ „Ich bin hier, die ganze Zeit!“ Jeremy legte auch die andere Hand auf die von David. „Ich bin hier.“ „Und du bleibst bei mir, oder? Egal was passiert?“ „Egal was passiert.“ Jeremy lächelte warm. „Egal was passiert, ich bin bei dir.“ „Ich liebe dich.“ In diesem Moment blieb die Zeit stehen. Zumindest kam es Jeremy so vor. Alle Geräusche verstummten, es gab keine Gespräche mehr, keine Schwestern, keine Lautsprecherdurchsagen, keine Patienten oder Besucher. Nichts. Nur David und ihn. „Was?“ Er hatte es sich so lange ausgemalt, wie er wohl reagieren würde, aber er konnte in diesem Augenblick nichts anderes sagen als ein ungläubiges ‚Was?’ „Ich liebe dich.“, wiederholte David, immer noch mit Tränen in den Augen. „Ich liebe dich.“ „Du... du hast so ein mieses Timing, du Mistkerl!“ Jeremy fing auch an zu weinen. Er beugte sich hinab und küsste David, nicht überschwänglich sondern einfach nur zärtlich und voller Liebe. Und er hoffte so sehr, dass es kein Abschiedskuss war. „Ich liebe dich auch...“ „Mr. Vanderveer?“ Die Schwester trat näher. „Wir müssen...“ Jeremy entfernte sich unwillig ein Stück, doch er nahm keine Sekunde die Augen aus denen von David, ließ seine Hand nicht los. „Wir sehen uns... ich warte auf dich.“ „Danke...“ David wandte den Blick zur Schwester. „Wir können.“ Der Pfleger schob die Liege weiter und Jeremy ging noch ein Stück mit, bis er nicht mehr durfte. Langsam glitt seine Hand aus der von David, dann musste er stehen bleiben. „Komm zu mir zurück...“ Gary schloss die Wohnungstür auf und wurde überschwänglich von Batman begrüßt, darauf folgte eine gesittetere und weniger feuchte Begrüßung durch Nicolai. Der junge Russe trug ein T-Shirt von Jason, was durchaus witzig aussah, er schien darin regelrecht zu versinken. Da aber seine sowieso spärlich ausfallende Auswahl an Wäsche im Moment das Innere der Waschmaschine begutachtete, hatte er, natürlich mit Erlaubnis, auf Jasons Kleiderschrank zurückgegriffen, bei Chris traute er sich nicht zu fragen. Jasons Bruder ließ sich auf einen Stuhl am Esstisch in der Küche fallen und seufzte. „Wo ist denn die ganze Bande?“ „Jason und Chris sind auf dem Weg ins Krankenhaus. Es ist etwas mit seinem besten Freund.“ „Was schlimmes?“ Gary setzte sich etwas auf. „Ich weiß es nicht. Willst du hin?“ „Nein... eigentlich nicht. David und ich sind nicht so dicke.“ „Das klingt aber herzlos!“, lächelte Nicolai. „Sollte es nicht... ich bin nur sicher keine Hilfe im Moment. Ich hab eben Marcus’ Freund nach Hause gebracht, er ist zusammengeschlagen worden, ein paar Homo-Hasser.“ „Vor so etwas hatte ich immer Angst...“ „Es waren wohl ehemalige Schulfreunde von ihm.“ „Toll...“ Nicolai lehnte sich an die Spüle. „Geht es ihm gut?“ „Er sieht aus, wie durch die Mangel gedreht, aber sonst... ja, es geht ihm gut. Aber ich zweifle an meinem Geisteszustand.“ „Das musst du mir erklären.“ Gary drehte sich zur Seite und schaute Nicolai direkt an. „Bin ich ein Arschloch, Nico?“ „Wie kommst du denn darauf?“ „Weil ich mich so aufführe!“ Er gestikulierte etwas hilflos. „Ich habe Marcus eben erzählt, was für ein toller Kerl ich doch bin, dass mich diese Typen nicht hätten zusammenschlagen können, dass ich mich hätte wehren können. Ich hätte ihn nur noch bitten müssen, mal kurz Colins Hose runter zuziehen, damit ich ihm zeigen kann, dass mein Schwanz länger ist als der von seinem Freund.“ „Ist er das denn?“ „Ich meine, ich... was?“ Gary schaute ihn verdutzt an, Nicolai quittierte das mit hüpfenden Augenbrauen und einem anzüglichen Grinsen, er wollte den jungen Mann ablenken. „Du Blödmann!“, lachte Gary, „Was soll denn dieses Grinsen?“ „Soll ich messen, ich opfere mich gern!“ „Das denke ich mir!“ Gary sprang auf, was zur Folge hatte, dass Nicolai sich aus dem Staub machte. Jasons Bruder jagte den jungen Mann bis ins Wohnzimmer, einen freudig kläffenden Beagle Rüden ständig auf den Fersen. Endlich bekam er Nicolai zu fassen, dieser wehrte sich jedoch und sie fielen lachend auf die Couch. Ehe er es sich versah, lag Gary auf dem Russen, er lachte immer noch. Doch dann wurde ihm bewusst, wie nah er Nicolai plötzlich war, er spürte den schlanken Körper unter sich, ihre Nasenspitzen berührten sich fast. „Entschuldige!“ Er stand ruckartig auf, rückte seine Klamotten zurecht. „Schon okay...“ Nicolai strich sich Haare aus der Stirn und hoffte, dass Gary sein Herz nicht schlagen hören konnte, es klopfte im Takt eines Schnellzugs. „Du wolltest mich nur ablenken, habe ich Recht?“ „Du merkst auch alles.“ Der junge Mann erhob sich ebenfalls. „Hat es gewirkt?“ „Ich denke schon!“ Gary kicherte leise. „Wenn das einer gesehen hätte.“ „Hat ja niemand.“ Nicolai lächelte und schaute den anderen direkt an. „Du bist kein Arschloch, Gary, du bist nur verliebt und musst damit klar kommen, dass der Junge deiner Träume einen anderen hat. Das ist nicht leicht.“ „Aber ich will gar nicht so sein, das bin nicht ich!“ „Ich weiß und Marcus weiß das sicher auch. Mach dir keine Sorgen, ich wette, er hat dir schon längst verziehen.“ „Du schaffst es echt immer, mich aufzubauen.“ Nun lächelte auch Gary. „Ich bin froh, dass wir uns getroffen haben, du bist echt cool. Der beste Kumpel den ich je hatte. Was hältst du davon, wenn ich uns eine Pizza bestelle, danach rufe ich mal bei Jason an und frage nach, was los ist.“ „Mach das.“, nickte Nicolai. Gary verzog sich in den Flur, während Batman bei dem jungen Russen blieb. Nicolai setzte sich auf die Couch und hob den Rüden auf seinen Schoß. „Ja... ich bin cool und dein bester Kumpel...“, meinte er mit trauriger Stimme und kraulte den Hund langsam hinter den Ohren. „Ist das nicht toll? Ich bin sein Kumpel...“ Batman jaulte leise. Jason tigerte im Warteraum des Krankenhauses hin und her. Wie oft hatte er das nun schon getan. Dieses verfluchte Hospital. Er wünschte sich im Moment nichts sehnlicher, als niemals wieder hierher kommen zu müssen. So oft. So viele Male. Und immer musste er um das Leben eines geliebten Menschen bangen. Chris hielt Jeremy im Arm, der junge Mann starrte vor sich hin. „Er muss... er muss überleben...“ „Das wird er, Jem, das wird er.“ Jason schlug mit der Faust an die Wand, ein Ehepaar in der Ecke des Raumes zuckte zusammen. „Entschuldigen Sie...“ Er ließ die Schultern sinken. „Er liebt mich...“ Jeremy schaute zu Boden. „Er liebt mich... und das sagt er mir jetzt... ausgerechnet jetzt...“ „Er wollte, dass du es weißt. Für alle Fälle.“ „Chris!“, fuhr Jason dazwischen, „Sag so etwas nicht! Das darfst du nicht einmal denken!“ „Entschuldige, ich meine ja nur...“ „Nein! Ich will das nicht hören! Ich will nicht, dass du so etwas denkst!“, schrie ihn Jason an. Das Ehepaar erhob sich und verließ eilig den Raum. „Jason, beruhige dich.“ „Wenn ihr streiten wollt, geht gefälligst raus und lasst mich in Ruhe...“ Jeremy stand auf und ging ans Fenster. „Entschuldige.“, sagten beide gleichzeitig und sahen sich verblüfft an. Chris musste lächeln, Jason ging es nicht anders, aber dem Drang ihn in den Arm zu nehmen, unterdrückte er. Das wäre jetzt nicht fair gewesen. Dennoch machten ihm solche Momente wirklich klar, dass dieser Mann hier sein Chris war. Sein Chris, der endlich zu ihm zurückgekehrt war. Jeremy blickte aus dem Fenster auf die Stadt hinaus, er musste sich am Rahmen festhalten. Alex hatte weg gemusst und es war ihm auch recht gewesen. Er würde ihn noch fragen müssen, was er bei David gewollt hatte. Aber eigentlich musste er ihm dankbar sein. Nur wegen ihm war David gerettet worden. Oder zumindest hatte er durch ihn die Chance bekommen zu überleben. China war ebenfalls wieder weg. Sie hatte sich mit einem Pfleger angelegt, der in ihren Streit mit der Schwester hineingeplatzt war. Sie war wohl knapp an einem Hausverbot vorbei geschrammt. Hausverbot. Gab es so etwas in einem Krankenhaus überhaupt? Und warum dachte er über so etwas nach. Das war doch vollkommen irrsinnig. Er musste mit seinen Gedanken bei David sein. Bei seinem geliebten David. David liebte ihn. Er liebte ihn wirklich. „Verdammte Scheiße... David, komm zu mir zurück... bitte...“ „Hast du was gesagt?“ Chris trat hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Nein, ich rede nur mit mir selbst...“ „Du musst nicht den Starken markieren. Es ist okay...“ „Nein, ist es nicht... ich muss stark für ihn sein.“ „Jeremy...“ Jason kam ebenfalls näher, „David würde nicht wollen, dass du...“ „Woher willst du wissen, was er will?!“ Jeremy fuhr herum, „Keiner von euch weiß, was er will! Das weiß ja nicht einmal ich! Und jetzt sind wir endlich zusammen und er sagt mir, dass er mich liebt und dann verliere ich ihn! Und das nur wegen dir!“ Er zeigte auf Jason. „Nur wegen dir! Er wurde wegen dir angeschossen!“ Jeremy verlor die Kontrolle. „Nur wegen dir! Du hättest diese Kugel abkriegen sollen, nicht er! Du! Du hast ihn mir weggenommen!“ Chris’ Hand klatschte in sein Gesicht. Einen Moment herrschte Stille. Jeremy starrte Chris an, er sah aus, als wolle er jeden Moment zurückschlagen, doch dann sank er regelrecht zusammen. Er sackte gegen die Wand. „Verzeiht mir...“ „Schon okay...“ Jason klang ein wenig hohl. Er würde es nicht zugeben, aber ein wenig hatte er das Gefühl, dass Jeremy vollkommen Recht hatte. Die Kugel war für ihn bestimmt gewesen, nicht für David. Ohne ihn wäre... „Entschuldigt mich!“ Er verließ einfach den Raum. Chris bedachte Jeremy mit einem wütenden Blick. „Es tut mir leid.“ Der Blonde schüttelte den Kopf. „Manchmal glaube ich, ich bin hier der Einzige, der jemals denkt, bevor er sein Maul aufmacht!“ Chris ging ebenfalls aus dem Zimmer. Er holte Jason auf dem Flur ein. „Wo rennst du hin?“ „Ich brauche frische Luft.“ „Komm schon, du solltest jetzt nicht abhauen! David braucht dich!“ „Er hat Jeremy! Und ich brauche jetzt frische Luft!“ Er ließ Chris stehen und stürmte weiter. „Du blöder Sturkopf!“ So leicht gab Chris nicht auf, er ging seinem Freund einfach hinterher, zunächst wortlos, bis sie vor dem Krankenhaus standen. „Wie lange willst du noch rennen.“ „Ich renne nicht...“ „Du läufst weg.“ „Und selbst wenn! Das geht dich nichts an!“ Chris stemmte die Hände in die Hüften. „Ich bin dein Freund, Jason! Glaubst du wirklich, dass mich das nichts angeht?!“ „Chris...“ „Nein. Ich habe genug davon, dass du bei jeder Gelegenheit den einsamen Helden spielst.“ „Ich bin kein Held.“ „Doch, das bist du, du hast mir das Leben gerettet.“ „Das ist was anderes!“ Jason winkte ab. „Das ist es eben nicht. Du bist ein Held! Du hast mir schon zweimal das Leben gerettet und du hast auch David gerettet, als er angeschossen worden ist!“ „Wegen mir!“, schrie ihn der Brünette an. Er holte kurz Luft, doch als Chris ihn nur entgeistert anstarrte, machte er gleich weiter, „Er ist wegen mir angeschossen worden! Jeremy hat schon recht mit dem, was er sagt! Es ist alles meine Schuld! Alles! Alles meine Schuld!“ „Dieses Selbstmitleid steht dir nicht.“, meinte Chris kühl. „Meinst du, das interessiert mich?“ „Darin warst du immer gut...“ Jason schenkte ihm einen fragenden Blick. „Du liebst es, dir die Last der ganzen Welt auf die Schultern zu laden. Du willst auf jeden aufpassen, hältst dich für verantwortlich, wenn es jemandem nicht gut geht. Das ist keine schlechte Eigenschaft, aber im Moment übertreibst du es.“ „Aber es ist doch wegen mir passiert.“ „Nein, Jason“, Chris schüttelte den Kopf, „wenn jemand verantwortlich ist, dann bin ich das, oder nicht? Dave wollte mich. Du solltest deswegen sterben und auch jeder andere, der mir lieb und teuer war, das hat er mir angedroht, sollte ich mich ihm nicht fügen. Alles was hier geschehen ist, der Tod deines Kollegen, Davids Leiden, Jeremys Kummer, die Mordanschläge auf dich. Alles geschah wegen mir. Und jetzt hör endlich auf, in Selbstmitleid zu baden!“ Den letzten Satz hatte er geschrieen, mit jedem Wort waren mehr Tränen aus seinen Augen getreten, zum ersten Mal stellte sich der Blonde all dem, was wegen ihm über seine Freunde und seinen Liebsten hereingebrochen war. Er stand mit geballten zitternden Fäusten da und weinte. Jason kam zu ihm und schloss ihn einfach in die Arme. „Es tut mir leid...“ Chris antwortete nicht, er weinte in Jasons Armen, presste sich an ihn und ließ endlich alles raus, was er bisher in sich vergraben hatte. All die Schuldgefühle, die ihn seit der Rückkehr seines Gedächtnisses quälten und mit jedem Detail, das er erfahren hatte, schlimmer geworden waren. Eine halbe Stunde später kniete Jeremy in der Kapelle des Krankenhauses nieder. Der kleine Raum hatte ein paar recht hübsche Bundglasfenster und einen einfachen Altar. Mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen betete er. „Ich weiß, ich bin nicht das Paradebeispiel eines Gläubigen... ich habe außerehelichen Sex... und dann noch mit einem Mann...“ Er lächelte. „Aber man hört doch immer, dass du ein gütiger Gott bist... deswegen... auch wenn ich entgegen aller kirchlichen Gesetze lebe... bitte, nimm mir David nicht weg... er ist mein Leben... ich liebe ihn so sehr...“ Eine Träne rann über seine Wange. „Nimm ihn mir bitte nicht weg... bitte...“ Die Tür der Kapelle wurde leise geöffnet und Schritte näherten sich. Zwei Personen. Jason und Chris knieten sich neben den jungen Mann, jeder auf einer Seite. „Verzeiht mir... meine Nerven liegen blank...“, flüsterte der Rothaarige. Jason legte ihm nur die Hand auf Schulter, Chris seine auf den Arm. „Lass uns einfach für David beten, ja?“, fragte Jasons Freund. Jeremy nickte und schloss wieder die Augen. Das Paar tat es ihm nach. Der Abend dämmerte über San Francisco. Durch die Fenster schien die Abendsonne und tauchte alles in blutrotes Licht. Sie zeugte vom Ende eines langen Tages. Eines Tages, der scheinbar eine Ewigkeit gedauert hatte. Für Jeremy war es der längste Tag seines jungen Lebens gewesen. Nur Jason und Chris hatten ihn aufrecht gehalten. Sie hatten lange geredet, über alles. Entschuldigungen waren getauscht worden und viel Offenes geklärt. Am Ende hatten die drei nur noch Anekdoten über David erzählt. Jason hatte ihnen davon berichtet, wie sie sich kennen gelernt hatten und Chris davon, wie er zuerst schrecklich eifersüchtig auf David gewesen war, weil er wusste, dass David früher mit seinem Freund geschlafen hatte. Jeremy erzählte Einzelheiten von der endlosen Odyssee, die er mit dem Blonden erlebt hatte, bis sie endlich kurz nach Weihnachten zusammen gekommen waren. Und dann kam der Moment da sie sich dem Schicksal stellen mussten, der Augenblick als das Licht über dem OP verlosch und ein sichtlich erschöpfter Doktor Pierce heraus kam. Chris hielt Jeremys Hand, als die drei auf den Arzt zugingen. „Was treibst du da? Komm ins Bett.“ Ben setzte sich auf. Ihm war langweilig so allein zwischen den Laken. Er musterte den schwarzhaarigen Mann, den er vor ein paar Stunden in einem Café aufgerissen hatte. Oder hatte er ihn abgeschleppt? Eigentlich war das ja egal, sie hatten sich regelrecht das Hirn rausgevögelt, nur das zählte. Jetzt hockte der Kerl am Laptop und starrte dauernd auf sein Handy, ganz als wäre er unsichtbar. „Hey?! Hallo?!“ „Ich höre dich...“ “Dann wäre es ganz furchtbar nett von dir, wenn du mir mal antworten würdest.“ „Was soll ich denn sagen?“ „Dein Name wäre ein Anfang.“ „Alexander.“ Jeremys Exfreund drehte sich um. „Mein Name ist Alexander.“ „Benjamin.“ „Smalltalk beendet?“ Er lächelte süffisant. „Die meisten sind nach dem Sex nicht so gesprächig.“ „Und die meisten lassen ihre Partner nicht sofort sitzen und werfen sich vor ihre Flimmerkiste und spielen lieber mit ihrem Handy, statt mit dem Schwanz ihres...“ „Ich habe verstanden.“ Alex stand auf und klappte den Laptop zu. Auch das Handy schloss er, doch er trug es mit sich zum Bett. Er kroch hinein. „Du nimmst dein Handy mit zu mir?“ „Du bist offenbar sehr von dir eingenommen.“ Ben lachte auf und fuhr sich durch die dunkelbraunen Haare. Er lehnte sich an die Wand. „Du bist schlagfertig...“ Der junge Mann verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Wartest du auf einen Anruf von deinem Lover? Ist das nicht riskant, wenn ich bei dir im Bett liege?“ „Ich warte nicht auf den Anruf meines Lovers.“ „Ich frage nicht noch einmal. Sag mir, worum es geht oder lass es und leg mich noch mal flach. Entscheide du.“ Alex lächelte und schaute zur Decke. „Ich warte darauf, dass ich eine Nachricht darüber kriege, wie die OP des Mannes ausgefallen ist, den ich am meisten auf der ganzen Welt hasse.“ „Das klingt ja dramatisch.“ „Es kommt noch besser.“ Der Schwarzhaarige kraulte über den nackten Oberschenkel, der unter der Decke hervor ragte. „Ich habe ihn heute schon davor bewahrt zu sterben...“ „Was hat er dir getan?“ „Er hat mir den einzigen Menschen weggenommen, den ich je wirklich geliebt habe. Er ist jetzt mit ihm zusammen statt mit mir... und ich habe ihn quasi auch noch aktiv in seine Arme getrieben.“ „Das ist der Stoff für eine Seifenoper, Süßer.“ Ben lachte leise. „Was du nicht sagst... aber das Ende ist noch offen. Vielleicht ist der große Antagonist schon tot... oder wird es bald sein.“ Alexanders Finger tanzten hinab zum Knie und blieben dort liegen. „Oder er wird für den Rest seines Lebens ein erbärmlicher Krüppel sein... oder eben der Gewinner. Er kriegt sein Leben und den Mann. Und ich nichts.“ „Du solltest wirklich fürs Fernsehen arbeiten. Oder Autor werden. Du verstehst etwas von Dramatik, mein Freund.“ Alex antwortete nicht und klappte erneut sein Handy auf, obwohl es laut war. Er würde sowieso mitbekommen, wenn eine SMS oder ein Anruf käme. „Auf was hoffst du?“ „Hm?“ „Auf was du hoffst.“ Ben lächelte ihn an und beugte sich vor, um Küsse auf der nackten Brust seines Partners zu verteilen. „Was wünscht du dem großen Antagonisten? Den Tod?“ Eine Zeit lang herrschte Schweigen. „Nein... ich glaube ich wünsche ihm noch nicht einmal, dass er ein Krüppel wird...“ „Ich dachte du hasst ihn?“ Ben knabberte an einer Brustwarze. “Ja... das tue ich auch...“ Alex keuchte leise auf und schob seine Hand in den Haarschopf seines Liebhabers. „Aber ich werde derjenige sein, der ihn richtet... der sein Leben aus den Angeln hebt und ihm zeigt, wie es ist, am Boden zu liegen.“ „Du bist ja diabolisch...“ Bens Zunge glitt den straffen Bauch hinab. „Nein... ich bin nur für ausgleichende Gerechtigkeit.“ Jeremys Exfreund drückte den Kopf des jungen Mannes in seinen Schritt. „Ja... Gerechtigkeit.“ David öffnete langsam die Augen, es war so anstrengend, wie noch nie in seinem Leben. Fast als wären die Lider zugeklebt. Wie lange hatte er geschlafen? In seinem Kopf tanzte Nebel einen wilden Reigen. Er musste erst versuchen, ihn zu lichten. Ganz behutsam. Immer ein Stück weiter vortasten. Das Licht im Raum blendete den blonden Mann, er kniff die Lider wieder zu, kurz streckten sich die warmen und verlockenden Finger der Bewusstlosigkeit nach ihm aus, doch er schüttelte sie ab. Wieder die Augen öffnen. Ganz langsam. Der Anblick der sich ihm bot war wundervoll. Jeremy. Er saß neben seinem Bett und sah ihn an. „Hi...“ Wessen Stimme war das? Die klang so kratzig. So merkwürdig und unecht. „Hallo, mein Schatz.“ Dann war es seine Stimme gewesen. Jeremy reagierte darauf. Also musste es seine Stimme sein. David streckte seinem Freund die Hand entgegen. Unendlich langsam, aber mit absoluter Beharrlichkeit. „Hi...“, lächelte er wieder. „Hi.“ Jeremy nahm die Hand, drückte sie. Dicke Tränen rannen über seine Wangen. „Warum... warum weinst.... du...“ David musterte seinen Freund verwirrt, „Ist wer.... jemand... ist jemand gestorben...“ „Nein!“, lachte der Rotschopf, „Nein! Du hältst meine Hand!“ „Ja... und?“ „Du kannst dich bewegen, David. Du kannst dich bewegen. Du kannst meine Hand halten.“ „Ja... das konnte ich doch schon immer...“ David lachte albern. „Du bist lustig!“ „Ja, Schatz, das bin ich wohl.“ Jeremy beugte sich vor und küsste die Nase seines Liebsten. „Ich bin lustig.“ „Lustig...“, wiederholte der Blonde, „Du bist so lustig...“ Er lachte immer noch. Jeremy weinte immer noch vor Glück. Die OP war bestens verlaufen. David hatte eine leichte Gehirnerschütterung aber keinerlei Anzeichen auf ein Blutgerinnsel durch den Sturz. Sein Handgelenk war gebrochen, aber das würde heilen. Die Behandlung an seinem Rücken war lang und beschwerlich gewesen und er würde noch eine ganze Zeit mit den Nachwirkungen zu kämpfen haben. Aber er würde wieder laufen können, seine Arme benutzen. Alles. Wie früher. Ohne Ausfallerscheinungen. Ohne Angst um sein Leben. „Du bist so lustig!“, kicherte David schon wieder, „Du bist so lustig... und ich liebe dich...“ Jeremy lächelte ihn an. „Ich liebe dich auch... ich liebe dich so sehr.“ Die Tür wurde geöffnet und Chris und Jason kamen herein. „Hallo, David.“ „Sunshine!“, grinste der Blonde, „Sunshine! Jeremy ist lustig!“ „Die Narkose scheint gutes Zeug gewesen zu sein.“ Chris trat näher. „Na, du?“ „Chris... Jeremy ist lustig... und ich liebe ihn...“ „Ich weiß, David.“ Jasons Freund strich dem Anwalt sanft über die Stirn. „Du bist einmalig.“ „Ihr seid alle lustig!“ Jason nahm seinen Freund in den Arm und legte Jeremy die Hand auf die Schulter. „Was, wenn er so bleibt?“ Der Rothaarige grinste, zum ersten mal seit langem wieder richtig glücklich und von einem Ohr bis zum anderen. „Dann... wird es lustig.“ ~~~ Dieses Kapitel ist so kurz, wie schon lange nicht mehr, nur knapp 13 Seiten und ich habe trotzdem länger als für alle zuvor gebraucht. Sorry, dass ihr so lange warten musstet. Die letzte Zeit war ziemlich turbulent. Ich habe mich von meiner langjährigen Freundin, nein, Verlobten, getrennt, zum Glück in Freundschaft. Aber dieser Schritt zog eine Menge Konsequenzen nach sich. Das Ende von 5 ½ Jahren Beziehung, Aufteilen von drei Jahren gemeinsamer Wohnung, ein Umzug von Rheinland-Pfalz zurück ins Ruhrgebiet, die Exmatrikulation an meiner Uni. All dies hat meine Kreativität doch etwas angegriffen, zum ersten Mal habe ich über vier Wochen nicht ein Wort an RtPym geschrieben. Auch jetzt fielen mir die Szenen noch schwer, es ging mir nicht so leicht von der Hand wie sonst, obwohl ich mich schon so lange auf die Auflösung des Plots um Davids Verletzung gefreut habe. Eigentlich sollten in diesem Kapitel noch andere Aspekte angesprochen werden, besonders die Nachwirkungen von Chris’ Martyrium, aber letztendlich habe ich mich anders entschieden. Auch wenn dieses Kapitel dadurch sehr kurz ist, so soll es doch voll und ganz David gehören, mal abgesehen von ein paar kleinen Szenen um Marc, Colin und Konsorte. Zusätzlich ist im Moment meine Betaleserin Alaska mit Veränderungen in ihrem Leben eingespannt und für fünf Tage unterwegs, Zuckerfee hat auch eine Menge um die Ohren, deswegen übernahm Schnuffimaus kurzfristig die Aufgabe der Korrektur. RtPym ist seit fast zwei Jahren ein Teil meines Lebens und deswegen will ich dieses Nachwort nutzen, um noch einmal zu sagen, wie leid mir das alles tut. Schnuffimaus, ich danke dir für all die schönen Jahre, für all das, was du für mich getan hast, was ich durch dich erreichen und erleben durfte. Du wirst immer einen Platz in meinem Herzen behalten und ich hoffe, dass ich dir helfen kann, über meine Entscheidung hinweg zu kommen. Ich bin sehr froh, dass du trotz allem Teil meines neuen Lebens bleiben wirst. Ich habe dich lieb. Und euch anderen, danke für eure Treue, ich bin im Moment in einer sehr emotionalen Stimmung, deswegen musste ich das noch loswerden. Euer Uly Kapitel 39: The days of wine and vodka -------------------------------------- Für Armyboy. ;-) Games people play *g* Diesen ersten Samstag werde ich wohl nie vergessen. I love you! „Ich liebe dich, Sunshine!“ Jason musste lachen. „Sag das nicht zu laut, sonst lyncht mich Jeremy noch.“ „Aber ich liebe dich doch wirklich. Abgöttisch. Du bist mein Held. Mein Ritter in der glänzenden Rüstung.“ Sprach es und schaufelte sich eine weitere Ladung gebratene Nudeln mit Hühnerfleisch in den Mund. „Essen. Richtiges Essen. Ich liebe dich.“ „Ich weiß es allmählich, spar dir noch ein bisschen deiner Liebe für Jeremy auf, er hat es verdient.“ David nickte mit vollem Mund. Es ging ihm knapp zwei Wochen nach der OP schon viel besser, auch wenn die Schmerzen immer noch beachtlich waren. Er musste damit noch eine ganze Zeit lang auskommen, hatte aber auch ein starkes Schmerzmittel verschrieben bekommen. Doktor Pierce war durchaus zufrieden mit seinem vorher so schwierigen Patienten. Obwohl David fast zu lange damit gewartet hatte, waren die Komplikationen minimal gewesen. Seine Hand verheilte auch sehr gut, aber ein Bruch war eben keine Angelegenheit von ein paar Tagen. „Bereust du es?“ „Was?“, schmatzte der Blonde. „Du hast es getan.“ „Die magischen drei Worte...ja, ich habe es getan. Und ich war nicht einmal unter Drogen.“ „Und? Bereust du es?“ David schaute aus dem Fenster. Einen ganzen Moment lang. „Nein...“, sagte er schließlich, „Ich hatte Angst davor. Diese Worte verändern doch eigentlich alles. Die ganze Beziehung. Ich habe mich davor gefürchtet, aber nun...es fühlt sich gut an. Wie die ganze Beziehung mit Jeremy. Es fühlt sich unglaublich gut an.“ „Ich hab es ja eigentlich immer gewusst. Du bist nicht so kühl, wie du immer getan hast.“ „Elender Besserwisser...aber ich kann dir nicht böse sein. Richtiges Essen!“ Jason konnte nicht anders, als zu lachen. „Es ist schön, dass du endlich auf dem Weg der Besserung bist, du hast genug Mist gebaut.“ „Dabei ist das ja eigentlich dein Metier, oder?“ „Wir geben uns da nicht viel.“ Jason stellte seine Schachtel mit chinesischem Essen zur Seite. „Ich hab ein schlechtes Gewissen.“ „Warum denn das?“, schmatzte David, er vergaß mal seine Manieren für eine Weile. „Ich kann dich die nächsten Tage nicht besuchen kommen. Chris und ich fliegen nach Dallas. Er muss mal ein bisschen Abstand kriegen und ich...“ „...dich mit dem Schwiegermonster aussöhnen?“ „Ja, so kann man es wohl sagen.“ Der Brünette lehnte sich zurück. „Der Streit damals war dumm, ich will das Kriegsbeil begraben und endlich die ganze Familie McKay kennen lernen.“ „Die Idee an sich ist nicht schlecht. Mum liegt mir schon die ganze Zeit damit in den Ohren, dass sie hierher kommen will. Bisher konnte ich sie abhalten, aber ich denke, der Preis ist ein Besuch bei ihnen in Denver. Vielleicht sollte ich Jeremy fragen, ob er mit will...was meinst du?“ Jason schaute ihn verblüfft an. „Du willst ihn deinen Eltern vorstellen? Hast du den Ring auch schon gekauft?“ Er grinste spöttisch. „Das musst du gerade sagen, deine Eltern kennen Chris ja schließlich auch. Oder hast – du – den Ring schon gekauft?“, hielt David dagegen. „Ich habe schon mal drüber nachgedacht...“ „Dein Ernst?!“ David setzte sich so ruckartig es sein Zustand eben erlaubte, also Schneckentempo, auf und musterte seinen besten Freund. „Ja, warum nicht? Ich meine, es gibt genug Orte, wo das erlaubt ist. Ich würde gern unter Palmen heiraten. Südsee, das blaue Meer, der unendliche Himmel...“ „Mir wird eben richtig schlecht.“ „Blödmann!“, knurrte Jason. „Nur weil du keinen Sinn für Romantik hast, musst du nicht...“ „Nein, mir wird wirklich schlecht...“ David schob seinen Karton von sich. „Ich glaube, ich habe zu schnell gefressen...“ Ein fieses Grinsen schlich sich in das Gesicht des ehemaligen Polizisten. „Soll ich dir den Eimer halten, mein Freund?“ „Ich kann dir auch auf den Schoß kotzen, wenn du weiter so frech bist, Sunshine.“ David trank einen großen Schluck Wasser. Er war ein wenig blass um die Nasenspitze, aber zu schlimm schien die Übelkeit dann doch nicht. „Deine kleine Hochzeitsphantasie war durchaus niedlich.“ „Niedlich, hm? Dir ist nicht zu helfen.“ Jason zuckte mit den Schultern. „Na ja, aber zumindest machst du Fortschritte.“ „Wer passt denn auf Batman auf?“, wechselte der Blonde das Thema, auffällig unauffällig. „Gary. Er und Nicolai bleiben ja hier. Ich denke, ich kann meinem Bruder das Haus anvertrauen, Nicolai ist ja auch recht vernünftig.“ „Wie alt war er noch mal? Anfang zwanzig? Ich wüsste schon, was ich dann die Woche über mit deinem Bruder machen würde.“ „Hallo?! Du sprichst von meinem kleinen Bruder, sei froh, dass ich kein Duell fordere, um seine Ehre zu verteidigen.“, knurrte Jason gespielt auf. „Dein Bruder hatte doch damals was mit Marcus, oder? Jason II hat also doch durchaus Homo-Potenzial.“ „Das war nur ein Ausrutscher.“, beschloss Garys Bruder. „Er hat experimentiert. Gary ist schon hetero.“ „Na, wenn du das sagst...“ David kämpfte gegen ein Grinsen an. Er dachte sich seinen Teil zu dem Ganzen. „Und du weißt alle Telefonnummern? Auch die vom Notarzt und so weiter?“ „Ja doch, sie hängen außerdem alle am Kühlschrank.“ Gary folgte Jason durch die Wohnung, sein Bruder schien alles doppelt- und dreifach kontrollieren zu wollen. Batman patrouillierte ebenfalls hinter ihnen her, in diesem Haus ging schließlich nichts ohne ihn. „Ich will doch nur sichergehen, dass alles okay ist.“ „Jason! Ich bin kein Kind mehr! Und Nicolai ist auch keines...“ „Es ist immer schön, wenn es noch ein Zuhause gibt, zum Nachhause kommen.“, flötete Chris, der eben an der Wohnzimmertür vorbei ging und den Gesprächsfetzen aufgeschnappt hatte. Er trug einen Wäschekorb vor sich her. Gary blieb stehen und ließ die Schultern sinken. „Die haben sich alle gegen mich verschworen.“ „Sei nicht so melodramatisch. Denk daran, dass ihr auf Nicolais Schwester noch mehr aufpassen müsste, als auf Batman...aber ich denke da kann ich mich komplett auf ihren Bruder verlassen. Also liegt er...“ Jason hob Batman hoch und drückte den nun schon recht schweren Welpen in die Arme seines Bruders, „in deiner Verantwortung.“ „Ich werde diese Bürde mit Freuden tragen, mon Generale!“ Batman strampelte und Gary ließ ihn beinahe fallen, schaffte es dann aber doch, ihn abzusetzen. „Ich sehe es...überdeutlich. Der arme Hund.“ Jason seufzte. „Wie dem auch sei...haben wir jetzt alles besprochen?“ Er schien ein wenig den Faden verloren zu haben. „Immer und immer und immer und immer wieder...“ Gary verdrehte die Augen. „Seit ihr immer noch dabei?“ Nicolai kam mit Anna auf dem Arm aus dem Wintergarten, es kostete ihn Mühe seine Schwester zu tragen, aber diese mochte das so. „Ja, wir haben solchen Spaß. Mein Bruder spielt kaputte Schallplatte.“ „Bei dir muss ich das auch!“ Während das Gespräch der Brüder schon wieder eine heiße Phase erreichte, trug Chris seinen Wäschekorb in den Keller hinunter. Der Raum war etwas grob, Backsteinwände voller Regale, dicke Balken. Im Hintergrund standen Waschmaschine und Trockner. Chris passierte den Weihnachtsschmuck, Osterdekoration, das Vorratsregal. Der Trockner verrichtete seine Arbeit, dafür war die Waschmaschine im Moment frei. Chris räumte die Wäsche ein und schaltete das nötige Programm an. Viele Männer hassten es, in diese Rolle zu schlüpfen, aber Chris tat es gern. Er schaltete die Maschine ein und machte sich auf den Rückweg. In diesem Moment knallte es kurz und die Sicherung flog raus. Der Trockner ging aus, die Waschmaschine gurgelte und erstarb, das Licht verlosch. Chris blieb wie angewurzelt stehen. Überall war Schwärze. Dunkelheit. Die Tür von der Küche zum Keller war nur angelehnt. Finsternis. Keine Luft. Keine Möglichkeit zum Atmen. Jemand schrie. Gellend laut. Chris begriff, dass es war. Die Erkenntnis traf ihn im Fallen. Er stürzte zu Boden und schrie aus Leibeskräften. Sekunden später wurde schon die Kellertür aufgerissen und Jason rannte die Treppe hinab, teilweise zwei Stufen auf einmal nehmend. „Chris?! Chris, ist alles okay?!“ Der Blonde konnte nicht antworten. Er lag zusammen gekauert am Boden und schrie und weinte. Jason sank auf die Knie und hob ihn hoch. Er trug seinen Freund die Stufen hinauf und durch die Küche. „Ist was passiert?“ Gary und Nicolai standen im Eingang des Wohnzimmers. „Nein, schon okay. Ich mache das schon.“ Jason nahm die nächsten Stufen in Angriff, die hinauf zum Schlafzimmer. Dort legte er Chris auf dem Bett ab. Sein Freund wimmerte vor sich hin, er schwitzte stark. „Ist ja gut. Alles ist gut. Ich bin bei dir. Dir passiert nichts.“ Er redetet beruhigend auf Chris ein, kraulte ihm über den Kopf, küsste seine Schläfen. „Alles wird wieder gut.“ „Es war so dunkel...“ „Ich weiß. Die Sicherung ist wohl raus geflogen.“ „Da war...es war wie...“ „Chris, ganz ruhig. Es ist alles wieder gut.“ Sein Freund schloss die Augen und presste die Hände aufs Gesicht. „Ich war wieder in dem Sarg...in dieser Kiste...“ „Aber du warst es nicht. Das war nur der Keller. Es ist alles okay. Du bist bei mir...“ Jason zog ihn an sich und hielt ihn fest. Chris Hände krallten sich in seine Kleidung. „Was geschieht nur mit mir...?“ „Es wird alles wieder gut. Vielleicht ist der Urlaub in Texas genau das Richtige für dich.“ Jason wusste selbst nicht, was er hier sagte. Chris’ panische Reaktion auf die Dunkelheit erschreckte ihn zutiefst, aber eigentlich war sie nur zu verständlich. Doch der Blonde lehnte es immer noch ab, sich von einem Psychiater behandeln zu lassen. Es ginge auch so, behauptete er. Jason war sich da nicht so sicher... „Wenn Sie auf Comicverfilmungen stehen, sollten Sie vielleicht noch Aeon Flux ausleihen. Ist nicht so bekannt, aber Charlize Theron ist wunderbar in dieser Rolle.“ Colin lächelte die Kundin auf der anderen Seite des Tresens an. Diese bedankte sich und tat es wirklich. Der Schwarzhaarige hatte ein besonderes Talent für diesen Job, auch wenn er sicher nicht plante, ihn auf ewig zu machen. Sein Studium hatte eben begonnen und im Moment sah alles unglaublich aufregend aus. Die Seminare, die Uni. Alles so neu und spannend. Und dann noch Marcus. Sein geliebter Marcus, sein Kätzchen. „Ich hätte gern diese drei.“ Ein Mann legte die Chips für drei Filme auf den Tresen. „Natürlich, Sir, das macht...“ Weiter kam Colin nicht. Es klirrte und ein Regen aus Glassplittern ergoss sich über den Bereich hinter dem Tresen. Colin keuchte auf und stolperte zurück. Der Kunde wich entsetzt zurück. „Was zum...?!“ Der schwarzhaarige Junge hielt sich die Brust vor Schreck, sein Herz schlug wie wild. Das Schaufenster der Videothek war geborsten, ein Loch klaffte dort. Überall glitzerten Scherben. Und mittendrin lag ein Backstein. Er hätte Colin durchaus treffen können, je nachdem, wo er gestanden hätte. „Ist Ihnen etwas passiert?!“ „Nein...“ Colin strich sich die Haare aus dem Gesicht. Er zitterte. „Nein...schon gut...“ Als könne er jeden Moment explodieren, näherte sich der Junge dem Stein, ging daneben in die Hocke. Es war ein stinknormaler roter Backstein...auf dem in fetten Lettern das Wort ‚Schwuchtel’ prangte. „Es ist vorbei, ja?!“ Marcus lief aufgeregt im Zimmer auf und ab. „Es ist vorbei. Die werden nichts mehr tun!“ „Marcus, bitte!“ Colin saß auf dem Bett. „Nichts da! Das ist doch wohl offensichtlich, dass diese Affen das getan haben! Brandons Kumpel!“ „Es gibt dafür keine Beweise!“ „Zweifelst du daran?! Die wollten dir mit dem Stein den Schädel einschlagen!“ Colin ließ sich aufs Bett nach hinten sinken. „Jetzt sag endlich was!“, fauchte Marcus. „Ich kann dir nur sagen, was die Polizei meinte. Es gibt keine Fingerabdrücke auf dem Stein, nichts. Niemand hat etwas gesehen. Es kann auch genauso gut ein Dummer-Jungen-Streich sein!“ „Hast du ihnen nicht gesagt, dass diese Kerle dich verprügelt haben?!“ „Ja...aber ich hätte gleich Anzeige erstatten sollen und ich war nicht einmal beim Arzt. Es würde Aussage gegen Aussage stehen. Sie können da nichts tun.“ „Toll! Toll!“ Marcus trat gegen den Schreibtisch. „Die bringen dich fast um, aber die Bullen können nichts tun! Das liegt doch nur daran, dass wir schwul sind! Wir verdienen das ja!“ „Du machst dich gerade lächerlich...“ Marcus sog die Luft ein. „Was?!“ „Komm schon, du klingt wie ein fanatischer Schwulenrechtler.“ „Hallo?! Du bist schwul und du wurdest deswegen schon zusammen geschlagen! Wenn einer mich verstehen sollte, dann du!“ Colin rollte sich auf die Seite. „Marcus, ich will doch nur meine Ruhe. Für uns.“ „Aber ich habe keine Ruhe, wenn ich Angst haben muss, dass die dich umbringen!“ „Jetzt werde nicht dramatisch.“ „Verdammte Scheiße!“ Marcus packte den Stifthalter vom Schreibtisch und feuerte ihn durchs Zimmer. Colin setzte sich entsetzt auf. „Spinnst du?!“ „Du hörst mir ja sonst nicht zu! Du tust das alles ab, als sei es alles nur eine Lappalie! Ich habe zugesehen, wie diese Kerle dich verprügelt haben! Ich hatte eine höllische Angst um dich! Und jetzt das! Und du sitzt hier rum und faselst etwas von übertreiben!“ „Aber die würden das nicht noch einmal tun!“ „Woher weißt du das?! Diese Typen sind unberechenbar!“ „Das waren meine Mitschüler, Marcus.“ Colin streckte seine Hand aus, um ihn zu sich zu ziehen, doch Marcus wich der Geste aus. „Wie kannst du diese Kerle auch noch verteidigen? Sie haben dich verprügelt und liegen gelassen. Deine Mitschüler!“ „Wir drehen uns im Kreis, Marcus...“, seufzte Colin. „Ach ja...dann sollten wir vielleicht aufhören, uns zu drehen, und endlich mal Klartext reden!“ Der Blonde stemmte die Hände in die Hüften. „Seit wann bist du so ein gottverdammter Feigling?“ „Ich bin nicht feige!“ „Doch, das bist du!“ Marcus schüttelte den Kopf. „Du hockst da, redest Unsinn und verteidigst quasi diese Typen noch! Würdest du das auch tun, wenn sie mich verprügelt hätten? Und um dich daran zu erinnern: Sie haben auch mich geschlagen!“ „Ich würde nie zulassen, dass sie dir etwas antäten!“ „Aber das tust du, wenn du weiter den Kopf in den Sand steckst! Wer sagt dir, dass ich nicht der Nächste bin? Dass mir vielleicht ein Backstein gegen den Schädel fliegt?!“ Colin sah ihn nur an. „Antworte! Was dann?! Wie willst du das verhindern?!“ „Marcus, versteh doch...“ „Gary würde das nicht tun! Er würde alles tun, damit mir nichts geschieht!“ Marcus schlug die Hand vor den Mund, aber die Worte waren schon heraus. Schneller gesagt, als er gedacht hatte. Stille senkte sich über den Raum. Der Blonde starrte seinen Freund entsetzt an. „Das tut mir leid...ich wollte nicht...“ „Vielleicht solltest du gehen...“ „Colin!“ Marcus streckte die Hand nach ihm aus, doch dieser wich aus. „Bitte geh.“ „Das war doch nicht so gemeint!“ „Doch, das war es.“ Colin biss sich auf die Lippe. „Ich will nicht Schluss machen oder so, aber ich möchte jetzt allein sein. Ich hab Angst, dass ich dir etwas sage, was ich nachher bereue...“ „Ich habe doch nur Angst um dich.“ „Ich weiß. Ich habe selbst Angst.“ Der Student klang regelrecht teilnahmslos, als versuche er, alles an sich abprallen zu lassen. „Aber ich würde nie zulassen, dass dir etwas geschieht. Glaubst du wirklich, ich hätte mich so verprügeln lassen, ohne mich zu wehren, wenn ich nicht vor Augen gehabt hätte, dass sie dir etwas antun könnten? Das war in dem Moment der einzige Weg, dich zu schützen.“ „Ich wollte das mit Gary nicht so sagen.“ „Aber du hast. Und jetzt geh bitte.“ „Colin...“ Marcus’ Schultern sanken herab. „Jetzt geh endlich! Los!“, fauchte der Schwarzhaarige. „Ich rufe dich morgen an!“ Marcus war zusammen gezuckt, er wich einen Schritt zurück. „Aber auf jeden Fall...ja?“ „Ja.“, war die einzige Antwort. Marcus begriff, dass da nichts mehr zu machen war. Er schüttelte den Kopf und kämpfte gegen die Tränen, die sich in seinen Augen stauten. Bevor Colin die vielleicht sehen konnte, warf er sich herum und floh regelrecht aus dem Zimmer. Chris starrte auf die am Taxifenster vorbei ziehenden Reihen von Häusern. Sie würden bald da sein. Hier hatte sich seit seinem letzten Besuch nichts verändert, nur waren sie damals in einem gänzlich anderen Wagen vorgefahren. „Erwähne nichts von meinem Anfall gestern, ja?“ Jason sah auf, er war in Gedanken versunken gewesen. Sie kreisten um sein letztes Treffen mit Mrs. McKay, ihren Streit und wie er es wohl schaffen sollte, sich wieder mit ihr zu versöhnen. „Warum sollte ich?“ „Ich weiß nicht...könnte ja sein. Vielleicht damit meine Mutter mich überredet, zum Psychiater zu gehen.“ „Chris...“ „Das willst du doch, oder? Du hältst mich für durchgeknallt.“ „Wie kommst du denn darauf?“ Jason drehte sich seinem Freund nun doch ganz zu. „Ach, nur so...“ „Chris, bitte, das ist doch Unsinn. Du hast einiges durchgemacht, da ist es doch normal, wenn man Schwierigkeiten bekommt.“ „Ich habe gestern wie ein Baby gebrüllt, nur weil das Licht aus war.“ „Aber deswegen halte ich dich doch nicht für durchgeknallt.“ „Tust du nicht...?“ „Ich liebe dich, mein Engel, so könnte ich nie von dir denken.“ Chris lächelte und legte seine Hand auf Jasons Knie. „Danke...vielen Dank...“ Der Braunhaarige ließ das Thema absichtlich fallen. „Ich denke nur die ganze Zeit an deine Mum. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Wir haben uns so heftig gestritten, wie soll das wieder hingebogen werden?“ „Mum hat es Jahrzehnte lang an der Seite meines Vaters ausgehalten, dann sollte sie es schaffen, für dich über ihren Schatten zu springen. Ich bin auf deiner Seite, ihr Auftritt damals war einfach nicht richtig.“ „Sag das lieber nicht zu laut, ich will nicht, dass ihr euch auch noch streitet. So soll das nicht laufen. Ich will keinen Unfrieden stiften.“ „Aber es ist doch nur die Wahrheit.“ Chris rutschte unwohl in seinem Sitz hin und her. „Ich mache mir ein wenig Sorgen um Gary und Nicolai...“ Diesmal war es wohl an ihm, das Thema zu wechseln. Sie schienen im Moment von einem unangenehmen Gespräch ins nächste zu rutschen. „Die kommen schon klar...“, doch Jason klang mehr als zweifelnd. „Ich hab Gary alles immer und immer wieder eingebläut und Nicolai ist schon über zwanzig.“ „Dir ist klar, dass er Alkohol kaufen darf, oder?“ „Das sagst du jetzt?!“ Jason starrte ihn an. Daran hatte er gar nicht gedacht. „Du hast das nicht bedacht?“ „Nein!“ Jason sah zerknirscht aus dem Seitenfenster. „Daran habe ich nicht gedacht...verdammt, von Alkohol habe ich nichts gesagt...“ „Na ja, Anna ist auch da, ich denke nicht, dass Nicolai so verantwortungslos ist, er muss sich doch um sie kümmern.“ „Erst regst du mich auf und dann sagst du so etwas!“ Jason packte seinen Freund und zog ihn zu sich, um ihn frech zu küssen. Das Taxi machte einen abrupten Schlenker und fuhr beinahe in den Gegenverkehr. Jason und Chris schaute den Fahrer etwas verdutzt an, der schnell seine Augen vom Rückspiegel nahm. „Sie sollen fahren und nicht spannen!“, knurrte der Brünette. „Verzeihung.“ Der Fahrer murmelte vor sich hin und konzentrierte sich wieder auf den Verkehr. Also den vor der Frontscheibe. Lange musste er das sowieso nicht mehr, denn der Wagen bog in die Straße ein, in der Chris’ Familie wohnte. Und dort kam es, wie es kommen musste. Jason und Chris’ Mutter trafen aufeinander...und nichts geschah. Kein Streit, keine Beschuldigung, der Polizist musste sich auch nicht in demütiger Verzeihung üben. Mrs. McKay schloss erst ihren Sohn, den sie endlich wieder hatte, dann dessen Lebensgefährten in den Arm und alles war vergessen. Wie sich herausstellte, hatte sie lange damit gehadert, vielleicht telefonisch eine Aussprache zu suchen, sich aber dazu nie durchringen können. Jetzt erledigte sich alles wie von selbst, sehr zur Freude von Chris. Jason wurde von der ganzen Familie mit offenen Armen empfangen. Besonders April war schrecklich angetan von Jason. Sie starrte ihn immer wieder mit bewundernden Augen an, jedes Mal wenn er es nicht bemerkt. Oder wenn sie dachte, dass er es nicht merkte. Es gab eine große Kaffeetafel, am Abend war ein texanisches Barbecue geplant. „So...Dave hat dir soviel Geld vermacht?“ Irgendwann hatte das Thema ja aufkommen müssen. Chris musterte seinen Stiefvater über seine Kaffeetasse hinweg. „Ja, das hat er.“ „Und was wird nun?“ Das war Brian gewesen. Der junge Mann war etwas später von der Uni gekommen. „Na ja...ich weiß noch nicht. Vielleicht eröffne ich einen Club...oder ein Restaurant.“ „Das klingt doch wundervoll.“ Seine Mutter schenkte Jason Kaffee nach. „Ja, nur leider weiß ich nicht, ob ich das Geld annehmen soll.“ Es wurde still am Tisch. „Was meinst du damit?“ Jason sah Chris verständnislos an, so etwas hatte der Blonde bisher noch nie gesagt. „Ich weiß nicht...an diesem Geld klebt Blut...Daves Blut...und ich weiß nicht, ob ich das so auf die Reihe kriege. Ich habe dieses Geld, weil Dave tot ist. Weil...“ „Weil ich ihn erschossen habe?“ Jetzt konnte man allmählich eine Stecknadel fallen hören. „Na ja...“ Das klang nach Zustimmung. „Chris, was redest du da?“ „Jason, es ist nur, weil...“ „Das ist nicht zu fassen. Glaubst du, ich habe ihn aus Spaß an der Freude erschossen? Er hätte mich getötet, so wie er dich getötet hätte! Und er hätte beinahe Ash ermordet und Jim hat es erwischt!“ Jason war lauter geworden. „Schatz, ich...“ „Willst du mir daraus jetzt einen Vorwurf machen?!“ „Nein!“ „Warum willst du dann das Geld dieses Schweinehunds nicht annehmen?! Das ist das mindestens, was er uns schuldig ist!“ „Jason...“ „Es reicht, hören Sie sofort auf, ihn anzuschreien!“, schritt Chris’ Stiefvater ein. „Was denken Sie sich eigentlich?!“ Jason sah erst zu ihm, dann glitten seine Augen über den Rest der Familie zurück zu Chris. „Ich will mit dir allein reden.“ „Das lasse ich nicht zu!“ Mr. McKay hatte sich erhoben. „Schon gut...“, murmelte Chris leise. „Gehen wir ins Gästezimmer?“ Jason nickte nur und die Beiden verließen die auf einmal sehr gedrückte Kaffeetafel. Für sie war das Gästezimmer bereit gemacht worden, ein heller freundlicher Raum mit geblümter Tapete. „Was sollte das?!“, wollte Jason sofort wissen, als die Tür zu war. „Jason...“ „Du hast mir eben vor der Familie vorgeworfen, Dave Jerrod ermordet du haben, ist dir das klar?!“ „Das habe ich aber nicht getan!“ „Du willst das Geld nicht, weil er wegen uns gestorben ist, ist doch so, oder?“ Chris gestikulierte hilflos. „Ist doch aber irgendwie wahr...“ „Er hat dich entführt und gefoltert!“ „Ich weiß!“ „Dann hör auf, Mitleid mit ihm zu haben! Nimm das beschissene Geld und sieh es als Ausgleich für dieses elende Martyrium, dem auch noch einer meiner Freunde zum Opfer gefallen ist!“ „Ist das meine Schuld?!“ „Habe ich das behauptet?! Es ist alles Daves Schuld! Diese Ratte hat den Tod verdient gehabt! Dieser Mann war Dreck!“ „Aber ich...“ „Willst du das bestreiten?! Er hat dich in eine Kiste gepackt und hätte dich dort vielleicht verrecken lassen! Und er hat diesen Stricher ermordet!“ „Ja, das hat er...“ „Und er hat dich in diesen Keller gesperrt und vergewaltigt!“ „Ja...“ „Und du nimmst ihn in Schutz?!“ Jasons Stimme überschlug sich fast. „Jason...“ „Warum tust du das?! Wie kannst du all das so abtun?!“ Chris konnte nicht mehr antworten, er brach in Tränen aus und schluchzte. Endlich merkte Jason, was er tat. Sein Freund stand da und zitterte, er weinte immer heftiger. Jason trat zu ihm und nahm in den Arm. „Schon gut...entschuldige...“ „Es tut mir leid...“ Chris sank gegen ihn und schluchzte gegen die starke Brust seines Liebsten. „Es tut mir leid...ich weiß nicht...was los ist...“ „Ist schon okay...wirklich.“ „Nein, ist es nicht...ist es nicht...“ Jason strich ihm zärtlich über den Hinterkopf. „Beruhige dich...“ „Tut mir so leid...“ „Ja, ich weiß.“ Jason sprach ganz leise. „Ist weiß, mir auch.“ „Warum bin ich nur so....was ist bloß los...“ „Nichts, du hast einiges mitgemacht und das hängt dir noch nach.“ „Aber mir geht es doch gut...“ „Ja, das weiß ich...“ Jason sagte es zwar, aber er wusste eigentlich nicht, ob es wirklich so war. Chris hatte sich verändert. Er war wieder der Alte, aber dennoch nicht derselbe. „Halt mich fest, ja...?“ Jason tat es, er streichelte Chris über den Rücken und hielt ihn bei sich. Einfach nur so. Ganz wie früher, auch wenn die Tränen nur zu deutlich zeigten, dass vielleicht nichts jemals wieder so sein würde, wie es war. Irgendwann fuhren die Hände des Blonden sanft über Jasons Kreuz hinab und über die Hüften. Die Wärme des New Yorkers hatte in Chris nicht nur die Depression zurückgedrängt, nein, sie hatte auch für jenes wohlige Kribbeln gesorgt, das der junge Mann schon fast vergessen hatte. Seit er sein Gedächtnis wiedererlangt hatte, waren sie beide noch nicht miteinander intim gewesen, ein Kuss hier und da, eine Streicheleinheit, aber kein Sex, nicht einmal Petting. Und hier, Jasons Wärme spürend, seinen angenehmen Duft in der Nase, überkam Chris das Bedürfnis, seinem Freund endlich wieder vollkommen nahe zu sein. „Was machst du da...?“, fragte Jason irgendwann, als er die schlanke Hand in seinem Schritt fühlte. „Na ja...vielleicht ein wenig zur Normalität zurückfinden...“, kicherte Chris leise und griff etwas fester zu. Jason keuchte auf. „So, so...“ Langsam drängte Jason Chris nach hinten aufs Bett, beugte sich über ihn. Sein Körper ruhte auf dem des Blonden, während er sich an dessen Hals entlang knabberte. Chris hielt die Augen geschlossen. Er war unter Jason gefangen, ihm war heiß. Aber nicht angenehm. Irgendwie war es komisch, ungewohnt. Sein Herz pochte wie wild. Jason küsste ihn auf die Wange, schloss seinen Freund fest in die Arme. Sein Unterleib rieb sich am Körper von Chris. Dieser öffnete die Augen. Und blickte direkt in das lächelnde Gesicht von Dave. Chris hörte sich selbst schreien. „Nein! Bitte nicht! Hör auf! Nein! Bitte! Lass mich in Ruhe!“ Jason wusste gar nicht wie ihm geschah. Auf einmal gebärdete sich sein Geliebter wie ein Wilder, er strampelte, schlug nach Jason, doch er war immer noch unter ihm eingeklemmt. „Chris, was ist denn...?“ „Lass mich! NEIN! Hilfe! Bitte nicht!“ In diesem Moment flog die Tür fast aus den Angeln und Chris’ Stiefvater stürmte hinein. Mit einer schnellen Bewegung riss er den Brünetten von seinem Stiefsohn und schleuderte ihn, die Wucht ausnutzend, gegen den Kleiderschrank. Sekunden später hatte Jason eine Faust im Gesicht. „Du Bastard, niemand tut Chris so etwas an!“ Mrs. McKay stand bleich im Türrahmen. „Nein! Nicht!“ Chris rappelte sich auf und warf sich zwischen seinen Stiefvater und seinen Freund. „Er hat nichts getan!“ „Aber du hast um Hilfe geschrieen.“ „Ich weiß, aber...es tut mir leid...Er hat nichts getan.“ Er drehte sich herum und rannte aus dem Zimmer. „Was...?“ Mr. McKay wollte hinterher, doch seine Frau hielt ihn zurück. „Lass ihn.“ Jason war wieder auf die Beine gekommen und hielt sich die Wange. „Fuck.“, fluchte er. Darryl kam wieder zu ihm hinüber. „Was war das eben?“ Seine Stimme klang bedrohlich. „Hören Sie, ich verstehe das selbst nicht. So etwas ist noch nie passiert.“ Jason wich einen Schritt zurück, als erwarte er, dass ihn Mr. McKay gleich wieder schlagen würde. „Haben Sie ihn gezwungen?“ „Wenn Sie mich kennen würden, würden Sie diese Frage nicht stellen.“ „Ich kenne Sie aber nicht und ich will es jetzt wissen!“ „Darryl.“ Chris’ Mutter legte ihm die Hand auf die Schulter. „Nein, ich werde jetzt nicht alles einfach so stehen lassen. Chris hat soviel durchgemacht und wenn er keine Geduld mit ihm hat und ihn zu etwas zwingen will, dann hat er Gott verdammt die Faust verdient, die er abgekriegt hat!“ „Er hat mich zu nichts gezwungen...“ Chris war wieder in der Tür erschienen, seine Flucht war nur kurz gewesen, dann war ihm klar geworden, dass er Jason nicht so sitzen lassen konnte. „Ich brauche Hilfe...“ „Mein Engel.“ Jason trat einfach an Darryl vorbei und ging zu Chris, der in seine Arme sank. „Es tut mir leid, Jason...ich hab es nicht sehen wollen...“ „Schon gut...“ „Nein...ist es nicht. Ich dachte, ich stecke das so weg, aber das kann ich nicht...eben als du mich...ich habe Dave gesehen...ich brauche Hilfe, professionelle Hilfe.“ Fast hätte Jason erleichtert ausgeatmet. Endlich war Chris zur Vernunft gekommen. „Wenn wir wieder in San Francisco sind, gehe ich zu einem Psychiater, wenigstens kann ich die Rechnungen ohne weiteres bezahlen.“ Er lachte trocken. „Schon gut, wir kriegen das hin. Ich helfe dir und deine Familie und deine Freunde auch.“ Chris sagte dazu nichts. Er hatte die Augen geschlossen und lauschte Jasons Herzschlag. Er wollte endlich wieder Normalität. Das Leben sollte wieder normal sein. Wie früher. Noch nie hatte er einen sehnlicheren Wunsch gehabt. David blinzelte in Richtung der Nachmittagssonne, die San Francisco funkeln ließ. Es ging ihm richtig gut. Selbst Schmerzen hatte er im Moment keine, dank der wunderbaren Pillen, die man hier bekam. Jeremy war zu Besuch und David war sich sicher, dass es nur noch ein bisschen Flirten mit der Stationsschwester bedurfte, bis man dem Model ein Bett hier ins Zimmer stellte und ihm erlaubte, zu übernachten. David wunderte sich immer wieder über sich selbst. Früher war er glücklich gewesen, einen Lover vor die Tür zu setzen, nachdem sie Sex gehabt hatten, nur Jason hatte immer übernachten dürfen. Und nun? Er sehnte sich danach, dass sein Freund die Nacht über hier bleiben durfte, obwohl Sex natürlich reines Wunschdenken war. Aber das war egal, er wollte nur Jeremys Nähe und seine Gesellschaft. Es klopfte an der Tür. „Du musst doch nicht klopfen, was soll das?“, lachte David. Es wurde geöffnet und ein gewaltiger Blumenstrauß schob sich ins Zimmer. „Wo hast du die denn her?“ Doch Davids Lachen erstarb, als er sah, wer da in den Raum kam. „Was tun Sie denn hier?“ Sein ewiger Konkurrent Staatsanwalt Walt Rogers. Ein gestriegelter Mann mit Seitenscheitel und ewig korrektem Anzug. Allein sein Gesicht machte David schon aggressiv. „Ich wollte Sie besuchen, alter Junge.“ Alter Junge. Der Mann war älter als er. „Wie komme ich zu der Ehre?“ „Warum sind Sie denn so biestig?“ „Aber nein.“ „Gut.“ Der Mann ließ sich mit einem Grinsen auf den Stuhl fallen. „Erlöse ich Sie mal aus der Einsamkeit.“ „Oh, zuviel der Mühe, ich bin eigentlich nicht einsam.“ „Nein? Sie haben also ein Privatleben?“ „Schließen Sie da von sich auf andere, Mr. Rogers?“ „Touché, aber ich hab ein durchaus ausgefülltes Privatleben mit Frau und Kind.“ „Das ist schön für Sie, ich habe auch ein durchaus ausgefülltes Privatleben mit meinem Lebensgefährten und meinen schwulen Freunden.“ „Oh, das hatte ich ja ganz vergessen.“ „Nein, das haben Sie nicht.“, ging der Schlagabtausch weiter. „Das ist es doch immer, was sie am meisten wurmt. Wenn der Schwule Ihnen wieder einen unter den Händen wegschnappt, den Sie gern im Knast gesehen hätten.“ „Ist da jemand empfindlich?“ „Ich? Niemals. Ich habe einen Schuss mit einer Knarre weggesteckt, ich bin nicht empfindlich.“ „Es gibt Machos in Ihrer Szene?“ „Halten Sie das für ein Vorrecht der Heteros?“ Rogers lachte auf. „Ich vermisse Sie im Gerichtssaal, Vanderveer.“ „So, tun Sie das? Ich vermisse den Stress im Moment gar nicht, wissen Sie?“ „Heißt das, Sie kommen nicht wieder?“ David ließ die Augenbrauen hüpfen. „Davon träumen Sie, ich werde Ihnen das Leben weiterhin schwer machen, sobald ich wieder hier raus bin.“ „Freut mich zur hören.“ „Oh, störe ich?“ Beide sahen auf, Jeremy stand in der Tür, er hatte eine Tüte mit Donuts in der Hand, aus der Bäckerei um die Ecke. „Ihr Sohn?“, lächelte Rogers. „Sie mich auch.“, lächelte David zurück. „Komm rein, Schatz.“ „Oh, das ist Ihr Lebensgefährte.“ Das Gesicht des Staatsanwaltes zeigte genau, was er dachte, er hatte ein Funkeln in den Augen. „Freut mich, Sie kennen zu lernen, Mr....“ „Sumner, Jeremy Sumner.“ Der Rothaarige nahm die ihm entgegen gestreckte Hand. „Freut mich.“ „Ich kenne Sie irgendwoher...“ „Es gab vor kurzem eine Plakatkampagne mit mir.“ „Sie sind Model?“ „Ja, Sir.“ „Wie alt sind Sie?“ „Steht er im Kreuzverhör? Es reicht, Rogers, er ist volljährig. Bald wird er vierundzwanzig.“ „Habe ich was gesagt?“ Jeremy hörte den beiden Männern etwas verschämt zu, er hasste es, wenn mal wieder jemand darauf anspielte, dass er vielleicht minderjährig sein könne und David sich strafbar mache. Offenbar ging es dem nicht anders. „Vielen Dank für Ihren Besuch, Walt. Hat mich sehr gefreut.“ „Und mich erst.“ Der Mann tippte sich an die Stirn. „Gute Genesung, alter Junge.“ Er drehte sich zu Jeremy. „Einen schönen Tag noch, junger Mann.“ Der Hieb hätte nicht deutlicher sein können, aber David erwiderte nichts mehr. Der Staatsanwalt ging und ließ seinen Konkurrenten und dessen Liebsten zurück. „Tut mir leid...“ „Was denn?“ David rutschte vorsichtig ein wenig nach oben. „Das eben...er hat sich über dich lustig gemacht, weil du mit mir zusammen bist. Und das ist nur, weil ich so jung aussehe.“ „Oder ich so alt.“ „Unsinn!“, schnappte Jeremy, „Du siehst nicht alt aus!“ „Und wo liegt dann das Problem?“ „Ich will nicht, dass du dich meiner schämen musst...“ Jeremy ging ums Bett herum und setzte sich auf die Kante, er wollte David näher sein, nicht nur auf dem Stuhl hocken. „Habe ich denn irgendeinen Grund, mich für meinen Freund zu schämen?“ David lächelte weich. „Jeremy, du bist gewitzt, du bist gut erzogen, du bist unendlich lieb, hast eine Engelsgeduld...meistens...und – nicht zu vergessen – du bist Model mit Plakatkampagnen. Was soll ich mir mehr wünschen?“ „Aber ich...“ „Hm?“ „Ach, Mensch...“ Er schnippte mit den Fingern. „Warum redest du mich immer an die Wand?“ „Ich würde gern noch ganz andere Sachen mit dir an der Wand machen...“ Jeremy zog eine Augenbraue hoch. „Oh ja, das denke ich mir, du Invalide...vielleicht ganz gut, dass du außer Gefecht bist, sonst leiere ich irgendwann noch aus.“ „Willst du damit sagen, ich sei Sexbesessen?“, empörte sich David gespielt. „Du?! Aber niemals. Du bist abstinenter als ein Mönch, mein Süßer!“ „Ja, sicher übertrifft mich nur Rogers mit seiner Frau. Die haben ein Kind, danach geht es mit dem Sex rapide bergab.“ „Woher hast du das denn?“ „Gibt es nicht Studien, die das belegen?“ „Wo? Im National Sexographic?“ „Ja, ich muss mein Abonnement noch erneuern.“ Jeremy lachte und beugte sich vor, um seinen Freund zu küssen. „Ich danke dir...“ „Wofür?“ „Das du dich für mich und gegen den Tod entschieden hast.“ „Du bist eindeutig der mit dem höheren Sexappeal.“ David strich ihm mit dem Zeigefinger über die Lippen. „Im Ernst: Ich bin sehr froh darüber. Für dich habe ich mein Leben auf den Kopf gestellt und ich weiß, dass es die richtige Entscheidung war. Ich gebe dich nicht mehr her.“ „Meinst du, ich dich? Dazu habe ich zu lange um dich gekämpft, David.“ „Ja, verbissen wie ein Tiger.“ „Ich sehe mich eher als Gepard, die haben mehr Sexappeal!“ Jetzt war es an David zu lachen. „Ja, das haben sie wohl.“ Er zog Jeremy vorsichtig näher an sich. „Meine Mum hat angerufen.“ „Hast du noch gar nicht erzählt.“ „Deswegen tue ich es ja jetzt, oder nicht?“ Er knuffte ihn kurz. „Und?“ „Sie wollten herkommen, mal wieder, aber ich hab es abgewiegelt, das ist mir zuviel im Moment. Allerdings...sie besteht darauf, dass ich, sobald es mir besser geht, nach Denver rüberkomme und sie besuche.“ „Ist doch schön.“ „Ich möchte dich mitnehmen.“ Stille. Jeremy brauchte einen Moment, das zu verarbeiten. Sein Blick irrte von der Wand zurück zu David. „Du willst...ich soll deine Eltern kennen lernen?“ „Ist das ein Problem?“ „David, das ist ein großer Schritt!“ „Jason ist auch eben bei den Eltern von Chris und seine kennen Chris nun schon eine ganze Zeit.“ Jeremy hatte Herzklopfen. Er atmete tief ein. „Und das ist wirklich dein Ernst?“ „Aber vollkommen.“, bestätigte David. „Und du schämst dich nicht vor deinen Eltern, so einen Freund mitzubringen?“ „Fängst du schon wieder an?“ Die Stimme hatte einen knurrenden Unterton. „Okay! Okay!“ Jeremy hob abwehrend die Hände. „Ich komme ja mit.“ „Super!“ Der Blonde küsste ihn auf die Schläfe. Jeremy jedoch guckte etwas verkniffen, so dass David es nicht sehen konnte. Auf einmal hatte er schreckliche Angst. „Er will, dass du seine Eltern kennen lernst?!“ Abby schlürfte aufgeregt an ihrem Milchshake. Sie waren bei McDonald’s gewesen und „trainierten“ die Kalorien nun mit einem Spaziergang ab. Einen Drink auf den Weg hatte die junge Frau sich aber nicht nehmen lassen. „Ja...“ Jeremy lächelte ein Mädchen an, die mit ihren Freundinnen unterwegs war und auf einmal aufgeregt auf ihn zeigte. Unhöflich, aber schmeichelhaft, er fragte sich, ob es auch irgendwann so sein würde, dass er um Autogramme gebeten wurde. Tat man das bei Models? „Jem!“ Der Rothaarige zuckte zusammen. „Was?“ „Ich hab dich was gefragt.“ „Oh...und wie muss die Antwort lauten?“ „Ich geh zu Oprah...“, grummelte Abby. „Hilfe, meine beste Freundin hört mir nicht mehr zu. Oprah wüsste bestimmt Rat.“ „Jetzt sag schon!“, lachte Jeremy. „Ich fragte, ob du mitgehst.“ Sie bekam einen Seitenblick. „Ja, ich denke schon.“ Der junge Mann reckte kurz sein Gesicht der Morgensonne entgegen. Er hatte in der Nacht kaum geschlafen. Allerdings vor Aufregung. „Das kommt einem Heiratsantrag gleich, ist dir das klar?“ „Wie kommst du denn darauf?“ „Nur, wenn es ernst wird, bittet der Typ dich, seine Eltern kennen zu lernen.“ „Abby, ich bin schwul, da ist das etwas anders.“ Seine Freundin nuckelte einen Moment betont unschuldig an ihrem Strohhalm. „Jetzt ist er schwul. Bis vor kurzem waren wir noch bisexuell.“ „Na und?!“, grinste Jeremy, er hatte nicht einmal gemerkt, dass er das gesagt hatte. „Tja, mit einem Adonis wie David würde ich auch schwul werden...wäre ich ein Kerl, versteht sich...welche Frau kann da schon mithalten.“ „Du klingst frustriert.“ „Würdest du dich mehr für mein Privatleben interessieren, wüsstest du warum.“ Sie lachte. „Nee, schon gut, du hast ja genug um die Ohren. Aber ich war letztens mit einem aus, der in der Chorusline mitmacht, bei der ich im Moment bin.“ Abby hatte endlich Glück gehabt und ein Engagement gefunden. „Und?“ „Na ja, wir waren Essen, im Autokino...richtig süß...und dann dankt er mir für den schönen Abend, er habe schon lange nicht mehr soviel Spaß mit einer Frau gehabt.“ „Schwul...“ „Exakt...Wo sind die heterosexuellen Tänzer?! Barishnikov ist auch nicht schwul!“ Sie hob die Hände zum Himmel. „Das Leben ist grausam!“ „Du armes Kind...“ „Hab gefälligst Mitleid, sonst habe ich auch keines mit dir, wenn dich der Schwiegerdrache auffrisst.“ „Wie aufmunternd...“, murmelte Jeremy. „Ist doch wahr. Du bist der Freund. Der endgültige Beweis dafür, dass der Sohnemann schwul ist und niemals ein Enkelkind produziert, es sei denn er adoptiert eines.“ „Und deshalb müssen sie mich nicht mögen...ist das nicht ein bisschen vorurteilsbehaftet? Außerdem ist David über dreißig und sie wissen schon lange, dass er schwul ist.“ „Aber du bist doch wohl seine erste richtige Beziehung.“ „Ja.“ „Na, siehst du. Jetzt müssen sie sich damit befassen.“ Jeremy blieb stehen. „Sag mal, ist es nicht dein Job als beste Freundin, mich aufzumuntern, statt mir noch mehr Angst zu machen?!“ „Ich will doch nur, dass du weißt, was auf dich zukommen könnte. Was bringt es dir, wenn ich rosa male?“ „Vielleicht könnten sie mich auch mögen! Ist das so abwegig?!“ „Jetzt werde doch nicht gleich sauer.“ „Ich werde aber sauer!“ Jeremy verschränkte die Arme vor der Brust. „Keiner nimmt meine Beziehung zu David ernst! Alle sehen immer nur die Schattenseiten!“ „Jeremy, was redest du da für einen Mist?!“ „Ist doch wahr! Du prophezeist mir, dass mich die Schwiegereltern nicht mögen, alle anderen nerven mich, weil ich so jung aussehe! Keiner glaubt daran, dass David und ich eine Zukunft haben, aber weißt du was?! Ihr könnt mich bald alle mal!“ „Was...?!“ Einige Leute drehten sich nach ihnen um. „David und ich lieben uns und es ist mir egal, was ihr darüber denkt! Du und alle anderen! Redet doch eure Scheiße, macht alles schlecht! Mir ist das egal! Ich liebe ihn und ich lasse mir das nicht kaputt machen!“ Der junge Mann hatte die Fäuste geballt. „Das will doch gar keiner!“ „Doch! Du und alle anderen! Keiner will uns eine Chance geben! Aber ich werde David nicht hergeben, niemals! Nie, okay?! Ich habe zu lange um David gekämpft, um es mir von euch jetzt madig machen zu lassen!“ „Entschuldige...“ Abby war plötzlich etwas kleinlaut. „Angenommen.“ Damit ließ Jeremy sie einfach stehen und ging weg. Abby sah ihm nach und ließ die Schultern sinken. Das war ja nun überhaupt nicht gut gelaufen. Die Sonne ging am Horizont von Texas unter, Jason saß auf der Terrasse des Hauses McKay und genoss die Abendluft. Chris war drin und kochte mit seiner Mutter, irgendetwas, was mal als Kind sein Leibgericht gewesen war, Jason hatte den Namen vergessen, war aber durchaus gespannt. Die Tür öffnete sich und Mr. McKay kam heraus, mit zwei Flaschen Bier. Eine wurde an Jason übergeben. „Vielen Dank.“ „Gern geschehen. Ich bin rausgeflogen.“ „Da sind wir ja schon zwei.“ Darryl setzte sich in den anderen Stuhl neben dem kleinen Tisch auf der Veranda. Einen Moment herrschte Schweigen. „Ich habe mich noch gar nicht entschuldigt.“ „Schon okay.“ „Nein, ich war voreilig.“ „Sie waren ein Vater, Darryl, auch wenn Sie nicht Chris’ leiblicher Vater sind.“ „Geht es Ihrem Gesicht einigermaßen.“ „Ich werde es überstehen.“, lächelte Jason. „Sie scheinen trotz allem wesentlich gelöster als gestern.“ „Das können Sie laut sagen.“ Der Braunhaarige lehnte sich zurück. „Ich habe so gehofft, dass Chris zu einem Psychologen geht und jetzt hat er endlich eingesehen, dass es nötig ist. Ich liebe ihn zu sehr, um ihn so leiden zu sehen.“ „Er hat wirklich viel durchgemacht in seinem Leben.“ „Ja...und bisher alles bravourös weggesteckt...aber das, was dieser Dave Jerrod mit ihm gemacht hat, war zuviel. Das steckt keiner weg.“ „Es ist schlimm, ihn so leiden zu sehen.“ Jason nickte nur und nippte an seinem Bier. „Aber das wird wieder gut. Es muss. Egal wie lange es dauert, ich kriege meinen Chris wieder.“ „So lange er Hilfe hat, wird das auch klappen, da bin ich mir sicher.“ Wieder herrschte einen Moment Schweigen. „Was haben Sie eigentlich mit Ihrem Hund gemacht? Hundepension?“, wechselte Darryl das Thema und leitete zu Smalltalk über, damit die Stimmung nicht zu gedrückt wurde. „Nein, er ist daheim. Mein Bruder passt auf ihn auf.“ „Ihr Bruder?“ „Ja. Gary besucht die Universität von San Francisco und wohnt noch bei mir.“ Darryl setzte sich auf. „Sie vertrauen Ihr Haus ohne Sorgen einem halben Teenager an?“ „Keine Angst, er ist nicht allein dort. Wir haben im Moment einen Untermieter, der junge Mann ist sehr vernünftig und hat außerdem eine kleine Schwester.“ Jason lächelte wissend. „Was sollten die Beiden schon anstellen, mit einem Kleinkind im Haus?“ Harte Gitarrenriffs hallten durchs Wohnzimmer und im nächsten Moment sprang Gary auf die Couch und wirbelte wild Luftgitarre spielend die Arme durch die Gegend. Seine Haare flogen hin und her, während er ekstatisch mitsang. „So am I still waiting For this world to stop hating Can't find a good reason Can't find hope to believe in Drop dead A bullet to my head Your words are like a gun in hand You can't change the state of the nation We just need some motivation These eyes Have seen no conviction Just lies and more contradiction So tell me what would you say I'd say it's time too late....“ Nicolai saß lachend auf dem Sessel und sah ihm zu. Gary schaffte es sogar, Sum41 zu übertönen, so laut und schräg sang er. Und dabei sah er so sexy aus. Vor ihnen auf dem Tisch stand eine fast leere Flasche Wodka und Schnapspinchen. Anna und Batman waren bei den Nachbarn, mit deren kleiner Tochter Nicolais Schwester oft spielte. So hatten die Beiden einen sturmfreien Abend, den sie ausgiebig nutzten. Kino, Pizza – Wodka. So gut hatte sich der junge Russe schon lange nicht mehr amüsiert. Lachend ließ sich Gary auf die Couch krachen und strich sich die nassen Haare aus der Stirn. „Sum41 sind zu geil! Ich liebe diesen Song!“ Er hatte eine verdammt schwere Zunge, sie waren beide gut abgefüllt. „Ich kannte die bis eben zwar nicht, aber ja. Absolut!“ „Du kennst die nicht?! Banause!“, kicherte Gary albern und stürzte den nächsten Schluck Wodka runter. „Du...?“, fragte er lang gezogen. „Hm?“ „Wie ist das mit einem Mann zu ficken?“ Verdutzt schaute Nicolai Jasons Bruder an, das war ein abrupter Übergang gewesen, Alkohol machte es möglich. „Wie kommst du darauf?“ „Ich will es...will es wissen...“ „Hast du nicht damals mit Marcus?“ „Neeeeee!“, Gary winkte fahrig ab. „Er hat...hat mir einen geblasen, mit Gummi, war richtig gut. Aber sonst...neeee, keine Nummer.“ „Ach...“, meinte Nicolai geistesabwesend. „Also?“ „Gary...“ „Nun sag schon!“, behaarte der junge Mann. „Wie fühlt sich ein Arsch an. Ist das wie bei einem Mädel?“ „Das ist schwer zu beschreiben.“ „Aber du hast doch schon mal, oder?“ „Der war gut!“, lachte Nicolai, obwohl es etwas bitter klang. „Du bist gemein! Erklär es mir doch!“ Nicolai sah ihn an. Lange und wortlos. Seine Gedanken wirbelten im Alkoholrausch durcheinander. Warum eigentlich nicht? Was hatte er zu verlieren? „Willst du es ausprobieren?“ Die Worte waren schneller gesagt, als ihm bewusst war. Schrecklich schnell und ebenso unvernünftig. Aber das war ihm egal. Gary glotzte ihn ziemlich dämlich an. „Hä?“ „Willst du es probieren?“ „Mit dir?!“ Der Tonfall tat ein wenig weh, aber Nicolai verdrängte es. „Du willst es wissen und so hast du wenigstens Erfahrung.“ „Ich weiß nicht...“ Der junge Russe stand auf und kam zu Gary hinüber. „Stell dir vor, ich sei Marcus...“ Der Kopf von Jasons Bruder ruckte hoch, er fixierte Nicolai mit seinen glasigen Augen. „Du spinnst.“, knurrte er. Nicolai erkannte sich selbst nicht wieder, er lächelte einfach nur stoisch. „Nein. Nimm mich an seiner Stelle. Für heute Nacht bin ich Marcus.“ „Du solltest das nicht sagen...ich bin in einer Stimmung, wo das böse enden kann...“ „Vielleicht will ich das ja...“ Nicolais Stimme war voller Verheißung. Er beugte sich herab, kroch auf allen Vieren über Gary und knabberte an seiner Lippe. „Lass mich für dich Marcus sein.“ Im nächsten Moment wurde er grob gepackt und von Gary an sich gezerrt. Gemeinsam sanken sie zu Boden. Immer noch dröhnte die Musik aus den Lautsprechern, nur ein wenig gedämpft, als Nicolais Oberteil darüber segelte und hängen blieb... ~~~ Über drei Monate... Es tut mir wirklich leid, dass ihr alle so lange warten musstet, aber ich hatte wahrscheinlich die härteste Form von Schreibblockade, die man sich vorstellen kann. Es ging nix, absolut gar nix! -_- Gestern Abend (16.11.) hat es dann plötzlich geklappt und ruckzuck war das Kapitel am Ende. Ich hoffe, dass es beim nächsten nicht wieder so ein Drama gibt >.< Es sind diesmal 16 Seiten, aber ich denke bei der inhaltlich Vielfalt an Storylines im Moment ist das zu verkraften. Dieses Kapitel möchte ich Joe widmen, meinem sexy Armyboy, der nicht müde wurde, mich zum Schreiben zu ermutigen. Ich habe ihn über Remember the promise kennen gelernt, also verstehe ich seine Spannung auf den nächsten Teil durchaus *g* Also, das war nun endlich das neue Kapitel, vielen Dank, dass ihr mir trotz Schreibblockade und langer Wartezeit die Treue gehalten habt! Liebe Grüße, dat wieder auferstandene Uly ^^ Kapitel 40: The Denver verbal massacre a.k.a. Partings ------------------------------------------------------ Als Nicolai am nächsten Morgen erwachte, lag er auf dem Wohnzimmerboden. Sein Nacken schmerzte, der Rest des Körpers auch. Er musste die ganze Nacht auf der harten Unterlage verbracht haben und das war nicht unbedingt ein Volltreffer gewesen. Ein Arm war um ihn gelegt, hinter ihm ein warmer Körper. Nicolai schloss die Augen noch einmal. Er lag in Garys Armen. Endlich. Vorsichtig drehte er sich herum, ignorierte dabei den leichten Schmerz in seinem Unterleib. Gary war sturzbesoffen und geil gewesen – und daher nicht sonderlich vorsichtig. Er war so wunderschön, schon so männlich und markant. Ein leichter Bartschatten lag auf seinen Wangen. Nicolai lächelte und streckte sich ihm entgegen um ihm einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Ganz zärtlich. Vielleicht konnte er ihn sogar damit wecken und ein Lächeln von ihm bekommen. Gary knurrte ein wenig, verlagerte sich und lächelte tatsächlich. “Marcus...“ Mit einem Schlag war Nicolai wieder in der Realität. Und sie war hässlich. Ruckartig drückte er sich von Gary weg, wobei er ihm seine Handflächen in den Bauch presste. Jasons Bruder keuchte auf. “Spinnst du?!“, stöhnte er mit kratziger Stimme. Nicolais Kopf explodierte nahezu als er aufsprang und nackt die Treppe hinauf stürmte. Er antwortete nicht, nur weg. Weg. Doch diesen Gefallen tat ihm Gary nicht. Er fiel zwar beinahe über den Couchtisch, doch auch er, nackt, wie Gott ihn schuf, stieg die Treppe hoch. An der ersten Stufe musste er anhalten. Sie hätten nur beim Wodka bleiben sollen, Mischen brachte nie etwas Gutes mit sich. „Was ist los?!“ „Lass mich in Ruhe!“ „Hey, du wolltest es doch auch!“ Nicolai blieb abrupt stehen. Er wandte sich um. „Bitte?!“ „Du wolltest es auch! Du wolltest, dass ich dich flachlege!“ „Ich wollte...“ Nicolai war kurz sprachlos. „Ja.“ Damit drehte er sich um und ging weiter. „Hallo?! Ich dachte bei euch ist das nicht so schlimm!“ Und wieder stoppte der junge Russe. „Und was soll das nun wieder heißen?“ „Na ja, ich dachte immer, Schwule haben kein Problem mit einer Nummer ohne Liebe. Einfach nur vögeln halt.“ „Du bist doch...“ Nicolai schüttelte den Kopf. „Warum sagst du so etwas?“ „Ich dachte nur...“ Gary schloss die Augen. „Entschuldige... so sollte das nicht klingen. Aber ich verstehe eben dein Problem nicht. Wir beide wollten es. Du hast mich sogar verführt. Und nun...“ „Und nun...“ Auf einmal wusste Nicolai nicht, was er sagen sollte. „Ja?“ Der Russe öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Was sollte er schon sagen. Gary hatte Recht. Wie konnte er sich überhaupt aufregen? Er hatte die ganze Sache doch angeleiert. Er wollte für eine Nacht Marcus sein. „Vergiss es.“ Die letzten paar Stufen und der Weg zu seinem Raum waren wie eine Flucht. Er schlug die Tür hinter sich zu. Er wollte sich aufs Bett werfen, doch dann entschied er sich fürs Anziehen. Shorts, eine Jeans, als er nach einem Shirt angelte, wurde die Tür geöffnet. „Bitte nicht...“ Gary hatte sich mit seinen Shorts begnügt. Und er reagierte auch nicht auf die Bitte des jungen Mannes. „Wir müssen reden.“ “Müssen wir nicht.“ Jasons Bruder lächelte. „Natürlich müssen wir das.“ “Gary...“ Nicolai seufzte. „Was soll das? Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen?“ „Weil ich dich mag. Ich will unsere Freundschaft nicht verlieren und nun hatten wir Sex und...“ „Hatten wir nicht!“ Nicolai ging in die Luft. So heftig, dass Gary zusammenzuckte. „Wir hatten keinen Sex! Du hattest Sex mit Marcus, erinnerst du dich?! Marcus! Der Junge, den du toll findest, liebst oder was auch immer!“ „Aber...“ Gary stammelte. „Kein aber. Es ist so!“ Nicolai gestikulierte wütend. „Ich könnte mich selbst in den Arsch treten. Ich hätte das nicht tun sollen!“ „Nicolai, bitte...“ Doch dieser schüttelte den Kopf, seine Wut war noch da, aber er merkte, dass es nicht der richtige Weg war. Nicht so. Wenn er weiter redete, würde er alles verlieren, was ihm von Gary noch blieb. Ihre Freundschaft. „Bitte geh jetzt. Hol Anna und Batman ab, ja? Ich komme schon klar.“ Gary war total verwirrt. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, er hätte fast über seinen Gedanken gelacht. Waren Schwule einfach nur Frauen mit Eiern? Nicolai war für ihn ebenso unverständlich, wie die Mädchen, die er kannte. „Okay... ich geh dann mal...“ Er sah an sich herab. „Aber zieh mich wohl vorher an.“ Der Witz zündete nicht, Nicolai schaute einfach nur aufs Fenster. „So eine Scheiße!“, fluchte er, kaum dass Gary aus dem Raum war. „Ich bin noch nie in meinem Leben geflogen.“ David stoppte abrupt. „Wie meinen?“ Sie waren auf dem Weg zum Terminal des San Francisco Airport, drei Tage nach der verhängnisvollen Nacht im Hause Cunningham. Von der Beide natürlich nicht das Geringste wussten. „Du hast mich schon verstanden.“ „Das ist wirklich dein Ernst?“ „Ja, warum?“ „Na ja, du bist dreiundzwanzig.“ Jeremy lächelte. „Schatz, ich bin eben nicht viel rumgekommen, nur in der Gegend um San Francisco herum.“ „Na ja, dann zeige ich dir jetzt eben die große weite Welt... oder zumindest Denver.“ Sie mussten noch etwas warten, bevor sie das Flugzeug besteigen konnten und setzten sich in eine Ecke des Wartebereichs. Es war eine kleine Maschine und nicht viele Passagiere warteten auf ihren Abflug. „Muss ich eigentlich irgendetwas wissen?“ „Na ja, du solltest zuerst aufstehen und ich etwas später, sonst fällt es auf, wenn wir zusammen auf die Toilette gehen, damit wir dem Mile High Club beitreten können.“ „Denkst du auch mal an etwas anderes, als an Sex?“ David sah kurz zur Decke, als überlege er angestrengt. „Nein.“ „Welch eine Überraschung.“ Der Blonde legte den Arm um seinen Freund und lächelte. „Im Ernst, ich weiß wovon du redest, aber du musst dir keine Gedanken machen.“ „Das mache ich mir aber.“ „Worüber genau?“ Jeremy beobachtete ein aufsteigendes Flugzeug. „Na ja, wie ich zum Beispiel mit deinen Eltern umgehen soll. Wie soll ich mich verhalten? Soll ich lieber die Klappe halten? Oder soll ich die Initiative ergreifen?“ „Wie wäre es mit du selbst sein?“ „Ich selbst? Ich wollte perfekt sein, wenn ich ihnen gegenüber stehe.“ „Eben.“ Der Rotschopf schnaubte. „Du kannst mich auch nur verarschen.“ David legte den Arm um ihn und lächelte dabei süffisant einen Mann in der Sitzreihe gegenüber an, dessen Gesichtsausdruck deutlich zeigte, was er von Schwulen hielt. „Ich verarsche dich nicht.“ „Dann nimm mich doch endlich mal ernst, David.“ „Das tue ich, Jem, das tue ich. Und das eben war mein Ernst. Sei du selbst und du bist perfekt.“ „Das stimmt nicht. Ich bin nicht perfekt.“ David seufzte. „Jeremy, du bist höflich, liebenswert, freundlich, du siehst gut aus, du bist perfekt und meine Eltern werden dich lieben. Das garantiere ich dir.“ „Du bist auch ein ewiger Optimist, was?“ „Nahtodeserlebnisse haben wohl so eine Wirkung, mein Schatz.“ „Wie lange willst du noch alles darauf schieben?“ David grinste. „Ich habe eine fesche Einschussnarbe auf meinem Bauch, diesen Trumpf kann ich für den Rest meines Lebens ausspielen.“ „Soll ich dich auch für den Rest deines Lebens bedauern?“ „Gott bewahre! Ich hasse übertriebenes Mitleid... du darfst mich aber deswegen scharf finden.“ „Flug 768, San Francisco – Denver. Flug 768, San Francisco - Denver. Alle Passagiere bitte an Bord.“ „Oh scheiße...“ Jeremy schlug die Hände vors Gesicht. „Scheiße... scheiße...“ Neben ihm konnte man ein tiefes Seufzen hören. „Hör zu, Schatz, wenn du das nicht willst, dann fahr heim. Meine Eltern sind sicher nicht sauer, ich habe ihnen eigentlich ja noch nicht einmal gesagt, dass du dabei bist.“ „Was?!“ Der Rothaarige sprang auf, so abrupt, dass David zusammenzuckte. „Was denn?“ „Spinnst du?! Du hast ihnen noch nicht einmal was gesagt?! Du schleppst deinen ersten richtigen Freund bei deinen Eltern an und warnst sie nicht einmal vor?!“ „Wer sagt dir, dass du mein erster richtiger Freund bist?“ „Wechsle nicht das Thema!“, knirschte Jeremy. „Was ist denn daran so schlimm?“ „Das fragst du noch? Sie erwarten ihren Sohn und... Oh, Gott...“ „Hör zu, Jem, mein Vater und ich haben so eine Art Gentlemen’s Agreement. Ich habe bisher mein schwules Leben hier in San Francisco gelassen, es war nie Thema bei uns. Dad hat mich gebeten, keine Lover mitzubringen.“ „Oh! Mein! Gott!“ Jeremy richtete die Augen gen Himmel beziehungsweise zur Decke der Halle. „Aber du bist kein Lover!“, fuhr David fort, „Du bist etwas Besonderes in meinem Leben, du bist mein Freund. Ich will dich ihnen vorstellen!“ “Sie werden mich hassen...“ „Nein, das werden sie nicht!“, beharrte der Blonde und stand nun ebenfalls auf. „Sie werden dich gern haben, so wie dich jeder sofort gern hat, wenn er dich kennen lernt. Du hast auch dieses Chris-Gen, jeder liebt dich und zwar gleich auf der Stelle. Ich habe mich sogar in dich verliebt, also bist du jemand besonderes.“ Er deutete auf die Theke vor der Gangway. „Und wenn du deinen Hintern jetzt nicht gleich ins Flugzeug bugsierst, dann fliege ich ohne dich!“ „David, ich...“ „Ja oder nein? Ich bin dir nicht böse, wenn du nicht mit willst, aber was mich angeht, so bin ich fest davon überzeugt, dass ich dich meinen Eltern als den Mann in meinem Leben vorstellen will.“ Jeremy sah ihn an und auf einmal lächelte er. Den Mann in meinem Leben. Dass er diese Worte mal von David hören würde, hätte er nie gedacht. Also gab er nach. „Okay...“ „Guter Junge.“ David zog eine Pillendose und eine Flasche Wasser aus der Tasche und spülte eine herunter. „Gehen wir.“ „Nimmst du diese Dinger immer noch?“ Der Anwalt zuckte mit den Schultern. „Ja, die Schmerzen kommen immer noch wieder, immer dann, wenn man sie nicht brauchen kann.“ „Sind die nicht zu stark?“ „Bist du meine Mutter?“ Jeremy resignierte. Wenn David etwas tun wollte, dann tat er es auch. Damit würde er wohl leben müssen. Also trottete er, immer noch mit klopfendem Herzen, seinem Freund hinterher. In den Bäumen zwitscherten Vögel und über dem großen Teich schwirrten Libellen umher. Es war eine wundervolle, ruhige Atmosphäre in dieser grünen und blühenden Parkanlage. Die Luft war frisch und es duftete leicht nach Blumen, überall gingen Leute über die ordentlichen Kieswege, wären nicht unter den Spaziergängern auch komplett in Weiß gekleidete Personen, hätte wohl niemand vermutet, dass dies ein Sanatorium war, in dem man den Patienten half, von ihren Süchten loszukommen. Chris fuhr sich etwas unsicher durch die Haare. Die Begrüßung von Sly und ihm war merkwürdig distanziert gewesen, als wären sie Fremde. Keine Umarmung sondern ein flüchtiger Handschlag, Sly sah ihn kaum an, in die Augen schon gar nicht. Er sah recht gut aus, nur die immer noch dunklen Ringe um die Augen verrieten die schweren Zeiten, die er durchgemacht hatte. Sie spazierten durch die Parkanlage und das Schweigen wurde langsam erdrückend, Chris spürte Schweiß auf seinem Rücken. „Und wie geht es dir?“ „Kann nicht klagen.“ „Das ist schön.“ „Und dir?“ „Gut.“ Chris musste sich gratulieren, das war ja wohl eine wundervolle Unterhaltung gewesen, wie auf einer lieblos geschriebenen Postkarte. ‚Hier ist es schön, das Wetter ist gut, wie ist es bei euch? Bis bald.’ Früher hatten sie doch stundenlang reden können und heute? „Geht es... nun geht es mit der Therapie voran?“ Irgendwann hatten sie das Thema ja mal anschneiden müssen und wenn sie eh so durch die Unterhaltung stolperten, warum dann nicht auch gleich? „Ich bin trocken, falls du das meinst.“ Das hatte mehr als ruppig geklungen. Chris blieb überrascht stehen. „Ich habe doch nur gefragt...“ „Ich habe nur geantwortet.“ „Ja, aber wie.“ Sly schnaubte. „Was für eine Antwort hast du denn erwartet?“ „Warum bist du so angriffslustig?“ Einen Augenblick herrschte Stille. „Du hast Nerven, Chris. Wegen dir habe ich doch zur Flasche gegriffen! Du bist doch Schuld daran!“ Der Blonde starrte ihn an. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit. „Bitte...?“ „Spiel doch nicht den Dummen. Du bist schuld, dass ich gesoffen habe!“ „Aber...“ Sly stemmte die Hände in die Hüften. „Lassen wir das Geplänkel einfach und reden wir endlich richtig. Was willst du hier?“ „Dich besuchen.“ „Nicht vielleicht eher dein schlechtes Gewissen beruhigen? Schauen, ob der arme Säufer endlich wieder auf dem Damm ist?!“ „Sly, was hast du denn?“ Chris war nicht mehr sicher in was für einem Film er gerade war. Oder ob es ein Albtraum war. „Was ich habe? Ich habe genug, Chris!“ Nun war der New Yorker sprachlos. „Aber Sly, ich...“ „Ich weiß, dass du nicht du selbst warst, aber als ich dich Jason küssen sah, ist mir eines klar geworden! Du wirst dich nie ändern! Egal, ob du dein Gedächtnis verlierst oder sonst was, du wirst immer zu ihm rennen! Du wirst immer Jason vergöttern! Immer nur ihn! Und deswegen bist du Gift für mich!“ Chris öffnete den Mund, kam aber gar nicht dazu, etwas zu sagen. „Ich war jahrelang trocken und dann kamst du. Du hast es nicht gewollt, ich weiß, ich weiß... aber es ist so. Du bist schuld und jetzt muss damit Schluss sein! Wir beide sind einfach nicht füreinander gemacht!“ Immer noch war Jasons Freund total fassungslos. Und hilflos. „Ich will das klarstellen, Chris. Ich möchte dich nicht mehr wiedersehen. Nie mehr. Auch nicht Jason, David oder einen anderen aus deinem Freundeskreis. Ich werde nicht verlangen, dass Ash sich von euch zurückzieht, aber er unterstützt mich darin, dass ich euch die Freundschaft kündige. Und ganz besonders dir.“ Sly hatte am Anfang angriffslustig geklungen, doch nun nur noch erschöpft und kraftlos. Allerdings hielt er Chris’ entsetztem Blick stand. „Du willst...“ „Dich nicht mehr sehen, ja. Ich will nicht mehr, dass du mich besuchst, ich will nicht dass du mich anrufst, ich will dich auch in San Francisco nicht mehr sehen! Nie mehr. Ich muss mich entscheiden. Du oder ein Leben ohne Alkohol.“ „Du spinnst ja!“, entfuhr es Chris. „Nein, das tue ich nicht! Wenn ich den Kontakt mit dir halte, dann wird es irgendwann wieder passieren. Ich werde mich zu dir hingezogen fühlen, ich werde denken, dass ich eine Chance bei dir habe und dann – bumm. Dann tust du mir wieder weh, zerstörst mich wieder. Natürlich ohne es zu wollen, aber du wirst es tun! Du bist kein schlechter Mensch, aber du bist schlecht für mich!“ „Das ist doch alles Schwachsinn!“ Chris riss der Geduldsfaden. „Du warst einfach schwach! Du hattest einen schwachen Moment!“ „Ja, aber das war deine Schuld!“ „Ich habe dir nie Avancen gemacht! Ich wollte nur mit dir ausgehen! Das ist noch kein Eheversprechen!“ „Du warst eifersüchtig auf Jason und diesen Nicolai und hast mich zum Instrument deiner Rache gemacht! Das ist es gewesen!“ „Das ist doch wirklich total daneben!“ „Ach ja! Wie war es dann?!“ Chris stutzte und das genügte Sly offensichtlich. „Siehst du?! Genau das meine ich! Es war so! Also bitte akzeptiere meine Entscheidung und geh! Komm nicht wieder, ruf nicht an. Vergiss mich!“ Sly drehte sich um und ging einfach. Er hätte Chris nicht ansehen können, jetzt nicht mehr, das tat zu weh. „Schön! Wie du willst!“, brüllte ihm der Blonde patzig hinterher. „Wenn du meinst, dass das die Lösung ist!“ „Ja, das meine ich!“, war Slys über die Schulter gerufener Kommentar dazu. „Bitte! Dann noch ein schönes Leben!“ Als sich der Brünette nach einigen Metern doch noch einmal umdrehte, war Chris nicht mehr da. Sly blieb stehen und lehnte sich an einen Baum. Er hatte es tatsächlich geschafft. Das war die richtige Entscheidung gewesen. Und sie fühlte sich grauenvoll an. Aber sie war richtig, das sagte er sich immer wieder. „Und halten Sie seine Entscheidung für richtig?“ Chris wusste zunächst keine Antwort. Er saß auf einer bequemen Couch, ihm gegenüber eine Frau Ende Dreißig in einem beigefarbenen Kostüm, das perfekt zu ihren braunen Haaren passte. Sie schaute ihn über den Rand ihrer schmalen Brille an, einen Block in der Hand. „Ich weiß es nicht. Sagen Sie es mir.“ „Mr. Fairgate, ich bin nicht hier, um Ihnen die Worte in den Mund zu legen.“ Dr. Goldstein lächelte. Agnes Goldstein, renommierte Therapeutin mit einer Wand voller Auszeichnungen hinter sich. Ihr Büro war gemütlich eingerichtet, wenn auch sicher alles hier einen tieferen Sinn hatte. Alles sollte Behaglichkeit ausstrahlen, von den gepflegten Topfpflanzen bis zu dem gemütlichen Sofa. Der Patient sollte sich wohl fühlen. Es war wohl eine Fügung des Schicksals, dass Chris’ erste Sitzung bei ihr ausgerechnet am Tag seines Streits mit Sly war. „Er hält mich für eine Gefahr für sich und läuft davor weg. Aber ist das nicht feige?“ „Laufen wir nicht alle vor etwas weg?“ Was für eine Antwort. Chris hätte fast mit den Zähnen geknirscht, er wusste nun wieder, warum er eigentlich nichts von Psychologen hielt. „Ja, aber das ist doch eigentlich normal.“ „Ich mag den Ausdruck normal nicht.“ Der Blonde lächelte. „Nein, natürlich nicht.“ Seine Nervosität stieg. „Dann hätten Sie ja keine Patienten.“ Keine Antwort, Dr. Goldstein sah ihn nur an. Chris brach langsam der Schweiß aus. „Das war ein Scherz.“ „Ich weiß.“ Sie überging das einfach. „Aber ich denke, es gibt auch erst einmal etwas wichtigeres zu besprechen, finden Sie nicht auch?“ Diese kühle und distanzierte Art machte Chris wahnsinnig. Vielleicht war das ihre Taktik. In den Wahnsinn treiben und mehr abkassieren? „Ja, das stimmt wohl.“ „Dann erzählen Sie mal.“ „Nun ja, es ist etwas schwierig.“ Keine Antwort. Chris spielte mit seinen Fingern. „Ich wurde von jemandem entführt und gequält... er bedrohte mich, schlug mich, hat mich vergewaltigt und am Ende lebendig begraben...“ Chris brach jedes Mal wieder der Schweiß aus, wenn er sich diese Ereignisse ins Gedächtnis rief, „und nun... ich dachte, ich hätte es überwunden, aber das habe ich wohl nicht. Ich sehe Dave immer wieder, ich kriege Panik im Dunkeln... ich schlage meinen Freund, wenn er mit mir schlafen will. Aber nur, weil ich plötzlich Dave in ihm sehe.“ „Ist Ihr Freund denn brutal zu Ihnen?“ „Nein!“, empörte sich Chris abrupt. „Er ist wundervoll!“ „Dann sind Sie das Problem.“ Na wunderbar. Das hatte Chris auch schon gewusst. Dazu brauchte er keine Psychologin und es war besonders erhebend, schon zum zweiten Mal an einem Tag als Problem bezeichnet zu werden. „Und was kann man dagegen tun?“ „Sind Sie ein sexueller Mensch?“ „Was?!“ Diese Frage hatte Chris nun gar nicht erwartet. „Sind Sie ein sexueller Mensch? Ich meine, sind Sie mit ihrer Sexualität im Reinen? Sie sind homosexuell, war das je ein Problem für Sie? Hatten Sie in Ihrem Leben schon viel sexuellen Kontakt zu Männern?“ „Ich... also wie... wie soll ich sagen...“ Sie beugte sich vor. „Keine Angst, was in diesem Zimmer gesprochen wird, fällt unter die ärztliche Schweigepflicht.“ Chris seufzte. „Ich... ich war lange Jahre Stricher... also ich habe mich prostituiert. Aber ich bin davon weg, vor allem Dank meines Freundes. Durch ihn habe ich zu einem normalen Leben gefunden.“ „Und waren Ihre Freier brutal zu Ihnen?“ „Hin und wieder...“ Chris überlegte kurz. „Einige waren mal grob, aber ich hatte wohl verdammtes Glück damals.“ „Also haben Sie in Ihrem Leben keine derartige Erfahrung machen müssen, wie bei Ihrer Entführung.“ „Na ja, letztes Jahr... ich weiß, wie das klingen mag... da wurde ich schon einmal... also es war ein Mörder, den ich beobachtet hatte und er hatte mich... aber vergewaltigt wurde ich damals nicht.“ Der Therapeutin hörte sich das alles mit ruhiger Miene an. „Ihr Leben war also sehr bewegt.“ „Ja, aber ich habe es im Griff.“ „Hätten Sie das, wären Sie nicht hier.“ Chris blieb der Mund offen stehen. Das war dreist. Und leider auch noch wahr. „Onanieren Sie?“ Jetzt schluckte der New Yorker aber doch etwas. Seine Wangen färbten sich leicht rötlich. „Selten, wir äh... wir hatten ein sehr gesundes Sexualleben.“ „Onanieren Sie heute mehr?“ “Was? Äh... hier und da... ja?“ „Allein?“ „Wie meinen? Natürlich.“ Chris biss sich auf die Lippe. „Das ist doch Sinn der Sache.“ „Ist es das?“ Gleich erschlage ich sie, fuhr es Chris durch den Kopf, ich drehe gleich durch. „Selbstbefriedigung ist doch etwas, was man allein macht.“ „Ist es...“ „Ja, ist es!“, fuhr der New Yorker dazwischen, bevor das ‚Ist es das?’ beendet werden konnte. Die Therapeutin lehnte sich zurück und musterte Chris, so dass diesem sein Ausbruch total peinlich wurde. Er kaute auf der Lippe herum und blickte auf den Boden. „Ich denke, Sie sollten sich heute Abend in aller Ruhe mit Ihrem Partner zurückziehen und ihm dann dabei zusehen, wie er sich befriedigt. Und dann soll er Ihnen zusehen.“ Jetzt hing Chris endgültig die Kinnlade herunter. War er hier beim Sexualtherapeuten? „Ich soll... und er?“ „Sehen Sie, Chris, Sie leiden unbestreitbar unter einem Trauma. Ich kann noch nicht viel sagen, aber von meinem Eindruck her sind Sie ein starker Mensch, der eine Menge ziemlich ungewöhnlicher Ereignisse in seinem Leben durchgemacht und auch bewältigt hat. Aber all das hinterlässt Spuren. Es ist wie das sprichwörtliche Fass. Und diese Vergewaltigung war der bekannte Tropfen. Es war zuviel. Und nun müssen wir einen Weg finden, Sie wieder an ein geregeltes Leben und an Ihre Sexualität heran zu führen. Schritt für Schritt. Sie bekommen Angst, wenn Ihr Freund Sie berührt, Sie fürchten sich, wenn er Ihnen nahe ist.“ Sie schnippte, was Chris zu seiner eigenen Scham zusammenzucken ließ. „Also drehen wir den Spieß um. Sie beide werden sich nicht nah sein. Sie werden zusammen sein, sich aber nicht berühren. Erleben Sie diese Erfahrung bewusst. Beobachten Sie Ihren Freund bei seinem Akt der Selbstbefriedigung, beobachten Sie seinen Körper, das Spiel seiner Bewegungen. Lernen Sie ihn neu kennen.“ Chris wusste nicht, was er sagen sollte. Er starrte Dr. Goldstein nur perplex an. Und gleichzeitig durfte er nicht aufstehen, denn ihre Beschreibung hatte vor seinem geistigen Auge ein Bild von Jason ausgelöst, das sofort Wirkung gezeigt hatte. Vielleicht war diese Frau ihr Geld doch wert. Jeremy blieb abrupt stehen, als er aus dem Taxi stieg. Dieses Haus war... beeindruckend. Ein zweistöckiges Gebäude mit wunderschönem Stuck und reichem Efeubewuchs. Eine breite Einfahrt führte hinauf, gesäumt von ordentlich gestutzten Büschen. Es war alles schlichtweg beeindruckend. „Ich hab Angst.“ „Das macht dir Angst?“ David stellte sich neben ihn und stemmte die Hände in die Hüften. „Das tut es.“ „Dazu besteht aber kein Grund. Meine Eltern werden dich lieben.“ „Wie oft hast du mir das jetzt schon gesagt?“ Jeremy pustete eine Strähne nach oben, seine Haaren wurden immer länger, Alice hatte ihm geraten, sie wachsen zu lassen. „Wohl nicht oft genug, so wie du zitterst. Brust raus und auf in den Kampf.“ „Ich will nach Hause...“ „Mach dich nicht lächerlich.“, kicherte David und nahm ihn bei der Hand. Er führte Jeremy hinauf zum Haus und klopfte an dem imposanten Klopfer der Eichentür. Jeremys Herz schlug bis zum Hals. Als geöffnet wurde, wollte er schon „Guten Abend, Mr. Vanderveer!“, brüllen doch er schätzte, dass die Dame in der Uniform eines Dienstmädchens weder Davids Vater noch seine Mutter war. „Wen darf ich bitte melden?“ „Sagen Sie dem alten Herrn, dass sein Sohn da ist.“ Die Frau zuckte zusammen. „Oh, ja, natürlich, Moment, gleich! Kommen Sie doch rein!“ Sie flitzte davon, vergaß dabei natürlich die Mäntel der beiden Männer. „Kennt sie dich nicht?“, zischte Jeremy. „Nein.“ David lächelte etwas verschämt. „Meine Mutter hat alle Nase lang neue Dienstmädchen, sie ist nie zufrieden. Die habe ich noch nie gesehen.“ „Na toll, deine Mutter ist also sehr wählerisch.“ „Ja, aber nur bei Dienstmädchen, nicht bei den Freunden ihres Sohnes.“ „Wie beruhigend.“ „Was hat die Katze denn da ins Haus getragen?!“, donnerte eine männliche Stimme durch die Eingangshalle und im nächsten Moment kam ein Mann im feinen Nadelstreifen auf David zu, schloss ihn grinsend in die Arme. Er hatte einen gepflegten grauweißen Bart und kurze Haare, seine Statur war beinahe die eines jungen Mannes, er schien bestens in Form. „Hallo, Vater!“ „Du musst es auch immer übertreiben.“ Die Stimme gehörte Davids Mutter, einer hübschen Dame, die von oben bis unten nach High Society Lady aussah. Sie trug ein elegantes Kostüm und ihre rostbraunen, vermutlich getönten, Haare in einem ordentlichen Dutt. „Willkommen daheim, mein Sohn.“ „Hallo, Mum.“ „Und wen haben wir denn da?“ Sie kam näher, Jeremy wäre beinahe zusammen gezuckt. „Das ist eine kleine Überraschung.“ David hatte echt die Ruhe weg. „Mum, Dad, das ist Jeremy. Mein fester Freund.“ „Oh... oh, das freut mich.“ Jeremy hatte die Pause nach dem ersten leicht entsetzten ‚oh’ durchaus bemerkt. Er bemühte sich, es zu übergehen. Mit einer leichten Verbeugung reichte er Davids Mutter die Hand. „Freut mich, Sie kennen zu lernen.“ „Ganz meinerseits.“ So klang es leider nicht wirklich. „Sehr erfreut!“ Als er Davids Vater die Hand schüttelte, hatte er das Gefühl, dass sie gleich brechen würde. Einen solchen Händedruck hatte er noch nie erlebt. Oder war das Absicht? Die Geste war schmerzhaft gewesen und wenn Absicht dahinter stand, dann... er wagte nicht weiterzudenken. Auch wenig später am Esstisch sperrte er sich gegen den Gedanken, dass er hier nicht erwünscht sein könnte. Etwas verunsichert betrachtete er die Gabeln und Messer für die einzelnen Gänge, die vor ihm lagen, doch zum Glück war David gut in unauffälliger Zeichensprache und so fand er die Salatgabel recht schnell. „Und was machen Sie beruflich, Jeremy?“, fragte Mrs. Vanderveer. „Oh, ich bin Model. Also eigentlich bin ich Tänzer. Aber ich... also ja... Model. Ich bin Model.“ „Model.“ Davids Vater wiederholte das in einem etwas abschätzigen Ton. „Ja, Sir. Ich... bin Model.“ Und ein Idiot, fügte er in Gedanken hinzu. Das war eine Glanzleistung gewesen. „Er hat schon mehrere Plakatkampagnen in San Francisco und bald auch in anderen Städten. Er ist sehr erfolgreich. Tanz ist sein anderes Standbein, er ist ein wunderbarer Tänzer, sehr begabt, ihr müsstet das mal sehen.“ Jeremy lächelte David dankbar an. Sein Freund gab ihm Schützenhilfe und das auf wunderbare Art und Weise. „Ist ja wirklich schön.“ Mrs. Vanderveer stocherte in ihrem Salat herum. „Und wie alt ist er?“ „Dad, würdest du bitte nicht mit mir über ihn reden während er am Tisch sitzt?“ „Ich bin fast vierundzwanzig, Sir.... auch wenn ich nicht so aussehe.“ „Das ist ja wirklich schön.“ Immer noch stocherte Davids Mutter im Salat. Plötzlich klingelte ein Handy. David zuckte zusammen. Er hatte ganz vergessen, dass er es nicht ausgeschaltet hatte. „Muss das sein, mein Sohn?“, knurrte sein Vater. „Entschuldige, es könnte ja wichtig sein.“ „Wer ist es?“, wollte Jeremy wissen. „Jason. Chris war heute... du weißt schon, beim Psychiater. Er wollte mir bescheid sagen, wie es gelaufen ist. Ich muss kurz rangehen.“ Er stand auf und klappte das Handy dabei noch auf. „Hi, Jason.“ David ging aus dem Zimmer und ließ Jeremy mit seinen Eltern zurück. Für eine entsetzlich lange Zeit herrschte Stille, zumindest kamen die nächsten zwei Minuten Jeremy so vor. Er schaute immer wieder zur Tür, hoffte die blonden Haare und die breiten Schultern zu sehen, die seine Rettung bedeuten würden. „So, Sie sind also Model?“ „Ja.“ Jeremy wagte kaum, Davids Vater anzusehen. Warum fragte er das schon wieder? „Und was versprechen Sie sich von dieser Sache mit meinem Sohn?“ „Wie meinen Sie das, Sir?“ „Verdienen Sie nicht genug?“ Jetzt begriff Jeremy. Und das fand er ungeheuerlich. Hatte Davids Vater nur auf eine Chance dafür gewartet? „Ich bin nicht hinter Davids Geld her!“ „Habe ich das gesagt? Werden Sie bitte nicht laut, junger Mann.“ Jeremy biss sich auf die Lippe. Schon wieder in die Falle gegangen. Und wie. „Ich will nur wissen, was genau das mit meinem Sohn werden soll.“ „Sir, ich liebe ihn.“ „Das ist ja wirklich schön.“ Mrs. Vanderveers Salatgabel kratzte mittlerweile über den Tellerboden. „So, sie lieben ihn?“ „Ja, Sir.“ Jeremy zitterte. Das lief falsch. Ganz falsch, so sollte das nicht geschehen. „Wen wollen Sie eigentlich veralbern, junger Mann?“ Dieses ‚junger Mann’ machte regelrecht aggressiv, das wirkte so herablassend. „Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Sir.“ „Ich meine, dass David und Sie ganz offensichtlich nicht zusammen passen. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir sind nicht übermäßig reich, aber wir gehören schon der gehobenen Gesellschaftsklasse an. Und Sie passen da nun überhaupt nicht hinein. Glauben Sie wirklich, dass diese Beziehung Bestand hat?“ „Was soll das?“ Jeremy konnte nicht fassen, was er da hörte. Er starrte Davids Vater einfach nur vollkommen verstört an. „Ich will nur, dass Sie sich nicht zu große Hoffnungen machen. Sie sind Model, ein Beruf für den man nicht unbedingt viel Qualifikation braucht, ein hübsches Gesicht reicht da ja schon. Und ich denke, dass der Gedanke tröstlich ist, in ein paar Jahren, wenn Sie nicht mehr aktuell sind, Davids hart verdientes Geld in Aussicht zu haben.“ Schon wieder dieses Thema. Jeremy hasste sich dafür, aber er konnte nichts mehr erwidern, im Gegenteil, obwohl er dagegen ankämpfte, traten Tränen in seine Augen. „Sie verstehen das nicht...“ „Ich verstehe sehr wohl, junger Mann. Sie wissen genau, dass Sie so gut wie nichts sind und auch nie etwas sein werden. Da ist es ja vorteilhaft, einen erfolgreichen Mann an der Hand zu haben. Aber ich denke, dass Sie da nicht weit genug planen. Ich kenne meinen Sohn. David ist sprunghaft. Ihn hält es nie lange bei einem Mann, das weiß ich deswegen, weil wir noch nie einen seiner... Liebhaber... zu Gesicht bekommen haben.“ “Dann sollten Sie doch merken, dass es mit mir etwas anderes ist...“ Jeremys Stimme schwankte. „Ja, vielleicht weil David langsam älter wird und meint, er müsse mal einen Freund gehabt haben. Aber glauben Sie mir, David ist zu erfolgsorientiert, um sich lange mit einem Niemand wie Ihnen abzugeben. Er wird schon noch erkennen, dass Sie nicht der Richtige für ihn sind. Er muss auch ein wenig darauf achten, mit wem er sich letztendlich auf Familienfeiern zeigen will, wenn er schon Ernst macht.“ „Aber... ich...“ „Warum tun Sie uns nicht einen Gefallen und beenden diese Farce bevor noch alle Beteiligten verletzt werden. Sie haben ein nettes Gesicht, junger Mann, Sie finden leicht jemanden in Ihrer Altersklasse und mit Ihrem Niveau. Aber in diese Familie passen Sie nicht.“ Jeremy sah nur noch eine Möglichkeit. Er sprang auf und lief aus dem Zimmer. Nicht zu David hinüber sondern in Richtung Flur. Wenige Sekunden später fiel die Haustür hinter ihm zu und er stürmte die Einfahrt runter. Tränen verklärten seinen Blick. So eine Behandlung hatte er nicht verdient. Aber genauso wenig hatte David es verdient, dass es wegen ihm Familienkrach gab. Dennoch hatte er nicht anders gekonnt, als zu fliehen. Mr. Vanderveer hatte seine Tränen nicht sehen sollen. Ein Taxi brachte ihn zurück ins Hotel, wo er sofort für den Abflug zu packen begann. „Wir sollen das wirklich so machen?“ „Wenn ich es dir doch sage!“ Chris lachte etwas verlegen auf. Sie gingen Arm in Arm die Straße hinunter, der Abend war schön und warm, also hatten sie sich entschieden, einen Spaziergang zu machen und in einem schönen Lokal einzukehren. „Na ja, wenn Frau Doktor das sagt...“ Jason grinste dreckig. „Dir gefällt das auch noch?!“ „Dir nicht... gib es zu...“ Chris presste die Lippen aufeinander. „Schon... ich hatte einen Ständer bei dem Gedanken.“ „Mir geht es nicht anders.“ „Etwa gerade eben?!“ Der Blonde blickte im Affekt in den Schritt seines Freundes. „Reden wir lieber von etwas anderem...“ Jason kratzte sich am Hinterkopf und schaute in die Luft. Der Druck war regelrecht schmerzhaft in der engen Jeans. „Worauf hast du Lust?“ „Vielleicht Chinesisch?“ Der ehemalige Polizist ließ den Blick schwenken. Gegenüber war ein eben solches Restaurant. „Unser Kühlschrank quillt noch über von dem Zeug.“ „Du könntest ja wieder mit dem Kochen anfangen, ich vermisse deine Küche.“, grinste Jason. „Mal sehen, wenn du brav bist.“ Er bekam einen Klaps auf den Hinterkopf von Chris. „Also? Worauf hast du nun Lust?“ „Wie wäre es mit so einem Allrounder. Kein Chinesisch oder Italienisch, einfach nur ein schönes gemütliches Restaurant.“ „Mc Donald’s?“ „Blödmann!“ „Danke!“, kicherte Jason albern. „Was hältst du davon?“ Er deutete auf ein Restaurant namens ‚San Francisco Dinner House’. „Was für ein sperriger Name!“ „Sag mal, bist du auch mal mit irgendetwas zufrieden?“ „Schon gut, schon gut!“ Chris streckte ihm die Zunge raus. „Wir gehen ins ‚San Francisco Dinner House`.“ Das Dinner House war innen recht gemütlich eingerichtet, aber es grenzte nah an altmodisch. Auch das Publikum bewegte sich in diesem Bereich. Jason hielt Chris an der Hand als sie das Lokal betraten und sofort spürte er Blicke. Und diese Blicke waren nicht freundlich. „Ein Tisch für zwei.“ Die Beiden blieben vor dem Platzanweiser stehen. Der Mann trug einen Smoking und schaute mehr als blasiert auf die beiden herab, obwohl er kleiner als Jason war. „Für Sie zwei?“ „Nein, wir sind nur hier, weil sich zwei da draußen nicht trauen, Sie nach einem Tisch zu fragen.“ “Jason!“, kicherte Chris und knuffte ihn in die Seite. „Wir haben keine Tische mehr.“ Jason stutzte. Sein Blick wanderte über den etwas tiefer liegenden Bereich für die Gäste. Von mindestens fünfundzwanzig Tischen waren höchstens zehn besetzt. „Haben Sie die Tische in letzter Zeit mal angesehen?“ “Wir haben keine mehr frei.“ „Aber Sie...“ „Wir haben keine mehr frei... Sir.“ Das ‚Sir’ hatte einen Moment gebraucht bis es hervor kam. „Für uns.“ Jason sah seinen Freund an. „Was meinst du?“ „Er hat keinen Tisch für uns frei. Es geht um uns, nicht wahr?“ Sein Gegenüber zögerte einen Augenblick, doch dann nickte er. „Ja.“ „Das ist doch wohl...!“ “Jason, bitte...“ Chris legte ihm die Hand auf den Arm. „Lass es gut sein.“ „Nein! Ich will mit meinem Freund in ein mittelprächtiges Lokal gehen und muss mir von so einem aufgeblasenen Pinguin sagen lassen, dass Schwule hier keinen Tisch kriegen! Das ist doch wohl das Letzte!“ „Würden Sie jetzt bitte gehen? Sie stören die anderen Gäste.“ Der Mann schien sich nicht einmal einer Schuld bewusst. „Dies hier ist ein ehrenwertes Restaurant und die Gäste möchten in Ruhe speisen.“ Jason wollte zu einer Antwort ansetzen, doch dann sah er in Chris’ Augen. Er schüttelte den Kopf. „Dann wünsche ich Ihren Gästen noch einen guten Appetit und Ihnen, dass Sie an Ihrer Blasiertheit ersticken.“ Einer Antwort wurde er allerdings nicht gewürdigt. Jeremy saß auf dem Bett, seinen Koffer neben sich. Das war gründlich schief gegangen, er hatte keinen Flug mehr bekommen. Also hatte er nichts anderes tun können, als ins Hotel zurückzukehren. Auf dem Weg hatte David sicherlich sechsmal auf seinem Handy angerufen, aber der junge Mann war nicht dran gegangen. Warum eigentlich nicht? Er wusste es nicht genau. Vielleicht weil er Angst hatte, David würde ihn anschreien. Oder er wäre noch bei seinen Eltern... oder noch schlimmer: Auf der Seite seiner Eltern. Mit einem Mal erfasste Jeremy eine geradezu irrationale Verlustangst. Was, wenn David soviel von seinen Eltern hielt, dass er ihn abschob, nur weil diese dachten, es würde nie etwas aus ihnen werden? Und konnte überhaupt etwas aus ihnen werden? Hatten sie eine Zukunft? Der Yuppie und das Model... die Kombination klang doch eigentlich gar nicht schlecht. Für Davids Eltern aber schon. Sie hatten ihn wie einen billigen Goldgräber behandelt, wie jemand, der David nur aus Berechnung „liebte“ und das hatte wehgetan. Unendlich weh. Es klickte, als die Tür des Hotelzimmers mit der Schlüsselkarte geöffnet wurde. David riss sie auf, er schien wütend... und das war noch untertrieben. „Was sollte das denn?! Was war das für ein Auftritt?!“ Jeremy blieb einen Moment stehen, erst dann drehte er sich zu David um, er hatte tief eingeatmet. Eigentlich hatte er die Pause zum Überlegen gebraucht. Eingefallen war ihm trotzdem nichts. „Tut mir leid.“ „Das sollte es auch! Meine Eltern haben gesagt, du seiest aufgesprungen und hättest einfach das Haus verlassen! Warum tust du ihnen so etwas an? Das war unhöflich.“ Jeremy ballte die Fäuste. Es war klar gewesen, dass David nicht die Wahrheit erfahren würde. Was hatte er sich nur dabei gedacht, einfach zu fliehen? „David...“ „Jem, meine Eltern bedeuten mir viel. Ich wollte ihnen zeigen, was du für ein wundervoller Mensch bist! Ich wollte ihnen zeigen, dass endlich ein Mann in meinem Leben ist.“ Und hier begriff Jeremy. David liebte seine Eltern, trotz der Distanz zwischen ihnen. Und stand es ihm zu, dass er sich dazwischen stellte? Davids Eltern hassten ihn, aber wie oft würde er mit ihnen zu tun haben? Es konnte nicht immer alles perfekt sein. Was war schon perfekt? Auch David war es nicht. Er wusste, was er war und was Mr. und Mrs. Vanderveer von ihm dachten, war doch egal... zumindest redete er sich das ein. Und so gab es nur eine Lösung. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, blickte der junge Mann seinem Freund in die Augen. „Verzeih mir... ich hab kalte Füße gekriegt. Ich... ich hab den Kopf verloren und bin abgehauen... Gott, es tut mir so leid.“ Er sollte wohl Schauspieler werden, das war ein glänzender Auftritt. „Es tut mir leid... wirklich... es tut mir leid...“ David ließ die Schultern sinken. Was konnte er nun dagegen sagen? Jeremy sah total verloren aus und vor allem schuldbewusst. „Aber musstest du gleich weglaufen?“ „David... ich weiß auch nicht, was ich da getan habe. Ich bin einfach... es war zuviel. Vielleicht sollten wir die Sache mit deinen Eltern... ich weiß nicht... wir sind doch auch noch nicht so lange zusammen und... und wenn...“ „Wir verschieben das Ganze, hm?“ „Ist das dein Ernst?“ „Ja... so lange wie nötig, hm?“ David lächelte und öffnete die Arme, doch der Rotschopf zögerte noch. „Und das macht dir nichts aus?“ „Ich freue mich nicht eben darauf, die Sache mit meinen Eltern auszubügeln, aber irgendwie kriege ich das schon auf die Reihe, hm?“ „Aber...“ „Mein Angebot steht nicht mehr lange?“ Er hob die Arme noch etwas mehr. „Ist das alles, was steht?“ David grinste frech. „Find es heraus!“ Er konnte Jeremy nicht lange böse sein. „Na, was ist?“ Jeremy erwiderte das Grinsen und warf sich dann so schnell er konnte in Davids Arme und vergrub sein Gesicht an seiner Brust... und wenig später im Schritt des Blonden. So musste er David wenigstens nicht in die Augen sehen, er hatte Angst, dass er merken würde, dass es nicht die Wahrheit gewesen war und es in Wirklichkeit seine Eltern waren, die an allem schuld waren. „Du lächelst ja so.“ Nicolai stellte Chris einen Kaffee hin. Es war ruhig im Haus. Gary war mit Anna verschwunden, Jason war joggen. „Findest du?“ Chris schlürfte langsam an seinem heißen Getränk. „Tu doch nicht so.“ „Okay, vielleicht ein bisschen.“ Nicolai lehnte sich an die Spüle und stützte sich mit den Händen ab. „Erzählst du mir warum?“ Chris schlürfte noch einmal genüsslich. „Na ja... Jason und ich... wir haben letzte Nacht eindeutig einen Durchbruch gehabt.“ „Dann verstehe ich es.“ Nicolai wandte sich wieder den Frühstücksvorbereitungen zu. Er wollte nicht zuviel über Jason und Chris wissen, zumindest was ihre Aktivitäten im Bett anging. Es fühlte sich komisch an, schließlich waren er und Jason eine Zeit lang miteinander gegangen. Und daraus ergab sich gleich noch ein Thema, das der junge Russe unbedingt ansprechen wollte. „Ich würde gerne ausziehen, Chris.“ „Was?“ Der Blonde setzte sich auf. „Warum denn so plötzlich?“ „Ich hab Probleme... ich meine keine gravierenden, aber ich... ich möchte nicht mehr so gerne hier wohnen.“ „Glaubst du nicht, es ist besser zu warten, bis Gary sein Quartier an der Uni bezogen hat?“ „Bin ich so durchschaubar?“ „Wie ein Glas.“ Der junge Russe schüttelte den Kopf. „Es geht einfach nicht mehr. Ich muss auch zu recht kommen lernen... ich kann doch nicht immer bei euch rumnerven.“ „Das tust du nicht. Und wo willst du wohnen?“ „Ich finde schon eine Wohnung für Anna und mich.“ Chris stand auf und kam zu ihm hinüber. „Lass mich dir zumindest helfen, wenn du schon so heiß darauf bist, auszuziehen.“ „Wie meinst du das?“ Nicolai sah ihn verwundert an. „Ich könnte fürs erste die Wohnung bezahlen.“ „Was?! Nein! So etwas will ich nicht! Ich will mich nicht aushalten lassen!“ „So wäre das doch gar nicht.“ Chris schüttelte entschieden den Kopf. „Wenn du willst, dann ist es nur ein Darlehen. Ich will endlich was mit meinem Geld anfangen können.“ Nicolai seufzte tief. „Chris...“ „Nun komm schon, du hast doch nichts zu verlieren. Eine Wohnung für Anna und dich und einen Job vielleicht...“ „Bitte?“ Der Russe wurde hellhörig. „Was soll das denn noch heißen?“ „Ach...“ Chris zuckte mit den Schultern. „Ich hab in der letzten Nacht viel nachgedacht... ich glaube, dass ich mein Leben in eine neue Richtung lenken muss. Ich kann nicht einfach nur dauernd zum Ballerarzt rennen... ich muss ein bisschen was in die eigenen Hände nehmen, ich muss mich ablenken.“ Er lächelte. „Und neben einer weiteren Idee, mit der ich mir einen Lebenstraum erfüllen könnte, hatte ich noch den Einfall, vielleicht ein Beratungszentrum zu gründen.“ Nicolai lehnte sich zurück, allmählich wurde er neugierig. „Ich will Jungen den Sprung von der Straße ermöglichen. Beratung, Hilfe, Drogentherapie...“ „Du hast heere Ziele.“ „Findest du das lächerlich oder so? Übertreibe ich?“ „Nein!“ Nicolai hob schnell die Hände, „Ich finde die Idee toll. Wirklich.“ „Danke...“ Chris lächelte. „Also hilf mir, ja? Lass mich dir helfen und im Gegenzug hilfst du mir. Du kennst das Leben auf dem Strich auch, so habe ich jemanden, dem ich vertrauen kann.“ „Jetzt muss ich mich bedanken.“ Nicolai lachte ein wenig verlegen, dann ließ er das Thema lieber ruhen. „Und die andere Idee?“ Chris grinste breit. „Die verrate ich noch nicht. Ich muss erst schauen, ob das auch klappt. Und darum...“ Er hob den Zeigefinger und grinste noch breiter, „werde ich mich jetzt kümmern gehen. Halt mir die Daumen.“ Damit eilte er aus der Küche. Nicolai sah ihm nach und schüttelte lächelnd den Kopf. Dieser Mann war wirklich eine Wucht. Erst am Boden und nun himmelhoch jauchzend. Vielleicht war er ja doch auf dem richtigen Weg aus der Dunkelheit, in die er durch Dave geraten war. „So eine Scheiße...“ Abby schlürfte an ihrem Kaffee und schaute Jeremy über die Tasse hinweg an. „Die haben dich ja total fertig gemacht...“ Der Rothaarige nickte. „Ja... aber ich kann da nicht mit David drüber reden, es geht nicht. Ich habe das Gefühl, dass er seine Eltern wirklich gern hat.“ „Und deswegen lässt du das alles so stehen.“ „Ja, genau deswegen lasse ich das alles so stehen.“ Jeremy lächelte und lehnte sich zurück, „Lass uns das Thema fallen lassen, okay?“ „Wie du meinst...“ Sie grinste. „Ich hab auch Neuigkeiten.“ Abby stand auf und ging Richtung Schrank, sie wühlte kurz in einer Schublade, dann holte sie etwas hervor. Ein Stück Papier. „Weißt du, was das ist?“ „Ich glaube, man nennt das Papier. Es wird aus Bäumen gemacht, was nicht eben gut ist. Ich hoffe, dass da ist Recyclingpapier.“ „Blödmann!“ Abby streckte ihm die Zunge raus, „Das ist meine Bestätigung! Ich hab ein Engagement!“ Jeremy hielt inne, dann sprang er auf und stürmte auf Abby zu, riss sie in die Arme. Er grölte vor Freude, seine Freundin tat es ihm nach. Sie fassten sich an den Händen, hopsten durchs Zimmer. „Das ist klasse! Ich freu mich so!“ „Ich mich auch! Mein erstes großes Engagement! Endlich Geld in der Kasse und es ist ne ganz große Sache! Wirklich groß!“ Jeremy hatte rote Wangen, so hatten sie sich verausgabt bei der Hüpferei. „Was ist es?“ Abby blieb stehen und strich sich Haare aus dem Gesicht. „Nun ja... das ist der Knackpunkt.“ Jeremy legte den Kopf schräg. „Es ist eine Chorusline in einem neuen Musical... in London...“ „London...?“ Jeremy ließ die Arme sinken. „Das heißt du...“ „Ja... übermorgen.“ Sie nickte. „Ich reise übermorgen ab.“ Der Rothaarige ging zum Küchentisch und ließ sich auf den Stuhl sinken, auf dem er eben noch gesessen und Kaffee getrunken hatte. „Für wie lange...?“ „Das ist noch offen... ich weiß nicht. So lange die Show läuft oder so lange ich Lust habe... so lange die mich wollen.“ Jeremy sah aus dem Fenster. „Das heißt also goodbye... was ist mit der Wohnung?“ Er klang bedrückt. „Nun ja. Ich kann doch das Geld von dort aus überweisen.“ „Unsinn...“ Er schüttelte die roten Haare, „Lass sie uns aufgeben... ich ziehe in eine kleinere oder zu David, falls er mich haben will. Ich bin ja sowieso dauernd da.“ „Bist du mir böse, Schatz?“ Jeremy schüttelte erneut den Kopf. „Nein, ich freue mich für dich. Ich würde das ja nicht anders machen... ich werde dich nur vermissen.“ „Ich dich doch auch.“ Abby trat zu ihm und umarmte ihren besten Freund. „Ich werde dich vermissen, die Jungs... auch San Francisco... aber ich muss das tun. Vielleicht ist das meine Chance. Du hast deine doch schon bekommen und genutzt. Du bist jetzt jemand.“ „Ich weiß das.“ „Und du bist mit Colin und Marc befreundet. Außerdem gibt es Telefon, Email und Flugzeuge. Ich bin doch nicht aus der Welt.“ Jeremy nickte, doch ihm liefen die Tränen über die Wangen. „Och, Jem, Schatz, bitte nicht, sonst fang ich auch an.“ Abby lachte auf, doch es klang eher nach Schluchzen. „Sorry...“ „Schon okay.“ Die beiden hielten sich einfach nur einen Moment fest, weinten leise. Danach gingen sie feiern, den ganzen Abend, bis spät in die Nacht. Zwei Tage später hob ein Flugzeug in Richtung Europa ab, Jeremy und David standen auf der Besucherplattform und sahen Abby hinterher, die hoffentlich in eine große Zukunft flog. Zur gleichen Zeit machte sich Nicolai mit Jason und Anna auf Wohnungssuche, es sollte noch eine Woche dauern, dann hatte er eine kleine aber feine gefunden. So wurde der Haushalt im Haus Cunningham/Fairgate wieder etwas kleiner. An dem Tag als Abby San Francisco verließ, betrat Chris das „San Francisco Dinner House“. Es war sogar wieder der gleiche Mann, der die Tische anwies. Auch er erkannte Chris offenbar wieder und schaute blasiert auf den blonden Mann. „Sie wünschen?“, näselte er. „Einen Tisch natürlich.“ Chris lächelte ihn an. „Bedaure, Sir, keiner mehr frei. Und das wissen Sie sehr gut.“ „Hören Sie, was ist Ihr Problem? Ich bin ein einfacher Junge aus Dallas, Texas. Ich habe nie in meinem Leben jemandem etwas getan, bin ruhig und lieb und würde hier nur einen Happen essen, meine Rechnung bezahlen und dann wieder gehen. Wo liegt also das Problem?“ „Sir, Klientel wie Sie ist hier nicht erwünscht.“, beharrte der Mann. „Ich bin allein. Mein Freund ist nicht hier.“ „Das ist egal, Sir.“ „Und das ist Ihr letztes Wort? Sie lassen mich nicht hinein, weil ich schwul bin? Selbst allein?“ Chris senkte den Blick, schaute dann aber wieder auf. „Richtig?“ Der Mann nickte. „Dann möchte ich den Geschäftsführer sprechen.“ „Bedauere, Sir, das geht nicht.“ „Warum?“ Chris verlagerte das Gewicht auf ein Bein, tippte mit dem Fuß auf. „Weil die Geschäftleitung vor kurzem gewechselt hat. Wir haben den neuen Chef noch nicht gesehen.“ „Oh... Sie wissen also gar nichts von ihm?“ Der Mann verdrehte die Augen. „Ich weiß nicht, was es Sie angeht, aber nein, ich weiß so gut wie nichts. Es ist so ein neureicher Schnösel, soweit ich weiß ein Texaner. Er hat das Restaurant aus der Portokasse bezahlt und...“ Die Gesichtszüge des Mannes entgleisten. „Oh... mein... Gott...“ Ihm war ein Licht aufgegangen. Chris lächelte ihn an, seine Miene war ein einziger Triumph. „Nein, nicht Gott, oh, mein Geschäftsführer. Das reicht.“ „Sir, ich...“ Chris hob die Hand. „Schon gut, sparen Sie sich das. Keine Schleimspuren, keine Kriecherei. Sie machen Ihren Arbeitstag zu Ende.“ Seine Stimme wurde kühl und bestimmt. „Und dann möchte ich Sie nie wieder hier sehen.“ „Sir...“ Der Blonde schüttelte den Kopf. „Einen schönen Tag noch.“ Damit ging er an dem Tischanweiser vorbei, setzte sich an einen Tisch und winkte dem Kellner, damit dieser ihm einen Champagner brachte. Mit dem goldenen Getränk im Glas prostete er dem Mann zu, dann lehnte er sich zurück und musterte sein neues Restaurant. Hier würde sich einiges ändern müssen. ~~~ Schon wieder eine so lange Zeitspanne... es ist mir direkt peinlich. Früher habe ich in vierzehn Tagen ein neues Kapitel geschrieben, mit teilweise über 20 Seiten, jetzt sind es Monate für knapp 16 Seiten... Remember the Promise you made ist ein Projekt, das ich trotz aller Schwierigkeiten auf jeden Fall beenden möchte. Ich habe liebe Menschen darüber kennen gelernt und nicht zuletzt meinen Freund Joe, mit dem ich diesen Monat ein halbes Jahr zusammen bin. Ich musste ein bisschen aufräumen, es gibt zu viele Personen, zu viele Handlungsstränge auf einmal. Deswegen verlässt Abby die Stadt, Sly bricht den Kontakt mit Chris und seinen Freunden ab, Nicolai zieht aus. Keine Angst, sowohl der Russe, als auch Sly verschwinden nicht endgültig, besonders Sly wird noch wichtig und Nicolai hat seine Rolle in der Kombination Gary, Marc und Colin. Ich muss mich jetzt darauf konzentrieren, die Handlungen nach und nach zu lösen, damit nicht alles überlaufen, die Geschichte konfus wird und an Qualität verliert. Ich danke euch allen, dass ihr trotzdem soviel Geduld mit mir habt und mir weiter treu bleibt, euch weiter auf die neuen Kapitel freut! DANKE! ^_^ Ganz liebe Grüße, euer Uly! Kapitel 41: Bye, bye, San Francisco (Part 1 of 2) a.k.a. The Big Bang --------------------------------------------------------------------- „Wir brauchen dringend noch einen Koch, die Wartezeiten für die Gerichte für die Gäste sind zu lang. Und zwei oder drei Kellner, die Schichten sind unterbesetzt.“ Dan Murphy schaute auf seinen Zettel. „Und die Lieferung mit Gemüse ist mal wieder zu spät, wir sollten den Händler wechseln. Diese Typen denken, sie seien der Mittelpunkt der Welt, dabei ist ihr Grünzeug gerade mal mittelprächtig.“ „Warum bestellen wir dann da?“ „Weil du mir die Unterschrift geben musst, damit wir den Anbieter wechseln können.“, grinste Dan. „Ich entscheide doch nicht über deinen Kopf hinweg.“ „Sehr rücksichtsvoll von dir.“ Chris lächelte und nickte dann, „Sag denen, dass sie mit uns nicht mehr rechnen müssen, wir suchen uns einen neuen Händler.“ „Ich hätte da schon was.“ „Du bist ein Engel!“, zwinkerte der Blonde. „Störe ich?“ Jason lehnte sich über die Theke der kleinen Bar und musterte Dan kritisch. Chris’ Gesicht hellte sich sichtbar auf. „Hi, Schatz.“ „Hi.“ Jason beugte sich weiter vor, um Chris einen Kuss zu geben. „Ich kümmere mich mal eben um die Lieferung... äh... Steaks.“ Das war eine klare Ausrede, aber es war unverkennbar warum. Dan wollte seinem Chef etwas Privatsphäre gönnen. Er nickte kurz und verschwand Richtung Küche. „Bin ich da eben in was reingeplatzt?“ „Wovon sprichst du?“ „Von dem.“ Jason sah Dan hinterher, der schon nicht mehr im Blickfeld war. „Wer war das?“ „Du solltest mir ab und an besser zuhören. Das ist Dan, meine rechte Hand, könnte man sagen. Ich habe nie studiert, ich habe nie gelernt, was man als Geschäftsführer eines Restaurants machen muss. Dafür ist Dan da.“ „Aha... groß, gut aussehend, männlich...“ „Hetero, verheiratet, zwei Kinder...“ Jason stutzte. „Ich hab den Faden verloren.“ „Gut so!“, kicherte Chris und schob ihm eine Cola hin. „Bist du jetzt auch noch Barkeeper?“ “Steve hat noch keine Schicht, die Bar ist schließlich morgens nicht geöffnet.“ Sein Freund nippte an der Cola. „Du strahlst, weißt du das?“ „Danke.“ Über vier Monate waren vergangen, seit Chris das „San Francisco Dinner House“ gekauft hatte. Und in diesen Monaten hatte sich vieles getan. Aus dem „San Francisco Dinner House“ wurde „The Happy End“. Chris hatte lange über den Namen gegrübelt und schließlich diesen gewählt. Zum einen, weil das Restaurant das glückliche Ende der Krisen sein sollte und außerdem lag es am Ende der Straße, in der es sich befand. Die Einrichtung war komplett rausgeflogen. Wo früher dicke Teppiche und wuchtiges Mobiliar das Bild bestimmten, herrschte nun eine freundliche und leichte Atmosphäre. Das Restaurant war in warmen Erdtönen gehalten, die unbehaglichen Stühle waren durch bequeme weiße Sessel ersetzt worden, in denen es sich herrlich ausspannen und genießen ließ. Chris’ Laden hatte sich schnell einen Ruf verschafft, sowohl als Restaurant, als auch als Café, die Klientel war jünger geworden, hipper... und homosexueller. Dennoch hatte sich Chris dagegen entschieden, ein reines Schwulen-Restaurant aus dem Geschäft zu machen. Im „Happy End“ waren alle willkommen, egal welche sexuelle Orientierung. Auch Chris’ anderes Projekt entwickelte sich prächtig. Das „Lighthouse“ war zu einer Anlaufstelle für Straßenjungen geworden, für Stricher und für Drogensüchtige, genau wie Chris es geplant hatte. Die Einrichtung hatte sogar eine staatliche Förderung erhalten. Nicolai ging in seiner Arbeit dort regelrecht auf, auch wenn er nur einer von vielen Beratern und Helfern dort war. „Ich bin froh, dass du das getan hast. Ich habe weniger von dir, aber dieses Restaurant scheint eine magische Medizin für dich gewesen zu sein... aber dennoch...“ Chris legte den Kopf schräg. „Hm?“ „Doktor Goldstein hat angerufen. Sie sagt, du hast schon zum dritten Mal einen Termin abgesagt und sie macht sich Gedanken.“ „Jason...“, seufzte Chris theatralisch, „Bitte.“ „Ich will dir doch nichts böses, aber die Arbeit allein kann nicht die Lösung sein.“ „Hör mal, wo liegt das Problem? Ich meine, wir haben sogar wieder Sex und zwar oft und...“ Er drehte den Kopf der jungen Kellnerin zu, die interessiert neben der Bar stand. „Hallo-ho, Shannon, Privatsphäre?“ „Oh, äh...“ Sie hatte offenbar eben ein Bild vor sich und es beinhaltete definitiv Jason und wenig Textilien. „Ach, vergiss es.“ Chris kam hinter der Bar hervor, packte Jason an der Hand und zog ihn mit sich. Sein brünetter Freund ließ es geschehen, zwinkerte aber der Kellnerin schelmisch zu. Chris hatte ein kleines Büro im Hinterzimmer des Restaurants, dorthin verfrachtete er Jason nun. „Und?“ „Und was?“ „Jason...“, knurrte Chris. „Du kennst meinen Standpunkt. Das Lokal ist super, alles läuft bestens und ich genieße es, zu sehen, wie du dich endlich wieder findest. Aber ich habe Angst, dass das alles umsonst ist, etwas schief geht, wenn du nicht weiter zu der Goldstein gehst.“ Chris kaute auf der Lippe, dann jedoch zuckte er mit den Schultern. „Okay, okay... lass den Hundeblick! Ich mache einen neuen Termin und ich gehe hin. Ich verspreche es.“ „Danke.“ Jason küsste ihn, lächelte ihn dann an. „Ich geh dann.“ „Wohin?“ „Mittagspause mit David.“ „Und das nicht bei mir? Ich bin beleidigt.“ Er zog eine Schnute. „Engelchen, Davids Kanzlei liegt ziemlich weit weg von hier. Er kann nicht mal eben hierher kommen.“ „Schon gut, schon gut. Ich bin still.“ Er beugte sich noch einmal vor und küsste Jason erneut. „Ich muss heute vielleicht länger arbeiten. Magst du vielleicht heute Abend vorbei kommen und wir essen hier?“ „Klar.“ Jason lächelte, schob Chris dann sanft von sich und ging zur Tür. „Schatz?“ Der ehemalige Polizist drehte sich um. „Alles okay?“ Jason zog die Augenbrauen kraus. „Klar, warum fragst du?“ „Nur so.“ „Na dann. Ich liebe dich.“ „Ich dich auch.“ Damit verließ der Brünette das Zimmer. Chris war nicht ganz überzeugt, aber er hatte keine Zeit, lange darüber zu grübeln. Dan kam ins Büro und schon war er wieder eingespannt. „Ich bin schon wieder vollkommen im alten Trott.“ David lehnte sich in seinem Stuhl zurück, legte den Kopf in den Nacken und achtete darauf, dass die langen Käsefäden seiner Pizza nicht auf seinen Anzug tropften. „Arbeit, Arbeit, nicht als Arbeit. Na ja, und Jeremy natürlich.“ „Schlagt ihr euch schon die Köpfe ein?“ „Na ja, ein fliegender Teller hier und da, das ist doch ganz normal. Letztens wollte er mir eine Bratpfanne über den Kopf donnern.“ David grinste. „Nein, es läuft bestens. Wirklich gut. Ich hätte das nie erwartet.“ „Er hat dich gezähmt, Vanderveer, du hast dir Zügel anlegen lassen!“, kicherte Jason. „Sunshine, wenn, dann lege ich die Zügel an, nicht er.“ Er ließ die Augenbrauen hüpfen. „Wenn du das sagst.“ „Und du?“ David trank einen Schluck Cola. „Wir haben in letzter Zeit viel zu wenig Zeit für uns.“ „Ich weiß, wir kommen viel zu kurz, Liebster.“ „Ich meine das ernst, Jason, ich bin überhaupt nicht im Bild. Wie läuft das Happy End?“ „Okay, ernst.“ Jason knabberte an einem Stück seines Pizzarands herum. „Das Restaurant läuft bestens, Chris geht voll darin auf, er ist wirklich glücklich.“ „Und du?“ „Was meinst du? Ich auch. Ich freue mich für ihn.“ David schüttelte den Kopf. „Nein, das war nicht der Sinn der Frage. Wie geht es dir? Bist du glücklich? Du scheinst eine kleine Regenwolke mit dir herum zu schleppen.“ Jason lächelte leicht. „Du hast es immer noch drauf, David, du durchschaust mich sofort.“ “Das ist eine Gabe, Sunshine.“ „Offenbar.“ Der Brünette streckte ihm die Zunge raus. „Eigentlich geht es mir gut. Es ist herrlich, Chris aufblühen zu sehen und ich habe wirklich das Gefühl, dass es diesmal endlich richtig sein kann. Es geht ihm besser denn je. Aber...“ „Aber...?“ David beugte sich vor. „Mir fällt die Decke auf den Kopf. Nicolai ist ausgezogen, Gary hat sein Zimmer im Studentenheim bezogen, Chris wohnt im Moment ziemlich viel in seinem Restaurant und ich... ich sitze im Haus, kraule Batman und tue nichts. Weißt du, wieviel Zeit ich in Jogging und Workout investiere? So ein Sixpack wie jetzt hatte ich noch nie.“ „Heiß.“ David leckte sich über die Lippen. „Trotzdem! Ich bin zum Hausmann mutiert. Ich kümmere mich um die Wohnung, gehe mit dem Hund raus, trainiere und ...“ „Legst Chris flach. Wow, kann man dich mieten?“ „David!“ „Schon gut!“ Der Blonde hob abwehrend die Hände. „Und wie wäre es, mal mit Chris darüber zu reden?“ „Nein.“ Jason schüttelte den Kopf, mit einem leicht traurigen Gesichtsausdruck. „Er würde Schuldgefühle kriegen und das will ich absolut nicht. Auf keinen Fall. Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen. Wir brauchen mein Einkommen nicht mehr, wir werden nie wieder ein Einkommen brauchen... wir sind stinkreich... nein, er ist stinkreich.“ „Bist du etwa eifersüchtig?“ „Ach was!“ Jason biss von einem weiteren Stück Pizza ab. „Ich habe nur das Gefühl, dass mir etwas fehlt, verstehst du? Es ist die Rolle des Beschützers, glaube ich. Chris braucht mich nicht mehr.“ „Das ist doch Unsinn.“ David faltete die Hände. „Er braucht dich natürlich. Er liebt dich und deswegen braucht er dich. Ihr braucht euch gegenseitig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du so ein Mann bist. Einer, der sich vom Erfolg seines Partners einschüchtern lässt, meint, unzulänglich zu sein.“ „Das bin ich auch nicht. Nein... das bin ich nicht. Ich weiß selbst nicht, warum ich so unruhig geworden bin. Ich habe zuviel Zeit... aber ich denke, wenn das Restaurant rund läuft, habe ich auch wieder mehr von Chris.“ „Richtig. Hey, denk positiv, Sunshine. Ihr habt soviel durchgemacht, wieso sollte euch so etwas stoppen?“ „Du findest immer noch die richtigen Worte. Wenn wir so zusammen sitzen, habe ich manchmal das Gefühl, als sei überhaupt nichts passiert. Kein Dave, kein Schuss, keine lebensgefährliche Operation. Alles wie damals.“ David nickte lächelnd. „Nur besser. Wir haben beide einen Partner an der Seite!“ Er war mit seiner Pizza fertig und wühlte kurz in seiner Aktentasche. Zum Vorschein kam ein orangefarbenes Röhrchen mit Tabletten. Der Anwalt schüttete sich vorsichtig eine in die Hand und spülte sie dann mit dem letzten großen Schluck Cola herunter. Als er den Blick von Jason bemerkte, zuckte er mit den Schultern. „Der Rücken will noch nicht wie ich. Das lange Sitzen am Schreibtisch...“ „Ach so.“ Jason ließ es dabei bewenden. „Ich werde mich dann mal verabschieden.“ „Hast du noch was vor?“ „Ich will jemanden besuchen.“, lächelte Jason. Die Sonne schien an diesem Tag vom blauen Himmel herab, es war ein herrlicher Tag im Sommer. San Francisco war wie immer zu dieser Jahreszeit überlaufen mit Touristen, die Straßen, Geschäfte und Museen quollen über, die Wartezeiten in den Restaurants und Cafés stiegen ins astronomische. Doch hier war alles ruhig, egal zu welcher Jahreszeit. „Hi, mein Freund.“ Jason ging in die Hocke und legte einen kleinen Blumenstrauß auf Randys Grab. „Lange nicht mehr gesehen, hm?“ Er stand wieder auf, der leichte Wind bewegte seine Haare. „Ich hab ein schlechtes Gewissen, weil ich so lange nicht mehr hier war, aber es ist eine Menge passiert, weißt du? Du müsstest mich mal sehen. Ich bin Hausmann, Randy.“ Der Wind wurde kurz stärker und Jason fing an zu lachen. „Hey! Lachst du mich aus?! Du würdest heute auf deine Kosten kommen. Schwul und mit einer Schürze um bei der Hausarbeit, du würdest dich wirklich über mich amüsieren. Aber ich bin eigentlich wirklich glücklich damit. Ich habe Chris, ich habe gute Freunde... aber manchmal ist es wirklich bedrückend, zu wissen, dass ich das mit dir teilen könnte.“ Er seufzte. „Ich habe vorhin auch Jim besucht. Ich hoffe, du passt auf ihn auf, hm? Der Kleine hat sich immer in Schwierigkeiten gebracht.“ „Jason?“ Im ersten Moment zuckte der Angesprochene zusammen, er hatte wirklich gedacht, Randy habe ihm auf einmal geantwortet. Doch es war nur Colin, der ein Stück entfernt stand. Er hielt ebenfalls einen Blumenstrauß in den Händen, kam offenbar direkt aus der Uni, wie seine Tasche zeigte. Die Verletzungen waren gut verheilt, nur hatte er jetzt eine Narbe in der Augenbraue, die nicht mehr verschwinden würde. „Oh, hallo, Colin. Was machst du hier?“ Der Junge hob den Strauß. „Besuch bei Brandon. Ich war schon lange nicht mehr hier.“ „Wie geht es dir?“ „Eigentlich ganz gut.“ „Das freut mich.“ Jason lächelte. Vielleicht kam es ihm nur so vor, aber das Gespräch wirkte gestelzt. „Kann ich mal mit dir reden?“, platzte es aus dem Jungen heraus. „Ich hab da ein Problem...“ Jason hatte nichts dagegen. Er ging mit Colin zu einer Bank und ließ sich dort nieder. Der Junge legte den Blumenstrauß neben sich hin. Ein paar Blütenblätter wurden vom Wind davon getragen. „Dann mal raus damit.“ „Na ja...“, druckste Colin herum. „Ich... du weißt doch, dass ich damals verprügelt worden bin, oder?“ „Natürlich.“ „Und du weißt auch von dem Backstein in der Videothek?“ Jason nickte. „Na ja... ich kriege in letzter Zeit Briefe... erst waren es nur Sachen wie „Du widerliche Schwuchtel“ oder so, aber mittlerweile...“ Er nestelte an seiner Tasche und zog einen Haufen Zettel hervor. „Hier...“ Jason nahm die Briefe entgegen und musterte sie. Sein Blick verdüsterte sich. Mit jedem Brief etwas mehr. „Colin...“ „Sollte man das ernst nehmen?“ „Das sind Morddrohungen...“ „Ich weiß, aber von so etwas hört man doch immer wieder, oder?“ „Bei Stars, Colin, aber das hier...“ Jason schüttelte den Kopf. „Ich bringe dich um, du ekelhaftes Homoschwein! Du wirst krepieren, du Schwanzlutscher! Colin, das solltest du wirklich ernst nehmen. Du solltest die Typen von damals bei der Polizei melden.“ „Das ist es ja.“ Colin packte die Briefe wieder weg. „Die sind alle nicht mehr in San Francisco. Sie sind samt und sonders auf Colleges im ganzen Land gewechselt.“ „Das bedeutet, dass das jemand anders ist. Du solltest trotzdem zur Polizei gehen.“ „Da war ich schon, die halten das für einen dummen Jungen Streich...“ „Glänzend... wirklich glänzend. Und für den Verein habe ich mal gearbeitet.“ „Was soll ich denn jetzt tun?“, fragte Colin entmutigt. “Erst einmal gar nichts. Du passt auf dich auf und redest auch mit deinen Eltern. Ich schaue, was sich machen lässt.“ „Okay...“ „Keine Angst, dir wird nichts passieren. Dafür sorgen wir.“ Jason gab dem Bedürfnis nach, Colin in den Arm zu nehmen und einmal zu drücken. Wohl fühlte er sich dabei jedoch nicht. Warum hörten die Probleme denn nie auf? Nach allem was Chris mit Dave passiert war, würde er einen Teufel tun und die Sorgen von Marcus Freund auf die leichte Schulter nehmen. „Und Sie wollen mir wirklich klar machen, dass Sie in Ihr Haus kamen, Ihre Frau und Ihren Liebhaber ermordet im Bett vorfanden, erst eine Stunde später die Polizei riefen und sich nicht erinnern können, was Sie in der Zeit gemacht haben?“, fragte Walt Rogers den Mann auf der Anklagebank und sein Gesicht zeigte deutlich, was er dachte. „Ich finde das wirklich amüsant. Kann es passender sein?“ „Einspruch!“, rief David dazwischen. „Stattgegeben. Die Geschworenen werden die letzte Bemerkung ignorieren.“, stimmte der Richter zu. „Keine weiteren Fragen.“ Rogers zog sich zurück. „Möchten Sie den Angeklagten befragen, Mr. Vanderveer?“ „Ja, Euer Ehren.“ David schoss einen bösen Blick auf Rogers ab und stand auf. Der Gerichtssaal begann auf einmal zu schwanken. David musste sich am Tisch festhalten, schloss die Augen. „Mr. Vanderveer?“ Der Richter beugte sich vor. „Ja, Euer Ehren. Alles in Ordnung.“ David machte einen Schritt auf die Anklagebank zu und wankte erneut. Vor seinen Augen drehte sich alles. „Mr. Vanderveer?“ David antwortete nicht, er hörte nicht einmal, was der Richter sagte. Sein Blick war verklärt, der gesamte Gerichtssaal verschwand in Schlieren. Ihm war schlecht. „Ich glaube, ich...“ Weiter kam er nicht. Alles wurde schwarz, die Geräusche des Gerichtssaals verklangen endgültig, als David vor dem Richterpult zusammenbrach. Als Jason daheim ankam, wurde er bereits erwartet. Ash saß in seinem Wagen vor dem Haus und stieg aus, als sein ehemaliger Partner den Gehweg entlang kam. „Warum wartest du hier draußen?“, fragte Jason, nachdem sie sich begrüßt hatten. „Chris ist wohl nicht da, zumindest öffnet niemand.“ „Ich vergesse das immer wieder... das Restaurant. Es nimmt ihn ziemlich in Anspruch.“ „Ja, scheint so.“ Jason nickte nur und machte dann eine Geste zur Haustür. „Lass uns reingehen.“ Sie nahmen schließlich im Wintergarten Platz. Die Sonne schien durch die Fenster hinein und malte bunte Muster auf den Boden. Batman lag in seinem Körbchen und schlief, nachdem er von Ash ein Leckerchen bekommen hatte. Der Beagle hatte die Angewohnheit entwickelt, Besuch, besonders Freunde der Familie, vorher nicht in Ruhe zu lassen. Penetrant und stur sprang er um denjenigen herum, bis er endlich etwas abstaubte. Jason hatte sich und Ash mit Eistee versorgt, von dem er nun einen Schluck trank. „Wie geht es dir so? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.“ „Ja, ich bin etwas auf Abstand gegangen, vor allem wegen Sly... ich war sauer auf Chris, auch wenn er das eigentlich nicht verdient hat.“ „Na ja, Sly hat den Kontakt schließlich ganz abgebrochen.“ „Ich weiß...“ Ash rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Er schaute sich immer wieder im Wintergarten um, während er Eistee trank. „Ich muss dir was sagen...“ „Schieß los.“ Der blonde Polizist stellte sein Glas ab. „Wir kennen uns jetzt schon lange und haben viel miteinander durchgemacht, wirklich viel. Ich erinnere mich noch genau, wie du damals ins Büro gekommen bist und mich angestarrt hast.“ Ash musste leise lachen. „Und an die Halloween Party, auf der du erfahren hast, dass ich schwul bin.“ Jason lächelte. „Da gibt es viele Erinnerungen, du warst immer da, wenn ich Hilfe brauchte.“ „Deswegen... ich...“ Ash sah ihm in die Augen. „Ich verlasse San Francisco.“ „Was?!“ „Jason, versteh das bitte.“ Ash wirkte ein wenig hilflos. „Sly ist soweit genesen, das er wieder aus der Klinik kann und er will einen Ortswechsel. Er hat einen Job in Boston gefunden und ich werde mitgehen. Meine Versetzung ist schon durch, zum Glück hatten die dort einen Platz frei. Ich kann ihn nicht allein lassen.“ „Ich verstehe das sogar...“, gab Jason zu. „Sly ist... ich habe nie jemanden so sehr geliebt wie ihn, auch wenn es mit uns nicht gut gegangen ist. Ich will für ihn da sein und ich glaube, ich könnte gar nicht mehr ohne ihn. Wir brauchen einander, so wie du und Chris euch braucht... und wer weiß, vielleicht wird eines Tages doch noch etwas aus ihm und mir... es sind schon verrücktere Sachen passiert.“ Jason nickte, doch sein Lächeln war nur schwach. „Du wirst mir fehlen.“ „Hey, es gibt Telefon, Internet und Flugzeuge, ich bin nicht aus der Welt, Jay. Aber du wirst mir ebenso fehlen. Ich will auf keinen Fall den Kontakt verlieren.“ „Im Moment verändert sich irgendwie alles.“ „Vielleicht ist es auch gut so.“, meinte Ash. „Veränderung kann viel Positives mit sich bringen.“ „Ist wohl so.“ Die Uhr im Wohnzimmer schlug und verkündete, dass es drei Uhr nachmittags war. „Ich muss los.“ Ash stand auf. „Die Umzugsfirma ist schon bei der Arbeit.“ „Was?! Du hast nicht gesagt, dass das so hoppla hopp gehen würde! Keine Abschiedsparty?“ „Ich hasse Abschiede, Jason. Ich sage lieber bis bald als Lebewohl. Es würde alles nur schwerer machen, für mich, wie für Sly.“ Jason sagte nichts mehr, sondern trat einfach nur vor und schloss Ash in die Arme. Er hielt ihn einen Moment lang einfach nur fest und kämpfte gegen das Gefühl des Abschieds an. Es war nicht für immer. Doch in diesem Moment waren wirklich alle Erinnerungen wieder da. Gute wie schlechte. Ihr erstes Treffen im Revier. Die Querelen mit Rodriguez und Ashs Aktion mit dem Spind. Wie Ash für ihn da gewesen war, als Chris verschwunden war. Die Sorge um ihn, nachdem ihn Dave angeschossen hatte. Die gemeinsame Trauer um Jim. Der Streit wegen Slys Verschwinden und seinem Rückfall. Ashs Angst um ihn. All das und mehr kam Jason in den Sinn und er musste tatsächlich gegen Tränen ankämpfen, weil er wusste, dass es Ash unangenehm sein würde. „Ich geh dann...“, wiederholte Ash noch einmal, als sie sich voneinander lösten, doch auf dem Weg zur Tür hielt er inne. „Fast vergessen.“ Er griff in seine Jackentasche und holte einen Brief vor. Chris stand in Slys Handschrift darauf. „Gib ihn deinem Liebsten, ja?“ „Geht klar.“, meinte Jason mit belegter Stimme. „Bis bald, Jay.“ „Bis bald.“ Dann war die Tür zu und Ash verschwunden. Jason kehrte in den Wintergarten zurück und kraulte Batman, der sich das genüsslich gefallen ließ. Alles veränderte sich. Die Tür zu Davids Büro flog regelrecht aus den Angeln, als Jeremy hinein gestürmt kam. Er war vollkommen außer Atem und hatte Schweißperlen auf der Stirn. Weil der Aufzug einfach nicht hatte kommen wollen, war er die Treppen zur Kanzlei hinauf gestürmt. „Was muss ich da hören? Du bist im Gerichtssaal kollabiert?!“ „Es war nur der Kreislauf.“, meinte David, der auf seiner Couch lag und einen Lappen auf der Stirn hatte. Er setzte sich nun auf. „Nichts Schlimmes.“ „Du bist ohnmächtig geworden.“ „Na und? So etwas kann mal passieren.“ Jeremy war bei ihm angekommen und sank vor der Couch auf die Knie. „Geht es dir besser? Du bist so blass.“ „Hör auf, mich zu bemuttern.“ David schob seine Hand etwas zu rüde weg. „Es ist alles okay.“ „Bist du krank? Wie konnte so etwas passieren? Hast du das öfter?“ „Hör zu, es ist nichts, okay?“, meinte David mühsam beherrscht. „Ich denke, die Tabletten haben sich nicht mit dem Champagner vertragen, denn es zu Kens Firmenjubiläum gegeben hat. Einer der Seniorpartner ist seit 20 Jahren dabei.“ „Champagner und...“ Jeremy sah ihn entsetzt an. „Du nimmst immer noch diese Dinger?! David, du solltest sie schon vor zwei Monaten absetzen!“ „Ich brauche sie!“ „Das kann doch nicht wahr sein!“ Jeremy stand auf und funkelte David voller Zorn an. „Du hast mir gesagt, dass du keine mehr hast und sie auch nicht mehr nimmst! Wir haben darüber geredet!“ David fühlte sich in die Ecke gedrängt. Tatsächlich hatte er seinem Freund vor einiger Zeit fest zugesagt, dass mit den Schmerztabletten Schluss sei. Doch er hatte sie weiter genommen, manchmal mehrmals am Tag und Mittel und Wege gefunden, sich Nachschub zu beschaffen. Ohne die Tabletten schmerzte sein Rücken wieder und das wollte er nun einmal nicht. Und da Jeremy immer so ein Getue wegen der Tabletten machte, hatte er zu der Notlüge gegriffen. „Das ist ja wohl meine Sache!“ „Du bist ja abhängig davon!“, stellte Jeremy entsetzt fest. „Verdammt, was machst du da?!“ „Das ist meine Sache, Jeremy!“ David stand ebenfalls auf und hatte die Stimme erhoben. „Ganz allein meine Sache! Es geht dich nichts an!“ „Du bist mein Freund!“ „Und du nicht meine Mutter! Ich habe mein eigenes Leben!“ Der Satz war wie eine Ohrfeige. „Und ich bin also kein Teil davon?“, fragte Jeremy verletzt. David bemerkte, was er da getan hatte, aber er war nicht bereit, nachzugeben. Schließlich hatte er sich nicht zu rechtfertigen. Es waren ja auch nur ein paar Tabletten. „Du hast auf jeden Fall kein Recht, mich einen Junkie zu nennen!“ „Das habe ich nicht! Aber was bist du denn?! Du nimmst diese Dinger heimlich weiter! Lügst mich an! Ich dachte, wir könnten über alles reden!“ „Da hast du wohl falsch gedacht!“ „Ja, das habe ich wohl!“ Jeremy schnaubte und drehte sich einfach um. David sollte die Tränen in seinen Augen nicht sehen. „Du lässt mich einfach nicht ganz in dein Leben! Es ist genau, wie deine Eltern gesagt haben! Ich bin kein Teil deines Lebens! Nur eine vorübergehende Phase!“ „Was?!“, entfuhr es David. „Auch egal!“ Jeremy stampfte zur Tür. „Ich kenne meinen Platz ja jetzt.“ Damit verließ er das Büro und schlug die Tür hinter sich zu. David sah ihm verstört nach. Er lief ihm allerdings nicht hinterher, dazu war er zu stolz. Langsam ging er zu seinem Schreibtisch und zog die oberste Schublade auf. Die Packung mit den Schmerztabletten lag ganz oben auf den Akten. „Scheiße!“, fluchte der Anwalt laut, packte das Röhrchen und warf es mit voller Wucht an die Wand. Die Tabletten verteilten sich im ganzen Büro. „Ich hab ein schlechtes Gewissen, weil ich einfach in seinem Zimmer herum wühle.“ „Ach, mach dir keine Gedanken, mein Schatz.“, lächelte Colins Mutter Marcus fröhlich an. „Du gehörst doch zur Familie und Colin ist in der Videothek, es würde doch zu lange dauern, bis nach Dienstschluss zu warten.“ Sie blieb an Colins Tür stehen und nickte Marcus zu. „Bedien dich ruhig und komm dann runter, ich habe Apfelkuchen gebacken. Davon gönnen wir uns ein Stück.“ „Gern!“, grinste Marcus breit. Colins Mutter ging nach unten und der Junge in den Wohnbereich seines Freundes. So etwas konnte auch nur ihm passieren. Er hatte mit Colin zusammen Hausaufgaben gemacht und dabei war sein Heft zwischen die Sachen seines Freundes geraten. Nach kurzer Suche in Colins Chaos entschied er, dass es wesentlich einfacher wäre, zunächst in Colins Tasche fürs College nachzusehen, bevor er die nächsten zwei Stunden damit verbrachte, sich einen Überblick über die vielen Haufen Lernzeug seines Freundes zu verschaffen. Er fand die Tasche unter Colins Schreibtisch und hob sie darauf, um sie zu durchsuchen. Ihm kamen Bücher, Schokoriegelpapier und eine leere Colaflasche entgegen. “Du bist vielleicht ein Chaot, Colin... was ist das?“ Marcus zog den Packen Zettel hervor, die leicht geknickt in der Tasche steckten. Eigentlich schnüffelte er nicht gern, aber diese Papiere sahen zu merkwürdig aus. Als sein Blick darüber glitt, wurde er mit jedem Wort blasser. Colin hatte von all dem kein Wort gesagt. Marcus’ Hals schnürte sich zu und gleichzeitig erfasste ihn eine unbändige Wut. Was dachte Colin sich?! Das waren waschechte Drohbriefe und er ließ ihn einfach im Dunkeln! Wiegte ihn in Sicherheit und tat, als sei nichts gewesen. „Du Mistkerl!“ Er schmiss die Briefe wieder auf den Tisch und lief aus dem Zimmer, die Tasche ließ er offen. Colins Mutter hörte nur noch die Haustür zuschlagen, als sie verwundert nachsah, war Marcus verschwunden. Als Chris an diesem Tag nach Hause kam, fand er Jason im Wintergarten, er lag mit Batman auf der Couch und schlief, den Hund halb auf seinem Oberkörper positioniert. Es war ein wundervolles Bild, eines, das Chris wieder klar machte, warum es doch das Schönste war, zu Jason nachhause zu kommen. Er überlegte erst, ob er seinen Freund wecken sollte, entschied sich dann aber doch dagegen. Batman wachte auf und begrüßte sein Herrchen Schwanz wedelnd aber ohne zu Bellen, der Hund war sowieso sehr ruhig geworden, er bellte nicht oft. Chris nahm das Tier mit in die Küche und gab ihm sein Abendessen. Batman machte sich hungrig wie immer darüber her. Chris machte sich selbst einen Kaffee, das hielt ihn auf den Beinen. Das Restaurant war ebenso aufregend wie stressig. Auf dem Weg zum Schrank mit den Tassen kam er an der Pinwand vorbei und blieb stehen. Dort hing ein Briefumschlag mit seinem Namen darauf. Er erkannte Slys Schrift. Der Kaffee trat in den Hintergrund. Chris nahm den Umschlag und riss ihn auf, er setzte sich an den Esstisch, um zu lesen. „Lieber Chris, es fällt mir schwer, diesen Brief zu schreiben. Eigentlich weiß ich nicht einmal, was ich schreiben soll. Unserer letztes Treffen war schrecklich... ich war schrecklich. Schrecklich zu dir und zu unserer Freundschaft. Ich habe dich total mies behandelt. Ich war immer schwach. Mein ganzes Leben. Ich habe mich immer auf andere verlassen, besonders als ich anfing zu trinken. Auf Ash, auf dich. Es ist immer leicht, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben für das eigene Versagen. Es ist schrecklich leicht, das sage ich dir. Ich war immer gut darin. Du bist nicht Schuld daran, dass ich wieder getrunken habe. Auch nicht an all dem, was mir noch geschehen ist. Ich bin es. Ich liebe dich, Chris, ich liebe dich wirklich. Egal wie oft ich mir sage, dass wir nur Freunde sind, in meinem Herzen sieht es anders aus. Also versuchte ich, es mir leicht zu machen. So wie ich es immer tue. Ich versuchte, Jason zu hassen. Dann dich. Dann wieder Jason. Dann euch beide. Als ihr dann ein zweites Mal zusammen kamt, nachdem ich endlich meine Chance bei dir sah... Es war leicht, euch beiden die Schuld zu geben und endlich einen Grund zu finden, dem Drang zu trinken nachzugeben. Ich war selbst für meinen Absturz verantwortlich. Ich allein und niemand sonst. Keiner von euch hat mir das Glas an die Lippen gesetzt. Das war ich. Ich weiß nicht, ob dir Jason mittlerweile schon gesagt hat, dass Ash und ich die Stadt verlassen. Wir gehen nach Boston. Ich bin schwach, Chris, und ich bin feige. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, dir unter die Augen zu treten. Ich möchte mich für alles entschuldigen, was ich dir in der Klinik an den Kopf geworfen habe. Du bist ein wundervoller Mensch und du wirst immer einen Platz in meinem Herzen haben. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen und wirst auch mich nicht vergessen. Vielleicht bin ich eines Tages stark genug, über uns hinweg zu sein und in dir wirklich nur noch einen Freund zu sehen. Das hier soll kein Lebewohl sein, es ist ein Auf Wiedersehen. Ein ungewisses Auf Wiedersehen, aber das ändert nichts daran. Ich gönne dir dein Glück mit Jason und wünsche dir alles Gute für dein Restaurant. Du hast es verdient. Bis bald, Chris. Dein Sly.“ Chris legte den Brief weg, er konnte sowieso nicht mehr lesen. Vor seinen Augen verschwamm alles, die Tränen liefen bereits über seine Wangen. Er hatte Sly schon längst verziehen, aber diese Worte berührten ihn zutiefst, selbst wenn sie nur auf Papier waren. Batman schaute sein Herrchen an, er merkte, dass etwas nicht stimmte. Auch Jason tat das. Er kam heran und legte Chris die Hand auf die Schulter. Sein Freund sprang auf und warf sich in seine Arme. „Er ist weg...“ „Ich weiß. Ash auch...“ „Dieser Brief... ich wünsche ihm so sehr, dass er endlich sein Glück findet. Er hat es ebenso verdient wie ich... er war immer so lieb.“ Jason lächelte. Das war Chris. Sein Chris. Jeder Ärger war vergessen, jeder Streit. Chris hatte Sly gern, hatte nie aufgehört damit, ihn gern zu haben. Das hier war der Mann, in den er sich vor vielen Jahren verliebt hatte. Der Stricher, der tat, als sei sein Herz aus Eis, der aber im Inneren der wahrscheinlich liebste Mensch dieser Welt war. Warmherzig, freundlich, hilfsbereit. Chris war gleichzeitig stark und schwach in einem, brauchte Schutz und gab Unterstützung. Jason spürte in seinem Herzen, dass er niemals komplett gewesen war ohne Christopher Fairgate aus Dallas, Texas. Chris war seine andere Hälfte, der Seelenverwandte, den man meistens nur einmal im Leben fand. Ohne ihn, wäre sein Leben nicht das selbe gewesen. Sie hatten in den letzten zwei Jahren soviel durchgemacht, sich einmal fast verloren und doch immer wieder zusammen gefunden. Und nun, hier in der Küche ihres gemeinsamen Hauses, viele Meilen von New York entfernt, weit entfernt vom Straßenstrich und Drogen, erinnerte sich Jason daran, was er Chris einst versprochen hatte. Ihn in ein neues Leben zu führen. Und dieses Leben lebten sie jetzt. Nach den turbulenten Zeiten der letzten Jahre, war nun endlich Ruhe eingekehrt zwischen ihm und Chris. Und in diesem besonderen Moment, an diesem Nachmittag in San Francisco, kamen die Worte wie von selbst. „Willst du mich heiraten?“ Er hatte keinen Ring, es war kein besonderer Anlass. Jason fühlte einfach nur, dass es an der Zeit war, diese Frage zu stellen. Er wollte sein Leben mit Chris verbringen. Mit ihm zusammen alt werden. Chris hatte ihn ein Stück weg geschoben und sah ihn mit großen Augen an. Sein Mund stand offen. Auf seinen Wangen waren Tränenspuren, aber Stück für Stück verzog sich sein Gesicht zu einem Ausdruck wirklich unbändiger Freude. Er legte seine Hände auf Jasons Wangen und zog ihn an sich. Küsste ihn überschwänglich. Immer und immer wieder. Und zwischen jedem Kuss rief er voller Freude: „Ja!“ „Hier, deine Cola.“ Colin stellte Jeremy die Dose hin. Sie saßen im hinteren Bereich der Videothek, es war so gut wie nichts los. Der letzte Kunde war vor über einer Dreiviertelstunde aufgetaucht und mit einer Auswahl von Julia Roberts DVDs wieder abgezogen. Seine Freundin stehe auf diesen romantischen Scheiß, hatte er getönt. Colin hatte sich einen Kommentar verkniffen. „Ich verstehe ihn nicht. Warum hat er mir das verschwiegen?“ „Jeder hat seine Geheimnisse.“, meinte Colin lakonisch. Er hatte sie ja auch. Die Briefe, Marcus wusste nichts davon. Zumindest dachte Colin das. „Das ist keine Hilfe.“ „Ich weiß. Aber so lange er denkt, dass er kein Problem mit den Dingern hat, wirst du ihn auch nicht davon los kriegen.“ „Du wirst immer ermutigender.“ „Was willst du von mir hören?“, lächelte Colin. „Dass es ein Wunderrezept gibt?“ „Nein, sicher nicht. Ich bin ja auch nicht dumm.“ „Du darfst auf jeden Fall jetzt nicht aufgeben. Lass ihn nicht allein und wende dich nicht ab. Natürlich darfst du wütend sein, aber du darfst ihn nicht im Stich lassen.“ Jeremy nippte an seiner Cola. Colin hatte ja Recht. Er hatte heftig reagiert, aber eigentlich auch viel zu heftig. David und er hatten soviel zusammen erlebt, waren einen so weiten Weg zusammen gegangen. Erst hatte es endlos gedauert, bis sie ein Paar waren und dann hatte er ihn beinahe wieder verloren, als Dave Jerrods die ganze Clique mit seinen psychopathischen Plänen ins Chaos gestürzt hatte. Davids sturer Stolz war schon immer ein Problem gewesen, warum sollte er diesmal davor zurückschrecken? Die Tür der Videothek flog auf, wurde gleich darauf wieder zugeknallt. Schneller als die Glocke die Ankunft eines Kunden verkünden konnte. „Colin?!“, tönte Garys Stimme durch die Videothek. „Hier hinten!“, rief Marcus’ Freund ihm zu. „Was will der denn hier?“, wandte er sich dann leise an Jeremy. Dieser zuckte mit den Schultern. Gary kam durch den Laden zu ihnen. „Hi, Gary, was kann ich für dich...“ Eine Faust krachte in Colins Gesicht. Er wurde zu Boden geschleudert, Gary war sofort über ihm. „Du dämlicher Mistkerl! Was denkst du dir dabei, Marcus so in Gefahr zu bringen?!“ „Was?! Wovon redest du?!“ Colins Lippe blutete. „Das weißt du genau!“ Gary schlug erneut zu. Und noch einmal. „Du spinnst ja!“ Jetzt reichte es Colin. Er ging zum Gegenangriff über. Körperlich war er Gary gewachsen und dieser war so sauer, dass er, statt seine Kampfsporttechniken anzuwenden, nur wie ein Irrer prügelte. Also standen die Chancen für den Schwarzhaarigen nicht schlecht. Jeremy beobachtete die Szene fassungslos. „Jungs! Jungs, es reicht! Hey!“ Er sprang auf und wollte dazwischen gehen. Es war nicht klar, wessen Haken ihn traf, es ging zu schnell. Jeremy taumelte zurück und prallte gegen ein Regal. DVD-Hüllen regneten auf ihn herab. Vor ihm waren Gary und Colin in einen wilden Kampf verstrick, schlugen sich ohne Gnade. Hier entluden sich monatelang gestaute Emotionen aus Eifersucht und Missgunst. Das konnte böse enden. Marcus saß in Garys Auto und kaute auf den Fingernägeln. Er hatte Mist gebaut. Großen Mist. Warum hatte er auch keine bessere Idee gehabt, als zu Gary zu rennen und sich auszuheulen. Dann war alles aus dem Ruder gelaufen. Er hatte Gary von den Briefen erzählt, sich über Colin beschwert. Jasons Bruder hatte vollkommen anders als erwartet reagiert. Er war vollkommen ausgeflippt. Innerhalb von ein paar Minuten hatte sich Marcus im Auto wieder gefunden, panisch dabei, Gary zu beruhigen. Doch er war nicht zu ihm durchgedrungen. Gary hatte mehrfach betont, dass er sich Colin verknöpfen wollte, ihm klar machen, in welche Gefahr er Marcus brachte. Schließlich hatte er ihm versprochen, es zumindest ruhig und gefasst zu tun. Keine Handgreiflichkeiten. Doch je länger er wartete, umso weniger sicher war Marcus sich, ob er Gary so einfach hätte glauben sollen. Gary war ein Cunningham, er war wie Jason. Marcus wie Chris hatten schon feststellen müssen, dass die Cunningham-Männer ebenso heldenhaft und wundervoll wie heißblütig und cholerisch sein konnten. „Verdammte Scheiße!“ Er konnte den Laden von hier aus sehen. In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und ein Mädchen rannte heraus. Sie trug Joggingsachen und eine Sporttasche unter dem Arm. Ein sehr merkwürdiges Outfit. Erst jetzt wurde Marcus bewusst, warum ihm das Mädchen überhaupt aufgefallen war. Er kannte sie. Und zwar von Brandons Beerdigung. Dort hatte er sie schon einmal gesehen. Sie hatte nahe am Grab gestanden und ihre Tränen hatten nicht aufgehört zu fließen. Marcus hatte sie, bevor ihn die Mistkerle, die Colin verprügelt hatten, abgelenkt hatten, eine ganze Zeit lang gemustert, vornehmlich weil er direkt Angst bekommen hatte, sie würde sich in ihrer wilden Trauer ins Grab zu Brandon stürzen. Was tat sie in der Videothek? Marcus riss die Autotür auf und stieg aus. „Hey, kann ich mal kurz mit dir reden? Ist da drin alles in Ordnung? Wir kennen uns doch und...“ Sie rempelte ihn mit voller Wucht an, so überraschend, dass es Marcus vollkommen überrumpelte. Sie hatte nicht einmal abgebremst und rannte nun einfach weiter, würdigte den Jungen keines Blickes. Marcus war auf dem Hintern gelandet und schaute ihr verwirrt nach. „Eine Entschuldigung wäre angebracht gewesen!“, brüllte er der Flitzerin hinterher. Ein „Blöde Kuh“ wurde nur in Gedanken hinzugefügt. Marcus rappelte sich wieder auf. Was war das nur gewesen? Warum rannte sie so und warum war sie aus der Videothek gekommen? Gab es da drin etwa Probleme? Vielleicht waren Colin und Gary doch aneinander geraten. Der blonde Junge machte einen Schritt und im nächsten Moment ging die Welt unter. Zumindest kam es Marcus so vor. Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die nachmittägliche Luft. Eine Druckwelle traf Marcus und presste ihm den Atem aus den Lungen. Er wurde zu Boden geschleudert und fiel hart auf das Pflaster. Hitze raste über ihn hinweg. Als er den Kopf hob, bot sich ihm ein Bild des Grauens. Die Frontscheiben der Videothek gab es nicht mehr. Sie lagen in Milliarden Splittern auf der Straße verteilt, wäre Marcus nur etwas früher losgegangen oder nicht von dem Mädchen umgerempelt worden, hätte ihn der tödliche Sturm aus Scherben vielleicht getroffen. Doch dieser Gedanke kam Marcus nicht einmal. Er sah nur die gähnenden Löcher in der Front der Videothek, die herumliegenden DVD-Hüllen und brennenden Trümmer. Und die Flammen, die aus dem Arbeitsplatz seines Freundes schlugen. Marcus konnte sich nicht bewegen, er schrie nur. Schrie so laut, wie noch nie in seinem Leben. „COLIN!“ ~~~ Und wieder habe ich euch lange warten lassen. I’m so sorry... Der Chapter ist diesmal 12 Seiten lang, aber ich habe ja schon ausschöpfend über dieses Thema geschwafelt ;) Trotz allem ist dieses Kapitel etwas Besonderes. Es ist Teil 1 des großen Finales. Mit diesem Kapitel wird das Ende eingeläutet. Remember the Promise you made hat mich mittlerweile zwei Jahre begleitet, aber nun ist es Zeit, die Dinge zu einem Ende zu bringen. Auf der Strecke bleibt ein kompletter Handlungsstrang, den ich aber mittlerweile, obwohl ich ihm jahrelang entgegen fieberte, für unpassend halte. Ich werde nichts genaueres sagen, weil ich die Idee vielleicht noch einmal anderweitig verwenden möchte, aber nur soviel: Die Story Arc hätte sowohl Sly als auch Ash das Leben gekostet und Chris erneut der Willkür eines Psychopathen ausgesetzt. Seht ihr das Muster? Noch ein Psychopath, der Chris’ Leben bedroht, das wäre der berühmtberüchtigte „Jump the Shark“ Moment gewesen. Ein Ausdruck aus der Serienwelt für den Moment, da eine Serie sich selbst demontiert und damit an Qualität verliert, ihr eigenes Todesurteil unterschreibt. Also traf ich eine Entscheidung, die sich hier niederschlägt. Ash und Sly bekommen ein quasi Happy End, sie verlassen San Francisco und der angekündigte neue Auftritt von Sly wird nicht stattfinden. Davids unterschwellig angedeutete Abhängigkeit, die im Fahrwasser der gekippten Storyline hätte schwimmen sollen, kommt nun schon ans Licht. Gestern hatte ich die Erleuchtung, wie ich alle offenen Storylines zu einem befriedigen Schluss führen kann und somit dem großen Finale nichts im Wege steht. Ich werde sicher nichts übereilen, das letzte Kapitel soll kein Schnellschuss werden, es soll ein würdiger Abschluss sein. Das verdienen meine Jungs auch ;) Also genießt den letzten Cliffhanger von Remember the Promise you made und bleibt mir fürs Finale treu! Euer Uly ^^ Kapitel 42: Remember the promise you made (Part 2 of 2) ------------------------------------------------------- Mit heftiger Wut im Bauch verließ David sein Büro und schmetterte die Tür zu. Was bildete sich Jeremy eigentlich ein?! Er hatte so etwas nie gebraucht! Er war immer allein klar gekommen, sein eigener Herr! Immer! Und dann kam dieser miese kleine rothaarige Barkeeper und meinte, nun über sein Leben bestimmen zu können, nur weil sie ein Paar waren. Ein Paar! Was hatte er sich nur dabei gedacht?! Er, der sein ganzes schwules Leben lang die Polygamie gepriesen und verehrt hatte, er, der in seinen besten Zeiten bis zu fünf oder mehr Kerle in einer Woche gehabt hatte, in Bestform sogar mehr als drei an einem Wochenende! Er war der König der Playboys in der schwulen Szene gewesen, eine Institution, mit der viele ausdrücklich sogar schlafen wollten! Er war David Vanderveer, man konnte sich glücklich schätzen, wenn man mit ihm... Er riss die Tür eines kleinen Büros auf und schlug sie gleich wieder zu. Dabei drehte er schon den Schlüssel im Schloss. Karl Schmidt war aus seinem Bürostuhl hochgeschossen wie von der Tarantel gestochen. Blass starrte er David an. Er war ein Junior, eben erst in die Firma gekommen. „S-Sir?“ Davids Augen verengten sich zu Schlitzen, während er widerspenstige Haarsträhnen aus der Stirn fegte. „Du bist schwul, hab ich Recht?“ „S-Sir, i-ich, wie... wie... kommen Sie...?“ „Ich hab dich gesehen! Schon mehrmals, unter anderem im Mighty. Und ich weiß, dass du mich gesehen hast.“ „S-Sir, bitte... bitte v-verraten Sie mich nicht…“ Schweiß stand auf Karls Gesicht, er zitterte. „Ob du dich outest oder nicht ist mir eigentlich egal! Willst du ficken?“ „Was?!“ Karl stolperte nach hinten und fiel beinahe über seinen Bürostuhl. „Ich frage dich, ob du mit mir ficken willst.“ Streng genommen brachte sich David eben in eine mehr als üble Lage, das war eindeutig sexuelle Belästigung, aber es interessierte den Anwalt eben einen Dreck. „Das geht doch... nicht...“ David schüttelte den Kopf und zog sich das Hemd aus der Hose. Blitzschnell hatte er die Krawatte gelockert und die Knöpfe geöffnet. Er war lange nicht mehr so gut in Form wie früher, aber immer noch sehr ansehnlich. „Willst du oder willst du nicht?“ Man konnte sehen, wie es hinter der Stirn von Karl arbeitete, doch schließlich schien die Neugier zu gewinnen. „O-Okay...“ David sagte nichts mehr, er ging einfach auf den Kollegen zu, packte ihn und küsste ihn, ohne ihn zu fragen ob er das wollte oder nicht. Er fegte Karls wenige Akten vom Schreibtisch und stieß den jungen Mann darauf, während er sich bereits das Hemd auszog und an der Hose des anderen nestelte. Karl versuchte zögerlich, die Oberhand zu gewinnen, doch da kannte er David schlecht. Wenn er es wollte, regierte nur er im Bett (oder sonst wo), niemand anderes. Seine Hand krallte sich in den Haarschopf des jungen Anwalts, zog dessen Kopf in den Nacken, Davids Zunge glitt über die empfindliche Haut am Hals des Mannes. Karl stöhnte lüstern auf und die Beule in seiner Hose war unübersehbar. Gierig zerrte er an Davids Gürtel, streifte seine Hose samt Unterwäsche herunter – und hielt verdutzt inne. „Du hast ja gar keinen...“ „Ich weiß!“, knurrte David und küsste ihn einfach weiter. Er wusste, dass er keine Erektion hatte. Sie würde schon kommen, so etwas wie damals würde ihm nicht noch einmal passieren. Nicht wegen Jeremy und seinem idiotischen Liebesgehabe. Das brauchte er nicht. Er brauchte nur sich und Sex und das würde er sich nun wieder nehmen. Er würde jetzt hier eine geile Nummer schieben und... „Scheiße! Gott, verfluchte Scheiße!“ David stieß Karl von sich. Er zog seine Unterwäsche und die Hose wieder hoch, danach das Hemd an. Es ging nicht. Es ging einfach nicht. „Scheiße!“, fluchte er weiter, während er die Knöpfe schloss. Karl lag mehr als verstört und halbnackt auf seinem verwüsteten Schreibtisch und sah David nach, der bereits auf dem Weg zur Tür war. „Du verlierst kein Wort darüber!“ „Ja, S-Sir...“, murmelte der Jüngere verstört. David schloss wieder auf und verließ das Büro. Verzweifelt versuchte er, wieder Form in seine Haare zu bringen. Nicht einmal das hatte ihm früher Sorgen gemacht, er war mit perfekter Frisur in eine Nummer rein und mit perfekter Frisur wieder heraus gegangen. Und heute?! An all dem war nur Jeremy Schuld. Und die Tatsache, dass er diese Nervensäge einfach zu sehr liebte! Als er in sein Büro zurückkehrte, schrillte bereits das Telefon. „Vanderveer!“, bellte er in den Hörer. Im nächsten Moment wurde er blass. Als er die Lobby des Krankenhauses betrat, wurde er auch schon von Jason abgefangen, bevor David Alarm schlagen konnte. Seinem Freund gelang es, den aufgeregten Anwalt ins Café zu schleppen. „Wieso darf ich noch nicht zu ihm?“ „Weil er gleich schon wieder entlassen wird. Er ist nicht verletzt, nur ein paar Kratzer und blaue Flecken.“ „Was ist denn passiert?“ David schob sich immer wieder die Haare aus der Stirn. „Eine Bombenexplosion in der Videothek, Jeremy war da, Colin und Gary. Aber sie hatten Glück im Unglück. Die Bombe war dilettantisch platziert und offenbar aus dem Internet zusammen gebastelt. Die Explosion richtete sich nach vorn, hat das Frontfenster regelrecht pulverisiert, aber die Jungs waren im hinteren Teil des Ladens und sind mit dem Schock und leichten Verletzungen durch die Wucht der Druckwelle davon gekommen. Jeremy hat nur ein paar Kratzer, Gary eine leichte Gehirnerschütterung und Colin eine Prellung.“ Jason erzählte das auf eine ruhige Weise, ganz anders als es sonst seine Art war. Er wusste, dass Panik nicht nötig war. Niemandem war etwas geschehen, wie durch ein Wunder zwar, aber es war so. „Und wer war es?“ David war weniger ruhig. „Es war eine Mitschülerin von Colin. Sie hat sich gestellt, außerdem kann Marcus sie identifizieren.“ „Eine Mitschülerin?!“ „Ja, die Schwester von Brandon.“ „Der Junge, der sich umgebracht hat?“ Jason nickte. „Ja, der HIV positive Ex-Freund von Colin. Nachdem er gestorben war, ist die Familie zerbrochen. Die Eltern ließen sich scheiden und Brandons Schwester hat das nicht verkraftet. Sie hat Colin dafür verantwortlich gemacht und hat einige Mitschüler von Brandon auf ihn gehetzt. Dann hat sie weiter gemacht, Drohbriefe, dieser Backstein damals... und irgendwann hat sie es dann übertrieben.“ „Aber Jeremy geht es gut?“, fragte David, der nur schwer hatte zuhören können. „Ja, es geht ihm gut. Wirst ihn sicher bald sehen.“ “Wenn er mich sehen will.“ „Oh nein...“ Jason beugte sich vor. „Was nun?“ David seufzte und sah zur Decke. Es fiel ihm schwer, aber er musste es sich eingestehen. „Ich bin abhängig von Schmerztabletten... ich schlucke sie seit der OP.“ Jason sank zurück auf den Stuhl. „Ach du heilige... ich habe nichts gemerkt! Was bin ich eigentlich für ein Freund?“ David lächelte und musterte eine Kellnerin, die Kaffee auf einem Tablett herum trug. „Wir waren beide in letzter Zeit nicht unbedingt aufmerksam, Schwamm drüber.“ „Trotzdem...“ „Schon gut.“, wiegelte David ab. „Es ist ja nicht so, dass ich im Sterben liege... Jeremy hat es raus bekommen, ich hatte ihm gesagt, dass ich die Dinger nicht mehr nehme. Das war ein Fehler.“ „Na ja... du bist halt....“ „Sag schon.“ David schüttelte den Kopf und lächelte matt. „Ein Junkie. So wie Chris damals... ich weiß das. Ich werde nicht high, aber ich brauche die Tabletten dennoch. Und Hilfe.“ „Wenn du das erkannt hast, ist doch eigentlich der richtige Schritt getan.“, meinte Jason erleichtert. „Na ja... wie man es nimmt.“ David zuckte mit den Schultern. „Wenn Jeremy...“ „Ach komm, du weißt, dass er dir noch eine Chance gibt. Du musst das richtig anpacken. Als ich Chris den Heiratsantrag gemacht habe...“ David bekam einen Hustenanfall und spuckte den Kaffee beinahe wieder aus. Röchelnd schlug er sich auf die Brust. „Was?!“, brachte er mühsam hervor. „Ich will ihn heiraten.“ „Heiraten... Ich fasse es nicht...“ Davids Kopf sank auf den Tisch. „Vielen Dank für die Glückwünsche!“, lachte Jason amüsiert. „Warum überrascht dich das so? Du kennst uns romantische Spinner doch.“ „Ich bin nicht so wirklich der Schwule Typ... also einer der das so zeigen kann. Ich bin auch nicht für Beziehungen oder so.“ Stille senkte sich über den Tisch. Jason beugte sich vor und musterte seinen besten Freund, dessen Gesicht unter den blonden Haaren nicht zu sehen war. „Wie meinen?“ „Deine Worte...“, kam es unter dem Haarschopf hervor. „Meine...?“ „Deine Worte.“ David hob den Kopf wieder. „Schande über dich, dass du es vergessen hast. Es war ein Freitag im August. Genauer gesagt im August in einem anderen Leben.“ David liebte das Fitnesscenter. Es war wie ein Selbstbedienungsrestaurant. Ein ganz spezielles. Man tat etwas für seinen Körper und danach konnte man sich belohnen und aus einem großartigen Pool knackiger Kerle schöpfen. Ob man nun auf eine kleine Orgie in der Sauna stand oder sich zu zweit irgendwohin zurückzog und sich vergnügte, es war einfach perfekt. Zufrieden lächelnd trocknete David sich nach dem abschließenden Duschen ab. Heute ging er es langsam an, er würde sich wohl an der Erfrischungsbar seine Belohnung suchen. Obwohl... „Siehst du irgendetwas, das dir gefällt?“ Er drehte sich zu dem jungen Mann hinter sich um, dabei machte er sich nicht die Mühe, einen Teil seines nackten Körpers mit dem Handtuch zu verdecken. Sein Grinsen wurde noch breiter, als der Gaffer fast von der Bank gefallen wäre, auf der er saß. „Entschuldige, i-ich wollte nicht starren!“ Wie niedlich, der Kerl wurde sogar rot. Davids Jagdtrieb war geweckt. Ein durchtrainierter Brünetter mit männlich attraktivem Gesicht und kurzen Haaren. Wirklich sehr ansehnlich. Seine grünen Augen schauten schüchtern und etwas verstört in die blauen des Anwalts. „Schon okay. Ich kann dich ja verstehen.“ „Dann ist ja gut...“ Eine Pause. „Bitte?“ Der junge Mann schaute noch verwirrter ob dieser offensichtlichen Eingenommenheit von sich selbst, die der Andere da an den Tag legte. „Du bist neu hier, oder? Einen wie dich hätte ich hier sicher schon einmal bemerkt.“ „Ich... äh... ja, ich bin neu hier. Bin erst vor ein paar Wochen aus New York hergezogen. J-Jason.“ „Ich bin David.“, lächelte der Blonde. Das war ja zu niedlich. Dieser Typ, Jason, schien vollkommen überfordert mit der Situation, dennoch waren seine Blicke am Anfang mehr als eindeutig gewesen. Er war definitiv schwul, kein Zweifel. „Schön, dich kennen zu lernen.“ Jason stand auf und dabei rutschte ihm das Handtuch von den Hüften und er blieb nackt vor David zurück. „Oh! Ich...“ Er bückte sich eilig und zerrte das Stück Textil wieder hoch. „Aber, aber, mach dir keine unnötige Mühe. Ich zeig dir meins, du zeigst mir deins, ist doch nichts dabei.“ Jason presste sein Handtuch gegen seinen Schritt. „Hör mal, ich weiß nicht, was du denkst... also... Ich bin nicht so wirklich der schwule Typ... also einer der das so zeigen kann. Ich bin auch nicht für Beziehungen oder so...“ David sah ihn einen Moment an, dann fing er an zu lachen. Er konnte sich kaum beruhigen, auch nicht, als sich das Gesicht seines Gegenüber langsam wütend verzerrte. Schließlich brachte er es über sich, Jason auf die Schulter zu klopfen. „Hör zu: Ich will keine Beziehung mit dir und du musste auch nicht dein großes Outing starten, wenn du lieber so tun willst, als seiest du hetero, ist das deine Sache, aber wie wäre es zumindest mit einem Drink, hm?“ Jason legte den Kopf schräg. „Komm, ich bin kein böser Wolf, ich fresse dich nicht. Ich finde dich nett, mehr nicht. Wir trinken was, unterhalten uns und ich zeige dir, wenn du willst, wo du schwul sein kannst, ohne dass es gleich jeder merkt.“ Jason war in die Ecke getrieben, doch er musste zugeben, dass das gewinnende Lächeln des anderen Mannes verlockend war. Er schien nicht nur attraktiv, sondern auch freundlich und als würde er wirklich keine Hintergedanken haben. Die hatte er zwar, aber das konnte der Polizist zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Und schließlich hatte sich sowieso alles ganz anders entwickelt, als es David Vanderveer hier geplant hatte. Vollkommen anders. „Dass ich das vergessen habe!“, meinte Jason und lachte. „Ich war damals so verstört, du bist so rangegangen, das kannte ich überhaupt nicht aus New York. Keine Spur von Verstecken.“ „Ich wollte dich unbedingt haben und dann habe ich dich aber kennen gelernt und gemerkt, dass du anders warst.“ „Das ehrt mich, denke ich.“ „Oh ja, dich wollte ich weiter sehen und näher kennen lernen, nicht nur vögeln.“ David seufzte, „Das war wirklich ein anderes Leben.“ „Vermisst du es?“ „Manchmal. Es war leichter.“ „Aber auch einsamer. Ich möchte Chris nicht missen, seine Wärme in unserem Bett, sein Gesicht, wenn ich morgens mit ihm aufwache.“ „Ja, ja, ich weiß!“, schnappte David, dann fügte er jedoch kleinlaut hinzu. „Ich möchte Jem ja auch nicht mehr missen, so sehr mich das selbst nervt. Er hat sich so tief in meine Gefühle geschlichen, dass ich ihn da nicht mehr herausbekomme.“ „Und willst du ihn überhaupt noch raus haben?“ „Mensch, Jason, du fängst an zu nerven.“, knurrte David mit einem Grinsen. „Nein, will ich nicht. Ich hoffe nur, dass wir das noch auf die Reihe kriegen. Offenbar haben meine Eltern auch noch ihre Finger im Spiel, die müssen Jeremy ordentlich fertig gemacht haben...“ Er schaute auf. „Scheiße, ich rede schon wieder nur von mir.“ David streckte Jason seine Hand hin. „Ich gratuliere dir zur Verlobung.“ „Danke.“, lächelte Jason und schüttelte dann einfach nur den Kopf. „Aber vergiss das jetzt erst einmal. Geh zu Jeremy, er braucht dich jetzt sicher dringender. Ich gehe zu Gary. Colins Eltern sind im Urlaub, ich werde ihn und Marcus danach nach Hause fahren und Marcus’ Eltern alles erklären. Die wissen noch gar nichts.“ „Okay.“ David stand auf und verließ mit Jason die Cafeteria. Er zitterte leicht, als er sich durch die Flure des Krankenhauses bewegte. Sie liefen bald Colin in die Arme, der Junge hatte mehrere blaue Flecken und einen Verband an der Hand. Er sah heruntergekommen aus, die Haare leicht versengt. „Hey, David. Hi, Jason.” Marcus war hinter Colin aufgetaucht und nahm seine Hand. „Gary ist da drüben in Zimmer 22.“ Er lächelte schwach, scheinbar hatten ihn die Ereignisse mitgenommen. Verständlich. „Danke, Marcus, wartet in der Cafeteria, ja? Ich bringe euch nach Hause.“ „Danke, Jason.“ Colin nahm seinen Freund mit. „Wir sehen uns später.“ Auch Jason verabschiedete sich und ließ David allein. Etwas verloren blieb der blonde Mann stehen und sah sich um. Er wusste nicht so wirklich, was er tun sollte. Als er sich einem Schalter näherte, hinter dem eine gelangweilt wirkende Schwester auf einer Tastatur herum tippte, kam ihm der Zufall zur Hilfe. „David.“ Der Anwalt drehte sich um, Jeremy stand hinter ihm. Er hatte einen kleinen Verband am rechten Oberarm, der Rest der Arme, sein Hals und Gesicht waren mit leichten Schürfwunden bedeckt, die schnell und bald wieder verheilt sein würden, ohne Spuren zu hinterlassen, unerlässlich für seinen Beruf. „Jeremy!“ David trat zu ihm und schloss ihn in die Arme. „Gott sei Dank.“ „Schon gut, mir ist so gut wie nichts passiert.“ Etwas in der Stimme Jeremys war merkwürdig, der Unterton war so ganz anders als sonst. Deswegen zog sich David einen Schritt zurück und musterte ihn. „Alles okay?“ „Sag du es mir.“ „Jem... die Sache mit den Pillen.“ David wusste sofort, worauf sein Freund anspielte. „Ich krieg das in den Griff.“ „Ja, ich weiß.“ „Und dann ist doch alles wieder gut.“ „Ja, ist es wohl.“ Jeremy senkte den Blick. „Es geht nicht.“ „Was?“ „Das alles. Wir.“ David spürte, wie sein Herz schneller anfing zu schlagen. „Was soll das jetzt?“ „Ich hatte da drin Zeit zum Nachdenken... auch im Krankenwagen. Diese Explosion hat mir die Augen geöffnet.“ „Jeremy!“ „Schon gut, David, es ist nicht deine Schuld. Nicht nur. Auch meine.“ Der Rothaarige hielt den Blick gesenkt. „Ich liebe dich so sehr, dass es schon weh tut, aber es geht nicht...“ „Jeremy, was zum Donnerwetter redest du da?“ „Siehst du es denn nicht? Ich weiß ja, dass du mit Emotionen nicht immer umgehen kannst, aber du hast mich monatelang belogen, statt, wie es sein müsste, Vertrauen zu mir zu haben. Und deine Eltern haben auch gesagt, dass wir nicht zusammen passen.“ “Das ist doch scheißegal!“, entfuhr es David. „Vielleicht, aber das andere... reicht. Du hast mich belogen, die ganze Zeit. Und wenn wir nach so lange Zeit immer noch nicht bei einer richtigen Vertrauensbasis angekommen sind... ich glaube, dass du innerlich keine Beziehung willst.“ David konnte es nicht fassen. „Du hast dich so lange gegen uns gewehrt und mich bei den ersten Problemen weggestoßen, dann hast du Besserung gelobt und es wieder getan. Statt mich an dich heran zu lassen, hast du mich wieder verdrängt und außen vor gelassen. Es gab so viele Momente in der letzten Zeit, wo du die Gelegenheit zur Wahrheit gehabt hättest... aber immer hast du gelogen.“ „Jeremy...“, war alles, was David hervorbrachte. „Ich kann nicht mehr...“ Jeremy schüttelte den Kopf. „Ich will auch nicht mehr.“ „Du... du machst Schluss?“ Es entstand eine Pause. Rund um die beiden herum herrschte die Geschäftigkeit des Krankenhauses, aber sie schienen in ihrer eigenen Welt versunken zu sein. Und diese brach eben auseinander. „Ja... ich hatte auch meine Geheimnisse... zumindest eines. Ich hab ein Angebot aus Mailand, ich müsste für mindestens ein Jahr dorthin... ich wollte es ablehnen, aber... ich denke, ich nehme es an.“ David starrte ihn an, er konnte nichts sagen. Eben noch hatte er mit Jason darüber geredet, dass er Jeremy in seinem Leben haben wollte und jetzt... Der Rothaarige hielt den Blick weiter gesenkt. „Es ist besser so...“ Er ging an David vorbei. „Glaube ja nicht, dass ich dir nachlaufe.“, David hatte die Worte schneller gesagt, als er über ihre Wirkung nachgedacht hatte, „Ich werde dich nicht anbetteln.“ „Ich weiß.“, sagte Jeremy nur und ging einfach. Er sah sich nicht um. Er konnte es nicht. David blieb wieder allein zurück, die Fäuste geballt. Seine Augen brannten, er presste die Lider so fest er konnte zusammen. Tränen hatten keine Chance. Soweit würde er sich nicht erniedrigen. Niemals. Von all dem ahnte Jason im Krankenzimmer seines Bruder natürlich nichts. Gary würde auch bald entlassen werden, da er aber am meisten abgekriegt hatte, sollte er über Nacht zur Beobachtung bleiben. „Ist Chris nicht schon hier?“, lächelte Gary. „Er ist manchmal so eine richtige Glucke.“ Jason stupste ihm vorsichtig gegen den Arm. „Rede nicht so von meinem Verlobten, klar?“ Sein Bruder stutzte, dann veränderte sich sein Gesicht in ein ungläubiges Grinsen. „Das ist nicht dein Ernst, oder? Erst wirst du schwul und dann heiratest du auch noch einen Kerl?“ „Was dagegen?“, grinste Jason. „Ach, du machst doch sowieso was du willst, J.R.“ Jason knurrte ob des ungeliebten Spitznamens. „So langsam habe ich wirklich keine Lust mehr auf dieses Krankenhaus. Ich kriege wirklich bald Rabatt hier, so oft wie ich hier bin.“ „Aber nie als Patient, freu dich doch.“ „Ja, das ist wirklich ein Grund zum Feiern, du Blödmann!“ „Jason...?“ „Ja?“ Jason blickte auf, die Stimme seines Bruders hatte auf einmal gänzlich anders geklungen. „Glaubst du, ich bilde mir nur, dass ich auch schwule Tendenzen habe?“ Jetzt war Jason wirklich überrascht. „Na ja, Mum und Dad wäre das sicher lieber. Aber wenn du so empfindest, solltest du auch dazu stehen.“ „Ich weiß es ja nicht... ich glaube, ich war etwas in Marcus verguckt, aber vielleicht auch nur, weil er so wild auf mich war. Das war etwas neues für mich...“ „Ja, gerade du hast ja absolut keine Erfahrung darin, begehrt zu werden.“ „Du weißt, was ich meine. Bisher waren es nie Jungen.“ „Schon klar.“ „Und jetzt... ich hab Marcus unbedingt gewinnen wollen und habe mich da voll hinein gesteigert.“ „Warum fragst du dann erst, wenn du schon der Meinung bist, dass du dich wirklich reingesteigert hast.“ „Keine Ahnung... vielleicht weil mir diese Sache da klar gemacht hat, wie dumm das war...“ Gary sah aus dem Fenster. „Colin, Jeremy und ich sind in diesem Ding als es hochgeht, ich ziehe Colin sogar da raus und für wen interessiert sich Marc nur? Für ihn. Ich war schwerer verletzt als Colin, aber Marc hat mich keines Blickes gewürdigt. Er war total aufgekratzt wegen Colin... ich habe da keine Chance.“ Jason wusste, was er meinte. Er hatte schon lange gewusst, dass Marcus bis über beide Ohren in Colin verliebt war, viel stärker als damals in seinen Bruder. Er hatte Colin getroffen und für die beiden war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, er hatte sogar den ersten Kuss der Beiden miterlebt. Man musste sich trotz kleiner Probleme schon Mühe geben, überhaupt ein Blatt zwischen Colin und Marcus zu schieben, so klebten sie aneinander. „Und nun?“ „Ich denke, ich sollte es einfach einsehen... vor allem weil ich immer noch nicht weiß, ob ich wirklich in Marcus verliebt bin oder einfach nur schwärme...“ „Wenn du dir nicht einmal darüber sicher bist, hast du dich wohl wirklich reingesteigert, Brüderchen.“, meinte Jason mit einem ironischen Lächeln. „Du solltest zumindest wissen, ob du jemanden liebst oder einfach nur mal wissen willst, wie es ist, schwul zu sein.“ „Das sagt der, der so lange hin und her getigert ist, bis er endlich dazu stand, dass er schwul ist.“ „Frech bist du auf jeden Fall immer noch.“, stellte Jason fest. „Und du willst Chris jetzt wirklich heiraten?“ „Ja.“, antwortete sein Bruder überrascht über den erneuten abrupten Wechsel des Themas. „Ich finde das toll.“ „Wirklich?“ „Ja, warum sollten Schwule nicht auch heiraten? Ich finde es toll, dass ihr euch das traut. Sind Mum und Dad schon im Bilde?“ Jason lachte auf. „Nein, bisher noch nicht. Ist eine ziemlich spontane Aktion gewesen. David weiß es schon und du.“ „Dann fühle ich mich geehrt, einer der Ersten gewesen zu sein, der davon erfahren hat.“ Jason lächelte und musterte seinen Bruder. Gary hatte eine Wandlung durchgemacht seit Jason New York verlassen hatte. Er war damals beinahe noch ein Kind gewesen, übermütig, auf Vergnügung fixiert, ohne Gedanken um Konsequenzen. Seine Erlebnisse mit Marcus hatten ihn nicht nur verwirrt, sondern auch gezwungen, erwachsen zu werden. Jason wurde klar, dass er sich keine Sorgen um Gary machen musste. Sein jüngerer Bruder würde seinen Weg machen, ob nun mit einem Mann oder einer Frau an seiner Seite. Er war kein Kind mehr. Es klopfte an der Tür und Nicolai streckte seinen Kopf hinein. Sein langes schwarzes Haar fiel in einer glänzenden Welle auf seine Schulter. „Störe ich? Ich habe gehört, was passiert ist.“ „Komm ruhig rein, ich wollte sowieso eben gehen. Chris macht sich sicher große Sorgen, aber er konnte nicht aus dem Restaurant weg.“ Nicolai nickte und nahm Jasons Platz ein, der sich von seinem Bruder verabschiedete und ging. Bevor er die Tür ins Schloss zog, warf er einen Blick zurück. Er war längst vergessen, Nicolai und Gary lachten über etwas, das sein Bruder gesagt hatte. Es war ein schönes Bild. Jason schloss die Tür mit einem Lächeln. Vielleicht würde Gary eines Tages erkennen, dass es jemanden gab, dem er wahnsinnig viel zu bedeuten schien, viel mehr als er damals Marcus bedeutet hatte. Nicolais Augen quollen über vor Liebe zu Gary und diese wurde von Tag zu Tag stärker. Deswegen war der junge Mann aus ihrem Haushalt ausgezogen, hatte versucht, sein Leben wieder in geregelte und vor allem eigene Bahnen zu lenken. Gary war zu blind für die Liebe zwischen Männern um Nicolais Gefühle zu erkennen. Noch war er es. Vielleicht für Gary doch mit einem Mädchen zusammenkommen. Vielleicht aber auch mit dem Mann, der ihn über alles liebte. Als David nach Hause kam, tobte er vor Wut auf Jeremy. Oder auf sich selbst. Es war ihm egal. Er zerrte die Klamotten, die Jeremy bei ihm im Schrank lagerte, hervor und stopfte sie in einen Karton. Ihnen folgten Jeremys Hygieneartikel aus dem auf Badezimmer und das Bild von ihnen, das in seinem Wohnzimmer stand. Er stellte die Kiste auf den Flur und klebte einen Zettel dazu, dass Jeremy seinen Schlüssel in den Briefkasten unten in der Halle werfen sollte. Dann schloss er ab und hockte sich ins Wohnzimmer, um auf die Wand zu starren, an der sein Foto hing. Das berühmtberüchtigte Aktfoto. Jeremy hatte sich immer darüber amüsiert und es dabei trotzdem heiß gefunden. Ruckartig stand David auf, nahm es ab und verpackte es im Schrank. Er konnte das Bild nicht mehr ertragen. Seit Jahren hing es dort und nun konnte er es nicht mehr ansehen. Vielleicht weil er Erinnerungen an Jeremy damit verband. Der Portier klingelte irgendwann und teilte ihm mit, dass Mr. Sumner unten an der Rezeption wäre. David teilte ihm mit, dass er Jeremy nach oben lassen sollte, aber nur noch dieses eine Mal. Einen Moment lang hoffte er, dass Jeremy klingeln würde. Er tat es aber nicht. Vor der Tür hörte er seine Schritte, das Rappeln der Kiste als Jeremy sie aufhob, dann wurde es wieder still. Jeremy war gegangen. Und diesmal würde es wohl für immer sein. Zwei Wochen später klingelte Jeremy bei Alex. Er wusste mittlerweile von der Hochzeit von Chris und Jason, aber auch, dass er nicht dabei sein würde. Heute war sein Abreisetag, der Flieger ging am späten Nachmittag. David und er hatten kein Wort mehr miteinander gewechselt. Sich auch nicht mehr gesehen. Es war wohl auch besser so. Jeremy vermisste ihn furchtbar, aber zweifelte nicht an seiner Entscheidung. Zumindest würde er das nie zugeben. Die Tür wurde geöffnet, doch vor ihm stand nicht Alex sondern Ben. Der Mann trug lockere Jogginghosen und sein schlanker Oberkörper war nackt. „Äh... Entschuldigung.“ Jeremy schaute noch einmal auf den Namen unter der Klingel. „Du willst sicher zu Alex, oder? Ich bin Ben.“ Er hielt ihm die Hand hin, die Jeremy ergriff. „Freut mich, Jeremy.“ „Ich weiß. Der berühmte Jeremy.“ Ben grinste. „Geh ruhig rein, er ist im Wohnzimmer. Ich habe eh noch zu tun.“ Jeremy sah ihm nach und ging dann in den Wohnraum. Alex saß vor dem Fernseher und schaute überrascht auf. „Wo kommst du denn her?“ „Von draußen.“, witzelte Jeremy und nickte in die andere Richtung. „Ben?“ „Er ist ein Freund.“ „Ein Freund oder dein Freund?“, grinste der Rotschopf. „Irgendwas... Freunde mit Vorteilen, würde ich sagen. Ein Fuck Buddy.“ Alex zuckte mit den Schultern. „Setz dich doch.“ „Danke.“ Jeremy nahm Platz. „Er wirkt sehr nett.“ „Ist er auch.“ Alex schaltete den Fernseher aus. „Und? Was willst du? Hast dich ja lange nicht mehr bei mir gemeldet. Wie geht es Vanderveer?“ Jeremy presste kurz die Lippen aufeinander. „Keine Ahnung. Wir sind getrennt. Und ich bin hierher gekommen, um mich zu verabschieden. Ich gehe für längere Zeit nach Europa.“ „Was?!“ Alex setzte sich auf. „Und so eine Bombe lässt du mal eben so mir nichts dir nichts hochgehen?!“ „Na ja...“ „Warum habt ihr euch getrennt?“ „Ist das alles, was dich interessiert?“, fragte Jeremy enttäuscht. „Willst du dich an den Details erfreuen?“ “Unsinn...“ Alex schmollte. Vielleicht doch ein bisschen. Aber merkwürdigerweise erfreute ihn die Nachricht weit weniger als noch damals bei der ersten Trennung. Er sah Jeremys traurige Augen und irgendwas in seiner Brust schnürte sich zusammen. Der Rothaarige tat ihm leid, obwohl er es nicht wollte. „Europa also...“ „Ja... vielleicht treffe ich ja sogar Abby wieder. Ich brauche einen Tapetenwechsel. Abstand und so.“ „Hast du Lust, Essen zu gehen? Vielleicht zum Abschied?“ „Lust schon, aber keine Zeit. Ich muss gleich weiter. Seit 9/11 ist Einchecken eine Tortur, ich will meinen Flug nicht verpassen.“ Er stand direkt wieder auf. „Jem...“ Auf einmal wusste Alex nichts mehr zu sagen. „Hm?“ Der Schwarzhaarige stand ebenfalls auf. „Bist du dir da ganz sicher? Du gehörst in diese Stadt.“ Jeremy lächelte. „Findest du?“ “Ja!“, platzte es aus Alex hervor. „Du bist ein Teil von San Francisco! Und ich werde dich hier vermissen! Und andere sicher auch.“ „Das ist lieb von dir.“ Jeremy nahm ihn in den Arm und drückte Alex an sich. Sie hatten eine so bewegte Vergangenheit, soviel Streit und Probleme, soviel Endgültiges und so viele Neuanfänge. Fast wie David und er. „Ich schreibe ab und an. Und nun gehe ich, bevor es noch schlimmer wird.“ „Melde dich, wenn du da bist.“ „Sicher... bye.“ Jeremy drehte sich einfach um und verließ das Zimmer. Kurz darauf fiel die Wohnungstür zu. „Bye...“, flüsterte Alex allein vor sich hin. Doch ganz allein war er nicht. Ben erschien im Türrahmen. „Abschied?“ „Er zieht weg. Nach Europa...“ Warum nahm ihn das so mit? Er hatte gewonnen ohne etwas zu tun. David und Jeremy waren Vergangenheit, sogar ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen. „Und du bist traurig.“ „Manchmal nervst du mich mit diesen trockenen Feststellungen.“ Ben lächelte und setzte sich dann auf die Couch, die Beine übereinander geschlagen. „Was geht in dir vor?“ „Nichts.“ „Merke ich.“ Ben spielte mit seinen Fingernägeln. „Was willst du denn hören?!“ Manchmal konnte er Alex so zum Wahnsinn treiben. „Was weiß ich... Triumphgeheul, Planung einer Party...“ „Du machst dich über mich lustig.“ „Ein wenig.“, gab Ben amüsiert. „Weißt du, als wir uns kennen gelernt haben, hast du große Töne gespuckt, das böse Genie heraushängen lassen. David war damals im Krankenhaus und du hast mir verkündet, dass du sie vernichten würdest.“ „Ja. Das wollte ich auch.“ Alex zog einen Schmollmund. „Und du hast dennoch nie etwas getan.“ „Ich habe einiges getan.“ „Ja und was?“ Ben wurde immer amüsierter. „Ich habe David gesagt, dass Jeremy in seiner Vergangenheit nicht unbedingt rein war.“ „Du auch nicht. Und auseinander hast du sie damals auch nicht gebracht.“ „Worauf willst du eigentlich heraus?“ „Das du ein liebenswertes Großmaul bist, wenn man dich näher kennen lernt.“ Alex blieb der Mund offen stehen, so etwas hatte ihm noch keiner gewagt zu sagen. Einen Moment lang verspürte er das Bedürfnis, Ben anzuschreien oder sogar aus der Wohnung zu werfen. „Du hast mir soviel über dich erzählt, Alex, die Drogen, der Alkohol, deine Fehltritte und wie du dich allein für Jeremy verändert hast. Doch er wollte dich nicht mehr. Und trotz all deiner Flüche und deiner geplanten Gemeinheiten hast du nie etwas getan.“ Ben stand auf. „Du markierst gern den Bösen, der du vielleicht mal warst. Ich glaube eher, dass du früher nur kaputt warst und es aus eigener Kraft geschafft hast, wieder auf die Beine zu kommen. Vielleicht für Jeremy, aber das hast du längst hinter dir gelassen. Du bist weiter gezogen und hast dich weiter verändert. Der Hass den du auf David und Jeremy zu empfinden glaubst ist nur eine Art Konstante, an die du dich klammerst. Du hast David das Leben gerettet, schon mehrmals, wenn du dich erinnerst. Die Bluttransfusion, diese Sache in dem Treppenhaus. Du bist ein wirklich guter Kerl, Alex, man muss sich nur die Zeit nehmen, diesen Kerl zu entdecken. Und das habe ich.“ „Und ich gehe nie wieder mit einem Psychiater aus!“, schnappte Alex. „Also, was sollte der ganze Text jetzt?“ „Nichts. Bilde dir selbst deine Meinung... ich muss noch mal weg.“ „Mit dem Auto?“ Ben zog die Augenbraue hoch. „Wieso?“ „Ich müsste wohin fahren.“ „Wohin bestimmtes?“ „Zu David, verdammt! Ich muss diesem Idioten sagen, dass er sich die Chance seines Lebens durch die Lappen gehen lässt.“ Ben lächelte. Er griff in seine Tasche und reichte Alex die Schlüssel. „Jetzt willst du die Beiden also retten, statt sie zu vernichten?“ Alex verdrehte die Augen. „Du gehst mir wirklich auf die Nerven. Sehr sogar! Ja, das tu ich. Und selbst wenn es nur dafür ist, um sie dann selbst vernichten zu können.“ Er drehte sich um und stürmte aus der Wohnung. Ben sah ihm nach. „Klar... damit du sie selbst vernichten kannst, du kleiner Kindskopf.“ Er wusste schon, warum er sich in Alexander verliebt hatte. „Danke, dass du hier bist. Dabei müsstest du doch auch Reisevorbereitungen treffen.“ David saß mit Jason in seinem Wohnzimmer. Er wusste, dass Jeremy heute abfliegen würde und war ehrlich froh, dass Jason bei ihm war. „Klar, kein Problem. Und so eilig sind die Vorbereitungen ja nicht. Bist du wirklich sicher, dass du nicht mitfliegen willst?“ „Eine romantische Südseehochzeit direkt nach dem Scheiß mit Jeremy... ich würde nur aus Versehen aufs Chris Hochzeitskleid reihern.“ Jason lachte auf. „Lass ihn das nicht hören.“ Plötzlich klingelte es. Der Portier kündigte Alex an, was David eigentlich erst dazu veranlasste, ihn nicht hinauf lassen zu wollen. Aber Jason war ja da. Als Alex oben ankam, öffnete David noch bevor er klopfen konnte. „Was willst du?“ „Danke, freue mich auch, dich zu sehen.“ „Alex... meine Geduld hat heute Grenzen.“ Jason hob den Kopf und hörte interessiert zu. „Ich wollte dir nur eines sagen, Vanderveer. Du bist ein bescheuerter, arroganter, hirnverbrannter, dämlicher Idiot, wenn du Jeremy wirklich fliegen lässt.“ David brauchte bei all seiner Schlagfertigkeit einen Moment, um sich wieder zu sammeln. „Bitte?! Warum geht ausgerechnet dich das etwas an?!“ „Weil ich Jeremy mag! Ich weiß, was er für ein Schatz ist und ich weiß, dass ich ihn damals weggeworfen habe. Ich kann ihn nicht wieder bekommen, weil sein Herz dir gehört! Auch wenn du Knallkopf das nicht verdienst! Er liebt dich! Und das ist nicht leicht bei einem wie dir! Glaubst du, du findest noch einmal so einen Volltreffer wie ihn?!“ „Bist du fertig?“, fragte David genervt. „Ja. Schönes Leben noch, Vanderveer.“ Alex drehte sich und ging. Er wusste, dass er bei David einen Treffer gelandet hatte. Das konnte man in den Augen des Anwalts ablesen. „Was bildet sich dieser Kerl ein?!“, motzte David und knallte die Tür zu. „Er hat Recht.“ David schaute seinen Freund verständnislos an. „Fällst du mir jetzt auch in den Rücken?“ „Ach, David, jeder weiß, dass Jeremy und du zusammen gehören. Alle nur ihr Beiden nicht. Wenn du ihn aufhältst, bleibt er sicher hier. Du brauchst ihn und er dich. Und wenn er einem wie Alex eine zweite Chance gegeben hat, gibt er dir auch eine dritte.“ „Vielleicht will ich ja gar keine Chance!“ „Ja, deswegen hast du dich auch seit zwei Wochen in der Wohnung vergraben, dein geliebtes Bild abgehängt und brauchst mich als Versicherung, dass du nichts dummes tust, weil Jeremy heute abfliegt.“ David erstarrte. Es dauerte einen Moment eher er wieder etwas sagen konnte. „Wann geht sein Flieger?“ „In einer Stunde.“ „Zieh die Tür hinter dir zu!“ David drehte sich um, riss die Autoschlüssel von der Kommode und rannte los. Auf einmal hatte er es sehr eilig. Warum nur hatte er so lange gehadert?! Vielleicht war es jetzt zu spät. Sein bescheuerter Stolz. Das war es. Alle wussten, was er für ein Dickschädel sein konnte und dass er ein Profi darin war, Chancen zu verschenken. Aber er hatte selbst gesehen, wie tief Jeremy in sein Herz eingedrungen war und wie sehr er ihn liebte. Und wenn er nun nichts tat, es wenigstens versuchte, würde er ihn für immer verlieren. Das würde bedeuten, dass er wieder in sein altes Leben zurück könnte. Sex und Party. Jeden Tag einen anderen. Nein! Das wollte er nicht! Das wurde David schlagartig klar. Die Nähe und die Intimität in der Beziehung zu Jeremy war etwas, das er so noch nie erlebt hatte. Und er wollte es nicht aufgeben. Der Weg zum Flughafen schien endlos. Die Straßen waren voll, er kam viel langsamer voran als er wollte. Als er endlich beim Flughafen angekommen war, war er klatschnass verschwitzt und sein Herz schlug wie wild. In der überfüllten Halle sah er sich wie ein Wilder um. Wo war Jeremy?! Natürlich! Er würde schon einchecken, wahrscheinlich war er auf dem Weg zum Flugzeug. David rannte zu einer Information. Die Frau weigerte sich aber strikt, Auskunft zu geben, welchen Flug ein gewisser Jeremy Sumner gebucht hatte. David verfluchte sie, doch er riss sich zusammen und musterte die Anzeigen. Das Glück war ihm hold. Ausnahmsweise einmal. In der nächsten Stunde ging nur ein einziger Flug nach New York. Terminal 3, Flugsteig C. David rannte los. Und dann sah er sie. Die Kontrollen, die Metalldetektoren, Kofferscanner. Er würde nie rechtzeitig da durch kommen. Es war vorbei. Oder... David wusste, dass er eben wohl den verrücktesten Fehler seines Lebens machte, aber das war es wert. Er ging ein Stück voran, bis an einen Scanner, hinter dem eben keine Warteschlange war. „Sir, würden Sie bitte...“ David rannte los. „Sir! Bleiben Sie sofort stehen!“, schrie ihm die Angestellte hinterher. David hörte nicht. Er rannte einfach weiter. Sofort entstand Tumult, hinter ihm wurden Schritte laut, das Sicherheitspersonal war hinter ihm her. „Stehen bleiben!“ David rannte wie der Teufel, seine Lungen brannten und zum ersten Mal dankte er seiner Oberflächlichkeit für die vielen Stunden im Studio. Das Terminal kam in Sicht und auf einmal sah er knallrote Haare. Im nächsten Moment sprang ihm jemand in den Rücken. Der Wachmann riss David zu Boden. Allgemeine Bestürzung, eine Frau schrie etwas von einer Bombe. „Jeremy!“ David brüllte so laut er konnte. „Jeremy, ich liebe dich! Bitte bleib hier! Jeremy!“ Die Wachleute zerrten ihn weg. „Jeremy! Ich liebe dich! Ich liebe dich!“ Dann war der junge Mann wieder außer Sichtweite. Jeremy bemerkte nicht einmal die Blicke der anderen Passagiere, er starrte einfach nur dorthin, wo David Vanderveer eben von Flughafenwachleuten abgeführt worden war. David saß in einer der Räumlichkeiten der Flughafensicherheit, als Jason zu ihm kam. „Ich glaube es nicht...“ „Behalt es für dich.“, murrte der Blonde. Sein Rücken tat ihm schrecklich weh. „Die dachten, du wolltest eine Bombe zünden. Ich konnte das alles erklären und regeln, aber du wirst eine saftige Strafe kriegen, vielleicht sogar eine Anzeige, ich arbeite noch daran, dass sie davon absehen.“ „Danke...“ David schaute weiter auf seine Schuhe. Er war zu spät gewesen. Alles vorbei. „Ich soll dir von ihm sagen, dass er dich auch liebt und dich im Gefängnis besuchen kommt. Du sollst ihm nur die Schlüssel zu eurer Wohnung geben.“ „Was?!“ Davids Kopf ruckte hoch. „Es sieht so aus, als hätte jemand seinen Flieger doch nicht genommen.“, grinste Jason breit. „Hoffentlich nimmt er dich alten Mann noch, wenn du aus dem Knast kommst!“ David ging nicht auf den Witz ein, er sprang einfach nur auf, schloss Jason in die Arme und lachte. Er hatte es doch geschafft. Eine Woche später war es soweit. Die Sonne schien hell und warm an dem Tag, an dem sich Jason Cunningham und Chris Fairgate das Ja-Wort gaben. Chris hatte sich nicht lumpen lassen, alle Freunde und Bekannte waren mit auf den Malediven geflogen, die Reisegesellschaft hatte sich sowohl gewundert als auch mehr als gefreut. David und Jeremy - als Paar - Marcus und Colin, samt der jeweiligen Eltern, Jasons Familie, die von Chris und auch Abby, Claire und Nicolai samt seiner Schwester. Selbst Alex war da, als Retter von David und Jeremy hatte er eine Einladung bekommen. Ben war an seiner Seite, er verstand sich mit der Clique bereits blendend. Nur Sly und Ash fehlten, dennoch sendeten beide ihre Glückwünsche. An diesem Tag schien alles zu stimmen. Die gesamte Hochzeitsgesellschaft trug weiß, überall waren tropische bunte Blumen verteilt und der Pavillon, in dem der Priester wartete, stand direkt am Meer. Die Sonne funkelte im aquamarinblauen Wasser, das in sanften leisen Wellen an den Strand rollte. Die grünen Palmen wiegten sich sanft im angenehmen Wind. Als Chris von seinem Stiefvater den Gang hinabgeführt wurde, hatte nicht nur er Tränen in den Augen. Seine Mutter heulte hemmungslos, Abby schluchzte und auch Jeremy wischte sich immer wieder die Tränen aus den Augen. Jason stand stolz und aufrecht an seinem Platz und wartete, David neben sich, der nicht minder stolze Trauzeuge. Die Zeremonie war romantisch und berührend. Keiner hier dachte darüber nach, dass dort zwei Männer heirateten, etwas was immer noch verpönt war und von vielen sogar am liebsten verboten werden würde. Hier ging es um Liebe. Um eine Liebe, die stärker war als alle Hindernisse, die sich ihr in den Weg gestellt hatten. Nach der Zeremonie wurde am Privatstrand des Hotels gefeiert bis in die Nacht. Es gab Delikatessen und Champagner im Überfluss und jede Menge Lachen und Spaß. Marcus tanzte mit Colin, er hatte sich mittlerweile mit Gary ausgesprochen und sie hatten die Fronten geklärt. Es würde vielleicht etwas dauern, aber der Freundschaft stand nichts im Wege, besonders da Colin Gary trotz dessen Ausbruchs in der Videothek sehr mochte. Jasons Bruder zierte sich etwas, ließ sich dann aber letztendlich doch von Nicolai zum Tanzen auffordern. Er mied dabei die Blicke seiner Eltern, die sich allmählich darüber klar wurden, dass eigene Enkel in immer weitere Ferne rückten. Aber wozu gab es Adoptionen? Brian, Chris’ Halbbruder amüsierte sich prächtig, denn ihm war eine junge Dame namens Abby aufgefallen, die solo und sehr hübsch war. Im Moment tanzten sie und lachten immer mal wieder. David und Jeremy hatten sich etwas zurückgezogen und knutschten auf einer Bank unter einem Palmenhain. Die Lichter der Feier drangen nur schwach bis hierher, aber der Mond stand mittlerweile hell am Himmel und Milliarden Sterne funkelten. „Es ist wunderschön hier...“, lächelte Jeremy zwischen zwei Küssen. „Ja, das kannst du laut sagen. Nur noch leider zu belebt, ich würde dich jetzt gerne flachlegen.“ „Dann haben wir überall Sand!“, lachte Jeremy auf und kuschelte sich näher an David. „Später, mein Süßer, später.“ „Ich nehme dich beim Wort.“ David legte die Arme um ihn. „Bereust du die Entscheidung, mir doch noch eine Chance gegeben zu haben?“, fragte er plötzlich. „Keine Spur. Ich bin eben abhängig von dir.“ David sagte nichts, er lächelte nur und schaute in den Nachthimmel hinauf. So sollte es am besten immer bleiben. Jeremy und er auf einer einsamen Inseln. Er wollte Jeremy nicht mehr hergeben, nie wieder. Und er würde endlich offen sein, zumindest sich alle Mühe dazu geben. Die Stille war herrlich, nur leise klang die Musik vom Fest herüber und die Wellen plätscherten. David erschrak selbst vor dem Gedanken, aber die Heirat von Jason und Chris hatte ihn zutiefst bewegt und beeindruckt. Sie war vielleicht nicht von der Kirche und dem Staat offiziell anerkannt, aber sie war ein Zeichen, dass diese Beiden für immer zusammengehören wollten, egal welchen Geschlechts sie nun waren. „Willst du mich heiraten...?“, fragte er leise und noch bevor er überhaupt weiter nachgedacht hatte. Wenn er nachdenken würde, würde er nur wieder Panik kriegen. Und das wollte er nicht. Jeremy setzte sich abrupt auf. „Was?!“ „Du hast mich doch verstanden.“ „David? Wie kommst du auf so etwas?“ Jeremy schien völlig verwirrt. „Wir sind hier. Der Priester ist hier, wenn wir genügend zahlen schaffen wir es sicher noch während des Urlaubs.“ „Aber deine Eltern...“ „Geht das einen Dreck an. Ich bin unabhängig.“, widersprach David sofort. „Aber...“ „Ja oder nein?“ David musste ihm ins Wort fallen. Wenn Jeremy noch weiter bohrte, würde er noch wieder anfangen zu denken. „Ja!“, lachte Jeremy und warf sich übermütig auf ihn. Sie fielen vom Liegestuhl in den Sand und hofften nur, dass niemand vorbei kommen... und dass der Sand nicht zu sehr jucken würde. Als die Feier längst zu Ende war und sich die Stille über den Strand gelegt hatte, gingen Chris und Jason zum Wasser hinab. Sie hatten sich umgezogen, kurze Hosen und lockere Hemden, Jason trug das seine offen. Das Wasser umspülte ihre Füße und ließ den Sand zwischen den Zehen kitzeln. „Es ist irgendwie unwirklich...“, meinte Jason. „Was? Die Atmosphäre?“ „Nein... wir... wir sind verheiratet, Chris.“ “Ja!“, grinste der Blonde, „Denkst du etwa schon über Scheidung nach?“ „Du Spinner...“ Jason schloss ihn in die Arme und hielt ihn fest. Sanft küsste er die zarten Lippen seines Mannes. „Es war ein langer Weg.“ „Ja.“ Chris hatte die Augen geschlossen. Jason hatte recht. Der Weg war lang gewesen. Er hatte in New York begonnen und auch San Francisco hatte so viele Prüfungen bereit gehalten. Und wahrscheinlich war der Weg noch nicht zu Ende. Vielleicht würde er es nie sein. Doch San Francisco hatte ihnen soviel mehr geboten als Prüfungen. Neue Freunde. Eine neue Heimat. Ein neues Leben. „Erinnerst du dich... damals auf dem Dach?“ Bei Jasons Worten öffnete Chris die Augen. Ja, er erinnerte sich nur zu gut. Jason hatte ihn damals auf das Flachdach seines Wohnhauses in Manhatten geführt, von dem aus man einen wunderbaren Blick auf die Skyline hatte. Er hatte ihm ein Abendessen gemacht und sie hatten getanzt, zu imaginärer Musik, eng umschlungen. Chris hatte damals gedacht, dass es die wundervollste Nacht seines Lebens war. Doch er hatte sich geirrt, wie es nun schien. „Damals habe ich dir etwas versprochen. Weißt du es noch?“ „Ja...“, flüsterte Chris. „Ich habe dir versprochen, dich aus deiner Dunkelheit zu holen und dir ein neues Leben zu schenken. Fern von all den Problemen, ohne Drogen, ohne Freier.“ „Ich habe dir damals nicht glauben wollen.“, musste der Blonde gestehen. Es war zu schön gewesen um wahr zu sein und als Jason dann verschwand, hatte sich Chris nur darin bestätigt gesehen, dass Träume etwas für Idioten waren. „Ich habe dieses Versprechen nie vergessen.“, hauchte Jason und küsste Chris zärtlich. Der Mond schien über ihnen und leuchtete auf das Paar herab. Die Wellen umspülten sie und für diesen Moment waren sie in ihrer eigenen Welt. Eine Welt in der es nur Liebe und Glück gab. Er hatte sein Versprechen am Ende doch gehalten. ENDE Amber - Flying above the clouds Love lifts us up Love lifts us up Remember the pain we put each other through Remember the tears you cried, I cried too Remember how close we came to giving up Remember the holidays that were destroyed Remember the arguments we employed Remember the lines we drew and the lines we crossed If we had known it would be so hard Would we have set out on this road together Now when I look into your eyes I can see forever We're flying above the clouds So beautiful & clear We're flying above the clouds I can see happiness from here Love lifts us up Love lifts us up Remember the silence living in the dark Remember the desperation in my heart Remember how close we came to giving up We were caught up in our storm I didn't think that we would make it We have only stood our grounds Now the storm is breaking Sweet love to a higher ground Love lifts us up Love lifts us up If we had known it would be so hard Would we have set out on this road together Now when I look into your eyes I can see forever We're flying so beautiful Love lifts us up There is so much happiness Don't ever stop ~~~ Ich habe eben wirklich Tränen in den Augen... Im Hintergrund läuft das „Love Theme“ aus dem Film „Tatsächlich Liebe“, ein Stück, dass ich immer für die letzte Szene geplant hatte... hätte dies hier einen Abspann, würde der Song von Amber laufen, den ihr da oben lesen könnt. Es ist soviel passiert, soviel hat sich geändert, lief anders als geplant, einiges lief blendend, anderes nicht so gut. Wenn ich zurückblicke, hatte Remember the Promise you made Höhen und Tiefen. Ich hatte so irre viel im Kopf, aber am Ende hatte sich die Geschichte schon erzählt und ich fürchtete, dass die Qualität leiden würde. Deswegen war es Zeit, fürs erste zu einem Ende zu kommen. Ich wollte Chris und Jason und auch David und Jem ein echtes Happy End bieten und ich denke, deswegen ist das Ende sehr sehr sehr schmalzig geworden. Es trieft sozusagen und ich musste mir auch Mühe geben, David nicht allzu sehr out of character agieren zu lassen. Durch die letzten beiden Kapitel zieht sich das Thema Veränderung. Veränderung im Rückblick auf das Vergangene, auf die Charaktere wie sie in die Story kamen und wie sie sich entwickelten. David hat sicher die größte Entwicklung erfahren und Alex... ja, Alex war das Problemkind. Als großer Antagonist geplant, war es vor allem sein Handlungsplot, der dem Ende zum Opfer fiel und so wurde es aus ihm am Ende doch ein netter Charakter, der mit Ben zumindest angedeutet sein Glück gefunden hat. Sorry, Alex, bei dir war eben doch nur heiße Luft dahinter! ;-) Ich habe mich bewusst dafür entschieden, die Geschichte von Nicolai und Gary offen zu lassen. Die Andeutungen sind deutlich, aber gesagt ist nichts. Manchmal ist das ganz reizvoll, denke ich. Die anderen Charaktere kamen am Ende recht kurz, doch ich dachte, dass zumindest das letzte Kapitel sich wieder zu 99% auf die großen Vier konzentrieren sollte. Im Nachhinein gibt es sicher eine Menge Fehlerchen, vielleicht auch logischer Art, die sich erst im Zusammenhang der ganzen Geschichte erschließen. Wenn man kontinuierlich, aber am Ende mit großen Pausen, an so etwas arbeitet, passiert das sicherlich ganz von selbst. Ich werde bald eine Art Blooper Kapitel nachschieben, in dem es u.A. um einige dieser kleinen Fehler geht. Zuletzt bleibt noch eines zu sagen: Ich habe nicht mehr soviel Zeit, mein Studium nimmt mich ein, aber ich bin gern bereit, das Universum der Remember Charas zu erhalten, vielleicht durch kleine RPGs oder ähnliches, in dem die Charakter der Hauptgeschichte eine Nebenrolle haben. Es spricht nichts gegen neue Charaktere, die mit den alten befreundet sind oder so etwas in der Art. Die Idee ist noch nicht ausgereift, aber wenn jemand etwas in der Art im Kopf hat, bin ich dem natürlich aufgeschlossen. ^_^ Was mich angeht, so werde ich in nächster Zeit diverse Koproduktionen online setzen, teils mit Alaska, teils mit LinkyBaby, mit denen zusammen ich, soweit ich das beurteilen kann, ein paar sehr gelungene Geschichten erschaffen habe. Ich selbst arbeite schon seit einiger Zeit an einer Gruselgeschichte über ein schwules Paar, dessen Plot von dem Lovecraftschen Horror inspiriert ist. Diese plane ich aber zunächst nicht zu Animexx zu stellen, sondern einem Verlag vorzulegen, also haltet mir die Daumen, ja? Remember hat mich lange Jahre begleitet, mein Leben hat sich im Laufe der Geschichte verändert und ich habe über sie meinen Freund Joe kennen gelernt, mit dem ich heute (9.9.) genau ein Jahr zusammen bin. Vielleicht ist das Ende dieser Geschichte auch ein Geschenk für ihn. Ich liebe dich, mein Schatz! Ich sehe das Ende von Remember mit gemischten Gefühlen. Jason, Chris und Co. waren so etwas wie Freunde für mich, bei denen ich immer wieder gern zu Besuch war. Manchmal strengten sie mich an, manchmal ging es mir ganz leicht von der Hand, ihre Geschichten zu erzählen. Auch wenn es nun Zeit ist, sich neuen Geschichten zuzuwenden, so werden die Jungs doch nie ganz weg sein. Sie sind immer ein Teil von mir, den ich nicht missen möchte. Und genauso möchte ich euch nicht missen, meine Leser, die mir in den Jahren auf unglaubliche Weise Feedback und Unterstützung gegeben haben. Ihr wart mein Antrieb, für euch habe ich dieses Mammutprojekt letztendlich gemacht und ich hoffe, dass selbst dieses nun frühere Ende euch gefällt. Remember stand und fiel mit euch und dafür danke ich allen, die mein Geschreibe gelesen und immer und immer wieder mit Feedback unterstützt haben! Auch wenn ich nicht immer der zuverlässigste ENS-Schreiber bin, ich möchte euch alle dennoch nicht missen und hoffe, dass ihr mich auch zu weiteren Projekten begleitet. Und auch besonderen Dank an die Beta-Tierchen, die sich hier durch gewuselt haben: Alaska, Zuckerfee und Schnuffimaus! *knuddels* Ich denke, es ist an der Zeit... mit einer Träne im Auge und dennoch lachend verabschiede ich mich von San Francisco. Jungs, die Zeit mit euch werde ich nie vergessen! Wir sehen uns wieder! Und das Selbe hoffe ich für euch: Wir sehen uns wieder! Euer Uly! *alle fest drück* PS: Schaut euch wenn ihr mögt mal meine Rosen-Kurzgeschichte an, die neu on ist ^^ Und das eine weitere Koproduktion ist auch schon da. ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)